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ID0100709000

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    Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 47 7. Sitzung Erster Tag Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949. Geschäftiche Mitteilungen 47B, 67C, D Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung . . . 47B Ewers (DP) 47C Dr. Seelos (BP) 53D Reimann (KPD) 58C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 67A Unterbrechung der Sitzung . 67C Loritz (WAV) 67D Frau Wessel (Z) 72B Dr. Richter (DRP) 80A Clausen (SSW) 85C Dr. Edert (Parteilos) 86B Fortsetzung der Sitzung 87C Die Sitzung wird um 10 Uhr 11 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Margot Kalinke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Herren und Damen! Ich kann zu den sozialpolitischen Problemen nicht sprechen, ohne zunächst der Regierungserklärung und vor allem der Erklärung unseres Bundeskanzlers zu gedenken, die er uns soeben gegeben hat. In diesem Hause ist in der Generaldebatte das Wort Ghandis gesprochen worden: „Dem Armen erscheint Gott im Brot". Es ist notwendig, zu erklären: die Tatsache, daß die Regierung verhindert hat, daß durch die Ereignisse dieser Tage der Brotpreis und der Fettpreis erhöht werden, verpflichtet uns zu Dank und Anerkennung und beruhigt uns.

    (Beifall rechts.)

    Wenn das deutsche Volk in allen seinen Schichten in diesen Tagen und in diesen Stunden besonders nach Bonn herhorcht, dann sollten alle Politiker, die hier das Wort ergreifen, diese Verantwortung gegenüber der Sehnsucht und der Erwartung des deutschen Volkes spüren. Sie sollten sie zum Leitstern ihres Redens und Handelns machen und sich damit auch hüten, hier ins Leere hinaus dogmatische Reden zu halten, die nicht zur Lösung der sozialen Spannungen beitragen. Ich habe es insofern wohltuend empfunden, daß die heutige Spezialdebatte sich von der Generaldebatte in der Beziehung sehr weit abgehoben hat. Politik soll zwar mit dem Kopf gemacht werden. Und doch kann die Hingabe an sie, wenn sie eben mehr als ein frivoles, intellektuelles Spiel sein, sondern echtes, menschliches Handeln bedeuten soll, nur aus der Leidenschaft des Herzens und aus der Hingabe der ganzen Persönlichkeit geboren sein. Das Problem, das von uns fordert, auf der politischen Ebene um die Lösung der Spannungen zu ringen, verlangt von uns, daß wir im Dienst der Sache jene Leidenschaft des Herzens verantwortlich mit der Kühle des Verstandes in Einklang bringen. Dann werden wir auch die Fülle der vielen Probleme, die vor uns stehen, in einer Atmosphäre lösen, die nicht eine Atmosphäre des Mißtrauens, sondern die bessere Atmosphäre des Vertrauens sein wird.
    Bei dem Primat der Sozialpolitik, unter dem der Beginn unserer Regierungsarbeit steht, habe ich jene Auseinandersetzung von heute morgen, auch die Ausführungen des Kollegen Ollenhauer, die sich von denen des Herrn Dr. Schumacher in ihrer Sachlichkeit, aber auch in ihren absolut klaren Forderungen wohltuend absetzten, begrüßt, und ich habe mit Freude die Ausführungen des Kollegen Blank von der CDU gehört, der mit ganzem Herzen dahinterstand, als er sein Bekenntnis zu einer fortschrittlichen Sozialpolitik ablegte. Ich identifiziere mich mit den Ausführungen des Herrn Kollegen Wellhausen, mit denen meine Fraktion vollkommen einverstanden ist.
    Handwerk und Landwirtschaft haben in der heutigen Debatte so warme Fürsprecher gefunden, daß ich es mir wegen der Kürze der mir verbliebenen und der uns auch heute nur bewilligten Zeit schenken muß, darauf besonders einzugehen. Der Kollege Rüdiger von der FDP hat an dem Beifall, den er gefunden hat, wohl die volle Zustimmung gespürt.
    Der Herr Kanzler hat in seiner Regierungserklärung das verantwortliche soziale Handeln zur vornehmsten Pflicht der Koalition erklärt. Die Deutsche Partei stimmt dieser Erklärung im vollen Bewußtsein der hohen Verantwortung und ohne jede Einschränkung zu. Sie hat mit den Koalitionspartnern gemeinsam den Kampf um die Befreiung der Wirtschaft von den Fesseln des Zwanges geführt, und sie wird mit ihnen gemeinsam darum bemüht' sein, daß eine gesunde, freie und sich aufwärts entwickelnde Wirtschaft die beste Grundlage für eine gesunde und fortschrittliche Sozialpolitik sein wird.

    (Sehr richtig! bei der DP.)

    Unser junger Staat kann in Anbetracht seiner grenzenlosen Armut und angesichts seiner Trümmerhaufen -- und dabei denke ich nicht nur an die baulichen Trümmer — keinerlei Experimente vertragen, Experimente, die vielleicht in der Optik der Massenwirkung verlockend erscheinen mögen, die aber ihre Begrenzung bei den finanziellen Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten finden. Deshalb sollten wir uns davor hüten, in diesem Hause über Gesetze zu diskutieren, für die eine Realisierung


    (Frau Kalinke)

    mangels Mitteln unmöglich ist. Und ich kann mich auch hier an die Ausführungen des Kollegen Wellhausen anschließen, der jene unverantwortliche Politik ablehnt, von der unser niedersächsischer Weiser und Philosoph Wilhelm Busch sagt: „Ohne die notwendigen Mittel soll man keinen Krieg beginnen" auch nicht in der Sozialpolitik.
    Die Deutsche Partei erwartet zunächst eine Aktivität auf all den Gebieten, auf denen wir der Massennot, der Massennot der Heimatlosen, der Kriegsopfer und unserer Jugend, wirksam begegnen können. Sie hat deshalb die Errichtung des Flüchtlingsministeriums mit dem Ziel eines echten Flüchtlingsausgleichs begrüßt und sie sieht in der Arbeit des Wiederaufbauministeriums die vordringlichste Möglichkeit, eine Fülle von sozialen Nöten, die die Volksgesundheit nicht nur physisch bedrohen, durch wirksames Beheben der Wohnungsnot zu beseitigen. Das Problem des Wohnungsbaus kann aber nach unserer Auffassung nur gelöst werden, wenn der private Wohnungsbau und die private Initiative in ganz großem Maße gefördert werden.

