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ID0101806400

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    Vokabeln: 6
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, den 24. und 25. November 1949 449 18.. Sitzung Bonn, 24. und 25. November 1949. Geschäftliche Mitteilungen 449C, 464D, 485C, 527C Interpellation der Abg. Euler, Dr. Preusker, Dr. Becker, Dr. Dr. Nöll von der Nahmer u. Gen. betr. Abschluß der Entnazifizierung (Drucksache Nr. 172) 449D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes stehenden Personen (Drucksache Nr. 175) . . 449D Dr. Heinemann, Bundesminister des Innern . . . . . . . . . 449D, 467D Strauss (CSU) . . . . . . 451D, 472A B) Dr. Menzel (SPD) . . . 455B, 469A, 471C Gundelach (KPD) 460C Pannenbecker (Z) 461B, 471C Dr. Nowack (FDP) 461D Farke (DP) 464D Donhauser (BP) 465B Dr. Miessner (NR) 466D Mensing (CDU) 467C Dr. Becker (FDP) 468D Dr. Leuchtgens (NR) 470B Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen 471A Unterbrechung der Sitzung . 472B Erklärung der Bundesregierung . . 449D, 472B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . . 472B, 501A, 510D, 524A Unterbrechung der Sitzung . . 476D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 477A Dr. Arndt (SPD) . . . . . 477A, 484C Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 481A Dr. Baade (SPD) 485C Kiesinger (CDU) 491B Gockeln (CDU) 496C Dr. Schäfer (FDP) 497D Loritz (WAV) 502B, 511C Dr. von Merkatz (DP) 502D Dr. Baumgartner (BP) . 505A Fisch (KPD) 506B Frau Wessel (Z) 516C Dr. Richter (NR) . . . . . . . 518A 1 Ollenhauer (SPD) 521B Unterbrechung der Sitzung . . 525C Bausch (CDU) 526A Euler (FDP) 526D Abstimmungen . . . . . . .. . . 526B Nächste Sitzung 527C Die Sitzung wird um 10 Uhr 20 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Hermann Schäfer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Baade hat versucht, so etwas wie einen Wetterbericht zu unseren heutigen Auseinandersetzungen zu geben. Er hat da zwischen gedämpfter Freude, einem gedämpften Mißtrauen und einem Bedauern darüber geschwankt, daß in der Auseinandersetzung über die außenpolitischen Dinge, die mit dem uns vorgelegten Abkommen in Deutschland in Gang gebracht worden ist, Spannungen entstanden sind. Ich will mich nun nicht in diese — wie soll ich sagen? — gastronomisch gewürzten Vorstellungen über das politische Klima verlieren. Ich weiß auch nicht, ob man mit Superlativen der Lage gerecht wird, wenn man immer so leicht mit dem Wort „historisch" operiert. Was im Grunde genommen ein historisches Geschehen ist, das, meine Damen und Herren, zeigt sich erst hinterher. Aber gerade weil ich so illusionslos an die Betrachtung des Abkommens und an die außenpolitische Entscheidung herangehe, die hier zum Gegenstand der Erörterungen gemacht worden ist, meine ich um so mehr, daß die Herren, die im Namen der Opposition gesprochen haben, der Tragweite der Lage eigentlich nicht ganz gerecht geworden sind.
    Der eine ihrer Sprecher hat es sich nach meiner Meinung politisch sehr bequem gemacht. Dafür hat er seine Beweisführung gedanklich sehr mühsam


    (Dr. Schäfer)

    gemacht, indem er die Unstimmigkeiten, Verworrenheiten und Zwiespältigkeiten der staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Situation, in der sich dieses eigentümliche Staatswesen unter den eigentümlichen Bedingungen des Besatzungsstatuts nach der Besonderheit eines so ungewöhnlich verlorenen Krieges befindet, dazu benutzt hat, eine bestimmte außenpolitische Konzeption, die von dem Herrn Bundeskanzler dargelegt worden ist, zu verurteilen. Ja, meine Damen und Herren, so kann man doch nicht Politik machen! Ich glaube, es wird in den nächsten Jahren keine Regierung geben, möge sie aus einer Gruppe dieses Hauses kommen, wo sie sein mag, die an diesen Schwierigkeiten und an diesen Möglichkeiten der Auseinandersetzung vorbeikommt.

