Rede:
ID0100704900

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Metadaten
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 47 7. Sitzung Erster Tag Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949. Geschäftiche Mitteilungen 47B, 67C, D Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung . . . 47B Ewers (DP) 47C Dr. Seelos (BP) 53D Reimann (KPD) 58C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 67A Unterbrechung der Sitzung . 67C Loritz (WAV) 67D Frau Wessel (Z) 72B Dr. Richter (DRP) 80A Clausen (SSW) 85C Dr. Edert (Parteilos) 86B Fortsetzung der Sitzung 87C Die Sitzung wird um 10 Uhr 11 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Hermann Clausen


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)

    Gestatten Sie mir, als Vertreter der kleinsten anerkannten politischen Partei, des Südschleswigschen Wählerverbandes, und gleichzeitig als Repräsentant des dänisch gesinnten Bevölkerungsteils in Südschleswig einige Worte zum Regierungsprogramm zu sagen!
    Welche Bedeutung unter Umständen eine kleine Partei, ja eine Einmann-Fraktion

    (Heiterkeit)

    im parlamentarischen Leben erhalten kann, wurde mir nach der Bundeskanzlerwahl klar,

    (Lachen links)

    als eine Zeitung meldete, daß man aus der bekannten zuverlässigen Quelle erfahren hätte, Clausen vom Südschleswigschen Wählerverband hätte die 202. Stimme für Herrn Dr. Adenauer abgegeben. Beinahe hätte man mir die ganze Verantwortung aufgebürdet.

    (Allgemeine Heiterkeit.)

    Diese amüsante Behauptung stimmt übrigens schon deswegen nicht, weil ich in der fraglichen Sitzung nicht anwesend sein konnte.

    (Heiterkeit.)

    Auch die Zeitungsmeldung, daß ich mich der CDU angeschlossen hätte, ist nicht richtig. Ich gehöre also nicht zur Regierungskoalition.

    (Zurufe.)

    Meine Stellung als Vertreter des dänisch gesinnten Bevölkerungsteils oder, wenn Sie es lieber
    wollen, der dänischen Minderheit in Südschleswig

    (Zuruf: Aber der echten, Herr Clausen!)

    zur Bundesregierung ist frei und wird sich danach richten, inwieweit die Bundesregierung den Wünschen und Sorgen dieses Grenzlandes Südschleswig gerecht wird. Es mag im Rahmen dieser Debatte beanstandet werden, wenn man von den Sorgen eines einzelnen Gebiets der Bundesrepublik spricht; aber die Mitglieder meiner politische n Organisation und meine Wähler sind auf das Grenzgebiet Südschleswig beschränkt. Ich bitte daher das Hohe Haus um Verständnis.
    Der Herr Bundeskanzler hat von einer gleichmäßigeren Verteilung der Heimatvertriebenen auf die verschiedenen Länder gesprochen. Es ist mittlerweile bekannt geworden, daß Südschleswig—und ich spreche als Landtagsabgeordneter auch für Holstein — am meisten unter dem Bevölkerungsüberdruck leidet. Ich möchte daher von dieser Stelle der Regierung sagen: nicht allein der Lastenausgleich ist dringend notwendig, ebenso dringend notwendig ist der Bevölkerungsausgleich. Gehen Sie ernsthaft und schnell an eine gerechte Verteilung der Vertriebenen heran, denn Sie tun damit sowohl der einheimischen Bevölkerung einen Dienst, die unter dieser Überbevölkerung leidet, wie Sie auch den Vertriebenen einen Dienst leisten, die in unserem Grenzlande niemals eine Existenz finden können und die keine Lehr- und Arbeitsplätze für ihre Kinder finden. Sie beseitigen damit zugleich ein Unrecht gegen das Land Südschleswig.


    (Clausen)

