Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Auch wir sind der Meinung, daß eine geheime Abstimmung ganz, ganz selten sein sollte
und daß an und für sich die Abstimmung öffentlich sein soll. Aber ich finde es merkwürdig, daß gerade solche Abgeordneten sich gegen jede geheime Abstimmung wenden, die gar nicht persönlich, sondern auf Listen gewählt sind,
denn eine solche Listenwahl ist auch eine anonyme Wahl.
Ich möchte, daß diejenigen, die sich so scharf gegen jede geheime Abstimmung wenden, sich für das Mehrheitswahlrecht und ganz einfach für die Persönlichkeitswahl einsetzen.
Nachdem ich diese Ausführung machte, daß an und für sich die Wahl öffentlich sein sollte, darf ich aber daran erinnern, daß die ersten — das wurde auch soeben von Herrn Dr. Arndt zugegeben —, die hier, soweit ich mich entsinne — Sie mögen mich korrigieren! —, die geheime Abstimmung damals verlangten — wir haben zuerst gezögert, dann haben wir mit dafür gestimmt —, ja Ihre Parteiangehörigen, Herr Arndt, gewesen sind.
Man scheint also in diesem Augenblick auch bei Ihnen der Meinung gewesen zu sein, daß eine geheime Abstimmung notwendig sei.
Ich schränke also ein: die Abstimmung darf nur sehr, sehr selten geheim sein!
Nun will ich mich nicht gerade auf Solon beziehen, auch keine Aussprüche von Schiller anführen und auch keine humoristischen Poeten heranziehen.
— Ich vertrage schon Humor, Herr Renner!
— Wir kennen uns ja, Herr Renner! —
Meine sehr verehrten Damen und Herren! So sehr ich auch darauf halte — und ich spreche im Namen meiner ganzen Fraktion —, daß man öffentlich bekennen soll, was man eigentlich meint,
so meine ich doch: wir wollen uns nicht so schrecklich moralisch entrüsten und denken, wir hätten es bei den Abgeordneten mit lauter löwenmutigen Frauen und Männern zu tun.
Es gibt Situationen — diese dürfen, wie ich zugebe, nur selten sein —, in denen doch einige Abgeordnete — ich weiß nicht, wer es ist, und ich weiß nicht, wieviele es sind — nicht den richtigen Mut haben! Manchmal soll das an einer Parteidiktatur liegen!
Wer von uns nimmt an, daß hier alle Abgeordneten schon so vollkommene Demokraten sind?!
Weil wir wissen, daß es vor allem darauf ankommt, die Wahrheit und die wirkliche Meinung zu erfahren, und weil wir nicht sagen können: alle Abgeordneten sind schon großartig moralisch gerüstete Demokraten — und dabei denken wir an das ganze Haus —, deshalb behaupten wir, daß es möglich sein muß, die Wahrheit festzustellen, daß es also in seltenen Fällen notwendig ist, geheim abzustimmen. Ich bin nicht der Meinung — aber das mag der Rechtsausschuß, der sich damit befassen muß, noch feststellen —, daß das nach dem Grundgesetz nicht zulässig ist. Die politische Situation ist so: wir haben es nun einmal beschlossen; was soll denn die Öffentlichkeit draußen von dieser jungen Demokratie denken — ist sie denn so furchtbar jung? —, wir haben doch schon einmal bis 1933 eine Demokratie gehabt, und das soll man nicht vergessen! —, wenn wir jetzt wieder anders abstimmen?
Wir waren gar nicht davon überzeugt, daß wir einen Fehler gemacht haben, sondern wir sind der Überzeugung, daß wir das Rechte für eine Demokratie getan haben, die vor allem die Wahrheit feststellen muß.