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ID0100801400

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    Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949 137 8. Sitzung Bonn, Dienstag, den 27. September 1949. Antrag der Zentrumsfraktion, betreffend Unterrichtung des Ältestenrats über den Stand der Abwertungsfrage: Dr. Reismann (Z) (zur Geschäftsordnung) 137C Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung . . . 137 B, 138 A Etzel (CDU) 138A Dr. Frey (CDU) 141D Dr. Kather (CDU) . . . . . . . 143C Euler (FDP) 146C Dr. Mühlenfeld (DP) 146D Dr. Besold (BP) 149D Unterbrechung der Sitzung . . 152B Löfflad (WAV) 152C Dr. Miessner (NR) 153A Dr. Ott (Parteilos) 155A Nächste Sitzung 156 C Die Sitzung wird um 15 Uhr 10 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Martin Frey


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Gegen alle wirtschaftliche Vernunft ist das deutsche Volk durch die Abtrennung seiner fast rein landwirtschaftlichen Provinzen östlich der OderNeiße-Linie und durch die Vertreibung der dort


    (Dr. Frey)

    seit Jahrhunderten ansässigen Bevölkerung und ihre Zusammendrängung auf dem verbliebenen Gebiet in Bedingungen versetzt, die im bisherigen Verlauf der Geschichte — so kamt man wohl sagen -- ohne Beispiel sind. Durch diese Situation hat Deutschland etwa den gleichen Zuschußbedarf an Nahrungsmitteln wie Großbritannien. Wenn nun England als Kern eines breit gelagerten Weltreichs Schwierigkeiten in der Nahrungsmittelversorgung hat und gewaltige Anstrengungen zur Erhöhung der eigenen Produktion macht, wieviel bedrohlicher muß dann jedem klar denkenden Deutschen unsere eigene Lage erscheinen!
    Die Nahrungsmittelversorgung Westdeutschlands ist abhängig von dem Ausfall der Ernten in den Vereinigten Staaten und von der Bereitwilligkeit des amerikanischen Kongresses, Etatmittel für unsere Nahrungsmitteleinfuhr zur Verfügung zu stellen, und von den Entscheidungen der leitenden Männer des Marshallpians. Meine Damen und Herren, das ist auf die Dauer ein unerträglicher Zustand. Es geht nicht an, daß ein ganzes Volk durch etwaige plötzliche Veränderungen in seiner politischen und wirtschaftlichen Umwelt in lebensbedrohlichen Hunger gestürzt werden kann. Diese Gefahr abzuwenden, muß die dringendste Aufgabe der deutschen Staatsführung sein.
    Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung bereits aufgezeigt — und das ist auch hier und dort bei allen übrigen Kollegen in ihren Reden angeschnitten worden —, daß uns in dieser bedrohlichen Lage letztlich nur die Ausschöpfung aller noch zur Verfügung stehenden Reserven in der Land- und Forstwirtschaft, das heißt also eine intensive landwirtschaftliche Produktionssteigerung retten kann. Daraus aber, meine Damen und Herren, ergeben sich eine ganze Reihe von Prinzipien für eine konstruktive Agrarpolitik und Erfordernisse und Voraussetzungen, die unbedingt vorher erfüllt sein müssen.
    Das erste Erfordernis ist ein gut funktionierendes Preissystem. Die Landwirtschaft will durchaus kein Sonderrecht für sich in Anspruch nehmen, aber sie erwartet doch mit aller Entschiedenheit, daß ihr dieselben Bedingungen und Voraussetzungen zuerkannt werden wie jedem anderen Wirtschaftszweig auch. Dazu gehört, daß die Preise der Produktionsmittel und besonders auch die Kosten der Arbeitskräfte für die Landwirtschaft im Preis der landwirtschaftlichen Produkte wieder hereinkommen. Für die Arbeitskräfte beansprucht die Landwirtschaft dieselben sozialen Bedingungen, vor allem auch für die Arbeiter dieselben Löhne wie in der einschlägigen Industrie. Preisgerechtigkeit und richtige Preisrelation müssen also gegeben sein. Nichts erträgt die Landwirtschaft schlechter als ein Auf und Ab der Preise. Was sie zu ihrer Erzeugung am dringendsten braucht, ist eine gewisse Stetigkeit im Preis und damit auch eine Stetigkeit in der Betriebsführung, da sich ihre Produktion ja immer über einen langen Zeitraum erstreckt und sie ihre Produktion nicht nach der jeweiligen marktbedingten Lage von Monat zu Monat ändern kann. Ohne die Erfüllung dieser Bedingungen gibt es keine Mehrerzeugung von Nahrungsmitteln. Darüber muß man sich vollends im klaren sein. Die Erfüllung dieser Vorbedingung aber steht in keinem Verhältnis zu den volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten und zu den technischen Möglichkeiten einer landwirtschaftlichen Produktionssteigerung. Ein staatliches Bewirtschaftungssystem, das selbst ohne Vertrauen zu seinen
    papierenen Verordnungen steht, kann das Problem keinesfalls lösen.
    Zur Lösung des Problems bedarf es vor allen Dingen einer sinnvollen Regelung der Importe, und es muß meines Erachtens eine der vordringlichsten Aufgaben der Mitglieder dieses Hohen Hauses sein, die bestehende Agrargesetzgebung baldigst im Sinne eines produktionsfördernden Anreizes zu revidieren und neu zu gestalten. Diese Produktionssteigerung gewinnt auch heute im Zeichen der Währungsabwertung und des verteuerten Kaufs im Ausland eine besondere Bedeutung. Hierhin gehört ebenso eine sinnvolle Gesetzgebung zur Regelung des inneren Marktes auf der Basis einer freiwilligen Ordnung, etwa im Sinne der Milchverwertungsgesetzgebung vom Jahre 1928 und vom Jahre 1932. Solange aber der Weltmarkt in Teilmärkte mit ganz verschiedenem Preisniveau zerrissen ist und noch einzelstaatlichen Planungen unterliegt, die durch politische Ziele und die devisenwirtschaftliche Zwangslage bestimmt sind, können normale Bedingungen für das innerdeutsche Angebot nur hergestellt werden, wenn jene Störungen von außen, die bald die Produzenten, bald die Konsumenten benachteiligen, durch eine Einfuhrregelung im Sinne einer sozialen Marktwirtschaft neutralisiert werden. Denn, meine Damen und Herren, für die Konsumenten ist das eigene Brot, auf eigener Scholle gewachsen, auf die Dauer immer das sicherste und dann sicher auch das billigste.

