Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die heutige Tagesordnung erweitert werden um zwei erste Beratungen, Änderung des Gesetzes über das Seelotswesen — Drucksache 9/2109 — und Änderung des Internationalen Übereinkommens „EUROCONTROL" — Drucksache 9/2112 —, sowie um die zweite und dritte Beratung eines Gesetzentwurfs über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen — Drucksache 9/2137 —.
Ich gehe davon aus, daß mit der Aufsetzung des letztgenannten Gesetzentwurfs gleichzeitig von der Frist für den Beginn der Beratung dieser Vorlage abgewichen wird. Darf ich feststellen, daß das Haus damit einverstanden ist? — Ich stelle dies fest. Dann ist das mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen.
Die Fraktion der FDP hat für den aus der Parlamentarischen Kontrollkommission ausgeschiedenen Abgeordneten und jetzigen Bundesjustizminister Engelhard den Abgeordneten Dr. Hirsch als Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission benannt.
Für den aus der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ausgeschiedenen Abgeordneten und jetzigen Parlamentarischen Staatssekretär Jung hat die Fraktion der FDP den Abgeordneten Rösch, der bisher stellvertretendes Mitglied war, als Mitglied und den Abgeordneten Dr. Riemer als Stellvertreter in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates benannt.
Ist das Haus mit diesen Vorschlägen einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Damit sind der Abgeordnete Dr. Hirsch als Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission, der Abgeordnete Rösch als Mitglied und der Abgeordnete Riemer als stellvertretendes Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates gewählt.
Wir treten damit in die Tagesordnung ein. Wir beginnen mit der
Fragestunde
— Drucksache 9/2111 —
Ich rufe zunächst die Fortsetzung des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Justiz auf. Das Haus ist durch seinen Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Klein vertreten.
Ich rufe die Frage 74 des Abgeordneten Börnsen auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, eigene gesetzgeberische Initiativen zu ergreifen, um eine Aufhebung der Unrechtsurteile aus dem Dritten Reich gegen Widerstandskämpfer zu bewirken?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Börnsen, wie ich Ihnen bereits in der Fragestunde am 12. November 1982 mitgeteilt habe, ist die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege im gesamten jetzigen Bundesgebiet durch Länderoder Zonenrecht geregelt worden, das gemäß Art. 125 des Grundgesetzes als partielles Bundesrecht fortgilt.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Börnsen.
Herr Staatssekretär, das habe ich wohl aus der letzten Fragestunde entnommen. Ist Ihnen nicht die Stellungnahme des Präsidenten des Bundesgerichtshofs, Gerd Pfeiffer, bekannt, der gesagt hat, daß der Bundesgerichtshof in Reaktion auf Kritik aus dem Film „Die weiße Rose" nicht von sich aus allgemeine Urteile des Volksgerichtshofs aufheben könne, sondern dafür bundesgesetzliche Regelungen erforderlich seien? Welche Stellungnahme geben Sie dazu ab?
Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Es ist natürlich richtig, daß der Bundesgerichtshof nicht von sich aus, sondern nur in einem Verfahren tätig werden kann, in dessen Rahmen er mit Fragen dieser Art befaßt wird. Eine andere Frage ist es, ob ein Bedürfnis bundesgesetzlicher Regelung besteht. Warum der Präsident des Bundesgerichtshofs ein solches Bedürfnis zu erkennen meint, ist mir nicht bekannt.
Herr Abgeordneter, eine weitere Zusatzfrage.
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8098 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982
Der Präsident des Bundesgerichtshofs empfiehlt eine solche Regelung. Halten Sie sie für nicht notwendig?
Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Ich halte sie, Herr Kollege Börnsen, für nicht notwendig, und zwar aus den Gründen, die ich Ihnen schon in der Fragestunde am 12. November 1982 mitgeteilt habe. Ich will aber gern noch einmal das Wesentliche von dem, was ich damals gesagt habe, hier zusammenfassen.
Es gibt eine bundesrechtliche Regelung; denn es gibt die vorkonstitutionelle landes- oder zonenrechtliche Regelung, die mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes nach dessen Art. 125 partielles Bundesrecht geworden ist.
Damit ist die Frage nach unserem Dafürhalten in der Tat zufriedenstellend geklärt.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen die Äußerung eines Mitglieds des Volksgerichtshofs bekannt, daß der Volksgerichtshof nicht die Aufgabe habe, Recht zu sprechen, sondern Gegner des Nazismus zu vernichten?
Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Natürlich ist mir diese Äußerung bekannt, Herr Kollege Emmerlich. Aber ich möchte doch meinen, daß Sie der Bundesregierung nicht etwa unterstellen, eine Billigung des Inhalts von Urteilen des Volksgerichtshofs zu vertreten.
Ich rufe die Frage 75 des Abgeordneten Dr. Emmerlich auf:
Hat sich der Bundesjustizminister Kenntnis von den in der Öffentlichkeit behaupteten Vorhaltungen des bayerischen Ministerpräsidenten gegenüber dem Generalbundesanwalt wegen dessen Verhalten in dem Ermittlungsverfahren Langemann verschafft, und wenn ja, welche Kenntnisse hat er dabei gewonnen?
Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, die Frage 75 ist aufgerufen. Mit Einverständnis des Kollegen Emmerlich würde ich gern die Fragen 75 und 76 zusammen beantworten.
Herr Kollege, sind Sie damit einverstanden? — Dann werden wir so verfahren. Ich rufe auch die Frage 76 des Abgeordneten Dr. Emmerlich auf:
Sieht er sich durch diese Kenntnis veranlaßt, sich auf Grund seiner Fürsorgepflicht für den Generalbundesanwalt gegen derartige Angriffe zu verwahren?
Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Mit der Frage werden offensichtlich Zeitungsberichte angesprochen, in denen über ein Gespräch zwischen dem bayerischen Ministerpräsidenten und dem Generalbundesanwalt anläßlich des Deutschen Juristentages Mitte September in Nürnberg berichtet wurde. Bei seinem ersten Besuch der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat sich der Bundesminister der Justiz in einem persönlichen Gespräch mit dem Generalbundesanwalt auch über diese Angelegenheit unterrichten lassen. Auch mit mir hat der Generalbundesanwalt darüber gesprochen. Bei beiden Gelegenheiten hat der Generalbundesanwalt versichert, daß die Angelegenheit erledigt sei und zu irgendwelchen Reaktionen kein Anlaß bestehe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Generalbundesanwalt ist stets schutzwürdig, er war und ist aber gegenüber dem Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern nicht schutzbedürftig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, können Sie mir mitteilen, welche Kritik an dem Verhalten des Generalbundesanwalts in dem Ermittlungsverfahren gegen Langemann während des Gesprächs auf dem Deutschen Juristentag in Nürnberg von einem deutschen Ministerpräsidenten geübt worden ist?
Herr Kollege, diese Zusatzfrage hat nur sehr bedingt etwas mit Ihren Ausgangsfragen zu tun, Sie haben gefragt, ob der Bundesjustizminister Kenntnis habe oder ob er sich durch diese Kenntnis veranlaßt sehe zu handeln. Ich stelle dem Herrn Staatssekretär dennoch anheim, darauf zu antworten.
Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Emmerlich, ich habe Ihnen gesagt, daß es sich bei dem von Ihnen in Bezug genommenen Gespräch zwischen dem bayerischen Ministerpräsidenten und dem Herrn Generalbundesanwalt um ein privates Gespräch gehandelt habe. Ich fühle mich nicht befugt, über den Inhalt eines privaten Gesprächs öffentlich Auskunft zu erteilen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Emmerlich.
Besteht nach Auffassung der Bundesregierung irgendeine Veranlassung, an dem Verhalten des Generalbundesanwalts, in dem Ermittlungsverfahren gegen Langemann Kritik zu üben?
Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Nein.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Emmerlich.
Gibt es auch keine Veranlassung zur Kritik daran, daß der Generalbundesanwalt einen Zeugen Heigl in Bayern hat vernehmen lassen? Besteht insbesondere Veranlassung zu der Behauptung, diese Vernehmung habe unter konspirativen Umständen stattgefunden?
Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Emmerlich, ich kann den sachlichen Zusammen-
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Parl. Staatssekretär Dr. Klein
hang dieser Frage mit der Ausgangsfrage beim besten Willen nicht erkennen.
Zu einer letzten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Emmerlich.
Ist Kritik daran berechtigt, daß der Generalbundesanwalt im Hause des Beschuldigten Langemann sogenannte Ring- und Tagebücher hat beschlagnahmen lassen und diese nach wie vor in Gewahrsam hat?
Herr Kollege, auch bei weitester Auslegung der Geschäftsordnung ist auch bei dieser Zusatzfrage ein Zusammenhang mit der Ausgangsfrage nicht zu erkennen.
Wir gehen über zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes.
Für die Frage 15 hat der Abgeordnete Pauli um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Dr. Dübber auf. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Wir verfahren entsprechend der Geschäftsordnung. Dasselbe gilt für die Frage 17 des Abgeordneten Dr. Dübber.
Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Jäger auf:
Enthält das sogenannte Tagebuch des früheren Regierungssprechers Staatssekretär a. D. Bölling über die letzten 30 Tage des Bundeskanzlers Schmidt die Schilderung von Vorgängen, die nach § 61 Abs. 1 des Bundesbeamtengesetzes der Amtsverschwiegenheit unterliegen, und hat Bölling — gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt — vom jetzigen oder vom früheren Bundeskanzler die nach § 61 Abs. 2 BBG erforderliche Genehmigung zur Veröffentlichung angefordert und erhalten?
Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Stolze zur Verfügung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Presse-und Informationsamt der Bundesregierung hat als Dienstvorgesetzter im Sinne des Disziplinarrechts eine Prüfung vorgenommen. Die Prüfung, die auch an Hand der im Amt vorhandenen Dokumentation erfolgte, hat keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß Veröffentlichungen des Staatssekretärs a. D. Bölling über die letzten 30 Tage des Bundeskanzlers Helmut Schmidt Angaben oder Schilderungen enthalten, die der Amtsverschwiegenheit nach § 61 Abs. 1 des Bundesbeamtengesetzes unterliegen. Einer Genehmigung zur Veröffentlichung im Sinne des § 61 Abs. 2 des Bundesbeamtengesetzes bedurfte es daher nicht. Soweit zur juristischen Beurteilung des Falles.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, sind Sie, wenn Sie von dieser Prüfung hier berichten, tatsächlich der Meinung, daß z. B. inhaltliche Angaben über eine Kabinettssitzung oder die Wiedergabe eines Briefs des früheren Bundesfinanzministers an den früheren Bundeskanzler oder Gespräche, die Ihr Vorgänger mit dem früheren Bundeskanzler im Kanzleramt über Regierungsfragen geführt hat, tatsächlich keinerlei Geheimhaltung unterlegen haben?
Stolze, Staatssekretär: Die Prüfung hat das so ergeben, wie ich es ausgeführt habe.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, bedeutet das, daß in Zukunft Mitglieder bzw. Staatssekretäre der Bundesregierung in der Lage sind, im „Spiegel" über Kabinettssitzungen, über Briefe von Kabinettsmitgliedern jederzeit zu berichten, wenn sie es parteipolitisch für opportun halten?
Stolze, Staatssekretär: Die Beamten des Bundes sind selbstverständlich auch weiterhin an das Bundesbeamtengesetz und die in ihm enthaltene Verpflichtung zur Verschwiegenheit in vollem Umfang gebunden.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Riedl.
Herr Staatssekretär, halten Sie es im Sinne der Gleichbehandlung aller Bediensteten in der öffentlichen Verwaltung dann nicht für besser, wenn die jetzt noch gültigen Vorschriften über die Amtsverschwiegenheit, über Dienstgeheimnisse und vor allen Dingen über die entsprechende disziplinarrechtliche Ahndung von Verstößen aufgehoben und künftig alle Beamten gleich behandelt würden?
Stolze, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, es besteht nicht die Absicht, Beamte zukünftig nicht gleich zu behandeln. Ich habe lediglich ausgeführt, daß eine Prüfung durchgeführt worden ist und daß diese Prüfung keinen Verstoß gegen entsprechende Paragraphen des Bundesbeamtengesetzes ergeben hat. Ich wiederhole meine Erklärung, daß selbstverständlich alle Beamten, Ruhestandsbeamte wie aktive Beamte, in vollem Umfang an die Bestimmungen des Bundesbeamtengesetzes gebunden bleiben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kühbacher.
Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Antwort schließen, daß es keinen Versuch der Fragesteller gegeben hat, die Antwort auf diese Fragen vorher mit Ihnen abzusprechen?
Stolze, Staatssekretär: Das können Sie daraus schließen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hoffmann .
Herr Staatssekretär, auch meine Frage bezieht sich auf Gleichbehandlung. Können wir, da Sie eindeutig festgestellt
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8100 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982
Hoffmann
haben, daß hier kein Verstoß vorliegt, aus Ihrer Antwort schließen, daß auch Sie schon darauf vorbereitet sind, für die letzten 30 Tage des jetzigen Kanzlers entsprechende Aussagen in der Offentlichkeit zu unterbreiten?Stolze, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, da die letzten 30 Tage des jetzigen Kanzlers so weit in der Zukunft liegen, sehe ich mich im Augenblick nicht in der Lage, diese Frage zu beantworten.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer rechtlichen Beurteilung dieses Tagebuches auch einen Schluß auf die Seriosität dieses Tagebuches ziehen?
Stolze, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Frage, die mir gestellt war, bezog sich auf die juristische Beurteilung. Ich habe mich streng auf die juristische Beurteilung beschränkt, wie es der Frage entsprach, und habe damit keinerlei sonstige Bewertung abgeben wollen oder können.
Herr Dr. Czaja zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist aus dieser Behandlung der Amtsverschwiegenheit über Vorgänge, die in der Meinungsbildung der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen waren, nicht unter Umständen abzuleiten, daß in Zukunft Vorgänge innerhalb der Regierung dem Parlament zugänglich gemacht werden, nachdem das bisher auch in den Kommentaren als ausgeschlossen galt?
Stolze, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann nur wiederholen, was ich gesagt habe: Die Regeln des Bundesbeamtengesetzes werden von dieser Regierung wie auch von allen ihren Vorgängern selbstverständlich voll respektiert. In diesem Zusammenhang sind die Beamten zur Auskunft wie auch in bestimmten Fällen zur Verschwiegenheit verpflichtet. Ich muß mich da an die bestehenden Regelungen des Bundesbeamtengesetzes halten.
Herr Abgeordneter Würtz zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß das Gerücht nicht zutrifft, Sie hätten dem Kollegen Jakob Mierscheid vor kurzem gesagt, daß Sie solche Aufzeichnungen wie Herr Bölling führen?
Stolze, Staatssekretär: Mir ist völlig unbekannt, was ich einem Abgeordneten, den persönlich kennenzulernen ich noch nicht das Vergnügen hatte, gesagt haben soll. Jedenfalls können Sie sicher sein, daß ich Aufzeichnungen führe.
Herr Staatssekretär, diese Ihre Auskunft ist völlig schlüssig, da es diesen Abgeordneten gar nicht gibt.
Die Fragen 19 und 20 des Herrn Abgeordneten Wallow werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir verlassen den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Das Haus wird durch seinen Staatsminister Möllemann vertreten.
Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Weirich auf:
Welche Kosten hat die Einladung des Goethe-Instituts für eine mehrwöchige Informations- und Vortragsreise an den Sprecher des Bundesverbands Bürger-Initiativen Umweltschutz, Jo Leinen, verursacht?
Herr Kollege, in der Kalkulation des Goethe-Instituts werden die Kosten der Vortragsreise von Herrn Leinen nach Brasilien im Oktober 1982 mit 16 000 DM veranschlagt.
Dieser Betrag entspricht den durchschnittlichen Kosten anderer nach Dauer und Entfernung vergleichbarer Vortragsreisen. Die genaue Höhe der Kosten läßt sich erst nach der Abrechnung der Reise feststellen.
Herr Abgeordneter Weirich zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, angesichts der vielen gewaltfreien Bürgerinitiativen, die wir in der Bundesrepublik haben: Halten Sie es nicht für eine Verschwendung von Steuerzahlergeldern, daß ausgerechnet Herr Leinen, dessen Beziehung zur Gewalt nicht geklärt ist, sozusagen die Bürgerinitiativen im Ausland verkörpert?
Meine Damen und Herren, ich wollte jetzt dem Herrn Staatsminister Gelegenheit zur Beantwortung geben. Ich bitte, mir dabei zu helfen. Bitte schön, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Vielen Dank, Herr Präsident.
Die Einladung an Josef Leinen zu einer Vortragsreise nach Brasilien geht auf den Wunsch brasilianischer Partner des Goethe-Instituts, insbesondere des staatlich-kommunalen brasilianischen Instituts für Gemeindeverwaltung , zurück.
Nach dem Rahmenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Goethe-Institut zur Pflege der deutschen Sprache im Ausland und zur Förderung der internationalen kulturellen Zusammenarbeit vom 30. Juni 1976 können die Auslands-
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Staatsminister Möllemann
vertretungen aus politischen Gründen gegen ein Vorhaben des Goethe-Instituts Einspruch erheben.
Wie die Botschaft in Brasilia berichtet, wurde die Frage eines Einspruchs sorgfältig erwogen. Da die Themen als solche — z. B. „Bürgerinitiativen und parlamentarische Demokratie", „Ökologiebewegung als Schuldgefühl der Demokratie", „Landwirtschaft — Herausforderung heute" — nicht zu beanstanden waren, hätte sich ein Einspruch nicht ohne weiteres begründen lassen.
Unsere Auslandsvertretungen beschlossen, statt eines Vetos den Gang der Veranstaltungen sorgfältig zu beobachten, um sich erforderlichenfalls einschalten zu können.
Nach den anfänglichen polemischen Zuspitzungen haben die Auslandsvertretungen mit Erfolg auf Josef Leinen eingewirkt, so daß es bei den weiteren Veranstaltungen nicht mehr zu solchen Zuspitzungen gekommen ist.
Erfreulicherweise hat im übrigen die brasilianische Öffentlichkeit auf die Auftritte Josef Leinens mit Gelassenheit reagiert. Ich möchte schon hinzufügen, daß die Aussagen, die dort im Rahmen der Vortragsreihe, finanziert durch das Goethe-Institut, gemacht worden sind, vermutlich die Zustimmung keiner Partei in diesem Parlament finden, mindestens an der Stelle, an der Herr Leinen ausgeführt hat, die „Monopolparteien" SPD, FDP und CDU in der Bundesrepublik Deutschland behinderten die Bürger in der Wahrnehmung ihrer Rechte.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Weirich.
Herr Staatsminister, denken Sie im Interesse einer ausgewogenen Selbstdarstellung der freiheitlichen Bundesrepublik Deutschland auch daran, beim Goethe-Institut anzuregen, daß auch Vertreter jener Bürgerinitiativen, die sich für eine gesicherte Energieversorgung in der Bundesrepublik Deutschland aussprechen, eingeladen werden?
Möllemann, Staatsminister: Die Bundesregierung weiß, daß das Goethe-Institut versucht, die Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland in ihrer ganzen Komplexität darzustellen. Dazu gehören die verschiedenen Denkansätze auch in dem Bereich, den Sie angesprochen haben.
Herr Abgeordneter Kühbacher zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, darf ich aus dem Umstand, daß Sie die erste mündliche Zusatzfrage des Kollegen Weirich umfänglich vom Blatt her beantwortet haben, folgern, daß diese Zusatzfrage vorbesprochen war, und würden Sie dem
Parlament solches Theaterspielen künftig ersparen?
Herr Abgeordneter, diese Frage steht natürlich auch in keinem Sachzusammenhang mit der Ausgangsfrage.
Möllemann, Staatsminister: Herr Präsident, ich würde trotzdem ganz gerne etwas dazu sagen. Die Bundesregierung — diese jedenfalls — spielt dem Parlament kein Theater vor.
Aber es ist durchaus üblich — vielleicht ist es möglich, sich bei Mitgliedern der früheren Bundesregierung, die Ihrer Partei angehören, zu erkundigen —, sich Gedanken darüber zu machen, welche Fragen im Zusammenhang mit einer eingereichten Frage stehen könnten,
und in Vorbereitung einer Fragestunde, um das Informationsbedürfnis des Parlaments hinreichend befriedigen zu können, den gesamten Themenkomplex zu durchdringen. Das ist in diesem Fall geschehen.
Herr Abgeordneter Thüsing zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, stimmen Sie meiner Auffassung zu — auch auf dem Hintergrund Ihrer Aussage, daß die Informations- und Vortragstätigkeit der Goethe-Institute das breite Spektrum von Meinungen und gesellschaftlichen Gruppierungen im Ausland zu spiegeln hat —, daß die pauschale Unterstellung, das Verhältnis eines eingeladenen Bürgers zur Gewalt sei ungeklärt, kein Auswahlkriterium für die Einladung durch die GoetheInstitute bilden darf, wie vom Fragesteller soeben unterstellt?Möllemann, Staatsminister: Zunächst einmal, Herr Kollege, bemüht sich die Bundesregierung, auf die Details der Auswahl des Goethe-Instituts keinen Einfluß zu nehmen.
Darüber hinaus aber, so meine ich, sollte es zwischen der Bundesregierung und den hier vertretenen Parteien jedenfalls nur dann begrenzten Dissens geben, wenn sich an den hier in Rede stehenden und vorhin von mir wiedergegebenen Satz, nämlich daß die hier im Parlament vertretenen „Monopolparteien" die Bürger an der Ausübung ihrer Rechte hinderten, weitere Aussagen angeschlossen haben, z. B., daß Unterprivilegierte in der Bundesrepublik Deutschland mundtot gemacht würden. Es liegt schon im Interesse der Bundesregierung — ich hoffe, auch im Interesse der hier im Haus vertretenen Parteien —, daß derart unzutreffende, an der Verfassungswirklichkeit dieses Landes vorbei-
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Staatsminister Möllemanngehende Klischees nicht etwa regelmäßig mit Steuergeldern verbreitet werden.
Herr Staatsminister, darf ich davon ausgehen, daß diese Frage nicht abgestimmt war, obschon Sie die Antwort teilweise vom Blatt vorgelesen haben?
Möllemann, Staatsminister: Herr Präsident, wenn ich hier gelegentlich herunterblicke, dann geschieht das deshalb, um mich dabei zu konzentrieren. Ich lese also nicht alles ab, manches aber schon.
Herr Abgeordneter Dr. Köhler zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß die erwähnte Brasilien-Reise Herrn Leinen in die nützliche Lage versetzt hat, uns daraufhin als Fachmann für die ökologischen Probleme der Dritten Welt kürzlich auf dem Umweltforum der Bundesregierung in Berlin wertvolle Ratschläge zu erteilen?
Möllemann, Staatsminister: Dies ist mir nicht bekannt.
Herr Kollege, auch die Mitglieder der Bundesregierung haben als Abgeordnete dieses Hauses die gleichen Rechte wie alle anderen Abgeordneten auch.
Ich habe hier auf die Einhaltung der Geschäftsordnung zu achten.
— Herr Kollege, können wir uns darauf einigen, daß dies keine Frage ist, die in der Fragestunde zu behandeln wäre? Wenn Sie Wert darauf legen, kann sie an anderer Stelle erörtert werden.
Die Fragen 22 und 23 der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher werden auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich behandelt. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Thüsing auf:
Wird die Bundesregierung die Ausrüstungshilfe an Honduras entgegen den bisherigen Bekundungen doch bewilligen?
Möllemann, Staatsminister: Herr Präsident! Lieber Herr Kollege Thüsing, über die Durchführung der Ausrüstungshilfe für Honduras, die der Auswärtige Ausschuß und der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages im Rahmen des Ausrüstungshilfeprogramms 1982/84 der Bundesregierung am 16. Juni 1982 gebilligt haben, kann derzeit noch nicht entschieden werden. Die Untersuchung über die beabsichtigte Verwendung der geplanten Unterstützung, die der Verbesserung des Fernmeldewesens dienen soll, ist noch nicht abgeschlossen.
Herr Abgeordneter Thüsing, zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß entgegen den Auskünften des Außenministeriums vor dem Regierungswechsel gegenüber Journalisten und besorgten Bürgern die neue Bundesregierung die Bewilligung der Ausrüstungshilfe an Honduras nach wie vor betreibt?
Möllemann, Staatsminister: Nein. Sie können meiner Antwort nur entnehmen, daß die Prüfung der Frage noch nicht abgeschlossen ist, wozu die beabsichtigte Unterstützung verwendet werden soll, und daß dementsprechend auch noch keine Entscheidung vorliegt.
Herr Abgeordneter Thüsing, zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, können Sie hier die Kriterien nennen, die dieser Prüfung zugrunde liegen werden, insbesondere auch vor dem Hintergrund der Tatsache, daß die Ausrüstungshilfe ursprünglich der Militärjunta zugesagt oder in Aussicht gestellt wurde und, wie in der vorigen Woche beim Besuch des Vizepräsidenten und Vorsitzenden der Liberalen Partei Carlos Montoya hier in Bonn klar wurde, das Parlament nicht einmal informiert ist?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, ich möchte mich bei der Beantwortung Ihrer Frage — und ich bitte um Nachsicht, wenn ich jetzt erneut ablese — ganz gern auf eine Antwort stützen, die meine geschätzte Vorgängerin Frau Dr. HammBrücher am 8. Juli hier in dem genannten Zusammenhang bereits erteilt hat, und zwar als sie — im übrigen von Ihnen — ebenfalls nach dieser Problematik gefragt wurde und darlegte, daß durch die Lieferung von Fernmeldegerät der Ausbau der Infrastruktur des Landes unterstützt werden solle und daß dies insbesondere dazu diene, die in abgelegenen Gebieten wohnenden Bevölkerungsteile auch fernmeldetechnisch zu versorgen. Ich kann objektiv darin eigentlich bei keinem Land dieser Erde ein nachhaltiges Problem für dessen Bevölkerung erkennen.
Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Thüsing auf:
Ist die Bundesregierung bereit, wie Belgien, Italien und Frankreich, Einreisevisen für politische Gefangene aus El Salvador zuzusagen, die in den Gefängnissen von El Salvador auch weiterhin gefoltert werden und anderen Repressionsmafßnahmen ausgesetzt sind?
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Möllemann, Staatsminister: Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß Belgien, Italien und Frankreich politischen Gefangenen aus El Salvador Einreisevisen zugesagt haben. Sie wird sich aber hierüber informieren und behält sich ergänzende Auskunft vor.
Die Bundesregierung verfolgt aufmerksam die politische Entwicklung in den verschiedensten Staaten der Welt und hat im Rahmen ihrer aufenthalts- und sichtsvermerksrechtlichen Bestimmungen immer wieder in Einzelfällen politisch verfolgten Ausländern Zuflucht gewährt. Das würde auch für den in Ihrer Frage genannten Personenkreis gelten. In jedem Falle ist eine individuelle Einzelfallprüfung erforderlich, ob eine außergewöhnliche humanitäre Härte vorliegt.
Herr Abgeordneter Thüsing, zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie die Praxis der früheren Regierung fortzusetzen bereit sind, die Befreiung politischer Häftlinge dadurch zu erleichtern — solche Fälle liegen vor —, daß die Bundesregierung Einreisevisen zur Einreise in die Bundesrepublik anbietet und zur Verfügung stellt?
Möllemann, Staatsminister: Die Bundesregierung wird die bisherige Verfahrensweise in dem Gesamtkomplex, den Sie hier ansprechen, weiterhin praktizieren.
Der Abgeordnete Collet hat seine Fragen 26 und 27 zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung das Dekret der rumänischen Staatsführung vom 6. November 1982 über die hochangesetzten finanziellen Leistungen der Ausreisewilligen angesichts der menschenrechtlichen Verpflichtungen auch Rumäniens aus den UN-Menschenrechtspakten und der KSZE-Schlußakte?
Möllemann, Staatsminister: Herr Präsident! Im Einvernehmen mit dem Fragesteller möchte ich gerne die Fragen 28 und 29 gemeinsam beantworten.
Einverstanden.
Dann rufe ich auch die Frage 29 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Was gedenkt die Bundesregierung auf Grund des Dekrets der rumänischen Staatsführung vom 6. November 1982 für die Aufrechterhaltung der rumänischen Zusage zur Ausreise der Deutschen aus Rumänien zu tun?
Möllemann, Staatsminister: Angesichts der Verpflichtungen Rumäniens aus den UN-Menschenrechtspakten und der KSZE-Schlußakte hält die Bundesregierung das am 6. 11. 1982 auch in deutschsprachigen Zeitungen in Rumänien veröffentlichte Dekret vom 22. 10. 1982 für sehr bedenklich.
Die Bundesregierung hat in Sorge um die ausreisewilligen Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben schon am 9. November in Bonn über den rumänischen Geschäftsträger, am 10. November in
Bukarest durch den deutschen Botschafter und am 11./12. November in Bukarest durch den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes um Aufklärung gebeten, ob dieses Dekret auch auf deutsche Volkszugehörige Anwendung findet, die sich um Familienzusammenführung aus Rumänien bewerben. Sie hat in diesem Zusammenhang auf die von Bundeskanzler Schmidt und Staatspräsident Ceausescu am 7. Januar 1978 in Bukarest veröffentlichte Gemeinsame Erklärung hingewiesen, in der es wörtlich heißt — ich zitiere —:
Sie stimmen darin überein, daß humanitäre Fragen im Bereich der Familienzusammenführung und der Eheschließung zwischen Bürgern beider Länder auf der Grundlage der in bilateralen und internationalen Dokumenten bekräftigten Absichten weiterhin wohlwollend behandelt werden.
Sie hat außerdem an die Erklärung von Bundeskanzler Schmidt vor dem Deutschen Bundestag, die dieser im Anschluß an das Treffen mit Staatspräsident Ceausescu abgegeben hat, erinnert, die wie folgt lautet — ich zitiere —:
Wir dürfen übrigens erwarten, daß die Zahl der deutschen Volkszugehörigen, die im Wege der Familienzusammenführung aus Rumänien hierher ausreisen dürfen, in den nächsten Jahren hinter der 1977 erreichten, bisher höchsten Zahl von über 10 000 Menschen nicht zurückbleiben wird.
Im übrigen hat die Bundesregierung auf die entsprechende Formulierung der KSZE-Schlußakte vom 1. August 1975 zur Familienzusammenführung verwiesen, in der die Unterzeichnerstaaten erklären:
Die Gebühren
— im Zusammenhang mit diesen Gesuchen —
werden, wo notwendig, verringert, um sicherzustellen, daß sie gemäßigt sind.
Die Bundesregierung erwartet, daß gültige bilaterale Absprachen durch das neue Dekret der rumänischen Regierung nicht beeinträchtigt werden. Sie hat bei ihren Anfragen an die rumänische Seite keinen Zweifel daran gelassen, daß für sie die Angelegenheit von größter Wichtigkeit ist und daß eine unbefriedigende Erklärung die deutschrumänischen Beziehungen erheblich belasten würde. Sie wies ausdrücklich darauf hin, daß die Familienzusammenführung fester Bestandteil der deutsch-rumänischen Zusammenarbeit sei. Die Bundesregierung hofft, daß die weiteren Gespräche mit der rumänischen Seite eine befriedigende Lösung des Problems ermöglichen werden.
Herr Dr. Hupka zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, indem ich Ihrer Formulierung „erheblich belasten" zustimme, frage ich Sie: Ist seitens der Bundesregierung daran gedacht, bei den jetzt mit Rumänien geführten Verhandlungen über die Umschuldung und bei den am 10. Dezember beginnenden Wirt-
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Dr. Hupkaschaftsverhandlungen auch diese Frage einzubringen und die Rumänen auf die besondere Bedeutung dieser Frage für uns, die Bundesrepublik Deutschland anzusprechen?Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hupka, die Bundesregierung sieht die bilateralen Beziehungen natürlich in ihrer Komplexität, auch was diese Zusammenhänge angeht. Ich bitte aber um Verständnis, wenn ich über Details angesichts der gerade laufenden Gespräche — nach meinem Eindruck im Interesse eines vernünftigen Ergebnisses — hier nichts weiter sagen kann.
Herr Dr. Hupka zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung bereits Gelegenheit genommen, auch öffentlich — nicht nur in bilateralen Gesprächen hinter verschlossenen Türen —, etwa in Madrid, mit deutlichen Worten zu diesem Dekret gegen die Menschenrechte Stellung zu nehmen?
Möllemann, Staatsminister: Öffentlich hat sie es jedenfalls soeben hier getan. Aber auch die KSZE-Folgekonferenz, die in Madrid wieder angefangen hat zu tagen, wird sicherlich ein Platz sein müssen, an dem diese und vergleichbare Fragen noch erörtert werden.
Herr Dr. Hupka zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß es bereits Fälle gibt, die nur auf dieses Dekret, das am 6. November veröffentlicht worden ist, zurückgehen, daß in einem Fall bereits die Forderung erhoben worden ist, daß jemand nur ausreisen kann, wenn vorher 40 000 DM in harter Währung gezahlt werden, und ist es weiterhin richtig, daß von Bürgern der Bundesrepublik Deutschland schon Summen von 2 000 oder 5 000 DM gezahlt werden mußten, um eine Ausreise zu ermöglichen?
Möllemann, Staatsminister: Es ist uns bekannt, daß es Fälle in der Art, wie Sie sie angesprochen haben, gibt, ohne daß ich jetzt vielleicht diesen Einzelfall einbeziehen kann. Dies ist einer der Gründe, weshalb sich die Bundesregierung besonders engagiert um dieses Problem kümmert.
Zu Ihrer letzten Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß die amerkanische Regierung auf dieses Dekret sehr deutlich und entschieden reagiert hat, gerade auch in ihrer Verantwortung für die Menschenrechte einerseits und zum anderen im Blick auf die Auswanderungsmöglichkeiten von 30 000 Juden, die in Rumänien leben?
Möllemann, Staatsminister: Die Reaktion der amerikanischen Regierung ist uns bekannt. Ich empfinde die Reaktion der Bundesregierung ebenfalls als deutlich und entschieden.
Abgeordneter Jäger zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, hat bereits eine Abstimmung mit den anderen Verbündeten im Rahmen des Madrider Folgetreffen stattgefunden? Ich frage dies, da ja die in Ihrer Antwort enthaltene Erwähnung des Abkommens zwischen Bundeskanzler Schmidt und dem Staatspräsidenten Ceausescu ganz zweifellos auch die KSZE-Schlußakte umfaßt. Gibt es also eine Abstimmung zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der uns befreundeten Staaten, um ein gemeinsames Vorgehen zu erreichen?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, es gibt bei der Gestaltung der derzeitigen Diskussionen in Madrid eine regelmäßige, sehr intensive Abstimmung innerhalb der EPZ und darüber hinaus das Bemühen, auch mit den übrigen Signatarstaaten Einvernehmen herzustellen. Das gilt ganz generell in dieser schwierigen Phase dieser Konferenz, aber auch im konkreten Einzelfall für den Bereich, den wir hier besprechen.
Herr Abgeordneter Dr. Czaja zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, hoffen Sie nach der dankenswert raschen und klaren Reaktion der Bundesregierung und nach dem Hinweis auf die mögliche erhebliche Belastung der Beziehungen und auf die wohlwollende Behandlung, daß eine gewisse Aussicht besteht, daß die Freikaufssummen für Deutsche nicht erhoben werden?
Möllemann, Staatsminister: Die Bundesregierung setzt sich mit allem Nachdruck dafür ein, daß das Problem in dem Sinn gelöst werden kann, wie ich es vorhin vorgetragen habe. Details, Herr Kollege Czaja, kann ich Ihnen derzeit nicht vortragen.
Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:Welche Ergebnisse haben die Gespräche mit der rumänischen Regierung bezüglich der Ausreisebedingungen für deutsche Aussiedler gehabt, werden diese von ihren hier lebenden Angehörigen mit westlichen Devisen privat freigekauft werden müssen, und wenn ja, welche Schritte wird die Bundesregierung bilateral und gemeinsam mit den westlichen Bündnispartnern bei den KSZE-Beratungen in Madrid in dieser Sache unternehmen?Möllemann, Staatsminister: Herr Dr. Czaja, ich habe bei der Beantwortung der Anfragen von Herrn Kollegen Dr. Hupka der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß weitere Gespräche mit der rumänischen Seite eine befriedigende Lösung des Problems ermöglichen werden. Auf Grund der bisherigen Demarchen und Gespräche ist die Möglichkeit tatsächlich offengehalten worden, die Angelegenheit einvernehmlich zu regeln.Die Bundesregierung wird dafür eintreten, daß es bei der Fortführung der bilateral abgesprochenen
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Staatsminister Möllemann Familienzusammenführung nicht notwendig wird, daß Angehörige ihre ausreisewilligen Verwandten freikaufen müssen.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, hoffen Sie — dies habe ich ja auch in meiner Frage — auf ein gemeinsames Eintreten westlicher und neutraler Mächte in Madrid zugunsten der Beachtung der Schlußakte von Helsinki und des Menschenrechts der Ausreisefreiheit durch die Sozialistische Republik Rumänien, nicht zuletzt deshalb, weil die westlichen Steuerzahler und Bankkunden nicht auf Dauer schwerste Opfer für einen Staat tragen können, der Menschenrechte dauernd schwer verletzt?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Czaja, die Bundesregierung ist darum bemüht, und nach dem bisherigen Eindruck mit großem Erfolg darum bemüht, in den hier in Rede stehenden Fragen ein gemeinsames Auftreten der Staaten der Gemeinschaft, aber auch der Staaten beispielsweise des Europarats sicherzustellen.
Herr Dr. Czaja zu einer weiteren Zusatzfrage.
Angesichts der Frage nach deutschen Schritten frage ich weiter, ob deutsche finanzielle Hilfen für Staatsschulden und in Form bundesverbürgter Kredite an einen Staat möglich sind, der Menschenrechte aufs schwerste verletzt, angesichts der zentralen Grundgesetzpflicht für alle Verfassungsorgane, die Menschenwürde aktiv zu unterstützen und die völkerrechtliche Verpflichtung auch aus Art. 12 Abs. 2 des UN-Pakts durchzusetzen?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, jetzt fällt es mir sehr schwer, den Zusammenhang mit der Eingangsfrage zu erkennen. Aber wenn ich einen nicht ganz leichten Bezug zu einer vorher diskutierten Frage herstellen darf, möchte ich darauf hinweisen, daß die Frage der Menschenrechtssituation und die Frage der Kooperation in verschiedenen Bereichen der Politik und der Wirtschaft ja ein sehr komplexes Thema sind. Wir lassen uns hier in allen Richtungen von den gleichen Grundsätzen leiten.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, können Sie mir darin zustimmen, daß es das Ende der Ausreise von jährlich 10 000 bis 11 000 Deutschen bedeuten würde, falls die rumänische Regierung auf der Durchführung des Dekrets beharrt? Denn diese harte Währung in dieser Höhe ist ja nicht aufzubringen, und hier liegt nichts anderes als die Methode des Kopfgeldes vor.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hupka, jedenfalls sieht die Bundesregierung die in diesem Dekret enthaltenen Bestimmungen als einen außerordentlich schwerwiegenden Vorgang — auch überhaupt im Hinblick auf die Möglichkeit der Betroffenen, dann noch auszureisen — an. Deswegen und weil sie ähnliche Konsequenzen befürchtet, wie Sie sie angedeutet haben, setzt sie sich für eine Beseitigung dieser Bestimmungen ein.
