Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Punkt IV der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
— Drucksache 9/2250 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Dübber
Will der Herr Berichterstatter das Wort?
— Der Berichterstatter verzichtet.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 9/2250 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung rufe ich jetzt auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich
— Drucksachen 9/34, 9/562, 9/1981 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 9/2297 — Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Zutt Gerster
b) Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses
— Drucksache 9/2296 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Erhard Stiegler
Im Ältestenrat sind für die Aussprache Kurzbeiträge von zehn Minuten vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erhard .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß uns das Gesetz zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich zur Abstimmung jetzt vorliegt. Meine Freude hat einen doppelten Grund. Zum einen widerfährt den vom Gesetz betroffenen geschiedenen alten Eheleuten ein Mehr an Gerechtigkeit. Zum anderen ist es der jetzt vorhandenen Koalition der Mitte in nur wenigen Wochen gelungen, einem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nachzukommen, den Versorgungsausgleich zu vereinfachen und zu verbessern. Dazu war leider die alte Koalition — nach meiner Ansicht wegen der inneren Unstimmigkeit in der SPD — in fast drei Jahren nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht in der Lage.
Mit der längst überfälligen Entschärfung versorgungsrechtlicher Wirkungen des Scheidungsrechts kann die neue Koalition einen wichtigen rechtspolitischen Handlungserfolg verbuchen. Dieser Erfolg ist um so bemerkenswerter, als die SPD-Fraktion bis zuletzt, nämlich bis zum vergangenen Freitag, versucht hatte, mit einem Antrag auf Durchführung einer Anhörung die Verabschiedung eines Teils der vorliegenden Gesetzesbestimmungen zu verhindern.
— Ich weiß, warum Sie das wollten: weil Sie das Ganze nicht haben wollten.
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Erhard
Das Ziel der Neuregelung ist eindeutig und leicht zu verstehen. Es geht dabei im wesentlichen um zwei Problemfelder: um die Beseitigung der schweren Mängel, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28. Februar 1980 dem Versorgungsausgleich anlastete, und um die Beseitigung der sofortigen Barzahlungsverpflichtung zum Ausgleich von Versorgungsansprüchen außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die Mängelrüge des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich insbesondere auf die Fälle, in denen der geschiedene Ehegatte stirbt, ohne daß er irgendwelche Renten- oder Pensionszahlungen erhalten hat. Die an ihn abgeteilten Rentenanwartschaften sollen nun wieder an den länger lebenden geschiedenen Ehegatten zurückfallen und nicht bei der Rentenversicherung oder der öffentlichen Hand verbleiben. Dies ist eine deutliche Korrektur gegenüber dem alten Rechtszustand,
denn diese Anwartschaften sind bisher zugunsten der Rentenversicherung verfallen. Es kann und darf nicht Sinn des Versorgungsausgleichs zwischen den geschiedenen Eheleuten sein, die Rentenfinanzen zu sanieren.
Der zweite wesentliche Fall bezieht sich auf einen geschiedenen Rentner, der auf Grund des durchgeführten Versorgungsausgleichs außerstande ist, seinem geschiedenen früheren Ehegatten — in der Regel ist das die Frau — auch noch Unterhalt zu zahlen. Der Versorgungsausgleich wird hier so lange ausgesetzt, bis der unterhaltsberechtigte Ehegatte ebenfalls Rente bezieht. Dann tritt die Rente an die Stelle der Unterhaltsleistung. Dadurch wird erreicht, daß wieder Unterhalt gezahlt werden kann. Mit dieser Neuregelung werden insbesondere allzugroße Ungerechtigkeiten und Härten bei älteren geschiedenen Eheleuten beseitigt.
Innerhalb der konkreten Einzelfälle bleibt vorerst noch der Zustand ungelöst, daß einer der Eheleute wegen der Scheidung nicht unerhebliche Minderungen seiner Altersbezüge hinnehmen muß, ohne daß der andere Ehegatte dadurch zu einer Erhöhung seiner Rente käme. Wir hatten schon 1981 vorgeschlagen, das zu regeln. Wegen der Kürze der Zeit und der Probleme, die sich in der Rentenversicherung ergeben könnten, haben wir das jetzt nicht mit geregelt.
Meine Damen und Herren, wir haben aber auch noch ein weiteres wichtiges Ziel erreicht. Auch über den zweiten Teil des Gesetzentwurfs, der bis zum letzten Donnerstagabend in der SPD-Fraktion umstritten war, haben wir eine Einigung erzielt. Danach wird die Aufteilung von Versorgungsansprüchen, die nicht aus der gesetzlichen Rentenversicherung stammen, neu und anders geregelt. Das gilt besonders für Lebensversicherungen auf Rentenbasis, für Betriebsrenten und andere zusätzliche Versorgungsansprüche. Bisher mußte der Ausgleichspflichtige durch Barzahlungen an die gesetzliche Rentenversicherung den sogenannten Ausgleich bewirken. Diese ungerechten und oftmals ruinösen
Sofortzahlungen werden abgeschafft. Der Barausgleich, der wie eine hohe Geldstrafe für Scheidungen wirkt, entfällt beim Zahlungspflichtigen. Künftig wird der Ausgleich erst im Rentenfall erfolgen, so daß die Rentenversicherungsträger untereinander abrechnen, so wie das für Beamte bisher auch schon der Fall war. Das Ruhegeld wird geteilt. Eine Ehescheidung führt damit in vielen Fällen nicht mehr in den wirtschaftlichen Ruin.
Es ist mir unverständlich, wie die Frau Kollegin Dr. Lepsius aus diesem Sachverhalt herausliest, wir hätten hier ein neues Recht für Privilegierte geschaffen und damit eine klammheimliche Wende im Eherecht herbeigeführt. Offenbar sind Frau Dr. Lepsius im Zorn über ihre Niederlage in der eigenen Fraktion, also in der SPD-Fraktion, so sehr die Tränen in die Augen geschossen, daß sie die Wirklichkeit nur noch verschwommen wahrnimmt.
— Ich könnte das Ganze auch noch wesentlich härter sagen.
Das war noch eine ganz freundliche Kommentierung.
Nehmen wir einen konkreten Fall. Der Hausmeister einer größeren Schule wird nach längerer Ehezeit geschieden, nicht weil er will, sondern weil seine Frau es will. Seine Ansprüche an die Zusatzversorgungskasse mußte er bisher durch Barzahlung in die Rentenversicherung ausgleichen. Das waren gegebenenfalls einige 10 000 DM. Jetzt wird der Ausgleich im Rentenfall zwischen der Zusatzversorgungskasse und der gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten der Frau bewirkt. Frau Dr. Lepsius nennt dies einen sozialpolitischen Skandal, den wir in einer schwarzen Stunde der Rechtspolitik verabschieden.
Ich vermag nicht zu erkennen, wo der Skandal liegen soll. Vergessen Sie, Frau Kollegin Lepsius, daß fast 80 % ihre Zahlungsverpflichtungen nach der Scheidung nicht erfüllt haben und die geschiedenen Frauen so ihre Alterssicherung verloren haben oder in der Gefahr sind, sie zu verlieren?
Am Rande möchte ich noch ein wichtiges Ergebnis erwähnen, das seine Auswirkungen sicherlich auch in anderen Bereichen haben wird. Ich meine die Neuregelung der Auskunftsverpflichtungen. Künftig können das Gericht und andere, die am Verfahren beteiligt sind, die den Versorgungsausgleich betreffenden Auskünfte bei den betroffenen Ehegatten, den betroffenen Stellen einholen. Bereits bei der Verabschiedung und Beratung des Gesetzes, ab 1977 in Kraft, war es allen Beteiligten klar und bewußt, daß es ohne eine Auskunftspflicht kaum befriedigende Regelungen des Versorgungsausgleichsverfahrens geben könne. Überzogene Vorstellungen über Personen- und Datenschutz und
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Erhard
über die angebliche Arbeitsbelastung der Rentenversicherungsträger haben damals verhindert, was wir heute gesetzlich regeln: die Verpflichtung aller Betroffenen zur Auskunft.
Die sozialdemokratische Fraktion hat jetzt einen umfangreichen Änderungsantrag vorgelegt. Dazu will ich wenige Bemerkungen machen. Dieser Abänderungsantrag muß abgelehnt werden, und ich bin überzeugt, er ist nur in der sicheren Erwartung vorgelegt worden, daß er abgelehnt wird.
Augenblick, Herr Abgeordneter. Herr Abgeordneter Lutz, ich bitte doch um ein bißchen Zurückhaltung. Das ist nicht parlamentarisch.
Erhard (Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Das ist meine Vermutung, die ich wohl aussprechen darf, und ich sage Ihnen noch eine kurze Begründung. Ich vermute das also, weil dieser Antrag erstens nach wie vor frauenfeindlich ist. Ich habe Ihnen das, als Sie denselben Antrag bei der ersten Lesung im September 1982 vorgelegt hatten, schon einmal gesagt. Das ist so, weil der gesamte Versorgungsausgleich in der Regel zum Nachteil der Frauen nach unten heruntergezurrt wird.
Zweitens vermute ich das, weil dauernde Rechtsunsicherheit eingeführt wird, und zwar wegen der vielen unterschiedlichen Änderungsmöglichkeiten rechtskräftiger Scheidungsurteile.
Drittens. Viele altgewordene Geschiedene werden durch die Kürzungen ihrer Versorgungsbezüge geschröpft. Deswegen ist dieser Vorschlag nach wie vor ungerecht, ja in einigen Fällen wirkt er sich sogar unsozial aus.
Schließlich wird viertens Unsicherheit in die Gerichte und unter die Bürger getragen. Das bringt so viel zusätzliche Arbeit in die Familiengerichte und eine ständige Drohung damit, daß die eigentlich rechtskräftige Entscheidung jeweils bis zum Versorgungsfall wieder geändert werden muß.
Lassen Sie mich abschließend feststellen. Wir wissen, daß eine ganze Reihe von ungelösten Fragen und Problemen im Zusammenhang mit dem Versorgungsausgleich noch immer bestehen. Diese werden wir in der kommenden Legislaturperiode angehen und ähnlich elegante Lösungsmöglichkeiten finden und vorschlagen, wie wir es mit den heutigen tun; denn erst durch das heute zu verabschiedende Gesetz werden wir in die Lage versetzt, weitere Schritte zu unternehmen. Dafür stellen wir
heute die Weichen. Zehntausende von Scheidungspaaren werden uns dankbar sein; denn nun kann ein wesentliches Stück mehr Einzelfallgerechtigkeit verwirklicht werden. Offensichtlich findet Rechtspolitik in diesem Hause wieder statt.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Lepsius.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt der Beschlußempfehlung des federführenden Rechtsausschusses zum Gesetz zur Ergänzung von Regelungen über den Versorgungsausgleich nicht zu. Die SPD-Bundestagsfraktion legt als Antrag einen alternativen Gesetzentwurf vor, den ich für meine Fraktion begründe. Ich werde mich auch durch die Ausführungen von Herrn Erhard hier nicht provozieren lassen, selbst wenn er von sogenannten frauenfeindlichen Regelungen gesprochen hat, weil er damit in der Tat zeigt, daß er von der Sache hier nichts verstanden hat,
weil wir Sozialdemokraten einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, der die Interessen von Männern und Frauen gleichermaßen berücksichtigt.
Das ist im Kern eine Regelung, die sozial gerecht ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung vom Februar 1980 den Versorgungsausgleich in seiner Substanz ausdrücklich für verfassungskonform erklärt. Es hat allerdings in drei Einzelfällen Nachbesserungen durch den Gesetzgeber gefordert. Hierzu hatte die alte sozialliberale Regierung einen Gesetzentwurf vorgelegt.
In diesem Zusammenhang möchte ich erstens daran erinnern, daß das neue Ehe- und Familienrecht, das unter dem damaligen Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel beraten und vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten worden ist, für die Menschen in unserem Lande ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit und an Gleichberechtigung im Bereich von Ehe und Familie gebracht hat.
Das bleibt voranzustellen, wenn wir uns heute mit einer Reihe von Problemen befassen.
Zweitens. Über die vom Verfassungsgericht in Einzelfällen geforderte Härteregelung hinaus haben die Sozialdemokraten noch eine Reihe von anderen Problemen beim Versorgungsausgleich gesehen, die zwar vom Verfassungsgericht nicht beanstandet worden sind, aber den einzelnen vor unzumutbare Belastungen stellen. Ich meine den Barausgleich für berufsständische Altersversorgungen:
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Frau Dr. Lepsius
Abgeordneten-Altersversorgung, Betriebsrenten,
Zusatzversorgungen des öffentlichen Dienstes, um nur die wichtigsten zu nennen. Dies ist in der Tat eine sehr komplizierte Materie, was damit zusammenhängt, daß es rund 150 verschiedene Arten von Zusatzversorgungen gibt.
Drittens. Das, was in der Rentenversicherung und auch in der Beamtenversorgung reibungslos funktioniert, nämlich die Teilung von Anwartschaften, klappt nicht bei allen Zusatzversorgungen. Handelt es sich in der Rentenversicherung und in der Beamtenversorgung um eine Art bargeldlose Teilung, wird der Mann bei einer Zusatzversorgung zur Kasse gebeten. Dies war ja auch der Ausgangspunkt für die Initiativen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.
Ein Beispiel: Stehen einer geschiedenen Frau Ansprüche von monatlich 100 DM oder vielleicht auch 1 000 DM aus einer Zusatzversorgung zu, muß der geschiedene Arbeiter oder Angestellte — bei 100 DM — oder der Journalist oder der Arzt oder auch der Abgeordnete — bei 1 000 DM — entweder 18 000 oder 180 000 DM — manchmal auch mehr — bar auf den Tisch der Rentenversicherung blättern.
Um diese Barzahlung im Versorgungsausgleich abzuschaffen, hat die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die Initiative ergriffen. Noch einmal möchte ich betonen: Mit dieser Regelung wollen wir erstens erreichen, daß Männer nicht mehr mit unzumutbaren Zahlungen für den Ausgleich von Betriebsrenten und Zusatzversorgungen belastet werden.
Wir wollen mit dieser Regelung zweitens erreichen, daß Frauen zum Zeitpunkt der Scheidung auch tatsächlich Ansprüche auf soziale Absicherung erhalten, daß also Männer und Frauen gleichbehandelt werden.
Hier unterscheiden wir uns von Ihnen, weil Sie eine einseitige Privilegiertenregelung getroffen haben.
— Ich komme noch darauf.
Viertens. Der von der SPD-Bundestagsfraktion entwickelte alternative Gesetzentwurf sieht insgesamt fünf unterschiedliche bargeldlose Ausgleichsformen vor. Für jeden Geldbeutel wird ein Weg aufgezeigt, ob nun für das gut gefüllte Konto eines Spitzenverdieners oder eines Abgeordneten — es gibt ja eine ganze Reihe von Peinlichkeiten auch in diesem Hause; darauf will ich wenigstens hinweisen — oder aber für das Portemonnaie eines Facharbeiters mit einer kleinen Betriebsrente oder einer kleinen sonstigen Versorgung.
Wir haben an jede Art von Zusatzversorgung gedacht: im öffentlichen Dienst, an Betriebsrenten, an die berufsständische Versorgung für Ärzte, Apotheker, Journalisten oder aber auch an die Altersversorgung für Abgeordnete im Bund und in den Ländern. Nach unserem fünfschienigen Konzept braucht kein Ehemann, der eine solche Versorgung hat, zum Zeitpunkt der Ehescheidung Barzahlungen auf das Rentenkonto seiner geschiedenen Frau zu leisten.
Übrigens, bevor Sie sich auf zwei Regelungen konzentriert haben — Sie haben sie aus unserem Gesetzentwurf abgeschrieben —, haben Sie eine dritte Ausgleichsform, das sogenannte erweiterte Splitting, das Super-Splitting, mit in Ihren Vorschlag übernommen. Sie haben es nachher nur gestrichen.
Das Ergebnis unserer differenzierten Regelung ist, daß alle geschiedenen Frauen, gleich welcher sozialen Schicht sie angehören — sei es nun die Frau eines Facharbeiters oder Hilfsarbeiters oder die Frau eines Zahnarztes oder die eines Abgeordneten —,
ihren Anteil aus den etwa 150 verschiedenen Arten von Zusatzversorgungen oder Betriebsrenten erhalten.
Fünftens. Für die SPD-Bundestagsfraktion möchte ich meinen Kollegen im Rechtsausschuß dafür danken, daß sie ganz intensiv hieran mitgearbeitet haben. Ich darf mich insbesondere bei Herrn Stiegler als dem Berichterstatter dafür bedanken, daß wir angesichts dieser komplizierten Materie einen soliden Gesetzentwurf vorlegen konnten.
— Das ist solide und nicht mit heißer Nadel gestrickt wie das was Sie vorgelegt haben; deshalb haben Sie das ja auch bis 1986 begrenzt.
Sie brauchen unserem Änderungsantrag auf der Drucksache 9/2342 nur zuzustimmen.
Die neue Regierungskoalition profitiert ohnehin von unserem Entwurf, denn Sie haben j a bei uns abgeschrieben, allerdings nicht lückenlos, sondern durch die Brille Ihrer männerbetonten Ideologie.
— Das muß man schon sagen, denn in Ihrem Entwurf profitieren immer die Männer von den neuen Ausgleichsformen, die Frauen dagegen nur dann, wenn sie das Glück hatten, von einem Arzt, Zahnarzt, Journalisten oder Abgeordneten geschieden zu werden.
In der Praxis sieht das nämlich so aus:
Erstens: Ein Arzt läßt sich scheiden; seine ausgleichsberechtigte Ehefrau erhält ihren Anteil aus seiner berufsständischen Versorgung auf ihrem Rentenkonto gutgeschrieben. Die Versorgung des Ehemannes wird dementsprechend gekürzt. Dies ist der von uns Sozialdemokraten entwickelte Vorschlag; dies haben wir auch so gewollt.
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Frau Dr. Lepsius
Dasselbe läuft beim Journalisten — auch dies haben wir so gewollt —; dasselbe läuft auch hinsichtlich der Versorgung für Abgeordnete im Scheidungsfall. Auch hier wird eine entsprechende Regelung getroffen, ohne daß diese Gruppen künftig hohe Barbeträge an die Rentenversicherung zahlen müssen.
Zweitens: Ein Angestellter, ein Arbeitnehmer oder auch ein Arbeiter in der freien Wirtschaft wird geschieden. Seine Betriebsrente braucht er im Falle einer Scheidung nicht länger durch Bargeldzahlungen auszugleichen. Dies haben wir Sozialdemokraten so gewollt; dies ist in unserem Gesetzentwurf enthalten.
Nur: Es gibt eben wesentliche Unterschiede. Bei dem Vorschlag der neuen Rechtskoalition wird mit dem Versorgungsausgleich allerdings solange gewartet, bis der Ehemann und die geschiedene Ehefrau selber Rentner sind. Erst dann muß der geschiedene Mann Monat für Monat einen Teil seiner Betriebsrente an die geschiedene Frau abtreten. Voraussetzung ist aber, daß der Mann lebt, denn der schuldrechtliche Versorgungsausgleich ist ein reines Lotteriespiel. Dies ist doch der entscheidende Punkt.
Wir Sozialdemokraten werden nie akzeptieren, daß Sie von der neuen Mehrheit die Frauen im ungewissen lassen und sie mit papierenen Zusagen abspeisen, die von Leben oder Tod des Verflossenen abhängen. Deshalb haben wir ja das erweiterte Rentensplitting und den verstärkten schuldrechtlichen Versorgungsausgleich entwickelt.
Ich komme zu meinem letzten Punkt. Was sollen wir Abgeordnete in unseren Sprechstunden den geschiedenen Frauen eigentlich sagen, die dank der CDU/CSU/FDP jetzt durch alle Maschen fallen? Soll ich den Frauen sagen, sie hatten eben das Pech, mit dem falschen Mann — einem Arbeiter oder einem Angestellten — verheiratet gewesen zu sein?
Für meine Fraktion stelle ich fest, daß die neue Rechtskoalition über das Lebensschicksal dieser Frauen wie mit einem heißen Bügeleisen hinweggebügelt hat. Wir sehen in der von der neuen Mehrheit durchgesetzten Privilegiertenregelung einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot.
Frau Abgeordnete Lepsius, ich muß Sie bitten. Wir haben eine Zehn-Minuten-Debatte.
Frau Dr. Lepsius : Ich hatte 15 Minuten — —
Das ist bei der Debatte nicht vorgesehen. Das Haus hat zehn Minuten beschlossen.
Dann werde ich jetzt zum Ende kommen. Dies muß vor dem Bundesverfassungsgericht enden.
Daher bedauern wir Sozialdemokraten es auch zutiefst, daß unser Gesetzentwurf, der diese politischen Mängel nicht aufweist, nicht schon vor der Sommerpause
durch die damalige Mehrheit von Sozialdemokraten und Freien Demokraten verabschiedet worden ist. Ich bedaure dies um so mehr, als Sie nun nach der Lektüre in einem sogenannten Kraftakt von zwei Monaten dies alles — —
Frau Abgeordnete Lepsius, ich muß Sie bitten, jetzt unverzüglich zu beenden.
Für die SPD-Bundestagsfraktion bitte ich darum, unserem Änderungsantrag, der die bessere Problemlösung enthält, zuzustimmen. Ihrem Antrag werden wir unsere Zustimmung verweigern; wir werden uns der Stimme enthalten.
Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß das Haus die ZehnMinuten-Debatte beschlossen hat. Der Präsident ist gezwungen, bei zehn Minuten abzuklingeln. Selbstverständlich darf es mal leicht darüber hinausgehen. Aber jetzt sind es mehr als 25 % darüber.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Schluß war ja schon wieder etwas versöhnlicher, Frau Lepsius, wenn Sie sich bei der Abstimmung über den Antrag der Mehrheit der Stimme enthalten wollen, dann zeigen Sie damit, daß das, was hier vorgelegt worden ist, auch wieder nicht so häßlich sein kann.
Das ist das, was wir wollten. Wir wollten eben das, was Sie mit der heißen Nadel meinten, machen. Wieso Ihre Nadel dabei so kalt geblieben ist — denn Sie haben ja nicht mehr Zeit gehabt als wir —,
haben Sie nicht erklärt.
Aber wir haben ganz deutlich gemacht, daß es uns darum geht, dieses Problem als ein offenbleibendes zu behandeln. Wir wollen es eben wirklich in Ruhe und gründlich noch weiter beraten, bevor wir zu einer umfassenden Nachbesserung der im Zusammenhang mit einem so umfassenden Gesetz, das so weitreichende Veränderungen schafft, nun einmal verbleibenden Probleme kommen.
Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von der SPD, noch einmal daran erinnern, daß wir am Beginn der Beratungen über ein neues Eherecht zusammen mit dem Grundsatz der Zerrüttung, der an die Stelle des früheren Verschuldensgrundsatzes getreten ist, darüber gesprochen haben, daß es in den dafür geeigneten Fällen folgerichtig ist — und ich halte es auch heute noch für sehr folgerichtig; es gibt Ausnahmen, bei denen das nicht möglich ist —, den Versuch zu machen, die Selbständigkeit der
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beiden Partner herbeizuführen und Regelungen, die zur Verselbständigung auch des Versorgungsschicksals und des weiteren beruflichen Schicksals geeignet sind, zu fördern.
Von diesem Ziel sind wir mit dem Gesetz etwas abgekommen, und die Rechtsprechung hat es dem Ziel nicht gerade wieder nähergebracht. Das ist etwas, was nach unserer Auffassung bei weiteren Beratungen in diesem Zusammenhang ganz sorgfältig bedacht werden muß. Es muß ganz sorgfältig im Auge behalten werden, daß jede Regelung, die dazu führt, daß der durch die Ehe schwächer gebliebene Partner — das wird in aller Regel auch heute noch die Frau sein — Hilfe bekommt, um sich zu verselbständigen, aufgegriffen werden muß. Es kommt darauf an, daß sich das Schicksal der beiden Parteien dauerhaft verselbständigen kann. Ich halte das schon für eine im besten Sinne des Wortes emanzipatorische Forderung. Weil das aber in der Wirklichkeit der Lebensverhältnisse der Beteiligten unglaublich schwer ist, müssen wir uns dafür einige Zeit ausbitten.
Auf der anderen Seite hat uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben, Mißstände zu beseitigen, die es für gegeben hält und die zum Teil in der Richtung dessen liegen, was Frau Lepsius eben beklagt hat. Solche Mißstände zu beseitigen, haben wir aus Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht jetzt für geboten gehalten. Deshalb ist in der Kürze der Zeit vom Bundesjustizminister, dem ich dafür besonders herzlich danken möchte, eine Vorabregelung vorgelegt worden. Wir haben versucht, das nun wenigstens in dem Rahmen zu Ende zu bringen, daß insoweit dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts gefolgt wird.
Aber ich wiederhole es: Wir sehen hier eine Fülle offen gebliebener Probleme. Wir sehen das Bedürfnis, bei einem so umfangreichen Gesetzgebungswerk, bei einem so tiefen Einschnitt in frühere Regelungen noch einmal zu einer ebenso umfassenden Nachbesserung zu kommen. Deshalb kann ich irgendeine aufgeregte Kritik an dem, was jetzt vorgelegt wird, überhaupt nicht verstehen. Wir werden diesen Antrag unterstützen.
Ich benutze die Gelegenheit, an diesem Beispiel noch einmal darzustellen, daß wir größten Wert darauf legen müssen, die angestrebte und dringend notwendige Entlastung der Justiz, der sogenannten Rechtsanwender, in erster Linie der Richter, der Rechtsanwälte und der anderen Mitarbeiter der Justiz, nicht dadurch zu erreichen, daß wir immer kompliziertere, immer kompaktere Gesetze machen und schließlich ganz großherzig und großzügig der Justiz die Last damit überlassen. In erster Linie sind wir gefordert, unseren Beitrag zu einer vernünftigen Entlastung der Justiz zu leisten. Die Entlastung kann nicht darin liegen, daß wir rechtliche Möglichkeiten verkürzen, daß wir zu Lasten der Verfahrensbeteiligten, insbesondere zu Lasten von Zivilprozeßbeteiligten oder gar Angeklagten im Strafverfahren zu Einschnitten kommen, die das Verfahren zwar verkürzen, aber auch den Rechtsschutz drastisch verkürzen würden. Die Entlastung kann nur darin liegen, daß wir versuchen, die Gesetze so knapp, so gut handhabbar wie möglich zu machen. Die Ansprüche sollten möglichst schon im Vorfeld dadurch erledigt worden sein, daß alle Beteiligten wissen, daß sie in einem Prozeß auch nichts anderes erreichen würden, als was sie vorher schon dem Text entnehmen können.
Das ist ein großes Ziel. Ich gebe es zu. Erreichen werden wir es nicht. Aber wenn wir es nicht immer wieder und bei jedem einzelnen Gesetz anstreben, das hier auf den Tisch kommt, dann versündigen wir uns. Noch mehr versündigen wir uns, wenn wir versuchen, durch Einschnitte in nun einmal gegebene verfahrensrechtliche Garantien den Rechtsweg zu verkürzen und das dann als eine nützliche und wünschenswerte Entlastung der Justiz ausgeben. Das darf einfach nicht der Fall sein.
Das heißt andererseits auch nicht, daß wir etwa gar nichts zu tun hätten, daß es keinen Regelungsbedarf mehr gäbe. Das heißt nur, daß wir den dringenden und unabweisbaren Regelungsbedarf so prüfen müssen, daß nichts Überflüssiges geschieht. Wir müssen uns Aufgaben stellen, die insbesondere der Rechtsschutz derjenigen, die am meisten benachteiligt sind, erfordert.
Deshalb bin ich sehr zufrieden darüber, daß es eine große Gesprächsbereitschaft und durchaus konkrete Verabredungen in der neuen Koalition gibt, ein Gesetz wegen eines Mangels in einem ganz wesentlichen Punkt zu ändern, besser gesagt, zu ergänzen; denn wir können es leider nicht abschaffen. Dieses Gesetz war auch aus Gründen, die auf der Hand lagen und die wir alle sehr bedauert haben, mit heißer Nadel genäht worden, nämlich das Kontaktsperregesetz. Wir wollen die Frage des Zugangs einer Vertrauensperson — einverständlich — in allernächster Zeit in Angriff nehmen. Wir haben das in der alten Koalition nicht schaffen können. Wir beharren auf diesem Ziel. Es ist ein Beispiel dafür, wo dringend etwas geschehen muß, weil es die Bedürfnisse der unmittelbar Beteiligten dringend erfordern. Man sollte sogar — Herr Emmerlich, ich war ursprünglich mal dafür, wie Sie sich vielleicht erinnern — einzelne Bestimmungen vielleicht gar nicht ändern oder streichen. Ich sage ja, wir wollen keinen Kahlschlag, wir müssen nur das Regelungsbedürfnis richtig prüfen.
Es gab von Ihrer Seite den dringenden Wunsch, den § 353d des Strafgesetzbuches zu streichen. Ich muß sagen, im Lichte neuerer Vorkommnisse scheint mir dieser Paragraph, der die Veröffentlichung von Bestandteilen von Strafakten unter Strafe stellt, eine durchaus wichtige Funktion zu erfüllen. Wir haben nach dem, was in letzter Zeit in hanebüchener Form im Vorfeld und Vorstadium schwebender Prozesse an Eingriffen geschehen ist, keine Veranlassung mehr, diesen § 353d etwa zu streichen. Es scheint so zu sein, daß man darüber nachzudenken hat, wie er zu verbessern ist; aber er darf nicht gestrichen werden.
Nachdem ich nun an dem Beispiel des Versorgungsausgleichs darüber gesprochen habe, wie wir unserer Vorstellung nach in den kommenden Jahren mit der Gesetzgebung umzugehen haben, möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß wir
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im Rechtsausschuß nicht nur Gesetze machen müssen, dem ich nun am Ende insgesamt — natürlich unter Ausschluß meiner Person — auch für die Arbeit, die er unter den neuen Bedingungen geleistet hat, herzlich danken möchte, wobei ich besonders herzlich die Frau Vorsitzende erwähne. Im Rechtsausschuß müssen wir nicht nur neue Gesetze machen und die Gesetzesflut vergrößern, sondern die Juristerei — Herr Präsident, ich darf das noch zu Ende bringen — ist ja auch eine ganz nützliche Hilfswissenschaft. Wenn man sich die Vorlagen sogenannter Fachministerien anschaut, bevor sie den Rechtsausschuß erreichen, und sie betrachtet, nachdem sie ihn wieder verlassen, dann kann man die Hoffnung haben, daß auch da ein nützliches Feld für die Betätigung der Juristen vorhanden ist und vorhanden bleibt. Sie werden dazu im Zusammenhang mit der Kriegsdienstverweigerungsnovelle noch einiges hören. — Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Kurzdebatte gibt mir Gelegenheit, wenigstens stichwortartig eine Kurzbilanz über nur zweieinhalb Monate der bisherigen Regierungstätigkeit zu ziehen.
Wir beraten heute den Gesetzentwurf zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich. Dieser Gesetzentwurf hatte für mich vom Tage meines Amtsantritts an absoluten Vorrang. Wir stehen ja in der Schuld des Bundesverfassungsgerichts, das uns in seinem Urteil vom 28. Februar 1980 aufgegeben hat, alsbald Lösungen zu bringen für die vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten und durch unsere Verfassung nicht abgedeckten Härtefälle. Daß bei dem jetztigen Zeitablauf dieses „alsbald" wohl nicht mehr abgedeckt war, dürfte klar sein. Wir stehen ja auch in der Schuld der Betroffenen; denn nach meinem Empfinden ist es unerträglich, daß ältere Menschen in bestimmten Fällen eine verkürzte Rente erhalten. Das ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht mit unserem Grundgesetz in Einklang zu bringen. Ich muß sagen, daß ich durch die Jahre als einer der beiden Vertreter des Deutschen Bundestages bei der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht im November 1979 diese Last besonders empfunden habe. Deswegen mußten wir jetzt zur Entscheidung kommen, zu einer Regelung — wie immer sie ausgehen mag —, die diese Härten beseitigt und dieses Problem anpackt, und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt.
Wir haben eine vorläufige, wir haben eine befristete Regelung gefunden. Das hat den Vorteil, daß man Erfahrungen sammeln kann, daß man in den nächsten Jahren sehen wird, wie das funktioniert, um bei einer endgültigen Regelung diese Erfahrungen einbeziehen zu können. Dann war es sicherlich vernünftig, das in einem gesonderten Gesetz, außerhalb des BGB zu machen und unser Bürgerliches
Gesetzbuch nicht anläßlich einer vorläufigen Regelung weiter zu verstümmeln.
Wir haben jetzt auch den Versuch unternommen, eine vorläufige Regelung für jene Fälle zu finden, die in der Praxis große Schwierigkeiten machen, weil die Verpflichteten Beiträge einzahlen müssen, um für den berechtigten Teil Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung zu begründen. Diese vorläufige Regelung konnte nicht perfekt sein. Nur — hier wende ich mich an die Kolleginnen und Kollegen der Opposition —,
sieht man eigentlich nicht, daß zu bestimmten Zeiten auch der Mut zur Lücke einfach notwendig ist?
Was Sie als Änderungsantrag vorgelegt haben, hätte, wie immer man seine Qualität beurteilen mag, zwingend — zwingend! — nach sich gezogen, daß wir heute nicht zur zweiten und dritten Lesung hätten schreiten können, daß ein Hearing notwendig gewesen wäre, daß breiteste Beratungen und Erörterungen erforderlich gewesen wären. Hier reicht es eben nicht, nur die Arbeitswilligkeit zu besitzen und auch die Fähigkeit zu arbeiten, sondern erforderlich ist auch das Augenmaß für die politischen Zusammenhänge, für den Zeitablauf, für das, was uns bei weiterer Untätigkeit von seiten des Bundesverfassungsgerichts im Bereich der Härtefälle in Kürze ins Haus gestanden hätte. Auch das ist eben Politik.
Es ist unverzichtbar für die Politik, auch diese Dinge mit im Auge zu haben.
Ich weiß, jetzt wird der Ausgleich bei den Einzahlungsfällen vielfach schuldrechtlich vorgenommen werden müssen. Das ist eine schwache Form. Mein Appell geht deshalb an die Versicherungsträger, bereits jetzt in der Übergangszeit daranzugehen — weil ja die endgültige Regelung in dieselbe Richtung zielen wird —, in ihrem Bereich die Voraussetzungen zu schaffen, um weitestgehend Realteilung vornehmen zu können.
Wir haben in diesen nur zweieinhalb Monaten der neuen Bundesregierung und der neuen Koalition den umfassenden Bereich des Mietrechts nicht nur in Angriff genommen, sondern auch abgeschlossen.
In einem ganz anderen Bereich, in dem man über die Zeiten — aus welchen Gründen immer — nie zu einem Ergebnis gekommen ist, hat der Rechtsausschuß im Drang seiner Geschäfte sogar die Zeit gefunden, das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen zu beraten, das mittlerweile auch das Plenum passiert hat. Wir haben eine Initiative zur Begrenzung der Pflicht zur Eintra-
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Bundesminister Engelhard
gung im Verkehrszentralregister ergriffen und damit vorab vor einer umfassenden Regelung der Ordnungswidrigkeiten eine wesentliche Erleichterung für die Gerichte — nebenbei natürlich auch für viele Bürger — geschaffen.
Wir haben — das Bundesjustizministerium ist hier nicht federführend, aber dies ist natürlich auch ein Stück Rechtspolitik — eine Frage, die über die Jahre hinweg ungelöst und bedrückend wie ein erratischer Block in der Gegend lag, angepackt und werden sie noch heute der abstimmenden Beratung zuführen; ich meine die Neuregelung der Kriegsdienstverweigerung.
Wir haben entsprechend der Vereinbarung in der Koalition Prüfungsaufträge zur Kontaktsperre und zum Verbot der Mehrfachverteidigung erteilt. Es war in der Kürze der Zeit gar nicht möglich, hier zu einem abschließenden Gesetzentwurf und zur Beratung zu kommen. Aber wir sind uns bereits bis in einzelne Formulierungen hinein einig, was ich hier ausdrücklich hervorheben möchte.
Ich will als letztes erwähnen, daß das 21. Strafrechtsänderungsgesetz, das die Bekämpfung neonazistischer Umtriebe zum Ziel hat, und die Novelle zum Urheberrecht, noch von der alten Bundesregierung vorgelegt, von mir im Bundesrat vertreten wurden und nun in der Kontinuität ihren weiteren Fortgang in den Beratungen nehmen werden.
Beim Haushalt ist die Justiz ja nicht das große Problem. Wir sind nicht der Großverbraucher an öffentlichen Mitteln durch die Zeiten gewesen. Aber auch hier bestehen natürlich ganz konkrete Interessen, und in einer Zeit der Kürzungen müssen wir in aller Bescheidenheit uns natürlich auch unserer Haut wehren. Dafür, daß dies zu befriedigenden Ergebnissen geführt hat, möchte ich an dieser Stelle ganz besonders den Berichterstattern im Haushaltsausschuß, Herrn Kollegen Gerster und Frau Kollegin Zutt, sehr, sehr herzlich danken.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Richtig verstandene Rechtspolitik entzieht sich in der Regel der Hektik des Alltags. Rechtspolitik bedarf der Kontinuität, sie bedarf des abwägenden Nachdenkens. Aber das schließt natürlich nicht aus, daß dort, wo es notwendig ist, Rechtspolitik auch einmal die Kraft haben muß, zuzulangen und notwendige Korrekturen innerhalb kurzer Zeit durchzuführen.
Wenn ich sehe, was in nur knapp zweieinhalb Monaten hier in diesem Hause im Bereich der Rechtspolitik bewegt worden ist, muß ich sagen: Das ist ganz sicherlich keine schlechte Bilanz, sondern es verspricht für die Zukunft durchaus Erfreuliches.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung über den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich, Drucksache 9/2296.
Auf Drucksache 9/2342 liegt hierzu ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch, daß vorab über diesen Änderungsantrag im ganzen abgestimmt wird? — Dem wird zugestimmt. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 9/2342 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe die §§ 1 bis 13, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Bei einigen Gegenstimmen und einer größeren Zahl von Enthaltungen sind die §§ 1 bis 13, Einleitung und Überschrift angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Bei dem gleichen Kräfteverhältnis, also bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen, ist das Gesetz mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir fahren mit der Behandlung der Punkte I a und I b der Tagesordnung fort:
I. a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1983
— Drucksachen 9/1920, 9/2050, 9/2139 —
Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses
I. b) Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts
— Drucksachen 9/2074, 9/2140 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses
— Drucksachen 9/2283, 9/2290 — Berichterstatter:
Abgeordnete Wieczorek
Hoppe
Carstens
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8833
Präsident Stücklen
Ich rufe auf:
Einzelplan 07
Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz
— Drucksachen 9/2147, 9/2281 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Zutt Gerster
Wird von den Berichterstattern das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 07 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen!
Ich rufe auf:
Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
— Drucksachen 9/2156, 9/2281 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Gerster Topmann
Wird von den Berichterstattern das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Es liegen keine Wortmeldungen vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 19 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 19 ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 11
Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksachen 9/2151, 9/2281 —
Berichterstatter: Abgeordnete Sieler Dr. Friedmann
Dazu: Zweite Beratung der Art. 6 a, 10, 17 bis 24, 27 und 29 bis 35 des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1983; Drucksachen 9/2074, 9/2140, 9/2283 und 9/2290.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist verbundene Debatte für den Einzelplan 11 sowie die aufgerufenen Artikel des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vereinbart worden. Für die Aussprache ist eine Redezeit von 150 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wird von den Berichterstattern das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Sieler.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit rund 58,9 Milliarden DM ist der Haushalt des Bundesarbeitsministers
nicht nur der größte Einzelplan im Bundeshaushalt, er hat auch für die überwiegende Mehrheit unserer Bürger eine überragende Bedeutung, wenn nicht die Bedeutung für die soziale Sicherheit schlechthin. Weil das so ist, meine Damen und Herren, registrieren natürlich die Bürger, die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften jede Veränderung in diesem Teil des Bundeshaushalts mit besonderer Aufmerksamkeit. Weil das so ist, reagieren auch die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften sehr allergisch auf jede Verschlechterung im Netz der sozialen Sicherheit, genauso wie die Sozialverbände und die hinter ihnen stehenden Mitglieder.
Das haben wir in der Vergangenheit so erlebt, meine Damen und Herren, und das gilt auch heute, jedenfalls aus dem Selbstverständnis dieser Organisationen. Ich muß, sehr verehrter Herr Bundesfinanzminister, Ihre Kritik, die SPD sei eine Protestpartei
und verbreite nur Angst und Panik, doch als eine Kritik bezeichnen, die ins Leere geht. Sie muß ins Leere gehen, soweit es die Einleitung des sozialen Kahlschlages betrifft und wir als Sozialdemokraten dies hier kritisieren. Wir haben doch nicht zu kritisieren, meine Damen und Herren, daß gespart werden muß — um die Frage geht es doch gar nicht —, sondern wir haben zu kritisieren, wie gespart wird und wie von Ihnen der Rotstift angesetzt worden ist.
Und wir haben zu kritisieren, daß die Lasten der Einsparungen fast ausschließlich auf dem Buckel der Arbeitslosen, der Rentner, der Sozialhilfeempfänger, der Arbeitnehmer und ihrer Familien abgeladen werden, während andere verschont bleiben oder sogar entlastet werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Gegensatz zu Ihrer jahrelangen Oppositionsrolle der politischen Enthaltsamkeit haben wir konkrete Vorschläge zur Überwindung der Arbeitslosigkeit gemacht,
— schauen Sie sich das mal genau an —, Vorschläge, die finanzpolitisch und haushaltspolitisch fundiert sind, und den Weg aus der Krise zeigen und nicht tiefer hineinführen.
Die Schutzbehauptung des Herrn Bundesfinanzministers, er habe den Schutt der Vergangenheit zu bewältigen gehabt und müsse daher tiefer als gewollt in die soziale Sicherheit einschneiden,
hat gestern der Finanzminister Posser aus Nordrhein-Westfalen sehr eindrucksvoll widerlegt; denn, meine Damen und Herren, wenn es wirklich Schutt wegzuräumen gilt — und da sollten wir alle ein
8834 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Sieler
bißchen ehrlich miteinander umgehen —, dann ist das genauso Ihr Schutt wie unserer.
Diese Regierung ist angetreten, mehr Wahrheit und Klarheit in die Haushaltspolitik einzuführen. Der Bundesarbeitsminister ist landauf, landab bemüht, sein Erblastmärchen bei den Arbeitnehmern loszuwerden.
Halten Sie es denn, Herr Arbeitsminister, angesichts der Probleme der Finanzierung der sozialen Sicherung für sinnvoll und für die Betroffenen besonders hilfreich, wenn wir die Diskussion dort wieder beginnen, wo Sie mit dem Thema „Rentenbetrug" und ähnlichem Unsinn angefangen haben?
Sie, meine Damen und Herren, und der Herr Bundesarbeitsminister haben uns in den vergangenen Jahren vorgehalten, die Sozialpolitik zum Verschiebebahnhof für Haushaltsprobleme gemacht zu haben.
Was, wenn man sich den Haushalt des Bundesarbeitsministers ansieht, ist denn nun klarer oder wahrer geworden? Nichts, meine Damen und Herren, aber auch gar nichts.
Die Haushaltsbegleitgesetze zum Einzelplan 11 sind geradezu ein Musterbeispiel für soziale Ungereimtheiten dieser Regierung. Lassen Sie mich das an einigen Beispielen deutlich machen.
Mit der Senkung der Beitragsbezugsgröße für den Rentenversicherungsbeitrag für arbeitslose Leistungsempfänger durch die Bundesanstalt für Arbeit auf das Niveau der Lohnersatzleistungen — jetzt geht man von 100 % des Bruttoarbeitsverdienstes aus, dann werden es 45 % des letzten Bruttoverdienstes eines arbeitslosen Leistungsempfängers sein —, haben Sie die Rentenversicherung wieder zu einem großen Teil an das Risiko des Arbeitsmarktes und der Konjunktur angebunden. Einvernehmlich, meine Damen und Herren, haben wir 1978, und zwar die damlige Opposition und die damalige Regierung, diese Risiken von der Rentenversicherung nehmen wollen, und wir haben sie weggebracht.
Für den klassischen Saisonarbeiter, für den Bauarbeiter, bedeutete dies eine entscheidende Verbesserung seiner Alterssicherungsgrundlage. Wer sich den typischen Versicherungsverlauf eines Bauarbeiters ansieht, wird mir dies bestätigen können. In zweierlei Hinsicht, Herr Bundesfinanzminister, haben Sie nun erneut Probleme geschaffen.
Erstens. Die Beitragsregelung bedeutet für alle arbeitslosen Erwerbspersonen zukünftig auch eine Verschlechterung ihrer Rentenbasis.
Zweitens. Für die Rentenversicherungsträger sind für 1983 alleine rund 5 Milliarden DM an Beitragsausfällen zu erwarten.
Wir halten diesen Weg für falsch, zumal er bei zunehmender Arbeitslosigkeit den Konsolidierungsbedarf der Rentenfinanzen erhöht, dieses Problem für 1983 zwangsläufig verschärfen muß.
Ich möchte an dieser Stelle nicht wiederholen, was ich in der Aktuellen Stunde zur mittelfristigen Finanzplanung dazu gesagt habe. Wir sind nämlich sehr gespannt, wie, Herr Finanzminister, die von Ihnen geforderte tatkräftige Beteiligung der SPD-Bundestagsfraktion an der Lösung dieser Probleme aus der Sicht der Regierung aussehen soll. Wir werden anders als Sie, meine Damen und Herren, unserer Rolle und unserer Verantwortung als Opposition gerecht werden, allerdings nicht so, wie sich das der Herr Bundesfinanzminister und der Herr Bundesarbeitsminister vorstellen.
Zunächst, Herr Bundesfinanzminister, wissen Sie genauso wie wir, daß die von Ihnen geforderte Lohnpause
für 1983 die Einnahmeseite der Rentenversicherung um ein weiteres Milliardenloch bereichern muß.
Das Entscheidende dabei ist doch wohl, daß dafür von Ihnen keine Deckung nachgewiesen worden ist.
Dies ist schon in zweifacher Hinsicht fatal und unseriös und hat mit haushaltspolitischer Wahrheit und Klarheit überhaupt nichts zu tun.
Darüber hinaus stellen Sie ein Ansinnen an die Gewerkschaften, Herr Minister. Und nun darf ich Sie einmal als Kollegen ansprechen. Kollege Blüm, der der gleichen Gewerkschaft angehört wie ich, glauben Sie denn, daß aus dem Selbstverständnis dieser Gewerkschaftsbewegung, der wir angehören, das, was Sie an Ansinnen an sie gestellt haben, von ihr erbracht werden kann?
Und halten Sie es insgesamt vor dem Hintergrund der anhaltenden Nachfrageschwäche auf unseren Binnenmärkten nicht für mehr als fragwürdig, daß Sie ausgerechnet zu dieser Zeit eine weitere Enthaltsamkeit verordnen, während der Herr Geißler lustig draufloserklärt: Nun, Leute, macht mal euren Sparstrumpf auf!
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8835
Sieler
Hinzu kommt die öffentlich erklärte fast ultimative Aufforderung des Herrn Bundesfinanzministers an den Vorstand der IG-Metall, man solle die Forderung der baden-württembergischen Tarifkommission der IG-Metall auf das Maß zurückführen.
Das alles ist doch ein offenbarer Affront gegen die Gewerkschaften, und das muß doch von diesen als eine offene Kampfansage verstanden werden.
Mein Kollege Schorsch Leber hat am Dienstag deutlich gesagt, daß keine Regierung gegen die Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland regieren kann. Sie sollten es auch gar nicht versuchen.
— Ich nehme an, Sie haben Herrn Kollegen Leber richtig zugehört. Er hat nämlich deutlich gesagt, daß man mit den Gewerkschaften regieren soll. Darum geht es doch wohl.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glos?
Ich bin ja gern bereit, Herr Präsident, mit dem Herrn Kollegen Glos zu diskutieren. Nur, meine bescheidene Zeit erlaubt es mir leider nicht. Wir werden die Diskussion an anderer Stelle fortsetzen, Herr Kollege Glos.
Woher nimmt diese Regierung eigentlich den Glauben, daß mit Befehlen und Forderungen an das Wohlverhalten der Gewerkschaften der soziale Frieden in unserem Land erhalten bleiben könne? Ist dieser Regierung der soziale Frieden als wesentliche Voraussetzung für die Lösung der schwierigen Probleme, die wir in der Stahlindustrie, im Bergbau, in der Werftindustrie, im Bereich der Unterhaltungselektronik und in der Bauwirtschaft haben, oder etwa die Notwendigkeit von Lösungen im System unserer sozialen Sicherheit so wenig wert, daß man Konfrontation statt Kooperation mit den Gewerkschaften sucht?
Und ist, Herr Minister, die Stabilität unserer Republik Ihnen denn so wenig wert, daß man sich nicht scheut, angesicht der Angst der Menschen um ihren Arbeitsplatz die Arbeiter gegen ihre Gewerkschaften ausspielen zu wollen, wie es bei ARBED-Saarstahl versucht worden ist? Wenn diese Regierung das zur Grundlage ihres Umgangs mit einer der entscheidenden gesellschaftlichen Kräfte in unserem Land machen würde, wäre dies, Herr Bundesarbeitsminister, das Ende der wirtschaftlichen und sozialen Stabilität dieser Republik.
Wir können vor einem solchen Weg nur warnen. Wir werden diesen Weg nicht mitgehen. Wir werden zu und hinter den Gewerkschaften stehen, wenn es darum geht, die Rechte der Arbeitnehmer und die Tarifautonomie zu verteidigen.
— Herr Kollege, leider gibt es — das sollten wir einmal ganz deutlich sagen — in Ihrer Fraktion kaum mehr Gewerkschafter, jedenfalls nicht mehr viele. Einen Arbeitnehmerflügel findet man schon seit vielen Jahren nicht mehr.
— Ich weiß, das tut Ihnen weh.
— Schauen Sie sich einmal in Ihren Reihen um. Dann werden Sie das wohl bestätigt finden.
Die Bundesregierung geht in ihren Eckwerten zur Entwicklung im Jahre 1983 von einer durchschnittlichen Arbeitslosenzahl von 2,35 Millionen aus. Wir wissen natürlich genauso wie Sie, daß in der Wirtschaft die Psychologie eine wichtige Rolle spielt.
Verehrter Herr Arbeitsminister, das ist auch der
Grund, warum wir — anders als Sie es in der Vergangenheit getan haben — mit dem Thema der Entwicklung der Arbeitslosigkeit sehr vorsichtig umgehen.
Trotzdem wollen wir nicht verschweigen, daß gerade von dieser Seite erhebliche Risiken auf den Bundeshaushalt zukommen. Ich denke in diesem Zusammenhang nur an die Liquiditätshilfe für die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg oder an die Entwicklung von Kurzarbeit und Arbeitslosenhilfe insgesamt. — Herr George, ich wäre an Ihrer Stelle sehr vorsichtig. Ich wünsche Ihnen in unser aller Interesse wirklich Glück, daß es Ihnen gelingt, mit diesen Problemen fertig zu werden. Allerdings habe ich die große Sorge, daß Sie den Mund zu voll nehmen, wenn es um die Lösung dieser schwierigen Probleme geht.
Herr Bundesarbeitsminister, deswegen werden wir auch nicht so schnoddrig mit Zahlen im Sozialetat und mit den Arbeitslosen umgehen, wie Sie das am Dienstag in Ihrer hinreichend bekannten Weise getan haben. Bisher sind der Bundesarbeitsminister und die Bundesregierung den überzeugenden Beweis schuldig geblieben, wie sie mit der uns alle
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Sieler
bedrückenden Arbeitslosigkeit fertig werden wollen.
Meine Damen und Herren, wir haben keine Patentrezepte anzubieten.
Ich möchte das ganz deutlich sagen. Wir haben aber einen Beschäftigungshaushalt vorgelegt,
der geeignet wäre, die Arbeitslosigkeit zu stoppen und neue Arbeitsplätze zu schaffen, und der darüber hinaus seriös finanziert werden kann.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter. Darf ich um etwas mehr Ruhe bitten. Anschließend kommt ja, wie hier vorgemerkt ist, ein Redner von der CDU/CSU zu Wort. Er wird darauf antworten.
Ich bedanke mich, Herr Präsident.
Was wir der Regierung vorwerfen? Sie müssen einmal zuhören, Herr Kolb. Das müssen Sie halt auch noch lernen, wenn Sie es noch nicht gelernt haben sollten. Wir müssen das auch. Was wir der Bundesregierung vorzuwerfen haben, ist, daß sie so tut, als hätte sie ein Patentrezept gegen die Arbeitslosigkeit, welches sie dann der staunenden Öffentlichkeit darbietet und erwartet, die Opposition würde dies auch noch unterstützen. Das Kaninchen-Patentrezept aus dem Zylinder der Bundesregierung wird sich sehr bald, für jedermann erkennbar, als Illusion darstellen, weil es Instrumente enthält, die in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien zu einer weiteren Verschärfung der Arbeitslosigkeit geführt haben, statt Arbeitslosigkeit abzubauen.
Der Bundeshaushalt 1983 wird so dem hohen Anspruch der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht gerecht. Im Gegenteil. Er produziert rund 200 000 zusätzliche Arbeitslose und wird daher zwangsläufig die Schuldenlast vergrößern statt verkleinern.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Cronenberg?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich würde gern mit Herrn Cronenberg diskutieren, aber meine Zeit rennt mir davon. Herr Kollege Cronenberg, wir wer-
den sicher Gelegenheit haben, die Diskussion an anderer Stelle fortzusetzen.
Darf ich unterstellen, daß dies für Ihre gesamte Rede gilt? — Danke.
Herzlichen Dank, Herr Präsident.
Verehrter Herr Bundesarbeitsminister, ich möchte das, was ich Ihnen gesagt habe, noch einmal ausdrücklich mit einem Zitat des stellvertretenden DGB-Vorsitzenden Gerd Muhr unterstreichen, der in einem Brief an alle Abgeordneten u. a. folgendes gesagt hat — ich zitiere —:
Die weitere Einschränkung der Maßnahmen der Arbeitsförderung wird nichts anderes zur Folge haben als eine Erhöhung der Ausgaben zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit.
Meine Damen und Herren, dies möchten wir zweimal dick unterstreichen.
Nun, mein sehr verehrter Herr Bundesarbeitsminister,
möchte ich ein paar Bemerkungen zum Kindergeld und der von Ihnen gepriesenen sozialen Komponente machen. Auch wir Sozialdemokraten wollten das Kindergeld an Einkommensgrenzen binden.
Dies wurde von Ihrem neuen Koalitionspartner mit dem Hinweis auf den bürokratischen Aufwand abgelehnt.
— Wir wollen uns nicht streiten. In der Tat — hören Sie mir erst einmal bis zum Ende zu, verehrte Kollegen — scheint der bürokratische Aufwand enorm groß zu sein. Sie, verehrter Herr Bundesarbeitsminister, haben in Ihrer Rede am Dienstag mit keinem Wort davon gesprochen, daß die Kindergeldkassen bei der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg 1 248 zusätzliche Stellen benötigen, um die umfangreiche Arbeit und Prüfung der Einkommensgrenzen im Rahmen Ihrer neuen Gesetzgebung bewältigen zu können.
Auf die konkrete Einsparung 1983 sind wir gespannt. Sie, meine Damen und Herren, reden dauernd von weniger Staat, und dabei schaffen Sie mehr Formularkram und noch mehr Bürokratie!
Abschließend möchte ich feststellen, daß Ihr Haushalt in keiner Weise den Ansprüchen und Erfordernissen der sozialen Ausgewogenheit und der Lösung der anstehenden Probleme gerecht wird.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8837
Sieler
Das Gegenteil ist der Fall. Aus diesem Grund lehnen wir diesen Haushalt ab und bitten das Hohe Haus, dem vorliegenden Entschließungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion und den Änderungsanträgen zu den entsprechenden Artikelgesetzen die Zustimmung zu geben. — Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Friedmann.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Heute morgen hat ein Korrespondent der Rundfunkanstalten eine Sondermeldung verkündet.
Er hat darauf hingewiesen, daß in Bonn ein größeres Grundstück eingezäunt werde. Auf diesem Grundstück sollen Känguruhs eingesetzt werden. Alle Finanzbeamten aller Ministerien sollen eingeladen werden, diese Känguruhs zu beobachten und nachzuahmen, damit sie lernen, wie man mit leeren Beuteln große Sprünge macht.
Herr Sieler, genau das ist das Problem. Sie haben uns leere Kassen hinterlassen, und damit sollen wir auch noch unbezahlte Rechnungen begleichen.
— Aber einen vollen Mund voller Wahrheit, Herr Wehner.
Da Sie darauf anspielen, sage ich Ihnen: Ungefähr vor einem Jahr hatten wir hier eine Debatte, in der ich darauf hinwies, daß der alten Regierung 6 Milliarden DM für die Bundesanstalt in Nürnberg fehlen. Jetzt fehlen genau 6,5 Milliarden DM. Der Mund, der so voll war, hat gar nichts Falsches gesagt.