    (Sehr richtig!)

    Die Handelspolitik in bezug auf die Landwirtschaft muß in neue Wege geleitet werden. Während wir gegenüber unserem Hauptlieferland, den USA, ein Dollardefizit haben, das nicht ausgeglichen werden kann, versuchen unsere Nachbarländer, ihre Käufe von uns mit ihren Verkäufen an uns aufeinander abzustimmen. Das bedeutet aber eine viel stärkere Verkoppelung von Industrieausfuhr und Agrareinfuhr in Europa, als sie jemals früher bestanden hat. Der kürzlich getätigte Handelsvertrag mit Holland ist in seiner Auswirkung das gerade Gegenteil zum Anreiz einer deutschen landwirtschaftlichen Erzeugungssteigerung. Er ist vielmehr der Weg zur Verelendung unseres gesamten hochintensivierten westdeutschen Obst- und Gemüsebaus. Die heutige handelspolitische Tendenz geht überhaupt dahin, die Einfuhren von Veredelungsprodukten der Viehwirtschaft und von Obst und Gemüse aus unseren Nachbarländern zu vermehren. Wir werden immer mehr mit den Produkten beliefert, die wir leicht und gut selbst produzieren könnten, und der bäuerlichen Wirtschaft — das ist sehr wichtig — wird immer mehr ihr Arbeitseinkommen entzogen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Die gegenteilige Tendenz muß zum Zug kommen. nämlich erhöhte Einfuhr von Futtergetreide und Futtermitteln, damit wir selber veredeln können, um damit Devisen für die teueren Veredlungsprodukte zu sparen, vor allem aber, um unsere Grundnahrungsmittel für das Volk — nämlich Brotgetreide und Kartoffeln — aus dem landwirtschaftlichen Betrieb herauszuholen und sie vor dem Futtertrog zu bewahren.
    Meine Herren Abgeordneten! Das sind im wesentlichen die Grundsätze einer Agrar- und Wirtschaftspolitik, die der notwendigen landwirtschaftlichen Intensivierung Raum und Möglichkeiten geben. Die Hebung des Leistungsdurchschnitts der Landwirtschaft ist bekanntlich sehr schwierig.