    (Beifall bei der DP.)

    Wir erwarten aber, daß überall da, wo mit Krediten des Staates Wohnungen privat gebaut werden und
    private Initiative mit Krediten des Staates eingesetzt wird, jede zweite Wohnung mindestens einer
    vertriebenen Familie zur Verfügung gestellt wird.

    (Zustimmung bei der DP.)

    Wir glauben auch, daß den vielen ausgebombten Hausbesitzern, denen die Mittel zur Trümmerräumung ihres Grundstücks fehlen, auf diesem Wege sehr gründlich geholfen werden könnte. Auf dem Gebiet des sozialen Wohnungsbaus hätte vor der Währungsreform längst vieles begonnen werden können. Maßgebliche Mittel der Sozialversicherung und der privaten Versicherung sind vor der Währungsreform verlorengegangen und hätten bei einer wirksamen Initiative dem sozialen Wohnungsbau zugeführt werden können. Manch Vertriebener hätte die eigene Initiative und die eigenen Kräfte angesetzt, wenn man ihm die Möglichkeit gegeben hätte. Das ist schnellstens nachzuholen.
    Ich bin dem Herrn Bundeskanzler besonders dankbar für das Versprechen, beim Wohnungsbau die Millionen alleinstehender Frauen nicht zu vergessen. Ich bitte aber, bei den Planungen für den sozialen Wohnungsbau nicht nur Kleinstwohnungen für Arbeiterinnen, Angestellte und Beamtinnen zu schaffen, sondern darüber hinaus auch möglichst viele Heime, in denen alleinstehende Frauen die Atmosphäre der Familie gewinnen können. Bei der Schaffung solcher Heime könnte für manche Rentnerin, für manche ältere Vertriebene, die auf dem Arbeitsmarkt einen Platz nicht mehr finden kann, eine Möglichkeit gegeben werden, hier den jüngeren berufstätigen Frauen bei ihrer Doppelbelastung durch Haus und Beruf die Arbeit abzunehmen, ihnen wirksam zu helfen und selbst dabei eine Feierabend-, ja vielleicht sogar eine Lebensaufgabe zu finden. Die Durchführung eines solchen Vorhabens würde besonders in Anbetracht der Lebenspyramide unseres Volkes und unter Berücksichtigung der vielen Alten und Kranken unter den Vertriebenen eine große soziale Tat sein.
    In diesem Zusammenhang wird der Herr Bundeskanzler auch verstehen — und ich glaube, ich spreche da im Namen aller meiner Kolleginnen hier im Hause —, daß es mir nicht ausreichend erscheint, daß nur im Innenministerium eine Frau echte verantwortliche Aufgaben gestalten könnte, sondern daß darüber hinaus — und da fühle ich mich als Sprecherin für alle Frauen verantwortlich - die ausgleichende und verantwortliche Stimme der Frau in allen Ministerien maßgeblich gehört werden sollte.

    (Sehr richtig! bei der DP.)

    Eine Fülle von sozialen Aufgaben auf dem Gebiet der Arbeit, der Abgrenzung zwischen sozialer und privater Fürsorge, der Gesundheitsvorsorge, der Wohlfahrt und nicht zuletzt der Jugendarbeit und -fürsorge gestatten es nach meiner Auffassung nicht, daß die Frauen bei solchen Lösungen einfach ausgeschaltet werden. Ich bin davon überzeugt, daß es nur dieser Anregung bedarf, um die Herren Minister darauf hinzuweisen, daß sie die grundsätzliche Anerkennung der Notwendigkeit einer solchen verantwortlichen Mitarbeit der Frau in die Tat umsetzen.
    Von der grundsätzlichen Anerkennung auch der Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in der Vergangenheit viel zu viel gesprochen worden und wird auch in der Gegenwart viel zuviel gesprochen, aber in der Praxis ist davon viel zuwenig zur Tat geworden. Gerade auch im Hinblick auf die Ausführungen des Kollegen Dr. Schumacher möchte ich darum bitten, daß die SPD, die in der Vergangenheit immer eine Vorkämpferin für dieses Grundrecht war, überall da, wo ihre politischen Freunde in Gewerkschaften und Verwaltungen Macht und Einfluß haben —. ich denke da besonders an die Wohnungs- und Arbeitsämter —, sich mit warmem Herzen für die praktische Verwirklichung dieses hohen Ziels einsetzt, auch wenn die Betroffenen einmal nicht der SPD angehören sollten.

    (Sehr gut! und Beifall rechts.)

    Ich bitte weiter um Verständnis für den notwendigen Schutz unserer Frauen und Mütter, die als Trägerin des Lebens trotz aller Opfer, die sie während zweier schwerer Kriege und der Nachkriegszeit gebracht haben, in den Reihen vieler unserer Kollegen in den Landtagen, in den Länderparlamenten, bei der Gesetzgebung selten das nötige Verständnis gefunden haben. Es wäre sonst nicht möglich, ein Mutterschutzgesetz abzulehnen und es dann neu zu beraten, nur weil es eine politische Partei gemacht hat, mit der wir nicht einverstanden sind.