    (Sehr richtig!)

    Ich glaube weiter, man sollte — so ernsthaft und notwendig es ist, in diese verworrene Begriffswelt Klarheit hineinzubringen und allmählich zu fein geschliffenen Sätzen zu gelangen, mit denen man der Zwiespältigkeit der Zusammenhänge Herr wird - doch darauf verzichten, etwas, was im Grunde genommen unsere gemeinsame Aufgabe ist, nicht als Vorwand benutzen, um aus innenpolitischen Motiven eine Außenpolitik der Regierung zu verdammen und zu verdonnern.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien)

    Der zweite Sprecher der SPD-Fraktion hat sehr lange und sehr ergiebig von dem langwierigen Kampf um die Demontagen gesprochen.

    (Zuruf bei der SPD: Das war wohl unangenehm?) - Nein, das war uns keineswegs unangenehm; denn wir haben ja alle zusammen in irgendeiner Form an diesen Dingen und Auseinandersetzungen Anteil gehabt,


    (Sehr richtig! in der Mitte)

    und jeder von uns, ganz gleich, auf welcher Seite des Hauses jemand stehen mag, und ganz gleich, ob diesseits oder jenseits unserer Grenzen jemand auf diesem Gebiete für eine vernünftige Betrachtungsweise und für die Beseitigung eines Hemmnisses zwischen den Völkern und zwischen den verbindenden Kräften, die da wirksam werden müssen, gewirkt hat, — er verdient unsern Dank und unsere Anerkennung.

    (Bravo! in der Mitte.)

    Aber, meine Damen und Herren, wenn man schon die Mühsal dieses Kampfes schildert und wenn man alle rühmt, die auf diesem Gebiet gewirkt haben, warum soll man dann ausgerechnet denjenigen herabsetzen und dessen Leistungen mißbilligen, der nun in dieser Kette der Auseinandersetzungen und Kämpfe einen Schlußstein gesetzt hat?

