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ID0101208600

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    Deutscher Bundestag - 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Oktober 1949 259 12. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 20. Oktober 1949. Geschäftliche Mitteilungen . . 260A, 269B, 506D Niederlegung des Mandats durch die Abgeordneten Dr. Amelunxen u. Dr. Hilpert 260B Ausscheiden des Abgeordneten Dr. Dorls aus der Gruppe der Nationalen Rechten . 260B Interfraktioneller Antrag, betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Drucksache Nr. 112) 260B, 267D Erste Beratung des Amnestiegesetzes (Antrag der Zentrumsfraktion, Drucksache Nr. 17) 260C Dr. Reismann (Z), Antragsteller . 260C Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 262A Kiesinger (CDU) . . . . . 262C, 263C Dr. Arndt (SPD) 262D Erste Beratung des Gesetzes über Bundesfarben und Bundesflagge (Antrag der Zentrumsfraktion, Drucksache Nr. 25) . 263C Dr. Reismann (Z), Antragsteller . 263D Farke (DP) 264C Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 265C Kiesinger (CDU) . . . . . . . 266B Interfraktioneller Antrag, betr. Ausschluß der Öffentlichkeit bei Ausschußberatungen (Drucksache Nr. 113) 268A Dr. von Brentano (CDU), Antrag- steller 268A Renner (KPD) . . . . . . . . 268B Antrag der Fraktion der DP, betr. Wiederherstellung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung (Drucksache Nr. 43) . 269C Frau Kalinke (DP), Antragstellerin 269C Richter (SPD) 269D Arndgen (CDU) 270A Dr. Wellhausen (FDP) . . . . . 270B Antrag der Fraktion der DP, betr. Kündigungsschutz für ältere Angestellte (Drucksache Nr. 37) 270C Frau Kalinke (DP), Antragstellerin 270D, 271D, 272A, B Blank (CDU) 271A, B, 272A Richter (SPD) . . . . . . . . 271B Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers 271C Dr. Schäfer (FDP) 271C Antrag der Abg. Ollenhauer und Gen., betr. Heimarbeitsgesetz (Drucksache Nr. 75) 272B Frau Döhring (SPD), Antragstellerin 272B Karpf (CDU) 272D Antrag der Abg. Ollenhauer und Gen., betr. Mutterschutzgesetz (Drucksache Nr. 79) 273A Frau Kipp-Kaule (SPD), Antragstellerin 273 A Frau Niggemeyer (CDU) 273B Storch, Bundesminister für Arbeit 273C Frau Thiele (KPD) . . . . . . 273D Frau Kalinke (DP) . . . . . . 273D Anträge der Fraktionen der KPD und der DP und der Abg. Ollenhauer und Gen., betr. sozialen Wohnungsbau (Drucksachen Nr. 10, 39 und 73) . . . . . . . . 274A Paul (KPD), Antragsteller 274B Frau Kalinke (DP) . . . . . . 275C Stierle (SPD) 275D Wirths (FDP) 277C Etzel (CDU) . . . . . . . 2'79D, 284C Dr. Etzel (BP) . . . . . . . . 282B Wildermuth, Bundesminister für Wohnungsbau 283A Anträge der Fraktion der CDU/CSU, der Abg. Ollenhauer u. Gen., der Abg. Goetzendorff u. Gen. und der Fraktion der BP, betr. Heimatvertriebene, Flüchtlinge und in Polen und in der Tschechoslowakei lebende Deutsche (Drucksachen Nr. 61, 74, 77, 88 und 78) . . . . . . . . 284D Ollenhauer (SPD) (zur Geschäftsordnung) 284D Kuntscher (CDU), Antragsteller . 285A Reitzner (SPD), Antragsteller . . 286D Unterbrechung der Sitzung . 288B Dr. Ziegler (BP) 288C, 289C Goetzendorff (WAV) . . . . . 288D Dr. Trischler (FDP) 291A Müller, Oskar (KPD) 293C Albertz, Niedersächsischer Minister für Flüchtlingswesen . . . . . . 295A Renner (KPD) (zur Geschäftsordnung) 295D Krause (Z) . . . . . . . . . 296A Clausen (SSW) 299A Donhauser (BP) . . . . . . . 299B Dr. Lukaschek, Bundesminister für Angelegenheiten der Vertriebenen . 