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ID0102207600

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    Deutscher Bundestag — 22. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1949 649 22. Sitzung Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1949. Geschäftliche Mitteilungen . 650B, 698D, 713C Anfrage Nr. 8 der Fraktion der SPD betr. Lohn- und Gehaltserhöhung anläßlich der Einkellerung von Kartoffeln und Brennstoffen (Drucksachen Nr. 189 u. 273) . . 650C Anfrage Nr. 7 der Fraktion der FDP betr. Umquartierung im Raum Köln (Drucksache Nr. 188) 650C Antrag der Abg. Renner und Gen. betr. Erklärung des Bundeskanzlers zu seinem Interview in Fragen der Remilitarisierung (Drucksache Nr. 269) 650D Renner (KPD) (zur Geschäftsordnung) 650D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit (Drucksache Nr. 270) . . . . 651D Dr. Oellers (FDP), Berichterstatter 651D Dr. Kopf (CDU) . . . . . . . . 655A Dr. Etzel (BP) . . . . . . . . 657C Loritz (WAV) 657D Ewers (DP) . . . . . . . 659B, 661D Schoettle (SPD) (zur Geschäftsordnung) 662A Dr. Kleindinst (CSU) 662B Dr. Richter (NR) . . . . . . . 662C Dr. Reismann (Z) . . . . . . . 664A Leibbrand (KPD) . . .. . . . . 664D Dr. Arndt (SPD) (zur Geschäftsordnung) 666A Arndgen (CDU) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . 666D Zweite und dritte Beratung des Gesetzes zur Erhebung einer Abgabe „Notopfer Berlin" im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache Nr. 271) 667A Dr. Krone (CDU), Berichterstatter . . . . . . . 667A, 676A Rische (KPD) 667D Rümmele (CDU) 669B, 672B Schäffer, Bundesminister der Finanzen 669D, 671D Dr. Fink (BP) . . . . . . . . 670B Seuffert (SPD) . . . . . . . 671B Dr. Reif (FDP) 672A Renner (KPD) . . . . . . . . 672C Neumann (SPD) . . . . . . . 673C Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Erstreckung der bei den Annahmestellen Darmstadt und Berlin eingereichten Patent-, Gebrauchsmuster- und Warenzeichenanmeldungen auf die Länder Baden, Rheinland-Pfalz, Württemberg-Hohenzollern und den bayerischen Kreis Lindau (Drucksachen Nr. 152 und 272) . . . . . . . . . . . 676C Dr. Wellhausen (FDP), Berichterstatter 676C Interfraktioneller Antrag betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Drucksache Nr. 241 neu) . . . . . . . . . 276D Antrag der Fraktion der BP betr. Streichung der Absätze 2 und 3 des § 103 der vorläufigen Geschäftsordnung (Drucksache Nr. 184) 677A Dr. Seelos (BP), Antragsteller 677A, 687C Dr. Etzel (BP) 678B Dr. Arndt (SPD) . . . . . 679D, 686A Frau Dr. Weber (CDU) 681D Loritz (WAV) 682B, 686D Renner (KPD) 683A Dr. von Brentano (CDU) . . . . 685A Dr. Oellers (FDP) (zur Geschäftsordnung) 687B Antrag der Fraktion der SPD betr. Einsetzung eines Ausschusses für den Erwerb von Ausstattungs- und Kunstgegenständen im Raume der vorläufigen Bundeshauptstadt (Drucksache Nr. 199) 687D Erler (SPD) Antragsteller . . 633A, 691C Schäffer, Bundesminister der Finanzen 690B Dr. Decker (BP) . . . . . . 690C Dr. Wellhausen (FDP) 690D Dr. Bertram (Z) 691A Kiesinger (CDU) . . . . . . 691B Antrag der Abg. Renner und Gen. betr: Stellungnahme des Vizekanzlers zu dem behaupteten Wegfall von Subventionen (Drucksache Nr. 207) . . . . . . . . 6928 Rische (KPD), Antragsteller . . . . 692C Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers 695A Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik über den Antrag der Fraktion der KPD betr. Maßnahmen gegen Preiserhöhung (Drucksachen Nr. 225 und 228) 696A Etzel (CDU), Berichterstatter . 