Ihrer Bewertung, die Sie am Schluß gemacht haben, kann ich namens der Bundesregierung nicht widersprechen, aber auch nicht zustimmen.
Herr Abgeordneter Berschkeit zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben erklärt, daß die Bundesregierung — nach Ihrer Auffassung — mit großem Erfolg bemüht sei, Verbesserungen herbeizuführen. Würden Sie in Anbetracht der großen Zahl deutscher Familien, die noch Angehörige in Rumänien haben, hier deutlich machen, welche Erfolge Sie gehabt haben und welcher Art?
Möllemann, Staatsminister: Vielleicht darf ich zunächst, Herr Kollege, darauf hinweisen, daß der von der Bundesregierung bisher konstatierte Erfolg sich auf die Abstimmung unter den Partnern in der EG und im Europarat bezog, in Fragen der KSZE gemeinsam vorzugehen. Im Blick auf die hier ganz konkret in Rede stehende Problematik kann es einen Erfolg natürlich noch nicht geben, weil da eben erst die Gespräche laufen.
Daß aber von verschiedenen Bundesregierungen, auch den Vorgängern dieser Bundesregierung, im Blick auf die Ausreisebemühungen und die Familienzusammenführung gerade aus osteuropäischen Staaten Erfolge vorzuweisen sind, dürfte nicht bestreitbar sein.
Wir verlassen damit den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf.Die Frage 77 des Abgeordneten Auch wird auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 78 — des Herrn Abgeordneten Schreiner — auf. — Er ist nicht im Saal. Wir verfahren entsprechend der Geschäftsordnung.Ich rufe die Fragen 79 und 80 — des Abgeordneten Reuschenbach — auf. — Auch er ist nicht im Saal. Wir verfahren gleichermaßen.Für die Frage 81 bittet der Abgeordnete Hoffmann um schriftliche Beantwortung. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Die Frage 83 des Abgeordneten Ewen wird auf Grund der Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
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Vizepräsident WindelenFür die Frage 84 bittet der Abgeordnete Dr. Ehrenberg um schriftliche Beantwortung. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Die Frage 85 des Herrn Abgeordneten Polkehn wird auf Grund unserer Richtlinien schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 86 des Abgeordneten Waltemathe auf:Kann die Bundesregierung mitteilen, wieviel Arbeitsplätze außerhalb der deutschen Küstenregion unmittelbar und mittelbar vom Schiffbau abhängig sind und demgemäß bestätigen, daß Werfthilfe auch Binnenlandarbeitsplätzen zugute kommt?Bitte, Herr Staatssekretär.
Nach groben Schätzungen, Herr Kollege, dürften von den knapp 57 000 Personen, die 1981 im Schiffbau tätig waren, etwa 4 000 bei Werften außerhalb der Küstenländer beschäftigt sein. Der größte Teil hiervon arbeitet im Binnenschiffbau bzw. im Schiffsreparaturbereich, für die keine Werfthilfen gewährt werden. Bei Seeschiffen entfielen im Jahr 1981 weniger als 1 % der Ablieferungen, Auftragseingänge und Auftragsbestände auf Werften außerhalb der Küstenländer. Die Zahl der mittelbar vom Schiffbau abhängigen Arbeitsplätze außerhalb der Küstenländer läßt sich nur sehr schwer schätzen. Nach Ermittlungen von Verbandsseite könnte die Zahl der Beschäftigten bei der Schiffbauzulieferindustrie in der Größenordnung von 80 000 liegen, von denen zirka 50 000 in Betrieben außerhalb der Küstenländer tätig sind. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß etwa die Hälfte der Umsätze der Zulieferer im Export getätigt werden. Insbesondere die Lieferungen in ostasiatische Länder haben stark steigende Tendenz.
Herr Abgeordneter Waltemathe zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, indem ich zugebe, daß wir als norddeutsche Abgeordnete uns natürlich um die Arbeitsplätze in unserer Region kümmern, frage ich: Darf ich trotzdem aus Ihrer Antwort entnehmen, daß es etwa ein Verhältnis gibt von 57 000 an der Küste Beschäftigten, die auch von Schiffbauhilfe profitieren, und zirka 20 000 bis 30 000 Arbeitsplätzen im Binnenland in Betrieben die zuliefern, wenn Schiffbau exportiert oder für den eigenen Bedarf produziert wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Sie haben meiner Antwort entnommen, daß es außerordentlich schwierig ist zu quantifizieren. Aber es ist gar keine Frage, daß ein bedeutender Anteil an Arbeitsplätzen auch in den Nichtküstenländern von der Entwicklung beim Schiffbau berührt wird.
Herr Abgeordneter Waltemathe zu einer weiteren Zusatzfrage.
Eine Fortführung oder Aufstockung der Schiffbauhilfe würde also — das ist meine Frage, Herr Staatssekretär — Arbeitsplätze in der norddeutschen Region sichern, aber auch einen erheblichen Beitrag zur Erhaltung von Arbeitsplätzen im Binnenland leisten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Unter der Voraussetzung, daß eine solche Erhöhung der Hilfe zu einem vermehrten Absatz führen würde, ja.
Herr Abgeordneter Würtz zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es einen erheblichen Unterschied zwischen den Arbeitsplätzen an der Küste und den Arbeitsplätzen im Binnenland, was die Produktion angeht? Ich meine damit die Frage des Sonderschiffbaus.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es gibt einen erheblichen Unterschied. Ich habe ja darauf hingewiesen, daß der größte Teil der Arbeitskräfte im Binnenschiffbau bzw. im Schiffsreparaturbereich beschäftigt ist und daß dieser Teil keine Unterstützung durch unser Werfthilfeprogramm erfährt. Das ist anders bei den Großwerften und im Seeschiffbau.
Ich rufe jetzt die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Würtz auf:
Wird der Ansatz für die 4prozentige Zinshilfe für Schiffsneubauten im Haushaltsjahr 1982 nach den allgemeinen Zinssenkungen ausgeschöpft, und wie sollten gegebenenfalls die Restbeträge verwandt werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Im Rahmen der Werfthilfeprogramme des Bundes können Schiffsexportkredite um bis zu zwei und bei Aufträgen des Jahres 1982 um bis zu vier Prozentpunkte verbilligt werden. Diese Prozentsätze können aus entwicklungspolitischen Gründen überschritten werden. Im Hinblick auf die Sonderregelung für 1982 wurden die Zuschußplafonds der Werften für die Ablieferungsjahre 1980 bis 1983 um 186 Millionen DM erhöht. Um einen Anreiz zu bieten, möglichst günstige Zinskonditionen auszuhandeln, werden in den Werfthilferichtlinien nur Obergrenzen für die Zinsverbilligung festgelegt. Die Hilfen werden mit der Maßnahme zur Verfügung gestellt, daß Beträge, die nicht für die maximal zulässige Zinsverbilligung um zwei bzw. vier Prozentpunkte benötigt werden, für die Zinsverbilligung bei zusätzlichen Geschäften verwendet werden können. Wegen der eingetretenen Zinssenkungen haben die Werften hiervon in zunehmendem Maße Gebrauch gemacht und sich damit in der zur Zeit sehr schwierigen Situation auf dem Weltschiffbaumarkt dringend benötigte Anschlußaufträge gesichert. Aus heutiger Sicht ist davon auszugehen, daß sich diese Entwicklung fortsetzt und daher die für 1982 zusätzlich bereitgestellten 186 Millionen DM voll in Anspruch genommen werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Würtz.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß die augenblickliche Konjunkturlage dazu geführt hat, daß die Beträge voll ausgeschöpft werden, und werden Sie dafür Sorge tragen, daß diese Beträge zukünftig in anderer
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WürtzForm den deutschen Werften zur Verfügung stehen?Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege. Sie werden in der Form zur Verfügung gestellt, die ich hier dargelegt habe.
Herr Abgeordneter Grobecker zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie wegen der gesunkenen allgemeinen Zinsen die vorhandenen Mittel als Als-ob-Kredite an die Werften vergeben, wie das bisher Jahr für Jahr der Fall gewesen ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das insgesamt zur Verfügung stehende Zinsverbilligungsvolumen ist dadurch größer geworden, daß die Marktzinsen abgesunken sind. Dadurch stehen höhere Zinssubventionsbeträge für zusätzliche Aufträge zur Verfügung.
Das Volumen insgesamt verbreitert sich also?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das Volumen verbreitert sich durch die reale Senkung der Marktzinsen. Dadurch ist das für die Zinssubventionen vorgesehene Volumen größer geworden, weil nicht mehr die gleichen Beträge benötigt werden, um die früher notwendigen Subventionen zu gewähren.
Ich rufe Frage 88 des Abgeordneten Börnsen auf:
Kann die Bundesregierung den Arbeitsplatzabbau der letzten fünf Jahre in der Schiffbauindustrie beziffern, und hält sie einen weiteren Abbau für erforderlich?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nach Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der Beschäftigten in der Schiffbauindustrie im Zeitraum 1977 bis 1981 von 69 865 auf 56 923 zurückgegangen. Bemerkenswert erscheint, daß 1981 sogar eine Zunahme festzustellen ist, die sich 1982 fortgesetzt hat. Von Januar 1982 bis August 1982 lag die Zahl der Beschäftigten in der Schiffbauindustrie im Durchschnitt um rund 1 200 Arbeitskräfte über den entsprechenden Vorjahreszahlen. Die noch nicht voll zu übersehende Entwicklung in den letzten Monaten und die neuesten Prognosen für den Weltschiffbaumarkt in den 80er Jahren lassen es allerdings ungewiß erscheinen, ob sich die seit gut zwei Jahren zu beobachtende Stabilisierung der Beschäftigtenentwicklung der deutschen Schiffbauindustrie fortsetzt. Wenn sich die ungünstigen Prognosen bestätigen, ist ein erneuter Beschäftigtenabbau bei einzelnen Werften — insbesondere bei Großwerften — nicht auszuschließen. Das Ausmaß einer denkbaren Beschäftigtenverringerung wird in starkem Maße davon abhängen, inwieweit es den Werften gelingt, sich an veränderte Bedingungen auf dem Weltschiffbaumarkt anzupassen und ihre Aktivitäten auf schiffbauverwandte Fertigung wie den Bau von Off-shore-Geräten auszudehnen.
Herr Abgeordneter Börnsen zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß insbesondere in bezug auf Großwerften, bei denen Sie die Möglichkeit andeuteten, daß es bei schlechterer Auftragslage zu weiteren Entlassungen kommen muß, schon vor Jahren gesagt wurde, daß eine bestimmte Belegschaftsstärke das Minimum für die weitere Existenz der Werft sei, und daß dieses Minimum bereits bei einigen Werften unterschritten ist, so daß man — wenn man mit einem weiteren Personalabbau rechnen muß — davon ausgehen muß, daß damit die Werften, die davon betroffen sind, nicht mehr existenzfähig sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es ist mir bekannt, Herr Kollege, daß zur Aufrechterhaltung der Werften ein bestimmtes Minimum an Beschäftigung gesichert sein muß. Trotzdem möchte ich nicht die Schlußfolgerung bestätigen, die Sie daraus für einzelne Werften ziehen. Man kann das sicher nur in der konkreten Situation der einzelnen Werft beurteilen. Ich möchte keine allgemeine Aussage machen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Börnsen.
Wenn Sie mir grundsätzlich darin zustimmen, daß ein weiterer Personalabbau eventuell existenzgefährdende Auswirkungen hätte: Wären Sie unter diesen Bedingungen bereit, bei einer Verschlechterung der Auftragslage eine Ausweitung des Förderprogramms für den deutschen Schiffbau zu erwägen und zu realisieren?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, eine Verschlechterung der Ertragslage kann nicht durch Subventionen aus dem Bundeshaushalt aufgefangen werden. Die hier dargestellten Hilfen für die Werften haben im Blick auf ihre Beschäftigungsauswirkungen zur Voraussetzung, daß Aufträge für Schiffe erteilt werden. Das ist das Entscheidende.
Herr Abgeordneter Würtz zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie nach den Ihnen vorliegenden Unterlagen hier von einer katastrophalen Entwicklung für die Zukunft gesprochen haben, möchte ich Sie gern fragen: Ist damit zu rechnen, daß die Bundesregierung aufpassen und die regionalen Unausgewogenheiten beim Abbau von Personal zukünftig stärker beachten wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, darauf hat die Bundesregierung keinen Einfluß. Die Bundesregierung hat lediglich die Möglichkeit — wie das bisher geschehen ist —, durch Subventionen für die Werften den Versuch zu machen, die Anpassungsschwierigkeiten, die auf Grund fehlender Aufträge entstehen, abzumildern und bruchartige Entwicklungen zu vermeiden.
Herr Abgeordneter Grobecker zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär Grüner, darf ich Ihrer ersten Antwort, die Sie dem Kollegen
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Grobecker
Börnsen gegeben haben, entnehmen, daß Sie ausdrücklich bestätigen, daß der Abbau an Arbeitsplätzen im Schiffbau im Vergleich zu anderen Bereichen der Industrie in den letzten Jahren überproportional hoch ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das kann man meinen Zahlen nicht entnehmen. Ich habe die Zahlen über den Abbau genannt und darauf hingewiesen, daß im Jahre 1981 eine Zunahme — wenn auch eine kleine Zunahme — der Beschäftigten im Bereich des Schiffbaus stattgefunden hat, was ja in anderen Bereichen unserer Industrie — wie allgemein bekannt ist — nicht der Fall war.
Herr Abgeordneter Waltemathe zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Börnsen haben Sie darauf hingewiesen, daß bei schlechter Auftragslage bei Schiffen auf den Werften andere Produkte, z. B. solche der Off-shore-Technik, hergestellt werden sollten. Darauf bezieht sich meine Zusatzfrage. Sind Sie, wenn das so ist, der Auffassung, daß die Entwicklung der Off-shore-Technik ein rein marktwirtschaftlicher Vorgang ist, oder sind Sie der Auffassung, daß der Staat wegen seiner Mitverantwortung für die Arbeitsplätze die Werfthilfe auch im Hinblick auf die Entwicklung anderer Produkte aufstocken müßte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, ihr bisheriges Förderprogramm zu verändern.
Ich rufe die Frage 89 des Abgeordneten Grunenberg auf:
Wie erklärt sich die Bundesregierung die Tatsache, daß der Schiffbau trotz hoher öffentlicher Zuwendungen erneut in eine katastrophale Lage geraten ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung teilt nicht die Auffassung, daß sich der deutsche Schiffbau insgesamt in einer „katastrophalen" Lage befinde. Es trifft zwar zu, daß sich Auftragseingänge und Auftragsbestände im Weltschiffbau nach einer Belebung in den Jahren 1979 und 1980 seit 1981 rückläufig entwickelt haben — Grund sind vor allem die schlechte Wirtschaftslage und die Überkapazitäten der Reeder —; die Entwicklung im deutschen Schiffbau verlief aber demgegenüber günstiger. Eine Abschwächung bei den Auftragseingängen trat erst Mitte 1982 ein, wobei allerdings die Auftragsbestände zum 30. September 1982 noch höher als Ende 1981 lagen.
Wie sich das vierte Quartal 1982 entwickeln wird, bleibt abzuwarten. In füheren Jahren hat es zum Jahresende jeweils einen gewissen Auftragsschub gegeben, ohne daß ich daraus nun eine Voraussage für dieses Quartal machen möchte.
Die Situation im deutschen Schiffbau ist im übrigen differenziert zu sehen. Während die Entwicklung für kleine und mittlere Werften noch zufriedenstellend verlief, konnten die Großwerften mit einem Anteil von 50 bis 60 % an der Gesamtproduktion in letzter Zeit nur rund 25% der neuen Aufträge verbuchen. Grund dafür ist insbesondere die ungünstige Kostenstruktur der Großwerften, die ihre für den Großschiffbau konzipierten Anlagen bei der veränderten Nachfragestruktur nicht optimal auslasten können.
Herr Abgeordneter Grunenberg zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in Anbetracht dieser Zahlen, Tendenzen und Entwicklungen, die Sie genannt haben: Ist Ihnen bekannt, daß auf dem Weltschiffbaumarkt Überkapazitäten bei sehr knapper Nachfrage der Reeder vorhanden sind und daß bei uns moderne Werften, ähnlich wie Stahl-Betriebe, in absehbarer Zeit nicht mehr produzieren können, weil sie gegenüber anderen Werften, schon im europäischen Raum, die weit höher als unsere Werften subventioniert werden, nicht mehr konkurrenzfähig sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist mir bekannt. Deshalb haben wir auch sehr umfangreiche Werfthilfen in der Vergangenheit — mit Ihrer Hilfe — beschlossen. Und sie haben sicher einen Beitrag dazu geleistet, diese Schwierigkeiten zu vermindern, ohne daß wir allerdings — angesichts der Konkurrenzsituation auch auf dem Gebiet der Subventionen — eine Chance zu einem grundlegenden Wandel in diesem Bereich sehen, wobei wir wissen, daß die Hauptkonkurrenz nicht aus Ländern kommt, bei denen derartige Subventionen nachgewiesen sind und höher liegen als die, die bei uns gewährt werden.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Grunenberg.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß beim Schiffbau andere Unterlagen über Subventionspraktiken anderer Länder vorliegen, so z. B. beim Verband des Deutschen Schiffbaues, auch bei den deutschen Gewerkschaften, und daß, zweitens, die von uns so zäh verteidigten ordnungspolitischen Hemmnisse — ich nenne das jetzt schon „ordnungspolitische Hemmnisse" — unter Umständen im nächsten Jahre dazu führen werden, daß z. B. in meiner Heimatstadt Bremerhaven 20% und mehr Arbeitslose auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen werden, die keine andere Möglichkeit haben würden, als später einmal auszuwandern, möglicherweise dorthin, wo es besser subventionierte Werften gibt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Schwierigkeiten in der Beschäftigungslage des Schiffbaus und der übrigen deutschen Industrie sind mir und uns allen bekannt. Aber es ist auch bekannt, daß die Möglichkeiten des Staates sehr begrenzt sind und daß Subventionen angesichts der von Ihnen geschilderten Überkapazitäten nicht etwa die Garantie dafür geben, daß sich die Auftragslage verbessert.
Wir haben noch gut eine Minute für die Fragestunde zur Verfügung. Da ich
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Vizepräsident Windelenvorher einige geschäftsordnungsmäßige Mitteilungen gemacht habe, ist noch soviel Zeit, daß die jetzt vorliegenden Zusatzfragen noch beantwortet werden können.Herr Abgeordneter Würtz, zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, was muß nach Ihrer Meinung eigentlich geschehen, damit Sie die Lage im deutschen Schiffbau als katastrophal empfinden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, daß es uns nicht weiterhilft, wenn wir mit Globalaussagen arbeiten. Ich habe hier konkrete Zahlen zur Beschäftigungsentwicklung genannt. Welche Schlußfolgerungen daraus zur Bezeichnung der Lage gezogen werden, bleibt jedem einzelnen überlassen. Es ist jedenfalls offenkundig, daß wir in anderen Bereichen leider noch mit sehr viel negativeren Entwicklungen, die schon konkret eingetreten sind, zu kämpfen haben.
Herr Abgeordneter Grobecker zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie im wesentlichen bestätigt haben, daß des dem Schiffbau nicht gut geht, und nachdem Sie ausdrücklich gesagt haben, daß Sie nicht daran denken, Programme aufzustocken, darf ich Sie fragen: Wann nehmen Sie den entschiedenen Kampf gegen die Subventionen, insbesondere im europäischen Ausland, endlich auf, wann marschieren wir zusammen nach Brüssel?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wir sind unablässig damit beschäftigt, Herr Kollege. Das Beispiel der Stahlindustrie ist uns allen gegenwärtig.
Herr Abgeordneter Börnsen zu einer Zusatzfrage.
Bezogen auf Ihre letzte Bernerkung, Herr Staatssekretär, daß uns allen die Lage der Stahlindustrie gegenwärtig und bekannt ist, daß vor dem Europäischen Gerichtshof verschiedene Klagen erhoben worden sind, frage ich Sie: Wäre die Bundesregierung bereit, wegen der erheblich unterschiedlichen Subventionierung des Schiffbaus vor den Europäischen Gerichtshof zu gehen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Frage muß sehr sorgfältig geprüft werden. Ich weise noch einmal darauf hin, daß die Hauptkonkurrenz für die deutsche Schiffbauindustrie nicht aus den Ländern der Europäischen Gemeinschaft kommt und daß deshalb die Konzentration auf diese Fragen anders als im Stahlbereich nicht zutreffend ist. Abhilfe ist von daher angesichts der Mengen, die in Frage stehen, und angesichts der Konkurrenzsituation nicht zu erwarten, sondern es sind allenfalls Erleichterungen möglich.
Wir sind am Ende unserer heutigen Fragestunde.
Die Fragen 95, 96 des Abgeordneten Berschkeit, 99 des Abgeordneten Immer , 139, 140 des Abgeordneten Dr. Osswald, 141, 142 des Abgeordneten Schluckebier, 143, 144 des Abgeordneten Neumann (Bramsche), 145, 146 des Abgeordneten Meinike (Oberhausen), 147 und 148 der Abgeordneten Frau Luuk sind von den Fragestellern zurückgezogen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Beschäftigungshaushalt 1983-1985
— Drucksache 9/2123
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. Darf ich feststellen, daß das Haus damit einverstanden ist? — Ich stelle dies fest.
Ich erteile dem Abgeordneten Roth das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion legt heute einen Beschäftigungshaushalt 1983 bis 1985 vor, der versucht, eine Antwort auf die dramatische Verschlechterung des Arbeitsmarktes in der Bundesrepublik Deutschland zu geben. Ich sage hier bewußt „eine Antwort"; denn angesichts von zwei Millionen Menschen bei uns, 11 Millionen in der EG und tatsächlich über 32 Millionen in der OECD, die arbeitslos sind, gibt es nur Teilantworten und keine Patentrezepte, schon gar keine isolierten nationalen Patentrezepte.Aber anders als die frühere Opposition wird die neue Opposition Rezepte nennen.
Angesichts einer Massenarbeitslosigkeit werden wir — anders als es Sie von der CDU/CSU bisher getan haben — stets konkrete Alternativen in die Beratungen des Parlaments einbringen.
Wo wäre das besser möglich als beim Bundesetat 1983? Wir halten den Etat, den Sie vorgelegt haben, nicht für ausreichend beschäftigungsorientiert. Im Gegenteil. Mit den Kürzungen, die Sie gegenüber dem ursprünglichen Entwurf vorgenommen haben, werden der Volkswirtschaft zusätzlich 16 Milliarden DM an Kaufkraft entzogen. Das Ergebnis werden etwa zweihunterttausend mehr Arbeitslose sein.
Statt im Etat nach der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage gegenzusteuern, wird eine Parallelpolitik betrieben. Anders ausgedrückt: Die neue
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RothKoalition verletzt das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz.
Nun nützt es keinem hier in der Bundesrepublik, der zur Zeit arbeitslos ist, wenn wir Scheingefechte oder Gespensterschlachten im Parlament führen. Zu einer derartigen Gespensterschlacht rechne ich Ihre Erblastkampagne. Sie haben ein Erbe angetreten, in Teilgebieten der Wirtschaftspolitik sicherlich ein schwieriges Erbe. Wenn Sie schon einen Erblastträger suchen, dann könnte ich ihn personifizieren. Er sitzt hier auf der Regierungsbank. Sein Name ist Graf Lambsdorff.
Er war doch wohl verantwortlich für die Wirtschaftspolitik der letzten Jahre. An unserem Beschäftigungshaushalt läßt sich übrigens belegen, welche Wirkungen er gehabt hat. Diese Vorschläge gingen auf Anregungen der SPD-Bundestagsfraktion vom April 1981 zurück, die damals an zweckoptimistischen Fehlprognosen des damaligen und heutigen Wirtschaftsministers und an seinem blinden Glauben an Selbstheilungskräfte der Wirtschaft gescheitert sind. Wir als sozialdemokratische Bundestagsfraktion haben damals die Gefahren realistischer eingeschätzt und können insofern nahtlos auf frühere Vorarbeiten zurückgreifen.Was ist nun die Konzeption unserer Vorschläge? Wir glauben, daß nicht zuletzt wegen der Schrumpfung des Welthandels die wirtschaftseigenen Erholungskräfte nicht ausreichen werden, um ein weiteres Auswuchern der Arbeitslosigkeit zu verhindern. Von daher ist aktive Beschäftigungspolitik jetzt angebracht.
Wer dazu einen Beleg braucht, sollte die Prognose des Instituts der Nürnberger Anstalt nehmen. Sie sagt, daß selbst ein reales Wirtschaftswachstum von 6 % bis 1990 noch keine vollständige Beseitigung der Arbeitslosigkeit brächte. Wer diese Zahlen kennt, muß eingreifen: durch Stabilisierung der Gesamtnachfrage, durch mehr öffentliche Investition, durch Verbesserung der Investitionsbedingungen, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, durch Enlastung des extrem negativen Arbeitsmarktes, also durch Arbeitszeitverkürzung und durch Arbeitsmarktpolitik.Wir schlagen im einzelnen vor: Erstens ein Bündel gezielter Maßnahmen zur Verbesserung der Ausbildungslage von Jugendlichen, vor allem Verbesserung der Startchancen für benachteiligte Jugendliche. Außerdem ziehen wir die haushaltspolitischen Folgerungen aus unserem Vorruhestandsmodell in diesem Beschäftigungshaushalt 1983 bis 1985 und gehen insoweit auf Vorschläge aus dem gewerkschaftlichen und kirchlichen Raum ein. Insgesamt würden diese Vorschläge, falls Sie sie akzeptieren, einen zusätzlichen Arbeitsmarkteffekt von 185 000 Arbeitsplätzen haben.Zweitens. Wir greifen in unserem Aktionsprogramm Wohnungsbau auf Vorschläge vom April 1981 zurück. Damals hat ein wirklichkeitsfremderIllusionismus des Wirtschaftsministers sowohl den Bau zusätzlicher Sozialwohnungen als auch die Bausparzwischenfinanzierung verhindert. Wir gehen nun leider erst eineinhalb Jahre später diesen Weg. Hunderttausend arbeitslose Bauarbeiter wären weniger da, wenn wir das schon damals hätten realisieren können. Mit diesem Vorschlag werden, wie gesagt, hunderttausend Arbeitsplätze im Baubereich geschaffen.Drittens. Kernpunkt unseres Beschäftigungshaushalts 1983 bis 1985 ist ein Kreditprogramm zur Schaffung von Arbeitsplätzen zur Verbesserung der natürlichen und sozialen Umwelt des Menschen sowie zur Modernisierung unserer Volkswirtschaft. Wir nehmen hier die Idee auf, die wir schon auf unserem Münchener Parteitag sehr sorgfältig ausformuliert haben, die Idee nämlich, daß durch Umweltverbesserung heute Arbeitsplätze nicht vernichtet, sondern geschaffen werden können.
Die Verknüpfung von ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten zur Abschaffung von Arbeitslosigkeit ist der geistig-politische Kernpunkt unseres Beschäftigungshaushaltes 1983 bis 1985.Wir finanzieren das vor allem über zinsverbilligte Kredite, die durch das normale private Bankensystem abgewickelt werden sollen. Anders allerdings als beim Kreditprogramm, das 6,3 Milliarden DM umfaßte, handelt es sich hier nicht um starre, feste Zinssätze, sondern um Zinszuschüsse, die stetig mit dem Kapitalmarkt gehen. Übrigens hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Situation einen ähnlichen Vorschlag in seinem Sondergutachten vom Oktober gemacht. Der Sachverständigenrat tritt sogar für unverzinsliche, wenn auch zeitlich befristete Kredite für Investitionen ein. Auf diesem Grundgedanken bauen auch unsere Finanzierungsvorschläge auf. Wer sie kühl abblitzen läßt, muß wissen: Er wendet sich damit auch gegen eine Anregung des Sachverständigenrats in der Bundesrepublik Deutschland.
Im übrigen möchte ich diejenigen, die das in den letzten Tagen mit phantastischen Begriffen belegt haben — ich will sie gar nicht zitieren, weil sie so primitiv sind, daß es überflüssig ist —, und diejenigen, die sich so gern in die Erhard-Ara zurückträumen, einmal daran erinnern, daß die Finanzierungsvorschläge, die wir machen, durchaus an vergleichbare Finanzierungsprojekte aus der Aufbauphase der Bundesrepublik Deutschland angelehnt sind. Ich nenne nur die Offa-Finanzierung.
Wer also sagt, das sei eine sozialistische Phantasterei, wie ich es gelesen habe, würde einem der Urväter der Union im wirtschaftspolitischen Bereich nachträglich einen vergleichbaren Stempel aufdrücken.Der vierte Bereich ist der der Zukunftsinvestitionen. Wir schlagen im einzelnen ein neues Zukunftsinvestitionsprogramm vor: Verbesserung der Lebensbedingungen in Gemeinden, Investitionen im
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RothEnergiebereich, Aktion sauberes Gewässer, Kampf dem sauren Regen, Schutz gegen Verkehrslärm. Dieses Zukunftsinvestitionsprogramm hätte seinen Schwerpunkt auch in Norddeutschland. Ems, Weser, Werra und Elbe sind damals nicht in das Gewässerprogramm aufgenommen worden. Wir schlagen vor, das nun wirklich schleunigst nachzuholen.
Damit könnten wir jedes Jahr etwa 100 000 Arbeitsplätze schaffen.Fünftens. Über die bisherigen regionalen und sektoralen Hilfen hinaus sind zusätzliche Maßnahmen für Regionen mit besonders sich häufenden Struktur- und Anpassungsproblemen notwendig: Küsten-, Kohle-, Stahlstandorte. Zur schnelleren Umstrukturierung schaffen wir insbesondere auch zinslose Investitionskredite für den Stahlbereich. Im Kohlebereich schlagen wir vergleichbare anregende Maßnahmen vor.Sechstens. Zur Förderung privater Investitionen sollte in den nächsten drei Jahren ein Kreditvolumen von 10 Milliarden DM mobilisiert werden. Schwerpunktmäßig schlagen wir Investitionen im Bereich Energiesicherung, Umweltschutz und vor allem auch der Modernisierung der Volkswirtschaft vor. Das Programm sollte zwar allen Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft unabhängig von der Unternehmensgröße offenstehen, aber die Inanspruchnahme sollte gestaffelt werden. Anders ausgedrückt: Kleine Unternehmen sollten stärker gefördert werden.Die in Aussicht gestellte Zinssubvention wird grundsätzlich an den Nachweis von Beschäftigungseffekten gebunden, wobei wir wissen, daß das ein Kriterium ist, das in einem Wirtschaftssystem wie dem unsrigen nicht rigide realisiert werden kann. Zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen fordern wir zusätzlich die Bundesregierung auf, im Rahmen des ERP-Sondervermögens das Existenzgründungsprogramm in den nächsten beiden Jahren um jeweils 400 Millionen DM aufzustocken.Darüber hinaus treten wir für eine Erweiterung des Kapitalhilfeprogramms ein. Die Kredithöchstbeträge sollten von bisher in der Regel 120 000 DM auf 300 000 DM erhöht werden. Die Zinskonditionen müssen verbessert werden.Jetzt rufen Sie nicht dazwischen: Wie soll man das finanzieren?
Wir machen einen konkreten Finanzierungsvorschlag, der auch realistisch ist und keine zusätzliche Staatsverschuldung bewirkt. Gleichzeitig würden wir vorschlagen, daß alle Maßnahmen daraufhin überprüft werden, ob besondere Förderungseffekte für strukturschwache Regionen, insbesondere im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe, erzielt werden.Lassen Sie mich noch ein konkretes Wort zur Finanzierung sagen. Wir schlagen auf der Steuerseite drei Maßnahmen vor: Erstens Einführung der Ergänzungsabgabe in Form eines Zuschlags von 5% zur Einkommen- bzw. Lohnsteuer bei Einkommen ab 50 000 DM bei Ledigen und 100 000 DM bei Verheirateten — das soll allerdings abdingbar sein, wenn Investitionen im eigenen Unternehmen getätigt werden; Sie kennen unseren Vorschlag —; zweitens Wegfall der Kinderbetreuungskosten; drittens Beschränkung des Vorteils aus dem Ehegattensplitting auf 10 000 DM.Damit werden in drei Jahren 9 Milliarden DM mobilisiert, die zur Grundfinanzierung des Beschäftigungshaushalts 1983 bis 1985 völlig ausreichen. Das heißt, dieser Haushalt ist solide finanziert.
Er führt nicht zu mehr Staatsschulden, sondern zur Mobilisierung der in der Rezession freien Kapitalmarktmittel in unserer Wirtschaft.
Wir übernehmen einen Teil der Kreditkosten, so, wie es schon Anfang der 50er Jahre in einer vergleichbaren Situation notwendig war. Zurückgerechnet schaffen wir bei Verwirklichung dieses Beschäftigungshaushalts 350 000 bis 400 000 Arbeitsplätze. Der Staat regt dies an. Letztlich wird die private Aktivität der Unternehmen und der Selbständigen gefördert und hervorgerufen.
Es ist kein Bürokratenprogramm, sondern ein staatliches Förderungsprogramm zur Belebung kommunaler Investitionen auf der einen Seite und privater Investitionen auf der anderen Seite.
Wer hier ablehnt, übernimmt eine schwere Verantwortung.
— Wir können uns in einer Lage, da wir 2 MillionenArbeitslose haben, ironische Zwischenbemerkungen nicht mehr leisten; die sind hier fehl am Platz.
Wir können es uns nach meiner Überzeugung nicht mehr leisten, über das Ob eines zusätzlichen Beschäftigungshaushalts zu streiten. Das Wuchern der Arbeitslosigkeit, meine Damen und Herren, zwingt zum Handeln und zum Mehr-Tun.
Wenn Sie an dem einen oder anderen Punkt andere Ideen haben oder eigene Vorschläge machen — in Ordnung. Machen Sie konkrete Alternativvorschläge zu dem, was wir vorschlagen! Aber lassen Sie bitte doch alle — die FDP genauso wie die CSU und die CDU — keinen Etat passieren, der für das Jahr 1983 200 000 Arbeitslose mehr in der Bundesrepublik bewirkt.
Die Alternativen sind möglich. In Österreich werden seit einigen Jahren derartige Beschäftigungshaushalte jedes Jahr aufgestellt. Österreich ist ein
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8112 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982
Rothkleines Land, vom Weltmarkt noch abhängiger als wir. Das ergibt sich aus der Logik der Sache. Aber die Regierung Kreisky hat durch dieses Instrument des Beschäftigungshaushalts die Arbeitslosigkeit in Österreich im Vergleich zu uns auf der Hälfte gehalten. Ich wäre froh gewesen, wir hätten die Blokkaden des Wirtschaftsministeriums in den letzten Jahren überwinden und einen ähnlichen Weg wie in Österreich beschreiten können.Meine Aufforderung an Sie, vor allem auch an diejenigen in der Union, die sagen, sie vertreten Arbeitnehmerinteressen — ich kenne ja auch Kollegen aus dem gewerkschaftlichen Raum; hier sitzt beispielsweise Herr Müller, den ich aus der katholischen Arbeiterbewegung sehr gut kenne —: Versuchen Sie hier, die Kräfte im Parlament zu stärken, die über die Blockade der reinen Selbstheilungsideologen im Wirtschaftsministerium hinaus auf mehr Beschäftigungspolitik dringen wollen! Das heißt: Arbeitszeitverkürzung auf der einen und aktive Investitionsförderung auf der anderen Seite. Helfen Sie mit, versuchen Sie hier einen Durchbruch! Die Arbeitslosen, die dann Beschäftigung finden, werden es Ihnen danken. — Vielen Dank fürs Zuhören.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich kann meine Meinung zu den wirtschaftspolitischen Vorschlägen der Sozialdemokraten in einem einzigen Satz zusammenfassen: Das, was Sie uns da vorgelegt haben, Herr Roth, überzeugt ganz und gar nicht.
Sie haben es zu meinem Erstaunen — das konnte man Ihnen j a sonst nicht absprechen — auch mit wenig Schwung und Überzeugungskraft vorgetragen. Ob das daran liegt, daß Sie selbst nicht daran glauben, oder daran, daß das negative und kritische öffentliche Echo, das Sie gestern gelesen haben, Ihnen ein wenig von diesem Schwung genommen hat, lasse ich dahingestellt.
Jedenfalls geht dieses Beschäftigungsprogramm an den Problemen konsequent vorbei, die wir alle miteinander zu lösen haben.
Sie weigern sich nach wie vor, ein klares Bild der Fehlentwicklungen zu zeichnen und daraus die richtigen wirtschaftlichen Folgerungen zu ziehen.
Sie trauen sich auch nicht, dem Bürger reinen Wein einzuschenken. Sie beschränken sich auf kurzatmige Beschäftigungsprogramme, die den strukturellen Problemen unserer Wirtschaft nicht gerecht
werden. Sie beschränken sich auf beifallsträchtige Forderungen.
Von Analyse findet sich in Ihren Programmen keine Spur. Ihre Aussagen enden immer dort, wo man beginnen müßte, Unangenehmes zu sagen. Ein durchdachtes, ein konstistentes, in seinen Konsequenzen durchanalysiertes Wirtschaftsprogramm sucht man bei Ihnen vergeblich.
Weder das Münchener Parteitagsprogramm der SPD noch die Kieler Erklärung noch ihr jetzt vorgelegtes Beschäftigungsprogramm erfüllen diesen Anspruch.
Meine Damen und Herren, es gibt, wie die Presse nach unserer letzten Debatte schrieb — ich stimme dem zu —, bei Ihnen in der Opposition viele, die wirtschaftliche Zusammenhänge verstehen, die wissen, daß man mit kurzatmigen, staatlichen Nachfrageprogrammen, wie Sie jetzt wieder eines vorgelegt haben, die tiefgreifenden strukturellen Probleme unserer Wirtschaft nicht lösen kann. Aber von denen hören wir leider nichts.
