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    Deutscher Bundestag - 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949 31 6. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949.. Geschäftliche Mitteilungen 31B Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung: Dr. Schumacher (SPD) 31C Dr. von Brentano (CDU) 42D Dr. Schäfer (FDP) 49D Nächste Sitzung 56D Die Sitzung wird um 14 Uhr 21 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Kurt Schumacher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich würde, Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis Herrn Reimann die Entscheidung darüber überlassen.

    (Erneute Heiterkeit.)

    Wenn wir die Frage der deutschen Einheit diskutieren, dann können wir an der Frage Berlin nicht vorübergehen.

    (Sehr gut!)

    Berlin wünscht keine Wohltaten und keine Wohltäter-Allüren.

    (Sehr gut!)

    Die besondere Finanzhilfe für Berlin ist nicht eine Angelegenheit freiwilliger Zuwendungen, sondern muß zu einem festen Bestandteil im Etat der deutschen Bundesrepublik gemacht werden.

    (Zuruf: So war es doch!)

    Man sollte auch nicht nur dieser Zuwendung von Mitteln der Allgemeinheit zustimmen. Man muß in der Wirtschaftspolitik Berlin durch Vergebung von Krediten und von Aufträgen mehr Hilfe leisten als bisher. Auf diesem Gebiet, wo egoistische Interessen westlicher Produzenten mit Berliner Produktionsinteressen konkurrieren können, haben wir als deutscher Westen für Berlin noch lange nicht das geleistet, was zu leisten unsere Aufgabe ist.

    (Sehr wahr!)

    Man darf doch nicht vergessen, daß man den Kampf der Berliner nicht für die deutsche Bundesrepublik zu Buche schreiben und dann, wenn eigene kleinere Interessen auf dem Spiel stehen, Berlins Lebensnotwendigkeiten irgend etwas verweigern kann. Berlin hat den Willen, Produktionsstätte und Steuerzahler zu werden. Aber um diesen Willen zu realisieren, brauchen wir eine andere Linie der Wirtschaftspolitik, zum Teil auch die Einlösung von Versprechungen, die in diesem Frühsommer von einem Herrn der Bundesregierung in Berlin gemacht worden sind.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Mögen nun viele Leute diesen Zustand der Spaltung Deutschlands für relativ und vorübergehend zufriedenstellend erachten, wir Sozialdemokraten können das nicht. Die Frage der deutschen Einheit kommt hinein in jede andere politische Frage, die Deutschland berührt. Diese Frage kommt nicht mehr von der Tagesordnung. Wir können niemanden als einen Freund des deutschen Volkes emp-


    (Dr. Schumacher)

    finden, dessen praktische Politik die deutsche Einheit auf der demokratischen Grundlage verweigert und behindert.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir können uns auch nicht damit einverstanden
    erklären, daß die deutsche Einheit zum Agitationsobjekt oder zum Agitationsinstrument einer politischen Richtung gemacht wird. Wir wünschen, daß
    bei aller Verschiedenheit der Auffassungen sozialer, politischer und kultureller Natur die Angelegenheit der deutschen Einheit überall in Deutschland die Angelegenheit der gleichen Herzenswärme
    und der gleichen politischen Entschiedenheit wird.

    (Beifall links und in der Mitte.)

    Wenn der Herr Bundeskanzler gestern mit Recht der dankenswerten Arbeit ausländischer und inländischer Organisationen seine Achtung zollte, dann begrüßen wir das. Wir hätten aber gewünscht, daß der Herr Bundeskanzler bei diesem Dank nicht nur so in den Vorstellungen seiner eigenen Welt steckengeblieben wäre.

    (Sehr gut! links.)

    Ich habe dabei an die Arbeiterwohlfahrt und ihre Leistungen denken müssen, .

    (Beifall bei der SPD)

    ich habe an das grandiose Hilfswerk ausländischer Arbeiterorganisationen denken müssen,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    und ich habe auch an die Quäker, die Mennoniten und Juden und ihre Hilfsorganisationen denken müssen.

