Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Ursprünglich bestand bei meiner Partei und bei meiner Fraktion die Absicht, nicht mehr zur Regierungserklärung zu sprechen, weil wir durchaus mit dem Abgeordneten und bayerischen Landsmann Loritz der Meinung sind, der Bundesregierung die Zeit nicht vorenthalten zu sollen, die sie braucht, um die brennenden Probleme alsbald in Angriff zu nehmen.
Wir haben uns trotzdem entschlossen, noch einmal das Wort zu nehmen, weil wir glauben, daß der bisherige Verlauf der Debatte uns Anlaß zur Besorgnis gegeben hat. Heute morgen — das darf ich am Rande vermerken — hat der Herr Vertreter der CSU behauptet, daß die von der Fraktion der Bayernpartei gebilligten Ausführungen des Fraktionsvorsitzenden Übertreibungen und Maßlosigkeiten enthalten haben. Ich glaube, daß das Hohe Haus kein Interesse an der Fortführung von Auseinandersetzungen haben kann, die ausschließlich innerbayerischen Charakters sind. Diese Auseinandersetzungen werden in sehr absehbarer Zeit auf einem anderen Glacis zum Austrag kommen.
Es wäre wichtig und auch reizvoll, die Fragen der Wirtschaft und der Sozialpolitik im einzelnen zu durchleuchten. Die Zeit, die mir zur Verfügung steht, erlaubt dies nicht. Ich darf aber darauf hinweisen, daß die Lage der deutschen Wirtschaft durchaus geändert ist durch grundlegende strukturelle Wandlungen, die in dem Bericht der Wirtschaftskommission der UN über das Jahr 1948 mit klarer Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen sind. Wir können uns vorstellen, welche Situation für die deutsche Wirtschaft unter Berücksichtigung des Verlustes weitgehender Gebiete der Ostmärkte besteht, die auf die Dauer für die westdeutsche Produktion unentbehrlich sind. Es könnte uns mit
Sorge erfüllen, daß die Rückgewinnung dieser Märkte nur durch bedenkliche politische Konzessionen möglich ist.
Wenn in der Regierungserklärung davon die Rede ist, daß der Kurs des Frankfurter Wirtschaftsrats fortgesetzt werden soll, so wollen wir diese Zusicherung auf den Grundsatz der sozialen Marktwirtschaft einschränken, den wir anerkennen. Wir wollen aber hoffen, daß die zentralistischen Methoden, die den Frankfurter Wirtschaftsrat in einer uns so unsympathischen und nachteiligen Weise erscheinen ließen, nicht weitergeführt werden.
Die Betonung der besonderen Fürsorge für den Mittelstand haben wir mit Genugtuung aufgenommen, weil der Mittelstand für uns der klassische Träger des Individualitätsgedankens in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht ist, weil wir der Meinung sind, daß versucht werden muß, die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme in möglichst weitem Maße mittelständisch-bürgerlich zu lösen, weil wir von der Bayernpartei jede Methode der hochkapitalistisch-klassenkämpferischen und der proletarisch-klassenkämpferischen Austragung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Spannungen ablehnen.
Wir sind für den sozialen Frieden. Die großen Aufgaben, die hier den Gewerkschaften gesetzt sind, können und werden sie nur dann erfüllen, wenn sie jedem Gedanken an die Möglichkeit eines Klassenkampfes entsagen und darangehen, in sich die Voraussetzungen und Möglichkeiten des schiedlich-friedlichen Einvernehmens zwischen den Arbeitnehmern und Arbeitgebern durch berufsständische Organisation und Methode zu erwägen und zu schaffen.
Auf die Frage der Wiederherstellung des Vertrauens der Sparer und auf die Notwendigkeit einer steuerlichen Entlastung werde ich mit wenigen Worten in einem ganz arideren Zusammenhang am Schluß noch kommen.
Da ich die Rangordnung der einzelnen Fragen berücksichtigen möchte, werde ich mich vor allem staatsrechtlichen und staatspolitischen Ausführungen zuwenden. In dem Grundgesetz ist behauptet, und zwar sowohl in der Präambel wie in Artikel 20, daß der Bonner Staat ein Bundesstaat sei. Das ist, gelinde ausgedrückt, ein Euphemismus. Ich könnte, wenn ich ganz deutlich werde, auch sagen: es ist eine Unrichtigkeit. Ich will nicht sagen, es ist eine Unwahrheit, aber es ist eine Unrichtigkeit. Denn dieser Bundestag ist ja nicht durch Verbündung zustande gekommen, sondern durch Majorisierung. Ein Bundesstaat setzt, so wie die Bismarcksche Verfassung auf den Novemberverträgen beruhte, Staatsverträge voraus. Solche sind aber nicht abgeschlossen worden.
