aus der mit erhöhten Kunstdüngergaben erhöhten Produktion
und durch das dadurch erhöhte Steueraufkommen.
In der deutschen Volkswirtschaft, die in den letzten drei, vier Generationen weit überwiegend nach der gewerblichen Seite orientiert ist, wo die Landwirtschaft also ihrem Umfang nach sich in einer Minderheit befindet - die Entwicklung wird ja in dieser Richtung weitergehen —, muß die Regierung alles daran setzen, daß die Landwirtschaft nicht wie bisher in einer hoffnungslosen Minderheit verbleibt. Die hinter uns liegenden Jahre des Hungers, die Zwangslage, 50 Prozent der notwendigen Lebensmittel einführen zu müssen, und die Tatsache, daß eine gesunde Landwirtschaft den sichersten Absatzmarkt unserer eigenen .gewerblichen Produktion darstellt, daß die Landwirtschaft wertmäßig einen hohen Anteil am Sozialprodukt leistet bei gleichzeitig hohen Investitionen, wie sie wohl keine Produktion der deutschen Volkswirtschaft aufzuweisen hat, ferner die Tatsache, daß die Landwirtschaft die breiteste Schicht selbständiger Existenzen enthält, ferner das bevölkerungs- und staatspolitische Gewicht zwingen uns allein schon zur Anerkennung des Grundsatzes der absoluten Gleichberechtigung der Agrarpolitik gegenüber der übrigen Wirtschaftspolitik.
Ich muß noch einmal mit allem Ernst wiederholen: wir können leider aus der vergangenen Frankfurter Wirtschaftspolitik nicht feststellen, daß der Landwirtschaft und der ihr verbundenen Wirtschaft diese gleichberechtigte Stellung eingeräumt worden wäre. Insofern wünschen wir uns eine gründliche Änderung der in Frankfurt begonnenen Politik, die sich vornehmlich darin auszudrücken hat, daß eine auf die Erfordernisse der Landwirtschaft eingestellte Handels- und Wirtschaftspolitik betrieben wird.
Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit der europäischen Teilnehmerländer im Rahmen des Marshallplans und der Bildung eines einheitlichen europäischen Marktes — wir bekennen uns zu dem Grundsatz, daß das europäische Preisgefälle wiederhergestellt werden muß — können wir nicht zusehen, daß Außenhandelsverträge abgeschlossen werden, die plötzlich und unvorbereitet übermäßige Einfuhren von solchen Ernährungsgütern zulassen, die auch in Deutschland sehr gut selbst erzeugt werden und die dadurch, daß sie stoßweise und in unproportionierten, unregelmäßigen Mengen bei uns auftreten, an der Existenzgrundlage unserer Erzeuger rütteln. Die Vorgänge auf dem Gemüse- und Obstmarkt, die die einheimische Produktion zum großen Teil in den Viehstall und auf den Komposthausen wandern ließen, sind mit auf eine schädliche Politik von Frankfurt zurückzuführen. Mir scheint - ich spreche da in memoriam der Zeiten des Wirtschaftsrates —, daß das Fehlen des Ausschusses für Landwirtschaft und Agrarpolitik überhaupt in Frankfurt sich doch drastisch bemerkbar macht. Denn nun ist kein neugieriger Abgeordneter mehr da, der einmal einige interessante Fragen an die verantwortlichen Männer der Agrarpolitik stellen könnte; zum Beispiel warum bei ausreichenden saisonbedingten Auftrieben auf den deutschen Schlachtviehmärkten in demselben Moment große Mengen Walfleisch, das den Engländern wegen seiner minderwertigen Qualität nicht zusagt, gekauft und eingeführt werden; oder warum die VELF mit Italien verhandelt, um die Obst- und Gemüseeinfuhr von 12 Millionen auf 22 Millionen Dollar zu erhöhen, und warum die
148 Deutscher Bundestag — E. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949
Gemüseeinfuhr aus Holland auf 250 000 Tonnen erhöht wird. Das ist meinem Erinnern nach dieselbe Menge, die vor 1938 in das gesamte deutsche Reichsgebiet eingeführt wurde.
— Nein, so liegen die Dinge leider nicht, sonst wäre es noch verständlich.