In Ihrem Programm fordern Sie immer wieder mehr Staat, mehr Intervention, mehr Steuern, mehr Schulden, mehr Bürokratie.
— Ja, das weiß ich natürlich, das würde Ihnen passen. Aber erst einmal haben Sie ja durch Ihre Haltung dafür gesorgt, daß Sie, gerade auf dem wirtschaftspolitischen Gebiet, nicht weniger Lambsdorff, sondern weniger Helmut Schmidt bekommen haben.
Sie wissen, meine Damen und Herren, daß der Staat schon heute fast 50 % des Sozialprodukts in Ansprucht nimmt. Mit der Ausdehnung der Staatsquote ging eine Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften einher. Ein dichtes Netz von bürokratischen Regelungen überzieht unsere Wirtschaft. Aber offenbar berührt dies alles Sie überhaupt nicht. Wollen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, eine andere Ordnung, etwa die des Herrn Benz der IG Metall, der sich für Enteignung, für volkswirtschaftliche Strukturregelung, für Investitionslenkung ausgesprochen hat?
Dann, meine Damen und Herren, sagen Sie der Bevölkerung dies offen und ehrlich. Sie hat Anspruch
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
darauf, zu erfahren, wohin die Reise mit Ihnen gehen soll.
Herr Bundeswirtschaftsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal?
Vielen Dank, nein.
Die Politik, die Sie vorschlagen, führt zu Kollektivismus, sie führt zu mehr Dirigismus, zur Übertragung von noch mehr Verantwortung auf den Staat. Deshalb führt diese Politik letztlich zu mehr Arbeitslosigkeit und nicht zu weniger Arbeitslosigkeit.
Es ist überhaupt keine Frage, Herr Roth, daß niemand hier einen Streit darüber anfangen will, ob Arbeitslosigkeit bekämpft werden muß; die Antwort darauf lautet j a. Aber sehr wohl wird der Streit darüber geführt, wie Arbeitslosigkeit zu bekämpfen ist, und das gehört auch in dieses Haus.
Wir brauchen, meine Damen und Herren, einen völlig anderen Ansatz, nämlich die Rückbesinnung auf mehr marktwirtschatliche Prinzipien,
die Sie in der SPD immer wieder verdrängen.
Gerade jetzt, wo unsere Wirtschaft einen tiefgreifenden strukturellen Wandel durchmacht, sind wir auf marktwirtschaftliche Dynamik und Flexibilität angewiesen, um wieder zur wirtschaftlichen Belebung und zu geringeren Arbeitslosenzahlen zu kommen. Nur so werden wir es schaffen; aber dann werden wir es auch schaffen. Die Soziale Marktwirtschaft, die in den 50er und 60er Jahren — Herr Roth hat ja an diese Zeit erinnert — in einer beispiellosen Entwicklung Hunderttausende von neuen Arbeitsplätzen geschaffen hat, wird auch diese neue Bewährungsprobe bestehen.Wir haben keine Systemkrise der demokratischen Marktwirtschaften, wie das kürzlich hier im Bundestag Herr von Dohnanyi behauptete. Unsere Krise ist eine Krise des Interventionsstaates und des Umverteilungsstaates, der die dynamischen Kräfte unserer Wirtschaft lähmt. So wird ein Schuh daraus und nicht andersherum.
Meine Damen und Herren, ich komme zu dieser Debatte aus Genf von der Ministertagung des GATT. Auch in der GATT-Ministerrunde geht es um die Freiheit der Märkte, um die Erhaltung marktwirtschaftlicher Prinzipien im Weltmaßstab. Wir alle wissen, daß der Protektionismus zunimmt und daß mit dieser Entwicklung eine verheerende Saat gesät wird, die, wenn sie aufgeht, die Welt in die Depression stößt.
Anschauliche Beispiele für die Schäden des Protektionismus haben wir in der Vergangenheit und in der Gegenwart zur Genüge. Im GATT schätzt man heute, daß bereits 40 bis 48 % des Welthandels offenen oder versteckten Eingriffen unterliegen. Wir müssen diesem protektionistischen Unwesen mit aller Kraft entgegenwirken. Dafür setze ich mich mit anderen in Genf ein.
— Wenn Sie den Zwischenruf machen, Herr Kollege Jens, ob man das gemeinsam mit Frankreich tun sollte, so wäre es sehr wünschenswert,
wenn Sie auf Ihre sozialistischen Gesinnungsfreunde in Frankreich entsprechend einwirken würden.
Ich bin in diesem Einsatz durch das Gespräch sehr bestärkt worden, das der Bundeskanzler vor wenigen Tagen mit dem Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes hatte und in dem sich die Gewerkschaften klar gegen Protektionismus ausgesprochen haben. Es ist aber wenig hilfreich, wenn zur gleichen Zeit die Opposition mit Forderungen antritt, die zu Hause noch mehr Intervention und noch mehr Staatseinfluß bedeuten.
Wer mit diesen Ihren Vorstellungen in Genf anträte, der hätte wenig Chancen, erfolgreich für einen freien und wachsenden Welthandel zu streiten.
Wenn die SPD beschäftigungspolitische Maßnahmen vorschlägt, bedeutet dies nicht nur mehr Staat und mehr Intervention, sondern es bedeutet meistens auch mehr Steuern und mehr Schulden.
Das jetzt vorgelegte Programm verzichtet zwar auf höhere Schulden — das ist löblich —, dafür aber wird der Steuerzahler kräftig zur Kasse gebeten.
Und das nennt der Kollege Roth von dieser Stelle hier solide finanziert. Auf den Ausdruck „stocksolide" finanziert hat er verzichtet.
Ergänzungsabgabe, Wegfall der Kinderbetreuungskosten, Beschränkung des Ehegattensplitting, das sind Ihre Rezepte; aber sie taugen nichts, Herr Roth, sie sind verfassungsrechtlich fragwürdig, sie erhöhen die Belastung der Bürger auf eine allmählich unerträgliche Weise
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8114 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff— Herr Kollege Ehmke, Sie werden ja auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Ehegattensplitting gelesen haben —,
und sie bestärken die Befürchtung, daß der Opposition immer nur der Griff in die Tasche der Bürger einfällt.
Wir aber sagen: Nehmt dem Bürger nur das ab, was der Staat wirklich dringend braucht. Der Bürger weiß besser, sparsamer und wirtschaftlicher mit seinem Geld umzugehen als der Staat.
Sie alle, meine Damen und Herren, kennen die Zahl des Ifo-Instituts, die besagt, daß von jeder zusätzlich verdienten Mark heute im Durchschnitt 60 Pfennig einbehalten und abgezogen werden.
Wer hier die Schrauben noch enger zieht, beseitigt keine Arbeitslosigkeit. Er schafft vielmehr neue Arbeitslosigkeit, weil er den Leistungswillen abwürgt, die Fiskalverdrossenheit steigert und die Schattenwirtschaft fördert.
Meine Damen und Herren, nach Lesart des Beschäftigungsprogramms der SPD sollen die Maßnahmen allein durch Steuererhöhungen finanziert werden. Ich will zu Ihrer Ehre annehmen, Herr Roth, daß Sie selbst nicht glauben, daß das gelingt. Was mich aber besonders besorgt, ist die Tatsache, daß weder in der Kieler Erklärung noch in dem hier diskutierten Beschäftigungsprogramm die Notwendigkeit der Konsolidierung, die Krise der Staatsfinanzen überhaupt mit einem einzigen Wort angesprochen werden.
Wenn Sie hier ausrechnen, die Vorschläge der Bundesregierung entzögen 16 Milliarden DM an Kaufkraft, dann ist das sicherlich eine schwer nachprüfbare Berechnung. Gehen wir aber einmal davon aus, daß es so wäre. Wenn ich Ihre Ausgangsposition zugrunde lege, daß 16 Milliarden DM an Kaufkraft nicht entzogen werden sollten — diese Gegenrechnung werden Sie sicher erlauben —, so heißt das doch, daß das Defizit des Bundes nach Ihren Vorstellungen nicht bei 41,5, sondern bei 57,5 Milliarden DM enden sollte und müßte.
Tatsache ist aber doch, daß mit immer weiter steigender Neuverschuldung das Vertrauen in die Solidität der Staatsfinanzen erschüttert wurde. Erst1981 — und zwar auf mein Drängen, auf unser Drängen hin — begann die Umkehr.
Ein solides beschäftigungspolitisches Programm kommt an der Verschuldungsproblematik nicht vorbei. Sie versuchen, daran vorbeizukommen. Sie wissen, daß Sie andernfalls Unangenehmes sagen müßten. Das aber paßt nicht ins Konzept.Meine Damen und Herren, die SPD verlangt in ihrer Kieler Erklärung, daß Opfer sozial gerecht verteilt werden müssen. Sie wehrt sich gegen die — ich zitiere das wörtlich — „einseitige Belastung von Arbeitnehmern, Mietern, Rentnern, Kriegsopfern, Jugendlichen, Familien mit Kindern, Sozialhilfeempfängern
und die ungerechte Bevorzugung von Besserverdienenden".
Meine Damen und Herren, das ist wohlklingend,
aber unscharf. Versuche ich, das auf einen Nenner zu bringen, dann bedeuten diese Forderungen, daß Abstriche am derzeitigen Sozialleistungsniveau im Prinzip nicht gemacht werden dürfen.
Sie wissen aber so gut wie wir, daß die Sozialausgaben eine ungeheure Dynamik entwickelt haben, daß sie in den letzten zwölf Jahren um 40 % mehr als das Sozialprodukt gestiegen sind.
Wenn dieser Entwicklung nicht Einhalt geboten wird, wird das Sozialsystem die Finanzkraft der Haushalte vollends sprengen, wird unsere Wirtschaft in ihrer Leistungskraft vollends überfordert.
Meine Damen und Herren, soziale Demontage betreibt der, der uns hindern will, das System der sozialen Sicherheit wieder finanzierbar zu machen.
Mit Ihrer Politik der praktischen Unantastbarkeit des Sozialsystems
beschwören Sie letztlich nicht nur die Krise unserer Finanzwirtschaft, sondern auch die Krise unserer Gesellschaft. Aber genau das darf unsere Politik nicht zulassen.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982 8115
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffIn der FAZ war kürzlich ein Aufsatz mit dem Titel „Nach oben wird nicht umverteilt" zu lesen.
Dort wird — der Wirtschaftsminister hat auf dieses Problem j a mehrfach hingewiesen — vorgeführt, wie es denn mit der Umverteilung aussieht. Aus einem Bruttolohn von 25 000 DM können unter Berücksichtigung von Transferzahlungen — ich nenne z. B. Wohngeld, Sparprämie, BAföG — 35 000 DM netto unter dem Strich werden.
Bei einem Bruttolohn von 50 000 DM dagegen reduziert sich das Nettoeinkommen auf etwa 40 000 DM. Bei verdoppeltem Einkommen brutto sind die Nettoeinkommen fast gleich. Ist dies in Ihren Augen denn wirklich ungerechtfertigte Bevorzugung der Besserverdienenden?
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal? — Bitte schön.
Graf Lambsdorff, würden Sie genau diesen FAZ-Artikel und die Beispiele auch einmal unter dem umgekehrten Gesichtspunkt betrachten, der ja doch wohl heißen muß: Der mit dem kleinen Einkommen braucht die Transferleistung für seine Kinder, damit sie weiterführende Schulen besuchen können;
weil der andere mehr hat — durch seine Leistung; einverstanden —, braucht er diese Transferleistung nicht. Das ist doch der Sinn solcher sozialer Umverteilung, die wir gemacht haben und zu der wir stehen, Graf Lambsdorff.
Herr Kollege Westphal, selbstverständlich ist diese Betrachtung, die Sie anstellen, zulässig. Sie ist in bestimmtem Umfang auch richtig. Sie ist in bestimmtem Umfang auch gewollt herbeigeführt worden. Aber haben wir denn nicht in diesem Hause, jahrelang in der vorigen Regierung, immer wieder darüber diskutiert und gestritten, ob das Einziehen von Einkommensgrenzen nicht genau diese Wirkung, und zwar bei den Empfängern mittlerer Einkommen hat, daß man mit Transfereinkommen langsam besser als mit Leistungseinkommen leben kann? Soll das wirklich so bleiben?
In der Diskussion über die gerechte Verteilung der Lasten muß es auch einmal erlaubt sein, denBlick denen zuzuwenden, die die Leistungen erbringen.
Nach meiner Ansicht ist es ungerechter, einem Facharbeiter oder einem selbständigen Handwerker, der schon jetzt 60 % und mehr seines zusätzlichen Einkommens abgeben muß, eine noch höhere Last aufzubürden, als dem Studenten, der später als Arzt, Anwalt oder Ingenieur ohnehin ein höheres Einkommen erzielen wird, die Umwandlung der BAföG-Mittel in Darlehen zuzumuten.
Wenn Witzbolde im Land meinen, bei uns werde demnächst der Anschluß vom Studenten-BAföG nahtlos an die vorgezogene Altersgrenze hergestellt werden,
dann ist das natürlich eine Karikatur.
Aber Karikaturen haben meist irgendwo einen kleinen wahren Kern.
Und der heißt hier: Wir dürfen es nicht zulassen, daß man in der Bundesrepublik Deutschland von Transfereinkommen besser als von Leistungseinkommen lebt.
Auch wenn es der Opposition mißfällt: Wir brauchen mehr Leistung, mehr Eigenvorsorge, mehr Selbstverantwortung.
Es muß sich mehr lohnen, etwas zu leisten; und wer etwas leistet, soll sich auch etwas leisten können.
Meine Damen und Herren, Sie wissen wie ich, daß unsere Unternehmen seit Jahren an finanzieller Auszehrung leiden. Der Rückgang der Ertragslage war beänstigend. Die Eigenkapitaldecke wurde immer dünner. Die Anfälligkeit für Risiken stieg. Die Konkurshäufigkeit macht es deutlich. Wie sollen die Unternehmen investieren und neue Arbeitsplätze schaffen, wenn sie keine Rendite mehr erwirtschaften,
wenn die Eigenkapitaldecke zu kurz geworden ist?
In Ihrer Kieler Erklärung findet sich zu den Themen Unternehmen, Rendite, Vertragskraft überhaupt kein Wort. Und in Ihrem Beschäftigungshaushalt rangiert die Förderung privater Unternehmen unter „Ferner liefen". Auch zur Lohnpolitik sa-
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8116 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffgen Sie nichts, weder in Ihrer Kieler Erklärung noch in Ihrem Beschäftigungsprogramm.
Dabei wissen Sie doch, daß die autonomen Tarifpartner mit ihrer Lohnpolitik eine hohe, ja entscheidende beschäftigungspolitische Verantwortung haben. Die Tarifpartner bestimmen maßgeblich das Verhältnis der Kosten von Arbeit und Kapital und die Verteilung des erarbeiteten Produkts. Sie haben deshalb den entscheidenden Schlüssel für eine Verbesserung der Ertragslage der Unternehmen für mehr Investitionen, für mehr Beschäftigung.Produkte, die zu teuer sind, finden auf dem Markt keine Abnehmer. Ladenhüter zu produzieren, sollten wir auch künftig den sozialistischen Planwirtschaften überlassen. Der Markt verlangt ständige Anpassung. Die Tarifpartner müssen diesen Gegebenheiten mit einer flexiblen Lohnpolitik folgen. Andernfalls sind Arbeitsplätze gefährdet.Ich sage nicht, daß die Löhne sinken müssen. Sie können weiter steigen, wenn im Unternehmen verdient wird.
Nur sollte sich die Steigerung in Grenzen halten, die eine Ertragsverbesserung im Unternehmen auf Dauer ermöglichen. Darauf kommt es jetzt an.Dem, was Sie zur Arbeitszeitverkürzung gesagt haben, Herr Roth, brauche ich nicht mehr als das hinzuzufügen, was ich hier in der Haushaltsdebatte gesagt habe. Das kann ein flankierendes Mittel sein, wenn es vernünftig eingesetzt wird. Eingesetzt werden kann es durch die Tarifpartner. Aber Sie haben in Kiel wieder angefangen, gerade den Zusammenhang in Frage zu stellen, ob man sich denn unter den gegebenen Umständen Arbeitszeitverkürzung bei vollem oder teilweisem Lohnausgleich leisten kann. Auch dies ist eine populistische Forderung, bei der Sie genau wissen, daß sie angesichts der Ertrags- und Kostenlage so nicht durchgesetzt werden kann.
Wir sind uns hier alle einig, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die wichtigste wirtschaftspolitische Aufgabe der nächsten Jahre ist
und daß dem Problem der Jugendarbeitslosigkeit besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muß. Über den Weg dahin sind unsere Vorstellungen allerdings grundverschieden.
Ich halte einige der Maßnahmen, die Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, in Ihrer Kieler Erklärung und in dem nachgereichten Beschäftigungsprogramm vorschlagen, durchaus für diskussionswürdig. Ich habe überhaupt nichts gegen öffentliche Investitionen, wenn sie an der richtigen Stelle ansetzen, d. h. wenn sie die private Wirtschaftskraft fördern und begleiten.Aber das ändert nichts daran, daß Ihr Ansatz insgesamt falsch, unvollständig und zu kurzatmig ist. Sie wollen mehr Staat, mehr Steuern, wir wollen das Gegenteil, und genau dieses Gegenteil ist nötig. Eine Auseinandersetzung mit den wirklichen Problemen, mit der Investitionsschwäche der Unternehmen, mit der Verzerrung der Lohnstruktur, mit der Vertrauenskrise in unserer Wirtschaft, mit der überzogenen Staatsquote, der viel zu hohen Abgabenquote oder der vertrauensschädigenden Staatsverschuldung mit der Explosion der Sozialausgaben — alles das unterbleibt in Ihren Darlegungen. Kein Wort dazu.
Sie wollen, meine Damen und Herren, und das ist richtig, mehr Nachfrage. Aber mit Ihrem Programm werden Sie weder mehr Nachfrage schaffen, noch die strukturelle Anpassung bewältigen können.
Glauben Sie ernsthaft daran, daß die Unternehmen wegen eines kurzfristigen Acht-Milliarden-Programms, das die Rahmenbedingungen insgesamt noch verschlechtert, neue Dynamik entfalten, neue Arbeitsplätze schaffen? Glauben Sie wirklich, die Verbraucher schöpfen wieder Hoffnung und kaufen mehr, wenn die Steuern erhöht werden und der Staat immer mehr Ressourcen für sich beansprucht?
Ich halte das alles für Illusionen. Eher befürchte ich, daß alles noch schlimmer würde. Denn Ihre Vorschläge verschärfen die Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre.
Eine solide, auf mehr Beschäftigung ausgerichtete Wirtschaftspolitik muß anders aussehen, als Sie sie vorschlagen. Sie muß vor allem mittelfristig angelegt, vertrauenswürdig, in sich widerspruchsfrei und verläßlich sein.
Wir brauchen wieder eine Konstanz der mittelfristigen Rahmenbedingungen, an die sich anzupassen die Wirtschaft Zeit hat, und wir brauchen wieder eine marktwirtschaftliche Zukunftsperspektive.Zu einer soliden Beschäftigungspolitik gehört deshalb eine Politik, die auf Flexibilität und Dynamik der privaten Wirtschaft setzt. Dazu gehört eine Finanzpolitik, die vor allem die Rahmenbedingungen für privates Wirtschaften langfristig und stetig wieder verbessert. Das heißt, die Konsolidierung muß mit Augenmaß, aber kontinuierlich fortgeführt werden. Was heute aus konjunkturellen Gründen nicht möglich ist, muß schon für morgen verläßlich festgelegt werden.Eine Politik der Verbesserung der Rahmenbedingungen heißt gleichzeitig, die Struktur der öffentlichen Haushalte zugunsten von Investitionen und
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982 8117
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffLeistungen zu verbessern. Dazu gehört eine Sozialpolitik, die Transfereinkommen nicht vor Leistungseinkommen stellt, die den veränderten Wachstumsbedingungen angepaßt ist und die Eigenverantwortung und Selbstbestimmung fördert. Dazu gehört eine Geldpolitik, die Stabilität und Wachstum gleichermaßen sichert. Dazu gehört eine Politik der Sozialpartner, die für Ertragsverbesserungen Raum läßt, für das Bestehen der Unternehmen im Markt, damit Arbeitsplätze erhalten und geschaffen werden können, und die die strukturellen Unterschiede der Leistungskraft der Beschäftigten und der Betriebe berücksichtigt.
Es ist gegenwärtig fast zur Mode geworden, in wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Pessimismus zu verfallen. Aber mit Recht hat der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten — es wird ihn übrigens freuen, Herr Roth, daß Sie, nachdem Sie nun in der Opposition gelandet sind, ihn endlich auch einmal positiv zitieren — in dieser Woche darauf hingewiesen,
daß die Erscheinungen der Krise, die ja weltweit unleugbar ist, allzusehr die Chancen auf längere Sicht verdunkeln. Und ebenso stimme ich seiner Beurteilung zu, daß wir es nicht mit einer allgemeinen Nachfragekrise zu tun haben, sondern daß es intern um strukturelle Anpassungsprobleme geht.
Aber ich weiß ebenso, daß wir unsere Schwierigkeiten nicht lösen können, wenn Pessimismus, oft noch aus allzu durchsichtigen politischen Gründen geschürt, um sich greift,
wenn vorsichtige Beurteilung kurzfristiger Wachstumschancen umschlägt in Hoffnungslosigkeit. Was wir brauchen, ist realistische Zuversicht, die sich nicht auf Gesundbeterei stützt, sondern von realen Daten ausgehen kann.Wir können durchaus positive Anzeichen feststellen, die eine tragfähige Grundlage für eine wirtschaftliche Belebung sind und die bei uns sehr viel besser aussehen als in vielen anderen Ländern. Unsere Leistungsbilanz noch vor Jahresfrist in einem dicken Minus, wird in diesem Jahr etwa ausgeglichen abschließen. Unsere Abhängigkeit vom ausländischen Zinsniveau ist dadurch vermindert worden. Unsere Zinsen sind deutlich zurückgegangen, und wir können hier für die Zukunft weiter vorsichtig optimistisch sein.Allerdings — dies möchte ich an dieser Stelle einmal sagen — muß das Kreditgewerbe die Erleichterungen, die von der Diskontpolitik der Bundesbank kommen, auch weitergeben.
Unser Verbrauchsabstieg schwächt sich ab. Der Lohnkostenauftrieb ermäßigt sich für Investitionen.Wir führen die strukturellen Defizite in den öffentlichen Haushalten vorsichtig zurück, und wir schaffen auf diese Weise neues Vertrauen in die Wirtschaft. Die zusätzlichen Mittel, insbesondere für den Wohnungsbau, die im Haushalt 1983 bereitstehen, werden auch auf der Nachfrageseite direkte zusätzliche Impulse auslösen.
Ich bestreite nicht, daß die von uns allen gewünschten Erfolge nicht von heute auf morgen erzielt werden können. Aber aktivistische Hektik führt uns nicht weiter. Was wir brauchen, ist finanzpolitische Solidität. Diese werden wir gewährleisten. Deshalb, meine Damen und Herren, können wir mit ruhigen Erwartungen und gelassener Zuversicht in die Zukunft sehen.
Die Bundesregierung kann die Probleme am Arbeitsmarkt nicht selber lösen, aber sie kann die Grundlagen dafür verbessern, auch durch ihre Bemühungen um eine international abgestimmte Wirtschaftspolitik, um aus dem nun schon so lange anhaltenden Tief herauszukommen. Mit unserem Etatentwurf und mit den dazugehörigen Begleitgesetzen haben wir dafür eine erste entscheidende Voraussetzung geschaffen.Ich bin sicher, meine Damen und Herren, wenn wir auf diesem Wege weitergehen, werden unsere gegenwärtigen Probleme in einigen Jahren nicht mehr als eine böse Erinnerung sein. Daran sollten und wollen wir gemeinsam arbeiten. — Ich bedanke mich für Ihr Zuhören.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sprung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von der Opposition vorgelegte Beschäftigungshaushalt ist keine Alternative zu den auf Konsolidierung der Staatsfinanzen und Wiederbelebung der Wirtschaft angelegten Maßnahmen der Bundesregierung. Im Gegenteil! In den Ausführungen von Herrn Roth soeben ist deutlich geworden, worum es Ihnen von der Opposition geht. Ihnen geht es weniger um eine sachliche Diskussion, wie man die Arbeitslosen wieder in Lohn und Brot bringen kann, Ihnen geht es vielmehr um gängige Wahlkampfparolen.
Ihr Programm ist in konsequenter Fortführung der Beschlüsse des Münchener SPD-Parteitages ein Rückgriff in die Vergangenheit, in die Mottenkiste sozialistischer Wirtschaftssteuerung.
Sie wollen Beschäftigung schaffen mit einer Fortsetzung genau jener Politik, meine Damen und Her-
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8118 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982
Dr. Sprungren, die uns unter Ihrer Verantwortung zwei Millionen Arbeitslose beschert. hat.
Ihr Programm, Herr Roth, enthält nichts Neues. Sie knüpfen nahtlos — Sie haben das ja auch gesagt, Sie haben diesen Ausdruck gebraucht — da an, wo Sie mit Ihrer verfehlten Politik aufgehört haben.
Sie wollen dem vergangenen Dutzend Konjunkturankurbelungsprogrammen nunmehr ein weiteres Programm mit einem Volumen von 40 Milliarden DM folgen lassen. Meine Damen und Herren, dabei sprechen die Ergebnisse dieser Konjunkturprogramme für sich: Sie haben die Staatsfinanzen zerrüttet und die Arbeitslosigkeit zumindest nicht verhindert. In Zeiten besserer Konjunktur haben Sie das finanzielle Pulver verschossen, das wir jetzt zu einer auf Wachstum angelegten Finanz- und Steuerpolitik dringend benötigen.Ihr Programm drückt in allen Einzelheiten Ihre irrige Überzeugung aus, daß die Nachfrage der Schlüssel allen Wirtschaftens sei. Weil die Unternehmen nicht investieren, so sagen Sie, müsse dies eben der Staat tun, müsse der Staat zusätzliche Nachfrage entfalten. Dann, so glauben Sie, würden Investitionen im Privatbereich schon folgen — so Herr Ehrenberg in der Haushaltsdebatte vor zwei Wochen.Meine Damen und Herren, um das klarzumachen: Wir sagen nicht, daß es nicht auch auf die Nachfrage ankommt,
aber wir sind im Gegensatz zu Ihnen der Meinung, daß zuerst die Unternehmen wieder in die Lage versetzt werden müssen, überhaupt zu investieren.
Meine Damen und Herren, dazu habe ich jetzt ein Zitat. Ich bitte Sie, sehr genau zuzuhören, wenn ich es Ihnen jetzt vortrage:Ohne eine deutliche Verbesserung der Ertragslage wird es keine höheren Investitionen geben und ohne höhere Investitionen keinen Konjunkturaufschwung und keine Verringerung der Arbeitslosenzahl. Wem das Schicksal der Arbeitslosen— Herr Roth —wirklich am Herzen liegt, wer mehr Beschäftigung will und eine Erhaltung der Realeinkommen — nicht zu reden von einer Verbesserung —, der muß auch für bessere Unternehmenserträge und eine bessere Eigenkapitalausstattung eintreten.Meine Damen und Herren, genau dies ist auch unsere Überzeugung.
— Dies Zitat stammt übrigens von einem ehemaligen Staatssekretär Ihrer Regierung, dem heutigenBundesbankpräsidenten Pöhl, und es ist aus der vorletzten Woche, Herr Westphal.
Warum — das müssen Sie sich doch auch fragen— haben wir in diesem Jahr mit 15 000 Konkursen voraussichtlich fast zehnmal soviel Konkurse wie in früheren Jahren? Doch nicht nur wegen Managementfehler, die gewiß auch gemacht worden sind. Kein Mensch wird dies bestreiten. Wir haben die Konkurse vor allem deshalb, weil eine falsch angelegte Finanz- und Steuerpolitik zur finanziellen Auszehrung, zur gefährlichen Schwächung der Unternehmen geführt hat.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bei der Beurteilung Ihres Programms einen kurzen Blick auf die Finanzierungsseite werfen.
— Auch nicht neu, kann ich da nur sagen.Meine Damen und Herren, daß Sie auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Besteuerung unvollständiger Familien vom 3. November dieses Jahres noch einen erheblichen Teil der rund 9 Milliarden Ihres Programms durch die Streichung der Kinderbetreuungskosten und die Beschränkung des Ehegattensplittings aufbringen wollen, darf doch nicht wahr sein.
Die Bundesregierung, meine Damen und Herren von der Opposition, wird aus dem Urteil entsprechende Konsequenzen ziehen. Sie tun dies nicht. Im Lichte des Urteils wäre jedenfalls die Streichung der Kinderbetreuungskosten sowie die Beschränkung des Ehegattensplittings eindeutig verfassungswidrig. Dies ist unsere Meinung.Außerdem entspricht Ihr Hauptvorwurf an unsere Adresse — Herr Roth hat es vorhin in seinen Ausführungen wieder vorgetragen — in der von uns für falsch gehaltenen reinen Nachfrageausrichtung Ihrer Denkweise. Herr Roth sagt, unsere Maßnahmen führten zu einem Nachfrageausfall bis zu 16 Milliarden DM. Im Glauben an die Berechenbarkeit der Wirtschaft fügt er hinzu, dies koste mehr als 150 000 Arbeitsplätze. Meine Damen und Herren von der Opposition, würde man Ihrem Nachfrageargument folgen, müßte dies tunlichst auch für Ihre Finanzierungsvorschläge gelten. Sie bewirken mit der Ergänzungsabgabe, Wegfall der Kinderbetreuungskosten und Beschränkung des Ehegattensplittings einen Nachfrageentzug, Herr Roth, in Höhe von mehr als 9 Milliarden DM.
Wenn ich Herr Roth wäre, könnte ich Ihnen jetzt auch ausrechnen, wieviele Arbeitsplätze dieses Ihr Programm kosten würde.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982 8119
Dr. SprungHerr Roth, nun komme ich zum Hauptpunkt Ihres Programms, der dreiprozentigen staatlichen Zinsverbilligung zur Finanzierung eines Kreditvolumens von, wie Sie sagen, 40 Milliarden DM. Daß Sie damit in großem Stil einen gespaltenen Kapitalmarkt schaffen wollen, brauche ich Ihnen wohl gar nicht erst vorzuwerfen; denn mit der Ordnungspolitik hatten Sie es nie.
Schlimmer ist, was Sie zur Verwendung der Mittel sagen — ich zitiere aus Ihrem Antrag —:Die in Aussicht gestellte Zinssubvention wird grundsätzlich an den Nachweis des Kreditnehmers geknüpft, daß er seine Personalbestände während der Laufzeit des Programms nicht abbaut, sondern aufbaut. Vorhaben, die lediglich der Personaleinsparung und der Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen dienen, sind grundsätzlich von der Finanzierung aus Mitteln dieses Programmes ausgeschlossen.Aus dem Programm zu begünstigende Kreditnehmer müssen den diese Mittel ausreichenden Banken ein betriebsindividuelles Beschäftigungsprogramm vorlegen.Damit meine Damen und Herren von der Opposition, haben Sie klar gesagt, was Sie eigentlich wollen. In tiefem Mißtrauen gegen jedwede private Wirtschaftstätigkeit und im Glauben an die höhere Qualität staatlicher Investitionsentscheidungen fordern Sie Investitionsmeldepflicht und Investitionskontrolle;
Denn was anderes sonst soll diese Passage bedeuten?
Fehlt nur noch, wer diese Kontrolle durchführen soll, Herr Roth. Dies steht nicht im Programm. Dies steht allerdings in Ihren Münchener Beschlüssen.
Meine Damen und Herren, festzuhalten ist, daß Sie mit Ihrem Vorschlag die Bedeutung der Zinsen als weiterer Schlüsselgröße für die konjunkturelle Entwicklung unterstreichen. Da die Zinsentwicklung zwar nach unten gerichtet ist, die Zinsen aber unter konjunkturellen Gesichtspunkten immer noch zu hoch sind, wollen Sie sie gegen den Markt herunterholen. Dies ist Ihr Ziel. Und dies ist Dirigismus, Herr Roth, ein Dirigismus, wie wir ihn eigentlich auch bei Ihnen überwunden glaubten.
Zinssubventionen, wie Sie sie vorschlagen, führen zu Verzerrungen und Verfälschungen des Wettbewerbs.
Sie führen zu Fehlleitungen von Ressourcen und zu einem gespaltenen Kapitalmarkt. Sie betreiben mit diesen Zinssubventionen außerdem Investitionslenkung, Herr Roth. Sie zwingen damit Mittel in Verwendungen, in die sie sonst nicht gebracht werden würden.
Wäre es nicht so, so brauchten Sie die Zinssubvention doch gar nicht erst. Dafür setzen Sie sie doch ein.
Und noch eine entscheidende Frage stellt sich. Wer wird angesichts der Bedingungen für die Gewährung der Zinssubvention überhaupt bereit sein, solche zinsverbilligten Kredite aufzunehmen?Herr Roth, das, was Sie vorschlagen, ist nicht unsere Politik. Wir wollen keine Zinssubvention, um zu niedrigeren Zinsen zu kommen. Wir werden die Staatsverschuldung herunterdrücken. Dies ist der einzig gangbare Weg zu niedrigeren Zinsen.
Deshalb zielt ein Teil unserer Maßnahmen darauf ab, eine überzeugende Haushaltskonsolidierung in Gang zu setzen, d. h. eine Begrenzung, dann den Abbau der Neuverschuldung.
Nur so kann das stabilitätspolitische Vertrauen der Wirtschaft — und der Herr Wirtschaftsminister hat dies soeben angesprochen — wiederhergestellt und die Kreditpolitik der Bundesbank unterstützt werden.Mit diesem konsequenten Einstieg in die Gesundung der Finanzen kann der Zinssenkungsprozeß in der Bundesrepublik seinen Fortgang nehmen.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?
Nein, keine Zwischenfragen.
Das hat er übrigens schon. Die jüngste Leitzinssenkung der Bundesbank ist sicherlich kein Geschenk an die neue Bundesregierung. Daß die Leitzinsen um einen ganzen Punkt gesenkt wurden, hat nicht nur etwas mit der Zinssenkung in den USA zu
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Dr. Sprungtun, sondern auch damit, daß die Bundesbank davon überzeugt ist, daß die neue Regierung den richtigen Weg eingeschlagen hat und die richtigen Ziele ansteuert.
— Herr Roth, lesen Sie den Bundesbankbericht Oktober der Bundesbank, und Sie werden darin genau diese Feststellung finden.Allein Investitionen schaffen wirtschaftliches Wachstum, sichern vorhandene und bringen neue Arbeitsplätze. Wer aus einer Krise heraus will, wer am Ende mehr rentable Arbeitsplätze und höhere Reallöhne haben will, muß vorher den Mut haben, die Voraussetzungen für höhere Gewinne und damit höhere Investitionen zu schaffen. Dazu bekennen wir uns. Hier setzen die Maßnahmen der Bundesregierung an. Ziel dieser Maßnahmen ist es, die Ertragslage der Unternehmen so zu verbessern, daß zusätzliche Investitionen überhaupt erst wieder möglich werden. Das gilt für die vorgesehene verbesserte Beratung mittelständischer Unternehmen, dies gilt für die verstärkte Förderung von Existenzgründungen, dies gilt vor allem für den Abbau des ertragsunabhängigen Teils der Gewerbesteuer. Dies gilt aber ebenso und in besonderem Maße für die wohnungsbaupolitischen Maßnahmen angesichts der Bedeutung, die eine Belebung der Bauwirtschaft für den Konjunkturablauf hat, und im Hinblick darauf, daß eine wieder florierende Bauwirtschaft in viele andere Wirtschaftsbereiche ausstrahlt.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat das Problem der Arbeitslosigkeit mit dem Haushalt 1983, mit seiner Finanzierung und mit den Begleitgesetzen angepackt.
Sie hat dabei die volle Unterstützung der CDU/ CSU-Fraktion.
Zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit tragen bei: erstens der Abbau des Haushaltsdefizits von 55 Milliarden auf 41,5 Milliarden DM als Einstieg in die Gesundung der Staatsfinanzen, zweitens die kräftige Unterstützung des Wohnungsbaus,
drittens die Verbesserung der Ertragslage der Unternehmen als Voraussetzung für zusätzliche Investitionen und viertens die Unterstützung des in Gang gekommenen Zinssenkungsprozesses durch das Maßnahmenpaket insgesamt.Demgegenüber ist Ihr Programm keine Alternative. Die Einzelmaßnahmen sind ein wahlkampfgeschneiderter Warenhauskatalog von rot bis grün oder umgekehrt.
Sie sind in sich nicht stimmig, ordnungspolitisch nicht tragbar. Ein wichtiger Teil ihrer Finanzierung ist darüber hinaus schlicht verfassungswidrig.Meine Damen und Herren, will man Ihren Antrag für ein Beschäftigungsprogramm auf einen kurzen Nenner bringen, so würde er lauten: mehr Staat, mehr Steuern,
mehr Lenkung, mehr Bürokratie. Herr Ehmke, das ist nicht der Weg, auf dem es gelingt, aus der Krise herauszukommen, in der sich Wirtschaft und Arbeitsmarkt befinden. — Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kübler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß sich sowohl Herr Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff als auch Sie, Herr Sprung, einfach nicht die Mühe gemacht haben, sich ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen, das wir in diesem Paket formuliert haben.
Herr Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff mußte leider gehen.
Eine solche Rede aber kann man nicht unwidersprochen im Raum stehen lassen.Ich war — ich gebe das ganz offen zu — relativ gespannt auf das, was Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff sagen wollte. Ich bin aber in hohem Maße tief enttäuscht worden. Was wir gehört haben, waren nichts anderes als undifferenzierte Rundschläge, Gesundbeterei, kombiniert mit Allgemeinplätzen. Jeder weiß, daß Graf Lambsdorff dies vielleicht auch nicht anders sagen kann, wenn ich dies mit Verlaub sagen kann; denn er ist sowohl Erbe wie Erblasser einer Wirtschaftspolitik, die er heute hier in dieser Form glaubte beschreiben zu sollen. Ich bin davon überzeugt, daß sich die CDU sicherlich keinen Rat geben lassen will; aber ich möchte ihr doch den Rat geben, es vielleicht nicht zu lange mit der Wirtschaftspolitik dieses Wirtschaftsministers zu machen.
