Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Vor Eintritt in die Tagesordnung einige Mitteilungen: Am 20. Oktober 1982 hat der Herr Abgeordnete Dr. Enders seinen 60. Geburtstag gefeiert. Herzliche Glückwünsche des Hauses.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um drei Zusatzpunkte erweitert werden. Diese Punkte sind in der Liste „Zusatzpunkte zur Tagesordnung" aufgeführt, die Ihnen vorliegt:1. Aktuelle StundeWeitere Konzentration im Pressewesen durch den beabsichtigten Zusammenschluß der Verlage Springer und Burda2. Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung der Lohnsteuerpauschalierung für Teilzeitbeschäftigte— Drucksachen 9/1671, 9/1886 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 9/2057 —Berichterstatter: Abgeordnete Frau Dr. Hellwig, Lennartz
3. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDPWahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder für den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt— Drucksache 9/2056 —Ich gehe davon aus, daß mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte 2 und 3 gleichzeitig von der Frist für den Beginn der Beratungen abgewichen wird. — Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden. Dann wird entsprechend verfahren.Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:Aktuelle StundeWeitere Konzentration im Pressewesendurch den beabsichtigten Zusammenschluß der Verlage Springer und BurdaDie Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Weitere Konzentration im Pressewesen durch den beabsichtigten Zusammenschluß der Verlage Springer und Burda" verlangt. Die Aktuelle Stunde ist fristgerecht entsprechend Nr. 2 b der Richtlinien in Anlage 5 beantragt worden.Interfraktionell ist vereinbart worden, die Aktuelle Stunde jetzt durchzuführen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Junghans.Junghans Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verlage Burda und Springer planen seit längerem einen Zusammenschluß. Das Bundeskartellamt hat den Zusammenschluß der beiden Mediengiganten am 23. Oktober 1981 untersagt. Die unabhängige Monopolkommission hat sich ebenfalls strikt dagegen ausgesprochen.Die Entscheidung des Kartellamts und die Auffassung der Monopolkommission haben die Verlage offenbar nicht beeindruckt. Sie setzen nämlich auf eine Ministererlaubnis durch Graf Lambsdorff oder, falls diese nicht erteilt werden sollte, auf eine Umgehung des Kartellrechtes durch Einschaltung einer ausländischen Verlagsgruppe. Jedenfalls hört man es so aus Verlagskreisen.Das ist für uns Anlaß, eine Aktuelle Stunde abzuhalten; denn wir möchten nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden.
Diese Elefantenhochzeit würde bedeuten: Ein Fünftel des bedruckten Papiers, ein Viertel des Gesamtanzeigenvolumens, ein Drittel des Zeitungsvertriebes und mehr als die Hälfte beim Vertrieb von Programmzeitschriften lägen dann in den Händen von Burda und Springer.
Burda und Springer unter einem Dach hieße weiter:2,7 Milliarden DM Jahresumsatz, überragender Einfluß auf den Druckmarkt, entscheidender Einfluß
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Junghansauf die Preise auf dem Papiermarkt, überragender Einfluß auf den Anzeigenmarkt mit allen Konsequenzen.Eine Burda-Springer-Fusion wäre außerdem eine Garantie dafür, daß die marktbeherrschende Stellung von Burda/Springer auf dem Zeitungs- bzw. Druckmarkt auf Dauer gesichert würde und diese Gruppe damit Gewinne erzielen könnte, die ihr auch eine marktbeherrschende Stellung bei den sogenannten neuen Medien sichern würde. Das sind die wirtschaftlichen Fakten.Aber hier geht es um mehr als um wirtschaftlichkartellrechtliche Fragen. Es geht auch und vor allem um die Meinungsvielfalt in der Bundesrepublik. Eine marktbeherrschende Stellung im Presse- und Kommunikationswesen ist eben mehr und hat eine andere Bedeutung als beispielsweise eine marktbeherrschende Stellung bei Puddingpulver.Es geht uns um zwei Dinge. Erstens. Wie glaubwürdig sind die Bekenntnisse der Regierung Kohl/ Genscher und ihres Wirtschaftsministers Graf Lambsdorff zur Marktwirtschaft und zum Wettbewerb? Zweitens. Wie ernst nimmt die Bundesregierung die für eine lebensfähige Demokratie notwendige Meinungsvielfalt?Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, eine Ministererlaubnis zu verweigern und eine Umgehung des deutschen Kartellrechts durch Einschaltung ausländischer Strohmänner mit allen Mitteln zu verhindern. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kittelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, noch so stark vorgetragene Dringlichkeit, die eher an einen Theaterdonner als an das innere Bedürfnis nach Aufklärung erinnert, ändert nichts daran, daß ich davon ausgehe, daß die Bundesregierung auch heute rechtlich daran gehindert ist, mehr zu sagen, als sie im März auf Fragen von SPD-Abgeordneten hat antworten können. Im März bestand dieselbe Situation, nämlich daß eine Fristverlängerung gewährt war. Sie wissen, daß diese Frist erst am 30. November abläuft. Im März waren Sie mit der Feststellung zufrieden, daß nicht mehr geantwortet werden könne. Ich frage Sie, was sich heute am Sachverhalt geändert hat.
Im wesentlichen kann man davon ausgehen: Sie üben sich heute in die Oppositionsrolle ein. Dagegen haben wir als CDU/CSU-Fraktion natürlich keinerlei Einwände.
Der zweite Punkt ist folgender. Würde die Bundesregierung heute anders verfahren, würde sie sich eines Rechtsverstoßes schuldig machen. Die SPD-Fraktion sollte wissen — Herr Professor Ehmke, soweit heute keine Juristen sprechen sollten, bitte ich Sie, Ihre Kollegen nachher aufzuklären —, daß der Bundesregierung die Hände gebunden sind, heute zu dem Verfahren, das ein schwebendes Verfahren ist, mehr zu sagen, als sie im März gesagt hat.
— Das ist nun einmal so in einem Rechtsstaat, Herr Roth. Wir sind jedenfalls bemüht, diesen Rechtsstaat nicht zu verändern. Zu einem Rechtsstaat gehört eben, daß man zu gewissen Dingen auch einmal schweigen muß.
Die Fragesteller haben es sich selbst zuzuschreiben, daß die Art und Weise ihrer Fragen darauf hindeutet, daß es ihnen weniger um sachliche Aufklärung als um Verdächtigung, um Verdrehung geht. Die CDU/CSU-Fraktion ist nicht bereit, eine solche Art und Weise des parlamentarischen Spiels hier mitzumachen.
Es besteht außer gezielten Presseberichten kein Hinweis darauf, daß in irgendeiner Form die Vorschriften des Wettbewerbsrechts formalrechtlich umgangen werden sollen. Es wird mit hypothetischen Verdächtigungen gearbeitet, die sich die CDU/CSU-Fraktion nicht zu eigen macht.
Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion: Es geht Ihnen um Stimmungsmache; denn eine Umgehung zwingender fusionskontrollrechtlicher Vorschriften ist wegen der Überprüfung durch das Bundeskartellamt, wie Sie wissen, nicht möglich. Da das Verfahren derzeit bis zum 30. November ruht, gibt es keinerlei Möglichkeiten, mehr zu sagen.
Die CDU/CSU-Fraktion ist bereit, über diese ganzen Fragen im Detail zu sprechen, aber sie respektiert den schwebenden rechtlichen Zustand, den wir im Moment haben. Ich würde es begrüßen, wenn der nächste Sprecher der SPD-Fraktion sagte: Wir bitten um Entschuldigung; selbstverständlich ist es erst nach dem 30. November möglich, darüber zu sprechen.
Passen Sie sich unseren gemeinsamen Rechtsvorstellungen an, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion! Dann werden Sie es in den nächsten Jahren in der Opposition sehr viel einfacher haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haussmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind immer für Aktuelles. Nur ist die Frage, ob es so früh sein muß und ob dies wirklich Schule machen sollte.
In der Sache selbst verläuft es ja nach dem Motto „Was wäre, wenn?". Es gibt keine neuen Fakten. Es
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Dr. Haussmannist bekannt, daß das Bundeskartellamt dieses Vorhaben untersagt hat und die Ministererlaubnis nicht erteilt wurde. Es gibt einen Aufschub bis zum 30. November. Es ist ein völlig ungewöhnliches Verfahren, daß wir nachdem wir uns darauf geeinigt haben, daß über die Ministererlaubnis allein vom Minister entschieden wird, heute versuchen, im Vorwegverfahren den Minister zu binden.Es gab Gerüchte über die Einschaltung eines ausländischen Konzerns, um die gesetzliche Fusionskontrolle zu umgehen. Daraufhin gab es Vorwürfe aus der SPD-Fraktion. Die SPD-Fraktion hat daran die Forderung geknüpft — ich zitiere —:Der Gesetzgeber wird deshalb an einer Novellierung des GWB in Kürze nicht vorbeikommen, wenn er es mit marktwirtschaftlichen Prinzipien wirklich ernst nimmt.Mein Damen und Herren, das ist eine Abkehr der SPD-Fraktion von der bisher vereinbarten Linie des Wettbewerbsrechtes. Denn wir waren noch vor knapp zwei Jahren mit ganz großen Mehrheiten der Meinung, daß wir das Grundgesetz unserer Marktwirtschaft nicht in jeder Legislaturperiode novellieren sollten.
Sie nehmen nun immer wieder wichtige — zugegeben: wichtige — Einzelfälle zum Anlaß, dies zu fordern. Ich halte dies in diesem sensiblen Bereich unserer Marktwirtschaft, nämlich auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts, wo es eben eine gewisse Zeit braucht, daß die Gerichte ein neues Gesetz anwenden und daß die Unternehmen sich darauf einstellen, für einen großen Fehler. Ich möchte nachher um der Klarheit willen von Ihnen wirklich hören, ob Sie beabsichtigen, einen Novellierungsentwurf zum GWB in dieser oder in der nächsten Legislaturperiode einzubringen.Drittens. Wir in der FDP-Fraktion sind ganz sicher, daß Graf Lambsdorff die Feststellung des Bundeskartellamtes und der Monopolkommission auch bei dieser seiner Entscheidung sehr gewichtig berücksichtigen wird. Wir sind auch sicher — das hat in meiner Fraktion bisher immer eine große Rolle gespielt —, daß die Fragen der vielfältigen Presse- und Medienlandschaft, daß insbesondere das Existenzrecht vieler kleiner und vor allem mittelständischer Verlage eine dominante Position im Entscheidungsprozeß haben werden.Wir haben keine neuen Fakten. Deshalb kommen wir auch nicht zu neuen Ergebnissen. Am 30. November läuft die Frist aus. Dann haben wir alle die Möglichkeit, uns in einer politischen Entscheidung zum Verfahren zu äußern. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte um Nachsicht, Herr Kollege Haussmann: Es war mein Angebot, daß wir uns um 8 Uhr morgens mit dieser Frage beschäftigen.
Ich bin auch dankbar dafür, daß die SPD-Fraktion darauf eingegangen ist. Ich war erschrocken, als ich sah, was ich damit angerichtet habe, als ich auch den Kollegen Kleinert hier heute morgen um 8 Uhr gesehen habe.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte dem Kollegen Haussmann ausdrücklich bestätigen, daß ich nicht die Absicht habe, daß die Bundesregierung nicht die Absicht hat, sich in der nächsten Zeit mit einer Novellierung des GWB zu beschäftigen. Natürlich kann man sensible Fälle zum Anlaß nehmen, so etwas zu überlegen. Man sollte dann aber wenigstens die Entscheidung über solche sensiblen Fälle abwarten. Dieser Fall z. B. ist ja noch längst nicht entschieden. Ich möchte auch bestätigen, daß Bundeskartellamt und Monopolkommission selbstverständlich ernst genommen werden.Herr Kollege Junghans, im Laufe der Diskussion haben sich eine ganze Reihe von Fragen auf die wettbewerbliche Beurteilung des vorliegenden Zusammenschlußprojekts konzentriert. Bei der hierzu geübten Zurückhaltung der Bundesregierung in der Bewertung des Projekts geht es keineswegs darum, sich vor einer öffentlichen Bewertung zu drücken. Die Entscheidung des Bundesministers für Wirtschaft in dieser Sache unterliegt nach dem Kartellgesetz der gerichtlichen Kontrolle. Jede öffentliche Bewertung des Vorhabens vor dem Abschluß des förmlichen Ministererlaubnisverfahrens könnte den Antragstellern für den Fall der Nichterteilung der Erlaubnis die Möglichkeit bieten, die Entscheidung mit der Rüge der Befangenheit in Verbindung mit unzureichender Sachaufklärung vor den Gerichten anzufechten. Oberstes Bestreben des Bundeswirtschaftsministers ist es daher, die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens in jedem Fall zu gewährleisten, um so das Risiko solcher Verfahrensrügen strikt auszuschließen. Hierzu gehört vor allem auch die genaue Beachtung der kartellgesetzlichen Verfahrensregeln, die — wie die Einschaltung der Monopolkommission und die öffentliche mündliche Anhörung, die stattgefunden hat — die erforderliche Transparenz der Entscheidungsfindung sicherstellen sollen.Über die in der Presse nachzulesenden und von Ihnen angesprochenen Gerüchte einer möglichen Einbeziehung eines ausländischen Verlages in das Zusammenschlußprojekt läßt sich derzeit nur spekulieren, weil der BMWi von den Beteiligten bisher keinerlei Bestätigung in dieser Richtung erhalten hat. Zu dieser Umgehungsproblematik ist generell zu sagen, daß bei der Absenkung der Beteiligung auf unter 25 %, d. h. unter die Schwelle der Fusionskontrolle, oder bei der Aufnahme neuer Zusammenschlußbeteiligter ein völlig neues Projekt vorgelegt werden würde, dessen wettbewerbliche Zulässigkeit in jedem Fall einer erneuten Überprüfung durch
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff) das Bundeskartellamt bedürfte. Mit einer so weitgehenden Modifizierung wäre im übrigen der vorliegende Antrag auf Ministererlaubnis der Sache nach gegenstandslos. Sollte der Antrag dagegen aufrechterhalten bleiben, wird der Bundeswirtschaftsminister die gesetzlich vorgeschriebene Abwägung der wettbewerblichen Argumente einerseits und der Gemeinwohlgründe andererseits vornehmen und sodann seine abschließende Entscheidung in dieser Sache treffen.Sie haben darum gebeten, nicht vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Herr Kollege Junghans, ich muß ganz offen und deutlich sagen: Ich bedaure, das Gesetz gibt keine andere Möglichkeit, als Sie und alle anderen eines Tages vor vollendete Tatsachen zu stellen. Daran ist gar nichts zu ändern. — Danke sehr.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, hier wird in Kürze eine politische Entscheidung gefällt, die von außerordentlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland ist. Kommt es zu einem Zusammenschluß zwischen den Zeitungskonzernen Springer und Burda, dann haben wir ähnliche Verhältnisse wie in der Weimarer Republik, wo wir einen Hugenberg-Konzern hatten, der auf konservative Art und Weise dieses Land in Unheil mit hineingestürzt hat.
Es wäre ganz verhängnisvoll, wenn wir als Politiker zu dieser politischen Entscheidung nicht vorher unsere Meinung sagen würden.
Herr Haussmann, ich will Ihnen auch dies sagen: Es sind doch nicht die Politiker, die dauernd an dem Kartellgesetz herumnovellieren wollen. Es sind doch die Wirtschaftsunternehmen, die dauernd versuchen, dieses Grundgesetz der deutschen Wirtschaft zu umgehen,
indem z. B. solche Fusionen zustande gebracht werden, und zwar durch die Hintertür. Das können wir doch, wenn wir eine Marktwirtschaft bejahen, überhaupt nicht akzeptieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, einen Unternehmenszusammenschluß zwischen Springer und Burda, zwischen diesen großen Zeitungskonzernen, darf es meines Erachtens nicht geben. Es wäre ein Generalangriff gegen die Pressefreiheitund gegen die marktwirtschaftliche Ordnung überhaupt.
Einem Antrag auf sogenannte Ministererlaubnis kann weder aus Rechtsgründen noch aus anderen Gründen entsprochen werden, denn der Zusammenschluß würde nicht im überragenden Interesse der Allgemeinheit sein. Es gibt auch keine gesamtwirtschaftlichen Vorteile, wie es im Text des Gesetzes heißt, die die Nachteile der Wettbewerbsbeschränkung überwiegen. So etwas gibt es nicht.Das Bundeswirtschaftsministerium redet immer so gerne von der Sicherung mittelständischer Unternehmen. Der Geschäftsführer der Standortpresse, Herr Schiementz, hat vor kurzem gesagt: Kommt es zu diesem Zusammenschluß, würden scharenweise mittelständische Unternehmen auf diesem Markt kaputtgehen.
Das Bundeswirtschaftsministerium redet immer so gerne von der Sicherung der Arbeitsplätze. Bisher wurden alle Ministergenehmigungen mit dem Hinweis auf Sicherung der Arbeitsplätze erteilt, obwohl sich hinterher herausgestellt hat, daß dieser Hinweis meistens falsch war. Diesmal ist es aber nachweisbar so, daß Arbeitsplätze durch den Zusammenschluß vernichtet werden, wie auch der Gesamtbetriebsrat von Springer selbst festgestellt hat.
Nein, meine sehr geehrten Damen und Herren, eine gesetzliche Basis für eine Ministererlaubnis gibt es nicht. Ich hoffe, daß, wenn genehmigt werden sollte, die beigeladenen Verlage sofort eine Klage einreichen, damit diese Ministererlaubnis spätestens beim Bundesverfassungsgericht wieder kaputtgemacht wird.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ein Satz zu dem Versuch, die Fusion über Ausländer herbeizuführen. Ich meine, die anvisierte Beteiligung von Springer und Burda an einem Schweizer Verlag wäre ein ganz übler Trick, um die Fusionskontrolle insgesamt aus den Angeln zu heben. Das wäre gewissermaßen eine Umgehung des „Umgehungstatbestandes", was wir doch wirklich beide nicht wollen können. Für so etwas darf sich meines Erachtens auch das Bundeswirtschaftsministerium nicht hergeben. Es ist sicherlich richtig, daß das bisher dementiert worden ist. Das gebe ich gerne zu. Aber welche Fusion wurde denn vorher nicht dementiert, obwohl sie dann hinterher durchgeführt wurde?
Herr Bundeswirtschaftsminister, wir haben beide dafür gestritten, daß die Fusionskontrolle endlich Gesetzestext wird. Sie wurde von uns Sozialdemokraten federführend mit eingeführt, um marktwirtschaftliche Prinzipien zu sichern. Sie darf nicht wie ein Schweizer Käse durchlöchert werden. Es geht Springer auch gar nicht so sehr um Nachfolger,
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Dr. Jensdurch die Burda-Buben möglicherweise, es geht um den Aufbau eines finanzstarken Konzerns zum Einstieg in die neuen Medien für die private Berieselung der Bürger mit „Bild-Zeitungs"-Fernsehen und mit viel, viel Werbung.Da klingt es wie Hohn, wenn der Präsident Carstens jetzt gerade gesagt hat, es ginge ihm um Erhalt und Ausbau der Presse- und Informationsfreiheit. Hier wird ein elementarer Anschlag gegen die Presse- und Informationsfreiheit in unserem Land begangen.
Ich komme zum Schluß: Und Herr Springer und Herr Graf Lambsdorff, sie reden so gerne — —
Herr Abgeordneter Jens, ich habe bei der Aktuellen Stunden keinen Ermessensspielraum, über fünf Minuten hinauszugehen. Nur noch einen Satz, bitte.
..., sie reden so gerne von marktwirtschaftlichen Prinzipien, aber kommt es zu der Genehmigung, dann handeln sie genau entgegengesetzt. — Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weirich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beitrag des Kollegen Jens hat gezeigt, daß auch aktuelle Morgenstunden nicht immer Kenntnisreichtum im Mund haben.
Der Bundeskanzler, der frühere, hat in der ersten Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion nach dem Scheitern der früheren Bundesregierung gesagt, das erste, was die neue Bundesregierung tun werde, sei, die Fusion Springer/Burda zu genehmigen. Wie so oft hat er sich auch diesmal wieder getäuscht. Das erste, was die neue Regierung macht,
ist nicht, die Fusion Springer/Burda zu genehmigen, sondern, den mühsamen und beschwerlichen Weg der Sanierung des Bundeshaushaltes und der schlimmen Hinterlassenschaft, die Sie angerichtet haben, zu beschreiten.
Ich muß Ihnen sagen: Die Kampagne, die Sie hier im Zusammenhang mit einer Entscheidung, die der Bundeswirtschaftsminister alleine zu treffen hat, gegen uns und Herrn Springer, eine hochkarätige Verlegerpersönlichkeit, steuern, ist heuchlerisch; denn jahrelang haben Sie „Enteignet Springer" gerufen, und jetzt spielen Sie sich plötzlich zum Gralshüter der Pressefreiheit auf, meine Damen und Herren von der SPD.
Ausgerechnet eine Partei, die für die Verstaatlichung der Presse eingetreten ist, für zentrale Anzeigen-Pools — —
— Meine Damen und Herren, erkundigen Sie sich doch — —
— Lesen Sie Ihre eigenen Parteipapiere, beispielsweise das der südhessischen SPD und viele andere.
Sie treten ein für die Verstaatlichung der Presse.
Und der gescheiterte Hamburger Bürgermeister, Herr Klose, tritt für öffentlich-rechtliche Zeitungen ein. Das ist Ihre Position in der Pressepolitik.
Meine Damen und Herren von der SPD ein letztes Wort zu Ihrer Pressepolitik: So manchester-kapitalistisch, wie Sie mit Ihren Redakteuren in den gescheiterten Zeitungen der SPD umgegangen sind, so wäre Herr Springer nie mit seinen Angestellten umgegangen.
Ihnen geht es hier nicht um Wettbewerbspolitik — um dies deutlich zu machen —, Ihnen geht es um eine künstlich produzierte Aktuelle Stunde über einen nicht aktuellen Vorgang.
Der Wirtschaftsminister wird seine Entscheidung zu treffen haben. Wir werden sie zu bewerten haben. Wir werden sie vor allem unter dem Gesichtspunkt zu bewerten haben, ob sie ordnungspolitisch aus unserer Sicht in Ordnung geht.Wir treten ein für Vielfalt im Pressewesen. Wir sind gegen Gigantomanie. Und die Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers werden wir unter diesem Aspekt bewerten.Der Wirtschaftsminister hat sich im letzten halben Jahr überhaupt nicht geäußert. Vor einem halben Jahr schrieb der Medienexperte der SPD, Herr Nöbel, im Pressedienst: „Skepsis hin, Skepsis her, Graf Lambsdorff unterschreibt nicht". — Warum sind Sie denn jetzt plötzlich so unsicher geworden, daß Sie hier eine Aktuelle Stunde verlangen, obwohl er sich überhaupt nicht geäußert hat.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein letztes sagen: Die Zusammenballung wirtschaftli-
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WeirichL) cher Macht im Pressewesen sieht die Union genauso kritisch wie andere Kräfte.
Das ist für uns ein Stück Ordnungsrahmen, von dem sich unser übergeordnetes gesamtwirtschaftliches und gesellschaftspolitisches Interesse bestimmt. Aber ich sage auch deutlich: § 24 Abs. 3 des Kartellgesetzes gibt dem Bundeswirtschaftsminister die Möglichkeit einer Ausnahmeerlaubnis in Fällen von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen und überragendem Interesse der Allgemeinheit. Diese Fragen hat er sorgfältig zu prüfen und in seiner Verantwortung zu entscheiden. Die Stellungnahme der Monopolkommission und das Ergebnis der öffentlichen Anhörung liegen vor.Es gehört zu unserem liberalen Selbstverständnis, die Entscheidung des Wirtschaftsministers abzuwarten,
sie objektiv unter ordnungspolitischen Aspekten zu prüfen und zu bewerten, aber nicht Vorverurteilungen vorzunehmen und wilde Spekulationsgerüchte anzuheizen.Unser Ziel ist die Erhaltung eines Pressewesens in Vielfalt, die wirtschaftlich gesunde Zeitungen garantiert. An dieser wirtschafts- und medienpolitischen Dimension werden wir die Entscheidung des Ministers prüfen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Debatten morgens um 8 grenzen für mich an Körperverletzung.
Es überrascht mich, daß die christlich-liberale Regierung dafür die Verantwortung übernimmt.
Aber man muß ja Debatten mit einem Minimum an Emotionsfreiheit zu führen versuchen.
Herr Kollege Weirich, ich halte es einfach für unsinnig, zu sagen, daß die Sozialdemokraten das Pressewesen verstaatlichen wollen.
— Es ist einfach so. — Ich halte es auf der anderen Seite aber auch für überhaupt nicht angebracht, Springer mit Hugenberg zu vergleichen.
Ich habe keine Veranlassung, mich über Herrn Springer wegen seiner publizistischen Grundhaltung — wegen dem, was er schreibt — persönlich zu freuen. Es gibt eben einen Unterschied zwischen Konservativismus und einer reaktionären Presse. Ich glaube, das ist das mindeste, was man zu Springer sagen muß: daß er ein Demokrat ist. Das wird man sagen dürfen.
Ich habe aus der ganzen Debatte gelernt, daß es hier keinen aktuellen Anlaß für die Aktuelle Stunde gibt. Die negativen Entscheidungen sowohl des Kartellamtes als auch der Monopolkommission, wie sich aus der Anhörung ergibt, sind evident. Ich habe den Eindruck, daß diese negativen Entscheidungen in der politischen Wirklichkeit auch auf die Antragsteller Auswirkungen gehabt haben. — Keinen aktuellen Anlaß, aber natürlich einen bedrohlichen. Denn Zeitungen sind mehr als bedrucktes Papier. Sie transportieren Meinungen. Wir haben alle Veranlassung, darauf zu achten, daß der Konzentrationsprozeß im Medienbereich sich nicht beschleunigt fortsetzt. Das ist wirklich eine Bedrohung der Pressefreiheit in unserem Land.
Ich halte es für interessant, daß unter den Gründen, die die Antragsteller für ihr Fusionsbegehren darstellen, gesagt wird, daß sich Veränderungen der Werbeeinnahmen durch die neuen Medien ergeben werden. Das ist zweifellos richtig. Das wirft das ganze Verhältnis der Entwicklung der neuen Medien zu den Printmedien auf. Das Wettbewerbsverhältnis beider wird drastisch verändert werden. Wir tun gut daran, in der Enquete-Kommission darüber sorgfältig zu beraten, um wenigstens am Ende des Jahres klare Aussagen dazu machen zu können. Ich haben keinen Zweifel daran, daß die vielgerühmte Beteiligung Privater an den neuen Medien den Konzentrationsprozeß auch bei den Printmedien beschleunigen wird. Das ist ein Tatbestand, den man bei aller unterschiedlicher Beurteilung dieser Vorgänge nicht verschweigen darf und nicht übersehen kann.
Unser jetziger Kenntnisstand folgt eigentlich dem, finde ich, was die Monopolkommission gesagt hat. Unser jetziger Kenntnisstand müßte zu einer Ablehnung dieser beantragten Genehmigung führen. Der Wirtschaftsminister hat recht, daß er diese Entscheidung selber treffen muß. Sicherlich wird man nach dieser Entscheidung unter Umständen auch gesetzgeberische Entscheidungen prüfen können — prüfen müssen.
Ich denke aber, daß wir hier einen Appell auch an die Verlage richten müssen. Es geht nicht an, sich Fristen auszubedingen und in einer Angelegenheit, die politisch von allgemeiner großer Bedeutung ist, die Öffentlichkeit im unklaren darüber zu lassen, was denn nun in Wirklichkeit beabsichtigt ist.
Wir müssen an die Beteiligten appellieren, klare Verhältnisse zu schaffen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7505
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffIch glaube nicht, Herr Kollege Weirich — jedenfalls ist dies zu meiner Kenntnis nicht gedrungen —, daß die Sozialdemokratische Partei sich für die Verstaatlichung der Presse eingesetzt hat. Wenn Sie gesagt hätten, sie habe alle ihre eigenen Zeitungen ruiniert, käme das schon eher der Wahrheit näher.
Aber für Verstaatlichung der Presse hat sie sich wohl nicht eingesetzt.Herr Kollege Jens, Sie haben gesagt, die Unternehmen der deutschen Wirtschaft versuchten, das Kartellgesetz durch Fusionen zu umgehen. Nun sind Fusionen, die prüfungsfähig, genehmigungsfähig — d. h. auch ablehnungsfähig — sind, a priori nicht etwas Verbotenes. Nur muß ich Ihnen aus meiner Erfahrung sagen, Herr Jens: Ich glaube, meine Erinnerung trügt mich nicht, daß es fast keinen Antrag auf Ministererlaubnis gegeben hat, bei dem sich die Gewerkschaften, die Betriebsräte und die SPD-Betriebsgruppen nicht für die Erteilung der Ministergenehmigung bei mir ausgesprochen und eingesetzt hätten.Wenn Sie sagen, der Bundeswirtschaftsminister darf sich nicht für Umgehungsoperationen hergeben, dann muß ich Ihnen sagen: Er kann sich gar nicht dafür hergeben; denn er hat darin nichts zu suchen. Wenn eine solche Umgehungsoperation in Gang gesetzt wird, ist das Bundeskartellamt zuständig. Das habe ich Ihnen eben schon vorgetragen. Dann beginnt die Behandlung des Falles wieder von vorne.Herr Hirsch, natürlich werden wir Gelegenheit nehmen müssen, nach einer Entscheidung zu prüfen, ob wir gesetzgeberisch tätig werden müssen. Aber ich bitte, als endgültige Entscheidung nicht nur die Entscheidung des Ministers — ja oder nein — zu sehen, sondern auch den sich dann anschließenden Rechtsweg. Wir müssen endlich auf dem Gebiet der Wettbewerbsrechtsprechung zu höchstrichterlicher Rechtsprechung kommen und dann sehen, ob wir gesetzgeberisch tätig werden, nicht schon nach den ersten Verwaltungsakten oder dem erstinstanzlichen Urteil.
Ich habe das, was Sie gesagt haben, nicht anders verstanden, aber ich möchte darauf doch noch einmal aufmerksam machen.Meine Damen und Herren, zwei Bemerkungen zum Schluß.Erstens. Niemand in meinem eigenen Ministerium wird Ihnen Antwort geben können — Sie können jeden Beamten fragen — was ich von dieser Sache im Ergebnis halte. Und erst recht wird mich keiner der Beteiligten so an der Zunge ziehen können, daß ich vor dem Entscheidungstermin irgend etwas über meine Entscheidungsabsicht zum besten gebe. Niemand! Ich werde auch keine Gespräche dieser Art führen. Ich bin sehr gespannt, was in dieser Debatte in dieser Richtung noch vorgebracht wird.Letzte Bemerkung! Ich bitte doch dringend darum — einfach der guten Ordnung halber, Herr Jens —, den Herrn Bundespräsidenten mit seinem Ausspruch, er sei für Medienvielfalt, aus dieser akuten Situation herauszuhalten.
Dazu hat er sich weiß Gott nicht geäußert. Man könnte beinahe denken, daß Ihr Versprecher, hier werde etwas im überragenden Interesse der „Gemeinheit" vorgenommen, doch noch einen bestimmten Hintergrund hat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Nöbel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister, „akute Situation", haben Sie eben zugegeben. Ich frage aber — Herr Hirsch, Sie nehme ich aus — die, die hier gesprochen haben, nach ihrem Parlamentsverständnis. Was haben wir hier überhaupt noch zu sagen? Wir sind gegen Tricks und wollen nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden.
Das ist der Punkt.
Diese Aktuelle Stunde — das haben Sie wahrscheinlich mißverstanden, Herr Bundeswirtschaftsminister — soll Ihnen eigentlich Gelegenheit zur Klarstellung geben. Diese Klarstellung ist nicht nur erwünscht, sie ist geboten, sie ist erforderlich; aber sie ist nicht gegeben worden.
Keiner von Ihnen stellt sich hier hin und sagt: Radio Burda, Radio Springer wird es nicht geben. Warum nicht? Weil Sie so etwas wollen. Deshalb sagen Sie dies hier nicht. Der Bundeswirtschaftsminister hätte hier heute erklären sollen, er halte sich an die an Eindeutigkeit nicht zu überbietenden Klarstellungen des Kartellamts und der MonopolKommission. Das hat er so nicht gesagt. Er soll hier sagen — er kann das vor diesem Hohen Hause, vor diesem Parlament, auch heute schon tun; das erwarten wir —: Es wird keine Ministererlaubnis geben.
Der Bundeswirtschaftsminister soll hier klipp und klar erklären, daß er die Häuser Springer und Burda jetzt endlich auffordern wird, die Konzentrationsbestrebungen einzustellen. Das kann er hier heute auch zusagen. Er hat es nicht getan.Der Bundeswirtschaftsminister soll diesem Hohen Hause erklären, was er Burda und Springer an Zusagen gegeben hat und warum er das getan hat. Natürlich haben Gespräche stattgefunden — warum auch nicht? Aber was ist die Zielrichtung des Wirtschaftsministers? Das wollen wir wissen. Und was ist — trotz des Dementis — die Zielrichtung seines Parteivorsitzenden? Gebt Genscher und
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7506 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Dr. NöbelI Lambsdorff eine gute Presse, und schon seid ihr fusioniert!? Ist das die Zielrichtung?
Zwei Giganten sind es ohnehin schon, dann ist es ein Imperium.Parteiinteressen— so das Handelsblatt —dürfen nicht zu Trauzeugen für eine Elefantenhochzeit Springer-Burda auf dem deutschen Markt werden.So das Handelsblatt. Das ist nicht von mir.
Das geht j a so weit, daß -zig Prozent aller Redakteure — wir haben 13 000 in der Bundesrepublik — dann unter den Fittichen dieses Machtapparats auf Linie gehalten werden. Auch das ist ein Punkt.
— Regen Sie sich nicht so auf! — Egal, was Sie sonst an großen Sprüchen über Freiheit und Vielfalt klopfen:
Sie reden vom pluralistischen Meinungsspektrum und meinen die Stärkung ihrer eigenen politischen Richtung in Presse, Hörfunk und Fernsehen. Das meinen Sie.
Der neue Bundeskanzler redet von der Erneuerung der Medienordnung. Er meint den Zugriff auf Presse, Hörfunk und Fernsehen.
Sie reden vom Meinungsmonopol der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die Sie kaputtmachen wollen, und die wollen sie andererseits total in den Griff bekommen.
Sie wollen zusätzlich — und das ist der Punkt der Aktuellen Stunde — private Meinungsmonopole im Presse- und Rundfunkwesen schaffen. Das wollen Sie.
Bei dieser Fusion geht es um grundlegende Werte unserer Verfassung. Schon derzeit bezeichnet das Bundesverfassungsgericht die Vielfalt der überregionalen Tageszeitungen als nur „begrenzt". Schon heute wohnt mehr als ein Drittel der Bevölkerung in sogenannten Ein-Zeitungs-Kreisen, d. h. sie können sich nur aus einer einzigen Zeitung informieren. Das Grundgesetz verpflichtet den Staat zur Garantie der freien Presse.Wir fordern Sie auf, Herr Bundeswirtschaftsminister, diese Fusion abzulehnen und Maßnahmen gegen alle Versuche zur Gesetzesumgehung zu er-greifen. Sonst ist der Schutz von Art. 5 des Grundgesetzes bei Ihnen in ganz schlechten Händen.
Das Wort hat der Abgeordnete Klein .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn das deutsche Sprichwort „Wie der Schelm denkt," — ich füge hinzu: und spricht — „so ist er" stimmt, dann hat uns der Kollege Nöbel soeben
— Aber Herr Jens, Sie auch! — mit den Unterstellungen gegenüber den Regierungsfraktionen ein interessantes Bild Ihrer Auffassung von Presse- und Medienpolitik gegeben.
Herr Nöbel, wenn Sie am Mikrophon hier noch so schreien: Der Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff hat das Gesetz zu beachten, auch wenn das der SPD nicht paßt.
— Lieber Herr Roth, ich freue mich ja, daß die Sozialdemokraten plötzlich bei dieser Frage Springer/Burda so ungeheuer an der Sozialen Marktwirtschaft interessiert sind. Das ist eine große Befriedigung für mich.Herr Jens, das mit Hugenberg halte ich für einen schlimmen Ausrutscher. Ich glaube, das werden Sie noch in Ordnung bringen. Das paßt nicht zu Ihnen. Und das ist auch der Sache nicht angemessen.
Aber ich unterstelle doch, daß Sie, meine verehrten Kollegen von der SPD, den „Vorwärts" deshalb in Gefahr sehen, weil es die „Bild"-Zeitung gibt. Es ist doch sicher Springers Schuld, daß Sie mit Ihren Zeitungen nicht umgehen können. Es ist doch sicher die bevorstehende oder befürchtete Elefantenhochzeit schuld, daß von sozialdemokratischer Seite Redakteure wie Sklaven verschaukelt und verkauft wurden. Das haben Sie wohl vergessen.
Aber eine Sache ist Ihnen — das gebe ich zu; man muß auch professionellen Respekt zollen können — gelungen: Sie haben eine Unterstellung, ein Gerücht so hochzuziehen vermocht, daß es jetzt schon als Tatsache gehandelt wird. Lassen Sie mich es mal ein bißchen zurückverfolgen.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7507
Klein
Soweit ich mich erinnere, verehrter Herr Kollege Ehmke,
ist die Unterstellung einer Umgehung des Kartellgesetzes und seiner Wettbewerbsbestimmungen zuerst in der SPD-nahen „Frankfurter Rundschau" erschienen.Dann wurde dies als Gerücht aus Verlagskreisen weiterverkauft. Niemand von den Betroffenen hat es bestätigt. Heute gehen Sie so damit um, als sei das eine etablierte Tatsache.
— Herr Roth, das werden wir sehen.Aber haben Sie sich einmal Gedanken darüber gemacht, was wäre, wenn beispielsweise das Haus Springer etwas täte, wogegen kein Kartellrecht steht und wofür es Angebote gibt: etwa an einen großen amerikanischen Verlag oder an einen großen arabischen Interessenten zu verkaufen?
Was ist denn dann? Dann haben wir völlig andere Verhältnisse in unserer Presse, deren Vielfalt wir erhalten wollen.
Dann sind wir nicht mehr Herr dieser 12 000 Arbeitsplätze von hier aus. Wenn Sie das so ernst nehmen, überlegen Sie auch einmal, wie es damit aussähe!
Ich stelle mir die Frage: Wen wollen Sie eigentlich treffen? Wollen Sie auf den Grafen Lambsdorff losgehen, massiven Druck auf ihn ausüben, wollen Sie die Koalition jetzt torpedieren, wollen Sie Gräben aufreißen
oder wollen Sie ein Zerrbild von Springer hier an den Pranger stellen, einen Verlag an den Pranger stellen, Herr Duwe, der sich an die vier Prinzipien, die er öffentlich verkündet, immer gehalten hat, nämlich für die soziale Marktwirtschaft einzutreten, für die Wiedervereinigung Deutschlands einzutreten, gegen Extremismus von rechts und links einzutreten
und sich für die Aussöhnung mit den Israelis einzusetzen.
Ich halte das für keine verwerfliche Politik,
und vor diesem Hintergrund halte ich die Unterstellung, Herr Roth, dieses In-Beziehung-Setzen mitHugenberg für ausgesprochen geschmacklos.
Herr Roth, ich sage Ihnen noch eines:
Herr Abgeordneter, jetzt kommt der letzte Satz.
Wenn Sie so um die Wettbewerbsfähigkeit besorgt sind, dann frage ich mich, warum Sie das nicht waren, als durch Ihre Politik Zehntausende von kleineren Unternehmen in die Pleite kamen und damit Wettbewerber vom Markt gerieten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gattermann.
— Entschuldigung. Ich habe zwar den Fehler des Schriftführers übernommen; aber Sie sind natürlich Herr Cronenberg. Bitte sehr.
Ich bedanke mich für diese wichtige Feststellung.
Der Einsatz für Pressefreiheit und für die Vielfalt der Medien auch morgens zu dieser Stunde ist sicher ehrenwert. Nur die Tatsache, daß der Kollege Dr. Nöbel hier eine Feststellung getroffen hat, die mich stutzig gemacht hat — ich hoffe, ich habe ihn richtig verstanden — und Zwischenfragen nicht zugelassen sind, hat mich veranlaßt, hier eine Klarstellung vorzunehmen oder um Belegung zu bitten.
Der Kollege Dr. Nöbel hat festgestellt, der Bundeswirtschaftsminister Dr. Otto Graf Lambsdorff habe den Häusern Springer und Burda eine Zusage gegeben. Nach meiner festen Überzeugung und auch nach Rückfrage ist dies nicht der Fall. Herr Dr. Nöbel, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Dinge klarstellen würden, auch im Interesse der Intention Ihrer Bemühungen hier heute morgen. — Herzlichen Dank!
Das Wort hat Frau Dr. Martiny-Glotz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an eine Bemerkung anknüpfen, die Herr Hirsch gemacht hat, daß nämlich kein aktueller Anlaß für diese Aktuelle Stunde bestünde. Ich sehe diesen Anlaß doch, Herr Hirsch, weil nämlich Mitte November die von den Verlagen beantragte Frist ausläuft, wir in der nächsten Woche sitzungsfrei haben und in der Tat nicht gern vor vollendete Tatsachen gestellt werden, sondern die Probleme, um die es hier geht, nach Möglichkeit der Klarheit etwas näherbringen wollen; eine Klarheit die, wie Sie sehr richtig bemerkt haben, natürlich im wesentlichen auch durch die Verlage selbst hergestellt werden muß. Denn wir sind uns immer noch nicht darüber im klaren, was die Herren Springer und Burda bewegt, so unentwegt daran festzuhalten zu fusionieren, ob nun direkt oder über den Umweg. Das muß herausgestellt und klar werden.
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7508 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Frau Dr. Martiny-GlotzGeht es nur darum, daß Herr Springer seine Nachfolgeprobleme regelt, oder geht es in der Tat darum, daß man sich hier, auf welche Weise auch immer, eine Eintrittskarte ins medienpolitische Eldorado verschafft?
In diesem Zusammenhang möchte ich einige Zitate hier in die Debatte einführen. Ich zitiere aus dem Sondergutachten, das sich die vormalige Bundesregierung bei der Monopolkommission zu den Wettbewerbsproblemen bei privatem Hörfunk und Fernsehen beschafft hat. Da der Wirtschaftsminister, der dieses Sondergutachten in Auftrag gegeben hat, derselbe geblieben ist, nehme ich doch an, daß er auch die Absicht hat, die Konsequenzen, die die Monopolkommission vorgetragen hat, zu beherzigen. — Dort steht nämlich sehr deutlich — ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten —:Private Hörfunk- und Fernsehgesellschaften können nur dann zur Meinungsvielfalt beitragen, wenn sie von denjenigen Unternehmen und Institutionen unabhängig sind, die schon heute die öffentliche Meinung maßgeblich beeinflussen.
Daraus zieht die Monopolkommission den Schluß, daß das Kartellamt bei der Vergabe von Rundfunklizenzen so zu verfahren habe, als ob es sich um Unternehmenszusammenschlüsse handelte und deshalb jede einzelne gesondert zu genehmigen sei.Ich bringe ein zweites Zitat:Die Konkurrenz im Pressebereich ist nicht überall herstellbar. Daher ist die Unabhängigkeit von Rundfunk und Presse zumindest insoweit zu wahren, daß lokale und regionale marktbeherrschende Stellungen nicht durch einen Medienverbund entstehen oder verstärkt werden.Dem ist nichts hinzuzufügen. Der nach meinem Dafürhalten entscheidende Satz lautet:Publizistische Meinungsvielfalt ist nach Meinung der Monopolkommission nur bei wirtschaftlicher Selbständigkeit von Medienunternehmen durchsetzbar.
Ich habe in meiner Schulzeit, die hier manchem sehr vertraute — —
— Ja, Herr Kittelmann, das will ich ja gerade sagen; es liegt schon länger zurück,
es lag in der Adenauer-Zeit, in die sich manche soherzlich zurücksehnen. Da man im deutschenSchulsystem von Wirtschaft j a nichts lernt, habe ich im Geschichtsunterricht gelernt,
wie das mit der Konzentration in der Wirtschaft nach marxistischer Theorie ist: Erst hat man viele kleine Kapitalisten; dann kauft immer der größere den kleineren; dann hat man weniger, aber dafür größere Kapitalisten; zum Schluß endet es damit, daß nur noch einer übrigbleibt. — Eine solche monopolkapitalistische Konsequenz nach marxistischem Strickmuster lehnen wir ab. Wir sind für Wettbewerb in der Marktwirtschaft. — Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Helmrich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der erste Beitrag von Herrn Kollegen Junghans bewegte sich noch sehr präzise in dem Rahmen dessen, was hier eigentlich Sachverhalt der Besprechung ist. Er nannte noch die Prozentzahlen und sprach noch von Zusammenschluß auf einzelnen Märkten. Das alles ist inzwischen in der Debatte untergegangen, es ist nur noch von der „Elefantenhochzeit" die Rede, und es werden Denkgebilde herangezogen, über die das Kartellamt in der Form überhaupt nicht zu entscheiden hatte.Lassen Sie mich an diesem Punkt der Debatte noch einmal daran erinnern, daß es in erster Linie um drei Teilmärkte geht, nämlich um den Pressevertriebsmarkt, um den Anzeigenmarkt für Zeitschriften und um den Tiefdruckmarkt für Zeitschriften und für Werbedrucksachen. Sowohl die Entscheidung des Kartellamtes als auch das Gutachten der Monopolkommission berühren eine Fülle von Gestaltungsmöglichkeiten, die im Rahmen des Kartellrechts, im Rahmen unserer Gesetze beiden Unternehmensgruppen, Burda und Springer, zur Verfügung stehen.Mein Anliegen ist es, hier darauf hinzuweisen: Es ist völlig verfehlt, hier im vorhinein irgend jemanden zu verdächtigen, das Gesetz solle mit Tricks oder mit Hilfe von ausländischen Unternehmungen umgangen werden.
— Lesen Sie das Gutachten der Monopolkommission, und lesen Sie die Entscheidung des Kartellrechts. Dann werden Sie genau sehen, in welchem Rahmen sich beide Unternehmensgruppen bewegen können.Ein Letztes. Zur Zeit haben die Antragsteller den Antrag gestellt, das Verfahren ruhen zu lassen — einen Ruhensantrag —, über ihren Antrag derzeit nicht zu entscheiden. Ich glaube, Frau Kollegin Martiny, bis zum 30. November — das hat also nichts mit der nächsten sitzungsfreien Woche zu tun, es sind noch fünf Wochen — ruht der Antrag noch. In dieser Zeit hat weder der Wirtschaftsmini-
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Helmrichster noch sonst jemand Meinungsäußerungen, vorzeitige Erklärungen abzugeben, weil niemand weiß, wie der endgültige Antrag, wenn er nicht überhaupt zurückgezogen wird, aussehen wird.
— Sie möchten gerne vorher wissen, was hinterher herauskommt, ohne daß der Wirtschaftsminister weiß, welcher Antrag gestellt ist.
— Dann müssen Sie aber dem Minister sagen, über welchen Antrag er entscheiden soll. Zur Zeit hat er keinen Antrag, der zur Entscheidung reif wäre.
— Für welchen Zusammenschluß? In welcher Form?
— Der steht nicht zur Beantragung an.
Der steht nicht zur Beantragung an, das kann ich Ihnen nur wiederholen.Meine Damen und Herren, wir haben die Entscheidung des Bundeskartellamts, und wir haben auch die Stellungnahme der Monopolkommission. Die Entscheidung des Ministers geht wegen der Abwägung allgemeiner Grundsätze
über diese Entscheidung hinaus und könnte im Rahmen des Kartellrechts durchaus anders aussehen als diese beiden Entscheidungen.
Darauf muß man einmal hinweisen. Sie müssen sich damit abfinden, daß wir einerseits Verfahrensvorschriften haben, zum anderen muß Grundlage der Entscheidung ein Antrag sein, der entscheidungsreif ist; aber das ist jetzt nicht der Fall.
Damit wollen Sie sich nicht abfinden und streuen hier im vorhinein Verdächtigungen aus.
Dagegen verwahren wir uns.
Das Wort hat Frau Abgeordnete von Braun-Stützer.
Graf Lambsdorff, ich verstehe, daß Sie jetzt keine endgültige Erklärung abgeben können, wenn Sie noch keine Entscheidung gefällt haben. Dennoch, so scheint mir,
sind zwei Argumente von besonderer Bedeutung. Sie sind Vertreter eines ländlichen Kreises, eines Flächenkreises; auch ich bin das. Deshalb möchte ich Sie dringend bitten, bei Ihren Entscheidungen mit zu berücksichtigen, was es bedeuten würde, die Meinungsvielfalt im ländlichen Raum einzuschränken. Das könnte eine gesellschaftspolitisch ganz außerordentlich bedenkliche Entwicklung sein.
Ich bitte Sie des weiteren dringend, zu berücksichtigen, daß die Beherrschung des überregionalen Vertriebsmarkts zu über 50 % auch in diese Richtung wirken könnte, die wir j a wohl alle nicht wollen können.
Schließlich und endlich habe ich die dringende Bitte um Berücksichtigung auch des folgenden Argumentes: daß die Gefährdung der kleinen und mittleren Verlage eine ganz bedeutsame kulturelle Verarmung gerade für unsere Kreise bedeuten würde.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dreßler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist wichtig, festzuhalten — Herr Weirich, das wird Sie nicht erfreuen —, daß die Mehrheit der hier redenden Abgeordneten der im Bundestag vertretenen Fraktionen von SPD, CDU/CSU und FPD gegen eine Genehmigung angetreten ist.
Anders ausgedrückt, Sie sind zunächst einmal als CDU/CSU heute morgen in der Minderheit geblieben.
Herr Wirtschaftsminister, durch das Wirtschaftsministerium ist bisher an keiner Stelle verdeutlicht worden, welchen Sachverstand Sie eigentlich zusätzlich für eine solche mögliche Transaktion noch in Anspruch nehmen wollen. Sie wissen, weder Kartellamt noch Monopolkommission, weder eine Gewerkschaft noch ein Arbeitgeberverband, weder der Betriebsrat noch der Gesamtbetriebsrat noch die Arbeitnehmerschaft, die dort Beschäftigten, würden einer solchen Zustimmung das Wort reden. Ich glaube, Herr Wirtschaftsminister, Ihnen ist bewußt, daß, so gesehen, in der Öffentlichkeit letztlich der Eindruck entstehen müßte, daß der Sachverstand der Herren Springer und Burda alleine übriggeblieben wäre.Wir haben die Befürchtung — und auch das ist ein Grund für diese Aktuelle Stunde —, daß dem Wirtschaftsminister nunmehr vielleicht auch das Gefühl für Größenordnungen abhanden gekommen ist.
Demjenigen nämlich, der zwischen 3 und 4% Wählerzustimmung hat, fällt es, meine Damen und Her-ren, vielleicht schwer, sich vorzustellen, was es be-
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Dreßlerdeutet, daß langsam, aber sicher bis zu 33 % aller Journalisten von einem Unternehmensverbund abhängig werden könnten.
Herr Cronenberg, ein Satz zu Ihnen: Ich hoffe, daß aus Ihrer immer bekundeten Vorliebe für den Mittelstand nicht Leidenschaft für Konzerne wird.Meine Damen und Herren, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden könnte natürlich bedeuten — ich betone: es könnte bedeuten —, daß sich weiterhin die Möglichkeiten für Journalisten verringern, in ökonomisch selbständigen Presseverlagen zu arbeiten, und daß die Journalisten eben keine berufliche Alternative haben. Es könnte, wenn man die negativen Auswirkungen zusammenfaßt, auch bedeuten, daß die eigentlichen Presseproduzenten, die Journalisten, die Büroangestellten, die Setzer, die Drucker und die Vertriebsarbeiter, von der Pressekonzentration gleichermaßen weiter negativ betroffen werden. Der CDU/CSU scheint das, wie heute morgen sichtbar geworden ist, gleichgültig zu sein.
Deshalb, Herr Wirtschaftsminister, glauben wir, daß es Ihnen gut anstünde, sich wenigstens einmal zugunsten der Beschäftigten zu entscheiden. — Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Jens, Sie haben es gehört: Ich soll mich zugunsten der Beschäftigten entscheiden. Da sind wir natürlich bezüglich der Problematik der Fusionskontrolle und der Ministergenehmigung nur bei einem von sehr vielen Aspekten; das haben wir ja gemeinsam häufig genug erlebt.Meine Damen und Herren, ich bitte um Nachsicht dafür, daß ich den dicken Schönfelder mit aufs Podium bringe, weil ich keine Einzelausgabe zur Hand habe. Aber ein Blick ins Gesetzbuch, in diesem Falle ins Kartellgesetz, ist doch immer ganz nützlich, bevor man debattiert.
Da heißt es nämlich in § 24 Abs. 3:
Der Bundesminister für Wirtschaft erteilt auf Antrag die Erlaubnis zu dem Zusammenschluß, wenn im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkung von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen wird oder der Zusammenschluß durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist; hierbei ist auch die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen auf Märkten außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes zu berücksichtigen. Die Erlaubnis darf nur erteilt werden, wenn durch das Ausmaß der Wettbewerbsbeschränkung die marktwirtschaftliche Ordnung nicht gefährdet wird ...Meine Damen und Herren, an dieses Gesetz werde ich mich selbstverständlich halten.Der Kollege Dreßler hat gefragt, welchen Sachverstand ich dabei einsetze. Nun, den des Bundeswirtschaftsministeriums! Das ist der Sachverstand, der bei einer solchen endgültigen Entscheidung nur noch eingesetzt werden kann, wobei selbstverständlich die zur Verfügung stehenden Informationen und die Anregungen, die Sie hier gegeben haben, die etwa Frau von Braun-Stützer eingeführt hat, sowie natürlich die Entscheidungen des Kartellamtes und der Monopolkommission — wozu muß die in einem solchen Verfahren denn gefragt werden?— bei der Abwägung der Gründe mit herangezogen werden. Das ist völlig selbstverständlich und ist in jedem Falle so gehandhabt worden.Ich sage aber noch einmal: Derzeit gibt es keinen entscheidungsfähigen Antrag. Das muß ich auch der Frau Kollegin Martiny-Glotz sagen. Wenn ich einmal annehme, daß der Antrag auf Ruhen des Verfahrens verlängert wird und daß keiner der Verfahrensbeteiligten einem solchen Antrag widerspricht, wird es auch Ende November noch keine Entscheidung geben können. Herr des Verfahrens sind insoweit Antragsteller und Verfahrensbeteiligte; das kann ich nicht anders sehen.
— Das ist nicht meine Sache, verehrter Herr Kollege Roth, sondern Sache der Antragsteller und der Verfahrensbeteiligten.Meine Damen und Herren, sagen will ich aber auch, daß ich etwas verwundert bin, wenn Sie, Herr Kollege Nöbel, behaupten, es hätte Zusagen gegeben. Kommen Sie bitte herauf und sagen Sie, welche Zusagen wem gegeben worden sind!
Verwundert bin ich auch, wenn Sie hier schlicht formulieren: Natürlich haben Gespräche stattgefunden.
— Hamburg? Kommen Sie herauf und sagen Sie, was Sie meinen. Hamburg ist keine Zusage, Hamburg ist eine Stadt.
Wenn Sie mir sagen, es hätten Gespräche stattgefunden, dann kommen Sie bitte hier herauf und sagen Sie, welche Gespräche und wann!
Aber, meine Damen und Herren, ich will die Gelegenheit nutzen, klar zu sagen, daß die entsprechende Meldung des „Spiegel" falsch ist. Das habe ich zwei Redakteuren des „Spiegel", als sie kürzlich ein „Spiegel"-Gespräch mit mir geführt haben, auch gesagt, aber natürlich ist das nicht gebracht worden. Die Meldung, im August hätten sich Herr Gen-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffscher und ich mit führenden Vertretern der Verlagshäuser und mit dem mir persönlich unbekannten — —
— Ich sage nur, daß diese Meldung falsch ist! Sie ist von Anfang an falsch gewesen. Ich habe — falls Sie das wissen wollen, Herr Roth — ein solches Gespräch weder im August noch zu anderer Zeit geführt.Meine Damen und Herren, grundsätzlich bleibt es dabei, daß die Bundesregierung der Erhaltung einer Vielzahl miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen auch im Pressebereich besondere Bedeutung beimißt, weil sie entscheidend mit dazu beiträgt, die publizistische Meinungsvielfalt zu wahren. An den Grundsätzen, die wir bisher im Bundeswirtschaftsministerium vertreten haben, hat sich durch die Änderung in der Regierungskoalition gar nichts verändert. Es bleibt bei derselben Haltung zur Frage der Pressefusion und der Pressefusionskontrolle.Ich halte mich aber, meine Damen und Herren, erstens an das Gesetz, wonach ich hier vorher keine Erklärung abgeben kann. Ich halte mich zweitens an Jesu Sirach, 23. Kapitel, Vers 7:Liebe Kinder, lernet das Maul halten. Denn wer es hält, der wird sich mit Worten nicht vergreifen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin knapp davor, dem Herrn Wirtschaftsminister für seine christliche Erleuchtung zu gratulieren. Aber ich muß sagen: Sie ist so im Widerspruch zu seinem sonstigen Gebaren — von wegen immer schweigsam und zurückhaltend zu sein —,
daß mir scheint, als müßte da etwas dahinterstekken.
Ich habe jetzt gerade von Ihnen gehört, Herr Bundeswirtschaftsminister, es hätten keine Gespräche der FDP-Führung mit Burda und Springer zu diesem Thema stattgefunden. Ich hoffe es stimmt, daß nach der Entscheidung des Kartellamts im Frühsommer 1981 keine derartigen Gespräche stattgefunden haben. Ich hoffe, es stimmt.
Ich hoffe, es wird sich im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht ergeben, daß sich derartige Gespräche im Jahre 1981 zugetragen haben.
Meine Damen und Herren, dieses ganze Verfahren wird von Ihrer Seite mit Ausflüchten beantwortet. Hier wurde vorher erklärt, man wisse etwas über den „Vorwärts". Ich habe nicht den Eindruck, daß der „Vorwärts" ein Massenblatt ist, das eine Elefantenhochzeit vorhat.
Es geht vielmehr darum, daß ein Konzern und ein zweiter Konzern eine gewaltige Macht im Printbereich haben und nun dadurch eine neue Macht begründen, daß sie sagen: Wir haben bisher Macht gehabt; jetzt muß gefälligst auch die Substanz geschaffen werden, daß neue Ufer beschritten werden können.