Nun ist es sicher richtig, daß der Einzelplan 11, Arbeit und Sozialordnung, das Kernstück der Sozialpolitik ist. Nur spielt sich vieles außerhalb dieses Haushalts ab. Zum Beispiel steht das Kindergeld mit 16 Milliarden DM beim Familienminister. Zum Beispiel erscheinen Teile des BAföG, des Wohngeldes, der Sozialhilfe in den Haushalten der Länder, der Kreise und der Gemeinden. Wenn wir hier Konsolidierungsmaßnahmen für die Rentenversicherung, Anhebung der Beiträge usw., beschließen, so spielt sich dies außerhalb des Bundeshaushalts, nämlich in den Kassen der Sozialversicherung ab.
Dies muß man alles zusammen sehen. Wer behauptet, wir würden das soziale Netz zusammenstreichen, der kennt in Wahrheit die finanziellen Zusammenhänge nicht, der redet an den Dingen einfach vorbei.
Meine Damen und Herren, wir zahlen in diesem Jahr 31,5 Milliarden DM Zuschüsse an die Rentenversicherung. Das ist eine Stange Geld. Aber die Finanzen dort sind von Ihnen so „heruntergeludert", daß wir mit diesen 31,5 Milliarden DM nur das Schlimmste vermeiden können.
Mit großer Sorge sehen wir, daß die Liquiditätsreserve trotz aller Konsolidierungsmaßnahmen im November nächsten Jahres auf eine Viertelmonatszahlung sinken wird. Wir verschweigen dies nicht. Wir werden diese Dinge hier nach dem 6. März 1983 wieder in Ordnung bringen. Während Herr Schmidt 1976 gesagt hat, hier sei ein „Problemchen" — er hat damals einen Betrug begangen —,
so sagen wir von vornherein, wie die Zusammenhänge hier sind.
Nun haben Sie, Herr Sieler, eben die Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit angesprochen. Es werden im kommenden Jahr an Zuschuß 5,4 Milliarden für Nürnberg gezahlt. Dies ist aber nicht alles, was aus dem Geldbeutel der Steuerzahler für den Arbeitsmarkt gezahlt wird, denn hinzu kommt die Arbeitslosenhilfe mit 5,7 Milliarden. Mit anderen Worten, wir lassen uns — wohl ober übel — den Arbeitsmarkt im Jahr 1983 11 Milliarden Mark aus der Kasse des Steuerzahlers kosten. Das ist eine Menge Geld, aber es ist noch nicht alles, was wir für den Arbeitsmarkt ausgeben.
Heute ist es so, daß 100 000 Arbeitslose 2,4 Milliarden Mark kosten. Wir müssen davon ausgehen, daß wir 1983 im Jahresdurchschnitt mindestens 2,35 Millionen Arbeitslose haben werden. Hinzu kommt eine größere Zahl von Kurzarbeitern. Wenn ich alles zusammenzähle — das Arbeitslosengeld, die Beiträge für Kranken- und Rentenversicherung der Arbeitslosen, die Steuerausfälle, weil Arbeitslose keine Steuern zahlen —, komme ich zu dem Ergebnis, daß uns die Arbeitslosigkeit in diesem einen Jahr rund 60 Milliarden Mark kosten wird.
Man muß sich dies einmal vor Augen halten! 60 Milliarden Mark, das ist z. B. das Anderthalbfache der immens hohen Neuverschuldung, das sind fast zweieinhalb Verkehrshaushalte, das sind zehn Entwicklungshaushalte. 60 Milliarden Mark, dies sind auch 15 DM je Arbeitnehmer und Arbeitstag. Dies sind heute die Kosten der Arbeitslosigkeit, und da ist nichts heruntergespielt.
Der Unterschied zu Ihnen ist der: Herr Ehrenberg hat letztes Mal wider besseres Wissen und leichtfertig das nächste Jahr mit geschönten Zahlen angepeilt.
Wir haben nun mit 2,35 Millionen Arbeitslosen im Durchschnitt eine realistische Basis zugrunde gelegt. Heute morgen hat das Kieler Institut berichtet,
8838 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Dr. Friedmann
man müsse mit 2,4 Millionen rechnen. Dies könnte heißen, daß eine gewisse Nachbesserung notwendig wäre. Ich möchte dies nicht ausschließen.
Der Finanzminister Stoltenberg hat dies zu keinem Zeitpunkt ausgeschlossen. Wir sind hier ehrlich,
wir sind dabei grundehrlich und sagen, wie die Zusammenhänge sind.
Herr Abgeordneter Friedmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehrenberg?
Herr Präsident, ich kann keine Zwischenfragen zulassen; ich habe nur 15 Minuten Redezeit.
Nun möchte es einem nicht in den Kopf gehen, daß wir auf der einen Seite 60 Milliarden Mark für die Arbeitslosigkeit ausgeben und andererseits genug Arbeit und auch genug Menschen haben; die Arbeitslosen wollen j a in aller Regel arbeiten. Daß wir genug Arbeit haben, ersehen wir daraus, daß es 6 Millionen Schwarzarbeiter gibt.
Die Schwierigkeit liegt in der Frage: Kann die Arbeit, die da ist, noch bezahlt werden? Wenn beim Arbeitsmarkt die Gesetze der sozialen Marktwirtschaft voll zum Tragen kämen, wenn also Angebot und Nachfrage den Preis — sprich: den Lohn — bestimmten, hieße das in der jetzigen Situation: die Löhne müßten niedriger sein. Nun weiß ich natürlich auch: Man kann die Löhne nicht ohne weiteres herunterfahren, weil das Probleme aufwirft. Aber deutlich ist, in welche Richtung der Weg gehen muß.
Der Weg muß dahin gehen, daß wir mit Lohnerhöhungen kürzertreten. Ich stehe voll und ganz hinter unserem Arbeitsminister Norbert Blüm, wenn er hier zu Mäßigung rät. Alles andere wäre in der jetzigen Situation falsch und unangemessen.
Nun sagen Sie von der SPD und von den Gewerkschaften, wir würden mit unseren Sparmaßnahmen der Wirtschaft 16 Milliarden Mark Kaufkraft entziehen.
Sie wollen damit sagen: Macht doch die Lohnerhöhungen größer, hört auf zu sparen, dann ist mehr Kaufkraft im Volk, und dann funktioniert die Wirtschaft. — Wenn dieses Rezept funktionieren würde,
hätten wir in den zurückliegenden Jahren eine vollbeschäftigte Wirtschaft haben müssen.
denn tatsächlich sind doch die Löhne gestiegen, und trotzdem hat die Zahl der Arbeitslosen zugenommen.
Da kann doch die Lösung niemals liegen! Wir haben sie auch gar nicht in der Hand. Was der Arbeitnehmer mit seinem Geld macht, ob er es für den Konsum ausgibt, ob er es auf die Sparkonten trägt,
wie es zur Zeit stark geschieht, weil er ein Angstsparen betreibt, oder ob er sein Geld für billige japanische Autos, japanische Kameras oder asiatische Textilien ausgibt, können nicht wir entscheiden, und deshalb funktioniert das nicht.
Wir können eine Belebung der Wirtschaft nur von der Investitionsseite her in Gang setzen. Dort muß die Lösung liegen, und nun sagen Sie: Wer soll das alles kaufen, wenn mehr produziert wird? — Auch dies ist zu kurzfristig gedacht. Wir haben Bereiche in der deutschen Wirtschaft, in denen eine massive Nachfrage besteht, wenn die Hürden dafür freigegeben werden.
Wir haben Mangel an Wohnraum. Deshalb war es richtig, daß wir die Bauwirtschaft mit steuerlichen Anreizen und Anreizen anderer Art beleben.
Um Wettbewerbsnachteile ausgleichen zu können, braucht unsere Wirtschaft mehr Kommunikationsmöglichkeiten. Es ist richtig, wenn der Postminister deshalb die Breitbandverkabelung, die im übrigen schon Herr Gscheidle und Herr Matthöfer begonnen haben, fortsetzt.
Da liegt ein Markt von 120 bis 150 Milliarden DM.
— Es ist richtig, Herr George, wenn wir die ideologischen Barrieren bei der Kernenergie abbauen. Wir haben doch gerade — als der Genehmigungsvorbehalt für Kalkar aufgegeben worden ist — gesehen, wie die Wirtschaft bereit ist, in die Finanzierung einzusteigen. Hier können durch die Herstellung deutscher Kernkraftwerke und für den Export deutscher Kernkraftwerke Hunderttausende von Arbeitsplätzen geschaffen werden.
— Sie können nicht so tun, als sei unsere Energieversorgung von heute auf alle Zeit gesichert, denn die Erdölreserven, auf denen wir sehr stark aufbauen, gehen ja bekanntlich der Neige entgegen.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8839
Dr. Friedmann
Hier bestehen tatsächlich einige Risiken. Ich teile schon die Kritik, die auch der Kollege Sieler hier zum Ausdruck gebracht hat, daß es nicht gerade erfreulich ist, wenn wir in Nürnberg mehr Leute brauchen, um die Einkommensgrenzen beim Kindergeld zu prüfen. Andererseits muß ich zugeben, daß soziale Gerechtigkeit ihren Preis hat. Dies ist nun einmal die Kehrseite dazu. Mir persönlich wäre es lieber gewesen, wenn man im Rahmen des Familiensplittings zu einer ähnlichen Regelung gekommen wäre.
Meine Damen und Herren, so ein Haushalt mit seinen Einzelplänen kann ein interessantes Buch und Nachschlagewerk sein. Zugegeben: Für viele — auch für solche, die hier reden — ist ein solches Buch ein Buch mit sieben Siegeln.
Für andere ist ein solches Buch ein Märchenbuch, aber für wiederum andere — ich zähle mich dazu — kann ein solches Buch direkt ein Losungsbuch sein.
— Von Losungen haben Sie noch nie etwas gehört, Herr Lutz; das kann ich nachfühlen. So verhalten Sie sich j a auch. — Wenn ich dort einmal blättere, dann stelle ich schon einige Dinge fest, die auch kritisch angemerkt werden müssen.
Ich stelle z. B. in Einzelplan 11 fest, daß wir nach wie vor zwei Sonderbeauftragte haben: einen für Schwerbehinderte und einen für Ausländer. Ich möchte durchaus zugestehen: Hier liegen Aufgabenbereiche, die eine Regierung im Auge haben muß. Das sind Personenkreise, die betreut werden müssen. Ich persönlich bin allerdings der Meinung, daß das eine echte Aufgabe der Regierung ist. Dazu braucht man keine Sonderbeauftragten, sondern das kann ein Minister, das können seine Staatssekretäre genausogut, ich meine, sogar besser tun.
Wir haben deshalb im Haushaltsausschuß die Bundesregierung einstimmig aufgefordert zu prüfen, ob und wie die Arbeit der beiden Sonderbeauftragten auf die Regierung übertragen werden kann. Dies ist kein Angriff gegen die Amtsinhaber — ich möchte dies ausdrücklich sagen —, aber problematisch wird es schon, wenn zumindest einer der beiden Sonderbeauftragten politische Positionen vertritt, die konträr zur Regierungsposition sind.
Hier muß also kritisch nachgeprüft werden.
Meine Damen und Herren, der Einzelplan 11 spiegelt tatsächlich die Situation unserer Wirtschaft wider. Aber wenn wir nun sparen, wenn wir die Rentenerhöhungen um sechs Monate hinausschieben müssen, wenn wir auch die Erhöhungen für die Kriegsopferversorgung hinausschieben müssen, wenn wir die Anpassung der Sätze für die Sozialhilfe hinausschieben müssen, dann bitte ich alle, die dies draußen in der Bundesrepublik
Deutschland trifft, einzusehen, daß wir leere Kassen vorgefunden haben.
Unsere Kunst ist es, mit dem Wenigen, über das wir verfügen können, sozial gerechte, aber auf Dauer angelegte Regelungen einzuführen. Jeder, der heute von Sparmaßnahmen betroffen wird, möge einsehen, daß es nicht darum geht, ihn von seinen wohlerworbenen Rechten abzutrennen. Die zentrale Frage ist: Wie können wir in die Zukunft hinein noch gewisse Zuwächse garantieren? Um mehr und um weniger geht es dabei nicht. Wir sparen nicht aus Jux und Tollerei. Wir sparen wegen leerer Kassen, die uns übergeben worden sind. Die Bürger draußen im Lande sollen wissen, daß wir es sind, die mit wenig am meisten erreicht haben.
— Voll mit bitterer Wahrheit, Herr Wehner.
Ich möchte an die Deutschen draußen, an alle, die von Sparmaßnahmen betroffen sind, appellieren, daß wir wie damals nach 1948 zusammenstehen und die Dinge gemeinsam anpacken, damit unser Land wieder einer echten wirtschaftlichen und sozialen Blüte entgegengeht. — Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Friedmann hat zu Beginn seiner Ausführungen einen an sich alten Witz gemacht — ich finde, etwas zynisch —,
bezogen auf die Funktion dieses Hauses und seiner Mitglieder in Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen. Ich habe mir das lebhaft vorgestellt, Herrn Friedmann in diesem abgegrenzten Areal als Oberkänguruh wiederzusehen.
Aber ich glaube, daß dieser Zynismus dem Ernst der Lage nicht angemessen ist.
Ich weiß auch nicht, ob ich mich auf dieses Spielchen, das Sie hier nun schon die ganzen Tage zu betreiben versuchen, auf diese Zahlenspielereien, die Schuldzuweisungen und auf die Weiterverbreitung der Legende von der Erblast im einzelnen einlassen soll. Ich komme im Laufe meiner Ausführungen ganz gewiß noch darauf zu sprechen.
Ich hatte den Eindruck, daß Herr Friedmann es sich immer noch nicht hat abgewöhnen können, hier, wenn es um den Haushalt geht, wie in den vergangenen Jahren als Oppositionsredner zu sprechen. Jedoch muß sich das, was er hier vorgetragen hat, in erster Linie an die Regierung der Rechtskoalition, die wir jetzt haben, und nicht an die Opposition richten.
Aber ich nehme das, was ernst zu nehmen ist, durchaus ernst. Das betrifft vor allem — um es vor-
8840 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Glombig
weg zu sagen — die Ausführungen zu den Bundesbeauftragten. Wenn Sie, Herr Friedmann, mich zu diesem Punkt hören wollen, dann muß ich Ihnen sagen: Von mir und, ich hoffe, auch vom größten Teil meiner Fraktion werden Sie bei allen Bemühungen, das, was wir mit viel Mühsal eingeführt und aufgebaut haben, nämlich die Bundesbeauftragten für die Behinderten und die ausländischen Arbeitnehmer, abzuschaffen, Widerstand bekommen; nur unter Überwindung dieses Widerstandes werden Sie die Abschaffung dieser Ämter durchsetzen können.
Sie können meinetwegen den Inhaber des Amtes des Bundesbeauftragten für die Belange der Behinderten, Herrn Regenspurger, aus dem Amt nehmen, weil ich glaube, daß Herrn Regenspurger die richtige Einstellung zu dieser Aufgabe fehlt.
— Gut. Wenn davon schon die Rede ist, dann wollen wir jetzt offen dazu Stellung nehmen. Ich finde, es ist nicht in Ordnung, in dieser Weise über diese Ämter zu reden, wo es darum geht, die Menschen zu betreuen und ihre besonderen Belange wahrzunehmen, die ein Ministerium in dem Umfang gar nicht wahrnehmen kann, wie es notwendig wäre.
Dies hat doch die Praxis der Vergangenheit gezeigt. Ich wehre mich gegen diese Polemik, die im Grunde genommen nicht gegen die Ämter, sondern gegen die Menschen gerichtet ist, die es hier zu betreuen gilt. Das ist mein Anliegen.
Meine Damen und Herren, hören wir mit dieser billigen Polemik auf, wenn es um Schicksale von Menschen geht!
Ich möchte jetzt etwas zu dem Entwurf des Haushaltsplans des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung sagen. Diesen Entwurf lehnen wir ebenso ab wie die wesentlichen sozialpolitischen Teile des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1983, den die Koalitionsfraktionen und die neue Regierung vorgelegt haben. Der Grund für unsere Ablehnung ist nicht, meine Damen und Herren, daß die Kohl-Genscher-Koalition — hier lege ich besonderen Wert auf den Namen Genscher, weil er ja für Qualität bürgt, was die Wende angeht — sparen will und versucht, die sozialen Sicherungssysteme an veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen anzupassen. Wir kritisieren vielmehr, wie sie dies tut,
zu wessen Lasten und zu wessen Gunsten sie dies tut.
Wir Sozialdemokraten haben Befürchtungen. Diese Befürchtungen werden durch viele öffentliche Äußerungen genährt, vor allem auch durch die
von Herrn Bundesarbeitsminister Blüm, der jeden Tag neue Äußerungen von sich gibt. Ich muß mich immer wieder darüber wundern, daß er den guten Ratschlägen doch hoffentlich auch seiner Freunde und nicht nur seiner Freunde nicht folgt, nämlich wirklich vorher einmal nachzudenken, bevor immer wieder neue sozialpolitische Überlegungen von ihm ins Spiel gebracht werden.
— Ach, wissen Sie, ich habe über die Sozialpolitik schon ein paar Jahre nachgedacht. Ich habe ja auch solche Dinge wie Herr Blüm nicht von mir gegeben und will Ihnen das nun einmal klarmachen.
Wir Sozialdemokraten befürchten, daß es Ihnen in Wirklichkeit nicht darum geht, meine Damen und Herren, mit Ihren Maßnahmen das soziale Netz in schwierigen Zeiten zu sichern und zu festigen, sondern daß bei Ihnen das Sparen am Sozialhaushalt zum Selbstzweck und zur Ideologie wird.
— Ja, ja, Sie glauben, die 2,5 Millionen Arbeitslosen hat die sozialliberale Koalition produziert! Sie haben die öffentliche Diskussion überhaupt noch nicht zur Kenntnis genommen.
— Na, vielleicht hat die Wirtschaft die Arbeiter vergessen. Daß Sie die Arbeiter vergessen hätten, werden Sie doch wohl nicht behaupten.
Sie haben, so hat es den Anschein, den Sozialstaat oder, wie Sie das nennen, den Umverteilungsstaat — das ist ja Ihr Ausdruck für Sozialstaat — mit Ihren Maßnahmen grundsätzlich aufs Korn genommen. Sie machen Sozialstaatsabbau zum bewußt eingesetzten Instrument Ihrer Wirtschaftspolitik.
— Und entspricht den Tatsachen! Sie verkennen, daß die Finanzierungsprobleme in den einzelnen sozialen Sicherungssystemen lediglich die Folge der Wirtschaftskrise sind, und nicht umgekehrt. Sie verdrehen Ursache und Wirkung, machen den Sozialstaat und den Ausbau des Sozialstaates zum Sündenbock für die Wirtschaftskrise und geben den angeblich überzogenen Ansprüchen der Menschen die Schuld.
Deshalb wollen Sie der Masse des Volkes, das heißt den Arbeitnehmern und den Sozialleistungsempfängern, materielle Beschränkungen auferlegen, um bewußt von unten nach oben umzuverteilen. Sie glauben, daß Sie damit die Menschen disziplinieren, die Gewerkschaften unter Druck setzen, die ökonomische Leistungsbereitschaft anreizen und die Wirtschaft in Schwung bringen können. Dafür wollen Sie dann die Ansprüche der Reichen und
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Mächtigen befriedigen, die das Kapital besitzen und in den Kommandozentralen der Wirtschaft sitzen.
— Lassen Sie, hören Sie es sich doch erst einmal an.
Was die Leistungsbereitschaft angeht, Herr George, so messen Sie offenkundig mit zweierlei Maß. Bitte, gehen Sie auch darauf nachher ein. Die Reicheren, wird behauptet, sind nicht leistungsbereit, weil sie zuwenig bekommen; die Ärmeren leisten zuwenig, weil sie zuviel bekommen. Diesen Eindruck habe ich aus der Diskussion dieser Tage gewonnen. Da können Sie mir doch nicht vorwerfen, daß ich Klassenkämpfer bin. Ich habe vielmehr den Eindruck, daß diejenigen, die diese Parolen in die Welt setzen, Klassenkämpfer sind.
Dies ist mein Eindruck. Ich finde, wir haben doch das Recht, uns gegen einen solchen Trend der Diskussion zu diesem Haushaltsplan und zu den Umverteilungsplänen zu wehren.
Die Kehrseite Ihrer Politik ist, daß Sie die Hilfsbedürftigen, die Behinderten und Sozialhilfeempfänger, denen Sie die gesetzlich verbrieften Rechtsansprüche kürzen wollen, mit wohltönenden Worten menschlicher Wärme — hier ist der Herr Blüm ein besonderer Spezialist — von Subsidiarität und von Caritas abspeisen wollen. Dies hat die Diskussion in der letzten Woche hier deutlich gezeigt. Damit beweisen Sie, daß Sie sich auf dem Rückmarsch in das alte Verständnis von Sozialpolitik als Armenpolitik und Wohltätigkeitsveranstaltung befinden. Das ist die Wirtschafts- und Sozialphilosophie, die hinter Ihrem Sparprogramm steht. Das ist dann in der Tat eine ganz andere Qualität von Sozial-, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, die unserem Verständnis als Sozialdemokraten prinzipiell widerspricht.
Es ist zu befürchten, daß die jetzige Bundesregierung, falls sie auch nach der angekündigten Neuwahl weiter existieren sollte, was der Wähler verhüten möge, den jetzt eingeschlagenen Kurs verschärfen wird und genau die gleichen Radikalkuren auch unserem Land verschreiben oder verordnen will, die in Amerika und Großbritannien zu katastrophalen Ergebnissen geführt haben.
Wir Sozialdemokraten verkennen selbstverständlich nicht die Notwendigkeit — und ich sage das mit allem Nachdruck und aller Eindringlichkeit —, den Sozialstaat an veränderte ökonomische Rahmenbedingungen anzupassen.
— Sie werden mir ja nicht unterstellen, daß dies ein neues Bekenntnis von mir ist; aber hier geht es um die Frage des Wie, Herr Kollege,
nicht um die Frage des Ob. Dies, meine ich, ist längst entschieden. Wir haben schon in der Vergangenheit unseren Beitrag dazu geleistet. Aber die Anpassung darf nicht durch buchhalterische Kürzungen und nicht durch pauschalen Sozialstaatsabbau geschehen. Das System der sozialen Umverteilung durch Sozialleistungen, durch Sozialbeiträge und Steuern darf nicht demontiert, sondern es muß reformiert werden,
damit es auch bei knapper Kasse — und die haben wir — die Funktion des sozialen Ausgleichs erfüllen kann; denn wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Solidarität und besseren sozialen Ausgleich,
damit nicht immer mehr Menschen unter die Räder der Wirtschaftskrise kommen. Dies ist das Gebot der Stunde, und ich meine, dies ist unsere Aufgabe.
Wir brauchen eine umfassende Reform des sozialen Sicherungssystems, und zwar nicht beschränkt auf die vergleichsweise bescheiden ausgestatteten Standardsysteme wie die Sozialversicherung und die Kriegsopferversorgung, sondern vor allem bezogen auf die üppiger ausgestatteten Zusatz- und Sonderversorgungssysteme. Sie muß die Reform einschließen, und hier müssen wir den Mut und die Kraft aufbringen, dies zu leisten und nicht nur davon zu reden. Wir sind davon überzeugt, daß eine solche umfassende Reform der sozialen Sicherungssysteme dafür sorgen kann, daß wir mit weniger Aufwand mehr soziale Gerechtigkeit erreichen. Es stimmt nicht, daß sich unsere Gesellschaft in ökonomisch schwierigen Zeiten nicht mehr so viel sozialen Ausgleich und soziale Gerechtigkeit leisten könnte, man muß nur den Mut und den politischen Willen zu einer umfassenden Sozialreform haben und darf privilegierte soziale Besitzstände nicht zu Tabus erheben.
Der Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 1983, den die neue Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und der FDP vorgelegt haben, entspricht auch nicht ansatzweise den sozial- und gesellschaftspolitischen Anforderungen, die an ihn gestellt werden müssen. Es wird der Regierungskoalition nicht gelingen, die öffentlichen Haushalte und die sozialen Sicherungssysteme zu konsolidieren, so notwendig dies wäre, jedenfalls nicht mit den Maßnahmen, die Sie vorgesehen haben. Es werden neue Lücken aufgerissen, und es beginnt eine neue Runde im Teufelskreis des Kaputtsparens.
— Ich komme gleich darauf. — Die Regierungskoalition gibt, wenn man die Gesamtwirkung des Pro-
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gramms betrachtet, keine Impulse für die Wiederbelebung des Arbeitsmarktes.
Statt dessen begnügt man sich damit, den Spitzenverdienern zusätzliche Einkommensvorteile zuzuschieben, ohne daß die Gewähr dafür besteht, daß dies angesichts der gegenwärtigen Nachfragesituation auch tatsächlich zu einer vermehrten Investitionstätigkeit führt.
In dem Gesetzentwurf der Regierung ist nicht im geringsten das Bemühen spürbar, die Belastungen, die aus den Haushaltskürzungen entstehen, sozial gerecht zu verteilen. Ich kenne nicht einen Punkt in dem Haushaltsbegleitgesetz, wo dies nachweisbar wäre.
— Ach, wissen Sie, ich habe mich, wenn auch die Zeit kurz war, lieber Herr Kollege, damit befaßt. Nur zwei Wochen haben wir zur Beratung dieses Haushaltsbegleitgesetzes mit seinem umfassenden sozialpolitischen Teil gehabt. Ich bin überzeugt, daß Sie dies bis heute nicht gelesen haben.
Ich füge noch hinzu: Das ist auch kaum möglich. Es ist doch eine Zumutung für die Fachausschüsse und für dieses Haus, deren Arbeit, nur weil Sie bestimmte politische Absichten verfolgen, in dieser Weise für Ihre Absichten nutzbar zu machen.
— In den letzten Jahren haben wir insgesamt acht Wochen bis zur Verabschiedung der entsprechenden Gesetzentwürfe Zeit gehabt.
— Jawohl. Wir haben sie ausführlich beraten.
Wir kritisieren an Ihrem Entwurf insbesondere folgende Punkte:
Wir lehnen die wahrhaft unsoziale und skandalöse Kürzung der Sozialhilfeleistungen ab, mit der Sie ausgerechnet die wirtschaftlich und sozial schwächsten Bevölkerungsgruppen treffen wollen.
— Ich möchte sehr bezweifeln, ob dies etwas mit Schuldenmachen zu tun hat. Denn Sie sind den Ärmsten der Armen die Sicherstellung ihres Existenzminimums schuldig und müssen diese Schuld auch erfüllen.
Ich glaube, die Sozialhilfe ist wohl der ungeeignetste Bereich, sparen zu wollen,
nämlich bei den Leistungen, die der Sicherstellung des Lebensunterhalts — und zu mehr eigentlich nicht — dienen.
Wir können der Verschiebung der Rentenanpassung vom 1. Januar auf den 1. Juli 1983 nicht zustimmen. Zusammen mit der gleichzeitig und verschärft erfolgenden Heranziehung der Rentner zum Krankenversicherungsbeitrag führt die Verschiebung im Vergleich zum geltenden Recht und im Vergleich zu den von der früheren sozialliberalen Regierung getroffenen Maßnahmen auf Dauer zu einer empfindlichen Senkung des Rentenniveaus.
— Wir haben so etwas noch nie nach der Wahl gemacht, lieber Herr Kollege, nicht in einem einzigen Falle haben wir so etwas nach der Wahl gemacht.
Das ist Ihre Propaganda. Diese Propaganda haben Sie zusammen mit der „Rentenlüge" in die Welt gesetzt. Das allein ist eine Lüge, weil das nicht den Tatsachen entspricht.
Nach heutiger Voraussicht werden die Rentner in den nächsten Jahren mit spürbaren Kaufkraftverlusten zu rechnen haben.
Wir kritisieren, daß Sie die Rentenversicherungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeit um mehr als die Hälfte kürzen wollen und daß Sie damit die finanziellen Grundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung nachhaltig erschüttern und die Zahlungsfähigkeit der Rentenversicherung spätestens ab dem Jahre 1984 gefährden. Das ist vor allem auf diese Manipulation — von der Rentenversicherung zur Bundesanstalt und von der Bundesanstalt zur Rentenversicherung — zurückzuführen.
Wir müssen ganz besonders bemängeln, daß Sie die Opfer, die Sie den Rentnern abverlangen — ich finde, das ist auch das Skandalöse an diesem Vorgang —, zur Stützung des Bundeshaushaltes verwenden wollen anstatt zur Sicherung der Renten, d. h. das Opfer, das die Rentner bringen, führt nicht zur Sicherheit der finanziellen Grundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern die Mittel werden in den Bundeshaushalt zur Deckung der Lücken bei der Bundesanstalt für Arbeit eingesetzt. Das ist die Wahrheit.
Das ist schmerzlich für diejenigen, die dieses Opfer zu bringen haben.
Wir müssen die Beschränkung der Anspruchsdauer für den Bezug des Arbeitslosengeldes ablehnen, die insbesondere Saisonarbeiter in strukturschwachen Regionen treffen wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Cronenberg?
Wenn mir das nicht auf die Redezeit angerechnet wird, Herr Präsident, werde ich
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die Zwischenfrage beantworten; sonst ist das nicht möglich.
Es tut mir leid, Herr Abgeordneter Glombig, dann können wir kein Geschäft machen.
Gut. Ich wollte das nur klarmachen. Ich bin ansonsten gerne zur Beantwortung von Zwischenfragen bereit.
Wir lehnen den geplanten Einstieg in die generelle Selbstbeteiligung im Krankheitsfalle ab, den Sie mit der Einführung einer Zuzahlung bei Krankenhausaufenthalt und bei Kuren einleiten.
Schließlich können wir auch der weiteren Verschlechterung des Übergangsgeldes für Behinderte bei Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zustimmen.
Darüber hinaus müssen wir vier fundamentale Mängel in Ihrem Sanierungskonzept feststellen, die als solche allein schon das Paket für uns unzumutbar machen. Die Spitzenverdiener ziehen Sie praktisch überhaupt nicht zur Einsparung heran. Insbesondere versäumen Sie es völlig, Privilegien und ungerechtfertigte Vergünstigungen im Steuersystem und bei den Subventionen abzubauen.
Das, was wir bereits in der vorigen Legislaturperiode beschlossen hatten und was dann im Bundesrat gescheitert ist, hat deutlich gezeigt, wohin die Reise gehen sollte. Diese Forderungen sind von uns auch nach Ihrer Übernahme der Regierung wiederholt werden.
Sie unterlassen jeden Versuch, meine Damen und Herren, die Anbieter von Gesundheitsleistungen — z. B. Ärzte, Zahnärzte oder die Pharmaindustrie — durch gesetzliche Maßnahmen zur Konsolidierung des Sozialstaats heranzuziehen und deren Marktmacht zu begrenzen, die hauptsächlich für die Kostensteigerung im Gesundheitswesen verantwortlich ist.
Schließlich wollen Sie wie zum Hohn, meine ich, das bescheidene Opfer, das Sie zu kosmetischen Zwecken den Spitzenverdienern zumuten, zu einem späteren Zeitpunkt auch noch zurückzahlen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat ihre ablehnende Position und ihre Alternative zu dem von der Regierungskoalition eingebrachten Haushalt bzw. Haushaltsbegleitgesetz durch zahlreiche Änderungsanträge in den Ausschüssen, insbesondere im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, dokumentiert. Diese Anträge sind von den Regierungsfraktionen kompromißlos niedergestimmt worden, und zwar unter dem Vorwand, es entstünden Mehrausgaben im Haushalt, obwohl es zahlreiche Möglichkeiten zur Haushaltseinsparung an anderer Stelle gibt, über die bei uns und an anderer Stelle in diesem Parlament ausführlich gesprochen worden ist.
Nachdem die Koalitionsfraktionen unsere Anträge in den Ausschüssen nahezu ausnahmslos abgelehnt haben, beschränkt sich die SPD-Bundestagsfraktion in der zweiten Beratung des Haushaltsbegleitgesetzes nunmehr auf einige wenige Anträge, die darauf abzielen, besondere Härten abzuwenden, deren haushaltsmäßige Auswirkungen nur verhältnismäßig gering sind und denen auch die Koalitionsfraktionen ohne Gesichtsverlust zustimmen könnten, wenn sie nur den guten Willen hätten. Aber ich bezweifle, daß die Koalitionsfraktionen den guten Willen haben werden.
Wir, die SPD, haben deshalb folgende Anträge gestellt.
Erstens. Wir beantragen, auf die Kürzungen der Sozialhilfe zu verzichten.
Wir meinen, daß sich in diesem Punkt die Regierungskoalition, wenn sie sich nicht dem Vorwurf geradezu skandalöser sozialer Demontage aussetzen will, nicht zu schade sein sollte, ihre bisher eingenommene Position zu überprüfen.
Zweitens. Wir stellen den Antrag auf Streichung der Selbstbeteiligung bei Krankenhausaufenthalt und Kuren.
Auch hier gilt, daß die beabsichtigte grundsätzliche Weichenstellung, die geeignet ist, wesentliche Elemente des sozialen Sicherungssystems ins Wanken zu bringen,
in einem Mißverhältnis zu den erzielten Einsparungen steht, die im übrigen für den Bundeshaushalt überhaupt nicht relevant sind.
Drittens. Wir beantragen die Ausdehnung der maximalen Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld auf 36 Monate für alle Wirtschaftsbereiche, nicht nur für die Stahlindustrie.
Die von den Koalitionsfraktionen vorgesehene Beschränkung der erweiterten Bezugsdauer auf den Stahlbereich ist nicht zu rechtfertigen, so meine ich, angesichts der Tatsache, daß auch andere Wirtschaftsbereiche — wie z. B. die Textilindustrie — nicht minder schwerwiegende Beschäftigungsprobleme haben.
Viertens. Wir verlangen den Verzicht auf die Verkürzung der Anspruchsdauer für das Arbeitslosengeld. Nach unserer Auffassung ist dies eine Maßnahme, die in besonderer Weise zu Lasten derjenigen Arbeitnehmer geht, die häufig wiederkehrend vom Schicksal der Arbeitslosigkeit betroffen sind.
Fünftens. Wir stellen den Antrag, das Inkrafttreten des individuellen Rentnerkrankenversicherungsbeitrags auf den 1. Juli 1983 zu verschieben.
Wenn die Koalitionsfraktionen ihren politischen
Willen durchsetzen, die Rentenanpassung vom
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1. Januar auf den 1. Juli 1983 zu vertagen, sollten sie sich wenigstens zu dieser Änderung bereitfinden können, meine Damen und Herren. Auf diese Weise würde vermieden, daß die Empfänger von Zusatzrenten mit Krankenversicherungsbeiträgen belastet werden und dadurch empfindliche Einkommenseinbußen hinnehmen müssen, ohne daß durch die gleichzeitige Erhöhung der Sozialrenten eine Kompensation eintritt.
Zusätzlich zu ihren Änderungsanträgen zum Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes hat die SPD-Bundestagsfraktion einen Entschließungsantrag zum Problem der Verkürzung der Lebensarbeitszeit eingebracht. Wir schlagen die Einführung eines Vorruhestandsgeldes der Bundesanstalt für Arbeit vor, das mit tarifvertraglich vereinbarten Geldleistungen kombiniert werden soll.
Damit soll älteren Arbeitnehmern, die vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden, eine Gesamtversorgung ermöglicht werden, die mindestens der Höhe des Arbeitslosengeldes entspricht.
Dies halten wir für eine bessere Lösung als die von der Bundesregierung vorgesehene Herabsetzung der Altersgrenze mit versicherungsmathematischen Abschlägen — wenn auch erst vorgesehen für die Zeit nach dem 6. März —, die nicht nur schwerwiegende Finanzierungsprobleme aufwirft, sondern auch unsoziale Folgen hätte.
Unsere grundsätzliche Position zum sozialpolitischen Teil des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 haben wir in einem Entschließungsantrag zur zweiten Beratung des Gesetzentwurfes niedergelegt.
Abschließend möchte ich, meine Damen und Herren, entsprechend diesem Antrag unsere Position nochmals zusammenfassen. Wir verkennen die grundsätzliche Notwendigkeit einer Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und der Systeme der sozialen Sicherung nicht. Allerdings lehnen wir die Art und Weise, in der die neue Bundesregierung diese Konsolidierung durchführen will, als kurzatmig und verteilungspolitisch völlig verfehlt ab.
Wir sehen darin den Ausdruck einer grundsätzlich falschen sozial- und gesellschaftspolitischen Weichenstellung.
Soweit die neue Bundesregierung an die Beschlüsse der früheren sozialliberalen Bundesregierung vom Sommer dieses Jahres anknüpft, tragen wir das — mit Ausnahme der Sebstbeteiligung bei Krankenhausbehandlungen und Kuren — mit. Wir tun dies, obwohl diese Beschlüsse für uns Sozialdemokraten sehr schmerzliche Koalitionskompromisse beinhaltet haben und obwohl das Konsolidierungskonzept bei einer rein sozialdemokratischen Bundesregierung schon damals mit Sicherheit anders ausgesehen hätte.
Wir halten eine mittel- und längerfristig tragfähige und sozial ausgewogene Konsolidierung der Systeme der sozialen Sicherung für notwendig. Als
wesentliche Elemente eines solchen Konsolidierungskonzeptes betrachten wir, daß die daraus entstehenden Lasten zwischen Beitrags- und Steuerzahlern einerseits und den Sozialleistungsempfängern andererseits gerecht verteilt werden,
daß die verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer und der Sozialleistungsempfänger im gleichen Umfang wachsen, daß der Finanzierungsanteil des Staates an der sozialen Sicherung wieder zuverlässig kalkulierbar wird, daß die kostentreibende Angebotsstruktur im Gesundheitswesen reformiert wird und daß ungerechtfertigte Privilegien und Vergünstigungen, insbesondere im Steuersystem, abgebaut werden.
Das Haushaltsbegleitgesetz der neuen Koalition lehnen wir Sozialdemokraten insgesamt ab, weil wir darin eine grundsätzlich falsche gesellschaftspolitische Weichenstellung sehen — ich hatte es bereits gesagt —, die uns vom Sozialstaatsprinzip weg und zur Ellenbogengesellschaft hinführt. Die SPD-Bundestagsfraktion bedauert außerordentlich, daß sich Bundesarbeitsminister Dr. Blüm, der aus der Gewerkschaftsbewegung kommt, zum Mitwirkenden — so möchte ich das einmal formulieren — einer Wende macht, die, wie am Inhalt eindeutig nachweisbar ist, von den Grundsätzen des Wirtschaftsliberalismus des vorigen Jahrhunderts geprägt ist.
Dieser Kurs ist von den Prinzipien der katholischen Soziallehre weiter entfernt, Herr Dr. Blüm, als Sie es als Arbeitsminister heute wahrhaben wollen.
Herr Minister, ich kann und will Ihnen keine Böswilligkeit unterstellen; dafür kenne ich Sie zu gut. Aber ich habe als langjähriger Sozialpolitiker den Eindruck, daß Sie das Ausmaß des sozialen Schadens, der durch die von Ihnen mitgetragene Politik der Wende angerichtet wird, wenn dies alles Wirklichkeit wird, was Sie bis zum 6. März anstreben und was Sie, wenn Sie die Wahl gewinnen, auch nach dem 6. März fortsetzen, wohl noch nicht voll überblicken. Trotzdem müssen Sie und Ihre Regierung dafür die politische Verantwortung tragen. Ich hoffe, der Wähler wird am 6. März verhindern, daß diese Politik von Ihnen fortgesetzt werden kann, weil — davon bin ich zutiefst überzeugt, und dies ist keine Wahlpropaganda — Ihr Weg für den Bestand unseres sozialen Rechtsstaates verheerende Folgen hätte.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil dies für mich meine letzte Rede in diesem Hause ist und weil die gesamte Haushaltsdebatte ohnehin von Wahlkampftönen beherrscht wird, will ich zu den vorliegenden Drucksachen wenig sagen, sondern versuchen, ei-
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Hölscher
nige grundsätzliche Anmerkungen zur Zukunft liberaler Sozialpolitik und liberaler Beschäftigungspolitik zu machen.
Es war wohl das historische Verdienst der Liberalen, mit ihrem Freiburger Programm im Jahre 1971 das Prinzip der persönlichen Freiheit, den Gedanken der Selbstverantwortung mit der Einsicht zu verbinden, daß in einer Industriegesellschaft jedermann die gleichen sozialen Chancen erhalten muß.
Damit haben die Liberalen mit den kollektiven Fürsorgesystemen Frieden gemacht, die Gewerkschaften und Sozialdemokratie seit dem 19. Jahrhundert erkämpft hatten, und dem klassischen Ziel des Liberalismus, der einzelne solle in einer freien Wirtschaft kraft seiner eigenen Leistung ohne staatlichen Zwang für die Wechselfälle des Lebens selbst vorsorgen. Nur, der moderne Liberalismus will, daß einerseits jeder die gleiche soziale Chance hat, sich seine materielle Existenz durch eigene Leistung zu erhalten, andererseits aber gleichzeitig verpflichtet ist, als soziales Individuum zu gemeinsamen Formen der sozialen Sicherung beizutragen.
Viel ist — dies muß man selbstkritisch feststellen — von diesem historischen Kompromiß nicht verwirklicht worden, auch nicht unter der sozialliberalen Koalition. Es lag wohl vor allem daran, daß in Zeiten stetigen Wachstums von niemandem so recht die Notwendigkeit gesehen wurde, unser Sozialsystem auf den Prüfstand zu stellen, einmal zu klären, was Aufgabe des Staates ist, was der Solidargemeinschaft der Versicherten zufällt und was der Eigenvorsorge überlassen werden kann.
Nun, die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zwingen uns jetzt zu Korrekturen am System. Aber anstatt die Chancen zu einem Umbau in Richtung auf mehr Solidarität, mehr Selbsthilfe, Entbürokratisierung, Dezentralisierung usw. zu nutzen, hat man sich im wesentlichen doch darauf beschränkt, zwischen den einzelnen Systemen finanzielle Verschiebebahnhöfe zu konstruieren und — im Grunde genommen — mit dem Rasenmäher über die Leistungsgesetze hinwegzufahren.
Ich befürchte, daß der von allen Parteien, zumindest in Sonntagsreden, für notwendig gehaltene Umbau nicht stattfindet. Ich befürchte, der Sozialstaat, der ja nun weiß Gott keine Schönwetterveranstaltung ist, wird ausgerechnet in dem Moment in Frage gestellt, in dem er gebraucht wird.
Denn mehr Selbsthilfe, mehr Selbstverantwortung, mehr Solidarität drückt sich eben nicht in einer höheren finanziellen Eigenbeteiligung bei Rezepten, in der Mitfinanzierung beim Krankenhausaufenthalt und in der Verschiebung der Rentenanpassung aus, sondern in der Bereitschaft, sich selbst zu helfen, indem man anderen hilft, sich solidarisch zu verhalten, um selbst auch Solidarität zu erfahren, nicht auf den totalen Versorgungsstaat zu hoffen, sondern dafür zu sorgen, daß möglichst wenig Menschen staatliche Fürsorge überhaupt in Anspruch nehmen müssen.
Hieran gemessen sind die sozialpolitischen Beschlüsse der neuen Koalition nicht nur enttäuschend, sondern sie behindern sogar den notwenigen Umbau der sozialen Sicherung.
Ich möchte, wie ich ausdrücklich sage, nicht den neuen Bundessozialminister als Person kritisieren. Denn ich weiß — wir kennen uns sehr lange —, daß er für diese Fragen, wie ich sie hier aufgeworfen habe, offen ist. Ich weiß, daß er auch nicht für alles verantwortlich ist, was hier an Sozialstaat zurückgenommen worden ist. Ich weiß selbst, wie schwierig es ist, sich in den Fraktionen gegenüber denen durchzusetzen, die sich mehr wirtschaftspolitischen Interessen verpflichtet fühlen. Und es ist auch gar nicht so sehr die einzelne Maßnahme, die hier zu kritisieren ist, sondern es ist die Summe der Kürzungen, die einen zu dem bitteren Schluß kommen lassen muß, daß erstmals nach dem Aufbau der Bundesrepublik eine noch nicht abzuschätzende Zahl von Bürgern in echte Not geraten könnte.
Und ich bin doch ein Zyniker, wenn ich einer Familie erzähle, sie müsse mehr Selbstverantwortung, Selbstbeteiligung, Selbsthilfe zeigen, wenn ich ihr gleichzeitig Wohngeld und Kindergeld kürze, das BAföG streiche, sie außerdem an den Kosten der Krankheit beteilige, ihr die Miete, die Mehrwertsteuer, die städtischen Abgaben, die Heizölkosten erhöhe und ihr überdies eine Lohnpause zumute.
Und komme mir bitte keiner und sage, das seien Einzelfälle. Genau das kommt nämlich auf sehr viele Durchschnittsverdiener zu. Ich will gar nicht erst von denen sprechen, die Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müssen, und ich will gar nicht von denen sprechen, die durch Arbeitslosigkeit zu alldem ein Drittel ihres Einkommens verlieren.
Dabei wäre das eigentlich gar nicht nötig gewesen, wenn man den Betroffenen nicht zumuten würde, sich selbst am eigenen Zopf aus dem Sumpf zu ziehen, wenn man unser Volk nicht in zwei Klassen einteilen würde: die einen, die das bitte schön alles unter sich selbst auszumachen und zu tragen haben, und die anderen, die Besserverdienenden, bei denen man sich weigert, auf ihre Leistungsfähigkeit, auf ihre Soldiarität zurückzugreifen.
Der liberale Marburger Professor Theo Schiller hat dies kürzlich mit Recht so plakativ ausgedrückt:
Krisenbewältigung ohne soziale Komponente ist Sozialdarwinismus und nicht Sozialliberalismus.
Solange keine ehrliche Sozialkomponente eingeführt wird — ich bedaure, daß die FDP-Fraktion
sogar die Forderung der CDU/CSU-Fraktion abge-
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lehnt hat, auf die Rückzahlung der Zwangsanleihe zu verzichten —, etwa durch eine echte, ehrliche Ergänzungsabgabe, solange keine ausreichende Grundsicherung im Sozialbereich angeboten werden kann, solange dies alles politisch nicht möglich ist, sollten wir über Leistungsbereitschaft, Selbstbeteiligung und Eigenverantwortung etwas leiser reden.
Angst steckt an, befürchte ich. Dieser Klassenkampf von oben wird noch schlimme arbeitsmarktpolitische Folgen haben.
Ich zweifle am Sachverstand mancher Wirtschaftspolitiker der Koalition. Denn sie müssen doch erkennen, daß all diese Maßnahmen zu einer rückläufigen gesamtwirtschaftlichen Nachfrage führen,
die zusätzlich Arbeitsplätze kostet und die Ausgaben für die Sozialleistungen sogar noch steigen lassen wird.
Glaubt man denn im Ernst, daß durch diese Art der Einkommensverteilung die Kaufkraft gestärkt wird? Glaubt man im Ernst, daß man die strukturell bedingte Arbeitslosigkeit mit einer rein angebotsorientierten Wachstumspolitik bewältigen könnte?
Warum erkennt man eigentlich nicht, daß man bei steigendem Produktivitätsniveau ernsthafter arbeitszeitverkürzende Maßnahmen einleiten muß, auch bei der Wochenarbeitszeit, damit die geringer werdende Arbeit auf mehr Köpfe verteilt werden kann?
Warum weigern sich CDU und CSU, vor allem aber meine ehemalige Fraktion, endlich Schluß zu machen mit einem Fossil aus dem Dritten Reich: der Arbeitszeitordnung, die es heute noch erlaubt, permanent Überstunden zu fahren?
Warum versucht man, durch den simplen Slogan „Mut zum Markt" die Illusion zu erwecken, der Selbstlauf der Wirtschaft werde alles rationell und sozial regeln, obwohl man doch fast jeden Tag erlebt, daß die Politik zum Interventionsstaat greift, wenn ein Unternehmen, es muß nur groß genug sein, auf der Kippe steht?
Ich befürchte — lassen Sie mich dies abschließend sagen —: Wir werden in der nächsten Zeit in die schwerste Konfrontation seit Bestehen der Bundesrepublik geraten, nicht nur in der Sozialpolitik, nicht nur in der Beschäftigungspolitik. Aber wir sind doch keine Klassengesellschaft; wir glauben doch, dies überwunden zu haben. Wir alle sind doch zu Selbsthilfe und zu Solidarität verpflichtet. Dabei ist doch der soziale Friede die entscheidende Voraussetzung für eine freie Gesellschaft, in der sich die Konflikte mit friedlichen Mitteln lösen lassen.
Wer die Wahrnehmung — dies ist so ein Tag, deshalb muß ich es ansprechen; gestern war auch so ein Tag, deshalb muß ich es ansprechen — des Grundrechtes auf Kriegsdienstverweigerung noch mehr behindert, wie dies heute anschließend gleich geschehen soll, wer den ausländischen Mitbürgern das Recht nehmen will, wie Deutsche mit ihren Kindern zusammenzuleben,
wer die Bildungschancen durch den Kahlschlag beim BAföG wieder zum Privileg einiger weniger macht,
wem die derzeitige Nachrüstungspolitik der Reagan-Administration näherliegt als die Angst des eigenen Volkes um den Frieden,
wer die Konfrontation im Wahlkampf sucht, möglicherweise auch mit plumpen, verdummenden Slogans wie „Liberalismus statt Sozialismus" oder „Gegen die rot-grüne Vormacht", der stiftet Unfrieden und wird selbst scheitern.
Die Wähler sind klüger, die Wähler sind mündiger, als mancher Parteiführer glaubt. Ich bin sicher, die Sozialliberalen werden in den nächsten Jahren auf der richtigen Seite stehen, auch am 6. März. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an den Beginn meiner Rede den Dank an die Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung stellen. Sie haben ein Mammutprogramm zu erledigen gehabt. Mein Dank gilt auch den beiden Berichterstattern des Haushaltsausschusses. In den Dank möchte ich die Opposition ausdrücklich einbeziehen. Meine Damen und Herren, Sie haben opponiert, das ist Ihr Recht
— von Pflicht habe ich nicht gesprochen —, aber
Sie haben dem Verfahren keinen Sand in das Getriebe geworfen. Ich will auch dem ausscheidenden
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8847
Bundesminister Dr. Blüm
Kollegen Hölscher meinen Dank für jahrelange Zusammenarbeit, für jahrelange Kollegialität sagen.
Die neue Regierung hat ihr Amt am 1. Oktober angetreten. Wir schreiben heute den 16. Dezember. Dazwischen liegen zehn Wochen Arbeitszeit, zehn Wochen für eine Herkulesarbeit.
Es galt, den Haushalt abzustützen, damit das staatliche Finanzgebäude nicht einstürzt.
Meine Damen und Herren, stellen Sie sich doch die Alternativen vor. Was wäre gewesen, wenn die alte Regierung im Amt geblieben wäre und alles so weitergegangen wäre, wie von der alten Regierung geplant?
Wäre nichts geschehen, so hätte sich die staatliche Neuverschuldung nicht, wie „stocksolide" angegeben, auf 28,5 Milliarden DM belaufen, sondern sie wäre ungefähr auf das Doppelte gestiegen.
— Herr Wehner, bei Ihnen ist offensichtlich die Faustregel: Prognose mal zwei ergibt die Realität. Oder anders gesagt: Zwei Lahnstein ergeben einen Stoltenberg.
Was wäre geschehen, wenn Ihre geplanten gesetzlichen Maßnahmen für die Rentenversicherung in Kraft getreten wären? Dann wäre die Rentenversicherung im August des nächsten Jahres nicht mehr zahlungsfähig gewesen. Darüber gibt es nichts zu streiten und schon gar nichts zu lachen. Das hat etwas mit Zahlen und Mengenlehre zu tun, nicht mit Ideologie.
Was wäre schließlich gewesen, wenn auch in der Arbeitslosenversicherung alles beim alten geblieben wäre? 13 Milliarden DM hätte das Defizit in der Arbeitslosenversicherung betragen. Das ist so viel Geld, wie die ganze Kriegsopferversorgung kostet. Wir hatten also gar nicht die Wahl „Handeln oder nicht Handeln", „Sparen oder nicht Sparen". Wir hatten nur die Wahl „Wende oder Ende". Das war die einzige Wahl, die wir hatten.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal?
Herr Westphal, sind Sie damit einverstanden, daß ich zunächst einmal meine Gedanken entwickle, bevor wir in den Dialog eintreten?
— Herr Wehner, warum schreien Ihre Genossen immer, wenn ich spreche? Der Präsident hat vor wenigen Tagen gesagt, Zuhören sei die Tugend der Demokratie.
Vielleicht darf ich an den Herrn Präsidenten erinnern.
Sie haben uns eine Übergangsregierung genannt. Ich meine, es wäre treffsicherer, uns eine Regierung zu nennen, die uns vor dem Untergang geschützt hat.
Nicht Übergang, sondern Schutz vor Untergang ist das richtige Stichwort, mit dem Sie diese Regierung belegen sollten.
— Zuhören ist die Tugend der Demokraten.
Ich stehe hier nicht mit dem Versprechen, wir könnten die Krise über Nacht beenden. Wir bremsen die Talfahrt. Man kann nicht mit dem Rückwärtsgang bremsen, wenn die Fahrgäste nicht samt Sitzen und Anschnallgurten aus dem Fenster fliegen sollen. Wir verlangsamen die Talfahrt zunächst, dann stoppen wir sie, und dann beginnt der mühsame Aufstieg.
Das sind die drei Etappen unserer Politik.
Wir haben mit einer Oktoberarbeitslosigkeit begonnen, die in keinem Oktober im Nachkriegsdeutschland so hoch war.
Seit im Oktober Arbeitslose gezählt werden, gab es nie eine so hohe Arbeitslosigkeit. Das ist die Erblast, die Sie uns hinterlassen haben.
Ich bestreite nicht, daß wir im Ziel einig sind. Sie wollen Vollbeschäftigung — ich glaube das —, und wir wollen Vollbeschäftigung. Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, daß Sie immer versuchen, die Motive des politischen Gegners moralisch zu disqualifizieren. Dazu gehöre ich nicht.
Mir langt es, zu sagen: Sie haben einen anderen Weg als wir. Ihr Weg heißt „mehr Staat", und wir setzen mehr auf die Kräfte der Arbeitnehmer,
der Unternehmer, der produktiven Kräfte der privaten Wirtschaft.
Finden Sie das nicht auch seltsam: Sie haben den Staat 13 Jahre lang verwaltet, und Sie haben es mit
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Bundesminister Dr. Blüm
diesem Staat nicht verhindern können, daß zwei Millionen Arbeitslose entstanden sind. Woher nehmen Sie jetzt die Hoffnung, der Staat allein werde die zwei Millionen Arbeitslosen wieder abschaffen? Sie haben die zwei Millionen Arbeitslosen mit dem Staat nicht verhindern können, und jetzt verlangen Sie von uns plötzlich staatliche Wunder.
Es ist eine alte Erfahrung, das Startrio der SPD, wann immer Probleme auftauchen, heißt: Programme, Paragraphen, Bürokratie.
Das fällt Ihnen immer als erstes ein, so auch bei der Arbeitslosigkeit. Es sollen Wirtschaftsräte, Strukturräte gebildet werden.
Alle Erfahrungen sprechen dafür, daß diese Superapparate nur Posten für diejenigen schaffen, die sie besetzen, und das sind die Funktionäre, die meistens überbeschäftigt sind.
Ich glaube, daß eine Politik, die es zustande gebracht hat, die Voraussetzungen zu schaffen, daß in kurzer Zeit zweimal die Zinsen gesenkt wurden, der Arbeitslosigkeit mehr entgegensetzt als alle staatlichen Beschäftigungsprogramme, alle möglichen Strukturräte und alle neuen Bürokratien.
Sie haben den 16 Milliarden DM Entlastung und Schubkraft, die das bewirkt, nur Ihre Ergänzungsabgabe — ich habe das diese Woche schon einmal gesagt — von 2,5 Milliarden DM entgegenzusetzen. Was daran sozial ist, weiß ich nicht; denn die Schuldenpolitik bringt — ich wiederhole mich — 25 Milliarden DM Zinsen unter die Leute. Sie nehmen den Besserverdienenden 2,5 Milliarden DM ab, haben ihnen aber vorher mit den Zinsen 25 Milliarden DM gegeben. Was Sie mit der linken Hand wegnehmen, verkünden Sie lautstark, und was Sie ihnen vorher hingeschoben haben, geschah von Ihnen klammheimlich.
Herr Bundesminister, erlauben Sie jetzt eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte den Zusammenhang ganz darstellen. Die Verbindlichkeiten des Staates aus Wertpapieren betragen 111 Milliarden DM. Das ist fast so viel, wie die ganze Rentenversicherung in einem Jahr ausgibt. Diese Wertbriefe befinden sich nicht in den Händen der Sozialhilfeempfänger, der Rentner, der Arbeitnehmer. Schuldenpolitik ist nicht das Heimspiel der Arbeitnehmer, das ist das
Lieblingsgelände der Spekulanten, und das sind nicht die Arbeitnehmer.