    (Hört! Hört!)

    Wir sollten uns angewöhnen, sozialpolitische Errungenschaften, wenn sie gut sind, auch dann anzuerkennen, wenn unsere Gegner die Initiative dazu ergriffen haben.

    (Sehr richtig! und Beifall rechts. — Zurufe links.)

    Ich würde es immer ablehnen, die Initiative von Kollegen aus der Sozialdemokratischen Partei nicht anzuerkennen.
    Wir sind alle darin einig, daß das von der britischen Militärregierung erlassene Gesetz, die Sozialversicherungsdirektive Nummer 27, schnellstens einer umfassenden und ausreichenden Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenen-Gesetzgebung weichen sollte. Leider ist aber in diesen Tagen hier immer nur vom materiellen Recht gesprochen worden. Gestatten Sie mir deshalb, der Meinung unserer Fraktion dahin Ausdruck zu geben, daß mit der Gewährung dieses materiellen Rechts allein das Problem nicht gelöst ist. Wir sind auch nicht der Auffassung, daß nur die Sozialversicherung verpflichtet sein sollte, Renten zu zahlen, sondern wir sind der Meinung, daß das gesamte


    (Frau Kalinke)

    deutsche Volk in allen seinen Ständen mit allen Steuerzahlern verpflichtet ist, jene ausreichende Rente für diejenigen sicherzustellen, die darauf einen Anspruch vor dem ganzen Volk haben.

    (Beifall rechts.)

    Wir glauben aber, daß mindestens ebenso wertvoll und ebenso wichtig wie die Renten alle jene Maßnahmen sind, die dazu beitragen, die Beschädigten selbst sowie ihre Angehörigen einzuschulen und umzuschulen, sie wieder so lebenstüchtig wie nur möglich zu machen und ihnen alle die Hilfe zu geben, die notwendig ist, damit sie je nach ihren physischen und psychischen Fähigkeiten wieder aus eigener Kraft sich in den Kreis derer miteingliedern können, die eben aus eigener Kraft für die Ihrigen selbst sorgen können. Alle hier verwandten Mittel werden vielfältige Frucht tragen.
    Mit besonderer Genugtuung habe ich heute die klare Stellungnahme des Kollegen Blank zum Kernstück der deutschen Sozialpolitik, zur Sozialversicherung gehört. Wir wissen uns mit unseren Koalitionspartnern darin einig, daß wir uns von der Psychose unserer Zeit abwenden wollen, Sicherheit für alle von einem Staat zu verlangen, der seinen bedürftigen Gliedern schließlich nur das geben kann, was seine Steuerzahler an Mitteln aufzubringen in der Lage sind. Wir sehen die Grenzen der staatlichen So Sozialpolitik da, wo der Mensch aus eigener Kraft in der Lage ist, für die Wechselfälle des Lebens vorzusorgen. Weil wir die Gefahren der fortschreitenden Bürokratisierung des Lebens sehen, die im sozialen Sektor jede persönliche Initiative und damit jede notwendige Selbstverantwortung lahmlegen würden, lehnen wir auch das politische Streben nach einem Sozialversicherungsmonopol ab. Wir sehen in allen Einheitsbestrebungen einen gefährlichen Weg zur Zusammenballung von Macht und Einfluß und alle Gefahren des nivellierenden Kollektivs, dem wir auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens begegnen wollen.

    (Zuruf.)

    Die Deutsche Partei ist eine gewerkschaftsfreundliche Partei. Sie ist allerdings der Meinung, daß die Form der Einheitsgewerkschaft, die unsere politischen Gegner vertreten, die sie mit soviel Wärme vertreten, sich als Konzentration der Kräfte der Arbeitnehmer nur dann bewähren kann, wenn sie eine wirkliche und echte parteipolitische Neutralität gewinnt.

    (Beifall rechts.)

    Bis heute können wir nur sagen, daß sie diesem Ziele wohl nachstreben mag, daß sie es aber noch nicht erreicht hat.

    (Zuruf von der .SPD: Wir warten gerade auf Ihre Belehrung!)

    — Sie würde Ihnen manchmal nützlich sein!

    (Beifall rechts.)

    Aus ihrem Bekenntnis zum Föderalismus sieht die Deutsche Partei in der berufsständischen Gliederung eine sinnvolle Ordnung. Sie glaubt, daß sich auch eine große Reihe von Spannungen in einer beruflichen Schicksalsgemeinschaft durch echte Gemeinschaftshilfe am besten lösen lassen. Darum möchte sie auch das Beispiel aller echten genossenschaftlichen Selbsthilfeeinrichtungen, wie sie sich in den alten Formen der Innungen, der Innungskassen, der Betriebs- und der Landkrankenkassen sowie den Ersatzkassen der Arbeiter und Angestellten entwickelt haben, erhalten, fördern und fortentwickeln.
    Das Zentrum und die SPD haben in diesen Tagen mit großem Eifer ein Monopolgesetz gefordert. Ich hoffe, daß sie sich mit gleichem Eifer und aus gleichem Geist und mit gleicher Verantwortung g gen jedes Monopol der Sozialversicherung wenden werden

    (Sehr gut! bei der DP)

    und daß sie mit uns gemeinsam daran arbeiten werden, die vorbildliche deutsche Sozialversicherung nach deutschen Bedürfnissen und nach deutschen Gedanken neu zu ordnen.

