Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist keine dankbare Aufgabe. in dieser mitternächtigen Stunde, nachdem die wesentlichen Dinge bereits gesagt worden sind, noch zu einigen Fragen Stellung zu nehmen. Ich möchte meine Ausführungen nicht mit einer langatmigen Polemik gegenüber der Art und Weise belasten, mit der von der Opposition in dieser ernsten Stunde und Angelegenheit der Kampf geführt worden ist. Die Opposition hat eine bemerkenswerte Verärgerung an den Tag gelegt, und mir ist bisher noch nicht erkennbar geworden, welches denn ihre Konzeption sei und was sie nun eigentlich will.
Die beiden Redner der Opposition haben eine politische, rechtliche und wirtschaftliche Würdigung des Tatbestandes versucht. Ich habe den lebhaften Eindruck. daß insbesondere bei der rechtlichen Würdigung dieses Tatbestandes von einer vollkommen falschen Konzeption ausgegangen worden ist.
Man hatte bei den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt den Eindruck, daß wir uns hier in dem Gedankenspiel eines völkerrechtlichen Seminars befunden haben.
Dazu ist dieser Gegenstand aber nicht geeignet; denn es geht ganz einfach darum, ob einige Schornsteine mehr in Deutschland rauchen,
ob einige Hunderttausend Familien vor dem entsetzlichsten Elend, vor der Arbeitslosigkeit, bewahrt werden oder nicht.
Meine Damen und Herren! Wir haben uns durch ein uferloses Schrifttum in den letzten 3 Jahren daran gewöhnt, Dinge der Politik und Dinge des deutschen Schicksals mit einer literarischen Intellektualität zu betrachten, die einen ekeln kann.
Ich habe hier festzustellen: der Opposition ist offenbar noch nicht klar geworden, daß Deutschland, daß das Deutsche Reich untergegangen ist durch eine debellatio, das heißt vollkommene Besiegung.
Es geht jetzt um den Weg zurück, einfach darum, diesen deutschen Menschen das Leben zu erhalten.
— Darum geht es!
— Es mag sein, daß meine Gedanken Plagiat sind. Es ist vielleicht auch etwas viel verlangt, wenn
man zu diesen ernsten Dingen, bei denen es bloß ernste und einfache Gedanken geben kann, Gedanken vorbringt, die vielleicht allen geläufig sind. Es wäre mir eine Ehre, wenn ich so sprechen könnte!
Gehen wir doch einmal nüchtern aus von dem, was da geschehen ist. — Die Bundesregierung unter Führung des Bundeskanzlers hat begonnen, einen politischen Weg zu gehen, den man vielleicht einfach mit dem Kennwort „Verständigung" be- zeichnen kann. Das ist ein außerordentlicher Fortschritt gegenüber einer Situation, wie sie im Jahre 1945 über das deutsche Volk gekommen war. Wenn Sie die Verlautbarungen, die Präambel etwa der Potsdamer Erklärung lesen, wenn Sie den Geist all dieser Instrumente erkennen, die kraft des Rechtes des Siegers, kraft Kriegsrecht über uns verhängt worden sind, dann müssen Sie mir zugeben: als vernünftig und nüchtern denkender Mensch kann man das Bemühen, auf dem Wege der Verständigung fortzuschreiten, auf dem Wege der Verständigung Millionen deutschen Menschen wieder die Luft zum Atmen zu verschaffen, nur als verdienstvoll, als die einzig mögliche Tat bezeichnen.
Wie man angesichts dieser Aufgabe, dieser Notwendigkeit, dazu übergehen kann, in einer überaus, ich möchte fast sagen, rabulistisch-juristisch scharfsinnigen Weise ein Gebäude von gespenstischen Normen aufzubauen und in diesem gespenstischen Gedankennetz ,eine vernünftige, simple und klare Tat einfangen zu wollen, um sie in ihrer Wirkung zu zerstören, ist mir vollkommen unerfindlich.