Dies ist gegen jede Idee von Wettbewerb. Innovationen sollten j a gerade neuen Wettbewerbern Chancen geben und nicht Rechte für die alten begründen. Wo stehen Sie denn da in Ihrer Debatte? Der Herr Weirich weicht aus in Debatten über Nationalisierung von Presseunternehmen. Um Himmels willen!
Derartige Diskussionen hier hereinzubringen ist doch wirklich wiederum der Versuch, vor dem Thema zu flüchten.
Sollen die beiden großen Konzerne, die jetzt im Pressewesen diese gewaltige Macht angehäuft haben, die z. B. im Falle Springer in Norddeutschland sogar kleine Verlage zerstört, aufgesogen haben,
nun ein neues Machtinstrument in die Hand bekommen?
Was bedeutet das für die liberale Demokratie? Warum kann zu diesen Grundsätzen, losgelöst vom Antrag, ein Wirtschaftsminister nicht seine liberalen Grundsätze hier in dieser Aktuellen Stunde vertreten?
Warum nicht? Was steckt dahinter? Warum können Sie sich nicht dem völlig anschließen, was Herr Hirsch oder Frau Braun-Stützer gesagt haben? Ich bin hier wirklich geneigt, zu sagen: Hier steckt noch vieles unter der Decke, und es wird hervorkommen. Wir als Opposition werden im Deutschen Bundestag Tricks, Ausflüchte und Methoden zur Umgehung des Gesetzes jedenfalls nicht zulassen. Von mir aus kommt das in jeder Sitzungswoche am Freitag um 8 Uhr nochmals zur Debatte. — Vielen Dank fürs Zuhören.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weirich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nur noch zwei Bemerkungen zur Klarstellung machen.Erstens. Herr Kollege Dreßler, Sie haben ein ganz problematisches Mehrheitsverständnis. Hier
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Weirichhat es keine Mehrheit für Ihre Position gegeben, sondern hier hat es Mehrheiten für die Respektierung eines schwebenden Verfahrens gegeben, über das der Bundeswirtschaftsminister endgültig entscheidet und das wir dann zu bewerten haben. Nur das war die Mehrheit in diesem Hause.
Zweitens. Es ist aus dem Beitrag des Kollegen Roth ganz deutlich geworden, daß es ausschließlich um eine Emotionalisierungskampagne der SPD gegen den Wirtschaftsminister vor einer bedeutsamen ordnungspolitischen Entscheidung geht, um sonst nichts.
Nun muß ich einen letzten Punkt ansprechen, bei dem ich dem Bundeswirtschaftsminister leider widersprechen muß. Wenn in einem Programm steht „Vergesellschaftung der Druckereien und Vertriebsapparate, Überführung der Nachrichtenagenturen in Gemeineigentum,
Bildung von zentralen Anzeigenpools" — Herr Wirtschaftsminister, so im Medienpapier der südhessischen SPD, die 100 000 Mitglieder hat, und der Jungsozialisten —, dann ist Ihre Bemerkung falsch, Sie glaubten nicht, daß weite Teile der SPD auf die Verstaatlichung der Presse hinwirkten. Herr Hirsch sagte, das sei Unsinn.
— Ich kann nur sagen: Meine Bemerkung, die ich gemacht habe, läßt sich auf Fakten stützen.Ich komme zu dem Schluß, Herr Bundeswirtschaftsminister, obwohl ich Ihre Position im Grundsätzlichen teile: Sie unterschätzen offenkundig die Vorstellungen der SPD. Sie sind schlimmer, als Sie annehmen. Insofern glaube ich, daß Sie die Programme der SPD noch einmal lesen sollten. Weite Teile der SPD treten für die Verstaatlichung ein.
Andere SPD-Teile treten dafür ein, daß das publizistische Gleichgewicht zwischen privatwirtschaftlich organisierter Presse und öffentlich-rechtlichem Rundfunkmonopol dadurch aufgegeben wird, daß alles öffentlich-rechtlich organisiert wird. Was das im letzten bedeutet, nämlich daß wiederum der Einfluß des Staats auf die gesamte Medienlandschaft zunimmt und weniger Freiheit vorhanden ist, sollte unser ordnungspolitisches Thema der Zukunft sein. Darüber sollten wir im Deutschen Bundestag öfter reden, Herr Kollege Roth. — Ich danke Ihnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aktuelle Stunde.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Lammert, Kiep, Dr. Waigel, Gerstein, Wissmann, Breuer, Weiskirch , Dr. Unland,
Löher, Link, Frau Hürland, Landré, Tillmann, Frau Karwatzki, Dr. Pohlmeier, Dr. Schwörer, Sauer , Conrad (Riegelsberg), Müller (Wadern), Ganz (St. Wendel) und der Fraktion der CDU/CSU Strukturkrise der europäischen Stahlindustrie und deutsche Stahlpolitik
— Drucksache 9/1494
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist damit so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Dies ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Lammert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heute zur Beratung anstehende Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Strukturkrise der europäischen Stahlindustrie und zur deutschen Stahlpolitik vom März dieses Jahres ist inzwischen ein halbes Jahr alt. Es wäre ausgesprochen schön gewesen, wenn er sich in der Zwischenzeit erledigt hätte. Aber davon kann bedauerlicherweise überhaupt nicht die Rede sein. Vielmehr haben sich die in diesem Antrag angesprochenen Probleme und Fehlentwicklungen eher verschärft, jedenfalls aber aktualisiert.Die Strukturkrise der europäischen Stahlindustrie dauert nach wie vor an. Die massiven Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft sind nach wie vor nicht beseitigt. Die Stahlproduktion in den westlichen Ländern wird in diesem Jahr um mindestens 8 % zurückgehen. Allein die Rohstahlprodtiukon in der Bundesrepublik ist in den beiden letzten erfaßten Monaten um nicht weniger als 25 % unter dem Vorjahresniveau geblieben.Die Preisdisziplin unter den europäischen Stahlherstellern ist inzwischen längst wieder verlorengegangen. Anfang dieses Jahres waren sich alle Stahlerzeuger innerhalb von „Eurofer" mit den politischen Organen darin einig, daß jeder europäische Verarbeiter zum gleichen Preis bedient werden sollte und sich die Höhe dieses Preises nach dem günstigsten Kostenniveau, also nach dem deutschen, richten sollte.Das alles ist inzwischen längst wieder vorbei. Die Wechselkursänderungen haben Preisänderungen bewirkt, die bis heute nicht beseitigt worden sind. Die Folge sind Ertragsvorteile und Beschäftigungsvorteile für französische, belgische und italienische Stahlunternehmen zu Lasten der deutschen Betriebe und Unternehmen.Die Drittlandimporte außereuropäischer Hersteller in die Europäische Gemeinschaft kommen inzwischen zu weit mehr als 50 % und damit in einem doppelt so hohen Maße, wie das dem Marktanteil innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ent-
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Dr. Lammertspricht, auf den deutschen Markt. Von Ertragsaussichten für das Jahr 1982, über die wir von dieser Stelle aus in der letzten Debatte im März dieses Jahres gesprochen hatten, kann nach wie vor — trotz Preisanhebung — natürlich nicht annähernd die Rede sein. Der Traum von den schwarzen Zahlen deutscher Stahlunternehmen droht zum Alptraum von den schwarzen Fahnen zu werden.
Neue Massenentlassungen im Bereich deutscher Stahlunternehmen sind inzwischen angekündigt, und zwar sowohl im Ruhrgebiet und im Siegerland als auch im Saarland. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, im Saarland bangen etwa 5 000 Stahlarbeiter, im Ruhrgebiet, im Sauer-/Siegerland noch wesentlich mehr um ihre Arbeitsplätze. Nahezu jeder zweite von ihnen macht inzwischen Kurzarbeit.
Das Problem besteht doch darin: Deren Arbeitsplätze sind nicht deshalb bedroht, weil dort weniger hart gearbeitet wird als anderswo. Sie sind auch nicht deswegen bedroht, weil in deren Unternehmen und Betrieben schlechter gewirtschaftet wird als anderswo, sondern sie sind deswegen bedroht, weil sie die Konkurrenz mit den Staatskassen der Nachbarländer natürlich nicht durchstehen können und diese Wettbewerbssituation um so aussichtsloser werden muß, je länger sie andauert. Deswegen, meine Damen und Herren, ist der Zeitpunkt für diese Debatte günstig, wenige Wochen nach der Notifizierung der Investitionsbeihilfeanträge bei der Europäischen Gemeinschaft und wenige Tage nach der Beendigung des Stahlstreits zwischen den Europäischen Gemeinschaften und den Vereinigten Staaten.Die einzige halbwegs erfreuliche Nachricht, die in diesem europäischen Stahldrama in den letzten Wochen überhaupt zu bekommen war, betrifft die Beendigung des monatelangen Stahlstreits zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Gemeinschaft. Diese Auseinandersetzung wäre ohne die jahrelange, massive Subventionierung europäischer Stahlunternehmen durch nationale Regierungen überhaupt nicht möglich gewesen, die dann, nachdem es auch zu dramatischen Einbrüchen auf dem US-Stahlmarkt gekommen war, auch amerikanischen Firmen Anlaß zu Antidumping-Klagen gegeben hatte. Die daraufhin bei der amerikanischen Regierung beantragten, inzwischen übrigens j a auch ausgesprochenen Strafzölle auf europäische Stahlimporte sind nun durch eine Vereinbarung zur Selbstbeschränkung der Stahlexporte in die USA bis Ende 1985 abgewendet worden.Meine Damen und Herren, mit dieser Vereinbarung — um das an dieser Stelle mit ins Protokoll zu bringen — hat vor allem die bundesdeutsche Stahlindustrie, was die Beschränkung ihrer Absatzmöglichkeiten angeht, erneut ein Opfer bringen müssen, um diesen in jeder Beziehung unerfreulichen Stahlkrieg zu beenden. Deutsche Unternehmen wären von den angedrohten Strafzöllen praktisch gar nicht betroffen gewesen, da ihre Produkte — imGegensatz zu ihren europäischen Konkurrenten — durch staatliche Subventionen nicht künstlich verbilligt werden.Um so notwendiger und auch um so berechtigter ist die endlich harte und eindeutige Verhandlungsposition der Bundesregierung im europäischen Stahlpoker gewesen, die nach leidvollen Erfahrungen der letzten Jahre auf fairen und verbindlichen Abmachungen bestanden und angemessene Quoten für die deutschen Stahlunternehmen am künftigen US-Stahlmarkt durchgesetzt hat.
Dies gilt vor allem auch für die Sonderregelungen in bezug auf Röhrenexporte. Die Bundesregierung verdient ganz sicher auch Anerkennung dafür, daß sie eine Erklärung der Europäischen Kommission gegenüber dem Ministerrat durchgesetzt hat, bis zum Ende dieses Jahres für die Wiederherstellung eines einheitlichen Stahlpreisniveaus in der Europäischen Gemeinschaft zu sorgen — ein Punkt, der j a nicht zuletzt auch im Interesse der deutschen Stahlverarbeiter liegt.Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU begrüßt ausdrücklich, daß die Bundesregierung nicht bereit war, einem Selbstbeschränkungsabkommen EGUSA für Stahlexporte zuzustimmen, wenn dadurch weitere deutsche Arbeitsplätze ungerechtfertigterweise gefährdet würden und deutsche Stahlunternehmen für Subventionssünden anderer Konzerne in der EG hätten zahlen müssen. Meine Damen und Herren, hätten die deutschen Unternehmen über diese Regelung hinaus weitere Beschränkungen hinnehmen müssen, so wären sie ein weiteres Mal für Sünden bestraft worden, die ihre EG-Konkurrenten begangen haben.
Wir stimmen der Erklärung des Bundeswirtschaftsministers und seiner Verhandlungsposition ausdrücklich zu, daß — ich zitiere aus einem Pressegespräch des Wirtschaftsministers — „für uns in der Bundesrepublik Arbeitsplätze im Stahl in Gelsenkirchen, in Dortmund und in Duisburg wichtiger sind als eine Solidarität mit EG-Partnern, die noch immer aus ihren Staatskassen ihre Stahlkonzerne erheblich unterstützen".
Für die Beurteilung der Stahlpolitik der neuen Bundesregierung, die j a zu pflichtgemäßen kritischen Zweifeln auf seiten der Opposition geführt hat, sind die Reaktionen der Nachbarländer auf die letzte europäische Verhandlungsrunde ausgesprochen aufschlußreich. Der Bonner Kabinettsbeschluß von der vergangenen Woche ist nach übereinstimmenden Berichten deutscher Korrespondenten in Brüssel dort — ich zitiere — „wie eine Bombe eingeschlagen". Der Korrespondent der „Stuttgarter Zeitung" schreibt — ich zitiere —:So viel Mut hatte man der Regierung Kohl nun wirklich nicht zugetraut.
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Dr. LammertEntgegen allen Erwartungen ist Bonn nicht umgefallen.
— Herr Reuschenbach, das ist für Sie natürlich eine völlig ungewohnte Kommentierung. Wir stellen aber mit großer Befriedigung fest, daß hier nun endgültig eine konsequente, die deutschen Interessen wahrende Position eingenommen wird.
Ein neutraler Beobachter dieser Auseinandersetzung, der Korrespondent des Schweizer Rundfunks, schreibt dazu:Die Europäische Kommission, vor allem aber Davignon, muß sich inzwischen den Vorwurf gefallen lassen, die Entschlossenheit der Deutschen unterschätzt zu haben, nicht für die Subventionssünden ihrer EG-Partner zahlen zu wollen. Bonn, bislang Musterknabe in der Gemeinschaft vor allem im Stahlbereich, wird aufmüpfig und schreckt offensichtlich nicht länger vor dem Konflikt mit den übrigen EG-Mitgliedsländern zurück.Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion begrüßt ausdrücklich, daß das Kabinett Kohl bei seiner ersten europäischen Entscheidung Flagge gezeigt hat. Die Stahlarbeiter im Ruhrgebiet, im Saarland und im Siegerland wissen seit der vergangenen Woche, daß die Vertretung ihrer Interessen in Brüssel an Konsequenz und Härte gewonnen hat.
— Herr Kollege Gerstein, das wurde in der Tat dringend Zeit. Die Nachbarländer wissen — das füge ich gleich hinzu —, daß sich die deutsche Regierung auch in Zukunft europäischen Lösungen nicht verweigern wird, aber künftig nicht mehr zu beliebigen Bedingungen und auch nicht zu unklaren und unverbindlichen, von niemandem durchsetzbaren Voraussetzungen.
Meine Fraktion erwartet, daß dieser Kurs der Bundesregierung in der Stahlpolitik auch bei den anstehenden Entscheidungen über die eingereichten Investitionsanträge fortgesetzt wird.Vor vierzehn Tagen war aus Brüssel zu erfahren, daß die EG-Kommission über die Anträge von Hoesch auf Investitionshilfen nicht eher entscheiden wolle, bis geklärt sei, ob das Ruhrstahl-Konzept tatsächlich verwirklicht werde — diese Nachfrage ist verständlich —, da ihr von der alten Bundesregierung am 30. September sowohl Genehmigungsanträge für Investitionshilfen für eine neu zu bildende Ruhrstahl AG als auch Alternativvorschläge von Hoesch für den Fall des Scheiterns einer solchen neuen Unternehmenskonstruktion vorgelegt worden seien; auch Krupp werde möglicherweise Alternativanträge vorlegen.Zu der Verwirrung in Brüssel hat offensichtlich beigetragen, daß die alte Bundesregierung keine klare Stellungnahme zu den Anträgen der Stahlunternehmen abgegeben hat.
— Nun beruhigen Sie sich doch. Ich kritisiere das j a gar nicht angesichts des Zeitplanes, nach dem nun dieser Vorgang der Notifizierung in Brüssel stattfinden muß. Ich bin aber davon überzeugt, verehrter Herr Baack, daß es auch in Ihrem Interesse liegen muß, daß wir heute diese Debatte dazu benutzen, die Bundesregierung aufzufordern, nun schleunigst diese Stellungnahmen nachzureichen, damit der Entscheidungsprozeß in der Kommission überhaupt in Gang gesetzt werden kann und zu den von uns doch sicher gemeinsam gewünschten Ergebnissen führt.
Im übrigen hat doch der Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen bereits vor Wochen erklärt, das Unternehmenskonzept von Ruhrstahl sei überzeugend; es sei — so der Wortlaut — „das Beste, was Brüssel bisher gesehen habe". Ich hoffe, daß man es in Brüssel bisher überhaupt gesehen hat. Ich fürchte allerdings, daß man in Brüssel —jedenfalls was unsere Nachbarn angeht — bislang überhaupt nicht viele überzeugende Konzepte in der Hand hatte.Meine Damen und Herren, es gibt nach wie vor erhebliche Unsicherheit über die konkreten Entscheidungskriterien der Europäischen Kommission. Das ist der Punkt, über den wie hier reden müssen. Zwar wird in Brüssel andauernd von der ja auch unbestrittenen Notwendigkeit eines Kapazitätsabbaus geredet, aber kein Mensch kann präzise die Frage beantworten, was das eigentlich in bezug auf einzelne Stahlsorten, auf bestimmte Walzstahlprodukte, auch hinsichtlich der Frage bei welchen Unternehmen bzw. an welchen Standorten genau heißen soll. Und schließlich herrscht vollständige Verwirrung bei der Frage, auf welches Basisjahr der Kapazitätsabbau überhaupt vollzogen werden soll, 1974, 1980, 1982. Es ist unklar, was in diesem Zusammenhang mit „vorübergehenden Stillsetzungen" und „endgültigen Stillegungen" gemeint ist und wie das bewertet werden soll, was in den vergangenen Jahren bereits verschrottet worden ist.Mit anderen Worten: Es ist völlig unklar, welchen Maßstab die europäische Kommission an das Verhältnis von Beihilfen und Kapazitätsabbau anlegt. Und solange hier nicht Transparenz hergestellt ist, kann von einer angemessenen, rationalen Bewältigung der europäischen Auseinandersetzung nach unserer Überzeugung nicht geredet werden.
Dies gilt um so mehr, als das zum 30.9. bei der Europäischen Kommission angemeldete gesamte Beihilfevolumen — bezeichnenderweise kennt es noch niemand ganz genau — offensichtlich immense Größenordnung hat, so daß statt des geforderten Abbaus zumindest in allernächster Zukunft
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Dr. Lammertmit einem weiteren Anstieg der Beihilfen gerechnet werden muß.Die CDU/CSU-Fraktion erwartet von der Bundesregierung beim bevorstehenden Brüsseler Poker in diesen Fragen eine ähnliche konsequente und konstruktive Verhandlungsposition, wie sie bei der Beilegung des europäisch-amerikanischen Stahlstreites zu beobachten war.In diesem Zusammenhang verweisen wir auf die drei Ziffern unseres Ihnen heute vorliegenden Antrages. Wir stellen erhebliche formale und materielle Mängel in der Anwendung des Subventionskodex durch die Europäische Gemeinschaft fest und eine nach wie vor nicht ausreichende Transparenz der nationalen Beihilferegelungen.
Man hört, daß inzwischen bei der Europäischen Kommission 14 verschiedene Beihilfeprojekte vorliegen, die den Anforderungen dieses Kodex nicht genügen sollen. Warum, auf Grund welcher Bestimmungen, ist im einzelnen wieder nicht feststellbar. Und dazu sind dann Anhörungsverfahren in Gang gesetzt worden, die an mangelnder Transparenz nun wirklich kaum mehr zu überbieten sind. Mir liegt das „Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften" mit Datum vom 31. Dezember 1981 vor. Das war offensichtlich die Silvesterausgabe. Wenn man sich nämlich ansieht, unter welchen Voraussetzungen hier Anhörungsverfahren durchgeführt werden, dann müssen einem in der Tat gravierende Zweifel an der Seriosität dieses Verfahrens kommen. Da wird ominös gesprochen von Antragsverfahren, Umstrukturierungsanträgen einer Gesellschaft, die aus zwei französischen Stahlunternehmen bestehe und ihre bedeutendsten Anlagen zur Edelstahlherstellung umgruppiere. Es heißt dann, man könne zusätzliche Auskünfte zu dieser Mitteilung erhalten bei der Generaldirektion für Wettbewerb, Direktion ... , unter der Telefonnummer ... Meine Damen und Herren, ich kann beim allerbesten Willen nicht finden, daß das die Art von Bewältigung europäischer Auseinandersetzungen über angemessene Stahlpolitik ist, die wir alle hier im Hause gemeinsam seit Monaten und Jahren für notwendig gehalten haben.
Wenn es, wie überall zu lesen ist, einen Bericht der Europäischen Kommission über den Gesamtwert der den Stahlindustrien Europas in den Jahren 1975 bis 1980 gewährten Beihilfen geben soll, dann würden wir gern wissen, warum der eigentlich nicht publiziert wird. Wir würden das in der Tat nicht so sehr deswegen wissen wollen, weil wir uns völlig neue Aufschlüsse über die Größenordnung versprächen, sondern weil wir gern wüßten, nach welcher Methode die Europäische Kommission überhaupt den Beihilfewert errechnet; denn die Unsicherheiten bestehen genau darin, daß der eine nach diesen Kriterien und der andere nach völlig anderen zu seinen Berechnungsergebnissen kommt.Wir weisen in unserem Antrag zweitens darauf hin, daß der unvermeidliche Kapazitätsabbau innerhalb der Europäischen Gemeinschaft nicht nur bei uns, sondern auch und in eher noch stärkerem Maße bei den europäischen Nachbarländern ökonomische und soziale Probleme aufwirft, deren Lösung allerdings um so schwieriger wird, je länger der unvermeidliche Anpassungsprozeß verzögert oder behindert wird.Drittens. Wir fordern die Bundesregierung auf, politische Handlungsalternativen für den Fall eines Scheiterns überzeugender europäischer Regelungen vorzubereiten und dem Bundestag vorzulegen, die ohne die Aussicht auf Dauersubventionen angemessene und zumutbare Wettbewerbsverhältnisse wiederherzustellen geeignet sein können.Dabei wird die CDU/CSU-Fraktion zwei naheliegende Versuchungen vermeiden. Wir werden erstens dabei bleiben, daß öffentliche Beihilfen für Stahlunternehmen, die auf Grund dieser Situation unvermeidlich geworden sind, nicht zu Dauersubventionen werden dürfen. Selbst wenn wir dies für wünschenswert hielten — was wir nicht tun —, wissen wir zu gut, daß Interventionen gegen den Markt auf Dauer weder durchsetzbar noch finanzierbar sind. Wer sich oder anderen anderes erzählt, lügt sich und anderen etwas in die Tasche.
Zweitens werden wir bei aller vorrangigen Sorge um die Entwicklung im Bereich der Stahlindustrie auch in Zukunft darauf achten, daß Umstrukturierungsprogramme nicht zur Verlagerung der Probleme einer Branche auf eine andere Branche führen.
Wir werden also auch in diesem Zusammenhang die Probleme der Stahlverarbeiter im Auge behalten. Jeder von uns, die hier sitzen, weiß ganz genau, daß die Zahl der Arbeitsplätze, um die es in diesem Zusammenhang geht, noch bedeutender ist als im Bereich der Stahlindustrie im engeren Sinne.Aber lassen Sie mich zum Schluß auch noch einen Satz an die Adresse der Stahlverarbeiter sagen. Die Wiederherstellung der Preisdisziplin auf dem Stahlmarkt liegt nicht zuletzt im Interesse der Stahlverarbeiter selbst. Am Ende eines ruinösen europäischen Subventionswettlaufs, wo nur die hochsubventionierten Unternehmen — das sind nicht unsere — überleben könnten, wäre nach irgendwann nicht mehr zu vermeidender Einstellung der Verlustabdeckung nicht rentabler Betriebe aus erschöpften Staatskassen ein Stahlpreisschock zu erwarten, der den Verarbeitern Hören und Sehen vergehen lassen würde. Deswegen bitten wir auch diesen Punkt im Auge zu behalten, wenn wir hier auf einer geregelten disziplinierten Konstruktion im Bereich des Stahlpreisniveaus bestehen.
Die CDU/CSU-Fraktion wünscht der Bundesregierung im Interesse der existentiell betroffenen Stahlarbeiter und Stahlbetriebe bei der Regelung der anstehenden nationalen und vor allen Dingen
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7516 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Dr. Lammert1 auch europäischen Probleme durchschlagendere Erfolge, als sie der alten Regierung möglich waren.
Für die erkennbaren neuen Akzente, für die Entschlossenheit, eine klare Sprache mit eindeutigen Vereinbarungen und fairen Bedingungen zu verbinden und auch durchzusetzen, hat die Bundesregierung jedenfalls die volle Unterstützung der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reuschenbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Änderung der Umstände hat es nun mit sich gebracht, daß der Antrag der CDU/CSU, der ursprünglich der sozialliberalen Regierung und insbesondere ihrem Wirtschaftsminister unzureichende Wahrnehmung der deutschen Stahlinteressen vorhalten sollte, sich nun unversehens an die eigene Regierung und an den alten und neuen Wirtschaftsminister richtet.
Insofern finde ich es schon recht merkwürdig, verehrter Herr Dr. Lammert, wenn Sie so tun, als ob der alte und neue Wirtschaftsminister seit dem 1. Oktober dieses Jahres nun plötzlich eine völlig andere Qualität gewonnen hätte,
jedenfalls nicht die Qualität, die Sie ihm nun andichten.
Die Änderung der Umstände wird uns nicht in Versuchung bringen, uns schadenfroh zurückzulehnen, und uns auch nicht veranlassen, das, was wir hier bisher für richtig und notwendig gehalten haben, zu verbrennen oder zu korrigieren.Die Aufforderung an die Bundesregierung unter Punkt 3 des Antrags der Union, „gegenüber der Europäischen Kommission mit allen rechtlichen Mitteln auf die strikte Handhabung der vereinbarten Beihilferegelungen zu drängen und politische Handlungsalternativen zu erarbeiten ..., die für den Fall des offensichtlichen Scheiterns einer europäischen Lösung zumutbare Wettbewerbsbedingungen für die deutschen Stahlunternehmen wieder herstellen" usw. usw., war in der Vergangenheit unsere politische Richtschnur und wird es bleiben. Dazu will ich gleich sagen: Wir begrüßen es, daß zunächst der Stahlkrieg mit den Vereinigten Staaten vermieden werden konnte. Allerdings ist in diesem Zusammenhang ja auch deutlich geworden — Herr Dr. Lammert hat darauf hingewiesen —, daß nicht alle Blütenträume nationaler Art reifen, weder vor nochnach dem 1. Oktober. Daß dieser Krieg vermieden werden konnte, ist erkauft worden mit Opfern. Auch insofern gibt es also keinen Grund, die Zeitrechnungen hier mit dem 1. Oktober enden oder mit diesem Datum beginnen zu lassen.Zweiter Punkt: Mit Sorge sehen wir dagegen — auch wenn es im Augenblick noch nicht so deutlich ist —, daß sich trotz der augenblicklichen Abwiegelung ein Röhrenkrieg zusammenbraut. Da hat es überhaupt keinen Sinn, sich damit zu beruhigen, daß es im Augenblick anders zu sein scheint.
Wir hoffen sehr, daß die EG-Kommission auch tatsächlich in der Lage ist, die Kürzungen dort durchzusetzen, wo die Sünden begangen wurden. Aber wir werden nicht deshalb, weil die EG-Kommission dazu nicht in der Lage ist, so tun, als ob die Interessenwahrnehmungen seitens der deutschen Bundesregierung unzulänglich gewesen wären. Das ist in Europa so, daß es Kompromisse gibt und geben muß, oder aber man steigt aus. Wer sich so nationalistisch gebärdet, wie Sie das heute morgen getan haben,
wird eigentlich dem großen Anspruch, den Ihr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung dargelegt hat, nicht gerecht.
Wir hoffen sehr, die Zusicherung wird realisiert, daß die Preise für alle Verarbeiter in den EG-Ländern wieder gleich sein werden. Da ist es nicht getan mit Appellen an diesen und jenen, sondern da hat der Bundeswirtschaftsminister darauf zu achten, daß die selbstübernommenen Verpflichtungen der Kommission, notfalls auch Bußgeldbescheide herauszugeben, realisiert werden. Dieses sind die Erwartungen und zugleich die Aufforderungen an die Bundesregierung, in Europa tätig zu bleiben und auch künftig tätig zu werden.Nun muß ich allerdings sagen, daß der Versuch, die Probleme der Stahlindustrie und die Fragen der Stahlpolitik auf die Vereinbarungen oder Nichtvereinbarungen, Bemühungen oder Nichtbemühungen in Brüssel zu beschränken, unzulässig sind, Herr Dr. Lammert. Es war j a das Bemerkenswerte an Ihrem Beitrag, daß für Sie deutsche Stahlpolitik ausschließlich in Brüssel stattfindet. Ich will darüber hinausgehen, und das muß man wohl auch tun. Wir sind sehr gespannt, wie lange die frühere Opposition künftig als Regierungspartei an einer verbal starken Linie, die Interessen der deutschen Stahlindustrie zu wahren, festhalten wird.Wissen sie, die Regierungserklärung allein bietet dafür allerdings keine allzu optimistisch stimmende Grundlage. Der einzige Satz, der in der Regierungserklärung Ihres Bundeskanzlers zu diesen Fragen zu finden war, lautete:Wir werden in dieser schwierigen Zeit der deut-schen Stahlindustrie bei ihrer schwierigen An-passung beistehen, einer Anpassung, die auch
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Reuschenbacheine Verringerung der Kapazitäten einschließen muß.Dieser Satz ist dürr und doppeldeutig ausgefallen. Worauf liegt denn nun die Betonung, auf „beistehen" oder auf „Verringerung der Kapazitäten"? Dies ist unklar. Und der Regierungschef hat nicht bestätigt, daß die bisherigen Beschlüsse, nämlich jene, die in der sozialliberalen Koalition für die Stahlindustrie gefaßt worden sind, auch künftig gelten und daß die zugesagten Hilfen tatsächlich geleistet werden. Das ist weder in der Regierungserklärung dargelegt worden, noch haben Sie ein einziges Wort darauf verwendet. Für die mangelnde Klarheit sind schön klingende aber nichtssagende Formulierungen wie „Das Ökonomische ist die Frage des Geistig-Moralischen" kein Ersatz. Deshalb müssen Sie schon recht konkret sagen, was Sie denn nun denken und was Sie vorhaben. Bisher haben sich CDU/ CSU und teilweise auch FDP bei konkreten Maßnahmen zur Überwindung der Krise der Stahlwirtschaft und ihrer öffentlichen Flankierung eher als Bremser denn als Helfer oder als Motor dargestellt.Das war in einer Hauptfrage so, nämlich in der Frage der europäischen und der deutschen Stahlpreisgestaltung. Ich kann mich gut erinnern, daß das, was Sie heute gefeiert haben, nämlich Preisdisziplin, zu der Zeit, als Eurofer 2 und Preisgestaltung zur Debatte standen, bei Ihnen mehr Kritik als Unterstützung gefunden hat. Auch die heutige Entschließung enthält j a in einem Punkt einen recht kritischen Vorbehalt gegenüber der Notwendigkeit, auf einem optimalen hohen Niveau Preisgestaltung beizubehalten.Das zweite. Bei den Beratungen und bei der Beschlußfassung über das Investitionszulagengesetz zugunsten der Modernisierung der Stahlindustrie waren, soweit es die Union angeht, diese Beiträge eher von Abneigung als von Offenheit begleitet. Ich habe nicht in Erinnerung, daß es Ihnen große Freude machte, mitzuhelfen, daß durch öffentliche Beihilfen zur Modernisierung und Umstrukturierung auf Dauer die deutsche Stahlindustrie ihren Platz behalten könnte. Sie waren eher geneigt, immer daran herumzumäkeln, daß das doch zuviel sei, und zu fragen, ob es nicht auch mit etwas weniger gehe.Besonders unangenehm und geradezu peinlich sind mir die Auseinandersetzungen über die Investitionshilfen für Ersatzarbeitsplätze außerhalb der Stahlindustrie in Stahlstandorten in Erinnerung.
Es war doch wirklich blamabel, wie unser ehemaliger Wirtschaftsausschußkollege und heutiger Minister für Entwicklungshilfe, Herrn Warnke, sich am Ende seiner Betrachtungen darin gefiel, so zu tun, als ob es uns bei dieser Frage ausschließlich darum gegangen sei oder darum gehe, Geld in die roten Hochburgen zu scheffeln
und dies alles zu Lasten des armen Zonenrandes zuveranstalten. Das war kein Ja und kein Pro, be-drängten Regionen zu helfen, sondern das war pures Konkurrenzdenken und politische Polemik.Bis heute habe ich nicht den Eindruck gewonnen, daß Sie in dieser Frage der tatsächlichen nationalen Hilfe für gefährdete Regionen Ihre bisherigen Vorbehalte über Bord geworfen haben. Wir werden das in den nächsten vier Wochen ja sehen. Gemessen an den Haushaltsberatungen, muß die neue Bundesregierung ja konkret beweisen, ob und wie sie bisherige und neue Lippenbekenntnisse erhärten will.Die Rettung der saarländischen Stahlindustrie ist der akute Testfall. Darüber werden sich heute noch ein paar Sprecher äußern. Die zügige Unterstützung und Hilfe für die Bildung der Ruhrstahl-AG und ihre Investitionsbedingungen folgen unmittelbar danach.Zum Hinweis auf den 30. September: Verzeihen Sie, es war doch auch der derzeitige Wirtschaftsminister, der am 30. September eine Stellungnahme abzugeben hatte, aber nicht abgegeben hat. Ich finde, die Zeitrechnung, die Sie da enden und beginnen lassen, ist nicht hilfreich und wird der Sache nicht gerecht.Der unmittelbare Zusammenhang mit der Entwicklung im Steinkohlenbergbau muß schon heute hervorgehoben werden. Wir machen hier nicht Kästchenpolitik. Wer von der Gesundung, Stabilisierung und Modernisierung der Stahlwirtschaft, der Stahlindustrie und der betroffenen Regionen redet, der kann das nicht von den Fragen abkoppeln, die mit dem Steinkohlenbergbau zusammenhängen.
Ich habe heute morgen gelesen, daß als einer der ersten „hilfreichen Beiträge" für die Erhärtung von Lippenbekenntnissen eine Reduzierung der Kokskohlebeihilfe im Nachtragshaushalt 1982 und im Haushalt 1983 vorgesehen ist. Das kann aus Ihrer Sicht ja notwendig sein. Aber Sie dürfen da nicht so tun, als ob ausgerechnet Sie der besondere Interessenwahrnehmer der deutschen Stahlindustrie und der bedrängten Regionen an der Ruhr und im Saarland seien.Ich weiß nicht, ob Ihnen überhaupt klar ist, welche drohende Kumulierung von Arbeitsplatzverlusten in Regionen, die zugleich Stahl- und Bergbauregionen sind, überhaupt zur Rede stehen. Jedenfalls was die Behandlung etwa der Zeche Erin und ihrer Zukunft angeht, habe ich nicht den Eindruck, daß dem Wirtschaftsministerium diese gravierende Bedrohung von bestimmten Arbeitsmarktregionen überhaupt ins Bewußtsein gekommen ist.Mit „mehr Markt" und „geistig-moralischen Betrachtungen", Herr Bundeswirtschaftsminister — das gilt auch für den Bundeskanzler —, wird man jetzt diesen konkreten Herausforderungen jedenfalls nicht gerecht werden.Das hat überhaupt nichts mit Reserve gegenüber Wettbewerb und gegenüber Marktwirtschaft zu tun. Denn genauso wenig wie die sogenannten Marktkräfte — und das sind j a wohl die Unternehmens-
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7518 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Reuschenbachleitungen der Stahlindustrie — im zurückliegenden Jahrzehnt der Notwendigkeit rechtzeitiger Umstrukturierung gerecht geworden sind, genauso wenig ist es in den vor uns liegenden Jahren möglich, allein durch die sogenannten Marktkräfte, sprich: Verhaltensweisen und Entscheidungen der Unternehmensleitungen, eine anständige Bewältigung dieser Stahlkrise herbeizuführen. In der Stahlindustrie haben jedenfalls die Unternehmer in den zurückliegenden Jahren nicht das getan, was ihre Aufgabe war und ist, nämlich rechtzeitig etwas Notwendiges zu unternehmen. Das ist dort unterblieben, und erst als Politiker, Gewerkschafter und Betriebsräte — oder in einer anderen Reihenfolge — Alarm schlugen, waren die Branche und die Unternehmen nach und nach bereit, in Kooperation mit der öffentlichen Hand und untereinander die Umstrukturierung einzuleiten. Jahrelang hatte ein Unternehmen gegen das andere in der trügerischen Hoffnung gepokert, nach dessen Tod sein Markterbe übernehmen zu können. Das war ein langes Jahrzehnt das Pokerspiel,
und dies hat mit dazu beigetragen, daß der Verlaß allein auf die Marktkräfte auf diesem Sektor nicht ausreichte.Deshalb müssen die politischen Bemühungen fortgesetzt werden, in Zusammenarbeit zwischen Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften. Es wäre gut, wenn Ihre Reserve — die Reserve der Koalition — gegenüber Mitbestimmung schwächer würde; denn das ist völlig klar: Ohne paritätische Mitbestimmung in diesen beiden großen Industrien an der Ruhr und an der Saar wäre längst ein Flächenbrand in diesen Regionen ausgebrochen.
Das hätten weder Sie noch wir — da nehme ich überhaupt keine politische Kraft hierzulande aus — allein bewältigt, wenn es nicht diese solide Kooperation der Mitbestimmungsorgane und der Mitbestimmungshaltung gegeben hätte.
Sie wären gut beraten, das zu akzeptieren, zu honorieren und zu respektieren.Was nun nötig ist, nämlich Umstrukturierung und Modernisierung, darf nicht zum Sturzflug werden. Diese Gefahr sehe ich angesichts der konkreten Entscheidungsvoraussetzungen, die für die nächsten Haushalte vorgesehen sind. Dieser Sturzflug darf weder den Stahlarbeitern noch den Arbeitsmarktregionen zugemutet werden. Wissen Sie, die Menschen an der Saar und an der Ruhr sind keine Heißsporne. Aber wenn es um die Existenz geht und wenn man den Eindruck gewinnt, daß diese Existenz nicht ausreichend respektiert und nicht ausreichend gewürdigt wird, dann sind die Menschen da von kühler Entschlossenheit. Das ist keine Drohung, sondern dies ist einfach die Erfahrung aus den zurückliegenden Problemen ähnlicher Art in diesen beiden Regionen.Die SPD-Fraktion bietet auch der neuen Bundesregierung Zusammenarbeit auf diesem Feld an, wenn diese den bisherigen Weg der Stahlpolitik gradlinig weitergeht. Aber genauso klar ist auch unserer Entschlossenheit zu erbittertem Widerstand, wenn jetzt ein Kurswechsel eingeläutet wird. Weder in der Regierungserklärung noch in dem Beitrag von Herrn Dr. Lammert heute morgen ist diese Befürchtung widerlegt oder entkräftet worden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Für den deutschen Stahl ist es nach meiner Auffassung fünf Minuten vor zwölf. Die deutsche Stahlindustrie und damit die in ihr beschäftigten Menschen stehen vor dem härtesten Jahr nach dem Krieg. Der Rückgang der Weltstahlproduktion von 710 Millionen Tonnen 1981 auf 650 Millionen Tonnen in diesem Jahr ist auf die deutsche Stahlindustrie voll durchgeschlagen. Für unser Land erwarten wir in diesem Jahr einen Rückgang der Stahlerzeugung von 41,6 Millionen Tonnen im Jahre 1981 auf 37 Millionen Tonnen, d. h. einen Rückgang der Produktion um 11 %.Von der Krise des Stahls sind nicht nur die in diesem Wirtschaftsbereich tätigen Unternehmen, ihre Mitarbeiter und deren Familien betroffen, sondern ganze Städte und Regionen ächzen unter dieser schweren Last. Die Zeichen von der Saar, die wir in diesen Tagen erhalten, veranlassen uns zu allergrößter Besorgnis. Die Stahlindustrie im Ruhrgebiet steht unter einem überdurchschnittlich hohen Veränderungsdruck, mit all den für diese Region besonders problematischen Folgen für die jetzt schon angespannte Arbeitsmarktsituation. Der Kollege Reuschenbach hat dies soeben auch schon angedeutet.Machen wir uns also nichts vor: Die Stahlindustrien in den westlichen Industrieländern stehen vor einer langen, langen Durststrecke.Dazu nur drei Fakten: Der Stahlverbrauch in Nordamerika wird in diesem Jahr — verglichen mit dem Spitzenjahr 1979 — um 30 %, in der Europäischen Gemeinschaft um 16 % und in Japan um 10 zurückgehen. Selbst wenn sich der Weltbedarf an Stahl bis zum Ende dieses Jahrzehnts noch verdoppeln sollte, werden die Zuwachsraten im wesentlichen von den neuen Industrieländern insbesondere aus dem südostasiatischen Raum gedeckt werden. Es bleibt daher kein anderer Weg, als angesichts der anhaltenden Krise auf dem europäischen und internationalen Stahlmarkt die Umstrukturierungsbemühungen der deutschen Stahlunternehmen mit Nachdruck fortzusetzen.
Ich möchte hier gerne feststellen, meine Damen und Herren, daß die deutschen Stahlunternehmen und ihre Belegschaften auch schon bisher erhebliche Opfer hierfür gebracht haben. So hat die deutsche Stahlindustrie seit 1975 einen Substanzverlust von
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Beckmannungefähr 10 Milliarden DM erlitten, zugleich aber im selben Zeitraum 13,5 Milliarden DM investiert. Die Zahl der Arbeitsplätze in diesem Bereich hat sich gleichzeitig seit 1974 um rund 80 000 auf 200 000 verringert.Gleichzeitig — das ist j a das Schlimme an der ganzen Situation — haben unsere Partnerländer in der Europäischen Gemeinschaft bis heute über 80 Milliarden DM in diesen ruinösen Subventionswettlauf investiert.
Man muß sich einmal vorstellen — meine Damen und Herren, Sie konnten es gestern wieder der Presse entnehmen —, daß z. B. British Steel in jeder Woche einen Verlust von 6 Millionen £ — das entspricht ungefähr 30 Millionen DM — produziert. Dieser Verlust wird vom englischen Staat ausgeglichen. So hat dieses Unternehmen seit 1975 zirka 20 Milliarden DM an Subventionen zum Verlustausgleich erhalten. In anderen Ländern der EG müssen wir ähnliche Erscheinungen feststellen.Meine Damen und Herren, da konnten wir nicht mithalten, da können wir nicht mithalten, und da wollen wir auch nicht mithalten!
Leider hat der Subventionskodex Stahl der Europäischen Gemeinschaft bisher noch zu keinem spürbaren Abbau der staatlichen Hilfen geführt. Die Verweigerung der Genehmigung beabsichtigter Hilfen und die Einleitung von Vertragsverletzungsverhandlungen durch die Kommission zeigen jedoch, daß der eingeschlagene Weg richtig ist. Die echte Bewährungsprobe für die Kontrolle der Subventionspraxis steht allerdings noch bevor. Deshalb fordern wir, daß Brüssel durchgreift, bevor sich die europäische Stahlindustrie endgültig in die Sackgasse manövriert hat.
Für eine dauerhafte Stabilisierung auf dem europäischen Stahlmarkt wird es jedoch entscheidend sein, ob es gelingt, einen vollständigen Verzicht auf Subventionen ab 1986 und einen Abbau nicht wettbewerbsfähiger Überkapazitäten zu erreichen, wie es auch Beschluß der Europäischen Gemeinschaft ist.Meine Damen und Herren, dies ist auch in der Vergangenheit das erklärte Ziel der Politik meiner Fraktion gewesen. Wir haben deshalb auch die Restrukturierung von deutschen Stahlunternehmen mit einem ganzen Bündel flankierender Maßnahmen unterstützt. Dies hat sich in den Investitionszulagen verschiedenster Ausprägungen, in Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln zur Förderung neuer Technologien und in Beihilfen für Arbeitnehmer nach Art. 56 des EGKS-Vertrages ausgedrückt und hat Ergänzung gefunden durch das Stahlstandorteprogramm zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen an bestimmten Stahlstandorten.Eines möchte ich allerdings für meine Fraktion ganz klar und eindeutig feststellen: Angesichts der Lage auf dem deutschen, dem europäischen und dem Weltstahlmarkt werden wir um weitere Rationalisierung und erhebliche Kapazitätsschnitte nicht herumkommen, wenn wir Dauersubventionen vermeiden wollen.
Ich begrüßte es, daß die Planungsziele aller deutschen Stahlunternehmen erkennen lassen, daß sie gewillt sind, das Ziel der EG-Kommission zu unterstützen, die Produktionsmöglichkeiten der europäischen eisenschaffenden Industrie bis 1985 um zirka 20 % zu vermindern.Meine Damen und Herren, der deutsche Stahl wird auch die neue Koalition bei der Behebung seiner Schwierigkeiten an seiner Seite wissen.
Bei Zugrundelegung der Voraussetzungen, die Maßgabe für die Stahlpolitik der vergangenen Jahre gewesen sind, wird die Koalition aus CDU/CSU und Freien Demokraten der deutschen Stahlindustrie in dieser schwierigen Phase des Umwandlungsprozesses beistehen, wie es Herr Bundeskanzler Dr. Kohl auch in seiner Regierungserklärung vom 13. Oktober deutlich gesagt hat. Ich begrüße diese Erklärung und betrachte sie als Handlungsrahmen und als Programm der neuen Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, die brandaktuellen Probleme des deutschen Stahls lassen uns in diesen Tagen nicht aus ihrem Griff. Im Südwesten unseres Landes steht Arbed-Saarstahl vor einer erneuten Anpassung ihres Umstrukturierungskonzepts, weil die dort produzierten Stähle immer weniger gefragt werden. Das neue Stahlwerk, das rund 600 Millionen DM gekostet hat, ist bedauerlicherweise nur zur Hälfte ausgelastet. Am Ende dieses Jahres wird die Umstrukturierung dieses Unternehmens die öffentliche Hand an die 2,2 Milliarden DM gekostet haben. Weitere Forderungen insbesondere zur sozialen Flankierung der Anpassungsmaßnahmen stehen in einem Ausmaß ins Haus, das angesichts der bekannten Situation der öffentlichen Kassen kaum noch vertretbar erscheint.Was uns Freie Demokraten in diesen und ähnlich gelagerten Fällen besonders bedrückt, ist die Tatsache, daß die Ebene der Verantwortung so leichtfertig von den Unternehmen auf die öffentliche Hand verschoben wird.
Natürlich — und da gibt es für niemanden auch in meiner Fraktion einen Zweifel — wird und muß der Staat in derartig krisenhaften Situationen wie jetzt beim Saarstahl helfen, aber ich meine, auch und gerade in schwierigen Zeiten muß die Montanmitbestimmung unter Beweis stellen, daß sie funktioniert.
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7520 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
BeckmannWas mich mit sehr tiefer Sorge erfüllt, Herr Kollege Urbaniak, ist die Tatsache, daß angesichts der in der Tat äußerst schwierigen Lage von ArbedSaarstahl Forderungen laut werden, gegebenenfalls eine Außenabsicherung gegen Stahlimporte zu überlegen. Was heißt das denn, meine Damen und Herren? In der Europäischen Gemeinschaft haben wir doch längst Importbeschränkungen, und wir verhandeln über weitere mit anderen Ländern. Jetzt auch noch die Bundesrepublik Deutschland gegen Stahlimporte abzuschotten, wäre allerdings trotz aller berechtigter Sorge eine Politik, die meine Fraktion nicht mittragen könnte. Wer wie unser Land dringend darauf angewiesen ist, ein Drittel dessen, was an Gütern und Dienstleistungen produziert wird, ins Ausland zu verkaufen, kann überhaupt kein Interesse daran haben, die sich leider weltweit verstärkenden Tendenzen zum Protektionismus durch eigenes Handeln auch noch zu verstärken.
Wer an der Saar Importbeschränkungen für den Stahl fordert,
sollte gleichzeitig darüber nachdenken, daß die dort in der eisenschaffenden Industrie Beschäftigten ihre Produktion zu 43,3 % exportieren, daß von der Gummiverarbeitung an der Saar 55 % ins Ausland gehen und daß der Maschinenbau mit 38,1 % auf Auslandsabsatz angewiesen ist, vom Bereich Fahrzeugbau und Kfz-Reparatur, der 52 % des Erarbeiteten exportiert, gar nicht zu sprechen.Ein Wort noch zur Situation des Stahls an Rhein und Ruhr. In der Stahldebatte vom 25. März dieses Jahres hat Graf Lambsdorff an diejenigen, die an der Gründung der Ruhrstahl AG beteiligt sind, wie folgt appelliert:Man sollte Ruhrstahl jetzt nicht zerreden, sondern endlich anfangen. Darauf haben auch die Arbeitnehmer ein Anrecht, auf deren Rücken ein Großteil der tiefgreifenden Strukturänderungen ausgetragen werden muß, da j a buchstäblich Tausende von Arbeitsplätzen wegfallen.Ich meine, was wir in den seitdem vergangenen sieben Monaten erlebt haben, war nicht gerade eine Meisterleistung an Kooperation der beteiligten Unternehmen. Wie oft müssen wir im Deutschen Bundestag eigentlich noch an die Stahlindustrie appellieren, miteinander zu sprechen und auch miteinander zu handeln? Wir haben kein Verständnis mehr für Interessengeplänkel und falsche Sachüberlegungen.
Herr Abgeordneter Beckmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reuschenbach?
Bitte sehr, Herr Kollege Reuschenbach.
Lieber Klaus Beckmann, bemerken Sie denn nicht den Widerspruch in Ihren eigenen Ausführungen, wenn Sie auf der einen Seite allein oder im wesentlichen auf die Verantwortung von Vorständen setzen und auf der anderen Seite jetzt selbst dokumentieren, wie unzulänglich und mangelhaft die Fähigkeit oder die Bereitschaft dieser Vorstände, das Nötige zu tun, ist?
Herr Kollege Reuschenbach, ich kann Ihrer Fehlinterpretation meiner Darlegungen leider nicht folgen. Ich habe auf die gemeinsame Verantwortung aller an der Stahl- und der Montanindustrie Beteiligten hingewiesen.
Meine Damen und Herren, das allerdings, was wir in den vergangenen Monaten erlebt haben, war nicht — wenn ich es einmal so salopp sagen darf — das Gelbe vom Ei; das alles hilft uns nicht weiter. Wir haben bis in den Herbst hinein Einzelaktionen zur Kenntnis nehmen müssen, die, objektiv gesehen, geradezu selbstmörderisch erscheinen. Ich spreche immer noch von der Ruhrstahl AG. Hinsichtlich dieses geplanten Unternehmens möchte ich sagen: Auf diesem Gebiet kann keiner mehr allein erfolgreich sein. Diese Gesellschaft muß kommen, und deswegen wird unsere Politik auch jede private Initiative unterstützen.Meine Damen und Herren, ich verkenne nicht die Komplexität dieses Problems, aber es stimmt doch wahrlich traurig, wenn man zur Kenntnis nehmen muß, mit welch starken Vorbehalten die bei der Bundesregierung eingereichten Subventionsanträge, die ja immerhin ein Volumen von ca. 8 Milliarden DM umfassen, formuliert worden sind. Die Zweifel, die in der EG-Kommission an der Ernsthaftigkeit dieser Pläne geäußert worden sind, will ich hier nicht bewerten. Ich unterstreiche nur die Bereitschaft meiner Fraktion, die Gründung einer Ruhrstahl AG mit allen zugesagten Hilfen zu begleiten, weil unsere Politik das Ziel verfolgt, auch an Rhein und Ruhr Arbeitsplätze im Stahlbereich mittel- und langfristig zu garantieren.
Doppelte Rittberger, Hebefiguren und Pirouetten wollen wir, die wir in diesem Bereich mit Milliarden von Steuergeldern verantwortlich umzugehen haben, nicht mehr sehen!
Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Bemerkung zum Stahlarrangement zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 21. Oktober dieses Jahres machen. Dieses Abkommen, das vom 1. November dieses Jahres bis zum 31. Dezember 1985 gelten wird, kann jetzt in Kraft treten, nachdem vereinbarungsgemäß alle Klagen wegen Dumping, Subventionen oder unfairer Handelspraktiken bezüglich der Produkte des Abkommens zurückgezogen worden sind. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß der hier verantwortliche Bundeswirtschaftsminister mit seinem Verhandlungsvorschlag einen bemerkenswerten Erfolg erzielt hat. Ich glaube, es ist durchaus
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Beckmannangemessen, ihm hierfür auch unseren Dank abzustatten.
Unsere Interessen sind praktisch in vollem Umfange gewahrt worden. Die Bundesregierung hat sich in der EG mit ihren Forderungen durchgesetzt und hierfür auch die volle Zustimmung der deutschen Stahlindustrie und der Stahlrohrindustrie gefunden. Die gefundene Lastenteilung wird, wie ich meine, den Vorleistungen der deutschen Stahlindustrie gerecht, und auch die deutsche Stahlrohrindustrie hat die Sicherung ihrer Interessen wiedergefunden. Gleichzeitig ist den außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft im Verhältnis zu den USA Rechnung getragen worden.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Ziele der Freien Demokraten zur Sicherung der deutschen Stahlbasis kurz zusammenfassen. Wir halten für erforderlich: erstens die Umstrukturierung der deutschen Stahlindustrie zur Anpassung an die Erfordernisse des nationalen, des europäischen und des Weltstahlmarktes; zweitens staatliche Hilfe zur Selbsthilfe und Selbstverantwortung aller im Stahlbereich Verantwortlichen und Betroffenen bei ausgewogener Beteiligung von Bund, Ländern, Eigentümern, Unternehmern und Arbeitnehmern; drittens Unterstützung der privaten Initiative zur Kooperation im Stahlbereich und Vermeidung von volkswirtschaftlich schädlichen Parallelinvestitionen sowie viertens eine sozial adäquate Flankierung der notwendigen Umstrukturierungsprozesse beim Stahl für die betroffenen Menschen und Regionen.Meine Damen und Herren, Ehrlichkeit in der Problemanalyse, Kooperationsbereitschaft der beteiligten deutschen Unternehmen, die jüngst wieder bewiesene Standfestigkeit in den Verhandlungen mit unseren Partnern und der Mut aller Beteiligten zur Übernahme von Verantwortung werden auf lange Sicht den Menschen in den deutschen Stahlregionen wieder eine vertrauensvolle Perspektive eröffnen können. — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordneter Löher.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die heutige Debatte über einen Antrag meiner Fraktion „Strukturkrise der europäischen Stahlindustrie und deutsche Stahlpolitik" möchte ich gern nutzen, um Sie auf die spezifischen Probleme des Stahlstandortes Dortmund hinzuweisen, die jedoch exemplarisch und konkret für das gesamte östliche Ruhrgebiet gelten.Besonders die Arbeitnehmer der Stahlindustrie in dieser Region hatten die große Sorge — und haben diese auch heute noch —, die Stahlerzeugung sei für den Stahlstandort Dortmund bereits abgeschrieben. Dennoch wollen sie die Hoffnung auf den Erhalt ihrer Arbeitsplätze nicht aufgeben, zumal in-zwischen bewiesen worden ist, was bei Anspannung aller Kräfte und bei Zusammenarbeit zwischen Unternehmensleitung und Betriebsräten geleistet werden kann und was bei hinreichender Unterstützung durch die öffentlichen Hände möglich und machbar wäre bzw. getan werden muß.Ich kann jetzt, meine Damen und Herren, wegen der knappen Zeit, die mir zur Verfügung steht, nicht auf die Entwicklung der letzten Jahre für diesen Wirtschaftszweig und auf die sich daraus ergebenden Folgen zu sprechen kommen. Ich möchte vielmehr daran erinnern, was ab 1975 für jeden Kenner der Stahlindustrie sichtbar wurde.Westeuropa kann nur wenig mehr Stahl wettbewerbsfähig absetzen, als — im Saldo selbstverständlich — der eigene Bedarf ausmacht, und das sind jedenfall spürbar weniger als die heutigen 200 Millionen Jahrestonnen, die von der Europäischen Gemeinschaft einmal festgelegt worden waren.Diese Erkenntnis hat auch die Hoesch-Hüttenwerke in Dortmund zum Nach- und Umdenken über ihre Unternehmenspolitik gezwungen, zumal bei einigen unserer europäischen Nachbarn der Subventionsmißbrauch auch heute noch munter weiterläuft, trotz europäischen Subventionskodexes. Deshalb mußte eine Umstrukturierung der Stahlindustrie im östlichen Ruhrgebiet eingeleitet werden; denn immerhin hängen allein in Dortmund 200 000 Menschen direkt oder indirekt einkommensmäßig von diesem Wirtschaftszweig ab.So versucht ein neues Management bei den Hoesch-Werken seit einigen Jahren nachzuweisen, daß eine Konzentrierung der Stahlproduktion für Deutschland ausschließlich am Rhein keine Lösung sein kann, sondern daß eine gesunde Struktur der deutschen Stahlindustrie die Erhaltung der Stahlbasis Dortmund dringend erfordert.
