Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Demokratie wirklich Volksherrschaft heißt, dann muß das Volk die Möglichkeit haben zu sehen, wie seine, des Volkes Herrschaft durch seine Vertreter ausgeübt wird, und das bedeutet mit absoluter Folgerichtigkeit,
daß das Volk weiß, wie die Abgeordneten im einzelnen Fall stimmen. — Herr Zwischenrufer, Sie rufen mir gerade zu: Persönlichkeitswahlrecht! Ich frage Sie jetzt — bitte denken Sie einmal logisch nach! —, was hat die Frage, ob Persönlichkeitswahlrecht oder gemischtes Wahlrecht oder Listenwahlrecht damit zu tun?
Denn wenn Sie geheime Abstimmung haben, dann können Sie ruhig die Kandidaten mit Persönlichkeitswahlrecht, mit reinem Mehrheitswahlrechtssystem wählen lassen, dann hat das Volk genau so wenig Kontrolle und genau so wenig Überwachungsmöglichkeit, wenn der vom Volk auf Grund des Mehrheitswahlsystems in einem Wahlkreis gewählte Kandidat sich hinter dem Schutz der Anonymität und der geheimen Abstimmung verbergen kann.
— Da winken Sie ab. Bitte, seien Sie dann so gütig und sagen Sie mir, wo da noch die Kontrollmöglichkeit ist!
Egal ob der Kandidat auf einer Landeswahlliste oder direkt gewählt ist, in dem Moment, wo Sie ihm die Möglichkeit geben, bei wichtigen Abstimmungen geheim abzustimmen, verliert das Volk die Kontrolle über diesen Kandidaten. Dann ist es ganz Wurst, auf welche Weise Sie diesen Kandidaten wählen. Dann haben Sie keine Demokratie mehr, dann haben Sie die Autokratie einiger weniger Abgeordneter, die ihren Wählern vor der Wahl Versprechungen machen können, wie sie es wollen,
und nach der Wahl sie nicht halten, sondern unter irgendeinem Vorwand hergehen und ihr Gewissen zu salvieren versuchen, wenn sie es überhaupt tun, und genau im Gegensatz zu dem abstimmen, was sie den Wählern versprochen haben. Manche gehen dann noch in ihre Wahlkreise hinaus und sagen: „Ja, ich habe schon so gestimmt, wie ihr mich beauftragt habt". In Wirklichkeit hat er aber ganz anders abgestimmt. Ich weiß es von einigen Abgeordneten, die ich sehr im Verdacht habe, daß sie in der Frage Frankfurt-Bonn ganz anders abgestimmt haben, als sie ihren Wählern versprochen
und in öffentlichen Versammlungen gesagt haben, und die heute trotzdem, sagen wir einmal, im Land Hessen und auch in Bayern und anderswo hergehen und sagen: „Ich habe schon so gestimmt, wie ich es euch zugesichert habe". In Wirklichkeit haben sie bei der geheimen Abstimmung ganz anders gestimmt.
Diese Dinge müssen verhindert werden. So sind wir von der WAV der festen Überzeugung, daß das System, daß die Abgeordneten bei solch wichtigen Entscheidungen sich durch geheime Stimmabgabe von der Verantwortung gegenüber ihren Wählern drücken können, ein Nonsens ist und zugleich ein Widerspruch zum Geist unserer Verfassung und unserer gesamten Demokratie.
Deshalb unterstützen wir den Antrag auf Beseitigung dieser Geheimabstimmungsmöglichkeit aufs wärmste. Ich glaube allerdings mit meinem sehr verehrten Vorredner, Herrn Dr. Arndt, daß hierüber im Ausschuß noch einige Dinge zu sagen sein werden und daß man sich vor abrupten Lö-
sungen namentlich deshalb zu hüten hat, weil die ursprüngliche Abänderung der Geschäftsordnung schon viel zu abrupt gewesen war, bevor das Für und Wider entsprechend ausdebattiert werden konnte. Wir sind deshalb auch dafür, daß die Sache an einen Ausschuß verwiesen wird, aber nicht, um dort diesen Antrag zu begraben, sondern um raschestens zu einem Entwurf zu gelangen, der dann im Plenum zu verabschieden ist. Wir von der WAV — seien Sie dessen überzeugt, meine sehr verehrten Zwischenrufer — werden unter allen Umständen dafür stimmen, daß der Abgeordnete frei und offen seine Meinung zu sagen hat. Denn nur so kann der Wähler draußen, der ein Recht auf diese Kontrolle hat, den Abgeordneten kontrollieren und überwachen und sehen, ob der Abgeordnete wirklich der Vertreter seines Wahlkreises ist oder sein eigener Vertreter.
Zu diesem Zweck stimmen wir für die Beseitigung der geheimen Abstimmungsmöglichkeit.