Es sind noch mehr solche unverständliche Dinge im Laufe des letzten Jahres geschehen, unverständlich deshalb, weil nach unserer Meinung alles daran gesetzt werden muß, bei steigender Agrarerzeugung die Nahrungsmittelimporte zu senken mit dem Ziel, Devisen und noch einmal Devisen zu sparen, mit denen wir Rohstoffe auf dem Weltmarkt für unsere Industrie kaufen können; und somit hilft unsere Landwirtschaft, das Exportvolumen zu vergrößern, sie hilft, zusätzliche Arbeitsplätze in den Fabriken und Werkstätten zu schaffen und damit die städtische Kaufkraft zu heben.
Wir begrüßen die bekundete Absicht, die Zwangswirtschaft weiter abzubauen. Diese totale Zwangs- und Planwirtschaft - das ist ja wohl kein Geheimnis mehr — hat zusammen mit dem totalen Erfassungssystem in den vergangenen Zeiten die Produktion ganz erheblich benachteiligt. Man kann wohl sagen, wir können uns dazu gratulieren, daß der Zwang zur Erhaltung ihrer persönlichen und betrieblichen Existenz die Gesamtheit des deutschen Volkes, Erzeuger wie Verbraucher, veranlaßt und gezwungen hat, die Plan- und Zwangswirtschaft, soweit es ging, zu umgehen. Wäre das nicht der Fall gewesen, dann wäre sie zu einer ausgemachten Katastrophe ausgeartet; darüber besteht wohl bei all denjenigen, die sehen und hören wollen, gar kein Zweifel. Sicher ist, daß sich die alte Planwirtschaft selber ad absurdum geführt hat. Aber eine marktmäßig gelenkte Wirtschaft wird nicht zu entbehren sein, und zwar unterschiedlich für die einzelnen landwirtschaftlichen Erzeugnisse, nur mit dem Unterschied, daß wir das nicht aus dogmatischer Rezeptmacherei tun, sondern nach den jeweiligen Erfordernissen des praktischen Lebens von Fall zu Fall. Für uns hängt die Seligkeit davon nicht ab. Im Rahmen der uns auferlegten sozialen Verpflichtungen haben wir gerade auch hier eine soziale Marktordnung Wirklichkeit werden zu lassen. Im Rahmen der zu ergreifenden marktorganisatorischen Maßnahmen wird die Errichtung von Marktverbänden
ich denke hier vor allen Dingen an die Zucker- und Milchwirtschaft — ein dringendes Anliegen der Verbraucher, der Erzeuger und Verarbeiter sein.
Ich darf mir auch erlauben, die Regierung um beschleunigte Vorlage eines Gesetzes über die Importausgleichsstelle zu bitten. Das Gesetz ist bereits vom Wirtschaftsrat beschlossen worden, hat aber nicht die Genehmigung der Militärregierung gefunden. Durch die Verzögerung wird die Erzeugung in Mitleidenschaft gezogen. Ich hoffe, daß auch in diesem Gesetz eine angemessene Heranziehung der berufenen Vertretung der Landwirtschaft vorgesehen werden wird.
In diesen Zusammenhang gehört noch die baldige gesetzliche Regelung von Vorratsstellen für landwirtschaftliche Erzeugnisse aus eigener Produktion und aus Importen, damit eine gleichmäßige Versorgung und Preisregelung zugunsten der Verbraucher und der Erzeuger möglich wird.
Meine Damen und Herren! Wenn ich von einer Bauernbefreiung gesprochen und damit die Abschaffung des Ausnahmerechts für die Landwirtschaft gefordert habe, so gehört dazu auch die Wiederherstellung des Verfügungsrechts über den bäuerlichen Besitz für den Eigentümer selber. In dieser Beziehung ist von Gesetzes wegen die totale Herrschaft des Staates aus einer vergangenen Zeit ausschließlich für einen einzelnen Stand aufrechterhalten worden. Ich verkenne durchaus nicht, daß einstweilen noch eine gewisse Kontrolle beim Übergang bäuerlichen Eigentums auf einen anderen Eigentümer nicht zu entbehren ist. Hierzu brauchen wir aber ein Gesetz, das die wenigen Fälle der Eigentums- und Besitzveränderung, die noch zu regeln sind, aufzählt. In diesen Fällen kann die Genehmigung versagt werden, so zum Beispiel, wenn Grund und Boden oder der Betrieb ganz oder teilweise der Nutzung für die Volksernährung entzogen werden soll. Wichtig ist aber vor allem, daß eine starre Preisbindung beseitigt wird und die Kontrolle sich auf die Verhinderung von Auswüchsen nach oben sowie nach unten beschränkt. Eine Revision des geltenden Rechts im Grundstücksverkehr wird sich ebenfalls in Richtung auf eine Produktionssteigerung auswirken.