    (Dr. Frey)

    In einem Beruf, in. dem sich schon in normalen Zeiten das investierte Kapital nur mit 21/2 Prozent verzinst, fehlen der Anreiz und das Kapital für eine weitere Intensivierung. Eine wohldurchdachte und ins einzelne gehende Beratung und Förderung muß deshalb einsetzen, um heute eine Produktionssteigerung, und zwar bei allen Betriebsgrößen, zu erreichen. Es muß aber eine Beratung gefordert werden, die vom Vertrauen der Bauern getragen ist. Voraussetzung für dieses Vertrauen ist, daß die Beratung nur privatwirtschaftlich richtige Ratschläge gibt und daß sie technisch richtig aufgezogen ist. Privatwirtschaftlich richtig, sagte ich. Meine Damen und Herren, hören wir doch endlich auf, ernährungs- oder volkswirtschaftliche Notwendigkeiten nur über die Beratung erreichen zu wollen! Der einzige Motor für wirtschaftliche Leistung ist der wirtschaftliche Erfolg. Wir müssen in der gesamten Agrarpolitik dem Grundsatz zum Durchbruch verhelfen, daß das, was volkswirtschaftlich notwendig ist, auch privatwirtschaftlich richtig sein muß. Wenn diese Voraussetzung geschaffen ist, werden wir mit einer technisch richtigen Beratung auch Erfolg haben. Zu diesem Zwecke sind für bestimmte Maßnahmen staatliche Zuschüsse erforderlich.

    (Zuruf links: An wen? )

    Der Berater stößt dann nicht mehr auf die unüberwindliche Schwierigkeit, daß zur Durchführung seiner Ratschläge die Mittel fehlen. Solche Maßnahmen, die ich Sofort-Produktiv-Beratung nennen will und die durch Beihilfen gefördert werden müssen, sind vor allem die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit durch Bodenuntersuchungen und auf Grund dieser Untersuchungen notwendige Gesunddüngungen, genossenschaftliche Getreidereinigungs-
    und -beizanlagen sowie eine durchgreifende Schädlingsbekämpfung. Ein besonders wichtiges Kapitel ist die Bekämpfung der Rindertuberkulose, der Unfruchtbarkeit des Rindes und die Durchführung der freiwilligen Milchleistungskontrolle - Flurbereinigung und Meliorationen sind hier schon des öfteren genannt worden —, Wiederaufforstung von Kahlflächen bzw. ungenügend bewirtschafteten Waldflächen, Gründung genossenschaftlicher hauswirtschaftlicher Gemeinschaftsanlagen, um das harte Los unserer Bäuerin zu verbessern.
    Auch die Bodenreform, die der Herr Abgeordnete Dr. Schumacher in der Regierungserklärung vermißt hat, wie er sagte, muß als wichtiges bevölkerungs- und wirtschaftspolitisches Problem sinnvoll in den Rahmen der allgemeinen landwirtschaftlichen Produktionssteigerung eingegliedert werden. Wir sind der Meinung, daß diese Frage von einer so eminent soziologischen und wirtschaftlichen Bedeutung ist, daß sie einmal im Plenum gesondert behandelt werden muß.
    Das sind die Maßnahmen, deren Förderung ich für äußerst dringlich halte. Ich möchte aber, daß alle Mittel, die zur Verfügung stehen, konzentriert auf diese wenigen Aufgaben verwandt und unter keinen Umständen verzettelt werden. Ihnen, meine Herren Abgeordneten, mögen solche Forderungen angesichts unserer allgemeinen Not vielleicht übertrieben erscheinen. Ich behaupte, daß es angesichts unserer Not Mindestforderungen sind. Wenn es uns in Westdeutschland gelingt, die landwirtschaftliche Erzeugung nur um zehn Prozent zu steigern, werden wir eine Milliarde an Devisen sparen. Ich glaube, daß dieses Ziel jeden Einsatz lohnt und jeder anderen Maßnahme vorangehen muß, so bitter notwendig sie auch sein mag. Wir müssen uns darüber klar sein, daß wir ganz erhebliche Mittel für die Intensivierung anfordern müssen, wenn wir bei der Beendigung des Marshallplans nicht verhungern wollen. Dies hat nichts mit den früheren Subventionierungen zu tun, sondern liegt unseres Erachtens auf derselben Linie wie die öffentlichen Förderungsmaßnahmen, die der Staat auch anderen nationalen Produktionszweigen, zum Beispiel dem Bergbau, zukommen läßt Ich glaube nicht, daß für Intensivierungsbeihilfen, auf den Kopf der Bevölkerung gerechnet, zehn Mark ausreichen werden. Aber diese Beträge werden vielfältig aus dem deutschen Boden zurückfließen und der gesamten deutschen Wirtschaft und dem gesamten Volk zugute kommen.