Der bisherige Verlauf dieser Debatte hat gezeigt, daß es beiden Koalitionsfraktionen der jetzigen Regierung mehr um das Festhalten einmal bezogener Grundpositionen geht als wirklich um den Versuch, praktische und unmittelbare Maßnahmen zur Bekämpfung der unhaltbar gewordenen Arbeitslosigkeitssituation zu unternehmen. Woher nimmt die jetzige Bundesregierung eigentlich den Mut, das Thema Arbeitslosigkeit — jedenfalls, was praktische und unmittelbare Maßnahmen angeht — in
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Dr. Küblereiner Weise zu vernachlässigen, daß diese Arbeitslosigkeit in der Tat in den politischen Abgrund, in den Staatsnotstand führen kann?
Sie werden möglicherweise diese Frage als zu hart formuliert empfinden, sind Sie doch subjektiv davon überzeugt und auch bemüht, aus Ihrer konservativen Sicht heraus Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.Die neue Regierung gebraucht sehr häufig das Wort von der Führung. Wer führen will, muß Maßnahmen ergreifen, um den arbeitsmarktpolitischen Notstand abzubauen. Ich gebrauche das Wort vom arbeitsmarktpolitischen Notstand ganz bewußt.
Die jetzigen und die noch zu erwartenden Arbeitslosenzahlen bei Jugendlichen und Erwachsenen und die schwierige Ausbildungsplatzsituation rechtfertigen die Bezeichnung der Situation mit diesem Wort.Statt zu handeln, läßt die jetzige Bundesregierung das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes außer acht und steuert nicht, wie es nach dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz ihre Regierungspflicht wäre, aktiv sowohl mit Steuer- als auch mit beschäftigungspolitischen Maßnahmen gegen die verschlechterten wirtschaftlichen Aussichten.Im Gegenteil: Der jetzigen Regierung ist der Vorwurf nicht zu ersparen, daß sie das Thema Arbeitslosigkeit durch Zuwarten auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft bekämpfen zu wollen scheint. Wo bleibt da — das muß sich auch der Bürger draußen fragen — die Führung? Würde es nicht vertrauensbildend sein und in die Öffentlichkeit wirken, wenn der Bundeskanzler in dieser seiner kurzen Regierungszeit mehr im Lande bliebe, um sich um die Probleme vor Ort zu kümmern?
Diese Verweigerungshaltung der neuen Bundesregierung in bezug auf Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hat sie schon in der Opposition geübt und auch praktiziert. Denn Tatsache ist — und dies muß der historischen Wahrheit zuliebe gesagt werden —, daß CDU und CSU mit ihrem durchgängigen Nein im Bundesrat in den vergangenen zwei Jahren zu allen Vorschlägen der sozialliberalen Koalition eine wirksame Bekämpfung der Arbeitslosigkeit blokkiert haben.
Dieser politische Vorwurf ist der CDU/CSU nicht zuersparen. Sie hat durch ihre Blockadepolitik derletzten zwei Jahre die jetzige Höhe der Arbeitslosigkeit wesentlich verursacht.
Wer Sonthofen richtig versteht, weiß, daß Franz Josef Strauß die Politik verfolgt hat, über die wirtschaftliche Krise an die Macht zu kommen. Ich kann Sie jedenfalls nicht trösten, wenn ich sage, daß die wirtschaftliche Krise auch zur Krise konservativer Politik wird.
Tatsache ist auch, daß Maßnahmen der sozialliberalen Koalition, die bis zum Regierungswechsel am 1. Oktober 1982 von CDU und CSU als angeblich sozialistisch, leistungshemmend und arbeitsplatzzerstörend verteufelt worden sind, heute plötzlich richtig und notwendig sind, nur weil sie jetzt von Ihnen, den Kollegen aus der CDU/CSU, kommen. Dasselbe gilt natürlich noch mehr — das weiß jeder von uns — für die FDP. Allerdings müssen die CDU/CSU und FDP jetzt doppelt und dreifach draufsatteln, also zu stark gegensteuern, weil sie den Zeitpunkt verpaßt haben, rechtzeitig ihren Anteil an den Weichenstellungen mitzutragen.Tatsache ist auch, daß die CDU/CSU im Bundesrat seit 1981 — auch das sagen wir Sozialdemokraten — alle notwendigen Korrekturen im Sozialbereich total blockiert hat, sich dagegen bei den Gewerkschaften mit einer Verbalkampagne anbiedern wollte und der SPD soziale Ungerechtigkeit vorgeworfen hat. Die CDU/CSU hat in der Tat das rechtzeitige Einleiten von Korrekturen verhindert. Sie haben die Wende verpaßt. Dieser Vorwurf ist allerdings auch der FDP nicht zu ersparen.
Tatsache ist auch, daß die CDU/CSU durch ihre totale Neinsage- und Blockadepolitik und ihre ständige öffentliche Miesmacherei eine schlechte Stimmung im Lande herbeigeredet, herbeigeführt hat,
die niemandem hilft
und uns im In- und Ausland nur schadet. Sie haben der Bundesrepublik — ich muß das sagen — dadurch Schaden zugefügt.
Und wie der Zauberlehrling
wird die Bundesregierung jetzt die Geister, die sieals Opposition rief, nicht mehr los. Wo soll dennauch plötzlich das Vertrauen herkommen, an des-
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Dr. Küblersen Demontage Sie doch selbst so effektvoll gearbeitet haben?
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion macht mit diesem Beschäftigungsprogramm — übrigens von uns seit langem gefordert, nur bisher wegen des Widerstandes der FDP in der sozialliberalen Bundesregierung verzögert — deutlich, wie sie ihre Rolle als Opposition versteht.
Damit praktiziert die SPD-Bundestagsfraktion von Anfang an, daß Verweigerungshaltung bei diesen Problemen in dieser Zeit für sie falsch und schädlich ist. Sie macht auch als Opposition — wie seinerzeit als Regierung an die damalige Opposition — jetzt an die Bundesregierung das Angebot der Zusammenarbeit auf dem Sektor der Arbeitslosigkeit.Die jetzige Bundesregierung sollte sich in der Tat ernsthafter überlegen, ob die heutigen und zu erwartenden Arbeitslosenzahlen und die Zahlen der fehlenden Ausbildungsplätze nicht nach nationaler Verständigung verlangen, zu parlamentarisch nationaler Zusammenarbeit und nicht zu parteilicher und oberflächlicher Kontroverse zwingen.
Insofern hat mich die heutige Debatte tief enttäuscht.
Wir stehen in der Bundesrepublik vor dem Arbeitslosennotstand. Die jetzige Bundesregierung muß diesen Zustand als eine Gefahr für unseren Staat begreifen und daraus folgend den Versuch gemeinsamer Politik machen.Die drei konservativen Parteien, die die Bundesregierung tragen, sollten sich wenigstens insofern ein Beispiel an den Vereinigten Staaten nehmen, als dort am 18. August dieses Jahres die Demokraten einem Steuerprogramm von Präsident Reagan zustimmten, das seine republikanischen Parteifreunde nur teilweise mitgetragen haben, und das nur wenige Monate vor den Kongreßwahlen in den Vereinigten Staaten am Anfang dieses Monats. In der Tat eine wichtige nationale Leistung der beiden großen amerikanischen Parteien.Die deutsche Fähigkeit oder, richtiger gesagt, die deutsche Unfähigkeit, statt gemeinsam praktisch zu handeln, lieber ideologische Auseinandersetzungen zu führen, schadet Bürger und Staat. Deshalb ist auch alles — zugegeben: parteitaktisch nicht ungeschicktes — Gerede von Franz Josef Strauß von der möglichen Notwendigkeit einer großen Koalition, um einen Staatsnotstand wegen des möglichen Einzugs der Grünen in den Bundestag zu vermeiden, irreführend und unangebracht. Den Staatsnotstand bekommen wir nicht durch die Grünen; wenn wir ihn bekommen, dann dadurch, daß sich die großenParteien nicht zu gemeinsamen Notstandsprogrammen — das ist bei der Arbeitslosenzahl der richtige Begriff — verständigen können.
Wir brauchen keine große Koalition. Was wir brauchen, ist ein gemeinsames Handeln in dieser Schicksalsfrage unserer sozialen Demokratie, die nur dann bestehenbleiben wird, wenn jeder Arbeit hat.Der Bürger hat es satt, mit Rezepten überfüttert zu werden.
— Hören Sie erst zu! — Wir wollen weder eine konservative Wirtschaftsideologie noch eine Zwangsoder totale Planwirtschaft. Auch die wirtschaftliche Wahrheit liegt in der Mitte. Eine Wirtschaftspolitik, die ein ausgewogenens Verhältnis von angebots-und nachfrageorientierten Elementen enthält, ist das, was wir Sozialdemokraten wollen.
Zuletzt wegen des Widerstands der FDP in der sozialliberalen Koalition und der Blockade der CDU/ CSU im Bundesrat wurde diese Politik immer schwerer gemacht. Diese eigene Blockade- und Miesmacherpolitik mit ihren verhängnisvollen finanziellen und psychologischen Folgen ist die Erbschaft, die sich die CDU/CSU selber geschaffen hat.
Insofern ist auch die CDU/CSU und nicht nur die FDP gleichzeitig Erbe und Erblasser. Die Rede des Bundeswirtschaftsministers hat dies heute bestätigt.Lassen Sie mich hier sagen — und dies bewußt auch für die Öffentlichkeit —: Tatsache ist, daß die SPD nicht nur die erste Wirtschaftskrise von 1966 mit gemeistert hat, nicht nur die eigene gute Erbschaft von 1969 — weil sie dies seit 1966 mit gemeistert hat — bis zum Jahre 1974 vorzüglich gemehrt hat, sondern auch die durch die Ölkrise von 1973 und 1974 ausgelöste zweite Wirtschaftskrise hervorragend bewältigt hat.
Es bestanden gute Aussichten, die dritte Wirtschaftskrise jetzt zu Beginn der 80er Jahre zu lösen, wenn die SPD in der Regierung geblieben wäre.
In der ganzen Welt zeigt sich, daß sozialdemokratisch geführte Länder mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit offensichtlich mehr Erfolg haben als konservativ geführte Länder.
Wie wenig die jetzige Regierung dazu in der Lageist, zeigen die Argumente, die hier von Vertretern
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Dr. Küblerder Fraktion der CDU/CSU und vom Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff vorgetragen wurden. Ich will nicht im einzelnen darauf eingehen.Ich will zur angeblich höheren Staatsverschuldung nur zwei Punkte sagen. Der eine Punkt ist: Sicherlich wird die neue Koalition in Kürze einen neuen Hirtenbrief der katholischen Kirche zu erwarten haben, was die neue Höhe der Staatsverschuldung angeht. Zweitens wird — dies steht fest, und das hat Wolfgang Roth hier sehr, sehr deutlich gesagt — durch dieses Programm kein einziger Pfennig an zusätzlicher öffentlicher Staatsverschuldung notwendig sein, kein einziger zusätzlicher Pfennig.
— Ich habe den Eindruck, daß Sie etwas neidisch sind auf die relativ geniale Art der Finanzierung dieses ausgeprägten Investitionsprogramms.
Lassen Sie mich zusammenfassend folgendes sagen. Die SPD hat als einzige Partei im Deutschen Bundestag ein Beschäftigungsprogramm als notwendige Ergänzung zu steuerpolitischen Maßnahmen vorgelegt. Es ist in seiner Finanzierung solide
und — ich wiederhole es — zu einem großen Teil originell. Es fördert in einem in der Tat bisher nicht bekannten Ausmaß private und öffentliche Investitionen. Sein steuerpolitischer Finanzierungsteil und seine beschäftigungspolitischen Ziele werden nicht nur von den Gewerkschaften unterstützt; der Beschäftigungshaushalt entspricht in weiten Teilen auch den Einschätzungen und Vorschlägen — ich sage dies ohne Scheu — des Sondergutachtens der Sachverständigen.Mich überkommt ein großes politisches Unbehagen,
weil ich weiß, in welche politische Situation unsere zunehmende Arbeitslosigkeit führt, wenn es die jetzige Bundesregierung weiterhin ablehnt, unmittelbare beschäftigungspolitische Initiativen zu ergreifen.
Auch diese Bundesregierung wird es sonst schmerzlich lernen müssen, zu verstehen, daß steuer- und unmittelbare beschäftigungspolitische Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zusammen ergriffen werden müssen.Ich rufe die Bundesregierung auf: Nehmen Sie das Angebot zur Zusammenarbeit an, um den Arbeitslosennotstand mit Erfolg zu bekämpfen! — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelsberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorstellungen, die der Kollege Kübler soeben hier vor dem Deutschen Bundestag vorgetragen hat, sind für Ihre Fraktion und Ihre Partei beschämend.
Er hat nämlich nach der billigen Methode „Haltet den Dieb!" von der eigenen Verantwortung einer 13 Jahre von der SPD geführten Bundesregierung ablenken wollen und statt dessen auf die Verantwortung der Union im Bundesrat hingewiesen.
Er hat den mißglückten Versuch unternommen, die Schuld für diese 2 Millionen Arbeitslosen, die wir heute in der Bundesrepublik Deutschland haben,
der ehemaligen Opposition und nicht den Bundeskanzlern zuzuweisen, die die Regierungspolitik der letzten 13 Jahre bestimmt haben.
Herr Kollege Kübler hat hier vor wenigen Minuten gesagt, die Blockade der Union im Bundesrat
habe die Arbeitslosigkeit des Jahres 1982 verursacht. Meine Damen und Herren, wenn Sie derartige Äußerungen in der Öffentlichkeit tun, dann werden Sie nicht nur hier im Bundestag, sondern auch in der breiten deutschen Öffentlichkeit nur Gelächter ernten.
Ich möchte Sie, meine Herren, die Sie hier auf der linken Seite so erregt Zwischenrufe machen, daran erinnern: Was hat denn Ihr Fraktionsvorsitzender in den 70er Jahren zu uns als damaliger Opposition hier gesagt? Er hat uns, der Union, zugerufen: „Wir brauchen Sie nicht!
Wir machen unsere Politik allein!" Das sind nun dieErfolge Ihrer Politik, die Sie allein gemacht haben.
Ich möchte Sie, Herr Kollege Kübler, weiter fragen: Warum hat denn Ihr ehemaliger Bundeskanzler Helmut Schmidt das Handtuch geworfen? Warum hat er sich zu einer neuen Kandidatur nicht mehr bereit erklärt? Weil er genau wußte, daß er mit dieser Fraktion, der SPD im Deutschen Bundestag, seine Politik nicht würde durchsetzen können und also auch keinen neuen Start finden würde.'
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8124 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?
Ich habe eine nur kurz bemessene Redezeit.
Es liegt in Ihrem Ermessen.
Deshalb, Herr Roth, kann ich darauf leider nicht eingehen.
Der Kollege Kübler hat sich dann zu einer neuen Wortschöpfung hinreißen lassen. Er hat gesagt, meine Damen und Herren, das Beschäftigungsprogramm der SPD-Bundestagsfraktion sei — ich habe es hier wörtlich notiert — ein relativ geniales Finanzierungsprogramm. Da kann man nur fragen, was Sie unter relativer Genialität verstehen. Ich glaube, das sind Ihre Einfälle, die ihren Niederschlag in diesem Beschäftigungsprogramm gefunden haben.
Mit Ihrem Beschäftigungsprogramm, meine Herren, unternehmen Sie den untauglichen Versuch einer Ankurbelung der Konjunktur über staatliche Finanzspritzen. Genau das, meine Damen und Herren, haben Sie mit 14 Konjunkturprogrammen, die über 35 Milliarden DM gekostet haben, nicht erreicht. Sie haben also aus der Vergangenheit letzten Endes nichts gelernt. Man muß auch, wenn man Sie, Herr Roth, und Herrn Kübler hier heute hat sprechen hören, mehr die Vermutung haben, daß Sie hier nur eine Einleitung und Einstimmung für den Wahlkampf herbeiführen, nicht aber ein ernst zu nehmendes Konjunkturprogramm vorlegen wollten. Sie können sicher sein, daß Sie mit solch untauglichen Vorschlägen im Deutschen Bundestag nicht durchkommen werden.
Die Finanzspritzen, meine Herren, die Sie hier vorschlagen, können deshalb keinen Erfolg haben, weil sie an die Wurzeln des Übels der Arbeitslosigkeit nicht herangehen. Diese Übel sind die zu hohe Kostenbelastung der Betriebe und die unzureichende Kapitalausstattung unserer Wirtschaft.
Man hat in der Vergangenheit den Ertrag als Profit, als kapitalistischen Profit verteufelt und die mangelnde Eigenkapitalbildung durch zu hohe Abgabenlasten erzwungen. Das SPD-Programm zielt auf Zinszuschüsse ab, mit denen hauptsächlich öffentliche und in geringerem Umfang private Investitionen verbilligt werden sollen, die aber durch Belastung der Privatwirtschaft finanziert werden müßten. Solche Zinssubventionen werden den Wettbewerb der Investoren am Kapitalmarkt verfälschen,der Fehlleitung von Kapital Vorschub leisten und die dringend erforderliche allgemeine Senkung des Kapitalzinses zusätzlich behindern.Die Fehler der Vergangenheit, wo die öffentlichen Haushalte mit ihren überzogenen Kreditansprüchen den Kapitalmarkt übermäßig belastet haben, kommen hier wiederum zum Vorschein. Es ist kaum einzusehen, daß Unternehmer investieren, nur weil sie einen Zinsbonus von 2 oder 3 % erhalten, aber mit weitreichenden Beschränkungen der betriebswirtschaftlichen Handlungsfreiheit und mit Kontrollen rechnen müssen, wie sie der SPD vorschweben.Das Investitionsklima kann nur verbessert werden, wenn ein Abbau der Abgabenlast für die Wirtschaft und die Schaffung neuen Vertrauens in die Wirtschafts- und Finanzpolitik des Bundes durch Konsolidierung der Staatsfinanzen ermöglicht wird.
Die SPD hat die Feststellungen des Sachverständigenrats bei ihrem Beschäftigungsprogramm offenbar völlig ignoriert. Der Sachverständigenrat hat nämlich betont, daß herkömmliche Beschäftigungsprogramme und der Glaube an die Fähigkeit des Staates, die richtige Politik zu finden und den Aufschwung zu bewirken, nichts bringen.
— Sehr richtig.Der Antrag der SPD-Fraktion ist eine Vielzahl von Programmen, die unter dem Namen Beschäftigungshaushalt gebündelt wurden und als Ergänzung zu den Etatentwürfen der Bundesregierung vorgelegt werden. Die Behauptung, daß alles sorgfältig durchgerechnet sei und als Erfolg einer Umsetzung der Maßnahmen 400 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen würden, ist von einer unglaublichen Leichtfertigkeit gekennzeichnet. Woher will die SPD wissen und wie will sie errechnet haben, daß ihrem Strohfeuerprogramm 400 000 neue Arbeitsplätze erwachsen würden? Was sollen Formulierungen wie die, daß die geplanten Subventionen an gesellschaftlich notwendige Bedürfnisse oder qualitative Wachstumsprozesse gebunden werden sollen? Das ist doch nichts anderes als die Fortsetzung des Münchener Parteitages der SPD, der auf eine veränderte Wirtschaftsordnung und mehr staatliche Lenkung abzielt. Staatliche Gängelung und Bürokratie wären Auswirkungen dieses Programms.Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. Die „Süddeutsche Zeitung" hat am 25. 11. 1982 zu Ihrem Beschäftigungsprogramm unter anderem treffend festgestellt — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:Die Sozialdemokraten wollen nicht einsehen, daß sie mit Abgabenerhöhung mehr Investitionsdynamik zerschlagen, als sie mit den daraus gewährten Zuschüssen hochpäppeln können. Und immer noch ungebrochen ist das Vertrauen in die Lokomotivkraft des Staates für
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982 8125
Engelsbergerden Start in eine neue sich tragende Wachstumsphase.Diese Uneinsichtigkeit, meine Herren von der Opposition, und die daraus resultierenden falschen Schlüsse sind der eigentliche Grund für das Scheitern Ihrer Politik. — Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haussmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ganz zum Schluß möchte ich in drei Punkten zusammenfassen, was ich von dieser Debatte halte.
Erstens. Das Thema Arbeitslosigkeit hätte mehr Beteiligung, mehr Ernst und mehr neue Vorschläge verdient.
Herr Roth hat zu Recht gesagt, man knüpfe nahtlos an frühere Konzepte an, das heißt an mehr Belastung. Man knüpft nicht an das an, was der Sachverständigenrat sagt, daß wir nämlich nicht eine konjunkturelle Nachfragekrise haben, sondern daß wir in einer tiefen strukturellen Anpassungskrise stehen, meine Damen und Herren. Da nützt es nichts, wenn wir kurzfristig mit einigen Steuermilliarden versuchen, manche Branchen notdürftig über die Runde zu bringen. Der Staat muß jetzt die Hände aus dem Spiel lassen. Er hat sein Pulver verschossen. Bei einer Neuverschuldung mit über 40 Milliarden kann man nicht davon reden, Herr Kübler, daß wir uns kaputtsparen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, meine Damen und Herren.
Meine Damen und Herren, wir haben vom Staat her viel getan, ja, wir haben in mancher Richtung zuviel getan und an den falschen Plätzen Geld ausgegeben. Nun kommt es auf die autonomen Tarifpartner an, daß wir ruhige, langfristig abgesicherte Rahmenbedingungen gewähren und daß Gewerkschaften und Unternehmer ihre Verantwortung für die Beschäftigungspolitik übernehmen.
Daher ist es für meine Fraktion wichtig, daß drei Dinge beachtet werden.
Der Kampf gegen Arbeitslosigkeit erfordert eine sehr, sehr schmerzliche Unterordnung vieler anderer Politikbereiche. Ein Denken in Besitzstandskategorien macht unter diesen Umständen keinen Sinn mehr. Wir müssen von der Staatsgläubigkeit Abschied nehmen. Der Staat kann nicht mehr Lokomotive für eine neue Wachstumsphase spielen, sondern umgekehrt mehr Vertrauen und das Freisetzen privater Investitionen ist bitter notwendig.
Zweitens. Wir brauchen aber auch eine Verbesserung der psychologischen Lage bei Investoren und Konsumenten. Dazu ist es notwendig, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie langsam Ihr Gerede vom Staatsbankrott und von den Erblasten zu Ende bringen. Sie selbst — die CDU/ CSU — haben durch Ihre Zustimmung in den Ausschüssen und über den Bundesrat in vielen Fällen eine gewaltige Mitverantwortung für diese hohe Staatsverschuldung mitgetragen.
Sie haben bei vielen sozialpolitischen Maßnahmen eher noch eins draufgesattelt, als Anträge gestellt, man solle seitens des Staates weniger Geld ausgeben. Dies gehört zur Verantwortlichkeit der letzten Jahre, wenn man hier über Arbeitslosigkeit spricht.
Meine dritte Bemerkung richtet sich an die Adresse der Unternehmer. Wenn man sich verbittet, daß der Staat politisch zu stark eingreift, macht es keinen Sinn, wenn man nun von Wahltermin zu Wahltermin wartet und notwendiges unternehmerisches Tun unterläßt. In dieser Lage stehen auch die Unternehmer in der Verantwortung, unabhängig von politischen Wahlterminen das zu tun, was zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit notwendig ist.
Viertens und letztens: Die Sozialpartner müssen in dieser Lage endlich mehr beschäftigungspolitische Verantwortung übernehmen. Die von der evangelischen Kirche vorgeschlagene zwischen Regionen und Branchen differenzierende Tarifpolitik muß dringend eingeleitet werden. Die Schaffung von mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätzen für junge Menschen muß Vorrang vor Lohnerhöhungen bekommen. Die FDP wird in der nächsten Woche ihren Beitrag dazu leisten und ein konkretes Programm für mehr Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand vorlegen.
Ein letztes Wort. Es ist schon erstaunlich, daß am Vortag der Schlußverhandlungen in Genf kein Redner in dieser Debatte auf das zentrale Problem unserer Außenhandelsverflechtung eingegangen ist. Wenn die Dinge in Genf so weiterlaufen, wie es sich abzeichnet, wird sich durch Protektionismus im Ausland mehr Arbeitslosigkeit in Deutschland ergeben. Deshalb ist es wichtig, daß alle Fraktionen im Deutschen Bundestag dem Wirtschaftsminister bei seinen Verhandlungen mit dem Ziel der Abwehr von mehr Protektionismus Glück wünschen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 9/2123 zur federführenden Beratung an den Haushaltsausschuß und zur Mitberatung an den Finanzausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Ausschuß für Verkehr, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
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8126 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982
Vizepräsident WurbsIch rufe Zusatzpunkt 1 zur Tagesordnung auf:a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes
— Drucksache 9/2064 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
InnenausschußRechtsausschußVerteidigungsausschußHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOb) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes
— Drucksache 9/2124 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
InnenausschußRechtsausschußVerteidigungsausschußHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GONach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 1 a) und 1 b) und eine Aussprache von 90 Minuten vorgesehen. Ist das Haus mit dieser Regelung einverstanden? — Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die allgemeine Aussprache und erteile dem Abgeordneten Jaunich das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Hoffnungen eines nicht unbeträchtlichen Teils der jungen Generation ruhen auf dem Deutschen Bundestag, wenn wir in einem vierten Anlauf darangehen, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu reformieren. Daß alles, was wir in der Vergangenheit hierzu unternommen haben, nur vergebliche Bemühungen geblieben sind, ist kein berauschendes Zeugnis für den Parlamentarismus und weckt Zweifel an der Fähigkeit des demokratischen Rechtsstaats zur Lösung übereinstimmend beklagter Mißstände. Ich darf daran erinnern, daß alle Fraktionen dieses Hauses den unbefriedigenden Zustand der jetzigen Gewissensüberprüfung seit Jahren beklagen.
Noch weniger berauschend ist allerdings der dazu nunmehr von der neuen Regierungskoalition vorgelegte Entwurf. Dies ist kein Reformentwurf wie jene, die seinerzeit von der FDP und der SPD eingebracht wurden. Ja, dieser Entwurf ist sogar schlechter als die früheren CDU/CSU-Entwürfe.
Dieser Koalitionsentwurf ist vielmehr ein Gesetz zur Verhinderung der Anerkennung von Kriegsdienstverweigerung, ein Gesetz voller Schikanen und unterschwelliger Unterstellungen, mit ausgeprägtem Bestrafungscharakter all jenen jungen Menschen gegenüber,
die von ihrem Grundrecht, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, Gebrauch machen oder Gebrauch machen wollen. Der Entwurf der Regierungskoalition ist gegenüber dem von der SPD-Fraktion eingebrachten Entwurf verfassungsrechtlich bedenklich, politisch nicht vertretbar und führt faktisch zu einer Verschlimmerung der sozialen Ungerechtigkeiten. Ich belege dies im folgenden.
Im übrigen weise ich darauf hin, daß selbst der Bundesbeauftragte für den Zivildienst
Ihren Vorschlag in ähnlichen Worten gewertet hat.
— Ich bitte Sie, meine Damen und Herren: Wenn hier jemand, der den gesetzlichen Auftrag hat, sich um die Belange des Zivildienstes zu kümmern, zu einer solchen Bewertung kommt, dann ist Ihre Reaktion hier entlarvend.
Ziel aller Reformbemühungen war es, die durch das geltende Verfahren vorgesehene Gewissensinsistierung abzuschaffen. Die für junge Menschen unverständliche und zum Teil unerträgliche mündliche Gewissensüberprüfung hat das Vertrauen großer Teile der Jugend in die Rechtsstaatlichkeit und Glaubwürdigkeit der demokratischen Institutionen untergraben.
Der Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands kam bereits 1969 zu der Aussage, daß der Fortfall eines besonderen Prüfungsverfahrens einen großen Gewinn darstellen würde, da die Behauptung einer Gewissensentscheidung für den Außenstehenden aus dem Wesen des Gewissens heraus im Kern unzugänglich ist. Genau dies ist der Punkt. Daraus gilt es endlich die Konsequenzen zu ziehen.
Wir Sozialdemokraten haben mit unserem Entwurf, der dem Haus seit rund vier Wochen vorliegt, daraus die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Wir nutzen dabei den Spielraum, den uns das Verfassungsgericht in seinem Urteil vom 13. April 1978 gelassen hat. Die wichtigsten Punkte unseres Entwurfs sind der Wegfall des förmlichen Prüfungsverfahrens, die Verlängerung der Dauer des Zivildienstes auf 19 Monate und die unverzügliche Einberufung der Zivildienstleistenden auf Zivildienstplätze, die vorrangig im sozialen Bereich gelegen sein sollen.
Wir gehen davon aus, daß dem Antrag eine Erklärung beizufügen ist, die dem persönlichen Ausdrucksvermögen dessen, der sich auf dieses Grundrecht berufen will, entspricht. Wir wollen
Deutscher Bundestag — 9.Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982 8127
Jaunich
keine Privilegierung von Abiturienten oder Sprachbegabten, die Ihrem Entwurf zugrunde liegen.
Wir wollen, daß Hauptschüler und auch Sonderschüler das gleiche Recht für sich in Anspruch nehmen können, ohne durch eine Mühle von Verfahren gedreht zu werden, wie andere, die entsprechend Ihrem Entwurf eine elegante, schlüssige Begründung ihres Antrags zu formulieren imstande sind.
Auch wir mußten uns, ausgehend von der Situation, d. h. dem Spielraum, den uns das Verfassungsgericht gelassen hat, darauf einlassen, daß für gediente und einberufene Wehrpflichtige andere Regelungen gelten. Auch dazu schlagen wir ein Verfahren vor. Im Gegensatz zum heutigen Verfahren soll dieses Verfahren so geartet sein, daß auch hier die Gewissensentscheidung, die der einzelne darlegt, letztlich zur Anerkennung führt, wenn er als Person und das, was er vorträgt, als glaubwürdig angesehen werden. Dies ist ein entscheidender Fortschritt gegenüber dem heutigen Zustand, und dies wäre ein entscheidender Fortschritt gegenüber den Regelungen, die Sie in Ihrem Entwurf vorsehen.
Wie sieht denn die Regelung, die Sie vorschlagen aus? Ich will das in einen Satz bringen: Dies, was hier vorliegt, ist ein CSU-Entwurf. Sie, meine Damen und Herren von der FDP, werden mit sich auszumachen haben, wie Sie damit bestehen wollen.
Wie komme ich zu dieser Feststellung? Gehen wir dochmal von den Positionen der einzelnen Parteien aus, die diesem Bundestag angehören, wie sie zum Jahresende bekannt waren. Die CDU hat auf ihrem Parteitag beschlossen: Abschaffung der Gewissensüberprüfung, 21 Monate Zivildienst. Aus München kam dann sofort ein Signal: Nein, 21 Monate reichen nicht, es müssen 24 sein, und auf ein Verfahren wollen wir auch nicht verzichten. Die FDP hatte genauso wie die Sozialdemokraten Konsequenzen aus dem Urteil gezogen und hatte gesagt, daß bei 19 Monaten wohl die Grenze erreicht ist, die nicht überschritten werden darf, wenn das Ganze nicht in eine Bestrafungsaktion für jene hinauslaufen soll, die sich hier auf ein Grundrecht berufen.
Nun könnte man ja sagen — auf den ersten Blick —, wenn man Ihre Vorstellungen liest: 20 Monate Zivildienst, dies ist ein Kompromiß, und darin findet sich auch die FDP wieder. Ich sage Ihnen: Dies ist nicht so. Denn erstens einmal legen Sie sich nicht auf eine Monatszahl fest, um die der Zivildienst länger als der Wehrdienst ausgestaltet sein soll, sondern Sie sagen: ein Drittel. Jedermann von uns im Hause weiß, daß die Überlegungen im Bereich der Sicherheitspolitik angesichts der geburtenschwächer werdenden Jahrgänge und des Verteidigungsauftrags darauf hinauslaufen, daß in absehbarer Zeit der Grundwehrdienst auf 18 Monate bemessen werden wird. Bei Ihren Vorstellungen von einem Drittel werden aus 18 — ein Drittel dazu — 24. Kurzum, es hat sich die CSU-Vorstellung voll
durchgesetzt, meine Damen und Herren von der FDP.
Auch das Verfahren ist ja übriggeblieben. Denn wie soll das denn laufen? Da wird ein Vorschaltverfahren, ein Vorsortierverfahren von Ihnen eingeführt. Da wird beim Bundesamt für den Zivildienst ein Beamter darüber entscheiden, ob er die Begründung als ausreichend ansieht oder nicht. Sieht er sie nicht als ausreichend an, dann geht es nach Ihrem Entwurf entweder in ein Verfahren — d. h. das Verfahren ist doch nicht abgeschafft —, oder aber, was noch viel schlimmer ist, dieser einzige Beamte sagt: Der Antrag ist definitiv abgelehnt. Dann bleibt dem, der sein Grundrecht in Anspruch nehmen will, nichts weiter übrig, als zum Verfassungsgericht zu gehen, weil Sie ihm diese von der Verfassung, von der Rechtsstaatlichkeit unserer Verfassung geschützte Lösung nicht auch noch abschneiden können. Aber, bitte, meine Damen und Herren, Sie werden mit Ihren liberalen Grundsätzen in Einklang zu bringen haben, in wie starkem Maße Sie hier die Rechtswege für jene verkürzen, die ihr Grundrecht in Anspruch nehmen wollen.
Ich glaube also, daß man allein dadurch bewiesen hat, daß das Verfahen nicht abgeschafft ist, sondern nur vordergründig abgeschafft wird und daß sich ganz eiskalt und glasklar die Positionen durchgesetzt haben, die die CSU als Partei in dieser Frage hat; alle anderen haben sich dem gebeugt.
Zweifelsfrei anerkannt werden wird der Zeuge Jehovas. Nun gut, hier fällt dann das weg, was bisher an Verfahren üblich war. Das macht der einzelne Beamte. Das will ich als Fortschritt anerkennen. Aber im übrigen, für die große Masse, für die übrigen Fälle ist ein Fortschritt nicht erkennbar. Im Gegenteil, es kommt zu einem Malus. Denn all das, was der Verweigerer in seiner Begründung vorgetragen hat, wird er sich, wenn das an die Instanzen abgegeben wird, vorhalten lassen, einschließlich der Tatsache, daß das Bundesamt für Zivildienst seinen Antrag ja bereits abgelehnt hat. Das ist eine weitere Verschlechterung gegenüber dem heutigen Recht.
Die Zuständigkeit für die Bestimmung der Vorsitzenden der Kammern und Ausschüsse wird nicht auf den Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit übertragen — den ich im übrigen hier nicht sehe —,
— nein, hinter wem denn? —, nein, sie verbleibt beim Bundesminister der Verteidigung. Als Krönung des Ganzen wird der Vorsitzende, der insofern in einer Interessenkollision steht, noch mit Stimmrecht ausgestattet.
Also in Summe: Was in Ihren Vorschlägen enthalten ist, ist so geartet, daß es nur rein oberflächlich betrachtet in gewisser Weise als Verbesserung angesehen werden kann, nach unserer Einschätzung
8128 Deutscher Bundestag — 9.Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982
Jaunich
allerdings in vielen Fällen hinter das jetzt geltende, als unbefriedigend angesehene Recht zurückfällt.
Meine Damen und Herren, Sie ermöglichen nicht die Freiheit der Gewissensentscheidung des einzelnen, sondern erschweren sie, machen das Ergebnis unberechenbar. Sie lassen zu, daß durch eine Vielzahl von Formerfordernissen die Anerkennung noch stärker zu einem Abiturientenprivileg wird. Sie lassen zu, daß die Prüfungsverfahren weiterhin bei der Wehrbereichsverwaltung bleiben ungeachtet der nicht nur rein theoretischen Interessenkollision. Und dazu soll künftig der vom Bundesminister der Verteidigung ernannte Vorsitzende noch mitstimmen dürfen.
Ich muß mich leider der Zeit wegen, die ich zur Verfügung habe, ein bißchen bemühen, — —
— Nein, nicht sachlicher zu werden! Sie werden mir
hier keineswegs Unsachlichkeit vorwerfen können.
Das, was ich hier, gestützt auf die Vorstellungen, die Sie niedergeschrieben haben, Ihnen vorhalte und was nicht nur ich Ihnen vorhalte, sondern die gesamte interessierte Fachöffentlichkeit Ihnen vorhält, die Kirchen, die Verbände, die sich um diese jungen Leute kümmern, stört Sie natürlich, es gefällt Ihnen nicht. Aber darauf kann ich keine Rücksicht nehmen.
Mit Ausnahme des Bundeswehrverbandes ist mir keine einzige positive Stellungnahme zu Ihrem Entwurf zur Kenntnis gelangt.
— Wir stellen uns mit unserem Entwurf der Kritik. Da gibt es nur einen einzigen Punkt, an dem junge Menschen Kritik üben: Sie sagen, daß sie auch 19 Monate bereits als eine Bestrafung ansehen. Ich habe gesagt, daß auch wir das tun. Das wollen wir doch übrigens in der Beratung noch prüfen, wenn Sie uns dazu eine Möglichkeit lassen. Aber nach Ihren Plänen wollen Sie j a das Ganze durchpeitschen durch das Parlament.
Halten Sie sich doch einmal vor Augen, in welchem Zeitraum Ihr Übergangsgesetz gelten soll! Es ist ja auf zweieinhalb Jahre befristet, ein Zeitgesetz.
Dieses Gesetz soll am 1. Januar 1984 in Kraft treten, und Sie wollen dieses Gesetz bis zum 16. Dezember 1982 durchgepeitscht haben. Sie haben an uns das Ansinnen gestellt, nach Abschluß einer von uns geforderten Anhörung im Ausschuß bereits abschließend über dieses Gesetz zu beraten. Dies ist nicht nur ein ganz mieser parlamentarischer Stil, sondern es zeigt auch, daß Sie einen so schwierigen
Rechtsbereich, in dem Fragen der Verfassung berührt sind, nicht mit der Sorgfalt, die bei dieser Materie geboten wäre, beraten wollen, sondern das durchpeitschen möchten.