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich glaube, meine Damen und Herren, daß diese Befangenheit der Betrachtung — so will ich mich einmal sanft ausdrücken — im Grunde genommen darauf beruht, daß man die Verschiedenartigkeit von Innen- und Außenpolitik zu wenig berücksichtigt. Der Inhalt der innenpolitischen Auseinandersetzung besteht nämlich darin, in einem Staatswesen, das durch ein bestimmtes staatliches Gewaltenzentrum, von einer Spitze geleitet und gelenkt werden kann, den Einfluß auf die Spitze zu gewinnen, um von dort aus den ganzen Umkreis des staatlichen Lebens in einem bestimmten Sinne beeinflussen oder beeindrucken zu können. Die Außenpolitik kennt keine derartige Spitze über den Völkern und Mächten, von der aus man die
    Geschicke der Völker dirigieren könnte, sondern das Verhalten der Völker zueinander und die Stellung des eigenen Volkes zwischen den Völkern beruht auf dem Verhältnis der anziehenden und abstoßenden Kräfte zwischen den Völkern und Mächten. Infolgedessen reden wir in der Außenpolitik immer wieder von einer Konstellation. Wir wenden also gewissermaßen die Vorstellung eines Sternbildes an, das ja durch die anziehenden und abstoßenden Kräfte zwischen den einzelnen Himmelskörpern des Sternbildes geformt wird und innerhalb dessen auch die innere Situation, das Klima, die Lage des einzelnen Gestirns von der Wirkung der anziehenden und abstoßenden Kräfte bestimmt ist. So gesehen bedeutet Außenpolitik etwas grundsätzlich anderes als Innenpolitik, weil sie zum Ziel haben muß, die Konstellation, nämlich das Verhältnis der anziehenden und abstoßenden Kräfte im Sinne des eigenen Volkes und im Sinne des Zusammenwirkens verschiedener Völker zu beeindrucken und zu beeinflussen.
    Wenn Sie davon ausgehen, meine Damen und Herren, müßte der Streit um eine außenpolitische Konzeption ganz anders aussehen als im bisherigen Verlauf dieser Debatte. Man hätte dann die Auseinandersetzung um die Frage führen müssen: soll man nun mit diesen oder jenen Mächten anziehende, zentripetale Kräfte lebendig machen; sollen wir uns aus der Isoliertheit lösen und in eine neue europäische Konstellation hineingehen? Die zweite Frage, die dann zur Erörterung steht, ist die: wie machen wir das? Und dann stellen wir fest: die Erweckung anziehender und abstoßender Kräfte zwischen den Völkern beruht ja zumindest auf dem Versuch und der Absicht, das Verbindende unter den Völkern lebendig zu machen, mit den verschiedensten Kräften in den verschiedenen Völkern Fühlung zu gewinnen. Das, was uns als außenpolitischer Willensausdruck eines Volkes entgegentritt, ist nicht der Meinungsausdruck irgendeiner Person oder irgendeiner Regierung, sondern ist eine Resultante aus einer Fülle von Kräften und Kreisen, die gegeneinander und miteinander gerungen haben, damit eine bestimmte außenpolitische Tendenz in Erscheinung tritt. Sehen Sie, das sind Zusammenhänge, die ungeheuerlich schwer zu berechnen sind. So ist eine Außenpolitik ohne ein hohes Maß von Intuition in der Abschätzung von psychologischen Elementen und Kräften überhaupt nicht denkbar. Eine Außenpolitik ist so niemals etwas, was allein als mechanische Apparatur beschlossen, diskutiert und ausgelöst werden kann, sondern Außenpolitik ist zunächst bis zu einem gewissen Grade Handlung und Haltung aus der Intuition, aus Ahnung und Empfindung, die aber durch eine starke ratio gehemmt und gebremst sind, aus der Vorstellungskraft einer Persönlichkeit entwickelt werden kann.

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Das hat gar nichts zu tun mit einer autoritären Regierungsweise oder etwa mit der Anerkennung neuer Führerideologien, sondern das bedeutet einfach nichts anderes als die Tatsache, daß die Demokratie nicht nur darin besteht, daß jeder oder alle über jedes reden. Demokratie bedeutet, daß man eine gute Funktionenteilung macht. Im Gegensatz zur Geschwätzdemokratie besteht eine Leistungsdemokratie darin, Vertrauenspersonen zu beauftragen, etwas Positives zu beginnen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



    (Dr. Schäfer)

    Wenn man mit solcher Wertung an die Dinge herangeht, erkennt man, daß man sich die außenpolitische Auseinandersetzung doch nicht so bequem machen darf, wie es vorhin geschehen ist. Es bedarf doch stärkeren Nachdenkens, um aus dem verwickelten Wesen der Außenpolitik Methoden abzuleiten und zu begründen und über sie zu entscheidender Betrachtung zu gelangen. Ich will damit gar nicht sagen, daß nun jede außenpolitische Angelegenheit unbedingt in der Art und Weise erledigt werden muß, wie das im vorliegenden Falle geschehen ist. Nicht zur Regel werden sollte die ganz überhetzte und überstürzte Art, in der unsere ganzen Arbeiten in diesem Hause oder in den Ausschüssen in dieser oder in anderen Fragen erledigt worden sind. Aber ich finde eigentlich, daß die Herren von der Opposition gar keinen Grund haben, sich in diesem Falle zu beklagen; denn sie sind es ja gewesen, die uns zweimal, nämlich vorige Woche und nun heute wieder veranlaßt haben, in einer überstürzten Weise in eine Aussprache einzutreten, anstatt uns zum Beispiel die Möglichkeit zu geben, die Einzelheiten sehr viel gründlicher. als es diesmal mög hen gewesen ist, in den Fraktionen und eventuell in den Ausschüssen in Einzelprüfungen zu untersuchen und zu beraten, um dann in der nächsten Woche in diese öffentliche Auseinandersetzung mit noch gründlicher gereiftem Urteil hineinzugehen.