    (Zuruf: Was verstehen Sie darunter?)

    - Darunter verstehe ich, daß wir Deutschen auf Grund unserer stolzen Tradition in der Sozialgesetzgebung es nicht nötig haben, Versuche zu machen, die andere Völker auf unsere Kosten importieren und deren Erfolg absolut nicht sichergestellt ist.

    (Beifall rechts. — Zurufe links.)

    Wenn England und Frankreich solche Versuche eines sozialisierenden Gesundheitsdienstes für alle auf Kosten nicht immer ihrer eigenen Steuerzahler unternehmen, so können wir uns in unserem armen Vaterlande keinerlei Versuche dieser Art leisten, von denen wir jetzt schon wissen, daß sie nicht nur finanziell untragbar sind, sondern daß sie auch in den Ländern — —

    (Zuruf: Sozialpolitik soll wohl ein Geschäft sein?) - Wenn es bei Ihnen so ist? Ich spreche nicht aus dieser Erfahrung.


    (Beifall bei der DP.)

    Wir wissen, daß in den Ländern, wo solche Versuche unternommen werden, sie der heftigsten Kritik der eigenen Staatsbürger schon jetzt unterliegen, und ich möchte auch nicht versäumen, hier mit allem Nachdruck zu erklären, daß meine Partei nicht damit einverstanden ist, daß die Mittel der Steuerzahler der Westzonen, die Berlin zur Verfügung gestellt werden, etwa dafür verwandt werden, die zusammengebrochene Versicherungsanstalt Berlin zu erhalten und dort monatlich 12 bis 14 Millionen Zuschüsse zu geben, die der Magistrat der Stadt Berlin für diesen Zweck wieder angefordert hat.

    (Zuruf links: Sie haben eine Ahnung!)

    - Ich glaube, ich habe mehr Ahnung als Sie davon!

    (Beifall bei der DP. — Lachen links. — Allgemeine anhaltende Unruhe. — Zurufe: Sie sehen nicht so aus, als ob Sie in Berlin waren! Das nennt sich Deutsche Partei! — Glocke des Präsidenten.)

    Die Freiheit der Wirtschaft, aber auch die Freiheit der Person fordert die freie Entscheidung der Persönlichkeit, auch in den Fragen der sozialen Sicherung, und das gilt auch für Berlin, wobei leider in der Diskussion der vergangenen Jahre fast immer nur von der Organisation als Selbstzweck die Rede war und wobei ich den Wunsch habe, daß in den Gesprächen in diesem Hause, im Plenum wie im Ausschuß, nicht mehr von der Organisation als Selbstzweck, sondern nur noch von den echten verantwortlichen Aufgaben der Neuordnung von innen her die Rede ist.
    In der Invaliden- und Knappschaftsversicherung ist die Frage der Staatszuschüsse neu zu regeln und nach gerechten Übergangslösungen unter Berücksichtigung der Verluste durch den unsozialen Währungsschnitt zu suchen. Die Angestelltenversicherung hat als Bundesamt für Angestellte schnellstens wiederhergestellt zu werden und ist


    (Frau Kalinke)

    aus der treuhänderischen Verwaltung der Landesversicherungsanstalten, die sie nur als kriegsbedingt und notverordnet bekamen, zu lösen. Eine umfassende Arbeitslosenhilfe ist Bundesaufgabe, der Finanzausgleich auch auf diesem Gebiet vordringlich. Die Arbeitslosenversicherung dagegen ist mit jeder Kritik zu betrachten, wobei die Erkenntnis, daß man gegen Arbeitslosigkeit nicht versichern kann, sich auch längst herumgesprochen haben dürfte. Bei der Tatsache dieser unechten Versicherung ist das Problem nicht damit gelöst, daß man schnellstens nach der Errichtung einer Versicherungsanstalt schreit.
    Schließlich sind die Auswirkungen des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes zu überprüfen, und dabei sind — das betone ich ausdrücklich — bei Beibehaltung der notwendigen Erhöhung der kleinen Renten alle jene Ungerechtigkeiten zu beseitigen, mit denen dieses Gesetz die von ihm betroffenen Angestellten und. weiterversicherten Handwerker hinsichtlich der Beitrags- und Leistungsgestaltung entgegen seinen Versprechungen getroffen hat. Die breiten Schichten des Mittelstandes, denen in der Regierungserklärung verständnisvolle Hilfe zugesagt ist, erwarten hier gerechtere Lösungen.
    Bei der Lösung aller sozialen Spannungen darf es sich aber in erster Linie nicht um Fragen der Nützlichkeit oder nur um materielle Probleme handeln, sondern immer primär um ein menschliches Problem. Es kommt mehr denn je darauf an, den einzelnen Menschen an seine Arbeit und an die Gemeinschaft, in der er diese Arbeit leistet, so zu binden, daß er alle Spannungen im Sinne dieser echten Bindung an die ihm gemäße Aufgabe löst, und zu verhindern, daß der Mensch zum Werkzeug anderer oder gar kollektiver Mächte herabsinkt. Hier erwachsen gerade den Gewerkschaften große und echte Gemeinschaftsaufgaben, nicht klassenkämpferischer, sondern heilsam verbindender Art, und hier kann auch der echte Ausgleich durch den Sozialpartner herbeigeführt werden, wenn dem seiner Berufsaufgabe innerlich verbundenen Menschen der sozial verantwortliche Arbeitgeber gegenübersteht, der um die hohe Verpflichtung jeden Besitzes weiß. Ein verständiger Ausgleich sozialer Gegensätze führt dann nicht zur Nivellierung, sondern zur Erhöhung des Einzelschicksals im Massenschicksal und damit zu einer Aufstiegsmöglichkeit für alle.

