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ID0101807200

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    1. tocInhaltsverzeichnis
      Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, den 24. und 25. November 1949 449 18.. Sitzung Bonn, 24. und 25. November 1949. Geschäftliche Mitteilungen 449C, 464D, 485C, 527C Interpellation der Abg. Euler, Dr. Preusker, Dr. Becker, Dr. Dr. Nöll von der Nahmer u. Gen. betr. Abschluß der Entnazifizierung (Drucksache Nr. 172) 449D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes stehenden Personen (Drucksache Nr. 175) . . 449D Dr. Heinemann, Bundesminister des Innern . . . . . . . . . 449D, 467D Strauss (CSU) . . . . . . 451D, 472A B) Dr. Menzel (SPD) . . . 455B, 469A, 471C Gundelach (KPD) 460C Pannenbecker (Z) 461B, 471C Dr. Nowack (FDP) 461D Farke (DP) 464D Donhauser (BP) 465B Dr. Miessner (NR) 466D Mensing (CDU) 467C Dr. Becker (FDP) 468D Dr. Leuchtgens (NR) 470B Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen 471A Unterbrechung der Sitzung . 472B Erklärung der Bundesregierung . . 449D, 472B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . . 472B, 501A, 510D, 524A Unterbrechung der Sitzung . . 476D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 477A Dr. Arndt (SPD) . . . . . 477A, 484C Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 481A Dr. Baade (SPD) 485C Kiesinger (CDU) 491B Gockeln (CDU) 496C Dr. Schäfer (FDP) 497D Loritz (WAV) 502B, 511C Dr. von Merkatz (DP) 502D Dr. Baumgartner (BP) . 505A Fisch (KPD) 506B Frau Wessel (Z) 516C Dr. Richter (NR) . . . . . . . 518A 1 Ollenhauer (SPD) 521B Unterbrechung der Sitzung . . 525C Bausch (CDU) 526A Euler (FDP) 526D Abstimmungen . . . . . . .. . . 526B Nächste Sitzung 527C Die Sitzung wird um 10 Uhr 20 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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      Rede von Dr. Hans-Joachim von Merkatz


      • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
      • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

      Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist keine dankbare Aufgabe. in dieser mitternächtigen Stunde, nachdem die wesentlichen Dinge bereits gesagt worden sind, noch zu einigen Fragen Stellung zu nehmen. Ich möchte meine Ausführungen nicht mit einer langatmigen Polemik gegenüber der Art und Weise belasten, mit der von der Opposition in dieser ernsten Stunde und Angelegenheit der Kampf geführt worden ist. Die Opposition hat eine bemerkenswerte Verärgerung an den Tag gelegt, und mir ist bisher noch nicht erkennbar geworden, welches denn ihre Konzeption sei und was sie nun eigentlich will.

      (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.)

      Die beiden Redner der Opposition haben eine politische, rechtliche und wirtschaftliche Würdigung des Tatbestandes versucht. Ich habe den lebhaften Eindruck. daß insbesondere bei der rechtlichen Würdigung dieses Tatbestandes von einer vollkommen falschen Konzeption ausgegangen worden ist.

      (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.)

      Man hatte bei den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt den Eindruck, daß wir uns hier in dem Gedankenspiel eines völkerrechtlichen Seminars befunden haben.

      (Sehr gut! rechts und in der Mitte.)

      Dazu ist dieser Gegenstand aber nicht geeignet; denn es geht ganz einfach darum, ob einige Schornsteine mehr in Deutschland rauchen,

      (Bravorufe und Händeklatschen rechts und in der Mitte)

      ob einige Hunderttausend Familien vor dem entsetzlichsten Elend, vor der Arbeitslosigkeit, bewahrt werden oder nicht.

      (Bravorufe und Händeklatschen rechts und in der Mitte.)



      (Dr. von Merkatz)

      Meine Damen und Herren! Wir haben uns durch ein uferloses Schrifttum in den letzten 3 Jahren daran gewöhnt, Dinge der Politik und Dinge des deutschen Schicksals mit einer literarischen Intellektualität zu betrachten, die einen ekeln kann.