696A Rische (KPD) 697A Schoettle (SPD) 698C Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen betr. Wahrung der Pressefreiheit gegenüber Zeitungsverboten der britischen Dienststellen (Drucksache Nr. 208) . . . 699A Agatz (KPD), Antragsteller 699A Cramer (SPD) . . . . . . . . . 699D Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen über den Antrag der Fraktion der BP betr. Biersteuergesetzgebung (Drucksachen Nr. 212 und 91); in Verbindung mit dem Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen über den Antrag der Abgeordneten Dr. Solleder, Dr. Horlacher, Dr. Laforet und Genossen betr. Biersteuer (Drucksachen Nr. 213 und 162) 701B Seuffert (SPD), Berichterstatter 701B, 709A Dr. Besold (BP) 702A, 710B Dr. Baumgartner (BP) 704A Dr. Solleder (CSU) 706B Dr. Wellhausen (FDP) . . . 707D, 713A Dr. Bertram (Z) 708D Wilhelm Schmidt (WAV) . . . . 709D Strauss (CDU) (zur Geschäftsordnung) 712C Mündlicher Bericht des Ausschusses für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen betr. einheitliche Regelung der Heimkehrerbetreuung (Drucksache Nr. 224) . . . 711B Arndgen (CDU), Berichterstatter . 711B Krause (Z) 711D Persönliche Bemerkung: Dr. Arndt (SPD) 712A Nächste Sitzungen 713C Die Sitzung wird um 9 Uhr 43 Minuten durch Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Spät, allzu spät setzt die Debatte über diesen Punkt ein; sechs Wochen zu spät! Denn wir hätten sie eigentlich haben müssen, als dieser Antrag am 1. November eingebracht wurde.
    An und für sich sollte man an einer vorläufigen Geschäftsordnung nichts ändern. Man sollte in den ersten Wochen und Monaten Erfahrungen sammeln, um dann auf Grund dieser Erfahrungen möglichst bald eine den Bedürfnissen dieses Hauses angepaßte Geschäftsordnung zu schaffen. Wenn wir nun den Antrag auf Wiederherstellung der früheren Geschäftsordnung stellen, so deshalb, um diese Art der ad-hoc-Abstimmungen in diesem Hause auszuschalten. Es war ja auch keine Änderung der Geschäftsordnung, es war eigentlich eine lex Bonn oder eine lex Frankfurt, wie Sie das haben wollen.
    Aber es geht bei diesem Antrag um viel mehr als nur um die Geschäftsordnung; es geht um die Grundlagen der Arbeit des Parlaments, um die Grundlagen der Demokratie. Mit der Annahme des Antrags auf geheime Abstimmung hat man der Demokratie einen Bärendienst geleistet. Wir wollen daher diese Frage heute eingehend besprechen, um das, was einer wahrhaft demokratischen Arbeit 'dient, wieder in Gang zu bringen.
    Denn was ist der Sinn des ganzen Parlaments? Man muß sich in Rede und Gegenrede die Argumente vorführen und sich gegenseitig zu überzeugen suchen. Die Abstimmung ist eigentlich nur die Bestätigung dessen, was man in der Debatte vorgebracht hat. Da soll einer durch die Art seiner Stimmabgabe zeigen, daß er zu dem steht, was er oder seine Parteifreunde gesagt haben. Es geht doch nicht an, daß man die ganze Parlamentsarbeit dadurch überflüssig macht. Denn wenn man nur mehr geheim abstimmen wollte, dann brauchte es überhaupt keine Debatte! Dann kann jeder den Zettel nehmen und ihn hier abgeben.
    Man hat sich draußen gefragt: Wie kommt denn überhaupt das Parlament zu dieser Art der Abstimmung, die im früheren Reichstag unbekannt war und auch in anderen Parlamenten unbekannt ist? Ist es die Angst vor den Reichsparteiführern, die Sie etwa dazu zwingt, für diese geheime Abstimmung einzutreten?