Ihre soziale Umverteilungspolitik heißt doch: Still genommen und laut wieder ausgegeben. 1960 betrug die Lohnsteuer — das ist für Arbeitnehmer eine ganz wichtige Zahl — 390 DM bei einem Durchschnittslohn, wobei ich jetzt nur von Durchschnittslöhnen rede, von 6 248 DM. 1982: durchschnittliche Lohnsteuer 5 616 DM bei einem durchschnittlichen Lohn von 33 078 DM. Ich fasse zusammen: Die Einkommen sind in dieser Zeit fünfmal so hoch geworden, die Steuern vierzehnmal so hoch. Das werden Sie doch nicht als sozial bezeichnen können! Die sozialdemokratischen Hochrechnungsakrobaten sollen doch einmal ausrechnen, wann, wenn es so weitergegangen wäre, die Lohnsteuer die Löhne überholt hätte; ich schätze, wenn Sie weitergemacht hätten, etwa im Jahr 2000.
Ich bin ja für Verteilung, für gerechte Verteilung, aber Verteilung schafft noch nicht Verteilbares. Wir wollen mehr Arbeit und auch gerechte Verteilung, aber zwischen Ihnen und uns besteht ein Unterschied, der sich, wie ich finde, in das Bild bringen läßt: Sie sind an einer besseren Melkmaschine interessiert, wir an besseren Kühen. Das ist der Unterschied!
Ich bekenne mich noch einmal ausdrücklich zur gerechten Verteilung, aber es geht nicht nur um gerechte Verteilung, sondern auch — ich wiederhole mich — um Verteilbares, um mehr, was zu verteilen ist.
Ein moderner Arbeitsplatz in der Industrie kostet im Durchschnitt 160 000 DM. Sie können j a ausrechnen, wieviel Geld wir brauchen, um die 2 Millionen Arbeitslosen wieder in Arbeit und Brot zu bringen. Da frage ich Sie: Wer soll das bezahlen, wer soll die Mittel aufbringen, um entsprechend zu investieren? Der Staat? Dann bezahlen es wieder die Arbeitnehmer, denn sie sind mit ihrer Lohnsteuer der Hauptfinancier des Staates. Die alten Besitzer? Auch davon haben die Arbeitnehmer nichts außer dem „Vergelt's Gott".
Es bleibt nur ein dritter Weg: Investive Beteiligung der Arbeitnehmer. Das ist unsere Lösung, das ist unsere Alternative zu Ihrem staatlichen Beschäftigungsprogramm!
Bei Ihrem staatlichen Beschäftigungsprogramm sind die Arbeitnehmer nur als Zahler beteiligt. Bei uns haben Sie eine Gegenleistung; sie werden Miteigentümer, Mitträger der Wirtschaft.
— Lieber Herr Wehner, ich hoffe, Sie wollen Ihre
eigene Aussage, auch Sie seien für Investivlöhne,
doch nicht durch diesen Zwischenruf dementieren.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8849
Bundesminister Dr. Blüm
Ich bleibe dabei, daß wir die investive Beteiligung der Arbeitnehmer brauchen, daß dies der einzige weiterführende Schritt in der Einkommenspolitik ist.
Die alte Konsumlohnpolitik ist doch nun wirklich in Gefahr, leider Gottes zu einem Schaugefecht zu degenerieren, weil sie durch Steuern und durch höhere Preise ja immer wieder unterlaufen werden kann, weil sie in ihrem realen Wert manipuliert werden kann. Deshalb brauchen wir ein neues Gelände, und das ist die Vermögensbildung. Die Gewerkschaften sollten daran beteiligt werden. Das soll nicht an den Gewerkschaften vorbeigehen; sie müssen es in ihre Tarifpolitik einbeziehen können.
Meine Damen und Herren, die zweite Frage — nach der Frage: wer bezahlt? — lautet: Wo lohnt es sich denn auch unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten, daß möglichst schnell und möglichst viel investiert wird? Da antworten wir zunächst einmal: auf dem Bausektor, auf dem Bau- und Wohnungsmarkt. Das hat seine vielfältigen Folgen — bis zu den Elektrobetrieben, bis zu den Schreiner-meistern, die wieder neue Aufträge bekommen, bis zu den Möbelfirmen, ja, bis zu den Stahlarbeitern, die Not leiden.
Mehr Wohnungen sind im übrigen aus meiner Sicht auch der beste Kündigungsschutz.
Meine Damen und Herren, Sie können Paragraphen produzieren, soviel Sie wollen: Die Mieter sind schwach, wenn es mehr Wohnungssuchende als Wohnungen gibt, und die Mieter sind stark, wenn es weniger Wohnungssuchende als Wohnungen gibt. Daß wir mehr Wohnungen bauen wollen, ist eine Politik für die Mieter; es ist der beste Kündigungsschutz, den es überhaupt gibt.
Ein anderer solcher Bereich ist der Kommunikationsbereich. Sie haben j a über Deutschland eine Verkabelungsblockade ausgerufen. Diese Verkabelungsblockade ist eine Arbeitsplatzvernichtungs-
und Arbeitsbeschaffungsverhinderungspolitik gewesen. Diese Politik haben Sie betrieben!
Das ist eine — in des Wortes wahrster Bedeutung — reaktionäre Politik. Ich weiß auch nicht, wovon sie träumen. Glauben Sie denn, man könnte auch Satelliten im Weltraum verbieten; meinen Sie denn, man könnte Parkverbote über Deutschland verhängen? Wollen Sie jetzt auch noch den Himmel mit Schlagbäumen versperren?
Eine Mauer langt uns doch. Wir wollen doch nicht noch im Weltraum Grenzen errichten.
Wenn das so ist, dann werden alle Ihre Versuche, technische Neuerungen zu verhindern, einfach von der Zeit überrollt. Gestalten Sie mit, bevor uns die Technik einfach überrollt, ohne daß wir gestaltend eingreifen können.
Wir haben nicht nur ein Programm für Investitionen vorgelegt,
wir haben nicht nur ein Programm für den langen Weg vorgelegt, sondern auch ein Notprogramm, eine Politik für den Tag. Von den langfristigen Verbesserungen haben die Arbeitslosen heute j a nichts. Wir müssen die Kombination von Tagespolitik und einer Perspektive schaffen, die über den Tag hinausreicht.
Erstens. Ich betrachte es als einen Erfolg dieser Notpolitik, daß wir das Kurzarbeitergeld für Stahlarbeiter um ein Jahr verlängern konnten. Ich hoffe, der Kollege Urbaniak stimmt mir dabei voll zu.
— Lieber Kollege Urbaniak, Sie hatten 13 Jahre Zeit, uns zu überholen. Wir haben es in zehn Wochen geschafft, das Kurzarbeitergeld für Stahlarbeiter zu verlängern.
Sie waren zehn Jahre auf dem Rastplatz. Beim Kurzarbeitergeld für Stahlarbeiter habe ich Sie nicht gesehen. Deshalb seien Sie ganz friedlich; machen Sie mit und kritisieren Sie nicht! Seien Sie froh, daß wir Ihnen diese zehn Jahre nicht vorhalten.
Zweitens. Wir haben für die Bergleute — alles in diesen zehn Wochen! — das geschaffen, was vor uns nicht geschaffen wurde, nämlich eine Verlängerung der Anpassungshilfe um fünf Jahre.
Meine Damen und Herren, ich behaupte von keiner dieser Maßnahmen — weder von der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes noch von der Verlängerung der Anpassungshilfe —, sie würde neue Arbeitsplätze schaffen. Das ist nur ein Notrettungsprogramm; das ist nur ein Überbrückungsprogramm. Das neue Ufer ist damit nicht erreicht. Aber wir schaffen überhaupt die Voraussetzungen dafür, daß die Zeit zur Umstrukturierung genutzt werden kann.
Ich will hier auch hinzufügen: Die Arbeitgeber an Rhein und Ruhr und überall dürfen solche Programme nicht als eine Entwarnung für beschäftigungspolitische Anstrengungen verstehen. Die Regierung ist nicht das sanfte Ruhekissen für Einfallslosigkeit, auch nicht für die Einfallslosigkeit von Stahlunternehmen an Rhein und Ruhr.
Wir warten auf Vorschläge. Wir haben in dieses Notprogramm auch steuerliche Erleichterungen aufgenommen, die Firmenzusammenbrüche verhindern sollen. Der Firma, die einen anderen von Stillegung bedrohten Betrieb übernimmt, wollen wir steuerliche Erleichterungen gewähren.
Lassen Sie mich das auch noch einmal an Hand von Zahlen belegen. 300 000 Arbeitnehmer haben in
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Bundesminister Dr. Blüm
diesem Jahr ihren Arbeitsplatz auf Grund von Firmenzusammenbrüchen verloren. Das sind 53 000 mehr als im letzten Jahr. In Nordrhein-Westfalen sind es allein 47 % mehr als im letzten Jahr, die ihren Arbeitsplatz auf Grund eines Firmenzusammenbruchs verloren haben. Die Öffentlichkeit bemerkt das j a nicht immer. Wenn ein großes Unternehmen in Gefahr ist, dann sind alle roten Lampen an; wenn ein kleiner Mittelständler still und heimlich seine Pforten schließt, dann redet niemand darüber. Wir reden darüber!
Wenn ein mittelständisches Unternehmen seine Türen schließt, verlieren wir nicht nur einen mittelständischen Unternehmer, wir verlieren auch sehr viele Arbeitsplätze für Arbeitnehmer. Die Mehrheit der deutschen Arbeitnehmer arbeitet nämlich gar nicht in den Großunternehmen; sie arbeitet bei den kleinen und mittleren Unternehmen. Das haben Sie nur übersehen. Wir werden eine Politik für die mittelständische Industrie und für die Mittelständler machen.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Soell?
Darf ich Sie fragen, Herr Bundesminister, damit ich Sie nicht so oft stören muß: Wollen Sie überhaupt keine Zwischenfragen beantworten, oder gilt das nur für die ersten drei? — Nur zur Rationalisierung.
Herr Präsident, wenn ich ungestört bis zum letzten Drittel meiner Rede kommen könnte, wäre ich schon sehr dankbar.
Ich werde sorgfältig versuchen, herauszufinden, wann Sie beim letzten Drittel angekommen sind.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie, daß ich diesen Teil im Zusammenhang darstelle.
Ein wichtiges Thema, das uns alle beschäftigen muß, ist die Jugendarbeitslosigkeit. 190 000 junge Mitbürger sind ohne Arbeit. Es ist für einen 60jährigen schlimm, ohne Arbeit zu sein. Aber für einen 16jährigen ist es vielleicht noch schlimmer. Der 60jährige hat ein erfülltes Arbeitsleben hinter sich. Der 16jährige hat seine ganzen Erwartungen auf die Zukunft gerichtet. Was ist das für eine Gesellschaft, die ihn beim ersten Schritt zurückstößt?
Das ist eine Gesellschaft, die herzlos ist. Das ist
eine Gesellschaft, die Aussteiger produziert. Die
jugendlichen Arbeitslosen sind die Rekruten einer
Verweigerungsgesellschaft. Wir wollen nicht Verweigerung, wir wollen Mittun.
Deshalb werden wir trotz angespannter Kassenlage die Mittel im Haushalt des Einzelplans 11 bei 200 Millionen DM belassen. Das ist der höchste Ansatz, den der Haushalt für diesen Zweck je hatte. Es handelt sich um 200 Millionen DM für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit.
Ich denke, daß auch der Europäische Sozialfonds seinen Beitrag leisten kann. Wir sollten den Sozialfonds davor bewahren, daß er wie eine Gießkanne gebraucht wird und tausend Tröpfchen auf tausend Pflänzchen gibt. Wir sollten seine Mittel auf den Kampf in Europa, auf den Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit konzentrieren. Vielleicht ist das die beste Einladung an die junge Generation, bei einem vereinigten Europa mitzumachen.
Meine Damen und Herren, wir brauchen Wachstum durch Investitionen. Wir brauchen auch Arbeitszeitverkürzung, besonders durch die Senkung der flexiblen Altersgrenze. Das ist kein Befehl, das ist ein Angebot. Das entspricht unserer Philosophie, wo immer Freiheit möglich ist. Wo immer Wahlmöglichkeit angeboten werden kann, geben wir dieser Lösung den Vorzug vor allen kollektiven Befehlsformen.
Dabei allerdings — das muß man als Bedingung sagen — kann eine solche Senkung nicht auf Kosten der Rentenversicherung gehen. Die kann sich das nicht leisten. Die muß ihr Geld zusammenhalten. Jede Mark ist wichtig, um die Rente sicher zu machen. Wenn das zu Abschlägen führt, die vom einzelnen nicht zu verkraften sind, dann müssen andere Ausgleichsformen gesucht werden. Auch die Solidarität der Tarifpartner muß Ausgleich organisieren. Möglicherweise müssen die Jungen auf einen Prozentpunkt Lohnsteigerung zugunsten der Alten verzichten, die ihnen dafür einen Arbeitsplatz frei machen. Wir müssen in dieser Gesellschaft eine Solidarität des Gebens und Nehmens organisieren. Keiner soll übervorteilt werden. Jeder muß an den anderen mitdenken. Das gebietet auch ein solidarischer Ausgleich, der überhaupt erst Arbeitszeitverkürzungen möglich macht.
— Bitte, Herr Kollege Urbaniak.
Herr Kollege, wollen Sie die flexible Altersgrenze gesetzlich so regeln, daß die Tarifvertragsparteien die notwendigen finanziellen Regelungen, die das Gesetz begleiten müssen, frei vereinbaren sollen, oder wie soll das nach Ihrem Verständnis laufen?
Herr Kollege Urbaniak, die Bedingung, die schon jetzt feststeht, ist — ich wiederhole sie —: Die Rentenversicherung kann es nicht finanzieren. Alle anderen Möglichkeiten werden geprüft. Ich appelliere an die Tarifpartner mitzumachen. Einige
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Bundesminister Dr. Blüm
Gewerkschaften haben dazu ihre Bereitschaft schon erklärt.
Ich appelliere auch an die Arbeitgeber, nicht einfach auf der Bremse zu stehen und zur Arbeitszeitverkürzung nein zu sagen. Sehen Sie, meine Damen und Herren, die dümmste und kostspieligste Arbeitszeitverkürzung ist die Arbeitslosigkeit. Das ist nun wirklich die teuerste und unvernünftigste Arbeitszeitverkürzung.
Lassen Sie uns gemeinsam nach Plänen suchen. Ich halte es jedenfalls für eine gespaltene Strategie, wenn die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände einfach nein sagt und sich viele Großbetriebe über die Preise einen Sozialfonds finanzieren lassen, der die Arbeitnehmer frühzeitig in Pension schickt. Das ist eine flexible Altersgrenze durch die Hintertür, über die Preise finanziert, während sich die Kleinunternehmen das nicht leisten können. Das ist nicht die flexible Altersgrenze, die wir wollen.
Meine Damen und Herren, wenn ein großes Automobilwerk den Unterschied zwischen Kurzarbeit und Nettolohn aus eigener Tasche ausgleicht, dann ist das sogar eine staatlich finanzierte Wochenarbeitszeitverkürzung, dann ist das eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, mitfinanziert von der Allgemeinheit. Diese Art von Arbeitszeitverkürzung mögen wir nicht. Wir mögen eine solche, die solidarisch ist und vor allen Dingen die Kleinbetriebe nicht benachteiligt.
Herr Bundesminister, Sie haben eben eine Frage des Kollegen Urbaniak beantwortet, obwohl Sie meiner Auffassung nach, wenn ich Ihre Vorlagen sehe, noch nicht im letzten Viertel Ihrer Rede angelangt sind.
Darf ich Sie fragen, ob Sie eine Frage des Kollegen Glombig beantworten möchten?
Bitte.
Herr Minister Blüm, wären Sie denn bereit, unter Beachtung des von Ihnen zur Arbeitszeitverkürzung Dargestellten unserem Antrag auf Einführung einer Vorruhestandsregelung zuzustimmen?
Wir werden diesen Ihren Antrag genauso prüfen wie alle anderen Vorschläge. Sie werden mir zugestehen, daß es nicht der einzige Weg ist. Wäre es der einzige Weg, frage ich Sie, warum Sie nicht früher damit gekommen sind. Wir werden ihn so prüfen wie jeden anderen Vorschlag.
Meine Damen und Herren, ich will auch der Teilzeitarbeit hier noch einmal das Wort reden, aber unter einer Einschränkung: Teilzeitarbeit darf nicht zu einer niedlichen Form von Hobbyarbeit werden, für die nur grüne Witwen vorgesehen sind
— ich habe nichts gegen grüne Witwen —, sondern sie muß ein normales Arbeitsverhältnis und nicht ein Arbeitsverhältnis zweiter Klasse sein.
Ich sehe in der Teilzeitarbeit auch die Chance, daß sich ältere Arbeiter sachter, menschlicher der Pensionierung nähern können. Es muß doch nicht so bleiben, daß man in ein stures Arbeitszeitkorsett eingespannt bleibt: bis zu letzten Tag volle Arbeitszeit und am nächsten Tag Null Arbeitszeit. Diese Alternative, nur Erwerbsarbeit oder Null Erwerbsarbeit, die ist kollektivistisch, und das ist nicht unsere Alternative.
Ich sehe in der Teilzeitarbeit auch für Behinderte, für Schwerbehinderte eine Chance: jeder nach seinen Möglichkeiten, jeder im Rahmen seiner Kräfte. Wenn jemand nicht acht Stunden arbeiten kann, dann vier Stunden, wenn nicht fünf Tage in der Woche, dann drei Tage! Laßt uns flexible, menschennahe, den Einzelfällen angepaßte Formen finden!
Meine Damen und Herren, ich muß in diesem Zusammenhang auch noch etwas zur Arbeitsmarktabgabe sagen. Sie wird ja von der Opposition gefordert, und zwar als eine Abgabe, ein Solidaritätsopfer des öffentlichen Dienstes. Ich will mich ausdrücklich dazu bekennen, daß der öffentliche Dienst eine besondere Arbeitsplatzsicherheit hat und daß diese Arbeitsplatzsicherheit auch ihres Geldes wert ist. Das muß man in der heutigen Tarifpolitik laut sagen.
Mit mir können Sie auch über eine Arbeitsmarktabgabe diskutieren. Ich frage mich nur: Warum denn so ein umständlicher Umweg? Erst wollen Sie dem öffentlichen Dienst mehr Geld geben als wir, und dann wollen Sie ihm wieder 2% abziehen. Erst wollen Sie möglicherweise 4% Gehaltserhöhung geben und dann wieder 2 % zurücknehmen. Dann ist der öffentliche Dienst auch bei 2 %. Dann machen Sie doch gleich 2 %. Dann haben Sie sozusagen die Arbeitsmarktabgabe einkalkuliert.
Das Geld wird doch nicht dadurch besser, daß es hin- und hergeschoben wird, daß es erst dem Arbeitnehmer, dem Beamten, gegeben und anschließend wieder abkassiert wird. Das ist eine Umverteilung, bei der sich die Umverteilungsbürokraten die Hände waschen; und dieses Händewaschen brauchen wir wirklich nicht.
Ich fasse meinen Beitrag zusammen: Wachstum, Gerechtigkeit, Solidarität. Wachstum durch Investitionen! Gerechtigkeit durch investive Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital! Solidarität, indem wir Arbeit und Lohn teilen!
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Bundesminister Dr. Blüm
Lassen Sie mich das an einem Beispiel deutlich machen. Wir haben in unserer Republik 500 000 Lehrer. Würden alle eine Stunde weniger arbeiten und auch das Geld dafür hergeben, würden wir für 21 000 Lehrer neue Mittel und neue Stellen haben. Wir haben 17 000 arbeitslos gemeldete Lehrer. Würde das Weihnachtsgeld bei den Lehrern um die Hälfte reduziert, hätten wir das Geld, rund 21 800 Lehrer einzustellen. Wir brauchen neue Formen. Ohne Opfer, ohne Solidarität gibt es nichts, auch nicht die Überwindung der Arbeitslosigkeit.
Meine Damen und Herren, die Bereitschaft zum Zusammenwirken ist, wie ich glaube, größer, als es scheint. Auch in den Gewerkschaften wächst diese Bereitschaft, über den Schatten zu springen, neue Wege zu versuchen,
sich die Hand zu geben. Ich halte das Angebot von Hermann Rappe, eine Verabredung der Verantwortlichen über Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zu treffen, für einen Versuch, mehr Gemeinsamkeit herzustellen. Wir werden die ausgestreckte Hand ergreifen. Die Regierung ist dafür, daß Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Gewerkschaften, Regierung, Bundesbank sich an einem Tisch versammeln und den Saal erst verlassen, wenn eine gemeinsame Lösung gefunden ist.
Ich glaube nicht, daß wir mit Jammern und Pessimismus den Karren aus dem Dreck ziehen. Unsere Eltern haben die Nachkriegstrümmer nicht mit Jammern und Selbstmitleid beseitigt, sie haben die Ärmel hochgekrempelt, neue Arbeitsplätze geschaffen und das vollbracht, was die Welt ein Wirtschaftswunder genannt hat. Warum sollen die Nachgeborenen es nicht schaffen, ein Vollbeschäftigungswunder zustande zu bringen? Wir müssen es nur wollen. Selbstmitleid weg! Laßt uns Optimismus verbreiten, laßt uns verbreiten, daß wir es schaffen können, wenn wir nur wollen.
Ich will es in Zahlen bringen. Von 1950 bis 1960 wurden 6,5 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen, 6,5 Millionen! Von 1970 bis 1982 wurden 1,5 Millionen Arbeitsplätze vernichtet.
Meine Damen und Herren, ich glaube allerdings, weder die SPD noch die Gewerkschaften werden es mit einem Bündnispartner schaffen, der sich grün angezogen hat und nur blauen Dunst verbreitet.
Ich verstehe die Opposition nicht. Sie beschimpft die FDP und poussiert die Grünen; das ist doch für den Arbeitnehmer schizophren.
Das ist die Flucht in die Idylle. Das ist die Flucht ins Wolkenkuckucksheim. Nur, im Wolkenkuckucksheim entstehen keine Arbeitsplätze für Stahlarbeiter, Bergleute, Automobilarbeiter. Das Ruhrgebiet läßt sich nicht mit dem Brennglas heizen,
und die Hoesch-Hochöfen nicht mit der Windmühle.
Wir sind in einer Industriegesellschaft und müssen deshalb Last und Chancen der Industriegesellschaft miteinander verbinden.
— Herr Wehner, ich lüge nicht, und ich will hier ausdücklich sagen, daß ich nicht glaube, daß Sie auf diese Idylle hereinfallen. Aber vielleicht sagt Ihnen der Name Dohnanyi etwas, vielleicht sagt Ihnen auch der Name Vogel etwas. Der hat in dieser Meinung bestimmt eine andere Position als Sie.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte jetzt zur Rentenversicherung sprechen.
Meine Damen und Herren, sie ist, das will ich hier bekennen, mein Sorgenkind. Ich zitiere den Bundeskanzler und will das allerdings gleich zu Beginn festhalten: „Der Rentner kann sich darauf verlassen, daß seine Rente sicher ist und pünktlich ausgezahlt wird."
Dieser Satz gilt, und wir werden auch nicht vergessen, daß den Rentnern schon ein Opfer zugemutet wurde: ein halbes Jahr Anpassungsverzögerung als Beitrag dazu, ihre Rente sicherer zu machen. Wir werden auch nicht vergessen, daß die Jüngeren früher in die Beitragsanhebung kommen, als ursprünglich vorgesehen war. Die Bundesregierung hat nicht die ursprünglich vorgesehene Kürzung des Bundeszuschusses durchgeführt. Auch wir mußten für die Rentenversicherung einen weiteren Solidaritätsbeitrag leisten. Das war die erste Aktion Gemeinsamkeit. Es kann allerdings nicht die letzte sein.
Ich will folgendes festhalten, meine Damen und Herren. Ich sage nicht, es gibt in der Rentenversicherung nur Problemehen — wie weiland Helmut Schmidt —, ich sage hier im Deutschen Bundestag, es gibt Probleme, zwar nach menschlichem Ermessen nicht 1983, aber danach. Deshalb müssen wir jetzt die Chance nutzen, zu einer Vereinbarung, zu einem Konsens zu kommen. Mein Vorschlag ist: Laßt uns versuchen, die Rente aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Ich sage das nicht meinetwegen. Ich habe nichts zu verheimlichen. Wenn wir schon mal vergleichen: Wenn das, was wir gemacht haben,
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Bundesminister Dr. Blüm
schlecht ist, dann war das, was Sie gemacht haben, noch sehr viel schlechter. Denn die Rentenverschiebung, die wir jetzt machen, bringt einem Durchschnittsrentner in 15 Jahren einen Verlust von 6 000 DM. Die, die Ehrenberg durchgeführt hat, brachte einen von 28 000 DM. Wenn ich schlecht bin, war Ehrenberg viermal schlechter als ich.
Aber lassen wir das! Bringt eigentlich diese Vergangenheitsbewältigung etwas? Ich lade ein — das ist mein Friedensangebot —,
die Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen und sich gemeinsam der Zukunft zuzuwenden. Ich sage das im Interesse der älteren Mitbürger. Die jährlich wiederkehrende Rentendiskussion produziert Angst bei den älteren Mitbürgern.
Das will ja wohl niemand. Wir wollen doch nicht alle Jahre wieder eine neue Rentendiskussion.
Die Rentensicherheit hängt doch auch davon ab, ob die älteren Mitbürger wissen, wie übermorgen ihre Rente aussieht.
Deshalb bin ich auch gar nicht so pessimistisch. Ich glaube, daß die Umrisse einer gemeinsamen rentenpolitischen Orientierung durchaus erkennbar sind, daß es bereits einen Boden gibt, auf den wir uns gemeinsam stellen können. Erstens. Die Rente muß beitragsbezogen bleiben. Wer viel Beitrag, wer einen hohen Beitrag gezahlt hat, bekommt mehr Rente als derjenige, der wenig Beitrag gezahlt hat.
Ein zweiter Orientierungspunkt einer solchen Gemeinsamkeit könnte sein, daß sich die Erhöhungen der Renteneinkommen und der verfügbaren Löhne, die Einkommensverbesserung von alt und jung parallel entwickeln.
Ein dritter Orientierungspunkt ist, daß wir Staat und Rentenversicherung sauber voneinander trennen sollten, indem wir eine verläßliche Grundlage für den Bundeszuschuß schaffen, indem wir die Fremdleistungen bestimmen, eingrenzen und damit auch den Bundeszuschuß zahlenmäßig festlegen.
Eine solche Anstrengung würde von unseren älteren Mitbürgern mit Sicherheit akzeptiert werden. Wenn wir eine Politik für Vollbeschäftigung machen, ist das auch eine Politik für die Rente; denn bezahlt wird sie immer nur von den Beiträgen der jetzt Arbeitenden. Deshalb ist es eine Täuschung, eine Selbsttäuschung, eine Lebenslüge, eine Illusion, zu glauben, die Rentenversicherung könne nur mit höheren Löhnen gerettet werden, eine Lohnpause sei die Gefährdung der Rentenversicherung.
2 Millionen mehr Beschäftigte bringen der Rentenversicherung genau dieselben Einnahmen wie 10 % Lohnerhöhungen. Wenn wir mehr Beschäftigte schaffen, schaffen wir eine solidere, eine langfristig
dauerhaftere Finanzierung, als alle Modelle, die nur auf Lohnerhöhungen basieren.
Was ist das mit der angeblichen Unabhängigkeit der Rentenversicherung von der Bundesanstalt, die Sie hergestellt und wir wieder demontiert hätten?
— Ich möchte den Gedanken im Zusammenhang darstellen. — Die Bundesanstalt für Arbeit hat zwischen 1978 und 1982 der Rentenversicherung Zuschüsse in Höhe von 17,3 Milliarden DM gewährt. In derselben Zeit hat der Bund der Bundesanstalt Zuschüsse in Höhe von 17,6 Milliarden DM gewährt. Also hätte er sie gleich der Rentenversicherung gewähren können. Das sind lediglich Verteilungs-, Stellwerksfragen. Aber die Grundaussage lautet: Beschäftigung für die Söhne und Töchter schafft Sicherheit für Oma und Opa in der Rentenversicherung.
Ich will noch zwei erfreuliche Korrekturen erwähnen. Die erste Korrektur: Wir haben die Sperren für die Kuren der 59jährigen korrigiert, die Sie aufgebaut haben. Wir haben sie also wieder demontiert. Darin liegt ja auch ein Stück Menschenverachtung: dem 59jährigen schon den Zugang zur Kur über die Rentenversicherung zu versperren.
Eine zweite Korrektur — ich bekenne, daß das eine Korrektur unserer eigenen Absichten ist; Sie sehen, wir sind lernfähig —: Entgegen dem, was ursprünglich geplant war, soll die Grundrente der Kriegsopferwitwen nicht auf das Wohngeld angerechnet werden.
Ich will diese Gelegenheit nutzen, noch einmal festzustellen: Die Kriegsopferversorgung im allgemeinen und die Grundrente im besonderen sind kein Akt der Mildherzigkeit. Mit der Kriegsopferversorgung erfüllen wir einen Anspruch derjenigen, die für den Staat Opfer gebracht haben. Wir würdigen Opfer und Leid des Krieges.
Zu den erfreulichen Mitteilungen gehört — ich will Ihnen das gerne schriftlich geben; ich habe hier eine ganze Liste —, daß 100 Betriebskrankenkassen, 48 Ortskrankenkassen, 14 Innungskrankenkassen und 2 Ersatzkrankenkassen ihre Beiträge gesenkt haben.
Das ist das Verdienst aller Beteiligter. Es zeigt sich nämlich, daß die Selbstverwaltung durchaus in der Lage ist, fähig ist, freiwillig zu sparen.
Meine Damen und Herren, ich will diese Darstellung unserer Sozialpolitik zusammenfassen, indem ich noch einmal das Leitbild zu verdeutlichen versuche, dem wir verpflichtet sind. Es ist eine Sozialpolitik des mitverantwortlichen Bürgers. Nicht der
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Bundesminister Dr. Blüm
eigensüchtige einzelne, der das Sozialsystem ausbeutet und auf Kosten des Nachbarn lebt, auch nicht das graue, entpersonalisierte Kollektiv ist die Leitfigur einer menschennahen Sozialpolitik. Unser Leitspruch heißt: Hilfe zur Selbsthilfe. Sie wissen, daß in einer dicht verflochtenen Massengesellschaft diese Hilfe zur Selbsthilfe in der Mehrzahl der Fälle solidarische Hilfe ist. Wir sind für eine menschenfreundliche Solidarität, die nicht der Anonymität der Computer ausgeliefert wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit folgendem persönlichen Erlebnis schließen. Zum Erfreulichsten in der kurzen Amtszeit als Arbeitsminister gehörte eine Feier zu Ehren von Knappschaftsältesten. Ich habe in dieser Feier etwas davon gespürt, was der Ursprung der Sozialversicherung ist: Nachbarschaft und Nächstenliebe, nicht Anonymität. Das sind die besten Mitbringsel auch der Arbeiterbewegung: Solidarität, einer für alle, alle für einen. Nicht die Computer, nicht die Ideologen werden eine menschennahe Sozialpolitik schaffen. Wir sind für eine menschennahe Sozialpolitik.
Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Blüm hat mit seiner Rede meinen Verdacht zur Gewißheit verdichtet: Er ist tatsächlich der oberflächlichste und redseligste Arbeitsminister, den sich diese Republik je zugemutet hat.
Sachkenntnis trübt seinen Blick nicht. Gewissenlos beutet er jedes Vorurteil aus und macht es sich zu eigen. Wir haben es gerade wieder erleben dürfen.
Die Älteren unter Ihnen werden sich noch mit mir an frühere Arbeitsminister der CDU erinnern: an Theo Blank, Anton Storch, Hans Katzer. Ich habe mich damals als Gewerkschaftsfunktionär mit allen dreien klopfen dürfen, heftig auseinandersetzen müssen. Ihre Politik war nicht meine, aber ich hatte immerhin die Gewißheit, daß die Angegriffenen eine Ahnung von dem hatten, was sie hier vor diesen unseren Mikrofonen dargelegt haben.
Bei Herrn Blüm sind Ahnungslosigkeit und Oberflächlichkeit leider politisches Programm.
Für den Sozialstaat, fürchte ich, ist das lebensgefährlich. Im Clinch mit dem Finanzminister ist bei Blüm die Niederlage vorprogrammiert. Mit dem Wirtschaftsminister, so hört man, speist der Herr Dr. Blüm allwöchentlich. Nur: Zu einer Vertiefung seiner Gedanken scheint das auch nicht gerade beigetragen zu haben. Er hat vom Marktgrafen eigentlich nur eines übernommen: die Bürokratie zu verteufeln und die Gewerkschaftsfunktionäre dazu.
Wenn Sie Herrn Blüm hier hörten — er hat immer gesagt, er würde seine Gedanken hier ausbreiten — und das einmal vergleichen mit der bewegenden Rede, die Georg Leber vorgestern hier gehalten hat, wenn Sie es vergleichen mit den ernsten, eindringlichen, nachdenklichen und differenzierten Worten, die mein Kollege Glombig hier gesagt hat,
dann wissen Sie: Der Sozialstaat hätte eine Chance, wenn sich der Arbeitsminister auf dieses Niveau hochturnen könnte. Ich weiß nur nicht, ob er es schafft.
Herr Blüm hat wieder von der „Erblast" gesprochen. Es ist mir ein Bedürfnis, folgendes klarzustellen: Nach dem deutschen Recht gibt es die Möglichkeit, ein Erbe auszuschlagen. Das deutsche Recht kennt den Erblast-Erschleicher noch nicht. Das sind aber Sie. Sie haben sich die Erblast erschlichen und jammern dann darüber.
Das ist eine sehr sonderbare, eine fast schon tragikomische Rolle, die Sie sich da zumuten.
Der Herr Blüm hat mit großen, bewegenden und eindringlichen Worten gesagt, man müsse Arbeitslosigkeit bekämpfen. Ja, verdammt noch mal — das muß man! Aber nicht mit vielen Worten, sondern, indem Sie unser Beschäftigungsprogramm annehmen,
indem Sie wirklich etwas tun, indem Sie das Arbeitszeitgesetz annehmen,
indem Sie unsere Vorruhestandsregelung für richtig halten, indem Sie nicht nur reden — Herr Kolb, nicht nur reden —, sondern indem Sie mit uns die Hand heben für eine vernünftige Beschäftigungspolitik. Sie ist in diesem Hause längst überfällig.
Herr Abgeordneter Lutz, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein, die erlaube ich nicht. Ich möchte da dem Herrn Blüm nacheifern. Ich habe keine 45 Minuten, Herr Präsident.
Nein, Sie haben 13 Minuten.
Ich habe deren nur 13 und möchte nicht einmal die ausnützen. Ich habe nämlich festgestellt: So viel ist auf den Herrn Blüm im Grunde
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Lutz
gar nicht zu antworten, weil er so viel gar nicht gesagt hat.
Man kann sich ja nur dann mit jemandem auseinandersetzen, wenn er ein paar Fakten auf den Tisch des Hauses legt.
Es ist traurig.
In einem einzigen Punkt bin ich mit ihm einig: daß Arbeitslosigkeit ein haarsträubender gesellschaftspolitischer Luxus ist. Dem ist so. Ich ziehe daraus die Konsequenz: Dann habe ich diese Arbeitslosigkeit konsequent zu bekämpfen und alles politische Handeln diesem einen Ziel unterzuordnen.
Ich bin nämlich der Meinung, daß sich sogar die reiche Bundesrepublik Arbeitslosigkeit nur noch für eine sehr befristete Zeit leisten kann, ohne daß die Gesellschaft dauerhaften Schaden erleidet.
Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Die Zukunft der Rentenfinanzen würde mich nicht so sehr beunruhigen, wenn Sie davon ablassen würden, die Rentenversicherung finanziell auszubluten. Ich bin der Meinung, daß die Krankenversicherung in sich rechenbar ist, wenn wir das Selbstbedienungsgehabe der Anbieter von Gesundheitsleistungen zurückschneiden. Ich glaube, daß wir sogar die Arbeitslosenversicherung finanzieren können, wenn wir endlich begreifen, daß die Arbeitslosigkeit kein versicherbares Risiko ist,
sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem, das von der gesamten Gesellschaft getragen werden muß.
Wenn man, meine Damen und Herren, das so sieht und sich dafür entscheiden könnte, unser Arbeitszeitgesetz zu beschließen, zuzustimmen zu unserem beschäftigungspolitischen Programm samt der Finanzierungsmodelle — es ist ja alles rechenbar und von uns vorgerechnet worden —, wenn Sie sich entschließen könnten, mit uns die Vorruhestandsregelung in den Eckwerten zu vereinbaren, wie wir es Ihnen in unserer Entschließung vorschlagen, dann hat der Sozialstaat eine Chance. Aber Sie werden das nicht tun. Deswegen sage ich Ihnen: Der Sozialstaat hat nur dann noch eine Chance, wenn Ihnen, Herr Dr. Blüm, nach dem 6. März die Entlassungsurkunde ausgehändigt wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich ein paar Bemerkungen zu den Ausführungen meines Kollegen Friedrich Wilhelm Hölscher machen. Ich bekenne in aller Offenheit, daß ich nach wie vor außerordentlich traurig bin, daß er nicht mehr in dieser liberalen Fraktion seine Position wahrnimmt. Ich gestehe auch in aller Offenheit, daß ein erheblicher Teil dessen, was er konzeptionell hier dargelegt hat, unsere gemeinsame Meinung ist.
Lieber Friedrich Wilhelm, nichtsdestoweniger müssen einige Feststellungen vorgenommen werden, damit die Dinge zwischen uns klar sind, auch zwischen uns.
Gegensätze zwischen Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik können sich bei richtiger Einordnung der Politikarten im Grunde genommen nicht ergeben. Es gibt keine Sozialpolitik, keine gute und richtige Sozialpolitik, die nicht durch Erwirtschaftetes, durch richtige Wirtschaftspolitik finanziert worden ist.
Die Sozialpolitik kann nicht eine Mark ausgeben, die nicht vorher irgendwo erwirtschaftet worden ist.
Wir waren uns gemeinsam immer darüber im klaren, daß die immense Steigerung der Soziallastquote von 20 % auf 30 % in den Jahren 1960 bis 1980 — weitestgehend verursacht durch die Große Koalition — Ursache dafür ist, daß Arbeit in diesem Lande insgesamt zu teuer ist, daß das Arbeitsplatzvernichtung bedeutet hat und wir heute für diese Sünden zu büßen haben.
Auch mehr Nachfrage durch Transferleistungen löst das Problem nicht. Transferleistungen schaffen nun einmal nicht mehr Nachfrage. Denn sie werden durch höhere Steuern, höhere Abgaben oder durch Schulden, mehr Schulden finanziert. Alles drei ist aber doch auch Nachfrageverzicht, wenn auch an anderer Stelle. Deswegen bitte ich die Kollegen eindringlich, diesen Gesichtspunkt doch zu berücksichtigen, weil sie ja durch eine solche Politik insgesamt Arbeitsplätze vernichten und nicht schaffen.
Meine Damen und Herren, eine wichtige Änderung gegenüber den sozialpolitischen Beschlüssen der alten Koalition zum Haushalt 1983 ist die von der SPD kritisierte Verschiebung der Rentenanpassung um ein halbes Jahr. Natürlich wissen auch die Sozialdemokraten, daß die Verschiebung wegen der verschlechterten Wirtschaftsentwicklung unvermeidlich ist. Trotzdem lehnen sie diese Verschiebung ab. Gleichzeitig werfen sie der neuen Koalition vor, die Finanzsituation der Rentenversicherung sei nicht in Ordnung.
Das ist nun einmal, wenn Sie so wollen, der Vorteil der Opposition. Das Schauspiel ist auch nicht neu. Ich erinnere an das Schauspiel, das wir im Jahre 1977 und 1978 erlebt haben. Damals hatte die CDU/ CSU, wenn Sie so wollen, den zweifelhaften Vorzug,
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in der Opposition zu sein. Sie lehnte die Konsolidierungsmaßnahmen damals ab. Die SPD betrieb damals nach eigener Aussage eine Rentenpolitik ohne Illusionen.
Daraus habe ich folgendes gelernt: Sanierung der Rentenfinanzen durch die SPD und FDP ist lobenswert; Sanierung der Rentenfinanzen durch die FDP und die Union ist Ellenbogenstaat.
Meine hochverehrten Kolleginnen und Kollegen, so einfach geht das offensichtlich in der Argumentation. Wie kann man denn den Rentner für so dumm halten! Wir Freien Demokraten orientieren uns beim Rentenanstieg am Anstieg der verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer.
Dieser Grundsatz wurde bis vor kurzem auch von den Sozialdemokraten bejaht. Die Renten werden nach unseren Vorstellungen um 2,3 v. H. — brutto gleich netto — erhöht werden.
Ob es 1983 auch bei den Arbeitnehmern zu einem solchen Anstieg kommt, ist mehr als zweifelhaft. In diesem Jahr hat sich die Schere beim Anstieg der verfügbaren Einkommen angesichts einer Rentenerhöhung von knapp 5,8 % — immer brutto gleich netto — ohnehin wieder zum Nachteil der aktiv Tätigen verschlechtert, wie jedermann weiß.
Die Anpassung der Sozialhaushalte an die wirtschaftliche Entwicklung ist keine neue Aufgabe. Ich erinnere hier an die dankenswerten Ausführungen des Kollegen Eugen Glombig, die er zum Grundsätzlichen — immer von mir unterstützt — gemacht hat. Sie ist eine Aufgabe, der sich alle Industriestaaten seit der ersten Ölkrise 1973 zu stellen haben. So haben wir 1974 mit den Sozialdemokraten das 1. Haushaltsstrukturgesetz auf den Weg gebracht — mit fühlbaren Einschnitten in der Arbeitslosenversicherung. Es folgten die schon erwähnten Rentenanpassungsgesetze, bei deren Bewertung es soeben so viel Protest gab. Es folgten in der Krankenversicherung die Kostendämpfungsgesetze von 1977 und 1981. Es folgte die „Operation '82", und es folgte der erste Akt der „Operation '83".
Als aber im Frühherbst überdeutlich wurde, daß diesem ersten Akt ein zweiter Akt zu folgen habe, entzogen sich die Sozialdemokraten der Regierungsverantwortung. Es war eine Entscheidung, die Sie offensichtlich selber nicht rühmlich finden. Denn sonst bräuchten Sie uns ja nicht zu unterstellen, wir hätten die Haushaltsverhandlungen nur zum Schein führen wollen. Das ist der Vorwurf, den ich immer noch als den verletzendsten und gemeinsten empfinde. Sonst bräuchten Sie auch nicht die Leier von der angeblichen Umverteilung von unten nach oben hier ablaufen zu lassen. Ich halte das für ein erhebliches Stück Volksverdummung und bitte Sie daher, einige Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen.
Erstens. Ohne Einschränkungen von Sozialleistungen, die nicht finanzierbar sind, bricht das System unserer sozialen Sicherheit zusammen. Höhere Sozialabgaben, höhere Steuern, höhere Neuverschuldung hätten dasselbe Ergebnis. Mit unserer Politik wollen wir die Beschäftigungskrise überwinden und die Substanz unserer sozialen Sicherheit erhalten. Das ist notwendig, richtig und vernünftig.
Zweitens. Bei Bürgern, die Sozialleistungen gar nicht erst beanspruchen und gar nicht erst erhalten, kann natürlicherweise auch in diesem Bereich nichts gekürzt werden. Aber diese Bürger — und nur diese Bürger — müssen natürlich betroffen werden z. B. von der Halbierung des Ausbildungsfreibetrags, z. B. von der Kürzung im Kindergeldbereich, z. B. vom Wegfall des Kinderbetreuungsfreibetrags, z. B. von der Bewertung der Tabellenwerte in der Rentenversicherung. In diesem Zusammenhang muß man auch die freiwilligen Einkommensverzichte erwähnen. Ich bin nach wie vor überzeugt, daß unser gemeinsamer Appell im Bereich der Krankenversicherung an Ärzte und Zahnärzte, der sich ja als erfolgreich erwiesen hat, um vieles besser ist als jede Art von gesetzlichen Vorgaben, die doch nur dazu führen, daß es mehr Bürokratie, mehr Verwaltung, mehr Arger gibt, ohne daß Sie die Leistungen insgesamt beschränken können. Sie können in kein Gesetz schreiben: Der Arzt darf zweieinhalb Mandelentzündungen oder dreiviertel Lungenentzündungen pro Quartal behandeln. Deswegen ist der von uns damals mit Ihnen gemeinsam eingeschlagene Weg, der jetzt fortgesetzt wird, richtig, vernünftig und kosteneinsparend.
Herr Kollege Cronenberg, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glombig?
Bitte.
Bitte sehr.
Herr Kollege Cronenberg, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie wollen, daß die notwendige Sanierung in der Krankenversicherung zu Lasten der Kranken, in der Rentenversicherung zu Lasten der Rentner, in der Arbeitslosenversicherung zu Lasten der Arbeitslosen und in der Sozialhilfe auf Kosten der Sozialhilfeempfänger, d. h. innerhalb dieses Systems, stattfindet und nicht auch und vor allem außerhalb des Systems auf Kosten derer, die sich der Steuerhinterziehung und des Subventionsbetrugs schuldig machen?
Lieber Eugen Glombig, wir kennen einander viel zu gut, als daß Sie mir durch diese Frage unterstellen können, daß ich auch nur
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irgendwo Verständnis für Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug habe.
Es ist selbstverständlich, daß gegen solche Gesetzesverletzungen mit aller Schärfe vorgegangen wird. Was ich will, ist ein solides, in sich finanziertes Sozialsystem, das nicht auf Pump beruht und das nicht durch übertriebene, arbeitsplatzvernichtende Abgaben und Steuern finanziert werden muß. Es muß im Rahmen bleiben.
Lieber Eugen Glombig, Sozialversicherungsbeiträge werden von aktiv Tätigen, von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bezahlt. Wer Arbeit in diesem Lande durch Abgabenerhöhung verteuert, vernichtet sehenden Auges Arbeitsplätze. Das wollen wir nicht, und das werden wir auch nicht zulassen. Das ist die Philosophie unserer Politik: niemandem unzumutbare Opfer zuzumuten.
Erlauben Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege Cronenberg?
Ich gehe Zwischenfragen wirklich nicht aus dem Weg.
Haben Sie nicht den Eindruck, daß Sie meine Frage nicht beantwortet haben?
Ich habe den Eindruck, daß ich genau den Kern der Frage beantwortet habe. Ich darf daran erinnern, daß es von Ihnen soeben abgelehnt wurde, Zwischenfragen zu beantworten. Ich bitte, bei der kurzen Zeit, die ich habe, um Verständnis, daß ich jetzt in meinen Ausführungen weitermachen will.
Drittens. Ich möchte noch einmal darauf aufmerksam machen, daß vermeintliche soziale Ausgewogenheit, wie ich soeben schon ausgeführt habe, nicht zu Arbeitsplatzvernichtung führen darf. Natürlich kommen die Investitionsförderungen, die wir vornehmen, zunächst einmal den Investoren zugute. Das wird überhaupt nicht geleugnet. Man darf dabei aber doch nicht unterschlagen, daß die Vorteilswirkungen dieser Investitionen sich ausbreiten werden und sollen, daß die höhere Produktion zu mehr Beschäftigung, zu mehr Einkommen der Arbeitnehmer führt. Man muß doch in diesem Zusammenhang bemerken, daß flankierend zu diesen Maßnahmen Maßnahmen im Bereich der Vermögensbildung vorgesehen sind. Eine solche Vermögensbildungspolitik — ich kann das nur noch einmal unterstreichen — war wegen Ihrer ideologischen Bauchschmerzen in der Vergangenheit leider nicht durchsetzbar. Ich hoffe, daß wir in der neuen Regierung hier ein Stück weiterkommen.
Viertens möchte ich Ihnen noch einmal nahelegen, darüber nachzudenken, ob nicht die sogenannte Kaufkrafttheorie vom Ansatz her falsch ist. Wir können unsere strukturellen Anpassungsprobleme nicht durch künstliche Nachfrage lösen. Eine solche Politik würde die Anpassungsprobleme sogar verschlimmern. Zudem erfordert die Finanzierung überhöhter Sozialeinkommen, d. h. von Sozialeinkommen, die nicht auf Grund von Leistungen unserer Volkswirtschaft erbracht werden, eine Erhöhung der Abgabenquote oder eine Erhöhung der Neuverschuldung. Beides ist von Übel. Sie entziehen damit Kaufkraft an der falschen Stelle. Sie vernichten Investitionskapital. Das gefährdet rentable Arbeitsplätze, und genau das wollen wir nicht. Wir wollen Leistungseinkommen fördern. Wir wollen Kaufkraft durch Leistungseinkommen. Wir wollen nicht Sozialtransfer auf Pump, wie ich schon wiederholt von hier aus klargemacht habe.
Sie verwechseln meiner Auffassung nach Ursache und Wirkung und kommen deswegen zu so kuriosen Vorschlägen.
Sie stellen im Grunde genommen die Dinge auf den Kopf und produzieren so Arbeitslose.
Die Überwindung der Beschäftigungskrise bleibt Aufgabe Nummer 1. Dazu müssen wir das Vertrauen der Unternehmen und der Verbraucher wiederherstellen, und zwar durch Abbau des Interventions- und Umverteilungsstaates, der die dynamischen Kräfte unserer Marktwirtschaft lähmt, durch Rückführung der überhöhten Abgabenquote und der unbestritten überhöhten Staatsverschuldung, durch Umstrukturierung der öffentlichen Haushalte von konsumtiven auf investive Ausgaben. Mit dem Haushalt 1983 und seinen Begleitgesetzen stellen wir die Weichen in die richtige Richtung. Diesen Weg werden wir konsequent weitergehen, gerade auch im Interesse der mittelständischen Wirtschaft.
Die mittelständischen Betriebe mit ihrer unternehmerischen Beweglichkeit, mit ihrer Anpassungs- und Innovationsfähigkeit, mit ihrer Risikobereitschaft werden mit den Herausforderungen des Strukturwandels eben besser fertig als die Großindustrie. Außerdem — das ist hier schon richtig bemerkt worden — stellen sie den größten Teil der Arbeitsplätze. Ich halte von staatlichen Interventionen zugunsten der Großunternehmen überhaupt nichts. Letztlich müssen leistungsfähige mittelständische Betriebe auch diese Zeche bezahlen. Das gilt leider auch — ich muß das in aller Offenheit sagen — für die jetzt vorgenommene Verlängerung des Kurzarbeitergeldes für die Stahlindustrie. Machen wir uns nichts vor: Im Grunde genommen — bei allem Respekt vor den vorgetragenen Argumenten — ist dies eine Privilegierung der Großindustrie im Verhältnis zur mittelständischen Industrie. Wer hilft denn den kleinen Betrieben in der Textilindustrie, im Bereich der Stahlverformung oder in anderen Bereichen? Sind die Arbeitnehmer dort denn
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weniger wert als die Arbeitnehmer in der Stahlindustrie?
Ich frage mich, ob das alles so richtig ist, was wir dort tun.
Das gilt im übrigen auch — lassen Sie mich das in aller Offenheit sagen — für die Hilfen im Fall Arbed-Saarstahl. Ich habe mich außerordentlich schwer getan, einer solchen Vorlage zuzustimmen. Natürlich hat die Bundesregierung bei Arbed-Saarstahl besondere Gründe für ihre Entscheidung. Jede Bundesregierung findet ja auch immer wieder gute Gründe. Das Fatale an dieser Lösung ist aber: Jede Intervention hat bestimmte Sachgründe für sich. Jede Intervention zieht in der Regel neue Interventionen nach sich. Am Ende ist die marktwirtschaftliche Ordnung zum Schaden aller nachhaltig gestört.
Meine Fraktion wird den Bundesfinanzminister und auch den Bundeswirtschaftsminister beim Wort nehmen, daß die Intervention für Arbed-Saarstahl ein Ausnahmefall sein muß. Sie darf nicht sozusagen Beispiel für die Ruhr sein; denn sonst ist dieses ganze System unerträglich.
An dieser Stelle auch ein aufmunterndes Wort an den Dritten im Bunde, den Bundesarbeitsminister. Herr Minister Blüm, Sie kennen unsere Vorbehalte gegen die vorgezogene Beitragserhöhung in der Rentenversicherung und gegen die gleichzeitige Kürzung des Bundeszuschusses. Sie haben uns zugesagt, daß sich solche Manöver nicht wiederholen. In Ihrer eigenen, gelegentlich außerordentlich anschaulichen Sprache haben Sie gesagt, dieser Verschiebebahnhof soll stillgelegt werden. Ich möchte für meine Fraktion bekräftigen, daß dieses außerordentlich notwendig ist und daß wir uns sehr, sehr schwer tun, diesen, Ihren Vorschlägen zuzustimmen. Das Vertrauen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in die Berechenbarkeit der Sozialversicherung, insbesondere der Rentenversicherung, ist eine ganz wichtige Voraussetzung für den sozialen Konsens, den wir in diesem Lande dringend brauchen und zu dem wir uns ohne jede Einschränkung bekennen.
Herr Minister Blüm, die Koalitionsfraktionen sind auch Ihrem Vorschlag gefolgt, die Rentenbeiträge für die Leistungsempfänger der Bundesanstalt für Arbeit nach der tatsächlichen Höhe der Lohnersatzleistung, also des Arbeitslosengeldes, zu bemessen. Zu einer echten Einsparung und nicht bloß zu einer Lastenverteilung und Lastenverschiebung kommt es aber erst, wenn der Neuregelung im Beitragsrecht auch die Konsequenzen im Leistungsrecht folgen. Wir haben Verständnis dafür, daß Sie gesagt haben, Sie benötigen mehr Zeit für die Vorbereitung dieser Maßnahmen. Meine Fraktion erwartet, daß die entsprechenden gesetzgeberischen Vorarbeiten unverzüglich, d. h. ohne jede Verzögerung, in Angriff genommen werden. Die Folgeregelungen im Leistungsrecht müssen Anfang 1984 in Kraft treten. Die Finanzprobleme der Rentenversicherung dulden bei der Lösung dieser Probleme keinen Aufschub.
Die Kostendämpfung in der Krankenversicherung müssen wir fortsetzen. Die vergleichsweise günstige Entwicklung in diesem Jahr ändert nichts daran. Mit Ihnen setzen wir auf Eigenverantwortung der Beteiligten und auf die Autonomie der Selbstverwaltung in unserem gegliederten System. Da gibt es grundsätzlich Übereinstimmung. Aber, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, es muß auch endlich gelingen, im Krankenhausbereich eine wirksame Kostendämpfung durchzusetzen,
und dies erfordert nicht zuletzt die Zustimmung der unionsregierten Länder. Wir wünschen den Versicherten und wir wünschen Ihnen, Herr Bundesarbeitsminister, daß Sie auf diesem Felde erfolgreicher als Ihre beiden Vorgänger sind. Ich bin ganz sicher, daß Ihnen in diesem Bereich auch die Kollegen Ehrenberg und Westphal viel Erfolg wünschen; denn letztlich sind wir immer an dem Bundesrat gescheitert, der sich in diesem Zusammenhang mit allem anderen, nur nicht mit Ruhm bekleckert hat. Hier steht im Grunde genommen unser freiheitliches Gesundheitssystem auf dem Spiel, und es muß uns gelingen, die Kostenstelle Krankenhaus in den Griff zu bekommen.
Meine Damen und Herren, Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, Finanzierbarkeit der Sozialleistungen sind für uns keine Problemchen. Wir sagen in aller Offenheit klipp und klar, wie die Situation ist, und scheuen uns auch nicht, festzustellen, daß manches von dem, was geschehen ist, nicht richtig ist. Wir versuchen auch, Ihnen Lösungskonzepte vorzulegen, von denen wir überzeugt sind, daß sie schlüssig, konsequent und erfolgreich sind. Wir handeln nicht, indem wir die Leute fragen: Wollt Ihr kürzere Arbeitszeiten, wollt ihr längeren Urlaub, wollt ihr früher in die Rente gehen, wollt ihr vollen Lohnausgleich dazu, wollt ihr hohe Sozialleistungen, wollt ihr mehr Steuern für die Reichen? Ich glaube nicht, daß dies die richtige Methode ist, das Problem zu lösen.
Wir möchten verhindern, daß Arbeitsplätze vernichtet werden, indem Abgaben gesteigert werden, indem Steuern erhöht werden. Teurere Arbeit heißt im Grunde genommen weniger Arbeit. Wir müssen den Zusammenhang zwischen Kosten und Arbeit sehen. Im Lande gibt es genug Arbeit, sicher ist genug Arbeit vorhanden. Sie muß nur bezahlbar bleiben. Wer Arbeitszeit einschränken will, wer also die Möglichkeit zu arbeiten behindern will — ich meine dies im Zusammenhang mit Überstunden —, der schafft keine Arbeitsplätze, der vernichtet im Grunde genommen Arbeitsplätze. Lassen Sie doch die mittelständischen Läden und Werkstätten arbeiten, lassen Sie doch Meister, Ingenieure, Vorar-
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beiter, Techniker mehr arbeiten! Diese Menschen schaffen doch Arbeit für andere, sie nehmen doch niemandem den Arbeitsplatz weg.