    (Beifall links.)

    Es mag dem Wesen der Politik entsprechen, gegnerische Leistungen relativ gering einzuschätzen, und man kann es nicht übelnehmen, wenn sich die Gegner nicht zu gegenseitigen Propagandisten ihrer Leistungen machen; aber daß man beispielsweise über den Kampf der deutschen Sozialdemokratie um die deutschen Kriegsgefangenen so einfach hinweggegangen ist,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    das ist auch nationalpolitisch von uns als nicht erfreulich empfunden worden.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wir Sozialdemokraten danken von ganzem Herzen für die ungeheure Leistung des amerikanischen Volkes und des im amerikanischen Staatswesen organisierten amerikanischen Steuerzahlers n das deutsche Volk. Aber sogar für amerikanische Ohren wäre gestern der Dank eindringlicher gewesen, wenn nicht die Tatsache einfach ignoriert worden wäre, daß auch der britische Steuerzahler und das englische Volk ohne Unterschied der Parteien und unter eigenen Opfern und Entbehrungen Großes für das hilfsbedürftige deutsche Volk geleistet hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich bin zu meinem Bedauern gezwungen festzustellen, daß sehr viele Menschen im Ausland sehr viel mehr Verständnis für die sozialen Nöte der Deutschen gezeigt haben als mancher Deutsche.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Es ist schmerzlich, aber es muß gesagt werden, daß die deutsche Sozialdemokratie nun einmal nicht in der Lage ist, einen Dank an die deutschen Hortungsgewinnler auszusprechen.

    (Beifall und Heiterkeit bei der SPD.)

    Begrüßenswert war ohne Zweifel das Denken an die Kriegsbeschädigten, aber etwas mehr Konkretisierung wäre wohl nötig gewesen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    1945 ist das als soziale Leistung beachtliche Reichsversorgungsgesetz durch einen Federstrich der Alliierten, die damit wohl praktischen Antimilitarismus zu betreiben vermeinten, außer Kraft gesetzt worden. Es wäre eine gute Sache, wenn die Bundesregierung sich entschließen könnte, ein neues, den geänderten Verhältnissen angepaßtes Reichsversorgungsgesetz für die Schwerbeschädigten des Krieges und für die Kriegerhinterbliebenen anzukündigen.

    (Sehr richtig bei der SPD.)

    Denn das Problem bei diesen so schmerzlich Geschlagenen ist doch, diese jungen Menschen heranzuholen an das Leben und heranzuholen an den Staat.

    (Bravo! bei der SPD.)

    Dazu gehört freilich eine Gesinnung warmer Kameradschaft, die über die finanz- und gesetzestechnischen Manipulationen hinausgehen muß.

    (Beifall bei der SPD.)

    Dagegen kann eine Unterlassung nicht unwidersprochen bleiben: die deutschen Kräfte des Widerstandes und die deutschen Opfer des Faschismus gehören doch zu den wenigen außenpolitischen Aktiven des deutschen Volkes und der deutschen Außenpolitik.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Von diesen Menschen ist gestern gar kein Wort gesagt worden. Man kann nicht gegen den Nazismus sein, ohne der Opfer des Nazismus zu gedenken.

    (Sehr gut! links.)

    Man kann sich nicht für die Hilfeleistung für einzelne Kategorien erwärmen — sie mögen noch so nötig sein —, wenn man die Opfer des Nazismus in einer selbstgewählten Rangordnung hinter die Rechte anderer zurückstellt.

    (Sehr gut! links.)