    (Glocke des Präsidenten.)

    — Gestatten Sie, ich bin bald fertig.
    Es wird sehr viel von der berechtigten Forderung nach der endlichen Heimkehr unserer Kriegsgefangenen gesprochen, und es ist dies eine selbstverständliche Forderung aller Deutschen. Nur ist dem das eine hinzuzufügen, daß wir doch endlich die notwendigen Mittel und Wege finden möchten, den Heimkehrenden auch eine echte Heimkehr zu bereiten. Dazu gehört nicht nur die Freizügigkeit, dazu gehört nicht nur die endliche Zusammenführung der getrennten Familienmitglieder, dazu gehört nicht nur alle nur mögliche Hilfe bei den Behörden, dazu gehören auch neue Gesetze, die vielen unserer Heimkehrer, die durch Krieg und Gefangenschaft aus der Bahn einer geordneten Ausbildung gerissen sind oder eine solche noch gar nicht beginnen konnten, neue Wege mit bisher ungewöhnlichen, neuen Mitteln eröffnen. Ich denke dabei an die Bewahrung vor einem neuen akademischen Proletariat, wenn Sie mir das Schlagwort gestatten wollen. Ich denke daran, daß man den älteren Heimkehrern die
    Rückkehr zur Schulbank oder die Möglichkeit des Aufnehmens einer handwerklichen Lehre erleichtern sollte, indem man nicht Tarifverträge — und das ist wieder eine sehr wichtige Aufgabe für die Gewerkschaften — zugrunde legt, die mit jenem Entgelt, das man den Vierzehn- bis Siebzehnjährigen zahlt, nun für die älteren heimkehrenden bisher kriegsgefangenen Soldaten, die sehr oft unter sehr viel schwierigeren Bedingungen in den Beruf hineingehen, unmöglich anzunehmen sind.
    Die echte Selbstverwaltung, die wir als Freunde des echten Föderalismus als hohe Schule der Demokratie werten, soll nun endlich den Sozialpartnern wiedergegeben werden. Mit Recht sind in der Regierungserklärung die vielen armen und gequälten Opfer der Vergangenheit erwähnt worden. Alle Bemühungen zur Lösung und Meisterung unserer zahlreichen Nöte sollten sich aber nach Auffassung meiner Fraktion von dem so oft falsch verstandenen Grundsatz der Solidarität abwenden und sollten in der Bemühung gipfeln, nicht jedem das Gleiche, sondern jedem das Seine zu geben.
    De Deutsche Partei bekennt sich zum Berufsbeamtentum und zum Aufbau einer Verwaltung, in der fachliches Können und charakterliche Werte die Voraussetzung des Aufstieges für jedermann sein sollen. Sie wehrt sich mit Abscheu gegen jede Politik, die in jüngster Vergangenheit das Problem nicht löste, indem sie an die Stelle eines braunen Parteibuches ein andersfarbiges setzte. Die Folgen der Denazifizierung, die zu einem sozialen Problem wurden, sollte bei der Wiedereingliederung befähigter Könner schnellstens beseitigt werden. Wir haben solchen Mangel an gutem Berufswissen und Menschen, die daneben bereit sind, Verantwortung zu tragen, daß wir auf keinen von ihnen beim Neubau des deutschen Hauses verzichten können, sei er Hilfskraft oder sei er Architekt.
    Eine gerechte Lohnpolitik soll den Tüchtigen belohnen und den Fleißigen anreizen. Wie eine vernünftige Steuerreform aussehen soll, das hat Ihnen heute Herr Dr. Wellhausen sehr ausführlich gesagt. Ich darf wegen der drängenden Zeit davon absehen.
    Einen letzten Wunsch darf ich noch äußern: daß bei dieser Steuerreform die berufstätige Frau besonders berücksichtigt wird. Ich denke dabei an die große Belastung der vielen auch unverheirateten Frauen, die Familienunterhaltsverpflichtungen von einem Ausmaß haben, das den meisten von Ihnen nicht bekannt sein wird. Ich denke daran, daß bei einer vernünftigen Steuerreform diese Frauen genau so berücksichtigt werden müssen, wie jeder Familienvater einen gerechten Anspruch darauf hat. Es ist hier mit Recht gesagt worden, daß, die Not so unabsehbar groß ist, daß wir das Feuer schnell löschen müssen, wenn wir noch etwas retten wollen.
    Ich habe den Mut, hier so unpopulär zu sein — und damit komme ich zum Schluß —, zu erklären, daß wir mit dem Herrn Bundeskanzler darin einig sind, daß eben nur die beste Wirtschaftspolitik Gewähr für eine gute Sozialpolitik ist, und daß meine Fraktion nicht an das Wort glaubt, daß ein armes Volk die beste Sozialpolitik haben kann oder haben muß, weil es so arm ist. Wir wissen, daß wir alle zusammen viel mehr werden arbeiten und uns noch in sehr vielen Dingen werden einschränken müssen. Wir glauben aber, daß wir trotz dieser nüchternen Schau der Realitäten mit unserem fleißigen Volk aus unseren Trümmerhaufen wieder herauskommen werden, und wir hoffen, daß wir mit allen deutschen Brüdern, auch den Brüdern und Schwestern, die jenseits der Grenzen sind, dann


    (Frau Kalinke)

    endlich jenen sozialen Frieden gewinnen werden, der die beste Grundlage für den wahren Frieden der Welt ist, den wir als gute Europäer, aber auch als gute Deutsche mit heißem Herzen ersehnen.