      (Erneuter lebhafter Beifall rechts und in der Mitte. — Zurufe links.)

      Ich habe hier festzustellen: der Opposition ist offenbar noch nicht klar geworden, daß Deutschland, daß das Deutsche Reich untergegangen ist durch eine debellatio, das heißt vollkommene Besiegung.

      (Sehr gut! rechts und in der Mitte.)

      Es geht jetzt um den Weg zurück, einfach darum, diesen deutschen Menschen das Leben zu erhalten.

      (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.)

      — Darum geht es!

      (Zuruf links: Alles Plagiat!)

      — Es mag sein, daß meine Gedanken Plagiat sind. Es ist vielleicht auch etwas viel verlangt, wenn
      man zu diesen ernsten Dingen, bei denen es bloß ernste und einfache Gedanken geben kann, Gedanken vorbringt, die vielleicht allen geläufig sind. Es wäre mir eine Ehre, wenn ich so sprechen könnte!

      (Bravorufe und Händeklatschen rechts und in der Mitte.)

      Gehen wir doch einmal nüchtern aus von dem, was da geschehen ist. — Die Bundesregierung unter Führung des Bundeskanzlers hat begonnen, einen politischen Weg zu gehen, den man vielleicht einfach mit dem Kennwort „Verständigung" be- zeichnen kann. Das ist ein außerordentlicher Fortschritt gegenüber einer Situation, wie sie im Jahre 1945 über das deutsche Volk gekommen war. Wenn Sie die Verlautbarungen, die Präambel etwa der Potsdamer Erklärung lesen, wenn Sie den Geist all dieser Instrumente erkennen, die kraft des Rechtes des Siegers, kraft Kriegsrecht über uns verhängt worden sind, dann müssen Sie mir zugeben: als vernünftig und nüchtern denkender Mensch kann man das Bemühen, auf dem Wege der Verständigung fortzuschreiten, auf dem Wege der Verständigung Millionen deutschen Menschen wieder die Luft zum Atmen zu verschaffen, nur als verdienstvoll, als die einzig mögliche Tat bezeichnen.

      (Händeklatschen rechts und in der Mitte.)

      Wie man angesichts dieser Aufgabe, dieser Notwendigkeit, dazu übergehen kann, in einer überaus, ich möchte fast sagen, rabulistisch-juristisch scharfsinnigen Weise ein Gebäude von gespenstischen Normen aufzubauen und in diesem gespenstischen Gedankennetz ,eine vernünftige, simple und klare Tat einfangen zu wollen, um sie in ihrer Wirkung zu zerstören, ist mir vollkommen unerfindlich.

      (Erneuter lebhafter Beifall rechts und in der Mitte.)

      Was ist denn unsere Aufgabe hier? Wir sollen dem Ausland ein klares Bild geben, wie wir zur Politik unserer Regierung stehen. Wenn man die Ausführungen der Opposition, die juristischen Darlegungen des Herrn Abgeordneten Arndt, dessen fachlichen Scharfsinn ich persönlich außerordentlich hochschätze, und die Darlegungen von Herrn Professor Baade miteinander vergleicht, so muß man zu dem Ergebnis kommen, daß sie in sich widerspruchsvoll waren. Während der Jurist eine ganze Reihe von Gedankenfäden kreuz und quer durch diese Landkarte gezogen hat, ein Netz von Schlingen, von Fallstricken, um den Fuß der Regierung zum Stolpern zu bringen, hat Herr Professor Baade, der Wirtschaftswissenschaftler, den unendlich mühsamen Weg aufgezeigt, auf dem das eine der Probleme, nämlich die Demontage, angefaßt werden mußte. Dort ist es dem Herrn Bundeskanzler und der Bundesregierung gelungen, ein Ergebnis 'zu erzielen, gewiß, ein Ergebnis, das auch auf der Arbeit anderer beruht hat. Ich habe aber kein Wort des Herrn Bundeskanzlers oder der Regierung gehört, daß die verdienstvolle, die wirkliche Arbeit an diesem Problem nicht anerkannt worden wäre.