In einem auch der Bundesregierung überreichten Programm begründete die Unternehmensleitung diese Feststellung u. a. mit der Gefährdung der verarbeitenden Industrie dieser Region, deren kontinuierliche Versorgung mit Walzstahlerzeugnissen nicht mehr gesichert sei. Man muß ja wissen — Herr Kollege Urbaniak, das wissen Sie ja auch —: zwei Drittel der Stahlproduktion von Hoesch werden im Umkreis von 100 km abgenommen.Darüber hinaus hat das Unternehmen — so dessen Vorstand — in Dortmund eine Kette von hochmodernen Anlagen, die auch in Zukunft die wichtigsten Stahl-Produktgruppen anbieten könnten.Im übrigen sei — nach Auffassung des Managements — nicht erkennbar, welche Wirtschaftssektoren die im Stahlbereich Beschäftigten aufzunehmen in der Lage wären. Schon aus diesem Grunde sei der Erhalt der Stahlbasis sowohl aus sozial- als auch aus regionalpolitischen Gründen von gar nicht überschätzbarer Bedeutung.In dem vom Hoesch-Vorstand vorgelegten Programm werden Kapazitäten zugunsten auch der anderen Marktteilnehmer abgebaut: Rohstahl um
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Löher55 %, Profilwalzanlagen um 40 %, Warm-Flachwalzanlagen um 15 % und Kaltwalzanlagen um 22 %. Weiter wird in diesem Programm auf den Abbau der Belegschaft in den vergangenen drei Jahren um 20% hingewiesen und eine Reduzierung um weitere 10 % in den nächsten Jahren im Rahmen der Umstrukturierung angekündigt.Meine Damen und Herren, diese Zahlen beweisen doch die Verantwortlichkeit der Unternehmensführung, insbesondere aber der Betriebsräte, die nunmehr auf Grund erbrachter Vorleistungen vom Vorstand des Unternehmens, von der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, aber auch von der Bundesregierung erwarten, die beabsichtigte Zusammenfassung der Hoesch-Werke mit der Stahlbasis des Nachbarn Krupp zu einer Ruhrstahl-Gesellschaft sobald wie möglich zu realisieren und diese Gesellschaft so auszustatten, daß sie sich für weitergehende Lösungen öffnen kann, wie z. B. eine Edelstahl-Zusammenarbeit mit Thyssen. Diesem Begehren der Hoesch-Hüttenwerke zur Sicherung der Stahlbasis im östlichen Ruhrgebiet möchte ich mich nachdrücklichst anschließen und die Bundesregierung bitten, einzelne Vorhaben dieses Unternehmens tatsächlich mit 50% aus Zulagen und Zuschüssen zu fördern, wie dies der Bundesminister für Wirtschaft bereits während der Stahldebatte am 25. März dieses Jahres zugesagt hat.Selbstverständlich, meine Damen und Herren, setze ich ein gleiches Engagement der Eigentümer und auch der Banken voraus und füge hinzu: Wenn die Stahlindustrie bereit ist, sich den neuen Wettbewerbsbedingungen, die der europäische Stahlmarkt an sie stellt, zu unterwerfen, dann müßten gerade diesem Wirtschaftszweig die öffentlichen Bürgschaften gewährt werden, die es ermöglichen, die Kredite der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl auch in Anspruch zu nehmen.Lassen Sie mich bitte noch feststellen, meine Damen und Herren: Unsere Mitbürger an den Schmelzöfen und in den Walzwerken, an den Steuerpulten und in den Werkstätten der Stahlindustrie brauchen die Gewißheit, daß in dieser schwierigen Zeit die Allgemeinheit — vertreten durch den Bundestag, den Bundesrat und die Bundesregierung — hinter ihnen steht. Das ist der Grund, warum ich während dieser Debatte besonders auf die Probleme des östlichen Ruhrgebiets hinweisen wollte, wenn auch nur im Telegrammstil.Ich habe die Stadt Dortmund beispielhaft erwähnt, von der man früher sagte, sie sei die Stadt der Kohle, des Stahls und des Bieres. Heute spielt die Kohle nicht mehr die dominierende Rolle; der Stahl kämpft um seine Existenz. Nur Bier — so wird wenigstens behauptet — trinken die Dortmunder immer noch.
Meine Damen und Herren, das gilt aber nur, solange — und das stellvertretend für viele Wirtschaftszweige des Konsumbereichs — die Bürger in dieser Region auch arbeiten können.
Sorgen wir alle dafür, daß das auch zukünftig der Fall sein wird! — Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vorige Bundesregierung hat bereits am 30. Juli 1981 mit massiver Unterstützung der SPD-Fraktion ein Stahlprogramm zur Sicherung der Arbeitsplätze beschlossen.
— Ich sagen noch einmal, Kollege Lammert: mit massiver und klarer Unterstützung der SPD-Fraktion. Bei Ihnen ist gar nichts gelaufen.
— Ich sage Ihnen das j a ganz ruhig und sachlich. Herr Gerstein, Sie brauchen mir doch keinen Nachhilfeunterricht zu geben.Es ging erstens um die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Stahlindustrie. Zweitens ging es um die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen — Kollege Reuschenbach hat auf Ihren Prozeß hingewiesen —, und es ging um den Abbau der wettbewerbsverfälschenden Subventionen in der Europäischen Gemeinschaft und um einen Ausbau der sozialen Sicherung für unverschuldet arbeitslos gewordene Stahlarbeitnehmer.Damit hat die SPD-Fraktion sehr früh angefangen, damit diese Arbeitnehmer nicht in die großen Schwierigkeiten hineinkommen und ins Freie fallen. Darauf sind wir ganz besonders stolz; das möchte ich Ihnen sagen.
Meine Damen und Herren, dieses Programm ist von der CDU/CSU damals einstimmig abgelehnt worden, hier im Deutschen Bundestag.
Ich sage Ihnen: Mit dieser Ablehnung haben Sie in Kauf genommen, daß die traditionellen Standorte Dortmund, Duisburg, Bochum, Siegen, Osnabrück, Bremen, Salzgitter, die Max-Hütte in Bayern und das nördliche Rheinland-Pfalz ebenso wie das Saarland in eine sehr bedrohliche Lage geraten.
Denn man kämpft an diesen Stahlstandorten ja überall um Überlebenschancen, man kämpft um die nackte Existenz. Und, Herr Bundeswirtschaftsminister: Blockstillstände, Entlassungen, Kurzarbeit kennzeichnen ja die Situation an den Stahlstandorten. Wenn hier heute auch von den CDU-Kollegen die Sorge um die deutsche Stahlindustrie mit Krokodilstränen zum Ausdruck gebracht wird, dann möchte ich an diesen Beschluß, den wir damals
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Urbaniakdurchgesetzt haben, erinnern. Und, Kollege Löher: Sie haben da viel nachzuholen;
Sie machen das jetzt bei dieser neuen Konstellation. Ich habe ja nichts dagegen, ich bin froh, daß man da auch einsichtig geworden ist. Denn die Problematik der Stahlindustrie können wir nur gemeinsam lösen. Setzen Sie sich also dafür ein, daß die Titel, die wir im Haushalt 1983 geschaffen haben, nicht um einen Pfennig gekürzt, sondern ausgebaut werden!
Herr Kollege Urbaniak, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lammert?
Bitte.
Verehrter Herr Kollege, würden Sie angesichts der vielfach auf allen Seiten erklärten Bereitschaft zur Zusammenarbeit in diesen uns alle betreffenden Fragen bereit sein, deutlich zu machen, daß das Stahlprogramm der Bundesregierung vom Juni vergangenen Jahres vorgelegt wurde, nachdem die CDU/CSU als damalige Opposition die Bundesregierung in einem Antrag zur Vorlage eines solchen Programms ausdrücklich aufgefordert hatte, und wären sie wenigstens bei dieser Debatte nun bereit, die Legende zu beenden, dieses von uns geforderte Stahlprogramm sei anschließend von uns abgelehnt worden, nachdem der Berichterstatter zur Behandlung dieser Frage im Fachausschuß, Ihr Kollege Reuschenbach, in seinem schriftlichen Bericht selber zum Ausdruck gebracht hatte, wir hätten uns nicht in der Lage gesehen, eine zusätzliche Dankadresse an die Bundesregierung zu beschließen, nachdem „die inhaltliche Substanz bereits mit Zustimmung aller Fraktionen beschlossen worden" sei?
Also, Herr Kollege Lammert, wenn ich gewußt hätte, daß Sie ein Referat halten, hätte ich Ihnen nicht gestattet, eine Zwischenfrage zu stellen.
— Herr Gerstein, ich kann Ihnen doch nur sagen, was im Wirtschaftsausschuß — —
— Die kriegen Sie doch, ist doch gar keine Frage; immer konkret und klar. — Bei der Debatte über den Antrag im Ausschuß, Herr Dr. Köhler, haben Sie sich doch wenigstens der Stimme enthalten, um im Wirtschaftsausschuß nicht dagegenzustimmen, und hier im Plenum hat die Fraktion der CDU/CSU dagegengestimmt. Darum bin ich berechtigt, diesen Vorgang zu nennen. Sie haben das Stahlprogramm, wie wir es konkret vorgelegt und ausgefüllt haben,hier im Deutschen Bundestag abgelehnt. Das sind die Fakten; daran kommen Sie nicht vorbei.
— Aber es geht um Fakten.Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat sich auch mit dem Vorgang der Bildung der Ruhrstahl AG auseinandergesetzt. Sie hat einstimmig beschlossen, daß die Bildung der Ruhrstahl AG Vorrang hat und die vorgesehenen Mittel, die wir im Haushalt dafür zur Verfügung gestellt haben, dazu auch verwandt werden. Ich weiß nicht, welche andere Fraktion hier im Deutschen Bundestag eine solche Entscheidung einstimmig herbeigeführt hätte. Sie von der CDU/ CSU jedenfalls nicht, weil die Interessen bei Ihnen völlig durcheinandergewürfelt sind. Darum die klare Linie der SPD-Fraktion auch in dieser Frage.
Wir haben darüber hinaus, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch klar zum Ausdruck gebracht, daß es vernünftig ist, die Edelstahl-Frage jetzt nicht in der Weise in die Debatte zu bringen, daß die mögliche Fusion, Kooperation — es gibt viele Formen der Zusammenarbeit — zwischen den beiden Unternehmungen Hoesch und Krupp gefährdet werden kann. Diese Größenordnung sollte auch für andere Signalwirkung haben. Wir meinen, man muß jetzt schnell zusammenkommen, weil man sich in der Tat nur mit einer solchen Größenordnung den späteren Marktherausforderungen stellen kann. Darüber sind wir uns doch klar. Man kann hinterher sehr eingehend über die Frage der notwendigen Zuordnung des deutschen Edelstahls im Zusammenhang mit einer optimalen Zusammenfassung unserer Marktkräfte debattieren.Meine Damen und Herren, was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesagt hat, ist nicht nur völlig unzureichend; es vermittelt uns darüber hinaus leider auch die Einsicht, daß er die Interessen der Stahlarbeitnehmer, der Stahlstandorte und der Stahlunternehmungen nicht mit der Konsequenz, wie das früher der Fall war, vertritt. Wenn hier auch von Kapazitätseinschränkungen gesprochen wird, müssen Sie schon sagen, wo diese denn vorgenommen werden sollen. Die Hoesch-Leute haben die Kapazitäten sozusagen bis auf die Knochen heruntergenommen. Bei Krupp läuft dieser Prozeß ebenfalls. Sie müßten also konkret sagen, an welchen Stahlstandorten — bei Klöckner, in Salzgitter oder wo auch immer — nun noch Kapazitätseinschränkungen vorgenommen werden sollen. Sie drücken sich aber leider darum herum.Herr Bundeswirtschaftsminister, dies möchte ich Ihnen mit aller Deutlichkeit sagen: Sie kommen in Brüssel in eine große Schwierigkeit, denn Ihnen wird die Erklärung des Bundeskanzlers vorgehalten werden. Man wird Ihnen sagen: Er ist auch dafür, daß die Kapazitäten zurückgenommen werden. — Lassen Sie die Opfergrenze nicht weiter hochtreiben! Sie ist für die deutsche Stahlindustrie und für die Arbeitnehmer schon hoch genug getrieben worden. Wenn Sie in dieser Hinsicht ganz hart
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Urbaniaksind, haben Sie die volle Unterstützung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Das will ich hier mit aller Deutlichkeit sagen.Es geht aber auch um zwei wesentliche Vorhaben im östlichen Ruhrgebiet. Ich sage das mit aller Offenheit. Bei der Hoesch AG haben wir mit der Durchlaufglühe eine gemeinsame Entscheidung zustande gebracht — mit konkreten Folgen im ersten Nachtragshaushalt für 1982. Ich gehe davon aus, daß sich die Linie der Bundesregierung, was die Unterstützung in dieser Investitionsfrage angeht, nicht geändert hat. Es geht zweitens darum — Herr Wirtschaftsminister, in dieser Hinsicht haben Sie sich ja bisher sehr sachkundig gemacht —, daß wir dieses Stahlwerk bei der Konzentration auf einen Standort im östlichen Ruhrgebiet in Dortmund auch zustande bringen. Wir möchten Sie bitten, diese Position auch weiter zu vertreten. Es wäre für uns besser und der Klarheit dienlich, wenn Sie dazu hier noch einiges sagen könnten.Ich darf am Schluß folgendes vermerken. Wir wollen verhindern, daß Sie möglicherweise eine Stahl- und Wirtschaftspolitik treiben, die uns in den Stahlstandorten und im Ruhrgebiet an den Rand des Ruins bringt. Wir brauchen ganz im Gegenteil Hilfe und noch einmal Hilfe. Das Ruhrgebiet hat durch Stahlarbeiter und Bergarbeiter zum Aufbau und zum Wohlstand dieses Staates beigetragen. Jetzt müssen wir den Stahl- und Bergarbeitern in diesem schwierigen Anpassungsprozeß beitreten. Darum bitte ich ganz besonders.
Dazu haben wir eine große moralische und politische Verpflichtung. Wir fühlen uns den Stahlarbeitern hier besonders verpflichtet. Unsere Linie — auch dies sei dem Bundeswirtschaftsminister aus Gründen der Klarheit gesagt — ist in der angenommenen Entschließung — Drucksache 9/1423 — skizziert. Darauf können Sie gut aufbauen. Etwas Besseres, etwas Überzeugenderes hat diese Koalition dazu noch nicht geboten. Auch Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, werden das bei sachlicher Betrachtung feststellen. So hoffen wir, daß wir gemeinsam eine Linie finden, um unsere Position in bezug auf die Stahlstandorte im Ruhrgebiet und im Siegerland bei den Auseinandersetzungen und Verhandlungen in Brüssel durchzusetzen. Darin sind wir uns einig.Wir danken den Betriebsräten und den Arbeitsdirektoren für ihre große Leistung, gerade diesen Anpassungsprozeß in Ruhe und Sachlichkeit vollzogen zu haben. Auf die Dauer ist es nämlich nicht möglich, gegen den Markt anzugehen. Um so höher wissen wir die Qualität der paritätischen Mitbestimmung vor dem Hintergrund dieser Fälle einzuschätzen. Dafür bedanken wir uns ganz besonders.
Als nächster Redner hat das Wort für den Bundesrat Herr Minister Becker.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Re-gierung des Saarlandes begrüßt die heutige Stahldebatte, weil diese auch den Regierungen betroffener Länder die Möglichkeit gibt, wenigstens in Grundzügen die besonderen regionalen Aspekte der europäischen Stahlkrise zu beleuchten.Die Strukturprobleme des Stahlmarktes sind — und ich glaube, das hat der bisherige Ablauf dieser Debatte ergeben — offensichtlich tiefgreifender und die Schwierigkeiten zu ihrer Überwindung größer als bisher angenommen. Die in den vergangenen Jahren ergriffenen unternehmerischen Anpassungsmaßnahmen sowie die Krisensteuerungsinstrumente der Europäischen Gemeinschaft haben hier nicht die erhofften Erfolge gebracht. Weitere Strukturbereinigungen insbesondere in den traditionellen Stahlerzeugerländern werden deshalb notwendig sein, damit der Stahlmarkt nachhaltig gesundet.Allerdings kann nach unserer Auffassung der deutsche Beitrag zur Strukturbereinigung nicht so aussehen, daß moderne, leistungsfähige deutsche Stahlwerke vom Markt verschwinden, während sich in anderen Ländern unmoderne und veraltete Stahlwerke dank der Subventionen ihrer Regierungen oder entsprechender Außenabsicherungen am Markt behaupten.
Eine derartige Reaktion, meine sehr verehrten Damen und Herren, wäre weder industriepolitisch zu verantworten noch gegenüber den Stahlarbeitern und den betroffenen Regionen zu vertreten.
Dies gilt insbesondere auch für das Saarland. Hier wurde, wie Sie wissen, in den Jahren 1977/78 eine umfassende Restrukturierung in die Wege geleitet. Ziel war die Schaffung international wettbewerbsfähiger Unternehmen. Die unter der Führung der Arbed durchgeführte und mit namhaften öffentlichen Hilfen unterstützte Umstrukturierung der Stahlwerke Röchling-Burbach und des Neunkircher Eisenwerks, heute Arbed-Saarstahl, wurde aus damaliger Sicht zu Recht als in jeder Hinsicht modellhaft angesehen. Dieses Modell war erstens technisch-betriebswirtschaftlich erfolgversprechend, zweitens sozialpolitisch abgesichert und drittens den regionalen Problemen des Saarlandes angepaßt.Die Restrukturierung unserer Stahlindustrie hat, meine sehr verehrten Damen und Herren, die saarländische Industrielandschaft völlig verändert. Die Roheisen- und Stahlerzeugung wurde von drei Standorten auf einen konzentriert. Von 21 Walzwerken wurden nicht weniger als 13 geschlossen. Damit sind heute zwei ehemals integrierte Hüttenwerke an der Saar auf einen reinen Rerollerbetrieb umgestellt. In den kommenden Jahren ist vorgesehen, daß sich die Dillinger Hütte und Arbed-Saarstahl aus einem gemeinsamen Hochofenwerk mit Roheisen versorgen. Der Hochofenkoks soll nach Stillegung der alten Kokereien aus einer zusammen mit den Saarbergwerken betriebenen Zentralkokerei bezogen werden.
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Minister Dr. Becker
Bei diesem durchgreifenden Restrukturierungsprozeß wurden die Rohstahlkapazitäten bei ArbedSaarstahl gegenüber 1977 um 37 % reduziert,
die Walzwerkkapazitäten wurden um 27 % zurückgeführt, und die Belegschaften allein im reinen Stahlbereich werden bis Ende dieses Jahres um 6 700 Arbeitnehmer oder 26,3 % vermindert sein. Ich meine, es kann mit Fug und Recht behauptet werden, daß, wäre ein ähnlicher Kapazitätsabbau in anderen EG-Staaten wie an der Saar vorgenommen worden, die Strukturprobleme der europäischen Stahlindustrie heute mit Sicherheit anders diskutiert würden, als dies derzeit der Fall ist.
Während noch im ersten Halbjahr 1980 die Richtigkeit der Restrukturierung an der Saar durch ein leicht positives Ergebnis im Stahlbereich bestätigt wurde, hat der Zusammenbruch des Stahlmarktes ab Mitte 1980 die Restrukturierungspläne nachhaltig durchkreuzt. In einer Modifizierung wurde deshalb Anfang 1981 die Produktionszielmenge auf die technisch-betriebswirtschaftliche Mindestmenge zurückgenommen. Dabei wurde auf die vorgesehene Entmottung eines Stahlwerks in Saarbrücken-Burbach verzichtet, die Schließung der Hochöfen und des Stahlwerks in Neunkirchen vorgezogen sowie der Personalabbau beschleunigt. Diese gewaltige Kraftanstrengung führte zwar zu erheblichen Kosteneinsparungen, sie konnte aber den Mengen-und Erlösausfall sowie die enormen Zinsbelastungen aus dem 1,5-Milliarden-DM-Investitionsprogramm nicht ausgleichen.Auch das Verhalten der EG-Kommission war für die Saar in dieser Situation wenig hilfreich. Bürokratisch anmutende Verzögerungen beim Beihilfegenehmigungsverfahren haben mit dazu beigetragen, daß notwendige Rationalisierungsvorteile erst verspätet verwirklicht werden konnten. Währenddessen konnten sich Stahlunternehmen anderer EG-Länder unter Billigung der EG-Kommission mit Notbeihilfen in Milliardenhöhe versorgen, um anschließend für die Restrukturierungsprogramme Umstrukturierungsbeihilfen zu beantragen.Die Restrukturierung von Arbed-Saarstahl ist heute — mit Ausnahme der gemeinsamen Roheisenerzeugung und der Zentralkokerei — technisch-betriebswirtschaftlich weitgehend abgeschlossen. Allerdings hat sich seit Mitte 1982 die Auftragslage der Stahlindustrie gerade im Bereich der Langproduktenerzeugung katastrophal entwikkelt. Ich meine, ein Auftragseingang von 30 bis 40 unter den Vorjahreswerten ist in der Tat ein Übergang zum freien Fall.Die Konsequenzen hieraus können für uns an der Saar nur lauten: Erstens. Es ist eine Anpassung an die derzeitige Marktlage vorzunehmen. Hier müssen alle Beteiligten, nämlich Unternehmen, Anteilseigner, Gewerkschaft und Belegschaft, zusammenwirken. In dieser Situation können tarifliche Vereinbarungen sowie zwischen den Unternehmen und der Gewerkschaft abgeschlossene Verträge weitreichende Auswirkungen haben. Die saarländischeLandesregierung — lassen Sie mich das an dieser Stelle klar feststellen — hat nicht die Absicht, sich in tarifvertragliche Vereinbarungen und sonstige Vertragswerke einzumischen.
Ich möchte an dieser Stelle lediglich auf den Zusammenhang hinweisen, daß die Erfüllung von Verpflichtungen aus Tarifverträgen die Ertragskraft eines Unternehmens erheblich beeinflußt. Hier haben die Tarifparteien in der Tat ein hohes Maß an Verantwortung.Zweitens. Öffentliche Hilfen für Arbed-Saarstahl sind zur Herbeiführung der wirtschaftlichen Tragfähigkeit des Unternehmens für eine weitere Zeit notwendig. Bei einer Arbeitslosenquote von heute schon 10 % wäre der Konkurs von Arbed-Saarstahl mit immerhin 20 000 Beschäftigten von insgesamt 150 000 industriellen Arbeitnehmern an der Saar schlichtweg eine Katastrophe. Ein Konkurs hätte aber auch beträchtliche Rückwirkungen auf die anderen Bereiche der Saarwirtschaft. Denn nach einer eingehenden Untersuchung sichern drei Arbeitsplätze in der saarländischen Stahlindustrie einen Arbeitsplatz in der übrigen Wirtschaft.Eine extrem schlimme Situation konnte dank umfangreicher finanzieller Hilfen von Bund und Land bisher erfolgreich abgewendet werden. Dem Bund sage ich im Namen der saarländischen Landesregierung für sein großzügiges Verständnis herzlichen Dank, insbesondere auch dem Herrn Bundeswirtschaftsminister und seinen Mitarbeitern.
Angesichts der anhaltend schlechten Lage von Arbed-Saarstahl kommt die saarländische Landesregierung nicht umhin, selbstverständlich auf der Grundlage eines wirtschaftlich tragfähigen Konzeptes, um weitere Hilfen des Bundes zu bitten. Sie selbst hat am gestrigen Mittwoch durch die Einbringung eines ganz am Stahl orientierten Nachtragshaushaltsplanes die notwendigen parlamentarischen Schritte zur Gewährung eines weiteren bedeutsamen Finanzbeitrages des Landes für ArbedSaarstahl im Jahre 1982 eingeleitet.Diese öffentlichen Hilfen — und damit möchte ich schließen — sind auch deshalb notwendig, um die modernste Technik im Stahlwerksneubau — und dazu gehört nun einmal unbestritten auch das an der Saar errichtete neue Blasstahlwerk — nicht der Verrottung preiszugeben, während zur gleichen Zeit an vielen anderen Orten der Welt veraltete Kapazitäten weiterproduzieren. — Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort Herrn Staatsminister Dr. Haak.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nordrhein-Westfalen hat jahrzehntelang kräftig dazu beigetragen, daß sich andere Regionen der Bundesrepublik wirtschaftlich positiv entwickeln
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Minister Dr. Haak
konnten. Wie Herr Kollege Urbaniak sage ich: Kohle und Stahl und die dort Beschäftigten haben beim Wiederaufbau unseres Landes eine ganz entscheidende Rolle gespielt.
Heute appellieren wir — zum wiederholten Male — an die Hilfsbereitschaft des Gesamtstaates insbesondere für unsere Probleme bei Kohle und Stahl, also für die Lösung einer gesamtstaatlichen Aufgabe. Die deutsche Steinkohle brauchen wir für die Lösung des nationalen Problems der Energieversorgung. Eine deutsche Stahlbasis brauchen wir für die industriepolitische Zukunft unseres Landes. Natürlich aber sind wir auch und mindestens gleichrangig bestimmt von der Solidarität mit den Arbeitnehmern in den Stahlstandorten, die zum größten Teil in Nordrhein-Westfalen liegen. Aber wir fühlen uns mit dem Saarland und anderen Regionen verbunden und hoffentlich oft auch verbündet. Es ist unsere dringende Aufgabe, im Stahlbereich so viele Arbeitsplätze wie eben möglich zu erhalten und zu sichern.Über die Ursachen der Strukturkrise in der europäischen Stahlindustrie ist viel geredet und geschrieben worden. Auch die Bundesrepublik Deutschland ist von der konjunkturellen und strukturellen Schwäche des Stahlmarktes betroffen, nicht zuletzt wegen der Subventionspraxis einiger Nachbarländer.Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, dem Stammland der Stahlindustrie in der Bundesrepublik, beurteilt deshalb die jüngste Einigung der EG-Kommission mit der amerikansichen Regierung über die Begrenzung der Stahleinfuhren, der die Bundesregierung am 20. Oktober zugestimmt hat, mit großer Zurückhaltung und Skepsis. Festzustellen bleibt: Der deutschen Stahlindustrie, die von den Strafzolldrohungen der Amerikaner gar nicht getroffen werden sollte, wird bei der Verteilung der Lasten aus dem Stahlexportkartell ein beträchtliches Opfer abverlangt, obwohl sie im Gegensatz zu der in anderen EG-Ländern üblichen Praxis kaum Subventionen erhält.In diesem Zusammenhang — das sage ich zu einigen Vorrednern — muß auch die Meinungsbildung über die angeblich so harte Haltung der Bundesregierung beim Stahlstreit mit den Amerikanern erfolgen. Dem deutschen Stahlmarkt jedenfalls wird die beträchtliche Beschneidung der Möglichkeiten des Exports nach den USA in dieser Situation weitere Probleme bescheren.Für Nordrhein-Westfalen ist eine Marktkonsolidierung von grundlegender Bedeutung, weil in unserem Land rund 60 % des Rohstahls der Bundesrepublik geschmolzen werden und sich deshalb strukturelle Probleme dieses Wirtschaftszweigs auf Wirtschaftsentwicklung und Beschäftigung besonders negativ auswirken. So ist die Produktion der eisenschaffenden Industrie des Landes, besonders des Ruhrgebiets, seit 1974 weit stärker als im Bundesdurchschnitt zurückgegangen.Vor diesem Hintergrund ist die Sorge um die Erhaltung der Arbeitsplätze mehr als verständlich, weisen doch mehrere Stahlstandorte des Landes bereits hohe und höchste Arbeitslosenzahlen auf: Dortmund 12,2 %, Gelsenkirchen und Bochum 11 %, Duisburg 10,9 %.Die Stahlkrise hat natürlich europäische Dimensionen. Sie kann aus diesem Grund nicht nur mit nationalen Mitteln gelöst werden.Die ganze Dramatik des Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage auf dem europäischen Stahlmarkt zeigt eine EG-Marktanalyse, die für 1985 einen effektiven Stahlbedarf von etwa 120 Millionen Tonnen und eine Produktionskapazität von 200 Millionen Tonnen sieht.Bei allem Verständnis für die Anpassungsschwierigkeiten der Stahlindustrie in unseren Nachbarländern, die mit ihrer zum Teil starken Subventionspolitik die Überkapazitäten erst geschaffen haben, muß nach unserer Auffassung die Bundesregierung noch stärker als bisher dafür Sorge tragen, daß unvertretbare Wettbewerbsnachteile für die Bundesrepublik vermieden werden.
Wir haben mit kritischer Distanz die Maßnahmen der EG-Kommission in der Vergangenheit betrachtet. Eine klare europäische Konzeption für eine zukunftsorientierte Stahlstrukturpolitik in den nächsten Jahren war ebensowenig erkennbar wie eine gerechte, dem Stand der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und den Vorleistungen entsprechende Lastenverteilung innerhalb Europas. Daß auch in anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft die aus der Stahlindustrie resultierenden Beschäftigungsprobleme regional konzentriert auftreten, soll nicht geleugnet werden. Dennoch kann europäische Solidarität nicht so weit gehen, daß die Folgen von Sünden, die wir in der Bundesrepublik nicht begangen haben, gleichmäßig auf alle EG-Länder verteilt werden. Für uns ist es unerträglich, daß Beschäftigten in nordrhein-westfälischen Stahlstandorten Arbeitsplatzverlust droht, weil in anderen Mitgliedstaaten die Maßnahmen der EG-Kommission und die Vereinbarungen in Eurofer einseitig ausgelegt werden. Ebensowenig ist für Nordrhein-Westfalen die Aussicht auf weitere Reglementierung der Handelsströme im Stahlbereich innerhalb Europas oder gar die Festschreibung auf einem bestimmten Niveau akzeptabel.Entsprechend der Bedeutung der Stahlindustrie für die Gesamtwirtschaft Nordrhein-Westfalens stehen für die Landesregierung mittelfristig die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und damit die Sicherheit von Arbeitsplätzen im Vordergrund politischen Handelns. Dabei soll bei den unumgänglichen und notwendigen Maßnahmen zur Umstrukturierung der Stahlindustrie, die mit einem Kapazitätsabbau verbunden sein muß, regionale Ausgewogenheit beachtet werden. Wir sehen in der Umstrukturierung der deutschen Stahlindustrie einen Weg, die Stahlkrise in absehbarer Zeit zu mildern. Die frühere Bundesregierung hat dann auch mit den bislang getroffenen Maßnahmen, insbesondere der Stahlinvestitionszulage, den
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Minister Dr. Haak
richtigen Weg beschritten. Rund 14 Milliarden DM an Investitionen wurden nach diesem Gesetz zur Förderung angemeldet, allein in Nordrhein-Westfalen etwa 10 Milliarden DM. Mit diesen zwei Zahlen wird noch einmal die Bedeutung der Stahlindustrie für Nordrhein-Westfalen transparent, zugleich aber auch die Dimension der Probleme für die Landesregierung erkennbar. Daß nicht nur der Stahl, sondern auch der heimische Steinkohlenbergbau, wie Herr Kollege Reuschenbach dankenswerterweise bereits hervorgehoben hat, von der internationalen Wirtschaftskrise und wiederum von der Stahlkrise nachhaltig betroffen sind, verschärft unsere Situation beträchtlich. Ich denke, die Bundesregierung wird sich dieser Schwierigkeiten und auch ihrer Gesamtverantwortung bewußt sein.Wir haben, meine Damen und Herren, ein gewisses Verständnis dafür, daß die Bundesregierung am 30. September dieses Jahres die Anträge der Stahlunternehmen grundsätzlich nur rechtswahrend, d. h. ohne abschließende eigene Entscheidung über Förderfähigkeit und Förderhöhe, in Brüssel notifiziert hat. Das notwendige Maß an Klarheit über die Fördervoraussetzungen bei einigen wichtigen Unternehmen war anscheinend noch nicht vorhanden. Im Interesse von Unternehmen, Beschäftigten und Bevölkerung in den Stahlstandorten muß jedoch schnellstens Klarheit über den vorgesehenen Beitrag zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und zur Erhaltung von Arbeitsplätzen geschaffen werden. Wir sind bereit, mit der Bundesregierung die notwendigen Entscheidungen, unbeschadet des endgültigen Votums der EG-Kommission, zu treffen und damit noch in diesem Jahr Investitionen in die Wege zu leiten.Zu den Voraussetzunen für die nationale Entscheidungsfindung gehört beispielsweise auch die Konkretisierung der Ruhrstahl AG. Stets hat die Regierung von Nordrhein-Westfalen die Bildung der Ruhrstahl AG für einen richtigen und notwendigen Schritt angesehen. Mit Befriedigung haben wir zur Kenntnis genommen, daß für die beiden Partner Hoesch und Krupp die Bildung der Ruhrstahl AG sachliche und zeitliche Priorität vor allen anderen Überlegungen hat. Auch deshalb haben wir zugestimmt, für das zur Förderung beantragte Projekt der Durchlaufglühe in Dortmund ebenso wie der Bund einen Zuschuß von 31 Millionen DM vorab zu bewilligen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das leidige Thema der Finanzierung öffentlicher Investitionshilfen ist kein nordrhein-westfälisches Spezifikum. Der Umfang der zur Förderung angemeldeten Investitionen ist sehr beachtlich. Die beantragten Hilfen werden es ebenso sein. Schon frühzeitig hat sich die Landesregierung bereit erklärt, sich an der Finanzierung der Umstrukturierungsmaßnahmen angemessen zu beteiligen. Auch — das wird oft vergessen — sind die steuerlichen Einnahmeausfälle aus der stahlpolitischen Investitionszulage zu mehr als der Hälfte eine Leistung des Landes; denn die Ausfälle entstehen zu 57,5 % beim Land und seinen Gemeinden.Das ist mir nun sehr wichtig: Von den über die Investitionszulage hinausgehenden Mitteln kann das Land Nordrhein-Westfalen allerdings nicht mehr als ein Drittel wie bei der Kohle übernehmen, so daß nach unserer Auffassung zwei Drittel auf die Bundesregierung entfallen müssen. Höhere Anteile sind uns — allein schon wegen der besonderen Belastung bei der Kohlehilfe, in die wir bis jetzt mehr als 10 Milliarden DM gezahlt haben — nicht zuzumuten.
Wir appellieren an die Bundesregierung, ihre bisherige Position zu überprüfen und sich zu einer sachgerechten Lastenverteilung bereitzufinden.
Seit langem schon, meine Damen und Herren, unternimmt Nordrhein-Westfalen große Anstrengungen, um überkommene industrielle Strukturen zu modernisieren. Die Bewältigung der damit verbundenen Anpassungsaufgaben übersteigt jedoch vielfach die finanziellen Kräfte des Landes. Aber die Rückgewinnung der Wachstumskräfte in Nordrhein-Westfalen ist nicht nur für dieses Bundesland mit 17 Millionen Einwohnern wichtig, sondern auch für die gesamte Bundesrepublik Deutschland. Bund und Land sind auch hier aufeinander angewiesen.Festzustellen bleibt weiter: Das auf Antrag der nordrhein-westfälischen Landesregierung vom Planungsausschuß der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" im März 1982 beschlossene Sonderprogramm zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen in Stahlstandorten sieht keine Haushaltsmittel des Bundes vor. Gewährt wird lediglich die regionalpolitische — vom Bund und mindestens zur Hälfte vom Land aufzubringende — Investitionszulage in Höhe von 8,75%, die dann mit Haushaltsmitteln des Landes bis zu den möglichen maximalen Fördersätzen von 10 bzw. 15 % aufgestockt werden können. Daraus ergibt sich eine weitere schwerwiegende zusätzliche Belastung des Landeshaushalts.
Ich glaube, hier muß eine Änderung erfolgen, und zwar im Sinne einer Gleichbehandlung mit der Gemeinschaftsaufgabe.
Sie wissen, meine Damen und Herren, daß wir uns bei der Berücksichtigung der Standorte beim Stahlstandorteprogramm nicht gerade gerecht behandelt fühlten. Seit der Entscheidung vom März haben sich in einigen Standorten die Verhältnisse weiter verschlechtert. Die Situation ist so, daß wir alsbald zwei Standorte zur Aufnahme nachmelden werden. Ich spreche von der Arbeitsmarktregion Gelsenkirchen, und ich spreche von der Arbeitsmarktregion Hagen.
Die Landesregierung wird die Arbeitsmarktregion Gelsenkirchen, die unseres Erachtens schon lange dort hineingehört, zur Gemeinschaftsaufgabe und die Arbeitsmarktregion Hagen zum Stahlstandortesonderprogramm anmelden. Meine Damen und
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Minister Dr. Haak
Herren, wir sind der festen Überzeugung, daß die Voraussetzungen für eine Aufnahme dieser Arbeitsmarktregionen deutlich erfüllt sind. Dieser Schritt muß endlich vollzogen werden; er ist überfällig.Ein Vorredner — ich glaube, es war Herr Kollege Beckmann — hat gesagt, der Satz in der Regierungserklärung über den Stahl sei bereits ein Handlungsrahmen oder gar ein Konzept. Bei aller gebotenen diplomatischen Rücksicht eines Vertreters einer Landesregierung
und bei freundlichster Interpretation kann ich dies beim besten Willen nicht nachvollziehen. Ich glaube, hier sind eine ganze Menge von Fragen zu klären und weiter zu konkretisieren.
Ich gehe davon aus, daß dies bald erfolgt — in Wort und in Tat.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine verehrten Kollegen! Meine Damen und Herren! Das große Problem der deutschen Stahlindustrie und insbesondere auch das Problem der saarländischen Stahlindustrie, dem ich mich jetzt in ein paar Sätzen besonders zuwenden will, sind — das ist in unserem Antrag so ausgeführt — die nicht hinnehmbaren Mängel in der formalen und materiellen Anwendung des Subventionskodex durch die EG-Kommission. Kollege Lammert hat es in seinem Eingangsbeitrag hier ausführlich verdeutlicht; denn, meine verehrten Damen und Herren, der Fraktionsantrag, der Gegenstand der heutigen Aussprache ist, obwohl er schon im März eingebracht worden ist, hat von seiner Berechtigung überhaupt nichts verloren, ganz im Gegenteil. Noch Ende Juni dieses Jahres hat die EG-Kommission nach Zustimmung des Ministerrates der Europäischen Gemeinschaften eine Verlängerung dieses Überwachungs- und Produktenquotensystems beschlossen. Dieses System scheint aber nicht besonders gut zu funktionieren oder, um es anders auszudrücken, die Erfahrungen insbesondere mit dem Subventionskodex sind eher enttäuschend. Hinzu kommen Preis-unterbietungen im deutschen Markt, die vor allem in der Änderung der Währungsparitätsbedingungen ihre Ursache haben. Es ist nicht übertrieben, so sagen uns Branchenkenner, daß in bestimmten Produktionsbereichen von einer aggressiven Preispolitik unserer EG-Partner gesprochen werden kann. Von einer dauerhaften internationalen Konkurrenzfähigkeit der deutschen Stahlindustrie kann daher leider noch nicht gesprochen werden. Das Ziel der europäischen Stahlpolitik, die europäische, die deutsche und damit auch die saarländische Stahlindustrie kurzfristig und auf lange Sicht zu sichern, ist noch nicht in Sicht.Meine verehrten Damen und Herren, wir hören gelegentlich in Sonntagsreden, insbesondere von Verantwortlichen der europäischen Stahlpolitik, Sätze, die so ähnlich lauten wie:
„Anstatt die europäische Stahlindustrie in eine Sackgasse zu führen, hat die Europäische Kommission es vorgezogen, das Problem von Grund auf anzugehen." Die Kommission habe sich entschieden für eine Politik der Modernisierung, der Umstrukturierung und des Kapazitätsabbaus. Es heißt dann weiter in einigen dieser Veröffentlichungen: Eine solche Politik solle die europäische Stahlindustrie wettbewerbsfähiger machen, den Stahlverarbeitern die Möglichkeit bieten, sich zu Preisen zu versorgen, die keine Wettbewerbsnachteile verursachen, um auf diese Weise ein Maximum an sicheren Arbeitsplätzen zu erhalten.
— Eben. — Deswegen fragen sich die Stahlarbeiter, insbesondere die an der Saar, auch die etwa 20 000 Menschen, die am vergangenen Freitag in Völklingen auf die Straße gegangen sind, um für die Erhaltung ihres Arbeitsplatzes zu demonstrieren, insbesondere im Unternehmen Arbed-Saarstahl in Völklingen, Burbach, Neunkirchen und Homburg, ob man nicht doch durch die von mir eben geschilderte Politik in einer Sackgasse ist. Die Menschen stellen Fragen, sie stellen Fragen an die Unternehmen, an die Gewerkschaften und auch an die Politiker: Waren die Anstrengungen, die an der Saar schon seit 1978 laufen, Anstrengungen genau in der vorgegebenen Richtung der Umstrukturierung, des Kapazitätsabbaus und der Modernisierung, umsonst? Ist das Ausscheiden von etwa 8 000 Stahlarbeitern bis jetzt umsonst gewesen? Wieso können wir mit den modernsten Anlagen Europas — Minister Becker hat eben darauf hingewiesen —, vielleicht sogar mit den modernsten Anlagen der Welt, im Wettbewerb mit den Stahlkochern aus Belgien und Italien nicht mithalten? Die fragen doch ganz einfach, ob sich nicht der Stahlarbeiter an der Saar oder auch an der Ruhr oder in Salzgitter oder in Osnabrück im freien fairen Wettbewerb mit unseren hochmodernen Anlagen wacker schlagen könnte. Sie fragen weiter, ob nicht noch Tausende in Kurzarbeit oder in Freistellungen mit Sozialplan gehen müssen, um mit einer noch weiter geschrumpften Mannschaft dann produzieren zu können. Für den heutigen Nachmittag ist angekündigt, daß die Geschäftsführung von Arbed-Saarstahl ein neues, ein revidiertes Konzept vorlegen will. Sie fragen sich im Saarland, wo man über Monate von einem Konzept von 223 000 Monatstonnen bei der Firma Saarstahl gesprochen hat, wie denn das jetzt so weitergehen wird, wo doch wegen der Konjunktur und vor allem wegen der eben geschilderten europäischen Wettbewerbsverzerrungen nur 150 oder 160 000 Tonnen monatlich oder sogar noch weniger in diesen Unternehmen produziert werden kann, weil man eben nicht mehr verkaufen kann. Wenn die Zahlen, die
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Müller
uns zur Verfügung stehen, richtig sind — sie sind auch gestern in der Debatte im saarländischen Landtag genannt worden — ist der Tiefpunkt bei 114 000 Tonnen monatlich. Diese Menschen fragen sich: Wird die deutsche und damit auch die saarländische Stahlindustrie ein Opfer vor allem der europäischen Unzulänglichkeiten? Sie fragen auch — darauf ist hier hingewiesen worden — nach den Konzepten, die dann, wenn diese Entwicklung anhält, für den Bergbau, für die Dienstleistungen und für die Zulieferer zu finden sind.Vor wenigen Monaten sind wir an der Saar noch davon ausgegangen, daß spätestens im Jahre 1985 die Restrukturierung an der Saar erfolgreich abgeschlossen sein würde. Heute müssen wir feststellen, daß sich die Lage leider dramatisch verschlechtert hat.Ich stehe hier nicht an, festzustellen, daß Bund und Land in der Vergangenheit das geleistet haben, was man erwarten konnte. Der Kollege Beckmann hat eben von 2,2 Milliarden bisher geflossenen öffentlichen Mitteln gesprochen. Nur zur Richtig- und Klarstellung: Die eine Hälfte sind bedingt rückzahlbare Zuschüsse, die andere Hälfte sind Bürgschaften.Ich sagte eben, die Lage hat sich dramatisch verschlechtert, was insbesondere bei den Betroffenen zu einer Reihe von Überlegungen geführt hat. So haben beispielsweise die Betriebsräte von Saarstahl auf den Art. 52 der saarländischen Verfassung hingewiesen, der eine Überführung von Großunternehmen von Privateigentum in Gemeineigentum vorsieht. Schon die alte Bundesregierung hatte dazu gesagt, daß dies j a nun wirklich keine Lösung ist. Auch war dieser Tage in einem renommierten Wirtschaftsblatt zu lesen, die deutsche Stahlindustrie überlege, eine Abkopplung des deutschen Stahlmarktes vom EG-Markt zu verlangen; ja, man spricht sogar von der Forderung nach einer Ausgleichsabgabe. Auch das, meine verehrten Damen und Herren, kann nicht der richtige Weg sein, insbesondere bei einer Exportquote im weiterverarbeitenden Gewerbe, die — auch darauf hat der Kollege Beckmann schon hingewiesen — an der Saar mit 37,2 % noch höher ist als im Bundesdurchschnitt. Ich habe an der Saar auch noch nicht gehört, daß derartige protektionistische Maßnahmen gefordert würden.Aber wir alle sind aufgefordert, den richtigen Weg zu finden. Schließlich ist schon sehr viel auf den Weg gebracht worden: die gemeinsame Roheisenerzeugung für den gesamten Stahlstandort Saar, die Zentralkokerei, der Ausbau der Saar zur Großschiffahrtsstraße. All das ließ hoffen und läßt, so meine ich, auch heute noch hoffen. Mit erheblichen öffentlichen Mitteln hat man diese modernen Werke hingestellt. Dies alles muß doch einen Sinn haben! Dabei will ich überhaupt nicht verhehlen, daß so manches Unternehmen, das nicht zum Stahlbereich gehört, daß vor allem manches Unternehmen aus dem Bereich des Mittelstandes diese Hilfestellungen kritisch beobachtet und begleitet.Die politische Auseinandersetzung an der Saar wird derzeit von einer Reihe von Begriffen wieDesillusionierung, Enttabuisierung von Ansprüchen, Absatzeinbrüche bisher unbekannten Ausmaßes, Explosion des Zuschußbedarfs usw. geprägt. Die Bundesregierung und auch die Landesregierung wissen um diese Dinge. Die Bundesregierung hat sich — dies gilt, wie ich ausdrücklich feststellen möchte, auch für die alte Bundesregierung — den Problemen bisher nicht verschlossen. Darauf, daß dem weiter so sein möge, hofft diese Region, und dies ist auch mein eindringlicher Appell am heutigen Tage. Ich bin sicher, daß Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn am morgigen Freitag erneut eine saarländische Delegation bei Ihnen vorsprechen wird, ein offenes Ohr haben werden. Die Ankündigung der neuen Bundesregierung, in Sachen Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" etwas zu unternehmen, wird sicher eine Entlastung zumindest bei der Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen bringen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die neue Bundesregierung hat durch ihre Festigkeit einen maßgeblichen Anteil an der Beendigung des seit neun Monaten andauernden europäisch-amerikanischen Stahlstreits; das ist eben schon ausgeführt worden. Es ist zu hören, diese Einigung sei in Brüssel nach hartem Ringen der Bundesregierung zustande gekommen. Die amerikanischen Hersteller haben ihre Klagen zurückgezogen. Die EG-Kommission sagt, die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten hätten Solidarität gezeigt, dadurch sei es gelungen, Kompromisse zu finden, und diese Einigung sei der Beweis dafür, daß die EG, wenn sie den politischen Willen dazu habe, auch gemeinsame Lösungen finde.Meine Damen und Herren, nach diesem, wie ich meine, akzeptablen Ergebnis bitte ich die Bundesregierung — wie es in unserem Antrag steht — ebenso eindringlich wie herzlich darum, die europäische Kommission auch in dem hier angesprochenen Stahlbereich mit der notwendigen Festigkeit dazu zu drängen, eine saubere, marktgerechte Lösung zu finden. Ja, ich meine, es müßte auch gegenüber den anderen EG-Partnern in Sachen Stahl massiv auf die Solidarität gepocht werden, damit wir endlich Licht am Ende des Tunnels für die deutsche und damit auch für die saarländische Stahlindustrie sehen. — Vielen Dank.
Als nächster Redner hat das Wort der Herr Abgeordnete Hoffmann .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß sagen, ich bin über den bisherigen Verlauf der Debatte zum Stahl etwas enttäuscht; denn wir haben eine Menge Lyrik gehört. Vielem von dem, was wir von seiten der CDU und der FDP gehört haben, kann ich zustimmen. Aber die eigentlich entscheidenden Fragen, die wir hier zu diskutieren haben und die in den nächsten Stunden sogar — oder zumindest Tagen — zur Entscheidung anstehen, hätten hier vorbereitet werden müssen. Zu denen muß man etwas sagen.
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Hoffmann
Deshalb möchte ich versuchen, mich auf diese Fragestellungen zu konzentrieren. Wenn hier von seiten der CDU/CSU gesagt worden ist, ihr Antrag habe doch soviel Aktualität, dann seien Sie bitte einmal so gut und lesen Sie ihn nochmals ruhig durch. Dann werden Sie feststellen, daß Sie Forderungen und Vorwürfe darin stehen haben, die der Entscheidungslage, um die es derzeit geht, überhaupt nicht mehr entspricht.
Da wird von einer hehren Marktsituation gesprochen, die angestrebt wird. Jeder von Ihnen weiß, daß das doch gar nicht mehr die entscheidende Frage für das Parlament sein kann.Es geht hier nicht um die Frage, ob für die deutsche Stahlindustrie eine Mauer gebildet, ob dauerhaft subventioniert wird, ob alte Anlagen so bestehen bleiben sollen, sondern es geht darum, ob ein Restrukturierungsprogramm Erfolg haben kann und daß nicht anschließend, nachdem modernisiert ist, auf Grund verfälschter Wettbewerbsbedingungen auf internationaler Ebene diese Entscheidungen nutzlos gewesen sind und ganze Regionen schlicht und einfach sterben. Um diese Frage geht es. Und dazu gibt es leider Gottes wenig Anmerkungen, wie ich bisher vernommen habe.
— Ich komme gleich darauf zurück. Dann werden Sie einmal sehen, wo nach meiner Auffassung die entscheidende Frage liegt, worüber bis heute nichts gesagt worden ist.Ich will noch einmal festellen — leider kann ich das nicht ausführlich tun —, daß die Arbeitsplatzverluste seit dem Boom 1974 so gewesen sind, daß die Bundesrepublik 22 % der Arbeitsplätze des Stahls verloren hat — das Saarland übrigens 36 % —, Frankreich 39 %, Belgien 33 %, Großbritannien fast 60 % und die EG im gesamten Durchschnitt 33 %. Das heißt, das Problem, das wir hier besprechen, ist nicht eines, wo wir den anderen schöne Schuldzuweisungen machen können. Diese Probleme sind für alle europäischen Regionen von einer Tragweite, die inzwischen dramatischen Umfang angenommen hat.Meine Damen und Herren, ich möchte konkret auf die saarländische Situation eingehen, weil sie vielleicht ein Vorreiter für das ist, was vielen anderen Regionen passieren kann, die unter ähnlichen Bedingungen stehen; Regionen, die bereits angesprochen worden sind: Siegerland, Maxhütte, auch Norddeutschland, Klöckner-Werke und andere.Das Problem, das heute für uns besteht, ist nicht mehr, ob wir bereit sind, eine Unterstützung zu betreiben, damit moderne Kapazitäten entstehen, sondern das Problem heißt schlicht und einfach: Die vorgesehenen Strukturierungszahlen werden durch den zusätzlichen Markteinbruch so verletzt, daß praktisch nur noch fünfzigprozentige Kapazitätsauslastungen vohanden sind.Wie heißt unsere politische Antwort darauf? Die politischen Antworten werden leider in der letztenZeit etwas verfälscht. Ich sage dies an alle Parteien: Schuld an der Stahlkrise und ihrem Umfang hat nicht zuerst die Politik — damit das klar ist —; die Schuld an der Stahlkrise tragen zuerst einmal die betroffenen Unternehmen durch eine Reihe von Fehlentscheidungen.
Ich darf die entsprechenden Unternehmen im Saarland nennen, die dort zu handeln gehabt hätten: Stumm — betrügerischer Bankrott —, Arbed — überalterte Anlagen —, Röchling — Flucht des Kapitals in den Waffensektor —, Otto Wolff von Amerongen — still davongeschlichen —, Mabanaf — Fehlspekulation. Das sind die Kapitalgruppen, die die eigentliche Misere an der Saar verursacht haben, die wir von der politischen Seite heute auslöffeln sollen. Das sollten wir uns nicht gegenseitig vorwerfen,
sondern wir sollten die Adresse finden, wo das hingehört. Erst dann kommt die politische Verantwortung. Dazu könnte ich eine Menge sagen.Nur kann ich das heute nicht als saarländische Debatte verstehen. Ich sage Ihnen nur eines: Das, was an Kreativität von der Landesregierung des Saarlandes gekommen ist, ist „enorm": bisher immer Fehlanzeige. Es war nichts weiter als das Ablesen der Sprechzettel, die aus der Industrie gekommen sind.
So ist es gewesen.Jetzt ein kurzes Wort an Herrn Beckmann; das wurde vorhin auch schon von dem Kollegen Müller gesagt. Verwechseln Sie bitte nicht Zuschüsse und Bürgschaften. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Vielleicht haben Sie da etwas vorweggenommen. Wenn nämlich das, was nächste Woche zur Entscheidung ansteht, negativ ausgeht, könnten Sie recht haben: Das bedeutete, daß die Bürgschaften fällig werden. Davor kann man nur warnen, weil das extreme Folgen für die Arbeiter und deren Familien sowie für die gesamte Region hätte. Ich glaube nicht, daß dies ein Vorteil sein könnte, an den wir überhaupt denken sollten.Ich möchte nicht versäumen, an dieser Stelle der alten Bundesregierung, insbesondere dem Bundeskanzler Helmut Schmidt, dafür zu danken, daß er mit seiner ganzen Regierung auf der Grundlage der Parlamentsentschlüsse und auch auf der Grundlage der Hilfen, die wir aus dem Wirtschaftsministerium bekommen haben, geholfen hat, daß die Saar überhaupt eine Chance bekam, trotz dieser Probleme bisher zu überleben. Ich hoffe, daß wir diese Überlebensfrage weiter positiv klären können.
Herr Kollege Hoffmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller ?
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Ich habe noch vier Minuten. Aber wenn es eine ganz kurze Frage ist, bitte schön.
Ich möchte den Kollegen Hoffmann nur fragen, wer von der saarländischen Landesregierung einen Sprechzettel der Industrie vorgelesen hat und in welcher Debatte das war.
Sie brauchen sich nur die Inhalte und das anzusehen, was einige Monate vorher in der Industrie geäußert wurde. Dann wissen Sie, daß das deckungsgleich ist.Lassen Sie mich zu den entscheidenden Fragen kommen; wir sollten hier nicht mit diesen Mätzchen herumoperieren.
Ich will Ihnen sagen, welches die entscheidende Frage ist, die wir heute zu klären hätten.
— Hören Sie mal zu, ich will Ihnen mal was sagen. Die Geschichte, die hier zu diskutieren ist, geht so viele Menschen in Ihrer Existenzfrage an, daß ich mich von Ihnen nicht durcheinanderbringen lasse. Das will ich Ihnen mal sagen.
Jetzt sage ich Ihnen, welches die wirklich entscheidende Fragestellung ist.
— Machen Sie doch mal den Mund zu, und hören Sie zu! Sie können doch hier herkommen,
Sie können sich doch hier hinstellen.
Ich sage Ihnen jetzt, was die wirklich entscheidende Frage ist. Das ist nicht mehr die Beantwortung Ihrer Frage; deswegen können Sie sich gerne setzen, Herr Kollege Müller.
— Hören Sie mal zu, davon verstehen Sie wahrscheinlich überhaupt nichts, sonst würden Sie nicht so laut brüllen!Ich nenne die entscheidende Fragestellung, die hier zu klären ist: Erfolgen die Anpassungen an der Saar über eine Massenarbeitslosigkeit oder über die Kurzarbeit? Davon habe ich heute morgen nichts gehört.
Die Menschen an der Saar warten darauf, daß eine Entscheidung fällt, und zwar nicht in Richtung Massenarbeitslosigkeit.Weil sicher gleich die Apostel der Marktwirtschaft kommen, sage ich Ihnen, was das finanziellfür die Bundesrepublik alternativ bedeutet. Das ist auch an das Wirtschaftsministerium und das Finanzministerium gerichtet.Entweder wird die Anpassung an die derzeitige Situation über eine Massenentlassung von 5 000 Menschen in der saarländischen Stahlindustrie betrieben. Ich rede nicht von den sozialen Fo1gen, ich rede nicht von dem psychischen Druck, der dahintersteht. Ich begrenze mich auf die volkswirtschaftlichen Tatbestände. Das bedeutet für die Steuerzahler, daß er die Folgen über das Arbeitslosengeld zu tragen hat. Die ganzen anderen Folgen in der Wirtschaft werden auch in gewisser Weise öffentlich aufgefangen.Wenn wir die Lösung über die Kurzarbeit bei dauernder Massenarbeitslosigkeit, wie sie zur Zeit herrscht, anstreben, ist der Effekt für den Steuerzahler fast derselbe, weil die Kurzarbeitergelder ebenfalls über die Bundesanstalt für Arbeit bezahlt werden müssen.Wer also glaubt, er könnte in dieser Situation die Entscheidung nach der Philosophie der Marktwirtschaft treffen, irrt sich unglaublich. Es geht vielmehr um die Frage, ob Sie einen Sturzflug machen, wobei 5 000 Menschen in ihrer Existenz zerstört werden, oder ob man sich dazu durchringt, eine Kurzarbeitszeitlösung zu finden, rollierend über längere Zeit, kombiniert mit entsprechenden Unterstützungen. Ich weiß, daß es für den Bundesfinanzminister im Prinzip nur die Frage ist, aus welchem Topf er es bezahlt. Für das Saarland ist es etwas anderes, weil das Land damit an bestimmte Existenzgrenzen stößt.Ich fasse meine Position, die ich leider nicht im einzelnen darstellen kann, in folgenden Punkten zusammen.Erstens. In der Regierungszeit des Bundeskanzlers Helmut Schmidt hat es keine Massenentlassungen von Stahlarbeitern gegeben. Wir fordern die jetzige Regierung auf, diese Politik fortzusetzen.
Wir werden mit allen demokratischen Mitteln gegen Massenentlassungen arbeiten.Zweitens. Zur Vermeidung eines Konkurses von Arbed-Saarstahl in der nächsten oder übernächsten Woche müssen Bund und Saarland die notwendigen Finanzentscheidungen in der nächsten Woche treffen, soweit das nicht bereits im Vorlauf geschehen ist.Drittens. Wir fordern die Bundesregierung auf, zu erklären, ob sie noch auf der Basis dieses Restrukturierungsprogramms Saarstahl steht — Stahlproduktion von mindestens 223 000 t monatlich bei 18 800 Arbeitsplätzen — oder ob sie inzwischen von diesem gemeinsam vereinbarten Konzept abgerückt ist.Viertens. Wir selbst stehen zu diesem Programm. Seine Geburtsfehler — so z. B. das Scheitern einer Lösung im nationalen Rahmen, so z. B. die ungleichgewichtigen Staatseinflüsse in Luxemburg, Belgien und Deutschland — können in der aktuellen dramatischen Notlage von uns nicht hinreichend korri-
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Hoffmann
giert werden. Sie bleiben aber dennoch unsere langfristige Aufgabe.Fünftens. Kurzfristig und auf mittlere Sicht gibt es nur eine akzeptable Alternative zu der angedrohten Massenentlassung von 5 000 Stahlarbeitern: vermehrte und verlängerte Kurzarbeit, über deren Bedingungen mit den Betriebsräten und der IG-Metall Einvernehmen erzielt werden muß. Dazu — dies ist ein Antrag der Fraktion, den wir auch formell einbringen werden — muß die bisherige Höchstdauer von 24 Monaten Kurzarbeit auf 36 Monate verlängert werden.
