Rede von
Dr.
Kurt Georg
Kiesinger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Der Herr Justizminister hat mir im' wesentlichen die Argumente vorweggenommen, die ich namens meiner Freunde zu dem Antrag der Zentrumsfraktion vorzubringen hatte. Es ist natürlich durchaus richtig, daß unser Staat darauf nicht wird verzichten können — und man wird hinzufügen müssen: leider nicht —, strafgesetzliche Bestimmungen über den Schutz der Bundesflagge und der Bundesfarben und vielleicht anderer Institutionen der Verfassung zu schaffen. Schwäche würde hier
wahrhaftig fehl am Platze sein. Auf der anderen Seite sind wir von der Auffassung durchdrungen, daß es durchaus richtig ist, wenn man sagt — und wenn man es ehrlich meint —, daß diese Verfassung und dieser demokratische Staat, der doch unser aller politische Heimat sein soll, endgültig nicht durch Strafgesetze, sondern durch das verteidigt werden wird, was jeder einzelne von uns, der in der politischen Verantwortung steht, und was die vielen draußen im Volk, die wissen, um was es geht, tun oder lassen.
Wir haben diese Dinge, bei denen es sich um den Schutz der Verfassung handelt, im Ausschuß schon gründlich besprochen. Wir werden alles tun, um in der positiven Richtung, die einer der Redner angedeutet hat, wachsam dafür zu kämpfen, daß nicht mehr durch offene oder versteckte Gegnerschaft dieser neue und dann vielleicht letzte Versuch, unser Volk in einem Staat der Freiheit und des Friedens zu einigen, noch einmal verunglückt.
Lassen Sie mich dazu sagen, daß gerade der Schutz der Bundesfarben hierbei eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Wir sind nicht der Meinung, daß die Bundesfarben etwas Gleichgültiges sind. Sie sind das Symbol des neuen Versuchs der Gründung eines demokratischen Staates. Wir wissen sehr wohl, daß man Bundesfarben nicht einfach dekretieren kann. Diese Bundesfarben werden eines Tages wirklich unsere Farben sein, wenn die Fahne am Mast emporsteigt und die Herzen der Menschen dabei höher schlagen.
Wir wollen das unsere dazu tun, daß dieser Zustand bald erreicht wird. Sie hat nicht viel Glück gehabt, diese Fahne, gewiß nicht! Aber diese Fahne ist begleitet und getragen gewesen von der Liebe bedeutender, ehrenhafter, unser Volk wahrhaft liebender Männer und Frauen.
Man mag zu dem Flaggenwechsel im Jahre 1918/19 stehen, wie man will: Auch diese Fahne SchwarzRot-Gold hat ihre Tradition. Und wenn man schon sagt, daß der Respekt und die Liebe einer Flagge gelte, die einmal in der Welt geweht hat, als es Deutschland gut ging, dann darf man auch hinzufügen, daß diese unsere Flagge nie verunehrt worden ist und daß diese Flagge niemals über einer deutschen Katastrophe geweht hat.
— 1933 ist die Katastrophe nicht deswegen gekommen, weil diese Flagge zu unseren Häupten geweht hat. Diejenigen, die damals für SchwarzWeiß-Rot gekämpft haben, haben nicht SchwarzWeiß-Rot, sondern das Hakenkreuz bekommen!
Aber wie dem auch sei, seien wir uns doch bewußt, daß hier ein Symbol für uns alle ist! Und wenn wir das wissen, dann wollen wir doch alles tun, um möglichst rasch in unserem Volke jene Herzenswärme für unsere Flagge und unsere Farben zu erwecken, die in allen Ländern der Welt für die Fahne der Nation eine Selbstverständlichkeit ist.
— Sicher, das weiß ich: nicht nur durch Strafgesetze!
— Mag sein. Die bayerischen Zustände in diesem Punkte mögen beneidenswert sein.
— Oder vorbildlich. In diesem Punkte gebe ich das Bestehen eines bayerischen Vorbildes ohne weiteres zu. Aber wir haben es ja erlebt! Haben Sie denn vergessen, was nach 1919 geschah? Und glauben Sie nicht, daß es ein Zeichen wirklicher Schwäche wäre, wenn man ganz und gar darauf verzichten würde, jenen dreisten Kräften, die schon wieder allzu begehrlich ihr Haupt erheben, auch durch ein Strafgesetz auf die Finger zu klopfen?
Ich glaube deutlich gemacht zu haben, und ich will es noch einmal ganz deutlich sagen, wenn Sie mich schon dazu herausfordern: Die Schlacht um diesen neuen demokratischen Staat wird nicht im parlamentarischen Raum gewonnen oder verloren. Draußen, im außerparlamentarischen Raum, im Volk, in den breiten Massen, wo über uns geredet wird, wo zu den Regierungserklärungen, wo über unsere gesetzgeberische Arbeit gesprochen wird, wo die Kräfte der Demagogie durch Flüsterpropaganda, und nicht einmal nur noch durch Flüsterpropaganda, sondern schon wieder in der Presse und anderswo gegen diesen neuen Staat zu wühlen beginnen: dort wird die Schlacht gewonnen oder verloren, und zwar gewiß nicht nur durch den Schutz von Strafgesetzen.
Schließen wir uns doch wenigstens in diesem einen zusammen: daß wir dieser Flagge, die bisher so wenig Glück gehabt hat, jenen Kredit gewähren, jenes Zutrauen entgegenbringen, das sie braucht; dieser armen, gefährdeten Flagge, die so arm und gefährdet ist wie unser ganzer Staat und unser ganzes Volk, damit sie wirklich und in Wahrheit die Flagge des Herzens der Deutschen werden kann! Dann werden wir uns auch hüten, über sie unvorsichtige Äußerungen zu tun—wenn wir unterstellen, daß es nur unvorsichtige Äußerungen gewesen sind. Ich will es gerne glauben, daß es nicht anders gemeint war.