In der Präambel des Grundgesetzes ist weiter zum Ausdruck gebracht, daß das deutsche Volk sich dieses Grundgesetz gegeben habe. Der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer hat zu einer Zeit, als er diese hohe Würde noch nicht bekleidete — das war am 23. Mai bei der feierlichen Unterzeichnung des Grundgesetzes —, gesagt, die Verfassung beruhe auf dem freien Willen des deutschen Volkes. Wir können eine solche Auffassung nicht teilen. Das deutsche Volk hat das Grundgesetz nicht beschlossen. Artikel 146 sagt selbst: Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen
Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist. Hier ist die Meinung widerlegt, daß das Grundgesetz das Geschöpf einer freien Entscheidung des deutschen Volkes sei.
Sein Zustandekommen zeigt die verschlungenen Linien einer teils verfassungs-, teils besatzungsrechtlichen Manipulation, und es besteht in der Tat nur vom Standpunkt des Besatzungsrechts aus.
Wir haben also schon in der Stunde der Geburt von Föderalismus nichts erleben können. Der Aufbau des Grundgesetzes selbst zeigt nur Rudimente des Föderalismus. Daher enthält auch das Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure zu dem Grundgesetz die Worte Föderalismus und föderalistisch nicht mehr, und die Charta für die Hohe Alliierte Kommission spricht nur noch von den durch die Verfassung angegliederten Ländern. Kein Wort mehr von Föderalismus! Wir bedauern den Stellungswechsel der amerikanischen Politik außerordentlich.
Die britische Politik hat uns nicht überrascht, sie war in bezug auf Deutschland immer zentralistisch
orientiert, gleichviel ob es Whig-, Tory- oder Labour-England war. Wir wissen aus den Jahren 1866/67: als Preußen die Folgerung aus seinem Siege und den Augustbündnissen zog und auf den Trümmern des von ihm zerstörten Deutschen Bundes den Norddeutschen Bund errichtete, da brach die britische Presse in Jubel aus, weil sie glaubte, daß hier eine neue Konstruktion geschaffen worden sei, die den hochpolitischen Zielen der britischen Politik zur Verfügung stehen würde. Es wunderte uns nicht, daß Bevin an jenem Himmelfahrtstage 1947 bei der Deutschlanddebatte im Unterhaus der Sache nach erklärt hat, daß die britische Politik nur einen übermäßigen Zentralismus ablehne, und das Memorandum eben dieses Bevin zur Londoner Außenministerkonferenz trug alle Züge der Weimarer Verfassung.
Daß die amerikanische Politik so weit ging, in ihrer Denkschrift vom 24. März 1948, die sie zur Sechsmächtekonferenz vorlegte, eine Verschärfung des Zentralismus des Frankfurter Wirtschaftsrats für die künftige deutsche Gestaltung vorzuschlagen, das ist uns eine tiefe Enttäuschung gewesen, nachdem wir in den Jahren 1945 und 1946 eine so staatsmännische Weitsicht der amerikanischen Politik im föderalistischen Sinne erlebt hatten. Ich wundere mich, daß die französische Politik eine solche zentralistische Entwicklung mitmacht und billigt;
denn sie erklärt gleichzeitig,
dieser neue Zentralstaat sei möglicherweise eine Bedrohung. Es ist mir unverständlich, daß die französische Politik, wenn sie eine neue Machtkonzentration auf zentralistischer Grundlage hier in Mitteleuropa befürchtet, gleichzeitig eine solche Möglichkeit mit konstruieren hilft.
Heinrich von Treitschke hat in einem Aufsatz in den Preußischen Jahrbüchern gesagt, er lasse es dahingestellt, ob das Bismarcksche Reich staatsrechtlich ein Bundesstaat sei, und er erklärte, daß es jedenfalls politisch und geschichtlich bereits der die Mehrheit des deutschen Volkes außer Österreich beherrschende preußisch-deutsche Einheitsstaat oder kurz: die nationale Monarchie mit bündischen Institutionen sei. Ich wäre begierig, das Urteil Treitschkes zu hören, wenn er das Bonner Grundgesetz erlebt hätte, nachdem er schon die Bismarcksche Verfassung, die wesentliche föderalistische Elemente und Grundlagen enthielt, in einer solchen Weise als Zentralstaat charakterisieren konnte.
Warum lehnen wir eine andere als eine föderalistische Gestaltung der europäischen Mitte ab? Wir sind gegen jede Blockbildung. Wir von der Bayernpartei wenden uns dagegen, daß hier in Mitteleuropa eine Äußere Mongolei errichtet wird, sei es nach der einen oder nach der anderen Himmelsrichtung. Wir wollen keine solchen Optionen, die uns aufs neue in den Schlund der Machtpolitik hinabschleudern müßten.
Vor allem aber liegt uns an Gesamtdeutschland. Wer die Geschichte des Deutschen Bundes kennt, weiß, daß sie die Geschichte der Treue Bayerns und Österreichs zu Gesamtdeutschland ist.