    (Zuruf aus der Mitte: Immer noch Landesparteiführer!)

    Dieser Eindruck darf im Volk nicht bestehen bleiben. Wir müssen möglichst bald wieder zu einer Normalisierung der demokratischen Arbeit in diesem Bundestag kommen. Denn wenn zum Beispiel Herr von Brentano — der leider gerade nicht im Hause ist — in seiner Rede am Sonntag vor acht Tagen sagte: ja, in diesem Fall mußten wir es eben so machen, weil die Einflüsse und die Einwirkungen von außen her so stark waren, daß die ganze Situation verwirrt worden ist, — dann muß :eh sagen: das wäre ja ein Armutszeugnis für ein Parlament, wenn es trotz solcher Einflüsse und Einwirkungen nicht offen zu seinem Wort und zu seiner Überzeugung stünde. Schließlich sind die Abgeordneten nach der Verfassung doch ihrem Gewissen unterworfen.
    Wir wollen festhalten: wenn die Abgeordneten draußen bei den Wählern dies und jenes versprechen, dann wollen die Wähler wiesen, ob die Abgeordneten auch dafür eingetreten sind. Weil die Wähler wissen, daß zum Beispiel das Experiment Bonn — Frankfurt sie 120 Millionen kostet, deshalb möchte jeder Wähler gerne erfahren, ob sein Abgeordneter ihm nicht bloß gesagt hat: ja, wir stimmen für das Billigere, sondern er möchte wissen, ob er auch durch die Abstimmung für seine Überzeugung eingetreten ist.

    (Abg. Strauss: Fragen Sie doch Ihre eigene Fraktion!)

    Es gibt schließlich verschiedene Dinge, die im Leben des deutschen Volkes sehr wichtig sind und über die wir in diesem Hause vielleicht abzustimmen haben werden; sagen wir etwa die Frage der Sozialisierung, die Frage des Beitritts zum OEEC-Abkommen, zum Marshallplan-Abkommen oder zum Ruhrstatut. Es können unpopuläre wirtschaftliche Dinge zur Abstimmung kommen, und da heißt es für die Abgeordneten, offen ihre Ansichten zu bekennen und für sie einzutreten.

    (Abg. Strauss: Oder hinauszugehen!)

    Man soll den Kampf mit der Opposition nicht in geheimer Wahl durchführen, sondern offen, wie wir von der Bayernpartei es auch machen. Das ist der sauberste Kampf, wenn man sich gegenseitig sagt, was einem nicht paßt; aber man soll sich nicht in Feigheit und Anonymität hinter einer geheimen Abstimmung verkriechen!

    (Unruhe.)

    Vom bayerischen Standpunkt aus interessiert uns zum Beispiel sehr, wie in der nächsten Zeit die 78 bayerischen Abgeordneten über das Amnestiegesetz, über das Jagdgesetz, über das Jugendschutzgesetz oder über die Biersteuer abstimmen werden.

    (Abg. Strauss: Bei der Amnestie wart Ihr alle draußen!)

    — Sie wissen genau, warum wir nicht da waren! — Das interessiert uns alle sehr, das wollen wir auch den Wählern demonstrieren. Dazu stehen wir, aber dazu soll eben jeder Abgeordnete stehen, nämlich zu seiner mündlich vorgetragenen Entscheidung.
    Wir glauben darüber hinaus, daß dadurch ein wichtiges Mittel des Parlamentarismus, die namentliche Abstimmung, geradezu ausgeschaltet wird. Sie ist ein wesentliches Mittel, um zu erkennen, wie der einzelne Abgeordnete abgestimmt hat. Nun hat die Weisheit des Präsidenten entschieden, daß, wenn in Konkurrenz geheim oder namentlich abgestimmt werden soll, dann offensichtlich immer, wie ich annehme, die geheime Abstimmung die weitergehende sein soll. Das kann