Damit komme ich zu einem sehr wichtigen Kapitel der Agrarpolitik, das mir sehr am Herzen liegt und das einer gründlichen Überholung bedarf, nämlich zu dem Pachtrecht. Das Pachtrecht war einst das hervorragendste, das vornehmste Institut des sozialen Aufstiegs in der Landwirtschaft, sei es, daß komplette Betriebe durch kapitalschwache Landwirte übernommen wurden, sei es, daß unwirtschaftliche oder kleine Betriebe durch Zupachtung einzelner geeigneter Flächen lebensfähig gemacht werden konnten, oder sei es auch, daß eine in der Führung des Betriebes zeitweilig eingetretene Lücke überbrückt werden konnte. In allen diesen Fällen übte das alte Pachtrecht eine gesunde soziale Funktion aus. Diese Funktion des Pachtrechts wiederherzustellen ist eine durch die Entwicklung der jüngsten Zeit notwendig gewordene Angelegenheit. Auf dem Pachtmarkt ist es still, sehr still geworden. Den Schaden davon haben Pächter wie Verpächter und auch Heimatvertriebene in gleichem Maße. Eine Lockerung. eine zeitgerechte Gestaltung des Pachtschutzrechts, vor allen Dingen eine Wiederherstellung der Vertragstreue und, was wohl das Wichtigste ist, die ausdrückliche Anerkennung des Verpächters als Eigentümer — was durch die Diskussion um die Bodenreform leider gründlich mißlungen ist -würden den Pachtmarkt wieder beleben und unter Beibehaltung eines vernünftigen Pachtschutzes der großen Zahl von pachtwilligen Heimatvertriebenen und einheimischen Bauern wieder eine Existenz geben. Wenn wir diese Probleme nicht angreifen, glaube ich nicht, daß das Flüchtlingssiedlungsgesetz den Erfolg haben wird, den wir ihm alle wünschen.
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich noch auf einen Punkt hinweise, der mir gerade in den letzten Wochen sehr augenfällig geworden ist. Ich bin der Überzeugung — und es werden viele in diesem Hause mit mir dieser Überzeugung sein —, daß der Kreditbedarf der Landwirtschaft nicht genügend berücksichtigt wird. Der lang- und mittelfristige Bedarf ist von der Verwaltung für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf 524 Millionen D-Mark für 1949 angegeben worden. Und was ist geschehen? Die Verwaltung für Wirtschaft, in den Angelegenheiten der Kreditpolitik federführend, hat von diesen 524
Millionen D-Mark 290 Millionen D-Mark anerkannt und in ihren Planübernommen. Um das Unglück vollständig zu machen, erkennt von diesen nun noch verbliebenen 290 Millionen D-Mark die Militärregierung nur 48 Millionen D-Mark an, wobei allein 16 Millionen D-Mark für die Landeskulturkredite, für Wasserwirtschaft, Flurbereinigung usw., reserviert werden. Auch in diesem Punkte wünschen wir uns eine Änderung der Frankfurter Wirtschaftspolitik und keine Vernachlässigung der Landwirtschaft in der Kreditversorgung.
In diesem Zusammenhang sei mir ein Hinweis auf die Verbundenheit von Handwerk, Handel und Landwirtschaft gestattet, die sich aus Betrachtungen gerade einer gesunden Kreditpolitik und deren öffentlich-rechtlichen und genossenschaftlichen Trägern ergibt. Diese Verhältnisse empfehle ich ebenfalls der Aufmerksamkeit der Bundesregierung. Die Bedeutung und das volkswirtschaftliche Leistungsvermögen erfordern die Schaffung eines Staatssekretariats für die mittelständische Wirtschaft mit Abteilungen f r Handel und Handwerk. Gerade von der agrarpolitischen Seite aus kann uns die Position und das Schicksal des Handwerks und des Handels nicht gleichgültig sein. Allein das niedersächsische Handwerk beschäftigt fast 400 000 Personen; unter Einbeziehung der Familienmitglieder sind es weit über 1 Million Personen. Das sollte uns schon einen Aufschluß über die Bedeutung des Handwerks geben. Daraus ergibt sich die Wichtigkeit der Einräumung einer besonderen Position, einer besonderen Abteilung innerhalb des Aufbaus des Ministeriums für Wirtschaft.