300B Mündlicher Bericht des Ausschusses für Heimatvertriebene über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU, betr. bevorzugte Einstellung von Heimatvertriebenen beim Aufbau d. Bundesbehörden (Drucksachen Nr. 29 und 93) 301A Höfler (CDU), Berichterstatter . 301B Dr. Seelos (BP) . . . . . . . 301C Dr. Kather (CDU) 302D Antrag der Fraktion der KPD, betr. Ruhrstatut (Drucksache Nr. 5) . . . . . . . 302C Rische (KPD), Antragsteller . . . . 302C Antrag der Fraktion der KPD, betr. Besatzungskosten (Drucksache Nr. 8) . . . 304D Rische (KPD), Antragsteller . . . . 304D Antrag der Fraktion der CDU/CSU, betr. Maßnahmen für im Ausland zurückgehaltene Deutsche (Drucksache Nr. 60) . . 306C Nächste Sitzung 306D Die Sitzung wird um 9 Uhr 13 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Ernst Kuntscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Drucksache Nr. 61 beinhaltet einen Antrag, die Regierung zu ersuchen, ein Gesetz einzubringen, um eine gerechte Verteilung der Heimatvertriebenen in den elf Ländern der Bundesrepublik durchzuführen. Es liegen eine Anzahl von Anträgen vor, die diese Materie im gleichen Sinne behandelt haben möchten. Es ist Ihnen allen bekannt, daß seit Monaten ein Gespräch zwischen den Flüchtlingsverwaltungen der elf deutschen Länder geführt wird, um diesem Problem beizukommen Sie wisse daß seit Monaten eine Konferenz die andere jagt. Wir müssen aber feststellen, daß wir über das bisherige Ergebnis schwer enttäuscht sind. Man hat sich darauf geeinigt, die Umsiedlung von 120 000 Vertriebenen aus den drei überbesetzten Ländern: Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern nach einem Schlüssel 2 zu 1 zu 1 durchzuführen. Dieses Programm ist nach langen bürokratischen Komplikationen heute zu 20 Prozent erledigt. Die Umsiedlung ist lediglich abgeschlossen nach dem Land Württemberg-Hohenzollern; die Aktion nach dem Land Südbaden ist im Laufen, die Aktion nach dem Land RheinlandPfalz kann nicht in Fluß kommen. Dabei handelt es sich um eine derart brennende Frage für die überbelasteten und übersetzten Länder, daß tatsächlich so schnell wie möglich etwas geschehen muß.
    Die Länder an der Grenze haben durch die Umsiedlung der vorher genannten 20 Prozent des ersten Umsiedlungsprogramms keine Entlastung erfahren. Das liegt daran, daß ja der laufende Zustrom aus der Ostzone viel größer ist als die mäßige Abgabe, die die Umsiedlungsaktion bisher gebracht hat. Meine Damen und Herren, ich spreche hier nicht aus der Peripherie, sondern ich stehe mitten drin in diesen Sorgen des Landes Niedersachsen. Lassen Sie mich aus der Kenntnis dieser Dinge einige Zahlen nennen. Das Land Niedersachsen ringt in seiner Landesverwaltung, im Flüchtlingsministerium, in den Kreisen und in den Gemeinden seit Monaten darum, wie es dieser ungeheuren Sorge Herr werden kann, die durch den dauernden Zustrom aus dem Osten erwächst. Das Land Niedersachsen hat im Juli d. J. zu einer harten und drastischen Maßnahme greifen müssen: zur zeitweisen Schließung des Übergangslagers Uelzen. Wir haben uns im Flüchtlingsausschuß des Landtags Niedersachsen und im Niedersächsischen Landtag nur schweren Herzens zu dieser Maßnahme entschlossen, aber wir mußten es tun, um dadurch die anderen Länder an ihre Solidaritätspflicht zu mahnen, ihnen zuzurufen, daß sie teilhaben müssen an dieser Not unserer deutschen Menschen, die aus dem Osten kommen, die an Leib und Seele gefährdet sind und im Westen eine Zuflucht suchen. Wir im Lande Niedersachsen waren nicht mehr in der Lage, sie unterzubringen.