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)

    Man kann nicht auf der einen Seite den Vorwurf eines autoritären Wirkens erheben, wenn man auf der anderen Seite selber geneigt ist, immer wieder den Wunsch nach einer überhasteten Art der Behandlung der politischen Kernfragen zum Ausdruck zu bringen.

    (Abg. Schoettle: Gewisse Risse zu flicken, dauert eben eine gewisse Zeit!)

    — Es handelt sich nicht um das Flicken von Rissen, sondern es handelt sich um die Vertiefung der Auffassungen. Unter der überhasteten Art der Auseinandersetzung leidet die Gründlichkeit wesentlich. Wenn Sie die Aussprache von heute abend betrachten, werden Sie feststellen können, daß mit wenigen Ausnahmen die Betrachtungen sehr oft an der Oberfläche hängengeblieben sind und auf die eigentliche Tragweite der außenpolitischen Zielsetzung in politischer und geschichtlicher Hinsicht weniger eingegangen worden ist.
    Meine Damen und Herren, ich will darum an die Sprecher der Opposition mit ein paar Gegenfragen herantreten. Sie haben sich nämlich nicht darüber geäußert, was denn nun anderes an die Stelle des bisher Getanen treten sollte. Man hat eingewendet: dies ist nicht richtig, und jenes paßt uns nicht. Aber über andere Möglichkeiten haben wir nichts gehört. Der eine der Herren Redner hat gesagt, er wünsche die totale Kooperation der Völker, denn diese halte er für besser. Ich glaube, wir sind alle der Meinung, daß sie erstrebenswert ist, nur meine ich, daß wir diese totale Kooperation nicht mit der Deklamation in diesem Hause, sondern durch eine langsame, mühsame und schrittweise außenpolitische Arbeit erreichen können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ein Redner hat die Hoffnung und Meinung ausgesprochen, daß die internationale Arbeiterbewegung ganz besonders für die Erreichung dieser Dinge geeignet wäre. Ich habe mich einmal in jungen Jahren sehr intensiv mit der Historie der
    Arbeiterbewegung beschäftigt. Ich hin der letzte, der das Maß an Hingabe, an Opferbereitschaft, an Mut nicht anerkennt, das durch die ganze, jetzt ein Jahrhundert dauernde Arbeiterbewegung in allen Ländern der Welt hindurchgegangen ist. Aber ich kann auch nicht übersehen, daß das, was seit einem Jahrhundert auf diesem Gebiet verkündet wird, in der Wirklichkeit wenig Garantien dafür zeigt, daß auf diesem Wege eine bessere und raschere Lösung dringlichster außenpolitischer Fragen gebracht werden könnte, als sie heute in dem Abkommen, das wir vorliegen haben, dargeboten wird.

    (Sehr richtig! bei der FDP. — Zuruf links: Die Arbeiterbewegung war ja die Voraussetzung!) Ich muß da sagen, da komme ich nicht mit.

    Aber etwas Weiteres. Wollen wir uns doch einmal nach all dem, was eingewandt worden ist, die Frage stellen: Was wäre, wenn? wenn dieses Abkommen nun nicht käme? Bitte, beantworten Sie die Frage! Wollten Sie bestreiten, daß zunächst die allgemeinen ethischen Gedanken oder,
    wir wollen sagen, die politisch-moralischen Gesichtspunkte, die in der Präambel und am Schluß dieses Abkommens genannt sind, nicht etwas Wesentliches bedeuten? Ich habe es jedenfalls angesichts seiner hemmenden Rückwirkung auf das deutsche Volk bei der Vertiefung und Verwurzelung des demokratischen Bewußtseins immer als besonders tragisch und schmerzlich in unserem Volk empfunden, daß die Siegermächte ihre Doktrin sich sehr bequem machten, indem sie den Unterschied zwischen Gut und Böse dem Verhältnis Sieger und Besiegte gleichsetzten. Diese Gleichung, meine Damen und Herren, ist durch dieses Abkommen aufgehoben, sie existiert nicht mehr.