      (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.)

      Aus dem Gesamtgefüge des Vortrags der Opposition selbst läßt sich jedenfalls ein Bild der oppositionellen Meinung kaum ermitteln.
      Wenn man nun dieser Kritik gegenüber zu dem positiven Vorbringen übergehen will, dann muß man doch eines feststellen, und ich möchte diese Feststellung als Replik gegenüber dem Vorwurf der Opposition zum Ausdruck bringen, in dem Verfahren der Bundesregierung sei eine Verfassungsverletzung, nämlich der Artikel 24 und 59 des Grundgesetzes zu sehen. Ich glaube, dieser Vorwurf verkennt vollkommen die juristische Tragweite des Instruments der Punktationen des Herrn Bundeskanzlers mit den Oberkommissaren, die hier zur Diskussion stehen. Wir müssen immerhin davon ausgehen, daß mit den Ereignissen von 1945, mit der ganzen Art der Kriegführung, die wir hinter uns haben, mit dem Verfahren der Behandlung Deutschlands nach der debellatio, nach der vollkommenen Besiegung, tatsächlich sich ein Vorgang vollzogen hat, den man weitgehend - ich will den Ausdruck nicht übertreiben — als einen Zusammenbruch des überkommenen Völkerrechts leider qualifizieren muß. Und nun ist es die Aufgabe, die sehr mühselige Aufgabe, auf dem Wege der Verständigung wieder zu Normen und zu Verhaltensweisen zu kommen, die den Aufbau eines neuen Völkerrechts beinhalten. Denn das, was mit Deutschland nach 1945 geschehen ist, hat im bisherigen Völkerrecht keinen Vorgang, und alle Versuche rechtstheoretischer Deutung der faktischen Vorgänge sind bisher gescheitert. Ich möchte die Fachkenner aus der Opposition fragen, ob sie wirklich mit ehrlichem Gewissen sagen können, daß das, was sie vertreten, nach völkerrechtlichen Normen rechtens ist, ob sie die gegenwärtig geltenden völkerrechtlichen Normen wirklich kennen. Ich möchte von mir persönlich behaupten, daß die Vorgänge so, wie sie seit 1945 über unsere zivilisierte Welt hereingebrochen sind, eine wirkliche normative Deutung bisher noch nicht haben finden können. Ich glaube, daß diese grundsätzliche Erkenntnis wichtig ist, um überhaupt zu einer völkerrechtlichen Wertung in der Gegenwart zu kommen, um überhaupt auf diesem Gebiet richtig operieren zu können.
      Die Bundesregierung hat das in einem solchen Zeitpunkt einzig Mögliche getan. Sie hat die Fakten genommen so, wie sie sind, und Stein für Stein auf diese Fakten gesetzt. Dazu hat sie unsere vollste Billigung. Es ist nicht unsere Aufgabe, jetzt rechtstheoretisch zu fragen: was bedeutet dies oder jenes, welche Konsequenz hat es oder welche Konsequenz hat es nicht? Jede Äußerung auf diesem Gebiet fängt uns in


      (Dr. von Merkatz)