    Dann kam die Übernahme des Lagers Uelzen durch die Länderkommission. An dieser Kommission sollten alle Länder beteiligt sein, aber bis heute sind es erst acht von den elf Ländern. Man einigte sich schließlich darauf, daß monatlich 2800 Flüchtlinge aus der Ostzone aufgenommen werden sollen. Die Verteilung sollte wieder nach einem anderen Schlüssel erfolgen. Was aber hat sich inzwischen ergeben? Seit den Tagen, da der eigene Oststaat ausgerufen wurde, beträgt der tägliche Zustrom im Lager Uelzen zwischen 500 und 700 Personen. Die Not ist unerhört groß. Die Quote von 2800, die monatlich aufgenommen werden können, ist in wenigen Tagen erschöpft. Nun besteht die ungeheure Sorge, wo und wie die anderen Menschen, die da herüberkommen und nicht registriert werden oder nicht registriert werden können, untergebracht werden sollen. Sie gehen auch trotz Abweisung nicht mehr zurück und versickern zu Tausenden illegal in den Ländern an der Zonengrenze und werden durch diese Illegalität auch zu einer großen Gefahr.
    Das sind Fragen, die alle Deutschen heute berühren. Es dürfen nicht Fragen und Sorgen des einen oder anderen Grenzlandes bleiben. Was sich in Uelzen abspielt, spielt sich in gleichem Maße im Durchgangslager Gießen, im Durchgangslager Moschendorf und auch im Lager Friedland in Niedersachsen ab. Wenn ich dann noch das Lager Poggenhagen erwähne, in dem Jugendliche unter 18 Jahren, die die 600 Kilometer lange Grenze Niedersachsens aus der Ostzone überschreiten, aufgenommen werden, die nicht überprüft werden, so können Sie ermessen, wie ungeheuer groß die Not ist, die zu einem Ausgleich der Vertriebenen und einer gerechten Verteilung auf alle Länder drängt.
    Diese gerechte Verteilung ist aber noch aus einem anderen Grunde äußerst dringend und notwendig. Die Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben heute einen Vertriebenenanteil an der Gesamtbevölkerung, der im Landesdurchschnitt zwischen 38 Prozent - bei Schleswig-Holstein — und 33 Prozent — bei Niedersachsen — liegt. Die nördlich gelegenen Landkreise Niedersachsens sind aber zu 45 bis 50 und teilweise sogar über 50 Prozent mit Flüchtlingen belegt. Diese Gebiete waren in normalen Zeiten rein landwirtschaftliche Gebiete, wo 70 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebten und nur 30 Prozent in der gewerblichen und industriellen Wirtschaft beschäftigt waren. Die Industrie dieser Landstriche in Schleswig-Holstein und an der Wasserkante, also das Gebiet an der Küste von Emden über Wilhelmshaven, Cuxhaven bis Kiel, war zum großen Teil die Industrie des Schiffsbaus für die Kriegsmarine und Handelsschiffahrt, oder es waren Zubringer-Industrien für die Werften. Diese industriellen Bezirke sind heute zerstört, gesprengt, sie existieren nicht mehr. Was an Ersatzindustrien hingebracht wurde, reicht bei weitem nicht aus, um die Menschen, die in dieses Gebiet hineingepreßt wurden, auch nur zum Bruchteil zu beschäftigen. Es gibt nur die eine Möglichkeit: Umsiedlung, um die Not und die Verbitterung, die in diesen Gebieten herrschen, zu mildern.
    Lassen Sie mich zum Schluß als Begründung unseres Antrags noch eines kurz berühren. Wir bemühen uns als Deutsche um die Lösung dieses Problems. In der Aussprache zur Regierungserklärung wurde von fast allen Rednern aller Parteien das Flüchtlingsproblem aufgegriffen, und bei-


