Meine Damen und Herren! Nach dem Inhalt des Antrags, den die sozialdemokratische Fraktion dem Haus vorgelegt hat, sollte man eigentlich annehmen, daß dieses Haus heute einen großen Tag hat. Ich glaube jedenfalls, daß in Berlin und in der sowjetischen Besatzungszone viele Tausende von Menschen in Erwartung eines großen Tages heute am Lautsprecher sitzen. Denn es geht ja um nicht mehr und nicht weniger als darum, die Bundesregierung zu ersuchen, mit den alliierten Kommissaren erneut über die Frage der vollen Inkraftsetzung des Artikels 23 der Verfassung zu sprechen. Wenn wir diesem Beschluß Erfolg wünschen — was wir ja doch tun —, wenn wir die Erfüllung dieses Wunsches erleben, dann, meine Damen und Herren, ist Berlin zwölftes Bundesland. Es ist also immerhin eine Angelegenheit von recht großer nationaler Bedeutung, über die hier gesprochen wird.
Ich kann es mir nicht versagen festzustellen, daß ich im Verlauf dieser Diskussion doch darüber etwas bekümmert gewesen bin,
daß hier Auseinandersetzungen für notwendig gehalten wurden, die auch stattfinden müssen, aber nicht hier bei dieser Gelegenheit, von der die Nation erwartet, daß wir uns dem Gegenstand entsprechend verhalten.
Meine Damen und Herren, Berlin in seinem Freiheitskampf ist eine so besondere Erscheinung, daß ich sagen möchte: es war schon richtig, daß und wie Frau Schroeder uns diese Entwicklung Krieg erschöpft hat, jetzt darum bitten muß, daß kann eigentlich nur eine Frau.
Nicht so sehr deshalb, weil es ausschließlich eine Angelegenheit der Hausfrauen gewesen ist. Aber wir sollen nicht vergessen, daß dieser Kampf um die demokratische Freiheit, den die Berliner Bevölkerung gekämpft hat, nicht auf den Barrikaden und nicht mit dem Pathos großer Leidenschaften gekämpft werden konnte, sondern daß es der Kampf des grauen Alltags gewesen ist, den jede einzelne Familie tagtäglich und nächtlich zu bestehen hatte. Das ist die moderne Form des Krieges, meine Damen und Herren, wirklich des Krieges. Das ist ein Krieg, der mit wirtschaftlichen und sozialen Mitteln geführt wird. Das ist auch der tiefste Grund dafür, daß Berlin, das sich in diesem Krieg erschöpft hat, jetzt darum bitten muß, daß ihm geholfen wird.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir das harte Wort: Die Front bittet darum, daß ihr geholfen wird. Diejenigen in diesem Hause, die Soldaten waren, werden ermessen können, mit welchen Empfindungen das ausgesprochen wird. Wir haben manchmal das Gefühl gehabt, daß wir hier in Westdeutschland — nicht in diesem Hause und nicht im Parlamentarischen Rat, aber in manchen Wirtschaftskreisen hier in Westdeutschland — doch so etwas mit den Augen desjenigen betrachtet werden, der, wie das auch im Felde war — ich habe leider an zwei Weltkriegen teilnehmen müssen —, in der Etappe saß und auf das arme Frontschwein etwas hochnäsig herabsah. Dieses Empfinden hat man hier manchmal gehabt. Ich habe mich gefreut, daß durch die eindeutigen Erklärungen, die sowohl der Herr Bundespräsident nach seiner Vereidigung als auch der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung in bezug auf die Berlin-Frage hier abgegeben haben, diesem Geist das Paroli geboten wurde.
Ich sagte, meine Damen und Herren, Berlin kämpft einen Wirtschaftskrieg, und ich muß ein Wort über die Berliner Wirtschaft sagen. Selbstverständlich hat sie unter ganz anderen und viel schwierigeren Voraussetzungen die Arbeit für den Wiederaufbau aufnehmen müssen als Sie hier in
Westen. Das Demontageproblem ist, wie Frau Schroeder gesagt hat, leider bei uns sehr rasch erledigt worden, aber sehr gründlich. Die Berliner Wirtschaft hat nicht bis zur Währungsreform die Möglichkeit gehabt, auf Bankkonten zurückzugreifen. Erst jetzt steht für uns die Frage zur Diskussion, und wir hoffen, daß die Diskussion in diesem Hause dazu beiträgt, die Lösung zu beschleunigen, daß nun endlich die Alliierten uns gestatten, in dem Maße, wie es die Währungsreform hier im Westen vorzeichnet, die sogenannten Uralt-Konten wieder aufleben zu lassen.