Meine Damen und Herren! Ich kann nicht umhin, eine weitere wichtige Angelegenheit einer erhöhten Beachtung und Fürsorge unserer Regierung zu empfehlen. Es handelt sich hier um zwei Stiefkinder der deutschen Wirtschaftspolitik, um zwei Stiefkinder, mit denen wir uns im Wirtschaftsrat in monatelanger eingehender Arbeit beschäftigt haben, nämlich um die deutsche Küsten- und Hochseefischerei. Der Wirtschaftsrat hatte sich bemüht, hier einem nationalen Notstand abzuhelfen; aber leider ist den damaligen Arbeiten ein befriedigender Erfolg versagt geblieben. Wir können feststellen, daß sich im gesamten Küstengebiet ein Strukturwandel vollzieht, der sich für alle Beteiligten — und das ist nahezu wohl die Gesamtheit der Bevölkerung in den Küstengebieten — sehr nachteilig auswirkt. Wir sollten von der Bundesregierung erwarten, daß das Entgegenkommen der Besatzungsmächte hinsichtlich des Fischdampferneubaus durch eine einsichtige deutsche Politik zu einem Erfolg wird.
In Anbetracht der Bedeutung der deutschen Fischwirtschaft, vor allen Dingen in der Form der Urproduktion, der Fischerei, sei es Küstenfischerei oder Hochseefischerei, gebührt dieser Fischwirtschaft eine besondere Abteilung im Ministerium. Meine Damen und Herren, wir haben bislang darunter gelitten, und wir werden weiter darunter leiden, daß wir nach der bisherigen Organisation — und nach den Empfehlungen der Ministerpräsidenten soll es so bleiben — nur eine Lenkungsstelle haben, unter der ein Referat Fische aufgeführt ist. Meine Damen und Herren, es handelt sich hier um einen Wirtschaftszweig sui generis mit ganz anderen technischen und volkswirtschaftlichen Voraussetzungen. Deshalb ist es unbedingt notwendig, daß der Fischwirtschaft eine besondere
Abteilung im Ministerium zugebilligt wird. Die Leistungen der Fischwirtschaft prägen sich nicht besser aus und lassen sich nicht besser darstellen als in einer kleinen Formel. 181 Fischdampfer leisten, über die Relation des Eiweißprozentsatzes umgerechnet, das, was 1 700 000 landwirtschaftliche Betriebe an Fleisch leisten. 80 000 Menschen hängen direkt oder indirekt von dem Gedeihen der deutschen Fischwirtschaft in unseren Küstengebieten ab. Das sollte uns allein schon genügen, um der Fischwirtschaft innerhalb der Organisation des Ministeriums die gebührende Stellung einzuräumen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einer ganz besonderen Sorge Ausdruck geben, die ebenfalls unsere Küstengebiete betrifft. Es handelt sich hier um den Wiederaufbau der deutschen Handelsflotte, um die Freigabe von Seefrachtern bis zu 3000 Tonnen. Es ist schlechterdings nicht zu vertreten, daß wir von unserer Landwirtschaft die höchsten Anstrengungen verlangen, um Devisen zu sparen, und auf der andern Seite zusehen, daß 26 Prozent der Devisen die uns nach dem Marshallplan zustehen, für Seefrachten ausgegeben werden. Die Leistungssteigerung der Landwirtschaft muß hier durch Ersparnisse an Devisen in den Seefrachten ergänzt werden. Außer durch die Förderung der Seefischerei kann durch Aufbau einer Handelsflotte die Wirtschaft der küstennahen Gebiete gerettet werden. Die Werften haben keine Aufträge mehr, und Entlassungen der Arbeiter sind an der Tagesordnung. 60 000 deutsche Seeleute und Werftarbeiter sind arbeitslos. Die Zulieferungsindustrien für den Schiffsbau und für die Reparaturanstalten sind zu nachhaltigen Betriebseinschränkungen gezwungen.
Ich glaube noch einmal zusammenfassend der Bundesregierung sagen und mit allem Nachdruck darauf hinweisen zu müssen, daß. wir aus den angegebenen Gründen einer automatischen Fortsetzung der in Frankfurt begonnenen Wirtschaftspolitik nicht unsere Zustimmung geben können. Hier bedarf es einer eingehenden Revision. Meine Damen und Herren, erkennen wir nun, daß wir eine Gesundung, unseres gesamten deutschen Wirtschaftslebens nicht erreichen können, wenn der deutschen Landwirtschaft nicht die ihr gebührende gleichberechtigte Stellung in der deutschen Wirtschaftspolitik eingeräumt wird.