Meine Damen und Herren, Sie können doch den Leuten nicht sagen, der Meister in einem Handwerksbetrieb solle nach der Stempeluhr arbeiten und nach Feierabend das Denken einstellen. Lassen Sie den Leuten die Chance, Arbeit zu schaffen! Das ist unsere Philosophie, das ist der Sinn dessen, was wir hier sagen.
Ich bin sicher, daß Sie sich über die wirklichen Folgen Ihres angeblich so modernen Arbeitszeitgesetzes, über das wir vorige Woche diskutiert haben, nicht im klaren waren. Ich halte es glatt für eine Milchmädchenrechnung, daß dadurch 150 000 bis 200 000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen sollen.
Im besten Falle würden die Arbeitsplätze anders verteilt. In Wirklichkeit geht es doch darum: Sie wollen durch den Gesetzgeber die gewerkschaftlich geforderte Wochenarbeitszeitverkürzung durchsetzen,
und das ist eine Position, mit der wir uns nicht einverstanden erklären können.
Herr Kollege Cronenberg, erlauben Sie eine Zwischenfrage? — Bitte sehr, Herr Kollege Dreßler.
Herr Kollege Cronenberg, können Sie mir irgendeine Stelle in dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, den wir hier vorige Woche in erster Lesung beraten haben, nennen, aus der die von Ihnen gerade behaupteten angeblichen Tatsachen hervorgehen?
Aber Herr Kollege Dreßler, der Versuch, Überstunden über ein bestimmtes Maß hinaus durch das Arbeitsamt zuteilen zu lassen, sozusagen Überstunden auf Bezugsschein einzuführen, ist natürlich
— natürlich steht das in dem Gesetzentwurf; ein Blick hinein hilft Ihnen da sehr — genau die Methode, mit der Sie diese Folgen, die wir nicht wollen, erreichen. Ich bitte Sie noch einmal: Lassen Sie doch diesen kleinen Betrieben die Chance, entsprechend den Bedürfnissen zu arbeiten! Um mehr geht es doch nicht. Verhindern Sie in diesem Zusammenhang doch nicht die Möglichkeit zu arbeiten!
Mit Ihrem Arbeitszeitgesetz wird doch nur auf anderem Wege wiederum die Belastbarkeit der Wirtschaft erprobt.
Zur Frage der Kosten des Entwurfs steht bei Ihnen: Keine Kosten.
In der Tat, dem muß ich beipflichten. Ein nicht verabschiedetes und nicht realisiertes Gesetz kann in der Tat keine Kosten verursachen.
Ebensowenig geht die Rechnung mit dem gesetzlichen Vorruhestandsgeld, die Sie vorschlagen, auf. Sie wollen — wenn ich es richtig begriffen habe — das Vorruhestandsgeld durch Einsparungen beim Arbeitslosengeld refinanzieren.
Zur Sicherung der Refinanzierung müssen Sie eine Wiederbesetzungspflicht einführen. Auch das steht — damit wir darüber nicht Streit bekommen — im Gesetzentwurf. Weil eine Wiederbesetzungspflicht unterlaufen werden kann, insbesondere wieder von der Großindustrie z. B. durch Personalabbau an anderer Stelle oder durch Nichteinstellung in anderen Betriebsabteilungen, müssen Sie weitere Zwangsinstrumente zur Kontrolle einbauen. Wenn der Plan überhaupt funktionieren soll, müssen Sie viel Phantasie entwickeln, um mit mehr Paragraphen Kontrollen sicherzustellen. Ich habe keinen Zweifel daran, daß Sie die notwendige Phantasie entwickeln, aber ich bin auch ganz sicher, daß dies in der betrieblichen Praxis nicht funktionieren wird. Es wird sich wiederum nachteilig für die Kleinen auswirken. Die Großen werden mit ihrem Apparat möglicherweise damit fertig; nur zusätzliche Leute werden nicht beschäftigt.
Im übrigen sollte man auch einmal darüber nachdenken, ob nicht auch Altere, 55- oder 58jährige, im Grunde genommen ein Recht auf Arbeit haben.
Wie gesagt, ich traue Ihnen zu, daß Sie solche gesetzlichen Regelungen erfinden können; aber sie werden nicht wirken.
Die Beschäftigungskrise wird nicht überwunden, wenn wir die Belastungen auf Grund der Arbeitslosigkeit zwischen den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung hin- und herschieben. Da werde ich sicherlich auch die Zustimmung der SPD finden.
Wir müssen dafür sorgen, daß die Gesamtbelastung der Beitrags- und Steuerzahler verringert wird. Deshalb heißt es, das Übel an der Wurzel anpacken. Uns geht es um die Schaffung neuer rentabler Arbeitsplätze durch Investitionen. Dazu setzen wir auf mehr Eigenverantwortung, auf mehr Eigeninitiative, auf Leistung und Wettbewerb, auf die Festigung unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Andere Strategien haben mit uns keine Chance, egal ob sie von den Sozialdemokraten oder vom Gewerkschaftsflügel der Union vorgeschlagen werden.
Liberale Politik erfreut sich immer lebhafter Kritik. Die Kritik von Verbandsvertretern wird mir dabei immer erträglicher. Früher schrien die einen: Sozialismus, und die anderen machten gute Miene zum bösen Spiel. Heute sind die Rollen vertauscht. Da tönt es auf der anderen Seite: Wende nach rück-
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wärts, und die anderen zeigen zähneknirschend ihr Wohlwollen.
Ähnlich geht es j a auch hier im Bundestag zu. Die SPD-Fraktion leugnet unter Beifall die Positionen von gestern, und die Union bequemt sich zu Einsicht und akzeptiert — teilweise unter Beifall ihrer Basis — die Notwendigkeiten, die sie gestern abgelehnt hat. Jedenfalls brauche ich mir keinen Vorwurf zu machen: Die Positionen, die ich hier heute vertreten habe, habe ich auch vor zwei Jahren mit der gleichen Konsequenz vertreten. Das werden Sie mir j a aus vielen Koalitionsverhandlungen mindestens noch bestätigen.
Das ist doch wohl unbestritten.
Wir streben mit Sicherheit in diesem Fragenkomplex die gleichen Positionen und Ziele an wie in der Vergangenheit. Weil wir dies tun, haben wir auch die Freiheit, das Notwendige und Richtige konsequent zu verfolgen. Wir wissen, daß uns dabei viele gute Wünsche begleiten. Ich habe überhaupt keinen Zweifel, daß es im Lande eine große, sehr große Mehrheit gibt, die wünscht, daß diese unsere Positionen hier vertreten werden.
Allerdings reichen die guten Wünsche allein zugegebenermaßen nicht.
Wir brauchen aktive Unterstützung für diese Politik, sowohl hier im Hause als auch draußen. Ich bin sicher, wir werden diese Unterstützung finden. — Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Kollegen Cronenberg geht es immer sehr konsequent zu. Wenn wir wissen, wie die politische Entwicklung nach dem 6. März aussieht, werden wir sehen, was es mit den Konsequenzen auf sich hat. Bei den Ausführungen des Kollegen Blüm ging es nicht konkret, sondern sehr phantasievoll zu.
Dazu kann man nur sagen: Was hat er denn in seiner Rede an konkret Faßbarem zur Sicherung der sozialen Grundlagen genannt? Ich kann seinem Beitrag etwas nach meinem Verständnis Brauchbares leider nicht entnehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will hier nur wenige Themen ansprechen.
Ich möchte einmal auf die Lage der Stahlindustrie zu sprechen kommen, die j a der Kollege Cronenberg hier auch erwähnt hat. Ich kann Ihnen nur sagen, daß wir nicht nur eine äußerst schwierige
Situation haben; wir sehen auch keine Perspektive der Rechtskoalition, mit diesem so wichtigen Problem unserer Volkswirtschaft fertigzuwerden. Sie tun nichts dafür!
Das will ich Ihnen sagen.
Hier ist ein zweiter Punkt genannt worden, die sogenannte Arbed-Saarstahl-Lösung. Da sagt Herr Cronenberg: Das geht so nicht weiter. — Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Erinnern Sie sich an die Geschichte, welche Privaten dort ausgeschieden sind, von Amerongen bis zu Röchling? Es war überhaupt kein Eigentumsträger mehr da. Die Bundesregierung mußte die Arbed-Leute, einen Ausländer, bitten, die Grundlagen für die Arbeitsplätze an der Saar zu erhalten. Die deutschen Unternehmer sind flüchtig geworden. Und jetzt wollen sie maulen über die Regelungen, die dort gefunden worden sind. Sie hätten j a damals schon 100 000 Menschen in Arbeitslosigkeit gebracht. Seien Sie doch froh, daß die sozialliberale Koalition seinerzeit diese Grundlagen geschaffen hat, damit in dem Montanbereich dort auf vermindertem Niveau weitergearbeitet werden kann! Es gab überhaupt keine Alternativen. Darum will ich Ihnen das in aller Deutlichkeit sagen.
— Nein, das wollen wir natürlich auch nicht, und das kann man auch nicht, Kollege Cronenberg; denn eines will ich Ihnen sagen: In der deutschen Stahlindustrie
— Sie können j a ruhig lachen; ich habe nichts dagegen. Wenn Sie meinen, Kollege Cronenberg, Sie könnten bei der Interessenvertretung unserer Stahlarbeitnehmer und bei dieser für uns alle so wichtigen Industrie lachen, dann — das sage ich Ihnen ganz sachlich — müssen Sie das mit sich selbst ausmachen. Das ist nicht in Ordnung.
— Ich komme ja darauf zu sprechen, Kollege Cronenberg. Ich werde Ihnen noch vorwerfen, daß Sie die Interessen der Textilarbeiter schmählich mißachtet haben, indem Sie im Ausschuß unserer Vorlage nicht zugestimmt, sondern sie beiseitegeräumt haben.
Darum sage ich hier den Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages: Die Stahlindustrie ist für uns alle — und sie wird es weiter sein müssen — eine Schlüsselindustrie, die man nicht aufgeben darf. Dem Bundeswirtschaftsminister sage ich hier heute noch einmal: Treiben Sie die Opfer-
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Urbaniak
grenze in Europa nicht höher, sondern zeigen Sie jetzt Flagge, damit unsere Konzeption gefunden werden kann und wir bei der Sicherung der Arbeitsplätze und der Produktion an den Stahlstandorten in ruhigere Bahnen kommen! Ich habe das Gefühl, Kollege Blüm — auch Ihren anderen Ministern gegenüber —, Sie haben auf dem Felde zehn Wochen Pause gemacht; denn auf dem Felde hat sich nichts getan.
Wir haben im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung weitere 200 Millionen DM für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, 80 Millionen DM für Maßnahmen der beruflichen Qualifizierung sowie Mittel für ergänzende Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Maßnahmen zur sozialen Flankierung für die durch Arbeitslosigkeit betroffenen Stahlarbeiter nach Art. 56 beantragt. Sie haben dem nicht zugestimmt. Wir wollten, daß auch diejenigen, die durch das, was bei Ihnen nicht zustande kommt, leiden müssen, sozial abgefangen werden, damit sie nicht in einen Strudel von Radikalismus und an Leute kommen, die es mit unserer Demokratie nicht gut meinen. Sie haben das sowohl im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung als auch im Haushaltsausschuß — im Zusammenhang mit dem Antrag, den wir dort gestellt haben — abgelehnt. Das ist eine schlimme Sache.
Darum kann ich auch verstehen, Kollege Blüm, daß das Wort Hoesch-Werke so schwer über Ihre Lippen kommt. Aber Sie werden sich noch daran gewöhnen; Sie kandidieren ja in Dortmund.
Ich sage Ihnen etwas zweites. Sie können es sich nicht zugute halten, daß Sie die Geschichte mit der Verlängerung bei der Kurzarbeit gemacht haben. Wir haben dazu den Antrag gestellt, Kollege Cronenberg, das für alle Branchen zu machen, aber vor allen Dingen auch für den Textilbereich. Denn wenn wir die Menschen bei schwieriger wirtschaftlicher Lage nicht in Kurzarbeit beschäftigen können, dann werden sie entlassen. Da ist Kurzarbeit besser, und sie ist zunächst einmal durchzuhalten. Dort sind die Kosten im wesentlichen gleich; sie werden nicht höher sein. Sie haben das bezüglich aller Branchen abgelehnt. Ihre Fraktion, Kollege Blüm, hat das auch für die Zeit bis 1984 eingeschränkt.
Ich komme zum Schluß, weil ich keine Zeit mehr zu weiteren Ausführungen habe. Interessant war die Beantwortung meiner Frage zur flexiblen Altersgrenze. Kollege Blüm, hier wird es um eine neue Qualität für das Hohe Haus gehen. Denn künftig wird auf dem Deckblatt eines Gesetzentwurfs etwas anderes stehen. Zu dem Problem, das gelöst werden muß, wird gesagt werden: herunter mit der Altersgrenze. Dann kommt die Lösung; das werden die 58 Jahre sein. Unter Kosten wird stehen: Das werden die Tarifpartner lösen. — Das ist Ihre neue Qualität auf diesem Feld.
Ich kann Ihnen nur sagen: Damit gehen Sie in die Irre. Alle klaren Anträge, die wir vorgelegt haben — Arbeitszeitverkürzung, Vor-Ruhestands-Regelung, Ausweitung der Kurzarbeit, Regelung der sozialen Flankierung für Stahlarbeiter unter 55 Jahre —, haben Sie abgelehnt. Das muß man überall sagen.
So konkret sind Sie in der Ablehnung. In der Ablehnung gibt es in dieser Rechtskoalition keine Blüm-Pause.
Meine Damen und Herren, zu den aufgerufenen Tagesordnungspunkten haben sich keine weiteren Redner gemeldet. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Einzelpläne, zunächst über den Einzelplan 11, Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Wer dem Einzelplan 11 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Einzelplan 11 ist angenommen.
Ich rufe jetzt Art. 6a des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe Art. 10 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 9/2322 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke sehr. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer Art. 10 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Art. 10 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 17 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke sehr. Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Art. 17 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 18 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 9/2322 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke sehr. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer Art. 18 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Art. 18 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe die Art. 19 bis 24 und aus Art. 27 die Nr. 1 und 4 bis 5 a in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke sehr. Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Artikel sind in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf der Drucksache 9/2317 auf. Es wird beantragt, nach Art. 27 Nr. 5 a des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 eine neue Nr. 5b einzufügen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
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Vizepräsident Dr. h. c. Leber
Ich rufe Art. 27 Nr. 6 des Gesetzes in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe Art. 27 Nr. 7 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 9/2319 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke sehr. — Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer der Nr. 7 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke sehr. Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Nr. 7 ist in der Ausschußfassung beschlossen.
Ich rufe Art. 27 Nr. 7 a bis 12, Art. 29 bis 33 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke sehr. Gegenstimmen! — Danke. Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 34 des Gesetzes auf. Hierzu liegt auf Drucksache 9/2324 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke sehr. Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer Art. 34 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen! — Angenommen.
Ich rufe Art. 35 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke sehr. Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Die Vorschriften sind angenommen.
Meine Damen und Herren, ich bin durch die Geschäftsführungen der Fraktionen gebeten worden, jetzt noch den Einzelplan 15 in der Annahme aufzurufen, daß wir den Beginn der Mittagspause durch diszipliniertes Verhalten der Redner nicht wesentlich hinausschieben müssen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 15
Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksachen 9/2155, 9/2281 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Rose Topmann
Dazu rufe ich auch die Beratung des Artikels 12 des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 — Drucksachen 9/2074, 9/2140, 9/2283, 9/2290 — auf.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind verbundene Debatte für den Einzelplan 15 und Art. 12 des Gesetzes und eine Aussprache von bis zu einer Stunde vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden'? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann unterstelle ich, es ist entsprechend beschlossen.
Ich frage: Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Herrn Abgeordneten Dr. Rose das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Etat des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit, über den ich heute wieder einmal zu reden habe, steht mit seinen 17 246 Milliarden DM weiterhin an vierter Stelle aller Einzelpläne und kann sich trotz Einsparungszwängen immer noch sehen lassen.
Die neue Regierung hatte einen Haushalt vorgefunden, den sie in der Kürze der Zeit nicht mehr verändern konnte und in weiten Bereichen auch nicht verändern wollte. So haben auch die Fraktionen von CDU/CSU und FDP z. B. die Aufgabe des Arbeitsstabes Frauenpolitik voll unterstützt, indem die benötigten Mittel in Höhe von etwas mehr als 3 Millionen DM unangetastet zur Verfügung gestellt wurden. Damit sollte ein Zeichen gesetzt werden, daß die Frauenpolitik auch von der neuen Regierung gewürdigt wird und daß die bundesweit tätigen Frauenverbände in ihren Bemühungen um die Verbesserung der Lebenssituation der Frau voll anerkannt sind.
Wir haben außerdem die Leistungen der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege voll akzeptiert, der Caritas, des Roten Kreuzes, des Diakonischen Werkes oder der Arbeiterwohlfahrt — um einige Beispiele zu nennen —, die mit einem Gesamtvolumen aus dem Einzelplan des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit von rund 50 Millionen DM in die Lage versetzt werden, ihre wichtige menschenfreundliche Arbeit fortzusetzen. Dazu gehört vor allem die Tätigkeit in der Betreuung von Aussiedlern, Zuwanderern und ausländischen Flüchtlingen.
Wir wollten den Gesundheitsverbänden unterstützend zur Seite treten, weil sie in ihrer Aufgabe für die Volksgesundheit unermüdlich tätig sind.
Da wir außerdem einen wichtigen Schwerpunkt im Gespräch mit der Jugend sahen und sehen, wurde auch der Bundesjugendplan mit 130 Millionen DM voll funktionsfähig gehalten. Da war zwar keine gewaltige Erhöhung möglich, aber angesichts der knappen Kassen und der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes ist schon jede Vermeidung von Kürzungen ein Vorteil.
Meine Damen und Herren, wir nehmen erfreut zur Kenntnis, daß im Rahmen des Bundesjugendplans der deutsch-amerikanische Dialog in seine konkrete Phase treten kann, daß Mittel dafür zur Verfügung gestellt sind.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit sagen, wir sind ebenfalls erfreut, daß die vorgesehenen Mittel für das deutsch-französische Jugendwerk in voller Höhe genehmigt werden konnten, und freuen uns heute schon auf den Besuch des französischen
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Dr. Rose
Staatspräsidenten im Januar nächsten Jahres hier in diesem Hohen Hause.
Zu den eben erwähnten und zu den meisten anderen Schwerpunkten des Einzelplans 15 verhehle ich nicht, daß die Regierungsfraktionen und die Opposition gemeinsame Beschlüsse faßten und daß die Einmütigkeit im Haushaltsausschuß ebenfalls ungetrübt war. Strittig war allerdings jener Haushaltstitel, der sich aus der Konsequenz des Art. 12 des Haushaltsbegleitgesetzes ergab, nämlich die Aufwendungen für das Kindergeld. Lassen Sie mich deshalb dazu jetzt einige Bemerkungen machen.
Wer nämlich heute hört, wie die SPD über die geplanten und beabsichtigten Kürzungen des Kindergeldes redet, der fühlt sich seltsam berührt. Die Sozialdemokraten ereifern sich hier im Saal und draußen im Land mit einer Abgebrühtheit sondergleichen darüber, daß beim Kindergeld vom nächsten Jahr ab gekürzt wird. Dabei werden Ursachen und Wirkung, Tatsachen und Konsequenzen, wird die gesamtpolitische Lage des Dezember 1982 völlig auf den Kopf gestellt.
Man muß deshalb, meine Damen und Herren, immer wieder darauf hinweisen, wie die aktuelle Situation ist. Die SPD war es, die leere Kassen und volle Schuldenbücher hinterließ. Die SPD-Regierung war es, die Massen an Arbeitslosen und nur wenige offene Stellen übergab,
und eine Folge der sozialdemokratischen Politik ist es, daß wir den Zwang zur finanziellen Neubesinnung, die Abkehr von manchen gewohnten Leistungen der öffentlichen Hand erleben, um die Talfahrt ins Chaos doch noch zu stoppen. Die Devise hieß leider schon lange Sparen und nochmals Sparen, auch bei den Leistungsgesetzen. Da kann keine Regierung anders verfahren.
Wenn die SPD-Fraktion jetzt dauernd daherkommt, angreift und praktisch die Schuld bei denen sucht, die jetzt an der Regierung sind, dann kommt mir das so vor, als müßte die Feuerwehr dafür büßen, daß der Brandstifter ihren Einsatz verursacht hat. Aber so leicht, verehrte Sozialdemokraten, machen wir es Ihnen nicht. Wir entlassen Sie nicht aus Ihrer Veranwortung. Sie können nicht behaupten, Sie seien an allem Geschehen unschuldig; denn gerade das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit trug, wenn auch „nur" in Millionenhöhe, zum Abrutschen in eine immer schlimmere Staatsverschuldung bei.
Hier wurde jahrelang nicht nach sinnvoller und sparsamer Haushaltsführung gewirtschaftet, sondern nach dem Motto, das wir auch vorhin gehört haben — Kollege Cronenberg hat es noch einmal angeschnitten —: Wer will noch mal, wer hat noch nicht? Je abenteuerlicher die Forderungen waren, desto eher wurden sie erfüllt. Für diese meine Aussage habe ich einen einwandfreien Zeugen, nämlich den Bundesrechnungshof, der folgendes feststellt:
Im Februar 1982 lagen dem Bundesminister Verwendungsnachweise für die in den Jahren 1972 bis 1980 bewilligten Mittel in Höhe von 638 Millionen DM entweder noch nicht vor oder sie waren von ihm noch nicht geprüft.
Dann kommt das vernichtende Urteil des Bundesrechnungshofs über die früheren SPD-Bundesminister — ich zitiere —:
Der Bundesrechnungshof hat beanstandet, daß die Rückstände selbst bei Anlegung eines großzügigen Maßstabes ... ein vertretbares Maß weit überschritten haben. Der Bundesminister war offensichtlich bemüht, die verfügbaren Mittel auszugeben, und hat demgemäß hierauf das Schwergewicht seiner Arbeit gelegt. Die Überwachung der zweckentsprechenden und wirtschaftlichen Verwendung, insbesondere durch Prüfung der Verwendungsnachweise, hat er demgegenüber vernachlässigt. Der Bundesrechnungshof hält die Prüfung, ob der mit der Zuwendung verfolgte Zweck erreicht worden ist, für eine gegenüber der Hingabe der Mittel gleichrangige Aufgabe, deren Erfüllung darüber hinaus Voraussetzung für weitere Bewilligungen an den betreffenden Zuwendungsempfänger ist.
Dann schlägt der Bundesrechnungshof der früheren Frau Bundesministerin Huber vor, sich in Zukunft sparsamer und gewissenhafter zu verhalten.
Ich glaube, das sollte man der deutschen Öffentlichkeit durchaus einmal sagen.
Ich habe diese Stellungnahme des Bundesrechnungshofs angeführt, weil sie typisch ist für die Volksbeglücker der SPD und für die unkontrollierte Millionenverschwendung über Jahre hinweg. Ich habe sie auch angeführt, weil man lieber vor der eigenen Tür kehren soll, verehrte Kollegen von der SPD, bevor man einen Fall Geißler inszeniert, wie Sie das in den letzten Tagen getan haben mit Blick darauf, daß er Minister und Parteigeneralsekretär gleichzeitig ist.
Weil in den Redebeiträgen der SPD-Abgeordneten in den letzten Tagen die Verdrehung der Tatsachen Trumpf war — das kam besonders bei der Kindergelddiskussion zum Ausdruck —, muß ich der Opposition nochmals ihren eigenen Spiegel vorhalten. Ausgerechnet Kollege Ehmke — er ist momentan nicht da — wollte sich hervortun, als er sagte: Die Großen zu schonen und die Kleinen zu belasten habe weder etwas mit christlich noch mit sozial zu tun.
— Ganz richtig, recht hat er damit. Er wollte sich
damit zum Anwalt des kleinen Mannes machen,
aber eben leider nur mit völlig unhaltbaren Be-
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Dr. Rose
hauptungen; denn bei der unvermeidlichen Kürzung des Kindergeldes werden ja die Kleinen geschont und die Großen belastet.
Damit man überhaupt unter die Abzugsgrenze kommt, muß man mehr als 5 000 DM im Monat verdienen. Haben Sie sich so weit von der Basis entfernt, daß Sie nicht mehr wissen, daß die Leute, die mehr als 5 000 DM verdienen, nicht zu den Kleinen gehören?
CDU und CSU verstehen eben mehr von christlich und sozial als Herr Ehmke.
Mit ihren Angriffen auf die jetzige Bundesregierung erlaubt sich die SPD ein makabres Schauspiel. Sie, die alles zu verantworten hat, die den Bundeshaushalt vor lauter Schulden auf Jahre hinaus manövrierunfähig gemacht hat, prügelt jetzt auf den Nachlaßverwalter ein. Das wird sie aber mit uns nicht machen können. Die SPD hätte allen Grund, sich selber zu prüfen;
denn sie hat über die letzten Jahre hinweg immer wieder gesagt — und auch entsprechend gehandelt —, das Kindergeld müsse gekürzt werden. Sogar die Einkommensgrenzen hat sie einmal ins Gespräch gebracht. Im ersten Halbjahr 1981 konnte man noch den Standardsatz der SPD-Minister hören: Keine Kürzung beim Kindergeld. Aber das war ja dasselbe wie damals beim Herrn Finanzminister Matthöfer, der immer davon sprach, die Finanzen seien solide.
— Dann kam Herr Lahnstein; er kam mit dem
Stock daher. Dann waren die Finanzen stocksolide.
Unmittelbar nach dieser Aussage, daß das Kindergeld sicher sei, kam die erste Kürzung, und zwar ohne Rücksicht auf einkommensschwache Familien, wie das jetzt bei uns gemacht wird.
Das nimmt der verflossenen Bundesregierung jede Glaubwürdigkeit und entzieht der heutigen SPD-Argumentation auch total den Boden.
Ich möchte noch einmal sagen: Die neuen Einkommensgrenzen belasten nicht die Kleinen und schonen nicht die Großen. Es ist umgekehrt. Wer also angesichts dieser Tatsachen und angesichts des allgemeinen Sparzwangs immer noch durch die Lande zieht und die nicht mehr wie gewohnt hohen
Kindergeldauszahlungen anprangert, betreibt unseriöse Stimmenfängerei.
Wenn der Kollege Ehmke dies und anderes behauptete, so wußte er es entweder nicht besser, oder er sagte zuletzt am Dienstag in diesem Hohen Hause schlicht die Unwahrheit.
Die Unwahrheit zu sagen ist aber ebensowenig christlich wie sozial.
Meine Damen und Herren, deshalb schonen wir auch nicht die Großen, sollte es sogar der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion sein.
Meine Zeit ist leider schon abgelaufen. Wir haben ja versprochen, uns diszipliniert zu verhalten. Ich möchte deshalb im Namen der CDU/CSU-Fraktion erklären, daß wir dem Einzelplan 15 und gleichzeitig Art. 12 des Haushaltsbegleitgesetzes zustimmen.
Der nächste Redner ist der Abgeordnete Topmann. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Beratung des Einzelplans 15 macht es nach meinem Dafürhalten erforderlich, zu Beginn einige wenige Sätze zu Ihrer Doppelbelastung, Herr Minister Dr. Geißler, zu sagen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht jene Argumente neu aufnehmen, die seit Wochen die Diskussion zu diesem Thema bestimmen und die unter dem Arbeitstitel „Teilzeitminister" gehandelt werden. Nein, Herr Minister Geißler, meine Sorgen, daß es dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit und insbesondere der Aufgabenstellung Ihres Hauses nicht dienlich sein kann, von einem Politiker geführt zu werden, der gleichzeitig das Amt des Generalsekretärs einer Partei bekleidet, sind ganz anderer Natur.
Sie haben, Herr Minister Geißler, in Ihrer Eigenschaft als Generalsekretär — das konzediere ich Ihnen — die Pflicht, Chefideologe Ihrer Partei und darüber hinaus Vordenker einer parteistrategisch orientierten Auseinandersetzung mit den konkurrierenden Parteien zu sein. Diese Aufgabe haben Sie sicherlich nie anders gesehen, wobei es Ihnen Ihr Naturell gestattet, niemals zimperlich mit dem politischen Gegner zu verfahren. Weil Sie ein Mann sind, der dabei bis an die Grenzen einer harten politischen Auseinandersetzung zu gehen bereit ist, sind Sie in Ihrer Partei die Symbolfigur für die Polarisierung unserer Bürger geworden.
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Topmann
Gerade diese Ihre Tätigkeit verträgt sich nicht mit Ihrer anderen staatspolitischen Aufgabe, nämlich Anwalt der Jugend und einer ausgewogenen Familienpolitik zu sein. Die Wahrnehmung beider — wie ich meine: sich gegenseitig ausschließender — Aufgaben ist sicherlich nicht dazu angetan, die Glaubwürdigkeit aller in der Politik Tätigen verbessern zu helfen.
Aus diesem Grund, so meinen wir, sollten Sie sich umgehend für eine Ihrer beiden Aufgaben entscheiden. Der zuständige Minister für Jugend, Familie und Gesundheit sollte nicht länger für die aus seiner Feder fließende Konfrontationsstrategie verantwortlich zeichnen müssen.
Herr Dr. Geißler, erinnern Sie sich bitte an Ihre Vorgänger, wobei ich gern Herrn Heck mit einbeziehe, der eben aus dieser Doppelrolle heraus ein Jahr vor der Wahl die Konsequenzen gezogen hat, die Sie, bitte sehr, auch ziehen sollten.
Der zur Beratung anstehende Einzelplan 15 ist im wesentlichen, zumindest was die Zahl der Titelgruppen angeht, ein Entwurf der alten Regierung der sozialliberalen Koalition. Ich möchte mich deshalb und auch wegen der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit darauf beschränken, zu den strittigen Positionen Stellung zu nehmen, und zwar zu jenen Positionen, die sowohl den Einzelplan 15 als auch die zum Zuständigkeitsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit eingebrachten Artikel des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 betreffen.
Ich beginne, Herr Minister Dr. Geißler, mit dem Stellenplan Ihres Hauses.
Herr Minister Geißler, es macht doch wohl wenig Sinn, daß die Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestags eine generelle Kürzung aller Planstellen um 1 % durchgesetzt haben, wenn Sie akkurat zum gleichen Zeitpunkt für Ihr Haus zwei zusätzliche hochkarätige Planstellen gefordert und, was noch schlimmer ist, inzwischen auch erhalten haben,
deren Einrichtung ausschließlich parteitaktisch zu vertreten ist.
Ich bin davon überzeugt, daß auch die Möglichkeit bestanden hätte, aus dem Kreis der vorhandenen und zu Ihrem politischen Spektrum zählenden Mitarbeiter die Aufgabenbereiche zu besetzen,
die Sie — offenbar aus parteipolitischen Gründen — anders als bisher besetzt sehen möchten.
— Vorsichtig, Herr Kollege, ich komme darauf.
Wir werden uns alle — ich beziehe da auch meine Partei mit ein — fragen müssen, ob der Bürger noch Verständnis dafür aufbringen kann, daß bei Regierungswechseln der gesamte Mitarbeiterstab, angefangen bei den politischen Beamten bis hinunter zur Sekretärin, ausgewechselt werden muß.
Ich bin überzeugt davon, daß eine derartige Verhaltensweise mehr und mehr dazu führt, daß die Angehörigen des öffentlichen Dienstes demotiviert werden. Bis zum Beweis des Gegenteils — davon gehe ich jedenfalls aus — hat doch wohl zu gelten, daß die Loyalität eines Beamten nicht allein schon deshalb angezweifelt werden kann, weil er sich zu einer anderen politischen Richtung bekannt hat.
— Das haben Sie ihm doch gesagt, das mußte ich doch nicht tun.
Der zweite Punkt, den ich ansprechen muß, ist das einkommenabhängige Kindergeld, das in der Tat eine alte sozialdemokratische Forderung ist, die für uns in der Vergangenheit wegen der mangelnden Bereitschaft der anderen mitzuarbeiten nicht durchsetzbar war.
— Ihre Behauptung wird nicht dadurch wahrer, daß Sie sie wiederholen. — Wir würden die Kürzung deshalb generell mittragen, wenn Sie sie nicht von einer anderen Seite konterkarierten, Herr Dr. Rose. Unsere Vorwürfe gelten nicht der einkommenabhängigen Kürzung, sondern dem Umstand, daß Sie mit der Einführung des Kinderfreibetrages den Einkommenstärkeren das geben, was sie ihnen durch die einkommenabhängige Kürzung nehmen. Das ist doch der Punkt, der keinen Sinn macht.
Haben Sie denn nicht einmal nachgerechnet, daß der Einkommenstarke auf Grund des Freibetrages für sein Kind pro Monat bis zu 20 DM mehr bekommt,
der Einkommenschwache aber in aller Regel bei 7,50 DM angesiedelt ist? Das macht die Sache doch ungerecht, und deshalb lehnen wir dieses ganze Paket ab.
— Das müssen Sie nachrechnen. Ich gehe davon aus, daß Sie rechnen können, auch Sie, Herr Gerster. — Es gilt beispielsweise bei denen, die 56 % Einkommensteuer bezahlen müssen.
Falls Sie sich entscheiden könnten, die Wiedereinführung des Kinderfreibetrages fallenzulassen, könnten wir Sozialdemokraten eine einkommenabhängige Kürzung mittragen. Aber nach Bekundungen der Bundesregierung ist die Wiedereinführung des Kinderfreibetrages ja wohl nur ein erster Schritt auf dem Wege, die bewährte Kindergeldlösung zugunsten des steuerlichen Freibetrages nach und nach zurückzuführen. Hier kündigen wir schon jetzt unseren entschiedenen Widerstand an, weil ein solcher Weg die Besserverdienenden begünstigt und die sozial ohnehin Schwächeren noch schlechter stellt.
In Art. 10 des Haushaltsbegleitgesetzes sieht die neue Regierung vor, die Anpassung der Regelsätze für die Sozialhilfe von bisher 3 % auf nunmehr 2 % zu reduzieren und gleichzeitig den Anpassungszeitpunkt um ein halbes Jahr hinauszuschieben. Hierbei halbiert sich die Erhöhung der Regelsätze im Jahre 1983 auf sage und schreibe 1 %. Bei dem derzeitigen Regelsatz von durchschnittlich 340 DM für Alleinstehende bedeutet das für den betroffenen Sozialhilfeempfänger einen Zuwachs von 3,40 DM monatlich. Somit wird er Zwängen unterworfen, die der Rationierung seiner Lebensbedürfnisse sehr nahekommen.
Ich weiß als langjährig tätiger Kommunalpolitiker, daß mit diesem Ihrem Vorschlag die Gemeindefinanzen entlastet werden sollen. Aber sagen Sie, Herr Minister Dr. Geißler, mir einmal, wie die in den Kommunen Verantwortung Tragenden diese Einsparung guten Gewissens hinnehmen können, wenn bei einer gleichzeitigen Änderung des Gewerbesteuerrechts die Ärmsten der Armen durch ihr Sonderopfer die Steuervergünstigungen für die Gewerbetreibenden quasi mitfinanzieren müssen.
Sagen Sie mir, wie wir dies vertreten wollen. Hüten wir uns davor, hier voreilige Entscheidungen zu treffen, die vor den Augen der breitesten Öffentlichkeit keinen Bestand haben können!
Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die von Ihnen erzwungene Taschengeldkürzung für Altenheimbewohner im letzten Jahr, deren Ungerechtigkeit auch Sie — leider viel zu spät — eingesehen haben.
Herr Minister, haben Sie eigentlich bei all den im Kabinett beschlossenen Maßnahmen daran gedacht, daß bei der Bündelung von familienfeindlichen Gesetzentwürfen Ausfälle bzw. Mehrausgaben entstehen, die den Lebensstandard sozial schwacher Familien bis an die Grenze des Existenzminimums zurückführen? Ich denke hierbei vor allem an jene Familien, die nach altem Recht BAföG erhalten haben würden, denen bei steigenden Mieten das Wohngeld gekürzt wird, die durch die Mehrwertsteuererhöhung zusätzlich belastet werden und die auch im Bereich der Arbeitslosenunterstützung Kürzungen hinnehmen müssen. Darüber hinaus müssen Sie doch auch und gerade als Anwalt schwacher Familien mit in Ihre Überlegungen einbeziehen, daß weitere Belastungen auf diesen Personenkreis durch Kürzungen in den Länder- und Kommunalhaushalten zukommen. Haben Sie, Herr Minister, auch daran gedacht, daß sich hinter Sozialhilfeempfängern Familien verbergen? Bei mir verstärkt sich der Eindruck, daß Sie sich in erster Linie den Familien mit hohem Einkommen verpflichtet fühlen.
Wie anders soll man es denn verstehen, daß Sie sich unter Hinweis auf eine Schlechterstellung der Familien dagegen ausgesprochen haben, eine maßvolle Kürzung des Familiensplittings zu Lasten der Hoch- und Höchstverdiener auch zu Ihrem Programm zu machen? Wir erwarten, Herr Minister, daß Sie zu der Bündelung dieser familienfeindlichen Maßnahmen hier und heute vor diesem Hause Stellung beziehen.
— Das können Sie besser als ich, Herr Gerster. —
In der Sitzung des Haushaltsausschusses am 14. Dezember 1982 ist uns zur Frage des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen zum Kriegsdienstverweigerungsgesetz auf mehrmaliges Anfragen hin mitgeteilt worden, daß im Haushalt 1983 keine Veränderungen durch den Gesetzentwurf eintreten würden. Diese Aussage erscheint mir mindestens aus drei Gründen fragwürdig zu sein.
Erstens. In einem Vermerk Ihres Hauses, Herr Minister, der uns erst während der Sitzung vorgelegt wurde, ist ausgeführt worden, daß im Vorgriff auf die im neuen Gesetz niedergelegten Forderungen im Jahre 1983 5 000 bis 8 000 der bisherigen Plätze im Zivildienst ausgetauscht werden müßten, weil sie eine zu geringe Belastung im Vergleich zum Dienst in der Bundeswehr aufwiesen.
— Ich hab ja nichts dagegen; ich spreche doch nicht zum Inhalt,
sondern zur haushaltspolitischen Frage. — Durch den Austausch dieser Stellen dürfte etwa pro Stelle ein Betrag von 12 000 DM an Investitionskosten — entweder durch Zuschüsse oder auf dem Darlehnsweg — anfallen. Diese Gelder werden notwendig, um die qualitativ höherwertigen Stellen einzurichten und um den zukünftigen Zivildienstleistenden, die Sie ja heimatfern eingesetzt sehen wollen, eine
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8867
Topmann
angemessene Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Es sollte uns doch wohl allen klar sein, daß die Träger der sozialen Einrichtungen, die bisher nicht bereit und in der Lage sind und waren, diese zusätzlichen Kosten selbst zu tragen, es jetzt auch nicht tun werden.
Darüber hinaus ist damit zu rechnen, daß neben den Einrichtungskosten für diese neuen Plätze auch ein jährlicher Zuschußbetrag von bis zu 5 000 DM eingesetzt werden muß, weil es sich hierbei um Plätze handelt, die der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung und den mobilen sozialen Hilfsdiensten zugeordnet werden. Ohne diese Dinge bereits spitz berechnen zu können, gehen wir davon aus, daß für beide Positionen zwischen 100 und 120 Millionen DM benötigt werden — und die schon im Jahre 1983.
Zweitens. Weil im neuen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen ein Einführungsdienst zwingend vorgeschrieben wird, müssen wir bereits auch im Jahre 1983, und zwar über den Ansatz von 24,5 Millionen DM hinaus, weitere 10 bis 20 Millionen DM einsetzen, um den Aus- und Neubau von Schulen insgesamt voranzutreiben. Nur so ist sicherzustellen, daß ein nahtloser Übergang gewährleistet wird und es nicht zu einem neuen Stau und damit zu neuen Ungerechtigkeiten kommen kann.
Drittens. In der uns vorliegenden Drucksache 9/2329 wird auf Seite 3 ausgeführt, daß erst im Jahre 1985 insgesamt 100 neue Planstellen mit kw-Vermerk beim Bundesamt für den Zivildienst einzurichten seien. Wenn davon auszugehen ist — das muß man j a wohl —, daß die eingehenden Anträge beim Bundesamt für den Zivildienst bereits ab Januar 1984 nach neuem Recht bearbeitet werden müssen, dann kann man doch wohl nur schlußfolgern, daß diese Stellen — jedenfalls ein großer Teil davon — im letzten Quartal des Jahres 1983 eingerichtet werden müssen, damit die unbedingt notwendige Einarbeitung ermöglicht wird — dies um so mehr, weil die neuen Aufgaben wohl auch nach Ihrer Ansicht nicht schematisch erledigt werden können.
Nach den uns bekannten Prognosen ist auch im Jahre 1984 mit etwa 48 000 neuen Anträgen zu rechnen.
Die von Ihnen vorgeschlagenen haushaltsmäßigen Voraussetzungen lassen erkennen, daß Sie eigentlich keine Vorsorge treffen wollen, eine zügige Bearbeitung der Anträge nach neuem Recht vorzunehmen.
Sollte es Ihnen jedoch mit Ihrer Absichtserklärung ernst sein, dann gehe ich davon aus, daß die vorzeitige Einrichtung der Stellen auch für das Haushaltsjahr 1983 noch zu einer Haushaltsbelastung von 1,5 bis 2 Millionen DM führen wird. Dazu kommen die Kosten für die Einrichtung der Arbeitsplätze im Bundesamt für Zivildienst. Insgesamt wird man also mit drei bis vier Millionen DM noch im Haushaltsjahr 1983 rechnen können. Bei den jetzigen Prüfungsbehörden, den Kreiswehrersatzämtern, werden keinerlei Stellen frei, weil die nach altem Recht eingegangenen Anträge weiterhin bis 1985 auf Grund des Rückstaus bearbeitet werden müssen.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen. Sonst kommen wir ins Schwimmen.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. Ich komme zum Schluß.
Ein uns allen bekannter Kollege hat in diesem Hause unter Hinweis auf Haushaltsberatungen die Frage aufgeworfen — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —, „ob wir uns von einem demokratischen Rechts- und Sozialstaat zu einer Catch-as-catch-can-Gesellschaft entwickeln", in der „das Gesetz des Dschungels, das Recht des Stärkeren vorherrschen" würde. — Herr Minister Dr. Geißler, Sie haben im März des Jahres 1982 diese inhaltsschweren Sätze gesprochen, damals sicher mehr der Polemik zuliebe als der wirklichen Sorge wegen, daß Sozialdemokraten sich auf einen solchen Weg würden einigen können.
Sie müssen sich heute in Ihrer Doppelfunktion doch fragen lassen, was Sie getan oder — vielleicht besser gesagt — nicht getan haben, um das zu verhindern, was Sie bereits im März 1982 befürchteten. Wir erwarten, daß Sie hier und heute dazu Stellung beziehen. Ich glaube, das dient der Wahrheit und Wahrhaftigkeit dessen, was man, auf welcher Ebene auch immer, in der Politik zu sagen hat. — Herzlichen Dank.
Als nächste hat die Frau Kollegin Dr. Adam-Schwaetzer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man manche Redner der Opposition hier im Bundestag, aber auch in ihren öffentlichen Erklärungen hört, könnte man den Eindruck bekommen: Für die FDP gibt es in diesem Land eigentlich nur Spitzenverdiener und Arme, die ohne den Staat nicht leben können. Und wenn man diese Redner der Sozialdemokraten weiter hört, dann fragt man sich, ob sie eigentlich darüber nachdenken, daß Arbeitsplätze auch finanziert werden müssen, und ob sie sich darüber klar sind,
8868 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Frau Dr. Adam-Schwaetzer
daß Arbeitsplätze nicht durch Wunder finanziert werden. So manches von dem, was hier vorgebracht wird, erinnert wirklich daran, welche Vorstellungen in der Zeit des Klassenkampfes hier geherrscht haben.
Wir sind, glaube ich, alle der Meinung, daß diese Zeiten des Klassenkampfes vorbei sind.
Die sind vorbei.
Wir haben in der Bundesrepublik einen Sozialstaat geschaffen, und wir wollen diesen Sozialstaat erhalten.
In diesem Sozialstaat muß es den Ausgleich sozialer Härten geben. Wir wollen ihn davor bewahren, zu einem Staat zu werden, der als Wohlfahrtsstaat Abhängigkeiten schafft. Wir wollen ihn als einen Sozialstaat erhalten, der Freiheit von Not schafft und damit eine Grundvoraussetzung
für die Freiheit und den sozialen Frieden ist.
— Das ist das Ziel. Herr Wehner, wenn Sie es für poetisch halten, kann uns das eigentlich nur darin bestärken, dies zu verwirklichen und auf dem Weg weiterzugehen.
Wir wissen, daß Sie die Strukturen dieses sozialen Netzes erhalten wollen.
Wir wollen die Strukturen erhalten, damit sie auch in Zukunft finanzierbar sind.
— Wir laufen, im Gegensatz zu Ihnen, vor den Problemen nicht weg.
Das können Sie von uns nun wirklich nicht sagen.
Wer hat denn seit 1981 und schon früher darauf hingewiesen, daß wir den Sozialstaat überfordern und daß wir es in der Zukunft nicht mehr leisten können, all das zu finanzieren, was uns in der Vergangenheit als wünschbar erschien und was uns heute noch als wünschbar erscheint, was aber unrealistisch ist. Wir wollen die Leistungen, die notwendig sind und die wir erhalten wollen, auf die konzentrieren, die sie wirklich brauchen.
Ich kann bestätigen und ich bekomme es täglich in meinen Gesprächen mit den Bürgern
in dem Ort Derichsweiler, wo ich wohne, bestätigt, daß wir soziale Leistungen nicht mit der Gießkanne ausstreuen sollen, sondern daß wir sie konzentrieren sollen. Wir wissen, daß Verzicht schwer ist, und wir wissen, daß jeder das Geld gebrauchen kann, das er bisher aus den staatlichen Töpfen erhalten hat. Wir wissen, daß es sehr wohl auch Unterschiede darin gibt, wie einzelne betroffen werden. Wir wissen aber eben auch, daß es im Grunde keine Umkehr auf diesem Weg gibt, den wir eingeschlagen haben.
Deshalb wird meine Fraktion auch den Kürzungen im Haushalt für Jugend, Familie und Gesundheit zustimmen, die sich jetzt als notwendig erwiesen haben.
Es fällt uns schwer, im Familienlastenausgleich Einschnitte vorzunehmen, und es fällt uns selbstverständlich schwer, auch bei der Sozialhilfe diese Veränderungen vorzunehmen, die wir vorgeschlagen haben. Meine Damen und Herren, ich frage Sie aber: Was ist denn eigentlich von denen zu halten, die zwar verbal bekunden, daß es notwendig ist, Einschnitte vorzunehmen, aber selber jede Diskussion über eine Lohnpause ablehnen, jede Diskussion darüber ablehnen, wie freiwillig ein Beitrag von denen, die besitzend sind, zugunsten von denen, die draußen vor der Tür stehen, geleistet werden kann?
Es wird sehr viel von sozialer Gerechtigkeit gesprochen. Wir haben uns bemüht, durch die Einführung von Einkommensgrenzen beim Kindergeld hier einen Schritt zu tun. Zu diesem Thema wird ja — auch hier im Bundestag — eine ganze Menge an Legenden weiter gestrickt. Ich frage den Herrn Kollegen Sieler, woher er denn eigentlich die Information hat, daß die FDP in der Koalition mit der SPD Einkommensgrenzen abgelehnt hat.
Wir können nachweisen, daß wir jederzeit bereit sind, über solche Einkommensgrenzen mit uns sprechen zu lassen.
— Wir waren und wir sind jederzeit bereit. Wir können es im übrigen nachweisen.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8869
Frau Dr. Adam-Schwaetzer
Wenn Sie sich die Zeit nehmen würden, sich einmal aus alten Zeitungen diese Ausschnitte — —
— Meine Damen und Herren von der Opposition, es ist auch eine Frage, ob man den Dialog tatsächlich ernst nimmt.
Zum Ernstnehmen eines Dialogs gehört auch das Zuhören. Ich habe manchmal den Eindruck, daß dies etwas ist, was in dem Forum der Nation in den letzten Wochen ungeheuer in Abrede gestellt wird und was von einem Teil dieses Hauses ganz systematisch torpediert wird.
Ich halte dies nicht für einen Fortschritt.
Einkommensgrenzen beim Kindergeld sind zweifellos etwas, was wir uns auch in einer anderen Form hätten vorstellen können. Ich weise hier noch einmal darauf hin, daß uns die Finanzamtslösung beim Kindergeld nach wie vor als die adäquatere Lösung erscheint.
Dies ist im Moment nicht machbar. Aber wir werden den Familienlastenausgleich in der neuen Legislaturperiode neu gestalten müssen und werden dabei diese Frage wieder aufnehmen.
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glombig?
Ja, gewiß.
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß in der sozialliberalen Koalition der Versuch eines Dialogs zwischen SPD und FDP hinsichtlich der Vorstellungen über eine Reform der Sozialpolitik gemacht wurde, daß Ihr Kollege Schmidt auf diesen Versuch eingegangen ist, dann aber von Ihrem Parteivorsitzenden Genscher im August dieses Jahres zurückgepfiffen worden ist?
Herr Kollege Glombig, Angebote sind auch von unserer Seite positiv aufgegriffen worden.
— Ich möchte Sie nur einmal daran erinnern, daß Sie es in der letzten Phase der Koalition von SPD und FDP gewesen sind, die es abgelehnt haben, mit uns über Vorstellungen zu sprechen, die auf Wunsch des Altbundeskanzlers Schmidt selber von dem Wirtschaftsminister in die Diskussion gebracht worden sind. Damals haben Sie den Dialog abgelehnt.
— Dieser Zwischenruf, Herr Egert, zeigt doch sehr deutlich,
daß Sie nicht bereit sind, auf den Dialog einzugehen.
Es ist in diesem Haus und in der öffentlichen Diskussion sehr viel von Umverteilung von unten nach oben die Rede.
Wenn dieser Vorwurf von den Abgeordneten der sozialdemokratischen Fraktion kommt, dann wird er immer mit den Maßnahmen in Verbindung gebracht, die die Koalition aus CDU/CSU und FDP nun verabschiedet haben. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich frage Sie, was es eigentlich bedeutet, wenn heute in den Zeitungen zu lesen ist, daß die sozialdemokratische Regierung in Nordrhein-Westfalen
das Gesetz verabschiedet hat, nach dem für jeden Kindergartenplatz bis zu 100 DM gezahlt werden müssen. Ich will das einfach nur einmal in die Debatte werfen;
denn es bringt zum Ausdruck, daß auch dort, wo Sozialdemokraten in der Regierungsverantwortung stehen, die Einsicht wächst, daß — was die FDP schon seit 1981 gefordert hat — eine Haushaltskonsolidierung im Sinne der Schaffung von mehr Arbeitsplätzen auch über Einsparungen im Haushalt gemacht werden muß. Das heißt, daß sich diese Einschätzung im Gegensatz zur Haltung der Opposition in diesem Hause dort durchaus durchzusetzen beginnt, wo Sozialdemokraten Regierungsverantwortung tragen. Das zeigt aber auch, daß die Schuldzuweisungen, die in diesem Hause in den letzten Tagen getroffen worden sind,
ein Vorwand sind und daß wir uns alle zusammen damit nicht mehr aufhalten sollten.
Denn wir können in der Bevölkerung die Einsicht in die notwendigen Maßnahmen nur dadurch bewirken, daß wir das alle zusammen klarmachen und uns nicht gegenseitig irgendwelche Schuld in die Schuhe schieben. Damit können wir kein Verständnis für notwendige Maßnahmen wecken. Ich meine, daß nur die Ehrlichkeit — —
Frau Kollegin, darf ich Sie, schon im Interesse der Gleichbehandlung auch der Geschlechter — die Männer sind auch
8870 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Vizepräsident Dr. h. c. Leber
abgezwickt worden —, darauf aufmerksam machen, daß Ihre Zeit abgelaufen ist.
Herr Präsident, ich hatte gerade zu meinem letzten Satz angesetzt.
Nur die Ehrlichkeit, die wir bei den notwendigen Maßnahmen den Bürgern draußen gegenüber zeigen, wird dazu beitragen, daß die Glaubwürdigkeit des parlamentarischen Systems auch in der Zukunft gesichert bleibt. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sielaff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Geißler hat vor einigen Jahren einmal erklärt — ich möchte zitieren —: „Die eigene Sprachlosigkeit der Armen darf nicht dazu führen, daß sie der öffentlichen Aufmerksamkeit entzogen werden, ohne die in einer Massendemokratie wenig geschieht." Ich hoffe, daß dieser Wunsch des heutigen Ministers Geißler in der Diskussion über den Art. 10 bleibt. Bisher war darüber von der Regierungskoalition wenig zu erfahren.
Es war der heutige Minister für Jugend, Familie und Gesundheit, der einmal die neue soziale Frage entdeckt und festgestellt hat, daß es in der Bundesrepublik Deutschland noch durchaus Armut gibt. Armut gibt es, so meine ich, insbesondere auch bei den Menschen, Herr Minister, die ohne eigene Schuld auf Sozialhilfe angewiesen sind. Ihnen, Herr Dr. Geißler, wird im Gegensatz zu Frau Dr. Adam-Schwaetzer durchaus bekannt sein, daß Sozialhilfe nach wie vor vielfach erst dann beantragt wird, wenn der Armutsdruck unerträglich wird und die Familie ohne Sozialhilfe wirklich nicht mehr zurechtkommt.
Auf Kosten dieser Menschen will der christdemokratische Minister einen Beitrag zur Sanierung der Staatsfinanzen leisten.
Ich möchte deshalb noch einmal aus der Sicht der Familienpolitiker auf den Art. 10 des Haushaltsbegleitgesetzes eingehen und kurz begründen, weshalb die sozialdemokratische Fraktion beantragt hat, diesen Artikel zu streichen. Der Art. 10 bezieht sich auf das Bundessozialhilfegesetz, also auf ein Gesetz, das seit dem Herbst vergangenen Jahres zum Gegenstand kontroverser politischer Auseinandersetzung geworden ist. Denn die CDU/CSU-Bundesratsmehrheit hatte im Vermittlungsausschuß bei der Beratung des 2. Haushaltsstrukturgesetzes eine Reihe harter Eingriffe erzwungen, die in diesem Sommer wegen des beharrlichen Einsatzes der SPD-Fraktion nach einem erneuten Vermittlungsverfahren wenigstens teilweise korrigiert worden sind. Nicht geändert wurde die Bestimmung,
die vorsieht, daß die Regelsätze in der Sozialhilfe nach einer nur 3%igen Anhebung zum Beginn dieses Jahres am Beginn des kommenden Jahres wiederum nur um 3 % steigen sollen. Meine Damen und Herren, diese Regelsatzanpassung bedeutet einen Einschnitt, der die Deckung des Bedarfs der Betroffenen aushebelt;
denn diese Form der Anpassung weicht von der üblichen Praxis ab, daß die Regelsatzerhöhungen der Preisentwicklung des sogenannten Warenkorbs folgen, der der Regelsatzberechnung zugrunde liegt.
Nun wollen Sie, meine Damen und Herren von der rechten Seite, wie die Zwischenrufe ja zeigen, noch einmal draufsatteln.
— Nein, von der rechten Seite! Sie sitzen ein bißchen zu weit in der Mitte. — Sie lassen Ihren Bundeskanzler in einer Regierungserklärung vollmundig dartun, es sei das Ziel seiner Sozialpolitik, die sozialen Leistungen auf die wirklich Hilfebedürftigen zu konzentrieren, und der Schwache und Notleidende habe einen Anspruch auf die solidarische Hilfe aller. Das hört sich ganz gut an,
aber Wollen und Tun klaffen bei der CDU/CSU-FDP-Koalition wieder einmal meilenweit auseinander.
Denn zugleich muten Sie uns einen Gesetzentwurf zu, mit dem Sie dem Ärmsten der Armen im wahrsten Sinne des Wortes den Brotkorb höher hängen wollen. Das ist dann wohl die „menschennahe Sozialpolitik", wie Dr. Norbert Blüm sie hier vorhin genannt hat.
Sie wollen die Regelsatzanpassung nicht nur vom 1. Januar auf den 1. Juli 1983 verschieben, sondern wollen auch den Anpassungssatz von den ohnehin völlig unzureichenden 3 % auf noch kargere 2 % herabsetzen, und es ist, meine Herren von der Regierungskoalition, kaum eine größere Diskrepanz denkbar als die zwischen dem, was Sie reden, und dem, was Sie tun.
Erkennen denn nicht wenigstens diejenigen in den Reihen der CDU — ich weiß nicht, Herr Gerster, ob Sie dazugehören —, die für sich in Anspruch nehmen, eine sogenannte neue soziale Frage entdeckt zu haben, daß sie mit ihrer Glaubwürdigkeit Schindluder treiben, wenn sie sich ausgerechnet an der Sozialhilfe vergreifen, die dem Hilfebedürftigen
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Sielaff
ein Leben ermöglichen soll, das der Würde des Menschen entspricht?