      irgendeine Gedankenschlinge und ist, wie der Spanier sagt, in der Regel contra producente, gegen den, der es hervorgebracht hat. Wir sollten uns gewöhnen — und ich sage das im vollen Bewußtsein des rechtlichen Gewissens als ein Jurist, der die Aufgabe des Rechtes und der Wahrung des Rechtes überaus ernstzunehmen bemüht ist —, uns darüber klar zu werden, daß uns gerade aus dieser Gesinnung heraus die Bescheidenheit geziemt, nun nicht irgendwelche Vorstellungen zu erdenken und zu suchen, die gegenüber der Tatsächlichkeit gar nicht standhalten. Die Zeit, in der die Normen wieder gefunden sind, ist noch nicht gekommen. Ein Hugo Grotius dieser Zeit ist noch nicht geboren, ist noch nicht da, und vielleicht wird erst einmal die Nachwelt, dann nämlich, wenn das System der Zusammenarbeit unter den europäischen Völkern steht, wirklich juristisch werten und erkennen können, was hier geschieht.
      Es ist daher närrisch und im deutschen Interesse auch sehr unklug, nun den Versuch zu unternehmen, hier juristische Gedankengebäude aufzuführen und gar die Normen des Grundgesetzes in Anspruch zu nehmen, die Artikel 24 und 59, um damit eine Legitimitätsgrundlage für einen dynamisch sehr viel bescheideneren Vorgang zu schaffen, als er in diesen beiden Verfassungsartikeln vorgesehen ist. Diese Artikel beziehen sich auf die Vertragsschließung zwischen souveränen Staaten, während das, was hier geschehen ist, erst der bescheidene Schritt vorwärts sein will, um zu jenem uns und der Opposition gewiß gemeinsamen Ziel vorzustoßen, dem Ziel, zur Freiheit und zur Gleichberechtigung zu kommen. Aber an der Schwelle dieses Ziels steht die Verständigung, und der Weg der Verständigung ist realistisch und nüchtern zu beschreiten, indem man die Dinge einmal so nimmt, wie sie sind.
      Die Bundesregierung hat das deutsche Volk in nichts gebunden, denn das ist doch das Wesen der debellatio, der Kapitulationsbesetzung von 1945, daß kraft des Rechtes, des Kriegsrechtes, die oberste Gewalt über Deutschland an die Siegermächte gelangt ist, daß kraft dieser von ihnen behaupteten obersten Gewalt, gegenüber der vom deutschen Volk eine Verzichtleistung des Widerstandes erfolgt ist, uns die Instrumente unseres Daseins auferlegt worden sind. Wenn nun die Bundesregierung Teile der uns genommenen Hoheitsrechte zurückgewinnt und wieder an sich nimmt, so kann man hier doch nicht von irgendeinem Preisgeben, von irgendeiner Bindung oder von irgendeinem Beitritt zu einem Abkommen sprechen, sondern es ist tatsächlich seinem ganzen Wesen nach ein exekutiver Akt, ein ganz bescheidener Akt, etwas wieder an sich zu nehmen, was aus dem beschlagnahmten Inbegriff der deutschen Hoheitsrechte nun wieder in die deutsche Hand gelegt wird.
      Aber dieses Legen in eine deutsche Hand bedeutet noch ein Stückchen mehr. Will diese deutsche Hand das Hoheitsrecht festhalten? Die Welt hat sich grundlegend gewandelt, seitdem die Theorien geschaffen worden sind, von denen der Herr Kollege Arndt ausgegangen ist. Kann die deutsche Hand dieses Hoheitsrecht auch festhalten, und ist es so in diese deutsche Hand gelegt worden, daß es in ihr ein wirksames Instrument bleibt? Dazu ist das Vertrauen nötig, und dieses Vertrauen zu gewinnen ist eine langsame, geduldige, mühselige Arbeit. Daher hieße es das Pferd vom Schwanze aufzäumen, wenn man hier mit dem Verfassungsbedenken der Artikel 24 und 59 des Grundgesetzes operieren wollte. — Dies zur Kritik der einen Seite.
      Ich möchte es mir mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Stunde schenken, zu dem eigentlichen Gegenstand dieser Punktation eine Analyse zu geben. Immerhin, auf eines muß doch hingewiesen werden, und das ist das Entscheidende: man sollte die Demontagefrage gar nicht so sehr in den Vordergrund stellen. Denn hier steht ganz erheblich mehr drin als nur die Demontagefrage. Das ist heute abend hier fast gar nicht erwähnt worden. Wenn hier in der Präambel von dem Wunsch und der Entschlossenheit beider Parteien, ihre Beziehungen auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens fortschreitend zu entwickeln, die Rede ist, dann ist dies ein außerordentlicher Fortschritt. Die Bundesrepublik soll als friedliebendes Mitglied in die europäische Gemeinschaft eingegliedert werden und am Schluß des Dokuments findet sich derselbe Gedanke nochmals angedeutet:
      Die Hohen Kommissare und der Bundeskanzler haben diese Niederschrift unterzeichnet in der gemeinsamen Entschlossenheit, die in der Präambel aufgestellte Absicht zu verwirklichen, beide
      — das ist ein unerhörter Fortschritt —
      in der Entschlossenheit, dieses Ziel zu verwirklichen, und in der Hoffnung, daß ihre Abmachung einen bedeutsamen Beitrag zur Einordnung Deutschlands in eine friedliche und dauerhafte Gemeinschaft der europäischen Nationen darstellt.
      Wenn Sie demgegenüber die Texte des Potsdamer Abkommens, den Urteilsspruch gegen die IGFarben-Industrie, die Urteilssprüche von Nürnberg, das Jalta-Abkommen, die Direktive 24 und so viele Gesetze in ihren Präambeln lesen, dann werden Sie wohl schon merken, daß das hier ein Fortschritt ist. Es wäre närrisch, diesen Kernpunkt des Fortschritts, diese Basis einer langsamen Wiedergesundung in der Mitte Europas nun wegzufaseln mit einem Netz von Argumenten, die in einem juristischen Seminar ganz amüsant sein könnten, aber hier in diesem Hause weit an der Sache der politischen Aufgabe vorbeigehen müssen.