Was ist denn unsere Aufgabe hier? Wir sollen dem Ausland ein klares Bild geben, wie wir zur Politik unserer Regierung stehen. Wenn man die Ausführungen der Opposition, die juristischen Darlegungen des Herrn Abgeordneten Arndt, dessen fachlichen Scharfsinn ich persönlich außerordentlich hochschätze, und die Darlegungen von Herrn Professor Baade miteinander vergleicht, so muß man zu dem Ergebnis kommen, daß sie in sich widerspruchsvoll waren. Während der Jurist eine ganze Reihe von Gedankenfäden kreuz und quer durch diese Landkarte gezogen hat, ein Netz von Schlingen, von Fallstricken, um den Fuß der Regierung zum Stolpern zu bringen, hat Herr Professor Baade, der Wirtschaftswissenschaftler, den unendlich mühsamen Weg aufgezeigt, auf dem das eine der Probleme, nämlich die Demontage, angefaßt werden mußte. Dort ist es dem Herrn Bundeskanzler und der Bundesregierung gelungen, ein Ergebnis 'zu erzielen, gewiß, ein Ergebnis, das auch auf der Arbeit anderer beruht hat. Ich habe aber kein Wort des Herrn Bundeskanzlers oder der Regierung gehört, daß die verdienstvolle, die wirkliche Arbeit an diesem Problem nicht anerkannt worden wäre.
Aus dem Gesamtgefüge des Vortrags der Opposition selbst läßt sich jedenfalls ein Bild der oppositionellen Meinung kaum ermitteln.
Wenn man nun dieser Kritik gegenüber zu dem positiven Vorbringen übergehen will, dann muß man doch eines feststellen, und ich möchte diese Feststellung als Replik gegenüber dem Vorwurf der Opposition zum Ausdruck bringen, in dem Verfahren der Bundesregierung sei eine Verfassungsverletzung, nämlich der Artikel 24 und 59 des Grundgesetzes zu sehen. Ich glaube, dieser Vorwurf verkennt vollkommen die juristische Tragweite des Instruments der Punktationen des Herrn Bundeskanzlers mit den Oberkommissaren, die hier zur Diskussion stehen. Wir müssen immerhin davon ausgehen, daß mit den Ereignissen von 1945, mit der ganzen Art der Kriegführung, die wir hinter uns haben, mit dem Verfahren der Behandlung Deutschlands nach der debellatio, nach der vollkommenen Besiegung, tatsächlich sich ein Vorgang vollzogen hat, den man weitgehend - ich will den Ausdruck nicht übertreiben — als einen Zusammenbruch des überkommenen Völkerrechts leider qualifizieren muß. Und nun ist es die Aufgabe, die sehr mühselige Aufgabe, auf dem Wege der Verständigung wieder zu Normen und zu Verhaltensweisen zu kommen, die den Aufbau eines neuen Völkerrechts beinhalten. Denn das, was mit Deutschland nach 1945 geschehen ist, hat im bisherigen Völkerrecht keinen Vorgang, und alle Versuche rechtstheoretischer Deutung der faktischen Vorgänge sind bisher gescheitert. Ich möchte die Fachkenner aus der Opposition fragen, ob sie wirklich mit ehrlichem Gewissen sagen können, daß das, was sie vertreten, nach völkerrechtlichen Normen rechtens ist, ob sie die gegenwärtig geltenden völkerrechtlichen Normen wirklich kennen. Ich möchte von mir persönlich behaupten, daß die Vorgänge so, wie sie seit 1945 über unsere zivilisierte Welt hereingebrochen sind, eine wirkliche normative Deutung bisher noch nicht haben finden können. Ich glaube, daß diese grundsätzliche Erkenntnis wichtig ist, um überhaupt zu einer völkerrechtlichen Wertung in der Gegenwart zu kommen, um überhaupt auf diesem Gebiet richtig operieren zu können.