Die Berliner Wirtschaft hat 50 Prozent ihrer gewerblichen Erzeugung früher im deutschen Osten abgesetzt. Vom deutschen Westen ist sie schon im Jahre 1942 durch die Maßnahmen der Kriegswirtschaft weitgehend abgeschnitten worden. Dann kam die Zonentrennung, dann kam der Eiserne Vorhang, und dann kamen die Perioden der Währungsreformen, zunächst die zweigleisige Währungsreform in Berlin, die es unserer industriellen und gewerblichen Wirtschaft noch immer gestattete, mit Hilfe eines wenn auch ungesunden Kalkulationsprinzips sich durchzuhalten, bis schließlich aus politischen Gründen die volle Einführung der Westmark in Berlin Wirklichkeit wurde. Wir haben sie selbst gefordert, meine Damen und Herren, weil wir es aus politischen Gründen tun mußten. Wir waren uns aber darüber klar, welche Opfer die Verwirklichung dieser Forderung für die Berliner 'Wirtschaft mit sich bringt.
Diese Berliner Wirtschaft hat während der Zeit der Berliner Blockade eine Einsicht in die sozialen Notwendigkeiten bewiesen, die bewundernswert ist. Die Berliner Betriebe haben in dem Bewußtsein, daß Arbeitslosigkeit nicht die Blockade belasten darf, ihre Belegschaften durchgehalten, soweit es nur immer ging. Meine Damen und Herren, diese Betriebe können heute nicht mehr; sie haben ihre Substanz, ihre letzte Substanz verloren. Nun ist die Frage, wie man der Berliner Wirtschaft helfen kann. Darauf kommt es schließlich jetzt an. Wenn wir die Gefahr der Arbeitslosigkeit in Berlin bannen wollen, die erschreckend wächst — und das ist eine eminent politische Gefahr —, ich sage: wenn wir diese Gefahr der Arbeitslosigkeit bannen wollen, dann müssen wir der Berliner Wirtschaft helfen, und das ist nun nicht eine so einfache Angelegenheit, daß wir das auf einen Generalnenner bringen könnten, sondern darüber werden wir im Berlin-Ausschuß dieses Hauses uns sehr gründlich unterhalten müssen. Denn diese Berliner Wirtschaft ist eine sehr komplizierte Angelegenheit.
Man kann nicht etwa einfach sagen: wir brauchen Investitionskredite. Gewiß, hier und dort werden Investitionskredite dringend gebraucht. Es gibt aber große Teile der Berliner Wirtschaft, wo das vollkommen sinnlos wäre. Alle aber, meine Damen und Herren, brauchen Absatz, und ich kann das nur unterstreichen, was Frau Schroeder hier gesagt hat: die private Wirtschaft und die öffentliche Wirtschaft hier im Westen müssen Anstrengungen machen, um auf dem Wege über den Absatz der Berliner Produktion zu helfen. Sie müssen Anstrengungen machen. Das ist nicht bloß eine Angelegenheit des geschäftlichen Kalküls, sondern ich bitte Sie noch einmal, daran zu denken: wir stehen noch im Krieg, in einem grausamen kalten Krieg mit einem unerbittlichen Gegner, und die Frage, ob wir uns in diesem Krieg behaupten oder nicht, ist die Lebensfrage Deutschlands. Das klingt vielleicht pathetisch, meine Damen und Herren.
Wir sprechen es gar nicht gern aus, und wir sind sogar bedrückt, wenn im Westen in Versammlungen über Berlin gesprochen und sehr gute Worte gefunden werden. Wir sind in diesen Dingen außergewöhnlich nüchtern. Wir haben um die Demokratie gekämpft ohne jeden Nationalismus und ohne jeden Chauvinismus. Auch das ist ein großes Aktivum für Deutschland. Wir haben der Welt gezeigt, daß es nicht nötig ist, mit nationalistischen und chauvinistischen Methoden aufzuwarten, um die Freiheit zu verteidigen. Wir haben gezeigt, daß es nur notwendig ist, seine staatsbürgerliche Pflicht zu tun. Wir haben diese Pflicht für Berlin getan, und wir haben diese Pflicht in dem Bewußtsein getan, daß wir damit Deutschland retten. Wir verlangen von Ihnen, meine Damen und Herren, nicht mehr und nicht weniger, als daß Sie ganz unpathetisch und ganz nüchtern erkennen, daß die Berliner Frage eine, im Augenblick allerdings vielleicht die dringlichste Angelegenheit einer nationalen Realpolitik ist.
Nichts anderes verlangen wir von Ihnen, als daß Sie nüchtern die Folgerungen aus dieser Lage ziehen.