    (Beifall.)



Rede von Dr. Hermann Schäfer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kather.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Linus Kather


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Das Flüchtlingsproblem hat sowohl in der Regierungsklärung als auch in der anschließenden
    Debatte einen verhältnismäßig breiten Raum eingenommen. Ich möchte das als erfreulichen Auftakt für die Arbeiten dieses Parlaments und auch der Bundesregierung hinstellen. Ich kann auf eine weitere erfreuliche Tatsache hinweisen. Der Bundestag ist das erste Parlament, in das die Vertriebenen mit einer Zahl von Abgeordneten eingezogen sind, die ungefähr ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entspricht.

    (Beifall.)

    Etwa sechzig Heimatvertriebene und Flüchtlinge sitzen in den Reihen dieses Hohen Hauses. Wenn man sich vor Augen hält, daß beim ersten Zusammentritt des Wirtschaftsrats unter 52 Abgeordneten nicht ein Heimatvertriebener war, und daran denkt, daß auch im Parlamentarischen Rat unter 70 Abgeordneten nur ein Flüchtling zu finden war, so muß man hier doch einen sehr erfreulichen Fortschritt und ein politisches Novum höchst bedeutsamer Art feststellen. Die Augen der Vertriebenen sind auf Bonn gerichtet. Gerade diese Ärmsten unseres Volkes erwarten sehr viel vom Parlament, von der Bundesregierung und auch von ihren eigenen Abgeordneten. Von diesen erhoffen sie sich insbesondere, daß sie sich über alle Parteischranken hinweg zu gemeinsamer Arbeit für das Wohl ihrer Schicksalsgefährten zusammenfinden. Diese Hoffnung ist auch in einer Entschließung des Zentralverbandes der vertriebenen Deutschen zum Ausdruck gekommen, und ich glaube sagen zu können, daß dieser Wunsch auch von den Flüchtlingsabgeordneten selber einmütig geteilt wird. Schon die Vorbesprechungen im kleineren Kreise haben ergeben, daß der Wille zu dieser sachlichen Arbeit überall vorhanden ist, und ich kann eine solche Arbeitsgemeinschaft, die sich den parlamentarischen Gepflogenheiten anpassen und sich ohne feste Organisation von Fall zu Fall zu gemeinsamer Arbeit zusammenfinden wird, schon jetzt in sichere Aussicht stellen.

    (Beifall.)

    Ich meine, es wird für die ganze Arbeit des Parlaments von Nutzen sein, wenn sich eine so große Zahl von Abgeordneten aus den Kreisen der Vertriebenen zur Arbeit zusammenfinden und sie sich auf diese Weise näherkommen.
    Der Herr Abgeordnete Zawadil hat zum Ausdruck gebracht, und zwar mit Recht, daß wir in erster Linie Deutsche sein wollen und dann Flücht-


    (Dr. Kather)