Die Bundesregierung hat das in einem solchen Zeitpunkt einzig Mögliche getan. Sie hat die Fakten genommen so, wie sie sind, und Stein für Stein auf diese Fakten gesetzt. Dazu hat sie unsere vollste Billigung. Es ist nicht unsere Aufgabe, jetzt rechtstheoretisch zu fragen: was bedeutet dies oder jenes, welche Konsequenz hat es oder welche Konsequenz hat es nicht? Jede Äußerung auf diesem Gebiet fängt uns in
irgendeine Gedankenschlinge und ist, wie der Spanier sagt, in der Regel contra producente, gegen den, der es hervorgebracht hat. Wir sollten uns gewöhnen — und ich sage das im vollen Bewußtsein des rechtlichen Gewissens als ein Jurist, der die Aufgabe des Rechtes und der Wahrung des Rechtes überaus ernstzunehmen bemüht ist —, uns darüber klar zu werden, daß uns gerade aus dieser Gesinnung heraus die Bescheidenheit geziemt, nun nicht irgendwelche Vorstellungen zu erdenken und zu suchen, die gegenüber der Tatsächlichkeit gar nicht standhalten. Die Zeit, in der die Normen wieder gefunden sind, ist noch nicht gekommen. Ein Hugo Grotius dieser Zeit ist noch nicht geboren, ist noch nicht da, und vielleicht wird erst einmal die Nachwelt, dann nämlich, wenn das System der Zusammenarbeit unter den europäischen Völkern steht, wirklich juristisch werten und erkennen können, was hier geschieht.
Es ist daher närrisch und im deutschen Interesse auch sehr unklug, nun den Versuch zu unternehmen, hier juristische Gedankengebäude aufzuführen und gar die Normen des Grundgesetzes in Anspruch zu nehmen, die Artikel 24 und 59, um damit eine Legitimitätsgrundlage für einen dynamisch sehr viel bescheideneren Vorgang zu schaffen, als er in diesen beiden Verfassungsartikeln vorgesehen ist. Diese Artikel beziehen sich auf die Vertragsschließung zwischen souveränen Staaten, während das, was hier geschehen ist, erst der bescheidene Schritt vorwärts sein will, um zu jenem uns und der Opposition gewiß gemeinsamen Ziel vorzustoßen, dem Ziel, zur Freiheit und zur Gleichberechtigung zu kommen. Aber an der Schwelle dieses Ziels steht die Verständigung, und der Weg der Verständigung ist realistisch und nüchtern zu beschreiten, indem man die Dinge einmal so nimmt, wie sie sind.
Die Bundesregierung hat das deutsche Volk in nichts gebunden, denn das ist doch das Wesen der debellatio, der Kapitulationsbesetzung von 1945, daß kraft des Rechtes, des Kriegsrechtes, die oberste Gewalt über Deutschland an die Siegermächte gelangt ist, daß kraft dieser von ihnen behaupteten obersten Gewalt, gegenüber der vom deutschen Volk eine Verzichtleistung des Widerstandes erfolgt ist, uns die Instrumente unseres Daseins auferlegt worden sind. Wenn nun die Bundesregierung Teile der uns genommenen Hoheitsrechte zurückgewinnt und wieder an sich nimmt, so kann man hier doch nicht von irgendeinem Preisgeben, von irgendeiner Bindung oder von irgendeinem Beitritt zu einem Abkommen sprechen, sondern es ist tatsächlich seinem ganzen Wesen nach ein exekutiver Akt, ein ganz bescheidener Akt, etwas wieder an sich zu nehmen, was aus dem beschlagnahmten Inbegriff der deutschen Hoheitsrechte nun wieder in die deutsche Hand gelegt wird.
Aber dieses Legen in eine deutsche Hand bedeutet noch ein Stückchen mehr. Will diese deutsche Hand das Hoheitsrecht festhalten? Die Welt hat sich grundlegend gewandelt, seitdem die Theorien geschaffen worden sind, von denen der Herr Kollege Arndt ausgegangen ist. Kann die deutsche Hand dieses Hoheitsrecht auch festhalten, und ist es so in diese deutsche Hand gelegt worden, daß es in ihr ein wirksames Instrument bleibt? Dazu ist das Vertrauen nötig, und dieses Vertrauen zu gewinnen ist eine langsame, geduldige, mühselige Arbeit. Daher hieße es das Pferd vom Schwanze aufzäumen, wenn man hier mit dem Verfassungsbedenken der Artikel 24 und 59 des Grundgesetzes operieren wollte. — Dies zur Kritik der einen Seite.
