Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind darüber erfreut, daß der Ihnen vorliegende neue Entwurf gegenüber dem ursprünglichen Entwurf, der in der ersten Lesung hier debattiert wurde, eine ganze Reihe von Verbesserungen gebracht hat. Wir erkennen an, daß
eine ganze Reihe guter Gedanken in den neuen
Entwurf hineinverarbeitet worden ist. Wir werden deshalb für diesen Amnestieentwurf stimmen.
Wir haben allerdings eine ganze Reihe von Bedenken und Vorbehalten anzumelden, weil uns der Ihnen hier vorliegende Entwurf nicht weit genug geht.
Was den Strafrahmen betrifft, so beläuft sich dieser auf sechs Monate. Sie werden mir antworten: ein Jahr! Ich bleibe darauf bestehen: sechs Monate. § 2 Absatz 2, der die Ausdehnung auf ein Jahr vorsieht, ist nämlich eine Falle für Tausende von Verfahren. Auf Grund des neugefaßten § 2 Absatz 2 tritt nämlich keine Amnestie ein, wenn der Täter innerhalb eines — verhältnismäßig sehr langen — Zeitraumes von drei Jahren irgendein vorsätzliches Vergehen verübt. Was ist ein vorsätzliches Vergehen? Es gibt heute noch Hunderte von Gesetzen, zum Beispiel Wirtschaftsgesetze, die noch immer bestehen,, obgleich sie schon längst überfällig zur Aufhebung sind. Ein Verstoß gegen diese Gesetze stellt ein Vergehen dar. Die Juristen werden mir das bestätigen. Wenn irgendein kleiner Bauer, ein kleiner Geschäftsmann oder sonst jemand aus dem Volke unter ein solches Gesetz innerhalb der nächsten drei Jahre fällt, riskiert er — besser gesagt: er riskiert es nicht, sondern er wird tatsächlich der Amnestierung nicht teilhaftig für alle früheren Straftaten, deren Strafmaß über sechs Monate lautet. Hier scheint mir ein sehr großer Fehler des Gesetzes zu liegen. Ich will dabei gar nicht auf einen noch populäreren Fall zurückgreifen, daß zum Beispiel ein Bauer draußen im Lande, der unter die Amnestie des § 2 Absatz 2 fällt, irgend jemand auf Kirchweih lädt, wie es auf dem Lande, namentlich auch in Bayern,
meine sehr verehrten Freunde von der Bayernpartei, so üblich ist. Das ist auch ein vorsätzliches Vergehen! Darüber gibt es gar keinen Zweifel. Dieser Bauer oder dieser Geschäftsmann fällt dann auch nicht unter die Amneste des § 2. Ich fordere die Juristen des Hauses auf, mir sofort zu widersprechen, falls meine Auffassung nicht richtig ist. Sie ist leider richtig! Darin liegt ein sehr großer Schönheitsfehler des Gesetzes.
Ein zweiter Fehler nach unserem Dafürhalten ist, daß Steuerdelikte aller Art nicht unter das Amnestiegesetz fallen. Bitte, verstehen Sie mich ja nicht falsch! Ich will kein Wort zugunsten der Schieber oder sonstiger übler Subjekte sagen. Aber in Tausenden von Fällen beruhen diese Steuerdelikte darauf, daß die betreffenden „Schuldigen" den Steuersatz einfach nicht mehr aufbringen konnten und deswegen bei den Steuerfatierungen usw. leider zu irgendwelchen Manipulationen gegriffen haben. Alle diese Delikte fallen nicht unter das Amnestiegesetz. Ich sehe nicht ein, warum hier ein Unterschied zwischen Delikten allgemeiner wirtschaftlicher Art und solchen Steuerdelikten gemacht werden soll.
Ein weiterer sehr großer Schönheitsfehler des Entwurfs ist, daß er keine Bestimmung darüber enthält, was geschehen soll, wenn Strafen bereits rechtskräftig verbüßt und ins Strafregister eingetragen sind. Man hätte solche Eintragungen im Strafregister ohne weiteres zur Löschung bringen sollen. Auch das ist ein Fehler, den man ohne weiteres hätte korrigieren können und müssen. Und so noch eine ganze Reihe von anderen Dingen!
Umgekehrt fallen jetzt Delikte in die Amnestie, die aus Gründen, welche ich nur kurz andeuten kann, nicht hineingehört hätten. Wenn, sagen wir einmal, ein Sittlichkeitsdelikt passiert ist und der Täter fünf Monate Gefängnis bekommen hat, dann sehe ich nicht ein, warum man den Mann ausgerechnet unter die Amnestie nehmen soll.
