Rede von
Fritz
Schäffer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Hohes Haus! Gleichzeitig im Namen des Herrn Bundesministers für Wirtschaft, der die Verhandlungen mit den Vertretern der Stadt Berlin vorbereitet und geführt hat, darf ich über das Ergebnis dieser Besprechungen folgendes mitteilen. In der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 20. September 1949 ist besonders auf die Stadt Berlin Bezug genommen. Es heißt dort: „Unsere besondere Fürsorge gilt der Stadt Berlin". Nachdem dann von den bisherigen Leistungen Westdeutschlands für Berlin gesprochen wurde, ist betont worden, es sei unbedingt notwendig, daß wir unter keinen Umständen Berlin im Stiche lassen und beschleunigt über den Fortgang und den Umfang der Hilfsmaßnahmen für Berlin, und zwar nicht ausschließlich durch Gewährung von finanziellen Zuschüssen, beraten und beschließen.
Was in der Regierungserklärung gesagt worden ist, ist in den letzten Tagen geschehen. Nachdem schon vor Wochen Besprechungen mit dem Stadtkämmerer von Berlin und anderen Herren über die Haushaltsfrage stattgefunden hatten und nachdem die Mitglieder des Kabinetts, Herr Bundesminister Kaiser und Herr Bundesminister Heinemann, sich an Ort und Stelle über die Lage in Berlin unterrichtet hatten, ist in den letzten Tagen auf Anregung und Wunsch des Herrn Reichskanzlers —
— des Herrn Bundeskanzlers eine Abordnung maßgebender Berliner Persönlichkeiten unter Führung des Herrn Oberbürgermeisters Reuter in Bonn gewesen, um gemeinsam mit dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft Vorschläge für Hilfsmaßnahmen zugunsten Berlins zu machen und die Durchführung dieser Vorschläge mit der Bundesregierung zu besprechen. Diese Vorschläge entsprechen vielfach den Grundgedanken der Anträge, die dieses Hohe Haus zu dieser Frage eingebracht hat. Ich darf diese Vorschläge und die Stellung der Bundesregierung bekanntgeben.
Eine deutsche Stadt, die eine Insel ist inmitten eines Wirtschaftsgebiets, das von der Elbe bis zum Gelben Meer reicht, eine deutsche Stadt, die all den wirtschaftlichen und seelischen Einflüssen des sie umbrandenden Meeres ausgesetzt ist, will dem Gedanken Deutschland und dem Gedanken der deutschen Demokratie treu bleiben. Entscheiden wird die seelische Stärke der Bevölkerung.
Diese seelische Stärke darf nicht durch wirtschaftliche Not, durch Arbeitslosigkeit, durch Verarmung
gebrochen werden. Berlin braucht wirtschaftliche Hilfe. Die Bundesregierung erkennt es als Pflicht an, alles mögliche zu tun und der Deutschen Bundesrepublik alle tragbaren Opfer zuzumuten, soweit sie notwendig sind und geeignet erscheinen, unsere deutschen Brüder in Berlin zu unterstützen, ihnen das Vertrauen auf ihre Sache zu erhalten und ihnen die Hoffnung auf den Sieg ihrer Gedankenwelt zu geben.
Die wirtschaftliche Hilfe scheidet sich in zwei Gebiete: a) in die budgetäre Hilfe, das heißt in die Hilfe, um den Haushalt Berlins auszugleichen, b) in wirtschaftspolitische Hilfsmaßnahmen, die das Ziel haben, die in Berlin seit der Währungsumstellung und seitdem die über GARIOA-Mittel gegebene wirtschaftliche Unterstützung ein Ende gefunden hat, als drohendes Gespenst aufgetauchte Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Ich möchte vorausschicken, daß bei den Verhandlungen, die in den letzten Tagen stattgefunden haben, beide Teile den Beweis des guten Willens erbracht haben. Ich bin den Vertretern der Stadt Berlin besonders dafür dankbar, daß sie selbst betont haben, daß sie das Ihre tun werden, damit die Unterstützung aus der Deutschen Bundesrepublik gewissenhaft und wirksam für die Belebung der Berliner Wirtschaft verwendet werden.
Die Herren Vertreter der Stadt Berlin haben erklärt, daß sie bereit sind, sich nach dieser Richtung jeder Kontrolle zu unterwerfen. Diese Erklärung wurde von ihnen aus freien Stücken abgegeben; sie wurde abgegeben, weil sie menschlich wohl die Überzeugung gewonnen hatten, daß auch die Vertreter der Bundesregierung den besten Willen gezeigt haben, zu tun, was nur möglich ist.
In Besprechungen, die den Verhandlungen der letzten Tage vorausgegangen sind, war dem Herrn Stadtkämmerer von Berlin bereits mitgeteilt worden, welche Haushaltsmittel für die nächsten Monate bis zum Schluß des Etatsjahres, also bis zu dem Zeitpunkt, da der Bund seine ihm nach dem Grundgesetz zugewiesenen Steuern und damit auch die entsprechenden Kriegsfolgelasten übernimmt, an Berlin mit Hilfe der deutschen Länder gegeben werden können, die diese Steuern heute noch beziehen und die Kriegsfolgelasten tragen. Ich glaube sagen zu dürfen, die Vertreter Berlins haben auch bei diesen Besprechungen anerkannt, daß die Deutsche Bundesrepublik diese Mittel unter Anspannung aller Kräfte gegeben hat und das Bestmögliche leistet.
