Meine sehr verehrten Herren und Damen! Wenn es wahr ist, daß die Achtung vor der Frau den Bildungsgradmesser eines Volkes bestimmt, dann könnte dem Schein nach bei der bisherigen Gesetzgebung unser Volk sehr leicht zu kurz kommen. Wenn es gut wäre, daß gerade zu diesen Fragen nicht die Frauen der einzelnen Fraktionen in diesem Hause gesprochen hätten, so meine ich doch, daß den grundsätzlichen, ausgezeichneten Ausführungen meiner Kolleginnen und des Herrn Kollegen Dr. Lehr nur noch eins hinzuzufügen ist. Ich habe schon in der Aussprache über die Regierungserklärung gesagt: es ist über die Gleichberechtigung der Frau so unerhört viel gesprochen und in praxi viel zu wenig getan worden. Ich wiederhole hier im Anschluß an die Ausführungen der Begründerin des Antrags der SPD, der Frau Kollegin Korspeter, das Bekenntnis, das ich abgelegt habe, daß die SPD Vorkämpferin für die Gleichberechtigung der Frau de jure war. Leider hat die Frau Kollegin Korspeter nicht auch den nächsten Satz wiederholt, worin ich wiederum darum bitte, daß die SPD überall da, wo sie Vorkämpferin de jure war, für die Verwirklichung de facto sorgen möchte. Denn darauf ganz allein kommt es an. Wir sollten uns vor den vielen Phrasen unserer Gegenwart hüten.
Ich muß Ihnen sagen, daß ich mich nur mit großen Bedenken in diese Diskussion über die Gleichberechtigung der Frau einlassen kann, wenn ich bedenke, daß gerade unsere Frauengeneration nach den unerhörten Belastungen zweier Kriege, die weit über ihre physischen und psychischen Kräfte gegangen sind, heute wieder in einem Kampf um Lebenssicherheit steht, in einem Kampf, den sie eigentlich nicht mehr zu führen brauchte, nachdem nämlich die Grundrechte de jure längst erkämpft sind und nachdem die Befähigung der Frau de facto längst erwiesen ist. Wenn wir unseren berufstätigen Schwestern wirklich helfen wollen, dann kann es für uns niemals darum gehen, etwa eine wörtlich genommene Gleichberechtigung im Berufsleben zu erzwingen, die schließlich ein Fehlgriff wäre, wenn nicht auf all den Gebieten, wo zum Beispiel schwere manuelle Arbeit zu leisten ist, Ausnahmebestimmungen zum Schutze der empfindlicheren Konstitution der Frauen und ihrer Kinder erlassen würden. Sonst würde der Erfolg nämlich eine schlechte Leistung und wahrscheinlich der Ruin einer ganzen Frauengeneration sein. Wer von der Verschiedenartigkeit der Geschlechter spricht, der meint deshalb auch wahrscheinlich niemals die geringere physische Kraft der Frau, sondern sieht, daß in der Tatsache der verschiedenen Veranlagungen und Voraussetzungen eben für uns der Auftrag liegt, die künftige Gesetzgebung auf allen Gebieten unseres Lebens so zu gestalten, daß mit Rücksicht auf den vermehrten Fraueneinsatz und den Frauenüberschuß, mit Rücksicht darauf, daß gerade dieser Frauenüberschuß das Reservoir für die Arbeitskräfte von morgen stellen muß, den besonderen Bedürfnissen der Frauen in der Gesetzgebung weit mehr als bisher Rechnung getragen wird.