Dies ist ein Antrag der SPD-Fraktion, der einstimmig beschlossen worden ist.Sechstens. Über die im Restrukturierungsprogramm festgelegten Arbeitsplatzverluste hinaus darf ein Abbau von Arbeitsplätzen nur im Rahmen der normalen Fluktuation von Mitarbeitern vorgesehen werden.Siebtens. Die Last der Stahlkrise ist vom Bundesland Saarland kaum noch zu ertragen. Deshalb bitte ich darum — dies kann kein Antrag der Fraktion sein —, daß sich Bund und Länder überlegen, wie sie diese für ein kleines Bundesland dramatische Situation mit auffangen können, weil die Kraft eines solchen Bundeslandes erschöpft ist, dies allein zu tun.Achtens. Das Modell von Unterstützungsgesellschaften als Dienstleistungsunternehmen in Stahlregionen, wie es in Großbritannien und in Japan versucht wird, sollte endlich angepackt werden, so daß wir helfen, über ein solches Dienstleistungsinstrumentarium in Zeiten der Kurzarbeit Fortbildung und Umschulung der Arbeitnehmer zu betreiben, bei der Marktanalyse Unterstützung zu gewähren, Existenzgründungshilfen und ähnliches mehr zu geben; ich kann das hier leider nicht ausführen.Schließlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Diskussion um Staatsbeteiligung und Einflußmöglichkeiten nationaler Ebenen muß neu geführt werden. Sonst werden wir erleben, daß in der Konkurrenz verschiedener Regionen diejenigen auf der Strecke bleiben, bei denen die entsprechenden öffentlichen Einflüsse nicht stark und klar genug ausgeprägt sind.Zum Schluß, meine sehr verehrten Damen und Herren: Ich befürchte, daß bei den uns in diesem Hause noch bevorstehenden Haushaltsberatungen eines nicht bedacht wird: daß in den Regionen, von denen wir heute gesprochen haben, die unter diesen wirtschaftlichen Entwicklungen zu leiden haben, eine Kumulation von Schäden auftreten wird, die hier vom Parlament mit der neuen Mehrheit möglicherweise beschlossen werden: BAföG-Kürzungen treffen jede durchschnittliche Stahlarbeiterfamilie, die ein Kind auf weiterführenden Schulen hat.
Die Mieterhöhungen, die Sie provozieren,
treffen jeden Stahlarbeiter, der in Ballungsgebieten lebt. Die Mehrwertsteuererhöhung, die nicht der Arbeitsbeschaffung dient, sondern eine Steigerung der Inflationsrate bringt, trifft alle Stahlarbeiter.Deshalb sage ich: Wenn alles das in diesen Regionen kumuliert, dann weiß ich nicht, wie sie es ertragen sollen. Dann, so finde ich, ist es auch überflüssig, hehre Worte über große Politik, beispielsweise über Erneuerung im Geiste, zu machen, wenn sich auf dem Boden der Realität Massenarbeitslosigkeit ausbreitet.
Ich bitte auch den Herrn Wirtschaftsminister in seiner Marktphilosophie, einmal ein bißchen sensibler zu sein. Ich habe mir einmal einige seiner Werke zu Gemüte geführt und festgestellt: Das, was dort an Marktphilosophie steht, hat mit der Realität dieser Branche und einiger anderer Branchen nun absolut nichts mehr zu tun. Sie können es marktwirtschaftlich nicht mehr lösen.Als letztes: Herr Blüm, der neue Arbeitsminister, sollte sich noch einmal daran erinnern, daß er als Gewerkschaftsmitglied eine Verantwortung dafür hat, daß das, was er als Pausenzeichen, als Streichzeichen hier gibt, nicht auf dem Buckel der Stahlarbeiter und in deren Regionen ausgetragen wird. — Danke schön.
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte mir natürlich eine fertig vorbereitete Rede mit hierher gebracht. Ich glaube aber, ich sollte die nicht halten, sondern den Versuch machen, auf das einzugehen, was hier in der Debatte gesagt worden ist.
Ich will nur zwei Vorbemerkungen machen.Erstens. Ich bin mir seit langem darüber im klaren, daß es in der Stahlindustrie Probleme ungewöhnlichen Ausmaßes gibt und daß es uns außerordentlich schwerfallen wird und schwerfallen muß, diese Probleme zu lösen. Aber, meine Damen und Herren, es sei erlaubt — ich werde hier sicher keinen Widerspruch finden; ich sage das auch nicht, um diese Probleme herabzumindern —, anzumerken, daß es auch in anderen Bereichen unserer Industrie ähnliche, gleichgelagerte Probleme gibt. Nur sind die Unternehmen kleiner und ist die Konzentration auf die Regionen nicht so groß. Wenn ich an die Zahlen der Beschäftigten denke, die in der Textilindustrie freigesetzt worden sind
— natürlich auch mit Mitbestimmung, Herr Urbaniak, wenn auch nicht mit Montan-Mitbestimmung —, dann sollten wir über einer gewiß wichti-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffgen Stahldebatte die Probleme anderer Branchen und dort Beschäftigter jedenfalls nicht vergessen.
Eine zweite Bemerkung. Ich werde im Zusammenhang mit der Situation der Stahlindustrie ganz gewiß keine marktwirtschaftlichen und ordnungspolitischen Gesänge anstimmen, Herr Hoffmann. Eines will ich allerdings sagen. Dies ist ein Musterbeispiel dafür, wie man durch langjährige Staatsinterventionen und Außerachtlassung marktwirtschaftlicher Gesetze eine Branche so ruiniert, daß wir uns heute damit zu beschäftigen haben, wie wir sie mit unserem Geld auffangen können.
Drittens. Ich habe nicht die Absicht, die Debatte zu verschärfen, weil ich aus den Debattenbeiträgen den Eindruck gewonnen habe, daß wir eine gemeinsame Sorge haben, daß wir die Probleme in gleicher Weise sehen und daß wir uns darüber hier nicht polemisch auseinandersetzen müssen. Ich möchte aber hinzufügen: Das gilt für alle Beiträge — bis auf Ihren, Herr Hoffmann. Wenn Sie hier formulieren, die Mehrwertsteuererhöhung führe nicht zur Arbeitsbeschaffung und nicht zur Verbesserung der Beschäftigungslage, sondern nur zur Inflation, möchte ich Sie fragen, ob die Mehrwertsteuererhöhung, die wir früher gemeinsam beschlossen haben, demselben Zweck diente. Oder sehen Sie die Dinge nur deshalb anders, weil sich seitdem die Koalition geändert hat?
— Verehrter Herr Reuschenbach, Mehrwertsteuererhöhung ist Mehrwertsteuererhöhung. Das bleibt der gleiche Vorgang, der selbstverständlich seinen Einfluß auf die Preise hat, bei dem es aber darauf ankommt, was man mit diesen Mitteln anfängt.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hoffmann ?
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, können Sie sich vorstellen, daß meine Feststellung darauf abgezielt hat, daß es wesentlich darauf ankommt, was man mit den Ergebnissen aus einer solchen Mehrwertsteuererhöhung anstellt;
ist in dem Augenblick, in dem Sie diese Mittel unmittelbar für arbeitsbeschaffende Maßnahmen einsetzen, die volkswirtschaftliche Wirkung nicht eine andere als dann, wenn Sie die Erträge verschleudern, indem Sie beispielsweise für Wohnungsinhaber bestimmte Vorteile vorsehen?
Verehrter Herr Hoffmann, haben Sie eigentlich vergessen, was Sie noch vor drei Monaten mit-beschlossen haben?
— Doch, Sie haben es wohl vergessen. Wir wollten die Mehrwertsteuer erhöhen, um die Investitionszulage und nicht Arbeitsbeschaffungsprogramme damit zu finanzieren. Dieses war das Ziel der Regierung, in der wir doch bis vor wenigen Wochen gemeinsam gesessen haben.
Sie sollten wenigstens sagen, was Sie meinen. Nein, hier wird reine Polemik betrieben, und plötzlich sieht alles anders aus.
— Ja, Polemik ist ihm adäquat. Da haben Sie recht, Herr Urbaniak.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will versuchen, auf einige der Einzelfragen, die hier gestellt worden sind, und auf einige Probleme einzugehen.Erstens zu dem, was die Situation in Europa anbelangt. Ich brauche hier nicht noch einmal im einzelnen zu wiederholen, daß wir den Subventionskodex nach langen Mühen durchgesetzt haben, daß wir ihn selber nicht für zulänglich halten, daß aber mehr nicht zu erreichen war — Sie brauchen in Europa die Zustimmung aller Beteiligten; dies war mühselig genug —, daß wir die Kommission auffordern und weiter auffordern werden, diesen Subventionskodex nun auch wirklich strikt zu handhaben, wie er aufgeschrieben worden ist und wie man dies erwarten muß. Dazu gehört dann aber auch, daß wir die Kommission dann, wenn sie sich nicht in der Lage sieht, diesen Kodex, d. h: die gemeinsam getroffene Entscheidung wirklich durchzusetzen, auffordern, ihrer Pflicht zu genügen, nämlich für eine Ordnung auf diesem Markt zu sorgen, wie sie in Europa beschlossen worden ist, durch welche Maßnahmen auch immer.
Ob es sich um die Ausräumung von Behinderungen des Zugangs zu anderen Teilmärkten in Europa handelt — ein sehr schwerwiegender Vorgang, weil das den Binnenmarkt in Gefahr bringen würde, der heute ohnehin durch viele protektionistische Maßnahmen mancher unserer Partner bereits in Gefahr gebracht worden ist —, ob man an eine Ausgleichsabgabe, an Maßnahmen nach Art. 37 des Montanunionvertrages denkt, bleibt zu diesem Zeitpunkt alles dahingestellt. Meine Damen und Herren, wir müssen von der Kommission aber verlangen, daß sie dafür sorgt, daß das, was wir im Ministerrat mit ihrer Zustimmung beschlossen haben, auch durchgesetzt wird.Ich komme nun zur Preisgestaltung. Herr Reuschenbach erwähnt die Kritik an der Stahlpreisgestaltung. Verehrter Herr Reuschenbach, Preislisten
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffgibt es bei der Hohen Behörde für Kohle und Stahl, seit Herr Schuman und Herr Adenauer den Vertrag unterschrieben haben. Seither kann von Marktwirtschaft nur noch sehr beschränkt gesprochen werden. Wir brauchen uns über diesen Vorgang also überhaupt nicht mehr aufzuregen.Die Preise auf einem Niveau zu halten, ist doch die eigentliche Lösungsmöglichkeit für die Stahlindustrie. Wenn die Preise nicht auskömmlich sind, müssen die Finanzminister dauernd antreten, oder die Aktionäre oder die Unternehmen gehen pleite. Also müssen die Preise vernünftig sein. Ich weiß, daß an die Stahlverarbeiter gedacht werden muß. Die haben aber keinen Anspruch darauf, Vormaterial zu Preisen zu bekommen, bei denen teilweise die Finanzminister vorher bezahlt haben.
— Aber ich bin doch ein höflicher Mensch. Sie haben die Frage aufgebracht. Und wenn ich nun Ihre Frage beantworte, dann gucke ich Sie an. Zuhören können hier j a alle.
Wir müssen natürlich auch von der Kommission erwarten, daß sie die Unternehmen veranlaßt, die Preise, die vereinbart worden sind, im Markt durchzusetzen. Insofern sind die Forderungen der Stahlindustrie, die im Zusammenhang mit dem Selbstbeschränkungsabkommen mit den Amerikanern verabredet worden sind — „Gleichpreisigkeit" haben Sie das genannt; das Wort ist in meinen Ohren nicht besonders wohlklingend, aber immerhin: man weiß, was gemeint ist, nämlich die Einhaltung der vereinbarten Preise —, in der Tat durchzusetzen. Ich halte das für eine vernünftige und für eine richtige Position. Daran ist in meinen Augen nichts zu kritisieren.Große Freude an Beihilfen — hier hat einer formuliert, ich glaube, Herr Reuschenbach, Sie waren es: „Es fehlt an großer Freude an öffentlichen Beihilfen" — werde ich auch in Zukunft nicht aufbringen. Die wird wohl auch kein Finanzminister aufbringen können. Es ist wirklich kein Vergnügen, in diesem Zusammenhang und überhaupt Wirtschaftspolitik zu betreiben, indem man in die Kasse des Finanzministers greifen muß, um Unternehmen zu stützen.Wir brauchen zur Lösung dieser Probleme allerdings die Bereitschaft aller Beteiligten. Wir brauchen die Bereitschaft der Unternehmen, ihrer Eigentümer, ihrer Vorstände, wir brauchen die der Gewerkschaften, und wir brauchen die der öffentlichen Hände. Alle werden zusammenwirken müssen. Anders geht es nicht. Herr Beckmann hat mich aufgefordert, noch einmal an die Industrie zu appellieren. Wir werden uns noch im November mit den Vorständen der deutschen Unternehmen zusammensetzen.Ich teile die kritischen Bemerkungen, die ich auch hier gehört habe — und Sie wissen, daß ich die selber oft genug gemacht habe —, daß sich der Mangel an Kooperation in der deutschen Stahlindustrie zur Lösung der Probleme als wenig förderlich erwiesen hat.
Ich kann aber nur hoffen, daß dies jetzt etwas besser werden wird, mindestens im Zusammenhang mit den Selbstbeschränkungsabkommen mit den Vereinigten Staaten, an dem — meine Damen und Herren, ich sage das gerade auch an die Adresse von Minister Haak — ich überhaupt kein Vergnügen habe, und zwar weil das nun auch wieder eine beschränkende Maßnahme ist, die in Welthandelsbeziehungen eingreift. Aber unter den gegebenen Umständen war doch wohl zu fragen: Was ist die Alternative dazu? — Kein Selbstbeschränkungsabkommen, Verdrängen unserer europäischen Konkurrenten und Partner vom amerikanischen Markt, mit der Folge, daß die subventionierten Mengen aus europäischen Ländern noch stärker auf den deutschen Markt dringen und wir noch mehr zu Abwehrmaßnahmen gezwungen werden? Dies alles muß man sich ja leider in solchem Zusammenhang fragen.Hier habe ich Wert darauf gelegt — und ich nehme zur Kenntnis, daß Sie das als eine ungenügend harte Position bewerten; wir haben da ein paar Punkte, Herr Kollege Haak, über die wir auch sprechen müssen —, daß wir in Brüssel eine Position durchsetzen, die die deutsche Stahlindustrie mit akzeptiert. Das war bei den ursprünglichen Vorschlägen nicht der Fall. Das Kabinett hatte dann daraufhin gesagt: So läuft es nicht. Hier ist zitiert worden, das habe angeblich in Brüssel wie eine Bombe eingeschlagen. Na, ganz so war es vielleicht auch nicht, aber immerhin: Wir haben unseren Standpunkt durchgesetzt.Mir lag sehr wesentlich an einem. Ich war sehr dankbar, daß die Kollegen im Kabinett das unterstützt haben, vor allem auch diejenigen, die sich in europäischen Angelegenheiten anders zu engagieren haben, auf anderen Gebieten Probleme haben und darauf sehen, daß man möglichst keine Friktionen erzeugt, was alles sehr verständlich ist, alles seine guten Seiten hat und gute Absichten kennzeichnet. Es kam mir sehr darauf an, eine Position zu finden, bei der die deutsche Stahlindustrie zum Ergebnis ja sagt, auch deswegen — meine Damen und Herren, ich sage das ganz deutlich, ich habe das auch der Stahlindustrie so deutlich gesagt —, weil ich doch vorher die klaren Hinweise gelesen habe: Wenn ihr bei etwas zustimmt oder etwas mitmacht, was gegen die Interessen der Stahlindustrie geht — ganz zu schweigen davon, daß es noch mehr Arbeitsplätze kosten würde als ohnehin auch hier wieder in Gefahr geraten —, dann werden wir bei euch an die Kasse treten und uns den Ausgleich dafür abholen. Diesen Blankoscheck wollte ich mit einer Zustimmung zu Brüsseler Maßnahmen nicht so gerne ausliefern.In dem Zusammenhang spielt natürlich das Thema einer möglichen Röhren-Beschränkung eine Rolle. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß ich von Anfang an — ich sage das jetzt hier über mich, weil ich das in beiden Bundesregierun-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffgen getan habe — entschieden dagegen aufgetreten bin, in das Selbstbeschränkungsabkommen mit den Vereinigten Staaten die Röhren nur deswegen einzubeziehen, weil die amerikanische Stahlindustrie das wünschte. Es gibt überhaupt keine Subventionen, es gibt kein Dumping. Es gab keinen einzigen konkretisierten Vorwurf gegen Exporte aus Europa, insbesondere der Bundesrepublik, in die Vereinigten Staaten — mit der einen Ausnahme: daß nämlich die Exporte gestiegen seien. Wenn das nur ein Vorwand oder ein Anlaß ist, um importbeschränkende Maßnahmen zu verhängen, sind wir natürlich sehr schnell weit gekommen. Es ist eine Position, auf die sich ein Land wie die Bundesrepublik natürlich überhaupt nicht einlassen kann.Der eigentliche Hintergrund dafür war der, daß die amerikanische Röhrenindustrie nicht damit gerechnet hatte, daß eine neue amerikanische Regierung durch Freigabe der Erdöl- und Erdgaspreise einen Boom in der privaten Exploration auslösen würde, wodurch man plötzlich eine Massennachfrage nach Rohren und Röhren erzeugte. Die amerikanische Industrie hatte geschlafen, konnte nicht liefern; also sind andere an deren Stelle getreten. Dann kann ja wohl nicht die Antwort sein, daß man anschließend sofort die Importe einschränkt und beschränkt.
Deswegen ist auch in dieser Frage eine Lösung erzielt worden, der die deutsche Röhrenindustrie zum Schluß zugestimmt hat.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reuschenbach?
Ja, selbstverständlich.
Herr Bundesminister, würden Sie uns erklären, welche Folgen, welche Konsequenzen und welche Motive es für die Zusage gibt, amerikanischen Behörden deutsche Liefermengen zu melden?
Welche Konsequenzen? Ich habe die Frage nicht verstanden, Herr Reuschenbach.
Meine Frage lautet: Warum und mit welchem Ziel die Bundesregierung sich verpflichtet oder zugesagt hat, deutsche Röhrenmengen amerikanischen Behörden zu melden.
Entschuldigen Sie, Sie hatten in der ersten Frage das Stichwort „Röhren" nicht gesagt. Wir haben uns mit dieser Konsultation — weiteres nicht, keine automatischen Maßnahmen — einverstanden erklärt, weil das die Bedingung der amerikanischen Seite war, dem Selbstbeschränkungsabkommen zuzustimmen und bei ihrer Industrie die Rücknahme der Klagen der Stahlindustrie wegen Dumping und Subventionsvorwürfen zu erreichen. Die ursprünglichen Vorschläge der amerikanischen Seite gingen dahin, daß unmittelbar nach Überschreiten einesMarktanteils von 5,9 % Röhrenlieferungen in den amerikanischen Markt eine Automatik für Beschränkungen ausgelöst werde. Jetzt steht nur darin: es gibt Konsultationen. Niemand ist zu irgendwelchen Maßnahmen verpflichtet. Dies war eine Position, die nach Abstimmung hier bei uns im Lande mit der Röhrenindustrie, die keine Bedenken gegen eine solche Konsultationspflicht hat, akzeptiert werden konnte; alles nur aus dem Ziel heraus, handelspolitische Friktionen, handelspolitische Spannungen mit den Vereinigten Staaten abzubauen.Vor allem der Kollege Urbaniak hat darum gebeten, wir sollten die Haushaltstitel nicht kürzen. Wir haben gestern beschlossen — auch Herr Löhr hat danach gefragt —, 540 Millionen für 1983 im Haushalt 09, also Bundeswirtschaftsministerium, und im Haushalt 60 — aufgeteilt — einzustellen; ich glaube, sie stehen alle im Haushalt 60, aber sie beziehen sich auf 09. Nur, Herr Urbaniak, im alten Haushaltsentwurf standen ja einmal Stahlforschungsmittel von 600 Millionen, und Sie wissen, daß die gegen den nachhaltigen Widerstand des Bundeswirtschaftsministers durch den früheren Forschungsminister und den früheren Finanzminister auf 280 Millionen zusammengestrichen worden sind. Das war noch zu Ihrer Zeit.
Ich bedaure das sehr. Denn Sie wissen wie ich, daß der Fördersatz von 50 % etwa im Falle Hoesch, den wir ja in einigen Fällen in Aussicht gestellt haben, nur dann erreicht werden kann, wenn auch Forschungsmittel mit eingesetzt werden können. Über Investitionszulage und andere spezielle Stahlförderung alleine geht das j a leider nicht. Ich kann nur noch einmal sagen: dies war ein in meinen Augen außerordentlich bedauerlicher Vorgang.Im übrigen stimme ich Ihnen zu: mit der Resolution oder mit dem Beschluß auf Drucksache 1423 kann man sehr gut leben, wie ich im übrigen auch überhaupt keine Schwierigkeiten mit den Aufforderungen in dem Antrag bzw. der Großen Anfrage der CDU/CSU habe, die wir heute hier miteinander diskutieren.
— Also, Herr Hoffmann, da steht schon eine ganze Menge darin. Aber ich will mich mit den speziellen Problemen, die Sie angesprochen haben, natürlich auseinandersetzen, weil das morgen j a schon wieder konkrete und aktuelle Bedeutung hat und uns eigentlich täglich beschäftigt.Ich will ein paar Fragen beantworten, die auch der Herr Minister Haak gestellt hat. Dazu, Herr Minister Haak, werden Sie mir erlauben, daß ich vielleicht auch auf einen langen Katalog von Fragen Bezug nehme — vier Fragen waren es —, die der Ministerpräsident Ihres Landes in der Zeitung — sie wird von einem Konzern herausgegeben, der, wie ich heute morgen gehört habe, ganz abscheu-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorfflich ist; aber dafür kann er doch offensichtlich noch dienen —,
in einer Sonntagszeitung an die Bundesregierung übermittelt hat.Herr Ministerpräsident Rau hat uns gefragt: Bleibt es bei der Hilfe für den Stahl? Die Antwort ist: Ja.Er hat weiter gefragt: Bleibt es bei der finanziellen Hilfe für die Umstrukturierung und die Forschung im Stahlbereich? Die Antwort ist — ich kann es nur wiederholen —: Die Forschungsmittel wurden vom früheren Forschungs- und vom früheren Finanzminister gegen meinen entschiedenen Widerstand leider erheblich gekürzt. In dem gekürzten Umfang bleibt sie.Dritte Frage: Ist die Bundesregierung bereit, wie bei der Kohle mindestens zwei Drittel der Stahlhilfe zu tragen? Nordrhein-Westfalen hat sich bereit erklärt, ein Drittel der Kosten zur Umstrukturierung der Stahlindustrie zu übernehmen. — Nun, verehrter Herr Kollege Haak, die Antwort auf diese Frage kennen Sie, sie ist Ihnen zugegangen: Die Bundesregierung besteht darauf, daß Sie sich mit der Hälfte beteiligen, so wie wir das auch vom Saarland verlangen. Aber vielleicht hätten Sie doch die Freundlichkeit, das zunächst einmal unter sich auszumachen und es nicht etwa der neuen Bundesregierung oder der neuen Koalition vorzuhalten. Denn Sie kennen ja den Brief des Herrn Bundeskanzlers an den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen:Dabei ist sie— die Bundesregierung —davon ausgegangen, daß sich die betroffenen Länder an den über die Stahlinvestitionszulage hinausgehenden staatlichen Investitionshilfen für die Stahlindustrie jeweils zur Hälfte beteiligen.Und letzter Absatz:Ich bitte Sie dafür um Verständnis, daß die Bundesregierung aus haushaltspolitischen und auch aus präjudiziellen Gründen an diesem Beteiligungsschlüssel festhalten muß.Unterschrieben: Helmut Schmidt. Datum: 26. September — sozial-demokratische Alleinherrschaft in diesem Lande.
Vielleicht klären Sie das vorher einmal unter sich, bevor wir das hier zum Gegenstand der Diskussion machen.Vierte Frage: Bedeutet die Aussage der Regierungserklärung eine weitere Verringerung der Stahlkapazitäten? — Nun, meine Damen und Herren, das kann nicht in Regierungserklärungen festgeschrieben werden — bei der gegenwärtigen Marktverfassung muß man sagen: leider —, sondern das entscheidet unter den gegenwärtigen Umständen eben dieser Markt.Herr Kollege Haak, Sie sagen, die Regierungserklärung sei kein Konzept. Sie wissen sehr genau, daß diese Regierungserklärung einen Zeitraum von wenigen Monaten abdeckt. Ich bestätige Ihnen hier noch einmal: An der grundsätzlichen Position hat sich von damals bis heute in den Fragen der Stahlpolitik und der Stahlindustrie gar nichts geändert. Sie sehen das insbesondere an dem gestern verabschiedeten Haushaltsentwurf.
Ich bin sehr gespannt, ob Sie es durchsetzen können, Hagen in die Gemeinschaftsaufgabe aufzunehmen. Es liegt nicht am Bund. Sie wissen, der Bund hat elf Stimmen, die Länder haben elf Stimmen. Es liegt daran, ob die Kriterien erfüllt werden. Der Bund wird sich nach den vereinbarten Kriterien richten. Wenn diese erfüllt sind, wird Ihrem Antrag nichts entgegenstehen. Nach meinen Informationen war das bisher nicht der Fall. Wenn sich das geändert haben sollte, werden wir selbstverständlich darüber nachdenken.Meine Damen und Herren, schließlich und endlich zum allerkonkretesten, betrüblichen Fall. Das ist der Fall an der Saar. Herr Hoffmann hat ihn angesprochen, der Kollege Müller hat ihn angesprochen und natürlich auch Herr Minister Becker. Ich darf zunächst einmal sagen, damit wir uns nur noch einmal die Größenordnungen ins Ohr rufen, über die wir hier bei einem einzigen Unternehmen reden, das seit 1978 an öffentlichen Mitteln für ein Unternehmen 2,2 Milliarden DM in der Form von Zuschüssen und Bürgschaften zur Verfügung gestellt worden sind, 2,2 Milliarden DM!
— Herr Hoffmann, wenn Sie sagen, das sei ein Unterschied, dann meinen Sie den Unterschied zwischen Zuschuß und Bürgschaft. Sie wissen selber, daß die Verfassung des Unternehmens so aussieht, daß Sie die Bürgschaften schon auf die Zuschußseite rechnen müssen. Alles andere ist eine ganz unehrliche Argumentation und Diskussion. Diese Bürgschaften sind leider verloren. Das wissen Sie doch.Vielleicht noch eine Bemerkung, Herr Hoffmann. Sie sagen: Es muß eine Staatsbeteiligung eingeführt werden, sonst bleibt ein solches Unternehmen auf der Strecke, weil die öffentliche Hand nicht genügend Interesse nimmt. Sie sollten sich die 2,2 Milliarden DM noch einmal hinter die Ohren schreiben, die hier ausgegeben worden sind für eine Nichtstaatsbeteiligung.Nein, ich bin noch heute der Überzeugung: Das Konzept, mit dem wir 1978 dort angetreten sind — notabene: in der alten Regierung —, ist nach wie vor richtig.Den Zusammenbruch des Stahlmarkts in dieser Form hat damals keiner vorhergesehen. Ich behaupte auch nicht, daß ihn jemand vorhersehen konnte. Daß marktwidrige Praktiken und Subven-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorfftionen in unseren europäischen Nachbarländern zum Teil dazu beigetragen haben, daß aber auch die allgemeine Wirtschaftslage damit zu tun hat, ist unbestreitbar.Wenn der Kollege Hoffmann fragt, ob wir ein Konzept garantieren können, das bei Arbed-SaarStahl eine Monatsproduktion von 223 000 t vorsieht, dann müssen Sie wenigstens dazusagen, daß Produktion und Absatz derzeit bei 150 000 t liegen. Daraus entstehen die Verluste, und daraus entsteht die drängende Frage: Haben wir dort nicht 5 000 Mann zuviel — von der Kostenseite her gesehen —? Es sind 5 000 Mann zuviel. Sie können diese Produktion bei Arbed-Saar-Stahl mit 5 000 Mann weniger fahren; dann sparen sie 120 Millionen DM im Jahr.Jetzt stellt sich die Frage, ob man das so machen kann und wie man das machen kann. Und es stellt sich die Frage: Massenentlassungen oder Kurzarbeit? Ich zitiere:Wir sind j a nicht gegen einen Personalabbau. Wir fragen nur nach den Bedingungen. Wir sind ja nicht so unvernünftig, zu sagen, wir müssen unbedingt soundsoviel Leute beschäftigen, wenn die Produkte nicht abgesetzt werden können.
— Ihrem Vorsitzenden Lafontaine kann ich so selten zustimmend zitieren, daß ich es hier ganz gerne mal tue. Hier kann ich gar nichts anderes sagen, als daß er recht hat.
Nur: Wenn Sie zur Kurzarbeit übergehen wollen— wir haben bisher keine Entscheidung getroffen, weil wir die ja gar nicht allein treffen können; die Arbeitsverwaltung muß hier j a sagen —, dann müssen Sie — —
— Lieber Herr Urbaniak, wir müssen noch sehr lange darüber nachdenken, ob Sie eine dauerhafte Arbeitslosigkeit — wir wissen doch ganz genau, daß es Jahre dauert, diesen Anpassungsprozeß durchzustehen — als Kurzarbeit im Sinne des Gesetzes bezeichnen können.
— Was sagen Sie?
— Na, drei Jahre sind doch keine Kurzarbeit. Die Definition von Kurzarbeit ist: eine Überbrückung eines verhältnismäßig kurzen Zeitraums. Ich habe große Zweifel, ob die Arbeitsverwaltung bereit und in der Lage sein wird, uns hier eine Genehmigung zu geben. Wir werden darüber sprechen. Auch die Regierung des Saarlands wird mit ihr darüber sprechen. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, wohl aber für zweifelhaft.Nun stellen Sie es bitte nicht so hin, als sei der eine grausam bereit, 5 000 Beschäftigte durch Massenentlassung freizusetzen, und der andere seifür eine Kurzarbeitlösung — wahrscheinlich kommt es auf eine kombinierte Lösung hinaus; so sieht es ja aller Voraussicht nach aus: teilweise Entlassung, teilweise Kurzarbeit — und als sei das in unser Belieben gestellt. Das ist es nicht. Wir sind doch in diesem Zusammenhang selbstverständlich auch an die gesetzlichen Vorschriften gebunden.Mit Recht sagt Minister Becker: Hier muß eine Anpassung an die Marktlage vorgenommen werden. Alles andere ist total unrealistisch. Wir können nicht Phantomzielen nachjagen und am Ende der Veranstaltung feststellen, daß wir jedes Jahr weitere Hunderte von Millionen zu bezahlen haben; vor allem aus einem Grund: Hier werden doch — verständlicherweise — Berufungsfälle auch für andere geschaffen, die dann sagen: Was an der Saar recht ist muß doch — nicht wahr, Herr Urbaniak — in — was sagen Sie? — Dortmund, Siegen und so weiter, die Kette immer weiter, billig sein.
— Ich kenne sie auch.
Aber es ist eben nicht recht und billig, sondern es ist recht und teuer. Und das macht die Probleme dabei aus.
Wir dürfen über die Konsolidierung des Haushalts und die Frage, ob wir die Menschen mit weiteren Abgaben belasten wollen, nicht nur reden. Denn wer bezahlt denn die Kurzarbeit? Entweder der Bundeshaushalt oder der Arbeitnehmer durch eine Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge. Woanders kommt es nicht her.
— Ich gebe zu, daß Sie, wenn es zu Massenarbeitslosigkeit kommt, hier natürlich auch die Gegenrechnung anstellen müssen, wer dann bezahlen und antreten muß.Sie können sich darauf verlassen, daß wir mit allergrößter Sorgfalt — das bedeutet aber nicht: mit reichlicher Verzögerung — an die Lösung dieser Aufgaben gehen. Keiner kann heute und hier versprechen, daß wir sie alle so lösen können, daß dabei nicht auch Härten entstehen. Viele Härten sind j a schon entstanden.Wenn heute gesagt wird, daß sich unter den gegebenen Marktverhältnissen die Situation bei Hoesch noch am günstigsten darstellt — das können Sie in allen Zeitungen lesen —, ist es ja zum Teil auch darauf zurückzuführen, daß dort sehr harte Schnitte in der Vergangenheit schon durchgeführt worden sind und mancher in Dortmund sagt: Wir haben unsere Vorleistungen schon erbracht; nun muß das Stahlwerk her. Das Stahlwerk soll ja auch her. Die Bundesregierung hat eine Zusage für die Glühe gegeben. An diese fühlen wir uns gebunden. Aber es steht alles und immer, wie Sie wissen, unter dem Vorbehalt der Genehmigung aus Brüssel, und der Vorbehalt der Genehmigung aus Brüssel — das darf ich hier einmal sagen; denn es steht auch in
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Bundesminister Dr. Graf LambsdorffZeitungen, und man gibt den Brüsselern nicht etwa falsche Hinweise — wird dadurch nicht einfacher, daß in der neuen Ruhrstahl AG an anderer Stelle Öfen stillgelegt werden sollen, weil in Dortmund ein neues Stahlwerk geplant wird. Dies ist alles außerordentlich kompliziert und schwierig.Auch wir hätten sehr gern — ich weiß nicht, wer von Ihnen das vorhin gesagt hat; ich glaube, Herr Reuschenbach — mehr Transparenz der Brüsseler Entscheidungen. Aber Transparenz der Brüsseler Entscheidungen beruht natürlich darauf — da können wir die Kommission allein deswegen nicht beschimpfen und kritisieren —, daß die Kommission die Informationen von den Mitgliedsländern bekommt. Einige sind da mit der Hergabe von Informationen nicht besonders schnell, nicht besonders gründlich und, wie ich manchmal meine, auch nicht besonders sorgfältig, weil sie nicht sorgfältig sein wollen. Wir brauchen diese Transparenz.Niemand hier hat gesagt, wir wollen nun aus reiner Lust daran Kapazitätsabbau betreiben. Aber es ist Inhalt des Subventionskodex, und deswegen sagt uns die Kommission: Wir geben Beihilfegenehmigungen nur, wenn uns gleichzeitig Kapazitätsabbau nachgewiesen wird. Das ist weder das Betreiben der alten noch der neuen Bundesregierung. Bei der Saar sind wir inzwischen auf Größenordnungen heruntergeschnitten worden, die uns sicher vor die Tatsache stellen: Wenn es noch weiter heruntergeschnitten werden soll, ist das überhaupt nicht mehr lebensfähig, dann geht es gar nicht mehr. Es ist eine sehr schwierige und sehr harte Auseinandersetzung mit der Kommission.Ich sage es noch einmal: Wir bemühen uns um die Lösung dieser Probleme. Wir haben dabei nicht nur die Saar, auch nicht nur Dortmund im Auge. Wir fürchten, wir müssen uns noch weiter im Lande umsehen. Das muß man alles in die Reihe bringen.Aber man muß auch eines mit aller Eindeutigkeit sagen: Hier müssen alle Beteiligten zusammenwirken. Hier müssen die Finanzierungsgrundlagen erhalten werden — das ist eine wesentliche Forderung an die Banken —, die Kreditzusagen müssen aufrechterhalten werden. Hier müssen sich die Eigentümer beteiligen. Es reicht nicht, daß sie uns immer wieder nur sagen: Wir haben uns eigentlich schon beteiligt, weil wir die früheren Verluste verkraftet haben. Ich will das nicht in Abrede stellen. Verglichen mit den Wettbewerbern in unseren Nachbarländern ist das ein gewichtiger Hinweis, aber damit allein reicht es nicht. Es werden sich auch die Belegschaften beteiligen müssen. In einigen Standorten ist dies geschehen, in einigen Standorten ist es noch nicht oder noch nicht ausreichend geschehen.Auf dieser Grundlage wird und muß sich dann die öffentliche Hand überlegen und entscheiden, wie sie helfen kann, allerdings auf der Basis — anders kann es überhaupt nicht gehen, was ich noch einmal den beiden Herren auf der Bundesratsbank sage — hälftiger Beteiligung. Das Rezept ein Drittel zu zwei Drittel, Herr Kollege Haak, das Sie bei der früheren Regierung, bei der sozialliberalen Regierung, bei der SPD-Regierung nicht durchsetzen konnten, werden Sie auch bei dieser Koalition nicht durchsetzen. Ich bitte wirklich, dies mit nach Düsseldorf zu nehmen. Diesen Streit sollten wir einstellen und damit aufhören. — Ich bedanke mich für Ihr Zuhören.
Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen mir weitere Wortmeldungen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Abgeordneten Dr. Lammert, Kiep, Dr. Waigel und weiterer Abgeordneter der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/1494 zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft, zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist entsprechend beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Waigel, Dr. Schwarz-Schilling, Wissmann, Glos, Dr. Warnke, Dr. Lammert, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Kraus, Helmrich, Echternach, Spilker und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU Strukturberichterstattung
— Drucksachen 9/913, 9/2006 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lammert
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch.
Das Wort wird vom Berichterstatter nicht gewünscht.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Lammert das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Anfang vergangenen Jahres liegt die sogenannte Strukturberichterstattung der fünf großen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute vor. Bei dieser sehr sorgfältigen und sehr umfangreichen Analyse der strukturellen Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft seit 1960 handelt es sich um die wissenschaftlich anspruchsvollsten, aber auch die mit Abstand teuersten Gutachten, die bisher im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt worden sind.Diese sehr umfangreichen Gutachten und auch die ausführliche Stellungnahme der Bundesregierung zu diesen Gutachten sind bislang im Wirtschaftsausschuß — ich würde sagen — eher kursorisch behandelt worden.
Eine Behandlung im Plenum des Deutschen Bundestages ist bisher weder geplant noch erfolgt. —Frau Kollegin, ich denke, daß wir die Debatte da
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Dr. Lammertgemeinsam begonnen haben und sie hier heute möglicherweise gemeinsam fortsetzen. Nur: Wir sind uns doch schon im Ausschuß darüber einig gewesen, daß es gut gewesen wäre, wenn wir uns dafür insgesamt mehr Zeit hätten nehmen können, als wir es getan haben. Nur darauf wollte ich im Augenblick verweisen.Deswegen, meine ich, ist es j a ganz gut, daß uns der Antrag der CDU/CSU-Fraktion heute Gelegenheit gibt, Überlegungen über die künftige Fortschreibung der Strukturberichterstattung anzustellen und wenigstens mit einigen Sätzen auch über den Gegenstand dieser Berichte miteinander zu reden, d. h. über die Möglichkeiten, aber eben auch über die Grenzen, die staatlicher Strukturpolitik gesetzt sind.Die Berichterstattung der Forschungsinstitute, meine Damen und Herren, vermittelt erwartungsgemäß keine grundlegend neuen Erkenntnisse über die Ursachen des Strukturwandels und über den wechselseitigen Zusammenhang von strukturellen Veränderungen und Wirtschaftswachstum. Immerhin bieten diese Berichte eine Fülle von wirtschaftspolitisch sehr relevanten Einzelbeobachtungen, und sie bieten vor allen Dingen eine Reihe von eindrucksvollen empirischen Belegen für uns allen seit langem bekannte Entwicklungstendenzen.Dazu gehört beispielsweise der ungebrochene Trend zur Dienstleistungsgesellschaft, den das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung als „Entindustrialisierungsprozeß" durchaus kritisch beurteilt hat. Dazu gehört der kontinuierliche Anstieg des Staatsanteils am Sozialprodukt zu Lasten privater Investitionen; dazu gehört — als ein sicher besonders nachdenkenswerter Aspekt — aber auch der Nachweis, daß die Subventionen in den 70er Jahren stärker als das Sozialprodukt gestiegen sind und daß sich die Altersstruktur der Produktionsanlagen trotzdem oder — ich bin fast versucht zu sagen — gerade deshalb im gleichen Zeitraum verschlechtert hat, weil die staatliche Strukturpolitik im Schnitt eher der Konservierung überkommener Strukturen gedient hat.Es ist sicher im Nachsatz auf die Debatte, die wir gerade geführt haben, nicht ganz unerheblich, auch festzuhalten, daß uns die Forschungsinstitute attestiert haben, daß sich Versuche zu gezielten sektoralen Subventionen über den Beobachtungszeitraum von 20 Jahren als nicht sonderlich erfolgreich herausgestellt haben.Wir stellen schließlich — um es mit zwei abschließenden Befunden dieser Studien zunächst bewenden zu lassen — einen wachsenden Abstand zur Technologieentwicklung in den Vereinigten Staaten und in Japan und eine insgesamt unübersehbare Verschlechterung der Startbedingungen für die 80er Jahre im Vergleich zu der Situation, die wir in den 70er Jahren vorgefunden haben, fest.
— Frau Kollegin, dies ist j a genau einer der Punkte,über deren Zweckmäßigkeit wir gemeinsam nach-denken müssen. Wir müssen uns Gedanken dar-über machen, ob sich die herkömmlichen Förderkriterien, die herkömmlichen Versuche, strukturelle Veränderungen zu beeinflussen, auf der Basis dessen, was wir bis heute wissen — so ganz fürchterlich viel ist das j a auch noch nicht —, als erfolgversprechend und damit als fortsetzungsfähig erwiesen haben. Ich habe den Eindruck — deswegen trage ich das hier vor —, daß wir Grund zum Nachdenken haben und daß wir hier manche liebgewordenen Instrumente auf ihre Tauglichkeit hin kritisch überprüfen müssen.Wenn man ein etwas vereinfachtes Fazit dieser Berichterstattung zieht, dann drängt sich tatsächlich der Eindruck auf, daß ganz ohne Frage der Strukturwandel eine Bedingung des wirtschaftlichen Wachstums ist, daß sich aber die staatliche Strukturpolitik häufig weniger als Schmierfett, sondern vielmehr als Sand im Getriebe dieses Strukturwandels erwiesen hat.Deswegen, denke ich, müssen wir uns schon unvoreingenommen vor Augen führen und zur Kenntnis nehmen, welche Schlußfolgerungen in dieser Berichterstattung für die staatliche Wirtschaftspolitik und damit eben auch für die staatliche Strukturpolitik vorgetragen worden sind.Erstens: Abbau von Erhaltungssubventionen, weil sich diese regelmäßig eher negativ als positiv auf den strukturellen Wandel auswirken.Zweitens: Rückführung des Staatsanteils am Sozialprodukt.Drittens: Abbau von Investitionshemmnissen, insbesondere in den Sektoren Energie, Wohnungsbau, Kommunikationstechnik und Verkehr.Viertens: Verbesserung der steuerlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für Investitionen und Innovationen.Meine Damen und Herren, ich zitiere im Augenblick nicht aus der Regierungserklärung, sondern aus den Schlußfolgerungen, die die Forschungsinstitute aus der Beobachtung von 20 Jahren Strukturveränderungen in der Volkswirtschaft gezogen haben.Fünftens: Vorrang indirekter Forschungsförderung vor der direkten Förderung industrieller Großprojekte.Schließlich: Klare Absage auf Erwartungen einer dirigistischen Strukturplanung, die man nach einer Formulierung des früheren Mitglieds des Sachverständigenrats, Professor Fels, „von der Informationslage her nicht machen kann und aus guten ordnungspolitischen Gründen nicht machen sollte".Die Blütenträume mancher sozialdemokratischer Kollegen bei der Auftragsvergabe dieser Strukturberichterstattung im Hinblick auf eine mögliche staatliche Investitionslenkung sind durch die vorliegenden Gutachten mit aller Deutlichkeit als weder wünschenswert noch realisierbar qualifiziert worden.Hier ist ja die Wandlung des prominenten Sozialdemokraten Hans Matthöfer besonders aufschlußreich, der als Forschungsminister ein großer Theo-
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Dr. Lammert retiker der Strukturpolitik war und als Finanzminister eine zunehmende Skepsis gegenüber staatlicher Strukturpolitik entwickelte. In seiner Einbringungsrede zum Bundeshaushalt 1981 hat er hier zu Protokoll gegeben:Entscheidend sind nicht staatliche Ausgaben, sondern unternehmerische Entscheidungen, Initiativen, Investitionen und Innovationen.Die Strukturanpassung sei Aufgabe der Unternehmensleitung, der Arbeitnehmer und der Selbständigen, der Banken und der Kapitalgeber, der Gewerkschaften, der Verbände und auch der öffentlichen Hände. Das ist in der Tat richtig.Inzwischen wird nur noch auf Parteitagen der SPD die Illusion aufrechterhalten, der Staat müsse der eigentliche Träger des Strukturwandels sein.
Die öffentliche Hand hat inzwischen Milliarden an Lehrgeld für die Erkenntnis zahlen müssen, daß der Staat dies weder ist noch kann.Die CDU/CSU-Fraktion bekräftigt in ihrem Antrag ihre wiederholt zum Ausdruck gebrachte Ablehnung jeglicher Bestrebung, die einen Ausbau der Ex-post-Strukturanalysen in ein Instrument zur amtlichen Strukturprognose zum Ziel hat. In Obereinstimmung mit der Stellungnahme der Bundesregierung zu diesen Berichten stellen wir fest, daß die Bewältigung des Strukturwandels in erster Linie Sache der betroffenen Unternehmen ist und bleiben muß. Die staatliche Strukturpolitik hat sich gegenüber dem Strukturwandel auf die Schaffung von Rahmenbedingungen, die solche strukturellen Veränderungen erleichtern und ermöglichen, und auf die Beseitigung von Hinderungen, die einem solchen Veränderungsprozeß im Wege stehen, zu beschränken.Der Strukturwandel der deutschen Volkswirtschaft wird auch nicht dadurch gefördert, daß die davon betroffenen Unternehmen einen wachsenden Anteil ihrer Kapazitäten für das Ausfüllen von Statistikbögen vorhalten müssen, mit denen sie Entwicklungen dokumentieren sollen, die inzwischen an ihnen vorbeilaufen. Nach Erhebungen des Bundes der Steuerzahler vom Sommer dieses Jahres bei 400 Betrieben aus Industrie, Handel und Handwerk ist festgestellt worden, daß ein kleiner Handwerksbetrieb für unbezahlte Hilfsarbeiten jährlich 312 Stunden, das sind 39 Arbeitstage, aufwenden muß, die ihm durch Anfragen und Auflagen von Finanzämtern, Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, Rentenversicherungen und Statistikern auferlegt werden.
Nicht weniger als 42 Behörden und Institutionen in der Bundesrepublik dürfen Erhebungen vornehmen und machen von diesem gesetzlich verbrieften Recht regen und munteren Gebrauch, was die Zahlenfriedhöfe für die Strukturberichterstatter vergrößert, aber den Strukturwandel in der betroffenen Industrie weiß Gott nicht erleichtert.Nicht zuletzt aus diesem Grund wollte der Antrag der CDU/CSU-Fraktion sicherstellen, daß bei der Weiterentwicklung der Strukturberichterstattung von der Erhebung neuer bzw. der Ausweitung bestehender Statistiken abgesehen und damit eine weitere Belastung der Wirtschaft durch Statistikkosten vermieden wird. Der Innenausschuß hat sich in seiner Stellungnahme diesem Petitum angeschlossen. Im übrigen ist auch von den Forschungsinstituten selbst zu erfahren, daß sie weniger an einer Ausweitung der erhobenen Daten als vielmehr an einer intensiveren Aufarbeitung der bereits vorhandenen Statistiken interessiert sind.Meine Damen und Herren, in den Beratungen im Wirtschaftsausschuß und auch im mitberatenden Innenausschuß hat sich in bezug auf die in unserem Antrag vorgetragenen Erwartungen folgendes ergeben:Erstens. Die von uns gewünschte Straffung und Schwerpunktbildung für den zweiten Strukturbericht ist bereits bei der Auftragsvergabe eingeleitet worden.Zweitens. Das Bundeswirtschaftsministerium hat uns zugesichert, den Fachausschuß rechtzeitig vor weiteren Auftragsvergaben über deren thematische Schwerpunkte und Fristen auch bei der beabsichtigten Fortsetzung der Strukturberichterstattung über 1983 hinaus zu unterrichten.Drittens. Eine Ausweitung der Statistiken ist im Untersuchungszeitraum bis 1983 nicht vorgesehen, und sie erscheint auch danach nicht erforderlich. Meine Damen und Herren, Ziel der Strukturberichterstattung kann j a nicht der Aufbau von Zahlenfriedhöfen, sondern nur der Nachweis institutioneller Hemmnisse und Behinderungen von Strukturveränderungen sein.Viertens bestand auch Übereinstimmung in der Erwartung, den Schwerpunkt verstärkt auf gesamtwirtschaftliche und sektorale Auswirkungen der staatlichen Strukturpolitik sowie auf die Auswirkungen des Strukturwandels auf den Arbeitsmarkt und die Anforderungen an das Beschäftigungssystem zu legen, ohne daraus amtliche Sektorenprognosen entwickeln oder gar neue Institutionen zur Lösung von Strukturproblemen etablieren zu wollen.Mit diesen übereinstimmenden Befunden kann der Antrag unserer Fraktion in der Tat als erledigt betrachtet werden.Lassen Sie mich abschließend mit ganz wenigen Sätzen nur noch einige Bemerkungen zu den Schlußfolgerungen machen, die wir auf Grund der Berichte über Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Strukturpolitik glauben ziehen zu sollen.Es ist unbestritten, daß auch die Soziale Marktwirtschaft ohne die Gestaltung der Strukturen, wie Alfred Müller-Armack es schon 1946 genannt hat, nicht erhalten werden kann. Auf der anderen Seite belegt gerade die Strukturberichterstattung den wachsenden Widerspruch zwischen der Berechtigung und Zweckmäßigkeit der jeweils einzelnen Maßnahme und der Belastung und Unerträglichkeit
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Dr. Lammertder Wirkung durch die Addition der einzelnen Maßnahmen zu einem Ganzen.Für eine erfolgreiche und wettbewerbsfördernde Strukturpolitik sind bei kritischer Betrachtung die Bedingungen auch keineswegs besonders günstig. Das beginnt mit den nach wie vor nicht verbindlich geklärten Wirkungszusammenhängen der Strukturpolitik. Es geht weiter mit den negativen Sekundärwirkungen, die Eingriffe struktureller Art in einzelne Branchen in anderen Branchen auslösen könnten, so daß häufig am Ende nur die hohen Kosten unnützer Eingriffe übrigbleiben. Auch und vor allem betrifft das schließlich den ganz grundsätzlichen Punkt, daß die Strukturpolitik von ihrem Denkansatz her ja die Verfügbarkeit objektiver Kriterien dafür, was im Einzelfall volkswirtschaftlich förderungswürdig sein soll, unterstellt, während das Wettbewerbssystem im ganzen von der umgekehrten Annahme ausgeht. Deswegen kann gar nicht wegdiskutiert werden, daß wir es hier mit einem Grundwiderspruch, mit einem unauflösbaren Zielkonflikt zu tun haben: daß nämlich die Strukturpolitik eo ipso ein Fremdkörper in einem marktwirtschaftlichen System und zugleich unverzichtbare Voraussetzung für dessen Erhaltung ist.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir ziehen daraus für uns den Schluß, daß wir Strukturpolitik möglichst nicht als Hobby der Wirtschaftspolitik betreiben sollten,
sondern sie als notwendige Ergänzung unseres Instrumentenkastens betrachten, als nicht mehr und nicht weniger. Dabei erhoffen wir uns von der Fortsetzung der Strukturpolitik auch in Zukunft wichtige Aufschlüsse über die Wirkungen staatlicher Eingriffe in den Ablauf dieser Veränderungsprozesse, und wir erwarten, daß die Gesichtspunkte, die wir für die Fortsetzung dieser Berichterstattung in unserem Antrag vorgetragen haben, bei den künftigen Berichten auch entsprechende Berücksichtigung finden. — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Abgeordnete Skarpelis-Sperk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Lammert, ich bedauere, daß wir hier im Plenum über ein, so möchte ich einmal sagen, Nachtschattenboxen auf dem Felde einer im Ausschuß meines Erachtens bereits intensiver und auch weniger emotional geführten Debatte nicht hinauskommen.Insbesondere Ihre Ausführungen zur Statistik veranlassen mich zur Wiederholung des im Ausschuß erhobenen Vorwurfs, daß wir in der Tat fast mit einer Statistikfeindlichkeit der CDU/CSU rechnen müssen. Ich bedaure das außerordentlich und werde dies später auch noch begründen.
— Ja, wir erleben da neue Erhardsche Züge und Anfälle.
Aber trotzdem: Für uns Sozialdemokraten war und ist der Aufbau einer Strukturberichterstattung kein Forschungsvorhaben unter vielen, sondern eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung dafür, die Wirtschaftspolitik auf eine verbesserte Grundlage zu stellen.Das ist auch bitter notwendig. Angesichts dessen, daß die Bundesrepublik unvorbereitet und für viele überraschend in die tiefste Wirtschaftskrise ihrer Geschichte geraten ist, und angesichts der massiven Erfordernisse zur strukturellen Anpassung, die seit den frühen 70er Jahren auf die Bundesrepublik zugekommen sind, hat sich der Mangel an diagnostischem Wissen über den wirtschaftlichen Strukturwandel deutlich bemerkbar gemacht. Es ist für uns alle offensichtlich, daß sich dieser Strukturwandel nicht mehr beschäftigungsneutral vollzieht, sondern eine zunehmende Differenzierung von Arbeits- und Gütermärkten mit sich bringt, mit erheblichen Konsequenzen für Beschäftigung und Wachstumsaussichten einzelner Branchen.Die meisten Wirtschaftspolitiker — übrigens quer über die Reihen dieses Hauses — haben zwar den theoretischen Bezugsrahmen wie die wirtschaftspolitischen Bewältigungsmuster als in der Krise befindlich konstatiert, insbesondere was die Globalsteuerung angeht, sich aber wenig darum gekümmert, Ersatz für die zum größten Teil obsolet gewordene Theorie und die zum großen Teil nicht mehr recht greifenden Instrumente der Globalsteuerung zu suchen. Berufungen auf Müller-Armack und Erhard früherer Tage helfen leider in der Problembewältigung wenig weiter.Die Erwartungen und die Hoffnungen, die sich daher an den ersten Zwischenbericht der fünf Institute knüpften — immerhin 3 000 Seiten dick — waren hochgespannt. Kein Wunder auch, daß nun das Echo auf das Ergebnis in Wissenschaft und Politik recht zwiespältig ist, vielleicht auch deswegen, weil kaum jemand in diesem Hohen Hause die dicken Bände in der Hand hatte, geschweige denn sie ernstlich hätte studieren können. Für alle jene, die sich der Mühe unterzogen haben, sich mit dem Inhalt auseinanderzusetzen, ist und bleibt die Strukturberichterstattung eine imponierende Arbeit. Aber sie kommt spät und, um zügige Schlußfolgerungen für eine vernünftige sektorale Strukturpolitik zu ziehen, wahrscheinlich zu spät. Denn die Ergebnisse zeigen in der Tat, daß wir von einer zukunfts- und beschäftigungsorientierten Strukturpolitik noch weit entfernt sind. Deren wesentliche Voraussetzung wäre die Schaffung einer diagnostischen Grundlage gewesen, und dieses — da stimme ich mit Ihnen überein — ist in den Berichten nur ansatzweise geleistet worden. So sind häufig die theoretischen Grundlagen nicht systematisch herausgearbeitet. Es bleibt ebenso häufig unklar, wo nun die Ursachen des strukturellen Wandels zu su-
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Frau Dr. Skarpelis-Sperkchen sind und wo lediglich Folgewirkungen vorliegen.Deswegen sind auch die von Ihnen genüßlich zitierten wirtschaftspolitischen Empfehlungen — ich könnte da andere herausgreifen und werde das natürlich auch noch tun —
mit Vorsicht zu betrachten. Hinzu kommt, daß viele wirtschaftspolitische Empfehlungen ohne Rückgriff auf fundierte empirische Ergebnisse und zum Teil aus theoretisch dubiosen Argumenten abgeleitet wurden.Im ersten Anlauf war es ganz ohne Zweifel notwendig, erst einmal ausgiebig die Grundlagen zu erarbeiten, schon, weil die Ausgangslage was Daten, Beschreibungen des Strukturwandels und auch die Theorie angeht, sehr bescheiden war. Auch die Formulierung des Auftrags für die Institute von seiten des BMWi war recht allgemein und bot den beteiligten Instituten weite Interpretations- und Forschungsspielräume. Hierdurch hat sich eine bei diesem unterentwickelten Forschungsgegenstand notwendige, aber auch nützliche Hypothesen- und Meinungsvielfalt entwickelt. Deswegen ist es weiterhin grundsätzlich zu begrüßen, daß die Strukturberichte im Wettbewerb und nicht als Gemeinschaftsaufgabe erstellt werden.Die uns vorliegenden Strukturberichte sind aber zum größten Teil eine nachvollziehende Beschreibung von Wandlungsprozessen, tragen weniger analytischen als vielmehr deskriptiven Charakter. Sehr häufig fehlt der Bezug zu dem erörterten Problem. Statt einen Beitrag zur Klärung ungelöster wirtschaftlicher Anpassungsprozesse — speziell für die hohe Arbeitslosigkeit — zu liefern, wird weithin Wirtschaftsgeschichte beschrieben. Einen besonderen Informationsbedarf über den „marktwirtschaftlichen Verdauungsprozeß", wie das Helmstädter formuliert hat, oder — boshafter formuliert — ein besonderes Interesse an einer Post-mortem-Diagnose gibt es für Wirtschaftspolitiker kaum. Das können wir der Deutschen Forschungsgemeinschaft überlassen.
Die Strukturberichterstattung war als Instrument der wirtschaftlichen Entscheidungshilfe für das Parlament gedacht. Deswegen haben sich ihre Ausgestaltung und die Bewertung ihrer Ergebnisse in erster Linie auf die Aufgabenbereiche und Probleme einer zukunftsorientierten Strukturpolitik zu beziehen. Insbesondere muß sie auf die mittel-und langfristige Gewährleistung des Arbeitsmarktgleichgewichts ausgerichtet sein. Dazu ist es erforderlich, nicht nur die Entwicklungslinien, sondern auch die Ursachen und Hintergründe des wirtschaftlichen Strukturwandels auf die Produktions-und Beschäftigungsseite zu kennen.Diesen Anforderungen konnten die Berichte bestenfalls im Ansatz genügen. Die Ursachen für diese Mängel liegen schwerpunktmäßig bei den statistischen Problemen, fehlenden theoretischen Grundlagen und unzureichenden Kapazitäten.Insbesondere fehlt eine regionale Differenzierung des sektoralen Strukturwandels. Angesichts der bereits jetzt sichtbaren und zunehmenden regionalen Ballung von Branchenkrisen, halte ich es für unverantwortlich, daß es eine Reihe von Bundesländern gibt, die die regionale Aufbereitung verhindert haben. Die Begründung — Personalmangel bei den Statistischen Landesämtern — kann doch wohl nicht ernstlich vorgebracht werden, wenn es uns allen darum gehen muß, schwere regionale Wirtschafts- und Arbeitsmarkteinbrüche rechtzeitig zu erkennen und gegebenenfalls zu verhindern. Hier wurde jedenfalls ein wichtiges Analyseinstrument zur Verbesserung der Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsförderung" verhindert.Ich meine, man muß darüber reden, ob eine solche regionale Differenzierung der Strukturberichte nicht auch für die Analyse der regionalen Wirtschaftsförderung nötig ist.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lammert?