    linge. Aber ich darf hinzufügen, daß die Arbeit für unsere Leidensgefährten der stärkste Antrieb unserer politischen Tätigkeit und ihre Interessen die oberste Richtschnur für unser politisches Handeln sein müssen. Das Vertrauen der Heimatvertriebenen wird auf die Dauer nur der behalten, der niemals bereit ist, ihre berechtigten Interessen parteitaktischen Erwägungen oder Anforderungen hintanzustellen.
    Es ist hier im Laufe der Debatte mehrfach gegen den drohenden Radikalismus im Lager der Heimatvertriebenen gesprochen worden. Wer die Entwicklung der letzten Jahre auf diesem Gebiet aufmerksam verfolgt hat, kann sich eigentlich nur wundern, daß der Radikalismus nicht noch viel weiter vorgeschritten ist. Das Unrecht hat an der Wiege unseres Problems gestanden, und es ist den davon Betroffenen treu geblieben bis auf den heutigen Tag. Es begann mit der Ausweisung von Millionen unschuldiger Menschen aus der angestammten Heimat und setzte sich fort hier im Westen mit Benachteiligungen und Zurücksetzungen aller Art.
    Ich sehe durchaus die Gesamtnot des deutschen Volkes. Das ist ja gerade das Furchtbare an dem Schicksal der Vertriebenen, daß sie hineingestellt sind in ein zerrissenes, zerstückeltes und zerstörtes, ohnmächtiges Vaterland. Wir wissen auch, daß wir in zahlreichen Fällen echter Menschenliebe und Menschenfreundlichkeit begegnet sind und daß viele Menschen und Stellen sich die größte Mühe gegeben haben, unser Los zu bessern. Aber ich muß doch sagen, daß das leider Ausnahmen sind und daß wir großen allgemeinen Unrechtstatbeständen gegenüberstehen, die wir anklagen müssen. Es hätte auch bei der trostlosen Gesamtlage unseres Volkes sehr viel mehr geschehen können. Wenn heute noch Hunderttausende in Lagern und in Bunkern menschenunwürdig hausen müssen, so hätte das nicht mehr zu sein brauchen. Wenn man vielerorts weniger darauf bedacht gewesen wäre, die guten Stuben zu bewahren, und mehr Wert darauf gelegt hätte, das gute Herz zu zeigen,

    (lebhafte Zustimmung)

    dann hätten wir das wahrscheinlich schon überwunden.
    Die Ostvertriebenen sind die einzige Volksgruppe, deren Angehörige bei der Währungsreform vollkommen leer ausgegangen sind. Vor einigen Tagen hat hier ein Abgeordneter darüber geklagt. daß die Sparguthaben nur mit 6,5 Prozent aufgewertet worden sind. Ich muß ihm entgegenhalten, daß unseren Schicksalsgenossen auch diese 6,5 Prozent vorenthalten worden sind,

    (Sehr richtig!)

    daß sie bis heute noch nicht die geringste Aufwertung für ihre Sparguthaben bekommen haben. Das mutet besonders merkwürdig an, wenn man sich vergegenwärtigt, daß sich auch hier wieder ein Unrecht gegen die richtet, die ohnehin schon alles verloren haben. Wir erwarten von der Regierung, daß eine ihrer ersten Maßnahmen sein wird, diesem Unrecht ein Ende zu setzen.
    Wir haben mit Genugtuung aus der Erklärung des Kanzlers gehört, daß ein weiteres Unrecht, nämlich in der Behandlung der Ansprüche unserer Pensionäre und Hinterbliebenen, endlich ein Ende finden soll. Der Zonenbeirat hat schon am 14. Januar 1948 die Militärregierung einstimmig gebeten, diesem Unrecht ein Ende zu setzen, und es ist wirklich allerhöchste Zeit, daß das damals gegebene Versprechen der Militärregierung erfüllt wird.
    Wir müssen auch fordern, daß man den aus dem Osten verdrängten Beamten die ihnen nach dem Beamtengesetz zustehenden Wartegelder nicht weiter vorenthält. Wir müssen fordern, daß man den Kündigungsschutz erweitert. Die Angestellten und Beamten aus dem Osten sind naturgemäß die ersten Opfer jeder Kündigung, die aus Gründen der Ersparnis oder aus anderen Gründen notwendig wird: sie sind zuletzt gekommen und werden zuerst entlassen. Wir wissen, daß der Anteil der Heimatvertriebenen an der Arbeitslosigkeit dreimal so groß ist wie der der einheimischen Bevölkerung. Wir erwarten daher, daß man auf diese besondere Situation auch bei der Bildung der Bundesregierung Rücksicht nimmt. Es entspricht der Gerechtigkeit, daß man in erster Linie an die aus dem Osten gekommenen Angestellten und Beamten denkt, die noch immer keine Beschäftigung gefunden haben.
    Ganz besonders möchte ich die Aufmerksamkeit der Bundesregierung auf eine weitere Gruppe lenken: das sind die aus dem Osten verdrängten Bauern und Landwirte. Hier handelt es sich um eine Art von Menschen, die sich nur sehr schwer einem anderen Berufe zuwendet, die auch nicht die nötige Wendigkeit besitzt, um sich selbst irgendwie zu helfen, vor allem aber eine Gruppe, die den Verlust der Heimat doppelt schmerzlich empfindet und für die bisher nach meinen Erfahrungen am allerwenigsten getan worden ist. Was man bisher von Aktionen mit wüsten und auslaufenden Höfen und ähnlichem gehört hat, kann man noch nicht einmal als Tropfen auf den heißen Stein bezeichnen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich muß verlangen und erwarten, daß die Bundesregierung gerade dieser Frage ihre besondere Aufmersamkeit zuwendet, ein wirklich großzügiges Siedlungsprogramm in die Tat umsetzt und auch die dafür erforderlichen Geldmittel bereitstellt.
    Denken Sie an das weitere Unrecht, das sich in der Art und Weise kennzeichnet, wie das Sofortprogramm gestaltet und gestartet worden ist. Acht Monate haben die Besatzungsmächte die Durchführung dieser wirklich dringenden Notmaßnahmen hinausgezögert, ehe sie sie in Kraft setzten; eine merkwürdige Art der Sachbehandlung, die wirklich geeignet war, den Vertriebenen auch das letzte Vertrauen zu nehmen. Und was ist bei der Sache denn eigentlich herausgekommen? Doch nur eine ziemlich unerhebliche Erhöhung der bisher gezahlten Unterstützungen! Dieses Sofortprogramm, dem man ja auch den Namen „Lastenausgleich" mit Recht entzogen hat, hat mit dieser Maßnahme wirklich nichts mehr zu tun. Es ist nichts anderes als ein vorweggenommener Finanzausgleich. Das Betrübliche daran ist zudem, daß die Beträge, die dafür aufgewendet werden, den Ostverdrängten und den anderen Krieggeschädigten verlorengehen, und wir müssen uns dagegen verwahren, daß aus diesen Mitteln die Wohlfahrtsetats der Länder, Kreise und Gemeinden allein auf Kosten der Kriegsgeschädigten entlastet werden. Das sind Aufgaben, die die Allgemeinheit zu tragen. hat, die aber mit dem Lastenausgleich nicht das geringste gemein haben.
    Ein weiteres schweres Unrecht ist die Art und Weise, wie man unsere Organisationen behandelt