    (Beifall bei der DP.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Die Frau Abgeordnete Kalinke hat ihre Redezeit um fast hundert Prozent überschritten. Ich habe sie in ihrer Rede nicht gestört

(Heiterkeit)

— aus Galanterie. Ich möchte aber die nachfolgenden Redner warnen und sie bitten, sich nicht allgemein auf die Unerschöpflichkeit meiner Langmut zu verlassen.

(Zuruf von der KPD: Jetzt kommen Männer!)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Etzel.

(Abg. Renner: „Jedem das Seine!" stand über der Eingangstür des Lagers Buchenwald. Frau Abgeordnete der Deutschen Partei, wo haben Sie die Nazi-Terminologie her? Waren Sie Mitglied der Partei?)

— Herr Abgeordneter Renner, Sie haben nicht ums Wort gebeten!

(Abg. Renner: Ich habe nur eine kleine Zwischenbemerkung gemacht; das stand wörtlich über der Eingangstür von Buchenwald!)

— Das Wort haben nicht Sie, Herr Abgeordneter
Renner, sondern der Herr Abgeordnete Dr. Etzel.

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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Meine Damen und Herren! Ursprünglich bestand bei meiner Partei und bei meiner Fraktion die Absicht, nicht mehr zur Regierungserklärung zu sprechen, weil wir durchaus mit dem Abgeordneten und bayerischen Landsmann Loritz der Meinung sind, der Bundesregierung die Zeit nicht vorenthalten zu sollen, die sie braucht, um die brennenden Probleme alsbald in Angriff zu nehmen.

    (Zuruf links: Sie haben doch um zwei Tage vertagt!)

    Wir haben uns trotzdem entschlossen, noch einmal das Wort zu nehmen, weil wir glauben, daß der bisherige Verlauf der Debatte uns Anlaß zur Besorgnis gegeben hat. Heute morgen — das darf ich am Rande vermerken — hat der Herr Vertreter der CSU behauptet, daß die von der Fraktion der Bayernpartei gebilligten Ausführungen des Fraktionsvorsitzenden Übertreibungen und Maßlosigkeiten enthalten haben. Ich glaube, daß das Hohe Haus kein Interesse an der Fortführung von Auseinandersetzungen haben kann, die ausschließlich innerbayerischen Charakters sind. Diese Auseinandersetzungen werden in sehr absehbarer Zeit auf einem anderen Glacis zum Austrag kommen.
    Es wäre wichtig und auch reizvoll, die Fragen der Wirtschaft und der Sozialpolitik im einzelnen zu durchleuchten. Die Zeit, die mir zur Verfügung steht, erlaubt dies nicht. Ich darf aber darauf hinweisen, daß die Lage der deutschen Wirtschaft durchaus geändert ist durch grundlegende strukturelle Wandlungen, die in dem Bericht der Wirtschaftskommission der UN über das Jahr 1948 mit klarer Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen sind. Wir können uns vorstellen, welche Situation für die deutsche Wirtschaft unter Berücksichtigung des Verlustes weitgehender Gebiete der Ostmärkte besteht, die auf die Dauer für die westdeutsche Produktion unentbehrlich sind. Es könnte uns mit
    Sorge erfüllen, daß die Rückgewinnung dieser Märkte nur durch bedenkliche politische Konzessionen möglich ist.
    Wenn in der Regierungserklärung davon die Rede ist, daß der Kurs des Frankfurter Wirtschaftsrats fortgesetzt werden soll, so wollen wir diese Zusicherung auf den Grundsatz der sozialen Marktwirtschaft einschränken, den wir anerkennen. Wir wollen aber hoffen, daß die zentralistischen Methoden, die den Frankfurter Wirtschaftsrat in einer uns so unsympathischen und nachteiligen Weise erscheinen ließen, nicht weitergeführt werden.

    (Zuruf: Welche denn?)

    Die Betonung der besonderen Fürsorge für den Mittelstand haben wir mit Genugtuung aufgenommen, weil der Mittelstand für uns der klassische Träger des Individualitätsgedankens in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht ist, weil wir der Meinung sind, daß versucht werden muß, die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme in möglichst weitem Maße mittelständisch-bürgerlich zu lösen, weil wir von der Bayernpartei jede Methode der hochkapitalistisch-klassenkämpferischen und der proletarisch-klassenkämpferischen Austragung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Spannungen ablehnen.
    Wir sind für den sozialen Frieden. Die großen Aufgaben, die hier den Gewerkschaften gesetzt sind, können und werden sie nur dann erfüllen, wenn sie jedem Gedanken an die Möglichkeit eines Klassenkampfes entsagen und darangehen, in sich die Voraussetzungen und Möglichkeiten des schiedlich-friedlichen Einvernehmens zwischen den Arbeitnehmern und Arbeitgebern durch berufsständische Organisation und Methode zu erwägen und zu schaffen.
    Auf die Frage der Wiederherstellung des Vertrauens der Sparer und auf die Notwendigkeit einer steuerlichen Entlastung werde ich mit wenigen Worten in einem ganz arideren Zusammenhang am Schluß noch kommen.
    Da ich die Rangordnung der einzelnen Fragen berücksichtigen möchte, werde ich mich vor allem staatsrechtlichen und staatspolitischen Ausführungen zuwenden. In dem Grundgesetz ist behauptet, und zwar sowohl in der Präambel wie in Artikel 20, daß der Bonner Staat ein Bundesstaat sei. Das ist, gelinde ausgedrückt, ein Euphemismus. Ich könnte, wenn ich ganz deutlich werde, auch sagen: es ist eine Unrichtigkeit. Ich will nicht sagen, es ist eine Unwahrheit, aber es ist eine Unrichtigkeit. Denn dieser Bundestag ist ja nicht durch Verbündung zustande gekommen, sondern durch Majorisierung. Ein Bundesstaat setzt, so wie die Bismarcksche Verfassung auf den Novemberverträgen beruhte, Staatsverträge voraus. Solche sind aber nicht abgeschlossen worden.