    In der Regierungserklärung und wohl auch in der Debatte ist viel über die Grenzen der Bundesrepublik gesagt worden. Ich vermisse aber eines: es ist nichts über das Selbstbestimmungsrecht eines Grenzvolkes gesagt worden. Dieses Recht fordern wir in unserem Programm, und davon ist auch in der Atlantik-Charta deutlich die Rede. Dieses Selbstbestimmungsrecht und das Recht, mit demokratischen Mitteln für die Ausübung dieses Rechts zu wirken, gehören zu den elementarsten demokratischen Grundsätzen und Grundlagen der Menschenrechte. Die Zukunft wird es zeigen, ob die Bundesregierung für die Minderheitenrechte in Grenzgebieten zu sorgen hat. Bei uns hat die schleswig-holsteinische Landesregierung die Sache in die Hand genommen, und wir hoffen, daß sie sie auch zu einem zufriedenstellenden Abschluß bringt. Sollte die Bundesregierung es als ihre Aufgabe übernehmen, in Grenzgebieten für Minderheitenrechte zu sorgen, dann bitte ich die Regierung, großzügig zu sein und Rechte zu schaffen, die tatsächlich die Forderung der Freiheit erfüllen und die von kleinlichen Schikanen frei sind, an denen die Vergangenheit so reich war. Gerade bei der Regelung von Grenzlandverhältnissen dort, wo die verschiedenen Kulturen sich überschneiden, kann eine Regierung am besten beweisen, daß es ihr mit der Demokratie ernst ist.
    Nicht unerwähnt will ich lassen, daß zu den Voraussetzungen einer völligen Freiheit in unserem Grenzgebiete die Selbstverwaltung Südschleswigs gehört, die meine Organisation in ihrem Programm fordert. Nur in der Selbstverwaltung können nach unserer Auffassung die drei vorhandenen Kulturen — die deutsche, die friesische und die dänische — sich gleichberechtigt und vollkommen frei entfalten. Bei der Länderbildung hätte man darauf Rücksicht nehmen sollen. Selbst Preußen hat mehrfach erwogen, das Gebiet Südschleswigs zu einem besonderen Verwaltungsbezirk zu machen. Es ist aber nicht zur Durchführung gekommen. Historisch gesehen, hat diese Forderung ihre Berechtigung.
    Zum Schlusse möchte ich sagen, um jeder Mißdeutung vorzubeugen: Sie werden den dänisch gesinnten Bevölkerungsteil Südschleswigs und mich als seinen gewählten Vertreter überall dort finden, wo es gilt, die Grundsätze der Demokratie zu pflegen, durchzuführen und zu verteidigen.


Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als letzter Redner hat der Herr Abgeordnete Dr. Edert das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Eduard Edert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (Plos)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (Plos)

    Meine Damen und Herren! Als der deutsche Vertreter von Flensburg, der Hochburg des Dänentums, der Stadt, wo heute noch ein dänischer Oberbürgermeister und eine überwiegend dänische Stadtverwaltung regieren, bitte ich, zu den Ausführungen meines verehrten Herrn Vorredners und lieben Nachbarn hier im Hause Stellung nehmen zu dürfen. Herr Clausen hat ausgeführt, daß er auf die Durchführung des Selbstbestimmungsrechts und insbesondere auf die verwaltungsmäßige Trennung Schleswigs von Holstein Wert legt. Wir Deutsche sehen in dieser Forderung nicht in erster Linie eine verwaltungsmäßige Maßnahme, sondern wir haben Grund, anzunehmen, daß diese Forderung die Vorstufe der endgültigen Abtrennung ist.

    (Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)

    Wir müssen aus den Reden und Kundgebungen der SSW schließen, daß das letzte Ziel dieser Südschleswig-Bewegung ein separatistisches ist. Das geht aus der Eingabe der SSW an die Alliierten vom Mai dieses Jahres und aus vielen Reden der Parteiführer hervor. Die großen Kundgebungen in Schleswig sind eigentlich alle mehr oder weniger unter das Motto gestellt: Heim ins Königreich! Wir Deutsche aller deutschen Parteien sehen aber die jetzige Grenze als die endgültige Lösung an. Sie ist durch die Abstimmung von 1920, die ja unter alliierter Kontrolle stattfand, festgelegt. Sie fand statt unter Umständen, die für Deutschland so ungünstig wie nur möglich waren, gleich nach dem ersten verlorenen Krieg. Damals blieben mindestens 30 000 Deutsche als Minderheit in Dänemark und etwa 7- bis 8000 Dänen als Minderheit in Deutschland. Beide waren echte Minderheiten, die sich dann in den Jahren von 1920 bis 1945 in ihrem Bestand kaum geändert haben.
    Meine Damen und Herren! An der Sicherheit dieser Nordgrenze hat niemand gezweifelt, weder in Deutschland noch in Dänemark. Selbst Hitler hat sie nicht verändert. Der dänische Staatsminister Buhl erklärte in der ersten Sitzung des dänischen Reichstags nach dem Zusammenbruch 1945 feierlich: die Grenze liegt fest.

    (Hört! Hört!)

    Wir hofften, daß damit der alte Streit zwischen den beiden Nachbarn endgültig beendet sei. Das aber, was sich nun von 1945 bis heute in Schleswig zugetragen hat, das, was die dänische Seite als Wiedererwachen des verschütteten Dänentums bezeichnet, hat mit einem eigentlichen Volkstumskampf wenig zu tun. Es ist nach unserer Auffassung im wesentlichen eine Folgeerscheinung des verlorenen Krieges, des geistigen Zusammenbruchs, der Flucht aus der deutschen Mitverantwortung, der Flucht aus deutschem Elend in ein Land, wo angeblich Milch und Honig fließt.

    (Sehr richtig!)