    Zu matt und zu schwach ist gewesen, was gestern die Regierungserklärung über die Juden und über die furchtbare Tragödie der Juden im Dritten Reich gesagt hat. Resignierte Feststellungen und der Ton des Bedauerns helfen hier nichts. Es ist nicht nur die Pflicht der internationalen Sozialisten, sondern es ist die Pflicht jedes deutschen Patrioten, das Geschick der deutschen und der europäischen Juden in den Vordergrund zu stellen und die Hilfe zu bieten, die dort notwendig ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Hitlerbarbarei hat das deutsche Volk durch Ausrottung von sechs Millionen jüdischer Menschen entehrt. An den Folgen dieser Entehrung werden wir unabsehbare Zeiten zu tragen haben. Von 600 000 deutschen Juden leben heute im Gebiet aller vier Zonen nur 30 000, meist ältere und kranke Personen. Auch sie erleben immer wieder beschämende und entwürdigende Vorfälle. In Deutschland sollte keine politische Richtung vergessen, daß jeder Nationalismus antisemitisch wirkt und jeder Antisemitismus nationalistisch wirkt. Das bedeutet nämlich die freiwillige Selbstisolierung Deutschlands in der Welt.

    (Zustimmung bei der SPD.)



    (Dr. Schumacher)

    Antisemitismus ist das Nichtwissen von den großen Beiträgen der deutschen Juden zur deutschen Wirtschaft, zum deutschen Geistesleben und zur deutschen Kultur und bei der Erkämpfung der deutschen Freiheit und der deutschen Demokratie. Das deutsche Volk stände heute besser da, wenn es diese Kräfte des jüdischen Geistes und der jüdischen Wirtschaftspotenz bei dem Aufbau eines neuen Deutschlands in seinen Reihen haben würde.

    (Beifall bei der SPD.)

    Nun ist durch den Vorgang der internationalen Abwertung eine neue Erschwerung eingetreten. Man hat den Eindruck, als ob man in Deutschland und vielleicht auch sonst mancherorts nicht ganz begreift, daß sich hier ein Schicksal zu vollenden beginnt, das seit Jahrzehnten vorbereitet ist, hervorgerufen durch eine andere Verteilung der industriellen Produktion, durch die Tatsache, daß die anderen Kontinente, die früher Rohstoffe und Lebensmittel lieferten, heute selbst industrialisiert sind und damit das Ganze in Europa in eine besondere, geschwächte handelspolitische Situation gebracht haben. Diese überholte politische und ökonomische Struktur Europas ist der Grund der Wehrlosigkeit, bei der die endgültige Heilung auch durch große Dollartransfusionen nicht gebracht werden kann, so notwendig sie sind, um das Leben für die nächste Zeit zu erhalten.
    Wir sind, nachdem wir jetzt mehrere Jahre im toten Winkel lagen, auch in die europäische Wirtschaftsgemeinschaft hineingezogen worden, und der erste Ausdruck war das Hineingezogenwerden — —

    (Zurufe von der CDU: Denken Sie an die sozialistischen Experimente Englands!)

    Nein, Sie haben meine drei letzten Sätze nicht verstanden. Lernen Sie sie bitte bis morgen auswendig.

    (Heiterkeit bei der SPD. — Zurufe.)

    Dieses Hineingezogenwerden hat sich jetzt zum erstenmal bei der Abwertung geltend gemacht. Nun werden wohl Parallelen notwendig sein, Parallelen über Gebiete, die eben auch der Zwischenruf angedeutet hat und wo Sachkenntnis durchaus heilend wirken könnte.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Zuruf rechts: Hoffentlich!)