      (Lebhafter Beifall rechts und in der Mitte.)

      Ich darf meinen Darlegungen noch ein Anliegen, ein niedersächsisches Anliegen hinzufügen: Watenstedt-Salzgitter. Mit besonderer Befriedigung durften wir von der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers Kenntnis nehmen, daß die Möglichkeit oder jedenfalls die feste Bereitschaft vorhanden ist, das Siedlungsgebiet von Watenstedt-Salzgitter lebensfähig zu erhalten. Diese Zusage, die Notwendigkeit, diese Menschen in dem Grenzgebiet zu erhalten, liegt auf der Hand.. Es ist ein Grenzgebiet; eine Verzweiflung und Radikalisierung in diesem Gebiet wäre außerordentlich nachteilig. Wir nehmen es als einen Hoffnungsschimmer und notieren die feste Bereitschaft, daß hier bei der Art der nun schon fast ganz vollzogenen Demontage doch die Produktionsstätten so weit erhalten bleiben, daß die Möglichkeit des Aufbaues einer neuen und anders gearteten Industrie in diesem Gebiet besteht.

      (Zuruf links: Woher wissen Sie denn das?)

      — Daher, daß die Bundesregierung ihren festen Willen zum Ausdruck gebracht hat, diese Menschen in Watenstedt-Salzgitter nicht verkommen zu lassen. Das muß hier festgestellt, und zwar deutlich festgestellt werden, damit nicht mit dem Elend und der Verzweiflung dieser Menschen Mißbrauch getrieben werde.

      (Lebhafter Beifall rechts und in der Mitte.)



      (Dr. von Merkatz)

      Wir hoffen auch auf die Hilfsbereitschaft -- ich spreche hier etwas niedersächsisch — des Landes Nordrhein-Westfalen, das auch sehr große Opfer hat bringen müssen, das aber im Verhältnis zu Niedersachsen, dem diese Industrie nun verloren geht, besser weggekommen ist. Ich glaube, daß gerade das Wesen der bündischen Zusammenarbeit, des neuen deutschen Föderalismus im Kern das sein muß: die Hilfsbereitschaft der Länder untereinander und das Verständnis für die Notwendigkeiten der einzelnen Länder. Nur so kann eine bündische Zusammenarbeit wirksam gestaltet werden.
      Ich möchte meine Ausführungen damit schließen und im Auftrag meiner Fraktion folgende Erklärung abgeben, die inhaltlich mit den bisher abgegebenen Erklärungen der Regierungkoalitionsfraktionen übereinstimmt:
      Die Fraktion der Deutschen Partei hat mit Befriedigung von der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers Kenntnis genommen und stimmt der Zielsetzung der Bundesregierung zu.