Ich möchte es mir mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Stunde schenken, zu dem eigentlichen Gegenstand dieser Punktation eine Analyse zu geben. Immerhin, auf eines muß doch hingewiesen werden, und das ist das Entscheidende: man sollte die Demontagefrage gar nicht so sehr in den Vordergrund stellen. Denn hier steht ganz erheblich mehr drin als nur die Demontagefrage. Das ist heute abend hier fast gar nicht erwähnt worden. Wenn hier in der Präambel von dem Wunsch und der Entschlossenheit beider Parteien, ihre Beziehungen auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens fortschreitend zu entwickeln, die Rede ist, dann ist dies ein außerordentlicher Fortschritt. Die Bundesrepublik soll als friedliebendes Mitglied in die europäische Gemeinschaft eingegliedert werden und am Schluß des Dokuments findet sich derselbe Gedanke nochmals angedeutet:
Die Hohen Kommissare und der Bundeskanzler haben diese Niederschrift unterzeichnet in der gemeinsamen Entschlossenheit, die in der Präambel aufgestellte Absicht zu verwirklichen, beide
— das ist ein unerhörter Fortschritt —
in der Entschlossenheit, dieses Ziel zu verwirklichen, und in der Hoffnung, daß ihre Abmachung einen bedeutsamen Beitrag zur Einordnung Deutschlands in eine friedliche und dauerhafte Gemeinschaft der europäischen Nationen darstellt.
Wenn Sie demgegenüber die Texte des Potsdamer Abkommens, den Urteilsspruch gegen die IGFarben-Industrie, die Urteilssprüche von Nürnberg, das Jalta-Abkommen, die Direktive 24 und so viele Gesetze in ihren Präambeln lesen, dann werden Sie wohl schon merken, daß das hier ein Fortschritt ist. Es wäre närrisch, diesen Kernpunkt des Fortschritts, diese Basis einer langsamen Wiedergesundung in der Mitte Europas nun wegzufaseln mit einem Netz von Argumenten, die in einem juristischen Seminar ganz amüsant sein könnten, aber hier in diesem Hause weit an der Sache der politischen Aufgabe vorbeigehen müssen.
Ich darf meinen Darlegungen noch ein Anliegen, ein niedersächsisches Anliegen hinzufügen: Watenstedt-Salzgitter. Mit besonderer Befriedigung durften wir von der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers Kenntnis nehmen, daß die Möglichkeit oder jedenfalls die feste Bereitschaft vorhanden ist, das Siedlungsgebiet von Watenstedt-Salzgitter lebensfähig zu erhalten. Diese Zusage, die Notwendigkeit, diese Menschen in dem Grenzgebiet zu erhalten, liegt auf der Hand.. Es ist ein Grenzgebiet; eine Verzweiflung und Radikalisierung in diesem Gebiet wäre außerordentlich nachteilig. Wir nehmen es als einen Hoffnungsschimmer und notieren die feste Bereitschaft, daß hier bei der Art der nun schon fast ganz vollzogenen Demontage doch die Produktionsstätten so weit erhalten bleiben, daß die Möglichkeit des Aufbaues einer neuen und anders gearteten Industrie in diesem Gebiet besteht.
— Daher, daß die Bundesregierung ihren festen Willen zum Ausdruck gebracht hat, diese Menschen in Watenstedt-Salzgitter nicht verkommen zu lassen. Das muß hier festgestellt, und zwar deutlich festgestellt werden, damit nicht mit dem Elend und der Verzweiflung dieser Menschen Mißbrauch getrieben werde.
Wir hoffen auch auf die Hilfsbereitschaft -- ich spreche hier etwas niedersächsisch — des Landes Nordrhein-Westfalen, das auch sehr große Opfer hat bringen müssen, das aber im Verhältnis zu Niedersachsen, dem diese Industrie nun verloren geht, besser weggekommen ist. Ich glaube, daß gerade das Wesen der bündischen Zusammenarbeit, des neuen deutschen Föderalismus im Kern das sein muß: die Hilfsbereitschaft der Länder untereinander und das Verständnis für die Notwendigkeiten der einzelnen Länder. Nur so kann eine bündische Zusammenarbeit wirksam gestaltet werden.
Ich möchte meine Ausführungen damit schließen und im Auftrag meiner Fraktion folgende Erklärung abgeben, die inhaltlich mit den bisher abgegebenen Erklärungen der Regierungkoalitionsfraktionen übereinstimmt:
Die Fraktion der Deutschen Partei hat mit Befriedigung von der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers Kenntnis genommen und stimmt der Zielsetzung der Bundesregierung zu.