Vielen Vertretern der Rechtskoalition geht der Ausspruch leicht von den Lippen, wir hätten über unsere Verhältnisse gelebt; das steckt wohl hinter dem, was Sie mit dem Zwischenruf eben gemeint haben. Lebt denn derjenige, der mit einem Regelsatz von 338 DM im Monat zu Rande kommen muß, über seine Verhältnisse?
Ich kann nur sagen, Sie wissen nicht, wie die Verhältnisse sind. Dies sage ich insbesondere der Sprecherin der FDP, die wohl nicht mehr im Hause ist,
sondern weggegangen ist; denn ich hatte den Eindruck — und wollte ihr dazu noch einiges sagen —, daß sie in der Tat nicht wußte, wovon sie sprach. Wie kann man sich nur so aus der sozialen Realität ausblenden!
Die Verschiebung und die Verminderung der Anpassung ergeben zusammengenommen, daß die Regelsätze, bezogen auf das gesamte Jahr 1983, nur, wie ich vorhin sagte, um 1% erhöht werden sollen. Die Preissteigerung wird voraussichtlich mindestens viermal so hoch sein. Berücksichtigt man dies, so wird das Realeinkommen der Sozialhilfeempfänger 1983 mindestens um 3 % gekürzt.
Es müßte Ihnen doch, so meine ich, zu denken geben, daß der Art. 10 in der Sachverständigenanhörung einhellig abgelehnt worden ist. Welchen Sinn haben Anhörungen in diesem Hause überhaupt noch, wenn die Mehrheit sie völlig unbeachtet zur Seite schiebt?
Ich möchte zum Schluß kommen. Der Vertreter der Caritas war es — ich hoffe, daß zumindest die CDU und auch die CSU jetzt aufmerksam zuhören —, der die Sozialhilfekürzung als einen Schritt bezeichnet hat, bei dem man sich beide Hände vor die Augen hält, und dann hofft, nicht ins Leere zu treten. Der Vertreter der Caritas war es auch, meine Damen und Herren, der daran erinnert hat, daß sich an der Entscheidung des Bundestages über die Sozialhilfe zeigen werde, wie glaubwürdig diese Gesellschaft und dieser Staat in ihrem Eintreten für die Grundwerte der Gerechtigkeit und der Solidarität sind.
Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, lassen unseren Appell ungehört verhallen und verhindern damit, daß wenigstens ein Stück Ellenbogenpolitik aus dem Haushaltsbegleitgesetz entfernt wird — und dies zum Schaden aller, glaube ich, die sich über die Sozialpolitik Gedanken machen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in den vergangenen acht Wochen — eine kurze Zeit — nicht alles anpacken können, was aufzuräumen gewesen wäre. Aber was das Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit anlangt, so standen zwei politische Aufgaben im Vordergrund.
Erstens: Die alte Regierung hatte die Aufgabe, eine gerechte und praktikable Neuregelung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes zu schaffen, verschleppt.
Wozu die alte Regierung in acht Jahren nicht in der Lage war, das haben wir innerhalb von acht Wochen auf den Weg gebracht und gelöst.
Zweitens: Der Familienlastenausgleich war unter der alten Regierung ständig gefährdet. Er ist dementsprechend im letzten Jahr auch in massiver Weise gekürzt worden, und zwar für alle, unabhängig davon, was sie verdienen, also auch und gerade für die kleinen Leute. Die Rede, die ich gerade gehört habe, hätte ich hier gerne vor eineinhalb Jahren gehört, als es um das Kindergeld ging.
Ich sehe es als einen entscheidenden Erfolg an, daß diese Politik der alten Regierung von der neuen Regierung nicht fortgesetzt wurde. Ich stelle jetzt hier im Deutschen Bundestag fest — ich möchte einschließlich des Bundespresse- und Informationsamtes auch die eigenen Freunde, aber auch Sie darum bitten, dies genauso festzustellen und zu sagen —: Das Kindergeld ist von der neuen Koalition und von der neuen Regierung nicht gekürzt worden; wir haben keine Kürzung durchgeführt.
Jede Familie, die das Kindergeld braucht und die darauf angewiesen ist, bekommt genauso viel Kindergeld wie bisher. Was haben wir gemacht? Wir haben Einkommensgrenzen für die Bezieher hoher Einkommen eingeführt, weil wir der Auffassung sind, daß jemand, der zwei Kinder hat und 62000 DM brutto im Jahr verdient, eine Minderung des Kindergeldes um 30 DM verkraften kann. Bei drei Kindern liegt die Einkommensgrenze bei 73 000 DM und bei vier Kindern bei 84 000 DM. Darin unterscheiden wir uns von Ihnen. Ich bin der Auffassung, daß sich die soziale Gerechtigkeit in einer Zeit knapper Kassen dadurch bewähren muß, daß Bürger mit einem hohen Einkommen auf soziale Hilfen
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Bundesminister Dr. Geißler
verzichten und auch mit etwas weniger Kindergeld zufrieden sein können.
Wer ein hohes Einkommen hat, hat kein Recht darauf, daß ihn der Staat auch noch wie einen Bedürftigen betreut.
Nun kommen Sie mit dem Kinderfreibetrag. Sie haben die Gesetzgebung offenbar nicht richtig verfolgt.
Wir hatten einen Kinderbetreuungsbetrag. Das ist ein De-facto-Kinderfreibetrag für diejenigen, die diese Freigrenze ausschöpfen. Dieser Freibetrag lag, wie Sie wissen, bei 1200 DM bzw. bei 600 DM.
Als wir vor der Frage standen, wie wir noch einen Sparbeitrag beibringen könnten, haben wir uns ebenfalls nicht gegen die Empfänger kleiner Einkommen entschieden, sondern gesagt: Wenn noch etwas beigetragen werden muß, dann werden wir zu einer Entscheidung kommen, die vor allem diejenigen trifft, die eine solche Belastung am ehesten aushalten können. Aus diesem Grund haben wir den Kinderbetreuungsbetrag, der vorher bei 1200 DM lag, zu einem Kinderfreibetrag auf etwas über 400 DM reduziert. Das ist die Wahrheit, meine sehr verehrten Damen und Herren.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich mache Sie nur darauf aufmerksam, daß dies so war. Wenn Sie etwas anders behaupten, sagen Sie die Unwahrheit.
Ich sehe es im übrigen als eine meiner wichtigsten Aufgaben als Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit an, ein Problem mit Ihnen zusammen zu lösen — dazu bedarf es der Unterstützung des gesamten Parlaments —, das bis heute nicht vollständig gelöst ist, obwohl der Auftrag dazu im Grundgesetz verankert ist, nämlich die Gleichberechtigung der Frau über den 6. März hinaus überall dort durchzusetzen, wo sie noch nicht vorhanden ist. Das gilt für das Arbeitsleben, das gilt für die Sozialversicherung wie für den Arbeitsmarkt.
Dabei gehen wir von der Wahlfreiheit von Männern und Frauen aus. Wahlfreiheit muß allerdings bedeuten, daß Mann und Frau selber entscheiden, wie sie ihr Leben planen und gestalten, und zwar auch in der Verantwortung z. B. dem Kind gegenüber, das sie beide gewollt haben und für das sie die Verantwortung natürlich auch tragen. Diese Wahlfreiheit bedeutet die freie Entscheidung, wie sie ihr Leben planen und gestalten und wie sie ihre Aufgaben in Familie und Beruf untereinander aufteilen. Echte Wahlfreiheit besteht aber erst dann, wenn die Leistungen in Familie und Beruf als gleichwertig anerkannt werden. Ebenso entscheidend für die Wahlfreiheit ist die Gleichberechtigung der Frau im Arbeitsleben.
Wir haben in diesem Zusammenhang immer wieder eine Diskussion um das Pflichtjahr für Frauen gehabt, z. B. auch im Zusammenhang mit der Wehrpflicht oder Dienstpflicht für Männer. Ich möchte dazu ganz klar meine Meinung sagen. Man kann von den Frauen in der Bundesrepublik Deutschland in diesem Sinn gleiche Pflichten erst dann verlangen, wenn sie auch gleiche Rechte wie die Männer haben. Vorher, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist eine Diskussion über eine allgemeine Dienstpflicht nach meiner Auffassung politisch nicht möglich. Ein Dienst mit der Waffe kommt ohnehin nicht in Frage, weil ihn das Grundgesetz verboten hat.
Wichtige Voraussetzung für mehr Gleichberechtigung im Arbeitsleben ist natürlich die Erweiterung des Berufsspektrums von Mädchen und Frauen. Ich will hier nicht auf die Einzelheiten eingehen, weil ich mich auch an die Zeit halten will. Aber wir brauchen, wenn wir Gleichberechtigung für Frauen im Arbeitsleben realisieren wollen, dazu eine Wirtschaftsordnung, die mehr als bisher flexible Formen der Arbeitsorganisation anbietet, z. B. mehr Möglichkeiten der Arbeitsteilung im Sinne von Arbeitsplatzteilung auch zwischen Männern und Frauen. Ich bedanke mich hier noch einmal ausdrücklich für den Gesetzentwurf, den die Frauenvereinigung der CDU über das sogenannte Jobsharing, über die Arbeitsplatzteilung, als erste politische Gruppierung vorgelegt hat. Für Eltern, die sich vorübergehend ganz den Aufgaben in der Familie widmen wollen, müssen wir bessere Möglichkeiten anbieten, später wieder in den Beruf zurückzukehren.
Ich habe in meinem Ministerium den Auftrag gegeben, die Arbeiten, die schon jetzt im Gange waren, fortzusetzen und entsprechende Lösungsvorschläge vorzubereiten. Ich denke hierbei vor allem an die Aufgabe, Berufswelt und Familienleben während der Familienphase besser miteinander zu verbinden, an die Umschulung von Frauen zur Verbesserung ihrer Berufschancen bei der Einführung neuer Technologien.
Ich plädiere auch sehr dafür, daß die im Europäischen Sozialfonds für diese Aufgaben zur Verfügung stehenden Mittel nicht gestrichen werden, sondern sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in allen europäischen Ländern dafür zur Verfügung stehen, daß die Berufschancen der jungen Mädchen in Deutschland und Europa entscheidend verbessert werden können.
Mit der Umsetzung der Ergebnisse werden wir einen wichtigen Schritt in die Richtung auf mehr Wahlfreiheit und mehr Gleichberechtigung tun können. Aber ich möchte klar sagen: Eine wirkliche Gleichberechtigung haben wir erst erreicht, wenn die Hausfrau rechtlich und sozial nicht mehr diskriminiert, die berufstätige Mutter nicht generell als Rabenmutter beschimpft und der Vater, der sich der Aufgabe in der Familie und seinen Kindern widmet, nicht mehr mitleidig belächelt wird. Diese drei Voraussetzungen, meine ich, müßten auch ge-
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Bundesminister Dr. Geißler
sellschaftspolitisch im Bewußtsein der Bürger verändert werden.
Es ist ganz klar, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir den Zusammenhang zwischen der Jugendpolitik und der Familienpolitik sehen müssen. Die Probleme junger Menschen können dann besser gelöst werden, wenn die jungen Menschen in ihren ersten Jahren, in ihren entscheidenden Jahren in einer Familie aufwachsen, in der sie das erfahren und lernen, was sie sich später im Leben auch wünschen, was sie brauchen, um das Leben bestehen zu können, nämlich Wärme, Geborgenheit,
Liebe, Zusammenarbeit, Aufeinander-Eingehen, Rücksicht-Nehmen. Ich bin davon überzeugt, daß junge Menschen, die so etwas in der Familie lernen, selbstsicher werden und auf Grund dieser Selbstsicherheit auch mit dem späteren Leben besser fertig werden können
und im übrigen auch immuner gegen die Anfechtungen totalitärer Ideologien sind als andere Kinder, die wir auf Grund einer verfehlten Bildungs- und Familienpolitik zwingen, in sogenannten antiautoritären oder sonstigen gesellschaftlichen Einrichtungen erzogen zu werden. Davon bin ich überzeugt.
Jetzt lassen Sie mich noch etwas sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich habe es Ihnen beim letzten Male schon gesagt. Wenn ich das höre, was Sie hier vortragen, Sie als „Anwalt der kleinen Leute": Etwas Schlimmeres an Verdrehung der geschichtlichen Tatsachen
ist in der Parlamentsgeschichte der letzten 30 Jahre uns allen hier wohl kaum begegnet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe hier insgesamt — ich sage es noch einmal — 42 Gesetze, die in den letzten drei Jahren von der Sozialdemokratischen Partei, von einer Regierung, die von Ihnen getragen worden ist, verabschiedet worden sind: Herabsetzung der Übergangsbeihilfe für Soldaten auf Zeit — SPD; Einschränkungen beim Übergangsgeld für Schwerbehinderte — SPD;
Wegfall der Zuschüsse zur gesetzlichen Krankenversicherung — SPD; Reduzierung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für Wehr- und Zivildienstleistende
— SPD; Herabsetzung der Bundeszuschüsse zur Altershilfe für Landwirte
— SPD;
Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Mutterschaftsgeld
— SPD. Soll ich hier so weitermachen?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie bekommen hier eine Kumulation zustande — —
— Ich bin nur beschränkt in der Zeit, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Aber es ist überhaupt gar kein Problem. Wir werden das veröffentlichen, davon können Sie überzeugt sein.
Glauben Sie vielleicht, wir nehmen es unwidersprochen hin, daß Sie ein derart unwürdiges Theater hier aufführen?! Das können Sie von uns nicht erwarten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, da reden Sie von einer „Kampfansage an die Jugend"!
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn?
Es tut mir leid, Herr Präsident, ich kann keine Zwischenfrage annehmen, aber nicht deswegen, weil ich Ihnen, Herr Jahn, nicht antworten könnte, sondern weil ich gebeten worden bin, und zwar offenbar auf Ihre Anregung, pünktlich Schluß zu machen, weil sonst der Terminplan nicht eingehalten werden könnte. Wenn Sie damit einverstanden sind, daß ich fünf Minuten länger reden kann, beantworte ich Ihre Zusatzfrage.
Sie reden hier von der „Kampfansage an die Jugend", meine sehr verehrten Damen und Herren. Wissen Sie, was Sie machen? Sie machen eine Kampfansage an die Wahrhaftigkeit im politischen Leben. Das ist das, was Sie tun.
Was sollten wir eigentlich tun? Wir erben von Ihnen 50 Milliarden DM Defizit, schrauben es auf 42 Milliarden DM herunter und versuchen, Sparmaßnahmen durchzuführen.
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Bundesminister Dr. Geißler
Sie legten keine eigenen Vorschläge vor, wie dieses Defizit hätte bewältigt werden können. Sie haben keine Alternative, und deswegen sind Sie auch keine Alternative.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sind Leute, die nach ihrem Bankrott in der Politik jetzt einen hemmungslosen und wahrheitswidrigen Wahlkampf führen wollen.
Was hier festzustellen ist, das ist eine Kampfansage an die Wahrhaftigkeit.
Ich bin fest davon überzeugt,
Sie können hier Reden halten, wie Sie wollen — —
Herr Bundesminister, nicht die SPD-Fraktion, sondern das Haus hat einstimmig beschlossen, diese Debatte nicht über eine Stunde auszudehnen.
Herr Präsident, ich darf — —
Entschuldigen Sie bitte. Hören Sie mich an. Diese Stunde ist soeben abgelaufen. Es liegt ganz bei Ihnen, von Ihrem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch zu machen und jetzt weiter zu reden; nur, die Debatte zum Einzelplan 15 wird dann jetzt nicht beendet, sondern sie wird nach der Mittagspause fortgesetzt. Es liegt ganz bei Ihnen, wie Sie sich entscheiden.
Herr Präsident, darf ich noch einen Satz sagen? Ist die SPD damit einverstanden, einen Satz zum Schluß?
— Nein, ich halte mich an die — —
Die SPD ist eine großzügige Partei, nehme ich an; einen Satz wird sie Ihnen zugestehen.
Dr. Geißler, Bundesminiser für Jugend, Familie und Gesundheit: Herzlichen Dank. Dann darf ich diesen Satz zu Ende führen. Ich bin fest davon überzeugt, daß junge Menschen, die diese Debatte verfolgen, ganz sicher wie wir alle von dem beeindruckt sind,
was wir auch ihnen — auch ihnen — an Sparmaßnahmen zumuten. Davon bin ich überzeugt. Und sie sind betroffen, wie wir alle betroffen sind, weil wir dies nicht machen, weil uns dies Spaß macht, sondern weil wir hier einen Etat verabschieden wollen,
der die Basis dafür bedeutet, daß wir wieder Boden unter die Füße bekommen. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, junge Menschen werden sehr wohl sehen und beobachten, wie hier geredet wird und was hier geredet wird.
Wir sagen ihnen vor der Wahl die Wahrheit,
vor der Wahl, und machen nicht das Gegenteil, nämlich das, was Sie getan haben, indem Sie vor der Wahl das Gegenteil von dem gesagt haben, was Sie hinterher getan haben. Und weil wir vor der Wahl die Wahrheit sagen, werden wir auch das Vertrauen der jungen Menschen gewinnen.
Meine Damen und Herren, weitere Redner sind für diese Aussprache nicht gemeldet. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15, Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Wer dem Einzelplan 15 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Wer enthält sich? — Einzelplan 15 ist angenommen.
Ich rufe jetzt Art. 12 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 auf, verzeichnet auf der Drucksache 9/2283, zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Vorschriften sind angenommen.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung zwischen den Parteien — zwischen allen — soll die Mittagspause verkürzt werden.
Wir treten jetzt in eine Mittagspause ein; der Deutsche Bundestag tritt um 14 Uhr wieder zusammen.
— Wenn Sie mich meinen, Herr Abgeordneter Wehner,
ich nehme das nicht zur Kenntnis, und ich reagiere auch nicht darauf. Ich habe hier nur etwas bekanntgegeben, was alle Parteien — auch Ihre Partei mit — vereinbart haben, und Sie werden mir wohl zugestehen, daß ich das muß.
(Unterbrechung von 13.38 Uhr bis 14.30
Uhr)
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
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Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes
— Drucksache 9/2124 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 9/2329 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Topmann Dr. Rose
bb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksachen 9/2293, 9/2333 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Jaunich Sauer
Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes
— Drucksache 9/2064 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 9/2329 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Topmann Dr. Rose
bb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 9/2293, 9/2333 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Jaunich Sauer
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte und eine Aussprache von 90 Minuten vorgesehen. Darf ich davon ausgehen, daß das Haus damit einverstanden ist? — Ich stelle Ihr Einvernehmen fest.
Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Damit eröffne ich die Aussprache. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dallmeyer, dem ich gleichzeitig zu seinem heutigen 40. Geburtstag gratuliere.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich sehr herzlich für die freundlichen Glückwünsche. Ich fürchte allerdings, daß das die einzige Gelegenheit ist, bei der wir ungeteilter Meinung sind. Es wäre für mich natürlich ein besonderer Geburtstag, wenn wir gemeinsam eine Entscheidung treffen könnten. Aber ich fürchte, auch das wird nicht möglich sein.
Ich bedaure das.
Ich komme aber jetzt zu dem Gegenstand, mit dem wir es zu tun haben. Ich möchte zu den vorliegenden Gesetzentwürfen aus der Sicht der Landesverteidigung Stellung nehmen und die Bedeutung dieser beiden Gesetze beleuchten, weil ich meine, daß ein innerer Zusammenhang besteht, der nicht aufgelöst werden kann.
In der Einbringungsdebatte hat das Wort „durchpeitschen" eine Rolle gespielt.
— Ich höre jetzt von der SPD auch den Zuruf, daß das zu Recht so bezeichnet worden ist. — Dabei weiß jeder informierte Bürger, daß wir in diesem Hause seit zwölf Jahren nicht in der Lage waren — weder Regierung noch Parlament —, eine befriedigende Regelung herbeizuführen.
Deshalb kann man nicht mehr von „durchpeitschen" sprechen, sondern seit langer Zeit besteht ein großer Handlungsbedarf. Gerade unseren jungen Mitbürgern gegenüber ist das notwendig.
Um den Beweis nicht schuldig zu bleiben, gestatten Sie mir, daß ich an dieser Stelle ein Zitat in die Debatte einführe. Am 2. Juni 1970 sagte der damalige Bundesverteidigungsminister Schmidt folgendes:
Zur Wehrgerechtigkeit gehört weiter, daß für die Kriegsdienstverweigerer der Ersatzdienst funktioniert. Mein Kollege Bundesminister Arendt
— der war das damals —
ist dabei, den Ersatzdienst so auszubauen, daß Wehrdienstverweigerer in Zukunft keine größere statistische Chance haben, an einer Dienstleistung vorbeizukommen, als die restlichen 99% der Wehrpflichtigen.
12 Jahre ist das her, meine Damen und Herren, und bis heute besteht der unbefriedigende Zustand, daß wehrpflichtige Soldaten ihren Dienst antreten müssen, und sie müssen mit schwerer Strafe rech-
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Dallmeyer
nen, wenn sie es nicht tun. Andererseits können diejenigen, die das unbefriedigende Gesetz der Vergangenheit nutzen, damit rechnen, daß sie mit großer Wahrscheinlichkeit überhaupt nicht herangezogen werden und überhaupt keinen Dienst leisten müssen.
Ich muß Ihnen sagen, meine Damen und Herren: Wenn Sie das nicht als unbefriedigend empfinden, haben Sie die Schwierigkeiten, die daraus entstehen, bis zum heutigen Tage nicht begriffen. Deshalb muß ich Ihnen sagen, daß Sie offensichtlich nicht bereit sind, dieses Problem wirklich zu lösen.
Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Schröder möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?
Ich darf vielleicht diesen Satz zu Ende ausführen. Zu Ihrem Hinweis darauf, daß Sie einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt haben, muß ich Ihnen sagen: Er weist denselben Mangel auf wie alle Vorläufer, die Sie in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung eingebracht haben. Sie waren nämlich unfähig, einen Kompromiß zu finden, der in diesem Hause mehrheitsfähig war. Das gehört auch mit zur politischen Entscheidungskraft und Handlungsfähigkeit.
Herr Abgeordneter, sind Sie mit einer Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schröder einverstanden?
Bitte sehr.
Herr Abgeordneter Schröder.
Herr Kollege Dallmeyer, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß erstens jegliche Veränderung, insbesondere die Abschaffung des Prüfungsverfahrens für Kriegsdienstverweigerer, daran gescheitert ist, daß Sie im Bundesrat eine Mehrheit hatten und haben und nicht bereit waren zuzustimmen? Sind Sie bereit zuzugeben, daß zweitens das, was Sie hier zur Begründung sagen, nämlich daß es zu wenig Plätze gebe, schlicht falsch ist, weil es gegenwärtig einen Überhang an Zivildienstplätzen und keinen Mangel gibt?
Im Hinblick auf die Kürze der Zeit möchte ich nur diese Zwischenfrage beantworten. Ich will damit auch deutlich machen, daß ich bereit bin, ansonsten Zwischenfragen zuzulassen, aber die Zeit ist sehr kurz.
Als Antwort dazu: Sie wissen genausogut wie ich, daß die intern vereinbarten Kompromisse in Ihrer Fraktion selber gescheitert sind, weil man nicht bereit war, einer Verlängerung zuzustimmen, wie sie jetzt in Ihrem eigenen Gesetzentwurf steht.
— Sie wissen genau, daß das stimmt, was ich hier sage. Wir kommen darauf in der öffentlichen Debatte zurück.
Es ist richtig, wenn Sie sagen: Es sind nicht alle Plätze besetzt. Aber gleichzeitig befinden sich 90 000 Antragsteller im Verfahrensstau, und viele von ihnen werden nicht herangezogen, weil in der Zwischenzeit die Zeit abläuft, die dafür vorgesehen ist, nämlich das 28. Lebensjahr. Sie leisten dann weder den einen noch den anderen Dienst.
Meine Damen und Herren, das ist eine ungerechte Behandlung unserer wehrpflichtigen Soldaten.
Mein Vorwurf ist, daß Sie nicht in der Lage waren, ein Gesetz vorzulegen, das das Problem löst. Jedenfalls haben Sie keine Kompromisse gefunden, die dazu beigetragen hätten, hier Mehrheiten im Hause zu bilden.
Die Regierungsparteien und die Bundesregierung sind bereit, das Problem anzugehen und zu lösen.
Ich sage ganz deutlich, meine Damen und Herren: Es geht nicht nur um die Frage, ob wir eine gerechte und vollständige Lösung für diejenigen finden, die Art. 4 des Grundgesetzes in Anspruch nehmen wollen. Es geht auch darum, daß wir denjenigen Gerechtigkeit widerfahren lassen, die mit dazu beitragen, daß dieses besondere Recht unserer Verfassung geschützt und nicht verletzt wird.
— Wenn Sie sagen „Machen Sie keinen Wind!", will ich Ihnen sagen, daß in derselben Zeit, da 90 000 im Verfahrensstau sind, 250 000 Wehrpflichtige ihren Dienst leisten, um jene zu schützen, die dieses Recht in Anspruch nehmen!
Sie, die Wehrpflichtigen, werden nach dem Paragraphen herangezogen.
— Sie haben offensichtlich immer noch nicht verstanden,
daß die wehrpflichtigen Soldaten — das sage ich
aus meiner persönlichen Erfahrung — seit Anfang
der 70er Jahre uns, die Vorgesetzten fragen: Warum
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sind die Parlamentarier nicht in der Lage, eine gerechte Lösung herbeizuführen?
Sie sind unfähig gewesen, einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen.
— Ich habe das eben ausgeführt, Herr Kollege Berger. Nicht einmal eine Mehrheit in den eigenen Reihen hat die SPD herbeiführen können, um dieses Gesetz zu schaffen.
Meine Damen und Herren, wenn man über die Gesetze spricht, die hier heute vorliegen, dann muß man auch daran erinnern, daß es natürlich mit zu unserer Verantwortung gehört, die Gewissensentscheidung einzelner zu achten. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß auch nach dem Verfassungsgerichtsurteil die Wehrpflicht Vorrang hat vor dem besonderen Recht einzelner.
— Sie machen hier an dieser Stelle Zwischenrufe. Wir verlangen alle zusammen — alle Parteien in diesem Hause — Gesetzesgehorsam gegenüber der allgemeinen Wehrpflicht und berufen jedes Jahr Wehrpflichtige ein, um dieser Pflicht zu genügen. Mir ist kein Initiativantrag — etwa der SPD — bekannt, die allgemeine Wehrpflicht abzuschaffen. Dann dürfen wir sie auch nicht moralisch untergraben.
Dann müssen wir die Wehrpflicht auch stützen. Wir müssen den Soldaten in dieser besonderen Situation helfen.
Wenn wir die Gleichrangigkeit herstellen, was manche von Ihnen wollen — —
— Das stimmt! Manche von Ihnen wollen das, und das bin ich auch bereit zu belegen. Manche von Ihnen wollen eine Gleichrangigkeit zwischen den Aufgaben sehen.
Wenn Sie das zulassen, meine Damen und Herren von der SPD, dann schaffen Sie im Grunde die allgemeine Wehrpflicht ab. Und dazu müssen Sie etwas sagen.
Ich habe nur noch wenige Minuten Zeit und möchte mich jetzt an die Bundesregierung wenden.
— Meine Damen und Herren von der SPD, glauben Sie doch nicht, daß Sie Ernsthaftigkeit und Moral gepachtet haben.
Auch wir haben in unserer Partei um dieses Gesetz gerungen. Nächtelang haben wir darum gestritten. Aber wir haben einen Kompromiß gefunden. Das unterscheidet uns von Ihnen.
Ich wende mich an die beiden Bundesminister, die hier besondere Verantwortung tragen. Herr Familienminister, wir erwarten von Ihnen, daß Sie die Zusagen einhalten: Alle, die den Ersatzdienst leisten sollen und anerkannt sind, müssen auch tatsächlich zu diesem Dienst herangezogen werden, damit es zu einer gleichmäßigen Belastung kommt.
Und Sie, Herr Verteidigungsminister, bitten wir, darauf zu achten, diesen ersten Schritt zur Herstellung der Wehrgerechtigkeit nicht als einzelnen Schritt stehenzulassen, sondern Ihrerseits dazu beizutragen, daß eine schlimme Fehlentwicklung in der nächsten Legislaturperiode endlich beendet wird, nämlich daß es eine Ungleichbehandlung der jungen Bürger in unserem Lande gibt. Wir bitten Sie, die Wehrgerechtigkeit in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen — eine große und wichtige Aufgabe.
Ich glaube, meine Damen und Herren, daß wir mit diesem Gesetzentwurf, den wir vorlegen und der sicher für den Geschmack des einzelnen in einigen Punkten auch hätte anders sein können, bewiesen haben, daß die Parteien, die die Regierung tragen, und die Regierung selbst handlungsfähig sind. Wie in den unterschiedlichsten Bereichen in den letzten Tagen beweisen wir auch hier Handlungsfähigkeit.
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Damit wird es möglich, daß wir wieder Vertrauen in die Politik gewinnen. Das ist dringend notwendig in unserem Land.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Hauck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor meine Kollegen Gilges und Jaunich zu Einzelheiten unseres Gesetzentwurfes Stellung nehmen, gestatten Sie mir bitte einige grundsätzliche Bemerkungen. Für mich ist es immer beklemmend und bedrückend zugleich, ansehen zu müssen, wie der hohe Anspruch und die sittlich- moralische Verpflichtung unserer Verfassungsväter in der tagespolitischen Auseinandersetzung unterzugehen drohen. Es war schon eine großartige Leistung, 1948/49 — nur wenige Jahre nach den schrecklichen Ergebnissen der Diktatur — das Recht auf Kriegsdienstverweigerung als Grundrecht in das Grundgesetz aufzunehmen.
— Ich kann's doch mal feststellen!
In Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes heißt es: Niemand darf gegen sein Gewissen
zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Die Aussage ist klar. Schwierigkeiten bereitete in der Vergangenheit und bereitet in der Gegenwart der letzte Satz: „Das Nähere regelt ein Bundesgesetz".
Alle Versuche, die Inanspruchnahme dieses Grundrechts gesetzlich zu regeln, führten von Anfang an bis heute zu Schwierigkeiten und zum Teil zu heftigen Auseinandersetzungen. Erstmals wurde das 1955/56 bei der Diskussion des Freiwilligengesetzes und des Wehrpflichtgesetzes deutlich. Schon bei der Diskussion des Freiwilligengesetzes am 28. Juni 1955 hat unser verehrter Kollege Adolf Arndt, der zwischenzeitlich verstorben ist, gegen Vorhaben und Vorstellungen der CDU/CSU leidenschaftlich gekämpft und klargestellt, daß Kriegsdienstverweigerung ein Grundrecht ist, nicht ein „minderes" Grundrecht, wie manche meinen.
Seine Worte von damals könnten heute gesprochen werden, weil die Diskussionslage fast gleich ist. Arndt sagte:
In öffentlichen Vorträgen hat man die eigenartige und ungeheuer folgenreiche Unterscheidung gemacht, daß der Staat die Kriegsdienstverweigerer nicht billige, sondern nur achte und toleriere. Ich sehe nicht,
— sagt Arndt —
wie und wodurch dieser spitzfindige Unterschied aus dem Grundgesetz gerechtfertigt werden könnte. Dieser Unterschied ist erdacht, um von vornherein den Kriegsdienstverweigerer moralisch an die Wand zu stellen, ihn auszusondern und ihm Lasten aufzubürden, die ihn benachteiligen.
Im Gefolge dieser Unterscheidung erscheint alsbald die Unterstellung, daß jeder Kriegsdienstverweigerer die Vermutung der Feigheit, der Drückebergerei und der Unwahrhaftigkeit gegen sich habe. Er seinerseits soll deshalb beweispflichtig werden, daß er überhaupt ein Gewissen besitze und ein anständiger Mensch sei. Er, der Kriegsdienstverweigerer seinerseits, schuldet deshalb, wie man sagt, die Probe der Echtheit.
So weit Adolf Arndt 1955. Diese Darlegung trifft auch die gegenwärtige Situation.
Bei der Verabschiedung des Wehrpflichtgesetzes 1956 hat dann neben Adolf Arndt auch Peter Nellen, damals CDU/CSU, in bewegenden Worten dargestellt, daß Gewissen — er sprach damals von der Majestät des Gewissens — von Menschen nicht nachprüfbar sei.
— Ich zitiere doch nur einen unserer Kollegen; das kann man doch wohl noch machen. — Adolf Arndt ergänzte, als er feststellte, daß der Staat nicht Herr über das Gewissen ist und es keine Stellvertretung im Gewissen gibt, auch nicht in politischen Fragen.
Diese Diskussion zieht sich durch die letzten 25 Jahre. Die sozialliberale Koalition hat dann 1977 das Prüfungsverfahren abgeschafft, um diese Auseinandersetzung zu beenden. Sie wissen, daß diese als sogenannte „Postkarten-Regelung" abgestempelte Lösung vor dem Bundesverfassungsgericht nicht Bestand hatte. Aber die Karlsruher Entscheidung wurde nicht damit begründet, daß das Verfahren wegfiel, sondern in erster Linie damit, daß zu wenig Zivildienstplätze zur Verfügung stünden und somit nicht gewährleistet sei, daß alle Verweigerer zum Zivildienst herangezogen würden.
— Jawohl; das weiß ich.
Ungleichgewicht in der Wehrgerechtigkeit und Formfragen, z. B. das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates, waren die bestimmenden Gründe des Urteils vom 13. Mai 1978.
Unbestreitbar ist, Herr Kollege Hartmann, dennoch, daß dieses Urteil dem Gesetzgeber Vorgaben gemacht hat, innerhalb welcher Grenzen seine gesetzgeberischen Möglichkeiten liegen.
Damit geriet diese für die junge Generation wichtige Frage erneut in den Parteienstreit. Als 1980 eine Gesetzesvorlage im Bundestag scheiterte und damit das Unvermögen, dieses Problem einvernehmlich zu lösen, sichtbar wurde, breitete sich Enttäuschung nicht nur bei den Betroffenen aus.
— Als Jurist wissen Sie, daß man das mit „Unvermögen, eine einheitliche Regelung zu schaffen" umschreiben kann.
Die Verwirklichung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung bekam für viele junge Menschen einen besonders hohen Stellenwert. Die EnqueteKommission „Jugendprotest im demokratischen Staat", der ich angehöre, befaßte sich mehrmals mit dem Problem der Regelung der Kriegsdienstverweigerung. Die von ihr befragten Jugendlichen haben die zur Zeit gültige Regelung heftig kritisiert. Auch in der von der Kommission in Auftrag gegebenen Prognos-Studie kommt zum Ausdruck, wie stark das Verhältnis der Jugendlichen zum Staat gerade von dieser Frage beeinflußt wird. Sie sehen hier einen wichtigen Punkt des Grundgesetzes nicht verwirklicht.
In der Kommission hat es eine längere Diskussion über die konkrete Formulierung der Kommissionsmeinung im Zwischenbericht gegeben. Sie lautete dann wie folgt:
Die Kommission erwartet, daß sich die Parteien darauf einigen, das Prüfungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer abzuschaffen und entsprechend den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts die Dauer des Zivildienstes angemessen zu verlängern.
Dann kommt eine Auslassung über die Einziehung zum Zivildienst. Dann weiter:
Der CSU-Abgeordnete Sauter stimmt nur unter dem Vorbehalt zu, daß er sich nur für die Abschaffung des zur Zeit gültigen Prüfungsverfahrens ausspricht.
Das war eine korrekte Haltung, die er bis heute durchgehalten hat.
Zwar kann die Kommission feststellen, daß es erfreulich ist, daß in den letzten Wochen zwei Gesetzesanträge dem Parlament vorliegen. Die Sozialdemokraten sehen sich aber enttäuscht, weil sie dieser auslegungsfähigen Formulierung der Kommissionsmeinung nur zugestimmt haben, um einheitlich Druck auf die Parteien auszuüben, um zu einer einvernehmlichen Regelung zu kommen. Dieses Entgegenkommen sehe ich für mich persönlich durch das jetzt zur Verabschiedung stehende Gesetz schlecht belohnt.
Nur eine Regelung, die sich an den Prinzipien des Gesetzentwurfs meiner Fraktion orientiert, kann im Sinn des Vorschlags der Enquete-Kommission liegen.
— Ich habe meine persönliche Meinung gesagt.
Verwirklicht wird eindeutig die Minderheitsmeinung des Abgeordneten Sauter. Die CSU hat sich also durchgesetzt. Das ist j a auch das Problem der CDU und der FDP.
Ja, die FDP-Kollegen haben es wirklich sehr schwer.
Schon die Anhörung hat dies gezeigt. 90% der Sachverständigen und der Verbände — bei diesen nur der Bundeswehrverband und die christlichen Gewerkschaften nicht — haben den Koalitionsentwurf abgelehnt.
Dazu spricht dann der Kollege Jaunich.
Haupteinwände waren verfassungsrechtliche Bedenken — die Feststellung, daß das Prüfungsverfahren nicht abgeschafft wird —, die Veränderungen im Zivildienst, die Verlängerung und Verschärfung, die besonders von den Betroffenen und den Trägern des Zivildienstes abgelehnt wurden. Die Kirchen, die schon immer für die Abschaffung des Prüfungsverfahrens waren,
forderten die Fraktionen auf, doch noch einen breiten Konsens im Parlament zu finden. Wir wären bereit gewesen, unseren Entwurf zurückzuziehen, wenn man sich dann zusammengesetzt hätte, um einen Konsens zu erzielen.
Fast alle Beteiligten hielten es für ausgeschlossen, daß man 48 Stunden später dieses Gesetz im Ausschuß verabschieden könne. Man vertrat fast einvernehmlich den Standpunkt, daß es besser sei, das bisherige Recht noch eine kurze Zeit beizubehalten, als in Eile und Hast diese mit großen Mängeln behaftete Vorlage zu verabschieden.
Dabei wies man besonders darauf hin, daß das Inkrafttreten erst zum 1. Januar 1984 vorgesehen sei
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Hauck
und auch nur eine zweieinhalbjährige Gültigkeit vorgesehen sei. Es half aber alles nichts. Am Freitag, dem 10. Dezember, wurde rigoros abgestimmt. Für 10 Uhr war schon am Vorabend eine Pressekonferenz anberaumt worden, so daß es so erscheinen konnte, als ob auch der Abstimmungszeitraum — von Beratung konnte gar nicht die Rede sein — auf eine Stunde begrenzt sei.
Zwar versuchte die Koalition, durch einige Änderungen den Aussagen im Rahmen der Anhörung Rechnung zu tragen; wir sind jedoch der Meinung, daß es sich vorwiegend um kosmetische Änderungen handelt, durch die die gravierenden Mängel des Gesetzes nicht ausgeräumt wurden.
Das beweist auch die Tatsache, daß in der Presseerklärung vom 10. Dezember 1982, 10 Uhr, kein Wort darüber steht, wie den im Anhörungsverfahren vorgetragenen Bedenken und Anregungen Rechnung getragen wurde.
Mit diesem Gesetz wollen Sie einen Kraftakt vollbringen, um Geschlossenheit und Gestaltungskraft zu beweisen. Sie vollziehen es rücksichtslos auf dem Rücken junger Menschen.
Noch nie habe ich in den letzten zwölf Jahren eine Anhörung erlebt, in der eine Gesetzesvorlage so einhellig abgelehnt wurde.
— Bei der Sozialhilfe war es genauso. Da haben Sie recht.
Dabei ging es diesmal nicht — wie meistens — um materielle, strukturelle oder organisatorische Einschnitte in die Gesellschaft. Nein, diesmal ging es schlicht und einfach um die Inanspruchnahme eines Grundrechtes.
Wir Sozialdemokraten haben uns in Kiel zur Wehrpflicht und zur Kriegsdienstverweigerung klar geäußert. In unserer Kieler Erklärung heißt es: Wir bejahen den Beitrag der Bundeswehr zur gemeinsamen westlichen Verteidigung, halten fest an der allgemeinen Wehrpflicht und fordern die Abschaffung des Prüfungsverfahrens und eine Verlängerung des Zivildienstes nur im engsten Rahmen der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes. — So haben wir uns geäußert.
— Bei unseren Appellen sind wir auch einstimmig, weil wir vorher diskutiert haben.
Lassen Sie mich bitte an dieser Stelle etwas Nachdenkenswertes sagen. Wenn es stimmt, daß wehrpflichtige Soldaten und Zivildienstleistende einen Friedensdienst leisten, dann können wir es nicht zulassen, daß durch eine unqualifizierte Diskussion beide Dienste zunehmend ins Zwielicht geraten.
In beiden Bereichen gibt es unterschiedliche Dienstposten und Einsatzstellen. Ich respektiere, anerkenne und achte jeden jungen Soldaten in einem Einsatzstab, im Manöver oder in der Grundausbildung. Für die so oft angeführte „Gammelei" ist ja nicht er verantwortlich. In dieser Hinsicht müssen sich andere etwas einfallen lassen.
Den gleichen Respekt und die gleiche Achtung bringe ich dem jungen Zivildienstleistenden entgegen, der in Bethel Dienst leistet, ambulant Schwerstbehinderte betreut oder in einer anderen sozialen Einrichtung eingesetzt ist.
Auch hier gilt, daß über besonders bequeme Dienstposten die Verantwortlichen und nicht der Zivildienstleistende nachdenken müssen.
Meine Damen und Herren, bei der Regelung des Rechtes auf Kriegsdienstverweigerung geht es um eine existentielle Frage und Sorge der jungen Generation. An der glaubwürdigen Lösung dieser Frage sind Millionen junger Bürger — auch jene, die Wehrpflicht ableisten — interessiert. Sie messen die Stärke unserer Demokratie und die Glaubwürdigkeit der Parteien daran, wie es uns gelingt, einer Minderheit die Inanspruchnahme eines Grundrechtes zu ermöglichen,
und zwar ohne eine Gewissensprüfung und ohne als bestrafend empfundene Erschwernisse.
Die Vorlage der Koalition entspricht diesen Erfordernissen nicht. Daher lehnen wir sie ab.
Die Koalition will Handlungsfähigkeit und Stärke demonstrieren, erreicht dabei aber geradezu das Gegenteil. Sie lösen mit diesem Zeitgesetz, das ohne Zeit beraten wurde, nicht ein dringendes Problem unserer Gesellschaft, sondern vollführen einen Kraftakt, um die tiefgreifenden Unterschiede zwischen CDU, CSU und FDP zu verschleiern.
Die Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" wollte mit ihrer Empfehlung erreichen, daß Konflikt- und Protestpotential abgebaut wird.
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Hauck
Sie verlagern das Problem nur und schaffen neue Konfliktfelder.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Kroll-Schlüter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir stimmen mit dem Kollegen Hauck in der Feststellung überein: Beide Dienste sind zu achten, beide Dienste finden unsere Anerkennung, das Ausspielen des einen gegen den anderen hat keinen Sinn.
Deswegen und aus anderen Gründen ist es erstrebenswert, daß wir eine sehr sachliche Debatte führen, Polemik hintanstellen und versuchen, das Beste im Interesse der Anerkennung beider Dienste gesetzlich zu regeln.
Was bisher war, ist nach übereinstimmender Auffassung dieses Hohen Hauses unbefriedigend, eine neue Regelung wird seit langem angestrebt.
Wir haben zu Beginn dieses Jahres unsere Bereitschaft erklärt, an einer neuen Regelung mitzuwirken. Wir haben die damalige Bundesregierung gebeten, einen Entwurf vorzulegen. Dies ist nicht geschehen. Wir haben auch unsere Bereitschaft zum Kompromiß erklärt. Um so bedauerlicher ist es, daß sich nunmehr die SPD-Fraktion nicht in der Lage sieht, bei einer Differenz von 19 zu 20 Monaten einen Kompromiß mit uns gemeinsam zu erzielen.
Bei der Erarbeitung des vorliegenden Gesetzentwurfes zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes sahen wir es als unsere Pflicht an, das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes unbedingt zu wahren und die Anerkennung von Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen sicherzustellen, sogleich aber auch die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht nicht zu gefährden. Darin sind wir uns auch einig.
Im übrigen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, werde ich in der Folge jetzt nur noch von Wehrdienstverweigerung sprechen. Bis jetzt habe ich von Kriegsdienstverweigerung gesprochen. Das ist sozusagen die Überschrift über dem Gesetz. In der Sache meinen wir die Verweigerung des Wehrdienstes.
Parlament und Regierung haben seinerzeit beschlossen, Streitkräfte auf der Basis der allgemeinen Wehrpflicht der Männer aufzustellen. Aufgabe der Bundeswehr ist die Erhaltung des Friedens in Freiheit durch Abschreckung und die Verteidigung mit der Waffe, wenn der Frieden durch Angreifer gebrochen werden sollte. Das Grundgesetz hat diesem Gedanken Rechnung getragen, enthält einen entsprechenden Artikel und die verfassungsmäßige Forderung nach Aufstellung von Streitkräften, beschränkt diese Streitkräfte aber ausdrücklich auf die Verteidigung. Um Frieden zu erhalten, bedarf es großer Anstrengungen. Vor allem muß der Frieden wachsen in den Herzen der Menschen, in den Häusern, in unseren Familien, vor unseren Türen. Es ist wichtig, dies auch in diesem Augenblick zu unterstreichen. Jeder kann an seinem Platz etwas für den Frieden tun, der Bundeswehrsoldat und derjenige, der im zivilen Ersatzdienst tätig ist.
Jahrelang, Herr Hauck, wurde die ethische Gleichwertigkeit des Friedensdienstes mit der Waffe und des Friedensdienstes ohne Waffe, so sage ich jetzt einmal, nicht in Frage gestellt, auch hier nicht, ich denke, auch heute nicht. Aber wir müssen doch zugeben, daß man immer häufiger den Eindruck gewinnt, daß die Wehrdienstverweigerung als die ethisch wertvollere, für viele sogar als die ethisch allein vertretbare Entscheidung gilt. Das muß einmal ohne Polemik gesagt werden.
Man muß sich auch fragen, wie es eigentlich zu dem ständig sinkenden Ansehen der Bundeswehr gekommen ist. Sie haben einen Punkt genannt, den Sie allerdings an die Kollegen Apel und seine Vorgänger richten sollten. Der Kollege Würzbach hat soeben in einem Zwischenruf deutlich gemacht: Das werden wir ändern. Wir müssen auch das Umfeld der Anerkennung und des Ansehens der Bundeswehr ändern, verbessern, stärken, anheben, damit in dieser Frage eine richtige Wertung — ich will nicht sagen, Gesinnung, aber eine richtige Wertung — Platz greift.
Nicht selten laufen Diskussionen darauf hinaus, daß behauptet wird: Wehrdienstverweigerer unterscheiden sich von Soldaten dadurch, daß sie nicht bereit sind, zu töten. — Ich meine, so einfach kann man es sich nicht machen. Der Soldat will nicht töten. Der Soldat will verteidigen, den Frieden in Freiheit verteidigen.
Auch dies muß man sagen: Zu oft wird übersehen, daß der Wehrdienst vom Wehrpflichtigen die Bereitschaft verlangt, im Verteidigungsfall sein eige-
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Kroll-Schlüter
nes Leben zum Schutz der Gemeinschaft einzusetzen.
— Ja, nicht nur im Verteidigungsfall, und das wird von ihm auch dann verlangt, wenn er diesen Dienst nicht freiwillig tut, sondern vom Gesetzgeber dazu gerufen wird. Also ist dieser Dienst in der Bundeswehr auch Dienst für die Gewissensfreiheit.
Es darf nicht übersehen werden, daß es keine Freiheit der Wahl zwischen Wehrdienst und zivilem Ersatzdienst gibt.
— Gut, dann lassen Sie uns das gemeinsam festhalten, vielleicht auch die Begründung: Der Wehrdienst ist nach dem Grundgesetz die erstrangige Dienstpflicht. Der zivile Ersatzdienst ist allein aus Gewissensgründen gerechtfertigt. Daß die Gewissensfreiheit ein hohes Gut, ein unantastbares Gut ist, können wir in diesem Hohen Hause auch gemeinsam feststellen.
Wir respektieren also die Wehrdienstverweigerer, die die Voraussetzungen erfüllen, die sowohl das Grundgesetz als auch das Bundesverfassungsgericht meinen. Das ist in unserem Entwurf auch enthalten.
Die Verweigerung des Wehrdienstes muß auf Gewissensgründen beruhen; sie darf nicht durch die Hoffnung auf eine geringere Belastung oder gar auf eine Freistellung von persönlichen Opfern motoviert sein.
Auch eine situationsabhängige Wehrdienstverweigerung darf es nicht geben. Der Verweigerer muß sich mit sich selbst und seiner Gemeinschaft auseinandersetzen und sich selbst die Antwort auf die Frage geben, ob er tatsächlich in jedem Fall auf die Anwendung von Waffen verzichtet und ob er in jedem Fall bereit ist, alle sich daraus möglicherweise ergebenden Konsequenzen zu ziehen.
Wer diese Frage ehrlich mit Ja beantworten kann und dann den Wehrdienst verweigert, der muß anerkannt werden, der wird nach unserem Gesetzentwurf anerkannt, und der verdient für seine Entscheidung unseren Respekt. Wir alle müssen uns immer wieder eines klarmachen: Recht und Pflicht bedingen sich gegenseitig.
— Herr Kollege Jaunich, wenn Sie „Beschwörung" rufen, sage ich Ihnen: Sie dürfen uns abnehmen, daß wir in den vergangenen Jahren nicht nur jeweils vordergründig oder irgendwie situationsbedingt unsere Bereitschaft zur Mitareit an einer besseren Regelung geäußert haben; Sie dürfen und sollten auch annehmen, daß wir es uns bei diesem Entwurf nicht nur nicht leichtgemacht haben, sondern uns auch gewissenhaft erforscht haben, ob
dies wirklich eine bessere Regelung ist. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen: Jawohl, es ist eine bessere Regelung.
— Nehmen Sie uns das doch wenigstens ab
und sagen Sie in der Sache, wo Sie anderer Meinung sind. 19 oder 20 Monate, das genügt allemal nicht.
Recht und Pflicht bedingen sich gegenseitig. Das Grundgesetz verpflichtet zum Wehrdienst und berechtigt zum zivilen Ersatzdienst. Wer seine Pflichten nicht anerkennt, wird langfristig auch seine Rechte nicht bewahren können. Wenn nicht seit Jahren viele junge Männer in unserem Lande ihre Pflicht in der Bundeswehr erfüllt hätten, wäre es sehr zweifelhaft, ob vom Grundrecht des Art. 4 bis zum heutigen Tage freier Gebrauch gemacht werden könnte.
Darum schwächt der, der die allgemeine Wehrpflicht aushöhlen will, auch das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen.
— Dann sind wir uns auch in diesem Punkt wieder einig. Ich stelle immer mehr Gemeinsamkeiten fest, und ich sehe schon kommen, daß Sie am Ende in namentlicher Abstimmung unserem Entwurf noch zustimmen werden.
Denn ich begründe ja nicht Ihren Entwurf, sondern ich begründe unseren Entwurf. Wenn ich meine Kollegen recht verstehe, ist die Begründung bis jetzt auch hieb- und stichfest.
Wir wehren uns entschieden gegen eine Diffamierung der Wehrdienstverweigerung. Wir wehren uns aber auch entschieden gegen ihre Idealisierung.
Es muß verhindert werden, daß junge Menschen, die sich für die Bundeswehr entschieden haben, moralisch angegriffen werden oder daß ihre moralische Legitimation in Zweifel gezogen wird.
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Kroll-Schlüter
Wir dürfen einem Soldaten ebensowenig wie einem Zivildienstleistenden, der aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigert, seine Bereitschaft, sich für den Frieden einzusetzen, absprechen.
Gleiche Rechte, gleiche Pflichten — dies ist der richtige Weg zu mehr Gerechtigkeit.
Der von uns, von der Koalition, vorgelegte Gesetzentwurf bietet dazu die Chance. Die jetzige Regelung — ich wiederhole es — soll abgelöst werden. Wir legen eine bessere vor. Ich habe eine Bitte an Sie, Herr Kollege Hauck, und an Ihre Kolleginnen und Kollegen: Auch die jetzige Regelung hat schon einmal besser funktioniert als in den vergangenen Jahren und in den jüngsten Tagen. Bei der heutigen Gesetzeslage gab es nicht immer eine so hohe Quote der Verweigerung.
Erst als so vieles in Zweifel gezogen wurde, erst als Fragwürdiges zur Ablösung des jetzigen Verfahrens auf den Weg gebracht wurde; erst als auch das jetzige Verfahren total abgelehnt wurde, das ganz so schlecht nicht ist — sonst hätten ja viele in der Anhörung nicht gesagt: Das ist uns im Grunde noch lieber als das, was ihr vorschlagt —, kam es zu steigender Ablehnung.
— Passen Sie auf. — Wenn das richtig ist, und wenn Sie dem zustimmen, Herr Jaunich, dann durften Sie das bisherige Verfahren in den vergangenen Jahren auch nicht so diffamieren.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Deswegen möchte ich im letzten Satz folgende Bitte äußern: Seien Sie bitte bereit, unseren besten Willen, unsere besten Absichten und unsere aufrichtige Arbeit in diesem Gesetz zu erkennen!
Wenn der Entwurf Gesetz werden sollte, dann sollten Sie bereit sein, es mit klarer Kritik und mit gutem Willen zu begleiten, damit aus einer guten Absicht auch eine gute Sache werden kann; sie sollte nicht unnötig zerredet werden. Sie sind aufgerufen, auch dazu beizutragen. In diesem Sinne hoffe ich doch noch auf eine gute Zusammenarbeit auf der Grundlage eines verabschiedeten Koalitionsentwurfes. — Vielen Dank.
Ich erteile dem Abgeordneten Gilges das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Das Ziel jeglicher Reform im Bereich der Kriegsdienstverweigerung sollte die Abschaffung der unwürdigen Gewissensprüfung sein.
Das haben alle Parteien in den letzten Jahren erklärt. Das Gesetz, das die CDU/CSU und die FDP vorgelegt haben und das hier zur Abstimmung steht, ist eigentlich nur ein Ausdruck tiefer Intoleranz gegenüber dem Jugendlichen, der in Gewissensnot ist und der das Recht aus Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes wahrnehmen will.
In Ihren Reden, die Sie jetzt hier gehalten haben, sehr geehrte Kollegen von der CDU/CSU, ist diese Intoleranz auch noch einmal deutlich geworden.
Die Väter des Grundgesetzes haben sich, wie mein Kollege Hauck schon gesagt hat, eigentlich so viel Intoleranz nicht vorstellen können, denn Sinn und Geist dieser Grundgesetzbestimmung entsprang ja einer Erfahrung aus der Zeit von 1933 bis 1945, einer Zeit, in der das Gewissen sehr gebeugt worden ist. Damals sind Bibelforscher und andere in die Konzentrationslager gewandert. Der Sinn dieser Vorschrift ist, daß dieser Gewissenszwang, diese Gewissensnot für keinen Bürger mehr entstehen darf, gleich aus welchen Gründen er das Gewissen in dieser Frage in Anspruch nimmt. Sie beugen hier diese Gewissensnot.
Deswegen sage ich Ihnen: Alle Ihre Reden werden nicht an der Frage vorbeiführen, wie z. B. auch der Bundesjugendring richtigerweise formuliert hat. Dieses Gesetz schafft die Gewissensprüfung nicht ab. Im Gegenteil, es verschärft sogar noch, zur Gewissensprüfung kommt die Verlängerung des Zivildienstes. Das heißt, das Gesetz geht weit über die jetzt bestehende gesetzliche Regelung hinaus. Es bringt keine Liberalisierung, sondern genau das Gegenteil davon.
In der Anhörung hat der Verwaltungsrichter Seibert richtigerweise gesagt: Das Nebeneinander zweier Prüfungen, einer unmittelbaren Gewissensprüfung und einer mittelbaren Prüfung — durch die lästige Alternative —, bleibt nach Ihrem Gesetzentwurf bestehen.
Ich glaube, daß Herr Seibert in seiner Darstellung des Sachverhalts hier völlig richtig liegt.
Jetzt will ich auf die Einzelfragen eingehen. Die §§ 2 ff. fordern ja ein schriftliches Verfahren, auch schriftliches Vorverfahren genannt, in dem der Antragsteller beim Bundesamt vier Bedingungen er-
8884 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Gilges
füllen muß: 1. Berufung auf Art. 4 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes, 2. Beibringung eines ausführlichen Lebenslaufs, 3. persönliche ausführliche Darlegung der Beweggründe für die Gewissensentscheidung, 4. Beibringung eines polizeilichen Führungszeugnisses.
Ich meine, diese Darlegung ist ein schriftliches Abitur, wie das auch einige in der Anhörung gesagt haben, und nichts anderes. Die Prüfung dieser Abiturleistung unterliegt der Willkür eines anonymen Beamten.
Das unterliegt der Willkürentscheidung und dem Wollen oder Nichtwollen eines anonymen Beamten. Das Ergebnis ist nicht überprüfbar.