Ja.
Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Lammert.
Frau Kollegin, finden Sie es nicht gleichwohl sehr bemerkenswert, daß die betroffenen Institute, bei denen genau die Probleme hätten anfallen müssen, die Sie hier beredt beklagen, auf Befragen erklären, das Problem bestünde überhaupt nicht darin, daß zusätzliche Daten erfaßt werden müßten, sondern darin, daß in den vorhandenen Einrichtungen die vorhandenen Daten auch tatsächlich aufbereitet werden, so daß insofern eine volle Zustimmung zur Intention unseres Antrags besteht, nicht zu einer weiteren Ausdehnung der statistischen Erfassung und Erhebung zu kommen?
Lieber Herr Kollege, da kann ich Ihnen nicht zustimmen. Dann müssen Sie andere Institute befragt haben als ich. Bei den Diskussionen, die sowohl der Haushaltsausschuß als auch der Wirtschafts- und der Finanzausschuß gemeinsam mit den Instituten zur Subventionsdebatte geführt haben, wie auch bei Einzelgesprächen mit einer Reihe von Instituten sind die fehlende Datenbasis und vor allem die große Verzögerung von seiten des Statistischen Bundesamts ausgiebig beklagt worden.Heute vormittag haben wir lange das Thema der Stahlkrise diskutiert. Die Debatte hat gezeigt, wie unausweichlich sektorale Regionalprogramme geworden sind und auch weiterhin sein werden. Das alles kostet die öffentliche Hand Hunderte von Millionen, wahrscheinlich sogar Milliarden Mark. Aber einige wenige Millionen zur Verbesserung unserer Kenntnisse, zur Früherkennung sozusagen, sparen wir. Was wir damit den Menschen und den Regio-
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Frau Dr. Skarpelis-Sperknen antun, den öffentlichen Händen allein an fiskalischen Ausfällen aufbürden und der gesamten Volkswirtschaft an Kosten, darüber vermeiden wir nachzudenken.Des weiteren fehlen Untersuchungen des intrasektoralen Strukturwandels. Dabei muß den Instituten konzediert werden, daß die statistische Basis unzureichend ist. Das bedeutet nicht nur, daß die Aufgliederung in 60 Sektoren verbessert werden muß — da stimme ich Ihnen ja zu —, sondern auch, daß eine Verbesserung der Input-Output-Tabellen unabweisbar geworden ist.In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, daß insbesondere keine Analyse der Entwicklungslinien beim technischen Wandel oder der Innovation stattgefunden hat und auch Software-Probleme und Qualifikationsentwicklungen völlig außer acht gelassen wurden. Hier hilft es zudem nicht, nur auf das Inland zu schauen; die Wettbewerbssituation der deutschen Hersteller gebietet es meines Erachtens zwingend, auch internationale Entwicklungen zu erfassen.Der sicher gravierendste Mangel dürfte jedoch das Fehlen der Strukturprognosen in eigener Verantwortung sein. Aus dem Kreis der Wirtschaftsliberalen und offensichtlich auch der Konservativen wird gern darauf verwiesen, daß die Institute ja sektorale Strukturprognosen hätten liefern können, dies aber nicht getan hätten. Das ist sicher richtig, hat aber wohl etwas mit der restriktiven Haltung des Bundeswirtschaftsministers zu tun, der den Instituten deutlich signalisiert hat, daß dergleichen nicht gewünscht sei, vor allem, daß es dafür kein Geld gäbe. Das ist wohl das effizienteste Mittel, um dergleichen zu verhindern.Uns Sozialdemokraten geht es nicht darum — um das klarzustellen —, wie Sie es formuliert haben, amtlich verbindliche sektorale Prognosen zu fordern; was wir wollen, ist ein Instrument, das uns rechtzeitiger als bisher über Engpässe und denkbare Fehlentwicklungen informiert. Darüber, schien es mir, waren wir auch im Ausschuß sehr einig. Natürlich sehen auch wir die Schwierigkeiten komplexer Strukturprognosen. Aber gerade deswegen können wir uns auch hier einen Wettbewerb der Institute mit einer breiten Methoden- und Meinungsvielfalt vorstellen. Damit wäre Ihren Bedenken, Herr Kollege Lammert, wie auch den Bedenken Ihrer Fraktion wohl entgegengekommen. Wenn es Ihnen semantisch so schwerfällt, müßten wir das Kind j a auch nicht „Prognose" nennen, sondern könnten es „sektorale Szenarien für Gefährdungspotentiale" taufen oder die Formulierung aus dem BMWi „Entwicklungslinien mit detaillierter Begründung und belegt durch Zahlen" übernehmen. Wo da allerdings die kategorialen Unterschiede liegen, auch für den Herrn Wirtschaftsminister, müssen Sie uns schon sagen: ich begreife sie nicht. Wir Sozialdemokraten haben aber wenig Verständnis dafür, daß wegen Ihrer ordoliberalen semantischen Empfindlichkeiten ein wichtiges Informationsinstrument gerade für die Mittel- und Kleinbetriebesystematisch behindert, letztlich sogar verhindert wird.
Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, waren ja nicht einmal bereit, sich an den auf europäischer Ebene laufenden Ansätzen ernsthaft zu beteiligen. — Auf Ihren Zwischenruf eingegangen: Den kleinen und mittleren Betrieben, Herr Kollege Rossmanith, wäre jedenfalls mehr gedient, wenn sie wenigstens über Bedrohungspotentiale, sei es auf nationaler oder internationaler Ebene, frühzeitig informiert würden; wenn gemeinsam mit allen gesellschaftlichen Gruppen anhand solcher Prognosen oder Szenarien denkbare Zukünfte besprochen und in gemeinsamen Diskussionen nach Auswegen gesucht würde.
— Sprechen Sie wirklich einmal mit einer Reihe von Maschinenbauunternehmern, die mittlere oder kleine Unternehmen führen. Dann werden Sie erfahren, was die sich unter Zukunft vorstellen.
Da machen Sie sich die Sache zu einfach. Diskutieren Sie das vorher einmal! Das klingt hier im Plenum sehr lustig,
aber diskutieren Sie einmal mit den Leuten, die bessere Informationen brauchen.Andere hochindustrialisierte Länder haben mit derartigen Instrumenten jedenfalls keine schlechten Erfahrungen gemacht. Denkbare Felder, was die Vergangenheit angeht und wo die Notwendigkeit heute jedermann und jeder Frau vor Augen steht, wären Stahl, Textil, Unterhaltungselektronik und Haushaltsgeräte gewesen. Für die Zukunft bieten sich Anlagenbau, Maschinenbau und die Automobilindustrie mit Zulieferbetrieben an.Man kann das natürlich alles wegdefinieren
und statt dessen eine Politik der Nichtachtung vor den interventionistischen Methoden unserer Nachbarn predigen und deren Vorgehensweise als dirigistisch und protektionistisch verdammen. Nur, ich befürchte, daß weder Japan seine „administrative guidance", d. h. seine zielgerichtete, sektoralprognostizierte Forschungs- und Entwicklungspolitik, noch unser Nachbarland Frankreich seine direkte Planung und Förderung für einzelne Bereiche, z. B. den Maschinenbau, aufgeben wird. Da können Sie viel von indirekter Forschungsförderung reden und uns auffordern, die direkte zu beseitigen, allerdings nutzen Sie damit den betroffenen Sektoren und Betrieben überhaupt nicht.
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Das sind alles keine Wege und Methoden, von denen wir Sozialdemokraten meinen, sie müßten übernommen oder gar kopiert werden; damit meine ich jetzt die japanischen und französischen Methoden. Aber wir halten es für aussichtslos, unsere Nachbarn in der OECD zum Abbruch ihrer Politiken bewegen zu wollen. Wir halten es für zumindest fahrlässig, unsere kleinen und mittleren Unternehmen den Stürmen eines zunehmend rauher werdenden internationalen Wettbewerbs ohne nähere Informationen, Diskussionen und gegebenenfalls auch Hilfe auszusetzen.Statt dessen setzt der Herr Bundesarbeitsminister auf eine Lohnpause im nächsten Jahr.
Ich würde vorschlagen, daß er sich einmal die Strukturberichte hierzu zu Gemüte führt und neben der vom DGB-Vorsitzenden Breit empfohlenen Denkpause auch einmal eine Lesepause in diesem Punkt einführt.
Denn die Anmerkungen zur Lohnpause sind außerordentlich interessant. So heißt es z. B. wörtlich:Die Erfolgsmöglichkeiten einer Politik der Lohnzurückhaltung werden in diesem Zusammenhang meist überschätzt.Da meine Redezeit zu Ende geht, kann ich leider die Argumentation hier nicht vortragen. Ich kann nur noch anführen, daß es nicht nur der Fall ist, weil das Verhältnis von Lohn- zu Kapitalkosten bei allen empirischen Überprüfungen - freilich nicht bei philosophischen Erörterungen, wie dies bei Herrn Dr. Blüm der Fall zu sein scheint — von Bestimmungsfaktoren für Investitionen eine vergleichsweise geringe Rolle spielt.
— Etwas Empirie könnte nicht schaden. Dies sage ich auch im Blick auf Herrn Dr. Blüm.
— Ich weiß nicht, wozu ich Sie inspiriere.
Das ist mir wirklich nicht klar und das ist mir, offen gesagt, auch egal.Wichtig ist hier aber, daß wir Sozialdemokraten eine Reihe von Forderungen und Fragen an eine künftige Strukturberichterstattung haben. Wir meinen, daß im Mittelpunkt dieser Strukturberichterstattung das Beschäftigungsziel stehen sollte, daßdie Analyse sektoraler Politiken aufzeigen sollte, ob die betreffende Politik die in sie gesetzten Erwartungen auch erfüllt hat und welche Auswirkungen diese Politiken auf andere Sektoren und die Gesamtwirtschaft haben. Ich glaube, auf dem Gebiet der Wirkungskontrolle wäre hier einiges zu verbessern. Darüber könnten wir in diesem Hohen Hause auch einigermaßen Übereinstimmung herstellen. Ich erinnere z. B. an die Frage, welche Beschäftigungswirkungen Subventionen denn nun tatsächlich haben. Auch bei den vorliegenden Untersuchungen ist der Außenhandel sicherlich sehr stark, vielleicht zu stark betont worden. Interessanter wäre es, dem Strukturwandel im Detail und dem Zusammenhang mit den Beschäftigungssystemen und ebenso dem Zusammenhang zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem nachzugehen. Wir haben im Ausschuß auch darüber diskutiert, daß es sehr nützlich wäre, Konzentrationsprozessen und Finanzierungsbedingungen nach einzelnen Sektoren nachzugehen. Ich kann dies hier nicht länger ausführen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß jede Abkehr von der Globalsteuerungspolitik oder auch nur die Ergänzung und Verbesserung dieser Politik einer „bilanztechnischen" Vorbereitung sowie einer theoretischen und empirischen Fundierung bedarf.
Frau Kollegin, darf ich Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Ich habe die Bemessung Ihrer Redezeit sehr großzügig vorgenommen.
Vielen Dank. Angesichts der vielen Zwischenrufe finde ich das sehr nett.
Ich habe dies in Betracht gezogen, Frau Kollegin.
Danke sehr.
Es macht wenig Sinn, auf der einen Seite zu betonen, daß es sektoral und regional unterschiedliche Entwicklungslinien gibt, auf der anderen Seite aber dann nach dem Motto „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß" jedes genauere Nachdenken darüber abzulehnen.
Eine letzte Bitte an den Herrn Bundeswirtschaftsminister. Nachdem die Strukturberichte nun seit mehr als einem Jahr in Ihrem Hause vorliegen, ist es, glaube ich, nicht unangemessen, zu fragen, was Sie aus diesen Berichten zu machen gedenken und welche sachlichen und konkreten Schlußfolgerungen Sie vor allem zu ziehen gedenken. Ein Verstauben der Berichte in den Bibliotheken wäre jedenfalls unangemessen und in jeder Hinsicht - auch für die Bevölkerung — zu kostspielig.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Haussmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach diesem Fachkolleg,
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Dr. Haussmanndas für Sprachforscher sicher interessant gewesen wäre,
möchte ich mir die Anregung erlauben, Fachwortverzeichnisse an unsere Zuhörer hier zu verteilen. Nicht jeder ist schließlich täglich mit Szenarien, mit Input, Output, mit Ex-post- und Ex-ante-Fragen beschäftigt. Ich will deshalb versuchen, mit meinen einfachen Worten einiges aus meiner Sicht dazu zu sagen.Die Ausführungen von Herrn Lammert erinnern mich an den langen Weg, den die CDU/CSU zurückgelegt hat. Es war immer eine Spezialität der CDU/ CSU-Kollegen im Haushaltsausschuß, eine Streichung der Mittel für diese Strukturberichterstattung zu beantragen. Es freut mich, daß die Unionsfraktion nach fünf Jahren inzwischen so weit ist, daß sie sich heute für eine Fortsetzung dieser sinnvollen Strukturberichterstattung ausgesprochen hat.
Es hätte aber auch keines Antrags der CDU/CSU bedurft, um diese Strukturberichterstattung etwas zu konzentrieren, zu glätten und billiger zu machen. Wir hatten im Haushaltsausschuß interfraktionell längst die Vorstellung, daß wir die Kosten etwas geringer halten wollen. Es waren etwa 13 Millionen DM in den ersten drei Jahren vorgesehen. Die Institute müssen jetzt mit 4 Millionen DM auskommen. Wir können dies auch halten, wenn Straffungen, Schwerpunktbildungen, Wegfall der Zwischenberichte und Vereinfachungen des Datenaustauschs zwischen den Instituten durchgeführt werden, allerdings ohne daß wir — da gebe ich Ihnen recht, Frau Kollegin - den Wettbewerb der Institute einschränken dürfen, was auch bei der Erfassung des Datenmaterials eine Rolle spielen muß.Ich glaube, wir müssen ebenfalls sehen, daß über die praktische Bedeutung für unsere Wirtschaft hinaus — man muß sich bei kleinen und mittleren Betrieben noch sehr kritisch unterhalten, ob die tatsächlich gegeben ist — für die Wissenschaft selbst einige Statistiken, einige Auswertungen und einige neue Methoden bei der Strukturerfassung wichtig sind. Das gilt für die studentische Ausbildung und im Hinblick auf Fortschritte in den Wirtschaftswissenschaften. Insofern dürfen wir diese 4 Millionen DM jährlich nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Berichterstattung für die Wirtschaftspolitik sehen, sondern sie müßten zu einem gewissen Teil auch unserem Bildungs- und Forschungsetat angelastet werden.Ich möchte weiter darauf hinweisen, daß die Kollegen der Sozialdemokratie nach meiner Auffassung — ich habe das auch bei der ersten Debatte gesagt — ihre Erwartungen an die Strukturberichterstattungen doch immer etwas zu hoch stecken. Meine Damen und Herren, es ist schlicht weder vom Datenmaterial noch von den Ergebnissen her möglich, daß wir in diesem großen Umfange Ihre Erwartungen befriedigen. Eine noch weitere sektorale, also nach Branchen, nach Regionen, nach internationalen Gesichtspunkten ausufernde Strukturberichterstattung ist mit 4 Millionen DM, dem Datenmaterial und den Forschungsmethoden, die wir kennen, nicht möglich.
Ich finde es wichtig, daß wir uns vor und nach dem Koalitionswechsel einig waren und, so hoffe ich, sind, daß wir das Ministerium nicht wie bisher allein lassen, sondern bei der Vergabe wesentlicher Aufträge mitbestimmen.
Wir sollten uns einig werden, was uns besonders interessiert und was wir bei den Instituten auf den Weg geben wollen. Das kann in einem Fall durchaus mehr regionale Bedeutung haben, wenn notwendig, im anderen Fall — und diese Auffassung teile ich angesichts der weltweiten Arbeitsteilung — sehr international ausgerichtet sein und auf innovations- und forschungsbezogene Aktivitäten eingehen.Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, daß es sich hier um Ex-post-Analysen, also nachträgliche Analysen, handelt. Die würde ich, Frau Kollegin, auch nicht als Wirtschaftsgeschichte abtun. Es ist schon wichtig, daß Strukturwandlungen unserer Wirtschaft auch noch einmal im nachhinein analysiert, gedeutet werden. Nur hieraus erhalten wir eine einigermaßen verläßliche Grundlage für Voraussagen.
Was mit diesen Grundlagenanalysen der Vergangenheit geschieht, ist nicht eine Frage der amtlichen Wirtschaftspolitik; denn wir können in einer Marktwirtschaft keine amtlichen Prognosen geben; an denen nachher die Wirtschaftspolitik gemessen wird, auf Grund derer nachher der Ausgleich von Verlusten oder Subventionen eingeklagt werden.
— In Konkurrenz und Vielfalt. Nur ist eben auch die Frage an die Institute selbst und die Abnehmer, ob es einen solchen Bedarf gibt und ob es von den Abnehmern finanziert werden kann, daß aus diesem Datenmaterial von einzelnen Instituten verschiedene auf die Vergangenheit bezogene Prognosen gemacht werden. Wir jedenfalls können das angesichts unserer Haushaltslage keinesfalls finanzieren.Wir müssen weiter darauf hinweisen — und das scheint mir gerade angesichts der Diskussion über Konjunkturprognosen wichtig —, daß es keine Erwartungen gibt, die sicher sind, daß wir angesichts der Unsicherheiten, die sowohl in den Zahlen als auch in den Methoden liegen, keine festen Voraussagen machen können, daß jeder Voraussage über Strukturwandel auch sogenannte wertbezogene, nämlich normative Annahmen zugrunde liegen, für
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Dr. Haussmanndie wir in der Politik die Verantwortung nicht übernehmen können.
— Ja, mir war aufgeschrieben: normative Annahmen. Deshalb habe ich gesagt: wertbezogene Annahmen.
— Ich habe zu dem Thema bereits dreimal geredet. Deshalb habe ich mir heute erlaubt, meine alten Unterlagen mitzubringen.
Wir sind so klein, daß ich das in der Regel selbst machen kann, Herr Roth, in bewährter Weise.
— Jawohl, können Sie haben.Weiter ist es wichtig zu sagen, daß es sich hier um Prognosen handelt, und zwar nicht um unbedingte Prognosen. Wir müssen also darauf hinweisen, daß im Zeitpunkt der Veröffentlichung solcher Prognosen eine gewisse Eigendynamik eintritt, die nicht beabsichtigt ist. Das heißt, wir müssen immer wieder auf die Annahmen, auf die Unsicherheiten hinweisen, bevor Unternehmen hier ihre Schlüsse ziehen.Lassen Sie mich zum Abschluß, um die Debatte etwas abzukürzen oder um die Zeit wieder etwas hereinzuholen, folgendes sagen. Ich fand es gut, daß die Opposition heute länger Zeit hatte als wir.
— Ja, das hat Vor- und Nachteile, Herr Kollege. In dem Fall hat es den Vorteil, daß wir unsere Meinung zur Strukturberichterstattung nie groß ändern mußten. Die CDU hat es jetzt etwas schwerer, während die SPD sich in dieser Frage immer treu geblieben ist, egal ob in Regierung oder Opposition.
— Das würde ich nun, Herr Ehmke, wenn Sie mich darauf ansprechen, bezweifeln. Aber in diesem Punkt sicher.Wir haben immer vier Punkte für wichtig gehalten. Wir haben gesagt, erstens, diese Berichterstattung muß fortgesetzt werden. Aber es stellt sich inzwischen die Frage, ob tatsächlich auch die Verbände und die Kammern in der Lage und bereit sind, die Übersetzung dieser Strukturberichterstattung für die kleinen und mittleren Unternehmen wahrzunehmen. Wenn Sie nämlich mit kleinen und mittleren Unternehmern reden, wissen 80 % nicht, daß es überhaupt so etwas gibt. Sie sind auch selbst nicht durch die Ausstattung mit hochqualifizierten Volkswirtschaftlern oder Stabsabteilungen, wie sie die Großindustrie hat, in der Lage, ihre Schlüsse daraus zu ziehen. Deshalb will ich von hier aus nochmals an die Kammern und an die Verbändeappellieren: wenn wir uns in Politik und Wissenschaft dieser großen Mühe unterziehen, wäre es eine sehr entscheidende und wichtige Aufgabe, daß sowohl die Verbände als auch die Kammern dazu beitragen, in deutlicher, vereinfachter und aussagefähiger Weise die Ergebnisse auf einzelne Branchen und auf einzelne Unternehmen zu übertragen, weil sonst dieser Aufwand ungerechtfertigt ist. Die Großindustrie braucht dies nicht auf Grund ihrer eigenen volkswirtschaftlichen Stabsabteilungen.
— Die macht selbst Strukturpolitik, zum Guten wie zum Schlechten, Herr Duve.
— Die bestimmen einen Großteil der Struktur.
Nur wäre es eine Illusion aus liberaler Sicht, wenn wir glauben könnten, wir in unserer nationalen Wirtschaftspolitik hätten die Instrumente und die Mittel, um all dieses zu verändern.
— Ob wir sie bekämpfen? Ich würde einen anderen Ausdruck wählen. Wir sollten versuchen, durch eine Internationalisierung unserer Kartellgesetzgebung und durch andere Maßnahmen wenigstens Rahmenbedingungen für multinationale Unternehmen zu schaffen.
Wer glaubt, er könne mit den Möglichkeiten einer nationalen Wirtschaftspolitik weltweit auf Multis Einfluß nehmen, der überschätzt sich gewaltig.Zweitens. Wir glauben, daß die Strukturberichterstattung mehr als bisher uns veranlassen muß, die Auswirkungen von staatlichen Subventionen auf Branchen kritisch zu untersuchen. Es ist ja sehr pikant, daß gerade heute die Tagesordnung es ermöglicht hat, daß wir jetzt zweieinhalb Stunden über Stahlsubventionen gesprochen haben, wo dann schnell Einigkeit besteht. Nicht alles, was heute morgen gesagt und versprochen wurde, trägt für mich das Etikett „Anpassungssubvention", sondern da waren eine Menge Erhaltungssubventionen dabei. Wir schließen dann diesen Tagesordnungspunkt ab und sagen sofort: aber im Bereich der Strukturberichterstattung müssen wir jetzt endlich die Konsequenzen ziehen und von Erhaltungssubventionen weggehen und nur noch Anpassungssubventionen zahlen.
— Ja, das ist die große Kluft bei allen drei Fraktionen.Drittens. Diese Strukturberichterstattung sollte auch endlich dazu dienen, daß sie in den Subventionsbericht eingearbeitet wird, d. h. daß wir erste
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Dr. HaussmannFolgerungen für eine Erfolgskontrolle unserer wirtschaftspolitischen Maßnahmen ziehen.Nicht zuletzt, meine Damen und Herren: Wir sollten ehrlich bleiben, sollten in der Politik sagen, was machbar ist auf Grund der Datenbasis, auf Grund der unzureichenden Methoden, und wir sollten unsere Wirtschaft und unsere Verbraucher davor bewahren, daß auf Grund einer Statistik- und Prognosegläubigkeit falsche Aussagen gemacht und falsche Entscheidungen getroffen werden. — Ich danke Ihnen herzlich.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2006, den Antrag auf Drucksache 9/913 für erledigt zu erklären. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung der Lohnsteuerpauschalierung für Teilzeitbeschäftigte
— Drucksachen 9/1671, 9/1886 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 9/2057 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Dr. Hellwig Lennartz
Ich frage, ob das Wort gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Fi-
scher , Dr. Schulte (Schwäbisch
Gmünd), Straßmeir, Sick, Dr. Jobst, Seiters, Feinendegen, Hinsken, Metz, Hanz und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Duve, Antretter, Curdt, Daubertshäuser, Kretkowski, Wimmer (Eggenfelden), Grobecker, Paterna und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Riemer, Merker, Rösch, Funke, Dr. Zumpfort, Frau Noth und der Fraktion der FDP
Zum Bericht des Seeverkehrsbeirats „Führen fremder Flaggen" vom 9. März 1981
— Drucksache 9/1872 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr
Finanzausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Darf ich fragen, ob das Haus damit einverstanden ist? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Sie haben dieser Regelung damit zugestimmt.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Fischer .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Seeschiffahrt befindet sich in einer tiefen Krise. In diesem Jahr haben wir eine extrem negative Entwicklung. In allen Bereichen herrscht sozusagen Flaute, nicht nur in der Trampschiffahrt, mittlerweile auch in der Massengutfahrt. Auch sie befindet sich in einem desolaten Zustand. Der Tankermarkt ist übersättigt. Auch in der Linienschiffahrt haben wir mittlerweile Einbrüche in Märkten, in denen bisher noch gut verdient wurde. Kennzeichnend für die Situation sind Ratenverfall, teilweise bis zu 70 %, und Tonnageüberhang. 1976 hatten wir eine Aufliegertonnage von 55 Millionen t Tragfähigkeit, im August 1982 schon eine solche von 64,5 Millionen t. Das sind ungefähr 10 % der gesamten Welthandelsflotte. In dieser Situation sind weite Teile der deutschen Seeschiffahrt in ihrer Existenz bedroht.Es gibt aber gegenüber konkurrierenden Schifffahrtsnationen spezifische Gründe der Existenzkrise der deutschen Handelsflotte. Der Kostendruck für unsere Flotte ist seit Anfang der 70er Jahre durch einen kräftigen Anstieg bei den Lohn-und Lohnnebenkosten überproportional gestiegen. Daraus resultierende Betriebskostenunterschiede zwischen Schiffen unter deutscher und Schiffen unter fremder Flagge sind beträchtlich, beim Stückgutfrachter sind es sogar rund 1 Million DM pro Jahr. Ein Ertragsausgleich am Markt ist nicht zu erreichen. Im Gegenteil, der Ratenverfall erzeugt einen zusätzlichen Konkurrenzdruck.Der zweite Grund ist die starke steuerliche Belastung der deutschen Seeschiffahrt gegenüber der ausländischen Konkurrenz vor allem bei den ertragsunabhängigen Steuern, also Gewerbesteuer
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7548 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Fischer
und Vermögensteuer, die dort so nicht bekannt sind.In dieser Situation haben deutsche Reeder zunehmend ihr Heil in der Ausflaggung gesucht, indem sie ihre Schiffe unter fremder Flagge haben fahren lassen. Die Gesamttonnage deutscher Schiffe ist ungefähr 11 Millionen Bruttoregistertonnen. Davon fahren derzeit rund 4 Millionen unter fremder Flagge. Derzeit haben wir zwar einen gewissen Zwischenstopp des Ausflaggungstrends. Er ist aber im wesentlichen auf eine Erhöhung des Dollarkurses im Verhältnis zur DM zurückzuführen und kann jederzeit umschlagen, bietet also keine Sicherheit.Die Ausflaggung hat negative Auswirkungen auf den Leistungsstand der deutschen Seeschiffahrt, die Qualität der Ausbildungsgänge und die Sicherung der Arbeitsplätze deutscher Seeleute. Es besteht darüber hinaus die Gefahr, daß deutsche Reedereien ihren Unternehmenssitz ins Ausland verlagern — mit steuerlichen Nachteilen für die Bundesrepublik Deutschland, außerdem mit negativen Auswirkungen auf unsere Zahlungsbilanz.Dabei ist die Notwendigkeit der Erhaltung einer eigenen deutschen Handelsflotte im nationalen Interesse. Dies dürfte weithin unbestritten sein.Der Deutsche Bundestag kann mit der Zustimmung zu unserem infraktionellen Antrag sein Bekenntnis zur gesamtwirtschaftlichen Bedeutung einer Handelsflotte unter deutscher Flagge ablegen. Dieses nationale Interesse ergibt sich aus folgendem.Erstens würde die Bundesrepublik Deutschland als ein exportabhängiges Land ohne eine deutsche Schiffahrt eine entscheidende Schwächung des Handels der Bundesrepublik Deutschland mit fast allen Staaten der Welt, vor allem den wichtigen Entwicklungsländern, hinnehmen müssen.Zweitens. Die Versorgung der Bundesrepublik Deutschland in wirtschaftlichen und militärischen Krisensituationen mit Rohstoffen und Energie kann ohne eine ausreichende nationale Tonnage nicht sichergestellt werden. Immerhin kamen 1981 über 50 % der Importe über See in unser Land.Drittens. Die Seeschiffahrt leistete einen positiven Beitrag zur Leistungsbilanz 1981 in Höhe von 5 Milliarden DM.Viertens. In der heutigen beschäftigungspolitisch schwierigen Situation kommt den Arbeitsplätzen für deutsche Seeleute eine große Bedeutung zu.Fünftens. Angesichts der schweren Strukturkrise gerade in der deutschen Küstenregion muß darauf hingewiesen werden, daß immerhin zwei Drittel der Neubauaufträge auf deutschen Werften von deutschen Reedern kommen. Dort sind rund 60 000 Arbeitnehmer beschäftigt. Nimmt man die Zulieferindustrie und die Nebenwirtschaftszweige hinzu, die davon ebenfalls existentiell abhängig sind, wird die Zahl wesentlich größer. Am Bruttoinlandsprodukt hat die deutsche Seeschiffahrt einen Anteil von rund 3 Milliarden DM, der immerhin doppelt sogroß ist wie der Anteil der deutschen Seehafenverkehrswirtschaft.Was kann in dieser Situation getan werden, um der verheerenden Entwicklung entgegenzutreten?Die Reeder haben sich seit Jahren bemüht, die Produktivität der Schiffahrtseinheiten zu steigern. Aber es wird auch notwendig sein, ein Bündel von politischen Maßnahmen zu ergreifen, um die deutsche Handelsflotte international wieder konkurrenzfähg zu machen und zu verhindern, daß deutsche Reedereien weiterhin durch Ausflaggung versuchen, die Kostenstruktur nachhaltig zu verbessern. Natürlich kann nicht jede einzelne dieser Maßnahmen die Wende bringen. Erst das Zusammenwirken verschiedener Maßnahmen kann zu einer Verbesserung beitragen. In dieser Situation kann der Deutsche Bundestag sich mit der Zustimmung zu unserem Antrag hinter die Empfehlungen des Seeverkehrsbeirats stellen, und er kann helfen, die Probleme der deutschen Seeschiffahrt und der deutschen Küstenregion zu lindern. Dabei geht es im einzelnen — ich kann das hier in einem kurzen Beitrag nur sehr knapp bringen — um folgende Einzelforderungen.Erstens. Die neue Schiffsbesetzungsverordnung muß schnell verabschiedet werden. Damit soll eine flexiblere Ausstattung jedes einzelnen Schiffes mit der ihm angemessenen Besatzung ermöglicht werden, und dadurch können spürbare Kostenvorteile herbeigeführt werden. Der Erlaß dieser Verordnung hängt von der Verabschiedung der dritten Änderung des Seemannsgesetzes durch dieses Parlament ab. Gestern ist in den zuständigen Ausschüssen mit einer ersten Beratung schon ein entscheidender Schritt getan worden. Die Festlegung der Besatzungsstärken ist natürlich bei den Reederverbänden und den Seeleutegewerkschaften immer wieder ein umstrittener Punkt. Ich meine aber, beide Seiten haben eine große Verantwortung für die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seeschiffahrt, für die Sicherung der Arbeitsplätze. Ich appelliere an die Sozialpartner, rasch zu vertretbaren, ökonomisch notwendigen Lösungen zu kommen; denn hier haben wir gegenüber konkurrierenden Schiffahrtsländern einen Nachholbedarf auszugleichen.Zweitens. Es ist notwendig, die steuerlichen Rahmenbedingungen der deutschen Seeschiffahrt zu überprüfen und Wettbewerbsnachteile gegenüber konkurrierenden Ländern und Flotten abzubauen. Ebenso müssen die Investitionsfähigkeit der Reedereien und die Produktivität der Flotte durch steuerliche Maßnahmen verbessert werden. Dabei geht es um schwierige grundsätzliche steuerpolitische Fragen, deren Lösung durch die jetzige Haushaltsituation zusätzlich erschwert ist. Es ist dringend, und es bleibt in der Sache dringend, auf der Basis der Vorschläge des Bundesverkehrsministeriums mittelfristig steuerpolitische Entscheidungen herbeizuführen. In der Zwischenzeit haben zwischen den beteiligten Ressorts und den Verbänden Gespräche stattgefunden. Dieses muß intensiviert werden.Drittens. Die Finanzbeiträge, d. h. die Zinshilfen für die unterkapitalisierte deutsche Seeschiffahrt,
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Fischer
die zum 31. Dezember 1981 ausgelaufen sind, müssen wieder aufleben, sobald dieses vom Haushalt her möglich ist. Bisher konnten sie nicht wieder in den Haushalt eingestellt werden. Aber ich sage, die Finanzbeiträge im Zusammenwirken mit den Neubauhilfen, die Gott sei Dank durch die Subventionskürzung nicht erfaßt worden sind, sind die wirksamste Maßnahme, um der Ausflaggung entgegenzuwirken.Viertens. Wo protektionistische Maßnahmen von Drittländern zu einer Ladungslenkung führen und damit die deutsche Handelsflotte benachteiligt wird, müssen entsprechende, notfalls auch autonome Maßnahmen ergriffen werden, um diese abzuwehren. Die Ratifizierung des UN-Verhaltenskodex für Linienkonferenzen durch den Deutschen Bundestag noch in diesem Jahr wird dazu ein wichtiger Beitrag sein, weil damit weitergehende protektionistische Ladungslenkungsmaßnahmen, vor allem der Entwicklungsländer, verhindert werden können. Dies wird aber lediglich eine Orientierung für die kommerziellen Verhandlungen der Linienkonferenzen sein. Keineswegs wird der Wettbewerb völlig ausgeschaltet. Der Linienverkehr der Außenseiter und der gesamte Trampverkehr bleiben völlig frei.Fünftens. Es muß ein Instrumentarium gegen wettbewerbsverzerrende Praktiken nichtkommerzieller Konkurrenz entwickelt werden. Nationale Alleingänge reichen in der Regel nicht aus. Multilaterale Vereinbarungen sind schwer zu erreichen, weil die Interessenlage häufig unterschiedlich ist. Gleichwohl müssen die rechtlichen Möglichkeiten zum Eingriff verstärkt werden, sie müssen so entwickelt werden, daß sie greifen und notfalls auch abschreckend wirken können.Sechstens. Die Vereinbarung einer Hafenstaatenkontrolle durch 14 europäische Staaten ist zu begrüßen. Dadurch bekommen wir Instrumente gegen Substandard-Schiffe in die Hand. Eine intensive Durchführung dieser Kontrollen ist ein wichtiger Beitrag zur Sicherheit von Schiff und Besatzung, zum Umweltschutz, aber auch zur Abwehr wettbewerbsverzerrender Praktiken.Meine Damen und Herren, zum Schluß: Alle Fraktionen dieses Hauses haben den vorliegenden Antrag gemeinsam erarbeitet und interfraktionell hier im Parlament eingebracht. Dieses ist, wie ich meine, der Existenzgefährdung einer eigenständigen deutschen Handelsflotte angemessen. Die Bundesregierung sollte dadurch ermutigt und bestärkt werden, eine Schiffahrtspolitik im oben zitierten Rahmen zu aktivieren. Denn über eins müssen wir uns im klaren sein: Wenn nicht mehr als heute geschieht, werden eine weitere Schrumpfung der deutschen Handelsflotte und der Verlust von Arbeitsplätzen nicht aufzuhalten sein. Wo nichtmarktwirtschaftliche Kräfte am Werk sind und ungleiche Wettbewerbsbedingungen für die deutsche Handelsflotte gegenüber den konkurrierenden Flotten vorhanden sind, da, meine Damen und Herren, hilft auch die unbestrittene Tüchtigkeit deutscher Reeder und deutscher Seeleute nicht weiter.
Ich erteile dem Abgeordneten Duve das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen:Wenn ich Dante wäre, hätte ich die Hölle folgendermaßen geschildert: An meiner einen Seite Herr Bürgermeister Kaisen, an der anderen Seite Hamburgs Bürgermeister Brauer und dann ein 24stündiges Gespräch über die deutsche Seeschiffahrt und den deutschen Schiffbau.So der amerikanische Hohe Kommissar John McCloy über seine Verhandlungen mit dem Bremer Senatspräsidenten Kaisen und dem Hamburger Bürgermeister im Jahre 1950. Ich entnehme dieses Zitat einem Bericht von Herrn Stödter über die deutsche Schiffahrt nach 1945. Mit dieser „intensiven Hölle" hat sozusagen die Wiederbelebung der deutschen Schiffahrtspolitik der Bundesrepublik nach Krieg und Besatzungszeit begonnen. Um das hier nun nicht wieder aufleben zu lassen, haben wir erstens eine Kurzdebatte und zweitens ein so „volles" Haus.In den Darlegungen des Reeder-Verbandes, auch denen von Herrn Stödter, sieht es immer so aus, als sei es allein der Tatkraft und der Energie der mutigen norddeutschen Unternehmen zu danken, daß die Flotte wiederaufgebaut worden ist. Man muß dazu gewiß auch sagen, daß die deutsche Flotte in der Nachkriegszeit mit den Lohnsteuermilliarden finanziert wurde, die von all jenen aufgebracht wurden, die keine Abschreibungsmöglichkeiten hatten. Die Dauersozialisierung der Verluste ist ja auch ein Teil unserer Schiffahrtspolitik gewesen.Dazu stellt die ÖTV in ihrem „Schiffahrtspolitischen Programm" fest:Die der deutschen Seeschiffahrt gewährten steuerlichen Vorteile führten zu einer von Abschreibungsgesellschaften geprägten Unternehmensstruktur mit erheblichen negativen Folgen, z. B. die Ein-Schiff-Unternehmen. Die Anschaffung von Schiffen war profitabel, ihr Betrieb unter deutscher Flagge aber wurde auf Dauer nicht gesichert. Das Ausflaggen nahm seinen Lauf ohne Rücksicht auf die soziale Sicherheit der Seeleute.Soweit die Kritik der ÖTV, der man durchaus beipflichten kann. Heute stehen wir aber vor einer dramatischen Situation an der Küste. Herr Fischer hat das hier schon sehr richtig ausgeführt. Seitdem wir Hamburger die Regierungsmacht an Rheinland-Pfalz abgegeben haben, ist diese Situation für uns an der Küste möglicherweise noch dramatischer. Wir sehen nicht viele Leute von der Küste in der neuen Bundesregierung.Deshalb ist es zu begrüßen, daß endlich die Forderungen des Seeverkehrsbeirates im Plenum des Deutschen Bundestages durch eine gemeinsame Entschließung gewürdigt werden. Wir tun dies gemeinsam, Herr Fischer, auch wenn es im Sommer bei Ihnen einige Einzeltänzchen gegeben hat, und wir wissen, daß auch der Verband Deutscher Ree-
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Duveder und die beteiligten Gewerkschaften unserer Entschließung und ihren Einzelforderungen in den Grundsätzen zustimmen. Ich kann es mir darum jetzt auch schenken, sie im einzelnen noch einmal vorzutragen; das haben Sie gemacht.Ich bin nicht ganz sicher, Herr Fischer, ob wir uns — so, wie Sie es getan haben — darauf beschränken sollen, zu sagen: Wir haben ganz besondere deutsche Probleme. Die große Untersuchung, die im Auftrag der „Stiftung Volkswagenwerk" zum „Wandlungsprozeß in der Seeschiffahrt und im Schiffbau in Westeuropa" angestellt worden ist, zeigt eigentlich sehr genau, daß Unterschiede nicht so sehr auf nationaler Ebene bestehen, sondern daß wir einen weltweiten Strukturwandel der Schiffahrt zu verzeichnen haben. — Aber da sind wir auch nicht weit auseinander.Wir wollen jedoch in dieser Debatte nicht verschweigen, daß die ÖTV als eine der an dieser Diskussion Beteiligten als letzten Ausweg aus der Krise der deutschen Seeschiffahrt von einer verstaatlichten Handelsflotte spricht, wenn man sich aus übergeordneten Gesichtspunkten dazu entschließt, um die Handelsflotte zu kämpfen. Dazu habe ich im Namen der SPD-Fraktion im April 1982 erklärt: Wenn die ÖTV als letzte Notbremse die Schaffung einer staatlichen Handelsflotte erwägt, dann zeigt dies den Ernst der Lage, ist aber für uns zur Zeit kein akzeptables Instrument.
— „Zur Zeit" heißt, daß wir ja doch möglicherweise, wenn die Ausflaggung weitergeht, in eine Situation kommen, daß wir gar keine deutschen Reeder mehr haben, die ihre Schiffe unter deutscher Flagge fahren lassen. Wenn wir dann die Dinge, die Herr Fischer hier für eine deutsche Handelsflotte gefordert hat, weiter verwirklichen wollen, müssen wir uns etwas einfallen lassen. Wir alle kämpfen gemeinsam dafür, daß das nicht entsteht, Herr Straßmeir. Die Erklärung von damals will ich nicht im ganzen verlesen. Wir sind da einer Meinung, sind da nicht auseinander, und Sie haben mich da eben nicht auf einem „sozialistischen Trip" erwischt, wie Sie vielleicht gedacht haben.
An dieser Auffassung hat sich nichts geändert, aber die Situation der Seeschiffahrt ist heute noch bedrückender.Die deutschen Reeder, die Besatzungen auf den Schiffen und die deutschen Verlader befinden sich jeweils in einer Zwickmühle, die man der Fairneß halber nicht verschweigen darf. Es gibt keine leichte und einfache Lösung. Die Reeder sagen, sie seien aus Kostengründen zum Ausflaggen gezwungen, und kämpfen zugleich um den Erhalt einer deutschen Handelsflotte. Dies ist ein Widerspruch, den die Reeder auch selbst so sehen. Auf der einen Seite fordern sie finanzielle Unterstützung gegen die Konkurrenz der Billigflaggen, auf der anderen Seite drohen sie nicht nur mit dem Ausflaggen, sondern betreiben es unter Hinweis auf mangelhafte staatliche Hilfe.Die Verlader stehen auch in einem Widerspruch. Die Industrie des Binnenlandes sagt zu Recht: Wir kämpfen um unsere Exportchancen, also müssen wir den günstigsten Transportweg für unsere Produkte wählen und haben manchmal sehr zu kämpfen um sehr marginale Belastungen beim Export, d. h. wir dürfen nicht auf teure deutsche Schiffe beschränkt bleiben. — Trotzdem, wir müssen auch von den Verladern eine größtmögliche Flaggentreue fordern.Die Gewerkschaften schließlich sagen im Namen der Besatzungen: Wir haben gemeinsam mit anderen deutschen Arbeitnehmern die Tarife und den Sozialstatus erkämpft, den wir uns jetzt auf den Schiffen auch nicht zerschlagen lassen dürfen. — Niemand hat — ich habe es gesagt — hier ein Patentrezept zu bieten.Der Seeverkehrsbeirat hat in einer sehr abgewogenen Weise Maßnahmen vorgeschlagen, mit denen wir, wie wir hoffen, das weitere Ausflaggen auch wirklich verhindern können. Wir Sozialdemokraten unterstützen diese Forderungen — ich habe sie im einzelnen jetzt nicht mehr dargelegt, Herr Fischer hat das sehr ausführlich gemacht —, denn wir wollen aus übergeordneten Gesichtspunkten eine deutsche Handelsflotte behalten.Wir begrüßen, daß sich die Tarifpartner und das Ministerium auf die Neuordnung der Schiffsbesetzungsordnung geeinigt haben.Wir wissen, daß wir durch Slogans wie „Freiheit der Meere" nicht die Entwicklung zu einer neuen Weltschiffahrtsordnung aufhalten können. Die Bundesrepublik ist darum auch — das haben wir hier im Plenum schon einmal debattiert — dabei, den UNCTAD-Code zu ratifizieren. Wir sind dem beigetreten.Wir sind der ÖTV dankbar, daß sie ein so umfassendes schiffahrtspolitisches Konzept vorgelegt, sich also Gedanken gemacht hat, und wir würdigen die Mitarbeit der deutschen Reeder an neuen Überlegungen, fordern aber auch den Verband Deutscher Reeder auf, sich stärker als bisher mit einigen schwarzen Schafen unter seinen Mitgliedern zu befassen, denn diese schwarzen Schafe flaggen nicht nur aus und ersetzen dabei deutsche durch schlecht bezahlte überseeische Seeleute, sondern lassen darüber hinaus auch noch ihre ausländischen Schiffe zu Seelenverkäufern verkommen — eine Gefahr für die Meeresökologie und eine Beeinträchtigung unserer innenpolitischen Möglichkeiten, den Reedereien und ihren Mitarbeitern, von denen viele ums nackte Überleben kämpfen, auch wirklich zu helfen.Meine Damen und Herren, eine Schlußbemerkung: An der Küste fahren nicht nur Schiffe, sondern dort werden auch Schiffe gebaut. Ich darf auf den Artikel in der „Wirtschaftswoche" vom 24. September hinweisen, wo es hieß: „Die Stunde der Wahrheit für die Werftindustrie ist angebrochen." Wir können das heute hier nicht diskutieren. Ich denke, daß wir darüber im Deutschen Bundestag bald eine ähnlich dramatische Diskussion werden führen müssen, wie sie heute morgen über die Stahlindustrie stattgefunden hat.
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DuveLassen Sie mich zum Schluß einen Appell an den neuen Finanzminister richten, das einzige Mitglied in der neuen Regierung von der Küste, und er sitzt nun auch noch auf der Kasse: Stoltenberg, den seine publizistischen Freunde immer „den großen Klaren aus dem Norden" nennen.
— Wir haben ihn als den großen Kalten aus dem Norden kennengelernt, Herr Kollege. Er muß nun die Interessen der Seeschiffahrt und der Werften außerordentlich ernst nehmen. Wir erwarten das. In der Regierungserklärung von Bundeskanzler Helmut Kohl war jedenfalls von der Küste und unseren Sorgen so viel zu hören wie Meeresrauschen in einer Pfälzer Weinstube.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Funke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben hier sozusagen eine Hamburg-Runde, aber nicht etwa deshalb, weil wir kurz vor dem Wahlkampf stehen; vielmehr hatten wir diese Hamburg-Runde bereits beschlossen, als ein Wahltermin in Hamburg noch nicht feststand. Dies macht deutlich, daß wir Hamburger Abgeordnete uns bereits im Ausschuß für diese Belange besonders eingesetzt haben und der Auffassung sind, daß hier eine für die Küstenländer essentielle Frage zu behandeln ist. Ich will aber nicht verschweigen, daß es bei der Beratung zwischen den drei Fraktionen gelegentlich auch unterschiedliche Auffassungen - ich würde fast sagen, ideologisch unterschiedliche Auffassungen — gegeben hat. Trotzdem haben wir uns im Interesse der Sache zu einer gemeinsamen Erklärung verstanden.Ich glaube, daß gerade in der schwierigen Situation, die Herr Fischer und Herr Duve j a bereits aufgezeigt haben, ein gemeinsames Vorgehen aller drei im Bundestag vertretenen Parteien notwendig ist. Die Situation ist schon allein deswegen so bedrohlich, weil immerhin 35 % der deutschen Seeschiffe in den letzten Jahren ausgeflaggt haben. Dies bedeutet eine Verbringung von Arbeitsplätzen ins Ausland, dies bedeutet gleichzeitig aber auch eine empfindliche Schwächung der deutschen Wirtschaft in unserem Küstenraum und vor allem einen schmerzlichen Verlust von Arbeitsplätzen für deutsche Seeleute.Nun sieht meine Fraktion — vielleicht ein wenig im Gegensatz zu Ihnen, Herr Duve — das Heil nicht in einer staatlichen Reglementierung,
sondern im Gegenteil in einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für die deutsche Seeschifffahrt mit dem Ziel, daß diese aus sich heraus wieder die Kraft und den Ansporn findet, wieder mehr deutsche Handelsschiffe unter deutscher Flagge zu führen.
Auf die Rahmenbedingungen werde ich noch im einzelnen eingehen.Wichtig ist nach Auffassung meiner Fraktion - und ich glaube, da auch im Namen der CDU und der SPD sprechen zu können — zunächst, daß die Wettbewerbsgleichheit im Verhältnis zu den konkurrierenden Schiffahrtsländern wiederhergestellt wird. Darunter verstehe ich nicht etwa einen Wettlauf der verschiedenen Länder nach immer höheren Subventionen mit dem Ziel, die eigene Flotte gegenüber dem Wettbewerbsdruck von außen abzuschotten, sondern vielmehr den Abbau aller Subventionen der Schiffahrtsnationen. Darum sollten wir uns auch im Rahmen der UNO und der OECD bemühen.Ein Grund für die besorgniserregende Entwicklung in der deutschen Seeschiffahrt ist auch das aggressive Verhalten der Flotten der Staatshandelsländer auf dem Weltmarkt. Hier wird unter Inkaufnahme von Einbußen bewußt eine Dumpingpolitik mit dem Ziel betrieben, in bestehende Märkte einzubrechen und zu stören. Nicht selten steckt dahinter auch die strategische Absicht, sich in Krisengebieten bzw. in Nachbargebieten zu etablieren, um dann auf Grund dieses Vorteils strategischen Einfluß zu nehmen.Die Europäische Gemeinschaft ist aufgefordert, für die Gemeinschaft dafür Sorge zu tragen, daß solche Entwicklungen verhindert werden. Der Seeverkehrsbeirat hat diesem Tatbestand in seinem Bericht in dankenswerter Weise Rechnung getragen. Entsprechende dringende Appelle der westlichen Industrieländer insbesondere an die Sowjetunion, sich da mehr Selbstbescheidung aufzuerlegen, sind leider ohne Erfolg verhallt.Was jetzt gefordert werden muß, ist ein abgestimmtes Handeln als Reaktion auf diesen, wie ich meine, unerträglichen Zustand, weil die Sowjetunion und auch andere Staatshandelsländer diese Politik eben dazu benutzen, Linienkonferenzen kaputtzumachen. Wir müssen also mit der Sowjetunion in direkte Schiffahrtsverhandlungen kommen und versuchen, dieses Verhalten zu ändern.Im bilateralen Verkehr gibt es immer wieder Schwierigkeiten, auch bei der Bedienung der Ausfuhren. Hier zeigt sich die sowjetische Seite besonders hartnäckig, wenn es darum geht, Schiffsraum von deutscher Seite einzusetzen.
- Das ist völlig richtig. Das ist gar keine Frage des Kalten Krieges, Herr Duve, das wissen Sie ganz genau.Wir sind daran interessiert, mit der Sowjetunion in einem angenehmen Wirtschaftsverhältnis zu stehen. Das gilt natürlich auch für die deutsche Seeschiffahrt. Aber das kann ja nicht einseitig sein, wie Sie sich das vorstellen, sondern das muß bilateral vernünftig abgestimmt sein. Auch die sowjetischen Schiffe müssen, wenn sie hier Ware aufnehmen, das so machen, daß es für beide Seiten akzeptabel ist.
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FunkeAuch die Sowjetunion sollte sich an den UNCTAD-Kodex halten, genauso wie wir uns darum bemühen.Ich glaube, daß wir auch in dieser Position einig sind. Ich will hier nicht dem Kalten Krieg in der Seeschiffahrt das Wort reden. Das wissen Sie ganz genau, Herr Duve.
— Ich habe nicht behauptet, daß Sie die Verstaatlichung — —
— Nein, das habe ich nicht gesagt. Das können wir nachher gerne nachlesen. Ich habe lediglich Ihre ideologischen Attitüden etwas mit angesprochen.
— Ich will hier nicht weiter in Polemik machen, obwohl ich glaube, dabei mithalten zu können, wenn Sie das unbedingt wollen, Herr Duve. Aber das hier ist eine reine Sachfrage. Ich glaube, diese Sachfragen sollten wir in Ruhe miteinander diskutieren.
Meine Damen und Herren, gestern haben wir in den zuständigen Fachausschüssen endlich die Änderung des Seemannsgesetzes beschlossen. Wir sind guter Hoffnung, daß noch in diesem Jahr das Seemannsgesetz hier im Bundestag abschließend beraten wird. Wir können dann auch die neue Schiffsbesetzungsordnung in die Tat umsetzen. Das ist ja eine der Grundvoraussetzungen dafür, daß die deutsche Seeschiffahrt wieder wettbewerbsfähiger wird. Sie wissen, daß allein durch die unterschiedlichen Besetzungsordnungen in den konkurrierenden Ländern wir etwa um ein Drittel höhere Personalkosten aufzufangen haben. Das heißt mit anderen Worten: Einem Normalschiff, das zusätzliche Kosten von rund 800 000 DM gegenüber Ländern einfährt, wo eine Ausflaggung sinnvoll ist, entstehen im Jahr etwa 250 000 bis 300 000 DM mehr an Personalkosten. Das werden wir hoffentlich in den nächsten Jahren dadurch auffangen können, daß wir die neue Schiffsbesetzungsordnung haben. Ich möchte dabei aber nicht verschweigen, daß das Seemannsgesetz und die neue Schiffsbesetzungsordnung etwa zehn Jahre, seitdem wir hier das erste Mal im Bundestag darauf aufmerksam gemacht haben, verschleppt worden ist und daß es erst jetzt gelingt, dieses neue Seemannsgesetz in die Tat umzusetzen und demgemäß die Rechtsgrundlage für die Schiffsbesetzungsordnung zu schaffen.Ein weiterer Schwerpunkt im Bereich des Seeverkehrsbeirates ist die Harmonisierung des nationalen Steuerrechts in Fragen der Seeschiffahrt. Hier geht es ebenfalls darum, überkommene Tatbestände zu korrigieren, die vor allem im Bereich der ertragsunabhängigen Steuern dazu geführt haben, die Wettbewerbsbedingungen einseitig zu Lasten der deutschen Seeschiffahrt zu gestalten. Hier müssen wir vom Bundestag nicht nur langfristig, sondern so schnell wie möglich Abhilfe schaffen. Herr Fischer hat zu Recht darauf hingewiesen, daß das Gesetz der leeren Kassen vielleicht auch für die Schiffahrt gelten kann. Was nützt uns eine nicht konkurrenzfähige Schiffahrt? Wir müssen unsere deutsche Schiffahrt so konkurrenzfähig machen, daß sie wieder in der Lage ist, in Deutschland Steuern zu zahlen. Ich möchte hierbei ausdrücklich darauf hinweisen, daß wir, wenn wir die steuerlichen Rahmenbedingungen verbessern, gleichzeitig die Finanzhilfen absenken müssen, die die deutschen Reeder bekommen. Das ist ein notwendiges do ut des.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch kurz etwas zur Situation der deutschen Seeschiffahrt insofern sagen, als der Dollarkurs betroffen ist. Die aktuelle Situation wird nämlich auf Grund des zur Zeit günstigen Dollarkurses etwas geschönt. Wir müssen darauf hinweisen, daß bei einer realistischen Dollarparität die deutsche Seeschiffahrt schlagartig wieder in größere Existenznöte geraten wird.Zusammenfassend kann ich festhalten, daß wir jetzt mehr als zehn Jahre ohne Verbesserung haben verstreichen lassen, daß durch die Ausflaggung deutscher Seeschiffe hochqualifizierte Arbeitsplätze verlorengegangen sind und daß es nunmehr allerhöchste Zeit ist, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Wenn dies unverzüglich geschieht, ist mir nicht bange um dem Fortbestand der deutschen Seeschiffahrt. — Vielen Dank.
Für den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hat das Wort Herr Senator Lange.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich aus dem bisherigen Hamburger Trio nun ein Quartett mache.Im interfraktionellen Antrag zum Bericht des Seeverkehrsbeirats über das Führen fremder Flaggen wird sehr deutlich: Das zunehmende Ausflaggen deutscher Schiffe — die Vorredner haben es gesagt: es fährt heute schon jedes dritte deutsche Schiff unter der Flagge Griechenlands, Liberias, Venezuelas oder eines anderen Billigflaggenlands - ist zwar ganz gewiß ein Problem, das uns Sorgen macht und das gelöst werden muß. Es ist aber auch ein Problem, das nicht für sich allein gesehen werden darf, sondern nur vor dem Hintergrund der gesamten Schiffahrts- und Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik betrachtet und gelöst werden kann.Es ist ein Problem der Bundesrepublik insgesamt und nicht nur der Küstenländer, weil eine so stark von Export abhängige Volkswirtschaft wie die unsrige darauf angewiesen ist, daß ihre Außenhandelsströme reibungslos fließen können.Es ist ein Problem der Bundesrepublik insgesamt, weil in politischen Krisenzeiten - Herr Fischer, Sie führten das bereits aus — nur eine deut-
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Senator Lange
sche Handelsflotte die Versorgung unseres Landes und unserer Wirtschaft wirklich sichern kann.Der Hamburger Wirtschaftssenator spricht also zu Ihnen nicht oder zumindest nicht nur als Anwalt des größten deutschen Seehafens mit über 60 Millionen t Umschlag pro Jahr, über den mehr als 40 % des seegehenden Außenhandels der Bundesrepublik Deutschland laufen, der Stadt, in der über 70 % der deutschen Schiffstonnage registriert sind, der Stadt, in der im Reedereibereich 17 000 Arbeitnehmer an Bord und rund 8 000 an Land beschäftigt sind. Der Hamburger Wirtschaftssenator spricht zu Ihnen auch und in erster Linie als Anwalt nationaler Interessen, wenn er Sie bittet, alles in Ihren Kräften Stehende zu tun, damit es weiterhin eine funktionierende wettbewerbsfähige deutsche Handelsflotte geben kann.Die Vorstellungen Hamburgs über die Ziele deutscher Schiffahrtspolitik decken sich mit denen, die in dem heute zur Debatte stehenden interfraktionellen Antrag skizziert sind. Hamburg hat seine im Kern deckungsgleichen Vorschläge präzise und detailliert niedergeschrieben und in die Verhandlungen mit den zuständigen Stellen auf Bundesebene eingebracht — übrigens nach eingehenden Beratungen mit dem Verband deutscher Reeder und mit den Gewerkschaften.Lassen Sie mich einige wichtige Punkte aus Hamburgs Vorstellungen herausgreifen. Die steuerlichen Rahmenbedingungen für die deutsche Seeschiffahrt müssen denen angeglichen werden, die konkurrierende Schiffahrtsländer für ihre Seeschiffahrt geschaffen haben. Mein Kollege, der Finanzsenator, und ich sind ausdrücklich ermächtigt, uns in geeigneter Weise je nach der jeweiligen Steuerart für eine weitere steuerliche Entlastung der deutschen Reeder einzusetzen.
