Rede von
Heinz
Renner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
„Über Berlin ist schon so viel geredet worden, daß die Wahrheit langsam bekannt sein dürfte", hat der sehr geschätzte letzte Vorredner ausgesprochen. Ich bin beinahe versucht, die Pilatusfrage zu stellen: Was ist Wahrheit?
Ich will aus dem Gesamtproblem nur zwei neue Gesichtspunkte anschneiden, die bisher in der Diskussion über das Problem Berlin in diesem Plenum gar keine Rolle gespielt haben. Es handelt sich zunächst um die Frage: Welche Verpflichtungen ist der Berliner Magistrat, ist die Berliner SPD eingegangen, um diesen Kredit von Herrn Dr. Konrad Adenauer loszumachen?
— Lachen Sie nicht! Das sind außerordentlich interessante Verpflichtungen. Hier ist nämlich offen und ehrlich ausgesprochen worden, daß mit der Kredithilfe für Berlin verbunden ist, daß die Gesetzgebung Groß-Berlins an diejenige der deutschen Bundesrepublik angepaßt wird.
— Also richtig so! Aber, meine Herren von der SPD, was bedeutet denn das unter anderem? Das bedeutet unter anderem, daß die 64 Prozent SPD-Mehrheit in West-Berlin in ihrer Politik gleichgeschaltet werden
mit der Politik des Mannes, dem Sie vor kurzem noch vorgeworfen haben, daß er die Politik des autoritären Handstreichs spielt.
— Ich will gar nicht hetzen.
Ich will aber versuchen, einige dieser Punkte herauszustellen, die nun der Gleichschaltung verfallen. Das sind zum Beispiel die in Berlin beschlossenen Gesetze zur Sozialisierung und zur Enteignung der Betriebe der Kriegsverbrecher. „Aus der Traum" in West-Berlin.
Ein anderes, außerordentlich heikles Kapitel ist das Problem des fortschrittlichen Berliner Schulgesetzes, der fortschrittlichen Berliner Schulreform, Herr Kaiser! Diese fortschrittliche Berliner Schulreform, die Ihnen, Herr Kaiser, als Sie noch von drüben her Ihre Politik im Sinne der Spalter gemacht haben, so Schmerzen gemacht hat,
dieses Gesetz wird ebenfalls liquidiert.
Da ist das Problem der Vereinheitlichung der Sozialversicherungsgesetzgebung. Auf der Tagesordnung der nächsten Plenarsitzung steht ein sozialdemokratischer Antrag, der das Mitbestimmungsrecht für die Sozialversicherung fordert. Aus damit in Berlin! Nicht wahr?
Das sind so einige Punkte aus dem Tatsachenbukett, das Sie preisgeben müssen, um die Hilfe dieses reaktionären Kabinetts Adenauer zu bekommen.
Sie lassen sich also als Sozialdemokraten diese Hilfe, diese 60 Millionen D-Mark zum Beispiel für den Monat Dezember schon etwas Grundsätzliches kosten. Das dazu!
Dann noch etwas anderes. Der Herr Kollege Seuffert hat gestern im Ausschuß auch seine Meinung zu den Dingen gehabt. Seine heutigen Darlegungen haben diese von ihm gestern vorgetragene Meinung nicht einmal nur entfernt durchklingen lassen. Was war gestern los? Ich habe gestern im Ausschuß darauf aufmerksam gemacht, daß von den insgesamt 12 mal 36 Millionen D-Mark pro Jahr, die sich die Regierung Adenauer die gelstellung Berlin mit allem, was drum und dran hängt, kosten läßt, 300 Millionen D-Mark in Gestalt einer Massenbelastungsteuer aufgebracht werden. Das, was die Regierung darüber hinaus noch aus anderen Mitteln hergibt, verschwindet gegenüber diesen 300 Millionen.
Aber noch etwas anderes. Gestern war es der Herr Kollege Seuffert, der eine Parallele gezogen hat, als ich auf diese Tatsache aufmerksam machte. Er sprach davon, daß momentan das Bestreben im Sinne der Durchführung einer Steuerreform hier aktiv betrieben werde. Er mußte zugeben, daß der Sinn dieser von dieser Regierung betriebenen Steuerreform darauf hinausläuft, den Besitzenden die Möglichkeit einer vermehrten Kapitalbildung zu schaffen.
Herr Kollege Seuffert war es, der gestern im Ausschuß die Frage gestellt hat, ob man angesichts dieser Parallele, nämlich der Bestrebungen, das Besitzbürgertum auch durch eine Steuerreform noch zu entlasten, nicht die Gültigkeitsdauer dieses Berliner Notopfergesetzes beschränken solle. Herr Kollege Seuffert!
— Warum haben Sie das heute in dieser verhüllten Form gesagt? Aber wie erklärt es sich, so frage ich, oder wer will mir einmal Rede und Antwort stehen zu einem andern Ergebnis der gestrigen Beratung? Wo bleiben die sechs Stimmenthaltungen von gestern, und wo bleiben die zwei Neinstimmen von gestern — jetzt wo es gilt, vor der Öffentlichkeit geradezustehen für die Erwägungen, die man in der geheimen Ausschußsitzung vorgetragen hat?
Das ist das, was ich abschließend zu sagen habe.
Die Rechnung belastet das deutsche Volk! Und lassen Sie mich einen letzten Schluß anhängen: bei der Gesetzgebung, mit der Sie die Kredithilfe für Berlin einleiteten, steht letztlich auch die Frage der Remilitarisierung für West-Berlin. Das steht auch drin und damit die Frage des Krieges.
Diese Teilerscheinung des Problems Berlin herauszustellen, war mir zwingende Verpflichtung.