Herr Seibert hat noch etwas Wichtiges gesagt. Sie machen nach Ihrem Verfahren zwei Klassen. Es wird zwei Klassen von Kriegsdienstverweigerern geben: die vom Bundesamt oberflächlich geprüften und die echten, die durch das lange Verfahren hindurchgelaufen sind. Beim Prüfungsverfahren gibt es also diese zwei Klassen. Diese Tatsache werden Sie nicht wegdiskutieren. Im Ergebnis wird es darauf hinauslaufen.
Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breuer zu?
Herr Kollege Gilges, wollen Sie behaupten, daß jede Entscheidung eines Beamten des Bundesamts für den Zivildienst willkürlich sein muß?
Nein, das habe ich auch nicht behauptet. Das habe ich nicht gesagt. Aber es besteht doch die Gefahr, daß es eine Willkürentscheidung ist, weil es eine anonyme Entscheidung ist und weil sie unüberprüfbar ist,
weil kein Zeuge dabei ist. Der Beamte im Bundesamt setzt sich hin und guckt sich die Akte an — Herr Breuer, tun Sie doch nicht so, als wenn Sie das nicht wüßten — und sagt entweder, das ist glaubwürdig, oder, es ist nicht glaubwürdig.
Es wird eine Selektion, eine Auswahl vorgenommen, die wirklich nur im Ermessensspielraum dieses Beamten liegt und sonst bei keinem.
Ich will zweitens zu der schriftlichen Darlegung und ihren sozialen Folgen kommen. In der Vergangenheit ist immer wieder beklagt worden, daß diese Abiturleistung bei der Gewissensprüfung soziale Folgen hat und diejenigen — das haben Sie von der CDU/CSU und der FDP auch immer wieder beklagt —, die an der Spitze der Bildungsleiter stehen, bei der Prüfung bevorzugt sind, während diejenigen, die am unteren Ende stehen, benachteiligt werden, weil sie sich nicht so gut ausdrücken können, nicht so reden können, nicht in der Lage sind, alles darzulegen, was notwendig wäre, um ihre Gewissensentscheidung zu begründen.
Diese Schwierigkeit wird beibehalten, auch bei dem jetzigen Verfahren, in dem die persönliche ausführliche Darlegung der Beweggründe für die Gewissensentscheidung erfolgen muß.
Ich muß jetzt einmal aus meiner eigenen Erfahrung sprechen. Ich habe 1963/64 Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes wahrgenommen. Ich als Fliesenleger kann mich meiner Ängste erinnern. Ich war damals gerade drei Jahre Handwerksgeselle. Ich kann mich noch erinnern, was es für mich bedeutet hat, und das in zwei Verfahren mit meinen Ausdrucksmöglichkeiten, die ich auf der katholischen Volksschule mitbekommen habe, meine Gewissensgründe schlüssig darzulegen. Ich meine, daß das auch heute noch für junge Arbeiter, Angestellte und Handwerker genauso schwierig ist, ob schriftlich oder mündlich.
Sie benachteiligen die Jugendlichen, die unbegründet oder unverschuldet am Ende der Bildungsleiter stehen.
Deshalb bleibt: Es ist nicht glaubwürdig — das Ziel ist auch nicht erreicht —, daß Sie die Abschaffung der Gewissensprüfung wollen.
Noch eine Schlußbemerkung zu dieser Frage. Herr Kroll-Schlüter hat im Ausschuß und sinngemäß auch hier behauptet, 80 % würden schon im Vorverfahren anerkannt. Da muß ich ihn fragen: Wer gibt ihm eigentlich diese Gewißheit? Der folgende Redner der CDU/CSU soll doch einmal glaubhaft und schlüssig darlegen, daß 80 % im Vorverfahren anerkannt werden.
Ich habe nicht mehr viel Zeit. Ich will noch einige Bemerkungen zu der Frage der „lästigen Alternative" machen. Sie verschärfen den Zivildienst in zwei Formen, einmal in der Verlängerung um ein Drittel und zweitens in der Ausgestaltung. Wenn Ihr Sinnen und Trachten für die Verschärfung nicht Bestrafung und Abschreckung wäre, könnte man über einiges in der Ausgestaltung reden. Aber Ihr Sinnen und Trachten bei der Ausgestaltung ist nur die
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Gilges
Abschreckung und Bestrafung der Jugendlichen, die in Gewissensnot geraten sind.
Und noch etwas. Wie stellen Sie sich das in Zukunft vor? Die Wohlfahrtsverbände haben das sehr energisch beklagt. Ein Mensch, der mit dem Bewußtsein in den Zivildienst eintritt, daß dieser Abschreckung und Bestrafung ist, soll dann zugleich auch noch Motivation und Bereitschaft finden, mit Behinderten, in der Krankenpflege oder in sonstigen sozialen Diensten zu arbeiten. Das heißt, Sie nehmen schon durch Ihren Gesetzesansatz — ich glaube auch, Sie machen das bewußt —
diesen jungen Menschen die Motivation für die soziale Arbeit.
Sie verschärfen das alles noch dadurch, daß Sie die Einverständniserklärung aus dem Gesetz herausnehmen. Nach der bisherigen gesetzlichen Regelung gab es die Möglichkeit, zwischen dem Wohlfahrtsverband und dem betroffenen Zivildienstleistenden Absprachen zu treffen. Das heißt, er konnte sich eine Einverständniserklärung bei einem Wohlfahrtsverband holen, zum Beispiel bei der Caritas. Mit dieser Einverständniserklärung ging er dann zum Bundesamt für den Zivildienst, das diese Einsatzstelle akzeptiert hat. Das nehmen Sie weg. Das hat insbesondere der Vertreter des Caritas-Verbandes beklagt. Seine unabdingbare Forderung war, das beizubehalten. Selbst das nehmen Sie noch weg. Sie wollen also auch in diesem Bereich die Motivation untergraben und die Willkür Platz greifen lassen, daß jeder jeden irgendwohin schicken kann, gerade wie es dem Bundesamt einfällt.
Ich will zum Schluß kommen, da meine Redezeit abgelaufen ist. Lassen Sie mich noch etwas zu zwei Punkten sagen, zunächst zu der Schlußvorschrift. Dort heißt es, daß das Gesetz am 30. Juni 1986 außer Kraft tritt. Da frage ich Sie und insbesondere den Minister: Weshalb eigentlich? Weshalb soll eigentlich das Gesetz 1986 außer Kraft treten? Wenn das Gesetz so gut ist, braucht es, wie der Kollege Schröder richtig bemerkt hat, 1986 nicht außer Kraft zu treten, sondern das kann doch nur den Sinn haben, daß die CDU/CSU und die FDP die Ausführung des Auftrages von Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes als Steuerungsinstrument für die Anzahl der Wehrpflichtigen mißbrauchen wollen.
Das kann die einzige Funktion und der inhaltliche Sinn dieser ganzen Bestimmung über das Außerkrafttreten im Jahre 1986 sein. Das heißt im Klartext: 1986 versuchen Sie, das Gesetz nochmals zu verschärfen, wenn es noch immer zu viele Kriegsdienstverweigerer gibt; dann hauen Sie nochmals zu und legen noch mal etwas drauf.
Ich will Ihnen zum Schluß sagen: Wer grundgesetztreu ist, kann dieses Gesetz der CDU/CSU und der FDP nur ablehnen.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Sauter .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer in Sachen Wehrdienstverweigerung so wie Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in den letzten 13 Jahren so wenig bzw. nichts zuwege gebracht hat,
der sollte heute nicht den Mund zu voll nehmen,
wenn es darum geht,
endlich zu einer vernünftigen Regelung dieses Problems zu kommen. 13 Jahre lang waren Sie von der SPD unfähig,
die Neuregelung der Wehrdienstverweigerung verfassungsgemäß in den Griff zu bekommen,
und heute tun Sie so, als ob Sie immer schon gewußt hätten, wie man's macht.
Das ist weder anständig noch ehrlich; das ist zutiefst unglaubwürdig, was hier von Ihnen praktiziert wird.
Außer einer totalen Negativbilanz haben Sie auf dem Gebiet der Wehrdienstverweigerung nichts, aber auch gar nichts vorzuweisen.
Sie sind dafür verantwortlich,
daß heute 90 000 Anerkennungsverfahren nicht entschieden sind,
weil Sie nicht die materiellen und personellen Voraussetzungen dafür geschaffen haben, daß diese
8886 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Sauter
Verfahren überhaupt abgeschlossen werden konnten.
Sie tragen mit Schuld daran, daß heute mit jedem neuen Verweigerer die Wahrscheinlichkeit zunimmt, daß er weder Ersatzdienst noch Wehrdienst wird leisten müssen, weil die Verfahren zu lange dauern.
Ihrer Nachlässigkeit, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ist es zuzuschreiben, daß heute zu viele ihre Entscheidung für die Verweigerung nicht vor ihrem Gewissen abhängig machen, sondern sich an der Abwägung materieller Vor- und Nachteile orientieren.
Die echten Verweigerer haben es nicht verdient, daß sie, die ein Grundrecht in Anspruch nehmen,
mit Faulenzern, Drückebergern und vermeintlich Cleveren in einen Topf geschmissen und deshalb auch noch schief angesehen werden.
Die Behandlung der Wehrdienstverweigerung durch die SPD ist ein Dokument des Versagens, der Hilflosigkeit, der Führungsschwäche und der Handlungsunfähigkeit,
also das zutreffende Spiegelbild des tatsächlichen Zustandes dieser Partei.
Sie haben hier der neuen Koalition der Mitte eine schwere Erblast hinterlassen,
und da der heutige Zustand unerträglich ist, meine Damen und Herren, mußte schnell gehandelt werden. Dies war deshalb möglich, weil die Entscheidungsalternativen seit langem bekannt sind. In dieser Sache kommt es darauf an, daß Handlungswille und Entscheidungsbereitschaft dokumentiert werden.
Das tun wir mit unserem Entwurf, der im übrigen auch Gesetz werden wird.
Für ungediente Wehrpflichtige wird es künftig ein schriftliches Verfahren geben. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, ich bin etwas überrascht, daß Sie, die Sie in den letzten 13 Jahren angeblich soviel dafür getan haben, daß der
Bildungsstand aller Schichten in diesem Volk gehoben wird, jetzt auf einmal aus deutschen Jünglingen Dümmlinge machen wollen, indem Sie ihnen nicht zutrauen, ihre Verweigerung auch schriftlich begründen zu können.
Eine ausführliche persönliche und schlüssige Begründung ist das mindeste dessen, was staatlicherseits verlangt werden muß, weil vom Antragsteller wohl auch gefordert werden kann, daß er das ausdrückt, worüber er sich angeblich Gedanken gemacht hat. Alles andere würde dazu führen, daß nach Gutdünken von der Möglichkeit der Verweigerung Gebrauch gemacht werden kann und damit wiederum die Grauzone zwischen echten und unechten Verweigerern beliebig ausgeweitet werden könnte.
In dem geordneten und beschleunigten Verfahren wird künftig die überwiegende Mehrheit der Anträge entschieden werden.
Soldaten müssen weiterhin davon ausgehen, daß sie ihre Gewissensentscheidung vor Prüfungsausschüssen darzulegen haben. Das ist deshalb zu rechtfertigen, weil sie sich immerhin einmal für den Dienst mit der Waffe entschieden haben. Wenn diese Entscheidung von ihnen gefällt worden ist, kann man wohl von ihnen verlangen, daß sie darlegen, warum sie das auf einmal nicht mehr tun wollen.
Der Ersatzdienst wird künftig so ausgestaltet sein, daß eine Gleichbehandlung unter den Ersatz-dienstleistenden und im Vergleich mit den Wehrdienstleistenden sichergestellt ist. Das ist weder Abschreckung noch Bestrafung, sondern das ist Gleichbehandlung, Herr Gilges. Es ist schade, daß Sie für diese Gleichbehandlung nicht in der Zeit gesorgt haben, zu der Sie in diesem Hause etwas zu sagen hatten.
Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Oostergetelo möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden? — Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Kollege, woher nehmen Sie eigentlich das Recht, über eine angebliche Grauzone urteilen zu können? Sind Sie wirklich der Meinung, daß es uns Menschen zusteht, über das Gewissen zu urteilen?
Herr Kollege, ich leite das Recht aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ab, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß ein Gesetz so aussehen muß, daß eine tatsächliche Unterscheidung zwischen echten und unechten Verweigerern möglich ist.
Nachdem Sie mich schon angesprochen haben und das Wort Gewissensprüfung heute bisweilen auch in den Mund genommen worden ist: Ich
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8887
Sauter
stimme Ihnen in dem Punkt zu, daß die Gewissensprüfung nicht abgeschafft wird.
Sie kann aber auch gar nicht abgeschafft werden, weil es sie nicht gegeben hat. Bisher wurde nicht das Gewissen geprüft — das ist im übrigen nicht möglich —, sondern es wurde darüber befunden, ob die Verweigerung auf Gründen beruht, die die Gewissensentscheidung rechtfertigen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mit der Sprache etwas sauberer umgingen,
damit Wahrheit und Klarheit geschaffen werden kann und es nicht zu Verwirrung und Unsicherheit kommt.
Es wird wohl kein völliger Gleichklang hinsichtlich Ersatzdienstleistenden und Wehrdienstleistenden erreicht werden können. Das ist einer der Gründe dafür, warum der Ersatzdienst um ein Drittel verlängert wird. Das widerspricht nicht dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes.
— Herr Kollege, wir sprechen uns vielleicht noch einmal wieder. Vielleicht erinnern Sie sich daran, wenn das Bundesverfassungsgericht darüber entschieden hat. Im Regelfall war es in der letzten Zeit so, daß Sie die Gesetze gemacht haben, die vor dem Bundesverfassungsgericht nicht standgehalten haben, und nicht wir.
Das Gesetz steht und fällt mit der Erhöhung der Zahl der Ersatzdienstplätze. Wir brauchen mindestens 30 000 neue, damit wir auf 80 000 kommen. Verweigerer müssen in Zukunft wissen,
daß sie unmittelbar nach ihrer Anerkennung auch ihren Dienst abzuleisten haben.
Diese zusätzliche Ausweisung von Plätzen ist Geschäftsgrundlage für die CSU. Ich fordere Sie, Herr Bundesminister Geißler, auf, daß Sie dafür Sorge tragen, daß diese Plätze ausgewiesen werden und daß rechtzeitig die Verwaltungsanordnungen geschaffen werden, die wir dazu brauchen.
Mit diesem Gesetz, meine sehr verehrten Damen und Herren, schaffen wir mehr Gerechtigkeit für diejenigen, die Dienst im Frieden leisten — das sind die Ersatzdienstleistenden —, und für diejenigen, die Dienst am Frieden leisten — das sind die Wehrpflichtigen in diesem Lande. — Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Hansen.
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen genauso wie dem Durchschnitt der Abgeordneten der Fraktionen eine Redezeit von 12 Minuten gegeben.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ja schon gesagt worden: In dem so schnell angesetzten Hearing haben alle wirklichen Interessenvertreter aus Kirchen, Gewerkschaften und Jugendorganisationen die vorliegenden Entwürfe abgelehnt. Eindeutig positiv hat sich nur der Bundeswehrverband geäußert. Die meisten Sachverständigen werteten beide Entwürfe als verfassungswidrig.
In der Tat gibt es im Katalog der Grundrechte des Grundgesetzes keine so eindeutige Festlegung wie in Art. 12 a. Dort heißt es: „Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen."
Der Gesetzentwurf der Rechtskoalition sieht entgegen dieser Vorschrift der Verfassung vor, daß der Zivildienst um ein Drittel länger dauern soll als der Grundwehrdienst , nämlich 20 Monate. Der für erledigt erklärte SPD-Entwurf sah 19 Monate vor. Damit ist der CDU/CSU-Entwurf eindeutig verfassungswidrig, der SPD-Entwurf nur etwas weniger verfassungswidrig.
Daß der Prozeßbevollmächtigte der Bundesregierung dem verfassungswidrigen Urteil von Karlsruhe mit falschen Statistiken Vorschub geleistet hat, ist keine Entlastung für die „obersten Hüter der Verfassung", wie sie sich so gern nennen lassen, deren verfassungswidriges Urteil auch kein hinreichender Grund für den Gesetzgeber ist, sich so eklatant über einen klaren Verfassungstext hinwegzusetzen.
Dieser Text läßt nämlich nur eine Zivildienstzeit von 16 Monaten zu, weil der tatsächlich durchschnittlich geleistete Wehrdienst einschließlich der Reserveübungen sich zwischen 15 und 16 Monaten bewegt, aber näher an 15 Monaten liegt.
Wenn man die fast identische Begründung beider Entwürfe liest, wird einem klar, warum sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch alle im Bundestag vertretenen Parteien sich über dieses Grundrecht, das so klar ausgeführt ist, hinwegsetzen. Die Wehrpflichtigen sollen dieses Grundrecht nicht, wie es heißt, „als ein Recht auf freie Wahl zwischen Wehrdienst und Zivildienst mißverstehen".
Wir sind da ganz anderer Meinung. Solange nur wenige das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der Vergangenheit in Anspruch genommen haben, war die grundrechtliche Qualität von Art. 4 in seinem Wesensgehalt unumstritten. Damals war auch der heutige Familienminister Dr. Geißler, nämlich in seiner Dissertation von 1960, noch der Meinung, daß die Gewissensfreiheit „die verfassungsrechtliche Priorität vor der allgemeinen Wehrpflicht" habe.
8888 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Hansen
Das ist also eine wichtige ethische Wertung, Herr Kroll-Schlüter.
Seit der quantitativ vermehrten Inanspruchnahme des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung ist allerdings auch für ihn, den heutigen Familienminister, die Qualität dieses Grundrechts zur Knetmasse für die Soll-Stärke der Bundeswehr geworden, ein lästiges Anhängsel, das zu einer „lästigen Alternative" gestaltet werden muß, damit die sogenannten unechten Gewissensentscheidungen — wir haben das ja eben wieder gehört — ausgesondert werden können.
Mit diesem Gesetz der Rechtskoalition hat die CSU ihr Ziel erreicht, den Zivildienst in eine Abschreckungswaffe gegen mögliche Verweigerer zu machen.
Im Vorwort zu einem Buch der CSU-Hanns-SeidelStiftung über „Wehrpflicht und Ersatzdienst" spricht Herr Innenminister Dr. Zimmermann über die Zielsetzung der CSU Klartext. Ich zitiere:
Anstelle des grundgesetzwidrigen Postkartenpazifismus wird jetzt ein Ersatzdienstpazifismus favorisiert. Der Streit um die Wehrpflicht war von Anfang an ein eminent politischer Streit. Die Vorstellung, daß die Sowjetunion ihre gigantische Militärmaschine auf immer neue Höhen treibt und die hiervon in erster Linie bedrohte Bundesrepublik Deutschland zur gleichen Zeit die allgemeine Wehrpflicht abschaffen könnte, ist sicherheitspolitisch unerträglich.
Wehrdienst in Form der allgemeinen Wehrpflicht ist ein Gebot richtig verstandener Demokratie.
Der Vorrang der Erhaltung einer sogenannten Verteidigungsbereitschaft gegenüber der Bedrohung aus dem Osten muß also als demokratische Rechtfertigung für ein verfassungswidriges Gesetz herhalten.
Für den so gern als „Verfassungsminister" apostrophierten Innenminister war aber diese Frontlage immer schon klar: Militarismus kontra Pazifismus, Vaterlandsverteidiger im Ehrenkleid vor vaterlandslosen Gesellen, die sich bloß drücken wollen und dafür bestraft gehören. Konsequenterweise müssen die Prüfungsausschüsse natürlich auch dem Bundesminister der Verteidigung unterstellt werden.
Die Verlängerung des Zivildienstes als Probe auf die Ernsthaftigkeit der Gewissensgründe des Verweigerers, wie es so schön heißt — manche haben dabei „Drückeberger" im Sinn —, sei der Preis für die Abschaffung der Gewissensprüfung, sagen die Befürworter des Gesetzes. Abgesehen davon, daß es ganz unbegreiflich ist, warum man für die Inanspruchnahme eines Grundrechtes einen Preis bezahlen soll, wird die Gewissensprüfung durch dieses Gesetz in Wirklichkeit nicht abgeschafft, „im Zweifelsfall", also praktisch in der Regel, wird weiter geprüft und sind der Willkür alle Türen offen.
Benachteiligt sind vor allem jene, die nicht über einen so gepflegten Stil wie der Doktorand Geißler verfügt, obwohl sie mit ihrem Wissen und Gewissen meist konsequenter umgehen als der fixe christliche Familienminister. Und dann stellt sich der Familienminister heute hier hin und spricht von der „Kampfansage an die Wahrhaftigkeit". Da frage ich mich wirklich, was das soll. Denn auch zur Berechtigung und Möglichkeit der Gewissensprüfung hatte der Doktorand Geißler 1960 noch eine tief im christlichen Glauben wurzelnde Überzeugung, die zur politischen Meinung des amtierenden Ministers von heute in völligem Widerspruch steht. Ich zitiere:
Die dauernde existentielle Wirkung des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 bewirkt, daß sich die Berechtigung zur Kriegsdienstverweigerung unmittelbar aus dieser Verfassungsnorm ergibt und nicht von einem Antrag und der entsprechenden Entscheidung einer Behörde abhängig ist. Für das Verfahren schließlich wird die gefundene Lösung dadurch bedeutsam werden, daß dem Kriegsdienstverweigerer nicht deswegen die Beweislast im Verfahren aufgebürdet werden kann, weil er angeblich ein Ausnahmerecht in Anspruch nimmt.
Doktorand Geißler 1960!
Das Bedeutsame an der von der CSU diktierten Regelung heute ist aber das Gegenteil der von Geißler 1960 gegebenen Begründung. Die behauptete Abschaffung der Gewissensprüfung ist also ein Etikettenschwindel, der den bestehenden Zustand verschlechtert und in erster Linie den Zweck verfolgt, mehr Wehrpflichtige in die Bundeswehr zu treiben.
Was sollen die von diesem Gesetz Betroffenen, die mit dem Odium des Verrats an der Gemeinschaft belegt werden — siehe Zitat Zimmermann —, eigentlich von Volksvertretern halten, die so mit Menschen umgehen, die sich ihre Gewissensentscheidung oft verdammt schwer machen? Vor allem dann, wenn sie miterleben müssen, was alles an parteitaktischen Entscheidungen mit hohlem Gerede über Moral und Gewissen hier über die Bühne gebracht wird? Mit diesem verfassungswidrigen Gesetz werden die verantwortlichen Parteien wieder einen Teil der Jugend verlieren, werden sie noch mehr Verbitterung bei den Betroffenen auslösen und das ohnehin wachsende Mißtrauen gegen die Demokratie verstärken.
Den vorliegenden CSU-inspirierten Gesetzentwurf der Rechtskoalition lehnen wir ab, weil er wegen der Beibehaltung der Gewissensprüfung und der zusätzlichen Verlängerung des Zivildienstes mit Art. 4 Abs. 3 und Art. 12 a Abs. 2 des Grundgesetzes nicht vereinbar ist und die Ungleichbehandlung von Wehrpflichtigen und Kriegsdienstverweigerern festschreibt.
Wir sind allerdings mit Herrn Dr. Geißler, dem heutigen Familienminister und ehemaligen Doktoranden, einverstanden, wenn er in seiner Doktorarbeit zu Schlußfolgerungen kommt, die ich verlese:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8889
Hansen
Das, was der Staat durch die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen an äußerer Stärke verliert
— ich füge in Fußnote an: siehe Dr. Zimmermann: Bedrohung aus dem Osten —— und das wird praktisch kaum ins Gewicht fallen — gewinnt er durch die Existenz des Art. 4 Abs. 3 an innerer Kraft. Er legitimiert sich dadurch als ein Staat, der sich am Menschen als einzig sinnvollem Grund allen staatlichen Handelns orientiert und sich nicht selbst absolut setzt.
Herr Dr. Geißler, ich bin mit jedem Wort Ihrer Schlußfolgerung in Ihrer Doktorarbeit von 1960 einverstanden. Wenn Sie heute auch noch so denken wie damals, dann müßten Sie unserem Änderungsantrag, den der Kollege Coppik und ich vorgelegt haben, in seiner ganzen logischen Schlußfolgerung zustimmen, aber auch mit Ihrer Überzeugung, die Sie in Ihrer Doktor-These niedergelegt haben.
Unser Änderungsantrag, der Ihnen vorliegt, sieht vor, die Entscheidung für den Wehrdienst oder den Zivildienst durch einfache Erklärung vorzunehmen, den Zivildienst auf 16 Monate festzulegen und die Möglichkeit der Kasernierung von Zivildienstleistenden auszuschließen. Wir bitten Sie, diesem Änderungsantrag zuzustimmen; dem Gesetzentwurf der CDU/CSU stimmen wir nicht zu. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt den von den Koalitionsparteien CDU/CSU und FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes. Ich möchte hier gleich am Anfang sagen, daß die Bundesregierung diesen Entwurf der Koalitionsparteien für verfassungsgemäß hält, daß sie also der Auffassung ist, daß er sich in Übereinstimmung mit unserer Verfassung befindet.
Ich möchte hier noch einmal etwas sehr deutlich machen, was in den bisherigen Diskussionsbeiträgen der Opposition nicht sehr klar zum Ausdruck gekommen ist: Nach unserer Verfassung kann nicht jeder den Kriegsdienst bzw. den Wehrdienst mit der Waffe verweigern, sondern nur derjenige, der dafür Gewissensgründe hat.
Dies ist ein ganz wichtiges Merkmal.
Herr Minister, ich möchte Sie einen Augenblick unterbrechen. — Ich darf die Kollegen bitten, ihre Plätze einzunehmen oder den Saal zu verlassen. —
Deswegen möchte ich zu dem Gesetzentwurf der Koalition, was die Entscheidung nach Aktenlage betrifft, als Entgegnung auf die Einwände, die von der Opposition vorgetragen worden sind, darauf hinweisen, daß auch in Zukunft z. B. jemand nicht anerkannt werden kann — im übrigen auch nicht anerkannt werden könnte, wenn der Entwurf der Opposition Gesetz geworden wäre —,
der sagt: Ich bekämpfe diesen Staat und gehe deswegen nicht zur Bundeswehr. Denn dies ist ein politischer Grund und kein Gewissensgrund; infolgedessen kann dieser nicht anerkannt werden.
— Ja, das ist sehr wichtig. Das muß auch nach Ihrem Entwurf vom Bundesamt geprüft werden. Es ist aber keine Gewissensprüfung,
sondern es ist eine Prüfung, ob die Gründe, die der betreffende Antragsteller vorträgt, überhaupt geeignet sind, den Antrag nach Art. 4 Abs. 3 zu begründen.
Weiter ist auch dies doch wohl klar: Wer die Unwahrheit über äußere Tatsachen, z. B. über die Zugehörigkeit zu einer diakonischen Vereinigung, sagt und sich zu Unrecht auf eine solche Tatsache beruft und solche Zweifel durch sein tatsächliches Vorbringen sät, kann doch wohl auch nicht anerkannt werden; denn der Staat kann doch nicht gezwungen werden, jemanden anzuerkennen, der offensichtlich die Unwahrheit sagt.
Herr Minister, der Abgeordnete Schröder möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?
Nein, vielen Dank.
Sie wissen, daß ich den Zwischenfragen nicht ausweiche.
Wir haben in den Ausschüssen über diese Frage sehr intensiv diskutiert.
Ich möchte hier meine Stellungnahme zu diesem wichtigen Gesetzentwurf im Zusammenhang vortragen, weil dies auch für viele Hunderttausende von jungen Menschen wichtig ist, die zuhören und zuschauen und sich über das, was wir hier entscheiden, ein Urteil bilden müssen. Deshalb ist die Aussage, die ich soeben gemacht habe, gerade für diese jungen Menschen von entscheidender Bedeutung.
8890 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Bundesminister Dr. Geißler
Durch die zwei Fakten, die ich vorhin mitgeteilt habe, findet eben keine Prüfung des Gewissens statt,
sondern wir schützen dadurch den echten Kriegsdienst- und Wehrdienstverweigerer, den, der echte Gewissensgründe hat.
In diesem Zusammenhang möchte ich diesen Zivildienstleistenden, die in vielen Fällen einen schweren Dienst, einen aufopfernden Dienst leisten, den Dank und die Anerkennung zumindest meiner Fraktion und der Bundesregierung für das aussprechen, was sie auch für die Gemeinschaft leisten.
Aber, wie gesagt: Nicht jeder kann den Wehrdienst verweigern, sondern nur derjenige, der Gewissensgründe hat. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, daß es eine Probe auf das Gewissen geben muß.
Diese Probe auf das Gewissen ist durch den Vorschlag der Koalitionsparteien dahin gefaßt worden, daß wir den zivilen Ersatzdienst, auch in der Verlängerung, so ausgestalten, daß er eine Probe auf das Gewissen darstellt.
Die Verlängerung um ein Drittel der Wehrdienstdauer hält sich voll im Rahmen dessen, was das Bundesverfassungsgericht als verfassungsrechtlich möglich bezeichnet hat.
Wir wollen im Interesse der Gerechtigkeit, auf die diese jungen Menschen einen Anspruch haben, noch in dieser Legislaturperiode dieses Problem lösen. Auch weil wir es im Interesse der Gerechtigkeit nicht hinnehmen können, daß zwar die Soldaten genauso wie andere Zivildienstleistende sofort eingezogen werden, andere Antragsteller auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aber im Antragsstau verschwinden und schließlich altershalber weder Wehrdienst noch zivilen Ersatzdienst leisten.
Ich bringe dieses Beispiel vor allem deswegen, weil die Sozialdemokraten bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs und in öffentlichen Äußerungen den Eindruck erweckt haben, als gäbe es ein Wahlrecht zwischen Wehrdienst und zivilem Ersatzdienst
und als stünde hinter dem Dienst in der Bundeswehr nicht die Pflicht, diesen freiheitlichen Rechtsstaat aus ethischen Gründen gegen unrechte Gewalt von außen zu verteidigen. Dieses Wahlrecht gibt es nicht.
Die Verteidigung des freiheitlichen Rechtsstaates und damit die Verteidigung dieses Grundrechts nach Art. 4 Abs. 3 ist staatsbürgerliche Grundpflicht.
Im übrigen wiederhole ich dies auch zur Kenntnis aller jungen Menschen, die vor diese Frage gestellt werden: Die Bundesrepublik Deutschland ist der einzige Staat auf der Welt, der das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen in den Verfassungsrang erhoben hat. Aus diesem Grund ist dieser Staat in einer besonderen Weise verteidigungswert.
Ich mache darauf aufmerksam, daß die Kriegsdienst- und Wehrdienstverweigerung in allen kommunistischen Staaten verboten ist, daß sie strafbar ist.
Eine Ausnahme stellt lediglich Bulgarien dar. Bulgarien hat eine Wehrpflicht von 24 Monaten. Dort kann man den Wehrdienst verweigern. Wer ihn aber verweigert, muß einen Ersatzdienst in der Form einer fünfjährigen Zwangsarbeit im Erzbergbau leisten. Dies möchte ich hier einmal sagen.
— Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie sich hier aufregen.
Ich sage dies deswegen, weil dies zur Information unserer jungen Menschen notwendig ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Frage der Wahlfreiheit zwischen der Verteidigungspflicht und dem Verteidigungsauftrag einerseits und der Ausübung der Gewissensfreiheit andererseits ist ein wichtiges politisches Gebiet. Wir haben uns über diesen Punkt in den vergangenen Monaten des öfteren unterhalten. Eines steht aber auch fest — das muß in diesem Zusammenhang gesagt werden —: Der politische Neutralismus in weiten Bereichen auch Ihrer Partei, der politische Neutralismus der SPD oder von Teilen der SPD oder die Versuchung zu diesem Neutralismus haben ihre Wurzeln in einem Neutralismus der Werte.
Wir lehnen diese ethische Orientierungslosigkeit ab, weil wir wissen, daß es keinen halben Weg zwischen Freiheit und Diktatur gibt. Für diese neue Regierung der Mitte,
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8891
Bundesminister Dr. Geißler
für diese neue Regierung der Mitte gibt es viele gute Gründe. Ein entscheidender Grund für die neue Regierung liegt aber darin, daß wir eine neue Regierung brauchten, die unserem Volk wieder sagt, welche Werte es verteidigt, wer diese Werte bedroht und wer seine Freunde sind, die ihm im Notfall helfen.
Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes ist Ausfluß der Gewissensfreiheit. Ich habe es vorhin schon gesagt: Dieses Grundrecht gibt unserem Staat einen besonderes hohen Rang,
einen Rang, der diesen Staat auszeichnet und ihn von totalitären Herrschaftssystemen deutlich abhebt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt meines Erachtens aber nur eine positive Schau des verfassungsrechtlichen Auftrages, unser Land zu verteidigen, und der verfassungsrechtlichen Pflicht, die Gewissensfreiheit zu schützen. Der Schutz des Gewissens kann nur durch diejenigen gewährleistet werden, die das Grundrecht der Gewissensfreiheit auch aus Gewissensgründen, notfalls mit der Waffe in der Hand, verteidigen. Ohne Bundeswehr, ohne Atlantische Allianz gibt es keinen Schutz des Gewissens, keine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer und keinen zivilen Ersatzdienst.
Weil diese Frage hier wieder angesprochen worden ist, möchte ich zu dem sehr wichtigen und tiefgehenden Problem, auf das eben auch mein Vorredner eingegangen ist, etwas sagen, dazu, daß es in der Tat zu einem Zielkonflikt zwischen dem Schutz dieses Landes — das ist ein verfassungsrechtlicher Auftrag — und dem Schutz des Gewissens kommen kann. Es ist ein rechtstheoretischer Konflikt, so glaube ich, der dann entstehen könnte — auf ihn müßte man natürlich rechtstheoretisch eine Antwort geben —, wenn so viele junge Menschen die Pflicht verweigern würden, diesen Staat zu verteidigen, daß nicht mehr genügend Menschen vorhanden wären, um den verfassungsrechtlichen Verteidigungsauftrag zu erfüllen, und wir damit auch nicht mehr in der Lage wären, z. B. die Gewissensfreiheit zu verteidigen. Dies ist ein rechtstheoretischer Konflikt, der sogar zu einer Antinomie werden kann. Darauf habe ich schon in der letzten Debatte hingewiesen. Ich weiche dieser Antwort gar nicht aus und wiederhole das, was ich damals gesagt habe: Das Grundrecht nach Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes ist gleichzeitig eine ständige politische Herausforderung an alle Demokraten, dafür zu kämpfen und dafür zu werben und zu arbeiten, daß diese Verfassung von der Mehrheit der Bürger unterstützt und getragen wird. Gerieten die Demokraten, die diesen Staat für verteidigungswert halten, eines Tages in die Minderheit, dann tangierte dies zwar nicht die rechtliche Gültigkeit der Verfassungsbestimmungen, aber deren Verwirklichung und Durchsetzung wäre auf das Schwerste gefährdet.
Herr Minister, der Abgeordnete Hansen möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.
Vielen Dank. Sie haben Verständnis dafür, daß ich diese Zwischenfrage nicht zulassen kann.
Durch Rechtsnormen allein kann ein Staatswesen nicht zusammengehalten werden. Das beweist das Schicksal der Weimarer Republik. Jeder Staat braucht auch die mehrheitliche Zustimmung der Bürger. Die Verfassung ist kein Schlaraffenbett, in dem der arglose Bürger vor sich hindämmern darf,
sondern ein Haus, das ständig verteidigt, gefestigt und erneuert werden muß, das aber auch von seinen Bürgern nicht von innen demoliert werden darf. Dies gehört ebenfalls dazu.
Aus diesem Grund haben die Bürger die verfassungsrechtliche Pflicht, die Existenz dieses Staates und die Gewissensfreiheit zu schützen. Der Ausweg, den Konflikt zu vermeiden, der theoretisch entstehen könnte, kann nur darin bestehen, durch die Überzeugungskraft des politischen Arguments, des politischen Handelns und des persönlichen Vorbilds die Zustimmung der Bürger zu ihrer Verfassung und damit auch zu deren Verteidigung und dem gleichzeitigen Schutz der Gewissensfreiheit zu festigen. Ich glaube, in dieser Aufgabe sollten sich alle Parteien, alle Fraktionen dieses Hohen Hauses einig sein.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über den quälenden Werdegang dieses Gesetzes ist heute schon ein paarmal gesprochen worden. Zu unterschiedlich sind die Ausgangspositionen der einzelnen Parteien und innerhalb der Parteien selbst, als daß dieses Gesetz so ohne weiteres leicht über die Bühne gehen könnte. Wir als Koalition legen heute deshalb ein Gesetz vor, weil sich zwei Fraktionen gefunden haben, die zu einem Kompromiß fähig sind und deshalb handeln können.
Ich muß eines betonen, meine Kollegen von der SPD: Wir Liberale hätten mit einer Postkartenlösung sehr wohl leben können. Sie wissen auch, warum dies nicht möglich gewesen ist.
Es gab viele Versuche, ein Gesetz zu schaffen, das den Vorstellungen des Bundesverfassungsgerichts
8892 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Eimer
Rechnung trägt. Unser Kompromiß, den wir mit Ihnen und mit den Vorstellungen des Bundesverfassungsgerichts gefunden hatten, konnte in der sozialliberalen Koalition 1980 nicht mehr verabschiedet werden, weil dieses Gesetz an der SPD gescheitert ist.
— Ich bin natürlich ein vorsichtiger Mensch, Herr Kollege Schröder, und habe mir vorn an dem Computer einen Auszug geholt. Wenn Sie wollen, lese ich die Namen vor, die aus Ihrer Fraktion dem Gesetz nicht zugestimmt haben.
Das war in der 229. Sitzung in der letzten Wahlperiode. Es waren zehn Kollegen aus Ihrer Fraktion, die dem Gesetz nicht zugestimmt haben. Einer hat sich enthalten. — Herr Immer nickt; auch er war bei denen, die dagegen gestimmt haben.
— Das dauert viel zu lange. Ich glaube, die Zeit ist zu kostbar.
Der nächste Anlauf, der von uns versucht wurde, war zu Beginn dieser Legislaturperiode. Wir hatten gemeinsam mit der SPD einen Entwurf erarbeitet, und dieser Entwurf ist in unserer Fraktion sofort verabschiedet worden. Bei der SPD fand dieser Versuch so lange keine Gegenliebe, wie die SPD in der Regierungsverantwortung war. Erst in der Opposition hat sie die Kraft gefunden, ihn vorzulegen.
Meine Kollegen, wir haben mehrmals gedrängt. Erst nach dem Ende der Koalition, über ein Jahr später, nachdem wir ihn in unserer Fraktion verabschiedet hatten, haben Sie die Kraft gehabt, einen Entwurf vorzulegen. Wir hätten auch in der sozialliberalen Koalition gemeinsam zur Union gehen müssen, um mit ihr einen weiteren Kompromiß einzugehen, um die Hürde des Bundesrates nehmen zu können. Die SPD hat sich davor gedrückt, die Verantwortung für einen solchen Kompromiß zu übernehmen.
Wir haben nun in der christlich-liberalen Koalition ein Gesetz zur Abstimmung vorgelegt, dessen Grundlage aus dem ehemals von der SPD geführten Ministerium für Arbeit und Soziales stammen. Das Grundprinzip unseres Gesetzes ist die Abschaffung der Gewissensprüfung. Die Anhörung zeigte uns aber, daß das, war wir politisch wollten, im ursprünglich vorgelegten Entwurf nicht erreicht war. Es gab erhebliche Mißverständnisse und Auslegungsschwierigkeiten.
Heute stelle ich fest, daß die Kritik der Sachverständigen für uns sehr heilsam war. Wir haben in gemeinsamer Anstrengung Formulierungen gefunden, die vorhergehende Mißverständnisse ausgeräumt haben. Ich muß deshalb an dieser Stelle meinen Dank an die Kollegen des Rechtsausschusses aussprechen, vor allem an meinen Kollegen Kleinert, der die richtigen Formulierungen gefunden hat,
aber auch an die Verhandlungsführer des Koalitionspartners.
Welche Änderungen sind nun vorgenommen worden? Wir haben in drei wichtigen Bereichen Änderungen mit einigen Folgeänderungen vorgenommen, und die will ich kurz darstellen, weil Sie auf diese Änderungen bisher in der ganzen Debatte nicht eingegangen sind.
Da ist zunächst einmal Art. 1 § 2 so korrigiert worden, daß jetzt das Mißverständnis ausgeschlossen ist, daß der Antragsteller Art. 4 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes in seinem Antrag ausdrücklich benennen müßte. Das heißt, es ist jetzt klargestellt, daß es dabei nur auf die Berufung auf ein Grundrecht ankommt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jaunich?
Meine Zeit ist zwar knapp, aber selbstverständlich lasse ich eine Zwischenfrage zu.
Bitte, Herr Abgeordneter Jaunich.
Herr Kollege Eimer, wären Sie so freundlich, mir zu bestätigen, daß es hier nicht um die Ausräumung eines Mißverständnisses geht? Denn Sie hatten dieses formale Erfordernis so in Ihren Gesetzestext geschrieben.
Herr Kollege Jaunich, wir hatten nie diesen Formalismus vor, und dementsprechend ist hier eine Änderung vorgenommen worden, die dieses Mißverständnis beseitigt hat. Wenn es vorher formal darin war, spricht das ja eher dafür, daß wir aus der Anhörung gelernt haben.
Wir haben auch einige andere Mißverständnisse beseitigt — Sie können auch sagen, wir haben aus der Anhörung einiges gelernt —, und darauf will ich jetzt weiter eingehen.
In § 5 war folgendes mißverständlich dargestellt. Man konnte tatsächlich, wenn man es extensiv auslegte, davon ausgehen, daß möglicherweise wieder eine Gewissensprüfung kommen könnte.
— Ich komme jetzt darauf. Die wesentliche Formulierung lautet, daß die dargelegten Beweggründe
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8893
Eimer
das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu begründen geeignet sind.
Diese Formulierung macht eindeutig klar, daß diese Begründung nicht mehr an der Person hängt, sondern von der Person abgehoben ist.
Es heißt: sie zu begründen geeignet ist. Das ist eine ganz gravierende Änderung,
und diese Änderung führt dazu, daß die Gewissensprüfung abgeschafft ist.
Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Oostergetelo möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?
Ich habe vorhin gesagt, ich lasse eine zu. Ich weiß aber aus den Zwischenrufen, was jetzt kommen sollte, und werde darauf eingehen.
In Abs. 1 Nr. 3 ist ebenfalls eine Änderung vorgenommen worden, die sich auf das Vorbringen des Antragstellers bezieht. Da ist von dem tatsächlichen Gesamtvorbringen und von den bekannten sonstigen äußeren Tatsachen die Rede. Das heißt, auch hier wird darauf abgehoben, daß es nicht auf die inneren Tatsachen ankommt. Wir können und wollen nicht das Gewissen prüfen; vielmehr kommt es auf äußere Tatsachen an, die vorgebracht werden.
Eine gravierende Änderung ist in den §§ 7, 17 und 18 vorgenommen worden. Hier wurde der Kritik Rechnung getragen, die in der Anhörung vorgebracht worden ist, daß nämlich diejenigen, die nach dem alten Entwurf zu Unrecht an die Ausschüsse verwiesen worden wären, nach strengeren Maßstäben geprüft würden, als wir dies wollten. Deswegen ist festgelegt worden, daß dann, wenn die Zweifel unbegründet waren, nach Lage der Akten gemäß den weniger strengen Grundsätzen des § 5 vorgegangen werden soll.
— Herr Kollege, ich habe bereits gesagt, daß das Gewissen nicht geprüft wird, sondern es wird nur geprüft, ob das, was vorgebracht wird, nach dem Grundgesetz geeignet ist,
nach der Gewissensprüfung — —
— Herr Kollege, die Formulierung ist ausdrücklich so gewählt, daß eine Gewissensprüfung nicht vorgenommen werden kann.
Im übrigen kann ich Ihnen nur sagen: Ihr Schreien hilft nicht darüber hinweg, daß wir hier entscheidende Änderungen vorgenommen haben.
Einer der Vorwürfe, die uns im Ausschuß und auch hier in der Öffentlichkeit von diesem Pult aus gemacht worden sind, ist das angebliche Durchpeitschen des Gesetzes durch den Ausschuß.
Dies trifft nicht zu. Die Geschichte dieses Gesetzes geht Jahre zurück. Aber auch nach der Anhörung haben intensive Gespräche stattgefunden.
Wir hatten zwei Fraktionssondersitzungen.
— Herr Kollege, das Schreien hilft nichts. Schreien ist kein Argument.
Es fanden mehrere Koalitionsgespräche auf den unterschiedlichsten Ebenen statt. Die Änderungsanträge wurden von uns schriftlich begründet im Ausschuß eingebracht.
Beschämend war allerdings das Verhalten der SPD.
Sie hat sich zu keinem einzigen Punkt in der Sache zu Wort gemeldet. Keine Fage, kein Einwand kam.
Warum? Die Stoppuhr lief. Sie brauchten für Ihren formalen Vorwurf ja eine möglichst kurze Zeit.
Inhaltlich ist von Ihnen keine Frage, kein Einwurf gekommen, und auch bis jetzt haben Sie zu den Änderungsvorschlägen, die wir im Ausschuß verabschiedet haben, zu keinem einzigen Punkt Stellung genommen.
Liebe Kollegen, in der ersten Lesung kam von der SPD ein Zwischenruf, der mich getroffen hat; es war der Vorwurf des Umfallens.
8894 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Eimer
Wir mußten Kompromisse mit dem Verfassungsgericht eingehen, wir mußten Kompromisse mit Ihnen eingehen.
Wir müssen Kompromisse mit der Union eingehen. Auch Sie von der SPD hätten diese Kompromisse eingehen müssen, wenn Sie weiter die Regierungsverantwortung gehabt hätten.
— Ich weiß genau, was ich in der Enquete-Kommission vertreten habe. Ich habe hier auch gesagt, daß wir Kompromisse eingehen müssen, wenn wir dieses Gesetz über die Hürde des Bundesrates bringen wollen.
Wer weiß, daß man Kompromisse eingehen muß, wenn man etwas erreichen will, und wer dann einen derartigen Kompromiß als Umfallen diffamiert, der demontiert — bewußt oder unbewußt — eines der wichtigsten Prinzipien der Demokratie.
Nach Meinung der SPD ist ein Kompromiß mit ihr offensichtlich eine Erpressung und ein Kompromiß mit der Union ein Umfallen.
Meine Kollegen, wir sollten uns nicht wundern, wenn demokratische Kompromisse von jungen Leuten nicht so gesehen werden, wie sie eigentlich gesehen werden müßten, wenn wir uns hier untereinander Vorwürfe machen, wenn wir Kompromisse madig machen. Die Demokratie lebt vom Kompromiß.
Wir sollten Kompromisse deswegen achten, weil sie dem Prinzip der Demokratie entsprechen.
Nun liegt hier ein Änderungsantrag der SPD vor. Ich muß gestehen: Wenn der Vorwurf des Durchpeitschens richtig ist, dann kann man diesem Antrag heute auch nicht mehr zustimmen.
Ich gestehe, daß ich sehr viel Sympathie für diesen Antrag habe. Aber ich kann nicht heute, wo eine Ausschußsitzung in dieser Legislaturperiode nicht mehr stattfindet, einem derartigen Antrag zustimmen.
Lassen Sie mich zum Abschluß sagen: Wir Liberalen sind einen Kompromiß eingegangen. Wir meinen, es ist ein notwendiger und ein guter Kompromiß.
Wir haben nicht nur geredet, sondern auch gehandelt. Wir haben die Verantwortung auf uns genommen. Uns kann man mit diesem Kompromiß pakken. Nageln Sie mal einen Pudding an die Wand! Sie haben sich bisher immer davor gedrückt.
Wir stimmen diesem Antrag zu.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Jaunich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nun seien Sie mal nicht so aufgeregt! Was hier zur Sache noch zu sagen ist, wird gesagt werden. Dieses Thema verträgt Lächerlichkeit überhaupt nicht, Herr Kollege Breuer.
Herr Kollege Kroll-Schlüter, Sie haben mit Ihrem Debattenbeitrag hier insofern eine Legende zu bilden versucht, als Sie gesagt haben, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sei nicht kompromißfähig. Sie haben gesagt, im Grunde gehe es nur um 19 Monate hier und 20 Monate dort. Herr Kollege Kroll-Schlüter, Sie können nicht so unbedarft sein,
das mit Absicht so gesagt zu haben. Es muß wohl mehr dahinterstehen. Denn da geht es nicht um 19 Monate hier und 20 Monate dort, sondern einfach darum, daß Ihr Entwurf das, was Sie den Leuten versprechen, nicht realisiert. Sie schaffen die Gewissensüberprüfung nicht ab.
Nun müssen Sie sich langsam einmal auf eine einheitliche Sprachregelung verständigen.
Herr Kollege Sauter von der CSU hat das hier ja in dankenswerter Deutlichkeit gesagt. Herr Geißler hat wieder etwas anderes gesagt.
— Auch Sie. Aber Herr Kollege Sauter liegt mit dem, was er sagt, bei der Wahrheit; denn wir haben j a wohl von den Texten auszugehen, um die es hier geht.
Wie Sie, Herr Kollege Kroll-Schlüter, die Stirn haben können, uns eine Bauchlandung vorzuwerfen angesichts der Tatsache, daß Sie mit Ihrem zusammengeschusterten Entwurf in der öffentlichen Anhörung eine totale Bauchlandung erlebt haben, ist I mir unverständlich. Nennen Sie mir doch bitte ein-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8895
Jaunich
mal Leute, die sich zu Ihrem Entwurf positiv geäußert haben, und zwar zu allen drei entscheidenden Positionen Ihres Entwurfs.
Punkt 1, Prüfungsverfahren: vernichtende Kritik. Punkt 2, Ausgestaltung des Dienstes: vernichtende Kritik. Punkt 3, zu dem Verfahren, mit dem Sie diesen schwierigen Gesetzentwurf durch diesen Deutschen Bundestag peitschen: eine ganz vernichtende Kritik.
Sie haben einen Punkt für Ehrlichkeit verdient, indem Sie darauf hingewiesen haben, daß die Sachverständigen fast ohne Ausnahme gesagt haben, daß alle miteinander eher bereit wären, noch eine Weile mit dem alten Gesetz zu leben, als mit Ihrem schlechten Entwurf zu leben.
Nun tun Sie bitte nicht so, als wenn das, was Sie in Ihren Änderungsanträgen angeblich als Konsequenz daraus gezogen haben, geeignet wäre,
diese Kritik zu entkräften. Was Sie hier vorgenommen haben, ist doch nur unter dem Rubrum „Kosmetik" einzuordnen.
Das kann doch die verfassungsrechtlichen und die allgemeinpolitischen Bedenken, die erhoben worden sind, in keiner Weise entkräften. Denken Sie doch an das Urteil der in dieser Frage durch Sachverstand ausgezeichneten Praktiker. Wenn Herr Dr. Seibert uns dort auch im Namen des Senats sehr eindrücklich schildern konnte, daß von Schlüssigkeitsprüfung über Glaubwürdigkeitsprüfung zur Gewissensprüfung keine Unterbrechung möglich ist, dann können Sie doch nicht sagen, Sie hätten mit dem, was Sie an Änderungsanträgen vorlegen, die Konsequenz daraus gezogen.
Wenn Sie sich hier dem Vorwurf entziehen wollen, dieses Gesetz sei durchgepeitscht worden, dann sprechen Sie wider besseres Wissen; denn uns liegt seit ein paar Minuten ein neuer Änderungsantrag zu Ihren Änderungsanträgen auf dem Tisch, weil keine sorgfältige Beratung stattgefunden hat, Herr Kollege Kroll-Schlüter.
Herr Abgeordneter, sind Sie mit einer Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter einverstanden?
Ja, Herr Präsident!
Herr Kollege Jaunich, unabhängig davon, daß dieser jüngste Antrag, den Sie gerade erwähnt haben, bloß — auch mit Ihrer Zustimmung wird er ja vorgelegt — eine redaktionelle Änderung bedeutet, darf ich Sie fragen, ob der von Ihnen vorgelegte Entwurf nach Ihrem Willen auch noch in dieser Legislaturperiode hätte verabschiedet werden sollen?
Ja, Herr Kollege.
— Darüber brauchen Sie sich nicht zu erheben.
— Darüber brauchen Sie sich nicht zu erheben, denn erstens ist er in der Anhörung den geringsten Zweifeln begegnet;
zweitens habe ich nach der Anhörung vorgeschlagen, daß wir beide unsere Entwürfe zurückziehen, daß wir beide dieses Thema nicht in den Vorwahlkampf und in den Wahlkampf hineinziehen, weil mich überzeugt hat, was die Vertreter aller Gruppierungen gesagt haben, nämlich daß der vielbeschworene Dialog mit der jungen Generation durch ein solches Durchpeitschen nicht geführt, sondern harsch beendet wird.
Nun zu Ihnen, Herr Geißler. Was Sie hier vorgetragen haben, begegnet bei mir großen Bedenken, ob das alles so ernsthaft gemeint ist. Sie haben in der Vormittagssitzung einen Katalog von gesetzlichen Maßnahmen angeführt, mit denen Sozialdemokraten und Liberale in der Vergangenheit die Bürger furchtbar zur Kasse gebeten
und den Abbau des Sozialstaates vollzogen hätten.
Da haben Sie in Ihrer Auflistung eine Position genannt — nur auf die eine kann ich eingehen, weil Sie das so schnell hergebetet haben —, nämlich die Streichung des Übergangsgeldes für Schwerbehinderte.
Sie haben zwei neue Mitarbeiter in diesem Haushalt bewilligt bekommen, einen für Öffentlichkeitsarbeit und einen für Ihr Ministerbüro, nicht mit unserer Stimme, aber mit der Stimme der neuen Mehrheit. Die scheinen alle miteinander nichts zu taugen; sonst hätten sie Ihnen so einen Quatsch nicht aufgeschrieben.
Was ist denn hier geschehen?
Im Schwerbehindertengesetz ist eine Regelung ge-
strichen worden, die in der Vergangenheit dazu ge-
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Jaunich
führt hat, daß ein Schwerbehinderter Angehöriger des öffentlichen Dienstes nach seinem Ausscheiden mehr Gehalt bezogen hat als vorher. Und das wollen Sie zum Beweis aufführen, wir hätten den Sozialstaat abgebaut! In einem solchen Falle kann man doch die Seriosität Ihrer Argumente überprüfen, Herr Minister.
Sie haben sich in der ersten Lesung zu diesen Gesetzentwürfen einer schweren Entgleisung schuldig gemacht. Sie haben hier Gruppen bezichtigt, sie würden die Wehrdienstverweigerung zum Kampf gegen den demokratischen Rechtsstaat mißbrauchen. Auf mein Vorhalten, Sie sollten das präzisieren, haben Sie gesagt, es seien die Jungsozialisten. Mein Fraktionskollge Roth hat Ihnen Gelegenheit gegeben, diesen empörenden Vorwurf schriftlich zurückzunehmen. Sie haben das bis heute nicht getan.
Wenn ich Akademiker wäre wie Sie, ich würde sagen, Sie sind für mich nicht mehr satifikationsfähig, Herr Kollege Geißler.
Herr Kollege Sauter hat hier davon gesprochen, daß man sauberer mit der Sprache umgehen müsse.
Nun, seine Sprache war ja sehr deutlich. Er hat gesagt, daß das Überprüfungsverfahren nach seiner Sicht nicht abgeschafft wird. Ich danke ihm dafür. Auch er hat einen Punkt für Ehrlichkeit verdient.
Er reagiert hier so auf einen spontan geäußerten Zwischenruf. Ich wage mir gar nicht auszumalen, wie die Institutionen, beim Bundesamt für den Zivildienst angefangen bis zu den Kammern und Ausschüssen hin, die Worte und das, was ein Volksschüler niederschreibt, künftig bewerten werden.
Meine Damen, meine Herren, damit wird der zweite Vorwurf deutlich, den wir von Anfang an erhoben haben, daß hier ein Abiturientenprivileg stattfindet.
Sie haben in Ihrer klaren Sprache, Herr Kollege Sauter, gesagt, die einen leisteten Dienst am Frieden — Sie meinten die Wehrpflichtigen damit —, und die anderen leisteten Dienst im Frieden. Wenn Sie so sehr auf klar Sprache aus sind, dann lassen Sie das noch einmal in Ihren Ohren und Ihrem Hirn wirken, was dies für eine Botschaft für jene bedeutet, die aus Gewissensgründen den Wehrdienst mit der Waffe nicht leisten können und statt dessen einen wichtigen gesellschaftlichen Dienst als Zivildienst leisten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sauter ?
Nein.
Herr Minister Geißler, Sie haben gemeint, nach unserem Entwurf würde einer anerkannt, der erklärt, er lehne den Kriegsdienst mit der Waffe ab, weil er gegen den demokratischen Staat oder die Bundeswehr zu Felde ziehen wolle. Ich muß Ihnen sagen: Bei uns würde kein Prüfungsverfahren stattfinden; denn dies wäre kein Antrag im Sinne unseres Gesetzentwurfs.