Das, meine Damen und Herren, genügt aus Hamburger Sicht aber nicht, Herr Funke. Seeschiffahrt — dies habe ich leider vermißt — ist eben nicht nur Sache von Reedern; Schiffahrtspolitki kann nicht nur Reederpolitik sein, sie muß immer auch, besser gesagt: in erster Linie Seemannspolitik sein. Die Arbeit an Bord ist trotz allen technischen Fortschritts immer noch hart und schwer. Seeleute vom Kapitän bis zum Decksjungen sind nach wie vor gegenüber denjenigen benachteiligt, die einen Arbeitsplatz an Land haben. Das, was früher einen gewissen Ausgleich zur harten und gefährlichen Arbeit brachte, das Kennenlernen fremder Länder, gibt es heute in der Praxis eben nicht mehr, seitdem die Häfen immer schneller und die Umschlagtechnik immer fortschrittlicher geworden sind. Ich weiß, meine Damen und Herren, wovon ich spreche: Ein modernes Container-Schiff im Hamburger Hafen liegt dort heute keine 24 Stunden mehr. Da bleibt häufig nicht einmal genug Zeit für einen St.-PauliBummel, ganz zu schweigen vom Kennenlernen Hamburgs.Geblieben aber ist nicht nur, daß der Seemann großen Gefahren auf See ausgesetzt ist, sondern auch, daß es ihm durch den ständigen Aufenthaltim Ausland nicht möglich ist, die von ihm über seine Steuern mitfinanzierten staatlichen Leistungen in Anspruch zu nehmen, und daß ihm durch die ständige Trennung von Familie und heimatlichen Lebenskreis besondere Kosten entstehen. Die skandinavischen Länder z. B. haben dies längst berücksichtigt; dort erhalten Seeleute Lohnsteuerermäßigung. Ich meine, meine Damen und Herren, daß es ein überfälliger Akt der Gerechtigkeit ist, die Lohnsteuer für Seeleute auch in der Bundesrepublik Deutschland zu korrigieren. Dies könnte meines Erachtens durch die Einführung eines speziellen Freibetrages für Seeleute oder durch Besteuerung ihrer Heuern zu einem ermäßigten Satz geschehen.Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg wird mit dem Bund und den anderen Bundesländern in diesem Sinne verhandeln. Ich habe dies hier ausdrücklich erwähnt, weil die Belange der Seeleute — wir brauchen qualifizierte Seeleute und qualifizierten Nachwuchs; ohne sie gibt es keine wettbewerbsfähige deutsche Seeschiffahrt -
mir in der bisherigen Diskussion um die deutsche Schiffahrtspolitik eben nicht — ich sagte es bereits — ausreichend berücksichtigt worden sind.
Ich möchte, meine Damen und Herren, hier noch einen zweiten Punkt erwähnen, der mir bisher ebenfalls zu kurz gekommen ist. Ich meine die Verflechtung von Seeschiffahrt, Verkehrswirtschaft, Außenhandel und — last not least — Schiffbau. Diese Wirtschaftszweige — der Kollege Duve erwähnte es - sind miteinander verflochten. Der deutsche Außenhandel braucht eine leistungsfähige Verkehrswirtschaft und eine leistungsfähige Seeschiffahrt, damit er eine tragende Rolle für die deutsche Volkswirtschaft spielen kann. Die deutsche Seeschiffahrt braucht einen leistungsfähigen Schiffbau im Rücken, damit sie nicht von der technischen Entwicklung in fremden, politisch nicht immer stabilen Ländern abhängig wird, damit ihre Schiffe in deutschen Häfen von Werften, die technisch up to date sind und sein müssen, gewartet und repariert werden können. Übrigens, meine Damen und Herren, ist die vom Know-how im Schiffsneubau abhängige Reparaturtüchtigkeit seiner Werften nahezu eine Existenzfrage für jeden Hafen. Eine Ladung wird im Zweifelsfall immer eher in dem Hafen gelöscht, in dem Schiffe auch überholt werden können.
Dies macht klar, warum die deutsche Werftindustrie, die heute in ihrer tiefsten Krise steckt, im gesamtwirtschaftlichen, im nationalen Interesse nicht im Stich gelassen werden darf. Ich erinnere daran, daß zwar aus Haushaltsmitteln des Bundes schon jetzt Zuschüsse bis zu 12,5 % der jeweiligen Neubaukosten gezahlt werden und daß in den Nachtragshaushalt 1982 als Pendant zu den Investitionszuschüssen Mittel für eine weitere Förderung um 5 % der Baukosten eingestellt worden sind, daß aber diese Mittel kaum noch zur Angleichung der Kosten unter deutscher Flagge an die Kosten der
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Konkurrenten dienen können, sondern fast ausschließlich zum Ausgleich der unterschiedlichen Werftpreise der deutschen und der EG-Schiffbauindustrie und ihrer Niedrigpreiskonkurrenten im Fernost und in Schwellenländern herhalten müssen. Es scheint mir, meine Damen und Herren, deshalb notwendig zu sein, daß wir über eine Ergänzung der bisherigen Hilfen, beispielsweise über ein neues Zinsbeihilfenprogramm, nachdenken und bald positiv entscheiden, weil dadurch die Wettbewerbsnachteile deutscher Reeder direkt gemildert werden und so dem Trend zum Ausflaggen begegnet werden kann.Vergessen Sie in diesem Zusammenhang bitte auch nicht, daß Außenhandel, Schiffahrt und Schiffbau ganz wichtige Wirtschafts- und Industriezweige in der norddeutschen Region sind. Ihr Niedergang muß gestoppt werden; sonst wird das Nord-SüdGefälle im Wirtschaftsbereich noch größer, als es ohnehin schon ist.
Die Tatsache, daß Norddeutschland — Hamburg einmal ausgenommen — wesentlich geringer industrialisiert ist als der Süden der Bundesrepublik, die Tatsache, daß für wirtschaftlich verwertbare Forschung — Hamburg wieder ausgenommen — pro Kopf der Bevölkerung in Norddeutschland wesentlich weniger ausgegeben wird als in Süddeutschland, die Tatsache, daß die Arbeitslosenquoten — auch hier Hamburg ausgenommen — in Norddeutschland ganz erheblich über dem Bundesdurchschnitt liegen — dies alles macht deutlich, daß ein so wichtiges Wirtschaftsgeflecht wie Schiffahrt und Schiffbau in einer so krisenanfälligen Region wie Norddeutschland besonderer Stützung bedarf, auch im Interesse der deutschen Gesamtwirtschaft.
— Werte Frau Kollegin, ich sage das aus einem bestimmten Grunde: weil wir uns als Norddeutsche und Hamburger in der Bundesregierung nicht mehr so stark vertreten fühlen.
— Wie dramatisch, werter Herr Fischer, das im Einzelfall aussehen kann, möchte ich Ihnen am Schluß mit ein paar Zahlen deutlich machen. In Hamburg machen die Werftmitarbeiter 9 % der Industriebeschäftigten aus, in Bremen-Stadt 12 %, in Kiel 32 %, in Bremerhaven 45 %, in Emden 60%.
Sie können diesen Fakten und Zahlen entnehmen, daß ich hier nicht pro Hamburg spreche, daß ich nicht für ein hamburgisches Interesse werbe, sondern daß ich die berechtigten Belange der gesamten Region Norddeutschland im Auge habe,
wohl wissend, daß auch Hamburg nur gesund bleiben kann, wenn seine Nachbarn, wie wir bei uns sagen, auf dem Damm bleiben.Ich bin sicher, daß der Kollege Stoltenberg, der diese Zusammenhänge aus seiner Zeit als Ministerpräsident Schleswig-Holsteins kennt — allzulange ist das j a noch nicht her —, sich auch als Bundesfinanzminister nicht nur einsetzen, sondern hoffentlich auch durchsetzen wird, damit Schiffahrt und Schiffbau in der Bundesrepublik Deutschland weiterhin eine Zukunft haben. — Schönen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 9/1872 zur federführenden Beratung dem Ausschuß für Verkehr und zur Mitberatung dem Finanzausschuß und dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Ich stelle fest, das Haus hat so beschlossen.
Wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Meine Damen und Herren, wir fahren in den Beratungen fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 9/2043 -
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Klein steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe Frage 52 des Herrn Abgeordneten Dr. Diederich auf:
Sollte es nach Meinung der Bundesregierung eine zentrale Stelle geben, die Verbrauchern und Verbraucherberatungsstellen Auskunft über einschlägige Gerichtsurteile und verbraucherschädliche Praktiken von immer wieder auffällig werdenden Kreditinstituten und Kreditvermittlern gibt, und sollte der Verbraucherschutzverein in Berlin oder das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen diese im EG-Richtlinienentwurf über den Verbraucherkredit vorgesehene Aufgabe übernehmen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dr. Diederich, der EGRichtlinienentwurf sieht keine Auskunftsstelle, sondern — alternativ zur Einführung einer behördlichen Erlaubnispflicht, die es bei uns schon gibt- eine Beschwerdestelle vor.Die Information über verbraucherschädliche Praktiken und einschlägige Gerichtsurteile im Bereich des Konsumentenkredits gehört jedoch zu den Aufgaben der Verbraucherverbände, zu denen insbesondere die mit öffentlichen Mitteln geförderten Verbraucherzentralen der Bundesländer zu rechnen sind. Gesetzgeberische Maßnahmen er-
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Parl. Staatssekretär Dr. Kleinscheinen insoweit der Bundesregierung zur Zeit nicht veranlaßt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Könnten Sie mir sagen, Herr Staatssekretär, wann diese EG-Richtlinie über den Verbraucherkredit verabschiedet werden wird?
Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Die Antwort würde mir prophetische Gaben abverlangen, Herr Kollege. Der gegenwärtige Stand der Beratungen ist der, daß die EG auf eine Stellungnahme des Europäischen Parlaments wartet, die, wie man hofft, zum Ende des Jahres eingehen wird. Es werden dann im nächsten Frühjahr neue Beratungen über die Bearbeitung dieses Richtlinienentwurfs gepflogen. Dann wird man weitersehen. — Ich vermag keine verbindliche Aussage zu machen.
Zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Dr. Diederich.
Wenn ich Sie recht verstanden habe, denkt man an eine Beschwerdestelle, nicht aber an eine Stelle, die umfassend Auskunft geben soll: Sollte die Bundesregierung nicht doch auf eine Auskunftsstelle für die Kreditnehmer und die Verbraucherberatung hinwirken, vor allen Dingen deshalb, um sie gegenüber unseriösen Kreditinstituten und Kredithaien mit einem Informationssystem auszustatten, wie es die Schufa für die Anbieterseite ist?
Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Ich hatte in der gestrigen Fragestunde schon Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung hier vornehmlich auf private Initiativen setzt.
Zusatzfrage, Frau Dr. Martiny-Glotz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, können Sie für die Bundesregierung bestätigen, daß es ganz bestimmte Kreditgeber und ganz bestimmte Teilzahlungsbanken sind, die immer wieder auffallen?
Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Dies ist richtig.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Heyenn wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:
Was hat die Bundesregierung getan, um die Auslieferung von Klaus Barbie — alias Klaus Altmann — von Bolivien zu erreichen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Thüsing, am 10. Mai 1982 hat die Bundesregierung die
bolivianische Regierung um Auslieferung des Verfolgten Klaus Altmann alias Barbie zur Strafverfolgung wegen Mordes ersucht. Bei der persönlichen Übergabe des Auslieferungsersuchens und in der Folgezeit ist auf geeigneten Wegen das besondere deutsche Interesse an einer Auslieferung deutlich gemacht worden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.
Herr Staatssekretär, haben Sie nach dem Regierungswechsel in Bolivien und der erkennbaren Bereitschaft der bolivianischen Regierung auch in anderen Fällen, solchen Ersuchen nach Möglichkeit nachzugeben, noch einmal besondere Bemühungen unternommen, um die Auslieferung tatsächlich zu erreichen?
Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, im Hinblick auf den etwas heiklen Charakter dieses Gegenstandes und im Hinblick darauf, daß wir die Erfolgsaussichten unseres Auslieferungsersuchens nicht gefährden wollen, wäre ich dankbar, wenn Sie mich von der öffentlichen Beantwortung dieser und eventueller weiterer Fragen entbänden. Ich bin aber gern bereit, Ihnen in einem persönlichen Gespräch alle notwendigen Auskünfte zu geben.
Danke sehr, Herr Staatssekretär. Damit ist die Beantwortung der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich beendet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Herr Staatssekretär Stolze steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Fragen 4 und 5 werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 6 — des Herrn Abgeordneten Müntefering — auf:
Aus welchen Gründen hat die neue Bundesregierung die Abgabe von Informationsmaterial, das von der bisherigen Regierung erstellt wurde, auf zehn Exemplare je Ausgabe begrenzt, und gilt diese Beschränkung auch für das Auswärtige Amt, für das Bundesinnenministerium, das Bundeswirtschaftsministerium, das Bundesjustizministerium und für das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsident! Herr Abgeordneter, es trifft zu, daß das Bundespresseamt die Abgabe von Informationsmaterial bei Bestellungen durch Bürger oder Organisationen auf zehn Exemplare je Titel vorläufig begrenzt hatte. Der Grund dafür war die notwendige Oberprüfung der Publikationen auf ihre Übereinstimmung mit der Arbeit und den Zielen der neuen Bundesregierung. Diese Überprüfung ist im Presse- und Informationsamt unverzüglich eingeleitet worden.Als erstes Ergebnis darf ich feststellen, daß am 21. Oktober eine Reihe von Publikationen zur unli-
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7556 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Staatssekretär Stolzemitierten Verteilung wieder freigegeben worden sind. Dazu gehören beispielsweise die sehr gefragte Verbraucherfibel aus der Reihe „Bürgerservice" sowie aus der Reihe „Bürgerinformationen" die Broschüre „Europa".Eine Umfrage bei den Ministerien, auch bei den von Ihnen genannten Häusern — Auswärtiges Amt, Innenministerium, Wirtschaftsministerium, Justizministerium sowie Landwirtschaftsministerium -, hat ergeben, daß die Häuser ihre bisherigen, stärker fachspezifischen Publikationen fast ausnahmslos weiter verteilen.Ich darf noch folgendes hinzufügen. Das Presse-und Informationsamt, das nach Haushaltsgesetz über Arbeit und Ziel der Bundesregierung ressortübergreifend unterrichtet, hat bei einem Regierungswechsel nun einmal etwas größere Probleme mit vorhandenen Informationsschriften, weil diese oft generelle politische Grundlinien enthalten, die für eine neue Regierung nicht mehr zutreffen. In solchen Fällen kann es dann nicht verantwortet werden, die entsprechenden Broschüren weiter zu verteilen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müntefering.
Herr Staatssekretär, heißt das, daß zur Zeit immer noch für bestimmte andere, hier nicht genannte Broschüren geprüft wird, ob zukünftig auch weiterhin nur zehn Exemplare abgegeben werden, und wie viele solcher Broschüren sind das?
Stolze, Staatssekretär: Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Ich kann die exakte Zahl der Broschüren, die sich in der Prüfung befinden, jetzt aus dem Stegreif nicht nennen.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? — Bitte schön.
Wäre es möglich, daß Sie mir, wenn die Prüfung abgeschlossen ist, dazu Bescheid geben?
Stolze, Staatssekretär: Selbstverständlich, gern, so schnell wie irgend möglich.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.
Schließen Sie aus, daß Broschüren nur deshalb nicht weiter verteilt werden — selbst wenn die Inhalte nach wie vor gültig sind —, weil sich in der Broschüre ein Vorwort des bisher zuständigen Ministers, eventuell mit dem Konterfei des Ministers, befindet?
Stolze, Staatssekretär: Dies allein wäre kein Grund, die Broschüre nicht weiter zu verteilen.
Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, gehen Sie davon aus, daß größere Mengen von
Broschüren eingestampft werden müssen, und, wenn j a, wieviel werden das sein?
Stolze, Staatssekretär: Ich gehe nicht davon aus, daß größere Mengen von Broschüren eingestampft werden müssen, weil ich glaube, daß ihre Prüfung ergeben wird — aber das ist eine Schätzung -, daß die Mehrzahl der Broschüren, jedenfalls dem Volumen nach, weiter verteilt werden kann. Ich habe aber noch keine Entscheidung darüber getroffen, was dann mit überzähligen Broschüren geschieht. Da wäre ich überfragt. Ich bin aber gern bereit, Ihnen diese Frage noch schriftlich zu beantworten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Liege ich mit der Vermutung richtig, daß die Ursache der Limitierung auf zehn Exemplare darin bestehen könnte, daß mit neun Exemplaren noch korrekt informiert wird, aber mit elf schon falsch? Oder wie ist die Bundesregierung zu dieser Praxis gekommen?
Stolze, Staatssekretär: Die Antwort ist, glaube ich, ganz einfach. Es gibt doch wissenschaftliche oder sonstige Institutionen, denen man einfach nicht sagen will: Im Moment ist die Sache gestoppt, und deswegen schicken wir Ihnen gar nichts.
Wenn Sie mich jetzt exakt fragen, warum gerade die Zahl zehn gewählt worden ist, müßte ich leider um Verständnis dafür bitten, daß ich diese Frage so nicht beantworten kann. Auch das will ich gern nachholen. Aber Motiv dabei war der Wunsch, auch Broschüren, die vielleicht nicht mehr im Umlauf sind oder auch nicht mehr in Umlauf gesetzt werden, gleichwohl für bestimmte Zwecke weiter zusenden zu können.
Ich rufe Frage 7 — des Herrn Abgeordneten Müntefering — auf:Wird die Bundesregierung vor der Bundestagswahl vom 6. März 1983 neues Informationsmaterial erstellen, und welche finanziellen Mittel sind dafür vorgesehen?Bitte, Herr Staatssekretär.Stolze, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Frage beantworte ich wie folgt. Die Bundesregierung kann jetzt noch nicht entscheiden, ob sie in den nächsten Monaten neues Informationsmaterial veröffentlichen und welches dieses Material im einzelnen sein wird. Es ist z. B. heute vor den endgültigen Haushaltsentscheidungen noch nicht abzusehen, welche Maßnahmen etwa zur aktuellen Unterrichtung der Bürger über Inhalt und Auswirkungen der Haushaltsbeschlüsse in den nächsten Wochen und Monaten erforderlich werden.Im übrigen haben die Ressorts, die nach einem Beschluß des Bundeskabinetts vom 15. Februar 1978 die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung mit dem Bundespresseamt festlegen, die von ihnen beabsichtigten Vorhaben noch nicht in eine gemeinsame Planung eingebracht. Ich kann allerdings anmerken, daß das Bundespresseamt in diesen Tagen die Regierungserklärung von Bundeskanzler Dr. Kohl in einer Auflage von 300 000 Exemplaren ver-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7557
Staatssekretär Stolzeöffentlicht hat und sie auf Anfrage wie auch auf Informationsständen des Amtes, bei Ausstellungen und in Kommunen verteilen wird. Die Produktionskosten dafür betragen 130 000 DM. Seit längerem geplante Neuauflagen der Broschüren „Europa" und „EPZ-Dokumentation" werden weiter produziert und im angemessenen Umfang verteilt.
Zusatzfrage, Herr Kollege Müntefering.
Herr Staatssekretär, vorausgesetzt, Sie kommen zu der Überzeugung, daß bestimmte Broschüren Anfang des Jahres ganz neu aufgelegt werden sollen: Wie hoch werden die Auflagen sein? Richten Sie sich darauf ein, bis zum 6. März jeweils zehn Exemplare auszuliefern, oder wird ein Posten aufgelegt, der für einige Jahre länger reicht?
Stolze, Staatssekretär: Schon jetzt haben wir die Absicht, Broschüren nicht nur in zehn Exemplaren zu verteilen. Wenn ich das vielleicht einmal etwas salopp formulieren darf — ich bitte die Frau Präsidentin um Nachsicht —: schon aus Gründen der Wirtschaftlichkeit ist klar, daß dies bei Broschüren nicht die Absicht sein kann. Ich habe den Grund genannt, warum wir bei Broschüren, die wir gestoppt haben, nicht gesagt haben: null, sondern: bis zu zehn Exemplaren. Wenn wir künftig Broschüren machen, werden wir sie natürlich in einer vernünftig hohen, dem Zweck angemessenen Auflage machen.
Zweite Zusatzfrage.
Darf ich noch einmal nachfragen, Herr Staatssekretär, weil Sie jetzt von einer hohen Auflage sprechen: Wie viele solcher Broschüren denken Sie denn bis zum 6. März absetzen zu können?
Stolze, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich habe die Worte „hohe Auflage" ergänzt durch die Worte „eine dem jeweiligen Zweck angemessene". Aber ich muß mich auf meine erste Antwort beziehen. Ich bin im Augenblick nicht in der Lage, weil ich den Inhalt neuer Broschüren ebensowenig kenne wie die zur Verfügung stehenden Mittel, Ihnen auf diese Frage jetzt eine exakte Antwort zu geben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung die Zurückhaltung, die jeder Bundesregierung durch Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bei der Verwendung von Informationsmaterial für Wahlwerbung auferlegt ist, im Hinblick darauf wahren, daß der Wahltermin noch nicht exakt festliegt. Mit anderen Worten: Ist die Bundesregierung bereit, ihre Zurückhaltung bei der Produktion neuer Werbeschriften davon bestimmen zu lassen, daß sie den 6. März als Neuwahltermin in Aussicht gestellt hat?
Stolze, Staatssekretär: Ich habe bei meinem Amtsantritt als Chef des Bundespresse- und Informationsamtes darauf hingewiesen, daß das Presse-und Informationsamt unter meiner Leitung zu keiner Zeit zu irgendwelchen propagandistischen Zwecken eingesetzt werden wird. Sie haben das Ur- teil des Bundesverfassungsgerichts erwähnt. Es wird — darauf darf ich aufmerksam machen — zu jeder Zeit beachtet werden.
Das Gericht hat im übrigen festgestellt, ein genauer Stichtag für das Gebot äußerster Zurückhaltung in Wahlzeiten lasse sich nicht eindeutig bestimmen. Als Orientierungspunkt könnte natürlich etwa der Zeitpunkt gelten, an dem der Bundespräsident nach § 16 des Bundeswahlgesetzes den Wahl- tag bestimmt. Wie allen Beteiligten bekannt ist, setzt eine solche Bestimmung des Wahltages durch den Bundespräsidenten eine Reihe verfassungsrechtlicher Vorgänge voraus. Wann somit von einer sogenannten Vorwahlzeit gesprochen werden kann, während der das Urteil besondere Zurückhaltung in der Öffentlichkeitsarbeit fordert, wird zu gegebener Zeit zu beantworten sein.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Staatsminister Möllemann steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Frage 8 des Abgeordneten Graf Stauffenberg:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der amtlichen Unterdrückung von Solidarnosc durch das polnische Militärregime?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Graf Stauffenberg, die Bundesregierung verurteilt das Verbot der Gewerkschaft „Solidarität", das allen von der polnischen Führung seit dem 13. Dezember 1981 gemachten Zusagen widerspricht, als schwerwiegenden Verstoß gegen die Schlußakte von Helsinki und andere internationale Abmachungen. Diese Maßnahme der polnischen Regierung wird sich negativ auf die Politik der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und die internationalen Beziehungen auswirken. Die Bundesregierung wird auf dem KSZE-Folgetreffen in Madrid, das am 9. November 1982 wieder aufgenommen wird, zusammen mit ihren Partnern in aller Deutlichkeit dazu Stellung nehmen. Das Verbot der „Solidarität" ist ein weiteres Hindernis für die Wiederherstellung einer normalen Zusammenarbeit mit der Volksrepublik Polen.Entsprechend der gemeinsamen Entschließung des Deutschen Bundestages vom 18. Dezember 1980, dem Kommunique des NATO-Ministerrats vom 11. Januar 1982 und der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 13. Oktober 1982 wird die Bundesregierung weiterhin an die polnische Führung appellieren, das Kriegsrecht aufzuheben, alle Verhafteten freizulassen und das Verbot der „Solidarität" aufzuheben, um so in einem wirklichen Dialog mit der Kirche und der Arbeiterschaft die Lösung der schweren gesellschaftlichen Krise in
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7558 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Staatsminister MöllemannPolen in Angriff zu nehmen. Polen muß in der Lage sein, seine Probleme frei von Druck und jeder Einmischung von außen zu lösen.
Zusatzfrage, Graf Stauffenberg, bitte.
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung im Rahmen der Absprache mit den westlichen Verbündeten auch Konsequenzen in handels- und wirtschaftspolitischer Hinsicht ins Auge fassen?
Möllemann, Staatsminister: Über die Konsequenzen, die zu ziehen sind, sind derzeit Konsultationen im Bündnis im Gang. Da diese noch nicht abgeschlossen sind, kann ich deren Ergebnis hier nicht vorwegnehmen.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? Bitte, Graf Stauffenberg.
Herr Staatsminister, gibt es bereits eine terminliche Begrenzung oder eine absehbare Erwartung, wann diese Gespräche innerhalb des Bündnisses beendet sein könnten?
Möllemann, Staatsminister: Es gibt kein festes Datum, das vorgegeben wäre. Aber es liegt in der Natur der Sache, daß man sich im Bündnis bemüht, möglichst schnell zu einer gemeinsamen Festlegung der weiteren Politik in dieser Richtung zu kommen.
Eine weitere Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Gansel, bitte.
Herr Minister, wird die Bundesregierung ihr Eintreten für Demokratie, Menschenrechte und freie Gewerkschaften, für das ja Polen nur einer der Anwendungsfälle ist, auch gegenüber der Türkei unter Beweis stellen?
Möllemann, Staatsminister: Die Bundesregierung tritt für die von Ihnen genannten Prinzipien weltweit ein.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 9 der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher auf:
Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung bisher unternommen, um die deutsch/italienische Initiative zur Schaffung einer „Europäischen Akte" in der EG durchzusetzen, und mit welchem Ergebnis?
Bitte, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Frau Kollegin, die Bundesregierung mißt der baldigen Verabschiedung der Europäischen Akte höchste Priorität bei. Hierzu heißt es in der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und FDP:
Die Bundesregierung tritt für den politischen
Austausch der Europäischen Gemeinschaft,
insbesondere die baldige Verabschiedung der
deutsch-italienischen Initiative für eine Europäische Akte ein.
Zum selben Thema heißt es in der Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982:
Wir wollen neue Wege zur Einigung Europas öffnen ... Dem politischen Ausbau der Gemeinschaft dient die deutsch-italienische Initiative für eine Europäische Akte. Sie soll eine neue politische Perspektive auf dem Wege zur Europäischen Union geben.
Bundeskanzler Kohl hat sich bei den kürzlichen bilateralen Gesprächen mit der britischen und der französischen Regierung für eine baldige Verabschiedung der Europäischen Akte eingesetzt. Beim Staatsbesuch in Italien hat das Thema „Europäische Einigung", insbesondere die Europäische Akte, bei den Gesprächen des Bundespräsidenten mit Staatspräsident Pertini sowie zwischen den beiden Außenministern eine zentrale Rolle gespielt. Bundesminister Genscher hat zusammen mit Außenminister Colombo vor dem Europäischen Parlament am 14. Oktober den Stand der Arbeiten an der Europäischen Akte erläutert und um Unterstützung geworben. In zahlreichen Tagungen der Ad-hocGruppe sowie in drei Außenministertreffen wurde bisher zum größeren Teil der Akte ein gemeinsamer Zehnertext erarbeitet.
Einige wichtige Fragen sind noch offen. Die Bundesregierung ist jedoch optimistisch und glaubt, daß sich hierzu Lösungen finden lassen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sind Sie nicht meiner Meinung, daß Sie eigentlich meine Frage nicht exakt beantwortet haben? Ich habe nach den konkreten Schritten und nach den konkreten Ergebnissen gefragt. Sie haben so allgemein geantwortet, daß ich davon ausgehe, daß Sie die Frage nicht genau verstanden haben.
Möllemann, Staatsminister: Frau Kollegin, ich habe Ihre Frage so beantwortet, wie sie gestellt war. Die Bundesregierung ist immer bemüht, alle Fragen von Abgeordneten nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister, gehe ich dann recht in der Annahme, daß es bisher weder konkrete Schritte noch konkrete Ergebnisse gegeben hat?Möllemann, Staatsminister: Nein, da irren Sie. Aber wenn Sie wissen wollen, über welche Fragen man sich schon geeinigt hat und über welche noch nicht, kann ich Ihnen dies sagen. Man hat sich bereits geeinigt über die Zusammenführung von EG und EPZ unter einem gemeinsamen Dach, über die Lenkungsfunktion des Europäischen Rates, die
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7559
Staatsminister MöllemannEinbeziehung des Bereichs Kultur, über die Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität in der Zusammenarbeit und über die Fortschreibung der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit. Offen sind noch die Fragen, wie die Rolle des Europäischen Parlaments konkret zu stärken ist, sowie das Beschlußverfahren im Rat und schließlich eine Revisionsklausel.
Dazu ist keine Zusatzfrage mehr möglich.
Ich rufe die Frage 10 der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher auf:
Welche Schritte gedenkt die Bundesregierung in nächster Zeit konkret zu unternehmen, um die von der früheren Regierung initiierte „Europäische Akte" in der EG zur Entscheidung zu bringen?
Wenn Sie noch Fragen haben, können diese mit einbezogen werden.
Bitte, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Der Bundeskanzler und der Bundesminister des Auswärtigen werden sich weiterhin bei bi- und multilateralen Gesprächen mit Regierungspartnern der Zehn für eine baldige Verabschiedung der Europäischen Akte einsetzen. Zur weiteren Behandlung der Europäischen Akte gilt für die Bundesregierung das Mandat der Außenminister vom 20. Juni dieses Jahres an deren persönliche Beauftragte, die Arbeiten am Text der Akte fortzusetzen. Es ist geplant, daß die Präsidentschaft auf dem bevorstehenden Europäischen Rat Anfang Dezember in Kopenhagen über den Stand der Arbeiten an der Europäischen Akte berichtet. Ziel der Bundesregierung ist es, die Europäische Akte unter deutscher Präsidentschaft im ersten Halbjahr 1983 auf einem Europäischen Rat zu verabschieden.
Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister, Sie haben vorhin drei sehr entscheidende Punkte genannt, in denen keine Einigung erzielt wird. Glaubt die Bundesregierung überhaupt an die Durchsetzbarkeit dieser drei offenen Punkte?
Möllemann, Staatsminister: Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß jedenfalls die Europäische Akte so, wie sie initiiert worden ist, einen wichtigen Beitrag zur europäischen Einigung darstellt, und sie weiß, daß dabei die Lösung der Fragen, die ich hier als noch offen angesprochen habe, natürlich von Bedeutung ist.
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und natürlich ganz besonders diejenigen, die mit der Materie, auf welcher Seite des Hauses auch immer, befaßt waren und sind, wissen natürlich - ich bin sicher, Frau Kollegin, das wissen Sie aus Ihrer langjährigen Erfahrung mehr als ich -,
daß in den Bereichen der Rolle des Europäischen
Parlaments wie auch vor allen Dingen in der Frage
der Mehrheitsbeschlüsse eine Einigung nicht ganz einfach ist.
Noch eine Zusatzfrage, bitte.
Frau Präsidentin, ich möchte den Herrn Staatsminister gern fragen, ob es nicht vielleicht realistischer wäre, wenn man statt des etwas pompösen Begriffes „Europäische Akte" lieber versuchte, in solchen Einzelproblemen im europäischen Einigungsprozeß voranzukommen.
Möllemann, Staatsminister: Der Begriff „Europäische Akte" wurde von der Regierung Schmidt/Genscher festgelegt, der z. B. Sie angehört haben, Frau Kollegin. Ich bin für die Schöpfung dieses Begriffes persönlich nicht verantwortlich, aber mir gefällt er trotzdem.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 11 des Abgeordneten Dr. Hupka wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:
Wurde die Bundesregierung über die von verschiedenen Presseorganen gemeldete Absicht Frankreichs informiert, die Neutronenbombe zu bauen, und was hat sie erfahren?
Bitte, Herr Staatsminister. Möllemann, Staatsminister: Nein.
Zusatzfrage, Abgeordneter Thüsing.
Sie schließen also aus, Herr Staatsminister, daß bei den mehrmaligen Begegnungen zwischen Bundeskanzler Kohl, dem französischen Staatspräsidenten und entsprechenden Regierungsmitgliedern über dieses Thema gesprochen wurde?
Möllemann, Staatsminister: Ja.
Zweite Zusatzfrage? - Nein.
Herr Abgeordneter Gansel zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, kann ich Ihre knappe, aber scheinbar unmißverständliche Antwort so verstehen, daß die Erklärung des französischen Staatspräsidenten gegenüber dem Bundeskanzler — darf ich, Frau Präsidentin, aus der Erklärung des französischen Präsidenten zitieren? —, ...
Wenn es nicht zu lang ist, bitte.
... „daß die spezifisch deutschen Sicherheitsprobleme, die von Frankreich abhängen, im voraus von Deutschland und Frankreich geprüft werden müssen", von der Bundesregierung so aufgenommen worden ist, daß sie es nicht für notwen-
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7560 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Ganseldig erachtet, sich in diesem Zusammenhang Klarheit über die französische Produktionsentscheidung über eine Neutronenbombe zu verschaffen?Möllemann, Staatsminister: Dann haben Sie meine Antwort auf die Frage falsch verstanden.
Ich habe nur festgestellt, daß die Bundesregierung über eine entsprechende Absicht Frankreichs nicht informiert worden ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Herberholz.
Herr Staatsminister, wären Sie bereit, die Pressemeldungen so aufzunehmen, daß die Bundesregierung sich vielleicht bewegt fühlen könnte, bei der französischen Regierung nachzufragen und sich informieren zu lassen, ob Frankreich vorhat, die Neutronenwaffe zu bauen?
Möllemann, Staatsminister: Ich kann mir vorstellen, daß dieses Thema im Zuge der geplanten verstärkten politischen Konsultationen demnächst erörtert werden wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing. Das ist Ihre zweite Zusatzfrage zu der eingereichten Frage. Sonst ginge das nicht mehr.
Herr Staatsminister, vor dem Hintergrund Ihrer außerordentlich kurzen Antwort und angesichts der Tatsache, daß ich in meiner Frage gemäß den Richtlinien über die Fragestunde eine zweite Unterfrage gestellt habe, darf ich fragen, was die Bundesregierung erfahren hat, denn das steht in meiner Frage.
Möllemann, Staatsminister: Zu dem Thema, das den ersten Teil Ihrer Frage ausmacht, nämlich ob die Bundesregierung über die von verschiedenen Presseorganen gemeldete Absicht Frankreichs informiert worden sei, die Neutronenbombe zu bauen, kann ich Ihnen sagen, daß die Bundesregierung, da sie nicht informiert worden ist, dementsprechend nichts erfahren hat.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Roth.
Darf ich Ihre Antwort zu dem Thema so verstehen, daß trotz der Veröffentlichungen in der französischen Presse und der Wiedergabe in der deutschen Presse für die Bundesregierung kein Informationsbedürfnis hinsichtlich der französischen Planung bestand?
Möllemann, Staatsminister: Für die Bundesregierung hat ein sehr komplexes Informationsbedürfnis über viele Fragen der bilateralen Zusammenarbeit bestanden. In dieser Frage gab es zum jetzigen Zeitpunkt keine Information und auch keine Aussprache.
Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister, Sie haben vorhin gesagt, Sie könnten sich vorstellen, daß das Gegenstand von Konsultationen werden müßte. Aber Sie sprechen hier j a nicht als Privatperson; ich frage Sie daher ganz konkret: Wird die Bundesregierung die Frage des Baus einer Neutronenbombe in Frankreich in die Konsultationen mit einbeziehen?
Möllemann, Staatsminister: Ich gehe davon aus, Frau Kollegin, daß bei den weiteren vor uns liegenden sicherheitspolitischen Konsultationen auch dieses Thema von seiten der Bundesregierung und von seiten der französischen Regierung erörtert werden wird.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Staatsminister, würden Sie mir darin zustimmen, daß die Sache doch sehr eilbedürftig ist, und könnten Sie mir weiterhin Angaben über die Terminvorstellung der Bundesregierung, wann sie denn nun endlich in bezug auf dieses uns doch sehr berührende Thema tätig werden möchte, machen? Könnten Sie mir darauf vielleicht eine Antwort geben?
Möllemann, Staatsminister: Ich kann die Eilbedürftigkeit, die Sie hier in Ihrer Frage unterstellt haben, weder bejahen noch verneinen, denn Pressepublikationen, auf die in der Frage abgehoben worden ist, gibt es über die Absicht der französischen Regierung und ihre Fähigkeit, die Neutronenwaffe zu bauen, schon seit mindestens zwei Jahren. Mir ist nicht bekannt, daß in den letzten zwei Jahren gegenüber der vorigen Bundesregierung beispielsweise eine entsprechende Eilbedürftigkeit artikuliert worden wäre, was ja möglich gewesen wäre. Von daher bleibe ich also dabei: bei den weiteren sicherheitspolitischen Konsultationen wird dieses Thema erörtert werden.
Ich rufe die Frage 95 des Abgeordneten Stutzer auf:
Ist der Bundesminister des Auswärtigen bereit, anläßlich seines nächsten Besuchs bei der italienischen Regierung wegen der vor allem in Norditalien betriebenen Vogeljagd vorstellig zu werden und über das Ergebnis dieses Gesprächs den Bundestag zu unterrichten?
Bitte, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Der Herr Bundesminister des Auswärtigen ist bereit, bei passender Gelegenheit bei dem italienischen Außenminister darauf zu drängen, daß Italien durch umfassende Anwendung der EGVogelschutzrichtlinie der Tötung von Singvögeln Grenzen setzt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stutzer.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß eine von der italienischen Regierung erstellte Liste geschützter Vögel wenigstens
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7561
Stutzer1 zum Teil von einigen Regionalregierungen außer Kraft gesetzt wurde; wenn ja, um welche Regionen handelt es sich hier?Möllemann, Staatsminister: Ich bedaure. Das kann ich nicht bestätigen, aber auch nicht dementieren. Das weiß ich schlicht nicht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stutzer.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß in Italien pro Jahr etwa 250 bis 300 Millionen Zug- und Singvögel getötet werden; wenn nein, würden Sie hierüber einen Bericht unserer Vertretung anfordern und mir über den Inhalt dieses Berichtes Kenntnis geben?
Möllemann, Staatsminister: Ich bin gerne bereit, diesen Bericht anzufordern und Ihnen dann zuzuleiten.
Ich rufe die Frage 96 des Abgeordneten Stutzer auf:
Inwieweit ist in der Vergangenheit auf diplomatischen Kanälen versucht worden, auf die italienische Regierung dahin gehend einzuwirken, daß der Vogeljagd auch in der Praxis ein Ende bereitet wird?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, bekanntlich ist in Italien die Jagd auf Vögel auch stark in der Tradition verwurzelt.
Der Bundesregierung ist das Engagement vieler deutscher Bürger bekannt, die sich seit zehn Jahren sowohl aus Gründen des Tierschutzes wie aus Gründen der Arterhaltung für eine Beendigung dieser Jagdsitten einsetzen.
Mitglieder der Bundesregierung und andere deutsche Politiker haben sich wiederholt ihren italienischen Gesprächspartnern gegenüber für eine wirksame Vogelschutzpolitik in Italien ausgesprochen. Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie die Vorsitzenden der Fraktionen im Bundestag haben sich bereits 1975/1976 an den italienischen Landwirtschaftsminister bzw. an die Fraktionsvorstände im italienischen Parlament mit der dringenden Bitte gewandt, sich für entsprechende Verbesserungen der italienischen Jagdgesetzgebung besonders einzusetzen. Bedauerlicherweise sind alle bisherigen Interventionen ohne sichtbaren Erfolg geblieben.
Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ist durch die Verabschiedung der Richtlinie der EG zur Erhaltung der wildlebenden Vogelarten am 1. April 1979 ein neuer Rahmen gesetzt worden, der entsprechende Korrekturen der Jagdgesetzgebung in Italien erwarten ließ. Am Zustandekommen der EGVogelschutzrichtlinie hat die Bundesregierung einen erheblichen Anteil. Die Überwachung der tatsächlichen Umsetzung der Richtlinie in nationales italienisches Recht ist Sache der EG-Kommission in Brüssel. Bedauerlicherweise hat die Kommission kürzlich feststellen müssen, daß die Vogelschutzrichtlinie in Italien nicht in befriedigender Weise angewendet wird. Sie hat deshalb in Erfüllung ihrer Aufgaben ein Verstoßverfahren eingeleitet.
Die Bundesregierung hält das Tätigwerden der EG-Kommission für den angemessenen Weg, die italienische Regierung zu den erforderlichen Maßnahmen zu bewegen. Die Bundesregierung hofft und erwartet, daß sich die italienische Regierung zu wirksamen Schritten entschließt und daß sich auch im Bewußtsein der italienischen Bevölkerung die Erkenntnis durchsetzt, daß die Erhaltung der bedrohten Vogelarten jetzt im Vordergrund stehen sollte.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stutzer.
Herr Staatsminister, nachdem Sie meine erste Zusatzfrage nicht beantworten konnten, habe ich die Bitte: Könnten Sie auch in diesem Zusammenhang einen Bericht unserer Vertretung anfordern und mir dann darüber berichten?
Möllemann, Staatsminister: Ja, selbstverständlich. Vizepräsident Frau Renger: Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß es sich bei dieser Vogel-j agd nicht um ein rein nationales Problem handelt, sondern daß auf EG-Ebene verstärkt auf Italien eingewirkt werden müßte, zumal sich unter diesen getöteten Tieren überwiegend Zugvögel befinden?
Möllemann, Staatsminister: Die Bundesregierung teilt Ihre Auffassung und hat deshalb begrüßt, daß die EG-Kommission jetzt im genannten Sinne tätig geworden ist.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Staatsminister, darf ich davon ausgehen — nach der Länge Ihrer Antwort zu urteilen und nach dem Engagement —, daß es die Bundesregierung für sehr viel eilbedürftiger hält, sich um die Singvögel zu kümmern, als sich nach dem Bau der Neutronenbombe zu erkundigen?
Möllemann, Staatsminister: Nein, Frau Kollegin, die Länge einer Antwort hat nichts mit der Eilbedürftigkeit des damit beschriebenen Problems zu tun.
Dazu gibt es keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Häfele steht zur Beantwortung zur Verfügung.Ich rufe Frage 55 des Herrn Abgeordneten Poß auf:Wann gedenkt die Bundesregierung, die Novelle zum Kreditwesengesetz in die parlamentarischen Beratungen einzubringen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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7562 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Herr Kollege Poß, das Bundesministerium der Finanzen hat am 26. Oktober dieses Jahres, also vorgestern, zu dem seit Ende Juni 1982 vorliegenden Referentenentwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen — so heißt der Entwurf — die Verbände angehört. Nunmehr wird der Entwurf unter Verwertung der Verbandsstellungnahmen überarbeitet und zwischen den Ressorts abgestimmt. Es ist nicht beabsichtigt, den Entwurf noch bis zum März 1983 den gesetzgebenden Körperschaften zur Beschlußfassung vorzulegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Poß.
Herr Staatssekretär, können Sie ungeachtet der Überarbeitung, die im November stattfinden wird, jetzt schon die Frage nach der Beurteilung der Eigenkapitalsurrogate beantworten? Wird die Bundesregierung diese ablehnen oder zum Teil befürworten, und wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang den Entwurf des Landes Baden-Württemberg?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: In dieser Frage hat sich die Bundesregierung — auch das Bundesministerium der Finanzen — noch keine Meinung gebildet. Sie wird in den kommenden Monaten geprüft.
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, tragen Sie sich möglicherweise mit der Absicht, die Frage der Konsolidierung der Bankbilanzen gesondert zu behandeln und vorzuziehen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Genau das wird der Schwerpunkt der Überprüfung sein, weil hier in der Tat ein besonderes dringendes Interesse besteht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schlatter.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von der sorgfältigen Abstimmung mit den Verbänden. Plant die Bundesregierung in diesem Zusammenhang, das zwischen der Bankenaufsicht und den Geschäftsbanken praktizierte gentlemen's agreement in der Frage der Bilanzkonsolidierung jetzt zur Grundlage des Gesetzgebungsverfahrens zu machen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Es wird genau zu beobachten sein, ob dieses agreement ausreichend ist oder noch verbessert werden kann. Das, was hier bisher vereinbart wurde, können nur erste Ansätze zu weiteren Schritten sein.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe Frage 56 auf. Sie wird auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Immer , schriftlich beantwortet, und die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe Frage 57 der Abgeordneten Frau Dr. Martiny-Glotz auf:Sind der Bundesregierung die Schwierigkeiten jener Kreditnehmer bekannt, die für Ratenkredite im Fall von unvorhersehbaren Notlagen wie Arbeitslosigkeit und Krankheit bei Verzug überhöhte Zinsen und Gebühren zahlen müssen, und kann diesen Kreditnehmern schnell und wirksam geholfen werden?Bitte sehr, Herr Staatssekretär.Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Dr. Martiny-Glotz, der Bundesregierung ist bekannt, daß Bürger, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, häufig auch Probleme mit der Abwicklung von Ratenkrediten haben. Dabei können auch überhöhte Zinsen und Gebührenforderungen im Verzugsfall eine Rolle spielen.Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit solcher Abreden ist im Streitfall den Gerichten vorbehalten. Gegen überhöhte Zinsen und Gebühren bei Verzug hält unser Zivilrecht ein breites Instrumentarium bereit.Nach § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuches sind sittenwidrige und vor allem wucherische Rechtsgeschäfte nichtig.Die §§ 248 und 289 BGB sehen ein Zinseszinsverbot vor.Nach § 9 des Gesetzes über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind solche Klauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, die den Kunden entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Das wird für die hier interessierenden Fälle in verschiedenen Vorschriften dieses Gesetzes noch konkretisiert.So sind nach § 10 Nr. 7 des Gesetzes über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen Klauseln unwirksam, die bei Rücktritt oder Kündigung eine unangemessen hohe Vergütung für erbrachte Leistungen oder einen unangemessen hohen Ersatz von Aufwendungen vorsehen.§ 11 Nr. 5 dieses Gesetzes sieht die Unwirksamkeit von Klauseln vor, die überhöhten pauschalierten Schadenersatz beinhalten.Schließlich ist nach § 11 Nr. 6 dieses Gesetzes eine Vertragsstrafe für den Fall des Zahlungsverzugs unwirksam.Die damit gegebenen, bereits heute bestehenden Möglichkeiten wahrzunehmen, ist Sache des Kreditnehmers selbst. Sie werden allerdings zur Zeit nicht immer voll ausgeschöpft. Ob in Zukunft noch weitere Regelungen zum Schutze des Kreditnehmers entwickelt werden müssen, kann zur Zeit nicht abschließend beurteilt werden.Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß wirtschaftliche Schwierigkeiten einzelner Bürger Auswirkungen auf all ihre finanziellen Verpflichtungen haben. Gerade die Ratenkreditverpflichtungen für eine Sonderbehandlung herauszugreifen wäre eher problematisch.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7563
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt — wenn das nicht der Fall ist, würden Sie dem nachgehen und mir das Ergebnis schriftlich zuleiten —, wie hoch in dem ganzen Kontext, den Sie ausgeführt haben, die Zahl der vor Gericht ausgefochtenen Streitfälle und wie hoch die von den Juristen und Forschungsinstituten gemutmaßte Dunkelziffer entsprechender Fälle ist?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Soweit wir das mit halbwegs vertretbarem Verwaltungsaufwand feststellen können, will ich Ihnen das gerne schriftlich mitteilen.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, die von uns allen beklagte gestiegene Arbeitslosigkeit führt in vielen Fällen gerade bei solchen Leuten zu akuten Notlagen, die sich mit Krediten übernommen haben. Daran ist ja nicht immer unbedingt das Individuum selber schuld, sondern das liegt an der Wirtschaftssituation, die wir sicherlich alle gemeinsam beklagen und ändern wollen. Ist auf Grund dieses Tatbestandes in diesem Bereich nicht eine Regelungsnotwendigkeit gegeben?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe Ihnen die verschiedenen Möglichkeiten genannt, die das Recht zur Verfügung stellt. Ich glaube, wir sollten zunächst einmal das vorhandene Recht möglichst ausschöpfen, was bisher sicherlich nicht in ausreichendem Maße geschieht. Ich warne vor der Gefahr einer Überreglementierung.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.
Ist der Bundesregierung bewußt, daß Leute, die plötzlich arbeitslos werden, unter Umständen auch panisch reagieren und die von Ihnen beschriebenen — sicher vernünftigen und gesicherten — Wege dann eben nicht in Anspruch nehmen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Das ist sicher verständlich. Bloß, Frau Kollegin, wenn wir die Gesetze auch bis ins letzte perfektionieren, werden sie trotzdem, glaube ich, nicht unbedingt immer so genutzt. Jetzt sind schon genügend Möglichkeiten vorhanden.
Ich rufe die Frage 58 der Abgeordneten Frau Blunck auf:
Wie sind nach Meinung der Bundesregierung die höheren Zinsen und Gebühren bei vermittelten Ratenkrediten und Krediten der Teilzahlungsbanken erklärbar, und sind z. B. die Ausfallrisiken bei den ausgegebenen Krediten der Teilzahlungsbanken wesentlich höher als bei denen der Sparkassen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich darf Ihre Frage, Frau Blunck, so beantworten: Preise sind in der Marktwirtschaft grundsätzlich ein Ergebnis von
Angebot und Nachfrage. Das gilt auch für vermittelte Ratenkredite und für Kredite von Teilzahlungsbanken. Jedem Kreditanbieter ist es selbst überlassen, zu entscheiden, welche Elemente er in die Kalkulation seines Angebots aufnimmt. Bei Ratenkreditangeboten einschließlich solcher der Teilzahlungsbanken werden unter anderem Refinanzierungskosten und Risikoelemente eine gewichtige Rolle spielen, bei vermittelten Krediten zudem die Vermittlungsprovision.
Da bei uns die Preise der Banken weder staatlich festgesetzt noch kontrolliert werden — wir haben freie Zinsbildung —, werden weder die genannten noch andere denkbare Elemente der Angebotskalkulation der Kreditinstitute systematisch erfaßt. Ob und gegebenenfalls inwieweit Zinsdifferenzen zwischen verschiedenen Kreditinstituten akzeptiert werden, entscheidet der Verbraucher. Die Bundesregierung kann sich nur um mehr Durchsichtigkeit bemühen. Dem dient vor allem die Verordnung über Preisangaben.
Speziell zum Ausfallrisiko der Teilzahlungsbanken im Verhältnis zu dem der Sparkassen hat mir das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen mitgeteilt, daß ihm hierüber keine Vergleichszahlen vorlägen, daß insbesondere eine einheitliche Aussage zur Risikosituation bei Teilzahlungsbanken nicht möglich sei.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Staatssekretär, ich hätte von Ihnen gerne etwas Konkretes zu der Frage gehört: Wie kommt es denn eigentlich zu diesen höheren Ausfallrisiken? Liegen insoweit Erkenntnisse vor?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Natürlich liegen Erkenntnisse vor. Bloß, wir müssen in der Marktwirtschaft natürlich auch die Situation des Verbrauchers sehen. Man kann dem Verbraucher nur raten, möglichst nach dem alten Grundsatz zu verfahren: Trau, schau, wem. Die Aufsichtsbehörden haben dann auf Grund der gesetzlichen Vorschriften die Möglichkeiten der Überprüfung.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte, Frau Blunck.
Wenn Sie sagen „Es liegen Erkenntnisse vor", dann möchte ich jetzt gern fragen: Welche Erkenntnisse liegen vor?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wenn Sie konkrete Einzelheiten über das hinaus, was ich Ihnen schon gesagt habe, wissen wollen, will ich sie Ihnen gern im Hinblick auf die Frage, die Sie anschneiden, mitteilen.
Zusatzfrage, Frau Dr. Martiny-Glotz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, ich glaube, Sie haben die Gruppe von Verbrauchern,
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Frau Dr. Martiny-Glotznach denen wir uns hier so nachdrücklich erkundigen, noch nicht ganz richtig im Visier. Es handelt sich nämlich um besonders schlecht ausgebildete, sehr marktungewandte Leute, die noch dazu der Meinung aufsitzen, daß, wenn sie zum Kreditvermittler gehen, also nicht in die Sparkasse, sie mit größerer Anonymität, aber genauso seriös bedient werden. Welche Art von Informationsmöglichkeit schwebt Ihnen als Bundesregierung vor, in diesem Bereich vorhandene Mißstände abzustellen?Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich hoffe, daß Ihre Frage und die Antworten darauf einen Beitrag dazu leisten, daß hier aufgeklärt wird.
Ich rufe die Frage 59 der Frau Abgeordneten Weyel auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß ausländische Kreditinstitute, z. B. aus Liechtenstein, in der Bundesrepublik Deutschland Ratenkredite über Kreditvermittler vertreiben und dabei weit überhöhte Forderungen geltend machen, und welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um die Verbraucher vor den Geschäftspraktiken bestimmter ausländischer Kreditinstitute und mit diesen zusammenarbeitenden Kreditvermittlern und Inkassobüros wirksam zu schützen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Antwort, Frau Kollegin Weyel, lautet: Ausländische Kreditinstitute dürfen in der Bundesrepublik Deutschland für ihre Leistungen werben, und die Bürger der Bundesrepublik dürfen — sei es direkt, sei es über Vermittler — Geschäfte mit ausländischen Kreditinstituten abschließen. Der Bundesregierung ist bekannt, daß diese Möglichkeiten genutzt werden. Welche Konditionen bei solchen Geschäften vereinbart werden, ist der Bundesregierung im einzelnen nicht bekannt.
Auch für diese Verträge gilt typischerweise deutsches Recht. Selbst wenn aber die Geltung ausländischen Rechts vereinbart sein sollte, was im Einzelfall möglich ist, sind nach § 12 des Gesetzes über Allgemeine Geschäftsbedingungen die Vorschriften dieses Gesetzes gleichwohl zu berücksichtigen, wenn der Vertrag auf Grund eines öffentlichen Angebots oder einer öffentlichen Werbung in der Bundesrepublik zustande kommt und der Kunde hier auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat und seine Willenserklärung hier abgibt.
Für öffentliche Werbung ebenso wie für das geschäftsmäßige Anbieten von Leistungen in der Bundesrepublik Deutschland gilt auch gegenüber Ausländern die Verordnung über Preisangaben. Für deutsche Kreditvermittler gilt zudem die Makler-und Bauträgerverordnung. Danach ist der Kunde vom Kreditvermittler vor Abschluß des Vertrags über die wesentlichen Daten nicht nur des Vermittlungsvertrags, sondern auch des eigentlichen Kreditvertrags zu unterrichten.
Man kann daher insgesamt sagen, daß auch für die von Ihnen angegebenen Fälle typischerweise das einschlägige deutsche Verbraucherschutzrecht gilt. Zu dessen weiterer Verbesserung dient der Entwurf eines Gesetzes über Maklerverträge, der
dem Deutschen Bundestag als Drucksache 9/1633 vorliegt.
Die Bundesregierung wird laufend beobachten und prüfen, welche Fortentwicklung des Verbraucherschutzrechts erforderlich ist. Dabei sollte der Fortentwicklung eines kritischen Verbraucherverhaltens der angemessene Raum belassen werden.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.
Ist es zutreffend, daß das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen keine Möglichkeit hat, die Praktiken ausländischer Kreditgeber zu prüfen, und sieht die Bundesregierung eine Notwendigkeit oder eine Möglichkeit, das zu ändern?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wir dürfen die Möglichkeiten der Aufsichtsbehörde nicht überfordern.
Zweite Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.
Halten Sie — unter Bezugnahme auf Ihre letzte Antwort — den Schutz der Verbraucher nicht für so wesentlich, daß Sie eine solche Aufsichtstätigkeit des Aufsichtsamts für das Kreditwesen als „Überforderung" dieses Aufsichtsamts betrachten?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Nein, Frau Kollegin. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß der Verbraucherschutz ein wichtiges Anliegen ist. Deswegen haben wir ja eine Fülle von Vorschriften. Einen Teil davon habe ich vorhin dargestellt.
Bloß: Wir dürfen nicht dem Irrglauben aufsitzen, also ob alles und jedes auf dieser Welt durch noch mehr Vorschriften zu verhindern wäre. Wir müssen auch ein bißchen auf das kritische Verbraucherverhalten der einzelnen setzen. Das wird eine Behörde nie ganz ausgleichen können.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Martiny-Glotz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, haben Sie Kenntnisse oder könnten Sie mir in Mutmaßungen ergänzend zur Seite stehen, welche Gründe ausländische Kreditgeber veranlassen könnten, über Liechtenstein oder Luxemburg ihre Kreditgebergeschäfte in Deutschland abzuwickeln?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich habe allenfalls Mutmaßungen; Kenntnisse habe ich keine.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büchner.
Herr Staatssekretär, würde sich denn die Bundesregierung selbst angesichts ihres in letzter Zeit in besonderem Maße gestiegenen Kreditbedarfs solcher Institute bedienen?
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7565
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung? — Wir haben nicht die Absicht, gewisse Usancen vorhergehender Bundesregierungen, sehr viel Geld im Ausland aufzunehmen, fortzusetzen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt .
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, über Ihre Antwort auf die hier anstehenden Fragen hinaus noch durch zusätzliche Verbraucherinformationen die Kritikfähigkeit der Konsumenten, der Kreditnehmer, zu stärken und ihre Position auf dem Markt durch zusätzliche Informationen der Bundesregierung zu verbessern?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, jede Information ist hier erwünscht, um die Verbraucher möglichst kritisch zu machen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Auch.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin in einer Antwort an die Kollegin Blunck den Verbrauchern empfohlen — „trau, schau, wem", so haben Sie formuliert —, möglichst kritisch zu sein. Wie verträgt sich diese Empfehlung mit Ihrer Aussage, daß man die Möglichkeiten der Aufsicht nicht überfordern dürfe?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich habe betont, daß wir sehr gute Möglichkeiten der Aufsicht haben, die j a im Rahmen der Gesetze auch genutzt werden sollen. Ich habe nur vor dem Irrglauben gewarnt, als ob das alles lösen könne. Wir brauchen den kritischen Verbraucher wie den kritischen Wähler.