Das Hauptgewicht wurde in all den Besprechungen auf die wirtschaftspolitischen Maßnahmen gelegt, die das Ziel haben, die Arbeitslosigkeit in Berlin zu bekämpfen und dem Wirtschaftsleben der Stadt Berlin wieder frisches Blut zuzuführen. Sie bestehen in folgenden Maßnahmen:
1. Vergebung öffentlicher Aufträge. Die Stadt Berlin soll als Notstandsgebiet im Sinne des § 24 Absatz 3 Satz 3 der Verdingungsordnung für Leistungen erklärt werden. Auch bei der Vergebung nach der Verdingungsordnung für Bauleistungen der Beschaffungsstellen des Bundes soll Berlin bevorzugt berücksichtigt werden. Es sollen dabei Richtlinien aufgestellt werden über Art und Ausmaß der Bevorzugung Berliner Firmen. Die Bundesregierung wird weiter beim Bundesrat den Antrag stellen, der Bundesrat möge den Landesregierungen empfehlen, die für die Beschaffungsstellen des Bundes getroffene Regelung bei den betreffenden Stellen der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, sowie sonstigen dem Einfluß der
Landesregierungen unterstehenden öffentlichen Stellen zur Anwendung zu bringen. Die Bundesregierung will weiter bei den Hohen Kommissaren beantragen, daß sie die Beschaffungsstellen der Besatzungsmacht veranlassen, bei ihren Vergebungen die Berliner Wirtschaft bevorzugt zu berücksichtigen. Der deutschen Kohlenbergbaustelle und dem Stahltreuhänderverband wird empfohlen werden, die ihnen angegliederten Betriebe anzuhalten, ebenfalls bei ihren Vergebungen die Berliner Wirtschaft bevorzugt zu berücksichtigen. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau wird ersucht werden, den Kreditnehmern nahezulegen, bei den im Rahmen der Investitionskredite zu vergebenden Aufträgen die Berliner Wirtschaft bevorzugt zu berücksichtigen. Der Bundesminister für Wirtschaft wird darauf hinwirken, daß eine Bundesausgleichsstelle für öffentliche Aufträge eingerichtet wird, der die an die Berliner Wirtschaft zu vergebenden Aufträge von den betreffenden Stellen mitgeteilt werden. Die Bundesausgleichsstelle gibt dann der von der Berliner Wirtschaft errichteten Auftragsstelle Berlin von diesen Aufträgen Kenntnis. Die Auftragsstelle wird im Benehmen mit dem Magistrat Berlin darüber wachen, daß diese Aufträge sowie die daraus hervorgehenden Unteraufträge, soweit überhaupt nur die Möglichkeit dazu besteht, in den Westsektoren von Groß-Berlin ausgeführt werden.
2. Wirtschaftliche Aufträge anderer Art: Um nicht nur die Vergebung von öffentlichen Aufträgen, sondern die Vergebung aller Art wirtschaftlicher Aufträge nach Berlin zu fördern, wird die Bundesregierung vorschlagen, zur Förderung von Bezügen aus den Westsektoren von Berlin Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen bis zum Betrage von 50 Millionen D-Mark nach Richtlinien zu übernehmen, denen der Ausschuß Berlin des Deutschen Bundestags zugestimmt haben wird. Der IndustrieAusschuß West-Berlin wird im Benehmen mit dem Magistrat dem Bundesminister für Wirtschaft einen Entwurf solcher Richtlinien vorlegen; damit übernimmt die Bundesrepublik die Deckung des von der Wirtschaft vielfach im Warenverkehr befürchteten politischen Risikos, das ein Hemmnis für die Erteilung von Aufträgen nach Berlin gewesen ist. Der Bundesminister der Finanzen wird wegen der Art der Garantieleistungen mit der Bank deutscher Länder sofort ins Benehmen treten.
3. Der Bundesminister der Finanzen hat sich auch zur besonderen Förderung und zur Gestaltung eines Anreizes, Waren aus Berlin zu beziehen, bereit erklärt und wird eine Gesetzesvorlage einbringen, die dem Bezieher von Waren aus Berlin ermöglichen soll, die Waren umsatzsteuerfrei in den Verkehr zu bringen. Der Magistrat Berlin hat außerdem um die Ermächtigung nachgesucht, bei bestimmten Steuern an Berlin Steuererleichterungen zu gewähren mit dem Ziel, die Produktion und den Absatz von Waren nach dem Gebiet der Deutschen Bundesrepublik zu erleichtern und zu fördern. Diese Steuerermächtigungen sollen im Benehmen und im Einverständnis mit dem Bundesminister der Finanzen erteilt werden. Dieser hat sein Einverständnis von vornherein dafür gegeben, daß alle Steuererleichterungen, die in dem Gebiet der Deutschen Bundesrepublik heute bereits bestehen und in Berlin noch nicht in Kraft sind, auf Berlin übernommen werden. Durch diese Maßnahmen soll auch ein besonderer Anreiz für Investitionen in Berlin und dafür geschaffen werden, daß Betriebe, die aus Berlin herausverlegt worden sind, wieder nach Berlin zurückkehren.