Auch die leichtesten Befürchtungen, die in der Anhörung gegen unseren Entwurf vorgebracht wurden, daß dennoch eine Schlüssigkeitsprüfung stattfinden, haben wir dadurch abgebaut, daß wir die Änderungsanträge zu unserem Entwurf vorgelegt haben. Nein, nein, meine Damen, meine Herren, ich habe j a, Herr Kollege Eimer, auf Sie bezogen, Verständnis dafür, daß Sie Ihr schlechtes Gewissen ein bißchen übertünchen müssen.
— Sie müßten eines haben; denn anders ist doch Ihre Haltung oder Ihr Umschwenken nicht zu verstehen.
Die Frau Kollegin Adam-Schwaetzer hat mir in der ersten Beratung hier Scheinheiligkeit vorgeworfen.
Sie hat mir keine Gelegenheit gegeben, durch eine Zwischenfrage diesen Sachverhalt aufzuklären. Nun frage ich dieses Hohe Haus und alle, die uns hören: Wer ist denn eigentlilch hier scheinheilig,
wenn Frau Adam-Schwaetzer am 24. Juni 1981 auf dem „Tagesdienst" der FDP-Fraktion die Überschrift bringt „Will Ehrenberg die Zivildienstleistenden mit 20 Monaten bestrafen"? Wer ist denn hier eigentlich wahrhaftig, und wer ist denn eigentlich in seiner Argumentation nicht lauter und redlich?
In diesem Artikel wird der Eindruck beschrieben, es bahne sich ein Komplott an der FDP vorbei zwischen der SPD einerseits und der CDU auf der anderen Seite an.
Dies brachte die FDP zu dieser Stellungnahme.
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Jaunich
So kann man doch nun wirklich nicht die Wahrheit verbiegen, wie das hier geschehen ist.
Sie haben hier die Änderungsanträge benannt und gemeint, es habe darüber keine Auseinandersetzung stattgefunden. In Wahrheit war es doch so, daß Sie alle miteinander von der neuen Mehrheit Angst hatten, Ihre Änderungsanträge auf den Prüfstand zu stellen.
Ich habe doch im Namen meiner Fraktion am Freitag voriger Woche im Ausschuß die Heranziehung dreier weiterer, von mir genannter Sachverständiger in die Ausschußsitzung beantragt,
um zu überprüfen, ob das, was Sie an Änderungen vorgelegt haben, nur Kosmetik oder substantieller Natur ist. Sie haben dies ebenso abgebügelt wie alle anderen Angebote, zu einer sachgerechten Behandlung der Materie zu kommen.
Die 248 Seiten Protokoll der öffentlichen Anhörung haben Sie noch nicht einmal in der Hand; die sind nämlich noch nicht einmal verteilt. Ich habe sie mir heute morgen im Ausschußsekretariat besorgen können; sie enthalten eine Vielzahl von kritischen Anmerkungen der Sachverständigen zu verfassungsrechtlichen, verfahrungsrechtlichen und politischen Bedenken. Das alles wird von Ihnen in den Wind geschlagen.
— Na, Sie sind ja so schlau, Herr Kollege Breuer, Sie haben das alles im Hirn gespeichert; natürlich: es ist nur nichts dabei herausgekommen als Ergebnis einer Überprüfung.
Ich gehöre diesem Deutschen Bundestag seit mehr als zehn Jahren an.
Zehn Jahre gehöre ich dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit an. Mir ist kein einziges Gesetz bewußt, das in dieser Art und Weise behandelt worden wäre — und dies bei der Bedeutung, die dieses Gesetz für junge Menschen hat.
Zum 1. 1. 1984 soll es in Kraft treten, und heute wird es durchgepeitscht; Ausschußberatung 50 Minuten, und die wäre kürzer gewesen, wenn der Herr Kollege Höpfinger als Ausschußvorsitzender nicht jeden Ihrer Änderungsanträge vorgelesen hätte. Sie haben doch nicht einen einzigen Ihrer Änderungsanträge begründet. Ich habe Ihnen ja die verfahrensrechtlichen Vorschläge gemacht. Alle sind abgeschmettert worden. Daraus können wir nur die Konsequenz ziehen: an Ihrem Gesetzentwurf kann man nichts verbessern, den kann man nur insgesamt in den Orkus jagen, und ich hoffe, daß es dazu kommt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eimer?
Ja, Herr Präsident.
Herr Kollege Jaunich, ist Ihnen nicht mehr in Erinnerung, daß ich zum Beispiel zum § 5 eine ausführliche Erklärung und Begründung abgegeben habe? Sie haben ja gerade gesagt, keine einzige Begründung sei gekommen.
Herr Kollege Eimer, über das Wort „ausführliche" Begründung sind wir sicherlich unterschiedlicher Auffassung. Erst nachdem wir Ihnen vorgeführt haben, wohin das führt — wir haben Sie dazu provoziert —, haben Sie dann in einer halben Minute eine Erklärung dazu abgegeben. Nein, nein, Sie können die Wahrheit nicht verbiegen.
Sie können das im übrigen ja auch im Protokoll nachlesen. Das hält ja auch wohl einer Nachprüfung stand, was ich hier sage.
Die neue Koalition hat sich vorgenommen, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Deshalb läßt sie auch keinen noch so ernstgemeinten Einwand gelten.
Das wird weggebügelt. Ich höre da schon den Gleichschritt. Das feststellen zu müssen ist sehr traurig.
— Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Herr Kollege.
Ein Schmarren mag sein, wie Sie das Ganze sehen. Aber es ist betrüblich, feststellen zu müssen, wie eine so schwierige, für viele, viele Menschen so bedeutsame Materie — weil es um Gewissensfragen geht — von Ihnen behandelt wird.
— Wir haben uns nicht verweigert.
Ich sage es noch einmal: Sie beten wie auf einer Gebetsmühle vor sich her, daß das Prüfungsverfahren abgeschafft sei und auch nicht wieder durch die Hintertür zur Geltung komme. Ich sage Ihnen: Dafür bedarf es keiner Hintertür; das geht bei Ihnen mit der Prüfung durch die Vordertür.
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Jaunich
— Sie müssen die Texte lesen, Herr Kollege.
Sie haben darüber hinaus den Zivildienst verlängert, und Sie haben die Dienste verschärft. Zu dem Thema hat mein Kollege Gilges einiges ausgeführt. Was haben denn die Verbände der Wohlfahrtspflege gesagt, zu was es führe, wenn man die Einverständniserklärung streicht? Das zerstöre die Motivation, darunter würden jene Menschen leiden, die als Schwerstbehinderte heute und auch in Zukunft Einzelpflege durch Zivildienstleistende erfahren sollten. Das alles haben Sie überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Sie haben es nicht berücksichtigt.
Wir Sozialdemokraten sagen j a zur Landesverteidigung.
Aber der demokratische, soziale Rechtsstaat zeichnet sich nicht nur dadurch aus, daß er verteidigt wird, sondern er garantiert auch Minderheiten ihre verfassungsgemäßen Rechte.
Das macht doch die Stärke unseres demokratischen Rechtsstaates aus.
Herr Geißler, ich weiß nicht, was Ihr Ausflug in kommunistische Länder bedeuten sollte. Für uns ist das kein Vorbild. Wir bekennen uns zu diesem Rechtsstaat. Wir lassen nicht zu, daß er von innen heraus ausgehöhlt wird.
Dieser demokratische und soziale Rechtsstaat muß nach innen wie nach außen verteidigt werden.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Eimer?
Nein.
An die jungen Menschen in unserem Lande, die auf Grund einer solchen Handlungsweise an unserem Rechtsstaat irre werden könnten, richte ich die Bitte, nicht auszusteigen, sondern sich verstärkt zu engagieren, weil es sich lohnt, unseren demokratischen Rechtsstaat zu formen. Dann muß man den Verantwortlichen eben in geeigneter Form die Quittung für ihr Handeln erteilen.
Sie haben, eingebettet in den Haushalt 1983 — in der Hoffnung, daß das alles klammheimlich über die Bühne geht —, Verschlechterungen des jetzigen Rechts herbeigeführt — das sind keine Verbesserungen — und versuchen, das als Verbesserungen zu verkaufen. Das ist unwahrhaftig. Das muß uns Probleme mit der jungen Generation bescheren.
Ich hoffe nur, daß die jungen Menschen in den vor
uns liegenden Wochen die einzelnen Abgeordneten
in den Wahlkreisen sehr intensiv danach befragen
werden, was sie denn in dieser Frage getan haben oder zu was sie sich haben mißbrauchen lassen.
Sie haben den Boden für Ihre schlimmen Taten vorbereitet, indem Sie wie auf anderen Feldern mit Diffamierungen gearbeitet haben. Sie haben das Schlagwort von den Drückebergern und ähnliches immer wieder ins Spiel gebracht. Ich will ja überhaupt nicht bestreiten, daß es im Zivildienst auch Plätze gibt, die man als Druckposten bezeichnen kann. Die gibt es aber auch im Wehrdienst.
Das Thema Wehrgerechtigkeit bedarf, finde ich, einer verstärkten Beratung des Bundestages. Aber mehr Wehrgerechtigkeit schaffen Sie ja nicht dadurch, daß Sie auch nur einem einzigen sein verfassungsmäßiges Recht abschneiden.
Es gibt nicht die Möglichkeit, Ihren Entwurf durch Änderungsanträge entscheidend zu verbessern, wie die Abgeordneten Coppik und Hansen das versuchen. Ich könnte im einzelnen begründen, warum das nicht möglich ist. Trotz dieser Änderungsanträge bleiben j a die von Ihnen vorgesehenen Verschärfungen des Zivildienstes bestehen. Es gibt nur eine einzige Alternative zu Ihrem Entwurf, und die besteht in der Annahme des von der sozialdemokratischen Fraktion vorgelegten Gesetzentwurfs.
Lassen Sie mich zum Schluß, in der einen Minute, die ich noch habe, bitte noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen. Keiner der Herren Vorredner hat das aufgenommen, was wir von der Bundesregierung in einem Entschließungsantrag fordern, nämlich Vorarbeiten für eine Amnestieregelung in Angriff zu nehmen.
Wenn es nicht nur bloße Lippenbekenntnisse von Ihnen auf der rechten Seite des Hauses waren, gehen wir alle miteinander davon aus, daß es bisher nach altem Recht Fälle gegeben hat, in denen jemand, von seiner Gewissensentscheidung getrieben, keine Anerkennung gefunden hat und schließlich einen Weg gehen mußte, der ihn mit unserer Rechtsordnung in Konflikt brachte. Wenn Sie meinen, daß Ihr Entwurf ein Fortschritt ist, dann müßten Sie doch von sich aus die Verpflichtung fühlen, im Wege einer Amnestieregelung jenen zu helfen, die sich an unserer Rechtsordnung haben vergehen müssen.
Kein Wort dazu, auch von dem zuständigen Minister nicht.
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Jaunich
— Herr Kollege Eimer, ich habe sehr sorgfältig zugehört. Ich kann nur noch einmal feststellen, daß es keine nennenswerte Reaktion darauf gegeben hat. Ich kann nur hoffen, daß Sie wenigstens diesem Entschließungsantrag Ihre Zustimmung geben werden.
Im übrigen werden wir für die vorliegenden Gesetzentwürfe namentliche Abstimmung beantragen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Linde nach § 29 der Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind heute in der Beratungszeit etwas beschränkt. Wir haben auch vielen Kollegen gesagt, wie der Tag heute ablaufen soll.
Nun liegen außerhalb der geschlossenen Vereinbarung weitere Wortmeldungen vor. Deshalb beantrage ich hier Schluß der Debatte und bitte das Haus um Zustimmung.
Zur Gegenrede Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gegen diesen Antrag sprechen.
Die Diskussion über die Frage, ob und wie die Gewissensprüfung für Kriegsdienstverweigerer geregelt werden soll, kann nicht unter dem Termindruck der Zeitplanung von einzelnen Mitgliedern dieses Hauses geführt werden. Hier kann deutlich gemacht werden, wie der Deutsche Bundestag sich selbst und das Problem der Gewissensfreiheit beurteilt, ob es eine Frage der Redezeitbegrenzung ist oder ob es eine Frage der demokratischen Auseinandersetzung in Rede und Gegenrede unter uns ist.
Ich spreche gegen den Antrag.
Meine Damen und Herren, ich lasse über den Antrag der SPD-Fraktion
auf Schluß der Debatte abstimmen.
Ich lasse über den Antrag abstimmen. Wer dem Antrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich
um das Handzeichen. — Danke sehr. Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit.
Meine Damen und Herren, ich schließe damit die Aussprache. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung werden die Einzelberatung und die Abstimmung in zweiter Beratung sowie die dritte Beratung dieses Gesetzes nach der abschließenden Beratung des Haushaltsgesetzes 1983 aufgerufen.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung in zweiter Beratung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 in der Fassung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 9/2283. Ich rufe Art. 36 und 37, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihr Votum. Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Damit ist die zweite Beratung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 abgeschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt I. a) 28 auf: Haushaltsgesetz 1983
— Drucksachen 9/2168, 9/2298 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Wieczorek Hoppe
Carstens
Wird das Wort von den Berichterstattern gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 23 einschließlich des Gesamtplans sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Ich rufe Punkt III der Tagesordnung auf:
a) Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1983
— Drucksachen 9/1920, 9/2050, 9/2139, 9/2141 bis 9/2168, 9/2281, 9/2289 —
b) Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts
— Drucksachen 9/2074, 9/2140, 9/2283 —
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist eine gemeinsame Beratung der beiden Punkte vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall.
8900 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Vizepräsident Wurbs
Vor Eintritt in die dritte Beratung will der Abgeordnete Hansen eine Erklärung nach § 29 der Geschäftsordnung abgeben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es für meine Pflicht, Sie auf etwas aufmerksam zu machen, was mit den Abstimmungen am Dienstagabend zu tun hat. Am Dienstagabend sind bei der Beratung des Einzelplans 14 unter dem Gesamtkapitel 1415 die Titel 55 401 und 55 402 von der Mehrheit des Hauses ausweislich des Protokolls und der Anwesenden abgelehnt worden.
Da dies so war, können wir nicht in die dritte Beratung eintreten. Ich erhebe Fristeinrede nach § 84 der Geschäftsordnung und bitte entsprechend zu verfahren.
Vizepräsident Wurbs: Herr Abgeordneter
Dr. Schäuble!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Hansen sind unrichtig. Ausweislich des Protokolls sind die von Herrn Hansen angesprochenen Titel in der Fassung des federführenden Ausschusses angenommen worden, so daß wir in die dritte Beratung eintreten können. Vorsorglich, Herr Präsident, beantrage ich, von der Frist des § 84 abzusehen.
Liegen weitere Wortmeldungen vor? — Das ist nicht der Fall.
Herr Abgeordneter Schäuble hat im Auftrag seiner Fraktion den Antrag gestellt, — —
— Vorsorglich? — Gut. Ich wollte das nur für das Protokoll noch einmal ausdrücklich erwähnt haben.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Esters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Vorgänger im Vorsitz des Haushaltsausschusses haben von dieser Stelle aus in der dritten Lesung oft darüber geklagt, daß die Ausschußberatungen wegen verspäteter Einbringung des Haushalts durch die Bundesregierung in einer unangemessenen Eile hätten erfolgen müssen. Meines Wissens ist es aber noch niemals vorgekommen, daß der Haushaltsausschuß in so kurzer Zeit einen Haushaltsentwurf, einen Ergänzungshaushalt, einen Nachtragshaushalt, ein umfangreiches Haushaltsbegleitgesetz sowie einen Beschäftigungshaushalt, wie die SPD-Fraktion ihn vorgelegt hat, beraten mußte.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, einen Augenblick, bitte. — Meine Damen
und Herren, ich bitte doch Platz zu nehmen. — Bitte, fahren Sie fort.
Ich möchte nicht darüber rechten, ob die neue Bundesregierung eine sorgfältigere Beratung hätte ermöglichen können, wenn sie sich von Anfang an zu dem Eingeständnis entschlossen hätte, daß sich die vielzitierte Wende haushaltstechnisch als Ergänzungshaushalt zum Haushalt der alten Regierung darstellt. Wir sind uns darüber einig, daß sich eine Beratung wie in diesem Jahr nicht wiederholen darf.
Das vornehmste Recht und die traditionell wichtigste Pflicht des Parlaments, über die Feststellung des Haushalts die politische Planung der Regierung zu kontrollieren und mitzugestalten, waren faktisch auf einige wenige Sitzungstage beschränkt. Wenn der Deutsche Bundestag und der Haushaltsausschuß diese Verkürzung hingenommen haben, dann nur deshalb, weil der Wahltermin sonst noch weiter hinausgeschoben worden oder aber vorerst kein Haushalt zustande gekommen wäre. Das Gemeinwohl aber erlaubte es nicht, in wirtschaftlich schwieriger Lage ohne Haushalt ins kommende Jahr zu gehen. Wegen der Wahldaten, die die gegenwärtige Koalition gesetzt hat, hätte es für diesen Fall praktisch bis in den Herbst 1983 hinein nur eine vorläufige Haushaltsführung gegeben, die investive Anstöße weitgehend ausschließt und damit die wirtschaftliche Krise mit Sicherheit weiter verschärft hätte. Als Sozialdemokrat, aber durchaus auch als Ausschußvorsitzender möchte ich hervorheben, daß der gegenwärtigen Opposition der Verzicht auf eine sorgfältigere Beratung naturgemäß besonders schwergefallen ist, weil sie den Terminplan der Koalition nicht zu verantworten hat und weil ihre spezifische Kontrollaufgabe besonders gelitten hat.
Trotz der gegebenen Umstände haben die Mitglieder des Haushaltsausschusses durch ein hohes Maß an Arbeitsdisziplin sichergestellt, daß die Etats nicht einfach durch Handaufheben beschlossen wurden. Dies ist im wesentlichen ein Verdienst der Berichterstatter, die mit ihrem großen Fachwissen die Hauptlast der Verantwortung zu tragen hatten. Sachbezogenheit, Fairneß und Kollegialität, die die Arbeit im Haushaltsausschuß schon immer geprägt haben, waren die Grundlage dafür, daß durchweg vertrauensvoll — entsprechend den Berichterstattervorschlägen — beschlossen wurde. Dafür möchte ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen sehr herzlich bedanken.
Der Regierungswechsel hat auch im Ausschuß zu einem Rollentausch geführt: Die eine Seite mußte sich in die heikle Aufgabe finden, die Regierung zu stützen und doch Eigenständigkeit zu zeigen, konnte dabei allerdings auf das bewährte Vorbild der drei FDP-Kollegen bauen. Die andere Seite hatte sich aus dieser Rolle zu lösen, was ihr um so schwerer fiel, als Beratungsgrundlage der Haushaltsentwurf der alten Regierung geblieben war. Der Ausschuß hat sich als Mahner und Kontrolleur
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erwiesen, als ein Gremium, in dem der alte konstitutionelle Gegensatz Parlament—Regierung sichtbar wird. Wie immer sich die Aufgaben nach der Bundestagswahl neu verteilen: Es muß dabei bleiben, daß die Oppositionsgruppe auch vermeintlich unantastbare Heiligtümer, wenn nötig, in Frage stellt. Und es muß dabei bleiben, daß die Gruppe, die die Regierung trägt, solche Anstöße ernst nimmt oder selbst entwickelt.
Der Haushaltsausschuß muß Zähne zeigen und den Respekt der Ressorts immer wieder erzwingen.
Wenn dies nicht wäre, würde er seine Aufgabe nicht gut erfüllen.
In den Dank an die Mitglieder des Ausschusses schließe ich die Mitarbeiter des Ausschußsekretariats und der Bundestagsverwaltung sowie die Mitarbeiter der Fraktionen und der Ministerien, insbesondere des Bundesministeriums der Finanzen, die uns geholfen haben — und wir haben ihnen geholfen — ein. Ohne diese Mitwirkung hätte eine verabschiedungsreife Vorlage als Ausschußempfehlung nicht vorgelegt werden können.
Gestatten Sie mir einige grundsätzliche Bemerkungen. Der Haushaltsausschuß beschränkt sich nicht auf die technische Erörterung eines Zahlenwerks. Er versteht sich auch politisch. Der Haushaltsplan wird mit Recht als die wichtigste Planung des Staates bezeichnet. Er bietet eine Gesamtschau über die Gestaltung der unmittelbaren Zukunft des nächsten Jahres.
Deshalb hat der Ausschuß Wert darauf gelegt, daß die Bundesminister oder deren Parlamentarische Staatssekretäre vor Eintritt in die Detailberatung zu einer Grundsatzaussprache zur Verfügung standen. Dadurch konnte in etwa die Unterlassung der Bundesregierung ausgeglichen werden, durch Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung ihre Vorstellungen und Zielplanungen darzulegen. Wir erleben zwar angesichts der Wucht der Tatsachen, daß die Planungseuphorie aus den Zeiten der Großen Koalition einer Ernüchterung gewichen ist. Ich warne aber davor, ins Gegenteil zu verfallen.
Unter der vereinfachenden Parole „Weniger Staat, mehr freies Spiel der Kräfte" verbergen sich oft ein unübersehbarer Affekt gegen die Einflußnahme der öffentlichen Hand auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung überhaupt und ein Vormarsch in — grob gesprochen — eine Situation, die eine staatliche Konjunkturpolitik durch die öffentlichen Haushalte ablehnt.
Auch die öffentliche Diskussion über die Staatsverschuldung wird nicht selten so geführt, als sollte der Haushalt nach Altvätersitte am besten wieder darauf beschränkt werden, lediglich die Kosten der Staatsverwaltung für einen bestimmten Zeitraum festzulegen.
Es entspricht unserer Finanzverfassung, wenn der Staat bei steigender Arbeitslosigkeit und fallenden Steuereinnahmen die Haushaltsmehrbelastungen durch Kreditaufnahme ausgleicht, wenn der Staat Kredite aufnimmt, um zu intervenieren und antizyklisch zu handeln. Die Schlagwortdiskussion über die Staatsverschuldung darf dies nicht verdunkeln.
Die alte Regierung ist nach diesem Gebot verfahren, und die neue Regierung folgt ihr darin im Prinzip, soweit es den Ausgleich konjunkturbedingter Haushaltsbelastungen betrifft.
Dies ergibt sich schon aus dem Volumen des Haushalts 1983 sowie der Nettokreditaufnahme in der Größenordnung von 41 Milliarden DM. Der Bundesminister der Finanzen hat in seinem Einführungsbericht vor dem Haushaltsausschuß dies bestätigt, als er die Nettokreditaufnahme auch in ihrem Umfang ausdrücklich wegen der radikal verringerten Kapitalnachfrage der Wirtschaft für volkswirtschaftlich gerechtfertigt erklärte.
Für den verhandlungsleitenden Vorsitzenden ist es eine ganz erheiternde Erfahrung, mit dem Wechsel der politischen Konstellationen auch einen gewissen Wechsel der Argumentation feststellen zu können.
Wer sich allerdings vergegenwärtigt, wie leidenschaftlich der Bundesrat sich noch vor wenigen Monaten der Mehrwertsteuererhöhung widersetzt hat und wie geschmeidig er nun dem gleichen Vorhaben zustimmt, weil es eine genehmere Regierung und Bundestagsmehrheit gibt, der darf auch ruhig Verwunderung zum Ausdruck bringen oder zeigen.
Dem Bundesminister der Finanzen ist zuzustimmen, daß jetzt nicht die Zeit ist, an einen Subventionsabbau großen Stils zu denken, so notwendig diese Aufgabe langfristig auch ist. In der sozial verpflichteten Industriegesellschaft erwartet der Bürger vom Staat, daß er die härtesten Folgen einer Krise durch Vergabe von Subventionen, Garantien und Bürgschaften, durch Beschäftigungsprogramme, eigene Investitionen oder durch Investitionsanreize für Private mildert. Der Haushaltsausschuß hat sich im Falle Arbed Saarstahl exemplarisch zu dieser Verantwortung bekannt. Er hat der Bundesregierung nicht nur seine Zustimmung zur Gewährung der Überbrückungshilfen gegeben und für 1983 Gelder in Höhe von über 300 Millionen DM einschließlich des Landesanteils des Saarlandes bereitgestellt, sondern er hat auf dem Höhepunkt der Krise in der vorvergangenen Woche durch seinen einstimmig gefaßten Beschluß die Bundesregierung auch ermuntert, alles zu tun, damit die Verhandlungen über die Rettung des Unternehmens nicht resigniert vorzeitig abgebrochen werden. Er hat ein Weiteres getan und wegen der Stahlkrise insgesamt und wegen angekündigter Entlassungen sozial flankierende Maßnahmen im Einzelplan 60 vorgesehen bzw. seine Bereitschaft bekräftigt, dann, wenn die
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Situation es erfordert, daß der Finanzminister handeln kann, seine Zustimmung dazu zu geben.
Der Haushalt, der nun verabschiedet wird, birgt allerdings auch erhebliche Risiken, die vor allem im zu erwartenden Anstieg der Arbeitslosigkeit und in der Verlängerung der Arbeitslosigkeit für die bereits jetzt betroffenen Mitbürger liegen. Der Zweite Nachtragshaushalt mit den Nachschüssen für die Arbeitslosenhilfe an die Bundesanstalt für Arbeit vermittelt davon einen Eindruck.
Ich möchte einige weitere Faktoren anfügen, die den Haushaltsausschuß besonders beschäftigt haben. Im Bereich der Verteidigung sind das die Kosten aus internationalen Verträgen, bei denen die Regierung zwangsläufig die Vorhand hat und bei denen das Parlament, insbesondere aber die Regierungsfraktionen leicht in den Zugzwang geraten können, sozusagen notariell die Regierungsentscheidungen nachzuvollziehen.
Ein von der Kostendimension gleichartiges Problem mit Unsicherheiten für den Haushalt ist die Fortführung der Reaktorlinien. Hier wird der Haushaltsausschuß zu prüfen haben — er hat den Auftrag erteilt —, welche Möglichkeiten einer verbesserten Kostenkontrolle bestehen. Dies gilt dann natürlich auch für Projekte, die in der Zukunft in dieser Dimension begonnen werden.
Im Bereich der Personalkosten ist ungewiß, ob die 2 %-Regelung für Beamte auf Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes übertragen werden kann. Im Ausschuß ist bezweifelt worden, ob der Wille der Regierung, Mehrausgaben gegebenenfalls durch Stelleneinsparungen zu neutralisieren, vor der gleichzeitigen Aussage bestehen kann, der Personalbestand entspreche den sachlichen Notwendigkeiten.
Zu den Unsicherheitsfaktoren muß ich schließlich das Haushaltsgesetz 1983 rechnen. Die verfassungsrechtliche Problematik der Investitionshilfeabgabe ist hier im Plenum und im Auschuß ebenso erörtert worden wie ihre mit dem Gesetzestext und der Zweckbindung schwerlich zu vereinbarende Etatisierung, nach der von der erwarteten Einnahme von 1 Milliarde DM rund 892 Millionen DM für die allgemeine Haushaltsdeckung, also nicht zweckgebunden verwandt werden. Mein Eindruck ist, daß wir uns mit einigen Komplexen des Haushaltsbegleitgesetzes 1983, das sicherlich aus Zeitgründen mit heißer Nadel genäht worden ist — das ist kein Vorwurf —, in der kommenden Wahlperiode nochmals werden beschäftigen müssen. Der Haushaltsausschuß jedenfalls muß es für unzumutbar und nicht wiederholbar halten, daß er neben seinen eigentlichen Aufgaben das Haushaltsbegleitgesetz federführend zu beschließen und Stellungnahmen von zehn mitberatenden Ausschüssen in kürzester Frist zu beachten hatte. Das Gewissen und die Verantwortung der Abgeordneten verbieten dies.
Wer andererseits wie der Haushaltsausschuß stets an Kosten- und Sparsamkeitsgesichtspunkten mißt, hat ein enges Verhältnis zum Praktischen und befürwortet schon von daher den Abbau vermeidbarer Bürokratie. Die Beratung der Haushaltsbegleitgesetze hat aber wieder gezeigt, wie grau alle Theorie ist und wie hart im Raume sich die Sachen stoßen. Bürokratieverdächtig sind die Art. 1 a, die Vorschrift über die befristete Rücklage beim Erwerb gefährdeter Betriebe, in Art. 8 die Ausgestaltung der Investitionshilfeabgabe oder in Art. 12 die komplizierte Fassung des Einkommensbegriffs beim Bundeskindergeldgesetz. Es ist bereits gesagt worden, daß die Differenzierung beim Kindergeld die Bundesanstalt für Arbeit zur Überprüfung von 3,5 Millionen Fällen zwingt, daß 1 248 zusätzliche Stellen erforderlich sind und daß Verwaltungskosten zwischen 100 und 130 Millionen DM entstehen werden. Die neue Koalition erfährt an diesem Beispiel, genau wie die alte, daß soziale Gerechtigkeit und Verwaltungsaufwand im Wechselverhältnis miteinander stehen,
ein Zusammenhang, den die oberflächliche Bürokratiedebatte bei uns allzu oft vorsätzlich oder fahrlässig vernachlässigt.
Die Rahmenbedingungen, denen sich die Politik stellen muß, haben sich drastisch verändert. Wenige Stichworte dazu: Die demographischen Verschiebungen werden zunächst den Arbeitsmarkt und in wenigen Jahren die Alterssicherungssysteme außerordentlich belasten. Die Zweifel daran, ob die Wachstumsraten der Vergangenheit in Zukunft wieder zu erreichen sind, sind gestiegen. Gleichzeitig erleben wir in manchen Bereichen eine geradezu atemberaubende Produktivitätssteigerung als Folge des technischen Fortschritts.
In dieser Situation besteht die wichtigste innenpolitische Aufgabe darin, das Übel der Arbeitslosigkeit zurückzudrängen, neue Beschäftigungschancen zu eröffnen und gleichzeitig die Systeme der sozialen Sicherheit funktionstüchtig zu erhalten. Dies sind die Ziele, zu deren Verwirklichung auch die Haushalts- und Finanzpolitik beitragen muß.
Gelingen aber wird das nur, wenn wir uns alle von überkommenen Denkmustern lösen und bereit sind, vorurteilsfrei auch neue Lösungsansätze ins Auge zu fassen.
Der von uns vorgelegte Beschäftigungshaushalt — wer ihn sich genauer ansieht, wird das feststellen — hat bereits einen solchen neuen, unkonventionellen Ansatz. Er sollte umfangreiche wachstums- und beschäftigungspolitische Impulse geben, ohne gleichzeitig das Ziel der mittelfristigen Haushaltskonsolidierung in Frage zu stellen. Dort wird auch die Konsequenz aus der Erkenntnis gezogen, daß Arbeitsplätze ein knappes Gut geworden sind und daß Maßnahmen zur Verkürzung der Arbeitszeit — in diesem Falle der Lebensarbeitszeit — unabdingbar sind.
Leider hat sich für diese Vorschläge keine Mehrheit gefunden, obwohl im Ausschuß Einigkeit bestand, daß außergewöhnliche Umstände außergewöhnliche Mittel erfordern, daß die gegenwärtigen Instrumente zum Abbau der Arbeitslosigkeit nicht
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genügend greifen und daß eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung nötig ist, um die Krise zu überwinden.
Bedauerlicherweise war hier — andererseits verständlich — die Mitarbeit der Koalitionsfraktionen an unserer beschäftigungspolitischen Initiative für den Haushalt 1983 nicht sonderlich stark, aber die Weichenstellung dafür war auch schon vorher von der Bundesregierung vorgegeben worden. Schon im Plenum war abwertend von „Strohfeuer" und „ungesicherter Finanzierung" die Rede. Ich selbst war daher um so erstaunter, als ich vor wenigen Tagen die Vorstellungen der schleswig-holsteinischen Landesregierung zu Gesicht bekam. Dort wird, so wurde es der Presse vorgestellt, gesagt — ich zitiere —:
Die Landesregierung von Schleswig-Holstein hat sich entschlossen, mit einer außergewöhnlichen Kraftanstrengung alles ihr Mögliche in die Wege zu leiten, um Arbeitsplätze zu sichern, neue Arbeitsplätze zu schaffen und der Wirtschaft Hilfen für einen positiven Neubeginn zu geben. Die Landesregierung hat deshalb heute ein Schleswig-Holstein-Programm für Arbeitsplätze beschlossen. Das Programm hat ein Volumen von insgesamt 421 Millionen DM ...
Dann wird darauf hingewiesen, daß sich der Kreditbedarf erhöht.
Wenn man die Größenordnung des schleswig-holsteinischen Haushalts zu denen des Bundes in Relation setzt, dann ergibt das für den Bundeshaushalt ein Programm von über 12 Milliarden DM, und zwar mit Krediten finanziert.
Der heutige Bundesfinanzminister hat jahrelang genau diese Art der Finanzierung einer beschäftigungspolitischen Initiative für falsch gehalten. Wir haben bei uns eine andere Finanzierungsform hineingebracht. Ich freue mich, daß mittlerweile die Nachfolger von Herrn Minister Stoltenberg im Land Schleswig-Holstein das übernommen haben, was Sozialdemokraten im Land und im Bund schon lange für nötig gehalten haben, nämlich eine beschäftigungspolitische Initiative mit Mitteln aus dem Staatshaushalt.
Man sollte nicht leichtfertig das Angebot — das der Kollege Walther gemacht hat — zu einer gemeinsamen beschäftigungspolitischen Initiative ausschlagen; denn die veränderten Rahmenbedingungen stellen auch unsere Sozialsysteme vor große Herausforderungen. Steigende Arbeitslosigkeit und wachsende Probleme bei den Sozialversicherungen stehen dabei in unmittelbarem Zusammenhang. Es ist besser, Geld in Arbeitsplätze zu investieren und damit kontinuierliche Beitragsleistungen sicherzustellen, als bei Fortfall weiterer Arbeitsplätze zu erheblichen Nachschüssen aus dem Haushalt gezwungen zu sein.
Besonders in schwierigen Zeiten muß aber auch
gelten: Soziale Sicherheit ist kein Luxus, Sozialausgaben dürfen nicht zu einer Restgröße werden, die
je nach den haushaltspolitischen Erfordernissen manipulierbar ist.
Wir werden — das gilt für alle Parteien — noch intensiver in der Zukunft darüber nachzudenken haben, wie diese Systeme mittelfristig so umgebaut werden, daß sie auch unter ungünstigen Bedingungen finanzierbar bleiben und doch ihre Aufgabe erfüllen. Ich gebrauche bewußt das Wort vom mittelfristigen Umbau und stelle es in einen Gegensatz zu kurzatmigen Eingriffen.
Eine mittelfristige Umgestaltung von Strukturelementen darf nicht allein zu Lasten der sozial Schwächeren gehen. Notwendig ist auch, daß steuerliche Privilegien nicht tabuisiert werden. Der Bundesrechnungshof hat davor gewarnt, daß die Vielzahl von Vergünstigungen allmählich die Steuergerechtigkeit gerade zu Lasten der abhängig Arbeitenden aushöhlt. Wir müssen auch Einkommensschwachen Opfer abverlangen. Glaubwürdig können wir diese Opfer aber nur verlangen, wenn auch die besser Verdienenden ihren Beitrag leisten.
Die Beratungen im Haushaltsausschuß sind deutlich ruhiger und sachlicher als die Diskussion im Plenum verlaufen. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch im Ausschuß, wenn über die Einzelfragen entschieden wurde, grundlegende Differenzen zum Ausdruck kamen, z. B. in den Fragen, wie die Beschäftigungsprobleme am besten zu bewältigen sind, das soziale Netz erhalten und soziale Ausgewogenheit gewährleistet werden kann. Mit diesen unterschiedlichen Konzepten werden wir in den Wahlkampf gehen. Es würde der parlamentarischen Demokratie gut tun, wenn wir bei aller Schärfe der Auseinandersetzung in der Sache das Maß bewahrten. Dabei kann in aller Bescheidenheit vielleicht der Stil der Diskussion im Haushaltsausschuß ein wenig als Vorbild dienen. — Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Rentrop.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der steuerliche Teil des Haushaltsbegleitgesetzes unterstützt das nachhaltige Bemühen der neuen Koalition, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Es hat den Charakter eines Sofortprogramms. Ein Sofortprogramm kann von der Natur der Sache her nicht in allen Punkten perfekt sein. Es kommt vielmehr darauf an, daß die Gesamtrichtung stimmt. Dies ist der Fall.
Die Steuerrechtsänderungen des Haushaltsbegleitgesetzes zeigen, daß die Koalition der Mitte in der Lage ist, eine komplexe Materie kurzfristig zur Verabschiedung zu bringen. Wir haben unsere finanzpolitische Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Das Vertrauen der Wirtschaft in die weitere konjunkturelle Entwicklung ist bereits im Wachsen begriffen. Dies zeigt sich nicht nur an der positiveren Einschätzung der Wirtschaftsaussichten durch die jüngste Entwicklung an der Börse.
8904 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Rentrop
Börsianer haben seit jeher ein Gespür für die zukünftigen Wirtschaftsaussichten.
Im steuerlichen Abschnitt des Haushaltsbegleitgesetzes ist der deutliche Wille erkennbar, die Ursachen und nicht die Symptome der Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Hauptgrund für die schwierige Wirtschaftslage ist die schlechte Ertragssituation der Betriebe. „Es gibt" — ich zitiere hier noch einmal Ziffer 53 des Sondergutachtens des Sachverständigenrates — „in der Wirtschaftsgeschichte keine Beispiele für Perioden allgemeiner Prosperität, in denen die Gewinne der Unternehmen nicht gut waren". Die Gewinne sind nicht gut. Sie müssen verbessert werden. Steuerlich soll dies vor allen Dingen durch die Gewerbesteuerentlastung bei der Hinzurechnung von Dauerschuldzinsen geschehen. Steuerliche Entlastungsmaßnahmen können jedoch nur einen Beitrag zur Kostenentlastung leisten. Die Senkung der übrigen Kostenfaktoren ist mindestens ebenso wichtig.
Für meine Fraktion ist enscheidend, daß den privaten Investitionen Priorität eingeräumt wird. Wir müssen sehen, daß 85% der gesamten Investitionen private Investitionen sind. Nur 15% entfallen auf die öffentlichen Investitionen. Die privaten Investitionen sind auch deswegen der richtige Ansatzpunkt für die notwendigen Maßnahmen zur Wirtschaftsbelebung, weil sie, anders als die öffentlichen Investitionen, keine Folgekosten haben, die die öffentlichen Haushalte noch Jahre nachher belasten. Es darf auch nicht in Vergessenheit geraten, daß seit 1974 mehr als zwei Dutzend öffentliche Ausgabenprogramme gefahren wurden. Sie haben die eigentliche Ursache der Wirtschaftsschwäche nicht bekämpfen können.
In der so häufigen wirtschafts- und finanztheoretischen Auseinandersetzung über das Rezept, hier etwas mit Defiziten zu tun, weise ich gern darauf hin, daß das mit dem „deficit spending", mit der Defizitfinanzierung so ähnlich ist wie mit den Antibiotika: Normalerweise helfen sie bei einer schweren Lungenentzündung. Aber wenn man sie in der Zwischenzeit für jeden wirtschaftlichen Schnupfen verwandt hat, bilden sich auch in einem volkswirtschaftlichen Organismus resistente Gegenkörper. Dies ist die Situation, in der wir heute sind: Es hilft nicht mehr. Wir müssen neue Ansätze finden.
Was uns Keynes als Erkenntnis aus dem Jahr 1931 überliefert hat, ist heute — sicherlich auch infolge des Mißbrauchs in den Wohlstandsjahren, infolge der Nichtrückführung von Mitteln in Konjunkturjahren — nicht mehr wirksam. Die resistenten Körper in den Volkswirtschaften heißen jetzt Kernkraftgegner, Verkehrsgegner und Umweltfreunde. Im Grunde genommen hemmen und behindern auch diese die wirtschaftliche Entwicklung.
Wir haben daraus gelernt, anders als die Sozialdemokraten, die ein neues Ausgabenprogramm von 50 Milliarden DM fordern. Die notwendigen Wachstumskräfte müssen vor allem durch eine breitgefächerte Kostenentlastung der Betriebe freigesetzt werden. Nur so werden die Unternehmer wieder Mut zum Investieren haben.
Die Personalkosten, auf die etwa die Hälfte aller Kosten entfällt, können hier nicht ausgespart werden. Dabei ergibt sich zwangsläufig der Konflikt zwischen der verbesserten Ertragslage und der gerechteren Verteilung des Produktivvermögens. Es ist daher notwendig, ein Instrument zu entwickeln, das diesen Konflikt entschärft. Ein solches Instrument ist u. a. eine verbesserte Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand.
Über die Vermögensbildung ist viel geredet worden. Dafür wurden um so weniger konkrete wirksame Konzepte vorgelegt. Die Freien Demokraten dagegen haben in der vorigen Woche ein bis zur Gesetzesreife durchformuliertes und daher schnell realisierbares Modell vorgestellt. Es sieht vor, Arbeitnehmerdarlehen und stille Beteiligungen am Unternehmen des Arbeitgebers zu fördern. Wir haben damit eine Antwort auf Überlegungen vor allem der Gewerkschaft Textil-Bekleidung gegeben. Wir haben einen Weg gewiesen, wie man Arbeitnehmerdarlehen und stille Beteiligungen am arbeitgebenden Unternehmen einmal in die betriebliche Vermögensbildung einbauen und damit gleichzeitig einen Beitrag zur Verbesserung der Finanzierungsverhältnisse der Unternehmen leisten kann.
Damit können Arbeitsplätze gesichert werden.
Gegenüber den von den Sozialdemokraten in diesen Tagen geäußerten Vorstellungen zur Vermögensbildung hat unser Vorschlag den Vorteil, verabschiedungsreif zu sein. Die von der SPD geforderten Einkommensgrenzen bei der Förderung des Produktivkapitals in Arbeitnehmerhand lehnen wir ab.
— Wir wollen z. B. auch einen ledigen Facharbeiter fördern, Herr Gobrecht, der bei der SPD schon oberhalb der Einkommensgrenze liegt. Auch die geforderte Streichung der Steuervergünstigung für kleinere Betriebe, die ihren Arbeitnehmern vermögenswirksame Leistungen gewähren, kann von uns nicht akzeptiert werden; sie ist mittelstandsfeindlich.
Um die Wachstumskräfte nicht zu verschütten, hat die FDP die Einführung einer Ergänzungsabgabe abgelehnt. An dieser Frage haben sich in der alten Koalition die Geister geschieden.
Die in den Entwurf eines Ergänzungsabgabegesetzes erneut präsentierte SPD-Forderung, die sogenannten Besserverdienenden durch eine Ergänzungsabgabe zu belasten, um daraus Beschäftigungsprogramme zu finanzieren,
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8905
Rentrop
ignoriert nicht nur die schlechten Erfahrungen mit öffentlichen Ausgabeprogrammen
— ich habe nicht den Eindruck, daß Sie recht behalten werden —, sondern ignoriert auch die Tatsache, daß die Steuer- und Abgabenbelastung der Arbeitnehmer schon jetzt zu hoch ist. Ich verweise nur auf das, was Ihr Bundeskanzler Helmut Schmidt noch im Juni 1982 vor der eigenen Fraktion hierzu gesagt hat. Das Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler hat erst vorgestern eine Dokumentation veröffentlicht, nach der ein lediger Durchschnittsverdiener im Jahr 1982 von 100 DM Mehrverdienst nur noch 39,20 DM in der Tasche behält. Bei den Verheirateten sieht es nicht viel anders aus. Die Abgaben dürfen nicht weiter erhöht werden, wenn die Leistungsbereitschaft nicht gefährdet werden soll.
Dies war auch der Grund dafür, daß wir der Ergänzungsabgabe auch in der alten Koalition keine Zustimmung gegeben haben.
Diese Investitionshilfeanleihe, die Ihnen so wenig schmeckt,
deren Aufkommen für die Förderung des privaten Wohnungsbaus verwendet wird, nimmt dagegen auf die gegen die Ergänzungsabgabe geäußerten Bedenken Rücksicht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer?
Bitte.
Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, daß es auch heimliche Steuererhöhungen gibt und daß es eine Absprache zwischen FDP und SPD gab, zum 1. Januar 1984 vor allen Dingen bei der Lohnsteuer diese heimlichen Steuererhöhungen wieder zurückzugeben, daß der Bundesrat unsere Mehrwertsteuererhöhung abgelehnt hat, weil diese Senkung nicht im selben Gesetz vorgesehen war, und daß Sie jetzt in der neuen Koalition nicht mehr an Lohnsteuersenkungen denken?
Herr Kollege Matthöfer, ich entsinne mich sehr wohl, daß im Frühjahr davon die Rede war, daß Absenkungen der Einkommensteuer ab 1. Januar 1984 stattfinden sollen. Aber Sie wissen ebenso gut, daß wir uns über eine Konkretisierung, wo und wie dies zum Vorteil eines Wirtschaftswachstums zu geschehen hat, nicht haben einigen können. Das sollte dabei auch bedacht werden.
Die jetzt beschlossene Investitionshilfeanleihe führt nicht zu einer endgültigen Steuermehrbelastung und ist so konstruiert, daß sie die Investitionen, auf die wir so dringend angewiesen sind, nicht trifft.
— Herr Ehmke, dort, wo sie nicht gezahlt wird, wird das Fünffache dieses Betrages investiert. Das ist doch genau der wirtschaftliche Erfolg, den wir erzielen wollten. Verstehen Sie doch endlich, was damit gemeint ist!
Wer mindestens das Fünffache investiert, ist befreit. Das ist auch so vorgesehen. Das Modell, das Sie vorgestellt haben, sieht das 50fache vor. Das ist doch gar nicht ernst gemeint. Wenn das 50fache verlangt wird, kann man doch wirklich nicht erwarten, daß damit eine Mehrinvestition erreicht wird. Das wäre doch eine echte Steuermehrbelastung.
Dieser Hinweis zeigt sehr deutlich den Unterschied.
Die Verringerung der bei der Gewerbesteuer vorzunehmenden Hinzurechnung von Dauerschulden und Dauerschuldzinsen um 40% im Jahre 1983 und 50% ab 1984 verbessert den steuerlichen Gesamtrahmen für die Betriebe entscheidend.
Die Unternehmen werden dadurch unabhängiger vom Zinsniveau. Die Erfahrung mit der immer noch nicht ganz hinter uns liegenden Hochzinsphase zeigen überdeutlich, wie notwendig ein solcher Abbau ist.
Für die FDP ist zudem auch die Zeit überreif, die Gewerbesteuer in absehbarer Zeit ganz abzuschaffen, und dies war ein Einstieg hierzu, selbstverständlich nur bei Schaffung entsprechender Ersatzfinanzierungsquellen für die Gemeinden.
Wir betrachten die jetzt beschlossenen Erleichterungen bei der Hinzurechnung von Dauerschulden und Dauerschuldzinsen nur als einen Schritt hierzu.
Gewisse steuersystematische Bedenken, die gegen die Milderung der Hinzurechnungsvorschriften erhoben wurden, stellen wir zurück. Wenn man die Gewerbesteuer ohnehin beseitigen will, kann man
8906 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Rentrop
zulassen, daß der Objektsteuercharakter dieser Abgabe durch die geringeren Hinzurechnungen beeinträchtigt wird.
Die SPD-Bundestagsfraktion hält dagegen Bestrebungen zur Abschaffung der Gewerbesteuer für mittelstandsfeindlich und will sich ihnen widersetzen. Dies zeigt deutlich, daß in der alten Koalition auch hier das Ende der steuerpolitischen Gemeinsamkeit erreicht war.
Ich komme dann zu der geplanten Steuererleichterung für die Übernahme insolventer und insolvenzbedrohter Unternehmen. Dies hat der Obmann der SPD-Bundestagsfraktion im Wirtschaftsausschuß als „Ausplünderung konkursbedrohter Unternehmen durch finanzstarke Unternehmen mit steuerlicher Hilfe" bezeichnet. Dieser ernsthafte Versuch, Arbeitnehmern mit bedrohten Arbeitsplätzen zu helfen, hätte eine andere Einschätzung verdient. Die Insolvenzen haben ihren höchsten Stand seit der Währungsreform erreicht.
Ohnehin ist eine Reform des deutschen Insolvenzrechts überfällig. Das mehr als 100 Jahre geltende Recht wird der Rechts- und Wirtschaftsordnung unserer modernen Industriegesellschaft schon lange nicht mehr gerecht. Drei Viertel aller Verfahren werden heute mangels Masse eingestellt, d. h. nicht durchgeführt. Die Gleichbehandlung der Gläubiger gibt es nicht mehr. Der volkswirtschaftliche Werteverlust hierdurch ist unerträglich. Wir fordern eine alsbaldige Regelung, die eine werterhaltende Sanierung notleidender Unternehmen erleichtert. Ich meine, wir sollten hier auf die Kommissionen, die sich mit dieser Frage befassen, etwas Druck ausüben.
Ein weiteres Schwergewicht der Steuerrechtsänderung liegt im Wohnungsbaubereich. Die Erweiterung des Schuldzinsenabzugs um 10 000 DM bei selbstgenutzten Wohngebäuden und Eigentumswohnungen dient zusammen mit dem Bausparzwischenfinanzierungsprogramm dazu, die trotz der jüngsten Zinssenkungen noch vorhandenen Investitionsbremsen zu lockern und das hohe Zinsniveau zu neutralisieren. Bei einem nur 30 %igen Steuerspitzensatz eines Bauwilligen ergibt sich allein durch den Schuldzinsenabzug eine monatliche Entlastung von 250 DM.
Ein solcher Schuldzinsenabzug paßt natürlich nicht ganz in das System. Das sehen auch wir. Dem Sachverständigenrat ist hier sicher zuzustimmen. In der kommenden Legislaturperiode wird entschieden werden müssen, ob bei der unumgänglichen Neuregelung der den Wohnungsbau betreffenden steuerrechtlichen Vorschriften der Konsumgutlösung oder der Investitionsgutlösung der Vorzug zu geben ist. Die Kritik des Sachverständigenrates ist auf jeden Fall differenzierter als die der SPD-Bundestagsfraktion, die für diese Maßnahme lediglich folgende Bemerkung übriggehabt hat: „Durch den Schuldzinsenabzug bei Eigenheimneubauten werden Subventionstatbestände in Milliardenhöhe geschaffen, die ausschließlich hohen Einkommensgruppen zugute kommen werden." Wenn man die Grenze für hohes Einkommen bereits bei 30 000 DM zieht, wie dies jetzt geschehen ist, dann frage ich mich natürlich: Wer soll überhaupt bauen? Wer soll denn Eigenheime bauen? Sie können doch nicht erwarten, daß bei Familieneinkommen unter 40 000, 50 000 DM überhaupt an solche Pläne zu denken ist. Dies sollte man hier doch einmal etwas differenzierter betrachten.
Die Kürzung der Vorsorgepauschale für Beamte und andere nicht sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer ist bisher immer nur unter Steuergerechtigkeitsgesichtspunkten gesehen worden. Diese Maßnahme hat jedoch auch einen wohnungsbaupolitischen Aspekt. Den sollte man nicht übersehen. Der Grund ist: Die Beamten können die Sonderausgabenhöchstbeträge wie alle übrigen Arbeitnehmer in Zukunft nur noch dann ausschöpfen, wenn sie die Sonderausgaben auch wirklich nachweisen. Dieser Nachweis wird von Beamten vor allem dadurch erbracht werden, daß sie hohe Bausparbeiträge leisten. Dies wird dem Bausparkassensystem zugute kommen, weiteren Auftrieb geben. Die Zuteilungsfristen werden verkürzt werden. Darauf legen wir Wert.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich kritisch anmerken und dies auch unseren Haushältern sagen, daß der Finanzausschuß der Aufhebung der körperschaftsteuerlichen Nachteile bei Vorabausschüttung einstimmig zugestimmt hat, während dies vom Haushaltsausschuß dann jedoch nicht übernommen worden ist. Wenn man weiß, daß alle Länder die hierfür erhobenen Steuern inzwischen ausgesetzt oder gestundet haben, ist es unverständlich, daß der Haushaltsausschuß der Zustimmung nicht folgte. Wir rechnen damit, daß diese Anpassung zu den ersten Änderungen im neuen Jahr gehört. Es handelt sich um einen Konstruktionsfehler des Körperschaftsteuerrechts. Dies ist eine ungerechtfertigte Doppelbelastung, die zu 112,25% Steuerbelastung — mehr, als es selbst in Schweden je gab — führt.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Anders als die Opposition setzt die neue Koalition nicht auf die Staatsgläubigkeit. Der Staat kann und soll nicht Lokomotive für eine neue Wachstumsphase sein. Wir setzen auf private Investitionen durch Schaffung besserer Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, durch steuerliche Förderung beim Wohnungsbau und durch die Umstrukturierung unseres Steuersystems im Sinne einer Verlagerung von den direkten zu den indirekten Steuern. Wenn ab 1984 die Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung auf der Basis voller Jahresbeträge fließen, sind weitere Entlastungsmaßnahmen bei den direkten Steuern finanzierbar.
Für die FDP ist ferner wichtig, daß eine weitere Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für die Betriebe erfolgt. Dabei sind wir mit dem
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8907
Rentrop
Koalitionspartner einig, daß die ertragsunabhängigen Steuern weiter abgebaut werden müssen. Zum Beispiel gehört dazu die Milderung der Doppelbelastung bei der Vermögensteuer, eines der immer noch bestehenden Hemmnisse für den Wechsel der Unternehmensform; denn diese Doppelbelastung ist es, die letztlich hemmt.
— Jawohl.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Spöri?
Bitte.
Herr Kollege Rentrop, ist Ihnen bekannt, daß der Abbau der ertragsunabhängigen Steuern, z. B. im Gewerbekapitalsteuerbereich oder bei der Vermögensteuer, vor allen Dingen den Großunternehmen Entlastung bringt, weil die Großunternehmen bisher am meisten zahlen, und daß das im totalen Widerspruch zu Ihren mittelstandsfreundlichen Losungen steht, die Sie dauernd verbreiten?
Herr Kollege Spöri, es ist im Grunde genommen gleich, wo Sie entlasten: ob Sie das bei der Doppelbelastung des Anteils beim Eigner oder beim Unternehmen tun. Sie haben eine Doppelbelastung, und diese Doppelbelastung ist eine auf den Ertrag durchschlagende Belastung. Das können Sie doch nicht übersehen. Im Grunde kommt es dem kleinsten Anteilseigner zugute, wenn diese Doppelbelastung auch der Großunternehmen gemildert wird, die ja vielfach in breit gestreutem Besitz sind.
— Mit dem Argument, daß nur noch 15 % Gewerbekapitalsteuer zahlen, geben Sie mir eigentlich genau das an die Hand, was ich brauche. Dann wird es höchste Zeit, wie bei der Grunderwerbsteuer eine klare, saubere Lösung zu finden, und das bedeutet, die Gewerbesteuer abzuschaffen.
Wir sind der Meinung, daß den Unternehmen zur Zeit mit besseren Abschreibungsmöglichkeiten nicht optimal gedient ist. Die Ertragslage der Wirtschaft ist im Durchschnitt so ungünstig, daß Betriebe in vielen Fällen höhere Abschreibungssätze überhaupt nicht ausschöpfen könnten. Daher sollten wir uns auf andere Maßnahmen zugunsten der Wirtschaft konzentrieren. Neben der erwähnten Senkung der ertragsunabhängigen Steuern kommt z. B. der Ausbau des Verlustrücktrags in Betracht. Dieser wirkt als zusätzliche Eigenkapitalreserve und ist besonders wertvoll in Verlustphasen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort sagen — ich schließe mich damit Herrn Esters an —: Auch ich möchte mich im Namen meiner Fraktion sehr herzlich bedanken für die aktive Mithilfe der Bundesministerien, der Sekretariate unserer Ausschüsse und der Mitarbeiter unserer Fraktion. Wir haben sicherlich viel von ihnen verlangt. Diesen Dank sind wir ihnen gerade vor den Feiertagen schuldig; denn wir alle gehen j a wohl etwas erschöpft in diese Feiertage. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion der vergangenen Tage hat die Auffassungsunterschiede zwischen Koalition und Opposition in den zentralen Fragen der Finanzpolitik, vor allem aber der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik sichtbar gemacht. Wir sind davon überzeugt, daß wir mit den Entscheidungen der vergangenen Wochen, die jetzt zur Abstimmung anstehen, auch mit den Sparbeschlüssen, den verlorengegangenen Handlungsspielraum wiedergewinnen, um endlich eine wirksame Politik zur Wiederbelebung der Wirtschaft und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einleiten zu können.
Die Opposition hat im Rahmen ihrer eigenen Vorstellungen daran Kritik geübt. Das ist ihr gutes Recht. Sie hat freilich auch solche Beschlüsse in ihre Kritik einbezogen, die auf Entscheidungen der eigenen sozialdemokratisch geführten Bundesregierung des vergangenen Sommers zurückgehen.
— Das ist eine ganz ruhig vorgetragene Würdigung, Herr Kollege Ehmke. Selbst Ihre Zwischenrufe werden mich nicht verlassen, eine andere Sprache zu wählen.
Wir fühlen uns im Abwägen der Argumente, vor allem aber auch in der begleitenden Diskussion der öffentlichen Meinung letztlich in unserem Kurs bekräftigt. Ich will das Hohe Haus darauf hinweisen: Der Finanzplanungsrat hat anerkannt, daß durch die von der Bundesregierung vorgelegten Gesetze und durch das Konzept zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts auch eine erhebliche Entlastung der kritischen Haushaltslage der Länder und Gemeinden bewirkt wird.