Ich rufe die Frage 60 der Frau Abgeordneten Weyel auf:
In welchem Ausmaß werden die Kreditnehmer durch Kreditvermittler über den eigentlichen Darlehensgeber getäuscht, und sieht die Bundesregierung eine Notwendigkeit dafür, daß der Kreditnehmer über den Namen und Sitz des Geldgebers vor Abschluß des Kreditvertrags informiert wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Frau Weyel, ich darf Ihre Frage beantworten: Die Bundesregierung hält es für notwendig, daß Darlehensvermittler ihre Kunden vor Vertragsschluß u. a. über Namen, Vornamen und Anschrift des Darlehensgebers schriftlich unterrichten. Sie hat sie deshalb dazu durch § 11 Nr. 2 in Verbindung mit § 10 Abs. 3 Nr. 4 der Makler- und Bauträgerverordnung verpflichtet. Die Überwachung der Einhaltung dieser Vorschrift ist Sache der Länder. Der Bundesregierung ist von Täuschungen der Kreditnehmer durch Kreditvermittler über den eigentlichen Darlehensgeber nichts bekannt.
Ergänzend weise ich darauf hin, daß auch der dem Deutschen Bundestag als Drucksache 9/1633 vorliegende Entwurf eines Gesetzes über Makler-
verträge in § 655 a BGB eine derartige Verpflichtung vorsieht.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß der normale Verbraucher diese komplizierten Zusammenhänge durchschaut und überhaupt sieht, wer sein eigentlicher Kreditgeber ist, und sind Sie nicht auch der Meinung, daß der Verbraucher, wenn er dies alles wüßte, vielleicht doch lieber zu seiner Bank um die Ecke gehen würde, als etwa einen Kredit bei den Saudis oder ähnlichen Leuten zu nehmen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Das mag durchaus der Fall sein. Vielleicht trägt auch Ihre Frage dazu bei, daß hier mehr kritische Wachsamkeit einsetzt.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? — Bitte, Frau Kollegin.
Hat die Bundesregierung einen Überblick darüber, wie groß der Umfang der Geschäfte ausländischer Kreditgeber mit privaten Kreditnehmern ist und wie hoch die Zinssätze im allgemeinen sind, und wären Sie bereit — ich nehme an, daß Sie das nicht so ohne weiteres aus dem Handgelenk schütteln können —, mir das schriftlich zuzustellen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich kann mir vorstellen, daß das nicht ganz leicht zu ermitteln sein wird. Aber sofern wir das halbwegs können, will ich Ihnen das gern schriftlich mitteilen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Martiny-Glotz.
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Herr Staatssekretär, ich glaube, Sie sind über die Form, wie solche Geschäfte abgewickelt werden, nicht ganz richtig informiert. Deshalb darf ich Sie fragen, ob es nicht so ist, wie ich glaube, daß es ist, daß zwar der Kreditvermittler Namen und Anschrift natürlich sagen muß und auch sagen muß, daß er das Geschäft annimmt und zu welchen Bedingungen er es annimmt, daß er aber beileibe nicht sagen muß, woher er das Geld hat, so daß also der einzelne kleine Arbeiter, der sich 5 000 DM fürs Schlafzimmer leihen will, letztlich nicht weiß, von welchen Geldgebern, die weiß Gott wo sitzen, er sein Geld hat.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich empfehle die Einhaltung der bestehenden Vorschriften und kritische Wachsamkeit.
Ich rufe die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Diederich auf:Sind der Bundesregierung der Umfang und die Ursachen der Verbraucherbeschwerden über Kreditverträge bei den Verbraucherorganisationen, dem Petitionsausschuß oder dem Aufsichtsamt für das Kreditwesen bekannt, und wie
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7566 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Vizepräsident Frau Rengerkönnte eine Auswertung dieser Beschwerden für einen vorbeugenden Verbraucherschutz stärker als bisher genutzt werden?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Diederich, die Eingaben von Bürgern über Kreditverträge bei Verbraucherorganisationen sind der Bundesregierung nicht bekannt, wohl aber diejenigen beim Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages oder bei der Bundesregierung und den ihr nachgeordneten Behörden.Wie der Petitionsausschuß, so haben auch die Bundesregierung und das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen bei Eingaben mit Kreditverträgen praktisch keine Einwirkungsmöglichkeiten, sondern können regelmäßig nur auf den Rechtsweg verweisen, weil weder der Petitionsausschuß noch der Bundesminister der Finanzen oder das zu seinem Geschäftsbereich gehörende Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen in Rechtsstreitigkeiten zwischen Kreditinstituten und ihren Kunden der Entscheidung der ordentliche Gerichte vorgreifen darf. Sie können daher mangels entsprechender Befugnisse auch nicht den jeweiligen Sachverhalt mit der für eine sorgsame Analyse erforderlichen Genauigkeit aufklären. Deshalb erscheint eine Auswertung dieser Eingaben für einen vorbeugenden Verbraucherschutz wenig hilfreich.Nicht zuletzt deshalb hat der Bundesminister der Justiz eine empirische Untersuchung zur Praxis des Konsumentenkredits in der Bundesrepublik Deutschland durchführen lassen, um rechtstatsächliche Grundlagen und Entscheidungshilfen für die Verhandlungen über die EG-Richtlinie zum Konsumentenkredit und die sich anschließende innerstaatliche Regelung zu gewinnen. Diese Untersuchung liegt inzwischen vor.
Frau Martiny-Glotz, eine Zusatzfrage, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, ich hatte Ihren Kollegen vorhin schon gefragt, ob es bestimmte Kreditvermittler und bestimmte Teilzahlungsbanken gibt, die immer wieder auffallen. Er hat dies bestätigt. Könnten Sie sich nicht vorstellen, daß sich — entsprechend wie die Schufa das in bezug auf unseriöse Kreditnehmer tut — der Einsatz von Datentechnik auch empfehlen würde, um einmal zu erfassen, welche Teilzahlungsbanken und welche Kreditvermittler immer wieder auffallen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Es wird im Rahmen der Gesetze alles versucht, damit es hier ordentlich zugeht.
Die Frage 62 wird auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Heyenn, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 63 der Frau Abgeordneten Blunck auf:
Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Selbsthilfeorganisationen oder gewerkschaftlich orientierte Institutionen, die in Not geratenen Kreditnehmern Umschuldungskredite zu erträglichen Konditionen vermitteln können, oder müßten solche Institutionen initiiert und eventuell mit staatlichen Mitteln in der Anfangsphase gefördert werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Frau Blunck, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Derartige Institutionen sind der Bundesregierung nicht bekannt. Ihre eventuelle Schaffung muß der Privatinitiative überlassen bleiben. Bundesmittel können dafür nicht freigemacht werden. Das Gesetz hilft den betroffenen Kreditnehmern durch Pfändungsfreigrenzen. Außerdem sind die Banken meines Wissens in Härtefällen im allgemeinen bereit, über realistische Lösungsvorschläge mit sich reden zu lassen und ihren Kunden z. B. durch Tilgungsstreckung entgegenzukommen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Blunck.
Darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß die neue Bundesregierung ihrer Fürsorgepflicht gegenüber dem Verbraucher doch nur sehr zögerlich nachkommt und für sie der Schwerpunkt mehr auf der Seite der Kreditgeber und deren Schutz liegt?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Nein, Frau Kollegin, das dürfen Sie nicht daraus schließen. Die neue Bundesregierung setzt die Gesetze, die teilweise von der alten Bundesregierung stammen, in die Tat um.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büchner.
Herr Staatssekretär, könnten Sie sich nach Ihrem Verständnis von Marktwirtschaft nicht vorstellen, daß die Bundesregierung solchen Institutionen, die in Notgeratenen Kreditnehmer helfen würden, dann mit öffentlichen Mitteln eventuell ebenso unter die Arme greift, wie es Bundes- und Landesregierung dann tun, wenn große Unternehmen in Not geraten sind?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich finde es sehr verdienstvoll, daß solche Institutionen hier helfen. Sie kennen aber inzwischen auch die Lage der öffentlichen Finanzen. Jede weitere Zusagen ist eine Sünde.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schwenk, bitte schön.
Herr Staatssekretär, gilt Ihre Auskunft, daß Banken und Kreditinstitute in Not geratenen Schuldnern, insbesondere Kleinschuldnern, durch Streckung oder Stundung entgegenkommen, auch für Kreditgeber, die ihren Sitz in Liechtenstein oder Luxemburg haben, oder für Kreditgeber, die über Zeitungsanzeigen auch Leuten, denen sonst kein Kredit mehr gegeben wird, derartige Kredite anbieten?
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7567
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Das ist mir nicht bekannt.
Sie haben keine Zusatzfrage mehr.
— Zu der Frage 63 haben Sie noch keine Zusatzfrage gestellt? Ich habe mir aber ein Zeichen gemacht. Ich bitte um Entschuldigung; das Wort zu einer Zusatzfrage darf ich Ihnen nicht mehr geben.
Die Frage 64 wird auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Baack, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe dann die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Purps auf:
Auf welche Summe beläuft sich der Steuerausfall bei Inanspruchnahme des Kinderbetreuungsbetrags bis zur Pauschalierungsgrenze von 600 DM für 1981?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich darf Ihre Frage, Kollege Purps, so beantworten: Die Bundesregierung schätzt den Steuerausfall durch die Inanspruchnahme von Kinderbetreuungskosten bis zur Nichtbeanstandungsgrenze für 1981 auf rund 1,9 Milliarden DM.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, auf welche Summe der voraussichtliche Steuerausfall insgesamt bei Einführung des Kinderbetreuungsbetrages geschätzt wurde?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen nur sagen, daß er höher geschätzt wurde, weil man damals davon ausgegangen ist, daß er mehr genutzt würde. Er ist weniger genutzt worden. Es gibt Berechnungen, wonach die Möglichkeit nur zu etwa 60 % genutzt wurde. Entsprechend wäre der Steuerausfall dann um 40 % höher gewesen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß die Inanspruchnahme des Kinderbetreuungsbetrages Menschen mit einem Einkommen wie dem meinen und dem Ihren mehr hilft als den einfachen Arbeitern oder normalen Menschen, die ein Durchschnittseinkommen von 1 500 DM im Monat haben?
Herr Staatssekretär, das hängt nicht mehr unmittelbar mit der ursprünglichen Frage zusammen. Aber ich überlasse es Ihnen, darauf zu antworten.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich will es gerne beantworten.
Frau Kollegin, ich stimme Ihnen nicht zu. Deswegen ist die Bundesregierung für das sogenannte duale System: Ergänzend das Kindergeld. Deswegen hat die Bundesregierung leider sogar Einkommensgrenzen bei Mehrkinderfamilien einführen müssen, aus finanziellen Gründen, aber auch aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit, um vor allem die Schwachen zu unterstützen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Waltemathe.
Herr Staatssekretär, können Sie mir dann zustimmen, daß mit dem gleichen Betrag das Kindergeld um mindestens 10 DM pro Monat erhöht werden könnte?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Hinterlassenschaft der alten Regierung ist leider nicht so, daß wir irgend etwas erhöhen könnten.
Ich rufe die Frage 66 der Frau Abgeordneten Dr. Lepsius auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Leistung der Versicherungen bei Tod bzw. Invalidität von Hausfrauen infolge eines Unfalls?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Frau Dr. Lepsius, besondere Versicherungen für Hausfrauen gibt es in der Lebens-, Haftpflicht- und Unfallversicherung sowie im Bereich der Pensions- und Sterbekassen nicht. Die Leistungen der Versicherer bei Tod oder Invalidität von Hausfrauen richten sich daher nach den allgemeinen Versicherungsbedingungen und nach den für alle Bürger geltenden gesetzlichen Vorschriften.
Nach den der Bundesregierung vorliegenden Erkenntnissen halten sich die Versicherungsunternehmen grundsätzlich hieran und behandeln Ansprüche von Hausfrauen nicht anders als diejenigen sonstiger Geschädigter.
Zusatzfrage, Frau Dr. Lepsius.
Herr Staatssekretär, trotz dieser Ausführungen darf ich Sie fragen, ob die Bundesregierung meine Auffassung teilt, daß das geltende Unfallversicherungssystem vor allem die Hausfrauen benachteiligt, daß in dem System tatsächlich strukturelle Mängel vorhanden sind und daß die Haftpflichtversicherer gerade bei Verletzung oder Tötung einer Hausfrau einen der Höhe nach unangemessenen Schadensausgleich leisten und diese Entschädigungsleistung häufig auch noch jahrelang hinausschieben.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Diese Frage ist auch in Ihrer Frage 67 enthalten. Wenn Sie einverstanden sind, will ich Ihnen deshalb jetzt gern die Antwort auf Ihre Frage 67 geben.
Nein, ich habe noch eine Zusatzfrage.
Sie hätten aber insgesamt vier Zusatzfragen, wenn ich die Frage 67 jetzt aufrufe.
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7568 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Gut, dann frage ich im Zusammenhang.
Dann rufe ich auch die Frage 67 der Frau Abgeordneten Dr. Lepsius auf:
Hält es die Bundesregierung für notwendig, Rahmenbedingungen für eine objektivere Berechnung der Höhe des Schadenersatzes bei Tod bzw. Invalidität von Hausfrauen gesetzlich oder durch das Aufsichtsamt festzulegen, um die Position der Versicherten gegenüber den Versicherungsunternehmen zu stärken?
Bitte schön.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung sieht dafür keine Notwendigkeit. Denn soweit eine Hausfrau bei einem Unfall verletzt wird und selbst Schadenersatzansprüche geltend macht, dürfte ihre Lage im Verhältnis zum Versicherer nicht anders als diejenige anderer unmittelbar Geschädigter zu beurteilen sein, die sich wegen ihrer Schadenersatzforderungen an einen Versicherer wenden. Insoweit ist eine besondere Behandlung der unfallverletzten Hausfrau im Vergleich etwa zu Geschädigten, die anderen Berufsgruppen angehören, schwerlich angezeigt.
Jetzt kommt der andere Teil: Besondere Schwierigkeiten ergeben sich in der Praxis allerdings bei der Bemessung der Rentenansprüche, die bei Tötung der Hausfrau nach § 844 Abs. 2 BGB den Angehörigen zustehen, da diese Ansprüche weithin auf einer „fiktiven" Grundlage — etwa auf der Basis des fiktiven Gehalts einer tatsächlich nicht beschäftigten Ersatzkraft — berechnet werden.
Insoweit hält die Bundesregierung an ihrer bereits 1975 bei Gelegenheit einer Kleinen Anfrage bekundeten Auffassung fest, daß die abstrakte Rechtslage den Interessen der Hinterbliebenen in jeder Weise genügt und daß sich die richtige und interessengerechte Bewertung der persönlichen Unterhaltsleistungen einer ausfallenden Hausfrau und Mutter einer gesetzlichen Regelung entzieht, weil sie von verschiedenartigen Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängt und daher nach § 287 der Zivilprozeßordnung dem pflichtgemäßen Ermessen der unabhängigen Gerichte überlassen bleiben muß.
Dies gilt auch, soweit die Schadensregulierung durch ein Versicherungsunternehmen erfolgt. Dessen Tätigkeit erfolgt im Rahmen der allgemeinen Versicherungsbedingungen auf der Grundlage der für alle Bürger gleichen gesetzlichen Haftungsbestimmungen. Wenn und soweit gesetzliche Schadensersatzansprüche bestehen, verfahren die Versicherer bei unfallgeschädigten Hausfrauen nicht anders als bei berufstätigen Frauen oder Männern.
Das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen, das die dem Bund zustehende Aufsicht über Versicherungsunternehmen wahrnimmt, ist nicht befugt, von den allgemeinen Versicherungsbedingungen, den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften und der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichende Rahmenbedingungen für die Berechnung der Höhe von Schadenersatzansprüchen festzulegen. Die Bundesregierung beabsichtigt auch nicht, die Befugnisse des Bundesaufsichtsamts in der Weise zu erweitern, wie es in
der Frage anklingt. Eine entsprechende Kompetenzerweiterung würde einer Verwaltungsbehörde Befugnisse zuerkennen, die ihr nach dem im Grundgesetz niedergelegten Gewaltenteilungsgrundsatz nicht zustehen.
Gestatten Sie einen Moment, Herr Staatssekretär. Das war eine sehr ausführliche Darstellung. Könnten wir vielleicht doch in Zukunft eine etwas kürzere Antwort bekommen? Es ist so schwer zu verstehen.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich bin ganz mit Ihnen einverstanden.
Vielen Dank. Frau Lepsius, Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, zunächst möchte ich mich sehr herzlich für die Ausführungen hier bedanken und gerade deshalb noch einmal auf den auch von der Regierung zugegebenen Tatbestand der Benachteiligung der Hinterbliebenen von Unfallopfern zurückkommen. Ich frage, welche Möglichkeit denn von seiten der Bundesregierung gesehen wird, die Rechtsposition der Geschädigten bzw. der Hinterbliebenen zu stärken, weil eben die Versicherer ihre fachliche und finanzielle Überlegenheit gegenüber Unfallopfern einsetzen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Nach geltendem Recht besteht die Möglichkeit, wenn der § 287 ZPO richtig angewandt wird. Im Streitfall muß das durch das ordentliche Gericht entschieden werden.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Ich habe noch folgende Zusatzfrage. Ist der Bundesregierung bekannt, in welchem Umfang bei Invalidität und Tod von Hausfrauen Schadensersatz gerichtlich geltend gemacht werden kann und in welchen Fällen es zu außergerichtlichen Vergleichen kommt, und zwar zu Bedingungen der Versicherer, weil die Geschädigten das erhebliche Risiko, die Verfahrenslänge und auch die Kosten eines Prozesses scheuen? Wäre die Regierung gegebenenfalls bereit, mir dies schriftlich bekanntzumachen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, bei solchen statistischen Fragen besteht immer die Schwierigkeit, daß der Verwaltungsaufwand riesengroß ist, um das festzustellen. Wir wollen es gern versuchen, aber es muß halbwegs vertretbar sein. Ich will es Ihnen dann gern beantworten.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Wenn ich noch eine stellen darf. Ich bin jetzt ganz verwirrt.
Ja, Sie haben noch eine.
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Herr Staatssekretär, wie kann sichergestellt werden, daß die Gerichte bei anstehenden Schadensersatzverfahren möglichst alle Kriterien für die Arbeitsbewertung einer Hausfrau im Haushalt und für die Familie berücksichtigen, wenn man einmal davon ausgehen kann, daß die Arbeit der Frau im Haushalt unterbewertet wird?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich hoffe, daß auch Ihre Frage dazu beiträgt, daß die Öffentlichkeit und damit auch die Justiz die Bedeutung der Frage erkennt und die Rechtsprechung dem Rechnung trägt.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen eben über die Schwierigkeit, ein fiktives Gehalt für eine Ersatzkraft entsprechend zu bewerten. Wie sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, eine reale Ersatzkraft mit einem entsprechend realen Gehalt einzusetzen, ohne daß die verunglückte Hausfrau oder ihre Familie dann anschließend in Schwierigkeiten gerät, weil die Versicherung diese Aufwendung nicht anerkennt?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es ist im Rechtswesen immer so, daß, wenn die besonderen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden sollen, die Rechtssetzung nicht ganz ohne Allgemeinklauseln auskommt. Sie können gar nicht alle tatsächlichen Fälle des Lebens im einzelnen so in ein Gesetz gießen, daß damit jeder Fall erfaßt ist. Deswegen braucht man Allgemeinklauseln. Es wird also immer — das gilt ganz allgemein, nicht nur in dieser Frage — eine Generalklausel geben.
Zusatzfrage, Frau Dr. Martiny-Glotz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, ich unterstelle zwar, daß die Bundesregierung angesichts der Plötzlichkeit, mit der sie in die neue Verantwortung hineingestellt worden ist, pausenlos nachdenkt; deswegen können Sie sicherlich nicht alles aus dem Stand beantworten. Aber könnten Sie mir vielleicht in der Form behilflich sein, daß Sie einen Ihrer Beamten zusätzlich zum Nachdenken über die Frage anregen, welche Kriterien bei der Bemessung von Schadensersatzansprüchen in dem hier zur Diskussion stehenden Zusammenhang denn objektiv und unverrückbar sind und welche Kriterien zur Bemessung von Schadensersatzansprüchen im Einzelfall geregelt werden müssen und ob man nicht doch einen Katalog von objektiv feststellbaren Kriterien, die immer dieselben sind, aufstellen kann.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wir denken selbstverständlich auch darüber laufend nach, aber wir bleiben bei der Generalklausel.
Danke, Herr Staatssekretär, für diese ausführliche Beantwortung der Fragen. Damit ist der Geschäftsbereich beendet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Grüner steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Fragen 68 und 69 des Abgeordneten Austermann werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 70 des Abgeordneten Dr. Lammert wird nach Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet.
Ich rufe jetzt die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Würtz auf:
Ist dem Koordinator für die deutsche Luft- und Raumfahrtpolitik die schwierige Lage der Fertigungsstätten für den Airbus im Bremer Raum und Unterweserraum bekannt, und wenn ja, welche Maßnahmen wird die Bundesregierung zur Sicherung von Arbeitsplätzen ergreifen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Konjunkturbedingt sind weltweit die meisten Luftverkehrsgesellschaften in Schwierigkeiten geraten. Dies hat zu starkem Absatzrückgang bei den Herstellern von Verkehrsflugzeugen geführt. Airbus-Industrie ist davon nicht ausgenommen, obwohl das europäische Unternehmen im Vergleich zu anderen Produzenten noch relativ günstig abschneidet. Es war absehbar, daß bei länger anhaltender Absatzflaute Konsequenzen auch für die norddeutschen Airbus-Werke zu ziehen sein würden, um sich der neuen Marktlage anzupassen. In dieser Situation kommt es darauf an, kurzfristig durch verstärkte Vertriebs- und Rationalisierungsanstrengungen der Airbus-Partner deren Marktposition zu festigen, um für den Airbus insgesamt eine stabile wirtschaftliche Grundlage zu erreichen und zu erhalten.
In diesem Zusammenhang ist auch die Bundesregierung bereit, sich bei gleichzeitiger Konsolidierung des laufenden Programms an einem Ausbau der Airbus-Familie zur Sicherung künftiger Marktchancen zu beteiligen. Sie wird dies im Rahmen ihrer Möglichkeiten tun, sobald die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Das Bundeskabinett hat darüber bereits im März dieses Jahres beraten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Würtz.
Herr Staatssekretär, auf Grund Ihrer Antwort und weil ich weiß, welch entscheidenden Anteil Sie am Zustandekommen der Fusion der Firmen MBB und VFW haben, hätte ich gern gewußt: Welche Verantwortung hat die Bundesregierung eigentlich übernommen, um das Werkstättenkonzept, das damals vereinbart worden ist, zur Verwirklichung zu bringen?Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat keine Verantwortung für das Werkstättenkonzept in dem Sinne übernommen, daß sie etwa die Verwirklichung eines solchen Konzepts ohne Rücksicht auf die Entwicklung der Absatzlage hätte beeinflussen können. Aber sie hat bei den Fusions-
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Parl. Staatssekretär Grünerverhandlungen deutlich gemacht, daß sie bereit ist, bei einer erfolgten Fusion auch in Zukunft das Airbus-Programm und insbesondere die Entwicklungen der Airbus-Familie zu unterstützen. Das ist durch die schon erwähnten Kabinettbeschlüsse auch geschehen, wobei selbstverständlich Voraussetzung für diese Unterstützung ist, daß für eine solche erweiterte Familie eine Nachfrage und damit Absatzmöglichkeiten bestehen. Die Möglichkeiten der Bundesregierung beschränken sich also darauf, finanzielle Beiträge dazu zu leisten, daß Flugzeuge bei vorhandenem Absatz auch produziert werden können.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Würtz.
Herr Staatssekretär, ich hätte, weil dies auch in meiner Frage zum Ausdruck kam, gern noch gewußt, ob der Bremer Raum und der Raum der Unterweser von diesen Entwicklungen der Absatzsituation besonders betroffen sind.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist nach den Ankündigungen der Geschäftsleitung von MBB tatsächlich der Fall, weil dort der Schwerpunkt der Airbus-Fertigung konzentriert ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Waltemathe.
Herr Staatssekretär, wenn Sie als Luftfahrtkoordinator keine besondere Verantwortung für die regionale Verteilung von Werksaufträgen haben, haben Sie dann als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium die Verantwortung für die regionale Strukturpolitik, die bedeutet, daß Strukturkrisen nicht nur zu Lasten des Bremer und Unterweser-Raums gehen dürfen, sondern auf das gesamte MBB-Werk verteilt werden, so daß nicht der Süden profitiert, während der Norden negativ beteiligt ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, von den Entwicklungen bei MBB ist nicht nur der Norden negativ berührt. Im übrigen haben wir im Rahmen der regionalen Strukturpolitik Verantwortung. Sie beschränkt sich aber auf die Möglichkeit, gemeinsam mit den Ländern und mit deren Zustimmung für wirtschaftsschwache Regionen Zuschüsse zu Investitionen zur Verfügung zu stellen, über deren Einsatz im Einzelfall das jeweils zuständige Landeswirtschaftsministerium entscheidet.
Herr Kollege Börnsen, Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für unternehmenspolitisch sinnvoll, daß man auf eine konjunkturelle Schwäche bei der Absatzlage des Airbus sofort damit reagiert, daß Produktionskapazitäten abgebaut werden? Ich erinnere daran, daß man sich vor noch gar nicht so langer Zeit intensiv bemühte, die Produktionskapazitäten zu erweitern, weil dort eine gute Nachfrage bestand. Es wäre doch sinnvoll, auf dem jetzigen Produktionsstand zu bleiben, um künftig wieder verbesserter Nachfrage gerecht zu werden.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich darf zu dieser Frage, weil das im Verantwortungsbereich von MBB liegt, zitieren, was der dafür zuständige Geschäftsführer, Herr Schäffler, auf der Betriebsversammlung und gegenüber der Presse erklärt hat:
War es bei den Schritten in der Vergangenheit bisher darum gegangen, einmal geplante Zuwächse zurückzunehmen und in Erwartung einer baldigen Wende die Möglichkeit eines raschen Wiederhochfahrens der Airbus-Fertigung zu erhalten, sehen wir heute wenig Hoffnung auf eine deutliche Besserung der Auslastung vor der zweiten Hälfte 1985. Darüber hinaus werden zu diesem Zeitpunkt viele der heute eingeleiteten Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz wirksam werden, so daß der dann eintretende Aufschwung mit weniger Mitarbeitern, als ursprünglich geplant, bewältigt werden kann. All diese Planüberlegungen lassen erwarten, daß wir bis Ende 1983 im Unternehmensbereich Transportflugzeuge insgesamt 1 500 bis 2 000 Arbeitsplätze weniger haben werden. Die endgültige Zahl sowie eine Aufteilung auf die einzelnen Standorte steht noch nicht fest. Sie wird umgehend genannt, wenn die erforderlichen Entscheidungen vorliegen.
Ich betone: Ich zitiere hier die Geschäftsleitung, weil alles, was ich hierzu sagen kann, in der ausschließlichen Verantwortung der Geschäftsleitung und des Aufsichtsrats liegt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büchner. — Wir haben noch mehr Saalmikrophone, Sie stehen immer so arg gedrängt. - Bitte schön, Herr Büchner.
Es ist so ein schöner Platz, Frau Präsidentin. — Da sich die Bundesregierung in der Antwort auf Fragen von Kollegen mit den Ausführungen der Unternehmensleitungen beschäftigt, frage ich: Hat sie sich in den letzten Tagen angesichts der großen Zahl von geplanten Entlassungen nicht bemüßigt gefühlt, auch mit Betriebsräten und Vertrauensleuten aus. den betroffenen Unternehmen und aus Werken der betroffenen Unternehmen Gespräche zu führen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es besteht eine Vereinbarung mit den Gewerkschaften, vor allem mit der zuständigen Industriegewerkschaft Metall und der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, daß die Bundesregierung nicht mit einzelnen Betriebsräten und Vertrauensleuten Gespräche führt, sondern daß das über die zuständige Gewerkschaft geschieht. An diese Vereinbarung halten wir uns. Wir halten das für sinnvoll. Und wir halten diesen Kontakt sehr eng.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Terborg.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7571
Herr Staatssekretär, ist Ihnen die Rahmenbetriebsvereinbarung vom 9. Januar 1981 bekannt, in der u. a. aufgeschrieben worden ist — ich erwähne kurz zwei Passagen —, daß die Anzahl der Arbeitsplätze im bisherigen Bereich von VFW weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht beeinträchtigt werden darf und daß auf eine ausgewogene Betriebsstättenstruktur Wert gelegt wird; und — —
Moment! Das sind ja mehrere Fragen! Jedenfalls hat das diesen Eindruck erweckt. Zwei sind, glaube ich, schon gestellt.
— Ach, das war überhaupt noch nicht die Frage? Da hätte ich Sie schon vorher ermahnen sollen.
Ich wollte die Bundesregierung nämlich fragen, was sie jetzt tun wird und ob sie bereit ist, um den Gesamtbestand an Arbeitsplätzen, der ja in dieser Rahmenbetriebsvereinbarung, an die ich nur erinnern wollte, garantiert ist, in dem bisherigen Bereich, speziell im Norden und im Unterweserraum, zu sichern.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung das nicht kann, daß sie dafür auch keine Zuständigkeit hat, sondern daß es Sache des Unternehmens ist und daß die Möglichkeiten des Unternehmens vom Verkauf und dem Absatz von Produkten abhängig sind. Diese Rahmenbetriebsvereinbarungen, die Sie zitieren, kenne ich nicht. Die Bundesregierung hat auch nicht die Möglichkeit, interne Betriebsvereinbarungen zur Grundlage der Auskunft hier im Bundestag zu machen. Ich weiß allerdings, daß bei der Fusion vereinbart worden ist, daß etwa bei Veränderungen hinsichtlich der Beschäftigten im Aufsichtsrat Entscheidungen einzuholen sind, weil sich dieser die Zustimmung zu derartigen Entscheidungen auch unter regionalen Gesichtspunkten vorbehalten hat.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hürland, bitte.
Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, daß Ihre Einwirkungsmöglichkeit auf Privatbetriebe begrenzt ist. Ich möchte Sie dennoch fragen: Haben Sie eine Erklärung dafür, daß Unternehmen, wie hier MBB/VFW im Bremer Raum und auch Siemens im Raum Gladbek und Witten, zunehmend im nördlichen und westlichen Raum der Bundesrepublik einschränken und nach Bayern verlagern?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, nein, ich habe dafür keine Erklärung. Ich kann auch Ihre
Aussage hier nicht bewerten, weil mir erforderliche Informationen darüber nicht vorliegen. Ich weiß nur ganz allgemein, daß es unter regionalen Gesichtspunkten immer den Vorwurf gibt, die eine Region werde gegenüber der anderen bevorzugt, und das hat uns gerade beim Zusammenschluß von MBB und VFW über lange Strecken begleitet. Das gilt aber auch für andere Werke. Gerade deshalb legen wir so großen Wert darauf, daß die Frage, ob Benachteiligungen der Arbeitnehmer auch unter regionalen Gesichtspunkten vorliegen, von der Bundesregierung auch im Gespräch mit den zuständigen Spitzengewerkschaften behandelt werden, weil die ja wie die Bundesregierung Verantwortung für alle Arbeitnehmer haben, ob sie im Süden oder im Norden sind.
Ich lasse noch zwei Fragen zu. Bitte, Herr Grobecker.
Herr Staatssekretär Grüner, könnte es möglich sein, daß Ihr Kollege im Verteidigungsministerium inzwischen schon für Ersatzarbeitsplätze gesorgt hat, indem er das taktische Kampfflugzeug der 90er Jahre, das ursprünglich vom Haushaltsausschuß gestrichen worden ist, neu mit Planungsmitteln belegt hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich verstehe den humorvollen Unterton. Erlauben Sie mir, hinzuzufügen, daß Herr Jung zwar zur schnellen Truppe gehört, aber so schnell wohl doch nicht ist.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß gerade die Unternehmen von VFW im norddeutschen Raum in den letzten Jahren sehr große Anstrengungen unternommen haben, um die Wirtschaftlichkeit ihrer Unternehmen zu verbessern, indem Produktivitätssteigerungen erreicht worden sind, und daß unter dem Gesichtspunkt z. B. das, was Frau Terborg sagte, bezogen auf den Bereich Nordenham, in der Form berücksichtigt werden sollte, daß man gerade dort Arbeitsplätze erhält und nach Möglichkeit unter besseren Produktivitätsbedingungen auch erweitert?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Diesem Grundsatz stimme ich zu. Ich bin davon überzeugt, daß bei etwa notwendigen Entlassungen die Unternehmensleitung, die Betriebsräte und die Aufsichtsräte ein großes Interesse daran haben werden, vor allem die Arbeitsplätze zu erhalten, die sich durch hohe Produktivität auszeichnen, weil diese Arbeitsplätze auch die Garantie für die Wettbewerbsfähigkeit und damit für die Erhaltung der Arbeitsplätze geben, während weniger produktive Arbeitsplätze natürlich eher einen Beitrag für mangelnde Wettbewerbsfähigkeit liefern.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 72 des Herrn Abgeordneten Würtz auf:
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7572 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Vizepräsident Frau RengerIst eine Auslastung der jetzt vorhandenen Wartungskapazitäten in den norddeutschen Werken von MBB/VFW gegeben, und wenn nein, wird die Bundesregierung zusätzliche militärische Wartungsarbeiten nach Norddeutschland vergeben?Bitte, Herr Staatssekretär.Grüner, Parl. Staatssekretär: Wartungsschwerpunkt der norddeutschen Flugzeugwerke ist Lemwerder. Von den dort zur Zeit etwa 1 300 Beschäftigten sind etwa ein Drittel im Bereich der militärischen Betreuung tätig. Die übrigen Schwerpunkte des Werkes Lemwerder liegen in der Fertigung von Transall- und Airbusteilen. Zusätzliche militärische Wartungsarbeiten für Lemwerder zeichnen sich aus der Sicht des Bundesverteidigungsministeriums zur Zeit nicht ab.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Würtz.
Herr Staatssekretär, ich hätte gern erfahren, welchen Einfluß Sie als Koordinator für die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie auf die Vergabe von Aufträgen des Bundesministeriums für Verteidigung haben und ob Sie diesen Einfluß eventuell für einige Systeme geltend machen werden, die der Luftwaffe in Kürze zur Verfügung stehen werden.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich habe als Koordinator Einwirkungsmöglichkeiten, aber keinen allein ausschlaggebenden Einfluß auf die Entscheidungen des Bundesverteidigungsministeriums. Meine Aufgabe ist es, zwischen den beteiligten Ressorts zu koordinieren. In meiner Verantwortung im Wirtschaftsministerium ist es meine Aufgabe, den industriepolitischen Gesichtspunkten, etwa bei den Wartungsaufträgen, Geltung zu verschaffen. Ich gestehe freimütig, daß im Konflikt zwischen industriepolitischen und militärischen Gesichtspunkten für mein Gefühl die industriepolitischen Gesichtspunkte bisher nicht ausreichend zur Geltung gebracht werden konnten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Würtz.
Sehen Sie denn Chancen, in diesem Bereich stärker tätig zu werden, Herr Staatssekretär?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich bemühe mich mit Nachdruck, die industriepolitischen Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen. Aber ich kann selbstverständlich eine andere Entscheidung des Verteidigungsministeriums, wenn sie mit militärischen Überlegungen begründet wird, nicht verhindern.
Zusatzfrage, Dr. Schwenk.
Sehen Sie auch Möglichkeiten, daß die industriepolitischen Gesichtspunkte seitens der Bundesregierung gegenüber dem Messerschmitt-Bölkow-Blohm-Konzern auch dahin gehend geltend gemacht werden können, daß
es möglich ist, zu einer rechnerisch gerechten Aufteilung der Arbeitsverteilung auf die verschiedenen Fertigungsstätten zu kommen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist selbstverständlich möglich, weil bei der Frage, ob und wo Wartungsaufträge unter industriepolitischen Gesichtspunkten vergeben werden, auch Standortfragen eine Rolle spielen können. Ich füge hinzu, daß bei solchen Standortfragen leider immer auch gegenläufige Interessen der einzelnen Betriebsstandorte mit ins Spiel kommen.
Zusatzfrage, Abgeordneter Büchner .
Herr Staatssekretär, da Sie mit Recht davon ausgehen, daß Arbeitsplätze in solchen Werken mit besonders hoher Produktivität gesichert werden sollten, frage ich: Wie erklären Sie sich dann die Ankündigung der Unternehmensführung, daß im Werk Speyer von MBB/VFW ungefähr 500 Arbeitnehmer entlassen werden sollen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann hier nur auf die Verantwortung des Unternehmens hinweisen. Mir sind derartige Aussagen nicht bekannt, weil Herr Schäffler zwar eine Globalzahl genannt hat, aber ausdrücklich hinzugefügt hat, daß die Aufteilung auf die einzelnen Betriebsstätten noch nicht erfolgt sei und daß auch eine endgültige Entscheidung noch nicht erfolgt sei. Das ist jedenfalls das, was mir aus Äußerungen von Herrn Schäffler vorliegt.
Ich rufe Frage 73 des Herrn Abgeordneten Grobecker auf:
Wird sich die Bundesrepublik Deutschland finanziell an der Entwicklung und Produktion des Airbus A 320 beteiligen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Auf seiner Sitzung am 24. März 1982 hat das Bundeskabinett entschieden, die Erweiterung des Airbus-Programms im Rahmen der haushaltsmäßigen Möglichkeiten zu unterstützen. Dabei hat eine Festlegung auf einen bestimmten Flugzeugtyp nicht stattgefunden. Die Entscheidung über die Entwicklung und den Bau eines neuen Flugzeuges muß ausschließlich nach wirtschaftlichen Kriterien getroffen werden.
Die Industrie, die die kommerzielle Verantwortung für ein neues Flugzeug trägt, muß dessen Erfolg überzeugend darlegen. Derzeit fehlen noch zentrale Elemente für eine Förderung, nämlich ausreichende Zahl von Bestellungen, überzeugende Rentabilitätsberechnungen und ein konkurrenzfähiges Triebwerk. — Wenn Sie gestatten, Frau Präsidentin, würde ich die zweite Frage mit beantworten.
Ich hätte Sie darum gebeten. Dann rufe ich auch Frage 74 des Abgeordneten Grobecker auf:Wann ist gegebenenfalls mit einem entsprechenden Beschluß der Bundesregierung zu rechnen?Sie haben dann vier Zusatzfragen. — Bitte.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7573
Grüner, Parl. Staatssekretär: Vielen Dank. - Wenn diese Voraussetzungen, die ich soeben erwähnt habe, für die Förderung eines neuen Flugzeuges erfüllt sind, kann über eine finanzielle Unterstützung schnell entschieden werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär Grüner, entsprechen mir vorliegende Informationen den Tatsachen, daß Sie den deutschen Anteil an der Airbus International absenken wollen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Gegenüber dem bisherigen Anteil am bisherigen Airbus ist es richtig, daß die Industrie einen geringeren Anteil ins Auge gefaßt hat, weil ihre finanziellen Möglichkeiten es nicht zulassen würden. Es kommt hinzu, daß die Zahl der Beteiligten — der Beitritt Englands — ja eine erhebliche Rolle spielt; aber auch die Fördermöglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland, über die noch nicht endgültig entschieden ist, weil über das Projekt noch nicht entschieden ist, haben zu dieser Haltung der Industrie beigetragen.
Bitte, Herr Grobecker.
Herr Staatssekretär Grüner, kann ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß eine geringere Beteiligung auch bedeutet, daß wir einen geringeren Anteil an Arbeitspaketen bekommen werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Gegenüber dem bisherigen Airbus wäre das auch ein geringerer Anteil am Arbeitspaket. Das ist richtig. Ich betone: Die endgültige Festlegung ist noch nicht getroffen, da auch das Programm noch nicht aufgelegt ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Polkehn.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorher schon gesagt, daß Sie der Airbus-Industrie helfen wollen; gibt es eine Möglichkeit, daß die Bundesregierung — sie ist j a Anteilseigner — auf die Lufthansa einwirkt, daß in der Flottenpolitik der Lufthansa einiges zugunsten der Airbus-Industrie gemacht wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, diese Möglichkeit gibt es nicht. Wir haben auch in der Vergangenheit bei der Lufthansa die kaufmännische Unternehmensführung in der Verantwortung des Aktiengesetzes für richtig gehalten. Der große Erfolg des Airbus beruht ja nicht zuletzt darauf, daß die Käufe der Lufthansa das Flugzeug zusätzlich weltweit bekanntgemacht haben und daß weltweit bekannt ist, daß die Lufthansa Entscheidungen nur unter kommerziellen Gesichtspunkten trifft. Es wäre falsch, wenn wir — was wir gar nicht können — anstreben wollten, etwa auf die Entscheidungen der Lufthansa unter unternehmenspolitischen oder anderen Gesichtspunkten Einfluß zu nehmen.
Letzte Frage, Herr Börnsen, kurz, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, daß hinsichtlich der notwendigen Entscheidungen für einen eventuellen A 320 noch Informationen ausstehen; drängen Sie die Airbus-Industrie, daß diese Informationen gegeben werden, damit es recht bald zu einer endgültigen Entscheidung kommen kann, weil das j a für die künftige Auslastung der Produktionskapazitäten entscheidend ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wir würden es sehr begrüßen, wenn eine rasche Entscheidung getroffen würde, wobei ich darauf hinweise, daß es auch andere aussichtsreiche Überlegungen zur Weiterentwicklung der Airbus-Familie gibt. Wir hoffen, daß in dieser Richtung bald kommerzielle Entscheidungen möglich sind.
Ich danken Ihnen sehr, Herr Staatssekretär.Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Die noch ausstehenden Fragen werden schriftlich beantwortet, soweit das in Frage kommt.Die Frage 94 des Abgeordneten Immer , die Fragen 105 und 106 des Abgeordneten Auch sowie die Fragen 112 und 113 des Abgeordneten Dr. Spöri sind von den Fragestellern zurückgezogen worden.Meine Damen und Herren, aus dem Vermittlungsausschuß sind die der Fraktion der CDU/CSU angehörenden Abgeordneten Pfeifer, Rawe, Vogel , Dr. Voss, Franke und Dr. Häfele ausgeschieden.Die Fraktion der CDU/CSU schlägt deshalb eine neue Zusammensetzung der Mitglieder und Stell- vertreter der Fraktion der CDU/CSU im Vermittlungsausschuß vor. Danach sollen die Kollegen Dr. Kreile und Müller Mitglieder des Vermittlungsausschusses bleiben und die Kollegen Kroll-Schlüter, Dr. Langner und Seiters neue Mitglieder des Vermittlungsausschusses werden. Für jedes dieser Mitglieder wird ein Stellvertreter benannt, der sich aus der Ihnen vorliegenden Auf Stellung ergibt:Mitglieder StellvertreterAbg. Dr. Kreile Abg. Dr. GötzAbg. Kroll-Schlüter Abg. Erhard
Abg. Dr. Langner Abg. EchternachAbg. Müller Abg. Dr. GeorgeAbg. Seiters Abg. Dr. SchäubleIst das Haus damit einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Damit sind die Abgeordneten in die Funktion aufgenommen worden.
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7574 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Vizepräsident Frau RengerMeine Damen und Herren, ich habe die Freude, hier eine Begrüßung vornehmen zu dürfen. Auf der Diplomatentribüne haben Seine Exzellenz der Präsident der Nationalversammlung der Republik Uganda, Herr Francis Butagyira, und eine Delegation Platz genommen. Ich begrüße Sie sehr herzlich, meine Damen und Herren.
Es ist uns eine Freude, erstmals eine offizielle Delegation der Nationalversammlung der Republik Uganda im Deutschen Bundestag willkommen heiBen zu können. Ich begrüße Sie deswegen ganz besonders herzlich und hoffe, daß die Delegation in der Bundesrepublik Deutschland einen guten Aufenthalt hat. Ich hoffe, daß Sie interessante Gespräche haben. Wir freuen uns ganz besonders, daß Sie auch Berlin besuchen. Ich wünsche Ihnen einen guten Aufenthalt. — Danke schön.
Wir fahren in den Beratungen fort. Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Erhard , Dr. Mertes (Gerolstein) und GenossenFreilassung der letzten deutschen Kriegsverurteilten— Drucksache 9/1827 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger AusschußDas Wort dazu wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Sauter , Dr. Pinger, Boroffka, Dr. Lammert, Graf von Waldburg-Zeil, Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. von Geldern, Repnik, Lamers, Herkenrath, Brunner, Dr. Kunz (Weiden), Eigen, Dr. Meyer zu Bentrup, Schartz (Trier), Bayha, Freiherr von Schorlemer, Michels, Borchert, Funk (Gutenzell), Rainer, Frau Hoffmann (Soltau), Dr. Müller, Dr.-Ing. Kansy, Dr. Riesenhuber, Susset, Frau Fischer, Dr. Pohlmeier, Höffkes, Schmöle, Dr. Hüsch, Dr. Hornhues, Dr. Jenninger und Genossen und der Fraktion der CDU/CSUTendenzen globaler Entwicklung — Drucksachen 9/1158, 9/1592b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDPGLOBAL 2000- Drucksachen 9/1157, 9/1728 - Berichterstatter:Abgeordnete Gerlach Frau Dr. HartensteinWolfgramm
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b eine gemeinsame Beratung von vier Stunden Dauer vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall. Ich danke Ihnen.Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sauter .
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage, ob kommende Generationen überhaupt noch eine bewohnbare Erde vorfinden oder nicht, hat sich früheren Generationen so umfassend wie uns nicht gestellt; und sie stellt sich uns nicht bloß im Blick auf einen möglichen Atomkrieg, sondern auch in bezug auf unseren Umgang mit dem Lebendigen, mit dem Lebensraum, mit den Dingen. — So die Deutsche Bischofskonferenz in ihrer Erklärung zu Fragen der Umwelt und der Energieversorgung aus dem Jahre 1980.Alle Industrienationen sind derzeit voll damit beschäftigt, die Arbeitslosigkeit, die Inflation und die Rezession zu bekämpfen. Dennoch dürfen wir die Gefahren nicht übersehen, die aus der Zerstörung der Umwelt erwachsen und die unsere Existenzgrundlagen und die der kommenden Generationen bedrohen. Wer nach der Devise „Nach uns die Sintflut" handelt, handelt verantwortungslos.Im Rahmen dieses Beitrages kann ich keine Einzelheiten darlegen; ich will jedoch einige Gesichtspunkte, die ich für besonders wichtig halte, nennen.Der Hunger und die Armut der Menschen in der Dritten Welt bedrohen trotz beachtlicher Fortschritte Hunderte Millionen von Menschen. Die Welt wird, wenn die bisherigen Entwicklungen weitergehen, immer anfälliger für Zerstörungen. Die Weltlandwirtschaft und fast noch mehr die Weltforstwirtschaft stellen uns vor schier unlösbare Probleme. Wasser, die Grundlage allen Lebens, wird zu einem knappen Gut. Die Verringerung der biologischen Artenvielfalt hat Langzeitwirkung auf die Züchtung und die Resistenz von Pflanzen und Tieren. Die Landflucht nimmt ständig zu. Die sozialen Spannungen in den Ballungszentren werden unerträglich.Die Waldvernichtung nimmt verheerende Ausmaße an. Die jährlichen Verluste liegen bei 18 Millionen Hektar; dies entspricht der gesamten land-und forstwirtschaftlichen Nutzfläche der Bundesrepublik Deutschland. Nach einem Bericht der Tageszeitung „Die Welt" vom Mai dieses Jahres wurden in einer Region Indiens vor einer Landtagswahl jeder Familie, die in der Nähe von Staatsforsten wohnt, als besonderes Geschenk sechs Zedernbäume versprochen. Nach einem weiteren Bericht derselben Zeitung kommt eine Untersuchung der nepalesischen Regierung zu dem Ergebnis, daß in der Zeit von 1974 bis 1981 die Waldfläche von 6,4 Millionen auf 4 Millionen Hektar geschrumpft ist. In einer Missionszeitung wird ein indischer Bauer wie folgt zitiert: Vor 30 Jahren fand mein Großvater das
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7575
Sauter
Feuerholz noch vor der Haustür. Mein Vater war vor 15 Jahren schon Stunden unterwegs, und ich bin heute meist mehr als einen Tag auf der Suche nach Brennmaterial für unseren Haushalt. Dieser Bericht aus Asien ließe sich für Afrika und Lateinamerika beliebig ergänzen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der indische Subkontinent hat etwa 350 Millionen Hektar. Es gibt eine Aufzeichnung aus dem Jahre 1865; damals umfaßte die Waldfläche noch 57 % Indiens. Im Jahre 1982 sind es weniger als 10 %.Wir sind mit der Bundesregierung in der Analyse der Probleme, auf die die Verfasser von „Global 2000" verweisen, im wesentlichen einig. Die Bundesregierung sagt zu Recht in ihrer Antwort: Wir brauchen keine neuen Bürokratien und Organisationen.Die Fraktionen der SPD und der FDP haben auf der Drucksache 9/1157 einen Antrag eingebracht, der in den Ausschüssen beraten und ergänzt worden ist. Wir sind mit seinem Inhalt einverstanden und stimmen auch der dort erhobenen Forderung nach Verstärkung des Problembewußtseins in der Bevölkerung voll zu. Entscheidend ist jedoch, wie ich meine, welche konkreten Maßnahmen möglich und gangbar sind. Diesen Fragen müssen sich Parlament und Regierung stärker zuwenden. Der eher pessimistische Grundton von „Global 2000" darf nicht ansteckend wirken.Ich will versuchen, für die CDU/CSU-Fraktion einige Vorschläge zusätzlich zu unterbreiten. Ich tue das im Bewußtsein der Unzulänglichkeit und der Unsicherheit. Wer Patentlösungen anzubieten hat, möge sie vortragen.Um der weltweiten Bedrohung, die aus der Zerstörung unserer Umwelt erwächst, wirksam zu begegnen, müssen sich die internationalen Organisationen intensiver mit diesen Problemen auseinandersetzen. Dies gilt für den Europarat; dies gilt für das Europäische Parlament. Ich sehe auch eine Chance, wenn zum 1. Januar 1983 die Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Gemeinschaft den Vorsitz übernimmt, daß wir zusätzlich auf diesem Gebiete aktiv werden können.Die Bekämpfung des Hungers und der absoluten Armut in der Dritten Welt bleiben das vordringlichste Anliegen aller Bemühungen. Hier geht es um Leben und Tod.Eine weitere globale Herausforderung, die auch in unserer Anfrage und auch in der Antwort der Bundesregierung ihren Niederschlag findet, ist die Vernichtung der tropischen Wälder. Irreparable Schäden müssen verhindert bzw. reduziert werden.Wir erlauben uns in diesem Zusammenhang die eindringliche Bitte an die Bundesregierung, verstärkt auf die FAO einzuwirken. Dort finden wir Vertreter der Länder, in denen die zerstörerischen Eingriffe stattfinden. Wir müssen mit ihnen ins Gespräch über diese Fragen kommen. Der nächste Bundestag muß sich mehr als die bisherigen in den Beratungen der Ausschüsse um diese weltweiten Probleme kümmern. Die FAO hat trotz aller Kritik schon gute Arbeit geleistet. Wir müssen jedoch dieMöglichkeiten, die diese internationale Organisation bietet, wesentlich stärker nutzen.Verdeutlichen wir uns noch einmal die Lage. Wir wissen aus der Geschichte Europas, welch verheerende Wirkungen ein Kahlschlag in Spanien, in Italien, in Griechenland vor vielen Jahrhunderten — vor fast 2000 Jahren — hatte. Es waren dann jahrhundertelange Anstrengungen notwendig, um den Schaden auch nur teilweise reparieren zu können. Wenn die tropischen Wälder im bisherigen Tempo weiter abgeholzt werden, hat das auf alle Klimazonen Auswirkungen: Erosionen nehmen zu, der globale Wasserhaushalt gerät aus den Fugen.Ich wiederhole die Zahl: 18 Millionen Hektar gehen jährlich verloren. Mehr als eine Milliarde Menschen in der Dritten Welt haben als Energiequelle fast nur Brennholz zur Verfügung. In der Sahel-Zone und in Lateinamerika werden von den Rinderherden die Naturwälder verbraucht. Die Wüste wächst um 6 Millionen Hektar pro Jahr. Dies entspricht der halben landwirtschaftlichen Nutzfläche der Bundesrepublik Deutschland. Riesige Mengen an Pflanzenresten und natürlichem Dünger werden verbrannt, weil das Brennholz immer knapper wird. Man möchte fast verzweifeln, wenn man an die Konsequenzen denkt.Die Regierung sagt: Aufforstung der Kahlflächen. — Ja, richtig. Aber das reicht nicht aus. Nach einer Information, die wir vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit bekommen haben, betragen die Aufforstungen etwa 1 Million Hektar pro Jahr. Das heißt, daß in den nächsten 20 Jahren damit zu rechnen ist, daß nochmals 200 oder 300 Millionen Hektar verlorengehen. Man kann sich die verheerenden Langzeitwirkungen dieser Entwicklung kaum vorstellen.Es wird gesagt: Umweltbewußtsein auch in der Dritten Welt wecken. — Ja, richtig. Aber wenn es ums nackte Überleben geht, ist das kaum zu erwarten. Sparsamer Umgang mit den vorhandenen Ressourcen, mit Ö1 und Kohle. — Richtig. Sonnenenergie, Windenergie verstärkt einsetzen. — Einverstanden. In 5, in 10 oder in 15 Jahren seien wir technisch soweit, wird uns gesagt. Aber ob diese Technik übernommen wird und ob sie bezahlt werden kann, ist mehr als fraglich. Ich sehe bisher noch nicht den Silberstreifen am Horizont.Meine Damen und Herren, wenn man keine Lösungen hat oder noch keine Lösungen hat, muß man das zugeben. Dann muß mehr und Neues erdacht und getan werden. 700 bis 800 Millionen Menschen hungern und leben in absoluter Armut. Die einfachste Erklärung ist die Bevölkerungsexplosion. Ich will darauf nicht näher eingehen; ein Kollege von mir wird dieses Thema noch gesondert behandeln. Nur zu glauben, das weltweite Wachstum sei kurzfristig zu stoppen, ist zu einfach gedacht. Es ist eine Illusion.Wir haben andererseits erhebliche Fortschritte bei der Produktion von Nahrungsmitteln erzielt. Ich meine, daß diese Bemühungen intensiv verstärkt werden müssen. Die absolute Armut ist weltweit überwiegend auf die ländlichen Gebiete der
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7576 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Sauter
Dritten Welt konzentriert. Diese Menschen sind nicht in der Lage, sich hinreichend zu ernähren, zu kleiden und angemessen zu wohnen.Bei der Weltkonferenz für Agrarreform im Jahre 1979 wurde vom zuständigen Generalsekretär folgendes erklärt:In den meisten Ländern sind ländliche Armut und Unterentwicklung nicht naturgegeben und unausweichlich. Sie können auf drei grundlegende Faktoren zurückgeführt werden: die Starrheit überholter sozio-ökonomischer Strukturen und den Widerstand privilegierter Gruppen gegenüber Veränderungen, die unausgewogenen Entwicklungsstrategien, die den ländlichen Sektor durch Priorität für städtische Industrialisierung vernachlässigen oder zurückhalten, ausbeuterische internationale Systeme, die die ungleichen Austauschbedingungen zwischen der Peripherie und dem industriellen Zentrum verewigen.Lassen Sie mich dazu ein paar Bemerkungen machen. Alle Bauern — ob kleine, mittlere oder große — reagieren auf wirtschaftliche Anreize. Bauern handeln ökonomisch und rational, überall in der Welt. Die Bereitschaft und die Fähigkeit der Landwirte, ihren Boden produktiv zu bebauen oder ihn durch Be- und Entwässerung zu verbessern, erfolgt in der Regel jedoch nur, wenn sie einen gesicherten Besitztitel haben. Sicherheit der Besitzverhältnisse für Bauern ist die Voraussetzung, um Ertragssteigerungen anzustreben. In vielen Ländern der Dritten Welt bestehen große Unsicherheiten. Es gibt kein Grundbuch und kein Kataster. Es genügen aber manchmal kleine Maßnahmen, um in diesem Bereich für Verbesserungen zu sorgen. Besitzansprüche können erfaßt und anerkannt werden, Bodenparzellen können zusammengelegt und Erbgesetze erlassen werden. Land sollte verstärkt aufgekauft und an neue Eigentümer übergeben werden. Es gibt hier, meine Damen und Herren, ermutigende Beispiele von privaten Organisationen. Eigentums- und Pachttitel sind Voraussetzungen für den Fortschritt in der Landwirtschaft.Eine Verbesserung der Infrastruktur, der Beratung, der Ausbildung, der Vermarktung und vor allem des Kreditwesens sind dringend geboten. Wir brauchen in vielen Ländern der Dritten Welt eine Änderung der Agrarverfassung. Aber ich möchte auch darauf hinweisen, daß bei der Durchführung der erwähnten Maßnahmen sehr vorsichtig vorgegangen werden muß, damit sie sich nicht in das Gegenteil verkehren.Bauern können durchaus zur Investitionstätigkeit gerade in den ländlichen Regionen der Dritten Welt beitragen. Ich möchte hier eine wesentliche Feststellung der Weltbank aus dem Jahre 1982 hinzufügen. Kleinbauern erwirtschaften in der Regel pro Hektar mehr als große Betriebe und erreichen eine hohe Wirtschaftlichkeit. Die Bundesregierung sollte Programme und Maßnahmen zugunsten der Kleinbauern nach dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe noch stärker als bisher fördern.Höhere Flächenerträge sind möglich und dringend notwendig. Neben den höheren wirtschaftlichen Erträgen bringen die Kleinbauern höhere Beschäftigung und verringern die ländliche Armut — wie ich finde: ein wirksames Instrument gegen die verheerende Landflucht. Die Riesenstädte in der Dritten Welt sind ein brodelnder Vulkan, der für die Lösung der sozialen Probleme eine fast nicht mehr zu bewältigende Herausforderung darstellt.Kleinkredite zu erschwinglichen Bedingungen für Bauern und Handwerker sind besonders wirksam. Ich meine, daß dies ein echter Schwerpunkt künftiger Entwicklungspolitik sein muß.Lassen Sie mich eine Schlußbemerkung anschließen, meine Damen und Herren. Wir hatten in Deutschland und in Europa vor 150 Jahren ähnliche Verhältnisse, wenn auch die Armut nicht so drükkend und nicht so massenhaft war wie in den Ländern der Dritten Welt. In der Eifel, in den Alpenregionen, im Schwarzwald, auf der Schwäbischen Alb und anderwärts herrschten Not und Elend. Raiffeisen, Schulze-Delitzsch, Fürstabt Gerbert von St. Blasien und andere haben Wege aus der Not gewiesen.Deutsche und europäische Verhältnisse können zwar nicht auf Länder der Dritten Welt übertragen werden, dennoch sollten die guten und die schlimmen Erfahrungen, die unsere Vorfahren machten, nicht ungenutzt bleiben.Ich appelliere an Verbände, an Organisationen, an Gewerkschaften, an die Genossenschaften, an die Bauernverbände, an die Handwerkskammern, an die Banken, an die Versicherungen und die Wirtschaft, sich noch stärker als bisher zu engagieren. Regierung und Parlament müssen zusammen mit den internationalen Organisationen die globalen Herausforderungen annehmen und in einer ungeheuren, gemeinsamen Anstrengung mit den Menschen in der Dritten Welt eine Lösung suchen. Ich halte es für unbefriedigend — ich mache hier niemandem einen Vorwurf; ich müßte mich selber anklagen —, wenn sich der Agrarausschuß des Deutschen Bundestages eine viertel Stunde mit diesem Problem beschäftigt, wenn der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit eine halbe Stunde darüber diskutiert und wenn andere Ausschüsse dieses Thema kurz behandeln. Wir müssen uns in der nächsten Periode vornehmen, ausführlicher darüber zu sprechen. Regierung und Parlament sind hier in der Pflicht, zu handeln. Kongresse sind notwendig und wichtig; sie haben auf diesem Gebiete auch schon Bedeutendes geleistet. Aber ich meine, daß es die Stunde und die Aufgabe des Parlamentes ist, dieser bedrohenden Herausforderung zu begegnen.Trotz aller eigenen Sorgen und Probleme werden wir vor der Geschichte nur dann bestehen, wenn wir diese Herausforderungen annehmen, wenn wir als Industrienation unseren Beitrag zur Linderung und Minderung von Not und Elend leisten. Wir müssen handeln, damit der Planet nicht geplündert wird. Nach uns kommt nicht die Sintflut,
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7577
Sauter
sondern nach uns kommen unsere Kinder und unsere Enkel, die Rechenschaft von uns fordern. Handeln wir heute, meine Damen und Herren! Morgen ist es zu spät. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hartenstein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!Wenn sich die gegenwärtigen Entwicklungstrends fortsetzen, wird die Welt im Jahre 2000 noch übervölkerter, verschmutzter, ökologisch noch weniger stabil und für Störungen anfälliger sein, als die Welt, in der wir heute leben.Dies ist der inzwischen berühmt gewordene erste Satz aus der Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse und Schlußfolgerungen des Berichts „Global 2000", mit dem wir uns heute beschäftigen.Es ist Zeit zu handeln, damit dies nicht geschieht! „Es ist Zeit zu handeln", lautet auch der Titel des Nachfolgebandes von „Global 2000", der Empfehlungen und Handlungsanleitungen speziell für die Vereinigten Staaten enthält. Der Ruf aber, es ist Zeit zu handeln, ergeht nicht nur an die Regierung der USA, sondern er ergeht ebenso an die Regierungen und Parlamente in aller Welt, an die Verantwortlichen in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft, an die Kirchen, an die Erzieher, an jeden einzelnen.Es scheint eine sehr menschliche Erfahrung zu sein: Je gewaltiger, je übermächtiger die Probleme werden, desto rascher ist man versucht, sich davonzuschleichen, die Augen zu verschließen, Vogel-Strauß-Politik zu betreiben. Das aber darf nicht geschehen. Ich hoffe, daß die heutige Debatte, auch wenn es im Augenblick vielleicht nicht so aussehen mag, dazu beiträgt, mehr Wachheit, mehr Betroffenheit und mehr Bereitschaft zu erzeugen, die negativen Trends zu ändern.