    (Dr. Seelos)

    die Weisheit des Präsidenten entscheiden! Praktisch wird dadurch aber in vielen Fällen die namentliche Abstimmung ausgeschaltet. Das ist ein bedauerlicher Mangel, den gerade das deutsche Bundesparlament aufweist, weil es über diese Einrichtung nur mehr halb verfügt.
    Überhaupt glauben wir, daß durch diese Art und diese Methode gerade in den letzten Wochen ein Geist in den Bundestag hereingekommen ist, den wir bedauern müssen. Denn — wie ich schon sagte — man soll sich mit der Opposition offen auseinandersetzen, aber man soll nicht ad-hocAbstimmungen einführen. Man soll nicht mit der in gleicher Weise für die Opposition wie für die Regierungsparteien geltenden Geschäftsordnung manipulieren und dadurch bei der Opposition den Eindruck hervorrufen, daß sie trotz Geschäftsordnung auf alle Fälle mit Stimmenmehrheit einfach überstimmt werden soll. Das sind die Methoden, die den Geist dieses Hauses von Anfang an vergiftet haben, und die vielleicht gerade dadurch, daß diese Stimmung entstanden war, zu den tief bedauerlichen Ausbrüchen der letzten Wochen beigetragen haben.

    (Zuruf aus der Mitte: Doch nicht durch die geheime Abstimmung!)

    Abgesehen davon hatten wir, wenn kein Abgeordneter protestiert, schon nach der ersten vorläufigen Geschäftsordnung, die bis dahin galt, die Möglichkeit, bei einem Sonderfall, den ich mir nicht vorstellen kann, eine Geheimabstimmung durchzuführen. Das wäre nach Artikel 114 der Geschäftsordnung möglich gewesen, wenn nämlich kein Abgeordneter widerspricht.

    (Abg. Strauss: Polnischer Reichstag!)

    Das sind in kurzem die schwerwiegenden Argumente, die ich Ihnen zur Begründung unseres Antrages sagen wollte. Ich bitte Sie sehr, daß Sie die Sache nicht mit einer Verweisung in den Ausschuß abtun. Der Antrag ist im Plenum ohne vorherige Beratung im Ausschuß angenommen worden. Wir bitten, daß nun auch die Abschaffung der geheimen Abstimmung ohne Ausschußberatung sofort hier im Plenum beschlossen wird. Ein junges Parlament kann es sich leisten, den einen oder andern Fehler zu machen, wenn es ihn einsieht und möglichst bald wieder korrigiert. Wenn man aber an Dingen festhalten will, die von der Meinung des ganzen Volkes draußen verworfen werden, dann schadet sich das Parlament nur selbst, weil das Volk dann nicht mehr glaubt, daß die einzelnen Parteien wirklich zu dem stehen, was sie sagen. Wenn zum Beispiel, wie schon ein Fraktionskollege früher dargelegt hat, eine Partei für die Persönlichkeitswahl eintritt, kann sie nicht hier auf einmal für die geheime Abstimmung eintreten. Das alles sind fundamentale Widersprüche, die untragbar sind. Ich bitte Sie also, dem Antrag der Bayernpartei zuzustimmen, damit wir möglichst bald wieder zu einer sauberen, klaren Arbeit in diesem Bundestag kommen.

    (Beifall bei der BP.)



Rede von Dr. Hermann Schäfer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Etzel.

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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Meine Damen und Herren! Der Herr Präsident könnte zu der Ansicht gelangen, daß die nicht geradezu persönlichen, aber sozusagen fraktionspersönlichen Bemerkungen, die ich meinen Ausführungen zur Sache selbst vorausschicke,
    außerhalb des Beratungsgegenstandes lägen. Ich bitte ihn aber, Geduld zu üben; er wird rasch erkennen, daß ein Zusammenhang besteht.
    Die „Times" hat am 1. Dezember einen kurzen Kommentar ihres Sonderkorrespondenten aus Bayern veröffentlicht, in dem dieser eine „gegenwärtig", wie er wörtlich sagt, „so offensichtlich selbstsüchtige, reaktionäre Laune der Bayern" erfindet und behauptet, es sei wohl kein Zufall, daß Bayern die wildesten Männer in das Bundesparlament entsandt habe.

    (Heiterkeit.)