    (Kuntscher)

    nahe alle haben erklärt, daß dieses Problem nicht zur Gänze aus deutscher Kraft allein gelöst werden kann, sondern daß wir die Hilfe der Welt in Anspruch nehmen müssen. Tatsächlich haben Menschenfreunde aus allen Nationen dieses Problem auf der Weltbühne zur Sprache gebracht. Das Gespräch über diese Schicksalsfrage wird nicht mehr verstummen. Kirchliche Organisationen, Kirchenfürsten und Staatsmänner haben Großes getan, damit diese Frage in der westlichen Welt in ihrem vollen Ausmaß bekannt wird. Menschen, die zu den Stämmen der Vertriebenen gehören, haben draußen in der Welt von unserem Schicksal und dem bitteren Unrecht, das an uns begangen wurde, Kunde gegeben, und sie haben Gehör gefunden. Wir hoffen, daß diese Hilferufe nicht vergebens sind.
    Aber haben oder hätten wir als Deutsche ein Recht,' die Hilfe der Welt in diesem Maße in Anspruch zu nehmen, wenn wir nicht aus eigener Kraft alles unternehmen, um die Not zu mildern? Wie können wir von den anderen Verständnis für unsere Sorgen fordern, wenn wir nicht in der Lage wären, die Solidarität aller deutschen Länder bei der Ordnung dieser brennenden Aufgabe zu schaffen? Ist wirklich der gute Wille, eine gleichmäßige Verteilung der Lasten unter den Ländern herbeizuführen, vorhanden, dann wollen wir nicht nur reden, sondern wir sollten so schnell wie möglich handeln. Dieses schnelle Handeln muß sich bei allen bezughabenden Instanzen durchsetzen.
    Wie Sie aus unserem Antrag ersehen, stellen wir uns den Ausgleich auf der Grundlage der Freiwilligkeit vor, das heißt ohne Zwang. Wir sind hier mit einem ähnlichen Ausgleichsantrag, der von der Bayernpartei kommt, Drucksache Nr. 23, nicht einverstanden. Dieser Antrag möchte wieder eine Kategorisierung der umzusiedelnden Menschen einführen. Der BP-Antrag fordert: die Heimatvertriebenen, die aus dem Gebiet ostwärts der OderNeiße-Linie stammen, sollen nach Norddeutschland, diejenigen, die aus dem Sudetenland oder aus Südosteuropa kommen, sollen in die süddeutschen Länder eingewiesen und umgesiedelt werden. Ich brauche gar nicht darauf hinzuweisen, daß die Durchführung dieser Idee unmöglich ist; denn es wäre ja ein Wahnsinn, heute 1 Million Schlesier, Pommern oder Ostpreußen, die in Süddeutschland leben, nach Norddeutschland umzusetzen.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr richtig!)

    Dieser Antrag riecht mir etwas nach den einstigen
    Rassegesetzen, die wir von Nürnberg kennen, steht
    auch im Widerspruch mit den Bestimmungen des
    Grundgesetzes über die Freiheit der Menschen,

    (lebhafte Zustimmung)

    und von diesen Dingen distanzieren wir uns, das
    sei hier ganz offen ausgesprochen, denn wir sind
    Deutsche unter Deutschen und wollen es bleiben!

    (Bravorufe und Händeklatschen in der Mitte.) Wir lehnen diese Kategorisierung absolut ab, dieses Auseinanderreissen der deutschen Stämme oder dieses Ausspielen der Stämme gegeneinander.


    (Lebhafte Zustimmung.)

    Wir wollen unter keinen Umständen, daß irgendwie noch einmal eine Verfemung gewisser deutscher Volksgenossen eintritt.

    (Erneute lebhafte Zustimmung.)

    In diesem Sinne nehmen wir entschieden gegen den Antrag der Bayernpartei in dieser Fassung Stellung, der auch bei der Umsiedlung staatliche Zwangsmaßnahmen in Anwendung bringen möchte.
    Er ist ja auch im einzelnen gar nicht durchführbar; aber er zeigt so recht, welche Schranken und Hürden man aufrichten möchte, um unser gemeinsam leidendes Volk auseinanderzumanöverieren.
    Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen. Ich ersuche Sie weiter, alles daranzusetzen, daß diese Schicksalsfrage unseres Volkes einer wirklichen Lösung zugeführt wird. Im besondern richtet sich aber meine Bitte an die Vertreter jener Länder, die als Aufnahmeländer in Betracht kommen, nicht nur hier im Hause für den Antrag zu stimmen, sondern auch in ihren Heimatländern ihren Einfluß geltend zu machen, damit die Durchführung dieser zu schaffenden gesetzlichen Regelung so schnell wie möglich erfolgen kann.