    (Lachen.)

    In der Präambel des Grundgesetzes ist weiter zum Ausdruck gebracht, daß das deutsche Volk sich dieses Grundgesetz gegeben habe. Der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer hat zu einer Zeit, als er diese hohe Würde noch nicht bekleidete — das war am 23. Mai bei der feierlichen Unterzeichnung des Grundgesetzes —, gesagt, die Verfassung beruhe auf dem freien Willen des deutschen Volkes. Wir können eine solche Auffassung nicht teilen. Das deutsche Volk hat das Grundgesetz nicht beschlossen. Artikel 146 sagt selbst: Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen


    (Dr. Etzel)

    Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist. Hier ist die Meinung widerlegt, daß das Grundgesetz das Geschöpf einer freien Entscheidung des deutschen Volkes sei.

    (Sehr richtig! bei der BP. — Zuruf von der SPD: Was hat sich denn das deutsche Volk am 14. August vorgestellt?)

    Sein Zustandekommen zeigt die verschlungenen Linien einer teils verfassungs-, teils besatzungsrechtlichen Manipulation, und es besteht in der Tat nur vom Standpunkt des Besatzungsrechts aus.
    Wir haben also schon in der Stunde der Geburt von Föderalismus nichts erleben können. Der Aufbau des Grundgesetzes selbst zeigt nur Rudimente des Föderalismus. Daher enthält auch das Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure zu dem Grundgesetz die Worte Föderalismus und föderalistisch nicht mehr, und die Charta für die Hohe Alliierte Kommission spricht nur noch von den durch die Verfassung angegliederten Ländern. Kein Wort mehr von Föderalismus! Wir bedauern den Stellungswechsel der amerikanischen Politik außerordentlich.
    Die britische Politik hat uns nicht überrascht, sie war in bezug auf Deutschland immer zentralistisch
    orientiert, gleichviel ob es Whig-, Tory- oder Labour-England war. Wir wissen aus den Jahren 1866/67: als Preußen die Folgerung aus seinem Siege und den Augustbündnissen zog und auf den Trümmern des von ihm zerstörten Deutschen Bundes den Norddeutschen Bund errichtete, da brach die britische Presse in Jubel aus, weil sie glaubte, daß hier eine neue Konstruktion geschaffen worden sei, die den hochpolitischen Zielen der britischen Politik zur Verfügung stehen würde. Es wunderte uns nicht, daß Bevin an jenem Himmelfahrtstage 1947 bei der Deutschlanddebatte im Unterhaus der Sache nach erklärt hat, daß die britische Politik nur einen übermäßigen Zentralismus ablehne, und das Memorandum eben dieses Bevin zur Londoner Außenministerkonferenz trug alle Züge der Weimarer Verfassung.

    (Zuruf von der SPD: Und die französische Politik?)

    Daß die amerikanische Politik so weit ging, in ihrer Denkschrift vom 24. März 1948, die sie zur Sechsmächtekonferenz vorlegte, eine Verschärfung des Zentralismus des Frankfurter Wirtschaftsrats für die künftige deutsche Gestaltung vorzuschlagen, das ist uns eine tiefe Enttäuschung gewesen, nachdem wir in den Jahren 1945 und 1946 eine so staatsmännische Weitsicht der amerikanischen Politik im föderalistischen Sinne erlebt hatten. Ich wundere mich, daß die französische Politik eine solche zentralistische Entwicklung mitmacht und billigt;

    (Hört! Hart!)

    denn sie erklärt gleichzeitig,

    (Zuruf von der SPD: Die hat sich inzwischen besser aufklären lassen!)

    dieser neue Zentralstaat sei möglicherweise eine Bedrohung. Es ist mir unverständlich, daß die französische Politik, wenn sie eine neue Machtkonzentration auf zentralistischer Grundlage hier in Mitteleuropa befürchtet, gleichzeitig eine solche Möglichkeit mit konstruieren hilft.
    Heinrich von Treitschke hat in einem Aufsatz in den Preußischen Jahrbüchern gesagt, er lasse es dahingestellt, ob das Bismarcksche Reich staatsrechtlich ein Bundesstaat sei, und er erklärte, daß es jedenfalls politisch und geschichtlich bereits der die Mehrheit des deutschen Volkes außer Österreich beherrschende preußisch-deutsche Einheitsstaat oder kurz: die nationale Monarchie mit bündischen Institutionen sei. Ich wäre begierig, das Urteil Treitschkes zu hören, wenn er das Bonner Grundgesetz erlebt hätte, nachdem er schon die Bismarcksche Verfassung, die wesentliche föderalistische Elemente und Grundlagen enthielt, in einer solchen Weise als Zentralstaat charakterisieren konnte.

    (Abg. Dr. Baumgartner: Treitschke wäre heute ein Bayernparteiler! Große Heiterkeit.)

    Warum lehnen wir eine andere als eine föderalistische Gestaltung der europäischen Mitte ab? Wir sind gegen jede Blockbildung. Wir von der Bayernpartei wenden uns dagegen, daß hier in Mitteleuropa eine Äußere Mongolei errichtet wird, sei es nach der einen oder nach der anderen Himmelsrichtung. Wir wollen keine solchen Optionen, die uns aufs neue in den Schlund der Machtpolitik hinabschleudern müßten.