    (Dr. Kather)

    hat. Es ist doch ein grotesker Zustand, daß man dieser am meisten geschädigten Volksgruppe seit Jahr und Tag noch die Möglichkeit genommen hat, sich zu gegenseitiger Hilfe zusammenzuschließen. Daher is es kein Wunder, meine Damen und Herren, wenn der Ruf nach der Flüchtlingspartei immer lauter geworden ist. Dieses Mal ist noch ein Erdrutsch verhindert worden, weil die Lizenz fehlte, weil die maßgeblichen Männer sich gegen diese Entwicklung gestemmt haben und weil insbesondere der Zentralverband davor gewarnt hat, den Weg der unabhängigen Kandidatur zu gehen. Es handelt sich hier um ein Problem von einer sehr erheblichen Größenordnung. 7,8 Millionen Flüchtlinge haben wir im Bundesgebiet. Das ist eine Masse, die, wenn sie zusammengefaßt wird, sehr wohl in der Lage ist, das politische Bild vollkommen zu verändern.

    (Zuruf: Das will man ja verhindern, man macht sie ja mundtot!)

    Es gibt nur eins, was diese Entwicklung überhaupt noch aufhalten kann — und ich richte einen Appell an die Bundesregierung —: die Notmaßnahmen, die ich hier aufgezeigt habe, nunmehr unverzüglich in Kraft zu setzen. Mit Drucksache Nr. 29 haben wir einen solchen Antrag bereits eingereicht. Wir erwarten, daß die Bundesregierung von der Möglichkeit des Artikels 119 Gebrauch macht und alle diese Maßnahmen im Wege der Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats in Kraft setzt.

    (Abg. Hilbert: Das können Sie aber nur mit großen Parteien erreichen, nicht mit einer Flüchtlingspartei!)