Der Bundesrat hat in seiner ersten Stellungnahme die Beschlüsse der Bundesregierung positiv bewertet. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus der grundlegenden Stellungnahme des Bundesrats einige wenige Sätze hier verlesen:
Der Bundesrat anerkennt das Bestreben der neuen Bundesregierung, den Bundesetat für 1983 mit dem vorliegenden Entwurf eines Ergänzungshaushalts auf eine realistische Grundlage zu stellen, die allen derzeit erkennbaren
8908 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Bundesminister Dr. Stoltenberg
Risiken ausreichend Rechnung trägt. Insbesondere werden die Steuermindereinnahmen, Mehrausgaben beim Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit und die Neuverteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern nach dem neuesten Erkenntnisstand ausgewiesen. Der Bundesrat stellt mit Genugtuung fest, daß die neue Bundesregierung im Gegensatz zu der bisherigen darauf verzichtet, auf Kosten der übrigen Gebietskörperschaften zu einem ausgeglichenen Bundeshaushalt zu kommen.
Die Ausschüsse des Deutschen Bundestags — und dafür bin ich dankbar — haben nach kritischer Diskussion, bohrenden Fragen und manchen Ergänzungen in Einzelpunkten die Grundkonzeption der Bundesregierung bekräftigt und dem Plenum zur Annahme empfohlen.
Schließlich: Unsere neue Politik wird im Kern auch vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung positiv beurteilt.
Ich will nur darauf hinweisen, daß es sowohl in der Einschätzung der wirtschaftlichen Lage und Perspektive für 1983 als auch weitgehend über Konzept und Vorgehensweise der Bundesregierung Einvernehmen gibt. Der Sachverständigenrat stellt im Gegensatz zur Auffassung der Opposition das Tempo der Konsolidierung als maßvoll und angemessen hin. Er bezeichnet den Vorwurf einer deflatorischen Politik als unzutreffend.
Schließlich stimmen wir auch überein in den wesentlichen nationalen und internationalen Voraussetzungen zur endgültigen Bewältigung der Krise und zur Erreichung eines stetigen Wachstumspfads.
Nicht zuletzt — meine Damen und Herren, lassen Sie mich dies abschließend zu diesem Bereich sagen — sind wir der Überzeugung, daß wir einen wichtigen, einen neuen Einklang in der Parallelität des Vorgehens mit der Bundesbank erzielt haben. Sowohl die außenwirtschaftliche Entwicklung und die Stabilisierung der Leistungsbilanz als auch die Entwicklung der Wechselkurse, vor allem aber die Einschätzung der neuen, mit Sparbeschlüssen verbundenen Finanzpolitik der Bundesregierung waren ein entscheidender Grund für die erheblichen Zinssenkungen der letzten Wochen.
Wir fühlen uns durch die genannten Stellungnahmen und Entscheidungen in der Richtung unserer Politik bekräftigt. Wir meinen, daß die Mehrheitsfraktionen des Hohen Hauses in wenigen Wochen die Fähigkeit gezeigt haben, einen Kurswechsel zu vollziehen, der Hoffnungen für die Zukunft begründet.
Meine Damen und Herren, das Hohe Haus hat innerhalb kürzester Frist einen Nachtragshaushalt für 1982 verabschiedet. Es hat in kurzer Zeit die Voraussetzungen für die endgültige Beschlußfassung über die hier noch einmal kurz skizzierten Entscheidungen in der dritten Lesung getroffen. Das ist eine Ermutigung. Wir haben wesentliche Schritte zur Verbesserung der Bund-Länder-Beziehungen verwirklicht: in der Mehrwertsteuerverteilung,
in der Neufassung des Länderfinanzausgleichs über die Bundesergänzungszuweisungen, auch wenn es hier innerhalb der Länder noch Auffassungsunterschiede gibt.
— Das ist, sehr geehrter Herr Kollege, nach der Politik der massiven Gegensätze zwischen Bundesregierung und Länderregierungen in der Vergangenheit ein entscheidender Fortschritt, der allen im Bundesstaat dient, nicht nur Bund und Ländern, sondern auch den Bürgern.
Ich will das gern hervorheben, auch in der Betonung dessen, was an unerledigten Aufgaben noch vor uns liegt.
Lassen Sie mich zum Abschluß ein herzliches Wort des Dankes sagen allen, die an diesen Entscheidungen mitgewirkt haben, nicht nur den Mitarbeitern des Bundesministeriums der Finanzen, auch den Arbeitern, die noch nachts an den Druckmaschinen standen, damit die Vorlagen fristgerecht in den Deutschen Bundestag kommen konnten,
auch den Mitgliedern der beteiligten Ausschüsse, allen voran dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses,
der durch seine umsichtige Leitung dazu beigetragen hat, daß wir heute über einen Bundeshaushalt entscheiden können.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe zuerst das Haushaltsbegleitgesetz 1983 in der Fassung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses — Drucksache 9/2283 — auf.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben.
Gegenstimmen? —
Enthaltungen? — Meine Damen und Herren, ich muß noch einmal abstimmen lassen, weil das Ergebnis hier oben nicht ersichtlich war.
Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Das erste war die Mehrheit. Das Gesetz ist angenommen.
Der zu dem Gesetz eingebrachte Entschließungsantrag auf Drucksache 9/2351 ist von den Antragstellern zurückgezogen worden.
Zu dem Haushaltsbegleitgesetz 1983 liegen zwei Entschließungsanträge auf den Drucksachen 9/2320 und 9/2325 vor.
Ich rufe zuerst den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 9/2320 auf. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das zweite war die Mehrheit. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 9/2325 auf. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe das Haushaltsgesetz 1983 auf. Wir kommen zur Schlußabstimmung.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/ CSU hat gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung verlangt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich möchte darauf aufmerksam machen, daß im Anschluß an diese Abstimmung eine weitere namentliche Abstimmung erfolgt.
Meine Damen und Herren, darf ich fragen, ob jemand seine Stimme noch nicht abgegeben hat.
Meine Damen und Herren, ich frage noch einmal: Hat jemand seine Stimme noch nicht abgegeben? — Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte, die Stimmen auszuzählen, und unterbreche die Sitzung für 15 Minuten.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Haushaltsgesetzes 1983 auf Drucksache 9/2168 bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 480 ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben 266, mit Nein 210 gestimmt, und es gab 4 Enthaltungen. Keine Stimme war ungültig.
20 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Davon war keine Stimme ungültig. Mit Ja haben 12, mit Nein haben 8 gestimmt. Es gab keine Enthaltung.
Ergebnis
Abgegebene Stimmen 480 und 20 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 266 und 12 Berliner Abgeordnete
nein: 210 und 8 Berliner Abgeordnete
enthalten: 4
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein
Dr. van Aerssen
Dr. Althammer
Dr. Arnold Austermann Dr. Barzel Bayha
Dr. Becker Berger (Lahnstein) Biehle
Böhm
Dr. Bötsch Bohl
Borchert
Braun
Breuer
Broll
Brunner
Bühler
Dr. Bugl
Carstens Clemens
Conrad
Dr. Czaja Dallmeyer Daweke
Deres
Dörflinger Dr. Dollinger
Doss
Dr. Dregger Echternach Eigen
Engelsberger
Erhard Eymer (Lübeck)
Dr. Faltlhauser Feinendegen Fellner
Frau Fischer
Fischer Francke (Hamburg) Franke
Dr. Friedmann
Funk
Ganz
Frau Geier Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von Geldern
Dr. George Gerlach
Gerstein
Gerster
Glos
Dr. Götz
Günther
Haase
Dr. Häfele Handlos
Hanz
Hauser
Frau Dr. Hellwig
Helmrich Dr. Hennig Herkenrath
von der Heydt
Freiherr von Massenbach Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Frau Hoffmann
Dr. Hornhues
Horstmeier Frau Hürland
Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger
Jagoda
Dr. Jahn
Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung
Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki
Keller
Kiechle
Dr. Klein
Klein
Dr. Köhler
Dr. Köhler Köster
Dr. Kohl Kolb
Kraus
Dr. Kreile Krey
Kroll-Schlüter
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kunz
8910 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Vizepräsident Wurbs
Lamers
Dr. Lammert
Landré
Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lemmrich
Dr. Lenz Lenzer
Link
Linsmeier Lintner
Löher
Louven
Lowack
Maaß
Magin
Dr. Marx
Dr. Mertes Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat Dr. Miltner Milz
Dr. Möller Dr. Müller
Müller Müller (Wadern)
Müller
Nelle
Neuhaus
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog Frau Pack Petersen Pfeffermann Pfeifer
Picard
Dr. Pinger Pohlmann
Dr. Pohlmeier Prangenberg
Dr. Probst Rainer
Rawe
Reddemann Regenspurger
Repnik
Dr. Riedl
Dr. Riesenhuber
Frau Roitzsch
Dr. Rose
Rossmanith Rühe
Ruf
Sauer
Sauer
Sauter
Sauter
Dr. Schäuble
Schartz
Schmitz
Dr. Schneider
Freiherr von Schorlemer Dr. Schroeder Schröder (Lüneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Dr. Schulte (Schwäbisch
Gmünd) Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer
Seehofer Seiters
Sick
Dr. Freiherr Spies von Büllesheim
Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stark Graf Stauffenberg
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Stücklen
Stutzer
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk Vogel
Vogt Voigt (Sonthofen) Volmer
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß
Werner
Frau Dr. Wex Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms Wimmer Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zierer
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Bahner
Frau Berger Boroffka
Buschbom Dolata
Dr. Hackel Kalisch
Kittelmann Lorenz
Schulze Straßmeir
FDP
Baum
Beckmann Bergerowski
Frau von Braun-Stützer Bredehorn
Cronenberg Eimer Engelhard Ertl
Dr. Feldmann
Frau Fromm Gärtner
Gallus
Gattermann Genscher Ginsberg Grüner
Dr. Haussmann
Dr. Hirsch Holsteg
Jung
Kleinert
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff
Merker
Möllemann Neuhausen Frau Noth Paintner
Popp
Rentrop
Riebensahm Dr. Riemer Rösch
Ronneburger
Dr. Rumpf Schäfer
Dr. Solms Timm
Dr. Vohrer Dr. Wendig
Wolfgramm Wurbs
Dr. Zumpfort
Zywietz
Berliner Abgeordneter Hoppe
Nein
SPD
Dr. Ahrens Amling
Antretter Dr. Apel
Auch
Baack
Bahr
Bamberg
Dr. Bardens Becker Bernrath
Berschkeit Bindig
Frau Blunck Börnsen
Brandt Brück
Büchler Büchner (Speyer)
Dr. von Bülow Buschfort Catenhusen Collet
Conradi
Dr. Corterier Curdt
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Dreßler
Duve
Dr. Ehmke Dr. Ehrenberg Eickmeyer
Dr. Emmerlich
Dr. Enders Engholm
Frau Erler Esters
Ewen
Feile
Fiebig
Fischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover) Frau Fuchs
Gansel
Gerstl
Dr. Geßner Gilges
Ginnuttis Glombig Gnädinger Gobrecht Grobecker Grunenberg
Dr. Haack Haar
Haase
Haehser
Frau Dr. Hartenstein Hauck
Dr. Hauff Heistermann
Herberholz Herterich Heyenn
Hoffmann Dr. Holtz
Horn
Frau Huber Huonker Ibrügger
Immer Jahn (Marburg)
Jansen
Jaunich
Dr. Jens Jungmann Kiehm
Kirschner
Klein
Dr. Klejdzinski
Kolbow
Kretkowski
Dr. Kreutzmann
Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Dr. h. c. Leber
Lennartz Leonhart
Frau Dr. Lepsius Leuschner
Dr. Linde Lutz
Mahne
Marschall
Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer
Meinike Meininghaus
Menzel
Möhring
Müller
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Neumann Neumann (Stelle)
Dr. Nöbel Offergeld Oostergetelo
Dr. Osswald
Paterna Pauli
Dr. Penner Pensky
Peter
Polkehn Poß
Purps
Rapp Rappe (Hildesheim) Frau Renger
Reschke Reuschenbach
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8911
Vizepräsident Wurbs
Reuter
Rohde
Rosenthal
Roth
Sander
Dr. Schachtschabel Schäfer Schätz
Dr. Scheer
Schirmer
Schlaga
Schlatter
Schluckebier
Dr. Schmidt Schmidt (München)
Frau Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf) Schmitt (Wiesbaden)
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger Schreiber Schreiner
Schröder Schröer (Mülheim) Schulte (Unna)
Dr. Schwenk Sielaff
Sieler
Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Dr. Sperling
Dr. Spöri
Stahl
Dr. Steger
Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler
Stockleben
Stöckl
Dr. Struck
Frau Terborg
Thüsing
Tietjen
Frau Dr. Timm
Topmann
Frau Traupe
Dr. Ueberschär
Urbaniak
Vogelsang
Voigt Vosen
Wallow
Waltemathe
Walther
Wehner
Weinhofer
Weisskirchen Dr. Wernitz
Westphal
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Wieczorek Wiefel
von der Wiesche
Wimmer Wimmer (Neuötting) Wischnewski
Witek
Dr. de With
Wolfram Wrede
Würtz
Wuttke
Zander
Zeitler
Frau Zutt
Berliner Abgeordnete
Bühling
Dr. Diederich Dr. Dübber
Egert
Hitzigrath
Männing
Dr. Mitzscherling Wartenberg
fraktionslos
Coppik
Hansen
Hölscher
Frau Schuchardt
Enthalten
FDP
Frau Dr. Engel
Frau Dr. Hamm-Brücher Schmidt
fraktionslos Hofmann
Damit ist das Gesetz angenommen.
Meine Damen und Herren, zum Haushaltsgesetz 1983 liegen fünf Entschließungsanträge auf den Drucksachen 9/2305, 9/2246, 9/2308, 9/2311 und 9/ 2313 vor. Ich rufe zuerst den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 9/2305 zum Einzelplan 05 — Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — auf. Ich frage, ob zur Begründung das Wort gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Meine Damen und Herren an den Seiten, ich darf Sie bitten, sich hinzusetzen; sonst ist das Ergebnis von hier aus nicht festzustellen. — Das zweite war die Mehrheit. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 9/2246 zum Einzelplan 09 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft — auf. Wird zur Begründung das Wort gewünscht'? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 9/2308 zum Einzelplan 09 auf. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist der Fall. Bitte, Herr Abgeordneter Haase.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Entschließungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion ist aus zwei Gründen eingebracht worden.
Der erste Grund: Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland in der Branche der Mikroelektronik und der Unterhaltungselektronik 32 000 Arbeitsplätze. Das ist eben — —
Einen Augenblick bitte, Herr Abgeordneter! Meine Damen und Herren, ich darf Sie um Ruhe bitten, damit der Redner Gehör findet. — Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Das ist nicht nur Grundig, das ist Saba, das ist Nordmende, das ist Telefunken. Das geht über den ganzen Bereich der Bundesrepublik.
Diese 32 000 Arbeitsplätze, die sich gegebenenfalls bei der französischen Firma Thomson-Brandt konzentrieren würden, wären, jedenfalls zu einem Teil, durch Produktionskonzentrationen und dadurch gefährdet, daß neue Produktionsanlagen in der Folge, in späteren Jahren, zweifellos in Frankreich errichtet würden. Es geht also nicht um eine Firma; es geht um einen ganzen Industriezweig. Deshalb ist dies auch nicht eine Sache, die hier nur die Fürther und die Nürnberger sozialdemokratischen Abgeordneten zu vertreten haben, sondern eine Sache, die in diesem Hause möglichst alle vertreten müßten.
Der zweite Grund ist, daß wir in der Mikroelektronik und besonders in der Unterhaltungselektronik durch den Verkauf der Grundig-Gruppe eine zukunftsträchtige Branche mit zukunftsträchtigen Unternehmen in der Bundesrepublik bis auf Restbestände praktisch nicht mehr haben werden.
Meine Damen und Herren, was das für die technologische Entwicklung in diesem Bereich bedeutet, will ich hier nicht ausführen. Das mag sich aber jeder vorstellen. Das ist so — hier spreche ich natürlich die Bundesregierung an —, als ob Sie am Ufer stehen und zusehen, wie jemand untergeht. Dann werden Sie sicher nicht nur keine Rettungsmedaille bekommen, sondern doch wahrscheinlich
8912 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Haase
wegen unterlassener Hilfeleistung zur Rechenschaft gezogen werden müssen.
Und es geht darum, daß die Bundesregierung hier nicht im Rahmen des Kartellrechts tätig wird, sondern daß sie im Rahmen einer aktiven Industriepolitik tätig wird.
Meine Damen und Herren, in dieser Frage ist aktives Handeln der Regierung gefordert. Es handelt sich also nicht um ein Verfahren nach dem Kartellgesetz, es handelt sich um eine aktive Wirtschaftspolitik und um eine aktive Industriepolitik, die diese Branche für die Zukunft sichert, die den Arbeitsplätzen eine gewisse Stabilität gibt und die die Chance eröffnet, daß in diesem Bereich neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Meine Damen und Herren, die bayerische Staatsregierung, die CSU in Nürnberg und die CSU in Fürth haben eine gemeinsame Entschließung auf Grund der Vorlagen der Sozialdemokraten verabschiedet. Die bayerische Staatsregierung hat ihren Teil dazu beigetragen und gesagt, sie sei gegen einen Verkauf von Grundig an Thomson/Brandt. Dies sind die Worte. Hier müssen nun allerdings auch im Bundestag nicht nur Worte gewechselt werden, hier muß wenigstens die Hand für unseren Entschließungsantrag gehoben werden.
Man kann ja nicht in Bayern so argumentieren und in Bonn anders.
Sie müssen sich ja hier bekennen. Deshalb bin ich hier heraufgegangen und spreche im Interesse der Tausenden von Arbeitnehmern, die nicht nur in diesem Bereich sitzen, sondern auch in Bremen, in Hannover, überall in der Bundesrepublik in der Zulieferindustrie. Sie alle haben ein Interesse.
Wir in diesem Hause haben ein Interesse an einer aktiv gestalteten Industriepolitik mit dem Ziel, diese Branche zu stabilisieren, zu fördern, voranzubringen. Dafür muß der politische Rahmen geschaffen werden. Dafür trägt die Regierung Verantwortung. Wir sagen nicht nein zu einer Kooperation mit den Franzosen und mit den Holländern, sondern wir sagen nein nur zu dem Verkauf dieser Firma nach Frankreich. Das ist ein Unterschied. Dies muß hier heute deutlich werden. Die Sozialdemokraten haben es durch diesen Antrag deutlich gemacht. Nun muß es im ganzen Hause deutlich werden. Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen.
Sollten Sie sich dazu nicht in der Lage sehen, dann muß hier heute wenigstens die Überweisung zugesichert werden mit dem klaren Versprechen, daß dieses Thema am 19. Januar im Wirtschaftsausschuß abgehandelt und eine Entschließung gefaßt wird. Meine Damen und Herren, springen müssen Sie, entweder hier im Hause oder im Wirtschaftsausschuß. Uns wäre lieber, Sie würden hier ja sagen. Es ist Ihre Sache, wenn Sie dies im Wirt-
schaftsausschuß noch einmal bedenken wollen. Nur: Es muß in der Sache entschieden werden.
Ich bitte Sie im Interesse der Arbeitnehmer und im Interesse einer Industriebranche, auf die wir in der Zukunft nicht verzichten können, Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haussmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Glos wird mir folgen. Ich freue mich, daß wir auch einmal an zweiter Stelle reden dürfen.
Es bedarf nicht des Antrages der SPD-Fraktion. Die Kollegen im Wirtschaftsausschuß waren sich schon in ihrer letzten Sitzung darüber einig, daß wir am 19. Januar sowohl über die Probleme der Stahlindustrie als auch über die Probleme der Mikroelektronik sprechen werden, meine Damen und Herren. Und wer glaubt, er könne mit diesem Schnellschuß aus der Hüfte die Probleme der europäischen Mikroelektronik lösen, der wird sich sehr täuschen, meine Damen und Herren!
Wir sind sehr gespannt — und darüber hat Herr Haase kein Wort verloren —, was die Sozialdemokraten unter einer aktiven Industriepolitik in dieser Branche verstehen, und welche Finanzierungsvorschläge sie machen werden, um eine solche Industriepolitik einzuleiten. Es ist sehr pikant, daß plötzlich, obwohl in Frankreich die Sozialisten regieren, ein sehr nationalistischer Ton in die Diskussion hineinkommt. Was spricht denn gegen eine europäische Zusammenarbeit auf technologischem Gebiet? Das Stichwort des nationalen Ausverkaufs finde ich für eine europäische Strukturpolitik — —
Es gibt unterschiedliche Erfahrungen in Europa.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haase ?
Nein, ich bitte, mir meine Redezeit nicht zu beschränken.
Ich möchte zum Abschluß kommen und sagen: Nicht durch Schnellanträge hier im Deutschen Bundestag, sondern nur durch konkrete Sachanträge in den einzelnen Fachbereichen, Steuerpolitik, Forschungspolitik, Wirtschaftspolitik, werden wir in der Bundesrepublik die Voraussetzungen schaffen, daß die Mikroelektronik und Unterhaltungselektronik wettbewerbsfähig bleiben. Das kann nicht durch Anträge geschehen, die auf eine Industriepolitik gerichtet sind, die nicht konkretisiert und nicht finanziert werden kann.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8913
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bejaht grundsätzlich Kooperationen auf europäischer Ebene, insbesondere dann, wenn es um Märkte und damit um Arbeitsplätze geht, auf denen sich einzelne Unternehmungen nicht mehr allein behaupten können.
Wer den Wettbewerb auf dem Gebiet der Unterhaltungselektronik, insbesondere mit Japan, verfolgt, der weiß, daß dieser Wettbewerb mörderisch ist. Um diesen Wettbewerb zu bestehen, werden in Zukunft starke, leistungsfähige Unternehmungen nötig sein. Und wenn sich Herr Grundig allein nicht in der Lage sieht, stark genug zu sein, dann muß er sich Kooperationspartner suchen, im Interesse der Arbeitsplätze. Unsere Sorge gilt den Arbeitsplätzen bei uns in Deutschland, zu deren längerfristigem Erhalt auch das Verbleiben von Forschungs- und Entwicklungskapazitäten erforderlich ist.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion würde es daher begrüßen, wenn sich starke deutsche Elektrokonzerne, die z. B. über hohe liquide Mittel verfügen, die sie bei den Banken angelegt haben, an einer nationalen oder europäischen Lösung beteiligten.
Die gefundene Lösung muß selbstverständlich im Rahmen des geltenden Wettbewerbsrechts liegen. Das Parlament als Gesetzgeber hat in dieser Phase keinen Entscheidungsbedarf. Hier geht es zuerst um unternehmerische Entscheidungen. Und wenn hier Vorwürfe an die Bundesregierung erhoben werden, dann richten sich diese noch an die Bundesregierung Schmidt, die versäumt hat, eine aktive Industriepolitik zu betreiben.
— Ich habe nur die Vorwürfe des Herrn Haase gegen die Bundesregierung aufgenommen. Das wird gestattet sein, obwohl dieses Thema viel zu ernst und viel zu schade ist, um in den Wahlkampf hineingezogen zu werden.
Ich bedaure deswegen sehr, daß es überhaupt zu dieser Debatte hier kommen mußte. Wir wollten diesen Antrag ohne Debatte an den Wirtschaftsausschuß überweisen, wo er hingehört.
Ich beantrage hiermit Überweisung.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren!
— Ich meine, es müßte eigentlich Ihre Zustimmung finden, wenn die Bundesregierung zu einem solchen Antrag, den Sie stellen, das Wort ergreift und ihre Meinung äußert.
Ich verstehe auch, daß dieses Thema, das ja in der Öffentlichkeit breit behandelt worden ist, Gegenstand des Interesses auch hier im Deutschen Bundestag ist. Erlauben Sie mir deshalb, daß ich zu dieser Frage aus der Sicht der Bundesregierung einige Minuten lang Stellung nehme.
Es handelt sich zunächst um ein rein kartellrechtliches Problem. Bevor die geplante Fusion, die übrigens beim Bundeskartellamt nach unserem Informationsstand bisher nicht angemeldet worden ist, rechtlich vollzogen werden kann, muß das Bundeskartellamt grünes Licht geben. Im Untersagungsfall können die Unternehmen die Entscheidung des Kartellamtes gerichtlich anfechten oder einen Antrag auf Ministererlaubnis stellen. Sie können auch beides tun. Das Kartellamt entscheidet über die Wettbewerbswirkungen des Falles. Der Bundeswirtschaftsminister hat, falls ein entsprechender Antrag gestellt wird, vom Kartellamt festgestellte Wettbewerbsnachteile anzuwägen mit gesamtwirtschaftlichen Vorteilen oder einem überragenden Interesse der Allgemeinheit.
Die Fusion darf ferner nur erlaubt werden, wenn die marktwirtschaftliche Ordnung nicht gefährdet wird.
Diese Rechtslage zwingt die Bundesregierung in dieser Phase des Verfahrens zum Verzicht auf wirtschaftspolitische Wertungen, insbesondere unter wettbewerbs-, industrie- und beschäftigungspolitischen Aspekten. Sie würde sich sonst dem Vorwurf der vorzeitigen Parteinahme und den entsprechenden Verfahrensrügen aussetzen, die angesichts der für das Gesamtverfahren geltenden Möglichkeiten zur gerichtlichen Überprüfung sehr konkrete rechtliche Relevanz in einem Gerichtsverfahren haben könnten.
Im übrigen ziehen wir aus der Zweistufigkeit des Fusionskontrollverfahrens nur Vorteile. Die wettbewerbsrechtlichen Wirkungen werden durch eine unabhängige Instanz vorgeklärt, die wirtschaftspolitischen Wertungen können auf der Basis gründlicher gesammelter und ausgewerteter Marktdaten, unterstützt durch eine Stellungnahme der zwingend einzuschaltenden Monopolkommission, erfolgen. Wir können und wir wollen diesen Verfahrensweg nicht verlassen, zumal die Verfahrensregeln uns zugleich die notwendige Zeit geben, kühlen Kopf zu bewahren, die Entscheidung sorgfältig zu prüfen und gegebenenfalls auch Alternativen zu prüfen und anzuregen.
8914 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
Ich verstehe sehr wohl, daß der Fall angesichts des Marktgewichts der Beteiligten im In- und Ausland großes Aufsehen erregt und daß wir von allen Seiten gute Ratschläge erhalten. Mit dem im Entschließungsantrag genannten Marktanteil möchte ich mich nicht näher auseinandersetzen. Dann müßte ich nämlich zunächst untersuchen, was denn unter der Formulierung „in deutschem Eigentum" zu verstehen ist. Ich halte eine derartige Betrachtung für bedenklich und mit unserem gewohnten wirtschaftspolitischen Denken nicht vereinbar. Wir sollten durch solche Formulierungen, ob gewollt oder ungewollt, auch nicht Unternehmen diskreditieren, die zwar ihren Hauptsitz im Ausland haben, deren deutsche Töchter aber seit langen Jahren eigenverantwortlich in der Bundesrepublik forschen, entwickeln, entscheiden, produzieren und Arbeitsplätze zur Verfügung stellen.
Nicht ganz ernsthaft, meine Damen und Herren, sondern eher mit einem Schuß Ironie, den der Kollege Haussmann schon erwähnt und aufgebracht hat, sollten wir schließlich zur Kenntnis nehmen, daß sich die sozialdemokratische Fraktion in diesem Falle gegen die Übernahme eines Unternehmens durch ein Staatsunternehmen eines anderen Landes wendet, obwohl doch Frankreich eine Regierung hat, die der SPD ideologisch nahesteht und Grundig aus der Sicht der SPD zu einer Schlüsselindustrie gehört, wie wir eben gehört haben.
Meine Damen und Herren, zu dem Problem der Aufgabenteilung zwischen Staat und Wirtschaft im Rahmen einer zukunftsorientierten Industrie- und Strukturpolitik, das ja im Mittelpunkt des Entschließungsantrags steht und das über den eigentlichen Fall hinausgeht, möchte ich bei dieser Gelegenheit folgendes sagen. Die Bundesregierung mißt den zukunftsorientierten Techniken wie Mikroelektronik und Kommunikationstechnik große Bedeutung für die künftige Weiterentwicklung unserer Volkswirtschaft, die Sicherung unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit und damit die Erhaltung der Arbeitsplätze bei.
Das haben wir in der Antwort auf die Große Anfrage zur Mikroelektronik unterstrichen. Wir verkennen nicht, welche Bedeutung hierbei die Unterhaltungselektronik sowohl direkt für die Kommunikationstechnik als auch indirekt als wichtigster Abnehmer für Erzeugnisse der Mikroelektronik besitzt.
Ich glaube, daß wir uns in der Zielsetzung, nämlich die Einführung und Anwendung moderner Techniken in der Bundesrepublik zu beschleunigen, einig sind, nicht aber über den Weg, meine Damen und Herren, zur Erreichung dieser Ziele und vor allem nicht über die Rolle, die hierbei der Staat zu spielen hat. Aufgabe des Staates ist es vor allem, günstige Voraussetzungen für technischen Fortschritt, Innovation und Investitionen zu schaffen sowie Anstöße in den Bereichen zu geben, in
denen die Marktkräfte allein noch nicht ausreichen, Innovationsbarrieren abzubauen und schließlich generell auf eine sozial verantwortliche Handhabung des technischen Fortschritts hinzuwirken.
Dabei ist es notwendig, nicht nur in nationalen Grenzen, sondern zumindest in europäischen Dimensionen zu denken. Hemmnisse, die die nationalen Märkte noch abkapseln, müssen beseitigt werden, damit ein großer gemeinsamer europäischer Markt entsteht, der den europäischen Unternehmen ähnliche Rahmenbedingungen wie der auf großen innovativen Märkten operierenden amerikanischen und japanischen Konkurrenz eröffnet. Ich denke, der Kollege Matthöfer hat in dieser Richtung hier gestern seine Vorstellungen vorgetragen.
Meine Damen und Herren, ich verkenne nicht, daß wir zur Zeit vor einer besonderen Herausforderung stehen, die wir gemeinsam zu meistern versuchen sollten. Ein solcher Ansatz, wie ich ihn hier augezeigt habe und der vor allem darin besteht, daß es die Aufgabe des Staates nicht ist, Strukturkonzepte vorzugeben und auf die Unternehmen Einfluß zu nehmen, sondern daß es die Aufgabe des Staates ist, den dezentralen Entscheidungen der Wirtschaft den notwendigen Raum zu geben, ist zugleich auch ein wirkungsvoller Beitrag für eine ungehinderte Partnerschaft der Unternehmen über die Grenzen hinweg. Nationalstaatliche Branchenkonzepte haben, gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz, in den letzten Jahren in Europa zu einer zunehmenden Politisierung der Wirtschaft geführt. Das hat in manchen Bereichen — wie etwa im Stahlsektor — eher desintegrative Effekte begünstigt. Es wäre bedauerlich, wenn diese Entwicklung auch auf die Kommunikationsindustrie übergreifen würde. Auch aus diesem Grunde gilt es daher, sich auf klare staatliche Rahmensetzungen zu beschränken und Anpassungshemmnisse zu beseitigen, um in Europa zu gleichen Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen zu gelangen.
Dies, meine Damen und Herren, ist die grundsätzliche Position der Bundesregierung zu Fragen, die hier anstehen und über den akuten Fall hinausreichen.
Zum spezifischen Fall sage ich noch einmal: Solange das kartellrechtlich und wettbewerbsrechtlich von uns allen festgelegte und vorgeschriebene Verfahren nicht abgelaufen ist, kann es eine die Entscheidung vorwegnehmende Stellungnahme der Bundesregierung — wie in anderen Fällen auch — selbstverständlich nicht geben. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge.
— Ja, das haben wir schon gehört, vielen Dank,
Herr Schäuble. Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 9/2308 zum
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8915
Vizepräsident Frau Renger
Einzelplan 09. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Was ist denn los? — Was für einen Wunsch haben Sie, Herr Kollege Schäuble?
Frau Präsidentin, der Antragsteller hat erklärt, daß er mit einer Überweisung einverstanden ist, wenn — —
— Aber dies war die Erklärung des Herrn Kollegen Haase.
Wir wollen die Sache doch klären. Bitte reden Sie.
Er hat erklärt, daß er mit einer Überweisung einverstanden ist, wenn dies dem Wunsch der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion entspreche. Der Kollege Glos hat erklärt, daß wir Überweisung beantragen. Die SPD-Fraktion hat dem Antrag nicht widersprochen. Deswegen ist der Antrag zu überweisen.
Zur Geschäftsordnung, Herr Kollege Haase.
Herr Kollege Schäuble, das ist nicht richtig, was Sie sagen. Lassen Sie mich dazu noch zwei Sätze sagen. Ich habe gesagt, ich bin der Meinung: Wenn Sie hier zustimmen, dann sollten wir dies hier abstimmen; wir sollten das hier erledigen. Das war eindeutig. Wenn Sie den Antrag jetzt ablehnen wollen, brauchen wir darüber im Ausschuß auch nicht mehr zu reden. So einfach ist die Sachlage.
Erlauben Sie mir, daß ich zur Klärung § 88 Abs. 2 der Geschäftsordnung vorlese. Dort steht:
Entschließungsanträge können einem Ausschuß nur überwiesen werden, wenn die Antragsteller nicht widersprechen. Auf Verlangen einer Fraktion oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages ist die Abstimmung auf den nächsten Sitzungstag zu verschieben.
Da wir keinen „nächsten Sitzungstag" mehr haben
— wenn Sie morgen darüber abstimmen wollen, ist das eine andere Sache —, können wir doch über diesen Antrag abstimmen, jedenfalls nach unserer Geschäftsordnung.
Sie melden sich noch einmal zur Geschäftsordnung? — Bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich, Frau Präsidentin, dafür, daß Sie § 88 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung verlesen haben. Entsprechend § 88 Abs. 2 der Geschäftsordnung hat der Kollege Glos für die Fraktion der CDU/CSU beantragt, den Antrag zu überweisen. Die SPD-Fraktion hat dem bis jetzt nicht widersprochen.
— Aber nein.
Verehrter Herr Kollege, nicht ein anderer, sondern der Antragsteller kann widersprechen.
Frau Präsidentin, es ist Sache der Antragsteller zu erklären, ob sie der Überweisung zustimmen oder nicht. Die Antragsteller haben aber bisher nur eine bedingte Erklärung abgegeben. Sie haben nämlich gesagt: Wenn wir zustimmen, wollen sie nicht überweisen, und wenn wir nicht zustimmen, wollen sie überweisen. Das ist keine zureichende Erklärung. Die SPD-Fraktion ist aufgefordert zu erklären, ob sie der Überweisung widerspricht oder nicht.
Zur Geschäftsordnung Herr Linde.
Herr Kollege Schäuble, wenn Sie nicht so lange geredet hätten, hätten Sie unseren Widerspruch schon bekommen.
Wir widersprechen einer Überweisung und bitten um Abstimmung.
Wir stimmen jetzt über diesen Entschließungsantrag ab. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 9/2311 zum Einzelplan 23, Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 9/2312 zum Einzelplan 23, Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch dieser Antrag ist abgelehnt.
Es ist noch über zwei Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses zum Haushaltsbegleitgesetz auf Drucksache 9/2283 unter Nr. 2 und 3 abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt, die Annahme von Entschließungen. Wer dem zuzustimmen wünscht,
8916 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Vizepräsident Frau Renger
den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dem ist so entsprochen.
Wir kommen jetzt wieder zur zweiten Beratung der Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetze. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe zuerst den Entwurf eines Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetzes der Fraktion der SPD auf Drucksache 9/2064 auf. Zu dem Gesetzentwurf liegen drei Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor. Die Antragsteller sind damit einverstanden, daß sie zusammen behandelt werden? — Danke schön. Das bedeutet, wir können über die Änderungsanträge der SPD auf den Drucksachen 9/2338, 9/2339 und 9/2340 gemeinsam abstimmen. Wer diesen Änderungsanträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Anträge sind abgelehnt.
Ich rufe Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift des Gesetzentwurfs auf Drucksache 9/2064 auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Gesetzentwurf ist abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurf eines Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetzes in der Fassung der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 9/2293. Ich rufe Art. 1 § 1 auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Paragraph ist so angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 9/2346 unter der Nr. I.1 ein Änderungsantrag der Abgeordneten Coppik und Hansen vor. Sollen diese Anträge begründet werden? — Dies ist anscheinend nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer § 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 2 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 1 §§ 3 bis 8 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 9/2346 unter Nr. I.2 ein Änderungsantrag der Abgeordneten Coppik und Hansen vor. Wird das Wort nicht gewünscht? — Danke schön. Ich kann darüber abstimmen lassen. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen mit großer Mehrheit abgelehnt.
Der Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP zu Art. 1 § 7 auf Drucksache 9/2353 ist von den Antragstellern zurückgezogen worden.
Wer den §§ 3 bis 8 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Dieses ist so angenommen.
Ich rufe jetzt Art. 1 § 9 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 9/2346 unter Nr. I.3 wiederum ein Änderungsantrag der Abgeordneten Coppik und Hansen vor. Wir können darüber abstimmen lassen. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist der Antrag abgelehnt.
Zu § 9 liegt auf Drucksache 9/2346 unter Nr. I.4 ein weiterer Änderungsantrag der Abgeordneten Coppik und Hansen vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen ist das abgelehnt.
Wer § 9 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 1 §§ 10 bis 13 auf. Wer den Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist so angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 14 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 9/2346 unter Nr. I.5 ein Änderungsantrag der Abgeordneten Coppik und Hansen vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen abgelehnt.
Wer § 14 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 15 auf. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß in der Ihnen vorliegenden hektographierten Beschlußempfehlung auf Drucksache 9/2293 auf Seite 15 unter den „Beschlüssen des 13. Ausschusses" irrtümlich „§ 14" angegeben ist. Richtig muß es hier „§ 15" heißen. Dies wird bei der endgültigen Drucklegung korrigiert.
Zu § 15 liegt auf Drucksache 9/2346 unter Nr. I.6 ein Änderungsantrag der Abgeordneten Coppik und Hansen vor. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen abgelehnt.
Wer § 15 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 16 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 9/2346 unter Nr. 1.7 ein Änderungsantrag der Abgeordneten Coppik und Hansen vor. Wer ihm zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer § 16 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Dieses ist angenommen.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8917
Vizepräsident Frau Renger
Ich rufe Art. 1 § 17 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ist so angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 18 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 9/2346 unter Nr. I.8 ein Änderungsantrag der Abgeordneten Coppik und Hansen vor. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen ist das abgelehnt.
Wer dem § 18 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ist so angenommen.
Ich rufe Art. 1 § 19 auf. Hierzu haben wir auf Drucksache 9/2346 unter Nr. I.9 wiederum einen Änderungsantrag der Abgeordneten Coppik und Hansen. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen abgelehnt.
Wer § 19 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ist so angenommen.
Ich rufe Art. 1 §§ 20 bis 22 und Art. 2 Nrn. 1 bis 4 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Dieses ist so angenommen.
Ich rufe Art. 2 Nr. 5 auf. Hierzu haben wir wieder einen Änderungsantrag der Abgeordneten Coppik und Hansen auf Drucksache 9/2346 unter Nr. II.1. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer der Nr. 5 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Paragraph ist angenommen.
Ich rufe Art. 2 Nr. 6 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 9/2346 unter Nr. II.2 wiederum ein Änderungsantrag der Abgeordneten Hansen und Coppik vor. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Der Antrag ist abgelehnt.
Wer der Nr. 6 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist angenommen.
Ich rufe Art. 2 Nr. 7 bis 9, Art. 3 bis 6 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Vorschriften sind in der zweiten Beratung angenommen.
Meine Damen und Herren, wir treten in die
dritte Beratung
ein. Ich bekomme hier soeben einen Zettel: Nach § 31 unserer Geschäftsordnung wünscht der Abgeordnete Klaus Immer eine Erklärung zur Abstimmung abzugeben. — Bitte, Herr Abgeordneter Immer.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
— Die Geschäftsordnung läßt es zu. — Zur Abstimmung über das Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz — Entwurf der CDU/CSU und der FDP
— gebe ich gemäß § 31 der Geschäftsordnung folgende Erklärung ab: In der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 3. Juli 1980 habe ich durch meine Abstimmung gegen den Entwurf der SPD/FDP mit zur Ablehnung beigetragen. Ich fühle mich daher gegenüber meinen Freunden, die mich damals gefragt und kritisiert haben, verpflichtet, auch jetzt meine Ablehnung zu begründen. Denn der jetzt vorliegende Entwurf ist wesentlich schlechter.
Die folgende Erklärung gebe ich auch im Namen meiner Kollegen Fiebig, Oostergetelo und Sielaff ab.
Erstens. Die Art und Weise, wie dieses Gesetz ohne Rücksicht auf die Einwendungen von Verfassungsrechtlern, Richtern, Gewerkschaftlern, Kirchen und Betroffenen durchgepeitscht worden ist, stellt eine Denaturierung des Parlaments dar.
Zweitens. Grundlegende verfassungsrechtliche Bedenken sind nicht ausgeräumt. Das Gesetz ist allein am Bedarf orientiert, nicht an der Verfassung.
Drittens. Die Gewissensprüfung bleibt bestehen, auch wenn sie formalistisch verschleiert wurde. Der Begriff „Gewissen" ist im Grundgesetz dreimal enthalten. Zuerst wird das Gewissen in Art. 4 Abs. 1 als „unverletzlich" erklärt, was die Prüfbarkeit des Gewissens selbst und die Prüfbarkeit der Qualität seiner Entscheidungen einschließt. Das Recht der Verweigerung aus Gewissensgründen ist dann ausdrücklich in Art. 4 Abs. 3 betont. Schließlich wird gemäß Art. 38 Abs. 1 das Gewissen der Abgeordneten, also unser Gewissen, als alleinige Entscheidungsinstanz garantiert. Kein Bundestagsausschuß, kein Bundespräsident, kein Bundesverfassungsgericht hat das Recht und darf das Recht bekommen, unsere Gewissensentscheidung bzw. deren Schlüssigkeit oder Glaubwürdigkeit zu überprüfen, auch diese Entscheidungen heute und auch die von morgen nicht.
Wer für seine Entscheidungen die Unverletzlichkeit seines eigenen Gewissens in Anspruch nimmt, darf nach unserer Meinung nicht so leichtfertig mit dem Gewissen junger Menschen umgehen.
Darum wiederhole ich das, was ich am 3. Juli 1980 erklärt habe,
auch im Namen meiner genannten Kollegen: Nach unserer evangelischen Glaubensüberzeugung sind das Gewissen selbst und Gewissensentscheidungen nicht nachprüfbar. Die Reformation hat der Teilbarkeit des Menschen in Leib, Seele und Geist, also der
8918 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Immer
Selektierbarkeit, die Ganzheit des Menschen und seine unantastbare Würde entgegengesetzt. Weder Inquisition damals noch Gehirnwäsche irgendwelcher Mächte heute haben es vermocht, die evangelische Auffassung von der Unteilbarkeit des Menschen zu zerstören. Danach darf sich kein Mensch anmaßen, darüber zu entscheiden, welche Qualität das Gewissen und welche Qualität eine Gewissensentscheidung hat, oder — anders ausgedrückt — zu entscheiden, was gewissenhaft und was gewissenlos ist.
Kein Gesetzgeber sollte also veranlassen, daß Menschen das Gewissen anderer überprüfen und damit möglicherweise schuldig werden. Kein Gesetzgeber darf zulassen, daß das Gewissen von Menschen geprüft wird. Darum lehnen wir das Gesetz ab.
Bitte, kommen Sie zum Ende.
Wir werden uns weiterhin für eine Lösung einsetzen, die unserer Überzeugung entspricht. Für unsere ablehnende Haltung zur Gewissensprüfung nehmen wir in Anspruch, nach unserer eigenen Gewissensüberzeugung entscheiden zu dürfen. — Ich danke Ihnen.
Nach § 31 unserer Geschäftsordnung hat das Wort der Abgeordnete Gansel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zusätzlich zu den vom Kollegen Immer genannten Mitgliedern des Bundestages habe ich mit meinen Kollegen Lambinus, Lutz, Waltemathe und Simonis seinerzeit gegen den Gesetzentwurf unserer eigenen Fraktion gestimmt. Wir schließen uns der Erklärung unseres Kollegen Immer an und bitten um Verständnis dafür, daß wir Ihnen die wenigen Sekunden Zeit nehmen mußten, um dies klarzustellen. — Danke sehr.
Nach § 30 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Hauck das Wort.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In meinem Beitrag zur Neuregelung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung habe ich auf die Debattenbeiträge aus den Diskussionen der Jahre 1955 und 1956 zum gleichen Thema der verstorbenen Kollegen Dr. Adolf Arndt, SPD, und Peter Nellen, damals CDU/CSU, später SPD, hingewiesen.
Als ich den Namen Peter Nellen nannte, kamen verschiedene Zwischenrufe, u. a. „Ich würde die Nellen-Geschichte nicht aufwärmen!", „Ein Deserteur war er!", „Er ist bei euch gelandet!", und weitere Zurufe.
Ich persönlich bedaure, daß auf die Nennung des Namens Peter Nellen durch meine Person hin aus
den Reihen der CDU/CSU-Fraktion das Ansehen eines verstorbenen hochverdienten Kollegen, der damals der CDU/CSU angehörte und später diese Fraktion verlassen hat, in so beschämender Weise verunglimpft wurde.
Im Zusammenhang mit dem Thema Kriegsdienstverweigerung wirft dieser Vorfall ein bezeichnendes Licht darauf, in welcher Weise in Ihren Reihen Gewissensentscheidungen bewertet werden.
Ich bedaure sehr, daß ich sprechen mußte.
Wir kommen zu der namentlichen Abstimmung, die von der SPD-Fraktion beantragt ist. Ich bitte, mit der Abstimmung zu beginnen. —
Meine Damen und Herren, sind alle Stimmkarten abgegeben? — Ich schließe die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. —
Meine Damen und Herren, wenn Sie damit einverstanden sind, könnten wir zwischendurch die Beratungen fortsetzen. Es stehen nur noch Vorlagen ohne Debatte zur Beratung an. — Dann verfahren wir so.
Ich rufe Tagesordnungspunkt V auf:
Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern
— Drucksache 9/2110 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 9/2259 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Walther Hoppe
Carstens
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 9/2249 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Gobrecht Schroeder
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2249, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 9/2110 für erledigt zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist einstimmig so angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt VI auf:
Zweite Beratung des von den Fraktionen der
SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8919
Vizepräsident Frau Renger
Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
— Drucksache 9/1956 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 9/2285 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens Walther
Hoppe
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 9/2238 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Gobrecht Dr. Schroeder
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Wer der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 9/2238, den Gesetzentwurf auf Drucksache 9/1956 abzulehnen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Dies ist mit Mehrheit angenommen. Angenommen heißt abgelehnt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt VII auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
— Drucksache 9/1990 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 9/2285 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens Walther
Hoppe
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 9/2238 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Gobrecht Dr. Schroeder
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Wer der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 9/2238, den Gesetzentwurf auf Drucksache 9/1919 abzulehnen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt VIII auf:
Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer
— Drucksache 9/2016 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 9/2285 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens Walther
Hoppe
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 9/2238 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Gobrecht Dr. Schroeder
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Wer der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 9/2238, den Gesetzentwurf auf Drucksache 9/2016 abzulehnen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Beschlußempfehlung ist entsprochen worden; der Antrag ist angenommen worden.
Ich rufe Tagesordnungspunkt IX auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD Beschäftigungshaushalt 1983 bis 1985
— Drucksachen 9/2123, 9/2265 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens Wieczorek (Duisburg)
Hoppe
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 9/2265, den Antrag der Fraktion der SPD betreffend einen Beschäftigungshaushalt 1983 bis 1985 auf Drucksache 9/2123 abzulehnen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
8920 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Vizepräsident Frau Renger
Ich rufe den Tagesordnungspunkt X auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 1983
— Drucksache 9/1730 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 9/2292 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Friedmann Sieler
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 9/2291 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. George
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2291, den Gesetzentwurf auf Drucksache 9/1730 für erledigt zu erklären. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt XI auf:
Zweite Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung und von anderen Vorschriften
— Drucksache 9/1957 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 9/2292 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Friedmann Sieler
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 9/2291 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. George
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2291, den Gesetzentwurf auf Drucksache 9/1957 für erledigt zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Beschlußempfehlung des Ausschusses ist entsprochen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt XII auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung und von anderen Vorschriften
— Drucksache 9/1991 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 9/2292 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Friedmann Sieler
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 9/2291 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. George
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2291, den Gesetzentwurf auf Drucksache 9/1991 für erledigt zu erklären. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt XIII der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften
— Drucksache 9/1958 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 9/2292 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Friedmann Sieler
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 9/2291 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. George
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2291, den Gesetzentwurf auf Drucksache 9/1958 für erledigt zu erklä-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8921
Vizepräsident Frau Renger
ren. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt XIV der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften
— Drucksache 9/1997 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 9/2292 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Friedmann Sieler
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 9/2291 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. George
Wir kommen auch hier zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2291, den Gesetzentwurf auf Drucksache 9/1997 für erledigt zu erklären. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen jetzt das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines KDVNG auf Drucksache 9/2293 mitteilen. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 477 ihre Stimme abgegeben; ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben gestimmt: 260 Mitglieder des Hauses, mit Nein haben gestimmt: 213 Mitglieder des Hauses, enthalten haben sich 4 Mitglieder des Hauses.
21 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben; ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 12 Mitglieder des Hauses gestimmt. Mit Nein haben 9 Mitglieder des Hauses gestimmt. Enthaltungen: keine.
Ergebnis
Abgegebene Stimmen 477 und 21 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 260 und 12 Berliner Abgeordnete
nein: 213 und 9 Berliner Abgeordnete
enthalten: 4
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein
Dr. van Aerssen
Dr. Althammer
Dr. Arnold
Austermann
Dr. Barzel
Bayha
Dr. Becker
Berger
Biehle
Dr. Bötsch
Bohl
Borchert Braun
Breuer
Broll
Brunner
Bühler
Dr. Bugl
Carstens
Clemens
Conrad
Dr. Czaja Dallmeyer Daweke Deres
Dörflinger Dr. Dollinger
Doss
Dr. Dregger
Eigen
Engelsberger
Erhard Eymer (Lübeck)
Dr. Faltlhauser Feinendegen
Fellner
Frau Fischer
Fischer Francke (Hamburg)
Franke
Dr. Friedmann
Funk
Ganz
Frau Geier
Frau Geiger
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Dr. George
Gerlach Gerstein
Gerster
Glos
Dr. Götz Günther Haase
Dr. Häfele Hanz
Hartmann
Hauser
Frau Dr. Hellwig
Helmrich Dr. Hennig
Herkenrath
von der Heydt
Freiherr von Massenbach Hinsken
Höffkes Höpfinger
Frau Hoffmann Dr. Hornhues
Horstmeier
Frau Hürland
Dr. Hüsch
Dr. Hupka
Graf Huyn
Jäger
Jagoda
Dr. Jahn
Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung
Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki
Keller
Kiechle
Dr. Klein
Klein
Dr. Köhler
Dr. Köhler Köster
Kolb
Kraus
Dr. Kreile Krey
Kroll-Schlüter
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kunz
Lamers
Dr. Lammert
Landré
Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lemmrich Dr. Lenz
Lenzer
Link
Linsmeier Lintner
Löher
Louven
Lowack
Maaß
Magin
Dr. Marx
Dr. Mertes
Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat Dr. Miltner Milz
Dr. Möller Dr. Müller Müller
Müller
Müller
Nelle
Neuhaus
Frau Dr. Neumeister
Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog Frau Pack Petersen Pfeffermann Pfeifer
Picard
Dr. Pinger Pohlmann Dr. Pohlmeier
Prangenberg
Dr. Probst Rainer
Rawe
Reddemann Regenspurger
Repnik
Dr. Riedl
Dr. Riesenhuber
Frau Roitzsch
Dr. Rose Rossmanith Rühe
Ruf
Sauer
Sauer
Sauter
Sauter
Dr. Schäuble
Schartz
Schmitz
Dr. Schneider
Freiherr von Schorlemer
Dr. Schroeder Schröder (Lüneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Dr. Schulte (Schwäbisch
Gmünd)
8922 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982
Vizepräsident Frau Renger
Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer
Seehofer Seiters Sick
Dr. Freiherr Spies von Büllesheim
Spilker Spranger Dr. Sprung
Dr. Stark
Graf Stauffenberg
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken
Stücklen Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel
Vogt
Voigt
Volmer -Dr. Voss Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß
Werner
Frau Dr. Wex
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wimmer Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Dr. Wörner
Würzbach
Dr. Wulff
Zierer
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Bahner
Frau Berger Boroffka
Buschbom
Dolata
Dr. Hackel
Kalisch Kittelmann
Lorenz
Schulze
Straßmeir
FDP
Baum
Beckmann
Bergerowski
Frau von Braun-Stützer Cronenberg
Eimer Engelhard
Ertl
Dr. Feldmann Frau Fromm Gärtner
Gallus
Gattermann Genscher
Ginsberg
Grüner
Dr. Haussmann
Dr. Hirsch Holsteg
Jung Kleinert
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Merker
Möllemann Neuhausen Frau Noth Paintner
Popp
Rentrop
Riebensahm Dr. Riemer Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer
Dr. Solms Timm
Dr. Vohrer Dr. Wendig
Wolfgramm Wurbs
Dr. Zumpfort Zywietz
Berliner Abgeordneter Hoppe
Nein
CDU/CSU Handlos SPD
Dr. Ahrens Amling
Antretter
Dr. Apel
Auch
Baack
Bahr
Bamberg
Dr. Bardens Becker Bernrath
Berschkeit Biermann Bindig
Frau Blunck Börnsen
Brandt Brück
Büchler Büchner (Speyer)
Dr. von Bülow Buschfort Catenhusen Collet
Conradi
Dr. Corterier Curdt
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Dreßler
Duve
Dr. Ehmke Dr. Ehrenberg Eickmeyer
Dr. Emmerlich
Dr. Enders Engholm
Frau Erler Esters
Ewen
Feile
Fiebig
Fischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)
Frau Fuchs Gansel
Gerstl
Dr. Geßner Gilges
Ginnuttis Glombig Gnädinger Gobrecht Grobecker Grunenberg Dr. Haack Haar
Haase
Haehser
Frau Dr. Hartenstein Hauck
Dr. Hauff Heistermann
Herberholz Herterich Heyenn
Hoffmann Dr. Holtz
Horn
Frau Huber Huonker Ibrügger
Immer Jahn (Marburg)
Jansen
Jaunich
Dr. Jens
Jungmann Kiehm
Kirschner
Klein
Dr. Klejdzinski
Kolbow
Kretkowski
Dr. Kreutzmann
Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Dr. h. c. Leber
Lennartz Leonhart
Frau Dr. Lepsius Leuschner
Dr. Linde Lutz
Mahne
Marschall
Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer
Meinike Meininghaus
Menzel
Möhring
Müller
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Neumann Neumann (Stelle)
Dr. Nöbel Offergeld Oostergetelo
Dr. Osswald
Paterna Pauli
Dr. Penner Pensky
Peter
Polkehn
Poß
Purps
Rapp
Rappe
Frau Renger
Reschke Reuschenbach
Reuter
Rohde
Rosenthal Roth
Sander
Dr. Schachtschabel Schäfer Schätz
Dr. Scheer
Schirmer Schlaga Schlatter Schluckebier
Dr. Schmidt Schmidt (München)
Frau Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf) Schmitt (Wiesbaden)
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger
Schreiber Schreiner
Schröder Schröer (Mülheim)
Schulte
Dr. Schwenk Sielaff
Sieler
Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Dr. Sperling
Dr. Spöri
Stahl
Dr. Steger
Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler Stockleben
Stöckl
Dr. Struck
Frau Terborg
Thüsing Tietjen Frau Dr. Timm
Topmann Frau Traupe
Dr. Ueberschär
Urbaniak Vogelsang
Voigt
Vosen
Wallow Waltemathe
Walther Wehner Weinhofer
Weisskirchen Dr. Wernitz
Westphal Frau Weyel
Dr. Wieczorek
Wieczorek Wiefel
von der Wiesche
Wimmer Wimmer (Neuötting) Wischnewski
Witek
Dr. de With
Wolfram Wrede
Würtz
Wuttke
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1982 8923
Vizepräsident Frau Renger
Zander
Zeitler
Frau Zutt
Berliner Abgeordnete
Bühling
Dr. Diederich Dr. Dübber
Egert
Hitzigrath
Frau Luuk
Männing
Dr. Mitzscherling Wartenberg
FDP
Schmidt
fraktionslos
Coppik
Hansen
Hölscher
Frau Schuchardt
Enthalten
FDP
Frau Dr. Engel
Frau Dr. Hamm-Brücher Rösch
fraktionslos Hofmann
Das Gesetz ist damit in namentlicher Abstimmung angenommen*).
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 17. Dezember 1982, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.