    Man braucht bloß die besondere Situation Großbritanniens und seine Möglichkeit, den inneren lohnpolitischen und preispolitischen Konsequenzen der Abwertung zu begegnen, mit der besonderen Situation Deutschlands zu vergleichen. Über den Rahmen der Anteilnahme am Verlust des Krieges hinaus sind breite Massen des deutschen Volkes heute gegenüber diesem Ereignis wehrloser als die arbeitenden Menschen irgendeines anderen europäischen Volkes. Und weswegen sind sie wehrloser? Weil ihre soziale Polsterung durch die Geringfügigkeit der Reallöhne und durch die Einseitigkeit bei der Währungsreform und den hintertriebenen Lastenausgleich sehr viel schlechter ist als bei irgendeinem Volk in Europa. Wenn der Bundeskanzler erklärt, nur eine blühende Wirtschaft könne die Belastung aus dem Lastenausgleich tragen, dann werden wir daraus folgern müssen, daß man in den entsprechenden Kreisen der Regierung den radikalen endgültigen Lastenausgleich nicht gerade mit heißem Herzen will. Das bedeutet die Verschiebung des Lastenausgleichs. Der Lastenausgleich, der notwendig ist,
    ist doch ein Lastenausgleich, der weitgehend zu einer Veränderung der Eigentumsverhältnisse und vor allem zu einer Veränderung der Einkommensverhältnisse beiträgt. Ich glaube nicht, daß man mit der heutigen sozialen Graduierung der Bevölkerung einen neuen lebensfähigen demokratischen Staat aufbauen kann. Wir haben jetzt gesehen, daß wir heute schon Reallöhne haben, die unter den anderen Reallöhnen Europas liegen, was man bei den Realgewinnen der meisten Sachwertbesitzer nicht sagen kann. Wir haben eine weitere Bedrohung der Reallöhne im kommenden Winter durch die Ankündigung der Aufhebung der restlichen Bewirtschaftung, die sich vor allem bei der Bildung der Lebensmittelpreise und der Mieten geltend machen würde. In diese Situation der geschwächten sozialen Position der arbeitenden Menschen in Deutschland tritt nun die Abwertung. Wir sollten soviel Respekt vor den Tatsachen und der Ehrlichkeit haben, um zu sagen, daß eine Reihe von Trostpillen der letzten Tage nicht aus guten Chemikalien gemacht worden ist. Die radikale Trennung des äußeren valutarischen Wertes der D-Mark von dem inneren Kaufkraftwert ist nicht vollständig, sondern nur recht beschränkt möglich; und selbst das auch nur dann, wenn besondere Regierungsmaßnahmen eingeleitet werden.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Das gilt vor allen Dingen für die Preispolitik. Man kann nicht das Volk auffordern zu sparen bei steigenden Preisen. Spartätigkeit ist nur bei festen oder möglichst sogar rückläufigen Preisen möglich. Man kann nicht diese Wirtschaftspolitik betreiben und dann mit der anerkennenswert offenen, aber noch nicht die ganze Schwere aufzeigenden Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers weitergehen, die von „geringfügigen Veränderungen im Lohn- und Preisgebäude" spricht. Geringfügig werden die Veränderungen nicht sein, wenn nicht staatliche Hilfe kommt. Aber die Möglichkeiten der staatlichen Hilfe, besonders in der Form einer positiven Preispolitik, sind ja durch die letzten 15 Monate deutscher Wirtschaftspolitik zerschlagen worden.

    (Sehr richtig! bei der SPD. — Zuruf rechts.)

    — Die bessere Position Großbritanniens besteht jetzt eben darin, daß es ein funktionierendes System der Planwirtschaft

    (große Heiterkeit rechts)

    mit Investitionslenkung hat.

    (Erneute große Heiterkeit und Zuruf rechts: Deshalb die Abwertung!)

    - Meine Herren, Sie haben anscheinend von Planwirtschaft und Investitionslenkung nur in den Formen wahlpropagandistischer Formulierungen gelesen.

    (Unruhe. — Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Die haben uns die Nazis vorgemacht!)

    — Verzeihung, S i e waren doch zum großen Teil Nazis, und nicht Großbritannien, wenn ich mich recht erinnere.

    (Lebhafter Beifall und Händeklatschen bei der SPD. — Unruhe und erregte Zurufe rechts: Unverschämtheit! Ordnungsruf! — Glocke des Präsidenten.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Abgeordneter Dr. Schumacher, ich möchte Sie fragen: habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie eben zu einem Teil des


(Präsident Dr. Köhler)

Hauses gesagt haben: Sie waren Nazis, und doch nicht Großbritannien!

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    Rede von Dr. Kurt Schumacher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ein großer Teil, habe ich gesagt.

    (Lebhafte Pfuirufe in der Mitte und rechts. — Abg. Renner: Herr Präsident, kennen Sie nicht den Fragebogen verschiedener Abgeordneter? — Unruhe.)