    (Zurufe.)

    Vor allem aber liegt uns an Gesamtdeutschland. Wer die Geschichte des Deutschen Bundes kennt, weiß, daß sie die Geschichte der Treue Bayerns und Österreichs zu Gesamtdeutschland ist.

    (Bravo! bei der BP.)

    Wer die Geschichte des Deutschen Bundes kennt, weiß, daß der zentralistische Partikularismus des preußischen Staatsgedankens gegen Gesamtdeutschland war,

    (Sehr richtig! bei der BP)

    vom Unionsprojekt des Jahres 1849 angefangen bis zur Zertrümmerung des Bundes mit Hilfe des Zündnadelgewehrs. Wir vermögen uns Deutschland nicht ohne Österreich vorzustellen, und wir wollen nicht auf die fünf Länder der Sowjetzone verzichten. Das Gefälle, das zwischen Ost und West bereits besteht, wird bei einer Fortsetzung der staatspolitischen, der wirtschafts- und sozialpolitischen Arbeit im Bonner Staat einerseits und in den deutschen Oststaaten andererseits immer größer werden, und wenn drei Jahre vorüber sein sollten, würden wir die beiderseitigen Teile dieses gequälten Deutschland kaum mehr miteinander vergleichen können. Es ist undenkbar, daß wir die fünf deutschen Länder der Ostzone in einen zentral gestalteten Weststaat eines Tages einzugliedern vermögen, wenn nicht vorher das Gefälle vollkommen eingeebnet worden ist. Ich möchte aber den kennen, der mir glaubhaft machen kann, daß das dann möglich wäre. Wir haben ja schon eine Stimme gehört, meine Damen und Heren, die gesagt hat: wenn es einmal dazu kommen solle, werde es notwendig sein, zumindest die volkseigenen Betriebe in der Ostzone aufrechtzuerhalten, mit anderen Worten die Kollektivierung, die dort in weitem Umfang besteht, nicht zu beseitigen.

    (Abg. Rische: Schrecklich! Furchtbar!)

    Wir wollen Deutschland. Deutschland aber gibt es nicht ohne Österreich und ohne die Länder der Sowjetzone. Glauben Sie doch nicht, daß es möglich wäre, Österreich nochmals, wie im Jahre 1938, gegen seinen Willen mit Gewalt anzuschließen. Kein Vernünftiger kann daran denken wollen. Der Beitritt Österreichs, wenn er einmal erfolgen sollte, kann, darf und wird nur ein freiwilliger sein. Aber wir können uns Deutschland ohne Österreich und ohne unsere österreichischen Brüder nicht vorstellen.

    (Händeklatschen bei der BP und der WAV.)



    (Dr. Etzel)

    Dieses Österreich vermag aber nur dann in den gesamtdeutschen Verband hereinzukommen, wenn 9 ihm eine staatenbündische, staatsmännisch richtige Konstruktion das erlaubt und ermöglicht. Und, meine Damen und Herren, hüten wir uns doch davor, ein Schema, eine Schablone, die in einer so fürchterlichen Weise widerlegt worden ist, für modern zu halten. Der staatenbündische Gedanke ist modern im höchsten Sinne. Seine elastischen Konstruktionen bieten jeder Aufgabe, die ihm gestellt wird, Grundlage und Möglichkeit, während jede Zentralisierung — abgesehen von der in ihr liegenden Gefahr der Vorbereitung einer neuen Diktatur — die Schaffung Gesamtdeutschlands unmöglich macht,

    (Beifall bei der BP)

    und das werfen wir dem Grundgesetz des Bonner Staates vor.
    Ein ehrfurchtgebietender Mann — ich sage das deswegen, weil es ein in hohem Alter stehender Mann ist, der in Ehren grau geworden ist —, der sozialdemokratische Bundeskanzler von Österreich Dr. Karl Renner, hat im Januar 1947 vor dem Wiener Presseklub in elegischer Weise der hohen Mission und Aufgabe gedacht, die die ehemalige Monarchie im Donauraum erfüllt hat, und er sprach die Hoffnung aus, daß es doch möglich sein möchte, eine ähnliche Konstruktion, wenn auch beschränkt auf Wirtschaftsaufgaben, dort wieder zu errichten. Die Alliierten haben im Jahre 1918 diesen Staat mit auflösen - ich will nicht das harte Wort „zerstören" gebrauchen — helfen. Sie wären wohl glücklich, wenn heute eine deutsch geführte Ordnungsmacht im Donauraum anwesend wäre statt des Gorgonenhauptes einer anderen.

    (Beifall bei der BP. - Zuruf von der KPD.)

    Wenn wir doch erkannt haben, daß die zentralistische preußisch-deutsche Staatskonstruktion, die notwendig eine partikularistische ist, nicht nur dazu geführt hat, uns in zwei furchtbare, lebenbedrohende Katastrophen zu stürzen, sondern auch dazu, daß die Lebenslinie des deutschen Volkes immer weiter von Osten nach Westen vorgerückt wurde; wenn wir weiter erkannt haben, daß wir nicht bloß an der Oder-Neiße-Linie Anstoß nehmen müssen, dann dürfen wir nichts von unserer Seite dazu tun, um eine Elbelinie zu verstärken.

    (Sehr wahrt rechts.)

    Wir dürfen uns nicht verhalten wie das Huhn, um das ein Kreidekreis gezogen worden ist — ich bitte mich nicht mißzuverstehen, Herr Präsident, und ich bitte, keinen Ordnungsruf in Aussicht zu nehmen.