    Ich habe auch nicht der Flüchtlingspartei das Wort geredet, was Sie festgestellt haben müßten, wenn Sie meine Ausführungen mit Aufmerksamkeit verfolgt hätten, sondern ich habe nur auf eine Gefahr hingewiesen, der wir absolut ins Auge sehen müssen.
    Wir müssen vor allem auch erwarten — und darin stimme ich mit dem Herrn Bundeskanzler überein —, daß der endgültige Lastenausgleich unverzüglich in Angriff genommen wird. Auch ich bin der Meinung, daß er leichter von einer blühenden Wirtschaft zu tragen sein wird, keinesfalls aber aus den Erträgnissen der Wirtschaft. Wir verlangen eine gerechte Neuverteilung der Lasten, die die Zufallsentscheidung des Krieges mit sich gebracht hat, aber diese gerechte Neuverteilung ist ohne Eingriff in die Vermögenssubstanz nicht durchführbar.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Dem, der die Dinge etwas tiefer sieht, ist es völlig klar, daß in der ganzen Entstehung und Behandlung des Flüchtlingsproblems vom Osten her eine bestimmte politische Absicht erkennbar ist. Man hat uns unsere Ernährungsgrundlage genommen, man hat die 10 Millionen Menschen in das schon übervölkerte Westgebiet hineingepreßt, und durch die Zustände in der Sowjetzone sorgt man dafür, daß dieser Flüchtlingsstrom nicht versiegt; meiner Auffassung nach alles in der offenkundigen Absicht, bei uns unmögliche Zustände zu schaffen, einen ewigen Unruhe- und Zersetzungsherd zu unterhalten und dadurch Westdeutschland langsam, aber sicher für den Bolschewismus reif zu machen. Dieser Gefahr werden wir nur begegnen können, wenn wir die nicht zu leugnenden
    großen sozialen Spannungen, die auf die Dauer nicht bestehen bleiben können,

    (Zuruf von der KPD)

    durch einen gerechten Lastenausgleich überwinden. Auch derjenige, der noch einen Besitzstand zu verteidigen hat, sollte sich sagen, daß selbst ein schmerzhafter Eingriff in die Vermögenssubstanz leichter zu ertragen ist als ein Zustand, der geschaffen würde, wenn die verzweifelten Millionen zur Selbsthilfe greifen würden.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Das deutsche Volk hat hier seine große Bewährungsprobe abzulegen und mit dem deutschen Volk auch der deutsche Bundestag.
    Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, daß wir zur Lösung unserer Frage internationale Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Darin kann man ihm nur beipflichten. Es wird insbesondere die Aufgabe des Herrn Flüchtlingsministers sein, seine Tätigkeit gerade nach dieser Richtung hin zu intensivieren. Aber es ist schon von anderer Seite gesagt worden, und ich möchte es doch noch einmal sagen: man kann auswärtige Hilfe erst dann in Anspruch nehmen, wenn man selbst die notwendigen eigenen Anstrengungen gemacht hat. Ich entnehme auch daraus eine Unterstützung des Appells, den ich eben an die Bundesregierung gerichtet habe.
    Ich bin aber auch der Auffassung, daß selbst mit internationaler Hilfe eine wirkliche und echte Lösung des Flüchtlingsproblems nicht möglich sein wird. Der Herr Bundeskanzler hat mit Recht gesagt, daß 50 Prozent unseres Nahrungsmittelbedarfs oder noch mehr eingeführt werden müßten; er hofft, bis zum Jahre 1950 durch Intensivierung der Landwirtschaft einen Ausgleich der deutschen Wirtschaft herbeizuführen. Nach dem, was der Herr Vorredner hier eben gesagt hat, daß durch zehnprozentige Erhöhung unserer Erzeugung eine Milliarde erspart werden könnte, bin ich nicht so optimistisch wie der Herr Bundeskanzler. Wir brauchen weit über drei Milliarden, und ich glaube nicht, daß es möglich sein wird, unsere landwirtschaftliche Erzeugung derart zu steigern, und ebensowenig glaube ich, daß man uns einen Export in diesem Ausmaße gestatten wird. Wir können diese Spanne verringern, aber nicht beheben, und müßten also auf die Dauer Kostgänger der Alliierten bleiben.
    Es gibt nur eine wirkliche und echte Lösung: das ist die Rückgabe unserer Ostprovinzen. Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, diese Erkenntnis, die dahin geht, daß Deutschland ohne diese Ostprovinzen, ohne diese seine Kornkammer immer ein wirtschaftlicher Torso bleiben wird, der ganzen Welt zum Bewußtsein zu bringen und darauf hinzuweisen, daß es ein wahnwitziger Zustand ist, wenn 18 Millionen Polen weit mehr Ackerfläche zur Verfügung haben als 70 Millionen Deutsche. Auf einer derartigen Grundlage kann man kein gesundes und glückliches vereinigtes Europa aufbauen.
    Das Recht auf die Heimat ist von anderen Rednern schon genügend unterstrichen worden. Dieses Recht erkennen wir selbstverständlich auch unseren sudetendeutschen Freunden zu. Aber es war völlig unmöglich, etwa vom Kanzler zu verlangen, daß er in seiner Regierungserklärung Anspruch auf Gebiete erhebt, die vor 1937 nicht zum Deutschen Reich gehört haben. Wer etwas Derartiges verlangt; dem fehlt das erforderliche Fingerspitzengefühl.