    Diese wilden Bajuwaren sind Mitglieder dieses Hohen Hauses; sie gehen frei herum,

    (Heiterkeit)

    sind nicht nur hinter Gitterstäben und gegen Eintrittsgeld zu sehen und benehmen sich, soweit ich sehen kann, durchaus gesittet. Sie verzichten auf die urtümliche Waffe der Keule, auf die sich zwei wilde Männer auf einem alten, nichtbayerischen Staatswappen stützen, und suchen mit dem Florett auszukommen. Wir laden den Herrn britischen Sonderkorrespondenten, der offenbar noch keinen der 17 „wilden Bajuwaren" gesehen hat, ein, hierherzukommen und mit uns die Klinge — die geistige, versteht sich — zu kreuzen. Wir würden ihm dann einiges vorhalten, was seinen britischen Ohren nicht wohllautend klingen möchte, und wir würden ihn vielleicht auch auf ein reizendes deutsches Gedicht hinweisen können, in dem ein im britischen Kanada wandernder Mann zu der Erkenntnis gebracht wurde, daß die Wilden oft bessere Menschen sind — als der Herr Sonderkorrespondent der „Times", versteht sich wiederum.

    (Abg. Renner: Das zieht nicht!)

    Wild allerdings werden wir dann, wenn das Recht, das wir als eine Äußerung und eine Funktion der Moral ansehen, verletzt oder wenn über unverbrüchliche Grundsätze hinweggeschritten wird, und zu solchem Grimm glauben wir im Zusammenhang mit der Einführung der geheimen Abstimmung in diesem Parlament Anlaß zu haben.
    Die Mehrheit des Hauses hat in der 14. Sitzung am 3. November ohne jede Debatte die förmliche Einführung der geheimen Abstimmung beschlossen. Sie hat mit dieser schwerwiegenden Änderung der Geschäftsordnung einen verhängnisvollen Weg beschritten und der jungen Demokratie einen schlechten Dienst erwiesen. Der Vorgang verliert nichts von seiner Bedenklichkeit dadurch, daß die Änderung offensichtlich nicht aus grundsätzlichen Überlegungen, sondern aus taktischen Erwägungen, zur Erreichung eines aktuellen Zweckes erfolgte. Es sollte, als es um die Bestimmung des vorläufigen Sitzes der obersten Bundesorgane ging, diese hochpolitische Entscheidung mit einem geschäftsordnungsmäßigen Kunstgriff in eine bestimmte Richtung gezwungen werden.
    Nun, meine Damen und Herren von der Mehrheit, Sie haben den erstrebten Effekt erzielt und bewirkt, daß nicht der Prophet zum Berg, sondern dieser zu jenem kommen mußte, wobei der Herr Bundeskanzler die Rolle des Propheten und der Bundestag die des Berges spielte. Die massive Unmittelbarkeit und Eindeutigkeit des Vorgehens hat in der Öffentlichkeit draußen einen schlechten Eindruck gemacht; sie hat, könnte ich auch sagen, beschämend gewirkt.
    Die großen Demokratien der Neuzeit haben ihre Stellung in der Welt nicht zuletzt der Erhaltung


    (Dr. Etzel)

    und Entfaltung des öffentlichen Sinnes ihrer Bevölkerung zu danken. Die weltweite Politik und Wirkung der Antike wäre ohne den hochentwickelten forensischen Sinn der Masse, der um die polis und die res publica kreiste und aus forum und agora seine Kräfte zog, nicht möglich und denkbar gewesen. Schiller sagt in einer Studie über die ethischen und gesetzgeberischen Absichten des großen Atheners Solon, es sei ihm darum zu tun gewesen, den Bürgern das innigste Interesse am Staat einzuflößen; Kälte gegen das Vaterland sei ihm das Hassenswerteste an einem Bürger gewesen, und er habe nichts so sehr bekämpft wie Lauheit gegen das Gemeinwesen.
    In Deutschland, meine Damen und Herren, hat sich mit dem Aufkommen des Untertanenstaates ein folgenschwerer Mangel an Gemeingeist ententwickelt. Nicht nur die Massen, ganz ihrem Beruf und Geschäft, ihrer Arbeit hingegeben, auch viele der Besten entzogen sich zweiflerisch oder angewidert. zum Schaden des Ganzen mehr und mehr der Beschäftigung mit den öffentlichen Dingen oder ergriffen ohne Zögern und Bedenken die politischen Formeln, die andere für sie erfanden und bereithielten.
    Zu den unerläßlichen Bedingungen, Voraussetzungen und Elementen der Demokratie gehört volle Publizität der Verantwortungen und Handlungen der Abgeordneten. Ihre Beschränkung oder Ausschließung ist eine Sünde wider den Geist der Demokratie. Dieser Sünde hat sich die Mehrheit des Hauses durch die Einschaltung des Absatzes 2 des § 103 der Geschäftsordnung schuldig gemacht. Niemals hätte sie sich dem Verdacht aussetzen dürfen, daß ihr darum zu tun war oder ist, gegebenenfalls — übrigens welcher Art sind diese Fälle, da doch nach Absatz 3 die Abstimmung über Gesetzesvorlagen nicht geheim sein soll? — im Zwielicht politische Geschäfte zu machen, wo allein volle Klarheit und Öffentlichkeit am Platz sind.