Wer die Geschichte des Deutschen Bundes kennt, weiß, daß der zentralistische Partikularismus des preußischen Staatsgedankens gegen Gesamtdeutschland war,
vom Unionsprojekt des Jahres 1849 angefangen bis zur Zertrümmerung des Bundes mit Hilfe des Zündnadelgewehrs. Wir vermögen uns Deutschland nicht ohne Österreich vorzustellen, und wir wollen nicht auf die fünf Länder der Sowjetzone verzichten. Das Gefälle, das zwischen Ost und West bereits besteht, wird bei einer Fortsetzung der staatspolitischen, der wirtschafts- und sozialpolitischen Arbeit im Bonner Staat einerseits und in den deutschen Oststaaten andererseits immer größer werden, und wenn drei Jahre vorüber sein sollten, würden wir die beiderseitigen Teile dieses gequälten Deutschland kaum mehr miteinander vergleichen können. Es ist undenkbar, daß wir die fünf deutschen Länder der Ostzone in einen zentral gestalteten Weststaat eines Tages einzugliedern vermögen, wenn nicht vorher das Gefälle vollkommen eingeebnet worden ist. Ich möchte aber den kennen, der mir glaubhaft machen kann, daß das dann möglich wäre. Wir haben ja schon eine Stimme gehört, meine Damen und Heren, die gesagt hat: wenn es einmal dazu kommen solle, werde es notwendig sein, zumindest die volkseigenen Betriebe in der Ostzone aufrechtzuerhalten, mit anderen Worten die Kollektivierung, die dort in weitem Umfang besteht, nicht zu beseitigen.
Wir wollen Deutschland. Deutschland aber gibt es nicht ohne Österreich und ohne die Länder der Sowjetzone. Glauben Sie doch nicht, daß es möglich wäre, Österreich nochmals, wie im Jahre 1938, gegen seinen Willen mit Gewalt anzuschließen. Kein Vernünftiger kann daran denken wollen. Der Beitritt Österreichs, wenn er einmal erfolgen sollte, kann, darf und wird nur ein freiwilliger sein. Aber wir können uns Deutschland ohne Österreich und ohne unsere österreichischen Brüder nicht vorstellen.
Dieses Österreich vermag aber nur dann in den gesamtdeutschen Verband hereinzukommen, wenn 9 ihm eine staatenbündische, staatsmännisch richtige Konstruktion das erlaubt und ermöglicht. Und, meine Damen und Herren, hüten wir uns doch davor, ein Schema, eine Schablone, die in einer so fürchterlichen Weise widerlegt worden ist, für modern zu halten. Der staatenbündische Gedanke ist modern im höchsten Sinne. Seine elastischen Konstruktionen bieten jeder Aufgabe, die ihm gestellt wird, Grundlage und Möglichkeit, während jede Zentralisierung — abgesehen von der in ihr liegenden Gefahr der Vorbereitung einer neuen Diktatur — die Schaffung Gesamtdeutschlands unmöglich macht,
und das werfen wir dem Grundgesetz des Bonner Staates vor.
Ein ehrfurchtgebietender Mann — ich sage das deswegen, weil es ein in hohem Alter stehender Mann ist, der in Ehren grau geworden ist —, der sozialdemokratische Bundeskanzler von Österreich Dr. Karl Renner, hat im Januar 1947 vor dem Wiener Presseklub in elegischer Weise der hohen Mission und Aufgabe gedacht, die die ehemalige Monarchie im Donauraum erfüllt hat, und er sprach die Hoffnung aus, daß es doch möglich sein möchte, eine ähnliche Konstruktion, wenn auch beschränkt auf Wirtschaftsaufgaben, dort wieder zu errichten. Die Alliierten haben im Jahre 1918 diesen Staat mit auflösen - ich will nicht das harte Wort „zerstören" gebrauchen — helfen. Sie wären wohl glücklich, wenn heute eine deutsch geführte Ordnungsmacht im Donauraum anwesend wäre statt des Gorgonenhauptes einer anderen.
Wenn wir doch erkannt haben, daß die zentralistische preußisch-deutsche Staatskonstruktion, die notwendig eine partikularistische ist, nicht nur dazu geführt hat, uns in zwei furchtbare, lebenbedrohende Katastrophen zu stürzen, sondern auch dazu, daß die Lebenslinie des deutschen Volkes immer weiter von Osten nach Westen vorgerückt wurde; wenn wir weiter erkannt haben, daß wir nicht bloß an der Oder-Neiße-Linie Anstoß nehmen müssen, dann dürfen wir nichts von unserer Seite dazu tun, um eine Elbelinie zu verstärken.
Wir dürfen uns nicht verhalten wie das Huhn, um das ein Kreidekreis gezogen worden ist — ich bitte mich nicht mißzuverstehen, Herr Präsident, und ich bitte, keinen Ordnungsruf in Aussicht zu nehmen.