    (Sehr gut! links und in der Mitte.)



    (Dr. Kather)

    Aber eines müssen und können wir fordern. Wir fordern, daß das Sudetenland, das seit uralten Zeiten deutsch war, seinen deutschen Bewohnern zurückgegeben wird. Das ist eine Forderung, hinter die sich jeder stellen kann. Wir fordern auch die Wiedergutmachung für unsere sudetendeutschen Freunde, und wir wollen hoffen,

    (Zuruf von der KPD: Ein neuer Henlein!)

    daß es nicht allzulange dauern wird, bis auch die Bewohner des Sudetenlandes wieder in ihrer alten Heimat sitzen, in einem Europa, in dem Grenzen nicht mehr die Rolle spielen, die sie in der Vergangenheit gespielt haben.
    Lassen Sie mich noch ein Wort zu der Frage des Flüchtlingsministeriums sagen. Die Errichtung des Flüchtlingsministeriums hat in der Debatte allgemein Zustimmung gefunden. Ich habe kein Wort der Kritik gehört. Die Bedenken, die vorher, insbesondere auch vom Organisationsausschuß laut geworden sind, sind uns bekannt; sie mußten aber zurückgestellt werden. Worauf es uns ankommt, ist, daß einer von uns als verantwortlicher Minister im Kabinett sitzt und dafür sorgen kann, daß man uns nicht mehr vergißt. Es wird Sache der Bundesregierung sein, insbesondere auch des Bundeskanzlers, dem Flüchtlingsminister jede Unterstützung zuteil werden zu lassen. Es handelt sich hier um das Problem Nummer 1. Leider Gottes verdient dieses Problem diese Bezeichnung auch im Hinblick auf seine Dauerhaftigkeit. Es werden noch sehr viele Jahre vergehen, ehe wir dieser Schicksalsfrage des deutschen Volkes Herr geworden sind. Mit Rücksicht auf die Bedeutung und den Umfang bitte ich auch, von einer Sparsamkeit I am falschen Platze abzusehen und gerade für dieses Ministerium die erforderlichen Mittel bereitzustellen, damit es die notwendige Arbeit im Interesse der Vertriebenen leisten kann. Wir sind der Meinung, daß zur Unterstützung dieser Arbeit in jedem Ministerium, das in Betracht kommt, eine besondere Abteilung für Flüchtlinge gebildet werden sollte, die gerade die einschlägigen Fragen unter die Lupe zu nehmen hat.
    Wir von den Flüchtlingsorganisationen begrüßen es, daß einer von uns an dieser Stelle steht. Ich kann dem Herrn Minister die Erklärung abgeben, daß wir seine Arbeit in jeder Weise unterstützen werden; und da er selbst einer von uns ist, auch einer von der Organisation her, sind wir einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sicher. Wir erwarten andererseits auch, daß man endlich mit der Diffamierung und Zurücksetzung der Organisationen ein Ende macht, daß man endlich unsere Arbeit, die wir jahrelang unter den schwersten Bedingungen für die Allgemeinheit getan haben, anerkennt und ihr die notwendige Unterstützung zuteil werden läßt.
    Meine Damen und Herren, die Situation ist ernst. Es wird von der Politik der Bundesregierung und auch dieses Hohen Hauses abhängen, ob es gelingt, die Flüchtlinge von dem Wege der politischen Absonderung abzuhalten. Ich sage noch einmal: ich würde das für ein Unglück ansehen. Bei der augenblicklichen Situation und Stimmung kann eine solche politische Neubildung nur in ein radikales Fahrwasser kommen, und die maßvollen Persönlichkeiten aus dem Flüchtlingslager würden dann wahrscheinlich nicht maßgebend sein. Es hängt von den Erfolgen ab, die wir in den nächsten Wochen und Monaten aufzuweisen haben. Mit Worten sind die Vertriebenen nicht
    mehr anzusprechen; sie wollen endlich Taten sehen, und nur diese werden sie anerkennen. (Beifall in der Mitte und rechts.)