Die Kritik an unserem Entwurf richtet sich, wie gesagt, ausschließlich gegen die 19 Monate. Dazu will ich auch hier von dieser Stelle aus Stellung nehmen. Dies ist das, was wir als Spielraum aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes erkennen. Dieser Kritik haben wir uns zu stellen. Wir alle werden der jungen Generation gegenüber zu vermitteln haben, wo die Grenzen unseres Spielraums liegen. Aber eines wage ich vorauszusagen: Mit Ihren Vorstellungen, nicht einmal das Verfahren abzuschaffen und die Zivildienstsituation zu verschärfen — darauf wird mein Kollege Marschall noch eingehen —, werden Sie der jungen Generation überhaupt nicht begreiflich machen können, daß es hier für den einzelnen um den Schutz eines Grundrechtes geht, sondern die landläufige Beurteilung wird sein, daß hier Bestrafung vorgenommen wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch einen Kirchenmann zitieren, Altpräses Karl Immer, der auf der Synode vom 7. bis 12. November 1982 ausgeführt hat — ich zitiere wörtlich —:
Gestatten Sie mir zum Schluß eine persönliche Bemerkung. Unsere Öffentlichkeit sieht die Kriegsdienstverweigerung häufig nur unter negativen Vorzeichen. Offen und versteckt wird der Vorwurf erhoben, Kriegsdienstverweigerer seien Drückeberger. Wir haben uns als kirchliche Beauftragte mehrfach gegen solche Diffamierungen gewandt. Nachdem in der vorhergehenden Generation durch den von deutscher Seite ausgelösten Krieg der Tod in Europa reiche Ernte hielt, erscheint es mir verständlich, daß die Sensibilität in der Frage des Krieges unter uns gewachsen ist.
Kann man unter diesem Gesichtspunkt nicht sogar als hoffnungsvolles Zeichen verstehen, daß die Bundesrepublik das Land auf der Erde ist, in dem die Zahl der Kriegsdienstverweigerer im Vergleich zu denen, die den Soldatendienst leisten, am größten ist und in dem den Kriegsdienstverweigerern ein weitgehender Schutz gewährt wird?
Ich kann mich dieser Beurteilung nur anschließen. Ich fürchte allerdings, daß der weitgehende Schutz der Kriegsdienstverweigerung durch Ihre Vorstellungen, die Sie jetzt durchboxen wollen, weitgehend ausgehöhlt wird. — Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Breuer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Journalist Carl-Christian Kaiser veröffentlichte am 4. Juli 1980 in der Wo-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982 8129
Breuerchenzeitung „Die Zeit" einen Kommentar unter der Schlagzeile: „Bonner Trauerspiel — Die Wehrdienstnovelle im Dickicht".
Ein Trauerspiel war das fürwahr. Der Kollege Jaunich ging eben auf dieses Trauerspiel ein. — Wenn Sie danach fragen, wer das gemacht hat, Herr Kollege, dann muß ich Ihnen sagen, daß Sie 1980 nicht dazu in der Lage waren, einen Entwurf von SPD und FDP hier mit Mehrheit durchzubringen, weil elf Ihrer linken Abgeordneten in diesem Hause da-gegengestimmt haben.
Sie haben doch 1977 das Postkartenmodell auf den Weg gebracht, das 1978 vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig abgelehnt wurde.
Seit 1978 besteht also Rechtsunsicherheit; seit 1978 werden junge Menschen in unserem Lande verunsichert; seit 1978 bezweifeln junge Menschen die Bemühungen des Staates um Wehrgerechtigkeit. Wenn ich hier in der Rede des Kollegen Jaunich höre, daß auch er das bedaure, dann muß ich fragen, Herr Kollege Jaunich: Wer hat denn 13 Jahre lang in diesem Haus die Mehrheit gehabt? Wer hat denn dieses Trauerspiel hier vor allem verschuldet?
— Gestatten Sie mir, daß ich weiterrede, Herr Jaunich. Sie wissen, meine Redezeit ist begrenzt. Wenn ich am Ende noch Zeit haben sollte, gehe ich gerne auf Sie ein.Meine Damen und Herren, von allen ist immer betont worden, daß das bisherige Verfahren absolut erneuerungsbedürftig sei. Die Reform war bis zum heutigen Tage trotzdem nicht möglich, und dies, obwohl unerträgliche Zustände vorhanden sind. Fast 100 000 Antragstellern, die den Wehrdienst verweigern wollen, wird derzeit eine Entscheidung über ihren Antrag verweigert. Nahezu 100 000 stehen im sogenannten Anerkennungsstau. Das Schlimmste aber ist, Herr Kollege Gilges, etwa 10 % — das sind fast 10 000 — sind älter als 28 Jahre, d. h. sie können nie wieder zur Dienstpflicht herangezogen werden. Das heißt, daß derjenige, der einen Antrag stellt und sich im Verfahren gut auskennt, in der Lage ist, durch das Dienst-Netz zu schlüpfen,
und das heißt, daß de facto die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft ist.Die Koalition der Mitte, die Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP bringen heute einen Gesetzentwurf ein. Dieser Gesetzentwurf hat die Chance, mit der Mehrheit dieses Hauses verabschiedet zu werden, und er hat die Chance, darüber hinaus mit derMehrheit des Bundesrates verabschiedet zu werden.
Im SPD-Pressedienst haben Sie, Herr Kollege Jaunich, nach der Einbringung Ihres Gesetzentwurfes erklärt:Die Presseerklärungen der CDU/CSU lassen allerdings befürchten, daß versucht werden könnte, die Beratung dieses Entwurfs zu verschleppen.
Damals sagten Sie: Verschleppung. Das war keine große Weitsicht, Herr Kollege Jaunich. Diese Äußerung stammt von vor vier Wochen. Heute sind wir hier auf dem Plan, und wir verschleppen nichts,
sondern wir bringen eine Sache auf den Weg, die wir hier mit Mehrheit beschließen werden.
Der Kollege Wehner, der heute leider nicht da ist, schrieb im „Parlamentarisch-Politischen Pressedienst" vom 25. Oktober dieses Jahres, die Arbeit an der Reform der Kriegsdienstverweigerung werde zeigen, daß auf die Sozialdemokraten Verlaß sei, gleich ob in der Opposition oder in der Regierung. — Meine Damen und Herren, offenbar ist auf die Sozialdemokraten enormer Verlaß, vor allem in der Opposition; denn solange sie regiert haben, war der Verlaß nicht da. Heute kommen Sie scheinheilig mit Ihrem Entwurf, vorher war die Einigung bei Ihnen nicht möglich.
In der gleichen Ausgabe des „ParlamentarischPolitischen Pressedienstes", meine Damen und Herren, sprach der Kollege Wehner folgendes:
Er sagte, daß nach seiner Ansicht eine Reform auf diesem Gebiet — und jetzt hören Sie bitte gut zu! — Prüfstein des Verhältnisses der SPD zur Jugend sei.
Schauen wir uns diesen Prüfstein an, Herr Gilges. Schauen wir uns an, was Ihre eigene Jugendorganisation, die Jungsozialisten — Sie kennen sie gut —, dazu gesagt hat.
Die „Frankfurter Rundschau" schrieb am 29. Oktober dieses Jahres auf Grund einer AP-Meldung — ich zitiere wörtlich —:
Der Bundessekretär der Jungsozialisten in der SPD, Horst Wegner,— und der dürfte Ihnen bekannt sein —8130 Deutscher Bundestag — 9.Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982Breuernannte den SPD-Entwurf ein „WischiwaschiGesetz".Der Herr Wegner meinte nicht unseren Entwurf, sondern der meinte Ihren Entwurf. Er meinte, Ihr Entwurf sei ein Wischiwaschi-Gesetz. Sie stolpern, wenn das der Prüfstein Ihres Verhältnisses zur Jugend sein soll, über Ihre eigene Parteijugend, Herr Kollege Jaunich.
In dieser Meldung auf Grund des AP-Berichts heißt es weiter: Der Bundessekretär der Jungsozialisten in der SPD, Horst Wegner, sagte, daß die SPD indirekt auf das Vorhaben der „Kommiß-Ideologie" in der Union eingehe. Was soll das heißen, „Kornmiß-Ideologie", meine Damen und Herren? Die jungen Männer, die Wehrpflicht ableisten, die jungen Soldaten, sind Söhne unseres Landes. Das sind keine Kommißköppe, sondern Staatsbürger in Uniform.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn ?
Ich bitte um Verständnis, Herr Präsident, daß ich das nicht gestatte. Meine Redezeit ist begrenzt. Ich werde sonst mit der Zeit nicht auskommen.Die Bundeswehr, meine Damen und Herren, ist kein Staat im Staate, sondern integrierter Bestandteil dieser Gesellschaft.
Und nur, weil junge Soldaten in der Bundeswehr Dienst leisten — und es sind die Söhne unseres Landes —, nur weil sie Frieden und Freiheit für unser Land gewährleisten, ist die Wehrdienstverweigerung überhaupt möglich geworden.
Ohne Wehrdienst keine Wehrdienstverweigerung!In dem eben zitierten Artikel des „Parlamentarisch-Politischen Pressedienstes" führt der Kollege Wehner weiter aus, nach dem Regierungswechsel sei freilich noch fraglicher geworden, ob die CDU die Kraft finden werde, sich im Sinne der geistigmoralischen Erneuerung für eine Reform der Kriegsdienstverweigerung einzusetzen.Natürlich ist der Inhalt unseres Gesetzentwurfes ein Teilschritt, ein ganz wichtiger Teilschritt,
zur geistig- moralischen Erneuerung unseres Landes, meine Damen und Herren. Das ist ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit.
Das ist ein Schritt , der zwar unpopulär ist — das gebe ich zu —, aber ein Schritt, der Mut beinhaltet und der mehr Gerechtigkeit und Vertrauen in diesen Staat bringen wird.
Unser Gesetzentwurf baut auf dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1978 auf, das eine Verlängerung des zivilen Ersatzdienstes von 18 auf 24 Monate als möglich ansieht. Die Gewissensprüfung wird durch die Bereitschaft zur Konsequenz, nämlich eine längere Dienstpflicht auf sich zu nehmen, in die Herzen der jungen Menschen verlagert.
Die SPD hat in ihrem Entwurf eine Länge des Ersatzdienstes von 19 Monaten vorgeschlagen. Bei der von uns vorgeschlagenen Lösung, der Verlängerung des Ersatzdienstes um ein Drittel der Länge des Grundwehrdienstes, kommen wir bei heutigen Verhältnissen — 15 Monaten Grundwehrdienst — auf 20 Monate Ersatzdienst. Der Kollege Jaunich schnitt diese Frage soeben an. Wenn eine Verlängerung des Grundwehrdienstes auf 18 Monate notwendig werden sollte, wird natürlich auch die Dauer des Ersatzdienstes verlängert, so daß dieser dann 24 Monate dauert. Ich muß Sie fragen: Meinen Sie ernsthaft, daß zukünftig bei 18 Monaten Wehrdienst der Ersatzdienst 20 Monate dauern soll?
Das kann doch wohl nicht wahr sein. Das ist nicht die Probe auf die Ernsthaftigkeit.
Mit den 20 Monaten von heute liegt die Koalition übrigens auch auf einer Linie mit sozialdemokratischen Politikern. Der frühere Verteidigungsminister Hans Apel hat mehrfach eine Länge des Ersatzdienstes von mindestens 20 Monaten gefordert.
Der frühere Bundesarbeitsminister Herbert Ehrenberg forderte das gleiche. Tun Sie doch heute nicht so, als ob bei 20 Monaten die Welt zusammenbräche!
Wenn ich lese, daß der Kollege Bamberg in einer AP-Meldung erklärt, daß es eine schreiende Ungerechtigkeit sei, um einen Monat zu verlängern, dann frage ich mich, ob dieses System, dieses Vorhaben tatsächlich bei einem Monat zusammenbricht. Hier ist vor allen Dingen dann nach der Glaubwürdigkeit der SPD zu fragen,
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982 8131
Breuerwenn SPD-Kollegen, beispielsweise Hans Apel eine Verlängerung auf mindestens 20 Monate gefordert haben.Meine Damen und Herren, der Vorsitzende der Zentralstelle für Recht und Schutz für Kriegsdienstverweigerer, Pastor Ulrich Fink, sagte dieser Tage — ich zitiere die „Frankfurter Rundschau" vom 19. dieses Monats —:Wahr ist daß das Menschenrecht nur gewährt wird, wenn man fünf Monate länger dient. Unwahr ist, daß man einen gelben Stern tragen soll.
Ich finde diese Anspielung auf den Nationalsozialismus,
ich finde diese Anspielung auf die Judenverfolgung gerade aus dem Munde eines Pastors, schlicht gesagt, geschmacklos.
Aber Pastor Fink weiß sicher auch, daß in unseren europäischen Nachbarländern, natürlich bei anderen Verfassungen, vergleichbare Regelungen gelten. In den Niederlanden gilt ähnliches, wie es die Koaliton jetzt anstrebt. In Belgien und Frankreich dauert der Ersatzdienst doppelt so lange wie der Wehrdienst. Will Pastor Fink und wollen andere behaupten, daß in Belgien und Frankreich die Menschenrechte nicht gewährleistet seien?
Soll da behauptet werden, daß diese Länder in die Nähe des Nationalsozialismus zu rücken sind? Das ist doch unqualifizierte Stimmungsmache.
Uns geht es nicht um eine Bestrafung des Ersatzdienstleistenden, uns geht es nicht, wie soeben vom Kollegen Jaunich vorgeworfen wurde, um Schikane, sondern uns geht es um ein glaubhaftes Zeichen der Ernsthaftigkeit des Wehrdienstverweigerers. Es wird in Zukunft im Rahmen der Probe auf Ernsthaftigkeit nicht nur eine Verlängerung des zivilen Ersatzdienstes, sondern auch eine Reform der Ausgestaltung des Ersatzdienstes geben. Es wird in Zukunft keine Plätze mehr an Schreibtischen, an Telefonen und auch nicht im erzieherischen Bereich oder als Bonbonverkäufer in der Jugendherberge geben. Statt dessen werden neue Zivildienstplätze im Umweltschutz, in der Landschaftspflege, im Zivilschutz geschaffen werden.
Wir schaffen das derzeit geltende mündliche Prüfungsverfahren für Ungediente ab. An seine Stelletritt ein schriftlicher Antrag, der ausführlich undschlüssig die persönliche Gewissensentscheidung begründet.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, danke sehr. Das ist notwendig, weil es in unserem Gesetzentwurf nicht um das Überprüfen innerer Einstellungen, sondern um das Überprüfen tatsächlicher Behauptungen geht.
Was ist z. B. dann, wenn derjenige, der wegen Körperverletzung vorbestraft ist, einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellt? Es kann doch wohl nicht sein, daß derjenige, der wegen Körperverletzung vorbestraft ist, glaubhaft von sich behaupten kann, er sei der Gewaltlosigkeit verpflichtet. Das ist doch ein Witz!
Natürlich ist Gewissen nicht überprüfbar. Wir wollen kein Gewissen überprüfen, wir wollen Tatsachenbehauptungen überprüfen. Und Tatsachenbehauptungen aufzustellen, das ist für jeden möglich, im übrigen auch für den Hauptschüler, im übrigen auch für den jungen Arbeiter. Was halten Sie eigentlich vom jungen Arbeiter, Herr Gilges?
Meine Damen und Herren, am 7. Juli 1956 stimmten die 166 Abgeordneten der SPD gegen das Wehrpflichtgesetz. Die allgemeine Wehrpflicht gehört heute ganz selbstverständlich zu unserem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat gehört ganz selbstverständlich zum Gesicht dieser Bundesrepublik Deutschland, dem freiheitlichsten Staat, den es auf deutschem Boden je gab.
Durch Ihre Entscheidung damals gegen die allgemeine Wehrpflicht haben Sie sich selbst politisch mindestens ein Jahrzehnt lang behindert.
Ich bitte Sie darum: Überlegen Sie sich, ob Sie das für das kommende Jahrzehnt, was diese Entscheidung angeht, auch tun wollen.
Meine Damen und Herren, die neue Koalition der Mitte beweist nur wenige Wochen nach der Übernahme der Regierungsverantwortung den Mut dazu, unbequem, aber wahrhaftig zu sein. Unser Ziel ist klar: wieder mehr Vertrauen junger Menschen in die Glaubwürdigkeit des freiheitlichen Rechtsstaates, wieder mehr Vertrauen in die Gerechtigkeit in der Bundesrepublik Deutschland. — Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Adam-Schwaetzer.
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8132 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Jaunich, wenn ich an die vielen Gespräche zurückdenke, die gerade wir zwei und ich mit vielen Kollegen aus der SPD über diesen Themenkreis geführt haben, dann kann ich nur sagen: Das, was Sie heute morgen hier vorgeführt haben, ist wirklich der Gipfel der Scheinheiligkeit.
— Natürlich. Ich werde selbstverständlich sofort dazu kommen.
Ich glaube nicht, daß die Opposition, nur weil sie jetzt die Verantwortung für das nicht mehr zu tragen hat was sie selber einmal vorgesehen hat, das Recht hat, zu vergessen, welche Diskussionen gerade zu dieser Frage in ihrer eigenen Fraktion früher geführt worden sind.
Herr Jaunich, Sie haben Herrn Iven zitiert, den Bundesbeauftragten für den Zivildienst. Herr Iven hat bereits 1980 und 1981 in Gesprächen mit uns exakt das vorgeschlagen, was die Koalition jetzt zur Grundlage ihres Entwurfs gemacht hat.
Das läßt sich im übrigen an alten Entwürfen, die auch in Ihrer Fraktion vorhanden sein müssen, belegen. Dies ist ein Punkt, wo Sie sich überlegen sollten, ob Sie tatsächlich alles vergessen wollen, was wir früher besprochen haben.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jaunich?
Ich habe leider nur eine sehr kurze Zeit und möchte diese dafür benutzen, mich mit dem auseinanderzusetzen und auch darzustellen, was — —
— Herr Jaunich, ich möchte das noch weiter belegen. Ich frage Sie einfach: Ist es denn nicht richtig, daß in Ihrer eigenen Fraktion die Diskussion über den Entwurf, der jetzt eingebracht worden ist, damit beendet worden ist, daß gesagt wurde, der Entwurf, der jetzt von der SPD-Fraktion vorliegt, sei ein Gesprächsangebot an die CDU. Sie wüßten ganz genau, daß Sie hier sowohl bei der Ausgestaltung der Anerkennung als auch bei der Ausgestaltung der Länge des Zivildienstes noch nachgeben müßten. Dies war auch die Grundlage, auf der wir als FDP-Fraktion in unserer eigenen Fraktion diesen Entwurf diskutiert und begründet haben. Denn der Entwurf, den Sie eingebracht haben, war ja von unsmitgetragen und war als ein Gesprächsangebot an die CDU/CSU gedacht.
Jetzt zu sagen, daß dieses Gesprächsangebot nicht mehr dazu dienen sollte, in dieser Frage tragfähige Kompromisse zu finden, die uns tatsächlich weiterführen, das ist scheinheilig.
Meine Damen und Herren, die Enquete-Kommission Jugendprotest im demokratischen Staat fordert ausdrücklich, daß wir in dieser Frage weiterkommen.
Ich glaube, daß die Jugendlichen nach so vielen gescheiterten Versuchen nun wirklich ein Anrecht darauf haben, daß endlich ein Versuch zum Erfolg führt.Ich möchte der Ordnung halber nur noch daran erinnern, daß der letzte Versuch, in diesem Hause zu einer Lösung zu kommen — zum Ende der letzten Legislaturperiode —, nicht nur an der CSU, sondern auch an einem Teil der SPD-Fraktion gescheitert ist.
Wir könnten in dieser Frage schon sehr viel weiter sein,
wenn sich die SPD nicht immer wieder durch Zaudern und durch Abweichen von einmal gefundenen Kompromissen aus der Verantwortung gestohlen hätte.
Das Wichtigste zu dem Inhalt dieses Entwurfes: Die Gewissensprüfung wird abgeschafft. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Das entspricht im übrigen einer Forderung des FDP-Wahlprogramms von 1980. Die Abschaffung des derzeitigen unwürdigen Prüfungsverfahrens kann aber nicht bedeuten, daß sich der Antragsteller nicht über seine Gründe klar wird, die ihn zu Verweigerung des Wehrdienstes bringen. Das ist eine ausdrückliche Forderung des Bundesverfassungsgerichtes, die im übrigen natürlich auch von den Juristen in der SPD-Fraktion so gesehen wird. Die ausführliche persönliche Begründung, die in dem neuen Entwurf gefordert wird, entspricht diesem Verfassungserfordernis.Die Schlüssigkeit, die dann als Kriterium für die Anerkennung gewählt wird, ist im übrigen rechtssicher in Tatbeständen in Entscheidungen höchster Gerichte dargelegt. Das ist etwas, woran sich jeder halten kann, was jeder nachprüfen kann, was jeder für seinen eigenen Maßstab benutzen kann. Deshalb wird hier ein Stück Rechtssicherheit geschaffen, das in der derzeitigen Form nicht vorhanden ist.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982 8133
Frau Dr. Adam-SchwaetzerBei einer nicht schlüssigen Begründung muß der Antrag im übrigen abgelehnt werden. Er wird einem mündlichen Verfahren nicht zugeführt.Die Zeitregelung, zu der wir uns verstehen mußten, ist unschön. Das betrachten wir nur mit großem Vorbehalt. Ich sage das so ganz offen. Allerdings muß ich auch sagen, daß die Begrenzung der Laufzeit des Gesetzes auf zunächst zweieinhalb Jahre uns auch die Möglichkeit gegeben hat, die Ein-Drittel-Regelung für die Verlängerung des Zivildienstes, die im Gesetz vorgesehen ist, zu akzeptieren. Ich denke, daß das ein ganz wichtiger Punkt ist, den wir während der Laufzeit des Gesetzes wieder aufnehmen müssen. Es kann einfach nicht so sein — das ist natürlich —, daß es bei einer Verlängerung der Wehrdienstes über 18 Monate hinaus eine Automatik hinsichtlich der Verlängerung des Zivildienstes gibt.
Ich möchte allerdings auch darauf hinweisen: Auch wenn wir für das Gesetz eine Laufzeit von zweieinhalb Jahren vorsehen, kann danach nicht wieder der jetzige Zustand eintreten. Der jetzige Zustand ist ein für allemal beendet,
d. h. wir müssen während der Laufzeit von zweieinhalb Jahren in diesem Hause darüber entscheiden, was danach geschehen soll. Ich halte diese Lösung auch deshalb für akzeptabel, weil wir in diesem Bereich natürlich etwas völlig Neues schaffen und auch erst sehen müssen, wie sich dieses Gesetz auswirkt.
In dieser Frage hat jede der in diesem Hause vertretenen Fraktionen zurückstecken müssen. Ich will daran erinnern, daß die FDP mit dem Postkartenverfahren von 1977 natürlich sehr gut hätte leben können. Ich betone das noch einmal ausdrücklich.
Nur, das Verfassungsgericht hat uns diesen Weg verweigert. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtes — ich gebe zu: wir fühlen uns gehalten, diesem Verfassungsgerichtsurteil zu folgen — blieb uns nichts anderes übrig, als den Kompromiß in diesem Hause zu suchen.
— Ihr Entwurf wird durch Zwischenrufe auch nicht besser.
Der Kompromiß in diesem Hause geht natürlich von Extrempositionen aus: einerseits von dem Postkartenverfahren — von der FDP 1977 mitgetragen —, andererseits aber natürlich auch von den Forderungen der CSU, vor allen Dingen von derForderung nach Beibehaltung des derzeitigen Verfahrens bei gleichzeitiger Verlängerung des Zivildienstes.
Meine Damen und Herren, zwischen so extremen Positionen Einigungen zu erzielen, erfordert wirklich den guten Willen aller Seiten. Dieser gute Wille ist von allen Seiten gezeigt worden. Er war unter anderem auch deshalb notwendig, weil die Mehrheitsverhältnisse in Bund und Ländern es erzwangen, mit der CDU und der CSU sich an einen Tisch zu setzen und die Kompromisse zu finden.
Jeder hat zurückstecken müssen. Meine Fraktion trägt diesen Entwurf mit. Ich bitte Sie herzlich, auch die Kollegen von der SPD-Fraktion, unter Berücksichtigung dessen, was ich am Anfang aus unseren eigenen Diskussionen mit Kollegen der SPD sagen mußte, zu überprüfen, ob Sie sich nicht doch Ihrer eigenen Verantwortung auch gegenüber der jungen Generation in der Weise klar werden wollen, daß Sie auch zu dem stehen, was Sie als möglich und als Kompromiß in dieser Frage angesehen haben, solange Sie noch in einer Koalition mit der FDP gewesen sind.
Dies betrachte ich auch als eine staatsbürgerliche Verantwortung, zu der wir Politiker ja herausgefordert sind.
Wichtig scheint mir die Tatsache zu sein, daß, wenn wir weiterhin Extrempositionen vertreten, die einzige Lösung darin besteht, daß der jetzige Zustand bestehen bleibt. Aber wir sind uns alle darin einig: Der jetzige Zustand ist nun wirklich das Unerträglichste, woran wir überhaupt denken können.
Im Ausschuß werden noch einige Punkte des Verfahrens zu diskutieren sein. Aber die Grundkonzeption dieses Gesetzes wird von uns mitgetragen. Wir werden Sorge tragen, daß es noch in diesem Bundestag verabschiedet wird. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Geschichte des
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8134 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982
Bundesminister Dr. GeißlerDeutschen Bundestags haben die Diskussion über das Wehrpflichtgesetz und die Frage der Übereinstimmung bestimmter Paragraphen des Wehrpflichtgesetzes mit unserer Verfassung immer eine hervorragende und bedeutende Rolle gespielt. Ich erinnere an die dramatischen Auseinandersetzungen Mitte der 50er Jahre um das Wehrpflichtgesetz, hier vor allem an die Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit des § 25 des Wehrpflichtgesetzes. Ich darf an die Rede des damaligen Abgeordneten Nellen erinnern, der später von der CDU zur Sozialdemokratischen Partei übergewechselt ist. Ich darf an die Reden des früheren Bundestagspräsidenten Gerstenmaier und vieler anderer erinnern.
— Arndt, aber auch Gustav Heinemann haben in bewegenden Worten die Problematik behandelt, mit der wir uns auch heute beschäftigen müssen.Ich wünsche mir eigentlich, daß der Maßstab, den die damaligen Diskussionen im Deutschen Bundestag aufwiesen, auch für die Diskussion gilt, die wir heute zu diesem Thema führen.
Es ist gar keine Frage, daß die Neuregelung der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes ein wichtiges und an das Grundverständnis unseres Staates rührendes Gesetzesvorhaben darstellt. Dieses Gesetz betrifft ja nicht nur Hunderttausende von jungen Staatsbürgern und ihr Verhältnis zum Staat, sondern es wird darüber hinaus auch zu einem Beweis für das richtige Verständnis unserer Verfassungsordnung.Wir befinden uns im Bundestag als Gesetzgeber, aber auch als Verfassungsgeber zwischen zwei Polen. Wir haben auf der einen Seite die Verteidigungspflicht des Staats, die Verankerung der Bundeswehr und der Landesverteidigung in der Verfassung sowie die verfassungsgemäße Verankerung der allgemeinen Wehrpflicht; auf der anderen Seite haben wir das der Verteidigungspflicht des Staats entgegenstehende Grundrecht nach Art. 4 Abs. 3, das dem einzelnen Staatsbürger die Möglichkeit gibt, sich unter Berufung auf sein Gewissen von dieser Verteidigungspflicht befreien zu lassen. Wir haben auf der einen Seite — das ist die moralische Komponente — die moralische Pflicht des Staates, seine Bürger notfalls auch mit Waffen gegen unrechte Gewalt von innen oder von außen zu verteidigen, und auf der anderen Seite die moralische Pflicht des Staates, die Gewissensfreiheit des einzelnen Bürgers zu schützen. Wir haben als Gesetzgeber die Aufgabe, eine Lösung zu finden, die diesem rechtlichen und moralischen Zielkonflikt gerecht wird, einem Zielkonflikt, der unter bestimmten Umständen sogar zu einer Antinomie, zu einem Widerspruch, zu einem unauflösbaren Widerspruch werden könnte, wenn z. B. eines Tages so viele Menschen in der Bundesrepublik Deutschland den Verteidigungsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen ablehnen würden, daß der Verteidigungsauftrag der Bundeswehr, der ja auch im Grundgesetz verankert ist, nicht mehr erfüllt, aber als Folge davon wiederum auch das Grundrecht auf Gewissensfreiheit nicht mehr geschützt werden könnte.
Das ist das eigentliche Problem, wenn wir an die Erörterung dieser Frage herangehen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen ist das Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 zunächst einmal eine ständige Herausforderung an uns alle, so zu leben und auch so zu handeln, daß der zweifellos vorhandene Vorrang unserer Verfassung gegenüber totalitären Herrschaftssystemen durch den Vorzug ergänzt und unterstützt wird, den die Bürger dieser Verfassungsordnung freiwillig geben; — dies muß hinzukommen. Dieser Staat baut nicht nur auf unserer Rechtsordnung und Verfassungsordnung auf,
sondern natürlich auch auf dem Konsens der Mitbürger. Gerade aus diesem Grunde ist es wichtig, daß wir bei dieser Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Polen, der Verteidigungspflicht des Staates und der Gewissensfreiheit des einzelnen, nicht nur Zielkonflikt und Antinomie erkennen. Ich sage dies — das hat mit diesem Gesetzentwurf etwas zu tun, verehrter Herr Kollege —, weil wir in der konkreten Formulierung eines solchen Gesetzes nicht zu richtigen Ergebnissen kommen können, wenn diese Dinge in den Grundsätzen nicht klar erkannt werden.
Also, wir können hier nicht nur den Zielkonflikt sehen, sondern müssen vielmehr auch sehen, daß Verteidigungspflicht und Gewissensfreiheit in einem verfassungsrechtlichen und moralischen Zusammenhang stehen. Deswegen möchte ich an alle unsere jungen Mitbürger appellieren und sie auffordern, diesen Zusammenhang zu sehen und zu bejahen. Der verfassungsrechtliche Schutz des Gewissens hebt diese Verfassung und ihren Staat in ihrem verfassungsrechtlichen Rang weit über die Staatsordnung totalitärer Herrschaftssysteme hinaus und macht sie verteidigungswert; dies ist der Zusammenhang.
Gleichzeitig kann der Schutz des Gewissens nur durch diejenigen gewährleistet werden, die das Grundrecht der Gewissensfreiheit auch aus Gewissensgründen notfalls mit der Waffe in der Hand verteidigen. Ohne Bundeswehr, ohne Atlantische Allianz gibt es keinen Schutz des Gewissens, keine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer und keinen zivilen Ersatzdienst.
Ich möchte alle Wehrpflichtigen in der Bundesrepublik Deutschland darauf aufmerksam machen — dies gehört zu dieser Diskussion hinzu —, daß die Wehrdienstverweigerung in allen Staaten des Ostblocks unzulässig und strafbar ist.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982 8135
Bundesminister Dr. GeißlerEine Ausnahme macht hier nur Bulgarien. Es sieht jedoch als Ersatzdienst für 24 Monate Wehrdienst 120 Monate, also volle fünf Jahre Arbeit im Erzbergbau vor.
Das ist der Ersatzdienst in kommunistischen, in totalitären Staaten.Manche mißverstehen diesen Zusammenhang. Sie befürchten eine staatsnegierende, ja staatszerstörende Funktion des Art. 4 Abs. 3. Aber das Gegenteil trifft nach meiner Auffassung zu. Ich bin davon überzeugt, daß unser Staat durch den Gesetzentwurf der Koalition nichts an äußerer Sicherheit verliert; er wird aber, weil er auf der Verteidigungspflicht des Staates und der Gewissensfreiheit aufbaut, an innerer Kraft gewinnen und sich ein weiteres Mal als ein Staat legitimieren, der sich am Menschen und an der Unantastbarkeit seiner Würde als einzig sinnvollem Grund staatlichen Handelns orientiert und sich nicht selbst absolut setzt.
Wer sich dessen bewußt ist, wird aber gerade aus diesem Grund diesen Staat bejahen und ihn aus innerer Überzeugung unterstützen und verteidigen. Hierin liegt die verfassungspolitische Bedeutung der Gewissensfreiheit und die Chance, das staatspolitische Bewußtsein des einzelnen Bürgers und die von der Gemeinschaft der Bürger getragene und jeder totalitären Doktrin überlegene Staatsidee unseres freiheitlichen Rechtsstaates zu stärken. Aus diesem Grunde ist es so widersinnig und verwerflich, wenn in den vergangenen Jahren von einigen Organisationen — wir haben ja schon einige zitiert bekommen — der Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes als Rechtsgrundlage zum politischen Kampf gegen diesen Staat und seine verfassungsrechtliche Ordnung herangezogen wurde.
Ein größeres Mißverständnis dieses Grundrechtes kann es nicht geben. Durch diesen Mißbrauch werden der eigentliche Sinn des Art. 4 Abs. 3, nämlich der Schutz des Gewissens, aber auch alle diejenigen, die sich zu Recht auf ihr Gewissen und nur auf dieses Gewissen berufen, diskreditiert.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jaunich?
Sie wissen genau, daß ich keinen Zwischenfragen ausweiche. Das habe ich bei meiner letzten Rede hier bewiesen.
Aber ich habe von meiner Fraktion erhebliche Vorhaltungen bekommen, weil ich mindestens zehn Zwischenfragen zugelassen und dadurch sozusagen die Zeitplanung der Fraktion durcheinandergebracht habe.
Herr Bundesminister, es ist allein Ihre Entscheidung, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.
Der Bundesminister läßt keine Zwischenfrage zu.
Sie brauchen sich nicht aufzuregen. Bitte schön!
— Jungsozialisten habe ich zum Beispiel damit gemeint, wenn Sie das schon wissen wollen; die gehören ganz sicher dazu, Ihre eigene Jugendorganisation. Also diese Frage hätten Sie besser nicht gestellt. Das war ein Schuß in den Ofen.
Der echte, durch Art. 4 Abs. 3 wirklich berechtigte Wehrdienstverweigerer — davon bin ich überzeugt, und ich weiß, wovon ich rede — wird sich zu diesem Staat bekennen, der seine Menschenwürde achtet und gerade deswegen wert ist, verteidigt zu werden.Aus diesem Grunde erwarten wir zum Beispiel auch von den Kirchen, die aus gutem Grunde Beratungsstellen unterhalten, auch Unterstützung. Wir halten es nämlich für einen Verstoß gegen den Geist der Verfassung und gegen Ethik und Moral, wenn junge Soldaten, die durch ihren Dienst in der Bundeswehr überhaupt erst die Voraussetzungen dafür schaffen, daß der Wehrdienst verweigert werden kann, als Friedensfeinde gebrandmarkt werden
und ihnen die moralische und im Christentum begründete Legitimation für ihren Dienst abgesprochen wird.
Der Dienst in der Bundeswehr ist Dienst am Frieden und Dienst für die Gewissensfreiheit des einzelnen Bürgers.
Wenn wir der Verantwortung unseren jungen Mitbürgern gegenüber gerecht werden wollen, müssen wir — der Deutsche Bundestag — als Gesetzgeber und Verfassungsgeber ihnen einen zweiten wichtigen Grundsatz unserer Verfassung deutlich machen, auf dem dieser Gesetzentwurf der Koalition aufbaut: Es gibt keine Wahlfreiheit zwischen der Ableistung des Wehrdienstes und der Ableistung des Ersatzdienstes.
Das Grundgesetz sieht als einzige und primäre Dienstpflicht, wenn ich einmal von der allgemeinen Schulpflicht absehe, die Pflicht zum Dienst in den Streitkräften vor.
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8136 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982
Bundesminister Dr. GeißlerHerr Jaunich, das war eine sehr verräterische Handhabung der Begriffe. Sie haben immer nur vom weitgehenden Schutz der Kriegsdienstverweigerer gesprochen. Davon kann überhaupt nicht die Rede sein. Geschützt werden die Gewissensgründe, die jemand hat. Nur derjenige wird geschützt, der sich zu Recht auf sein Gewissen berufen kann, wenn er den Wehrdienst ablehnt. Das ist der entscheidende Punkt, den das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben hat. Der Ersatzdienst ist allein den Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen vorbehalten; d. h. nur derjenige kann den Wehrdienst verweigern, der die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 3 erfüllt. Das ist natürlich der Grund dafür, warum in den Entwurf der Koalitionsfraktionen eine entsprechende Vorschrift aufgenommen worden ist. Eine Umdeutung der Ersatzdienstpflicht in eine selbständige, neben der Verpflichtung zur Ableistung des Wehrdienstes stehende Alternativpflicht ist nicht möglich. Das heißt z. B.: Wer aus politischen Gründen den Wehrdienst verweigert, kann das Grundrecht auf Gewissensfreiheit für sich nicht in Anspruch nehmen. Das bedeutet meines Erachtens — dies möchte ich hier einmal sagen —: Wer im Hochschulbereich, an deutschen Universitäten z. B., für Waffen für El Salvador sammelt, macht sich unglaubwürdig, wenn er gleichzeitig das Recht auf Wehrdienstverweigerung für sich in Anspruch nimmt.
Weil es kein Wahlrecht gibt und nur derjenige, der wirklich aus Gewissensgründen heraus handelt, geschützt wird, muß gesetzlich ausgeschlossen werden, daß der wehrpflichtige Bürger den Wehrdienst nach Belieben verweigern kann. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu die notwendigen Ausführungen gemacht.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist klar, daß die Feststellung, ob wirkliche Gewissensgründe vorliegen — in Art. 4 Abs. 3 wird ja das Gewissen als Merkmal genannt —, die eigentliche praktische Schwierigkeit bedeutet. Das ist gar keine Frage. Man kann niemandem in sein Gewissen hineinsehen.
Aus diesem Grunde ist ja auch das bisherige Verfahren der Prüfung des Gewissens zu Recht kritisiert worden. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu die notwendigen Ausführungen gemacht. Es hat auch gesagt, daß es verfassungsrechtlich einwandfrei und möglich ist,
daß der Gesetzgeber den zivilen Ersatzdienst im Sinne einer Probe auf das Gewissen ausgestaltet.
Ich begrüße es deshalb, daß die Koalitionsfraktionen sich entschlossen haben, diesen Grundsätzendes Bundesverfassungsgerichts in ihrem Gesetzentwurf gerecht zu werden und eine entsprechende Ausgestaltung des Zivildienstes — insbesondere durch dessen Verlängerung — vorzunehmen.Über das jetzige Verfahren ist das Notwendige gesagt worden; 90 000 befinden sich im Antragsstau, fast 10 % sind älter als 28 Jahre. Der jetzige Zustand auf Grund des bisherigen Verfahrens kommt praktisch der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht gleich. Er bedeutet gleichzeitig auch eine schwere Ungerechtigkeit denjenigen gegenüber, die den Zivildienst ableisten. Außerdem ist die Tatsache, daß diese wichtige Frage nun seit langen, langen Jahren vom Parlament nicht geregelt worden ist, mit ein Grund dafür, daß viele junge Menschen an der Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie zu zweifeln beginnen.