    (Bravorufe und Händeklatschen bei der CDU.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Wir gehen über zur Einbringung der unter den Ziffern 15, 16 und 23 der Tagesordnung aufgeführten Anträge:
Antrag der Abgeordneten Ollenhauer und Genossen, betreffend Eingliederung der Heimatvertriebenen (Drucksache Nr. 74); Antrag der Abgeordneten Ollenhauer und Genossen, betreffend Arbeitsbeschaffung für
Heimatvertriebene (Drucksache Nr. 77); Antrag der Abgeordneten Ollenhauer und Genossen, betreffend Sonderreferat für in Polen und in der Tschechoslowakei lebende Deutsche (Drucksache Nr. 78).
Das -Wort als Antragsteller hat der Herr Abgeordnete Reitzner.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Richard Reitzner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren! Es ist von dieser Stelle aus in der letzten Zeit mehrmals und recht ausführlich zu den Pro- a blemen der Heimatvertriebenen gesprochen worden, aber mehr von den außenpolitischen Aspekten her. Man hat sozusagen die Vision einer erstrebenswerten Zukunft in sich eingesaugt. Ich möchte hier an Hand der Ihnen vorliegenden Anträge — Drucksachen Nr. 74, 77 und 78 — den Versuch unternehmen, die Bedeutung der innerpolitischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme herauszuarbeiten mit dem Ziel, eine rasche Verwirklichung der Forderungen zu erreichen, und mit der Aufgabe, die Dringlichkeit der Verwirklichung besonders zu verdolmetschen.
    Wir alle wissen, daß die Problematik dieser Frage brunnentief ist, und wir wissen, daß wir das Problem der Heimatvertriebenen nicht isoliert sehen können. Es ist ein Problem, das in den Mittelpunkt unseres innen- und außenpolitischen Denkens und Handelns gestellt werden muß. Deshalb werden Sie, meine Damen und Herren, auch Verständnis dafür haben, daß von dieser Stelle aus der Versuch gemacht wurde, im Zusammenhang mit der Diskussion über die Oder-NeißeLinie eine Oder-Neiße-Linie auch der Sudetendeutschen zu fixieren. Dieser Versuch ist nicht gelungen. Er konnte nicht gelingen, weil man heute, in diesem Augenblick, Beschlüsse auf Vorrat nach dieser Richtung nicht fassen kann. Aber ich möchte nur mit drei Sätzen, als eine Art Präambel, noch einmal betonen, daß die Forderung nach Wiedergutmachung des all diesen Menschen durch den Heimatraub angetanen Unrechts selbstverständlich auch jene Deutschen einbeziehen muß, die vor dem Jahre 1938 nicht in den Grenzen des Deutschen Reiches gelebt haben, und möchte gleichzeitig unserer Überzeugung dahin Ausdruck geben, daß der Wunsch nach Rückkehr in die Heimat nicht


    (Reitzner)

    zur Negierung unerläßlicher wirtschaftlicher, sozialer und innerpolitischer Maßnahmen für die Heimatvertriebenen führen darf. Daher, glaube ich, kommt diesen Anträgen eine besondere Bedeutung zu.
    Selbstredend befinden wir uns in Übereinstimmung mit vielen Schicksalsfreunden, wenn immer wieder ausgesprochen wird, daß zur moralischen Gesundung der Welt nicht nur die innere und geistige Entnazifizierung der Deutschen, sondern auch die Entpotsdamisierung der Sieger notwendig ist.

    (Beifall.)

    Daher haben wir auch ein moralisches Recht, zu
    sagen, daß ein berechtigter Protest keineswegs ein
    Vorwand sein darf zu einer neuen nationalistischen
    und chauvinistischen Haltung in unseren Kreisen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Solange aber die außenpolitische Seite dieses Problems nicht geklärt werden kann, muß eine rasche und erträgliche Zwischenlösung auf deutschem Boden geschaffen werden, eine Zwischenlösung, die dem Verelendunsprozeß der Heimatvertriebenen eine Schranke setzt und ihren Glauben an die nationale und . menschliche Solidarität wiederherstellt.

    (Sehr gut!)

    .Zunächst besteht die reale Aufgabe der sogenannten Flüchtlingspolitik auf deutschem Boden darin, den Versuch zu unternehmen, die physischen, moralischen und geistigen Kräfte der Heimatvertriebenen, soweit sie noch vorhanden sind, zu retten und nicht verkümmern zu lassen.