All das sind große Schönheitsfehler dieses Gesetzes. Wir werden dem Gesetz trotzdem zustimmen, damit so rasch wie möglich etwas auf diesem Gebiet der Amnestierung geschieht; denn Sie alle, die Sie die Verhältnisse kennen, wissen, welche Berge von Akten noch bei den Gerichten liegen und aufgearbeitet werden müssen und welch himmelschreiendes Unrecht in den vergangenen Jahren passiert ist, wenn gegenüber Leuten, die nichts anderes taten, als sich gegen unmögliche und unsinnige Wirtschaftsgesetze zu schützen, teilweise ganz drakonische Urteile ergangen sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich kurz noch auf einen weiteren Schönheitsfehler zu sprechen kommen. Der § 3 schafft eine ganz andere Norm als der § 2 und der § 1, und das sehe ich nicht ein. Ich sehe nicht ein, warum bei den in § 2 Absatz 2 vorgesehenen Gefängnisstrafen, die bereits ausgesprochen, aber noch nicht verbüßt sind, anders vorgegangen werden soll als nach § 3, wo die Verfahren erst anhängig sind, also noch kein Urteil erfolgt ist. Es ist nicht zu verstehen, warum § 3 gegenüber § 2 so eng gefaßt ist. Man hätte in § 3 dem Staatsanwalt genau so vorschreiben müssen, daß die Verfahren einzustellen sind, wenn eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr in Frage kommen könnte. Vielleicht könnte man dann auch noch eine Kautele schaffen, indem man damit eine Sicherung ähnlich der in § 2 Absatz 2 verbindet, wenn Sie überhaupt eine solche Sicherung wollen. Ich habe Ihnen ja schon erklärt, daß wir uns gegen diese einschränkende Bestimmung des § 2 Absatz 2 wenden, daß die Amnestierung nicht erfolgt, wenn jemand innerhalb einer Frist von drei Jahren ein vorsätzliches Vergehen verübt. Jedenfalls ist § 3 dieses Gesetzentwurfs vollkommen unzureichend. Der Staatsanwalt wird bei irgendeiner Strafanzeige, die ihm vorliegt, viel eher geneigt sein zu sagen, da käme eine Strafe von, sagen wir einmal, 7 Monaten Gefängnis heraus, als weniger. Dann wird er das Verfahren nicht einstellen, dann werden alle diese Tausende von Verfahren weiterhin die Gerichte belästigen und blockieren, und ein großer Teil der Wirkung dieses Amnestiegesetzes wird nicht eintreten. Darum hätte in § 3 der Rahmen unter allen Umständen nicht mit sechs Monaten, sondern genau so wie bei § 2 mit einem Jahr gezogen werden müssen.
Ich betone auch nochmals die Frage der Steuerdelikte. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie werden draußen bei der Bevölkerung mit dieser Unterscheidung zwischen Delikten allgemeiner und wirtschaftspolitischer Art und Steuerdelikten, die ja auch nichts anderes sind als Wirtschaftsdelikte einer speziellen Kategorie, wenig Verständnis finden.
Das sind unsere großen Bedenken zu diesem Gesetzentwurf. Trotzdem werden wir, wie gesagt, dem Gesetzentwurf zustimmen. Wir teilen das Bedenken des Herrn Vorredners nicht, daß den Ländern hier sozusagen die Rechte beschnitten würden. Die Länder hatten es ja in der Hand, schon
früher mit einem solchen Entwurf herauszurücken oder eine solche Bestimmung zu erlassen. — Es freut mich, wenn Herr Kollege Baumgartner mir das zugibt. Hier hätte von seiten Bayerns ohne weiteres ein solcher Entwurf kommen können,
— richtig, eine solche Bestimmung hätte sogar erlassen werden müssen; dann wäre das vielleicht sogar ein Vorbild für diese Regelung geworden. Es war halt wieder einmal, wie der Professor Döberle ironisch so schön gesagt hat, eine „Politik der verpaßten Gelegenheiten". Sie wissen ja, Herr Kollege Baumgartner, Professor Döberle sagte, „die bayerische Geschichte ist eine Politik der verpaßten Gelegenheiten".
Wie dem auch sei, ich teile vollkommen Ihren Standpunkt, daß die einzelnen Länder hier vielleicht schon früher etwas hätten tun können oder sogar tun müssen; aber heute ist die Lage tat-
sachlich so, daß diese Amnestierungsgesetzgebung
schon deswegen nicht mehr länger aufgeschoben werden kann, damit die Gerichte von dieser unendlichen Zahl von Verfahren, die noch anhängig sind und in den Aktenschränken liegen, endlich einmal deblockiert werden.
Wir stimmen deshalb für dieses Gesetz, wie es uns im Entwurf vorliegt. Wir werden aber auch unseren ursprünglichen Antrag aufrechterhalten, von dem ich Ihnen das letzte Mal schon erklärt habe, daß er weitaus mehr, als dieser Gesetzentwurf es tut, die wirklich der Amnestie Bedürftigen ohne Rücksicht auf irgendeine Strafgrenze erfaßt und umgekehrt diejenigen, die der Amnestie )nicht würdig sind, zur Ausscheidung bringt. Ich wiederhole: wir stimmen für dieses Amnestiegesetz; es ist ein Fortschritt gegenüber dem, was uns in erster Lesung vorgelegt wurde. Wir bitten Sie aber, auch nicht ungehalten darüber zu sein, daß wir unseren Antrag weiterhin aufrechterhalten.