Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch meine Fraktion ist der Auffassung, daß der Worte genügend gewechselt sind
und daß man jetzt zur Tat schreiten sollte.
- Meine Damen und Herren, diesem Gedanken würden wir voll Rechnung tragen, und ich würde diesen Platz sofort verlassen, wenn uns eines aus der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers nicht nachdenklich gestimmt hätte. Meine Fraktion sieht sich daher veranlaßt, ganz kurz auf einige Dinge einzugehen.
Wir haben aus dem Munde des Herrn Bundeskanzlers mit allergrößtem Interesse vernommen, daß die Aufgaben des Ministeriums für Landwirtschaft und Ernährung einen anderen Charakter tragen sollen, als das bisher der Fall war. Im Vordergrund sollen Verbesserung und erhebliche Steigerung der Produktion durch weiteren Abbau der Zwangswirtschaft, durch Schaffung gesicherter und ausgeglichener Produktions- und Absatzverhältnisse stehen, die die Produktionskosten gut arbeitender Durchschnittsbetriebe decken. Meine Damen und Herren, das sind an sich Erkenntnisse, die nicht neuesten Datums sind. Diese Dinge waren schon bei der VELF keine Geheimwissenschaft mehr, und lange vor Bestehen der VELF war man sich über diese Angelegenheiten, über die Notwendigkeiten der Existenzgrundlage der Landwirtschaft durchaus im klaren.
Nun, man hat sich nach dieser Erkenntnis nicht gerichtet; die praktische Anwendung unterblieb. Nach den Erfahrungen, die wir gerade in Frank-
furt gemacht haben, haben wir die allergrößte Sorge, daß bei der in der Regierungserklärung verkündeten Weiterverfolgung der in Frankfurt begonnenen Wirtschaftspolitik der Landwirtschaft und dem Gartenbau auch für die Zukunft eine untergeordnete Rolle innerhalb der gesamten deutschen Wirtschaftspolitik zugewiesen werden könnte.
Meine Damen und Herren, soll die noch immer bestehende Zweigleisigkeit nach Frankfurter Muster in der gesamten Wirtschaftspolitik fortgesetzt werden, diese Zweigleisigkeit, die doch zum geringeren Teil in der unterschiedlichen Marktordnung, viel mehr aber in der Unterschiedlichkeit der Preispolitik begründet ist? Diese Frage wird nicht dadurch gelöst, daß man die Produktionskosten gut arbeitender Betriebe zugrunde legt, ohne daß man darin der Arbeit, und zwar der schwersten körperlichen Arbeit, und ihrer Entlohnung als Kostenelement die gleiche Bewertung zumißt wie im Bergbau und in der Schwerindustrie. Nach unserer Auffassung liegt hier einer der neuralgischen Punkte der Agrarpolitik Oberhaupt. Während man bereit ist, die Industrielöhne, so gut es geht, zu stützen, läßt man eine totale Unterbewertung der Landarbeit zu. Das gilt für den Landarbeiter wie für den Bauern und seine im Betrieb tätigen Familienmitglieder, innbesondere für seine Ehefrau. Auf diese Weise ist es doch bis auf den heutigen Tag praktisch möglich gewesen, die gesamte deutsche Volkswirtschaft aus den der Landwirtschaft — es handelt sich hier um eine der härtesten körperlichen Arbeiten, die wir kennen -- vorenthaltenen Erlösen zu subventionieren, also nicht etwa aus einer normalen Verzinsung des hochgradig investierten Kapitals oder gar aus dem Unternehmergewinn; denn beide sind nachweislich nicht mehr vorhanden.
Im Mittelpunkt unseres agrarpolitischen Interesses sollte auch hier der Mensch stehen: der Mensch als Betriebsinhaber, als Bauer und der Mensch als Landarbeiter. Hier sollte mit der Bauernbefreiung schleunigst begonnen werden. Die Landwirtschaft muß in die Lage versetzt werden, ihren getreuen Mitarbeitern auskömmliche Löhne zu zahlen. Die Bundesregierung sollte sich die Abwanderung von Landarbeitern in die Stadt zu einer ernsten Warnung dienen lassen. Erst wenn eine rechte Bewertung der Landarbeit erreicht ist, haben wir für die Produktionssteigerung eine der wichtigsten Grundlagen geschaffen. Die Aufrechterhaltung der jetzigen Hackfruchtanbaufläche — bekanntlich sind die Hackfrüchte in ihrer Leistung grundsätzlich allen anderen Früchten überlegen — wird, um nur ein Beispiel zu nennen, zu einem grundlegenden und besonders ernsten Problem, wenn die Frage der gerechten Entlohnung nicht zufriedenstellend gelöst wird. Dazu gehört auch die Lösung des Problems, das den Titel „landwirtschaftlicher Werkwohnungsraum" trägt.