    (Sehr wahr!)

    Das ist der tiefere Sinn unserer Anträge. Aber. meine Damen und Herren, vor uns steht nicht nur das Millionenheer der Vertriebenen auf deutschem Boden. Vor uns stehen in unserer Erinnerung die Volksdeutschen, die heute noch in den polnisch verwalteten Gebieten Deutschlands sowie in Polen und in der Tschechoslowakei leben. Ihre Lage ist menschenunwürdig und trostlos. Wer ihre Briefe liest, wird lange Zeit die Bilder dieses Elends nicht los aus den Falten seines Gehirns. Sie leben mehr ein Sklavendasein. Sie sind nicht nur Staatsbürger zweiter oder dritter Klasse; das ist viel zu wenig. Noch viel schlimmer! Daher können wir die fortwährenden Fluten der SOS-Rufe unserer in diesen Gebieten zurückgebliebenen Deutschen nicht überhören. Ich glaube, es ist eine menschliche und nationale Verpflichtung der ganzen deutschen Nation, auch diesen bedrängten Brüdern und. Schwestern beizuspringen.

    (Beifall.)

    Das ist der Sinn des Antrages Nr. 78, und ich ersuche daher im Namen der sozialdemokratischen
    Fraktion, diesem Antrag zuzustimmen, der besagt:
    Die Bundesregierung wird ersucht,
    1. im Ministerium für Angelegenheiten der Heimatvertriebenen ein besonderes Referat einzurichten, das die Hilfe für die noch in den polnisch verwalteten Gebieten Deutschlands sowie in Polen und der Tschechoslowakei lebenden Deutschen zur Aufgabe hat,
    und der unter 2 d die Bundesregierung ersucht, dem Bundestag zu berichten, welche Verordnung die Bundesregierung nach Artikel 119 des Grundgesetzes zu erlassen beabsichtigt, um die Länder zu verpflichten, sofort für eine angemessene und gleichmäßige Eingliederung dieser Vertriebenen in die Bevölkerung des Bundesgebiets Sorge zu tragen.
    Dieser Antrag steht in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Antrag Nr. 74 der sozialdemokratischen Fraktion. Der Kollege Kuntscher hat eben darüber gesprochen. Ich stimme ihm in seinen Schlußfolgerungen vollkommen bei, möchte aber hinzufügen, daß eine Entlastung der Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern vor allem auch deshalb erreicht werden muß, weil diese Länder durch ihre verhältnismäßig hohe Belegung mit Heimatvertriebenen die geringste Aussicht auf Arbeit und Wohnung bieten können. Ich bin sicher nicht der Anwalt bayrischer Interessen oder Belange. Aber ich lebe in Bayern, und ich weiß, was dieses Land infolge seines geographischen Mißgeschicks durch den Zustrom von Heimatvertriebenen, von Flüchtlingen heute noch zu leiden hat. Es besteht daher ein berechtigter Anspruch.
    Wir wissen, daß diese Frage schon längere Zeit die Länder beschäftigt. Aber zu meinem Bedauern muß ich sagen daß man bisher bei unverbindliche Gespräche nicht hinausgekommen ist. Auch der Herr Bundesminister für die Angelegenheiten der Vertriebenen, Dr. Lukaschek, ist über unverbindliche Gespräche nicht hinausgekommen. Ich höre von ihm, daß er guten Willens ist und beabsichtigt, den notwendigen Spitzenausgleich ohne Rechtsverbindlichkeit für die Aufnahmeländer durchzuführen. Ich wünsche dem Herrn Bundesminister aufrichtig viel Glück, und ich hoffe, daß es ihm gelingen möge. Trotzdem möchte ich aber vor einer zu starken Aufspaltung der Verantwortlichkeit in dieser Frage warnen und dem Herrn Bundesminister empfehlen, den Artikel 119 nicht in den Abstellraum der Bundesregierung zu stellen.

    (Sehr gut!)