    Ich kann das mit zwei, drei Zahlen schlagend belegen. Die Zahl der alten dänischen Minderheit wurde auf 8000 geschätzt. Sie stieg am 1. Januar 1946 auf 11 800 und dann bis zum 1. Juli 1947, also in 11/2 Jahren, auf 75 000 Mitglieder. Die Zahl der dänischen Stimmen, die im ganzen Herzogtum Schleswig 1932, bei der letzten geheimen Wahl, etwas mehr als 1300 betrug, stieg 1947 auf 99 000. Sie ist inzwischen 1948 auf 92 000 und 1949 auf 75 000 gesunken. Die Zahl der dänischen Schulen stieg von 13 auf 66, die der dänischen Lehrer von 24 auf 217, die der Schüler von 800 auf 14 000 — das alles in zwei Jahren! Niemand wird glauben, daß eine solche plötzliche Sinnesänderung auf der Änderung des Volkstums beruhen kann. Der große dänische Historiker Aage Friis hat vor nicht langer Zeit in bezug auf diese Zahlen gesagt: Kein Däne und kein Deutscher wechselt seine Gesinnung über Nacht.

    (Sehr gut!)

    Diese südschleswigsche Bewegung — bei uns nennen die Leute sie „Neudänen" — hat noch keine innere Bindung zur dänischen Sprache und Kultur. Sie will sich diese Kultur erst aneignen. Auf ihren Versammlungen wird deutsch gesprochen. Die Plakate für die Wahlen sind deutsch. Es ist eine Bewegung, von der ein anderer Däne, Nis Nissen, gesagt hat: „Nicht hin zu Dänemark, sondern weg von Deutschland."
    Die grenzpolitische Linie der Deutschen aller Parteien ist klar und eindeutig. Wir wollen der


    (Clausen)

    echten dänischen Minderheit jede kulturelle Freiheit gewähren in der Hoffnung, daß die gleichen Rechte auch der arg bedrängten deutschen Minderheit in Nordschleswig bewilligt werden.

    (Sehr richtig!)

    Wir wenden uns nicht gegen das amtliche Dänemark. Wir erkennen mit Dank an, daß der gegenwärtige Ministerpräsident Hedtoft von den grenzpolitischen Forderungen der dänischen Aktivisten selbst nichts wissen will. Wir Deutsche an der Grenze möchten dringend den Frieden mit Dänemark. Uns Deutschen, die wir die Übersteigerung des nationalistischen Denkens blutig bezahlt haben, die wir am Vorabend des neuen Europa stehen, scheint dieser alte Streit mit dem nordischen, uns so nahe verwandten Nachbarn völlig überholt. Er ist uns aufgedrängt vom Nationalismus, der vom Norden über die Grenzen schlägt. Wir meinen, wir sollten nicht Grenzen verschieben, sondern Grenzen überbrücken. Unsere Abwehr richtet sich gegen die dänischen Nationalisten, die nördlich der Grenze sitzen allein die dänische Grenzvereinigung hat 200 000 Mitglieder —, vor allem gegen die eigenen Landsleute, die südlich der Grenze wohnen: die einen, die einer falsch verstandenen Ideologie erlegen sind, und die anderen, die glauben, daß sie der ungeheuren wirtschaftlichen Not des Landes, der Raumnot, der Übervölkerung -- in den Kreisen, die mein verehrter Vorredner und ich vertreten, ist in den meisten Dörfern und Städten die Zahl der Heimatvertriebenen ebenso groß wie die der Einheimischen — und der dadurch entstandenen ungeheuren Arbeitslosigkeit durch Angliederung an Dänemark entkommen können. So geht es in diesem Grenzkampf um das Gewinnen und Verlieren der einheimischen
    Deutschen. Dieser Kampf ist deswegen so schwer, weil diese südschleswigsche dänische Bewegung aus dem Königreich mit ungeheuer großen Geldmitteln unterstützt wird; wir schätzen sie auf 18 bis 20 Millionen Kronen jedes Jahr.

    (Hört! Hört! in der Mitte und rechts.) Gegenüber dieser Summe sind die eigenen Leistungen des ja völlig verarmten Landes SchleswigHolstein gering. Unser Land Schleswig-Holstein erwartet von dem neuen Bund in dieser Not eine schnelle und wirksame Hilfe, einmal bei einer anderweitigen gerechten Verteilung und menschenwürdigen Unterbringung der Heimatvertriebenen — in der Beziehung stimme ich mit meinem Vorredner ganz überein —, zum andern bei der Unterstützung unserer kulturellen Aufbau- und Abwehrarbeit gegenüber dem Dänentum. Wir wollen diesen Kampf mit geistigen Waffen kämpfen. Wir lehnen jede Schikane, jede Gewaltmaßnahme, jedes staatliche Eingreifen ab, aber wir müssen wissen, daß bei diesem schweren kulturellen Ringen das ganze Deutschland hinter der Grenzbevölkerung steht!


    (Lebhafter Beifall.)