      (Lebhaftr Beifall rechts und in der Mfitte Das Wort hat der .Herr Abgeordnete Dr. Baumgartner. Meine Damen und Herren! Wenn die Zerrissenheit hier nicht so traurig wäre, dann müßte meine Fraktion freudig gestimmt sein, heute eine Gelegenheit zu haben, zu beweisen, daß wir Föderalisten deutsch gesinnt sind. Es muß einen zutiefst erschüttern, daß es dem deutschen Volke in dieser ernsten Stunde und in dieser großen außenpolitischen Situation hier im Hause nicht gelingt, einen einheitlichen Willen, eine einheitliche Haltung und ein einheitliches deutsches Denken darzustellen. Heute soll ausgerechnet die Fraktion der Bayernpartei in diesem Hause zur deutschen Einigkeit aufrufen. Streiten wir doch in dieser ernsten Stunde nicht um Worte, ob der Herr Bundeskanzler sich auf das Grundgesetz oder auf das Besatzungsstatut berufen soll. Beide, das Besatzungsstatut und das Grundgesetz, entstammen nicht der deutschen Rechtsquelle. Das Grundgesetz ist durch das Londoner Abkommen gestützt. Sie wissen doch noch, daß das Grundgesetz in Deutschland rechtskräftig geworden ist, weil zwei Drittel der Länder nach dem Londoner Abkommen sich für das Grundgesetz ausgesprochen haben. — Ich möchte dem Herrn Kollegen Arndt sagen, daß es widersinnig ist, diesen Gegensatz zwischen Grundgesetz und Besatzungsstatut dem Herrn Bundeskanzler vorzuwerfen. Rechten wir auch nicht darum, auf welcher Rechtsquelle Grundgesetz oder Besatzungsstatut beruhen. Die Frage der Außenpolitik ist eine Frage, die in normalen Zeiten und noch ganz besonders mehr in unserer jetzigen schweren deutschen Situation über alle Parteigegensätze hinweg gelöst werden muß. Wir müssen in der heutigen Frage einen Unterschied wischen dem Ergebnis der Verhandlungen des Herrn Bundeskanzlers und den Kommentaren machen, die der Herr Bundeskanzler daran geknüpft hat. Das Verhandlungsergebnis selbst bedeutet — auch wenn man zu einigen Punkten nicht unbedingt seine Zustimmung geben kann — unbestreitbar in unserer gegenwärtigen völkerrechtlichen Lage einen Fortschritt. Die Bedenken, die meine Fraktion gegen einige Punkte des Abkommens und gegen manche Darlegungen des Herrn Bundeskanzlers hat, wollen wir zurückstellen, um dem weiteren außenpolitischen Vorgehen des Herrn Bundeskanzlers eine weitere Chance zu geben. Die Fraktion der Bayernpartei nimmt daher den Bericht des Herrn Bundeskanzlers zur Kenntnis. Sie bittet die Bundesregierung, den Weg zur Einordnung der deutschen Bundesrepublik in eine friedliche und wahrhafte Gemeinschaft der europäischen Völker und insbesondere der Verständigung mit Frankreich fortzusetzen. Machen wir uns auch gegenseitig keine Vorwürfe, wer eine französische Übersetzung des Abkommens bekommen hat und wer nicht, oder wem die Verständigung mit Frankreich mehr am Herzen liegt. Der Herr Kollege Arndt erklärte heute, die Verständigung mit Frankreich sei ihm eine Herzenssache. Das gleiche haben wiederholt Herr Kollege Dr. Schumacher und der Herr Bundeskanzler erklärt, und man hat ihnen freudig zugestimmt. Darf ich heute in diesem Hohen Hause die Gelegenheit benutzen, um daran zu erinnern, daß ich ein einziges Mal im Zirkus Krone in München betont habe, die Verständigung mit Frankreich müsse eine Herzenssache sein! Darf ich Sie daran erinnern, daß man mir von der linken Seite dieses Hauses, von diesen Parteien in ganz Deutschland Separatismus deshalb vorgeworfen hat? Es ist mir eine freudige Genugtuung, das festzustellen. So kommen wir doch in diesen außenpolitischen Fragen nicht weiter. Erinnern wir uns doch an das Verhaltung der amerikanischen und der englischen Opposition in außenpolitischen Fragen. Wir müssen doch in diesen Fragen die parteipolitische Zerrissenheit und die gegensätzlichen Auffassungen zurückstellen. Ein Wort zu den schwachen juristischen Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers! Die schwachen juristischen Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers hätten die Fraktion der Bayernpartei nicht bewogen, sich auf die Seite des Herrn Bundeskanzlers zu stellen, wenn nicht andere, staatspolitische Überlegungen unsere Haltung bestimmt hätten. Versuchen wir doch, in den außenpolitischen Fragen eine Einigung durch Beiseitelassung der sonstigen Gegensätze zu erlangen. Herr Bundeskanzler, prüfen Sie doch ernstlich die Frage, ob Sie in Zukunft die Vertreter der Opposition nicht rechtzeitig in wichtige Verhandlungen über außenpolitische Dinge einschalten können, und versuchen Sie, Herr Bundeskanzler, vor allem, ob nicht dieses Parlament hier bei diesen schwerwiegenden außenpolitischen Fragen mehr herangezogen werden kann. Im übrigen aber, Herr Bundeskanzler, wünschen wir Ihnen auf Ihrem schweren Wege um des deutschen Volkes und um Europas willen einen vollen Erfolg. Wir wünschen Ihnen diesen vollen Erfolg, Herr Bundeskanzler, als Oppositionspartei, weil wir es nicht nötig haben, jeden politischen Schritt unseres Gegners mit Neid und Mißgunst zu verfolgen und unsere innenpolitischen Gegensätze zum Nachteil der deutschen Außenpolitik auszutragen. Möge diese Auffassung aus unseren bayerischen Reihen heraus bald zur Auffassung dieses ganzen Hauses werden. Den Mißtrauensantrag der SPD lehnt meine Fraktion aus diesen Gründen ab. (Erneuter lebhafter Beifall bei der BP und den Regierungsparteien.)