    (Sehr richtig! bei der FDP.) Zu Recht hat sie überhaupt nie bestanden; aber nun hat sie ihre formelle Erledigung gefunden.


    (Bravo! rechts und in der Mitte.)

    Zum zweiten aber einige Fragen. Wollen Sie zum Beispiel darauf verzichten, die Teilnahme an internationalen Organisationen zu vollziehen? dem Europarat beizutreten, den internationalen Organisationen, die auf wichtigen Gebieten Dinge tun, von denen gerade das Schicksal deutscher Menschen in weitgehendem Maße abhängt? Wollen wir darauf verzichten, die Möglichkeit zu haben, nun zu Handels- und konsularischen Vertretungen zu gelangen? Dinge, die für ungeheuer viel Menschen, nicht etwa nur für den Außenhandel, sondern für viele Menschen, die irgendwelche ausländischen Interessen wahrzunehmen oder irgendwelche Beziehungen mit dem Ausland zu pflegen haben, die für das Schicksal von Deutschen im Ausland von außerordentlicher Tragweite sind. Ist das so ohne weiteres beiseitezuschieben und gering zu schätzen?
    Weiterhin der Beitritt zur Ruhrbehörde. Da ist vorhin gesagt worden, daß durch den deutschen Beitritt diese Ruhrbehörde erst virulent werden würde. Ich weiß nicht, ich habe aus ihrem Statut entnommen, daß sie durchaus funktionsfähig ist auch ohne das Vorhandensein Deutscher; bloß daß, wenn Deutsche nicht darin vorhanden sind, die Gefahr besteht, daß die Virulenz einseitig von wirtschaftlichen Kräften und wirtschaftlichen Interessen und unter Gesichtspunkten bewirkt wird, denen von deutscher Seite überhaupt nicht innerhalb der Institution mit dem nötigen Einfluß entgegengetreten werden kann. Ich bin der letzte,


    (Dr. Schäfer)

    der dies Institut der Ruhrbehörde zu verteidigen geneigt ist. Sie widerspricht in ihrer Anlage allem, was mir als ein entscheidendes Element meiner politischen Weltanschauung gilt; denn sie ist ein Element, das die freie Bewegung von Menschen, Gütern und Gedanken in aller Welt behindert. Ich habe in der Auseinandersetzung, die wir im Parlamentarischen Rat gehabt haben, diese Ruhrbehörde als eine Zitadelle der Zwangswirtschaft bezeichnet. Aber es steht nicht zur Entscheidung, ob wir dieses Institut schaffen sollen oder nicht, oder ob wir es in unserm Gebiet wirksam machen sollen oder nicht, sondern es handelt sich lediglich um die Entscheidung, ob Deutsche in dem Institut mitwirken sollen oder nicht, und das ist allerdings eine Zweckmäßigkeitsfrage. Mir will scheinen, daß die Mitwirkung von Deutschen in dieser Institution besser, immerhin aussichtsreicher für uns zu sein vermag als die Vertretung der deutschen Interessen durch irgendeinen Beauftragten der Besatzungsmächte oder durch die bloße Anwesenheit eines deutschen Beobachters.
    Da wir hier realistisch denken, wollen wir auch nicht vergessen: bei der Erwägung und Würdigung der Möglichkeiten, die das Abkommen gibt, wäre es völlig falsch, in ihm die Verwirklichung aller berechtigten Erwartungen zu sehen und sich etwa einzubilden, daß wir nun auf allen Gebieten unserer internationalen Beziehungen damit sofort eine allumfassende und durchgreifende Erleichterung erhalten. Wir sind durchaus der Meinung, daß ein gewisses Wagnis in diesem Entschluß des Bundeskanzlers liegt. Aber wir sind auch der Meinung, daß es aus dieser verfahrenen, bedrückten und beengten Situation, in die das fürchterliche Kriegsgeschehen und die Gewaltherrschaft der Vergangenheit unser deutsches Volk hineinmanövriert haben, nur einen Ausweg gibt: wenn auch auf dem Gebiet der Außenpolitik eine rege Initiative entwickelt wird. Und ich stehe nicht an zu erklären, daß wir dem Kanzler für die entwickelte Initiative durchaus Dank wissen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Ich frage mich dann weiter: Wollen Sie wirklich die ganzen Erleichterungen, die auf dem Gebiete der Demontage durch den eingeleiteten und heute einsetzenden Demontagestop eingetreten sind, einfach beiseiteschieben, bloß weil vielleicht der Schlußstein in der Kette der allzu langsamen Entwicklung nun durch eine Persönlichkeit gesetzt worden ist, die parteipolitisch dem einen oder andern nicht genehm ist? Es kann doch niemals der Sinn einer außenpolitischen Betrachtung sein, zu sagen: Ich stimme einer Außenpolitik nur dann zu, wenn ihr Repräsentant mir paßt. Ich muß auch einer außenpolitischen Entscheidung zustimmen, wenn mir die Person nicht paßt, aber wenn der Betreffende die Sache richtig macht.

