Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! An die Spitze meiner Ausführungen darf ich das Bedauern stellen, daß die Bundesregierung noch nicht von sich aus das erneut durch den Mund des Herrn Bundesjustizministers angekündigte Gesetz hier vorgelegt hat. Der Herr Bundeskanzler hat bereits in seiner Regierungserklärung davon gesprochen, daß die Bundesregierung die Vorlage eines Amnestiegesetzes beabsichtigt. Da dann allerdings der Herr Bundesfinanzminister in einer Presseveröffentlichung die
Zuständigkeit des Bundes zu einem solchen Gesetz in Abrede gestellt hat, war eine gewisse Unklarheit darüber entstanden, wie man eigentlich innerhalb der Bundesregierung denkt. Um so mehr begrüße ich es, daß wir heute gehört haben, daß die Bundesregierung sich jetzt einig zu sein scheint. Denn im Gegensatz zu dem Herrn Antragsteller, dem Kollegen Dr. Reismann, stehen wir auf dem Standpunkt, daß es keineswegs gleichgültig ist, ob der Bund oder ob die Länder ein Amnestiegesetz oder Amnestiegesetze erlassen, weil gerade in dieser Frage Rechtseinheit in Deutschland ganz unbedingt erforderlich ist, so daß eine Zuständigkeit der Länder auf diesem Gebiet und eine Aufsplitterung in Länderamnestien geradezu ganz unerträglich wäre.
Ich glaube, daß im übrigen alle Parteien sich darüber einig sind, daß der Erlaß des Grundgesetzes und die Konstituierung des ersten Bundestags und der ersten Bundesregierung Grund und Anlaß genug sind, um auf diesem Gebiete der strafrechtlichen Vergehen einen Strich unter die Vergangenheit zu machen und eine Amnestie zu erlassen. Aber wir müssen uns darüber klar sein, daß das eine Ausnahme ist und wir unter gar keinen Umständen in die Weimarer Mißbräuche wieder zurückkehren dürfen, daß Amnestien zur Regel wurden und dadurch eine schwere Erschütterung der Rechtssicherheit eintrat.
Nun, meine Damen und Herren, noch ein Wort zum Verfahren, gerade deshalb, weil dies die erste Lesung eines Gesetzes im Bundestag überhaupt ist. Der Herr Bundesjustizminister hat hier ausgeführt, es erscheine ihm unzweckmäßig, Fragen im einzelnen aus der Vorlage zu erörtern. Man möge die Vorlage dem Ausschuß überweisen. Die Bundesregierung würde dann ihrerseits ihre Vorlage dem Ausschuß unterbreiten, und danach würde im Ausschuß im einzelnen darüber verhandelt werden. So geht es nicht. Es ist ausgeschlossen, daß der Ausschuß späterhin über eine andere Vorlage verhandelt, als sie hier im Plenum besprochen worden ist. Die Vorlage auch der Bundesregierung muß durch die erste Lesung im Plenum. Die erste Lesung ist dazu da, daß die einzelnen Fraktionen und Parteien grundsätzlich Stellung nehmen und ihre Standpunkte beziehen, damit der Ausschuß für seine Arbeit überhaupt Richtlinien hat und weiß, wie er sich dazu stellen soll und darüber im Bilde ist, wie die einzelnen Fraktionen denken. Ich halte also ein solches Verfahren nicht nur für untunlich, sondern für geradezu unmöglich, wie es hier von dem Herrn Bundesminister vorgeschlagen worden ist. Da aber auch ich mit dem Herrn Vorredner, dem Kollegen Kiesinger, auf dem Standpunkt stehe, daß der Gesetzentwurf der Zentrumsfraktion im einzelnen mindestens undurchdacht ist und so die Rechtsprechung vor die größten Schwierigkeiten stellen würde und im übrigen tatsächlich bedauerliche Anklänge an die Gesetzgebungsart einer doch hoffentlich überwundenen Vergangenheit erkennen läßt, darf ich mir die Anregung oder den Antrag erlauben, daß wir die erste Lesung dieses Gesetzentwurfs aussetzen, abwarten, bis die Bundesregierung — hoffentlich unverzüglich — ihre Gesetzesvorlage einbringt, und dann die erste Lesung auch der Drucksache Nr. 17 fortsetzen, verbunden mit der ersten Lesung des Amnestiegesetzes der Bundesregierung, damit wir hier eine einheitliche und geschäftsordnungsmäßig richtige Linie herausbekommen und dann der Ausschuß an seine Arbeit gehen kann.