    Rede von Dr. Erich Köhler
    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
    • insert_commentNächste Rede als Kontext
      Rede von Dr. Josef Baumgartner


      • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BP)
      • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BP)


      (Beifall rechts.)


      (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.) Die überwiegende Mehrheit dieses Hauses und gerade Sie von der Linken haben uns von der Bayernpartei wiederholt in ganz Deutschland den schweren Vorwurf gemacht, wir seien nicht deutsch, wir dächten nicht deutsch und wir hätten kein Verständnis für die deutsche Einigkeit, ja wir würden von der Bayernpartei aus die deutsche Einigkeit stören. Heute ist die Stunde, in der wir beweisen, daß wir deutsch denken und die deutsche Einigkeit herstellen wollen.


      (Lebhafter Beifall rechts und in der Mitte.) Meine Damen und Herren, Sie haben heute vor dem deutschen Volk und vor der ganzen Welt in kläglicher Weise den Beweis erbracht, daß nicht das stolze Eigenbewußtsein unserer deutschen Länder die deutsche Einigkeit gefährdet, sondern daß Sie die deutsche Einigkeit durch einen Parteiegoismus gefährden, indem Sie in einer außenpolitischen Situation innerpolitische Zusammenhänge heraufbeschwören.


      (Beifall bei der Bayernpartei.)


      (Heiterkeit.)


      (Abg. Arndt: Damals wart Ihr aber nicht dabei!)


      (Beifall.)


      (Dr. Baumgartner)


      (Sehr gut! links)


      (Zuruf links: Das wollen wir!)


      (lebhafter Beifall bei der BP und den Regierungsparteien)


      (Sehr gut!)


      (Bravo!)