    (Sehr gut! in der Mitte. — Abg. Schoettle: Darum geht es eben!)

    Oder denken Sie etwa an den Schiffsbau! Meinen Sie, es ist für viele Menschen, die im Schiffsbau beschäftigt sind, gleichgültig, ob dieses Abkommen zustande kommt oder nicht? Wollen Sie wirklich auf die Möglichkeit verzichten, für viele Menschen Arbeit und Brot zu schaffen und gewisse deutsche Techniken wieder zu entwickeln? Wollen Sie wirklich auf die Möglichkeit verzichten, gewisse Exporte wieder zu beginnen und damit zugleich Devisen zu verdienen oder zu sparen?
    Wollen Sie diese Möglichkeit nur deshalb ausschließen, weil Ihnen gewisse Formen der Auseinandersetzung, gewisse Methoden beim Zustandekommen des Abkommens nicht gefallen oder weil Sie die artistische Freude daran haben, in dem ganzen Rankengewirr, in dem Dschungel der staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Problematik, die uns eine unheilvolle Vergangenheit hinterlassen hat, herumzuklettern?
    Bemerkenswert gilt uns auch der Hinweis auf die Möglichkeit, den Kriegszustand zu beenden. Ist das alles so gering zu schätzen? Gewiß, es ist nicht ein Friedenszustand in dem Abkommen ausgesprochen. Aber der Weg zu einer Friedensordnung ist doch immerhin ermöglicht. Ich weiß nicht, ob man die Sätze so gering schätzen sollte, die am Schluß dieses Abkommens stehen und in denen gesagt ist, daß die Hohen Kommissare und der Bundeskanzler diese Niederschrift unterzeichnet haben in der gemeinsamen Entschlossenheit, die in der Präambel aufgestellten Absichten zu verwirklichen, und in der Hoffnung, daß ihre Abmachungen einen bedeutsamen Beitrag zur Einordnung Deutschlands in eine friedliche und dauerhafte Gemeinschaft der europäischen Nationen darstellen. Es ist wohl kaum jemand in diesem Hause, der sich zu diesem Ziel nicht bekennen möchte. Sollte man sich nicht einen Stoß geben können, angesichts dieser wichtigen Erklärung, die zum ersten Male durch ein gemeinschaftliches Abkommen zwischen den Vertretern dreier Besatzungsmächte und dem Repräsentanten der deutschen Regierung zustande gekommen ist, über all die kleinlichen Vorstellungen der innenpolitischen Eifersucht hinwegzugehen und hier ein gemeinsames Bekenntnis dieses Bundestags zu dem europäischen Frieden, zu der größeren Gemeinschaft der Völker auszusprechen und anzuerkennen, daß schließlich auf diesem Gebiet ein Beginn erreicht ist, der vor Monaten noch gar nicht möglich erschien? Wir sind doch alle an diesen neuen Staat mit Zweifeln herangegangen, und wir haben seine Möglichkeiten nicht zu hoch eingeschätzt. Aber ich glaube, es ist ein Element, das geeignet wäre, den Sinn und den Wert der Bundesrepublik in dem Bewußtsein weiter Schichten der Bevölkerung zu verwurzeln, wenn sie erkennt, daß hier auf außenpolitischem Gebiet in der Auseinandersetzung mit den Besatzungsmächten ein erster Schritt vorwärts getan ist. Daß weitere Schritte folgen müssen, daß wir nicht am Ende der Entwicklung sind, darüber kann nirgendwo ein Zweifel bestehen.
    Unendlich viel ließe sich über das sagen, was über das bisher Erreichte hinaus nützlich und wünschenswert wäre. Ich glaube aber, in dieser mitternächtigen Stunde sind Sie durchaus mit mir einig, wenn ich das heutige Abkommen nicht dadurch verlängere, daß ich lauter Vorschläge und Forderungen anmelde, die als Ergänzungs- und Erweiterungsmöglichkeiten wünschenswert wären.
    Ich weiß, es besteht bei den Parteien, die an dem Kabinett beteiligt sind, weitgehend Übereinstimmung darüber, daß sie sich auf den Boden dieses Abkommens stellen, dieses Abkommen bejahen und seine Notwendigkeit anerkennen. Aus diesem Grunde kann ich für meine Fraktion erklären, daß wir von der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers nicht nur Kenntnis genommen haben, sondern der Zielsetzung der Bundesregierung auf diesem Gebiet in vollem Umfange zustimmen.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)




Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Konrad Adenauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Mit Rücksicht auf die vorgerückte Zeit will ich mich auf möglichst wenige Worte beschränken.
    Ich möchte zunächst gegenüber Herrn Professor Baade feststellen, das Oppau nicht demontiert wird, sondern 40 Prozent von Oppau.
    Ich möchte weiter feststellen, daß in dem Abkommen die Stahlquote nicht neu festgesetzt wird. Es wird vielmehr lediglich gesagt, daß sich durch die Absetzung der Demontage an der Festsetzung der Stahlquote nichts ändert. Das ist ein großer Unterschied.
    Ich möchte ferner die Herren, die mich so kritisiert haben, fragen, ob sie sich darüber klar sind, daß, wenn nicht gehandelt worden wäre — und daß in dem Handeln wie in jedem Handeln eine gewisse Gefahr liegt, darüber war ich mir vollständig klar —, in spätestens drei Monaten die Demontagefrage erledigt worden wäre, weil dann nichts mehr dagewesen wäre.

    (Starker Beifall in der Mitte und rechts.)

    Wenn der Herr Kollege Baade meine Ausführungen aus dem Landtag von Nordrhein-Westfalen zitiert hat, so bitte ich ihn, auch zu zitieren, was ich im Dezember des vergangenen Jahres zu dem Ruhrabkommen gesagt habe. Ich habe damals gesagt: „Auf den Geist, mit dem das Ruhrabkommen ausgeführt wird, wird es ankommen."
    Ich hoffe, daß wir dafür sorgen können, daß es mit dem richtigen Geist ausgeführt wird. Herr Kollege Baade hat ferner gesagt: Wenn die Ruhrbehörde nur aus Arbeitnehmern bestünde, dann würde er den Beitritt Deutschlands zu der Ruhrbehörde zugestehen.

    (Widerspruch bei der SPD. — Zuruf: Das ist nicht gesagt worden!)

    — Es wurde soeben von diesem Platz aus gesagt. Ich dachte, ich hätte nicht zugehört.

    (Heiterkeit.)