    (Abg. Dr. Baumgartner: Sehr richtig!)

    Nie hätte sie das Mißverständnis hervorrufen dürfen, daß ein Abgeordneter des Deutschen Bundestags seiner Abstimmung wegen Furcht oder Bedrängnis empfinde, also des bürgerlichen, moralischen und politischen Mutes ermangele. Wie sollen Würde und Unabhängigkeit des Parlaments und seiner Abgeordneten gewahrt bleiben, wenn es ihnen erlaubt ist, sich hinter der abschirmenden Anonymität der Abstimmung zu verstecken? Wie soll die Integrität des politischen Lebens erhalten bleiben, wenn dem Parlament, den Parteien und den Abgeordneten ermöglicht wird, unter dem Schutz der Dunkelheit geheimer Abstimmung politischen Handel zu treiben?

    (Widerspruch in der Mitte.)

    Wozu solche Geheimniskrämerei, die innerhalb des
    Parlaments selbst zu gegenseitigem Mißtrauen,
    Argwohn und gegenseitiger Unaufrichtigkeit führt?
    Auch die Politik kann der Ethik nicht entraten. Das Grundgesetz spricht immer wieder — so in den Artikeln 9, .73, 87, 126, 143 — von verfassungsmäßiger Ordnung und von Verfassungsschutz, und der Bundestag hat einen Ausschuß zum Schutz der Verfassung geschaffen.

    (Zurufe in der Mitte: Freie Rede!)

    Seine Berechtigung und Zuständigkeit sind in
    Frage gestellt, wenn das Parlament selbst gegen
    einen unverzichtbaren Grundsatz der Demokratie,
    nämlich die volle Publizität des Handelns und der
    Verantwortung der Abgeordneten verstößt. Es
    gibt keinen besseren Schutz der Verfassung als den entwickelten öffentlichen Sinn und die innere Beteiligung der Bürger am Gemeinwesen.

    (Zurufe: Freie Rede!)

    Meine Damen und Herren von den Mehrheitsparteien! Sie haben am 3. November ihren Willen durchgesetzt. Lassen Sie es dabei, bitte, bewenden! Zeigen Sie menschliche Größe und demokratische Gesinnung! Geben Sie freimütig und großzügig Ihren Irrtum zu und berichtigen Sie ihn! Reinigen Sie sich von einem häßlichen Verdacht!

    (Lachen in der Mitte und links.) Begegnen Sie dem Mißverständnis, als fürchteten Sie die Freiheit, weil Sie sich ihr nicht gewachsen fühlen!


    (Abg. Dr. Baumgartner: Sehr gut! — Lachen in der Mitte.)

    Halten Sie es für unvereinbar mit Ihren sittlichen und politischen Grundsätzen, ungerührt und unbelehrt immer wieder mit der Walze einer Mehrheit über die Minderheit und ihre Argumente hinwegzugehen!

    (Widerspruch in der Mitte.)

    Stimmen Sie zu, daß die Absätze 2 und 3 des § 103 wieder gestrichen werden! Erkennen Sie bitte, daß es sich im Kern nicht um eine Bestimmung der Geschäftsordnung, sondern um eine Grundfrage der Demokratie handelt! Beweisen Sie Fairneß! Sie brauchen sich ihrer nicht zu schämen. Geben Sie zu, daß es hier um eine Grundlage geht, auf der sich Verantwortung und Freiheit begegnen

    (Beifall bei der BP.)