Aus diesem Grunde war es notwendig, daß jetzt gehandelt wird, nachdem Sie volle sieben Jahre oder, wenn wir vom Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 1978 ausgehen, volle vier Jahre nicht in der Lage waren — das gilt auch für die alte Regierung —, einen entsprechenden Entwurf vorzulegen.
Es kann nach Auffassung der Bundesregierung nicht länger akzeptiert werden, daß Soldaten — so war es nach dem bisherigen Zustand — sofort eingezogen werden, Wehrdienstverweigerer dagegen gewissermaßen im Stau der Anträge verschwinden und damit weder Wehrdienst noch Ersatzdienst leisten.
Es kann auch nicht weiter hingenommen werden, daß sich Soldaten bis zum 25. Lebensjahr einsatzbereit halten müssen, Wehrdienstverweigerer aber unter Ausnutzung des jetzigen Verfahrens die Dauer desselben so ausdehnen, daß für sie dasselbe eintritt, nämlich daß sie auch keinen Wehrdienst und keinen zivilen Ersatzdienst mehr zu leisten haben.Um die mündliche Gewissensprüfung beseitigen zu können — dies ist geschehen — und gleichzeitig den zivilen Ersatzdienst als die eigentliche Probe auf das Gewissen auszugestalten, ist nach Auffassung der Bundesregierung eine Reihe von wichtigen Entscheidungen zu treffen.Erstens. Der zivile Ersatzdienst muß länger dauern als der Grundwehrdienst. Die von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagene Lösung ist nach Auffassung der Bundesregierung eine geeignete und zugleich verfassungsrechtlich einwandfreie Lösung. Dies möchte ich hier ausdrücklich feststellen.
Warum dies so ist, ist in den Diskussionsbeiträgengesagt worden. Diejenigen, die davon nicht über-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982 8137
Bundesminister Dr. Geißlerzeugt sind, darf ich noch einmal auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinweisen,
in dem festgestellt worden ist, daß die Verlängerung des zivilen Ersatzdienstes sogar bis auf 24 Monate verfassungsrechtlich möglich ist. Denn der Wehrdienst im Sinne der Verfassung umfaßt den Grundwehrdient plus Wehrübungen und sonstige Belastungen, die die Soldaten auf sich zu nehmen haben.
Als zweite Maßnahme: Für den Ersatzdienst müssen auch in Zukunft neue Aufgabenbereiche einbezogen werden. Der soziale, der sozialpflegerische Bereich muß Schwerpunkt des zivilen Ersatzdienstes bleiben. Aber wir brauchen neue Aufgabenbereiche, z. B. im Zivilschutz, beim Technischen Hilfswerk, beim Umweltschutz und beim Landschaftsschutz.Drittens. Der Ersatzdienst wird nur dann Probe auf die Gewissensentscheidung sein, wenn der Wehrdienstverweigerer weiß, daß er auf jeden Fall den Ersatzdienst leisten muß.
Nur dann wird der Ersatzdienst Probe auf das Gewissen sein. Und das wird nur dann möglich sein, wenn eine ausreichende Anzahl von Ersatzdienstplätzen zur Verfügung steht, die in ihrer Belastung der des wehrpflichtigen Soldaten entsprechen, und wenn anerkannte Wehrdienstverweigerer tatsächlich eingezogen werden. Die Bundesregierung wird dafür Sorge tragen, daß beide Voraussetzungen erfüllt werden.Dazu gehört vor allem, daß den Zivildienstpflichtigen zusammen mit ihrer Anerkennung verbindlich mitgeteilt wird, in welchem Monat sie mit einer Heranziehung zu rechnen haben.Dazu gehört aber auch, daß bestimmte bisher anerkannte Zivildienstplätze in der Zukunft nicht mehr anerkannt werden können. Ich bin der Auffassung, daß es in der Zukunft nicht mehr möglich sein soll, daß die einen Zivildienstleistenden schwere Aufgaben — z. B. in Krankenhäusern und in der Schwerbehindertenbetreuung — erfüllen und andere die Telefonzentralen von Jugenzentren betreuen und die Verwaltungsposten in irgendwelchen Organisationen besetzen. Ich halte es für nicht vereinbar mit der Gerechtigkeit — um ein weiteres Beispiel zu bringen —, daß eine große Anzahl von Zivildienstleistende und alle Soldaten zeitlich voll in Anspruch genommen werden, andere Zivildienstleistenden dagegen die Chance haben, neben dem Zivildienst z. B. ihr Studium fortzusetzen. Dies ist ungerecht und kann nicht aufrechterhalten werden.Viertens. Auch Zivildienstleistende sollten mehr als bisher genauso wie die wehrpflichtigen Soldaten damit rechnen müssen, daß sie auch heimatfern einberufen werden, soweit dies den Bedürfnissen des Zivildienstes entspricht.Dies alles hat, wie ich schon gesagt habe, zur Voraussetzung, daß die Zahl der Dienstplätze beim zivilen Ersatzdienst erhöht werden muß. Die Erhöhung ergibt sich vor allem auch daraus, daß der zivile Ersatzdienst um ein Drittel des Grundwehrdienstes verlängert werden soll. Außerdem muß der Antragsstau abgetragen werden. Die Bundesregierung wird die dazu notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen. Die von uns allen dringend gewünschte Gewährleistung der Wehrgerechtigkeit, aber auch der Gerechtigkeit innerhalb des Zivildienstes, muß uns auch finanzielle Opfer wert sein.
Das Wort hat der Herr Abgeordente Dr. Emmerlich.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Geißler ist der Auseinandersetzung mit den vorliegenden Gesetzentwürfen und mit der dazu vorgetragenen Kritik ausgewichen,
und zwar im wesentlichen dadurch, daß er sehr allgemein gehaltene grundsätzliche Erörterungen gepflogen hat,
allerdings auf einer dem Generalsekretär der CDU ja eigentümlichen, recht plakativen Ebene und einem entsprechenden Niveau.
— Ich will mich mit Rücksicht auf die geringe Zeit, die mir zur Verfügung steht, darauf nicht einlassen.
Aber eine Bemerkung ist ganz unerläßlich. Der Minister Geißler hat behauptet, es gebe Organisationen, die das Grundrecht auf Wehrdienstverweigerung zur Grundlage ihres politischen Kampfes gegen diesen Staat gemacht haben, und auf Rückfrage meines Kollegen Horst Jaunich, er möge doch mal konkretisieren, wen er meine,
hat er die Jusos genannt.
Ich stelle fest: Hier wird in bewährter Manier der Konservativen versucht, besonders mißliebige politische Auffassungen und besonders mißliebige politische Gegner zu Staatsfeinden und zu Verfassungsfeinden abzustempeln.
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8138 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982
Ich weise diese Art der politischen Auseinandersetzung zurück, und ich beklage, daß sie gerade bei einem Gegenstand stattfindet, der in der Hauptsache das Interesse junger Menschen findet und dadurch bei jungen Menschen ein zusätzliches Maß an Skepsis und Mißtrauen den Politikern gegenüber auslöst, insbesondere solchen, die sich in der Verantwortung eines Bundesministers befinden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Roth?
Ich habe 15 Minuten, und ich möchte um Verständnis dafür bitten, daß ich diese 15 Minuten für das ausschöpfen will, was ich selbst zu sagen gedenke.
Bei Gesetzentwürfen ist bekanntlich auf Alternativen zu den eigenen Lösungsvorschlägen hinzuweisen. Die CDU/CSU-FDP-Koalition behauptet auf dem Deckblatt ihres Entwurfs, die Alternative zu ihrem Vorschlag sei die Beibehaltung des bisherigen Zustandes. Sie täuscht die Öffentlichkeit darüber, daß es zu ihrem Vorschlag eine bessere Alternative gibt,
nämlich den bereits am 28. Oktober 1982 eingereichten Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion.
Warum ich auf diesen Umstand hinweise: weil er symptomatisch ist für das, was der Gesetzentwurf einer Koalition, die mit dem Anspruch der geistigmoralischen Erneuerung hausieren geht, in Wahrheit darstellt, nämlich eine Irreführung der deutschen Öffentlichkeit.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat recht, wenn er feststellt: von einer Abschaffung der Gewissensprüfung durch den CDU/CSU-FDP-Entwurf kann keine Rede sein. Richtig dagegen ist, daß die Gewissensüberprüfung in jedem Einzelfall nach wie vor stattfindet.Der Bundesjugendring hat kritisiert, in vielen Fällen drohe die alte inquisitorische Prüfungspraxis. Richtig ist, daß die mündliche Anhörung in der überwiegenden Zahl der Fälle nach wie vor stattfinden wird. Nach den bisherigen Erfahrungen muß leider davon ausgegangen werden, daß es dabei in zahlreichen Fällen zu peinlichen und quälenden Befragungen kommen wird, die von den Betroffenen in der Tat als inquisitorisch empfunden werden und nicht selten auch so empfunden werden müssen.
Das Bundesamt für den Zivildienst hat an Hand eines ausführlichen Lebenslaufes, einer persönlichen ausführlichen Begründung der Gewissensentscheidung sowie eines polizeilichen Führungszeugnisses zu prüfen, ob die Begründung der Gewissensentscheidung den Antrag rechtfertigt, und darüber hinaus, ob das Gesamtvorbringen des Antragstellers und die dem Bundesamt bekannten Tatsachen keine Zweifel an der Wahrheit der Angaben des Antragstellers begründen. Beim Bundesamt findet also bereits die erste Gewissensprüfung statt. Dabei ist dem Bundesamt einerseits ein unvertretbarer, der Willkür Tür und Tor öffnender Ermessensspielraum bei der Ablehung eines Antrags oder seiner Weiterleitung an den Ausschuß für Kriegsdienstverweigerung eingeräumt. Andererseits hat es nur auf wenige Ausnahmefälle begrenzte Möglichkeiten zur Anerkennung des Antragstellers als Kriegsdienstverweigerer. Diese Tendenz wird noch dadurch verschärft, daß die Beamten des Bundesamtes voll weisungsgebunden sind. Mit Hilfe seiner Weisungsbefugnis kann der CDU-Generalsekretär Geißler dafür sorgen, daß die Beamten des Bundesamtes von ihrer Befugnis zur Anerkennung nur in einer solchen Zahl und in solchen Fällen Gebrauch machen, die ins Weltbild der CDU/CDU passen.
Der Ausschuß für Kriegsdienstverweigerung muß prüfen, ob hinreichend sicher angenommen werden kann, daß die Verweigerung auf einer durch das Grundgesetz geschützten Gewissensentscheidung beruht, und zwar in aller Regel auf Grund einer persönlichen Anhörung des Antragstellers.Um allem die Krone aufzusetzen, erhält der nach wie vor vom Bundesminister für Verteidigung bestellte Vorsitzende der Ausschüsse, der bisher nur ein Beratungsrecht hatte, in Zukunft volles Stimmrecht mit der Folge, daß er die Entscheidung der Ausschüsse noch stärker als bisher bestimmen wird.
Kein Zweifel kann daran bestehen, daß das uns allen sattsam bekannte und von allen verständig und gerecht Denkenden als unerträglich empfundene Anerkennungsverfahren in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle unverändert bestehenbleibt.
Die FDP hat in ihren bisherigen Verlautbarungen die Abschaffung der Gewissensprüfung auf ihr Panier gehoben.
In der neuen Koalition hat sie die Abschaffung der Gewissensprüfung über Bord geworfen und verraten.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982 8139
Dr. EmmerlichDas zum Kapitel Scheinheiligkeit, Frau Adam-Schwaetzer!
Das ist ein erneuter beklagenswerter Beweis dafür, in welchem Zustand sich die Genscher-FDP in Wahrheit befindet.
Auf ihrem Hamburger Parteitag hat die CDU die Abschaffung der Gewissensprüfung beschlossen. Was viele befürchtet haben, ist eingetroffen. — Ich würde mich freuen, wenn der Vorsitzende der Jungen Union anwesend wäre; ich sehe ihn leider nicht.
Der Hamburger Beschluß war und ist nichts als Schall und Rauch.
Obwohl CDU/CSU und FDP die Gewissensprüfung beibehalten, verlängern sie die Dauer des Zivildienstes um ein Drittel der Wehrdienstzeit, jetzt also auf 20 Monate; wenn der Wehrdienst auf 18 Monate verlängert würde, also um sechs Monate auf 24 Monate, und wenn der Grundwehrdienst 24 Monate betragen sollte, um sage und schreibe 12 Monate auf 36 Monate.
Gestatten Sie ein Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Nein.Diese Kombination, Gewissensüberprüfung auf der einen Seite und Verlängerung und Verschärfung des Zivildienstes auf der anderen Seite,
ist verfassungsrechtlich in hohem Maße bedenklich, selbst wenn man die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. April 1978 zum Maßstab nimmt. Politisch ist sie schlechthin unerträglich.
Der CDU/CSU-Entwurf stellt keine Verbesserung des bisherigen Zustandes dar, sondern eine erhebliche Verschlechterung. Die SPD-Bundestagsfraktion wird ihn daher, wenn er in den bevorstehenden Beratungen nicht im Kern verändert wird, ablehnen.Der Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion bringt dagegen die Abschaffung der Gewissensprüfung, allerdings auch eine Verlängerung des Zivildienstes um drei auf neunzehn Monate. Letzteres ist insbesondere von Betroffenen kritisiert worden.Wir verkennen durchaus nicht, daß nach dem Grundgesetz die Dauer des Ersatzdienstes die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen darf. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, daß als Dauer des Wehrdienstes die Dauer des Grundwehrdienstes einschließlich der zulässigen Dauer der Wehrübungen anzusehen ist. Ich halte diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nicht überzeugend
und bin der Auffassung, daß es nicht auf die zulässige Dauer der Wehrübungen ankommen dürfte, sondern auf die durchschnittliche tatsächliche Dauer der Wehrübungen.
Aber das Bundesverfassungsgericht hat ein Interpretationsmonopol für die Verfassung; der Deutsche Bundestag ist an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gebunden.
Wer die Abschaffung der unwürdigen Gewissensprüfung will, der muß nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Verlängerung des Zivildienstes hinnehmen.Die Betroffenen bitte ich, an diejenigen Kriegsdienstverweigerer zu denken, die bei Beibehaltung der Gewissensüberprüfung abgelehnt werden würden, und, wenn sie ihrer Gewissensentscheidung treu bleiben, Gefängnisstrafen auf sich nehmen müßten. Wenigstens aus Solidarität mit diesen Kriegsdienstverweigerern sollte die von uns vorgeschlagene maßvolle Verlängerung des Zivildienstes akzeptiert werden.
Im weiteren Verlauf der Beratungen wird die SPD-Bundestagsfraktion eine Amnestieregelung beantragen. Dadurch soll denjenigen Kriegsdienstverweigerern, die bisher nicht anerkannt und wegen ihrer Verweigerung bestraft worden sind, auf Grund der von uns vorgeschlagenen Neuregelung aber anerkannt würden, Straffreiheit und Straferlaß gewährt werden.Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen. Der Entwurf der SPD-Bundestagsfraktion sorgt dafür, daß dem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung Geltung verschafft wird. Durch einen Zivildienst von 19 Monaten für alle Kriegsdienstverweigerer wird hinreichend gewährleistet, daß ein Mißbrauch des Kriegsdienstverweigerungsrechts nicht Platz greift, die Wehrfähigkeit unseres Landes nicht leidet. Der Entwurf der CDU/CSU-FDP-Koalition schränkt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in verfassungsrechtlich bedenklicher und politisch unerträglicher Weise ein. Besonders zu verurteilen ist, daß der Versuch unternommen wird, der Öffentlichkeit — insbesondere unserer Jugend — Sand in die Augen zu streuen über die wahren Inhalte dieses Entwurfs, daß er nämlich eine Verschlechterung gegenüber dem geltenden Rechtszustand ist und daß
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8140 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982
Dr. Emmerlichdie Gewissensprüfung beibehalten und die Gewissensfreiheit beeinträchtigt wird. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hartmann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Kollege Emmerlich, von welchem Entwurf haben Sie bei Ihrem Verriß hier eigentlich gesprochen? Der unsere kann es nicht gewesen sein;
denn bei uns gibt es keine Gewissensprüfung. Sie bauen hier einen Popanz auf, einen Pappkameraden, auf den Sie eindreschen, und dann behaupten Sie, das sei unser Entwurf.
Ich möchte Ihnen auch eine Information über den Verbleib des Kollegen Wissmann, den Sie hier apostrophiert haben, geben. Er ist Vorsitzender der Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat", die mit Genehmigung des Ältestenrates derzeit tagt. Aus diesem Grunde ist er nicht hier.Meine Damen und Herren, ich glaube, ich sollte wieder Ruhe und Sachlichkeit in die Diskussion bringen.
Zunächst die Feststellung: Mit der Einigung über den vorliegenden Gesetzentwurf zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes hat die Koalition der Mitte — CDU/ CSU und FDP — ihre politische Handlungsfähigkeit in einer schwierigen politischen Frage unter Beweis gestellt.
CDU/CSU und FDP haben damit in wenigen Wochen geschafft,
was mit der SPD seit viereinhalb Jahren nicht zu bewerkstelligen war, nachdem die alte Koalition zuvor die verfassungswidrige Postkartenregelung beschlossen hatte. Daß es zu dieser unglaublichen Säumnis gekommen ist, deren Auswirkungen mein Kollege Breuer und der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit zutreffend geschildert haben, lag nicht an der Union, auch nicht an der CSU. Verehrte Frau Kollegin Adam-Schwaetzer — ich sehe sie im Moment nicht, aber ich spreche sie trotzdem an —, warum denn dieser Schlenker gegen die CSU, den Sie in Ihrer ansonsten von uns zustimmend aufgenommenen Rede gebracht haben? Sie haben doch gesehen, zu welchen Kompromissen wir fähig und bereit sind, wenn man ernsthaft mit uns verhandelt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Grund für die Säumnis ist vielmehr die Weigerung der SPD — das sage ich Ihnen noch einmal —, aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1978, mit welchem das Postkartengesetz aufgehoben worden ist, die gebotenen Konsequenzen zu ziehen, nämlich einen verfassungskonformen und konsensfähigen Entwurf vorzulegen. Auch ich kann mir nicht verkneifen, daran zu erinnern, daß es Kollegen aus den Reihen Ihrer Fraktion, der SPD, gewesen sind, die eine Initiative der eigenen Fraktion am Ende der 8. Wahlperiode zu Fall gebracht haben. Sie waren sich ja nicht einmal untereinander einig.
Jetzt legt die SPD plötzlich einen Entwurf vor — vermeintlich gut getimed.
Gleichzeitig reden Sie, Herr Jaunich, aber vom Durchpeitschen. Nachdem ja wohl davon auszugehen ist, daß auch Sie am 6. März 1983 wählen wollen und die Modalitäten und die verbleibenden Zeiten kennen, müßte ja Ihr Entwurf auch durchgepeitscht werden. Was soll also diese vordergründige Polemik?Politisch-taktisch ist das Vorhaben der SPD durchsichtig. Die Zielrichtung ist leicht auszumachen. Es soll Zwietracht unter die Koalitionspartner CDU/CSU und FDP gesät werden, vor allem zwischen die FDP und die CSU.
Doch das Thema, um das es geht, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist zu ernst, um als taktisches Spielmaterial oder als potentieller Spaltpilz benutzt zu werden.
Die taktische Stoßrichtung Ihres Entwurfes verrät Ihre geistige Haltung zu diesem Regelungskomplex. Sie wollen das Problem zur Keule gegen den politischen Gegner umfunktionieren.
Ihre Polemik ist vordergründig, vielleicht mit der Betonung auf „grün".Und Ihre Angriffe, Herr Kollege Emmerlich, auf den Bundesminister Dr. Geißler weise ich zurück. Er hat mit keinem Wort in seiner Rede und auch sonst nicht politisch andersdenkende Demokraten zu Staatsfeinden erklärt. Er wird auch beim Gesetzesvollzug, bei seiner Rechtsaufsicht über das Bundesamt für den Zivildienst nicht an politische Weltbilder gebunden sein, sondern nach Recht und Gesetz zu entscheiden haben. Bei uns allerdings ist das identisch.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982 8141
HartmannMeine sehr verehrten Damen und Herren, Tausende von jungen Leuten erwarten eine sachlich fundierte Neuregelung und keine taktischen Spielereien.
Ich würde nun wirklich gern einen Appell zur Zusammenarbeit an Sie richten, aber ich halte das angesichts der Art, wie Sie hier auftreten, für sinnlos, für sinnlos auch deshalb, weil Ihr Entwurf keinerlei Basis für eine auch nur annäherungsweise Zusammenarbeit hergibt.
— Ich kann Sie nicht daran hindern, sich hier wie Rumpelstilzchen aufzuführen. Ich gehe aber davon aus, daß die Zeit, die Sie mir dadurch wegnehmen, bei der Bemessung meiner Redezeit berücksichtigt wird. Zwischenfragen lasse ich nicht zu, wie ich gleich von vornherein sage.
— Ich werde das, was ich zu sagen habe, Ihnen mit so hinreichender Vollständigkeit mitteilen, daß Sie dazu gar keine Veranlassung haben werden.
Für die Anerkennung als Wehrdienstverweigerer verlangen Sie als einzige Voraussetzung eine Erklärung — ich zitiere aus Ihrer Begründung, „die aus wenigen Sätzen bestehen kann". Das aber ist lediglich ein veredeltes Postkarten-Verfahren, also Kurzbrief statt Postkarte.Wie verträgt sich eigentlich dieses Verfahren mit jenen Sätzen aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1978, die da lauten:Je bedeutsamer für die Allgemeinheit und belastender für den einzelnen jedoch die Gemeinschaftspflicht ist, mit der die vorgetragene individuelle Gewissensentscheidung in Konflikt gerät, um so weniger kann der die Erfüllung einer Pflicht für die Gemeinschaft fordernde Staat darauf verzichten, im Rahmen des Möglichen die in Anspruch genommene Gewissensposition festzustellen. Das Grundgesetz läßt nicht zu, daß die bloße Erklärung, man sei aus Gründen des Gewissens gegen den Kriegsdienst mit der Waffe, die Freistellung von dem an sich gesetzlich von jedermann geforderten Wehrdienst bewirkt.Nach Ihrem Entwurf soll die Dauer des Zivildienstes lediglich um vier Monate über der des Wehrdienstes, also bei 19 Monaten, liegen. Ich komme noch darauf zurück. Aber für wie kompetent gelten in Ihrer Fraktion eigentlich noch die früheren Bundesminister für Verteidigung und Justiz, Apel und Schmude, die sich auch für 20 Monate Zivildienst ausgesprochen haben? Ihr Gesetzentwurf, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, würde gerade dazu führen, daß der wehrpflichtige Bürger den Wehrdienst nach Belieben verweigern könnte.Ihr Entwurf öffnet den unechten Verweigerern zu Lasten der echten Verweigerer und der dienenden jungen Bürger Tür und Tor. Und er führte geradewegs zu De-facto-Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht und verletzte die Wehrgerechtigkeit eklatant.
Noch einen Aspekt möchte ich nennen, der insbesondere die vielen Wehrdienstleistenden sehr interessieren wird. Je mehr Erklärungen auf Wehrdienstverweigerung nach Ihrem Entwurf abgegeben würden, desto mehr stiege für Nichtverweigerer die Wahrscheinlichkeit, zum Wehrdienst einberufen zu werden, während umgekehrt für Verweigerer die Möglichkeit, zum Zivildienst herangezogen zu werden, laufend geringer würde.Als unseriös muß deshalb auch Ihre Absicht bezeichnet werden, daß Gesetz am Tage seiner Verkündung in Kraft treten zu lassen. Was wird denn dann eigentlich aus dem Stau von fast 100 000 Antragstellern, noch dazu, wo Sie die Altersgrenze von 28 Jahren nicht heraufsetzen wollen? Der Anstieg der Verweigererzahlen, 19 Monate Zivildienst und 100 000 Anträge im Stau würden auf einen Schlag eine Kapazität von Zivildienstplätzen erfordern, die niemals in geeigneter Form kurzfristig bereitgestellt werden kann. Da reden Sie von Durchpeitschen! Hier wird Ihr geplantes Gesetz zur Farce. Die Wehrgerechtigkeit wird mit Füßen getreten. Die echten Verweigerer werden diskreditiert, und der Bundeswehr wird ernster Schaden zugefügt,
von der Ignorierung des Bundesverfassungsgerichtsurteils von 1978 ganz zu schweigen.Demgegenüber ist unser Entwurf ehrlicher, gerechter: seine praktischen Auswirkungen im konkreten Einzelfall sind kalkulierbarer, und er entspricht dem Auftrag und den Leitlinien des Bundesverfassungsgerichts.
Sein Grundgedanke ist: Durch den weitgehenden Wegfall des bisherigen Prüfungsverfahrens für ungediente Antragsteller wird die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer verfahrensmäßig leichter, ohne allerdings zur bloßen Farce zu werden. Durch die Verlängerung der Zivildienstdauer um ein Drittel des Wehrdienstes, durch die verbesserte Ausgestaltung des Zivildienstes und durch die steigende Aussicht auf tatsächliche Einberufung wird die bewußt akzeptierte Perspektive des Zivildienstes zum tragenden Indiz für das Vorliegen und die Ernsthaftigkeit einer Gewissensentscheidung. Genau diese Voraussetzung will das Bundesverfassungsgericht erfüllt sehen.Meine Damen und Herren nach unserer Grundordnung haben Einrichtung und Funktionsfähigkeit der Bundeswehr verfassungsrechtlichen Rang. Deshalb kann es kein der Beliebigkeit des einzelnen überlassenes Wahlrecht zwischen Wehrdienst
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8142 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982
Hartmannund Ersatzdienst — dies ist die Wortwahl des Grundgesetzes — geben. Die allgemeine Wehrpflicht ist als Grundpflicht die Regel, die Verweigerung ist die von der Verfassung ermöglichte Ausnahme: Ersatzdienst tritt an die Stelle des rechtmäßig verweigerten Wehrdienstes.Es muß eine größtmögliche Wehrgerechtigkeit herrschen. Wer den Ersatzdienst als beliebige Alternative neben die allgemeine Wehrpflicht stellt, verstößt gegen das Verfassungsgebot der staatsbürgerlichen Pflichtengleichheit und verhindert damit Wehrgerechtigkeit. Dieser Wehrgerechtigkeit kommt unser Entwurf ein gutes Stück näher. Jeder Antragsteller wird davon ausgehen können, daß er nach einem fairen, sauberen verwaltungsförmlichen Anerkennungsverfahren im Falle seiner Anerkennung auch wirklich zum Ersatzdienst einberufen wird. Dies ist der entscheidende Punkt.Völlig ungerechtfertigt und vor allem falsch sind die Vorwürfe, die Koalition würde mit der Zivildienstdauer die Verfassung verletzen. Durch die Verlängerung soll hinreichend sichergestellt werden, daß die Verweigerung des Wehrdienstes nicht über die von der Verfassung gezogenen Grenzen hinaus der freien, möglicherweise von anderen Motiven getragenen Entscheidung anheimgegeben wird. Nur der kann als Kriegsdienstverweigerer anerkannt werden, bei dem mit hinreichender Sicherheit angenommen werden kann, daß in seiner Person die Voraussetzungen der Gewissensentscheidung erfüllt sind.Von vielen Kritikern unseres Entwurfs wird einfach ignoriert, daß das Bundesverfassungsgericht selbst bei der gegenwärtigen Wehrdienstdauer von 15 Monaten eine Ausdehnung des Zivildienstes auf 24 Monate für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten hat. Dabei kommt es im Prinzip nicht auf eine Vergleichbarkeit der Rechte und Pflichten im Wehrdienst und im Ersatzdienst an, welche im Verhältnis unseres Entwurfes selbstverständlich gegeben ist. Der Ersatzdienst hat in diesem Zusammenhang bei einer solchen Regelung nicht die Funktion, eine möglichst weitgehende Gleichförmigkeit der Pflichten und Belastungen zu gewährleisten, sondern allein die Aufgabe, hinreichend sicherzustellen, daß nur diejenigen Wehrpflichtigen als Kriegsdienstverweigerer anerkannt werden, die sich zu Recht auf Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes berufen. So das Bundesverfassungsgericht.Über die Frage, ob mit der Drittelverlängerung das richtige Maß gefunden ist, wird wahrscheinlich noch lange diskutiert und gestritten werden. Aber haben Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, in dieser Frage den Stein der Weisen gefunden? Sie wollen in Ihrem Entwurf die Dauer des Ersatzdienstes auf 19 Monate festsetzen, also 15 Monate Wehrdienstdauer plus 4 Monate Zuschlag. Das ist eine Verlängerung um den 3,75ten Teil des Wehrdienstes. In unserem Entwurf beträgt der Verlängerungsbruchteil arithmetisch, um es ganz genau zu nehmen, 3,33. Wollen Sie ernsthaft behaupten, daß exakt entlang dieses Verlängerungsbruchteils die Grenze der Verfassungswidrigkeit verläuft?
Sind bei 15 Monaten Wehrdienstdauer 19 Monate noch verfassungskonform und 20 Monate eine verfassungswidrige Bestrafung?Was die Verlängerung um ein Drittel bei einer möglichen künftigen Heraufsetzung der Dauer des Wehrdienstes anlangt: Wenn der Wehrdienst auf 18 Monate verlängert wird, was unumgänglich sein wird, dann müßten doch auch Sie ehrlicherweise den Ersatzdienst entsprechend verlängern; Sie könnten es dann nicht mehr bei 19 Monaten belassen, auch wenn Sie dies in Ihrem Gesetzentwurf nicht vorgesehen haben. Dies ist doch eine der Unehrlichkeiten, mit denen dieser Entwurf behaftet ist.
Herr Abgeordneter, ich kann so schwer dazwischenkommen, weil bei Ihnen ein Satz immer wieder in den nächsten übergeht. Deswegen frage ich Sie jetzt einfach einmal: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jaunich?
Nein, es tut mir leid.
Ich bin ja sowieso zeitlich schon sehr im Druck. Sie führen die Öffentlichkeit irre,
in diesem Punkt und auch in vielen anderen.Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Das beste Gesetz taugt nichts, wenn es nicht nach dem Willen des Gesetzgebers vollzogen werden kann. Das bedeutet konkret: Es müssen seitens des Bundes und der Länder alle Anstrengungen unternommen werden, um die notwendigen Zivildienstplätze zu schaffen und deren Finanzierung zu sichern. Durch den Abbau des Antragsstaus, die Verlängerung des Zivildienstes um ein Drittel des Grundwehrdienstes, die Ersetzung ungeeigneter Zivildienstplätze durch solche, die den Anforderungen des neuen Gesetzes entsprechen, und durch die vollständigere Heranziehung verfügbarer Zivildienstpflichtiger wird sich die Zahl der benötigten zusätzlichen Plätze und damit auch der hierfür erforderliche Finanzbedarf sehr beträchtlich erhöhen. Ich möchte hier auf eine Bedarfs- und Kostenrechnung verzichten; absehbare Zahlen wird die Bundesregierung sicherlich nennen. Entscheidend ist für mich die Grundaussage des Finanzministers, daß er die Erfüllung dieser sachlichen und politischen Notwendigkeit nicht durch einen Finanzierungsvorbehalt in Frage stellen wird.Die Koalition der Mitte bringt hiermit ein Gesetzeswerk auf den Weg, welches einen wichtigen Bereich des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger regelt. Die Belange der staatlichen Gemeinschaft
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Hartmannund diejenigen des einzelnen Bürgers müssen dabei genau abgewogen werden. Unter den Betroffenen darf es keine Ungleichbehandlung im weitesten Sinne und keine Ungerechtigkeit geben.
Mit diesem Gesetzentwurf
unternimmt die Koalition der Mitte aus CDU/CSU und FDP den mutigen Versuch, diesen hohen Anforderungen zu entsprechen.Namens meiner Fraktion bitte ich das Hohe Haus, den Gesetzentwurf auf den weiteren parlamentarischen Weg und möglichst bald zur Verabschiedung zu bringen. Wenn sich das Gesetz bewährt, wird es über den 30. Juni 1986 hinaus fortgelten, bewährt es sich nicht, so können und müssen wir rechtzeitig die gebotenen Konsequenzen ziehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Bergerowski.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will nur noch ein paar Anmerkungen zu dem machen, was hier eine so große Rolle gespielt hat. Es war ja sehr viel Emotion in dieser Debatte.Wer wie ich die Diskussion über die Neuordnung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung verfolgt hat — ich bin zwar erst zwei Jahre Mitglied dieses Hauses, aber ich habe die Debatte in den Jahren zuvor von außen verfolgt —, den mutet die heutige Debatte angesichts der Schuldzuweisungen natürlich gespenstisch an. Wer sich die Unzahl von Gedanken, Bemühungen und Sitzungen vor Augen führt und die Berge von Entwürfen und Protokollen nachliest, der weiß am Ende natürlich, daß hier zwar von allen Seiten her versucht wurde, eine Lösung herbeizuführen, daß aber keine geschafft wurde. Die Schuld läßt sich fein auf alle verteilen, die hier herumsitzen, weil die Ausgangspositionen halt so unterschiedlich waren. — Herr Hartmann, ich muß Ihnen natürlich auch sagen: So unschuldig war die CDU/CSU dabei nicht, vor allem was die Frage der Mitwirkung der Länder betrifft. Man kam eben nicht zueinander, weil die Ausgangspositionen so weit voneinander entfernt waren.Als Sprecher meiner Fraktion kann ich sagen: Wir hatten immer ein klares Konzept. Dieses Konzept war mit niemandem — ohne daß es Abstriche zu machen galt — durchsetzbar, nicht mit der SPD und zugegebenermaßen noch weniger — vergegenwärtigt man sich die Diskussionen der vergangenen Jahre — mit der CDU/CSU.
— Ich denke an die Frage der Verlängerung und vieles andere mehr.Ich will das gar nicht weiter ausdiskutieren. Es gab viele Anläufe. Anlaß war für uns diesmal, dieses lästige, unwürdige und auch sehr weit in den privaten Bereich eingreifende Verfahren weitgehend abzuschaffen. Statt dessen wollen wir — wie es das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch zuläßt, entgegen einer Formulierung in dem GrundrechtsArtikel selbst, die ja in der Öffentlichkeit immer gebraucht wird — eine Verlängerung des Zivildienstes.Ich gehe jetzt einmal auf die Frage ein: ob es uns wirklich gelungen ist, das, was als Gewissensprüfung dargestellt wird, wenigstens für den Großteil der Verfahren durch die Lösung wegzubekommen, die jetzt die Koalition vorschlägt. Sie haben sicher recht, wenn Sie sagen: Es gibt ja doch noch eine Überprüfung, nämlich die Überprüfung der Schlüssigkeit der Begründung, die der Antragsteller vorlegt. Ich sage Ihnen dazu — das ist auch das, was wir in den Kommissionen vorbesprochen hatten —: Der Sinn dieses Verfahrens besteht eben darin — das muß dann auch am Ende der Beratungen in den Begründungen des Rechtsausschusses und der anderen Ausschüsse, in denen der Gesetzentwurf diskutiert wird, zum Ausdruck kommen —, gerade nicht wieder eine Überprüfung durch die Hintertür zu ermöglichen.
— Was ich sage, entspricht dem Willen der Koalition, so wie ich ihn selbst in der Phase der Beratungen empfunden habe.
Ich muß deutlich sagen: Wenn es in der gesetzlichen Fassung wirklich Mängel gibt — darüber können wir sehr wohl reden —, dann muß das korrigiert werden, dann machen wir das miteinander, Herr Emmerlich, dann denken wir darüber nach, ob da etwas geändert werden muß.Vor allem geht es aber darum, daß die Darlegung der Gründe und Überlegungen, die einen Antragsteller zur Wahrnehmung seines Grundrechts auf Verweigerung des Wehrdienstes bewogen haben, in sich plausibel und schlüssig sein muß. Das ist das, was der Gesetzesvorschlag erreichen will. Der Gesetzesentwurf hat hingegen nicht zum Ziel, daß es zu einer intensiven Ausforschung des Entscheidungsvorganges des Antragstellers kommt, d. h., auch die schriftliche Darlegung muß nicht in dem Sinne umfassend sein, daß sie an der umfassenden Rechtsprechung, die entwickelt wurde, gemessen wird. Wir wollen vielmehr eine plausible, in sich schlüssige Darlegung haben, die mit dem Satz endet: Aus diesen Gründen kann ich einen Menschen nicht töten und deshalb den Dienst in der Bundeswehr nicht leisten. Das ist das Ziel dieser Art des Verfahrens.Um es ganz deutlich zu sagen — das war auch eine der Vorgaben —: Wir wollen erreichen, daß die große Zahl der Verfahren auf diese Art und Weise erledigt werden kann. Wir wollen vermeiden, daß der Großteil nach dem in der Tat dann noch vorhandenen Verfahren relativ alten Stils erledigt wird.
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8144 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rayer?
Bitte schön.
Herr Kollege, können Sie bestätigen, daß das Verfahren, wie Sie es eben geschildert haben, die Chancen derjenigen erhöht, die auf Grund höherer intellektueller Fähigkeiten eher in der Lage sind, eine solche plausible Erklärung abzugeben?
Ich habe mir diese Frage oftmals gestellt. Vorhin fiel das Stichwort, daß das ein „Abiturientenverfahren" sei. Ich meine aber, das ist nicht der Fall, wenn wir es recht verstehen und wenn wir es auch schaffen, mit der Begründung des Gesetzentwurfs denjenigen, die darüber zu befinden haben, plausibel zu machen, daß auch Darstellungen schlüssig sein können, die von Leuten vorgebracht werden, deren Art, etwas darzustellen, viel einfacher ist. Das ist eine Aufgabe, die wir in dem Gesetzgebungsverfahren der nächsten paar Tage leisten können: Andeutungen und Anregungen zu machen, wie das Verfahren in der Praxis auszugestalten ist. Ich meine, das ist zu leisten. Daran braucht dieses Gesetz nicht zu scheitern.
Der politische Wille, der formuliert werden muß, ist klar: Wir wollen das lästige Gewissensprüfungsverfahren herkömmlicher Art nicht mehr durchführen, dieses Eindringen in den privaten Bereich, das Erforschen subjektiver, persönlicher, innerer Auffassungen. Das ist auch sichtbar bei dem Beweisverfahren. Da geht es nur um äußere Tatsachen, nicht um innere. Wir wollen das ganze Beweisverfahren freihalten von dem Ausforschen eigener Entscheidungen, die in einem selbst reifen. Das alles soll nicht mehr in dem Maße wie bisher stattfinden, jedenfalls nicht mehr in dem Verfahren vor dem Bundesamt.