    In materieller Hinsicht ist der Antrag Drucksache Nr. 77 der weitestgehende. Er umfaßt vor allem das Problem der Arbeit und Wohnung, worüber heute gesprochen wurde. Wird das Problem. des sozialen Wohnungsbaus gelöst, so ist das Problem der Arbeitsbeschaffung vorwärtsgetrieben und auch den Heimatvertriebenen ein unerhörter Dienst erwiesen. Die sachliche Berechtigung dieses Antrags wird nach dem, was ich aus den Debatten von allen Seiten dieses Hohen Hauses vernommen habe, wohl von niemandem bestritten. Wir befinden uns hier sicher in guter Gesellschaft, und ich sehe, daß auch die CDU/CSU-Fraktion und— andere Fraktionen ähnliche oder gleichlautende Anträge gestellt haben. Ich kann mir daher, auch mit Rücksicht auf die Zeit — ich bin ersucht worden, um 1 Uhr zu beenden —, eine ausführliche Begründung ersparen. Nur einige unerläßliche Bemerkungen, insbesondere zum Lastenausgleich und zu den Auswirkungen des Soforthilfegesetzes.
    Der Lastenausgleich ist stellenweise ein Tummelplatz geworden, aber auch ein Gegenstand heftiger Kritik und hoffnungsloser Betrachtungen der Heimatvertriebenen. Wenn im Kreise der Heimatvertriebenen das Wort „Lastenausgleich" fällt, sagt man: Laßt den Ausgleich! Wir glauben doch nicht mehr daran, daß es zu einem sozial gerechten Lastenausgleich kommt.
    Vom psychologischen Standpunkt her glaube ich wiederholen zu müssen, daß auch unsere Soforthilfemaßnahmen geeignet sein müssen, den verlorengegangenen Glauben an die menschliche und nationale Solidarität wiederherzustellen. Dabei sind wir uns darüber klar, daß, wer


    (Reitzner)

    leistungsfähig ist, auch leistungsverpflichtet gemacht werden muß. Soll ein sozialer und gerechter Lastenausgleich möglich sein, dann muß man, glaube ich, auch die Substanz und nicht nur das Erträgnis zur Leistung heranziehen. Das Soforthilfegesetz ist, wie wir wissen, mit seinem zusätzlichen Hausratprogramm eine zwar gutgemeint, aber infolge der unerhörten Bedürfnisse unbefriedigende Maßnahme. Im Rahmen des Soforthilfegesetzes — das besagt § 45 — ist für Hausrathilfe gesorgt. Die Erfahrung zeigt heute, meine Damen und Herren, daß das Bedürfnis die Möglichkeit der Leistung weitaus übersteigt. Wir erhoffen von dem Herrn Minister für die Angelegenheiten der Heimatvertriebenen, daß er bald in der Lage sein wird, dem Hohen Hause über die bisherigen Auswirkungen des Soforthilfegesetzes zu berichten, damit wir dann zu klareren Vorstellungen über weitere Leistungen kommen können.
    Abschließend möchte ich die Bundesregierung bitten, im Auge zu behalten, daß die Heimatvertriebenen sehr rasch und ausgiebig Hilfe erwarten und sie nötig haben. Ein Winter steht vor uns. Das Problem, das es zu lösen gilt, wird nicht nur ein Prüfstein für die moralische und soziale Regenerationsfähigkeit des deutschen Volkes sein. Es wird vor allem auch ein Prüfstein sein für die Zuverlässigkeit der Absichten der Regierung auf sozialem Gebiete. Daher muß ein Höchstmaß von Leistung in den Ländern und dem Bund angestrebt werden. Ich schließe mich den Ausführungen des Kollegen Kuntscher auch auf diesem Gebiete vollkommen an. Es ist ein Höchstmaß von Leistungen notwendig, denn vor uns steht die Aufgabe, die unumgängliche Planung ohne bürokratischen Leerlauf durchzuführen. Erst wenn wir diese Höchstleistung mobilisiert haben, werden wir die moralische Berechtigung gewinnen, uns um Hilfe an das Ausland zu wenden.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Es gibt, meine Damen und Herren, darüber hinaus noch ein politisches Moment. Es gilt, die Millionen der Heimatvertriebenen aus ihrer jetzigen Hoffnungslosigkeit herauszubringen. Diese entwurzelten Menschen können eine tödliche Gefahr, ja ich möchte sagen, der Mühlstein um den Hals der neuen deutschen Demokratie werden,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    wenn wir nicht mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln dem Verelendungsprozeß und der leiblichen und seelischen Not ein Ende bereiten.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und in der Mitte.)