    Aber, meine Damen und Herren, es bleibt ja bestehen, daß mir der Vorwurf gemacht worden ist, ich hätte einen zu teuren Preis durch Zugeständnisse bezahlt. Ich stelle fest : es ist ein einziges Zugeständnis gemacht worden, indem erklärt worden ist: Wir sind bereit, mit dem Sicherheitsamt zusammenzuarbeiten. Also genau das, was auch die Herren von der Opposition erklärt haben. Es ist weiter erklärt worden, daß wir entschlossen sind, die deutschen Stimmen in der Ruhrbehörde wahrzunehmen, damit die Ruhrbehörde im richtigen Geiste arbeitet.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Nun kann ich doch nicht umhin, Ihnen, meine Damen und Herren, Mitteilung von einer Depesche zu machen, die ich soeben bekommen habe. Sie werden aus dieser Depesche ersehen, daß es, Gott sei Dank, auch in Deutschland noch große und einflußreiche Organisationen gibt, die anders denken als die Vertreter der Opposition. Ich erhalte soeben folgendes Telegramm aus Düsseldorf, und zwar eine Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum deutsch-alliierten Abkommen.
    In dem soeben veröffentlichten deutsch-alliierten Protokoll sei ein ernsthaftes Bemühen der Alliierten zu erkennen, den deutschen Bedürfnissen entgegenzukommen, heißt es in
    einer ersten Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

    (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: Was sagt das? — Abg. Dr. Schumacher: Na und?)

    Eine Reihe von Problemen bleibe jedoch leider nach wie vor bestehen. Es würde deshalb die vornehmste Aufgabe aller berufenen Stellen sein müssen, den arbeitenden Menschen, die weiterhin durch die Demontage bedroht seien, die Sorge um ihre Existenz zu nehmen.

    (Sehr richtig! links. Abg. Dr. Schumacher: Na und?)

    — Einen Augenblick! Es fragt sich, ob Sie gleich auch noch „Sehr richtig!" sagen. Die Hauptsache kommt nämlich.

    (Heiterkeit.)

    Obwohl das deutsch-alliierte Abkommen nicht in allen Teilen befriedige, sei nach Ansicht der Gewerkschaften eine Mitarbeit der Bundesregierung in der internationalen Ruhrbehörde richtig.

    (Anhaltender lebhafter Beifall rechts und in der Mitte. — Abg. Dr. Schumacher: Das ist doch nicht richtig! — Unruhe.)

    — Ich werde Ihnen den Satz nochmals vorlesen.

    (Abg. Dr. Schumacher: Wer hat das unterzeichnet?)

    Obwohl das deutsch-alliierte Abkommen nicht in allen Teilen befriedige, sei nach Ansicht der Gewerkschaften eine Mitarbeit der Bundesregierung in der internationalen Ruhrbehörde richtig. Dies vor allem, weil es scheine, als seien die Befürchtungen in bezug auf Artikel 31 des Ruhrstatuts gegenstandslos geworden. An den Beitritt der Bundesregierung knüpften die Gewerkschaften die Erwartung, daß in der Folge die Schwerindustrie Europas in den Arbeitsbereich der Ruhrbehörde einbezogen werde.

    (Beifall in der Mitte und rechts. — Abg. Dr. Schumacher: Wer hat das Telegramm unterzeichnet? — Zuruf links: Gezeichnet „Adenauer"! — Heiterkeit bei der SPD und bei der KPD. — Abg. Dr. Schumacher: Ein Telegramm in indirekter Rede! Morgen bekommen Sie die Antwort! — Abg. Dr. Wuermeling: Die Diktatur der SPD über die Gewerkschaften! — Weitere Zurufe. — Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)

    Dieses Telegramm ist eine Meldung der „United Press" aus Düsseldorf.

    (Lachen links. — Zurufe links: Aha! — Bestellt! — Von Adenauer! — Abg. Dr. Schumacher: In indirekter Rede! — Unruhe, — Glocke des Präsidenten.)

    — Ich weiß nicht, warum man sich da so ereifert.

    (Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)

    Ich habe Ihnen ein Telegramm der „United Press" vorgelesen.

    (Abg. Dr. Schumacher: Sie haben doch gesagt, Sie hätten ein Telegramm der Gewerkschaften bekommen!)

    — Ich habe das Telegramm wörtlich vorgelesen, Herr Dr. Schumacher.

    (Zuruf von der SPD: Das ist ja kein Telegramm; das ist eine Agenturmeldung! — Weitere Zurufe. — Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)