4. Der Bundesminister für Wirtschaft wird vorschlagen, aus Gegenwerten der Europa-Hilfe sobald als möglich für Investitionen in Industrie, Handel und Handwerk einen Betrag von 40 Millionen, für Wohnungsbauvorhaben einen Betrag von 50 Millionen D-Mark zur Auszahlung zu bringen.
5. Die vom Magistrat beim Deutschen Kohlenverkauf in Anspruch genommenen Kredite für die Kohlenbevorratung, die von alliierter Seite für Berlin angeordnet war, in Höhe von 37 Millionen D-Mark sollen möglichst bis zum Beginn des nächsten Haushaltsjahrs dadurch finanziert werden, daß der Magistrat Berlin dem Deutschen Kohlenverkauf Handelswechsel unter gleichzeitiger Übernahme der selbstschuldnerischen Bürgschaft zur Verfügung stellt und daß die Bank deutscher Länder diese Wechsel diskontiert und einmal prolongiert.
Der Magistrat verpflichtet sich dagegen, alle Erlöse, die aus dem Verkauf dieser Kohlenvorräte erzielt werden, ohne Einschränkung zur Abdeckung des Kredits zu verwenden. Der Bundesminister der Finanzen wird mit der Bank deutscher Länder sofort ins Benehmen treten mit dem Ziel,
die endgültig. Abdeckung des nach Abzug derartiger Verkaufserlöse verbleibenden Betrags durch
einen Kredit zu ermöglichen, der dann im Haushalt 1950/51 der Bundesrepublik einzusetzen wäre.
6. Der Magistrat Berlin beabsichtigt, die sogenannten Uraltkonten, also die Spar- und Girokonten, die im Mai 1945 durch die sowjetische Besatzungsmacht gestrichen worden sind, ähnlich der Umstellung, die in Westdeutschland für Konten dieser Art bereits geschehen ist, mit 5 Prozent aufzuwerten. Die Rückzahlung des aufgewerteten Betrags soll bei Girokonten auf 3 Jahresraten und bei Sparkonten auf 5 Jahresraten verteilt werden. Die so entstandenen Forderungen sollen mobilisiert und in Form von Investitionskrediten der Berliner Wirtschaft zugeführt werden. Der erforderliche Bedarf für das erste Jahr ist dabei bei Girokonten mit 60 Millionen D-Mark, bei Sparkonten mit 14 Millionen D-Mark veranschlagt. Es sollen jedoch nur solche Guthabenbesitzer berücksichtigt werden, die ihren Wohnsitz und ihren Geschäftssitz in den Westsektoren von Berlin haben. Zu diesem Jahresbedarf von 74 Millionen D-Mark sollen außerdem noch Ausgleichsforderungen an den Berliner Magistrat im Betrage von etwa 100 Millionen D-Mark, über die die Berliner Kreditinstitute bereits verfügen, mobilisiert werden, um mittelfristige Betriebskredite zu gewähren und den Ankauf von Berliner Schuldverschreibungen — Steuergutscheinen — durchführen zu können. Um dies zu ermöglichen, ist eine Rückdeckung bei der Bank deutscher Länder erforderlich. Die Bank -deutscher Länder hat sich bereit erklärt, im Benehmen mit der Zentralbank Berlin diese Frage zu prüfen und sie in den nächsten Tagen bereits zur Entscheidung zu bringen.
7. Daneben sollen noch die Hohen Kommissare ersucht werden, die Ausstellung von Interzonenpässen für den Reiseverkehr aus dem Gebiet der Bundesrepublik nach Berlin zu erleichtern.
Das sind die Vorschläge, die die Vertreter der Stadt Berlin gemacht und die die Unterstützung der Bundesregierung gefunden haben.
Die Bundesregierung darf zusammenfassend die Hoffnung aussprechen, es möchte im gesamten deutschen Volk die Frage Berlin mit demselben Ernst und derselben inneren Wärme betrachtet werden — hoch über allen Parteigegensätzen —,
wie es im Geiste der Verhandlungen gelegen hat. Die Deutsche Bundesrepublik übernimmt neue Leistungen, sie übernimmt damit Opfer; sie übernimmt sie, weil sie die Opfer, sieht, die die Berliner Bevölkerung um des deutschen Gedankens willen in noch viel höherem Maße zur Zeit trägt und leider noch länger tragen muß. Sie übernimmt diese Opfer, weil sie sich überzeugt hat, daß die Vertreter Berlins den ehrlichen Willen Berlins gezeigt haben, mit der Deutschen Bundesrepublik zusammenzustehen, um diese Hilfsmaßnahmen vor Mißbrauch und Ausnützung zu schützen und denen zugute kommen zu lassen, für die sie bestimmt sind, den braven, tapferen Brüdern und Schwestern in Berlin.