Herr Dr. Lehr hat schon zu der sehr notwendigen Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches gesprochen. Ich möchte davon nichts wiederholen. Aber eins ist mir noch ein besonderes Anliegen: daß auch auf dem sozialpolitischen Sektor den Belangen der berufstätigen Frau mehr als bisher de facto Rechnung getragen wird. Da möchte ich nur auf ein Beispiel hinweisen, das für Millionen spricht und das noch vor wenigen Wochen passiert ist. Bei dem Versuch, eine Kriegerwitwe in einem Betrieb des öffentlichen Dienstes unterzubringen, ist mir gesagt worden: Der Betriebsrat hat beschlossen, daß Sachbearbeiter nur Männer sein können
628 Deutscher Bundestag — 20. und 21. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Dezember 1949
und daß Frauen nur als Hilfskräfte eingestellt werden können. Ich möchte dieses eine Beispiel, das für viele gilt, nur anführen, um zu beweisen, daß in den Gedankengängen unserer Zeit sich seit dem 19. Jahrhundert vieles durchaus noch nicht geändert hat. Wir Frauen möchten die Lösung der Gleichberechtigung nicht etwa so sehen, daß wir um Macht und Einfluß ringen, nach Zahl und Größe, wie es uns nach der Zahl der Wählerinnen, um ein Beispiel zu nennen, durchaus zustünde. Ich möchte vielmehr, daß wir darum ringen, die Lösung aller Probleme von innen her, wie es echte Frauenart ist, zu erreichen. Dazu ist es notwendig — und ich identifiziere mich in dieser Hinsicht mit den Ausführungen meiner Kollegin Frau Dr. Weber und der Kollegin Frau Dr. Ilk —, daß nicht etwa nur — ich sagte das schon zur Regierungserklärung — eine Referentin im Innenministerium alle Frauenfragen löst, sondern daß soviele tüchtige Frauen wie möglich neben tüchtigen Männern stehen, um ihnen zu helfen, die großen drängenden Probleme der deutschen Massennot gemeinsam zu lösen.
Darüber hinaus gibt es allerdings noch eine ganze Fülle von Fragen aus dem Interessenkreis der Frau, die nicht von dem Mann, sondern ganz allein von den Frauen für die Frauen gelöst werden können.
Die Parteien sind die alten, und die Menschen sind auch die alten geblieben. Es ist deshalb notwendig, zu betonen, daß die Frage der Gleichberechtigung nicht etwa mit dem Stimmrecht und auch nicht etwa dadurch gelöst wird, daß nun eine Forderung erhoben wird, die sich nur auf eine optische Wirkung bezieht. Es ist unser größtes Anliegen, daß bei der Lösung dieser Probleme die Frauen mit ihrer vermittelnden Stimme überall ihren Einfluß ausüben können, wo es um die künftige Gesetzgebung geht, die den Bedürfnissen der Gegenwart angepaßt werden muß.
Ich meine, daß in der Sozialversicherung, von der hier schon gesprochen worden ist, bei der Schaffung der Berufsbedingungen, bei der Schaffung eines ganz neuen Berufsschulwesens, bei der Steuergesetzgebung, bei den Wohnungsfragen und auch bei dem Versorgungsgesetz für Kriegsbeschädigte, das wir jetzt schaffen werden, der Frauen, der Witwen, der Waisen und der Jugendlichen in Zukunft viel mehr als bisher gedacht werden muß.
Wenn wir an dieser Stelle als Frauen für die Frauen zu den Fragen der Gleichberechtigung sprechen müssen, dann habe ich den Wunsch, daß wir das Gefühl haben dürfen, vereint mit allen Kollegen in der gleichen Verantwortung um die Lösung der Probleme so ringen zu können, daß nicht mehr vom Männerstaat und Frauenstaat gesprochen werden kann — das eine ist so abscheulich wie das andere —, sondern daß nur davon gesprochen wird, daß wir in einem gemeinsamen Kampf um die Lösung dieser Probleme ringen, wobei neben dem Mann die Frau steht, die aus der Fülle der Herzenskräfte ihren Beitrag dafür geben wird, daß die soziale Weltordnung endlich wieder ins Gleichgewicht kommt.
Aus diesem Grunde wird meine Fraktion den Anträgen der SPD zustimmen.
Bei dem Antrag der KPD haben wir ebenfalls den Wunsch, daß der Kollege Renner und seine Fraktion dieses besondere Anliegen den Gewerkschaften vortragen und vor allem dafür sorgen möchten, daß nicht mehr Tarifverträge abgeschlossen werden, die so aussehen, wie sie uns bis dato immer noch vor Augen kommen.