Man muß ganz deutlich sagen, daß der Versuch gemacht wird, wirklich zu einer Änderung des Verfahrens, zu einer Erleichterung im Anerkennungsverfahren, die vielen Mitbürgern zugute kommt, zu gelangen.
Es ist doch gar keine Frage, daß das, was jetzt als Kompromiß vorgelegt worden ist, auch für jemanden, der als FDP-Abgeordneter die Aufgabe hat, ein neues Gesetz zu formulieren, bedeutet, Abstriche von seinen Vorstellungen zu machen.
Daß ich mir das alles auch anders hätte vorstellen können, ist in unseren Verhandlungen sichtbar geworden. Aber wenn wir überhaupt ein Stück weiter kommen, im Prinzip jedenfalls zu einem erträglicheren Verfahren kommen wollen, muß ich sagen, daß ich diesen Gesetzentwurf mittrage. Und ein erträglicheres Verfahren wird, glaube ich, auf diese Art und Weise erreicht.
Wir sollten die Diskussion über die Gesetzentwürfe im übrigen in die Ausschüsse verlagern. Wir sollten freilich nicht so tun, als wäre nicht auch in Ihrem Gesetzentwurf ein bestimmter Gesichtspunkt enthalten. Wenn Sie heute mit einer Verlängerung auf 19 Monate kommen, dürfen Sie draußen doch nicht den Eindruck erwecken, als hätten Sie dann, wenn eine Verlängerung der Wehrdienstzeit notwendig gewesen wäre, nicht auch die von Ihnen ins Auge gefaßte Verlängerung der Ersatzdienstzeit erhöhen müssen. Das ist doch eine ganz logische Sache. Sie können ja nicht das Prinzip dieses Gesetzes ändern. Wir haben ein Prinzip aufgenommen, das Sie in Ihrem eigenen Gesetz wahrscheinlich selbst von vornherein verankert hatten. Da ist gar nichts anderes enthalten. Wir haben der CSU mit ihrem Vorschlag von 24 Monaten nicht stattgegeben, sondern wir haben ein logisches Prinzip eingebaut, das der denkbaren Verlängerung der Wehrdienstzeit und damit der denkbaren und notwendigen Verlängerung der Ersatzdienstzeit Rechnung trägt.
— Das ist eine formale Argumentation, daß diejenigen, die das mit verfolgen, darüber nicht nachdenken. Machen wir es uns doch bitte nicht so einfach, nur auf die Leute draußen wirken zu wollen.
Ich glaube, „Irreführung" war wirklich nicht der richtige Begriff. Die Ansatzpunkte, die ich formuliert habe, sind das, was wir uns vorgestellt haben. Man sollte das nicht so dramatisieren. Wir waren in vielerlei Beziehung sicherlich auf einem guten Weg, auch mit Ihnen zusammen zu einer Lösung zu kommen. Vielleicht hätte auch die alte Regierung, selbst sogar zusammen mit der CDU/CSU, ein Gesetz auf den Weg bringen können.
Ich glaube jedenfalls, daß das, was jetzt hier vorliegt, verträglich ist. Ich habe viele Bedenken in anderer Beziehung. Ich werde das im Ausschuß auch noch vorbringen. Ein paar Dinge erscheinen mir korrekturbedürftig, bei denen wir präziser werden müssen, bei denen wir vielleicht das klarstellen müssen, was ich jetzt hier gesagt habe. Das ändert nichts daran, daß ich glaube, daß wir auf dem rechten Weg sind. — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, Dr. Vogel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Das Thema der heutigen Debatte berührt zweiffellos auch die Länder. Ich gehe davon aus, daß das Gesetz der Zustimmung des Bundesrats bedarf.
Deswegen ist es sicher richtig, daß auch von Länderseite hier ein paar Bemerkungen dazu gemacht werden, und zwar insbesondere deswegen, weil das Land Rheinland-Pfalz vor einigen Monaten im Bundesrat angekündigt hat, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen, wenn die Sache nicht zu einer Erledigung kommt.
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Ministerpräsident Dr. Vogel
Das scheint nun allerdings der Fall zu sein. Daher begrüße ich es, daß das Thema heute behandelt wird und daß offensichtlich die Absicht besteht, den Gesetzentwurf noch in diesem Bundestag zu verabschieden.Es ist mehrfach ausgedrückt worden, daß die Regelung überfällig ist. Meine Damen und Herren, seit 1974, also seit acht Jahren, wird jetzt versucht, eine Neuordnung durchzusetzen, und noch immer haben wir eine Regelung, von der alle erklärt haben, daß sie nicht gut sei. Das ist die einzige Übereinstimmung, die bisher besteht.Der erste Anlauf ist gescheitert, weil Bundespräsident Scheel seine Unterschrift unter ein Gesetz verweigert hat. Vor genau fünf Jahren, Ende November 1977, hat vor dem Bundesverfassungsgericht die mündliche Verhandlung über den zweiten Anlauf stattgefunden. Sie wissen, daß das dazu geführt hat, daß im Frühjahr 1978 die Postkartenlösung verworfen wurde. Schließlich hat dann eine Gruppe von sozialdemokratischen Abgeordneten zu einem Initiativantrag der eigenen Fraktion die Zustimmung versagt, der gegen Ende der 8. Legislaturperiode eingebracht worden war.Ich glaube, es wird also tatsächlich höchste Zeit, daß wir eines der drängendsten Probleme der jungen Generation lösen. Meine Damen und Herren, machen Sie sich doch bitte bewußt, daß für junge Leute an keinem anderen Thema mehr deutlich wird, ob eine Demokratie nur redet und diskutiert oder ob eine Demokratie auch entscheiden kann.
Die innere Distanz gerade vieler junger Leute unserem Staat und seinen Einrichtungen gegenüber entsteht doch weniger, weil der einzelne mit bestimmten Entscheidungen, die parlamentarische Mehrheiten treffen, nicht einverstanden ist. Dagegen kann man etwas tun; dagegen kann man argumentieren, oder dagegen kann man bei der nächsten Wahl auch stimmen. Die innere Distanz, die Verdrossenheit erwächst doch daraus, daß man miterleben muß, daß es über Jahre nicht gelingt, überhaupt eine Entscheidung zu treffen.
Aus diesem Grunde, verehrter Herr Abgeordneter Jaunich, der Sie am Anfang der Debatte gesprochen haben, gehen die negative Bewertung dieses Entwurfs, die Sie vorgenommen haben, und der Vergleich zu anderen Entwürfen, den Sie gezogen haben, schon deswegen fehl, weil ich in der Tat nach acht Jahren sagen muß: Wenn es überhaupt gelingt, ein Gesetz zustande zu bringen, das verfassungskonform ist, dann ist schon mehr erreicht, als seit zehn Jahren in dieser Sache erreicht worden ist.
— Ein Nenner, der eine Sache nach acht JahrenDiskussion zur Entscheidung bringt, ist jedenfallsgrößer als die Fortsetzung der Diskussion über andere denkbare, aber nicht mehrheitsfähige Entwürfe, Herr Kollege.
Als ich Ende September, Anfang Oktober in der Koalitionsvereinbarung gelesen habe, zu diesem Thema werde eine Kommission eingesetzt, bin ich ehrlicherweise erschrocken. Denn in Deutschland, meine Damen und Herren, heißt Einsetzen einer Kommission in der Regel ein Thema vertagen. Ich bin um so mehr erfreut, daß diese Kommission nicht nur getagt, sondern auch ein Ergebnis — und das so schnell — gehabt hat. Ich weise dabei darauf hin — das hat einer meiner Vorredner schon zu Recht getan; ich glaube, es war eine Dame —, daß Arbeiten aus diesem Haus, der Zwischenbericht der Enquete-Kommission beispielsweise, ganz offensichtlich in das, was jetzt diskutiert worden ist, Eingang gefunden haben.Ich möchte nun ein paar für mich wichtige Grundpositionen vortragen.
— Inhaltliche Grundpositionen, ganz recht. Nur, Herr Kollege Sielaff, die Summe Ihrer Zwischenrufe, die Sie heute vormittag hier gemacht haben, macht noch keinen Beitrag.
Aber das kann ja noch kommen. Sie haben ja die Möglichkeit, das noch nachzuholen.
— Jeden Zwischenruf, wie den von Herrn Sielaff, den ich verstehe, nehme ich gern auf. Aber wenn gleich mehrere rufen, dann geht das nicht, es sei denn, sie rufen das gleiche. Aber das ist nicht der Fall.Also, meine Damen und Herren, einige wichtige Punkte: Erstens. Ich gehe davon aus, daß die eigentliche verfassungsrechtliche Dienstpflicht der Wehrdienst ist und bleibt. Ersatzdienst soll — das sagt doch wohl schon die Wortwahl des Grundgesetzes— nur an die Stelle des rechtmäßig verweigerten Wehrdienstes treten. Ich betone noch einmal: Das Grundgesetz schafft keine Wahlfreiheit zwischen Wehrdienst und Ersatzdienst.
Zweitens. Sieht sich der Wehrpflichtige aus Gewissensnot nicht imstande, die Gemeinschaftspflicht des Wehrdienstes zu erfüllen, so muß die Ernsthaftigkeit dieser Entscheidung hinreichend sichtbar, erkennbar sein. Sonst wird eben der Tatsache, daß Ersatzdienst an die Stelle von Wehrdienst tritt und es hier kein Wahlrecht gibt, nicht Genüge getan.
Drittens. Wir wollen den jungen Leuten die Chance geben — statt der bisherigen mündlichen Erörterung höchstpersönlicher Gewissensnöte, was
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8146 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982
Ministerpräsident Dr. Vogel
ungut war —, ihre Bereitschaft zur Konsequenz durch die Tat zu beweisen. Ich begrüße daher, daß im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Ausgestaltung des Zivildienstes im Hinblick auf Anforderung und Dauer zur eigentlichen Probe
auf die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung wird. Meine Damen und Herren, nicht das Verfahren, sondern Anforderung und Dauer des Ersatzdienstes werden zur eigentlichen Probe auf die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung.
Ich halte das übrigens gerade im Interesse derer, die Gewissensgründe haben, für notwendig.
Denn, meine Damen und Herren — auch das füge ich hinzu —: Die, die Gewissensgründe haben, müssen vor dem Vorwurf, den einfacheren und leichteren Weg zu wählen, geschützt werden.
Auch das ist unsere Verpflichtung bei der Ausgestaltung dieses Textes.
Natürlich muß man sich auch Gedanken über ein sachgerechtes Verwaltungsverfahren machen, um die Erklärung der Wehrpflichtigen entgegenzunehmen, und man muß das Recht haben, offenkundigem Mißbrauch zu begegnen. Auch dieser Grundgedanke muß sich doch in einem solchen Gesetz finden.Herr Abgeordneter Emmerlich, Sie haben das Stimmrecht für den Vorsitzenden kritisiert. Nun lesen Sie doch den ganzen Paragraphen. Es ist doch nicht so, daß hier der Sache, wie Sie gesagt haben, der Gipfel aufgesetzt wird, sondern die Zusammensetzung der Ausschüsse und Kommissionen wird verändert. Es sind nicht mehr vier, sondern nur noch drei Mitglieder. Dadurch ändert sich die Sache. Man muß, auch wenn man ablehnt, doch bitte den ganzen Inhalt eines Artikels prüfen und kann nicht ein Stück herausziehen und sagen: Da sieht man es wieder, das war der Grund, so zu formulieren, oder: die Weisungsbefugnis des Ministers soll statuiert werden. Schauen Sie, Herr Kollege Emmerlich, ich habe vor wenigen Wochen in der ebenso heiklen Asylantenfrage noch unter der alten Bundesregierung eine lange und engagierte Darlegung genauso für die Regelung in der Asylantenfrage von Ihrer Seite gehört, wie sie jetzt in dieser Frage hier auch eingeführt wird. Sie müssen doch Prinzipien, die Sie aufstellen, nicht nur gelten lassen, wenn Sie die Dinge machen, sondern auch, wenn sie andere machen; sie sind eben einfach zweckmäßig.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jaunich, Herr Ministerpräsident?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, gerne.
Herr Ministerpräsident, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Vorwurf, den sowohl der Kollege Emmerlich als auch ich in dieser Frage erhoben haben, im Zusammenhang mit der Tatsache vorgebracht wurde, daß das Recht, die Vorsitzenden der Ausschüsse und Kammern zu bestimmen, beim Bundesminister der Verteidigung bleibt und damit eine gewisse Interessenkollision nicht auszuschließen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Natürlich. Das habe ich ja gerade gesagt. Es ist hier genauso wie bei den Asylantenkammern — und das ist auf Ihren Antrag hin so bestimmt worden —, wo die letzte Instanz der Bundesinnenminister ist. Das haben Sie hineingeschrieben. Wir haben neun Stunden, wir haben eine ganze Nacht im Vermittlungsausschuß über diese Frage verhandelt, Herr Kollege. Genau dasselbe wird jetzt hier gemacht. Ich halte das dort und hier für gleich möglich und richtig. Nehmen Sie das bitte als meine Meinung in dieser Sache zur Kenntnis.
Besonders begrüße ich — und, meine Damen und Herren, das ist mir wichtig —, daß beabsichtigt wird, auch neue, für die Allgemeinheit wichtige Aufgabenbereiche für den Zivildienst zu erschließen. Ich halte es für notwendig, daß wir im Zusammenhang mit dieser Gesetzesnovelle auf neue gemeinsame Aufgaben dieser Gesellschaft den Dienst des Zivildienstleistenden ausdehnen. Ich beziehe ausdrücklich neben den Zivillasten auch den Umwelt- und Landschaftsschutz mit ein.
Wenn das stimmt — jedenfalls vieles davon stimmt —, was über Umwelt- und Landschaftsschutz in den letzten Jahren gesagt worden ist, dann kann doch niemand leugnen, daß es eine soziale Aufgabe ist, hier Hilfe zur Verfügung zu stellen, und daß auch der Ersatzdienstleistende, der im Umwelt- oder im Landschaftsschutzbereich tätig ist, genauso einer Gemeinschaftsaufgabe dient wie der, der im Altenheim oder im Krankenhaus tätig ist.
Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Bereitschaft erklären, daß sich mein Bundesland — und ich hoffe, auch die anderen Bundesländer — intensiv dafür einsetzen wird, neue Plätze dieser Art auch tatsächlich einzurichten und in Zukunft vorzuhalten.
Wir sind dazu bereit, meine Damen und Herren.
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Herr Ministerpräsident, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rayer? — Bitte.
Herr Ministerpräsident, habe ich das richtig in Erinnerung, daß der derzeitige Minister für Jugend, Familie und Gesundheit, Herr Geißler, den Bereich gerne etwas weniger stark auf Umweltschutz und ähnliche Dinge abgestellt haben möchte, sondern viel stärker auf den Bereich der eigentlichen grundsätzlichen sozialen Leistung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich kenne Herrn Bundesminister Geißler seit 15 Jahren, sogar seit 20 Jahren. Er ist durchaus bereit, selbst exakt zu formulieren, was er möchte und was er nicht möchte. Ich sehe jedenfalls eine Einbeziehung von Umwelt- und Landschaftsschutzaufgaben in die Leistungen des Zivildienstes als richtig und zeitgemäß an. Ich glaube nicht, daß ich mich da in irgendeinem Widerspruch mit dem Kollegen Geißler befinde.
Meine Damen und Herren, ich sprach gerade über die Mithilfe der Länder. Ich möchte darüber hinaus erneut unsere guten Dienste anbieten, sorgfältig zu prüfen, inwieweit die Länder bei der Durchführung des Zivildienstgesetzes ganz allgemein Aufgaben mit übernehmen können, inwieweit wir mithelfen können, dieses Problem zu lösen. Unabhängig davon, ob der Bundesrat als Organ einer solchen Regelung zustimmen muß, ist es doch auch Ländersache, eines der ärgerlichsten Themen in der heutigen jungen Generation endlich einer befriedigenden Lösung zuzuführen. Dazu gehört nicht nur eine vernünftige gesetzliche Regelung, sondern dazu gehört dann auch die Bereitschaft der Organe dieses Staates, diese Regelung auszuführen. Ich biete sie zumindest von Länderseite aus an.
Lassen Sie mich zum Schluß noch eine grundsätzliche Bemerkung machen. Meiner Überzeugung nach ist unsere Ordnung dadurch gekennzeichnet, daß die Freiheit des einzelnen eng mit der Pflicht verbunden ist, im Wehrpflichtigenalter einen persönlichen Dienst zur Verteidigung dieser Freiheit abzuleisten, wobei allerdings auch das Recht besteht, sich aus echter Gewissensnot für einen Ersatzdienst entscheiden zu können.
Es ist für mich aber ein Ärgernis, daß offenbar eine nicht unbeträchtliche Anzahl durchaus tauglicher junger Männer weder zum Wehrdienst noch zum Ersatzdienst herangezogen wird.
Ich möchte das hier einmal ausdrücklich sagen, weil draußen immer nur die einen mit den anderen streiten. Das größte Ärgernis ist, daß es eine wachsende Zahl von Leuten gibt, die weder Wehrdienst noch Ersatzdienst leisten.
— Herr Kollege, das läßt sich doch nicht mit dem Rufen eines Ihnen nicht angenehmen Namens belegen. Das ist doch die Schuld von uns, weil wir keine Regelungen getroffen haben, die greifen. Wir sind doch hier zusammen, damit wir die Regelungen ändern. Sie können das Problem doch nicht dadurch lösen, daß Sie hier einfach einen Namen dazwischenrufen.
Der Rückstau von über 90 000 nicht abgeschlossenen Prüfungsverfahren herkömmlicher Art ist in diesem Zusammenhang doch das — vorhin auch schon genannte — Stichwort. Ich erhoffe mir von der neuen Regelung, daß sie zum einen dazu beiträgt, die Wehrgerechtigkeit zu erhöhen. Ich hoffe darüber hinaus aber auch auf mehr Bereitschaft der einen, die jeweilige Entscheidung der anderen zu respektieren. Für mich steht außer Frage, daß die Wehrpflichtigen Friedensdienst leisten und daß sie das vom Grundgesetz eingeräumte Recht auf Kriegsdienstverweigerung anerkennen und schützen. Wer Wehrdienst leistet, schützt das Recht auf Verweigerung des Wehrdienstes.
Außer Frage steht genauso der Friedensdienst jener, die den in Art. 12 a des Grundgesetzes verankerten Ersatzdienst gewählt haben. Ich frage mich aber zuweilen, ob auch diese Gruppe bereit ist, anzuerkennen, daß ihr Ersatzdienst in dieser Form nur möglich ist, weil sie in einem Staat leben, der dazu bereit ist, sich um der Freiheit aller willen wegen die Gefahren der Unfreiheit wirksam zu schützen.
Ich fordere dazu auf, daß wir alle, die tauglich sind, in die Pflicht nehmen. Ich fordere dazu auf, daß wir ein Klima schaffen, in dem beide Seiten anerkennen, daß die jeweils andere Seite eine dem Frieden dienende Aufgabe erfüllt.
Ich wünsche mir, daß diese Vorlage zügig beraten wird. Wir werden sie auch im Bundesrat sorgfältig prüfen, vor allem im Hinblick auf die Umsetzbarkeit.
Ich habe hier gesprochen, um die Bereitschaft, daran mitzuarbeiten, zu betonen. — Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete ,Hölscher.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion um das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung wurde stets von verteidigungspolitischen Interessen geprägt. Die Diskussion wurde draußen und hier in diesem Hause von der Angst geprägt, daß die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr, also unsere Verteidigungsfähigkeit nicht mehr gewährleistet werden könnte,
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8148 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982
Hölscherwenn die Zahlen der Kriegsdienstverweigerer steigen.Gerade die Sprecher der CDU/CSU haben dieses Spannungsverhältnis noch einmal deutlich gemacht. Herr Breuer sagte: Ohne Wehrdienst keine Wehrdienstverweigerung. Vor allem sprach Minister Geißler von zwei Polen: der Landesverteidigung als Verfassungsgebot
und dem Zielkonflikt, der im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung zu sehen ist. Herr Minister, Sie führten sinngemäß weiter aus, nicht nur im Zielkonflikt sollte der Zusammenhang zwischen Pflicht zur Verteidigung und Recht auf Kriegsdienstverweigerung gesehen werden. Sie stellten fest, daß gerade dieser Gesetzentwurf auf der Verteidigungspflicht einerseits und dem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung andererseits aufbaut.
Ich halte das für verfassungsrechtlich höchst problematisch. Ich möchte eine andere verfassungspolitische Feststellung treffen. Gerade Ihnen, Herr Minister, dürften die Ohren klingen, wenn ich folgendes ausführe:Art. 4 Abs. 3 hat den verfassungsrechtlichen Primat über die allgemeine Wehrpflicht. Art. 4 Abs. 3 ist daher als Verfassungsnorm der allgemeinen Wehrpflicht vorgegeben
und kann
— jetzt ist er ja da! —infolgedessen als Grundrecht einem einfachen Gesetz gegenüber keine Ausnahme sein. Die verfassungsrechtliche Frage muß daher immer lauten:.. .
— Ich bitte, Herr Minister, lassen Sie mich zu Ende kommen. Ich komme anschließend gern auf Ihre Zwischenfrage zurück.Die Entscheidung muß zugunsten der Gewissensfreiheit fallen, weil der Zwang zum Kriegsdienst gegen das Gewissen mit Sicherheit die Menschenwürde verletzt, während mit dem Verzicht auf Verteidigung anderer Güter ein entsprechender Verletzungsvorgang zunächst einmal nicht notwendig verbunden ist.Herr Minister Geißler, Sie wissen, woraus ich zitiere: aus Ihrer Dissertation aus dem Jahr 1960.
Sie fahren an anderer Stelle in Ihrer wirklich beachtenswerten Arbeit fort:Selbst dann, wenn der ins Land fallende Aggressor nun seinerseits die Gewissensfreiheit und die Menschenwürde angreift, die der Staat gemäß Art. 1 Grundgesetz zu schützen verpflichtet ist, muß die Gemeinschaft auf die Verteidigung verzichten, wenn sie dieser Schutzpflicht nur dadurch nachkommen kann, daß sie selbst das zu schützende Gut angreift und verletzt. Sie würde sich dadurch zu dem Unrechtsstaat deklassieren, gegen den sie sich verteidigen will.Sie haben Ihren Doktor verdient, Herr Minister. Nur, ich stelle fest: Sie haben im Grunde genommen dieses verfassungsrechtliche Verständnis heute in sein Gegenteil verkehrt.
Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Dr. Geißler.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich genau diese verfassungsrechtliche Problematik in meinen Ausführungen vorhin zum Ausdruck gebracht habe, indem ich darauf hingewiesen habe,
daß dieser Zielkonflikt sogar unter Umständen zu einer Antinomie, zu einem unüberbrückbaren Widerspruch dann werden könne, wenn so viele Mitbürger den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigern, daß die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr nicht mehr gegeben ist; und sind Sie zweitens bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich in meinen Ausführungen dieselben Konsequenzen wie damals gezogen habe, daß ich damit allerdings die Aufforderung verbunden habe,
daß aus diesem Zielkonflikt und aus dieser verfassungsrechtlichen Antinomie, die ja niemand bestreiten kann, für uns die Aufgabe resultiert, so zu leben und so zu handeln, daß dieser Zustand nicht eintritt, daß nämlich die Mehrheit der Bundesbürger zur Verteidigung dieses Staates ja sagt?
Ich denke, die Ausführungen waren so interessant, daß sie gut hier zur Rede paßten.
Herr Kollege Dr. Geißler — ich spreche Sie als Kollegen an, weil Sie von diesem Platz hier gesprochen haben —, Sie bringen mich in einen ganz anderen Grundrechtskonflikt, nämlich zu der Frage nach dem Recht des fraktionslosen Abgeordneten, im Rahmen der ihm ver-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. November 1982 8149
Hölscherkürzt zur Verfügung stehenden Möglichkeiten noch sagen zu können, was er hier will.
Da meine Uhr fünf Minuten anzeigt, bitte ich deshalb — nicht etwa, weil ich mich nicht auf einen Disput mit Ihnen einlassen möchte — Sie und die anderen Kollegen, jetzt auf eine Beantwortung verzichten zu dürfen.
Es ist zu fragen, ob der Gesetzentwurf der CDU/ CSU und der FDP
wirklich eine Verbesserung gegenüber dem geltenden Recht ist. Ich befürchte, dieser Gesetzentwurf hat zur Folge, daß von der Wahrnehmung eines Grundrechts wieder einmal abgeschreckt wird. Ich sehe den Abschreckungscharakter in folgenden Regelungen.Erstens. Ich glaube nicht, daß die Prüfungsverfahren abgeschafft werden. Ich befürchte, sie werden in der ersten Instanz durch eine Art Überprüfung nach Aktenlage ersetzt. Das hatten wir schon einmal. Der Kollege Bergerowski hat ja in seinem Beitrag deutlich gemacht, daß hier noch viele Fragen beantwortet werden müssen. Denn es heißt ja schon im Deckblatt des Gesetzentwurfs bezüglich des Einbringens des Antrags: „wenn ihr Vorbringen schlüssig ist und keinen Anlaß zu begründeten Zweifeln an der Wahrheit der tatsächlichen Behauptungen gibt". Es geht eben nicht, Herr Kollege Breuer, allein um die Tatsachenfeststellung, sondern um eine Schlüssigkeitsprüfung. Da möchte ich gern wissen, was dies ist. Ich befürchte, daß eben wegen der Schlüssigkeitsprüfung ein großer Teil der Antragsteller wieder vor die inquisitorischen Tribunale der Prüfungsausschüsse getrieben wird.Zweitens. Das Prüfungsverfahren wird wahrscheinlich nicht nur beibehalten, sondern der Zivildienst wird drastisch verlängert, derzeit auf 20 Monate, ja sogar um ein Drittel, wenn der Wehrdienst verlängert wird, d. h. bei 18 Monaten Wehrdienst angenommen 24. Dies heißt meines Erachtens, daß Antragsteller, die ein Grundrecht wahrnehmen wollen, sich bestraft fühlen müssen. Denn dies riecht von weitem nach Bestrafung:
quasi Beibehaltung der Prüfungsverfahren und dennoch diese drastische Verlängerung. Ich finde, besonders problematisch wird das auch bei bereits Einberufenen und bei Soldaten. Denn die müssen ja nach Ihrem Entwurf auf jeden Fall vor einen Prüfungsausschuß, müssen aber 20 Monate Zivildienst leisten — also beides.Drittens. Ich sehe in der Vorschrift, daß in der Regel Zivildienstleistende in dienstlichen Unterkünften untergebracht werden müssen, die Gefahr der seit langem befürchteten Kasernierung — abgesehen einmal davon, daß ich mich frage, wie eigentlich eine Sozialstation oder ein vergleichbarer kleiner ambulanter Dienst überhaupt noch Zivildienstleistende beschäftigen soll, wenn er eine dienstliche Unterkunft zu stellen hat.Viertens. Die Zuordnung der Prüfungsverfahren bleibt beim Bundesverteidigungsminister. Damit wird auch der alte natürliche Interessenkonflikt aufrechterhalten: ein Ressort, das verantwortlich ist für die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr, aber zugleich die Dienstvorgesetzten, in den Ausschüssen die Vorsitzenden zu stellen hat.
Kann es, wenn man die Addition dieser beabsichtigten Neuregelungen einmal wertet, verwundern, wenn die Betroffenen, die Verbände, Gewerkschaften, Kirchen, in einem solchen Vorhaben eine Verschärfung gegenüber dem jetzt geltenden Recht sehen? Dieser Entwurf ist vor allem wegen der vorgeschalteten Schlüssigkeitsprüfung eher mit dem gescheiterten Entwurf aus dem Jahre 1980 zu vergleichen, als wir eine Entscheidung nach Aktenlage einmal in einer interfraktionellen Kommission vereinbart hatten. Nur waren wir in der alten Koalition damals ehrlicher. Wir haben nie behauptet, daß dies die Abschaffung der Prüfungsverfahren ist. Deshalb haben wir es auch bei der alten Zivildienstdauer belassen. Wir sahen nur eine Erleichterung. Sogar die CDU/CSU-Fraktion hat im Grunde genommen damals einen Vorschlag eingebracht, der auf dieser Grundlage zu verstehen war, der aber nicht auf 20 Monate ging, sondern sich auf 18 Monate beschränkte.
Ich denke, daß der SPD-Entwurf im Grunde genommen wieder aufnimmt, was die alte Koalition einmal beschlossen hat: Abschaffung der Prüfungsverfahren ohne Wenn und Aber. Dies entspricht auch der Beschlußlage der FDP. Deshalb sollte eigentlich gerade die FDP-Fraktion ihre Glaubwürdigkeit auch dadurch bewahren, daß sie versucht, eine Einigung auf der Grundlage des SPD-Entwurfs herbeizuführen, der ja ihrer eigenen Beschlußlage entspricht, wobei man über die Dauer des Zivildienstes reden muß: 19 Monate steht in Ihrem Entwurf. Das ist eine Zahl, die vielen schon weit geht. Aber sie ist eben als Test auf die Gewissensentscheidung akzeptabel. Da gibt Karlsruhe natürlich einiges vor.
Ich möchte ein Fazit ziehen. Erstens. Der CDU/ CSU-Entwurf wird wegen der Schlüssigkeitsprüfung viele Kriegsdienstverweigerer wieder vor die Tribunale der Prüfungsausschüsse führen, befürchte ich. Zusätzlich gibt es eine extreme Verlängerung des Zivildienstes. Zweitens. Der Entwurf entspricht auf keinen Fall der Wahlplattform der FDP aus dem Jahre 1980, denn dort heißt es wörtlich: „Die Gewissensbefragung für Kriegsdienstverweigerer soll abgeschafft werden. Die FDP fordert im Interesse der Dienstgerechtigkeit eine ausreichende Zahl von Zivildienstplätzen. Sie lehnt eine8150 Deutscher Bundestag — 9. WahlperiodeHölscherKasernierung von Zivildienstleistenden ab." Ich stelle fest, die Prüfungsverfahren werden nicht abgeschafft, aber ein Schritt zur Kasernierung wird getan.
Ich denke, in den Ausschußberatungen sollten sich alle Kollegen dieses Hauses darum bemühen, nicht nach außen etwa so zu tun, als wenn hier eine Liberalisierung stattfinde, die in Wirklichkeit keine ist. Ich denke, daß das auch ein Beitrag ist, junge Leute nicht noch mehr von unserem Staat wegzubringen, Ehrlichkeit ist besser.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß feststellen: Wir sind der einzige Staat in der Welt, der das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung in seiner Verfassung verankert hat. Darauf können wir stolz sein. Wir sind aber auch der einzige Staat in der Welt, der die Wahrnehmung eines Grundrechts vom erfolgreichen Bestehen einer staatlichen Prüfung abhängig macht.
Beseitigen wir endlich diesen Makel, aber beseitigen wir ihn ehrlich, und vermeiden wir, daß sich gerade der kritische Teil der jungen Generation noch mehr von unserem Staat und unseren Parteien abwendet!
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? — Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Marschall.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Leider war die bisherige Diskussion kaum von dem wohltuenden Stil der Kollegen Bergerowski und Hölscher bestimmt. Zwei Koalitionssprecher haben, wie -ich meine, bedauerlicherweise mit dem Vorwurf der Scheinheiligkeit erhebliche Schärfe in die Diskussion gebracht. Damit werden Maßstäbe der Moral berührt. Der Kollege Breuer und die Kollegin Adam-Schwaetzer haben für ihre Fraktionen dieses Thema angeschnitten, und auch Bundesminister Geißler ist auf die Frage der Moral eingegangen. Sie sprechen damit die Frage der politischen Moral an. Den politisch moralischen Vorwurf aber möchte ich gegen Sie richten, und ich will auch gern sagen warum.
Liebe Kollegin Adam-Schwaetzer, Sie haben gegen den Kollegen Jaunich den Vorwurf erhoben, das von ihm Vorgetragene sei ein Gipfel der Scheinheiligkeit. Das entspricht nicht Ihrem bisherigen Stil, und ich war darüber verwundert. Sie sagen, die SPD solle auch in der Opposition das, was vorher war, nicht vergessen. Das haben wir auch nicht getan. Im Gegenteil! Wir haben Sie an Ihren eigenen Ansprüchen gemessen. Wir haben auch die Zustimmung der FDP zu dem von uns vorgelegten Entwurf nicht vergessen. Ich muß bei Ihnen eine nahezu völlige Verdrängung der Erinnerung feststellen, wenn Sie, an die SPD gerichtet, sagen, „ihr Entwurf" werde dadurch nicht besser. Es ist der gleiche Entwurf, der vorher die Zustimmung der FDP gefunden hat.
Wir haben auch nicht vergessen, daß es eine politische Notwendigkeit zu einer Mehrheit im Bundestag gibt, gerade wenn es um ein so entscheidendes Gesetz geht. Bis vor wenigen Tagen wurde das von der SPD vorgelegte Konzept auch von der FDP noch akzeptiert. Es ist Ihre Entscheidung bei der FDP, ob Sie an Ihrer an der Sache selbst entwickelten Meinungs- und Willensbildung in dieser Frage festhalten oder ob Sie andere Maßstäbe anlegen. Jedenfalls muß ich feststellen, daß die FDP in dieser Frage umgefallen ist, daß sie sich in der neuen Mehrheit dem Druck des bayerischen Machtzentrums gebeugt hat.
Gestatten Sie eine Zwischenf rage?
Bitte schön.
Herr Kollege, ich möchte Sie fragen, warum die SPD mehr als ein Jahr gebraucht hat, den gemeinsam erarbeiteten Entwurf in der Fraktion zu verabschieden. Die Verabschiedung geschah ja erst, nachdem die Koalition zerbrochen war. Ist Ihnen nicht bewußt, daß wir mit dem Antrag, den wir gemeinsam vorlegen wollten, auch in Kompromißverhandlungen eintreten mußten, um diesen Antrag durch den Bundesrat bringen zu können? Haben Sie das alles vergessen?
Das weiß ich sehr wohl, Herr Kollege Eimer. Aber ich verstehe gerade unter diesen Voraussetzungen nicht, warum Sie von einer solchen Kompromißsituation wieder derart weit abrücken.
Ich kann das gern an einem Beispiel deutlich machen. Der Kollege Hartmann hat, an die SPD gerichtet, für die CSU dargestellt, daß der SPD-Entwurf „keinerlei Basis für uns darstellt". Allein diese Äußerung, hier und heute gemacht, zeigt ganz deutlich, wie stark sich die FDP von ihrer bisherigen Position wegbewegt hat. Ich kann nur von einem Umfallen sprechen.
Zum anderen hat der Kollege Breuer den Vorwurf erhoben, daß die SPD heute scheinheilig mit ihrem Entwurf daherkomme. Ich möchte hier nur daran erinnern, daß der Kollege Sauter am 28. Mai, an die damalige Regierungskoalition gerichtet, gesagt hat: „Legen Sie mal etwas auf den Tisch, und dann reden wir darüber, und nicht umgekehrt." So der Oppositionsvertreter an die Regierung. Wir haben jetzt gehandelt, und Sie haben nicht nur Ihre eigenen Forderungen nicht erfüllt, sondern auch noch die vorhandenen Möglichkeiten zur Beratung
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Marschall
verschleppt, nämlich vier Wochen. Jetzt haben Sie einen mehr oder weniger zusammengestückelten Entwurf vorgelegt, der im Eiltempo durchgepaukt werden soll.
Ich möchte zur Diskussion allgemein noch sagen, daß ich etwas enttäuscht bin, daß gerade bei den ersten Beiträgen die zentralen Fragen nicht ins Gespräch gekommen sind. Da wurde zwar über das Problem geredet, durch das Dienst-Netz schlüpfen zu können. Aber es ist doch weit beklemmender, daß wir in der Situation stehen, daß auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts eine Kluft zwischen dem besteht, was beispielsweise in Art. 12 a GG steht, und dem, was sich aus den Leitsätzen des Urteils von 1978 ergibt. Ich bin auch enttäuscht, daß kaum über die Unmöglichkeit und die Qual einer Gewissensprüfung für Geprüfte und Prüfer gesprochen wurde. Ich habe immer gedacht, dies sei das entscheidende Problem.
Herr Minister Geißler, Sie haben mich in dieser Richtung auch enttäuscht mit Ihrer pauschalen und diskriminierenden Aburteilung von Organisationen und Menschen. Sie haben sich damit als Richter über Gewissen in eine Reihe gestellt etwa mit einem Kommandierenden General des 1. Korps in Münster, der schon in den vergangenen Monaten unangenehm aufgefallen ist.
Ich möchte hier deutlich sagen, daß der Vorwurf eines Mißbrauchs von Art. 4 zurückgewiesen werden muß. Es gibt tatsächlich kein größeres Mißverständnis eines Grundrechts.
Einige Bemerkungen zu den Regelungen im Zivildienst. Ich will deutlich machen, daß die Sozialdemokraten mit ihrem Entwurf auf der Drucksache 9/2064 im wesentlichen folgendes vorgeschlagen haben:
Wir sind erstens bereit, im Blick auf die für vorrangig gehaltene Abschaffung der Gewissensprüfung eine Zivildienstdauer zu aktzeptieren, die vier Monate länger ist als der jeweilige Grundwehrdienst. Dabei gehen wir von dem Rahmen aus, den das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat. Diese Dauer stellt die äußerste Grenze dar, wenn der Zivildienst nicht zur simplen Bestrafungsaktion gegenüber jungen Leuten abgestempelt werden soll, die aus Gewissensgründen keine Waffe in die Hand zu nehmen bereit sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jung?
Nein, ich möchte jetzt fortfahren, weil die Zeit drängt.
In gründlichen Ausschußberatungen wird unter anderem noch einmal zu klären sein, ob der Gesetzgeber damit so nahe wie nur irgend möglich an das Gebot in Art. 12 a des Grundgesetzes heranrückt,das schlicht und ergreifend lautet: „Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen." Darüber hinaus geht es um die vom Kollegen Hölscher und von Herrn Bundesminister Geißler vorgetragene Problematik des Primats von Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes.Zweitens wollen wir bei gesetzlich geregelter Kostenübernahme durch den Bund mehr Zivildienstplätze im Bereich der ambulanten Hilfe für Alte und Behinderte schaffen und nicht wie Sie, meine Damen und Herren von der neuen Koalition, den Vorrang des sozialen Bereichs noch in Worten beibehalten, aber die Gewichtung verändern, indem Sie neue Arbeitsfelder weit öffnen und z. B. dem Zivilschutz billige Dienstleistende zuführen.
Drittens. Wir wollen einen mindestens vierwöchigen Einführungslehrgang zur Vorbereitung der Zivildienstleistenden auf ihre Aufgaben insbesondere wegen der Schwierigkeit und der Verantwortlichkeit ihrer Tätigkeit im sozialen Bereich im Gesetz verankern. Ich möchte noch einmal betonen, wie schwer und aufreibend dieser Dienst in unserer Gesellschaft für den einzelnen oft ist, der ihn nicht selten an den äußersten Rand seiner psychischen und physischen Möglichkeiten führt. Dafür sollte im Parlament auch einmal Dank gesagt werden.
Wie sieht nun der Entwurf der Regierungskoalition aus? Er ist geprägt von tiefem Mißtrauen gegenüber all denjenigen, die aus Gewissensgründen nicht bereit sind, Kriegsdienst zu leisten. Wie ein roter Faden durchzieht der Grundsatz der Abschreckung das Gewebe Ihrer Zivildienstregelungen. Ich will das an einigen Beispielen verdeutlichen.Bei der Dauer des Zivildienstes haben Sie eine doppelbödige Formel gefunden, die, wäre sie in ihren Auswirkungen für die Betroffenen und das allgemeine Rechtsempfinden nicht so schlimm, Bewunderung verdiente, da sie scheinbar die bisher unüberbrückbaren Gegensätze innerhalb Ihrer Fraktionen, von der FDP bis zur CDU/CSU, überwindet. Ich sage bewußt „scheinbar", weil die FDP wohl inzwischen begriffen hat, auf welches Kuckucksei sie sich gesetzt hat oder gesetzt wurde.Alles Weitere hinsichtlich der Konsequenzen einer Verlängerung des Zivildienstes um sechs Monate wurde von einigen Kollegen bereits angesprochen.Faktisch hat sich die extrem harte Linie der CSU durchgesetzt. So hat bei der Pressevorstellung der Sprecher der CSU genüßlich dargestellt, wie die Ein-Drittel-Automatik, natürlich nur rein rechnerisch, funktioniert: bei 21 Monaten Grundwehrdienst 28 Monate Zivildienst, bei 24 Monaten Grundwehrdienst 32 Monate Zivildienst usw.Nicht genug damit, daß Sie das bisherige Prüfungsverfahren, soweit es zum Zuge kommt, verschlimmern, nicht genug damit, daß Sie den Zivildienst unerträglich verlängern, Sie sehen auch noch
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Marschallweitere Schlechterstellungen der Zivildienstleistenden vor, um sozusagen in einer weiteren Stufe der Abschreckungskampagne die freie Gewissensentscheidung durch sachfremde Erwägungen zusätzlich zu erschweren.
Dazu zählen: die verstärkte heimatferne Einberufung, die Entwicklung hin zur Kasernierung der Zivildienstleistenden, die verstärkte Zuordnung der Zivildienstplätze ohne das Einverständnis der Betroffenen entgegen der bisherigen Verwaltungspraxis, die Abschaffung von 10 000 bestehenden Zivildienstplätzen — hier ist Ihre Kostenaufstellung im Allgemeinen Teil der Begründung enthüllend —, die offenkundig als nicht genügend belastend für die Zivildienstleistenden angesehen werden. Damit wird deutlich eine Verlagerung weg vom sozialen Bereich hin zum Zivilschutz und anderen Bereichen signalisiert. Das bedeutet aber, daß rund ein Drittel aller Plätze in Ihren Augen Drückebergerposten oder ähnliches sind bzw. nicht die Kriterien der Heimatferne und/oder Kasernierung hinreichend erfüllen.Welch ein Vorwurf ist dies gegenüber den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden,
von denen diese Plätze bisher ganz überwiegend gestellt wurden. Ich sehe keinen Hinweis in der Drucksache 9/2124, daß die soziale Aufgabe der Zivildienstleistenden für Sie ein zentrales Anliegen ist. Die Vereinbarungen, die Frau Bundesminister Anke Fuchs im Sommer dieses Jahres getroffen hat, zeigen, daß wir hier einen ganz erheblichen Rückschritt erleiden müßten, wenn es zu dieser Gesetzgebung käme.
Das Schicksal alter Menschen, kranker Menschen, denen Zivildienstleistende vielfache Hilfe geben, berührt Sie offenbar weniger als der hoffentlich untaugliche Versuch, mit den genannten Maßnahmen die Zahl der Kriegsdienstverweigerer herunterzudrücken.
Dies geht zwar nicht alles wortwörtlich aus dem Gesetzestext hervor, doch läßt es sich unschwer aus der Begründung und den Ausführungen von Minister Geißler und anderen entnehmen. So heißt es z. B. in der Begründung des Entwurfs:Da die Dienstleistenden nach Möglichkeiten in dienstlichen Unterkünften wohnen sollen, wird von den Beschäftigungsstellen erwartet, daß sie diese Unterkünfte zur Verfügung stellen.Ich fasse zusammen: Der Entwurf der Koalition ist geprägt von einem tiefen Mißtrauen gegenüber den jungen Leuten, die aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern. Er ist auch von Mißtrauen gegenüber den freien Trägern geprägt, denen ein Drittel der bisherigen Plätze nicht mehr anerkannt werden soll. Der Koalitionsentwurf ist in meinen Augen zu einem Bollwerk der Schikanen geraten.Über verschiedene Stufen wird das Ziel der Abschreckung verfolgt, nämlich von der Antragstellung abzuhalten. Die erste Stufe ist das verschärfte Anerkennungsverfahren. Für den Fall, daß diese Hürde nicht genügend abschreckt, wird der Zivildienstleistende über die Maßen länger zur Dienstleistung herangezogen als der Wehrpflichtige und zugleich möglichst gleichen, beim Zivildienst aber keinen Sinn ergebenden Einschränkungen, wie heimatferne Unterbringung oder auch Kasernierung, unterworfen.Führen auch diese beiden Stufen nicht zu dem gewünschten Ziel, soll Mitte 1986 wieder zum bisherigen oder vielleicht zu einem noch radikaleren Ausleseverfahren gegriffen werden. Auf der Strecke bleibt bei solchem Vorgehen die Glaubwürdigkeit der Politik bzw. der Politiker, die dies gegenüber den jungen Menschen zu verantworten haben. Wir Sozialdemokraten werden wenigstens deutlich machen, daß wir mit diesenVorstellungen nichts gemein haben wollen. — Ich danke für das Zuhören.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Erhebt sich dagegen Widerspruch? Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.Punkt 13 der Tagesordnung ist bereits beraten.Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder"— Drucksache 9/2038 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GODas Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht. Auch in der Debatte wird das Wort nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 9/2038 an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend — und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall.Punkt 15 ist von der Tagesordnung abgesetzt worden.
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Vizepräsident Frau RengerIch rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs einer Verwaltungsprozeßordnung
— Drucksache 9/1851 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
InnenausschußFinanzausschußAusschuß für Arbeit und SozialordnungWir schlagen Ihnen eine Aussprache mit Kurzdebatte, d. h. eine Redezeit von jeweils höchstens zehn Minuten, vor. — Das Haus ist damit einverstanden.Das Wort zur Einbringung hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Entwurf einer Verwaltungsprozeßordnung erfüllt die Bundesregierung für die öffentlich-rechtlichen Gerichtszweige einen Auftrag des Deutschen Bundestages. Der Deutsche Bundestag hat im Jahre 1956 auf Antrag der FDP-Fraktion, was ich hier verständlicherweise mit Genugtuung, aber auch mit einem Schuß melancholischer Trauer sage, was nach einer Werdezeit von mehr als 25 Jahren wohl verständlich ist, die Bundesregierung aufgefordert, den Entwurf einer Prozeßordnung vorzulegen, die das gerichtliche Verfahren unter Wahrung der Besonderheiten der einzelnen Verfahrensarten vereinheitlicht.Das Gesetzgebungsvorhaben ist von großer justizpolitischer Bedeutung. Es ist an der Zeit, das in getrennten Verfahrensordnungen und in besonderen Entlastungsgesetzen enthaltene Prozeßrecht zusammenzufassen und auf eine neue, einheitliche und übersichtliche Grundlage zu stellen. Dies wird dem Rechtssuchenden einerseits ebenso nützlich wie denjenigen andererseits sein, die das Recht anzuwenden haben.Der Entwurf sieht Maßnahmen vor, die die Gerichte in die Lage versetzen sollen, ihrer Aufgabe besser gerecht zu werden. Die Überlastung der Gerichte und die sich daraus ergebende überlange Verfahrensdauer hat in manchen Bereichen dazu geführt, daß Rechtsschutz in angemessener Frist nicht mehr gewährt werden kann.Der Entwurf ist, wie es seiner Bedeutung entspricht, sorgfältig vorbereitet worden. Ihm sind gründliche Vorarbeiten vorausgegangen, insbesondere durch die Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer unter der Leitung von Herrn Professor Uhle und insbesondere auch durch einen mit hervorragenden Sachkennern besetzten Sachverständigenausschuß. Wegen des Umfangs des Gesetzgebungsvorhabens hat die Vorbereitung viele Jahre in Anspruch genommen.Über beide Ziele des Entwurfs — die Vereinheitlichung des Prozeßrechts und die Beschleunigung der gerichtlichen Verfahren — besteht Einigkeit. Die Vereinheitlichung ist eine seit vielen Jahren erhobene Forderung. Dieses Ziel kann durchgreifend und auf Dauer nur erreicht werden, wenn die bestehenden Verfahrensgesetze durch ein einheitliches Gesetz abgelöst werden.Das entspricht der Forderung des Deutschen Bundestages, der von einer Prozeßordnung spricht. Das ist auch die Meinung des Bundesrates, der sich mit großer Mehrheit für das Gesetzgebungsvorhaben der Verwaltungsprozeßordnung ausgesprochen hat.Der 54. Deutsche Juristentag in Nürnberg hat vor kurzem die Vereinheitlichung des Prozeßrechts in einer Verwaltungsprozeßordnung mit überwältigender Mehrheit begrüßt. Dem entspricht schließlich die ganz überwiegende Fassung in den Stellungnahmen der Praxis und in der inzwischen erschienenen Literatur.Nur vereinzelt hat es Stimmen gegeben, die darauf hinwiesen, die drei geltenden Verfahrensordnungen bestehenzulassen und ihre Vorschriften lediglich aufeinander abzustimmen. Dieser Vorschlag würde die gemeinsam erstrebten Ziele gefährden. Daß Entlastungsmaßnahmen für die Gerichtsbarkeit dringend erforderlich sind, ist übereinstimmende Auffassung der Bundesregierung und der Länder.Für die Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit haben das die Justizminister und -senatoren der Länder wiederholt betont. In einem Beschluß der Justizministerkonferenz 1981 in Celle heißt es, daß die Arbeiten an der Verwaltungsprozeßordnung besonders unter diesem Gesichtspunkt beschleunigt werden sollten.Darüber besteht also Einigkeit. Offen ist augenblicklich ein wesentlicher Punkt. Der Bundesrat hat vorgeschlagen, den Instanzenzug über die Vorschläge des Entwurfs hinausgehend zusätzlich dadurch zu straffen, daß die erstinstanzliche Zuständigkeit für die Entscheidung über die Genehmigung insbesondere von industriellen Großanlagen von den Verwaltungsgerichten auf die Oberverwaltungsgerichte verlagert wird. Die Bundesregierung hat zugesagt, diesen Vorschlag zu prüfen. Die Prüfung sollte unter Berücksichtigung inzwischen angestellter weiterer Tatsachenermittlungen im Zusammenhang mit der Verwaltungsprozeßordnung stattfinden.Ich würde es allerdings für bedenklich halten, im Vorgriff auf die beabsichtigte umfassende Neuordnung des Prozeßrechts wegen dieser und anderer Einzelfragen noch die geltenden Verfahrensgesetze zu ändern, wie dies von einigen Ländern angestrebt wird. Ein solches Verfahren dient weder der Übersichtlichkeit der Gesetzgebung noch dem Bestreben, die Gesetzesflut einzudämmen. Über das vom Bundesrat bereits vorgelegte Dritte Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung hinaus sollten deswegen Änderungen der Verfahrensgesetze nicht mehr angestrebt werden.Den gemeinsamen Zielen des Bundes und der Länder dient es mehr, wenn der Entwurf der Verwaltungsprozeßordnung jetzt zügig beraten wird. Das Gesetzgebungsvorhaben ist besonders wegen der Vorschriften zur Entlastung der Gerichte drin-
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Bundesminister Engelhardgend. Die Bundesrepublik ist bereits einmal wegen der Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden.Die gewiß notwendige Diskussion über Einzelfragen in den Ausschüssen kann auf einem Fundament gründlicher Vorarbeiten aufbauen. Ich habe deshalb die Hoffnung, daß dies das Gesetzgebungsvorhaben wesentlich beschleunigen wird.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Fischer.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe Ihnen, Herr Justizminister, zunächst Dank zu sagen. Dieser Gesetzentwurf geht auf eine Initiative der sozialliberalen Koalition zurück. Sie haben mit Ihrer Einbringungsrede zumindest gezeigt, daß Sie beabsichtigen, Kontinuität zu wahren.Dieser Gesetzentwurf hat eine lange Vorgeschichte. Schon in den 50er Jahren, in denen Sozialgerichtsgesetz, Finanzgerichtsordnung, Verwaltungsgerichtsordnung entstanden sind, also vor mehr als 20 Jahren, haben zahlreiche Fachleute und Organisationen eine einheitliche Verfahrensordnung gefordert. Der Bundestag — Herr Justizminister Engelhard hat darauf hingewiesen — hat am 29. November 1956 einen entsprechenden Beschluß gefaßt.Der heute vorliegende Entwurf der Bundesregierung trägt dieser Forderung nach einer Vereinheitlichung der öffentlich-rechtlichen Prozeßordnungen Rechnung, wie wir meinen. Er ist nicht nur deshalb zu begrüßen, weil die etwa 600 Paragraphen der drei geltenden Prozeßordnungen auf etwa 200, also auf etwa ein Drittel, reduziert werden. Das wäre sicherlich eine sehr formale Betrachtung. Wichtiger erscheint mir vielmehr, daß es in Zukunft wahrscheinlich einfacher ist, daß die Rechtssuchenden zu ihrem Recht kommen.Bei den drei Gerichtsbarkeiten gelten in Zukunft weitgehend dieselben Vorschriften. Es steht zu erwarten, daß sich eine einheitliche Rechtsprechung aller drei Gerichtszweige zu diesen Bestimmungen entwickelt.In der Vergangenheit war das häufig anders. Selbst bei inhaltlich übereinstimmenden Vorschriften hat sich manchmal eine von Gerichtszweig zu Gerichtszweig unterschiedliche Auslegung entwikkelt, und das meist zu Lasten der Prozeßbeteiligten. Das Ziel des Entwurfs, das Prozeßrecht zu vereinheitlichen, verdient daher nachhaltige Unterstützung.Gleichwohl bedarf der Entwurf einer kritischen Überprüfung; denn etwa ein Viertel der fast 200 Paragraphen enthält Sonderregelungen für die einzelnen Gerichtszweige. Jede dieser Sonderregelungen, so meinen wir jedenfalls, muß noch einmal kritisch überprüft werden; denn nur soweit sie sachlich zwingend geboten sind, sollten sie erhalten bleiben. Die Vereinheitlichung darf nicht auf dem Altarder Ressortinteressen der einzelnen Gerichtszweige geopfert werden.Neben dem Ziel, das Prozeßrecht zu vereinheitlichen, haben sich im Laufe der Vorarbeiten zunehmend weitere Ziele in den Vordergrund geschoben: die Beschleunigung der Gerichtsverfahren und die Verbesserung des Rechtsschutzes. Nach unserer Auffassung schließen sich diese Ziele nur scheinbar aus. Die Verkürzung der Verfahrensdauer ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Verbesserung des Rechtsschutzes; denn nicht selten führt ein überlanges Verfahren dazu, daß das vom Bürger erstrebte und ihm schließlich auch zugesprochene Recht am Ende des Verfahrens entwertet ist.Herr Justizminister Engelhard hat zu Recht auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 1978 hingewiesen, der damals in einem Fall, in dem der Kläger fast zehn Jahre auf ein erstinstanzliches — auf ein erstinstanzliches! — Urteil eines deutschen Verwaltungsgerichts warten mußte, die Meinung vertreten hat, daß im Hinblick auf Art. 6 der Menschenrechtskonvention Anlaß bestehe, das nationale verwaltungsgerichtliche Verfahrensrecht zu vereinfachen. Das glaube ich, muß allen Kritikern entgegengehalten werden, die bei Bestrebungen, das Gerichtsverfahren zu straffen, sofort den Abbau des Rechtsstaats an die Wand malen; denn auch für das Gerichtsverfahren haben die Worte ihre Berechtigung, daß, wer schnell gibt, doppelt gibt.Wir wissen aber auch alle, meine Damen und Herren, daß Gesetze allein noch nichts beschleunigen. Ich appelliere deshalb auch von dieser Stelle aus an die Landesjustizverwaltungen, die Gerichte personell und sachlich so auszustatten, daß die richterliche Arbeit auch rasch umgesetzt werden kann. Ich appelliere an die Richter, mehr Selbstdisziplin zu üben; denn ich meine, daß Gerichtsurteile nicht immer Doktorarbeiten werden sollten.Die Ziele des Entwurfs, nämlich das Verfahren zu straffen und gleichzeitig den Rechtsschutz zu verbessern, sind in diesem Entwurf allerdings nicht in jedem Fall erreicht worden. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Einführung eines Untätigkeitswiderspruchs; denn er hat zur Folge, daß sich der Bürger künftig erst nach neun Monaten beim Gericht gegen die Untätigkeit einer Verwaltungsbehörde wehren kann; nach geltendem Recht kann er dies schon nach drei Monaten.Auch die kombinierte Einführung des Einzelrichters und der Zulassungsberufung wirft Probleme auf. Sie hat nämlich zur Folge, daß die Berufung auch bei Einzelrichterurteilen von der Zulassung abhängig ist. Ob damit nicht des Guten zu viel getan wird, bedarf sicherlich noch sorgfältiger Erörterungen.Ähnliches gilt nach unserer Meinung für die vom Bundesrat geforderte erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte für technische Großvorhaben — Stichworte: Kernkraftwerke, Flughäfen. Diese Regelung führt zu dem widersprüchlichen Ergebnis, daß für einfache Verfahren auch bei Einführung der Zulassungsberufung
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Fischer
grundsätzlich noch zwei Tatsacheninstanzen möglich sind. Demgegenüber ist bei schwierigen Großverfahren, wie sie nun einmal diese Verfahren darstellen, in Zukunft nur noch eine Tatsacheninstanz möglich. Bevor man einem so tiefen Einschnitt in das herkömmliche Rechtsschutzsystem nähertreten kann, muß erst einmal nachgewiesen werden, daß die Ursachen für die Verzögerung der Realisierung technischer Großvorhaben tatsächlich in der Struktur des Verwaltungsgerichtsverfahrens liegen. Auf dem Juristentag in Nürnberg ist dies, wie Sie sicherlich wissen, gelegentlich strikt in Abrede gestellt worden.Der Bundesrat hat heute in erster Lesung einen Gesetzesantrag mehrerer Länder beraten, der die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte für Großvorhaben vorsieht. Wir werden uns daher in Kürze ohnedies gesondert mit diesem Problem zu befassen haben. Ich teile jedoch die Zweifel des Herrn Justizministers, ob vor Verabschiedung der Verwaltungsgerichtsordnung noch zusätzliche Änderungen in der Verwaltungsgerichtsordnung vorgenommen werden sollten.Meine Damen und Herren, die Vorarbeiten zu diesem Gesetzgebungsvorhaben dauern jetzt 26 Jahre. In der Fachliteratur ist die Verwaltungsprozeßordnung gelegentlich als Jahrhundertgesetz bezeichnet worden. Der Bundestag sollte deshalb dieses Projekt durch zügige, aber gründliche Beratungen vorantreiben; denn Jahrhundertgesetze zeichnen sich im allgemeinen nicht dadurch aus, daß sie auch noch hundert Jahre beraten werden. — Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Buschbom.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde mich sehr kurz fassen können, weil der Herr Bundesjustizminister das Wichtigste gesagt und mein Kollege Fischer uns in seiner ihm eigenen einprägsamen und klaren Weise die wichtigsten Probleme aufgezeigt hat. Deshalb möchte ich, um ein wenig zur Unterhaltung beizutragen, die Historie bemühen.Sie wissen ja: Die einen sprachen von dem letzten Justizgesetz, gewissermaßen einem Jahrhundertgesetz; die anderen hielten es mit Mephisto und meinten „Ein großer Aufwand nutzlos ward vertan" — nachzulesen in den Protokollen des Bundesrats. Beide meinten diese Verwaltungsprozeßordnung.Da einige meinten, wir hätten es hier mit dem letzten Justizgesetz zu tun, hat es mich gereizt, der Entstehung der Justizgesetze in Deutschland nachzuspüren. Deshalb möchte ich für einen Augenblick die Historie bemühen.Es geht zurück bis zur Deutschen Bundesversammlung. In ihrer Sitzung vom 6. Februar 1862 beschloß diese Bundesversammlung, „eine Commission zur Ausarbeitung und Vorlage des Entwurfs einer allgemeinen Civilprozeßordnung für die deutschen Bundesstaaten in Hannover niederzusetzen".Nun, diese „Niedersetzung" erfolgte sogar erfolgreich. Es gab einen sogenannten Hannoverschen Entwurf aus dem Jahre 1866 — schade, daß Herr Kleinert nicht da ist —, kurz vor der Auflösung des Deutschen Bundes, in Anlehnung an die Hannoversche Prozeßordnung aus dem Jahre 1850. Hannover hat hier also eine große Rolle gespielt.Vor der Beschlußfassung in der Bundesversammlung, die der Gesandte des Königreichs Bayern als das einzige rechtlich bestehende Gesamtorgan der deutschen Nation bezeichnete, hatte der Gesandte der Kaiserlich-Österreichischen Regierung erklärt, daß diesesich mit Eifer an der Ausarbeitung der Gesetzentwürfe beteiligen wird, deren Bestimmung es ist, Gemeingut für sämtliche Staaten Deutschlands zu werden.Also, Österreich war damals noch dabei.Preußen hatte gegen den Beschluß gestimmt und einen eigenen Entwurf vorgelegt, der sich interessanterweise nach dem Prozeßrecht der Rheinischen Staaten, also nach dem des Code civil, gerichtet hatte.Im Norddeutschen Bund hatte der Bundesrat 1867 eine Kommission eingesetzt, die im Juli 1870 den Norddeutschen Entwurf einer Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vorlegte und auf den Hannoverschen Entwurf zurückgriff. Daneben gab es noch einen gemeinsamen Strafrechtsentwurf, der Vorläufer der Strafprozeßordnung gewesen ist. Das lief bis zum Jahre 1868 ab.Im Deutschen Reichstag des Kaiserreichs wurden die drei Justizgesetze dann 1876 verabschiedet; schon einen Tag später hatte der Bundesrat zugestimmt. Sie sind dann am 1. Oktober 1879 in Kraft getreten.294 Abgeordnete waren anwesend. Von denen stimmten 194 mit Ja, 100 mit Nein. Unter den beteiligten Abgeordneten gab es Namen wie Dr. Erhard — der war aber aus Bayern —, Dr. Lenz — der stimmte mit Ja —, Freiherr Schenk von Stauffenberg — der stimmte ebenfalls mit Ja —, Graf von Waldburg-Zeil — der stimmte mit Nein —; ohne Entschuldigung fehlten — das wird die Kollegen von der Sozialdemokratie interessieren — die Abgeordneten Bebel und Liebknecht. Der Namensvetter unseres Kollegen Freiherr von Schorlemer war ebenfalls nicht da.
Hoffentlich hat sich sein heutiger Namensvetter rechtzeitig eingetragen.In den Protokollen, die ich mit viel Interesse nachgelesen habe, werden Probleme aufgezeigt, die damals genauso aktuell waren wie heute. Es heißt da:Das Charakteristische eines wohlgeordneten Staates ist, daß er eine wohlgeordnete Justiz hat, und eine gut geordnete Justiz kann man nie zu theuer bezahlen! Gegen die Ausgabe des
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BuschbomReichsmilitäretats wird der Rechtsetat noch immer verschwinden. Ich denke, Deutschland wird reich genug sein, um eine gute Justiz zu bezahlen.Hoffen wir es!Es heißt in den Protokollen weiter:Jede Gerichtsordnung muß als einen Theil ihres Inhalts das Prinzip der Öffentlichkeit bethätigen an jeder richterlichen Handlung ... Es muß jeder Richter wissen, daß sein Spruch und nicht allein sein letzter Entscheidungsspruch, sondern auch seine Rechtshandlung unterworfen ist der Kontrolle des öffentlichen Gewissens, und daß jeder von ihm begangene Fehler von der Nation aufgenommen wird als ein Schlag, der gegen die öffentliche Sicherheit geführt wird.Als Richter, der mit Disziplinarsachen betraut gewesen ist, weiß ich, daß das nicht immer erkennbar wird.An anderer Stelle heißt es:Der Anwaltsstand ist für eine gute Rechtspflege mindestens ebenso wichtig wie der Richterstand ... die Taxverhältnisse müssen so geregelt werden, daß diese Männer für ihre schwere Arbeit auch einen genügenden Lohn finden.
Das war also die Historie. Sie mögen mir verzeihen, daß ich in diese etwas trockene Materie noch ein wenig Nostalgie gebracht habe.Die weitere Entwicklung ist uns aufgezeigt worden. Über die Ziele brauche ich mich auch nicht auszulassen; das ist ausreichend geschehen.Ein wenig zur Kritik. Baden-Württemberg und Bayern haben sich gegen die Vorlage ausgesprochen. Herr Staatsminister Schmidhuber aus Bayern war sehr drastisch. Er hat sich dahin geäußert, daß von einer einheitlichen Verfahrensordnung nicht gesprochen werden könne, und die mit dem Entwurf angestrebte Lösung als gescheitert bezeichnet.In 43 Fällen hat der Bundesrat der Vorlage widersprochen und Änderungen vorgeschlagen.Der Hochschullehrerbund, die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände und die Deutsche Steuergewerkschaft haben Bedenken angemeldet; andere Interessenvertreter werden folgen. Ich bin sicher, daß wir noch eine erhebliche Zahl Interessenvertreter anhören werden.Ich persönlich muß allerdings kritisch bemerken, daß der große Wurf, das sogenannte Jahrhundertwerk, das dem Schweiß der Edlen gerecht geworden wäre und dem eigenen Anspruch genügt hätte, nach meinem Eindruck nicht oder noch nicht gelungen ist.Der größte Mangel besteht meines Erachtens in der Beibehaltung der bisherigen Unterschiede bei der Gliederung, dem Instanzenzug und der richterlichen Besetzung der drei Gerichtsbarkeiten. Hierscheint mir der politische Auftrag, den sich die Regierung vorgenommen hatte, nicht ganz erfüllt und der Schwarze Peter dem Parlament zugeschoben worden zu sein. Meines Erachtens entbehrt ohne eine ausreichende Angleichung der drei Gerichtsbarkeiten in ihrer Gliederung, ihrer Besetzung und ihrem Verfahren eine gemeinsame Prozeßordnung ihres eigentlichen Sinnes. Da kommt man natürlich an ein Problem; denn die sachgerechte Vereinheitlichung ist ohne das Schlachten der sogenannten heiligen Kühe für mich nicht denkbar, heiliger Kühe, die einerseits von Interessenvertretern gehalten werden, andererseits den liebgewordenen Hauch von Nerz besonderer Gerichtsbarkeiten vermitteln. Wer Richter gewesen ist, weiß, was ich meine.Ich habe mir mal die Mühe gemacht, die Eingänge sämtlicher Verfahren an den deutschen Gerichten zusammenzustellen. Ich möchte das hier nicht mehr verlesen. Es fällt auf, daß besonders das Bundesverwaltungsgericht und der Bundesfinanzgerichtshof eine besonders hohe Zahl von Eingängen haben. Hier müssen wir prüfen, woran das gelegen hat.Die Glocke des Präsidenten hat geklingelt. Ich bin der Ansicht, wir werden uns mit diesem Gesetzentwurf in den Ausschüssen ausreichend zu befassen haben. Das wird in der voraussichtlichen Dauer dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich sein. Der Entwurf wird also wieder einzubringen sein.Ich beantrage namens der CDU/CSU-Fraktion, die Vorlage dem federführenden Rechtsausschuß und den im übrigen genannten Ausschüssen zu überweisen. — Danke sehr.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bergerowski.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich eine besonders schwierige Situation, am Ende eines solch langen Vormittags — es wird schon Mittag — zu dieser Vorlage noch etwas zu sagen. Jeder erwartet, daß es möglichst kurz ausfällt, so daß Sie alle möglichst bald nach Hause gehen können. Insoweit mache ich es mir jetzt auch wirklich ein bißchen leicht, obwohl ich ein paar Akzente setzen muß, damit einfach klar ist, in welche Richtung Beratungen gehen müssen. Herr Buschbom hat ja vorhin zunächst einen groBen historischen Abriß gegeben, aber dann gesagt: Einiges ist drin — das fällt einem beim Betrachten dieser Vorlage auf —, was es eigentlich nicht rechtfertigt, von einem Jahrhundertwerk zu reden. Ich glaube, da sind wir uns einig.Das Ziel sollte sein, eine handliche, nutzbare, für alle Beteiligten, die dies brauchen und als Bürger hineingucken wollen, überschaubare neue Prozeßordnung zu schaffen. Das ist sicherlich dadurch, daß Paragraphen herausgeschmissen wurden und an einigen Stellen eine Kürzung oder Bündelung stattfindet, zum Teil geschehen. Aber es fällt eben auf, daß genau dort, wo eigentlich Kernfragen des gesamten Aufbaus einer solchen Prozeßordnung zu regeln gewesen wären, diese Lösung nicht erfolgt.
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BergerowskiDeshalb bin ich bei der Bewertung der Frage, ob dies der große Wurf war, natürlich genauso zurückhaltend; ich möchte eigentlich schon ein paar Fragezeichen dahintersetzen, weil es eigentlich nicht zu rechtfertigen ist, daß allein das historisch Gewachsene die Legitimation sei, das Ding auch für die Zukunft zu erhalten. Das kann also nicht der rechte Ausgangspunkt sein.Wir sollten also, meine ich, an einigen Punkten in eine Kritik einsteigen. Sie haben das kurz angeschnitten, Herr Buschbom. Ich mache das jetzt auch einfach in einer Art Hauruckverfahren. Das sind natürlich sehr heiße Eisen, die dabei angefaßt werden. Es sind manchmal wirklich auch ein bißchen kuriose Dinge, wenn man etwa den Aufbau im Bereich der Finanzgerichtsbarkeit ansieht. Die Misere der Finanzgerichtsbarkeit kommt sicherlich nicht gerade daher, aber vielleicht kann doch die etwas praxisferne Art des Gerichtsaufbaus mit eine der Ursachen sein.Zu dieser Meinung komme ich jedenfalls, wenn ich daran denke, wie dort Routinefälle erledigt werden von Richtern der R 2- oder R 3-Besoldung, wo wir doch sonst bei dem ganz anderen Aufbau bei der Erledigung gleichartiger Fälle den R 1-Richter haben. Das fällt einem auf. Es kommt einem so vor, als ob hier bei Verzicht auf eine einheitliche Struktur die Dreistufigkeit erhalten bleiben soll, weil das möglicherweise doch auch etwas mit gewachsenen, besoldungspolitisch interessanten Fragen und nicht so sehr mit strukturellen Problemen zu tun hat. Das muß uns bei der Diskussion interessieren. Deshalb muß man wirklich einmal darangehen und prüfen, ob hier nicht ein Einstieg auch für die Durchsetzung der Dreistufigkeit des Gerichtsaufbaus gegeben wäre. Das gleiche haben Sie j a mit der Frage nach der richtigen Besetzung der Spruchkörper angeschnitten. Wir müssen überlegen, in welchem Umfang wir zu gleichartigen Richterbänken kommen. Wenn wir dies nicht ganz schaffen können, sollten wir zumindest durch die richtige Plazierung des Einzelrichters in diesem ganzen Aufbau zu Lösungen kommen. Dies sollten wir uns genau überlegen.Auch die Frage der Rechtsmittel wurde bereits angeschnitten. Auch darüber sollten wir uns sehr genau Gedanken machen. Ich selber meine allerdings — das ist wohl eine etwas andere Auffassung als die von Herrn Fischer —, daß wir gerade im Rechtsmittelbereich sehr vorsichtig sein sollten, durch Verkürzen der Rechtsmittel einen Beitrag dazu leisten zu wollen, zu raschen Verfahren zu kommen. Es gibt da sicherlich Zusammenhänge, aber irgendwo gibt es auch eine Grenze. Es ist sicher notwendig, diese Grenze in dem Verfahren auszuloten.Ich hätte auch zu der Rolle des Rechtspflegers gern noch etwas gesagt. In diesem Bereich gibt es nämlich auch einige sehr kuriose Geschichten. Ich meine, wir sollten einfach dafür sorgen, daß Sonderentwicklungen nicht möglich sind. Wenn ich z. B. daran denke, wie der Rechtspfleger etwa im Finanzbereich mit einem völlig anderen Ausbildungsweg aufgebaut wird, so kommt mir das einfachschlimm und kurios vor. Wir sollten auch an dieser Stelle einen Beitrag zu der an sich notwendigen Rechtsvereinheitlichung leisten. Die Entwicklung geht auseinander. Die Vereinheitlichung gelingt gerade nicht. Ein Gesetzgeber muß es eigentlich schaffen, daß er solche Fehlentwicklungen nicht sogar noch unterstützt.Letztlich wurden die Bedenken gegen das vom Bundesrat vorgetragene Verfahren — Verlagerung der erstinstanzlichen Zuständigkeit hin zu den Oberverwaltungsgerichten — vorgetragen. Wir sollten auch diesen Punkt noch einmal genauer überlegen. Es muß ja einfach vom Grundsatz her Bedenken begegnen, diese komplizierten Verfahren nur einer Instanz zu unterwerfen. Andere einfache Verfahren haben zwei Tatsacheninstanzen. Das ist eine grundsätzliche Frage, die einer Besprechung bedarf. Ich meine, eine solche Regelung — gerade nachdem sie nun auch noch sondergesetzlich auf den Weg gebracht wird — muß auch eine politische Würdigung finden. Es mutet auch nach draußen hin sonderbar an, wenn wir hier solche sondergesetzlichen Regelungen auf den Weg bringen und dabei merken, daß es auch um Problembereiche im Umgang mit dem Bürger draußen geht und gerade an der Stelle die Mißverständnisse besonders groß sein könnten. Ich möchte keinen Beitrag dazu leisten, daß wir noch mehr Schwierigkeiten mit dem Bürger und in der Auseinandersetzung mit Bürgern bekommen. Ich glaube, auch das sollte man bei dieser Frage sehr genau sehen.Damit soll es für heute genug sein. Ich glaube, die Beratungen werden langwierig sein. Die Beratungen werden erstens für diese Legislaturperiode nicht mehr interessant werden. Im übrigen wird es natürlich sicherlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen, bis man überhaupt zu Lösungen kommen kann. — Ich bedanke mich recht herzlich.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf zur federführenden Beratung dem Rechtsausschuß und zur Mitberatung dem Innenausschuß, dem Finanzausschuß und dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. — Wie ich sehe, ist das Haus damit einverstanden.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 bis 19 und die Zusatzpunkte 2 bis 4 zur Tagesordnung auf:17. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über, den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung
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Vizepräsident Frau Rengerdieses Übereinkommens durch den Gerichtshof— Drucksache 9/2081 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft18. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Kosten der Gerichtsvollzieher— Drucksache 9/2080 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß19. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1983
— Drucksache 9/2097 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß2. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften— Drucksache 9/2119 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß Verteidigungsausschuß3. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Seelotswesen— Drucksache 9/2109 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr Rechtsausschuß4. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 12. Februar 1981 zur Änderung des Internationalen Übereinkommens über Zusammenarbeit zur Sicherung der Luftfahrt „EUROCONTROL" vom 13. Dezember 1960 und zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 12. Februar 1981 über Flugsicherungs- Streckengebühren— Drucksache 9/2112 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr VerteidigungsausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GODas Wort wird nicht erbeten. Die Überweisungsvorschläge können Sie aus der Tagesordnung entnehmen. Ist das Haus mit diesen Vorschlägen einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch.Ich rufe Zusatzpunkt 5 zur Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen
— Drucksache 9/1338 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 9/2137 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Klejdzinski Dr. Olderog
Auch hierzu wird das Wort nicht erbeten.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 86 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in zwei- ter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:Beratung der Sammelübersicht 47 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 9/2073 — Auch hierzu wird das Wort nicht gewünscht.Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, die in der Sammelübersicht 47 enthaltenen Anträge anzunehmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so angenommen.Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Bundesministers für WirtschaftRechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" — Wirtschaftsjahr 1981— Drucksache 9/2062 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Ausschuß für WirtschaftAuch hierzu wird das Wort nicht gewünscht. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 22 und 23 der Tagesordnung auf:22. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung,
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Vizepräsident Frau RengerLandwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 75/268/EWG über die Landwirtschaft in Berggebieten und in bestimmten benachteiligten GebietenVorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 355/77 zur Verbesserung der Verarbeitungs- und Vermarktungsbedingungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse— Drucksachen 9/1964 Nr. 11, 9/2076 —Berichterstatter:Abgeordneter Immer
23. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates mit den Grundregeln für die Ausdehnung bestimmter von den Erzeugerorganisationen für Obst und Gemüse erlassener Vorschriften— Drucksachen 9/1950 Nr. 43, 9/2096 —Berichterstatter: Abgeordneter MichelsAuch hierzu wird das Wort nicht gewünscht.
— Herr Kollege, stören Sie mich nicht; sonst komme ich durcheinander.
Ich lasse über die Vorlagen gemeinsam abstimmen. Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses auf den Drucksachen 9/2076 und 9/2096 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Die in der Sitzung vom 24. November 1982 beschlossene Überweisung des Entschließungsantrags zu der Großen Anfrage betreffend Mikroelektronik an die Ausschüsse bitte ich dahin zu ändern, daß die Überweisung an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung entfällt. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch, wie ich sehe.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 1. Dezember 1982, 13 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.