Denn noch ist Zeit.
Die Analysen und Prognosen des Berichts, der im Juli 1980 dem damaligen amerikanischen Präsidenten Carter übergeben wurde, brauchen hier nicht in aller Breite dargestellt zu werden. Manches wurde auch schon angesprochen. Deshalb muß eine ganz kurze Grobskizze genügen.Um es gleich vorwegzunehmen: Das Ergebnis ist niederschmetternd. Bis zum Jahre 2000 wird sich die Weltbevölkerung um über 50 % vermehrt haben. Es leben dann rund 6,3 Milliarden Menschen auf diesem Planeten, davon fast 80 % in den ärmeren Ländern.Die Landflucht wird unvorstellbare Ausmaße angenommen haben, so daß eine Stadt wie Mexiko City, die heute schon über 10 Millionen Menschen beherbergt, dann auf 30 Millionen Bewohner angewachsen sein wird, Kalkutta auf fast 20 Millionen, Bombay ebenfalls auf 20 Millionen. Unausdenkbar,was dies alles für die Wasserversorgung, für dis Nahrungsversorgung und für die Wohnraumproblematik mit sich bringt.
Bis zum Jahre 2000 werden 40 % der heute vor handenen Wälder verschwunden sein. Die größten Verluste sind dabei in den tropischen Regenwäldern Afrikas, Asiens und Südamerikas zu verzeichnen.Parallel dazu breiten sich die Wüstenflächen im mer mehr aus, und zwar durch Versteppung, durci Versalzung und Erosion.Bis zum Jahre 2000 werden ca. 500 000 Tier- und Pflanzenarten vernichtet sein. Damit geht ein unersetzliches genetisches Potential zur Nachzüchtung von Sorten verloren. Ich frage: Dürfen wir das?Schließlich bahnt sich durch die steigende Kohlendioxidkonzentration eine gewaltige Klimaveränderung an. Dadurch besteht die Gefahr der Erwärmung der Atmosphäre, des Abschmelzens der Pol kappen bis hin zu der Überflutung unserer Küsten regionen.Meine Damen und Herren, es geht hier nicht dar um, aus Lust an der Sensation ein Horrorgemälde zu entwerfen. Die Debatte soll auch nicht geführ werden, um Panik zu verbreiten; das wäre nicht nu: töricht, das wäre unverantwortlich, denn Panik is ein schlechter Ratgeber. Sie führt zu falschen, of kopflosen Reaktionen, nicht aber zu sinnvollem, tat kräftigem Handeln, und dies ist gefordert. Wen! aber Handlungswille geweckt werden soll, dann meine ich, hat es auch keinen Sinn, im luftleeres Raum zu diskutieren und sich vornehm um bitten Wahrheiten herumzuschleichen.Ich möchte kurz zwei Einwände aufgreifen, die immer wieder gemacht werden. Da wird erstens ge sagt, „Global 2000" habe methodische Mängel, de: Bericht enthalte Ungereimtheiten, ja sogar Wider Sprüche. Die Autoren geben dies selber zu. Abe: angesichts der Kernproblematik wäre es verfehlt nun kleinlich darüber räsonieren zu wollen, ob denn alle Daten und Hochrechnungen bis auf die Stelle inter dem Komma stimmen oder nicht. Entschei- end — und leider eindeutig — ist die sich abzeichnende Gesamttendenz.Zweitens. Manche werden sagen: Diese Feststel- Lungen sind ja alle nicht neu; es gibt andere Berichte, so das Weltmodell der Vereinten Nationen, den OECD-Bericht, den Bericht der Nord-Süd-Kommis sinn, den Bericht der Weltbank, das Bariloche-Mo dell, um nur einige zu nennen; darin werden zum Teil ganz andere Schlußfolgerungen gezogen. - Das stimmt. Diejenigen Modelle aber, die zu optimistischeren Prognosen kommen, setzen teilweise radikale Strukturveränderungen voraus. Darüber muß man dann auch reden. Neu gegenüber den an deren Berichten ist bei „Global 2000" jedenfalls, dal hier erstmalig die Folgen für die Umwelt in solche: Ausführlichkeit untersucht und mit solcher Deut lichkeit dargestellt wurden.
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7578 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Frau Dr. HartensteinAlle, auch die Kritiker des Berichts — und deren gibt es viele —, sind sich darin einig, daß die Summe der Folgerungen für die Umwelt zutrifft. Das bedeutet, ebenso schlicht wie hart ausgedrückt, daß die Menschheit bis zum Jahre 2000 und erst recht darüber hinaus in eine Katastrophe hineinrennt, wenn nichts Grundlegendes geschieht.Neu und bemerkenswert ist allerdings noch etwas anderes: Nicht nur, daß der Bericht gewissermaßen „regierungsamtlich" erstellt worden ist, im Auftrag der US-Regierung, sondern auch daß die Ergebnisse nach dem ausdrücklichen Willen Präsident Carters Grundlage für eine längerfristige Politik sein sollten. Anders gesagt: Dieser Bericht sollte Entscheidungshilfen geben. Die zu ziehenden Konsequenzen sollten, wenn nicht kurzfristig, so doch mittel- und langfristig in politisches Handeln umgesetzt werden.Es ist angesichts dieser Sachlage unverständlich und eigentlich unverzeihlich, daß Jahr für Jahr Weltwirtschaftsgipfel, Weltwährungsgipfel, Welternährungsgipfel, Nord-Süd-Konferenzen, Süd-SüdKonferenzen und die Weltkongresse der Vereinten Nationen stattfinden, ohne daß die Überlebensfragen der Menschheit wirklich in den Mittelpunkt rücken und nicht nur am Rande abgehandelt werden.
Es ist vollends unbegreiflich, daß die Vereinigten Staaten selber, deren ehemaliger Präsident die Erstellung des Berichts veranlaßt hat und denen als größter Wirtschaftsmacht der Erde eine Schlüsselrolle zukommt, unter Präsident Reagan bislang keine Veranlassung gesehen haben, Maßnahmen zu ergreifen, um die geschilderten Trends zu verändern oder gar umzukehren.Die Uhr tickt unbarmherzig weiter. Von der Jahrtausendwende, von der magischen Zahl 2000, trennen uns gerade noch 18 Jahre. Das ist der Bruchteil eines Menschenlebens. Umgerechnet sind das weniger als 7000 Tage. Und doch tun wir so, als ob die Zukunft nicht stattfände, und beschäftigen uns nur mit der Gegenwart, womöglich mit der Vierjahresgegenwart der Legislaturperiode oder, noch kürzer, mit dem Scheuklappenblick bis zu den nächsten Neuwahlen.Wir können aber nicht zur Tagesordnung übergehen. Wir befinden uns in einem Wettlauf mit der Zeit, der nur noch mit äußerster Anstrengung zu gewinnen ist. Am schonungslosesten hat dies der Präsident der Umweltorganisation der Vereinten Nationen, Mostafa Tolba, vor der Konferenz im Mai dieses Jahres in Nairobi ausgedrückt, als er in seiner Eröffnungsrede sagte, daß die Umweltzerstörung, die sich die Menschheit leiste, genauso unumkehrbar sei wie der atomare Holocaust. — Ein Aufschrei der Verzweiflung! Wurde er gehört?Eigentlich hätte bereits der Abschlußbericht der Nord- Süd- Kommission jenen Aufweckeffekt erzeugen müssen, jene Bewegung in die Herzen und Köpfe bringen müssen, die zur Tat führt. Willy Brandt, der Vorsitzende der Nord-Süd-Kommission,hat in seinem Vorwort am 20. Dezember 1979, also vor drei Jahren, eindringlich gefragt:Ist es wirklich so, daß wir unseren Nachkommen einen zerstörten Planeten hinterlassen wollen — mit sich ausdehnenden Wüsten, ausgeplünderten Böden, verschandelten Landschaften, einer kranken Umwelt?Die Frage ist bis heute noch nicht beantwortet.Gewiß sind viele punktuelle Anstrengungen gemacht worden. Auch die Bundesrepublik hat einen beträchtlichen Anteil daran. Auf vielen Gebieten hat sie sogar Pilotfunktion übernommen. Die Beantwortung der Großen Anfrage gibt dafür zahlreiche eindrucksvolle Beispiele.Aber wie sieht es auf internationaler Ebene aus? Wie steht es z. B. mit dem Sofortprogramm der Nord-Süd-Kommission für die Jahre 1980 bis 1985? Dort wurden unter anderem vorgeschlagen: eine internationale Energiestrategie, ein weltumspannendes Nahrungsmittelprogramm, die Inangriffnahme größerer Reformen des Weltwirtschaftssystems. - Davon ist noch nichts in Sicht.Nun sage keiner, die Probleme seien eben globaler Art, was könne ein einzelnes Land schon tun. Genau auf diesen Punkt haben auch die Autoren des Berichts in ihrem Begleitschreiben an Präsident Carter hingewiesen, indem sie sagten:Die notwendigen Veränderungen übersteigen die Möglichkeiten jeder einzelnen Nation. Unsere Nation kann jedoch wichtige und exemplarische Schritte tun.Sie fügen hinzu:Wir können die Verschmutzung der eigenen Umwelt vermeiden und müssen Sorge tragen, die Umwelt global nicht zu beeinträchtigen.Akzeptieren wir diesen Satz, der schwer zu widerlegen sein dürfte, dann folgt daraus, daß jedes Land, ob groß oder klein, in der Pflicht steht, auch die Bundesrepublik.Die Hauptverantwortung, und damit auch die Hauptverpflichtung, liegt unstreitig bei den Industrieländern, zumal bei den großen. Denn sie sind in mehrfacher Weise gefordert: Erstens weil sie die größten Umweltverschmutzer sind. Beispiel: Auf der nördlichen Halbkugel der Erde werden pro Jahr 145 Millionen Tonnen Schwefeldioxid in die Luft ausgestoßen, auf der südlichen Halbkugel sind es 5,5 Millionen Tonnen.Zweitens sind die Industrieländer gefordert, weil sie die meisten Ressourcen dieser Erde verbrauchen. Ein Viertel der Weltbevölkerung verbraucht heute drei Viertel der Weltproduktion an mineralischen Rohstoffen. Die Frage, die sich dabei aufdrängt, ob das so bleiben kann, ist nicht nur eine wirtschaftliche Frage, sondern ist auch eine moralische.Drittens sind die Industrieländer gefordert, weil sie das technische Know-how besitzen, um andere Wege zu gehen zur Einsparung von Ö1, zur Nutzung erneuerbarer Energiequellen, zur Sauberhaltung
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7579
Frau Dr. Hartensteinvon Luft und Wasser, zur Bekämpfung der Bodenerosion.Auch die Bundesrepublik Deutschland ist Mitbetroffene, Mitbeteiligte und Mitverantwortliche an der globalen Entwicklung. Daher müssen auch wir uns stellen, auch als Parlament. Ein paar unverbindliche Ratschläge, auch wenn sie noch so gut gemeint sind, reichen meines Erachtens nicht an das Kernproblem heran.Der Antrag Drucksache 9/1728 begehrt Antwort auf sehr viele Fragen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, auf nationaler wie auf internationaler Ebene möglichst rasche und möglichst wirksame weitere Schritte zu unternehmen, die zur Bewältigung der Probleme beitragen können. Da die einzelnen Punkte während der Ausschußberatungen sehr detailliert ausformuliert worden sind, ist es nicht nötig, sie im einzelnen zu erläutern. Insgesamt waren übrigens sieben Ausschüsse beteiligt. Alle Beschlußempfehlungen wurden einstimmig gefaßt. Insofern, meine ich, bedarf es eigentlich nicht eines zusätzlichen Antrags, wie er heute von CDU/CSU und FDP noch einmal vorgelegt worden ist.Im März dieses Jahres hat die Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt bereits eine 40seitige Stellungnahme zu dem Bericht „Global 2000" vorgelegt. Sie ist damit dem Parlament weit vorausgeeilt. Für diese Initiative und für die geleistete Arbeit möchte ich von dieser Stelle aus meinen Dank und meine Anerkennung aussprechen.
Wer diesen Bericht vom März sorgfältig studiert, wird sich überzeugen können, daß die Bundesrepublik insbesondere in ihrer Forschungs- und Entwicklungspolitik neue Wege eingeschlagen hat, um sich diesen Herausforderungen der Zukunft zu stellen. Als Beispiele seien nur genannt: Maßnahmen zur Sicherung der Brennholzversorgung in 31 Ländern, vor allem Wiederaufforstungsprojekte, Maßnahmen zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion, zur Förderung des ökologisch angepaßten Landbaus, zur Wasserversorgung, zur Entwicklung alternativer Energietechniken und so fort. In vielen wesentlichen Bereichen kommt diese Stellungnahme dem Grundanliegen des Antrags der Fraktionen der SPD und FDP entgegen.Dem Bericht ist auch zuzustimmen, wenn im Hinblick auf die Waldverluste und die Gefahren der Klimaveränderung gesagt wird:Die Politik kann gerade in diesen Problembereichen wegen der möglichen schwerwiegenden Einflüsse auf das Klima nicht warten, bis abgesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen.In der Tat, es gibt Entwicklungstrends, deren Auswirkungen langfristig erst dann zweifelsfrei erkennbar sind, wenn die Schäden irreparabel geworden sind. Damit wird dem ständig wiederholten Einwand unseres wissenschaftsgläubigen Zeitalters, wonach kein Handlungsbedarf bestehe, solange dies oder jenes noch nicht zweifelsfrei nach-gewiesen sei, eine klare Absage erteilt. Die Priorität liegt bei der politischen Verantwortung. Es ist der früheren Bundesregierung ebenfalls zuzustimmen, in der Beurteilung, daß die in „Global 2000" aufgezeigten Tendenzen „Schlüsselprobleme für die Zukunft der Menschheit" darstellen, die, wenn sie nicht gelöst werden, zu großen Spannungen zwischen Arm und Reich in der Welt führen werden. Das heißt nichts weniger, meine Damen und Herren, als daß auch von hierher der Friede bedroht sein kann.
Der Bericht vom März 1982 verkennt nicht und verschweigt auch nicht, daß die Bewältigung der Probleme auch deshalb ein schwieriger Prozeß sein wird, weil mit Sicherheit Veränderungen im Lebensstil und weit mehr internationale Kooperation statt isolierten Vorgehens einzelner Länder notwendig sein werden.Damit sind zwei fundamentale Punkte angesprochen, die auch der Antrag aufgreift, der hier zur Debatte steht. „Es muß eine neue Ära der globalen Zusammenarbeit und der gegenseitigen Verpflichtung beginnen, die in der Geschichte ohne Beispiel ist." Dies fordern die Autoren des Berichts „Global 2000".Die frühere Bundesregierung hatte schon in der Vorabstimmung zu dem Weltwirtschaftsgipfel in Ottawa im Herbst 1980 zu dem Bericht „Global 2000" Stellung genommen. Sie hat sich weiter auf der Nord-Süd-Konferenz in Cancun im Oktober 1981 ausdrücklich für die Aufnahme von Globalverhandlungen zur Schaffung einer neuen Weltwirtschaftsordnung ausgesprochen. Diese Fäden gilt es aufzunehmen und fortzuführen.
Ich frage deshalb die Bundesregierung: Gibt es von Ihrer Seite eine Konzeption, die erkennen läßt, welche Maßnahmen Sie auf nationaler Ebene, auf EG-Ebene und auf der Ebene der Vereinten Nationen für vordringlich halten? Sind Sie bereit, sich tatkräftig für das Ingangkommen von Globalverhandlungen, von denen ich soeben gesprochen habe, einzusetzen?Ich frage im besonderen, Herr Bundesinnenminister: Werden Sie die Initiativen weiter verfolgen, und wenn ja, wie werden Sie die Initiativen weiter verfolgen, die Ihr Vorgänger, der frühere Bundesinnenminister Baum, auf der diesjährigen Konferenz der Umweltorganisation der Vereinten Nationen in Nairobi eingeleitet hat, um zu international verbindlichen Regelungen, zu einem sogenannten Code of Conduct für den Handel und die Verwendung von Pestiziden zu kommen? Was wollen Sie tun, um den gefährlichen weltweiten Anstieg des Verbrauchs an Pestiziden eindämmen zu helfen? Werden Sie sich für eine zügige Novellierung des Pflanzenschutzgesetzes einsetzen — auch mit dem Ziel, den Export derjenigen Pestizide zu unterbinden, die bei uns verboten sind? Ich bitte Sie, Herr Minister, meine Fragen nicht als eitle Provokation zu verstehen, sondern als Ausdruck der Sorge um
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7580 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Frau Dr. Hartensteindie weltweite Entwicklung. Daß uns diese Sorge nicht erst seit heute bewegt, mögen Sie daraus erkennen, daß wir die gleichen Fragen ebenfalls an unsere eigene Bundesregierung gerichtet haben.Hinweisen muß ich allerdings darauf, daß die Regierungserklärung von Herrn Dr. Kohl am 13. Oktober 1982 in allen diesen Fragen nicht nur eine bemerkenswerte Konzeptionslosigkeit, sondern auch eine bemerkenswerte Sprachlosigkeit an den Tag gelegt hat.
Umweltpolitik ist Zukunftspolitik. Sie zwingt uns wieder zu langfristigem Denken, zum Denken in Generationen — etwas, was wir eigentlich fast verlernt haben.Meine Damen und Herren, die breite öffentliche Diskussion ist längst im Gange. Landauf, landab beschäftigen sich alle gesellschaftlich relevanten Gruppen mit der Frage, wie die Welt im Jahre 2 000 aussehen wird, aussehen könnte: die Kirchen, die Jugendverbände, die Frauengruppen, die Volkshochschulen, die Akademien und Universitäten, die Gewerkschaften, die Umwelt- und Naturschutzverbände und zahllose Bürgervereinigungen. Keiner, der Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, kann darüber hinweggehen, daß vieles in Bewegung geraten ist. Hunderttausende kritische und nachdenkliche Bürger, vor allem junge Menschen, stellen sich und uns die bange Frage: Wie geht es weiter? Was wollt ihr tun? Sie meinen damit keineswegs nur die Bundesrepublik. Sie fürchten um das Schicksal der Erde. Sie fürchten wirklich um die Überlebenschancen auf dieser Erde. Sie fragen z. B., ob es in Ordnung sein kann, daß zwei Drittel der zentralamerikanischen Wälder nur deshalb abgeholzt wurden, weil es rentabler ist, dort — für wenige Jahre — Rinderfarmen einzurichten und das Fleisch dann gewinnbringend nach den USA oder Europa zu transportieren.
Die meisten meinen auch nicht, daß es erlaubt sein darf, die letzten Wälder im Himalaja zu plündern, nur damit wir unsere Kellerbars mit Edelhölzern ausstatten können, solange wir das bezahlen können.
Wenn die betriebswirtschaftliche Rechnung stimmt, ist dann alles andere gleichgültig?Der Streit um eine neue Weltwirtschaftsordnung wird spätestens dann gegenstandslos, wenn wir die natürlichen Ressourcen zerstört haben werden, mit denen wir wirtschaften könnten und müssen. Irgendwann muß einem so etwas doch einmal unter die Haut gehen.Umweltpolitik beginnt zu Hause. Wir müssen anfangen, unsere eigenen Lebensgewohnheiten zu ändern. Sonst bleibt der Appell zur Solidarität mit der Dritten Welt, zur Solidarität mit den Armen, zurSolidarität mit den kommenden Generationen ein leeres Wort, wohlklingend und hohlklingend.
In der Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982 war viel von Verantwortung und von geistig-moralischer Erneuerung die Rede. Es wurden ergreifende Worte an die Jugend gerichtet. Aber Worte genügen nicht.
Für uns ist Solidarität eine Verpflichtung, meine Damen und Herren, die weit über die Tagespolitik hinausreicht.
In der Auseinandersetzung mit diesen Existenzfragen ist ein Stück Zukunft zu bewältigen. Es ist Zeit zu handeln!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! In der Beschlußempfehlung des Innenausschusses ist aufgeführt, wie viele Ausschüsse sich an unserem heutigen Thema mitberatend beteiligt haben, nämlich sieben. Ich hatte im Ältestenrat gemeint, es wäre auch dieser Zahl vielleicht angemessen, wenn wir darüber eine Debatte von längerer Dauer hätten, als sie heute angesetzt ist.
Wenn ich allerdings sehe, wie viele Mitglieder des hohen Hauses an dieser Debatte von kürzerer Dauer teilnehmen,
und wenn ich das mit der Mitgliederzahl der sieben Ausschüsse in Verbindung bringe, dann muß ich sagen: Es sind auch im Hinblick auf die Bedeutung doch etwas zu wenige.
Ich hätte mir eine längere Debatte auch deshalb gewünscht, damit wir in der Ursachenforschung gründlicher und konkreter werden können, als wir es bei dieser relativ kurzen Zeit vermögen, bei der auch die Regierung durch die beteiligten Minister darstellen wird, welche Politik sie dazu vertreten will und vertreten wird — was sich natürlich auf die Zeit der parlamentarischen Beratung auswirkt.Ich möchte hier festhalten, daß „Global 2000" von dem damaligen Präsidenten Carter in Auftrag gegeben wurde und eigentlich das erste Regierungsszenario ist. Es gibt den Bericht des Club of Rome; es gibt das OECD-Gutachten; es gibt die Nord-SüdKommission mit dem Sofortprogramm. Aber hier hat zum erstenmal die größte westliche Industriemacht dies in Angriff genommen und einen Auftrag erteilt, aus dem ja einiges folgen sollte. Der frühere Präsident Carter war gerade gestern hier in Bonn
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7581
Wolfgramm
zu Besuch, und ich möchte ihm noch einmal dafür danken, daß er das getan hat. Ich bedauere sehr, daß die jetzige amerikanische Regierung „Global 2000" als eine Art Schubladenvorlage sieht.
Ich meine, es ist nicht unangemessen, nachdem der amerikanische Präsident hier von diesem Platz aus gesprochen hat und uns positive Positionen zur Sicherheitsvorstellung und zur Rolle der USA in der westlichen Welt und in der Welt vorgetragen hat, daß wir ihm unsere Positionen, die wir heute beschließen wollen, nämlich den Antrag der SPD/FDP mit der Beschlußempfehlung des Innenausschusses und den Entschließungsantrag der CDU/CSU und der FDP, übermitteln, um deutlich zu machen, welchen Stellenwert das deutsche Parlament diesen Dingen beimißt und welche Hoffnung es darein setzt, daß die erste Industriemacht der westlichen Welt diese Dinge nicht nur begleitet, sondern dabei voranmarschiert.Die Liberalen haben in ihrem ökologischen Aktionsprogramm vom 31. Mai 1981 in Köln zu dem Problem Ökologie gesagt — ich zitiere -:Dazu müssen wir die Grenzen markieren, an denen der natürliche Abwägungsprozeß zwischen Ökonomie und Ökologie endet und die Ökologie absoluten Vorrang erhalten muß, damit die Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts gesichert ist.Wir haben weiter gesagt:Wir müssen die ökologischen Erkenntnisse konkretisieren, um im Abwägungsprozeß zwischen Ökonomie und Ökologie die ökologischen Ansprüche zu verstärken, damit die Umweltbedingungen wirkungsvoll verbessert werden können.Ich habe mit Befriedigung vernommen, daß der Bundesinnenminister, Herr Dr. Zimmermann, kürzlich gesagt hat, daß für ihn nach der Friedenssicherung der Umweltschutz eine besondere Priorität hat und daß er in seinen politischen Vorstellungen an zweiter Stelle nach der Friedenssicherung steht. Ich vertraue darauf und hoffe, daß wir dann alle gemeinsam diese Positionen hier Schritt für Schritt weiter verfolgen.Die Debatte heute hat j a einen kleinen Nachteil. Es fehlt natürlich ein wenig der Pfeffer, weil wir alle in diesem Hause dasselbe wollen, weil wir alle dasselbe beschreiben,
und weil wir alle dieselben Sorgen um diese Probleme haben, Herr Kollege Duve. Wir haben das im vorigen Jahr an Hand des Berichts der Bundesregierung und anläßlich der Großen Anfrage zur Umweltsituation diskutiert. Wir haben das mehrfach getan.Meine beiden Vorredner, Herr Sauter und Frau Dr. Hartenstein, haben hier Zahlen genannt, und ich will die eine oder andere Frage noch einmal pointieren. Bei der Position, die „Global 2000" be schreibt, haben wir doch noch einmal einen Blick in das Werk selbst zu werfen. Es sagt zu dem Problem der Bevölkerungsexplosion, das an erster Stelle steht:Die Bevölkerungsprognosen von „Global 2000" zeigen keine bemerkenswerte Verlangsamung des Wachstums bis zum Jahre 2000. Weitere Zunahmen bis weit in das 21. Jahrhundert kann man erwarten. Ein großer Teil der für das Jahr 2000 vorhergesagten 6,4 Milliarden Menschen wird unbeschreiblich arm sein. Die biologischen Ressourcen und die Umwelt insgesamt werden allein durch den Versuch, die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, schon stark belastet sein. Unterschiede im Einkommen und beschränkte Ausbildungsmöglichkeiten werden noch zu den Schwierigkeiten beitragen.Wenn man weiß, welche beschränkten Ausbildungsmöglichkeiten in den Drittländern jetzt bereits vorhanden sind, dann kann man sich vorstellen, wieviel schwieriger es in Zukunft sein wird.Es gibt nicht nur das Problem der Nahrungsversorgung. Ich habe mir einmal aufgeschrieben, daß heute ein Hektar im Durchschnitt zwei Menschen ernährt, daß wir aber bei dieser Bevölkerungsexplosion in Zukunft davon vier Menschen ernähren müssen. Das bedeutet künstliche Bewässerung und die daraus folgende Versalzung der Böden. Nach einer mir vorliegenden Zahl sind in Ägypten bereits 30 % der zum Anbau geeigneten Böden durch die künstliche Bewässerung versalzt. In Pakistan sind bereits 11 Millionen Hektar von 15 Millionen Hektar versalzt. Das heißt: Es wird wenig Möglichkeiten geben, das wieder rückgängig zu machen.Über die Erosion ist schon das eine oder andere gesagt worden. Es ist klar, daß ein Ackerboden verkümmern muß, auch ein guter, wenn ein Viertel der Bevölkerung den primären Energiestoff Holz nutzt — und darüber hinaus Stroh und Dung verfeuert; denn dann können diese Stoffe dem Acker nicht als natürliche Ressource geführt werden.Der übermäßige Gebrauch von Pestiziden wird weiter zunehmen. Er hat ja schon dazu geführt, daß Baumwolle in bestimmten Anbaubereichen nicht mehr angebaut werden kann, weil die Schädlinge inzwischen so resistent geworden sind, daß sie mit den Mitteln, die wir haben, nicht mehr bekämpft werden können.Über die Wälder ist gesagt worden, daß sie dürres Steppenland hinterlassen, wenn sie abgeholzt sind. Wir werden im Jahre 2000 40 bis 50 % weniger Wälder haben. Großklimalage, Amazonasbecken sind ein paar Stichworte, die auch uns in Deutschland unmittelbar berühren können.Wenn wir im Bericht lesen, daß die Belastbarkeit des Lebensraumes in Afrika, also wieder in der Sahel-Zone, und im Himalaja bereits überschritten ist, dann ist das für die Betroffenen eine bittere Wahrheit, die sie vielleicht noch nicht selbst erkennen können oder erkannt haben.
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7582 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Wolfgramm
Übrigens, Frau Dr. Hartenstein, zum Artenreichtum — ich habe mir das herausgesucht —: Nicht nur eine halbe Million Arten werden verschwinden, sondern, wie der Bericht sagt, zwischen einer halben Million und zwei Millionen; also etwa ein Fünftel aller Arten, rechnet man, werden im Jahre 2000 nicht mehr vorhanden sein.Die Bundesregierung hat die Einrichtung einer Gen-Bank gefordert. Das ist sicher eine richtige Überlegung, um mit „Bordmitteln" vielleicht etwas zu retten, aber es ist natürlich eine beklemmende Vorstellung, daß wir dann auf einer Gen-Bank die eine oder andere Gen-Ressource retten müssen, wenn die Arten selber verschwunden sind.
Über das Wasser habe ich ein Zitat aus dem Bericht „Global 2000": Im Zeitraum von 1975 bis 2000 wird eine Steigerung des Wasserverbrauchs um 200 bis 300 % erwartet. Angesichts dessen, daß wir jetzt schon überlegen, wo wir in der Bundesrepublik nach Wasser bohren — denken Sie an das Problem Lüneburger Heide, Wasserversorgung für Hamburg, was wir nicht unterstützen und nicht wollen, was aber wahrscheinlich kommen wird —, dann werden wir uns auch in unseren Bereichen ernsthaft darum kümmern müssen, wie wir das Recycling von Brauchwasser herstellen können und wie wir Brauchwasserleitungen in die Neubauten legen können. Das sollten wir mit der Investitionsanleihe fördern.
18 % der Weltbevölkerung — das sind weitgehend wir in den Industrieländern, also auch wir alle, die wir hier sitzen — verbrauchen 60 % der Primärenergie. Entsprechend ist es bei dem Verbrauch der Rohstoffe. Die Kosten für die Ölimporte in die Entwicklungsländer sind zweieinhalb mal so hoch wie die gesamte Entwicklungshilfe aller Geberländer, einschließlich der sozialistischen Staaten, deren Entwicklungshilfe übrigens nicht so umfassend ist wie manche sich das vorstellen. Die Bundesrepublik allein zahlt mehr an Entwicklungshilfe — obwohl wir noch mehr tun müssen - als der gesamte sozialistische Block, es sei denn, man rechnet Rüstungshilfe mit dazu. Aber das wollen wir ja wohl nicht als Entwicklungshilfe ansehen.Professor Hansmeyer im Sachverständigenrat für Umweltfragen, der sich ja in der Ökologie sehr engagiert, hat einmal gesagt: „Die modernen Wohlfahrtsstaaten sind die größten Egoisten, die es gibt." Sie bauen natürlich einen großen Teil ihres Wohlstandes, ihres Luxus und auch ihres sozialen Netzes auf den Ressourcen und auf dem Transfer der Entwicklungsländer auf. Wir alle wissen, daß wir einen großen Teil unseres Wirtschaftswunders dem niedrigen Ölpreis der 50er Jahre zu verdanken haben.
Ich meine: Wohlstand ist kein Lebenszweck an sich, und die Steigerung des Bruttosozialproduktes alleine ist noch kein Wertmesser für Lebensqualität. Wenn wir unsere Gewohnheiten verändern wollen — und wir werden sie verändern müssen —,werden wir von der Wegwerfgesellschaft wegkommen müssen, und wir werden uns auf andere Werte zurückbesinnen müssen, die mit der Frage der Lebensqualität verbunden sind. Es wird mir nicht einfallen, einer asketischen Gesellschaft das Wort zu reden. Ich selber könnte auch schlecht ein Vorbild dafür abgeben.
Ich meine aber, meine Kolleginnen und Kollegen, Rücksicht und Verantwortung für unsere Kinder — es hat mich beeindruckt, was die Kollegin Hartenstein gesagt hat, daß wir jetzt wieder in längeren Zeiträumen denken müssen; wir haben das j a bisher immer sehr kurzfristig getan — und die Verantwortung vor unseren Nachbarn müssen uns vor diese Fragen stellen. Wir müssen unsere Phantasie, unsere Fähigkeiten und unsere Einsicht dazu benutzen, den Drittländern zu helfen und von unserem Wohlstand abzugeben. Es kann j a nicht sein, daß wir unsere Fähigkeiten nur einsetzen, damit wir eines Tages eine verödete und unbewohnbare Erde in Raumschiffen verlassen, um dann anderen Planeten zuzueilen und unser Unwesen auf diesen noch unbenutzten Planeten zu treiben. Für Liberale ist die Frage nicht nur nach der Sicherung des Überlebens, sondern nach der Sicherung eines menschenwürdigen Lebens zu stellen.Übrigens hält der Vorsitzende der Gesellschaft für Zukunftsfragen, Peter Menke-Glückert, wie viele den Nord-Süd-Konflikt für ernster als den Ost-West-Konflikt. Er hat in einer der letzten Sitzungen dort ein Dringlichkeitsprogramm und zur Abwendung von Großkatastrophen einen Weltlastenausgleich gefordert. Das letztere ist sicher noch eine Vision. Ich meine aber, daß auch die Exekutive wird erkennen müssen, daß sie auch in Zukunft nicht ohne visionäre Denker auskommen kann.
— Ich habe das eben formuliert.
— Nein, lieber Herr Kollege Duve, ich bin nur Mitglied des Innenausschusses. Ich müßte doch dann auch Mitglied des Auswärtigen Ausschusses sein. Der Auswärtige Ausschuß ist etwas für wirklich gesetzte und erfahrene Kollegen des Hauses.
Die Bundesrepublik muß hier ihre Vorreiterrolle beibehalten. Das gilt auch für den Gewässerbereich. Wir werden über die Abwasserabgaben und auch über deren Novellierung zu reden haben, wenn wir die Auswertungen vorliegen haben, und wir werden über den Chemikalienbereich und die Luftreinhaltung diskutieren. Ich nenne die TA Luft. 50 % der Luftverschmutzung geben wir von unserem Land an andere Länder weiter.Ich möchte eine Anmerkung zum Rhein-Main-Donau-Kanal machen. Ich meine, daß ökologische Zwänge und ökonomische Enge uns veranlassen sollten, doch noch einmal sehr sorgfältig zu prüfen,
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7583
Wolfgramm
ob wir hier umweltfeindliche Investitionen einsetzen wollen.
Meine Damen und Herren, ein Bereich, in dem die Bundesrepublik ihre Position sehr nachdrücklich deutlich machen kann, ist der der EG. Wir haben für das erste Halbjahr 1983 die deutsche Präsidentschaft zu erwarten. Dann ist es an der Zeit, auch diesen Vorsitz ernsthaft zu nutzen und Umsetzungen im Umweltbereich zu fordern und nach Möglichkeit zu erreichen. Das geht von den KfzAbgasen, bei denen ich höre, daß die Beratung der Gesprächsergebnisse Mitte Juni 1983 möglich sein kann, über die Luftreinhaltestrategie, die Umweltverträglichkeitsprüfungen und ein EG-Umweltaktionsprogramm bis zum Gewässerschutz einschließlich einer Nordseeschutzkonferenz, die ich hier im Plenum vor einiger Zeit einmal angeregt habe. Das wird ein Punkt sein, bei dem wir deutlich machen können, wie ernst wir es weiterhin meinen und wie sehr wir auch die Position der Bundesrepublik in der Europäischen Gemeinschaft ins Spiel bringen, um Erfolge vorzuzeigen und anderen Ländern voranzugehen. Das, was wir im Umweltschutz leisten, bietet doch die Möglichkeit, daß wir das Know-how, daß wir die Umweltschutztechnik, die wir entwikkeln, im Technologietransfer Drittländern zur Verfügung stellen, um ihnen dabei zu helfen, energiesparend die Umwelt zu schützen.Der Bericht „Global 2000" beinhaltet die Aussage, daß die dargestellten Wirkungen und die beschriebenen Prognosen dann eintreten werden, wenn keine Trendänderung vorgenommen wird. Das heißt, wir müssen eine Trendänderung vornehmen, weil es sonst so kommt, wie es hier prognostiziert ist.Ich habe ein paar Anmerkungen zum nationalen Bereich und zum EG-Bereich gemacht. Wir müssen bei der internationalen Hilfe zu langfristigen Perspektiven kommen. Das ist in der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auch ausgedrückt. Wir müssen eine weltweite Solidarität herstellen, und wir müssen den entsprechenden Technologietransfer, die Rohstoffverarbeitung, Maßnahmen für die wirtschaftliche Entwicklung, Bildung und Ausbildung gemeinsam betreiben bzw. steuern.Eine blockübergreifende Globalverhandlung — so wird es jedenfalls in den Vereinten Nationen genannt — muß nun endlich einmal Wirklichkeit werden. Herr von Wechmar hat sehr deutlich gemacht, welche Schwierigkeiten dem im Augenblick leider entgegenstehen. Die Bundesrepublik ist ein Mitglied der Völkergemeinschaft, aber eines mit Gewicht, und sie muß dieses Gewicht einbringen. Dazu kann ich diejenigen, die sich in der Regierung, in unseren Ministerien, dafür bereits engagieren, nur motivieren.„Global 2000" ist eine Art apokalyptische Johannes-Offenbarung, die sich in Zahlen und Prognosen umgesetzt hat. Wenn Sie so wollen, ist der Bericht spannender als jeder Krimi, aber er hat einenNachteil gegenüber jedem Krimi: Der Täter steh von vornherein fest, es ist der Mensch selber.Carl-Friedrich von Weizsäcker hat in seinem Es- say „Rettung der Lebenswelt" einmal gesagt: „Die ser Wandel in Werten und Meinungen berechtig nur dann zum Optimismus, wenn ihm in nicht längerer Zeit ein unumkehrbarer Wandel in den Tate: folgt — als Beginn einer neuen Weise, Menschheit: anliegen zu verwalten. Dieser Wandel setzt dreierlei voraus: eine Abschätzung der Gefahren und Chancen" — die liegt durch vielfältige Betrachtungen i: diesem Bereich, deren wichtigste heute diskutiert wird, vor —, „die Bereitschaft, die notwendige: Schritte politisch durchzusetzen" — das wollen wi alle in diesem Hause — „und den konkreten Mal nahmenkatalog für die nächsten Schritte". Da müssen wir jetzt umsetzen.Der Zusatzband „Global future — Die Zeit zur Handeln" sagt: Die globalen Bevölkerungsressourcen und Umweltprobleme lassen sich nicht vo heute auf morgen lösen und auch nicht innerhalb von 10 oder 20 Jahren. Dennoch kommt alles darauf an, prompt zu handeln und damit zu beginnen, dies Probleme auf greifbare Dimensionen zu reduzieren Mit jedem Jahr, das in Untätigkeit verstreicht, wir es schwieriger, die Probleme zu beheben. — Das i$ eine sehr zurückhaltende Formulierung. — Viele Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie.
Herr Präsident! Meine Dame und Herren! Diese Diskussion ist ebenso wie di Diskussion der letzten Jahre von der Erfahrung einer Begrenztheit in der Welt, von der Erfahrung ihrer Verletzlichkeit und von der Erfahrung unserer Verantwortung dafür geprägt. Die Modelle, m denen versucht worden ist, die Grundprobleme einzufangen, sind unterschiedlich. Sie sind unte: schiedlich im Ansatz, sie sind unterschiedlich in ihrer Einschätzung der möglichen Zukünfte. Der Club of Rome, Laxenburg-Studie, „Global 2000", Bariloche — alle diese Modelle gehen im Grunde davo aus, daß wir vor einer Fülle von Problemen stehe: Sie verstehen sich selbst nicht als eine Prophezeiung dieser Probleme, sondern sie verstehen sich a eine Herausforderung zum Handeln. Sie verstehe sich nicht als Prophezeiung einer unausweichliche und verderblichen Entwicklung, sondern sie versti hen sich als einen moralischen Appell an alle, di Entscheidungsträger sind und heute die Zukunft i ihren unterschiedlichen Verantwortlichkeiten 2 gestalten haben.Abgeordnete der Union haben in ihrer Große Anfrage, SPD und FDP haben mit zahlreichen Be trägen auch in den Ausschußdebatten, in Anträge dieses Problem aufgegriffen. Was daran beeindrukkend ist, ist nicht nur die Übereinstimmung in sel vielen Einzelergebnissen — das kann man als eine. technokratische Übereinstimmung in der Sache auslegen —, sondern aus meiner Sicht die Überein
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7584 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Bundesminister Dr. Riesenhuberstimmung in dem grundsätzlichen Ansatz und in der Bereitschaft, alle Möglichkeiten zu prüfen, die in einer schwierigen Situation der Verantwortung eines Industrielandes in einer gefährdeten Welt gerecht werden.Welche Probleme es sind, das ist sowohl in „Global 2000" als auch in verschiedenen Beiträgen in dieser Debatte angesprochen worden. Die Abholzung der großen Regenwälder, die regionalen Störungen in unseren Süßwasserbilanzen, die Gefährdung unserer Nahrungsressourcen, die Frage, ob die Fischfänge so weitergeführt werden können, ohne Fischgründe und Arten zu gefährden, die Gefährdung unserer Energieressourcen, die knapper werdenden begrenzten Rohstoffe, die Frage, ob sie rechtzeitig ersetzt werden können, die Gefährdung unseres Klimas, der Umwelt — Frau Hartenstein hat auf einige sehr konkrete Probleme hingewiesen —, die Gefährdung der Tier- und Pflanzenarten — das alles ist hier in einzelnen Fragen dargestellt und aufgearbeitet worden. Angesichts der begrenzten Zeit können wir nur einige grundsätzliche Bemerkungen machen.Die Triebkraft all dieser Probleme ist die wachsende Weltbevölkerung. Wenn Sie über die letzten Jahrzehnte die Prognosen vergleichen, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, daß nicht die Prognosen bedrückend sind, sondern die Tatsache, daß sich diese Prognosen trotz aller Anstrengungen in den betroffenen Ländern nicht geändert haben. 1972, vor zehn Jahren — vor zwölf Jahren genauso —, lautete die Prognose für das Jahr 2000 6,45, 6,5 Milliarden Menschen. Die jetzige Prognose liegt bei 6,25 Milliarden. Das ist fast dieselbe Größenordnung, und das — ich will das nicht werten, ich stelle das nur fest — trotz erheblicher Anstrengungen in den unterschiedlichsten Ländern, mit unterschiedlichen und zum Teil problematischen Methoden das Bevölkerungswachstum unter Kontrolle zu halten. Sie sehen, mit welchen massiven inneren Friktionen das in diesen Ländern und Kulturen verbunden ist — bis zu dem politischen Problem der Ministerpräsidentin Indira Gandhi, bis hin zu den Entwicklungen, die wir aus China kennen.Das heißt: damit müssen wir zumindest in den Zeiträumen und Größenordnungen, über die wir sprechen, als eine nicht veränderbare Variable rechnen. Vor diesem Hintergrund, aber auch nur vor diesem Hintergrund kann die Diskussion über die Zulässigkeit eines wirtschaftlichen Wachstums weltweit geführt werden.Die Frage des Wachstums kann man getrennt, kann man unterschiedlich, kann man auch kontrovers mit Blick auf den Zustand einer Industrienation mit einem gewissen weitverteilten Wohlstand — in unserem Land mit einem großen Wohlstand - diskutieren. Aber in dem Moment, in dem wir über Länder sprechen, deren Bevölkerung am Rande des Existenzminimums lebt, in denen Hunderte von Millionen an der Hungergrenze vegetieren, geht es angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung nicht um die Frage, ob Wachstum zulässig ist, sondern die wesentliche Frage ist, wie wir ein Wachstum vernünftig so mit Rahmenbedingungen gestallten können, daß die Zukunft mit ihren Gefährdungen beherrschbar bleibt.
Wir haben in den letzten Jahren in diesem Hause schon über verschiedene Wege diskutiert, den Ländern der Dritten Welt zu helfen. Wir müssen heute feststellen, daß nichts davon durchschlagend sein kann. Wir müssen heute feststellen — dies ist schon von verschiedenen Rednern gesagt worden —, daß Patentrezepte nicht möglich sind. Trotzdem müssen wir das Mögliche tun, wissend, daß es begrenzt ist.Es ist hier von Frau Hartenstein darauf hingewiesen worden, daß Panik nicht angemessen sei. Dies ist die einzige Prämisse, unter der wir die Diskussion erfolgversprechend führen können; denn in dem Moment, da wir davon ausgehen, daß die Probleme unlösbar seien, sind sie allein dadurch unlösbar geworden.Wir sind in den vergangenen Jahrzehnten bis zurück in die gesamte Geschichte der Naturwissenschaften davon ausgegangen, daß Probleme lösbar seien; dies nicht, weil das als Theorem beweisbar ist, sondern weil es ungeheuer fruchtbar ist. Solange wir davon ausgehen, daß die Probleme lösbar sind, können sie — zumindest haben wir in der Vergangenheit diese Erfahrung gemacht — gelöst werden.Nun wissen wir, daß unsere großen Beiträge zur Kapitalhilfe — Herr Kollege Wolfgramm hat darauf hingeweisen, wie enorm die absoluten Beträge sind und wieviel größer sie als die Beträge aus den Nationen des Ostblocks sind — eine komplette Lösung des Problems nicht erlauben. Sie haben Linderungen gebracht, sie haben den Strukturwandel mit angelegt, aber sie sind nicht die Lösung, die langfristig eine neue Qualität für das Überleben der Entwicklungsländer garantieren könnte. Die Kapitalhilfen sind wichtig, und sie werden ein wichtiges Instrument bleiben. Aber sie sind nur begrenzt wirksam.Wir haben eine Fülle unterschiedlicher personeller Hilfen angesetzt. Ich erinnere an die Aufbruchsstimmung, an die Leidenschaft bei den jungen Leuten, als damals im Nachgang zur Gründung des amerikanischen „Peace Corps" in Deutschland der Deutsche Entwicklungsdienst gegründet wurde. Ich erinnere an die Bereitschaft, mit eigenem Einsatz und mit eigenem Engagement an der Lösung der Probleme mitzuarbeiten. Das hernach Schwierigkeiten gewachsen sind, daß wir die Erfahrung gemacht haben, daß guter Wille allein diese Probleme nicht löst, daß sehr viel Sachverstand, daß spezifischer Sachverstand, daß handwerkliche Fähigkeiten, daß die Fähigkeit, auf einfachster Ebene mit einfachen Leuten zu sprechen und zusammenzuarbeiten, ganz entscheidend wichtig sind, mindert nicht diesen großartigen Aufbruch und die Bereitschaft zum Engagement, die damals die Zeit und die Arbeit vieler junger Leute geprägt hat. Die würde ich mir heute in diesen schwierigen Debatten manchmal sehr wünschen wollen.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7585
Bundesminister Dr. RiesenhuberIch leugne gar nicht, daß es eine Vielzahl anderer Ansätze gibt. Ich weiß, daß es von Privatunternehmen weit über ihr Investitionsinteresse hinaus die Absicht und die Arbeit daran gibt, vernünftige Modelle in den Ländern für die kleinen und mittelständischen Unternehmen zu entwickeln, auch für Genossenschaften. Dies alles schätze ich hoch.Ich will an dieser Stelle nur zu einem Punkt sprechen, der hier vielleicht Gegenstand der Beratung sein kann. Das ist die Frage, was eigentlich die Leistung einer Industrienation sein kann. Was kann der Beitrag einer Wissenschaftsnation sein, die hier in dieser Welt nicht mit großartigen natürlichen Ressourcen beitragen kann — die besitzen wir nicht —, die nur mit dem beitragen kann, was unser eigenstes und unser großes Kapital ist, nämlich mit technischer Intelligenz, mit der Fähigkeit, Probleme anzugehen — auch im Querschnitt anzugehen —, mit der Fähigkeit, Probleme auch über die eigene vordergründige Interessenlage hinaus aufzuarbeiten?
In den letzten zehn Jahren sind zahlreiche und sehr große Projekte durchgeführt worden. Wir stehen hier durchaus wie in vielen Bereichen in einer Kontinuität. In den letzten zehn Jahren sind rund 300 Projekte im Bereich der technischen Hilfe mit einem Aufwand von ungefähr 615 Millionen DM durchgeführt worden.Diese Projekte waren je in ihrem Bereich hilfreich. Aber wenn man fragt, ob sie weitergewirkt haben, ob sie sich im Land vervielfältigt haben, ob Strukturen entstanden sind, die sich fortentwickeln können, dann stellt man fest, daß das Ergebnis in keiner Weise befriedigend war. Es gibt auf diesem Gebiet — das ist die Grundlage für alle derartigen Arbeiten — eine enge, freundschaftliche und gute Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und dem Bundesministerium für Forschung und Technologie. Gerade in diesen Bereichen hat sich diese Zusammenarbeit bewährt. Wir werden sie in enger und vertrauensvoller Form weiterführen.Aber wir werden gleichzeitig — dies wird eine Aufgabe sein — sehen, an welchen Punkten wir vielleicht noch nützlicher sein können. Das ist jetzt keine Diskussion über die Schwerpunkte in den verschiedenen Arbeitsgebieten dieses Bereichs. Es scheint durchaus sinnvoll zu sein, zumindest in der Größenordnung die Schwerpunkte anzudeuten: Etwa 30% der Mittel sind in den Bereich der regenerativen Energiequellen, der Entwicklung landeseigener Energieressourcen, 20 % in Primärrohstoffe, in chemische Verfahrenstechnik, in die Aufarbeitung landeseigener natürlicher Rohstoffe gegangen; in den Bereich der fossilen Energiequellen sind 6 %, in die Meeresforschung, Meerestechnik 4 % und in die Biotechnologie ebenfalls 4 % geflossen. Hier könnte ich mir, insbesondere bei der Biotechnologie und bei der Meeresforschung, durchaus noch erhebliche, interessante Wachstumsraten vorstellen.
Aber innerhalb dieser Schwerpunkte, meine Damen und Herren, fragt es sich: Wo können wir konkret noch zusätzlich ansetzen? Da sind Ansätze, ausbaufähige Ansätze vorhanden: in der Trink- und Brauchwasseraufbereitung, in der Meer- und Brackwasserentsalzung, dort in der Anwendung von Techniken, die eben auch im eigenen Land fortgepflanzt werden. Was war das damals für eine große und grundsätzlich zustimmende Diskussion über Schumachers „Small ist beautiful"! Wie sagten sie alle: Das ist doch die Lösung einer Technik, die sich in den Entwicklungsländern aus deren eigenen Ressourcen proliferieren, fortpflanzen und fortentwickeln kann. Was ist, gemessen an dem — das ist ja schon ein gutes halbes Jahrzehnt her —, tatsächlich geschehen? Wir sind hier in dieser Phase in einigen Bereichen in vielversprechenden Anfängen, aber wir sind in den Anfängen. Das gilt z. B. für die Frage der Abwassertechnologie, der biologischen Verfahren, für die Technologien zur Nutzung der nachwachsenden Rohstoffe, den ganzen Bereich der Biomasse in ihrer vielfältigen Nutzbarkeit, die Förderung emissionsarmer Produktionsverfahren bei der Textil-, bei der Leder- und bei der Zellstoffverarbeitung, wo wir genau die modernsten Verfahren, die wir im eigenen Lande jetzt erst einzusetzen beginnen, exportieren müssen und nicht etwa Verfahren, die in unserem Lande nicht mehr verantwortbar und abgelegt sind und deshalb für andere Länder vielleicht noch gut genug sein sollten.Wir können — dies ist eine weitere Aufgabe einer Arbeit im Querschnitt — die Frage der Biotechnologie, die Frage der Agrartechnik — weiter angepaßt an die jeweiligen Bedingungen der Länder —, die Möglichkeiten der Gentechnologie und die Möglichkeiten, Stickstoff über die Pflanzen selbst am Boden zu binden, anstatt sie energieintensiv mit synthetischen Düngemitteln, ausschließlich mit synthetischem Stickstoff zu versorgen, weiter entwickeln, nachdem die Vorräte an natürlichen Düngemitteln hier erschöpft worden sind. Herr Kollege Wolfgramm wies darauf hin, daß es durchaus Fälle gibt, in denen Schädlinge gegen Pestizide resistent geworden sind. Ja, natürlich, aber darauf ist die Antwort nicht Resignation - dies ist auch nicht der Punkt —, sondern es stellt sich die Frage: Wie können wir durch neue Mikroorganismen, wie können wir durch eine biologische Schädlingsbekämpfung, die es ja gibt — dies alles nicht in der Absolutheit des einen oder anderen, sondern in einem Zusammenspiel der Vielfalt der Möglichkeiten, die eine entwickelte Wissenschaft bereitstellen kann —, Abhilfe schaffen? Wie können wir hier Modelle entwickeln, die hilfreich sein können?
— Nein, Herr Kollege Duve, da bin ich anderer Auffassung. Herr Kollege Duve, wir können eine Diskussion nicht so führen, daß wir einerseits sagen, die Dinge sind unlösbar, und andererseits sagen, es ist Sciencefiction.
Wenn wir hier nicht den Mut haben, an neue Fragestellungen, an neue Problemlösungen auch wirklich
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7586 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Bundesminister Dr. Riesenhubermutig heranzugehen, dann sind wir in Schwierigkeiten. Es ist hier angesprochen worden, daß auch — außer der Arbeit auf definierte Einzelprobleme hin — die Notwendigkeit eines Denkens im Querschnitt dazu gehört. Frau Kollegin Hartenstein, die Probleme des Klimas, des CO2, die Sie angesprochen haben, das Kohlendioxyd-Problem - das sind Probleme, die von Wissenschaftsnationen aufgearbeitet werden müssen, die solche komplexen Probleme im Zusammenhang durchzuarbeiten und daraus Konsequenzen zu ziehen imstande sind. Hier haben wir eine Dienstleistungsfunktion, die natürlich in unserem Interesse ist — das diffamiert sie nicht — und die ganz unverzichtbar ist. Denn wenn wir diese Probleme nicht aufarbeiten, dann können wir den Ländern der Dritten Welt nicht helfen. Dies können wir nur gemeinsam tun.Meine Damen und Herren, wir stehen hier in einer Summe von Problemen, die natürlich auch durch die Technik, durch die Früchte, durch die Ergebnisse von Wissenschaft mit entstanden sind. Die Kehrseite der Bekämpfung der Kindersterblichkeit, die Kehrseite der Bekämpfung der Seuchen war natürlich ein explosives Bevölkerungswachstum. Wir haben darüber gesprochen, daß dies der kritische Bereich ist. Aber dies bedeutet, daß wir auch die Wissenschaft und die Technik nutzbar machen müssen, um diese Probleme wieder in den Griff zu bekommen, und zwar Techniken, die an die Erfordernisse der Dritten Welt angepaßt sind. Aber wir müssen uns — dies ist von zwei Rednern heute angesprochen worden — genauso darüber klar sein — Herr Kollege Wolfgramm hat es für die Fragen der Umwelt gesagt -, daß entscheidend nicht nur ist, was wir für andere Länder an Hilfe beitragen, sondern auch, was wir in unserem eigenen Lande tun.Die Frage, wie schnell die begrenzten Ressourcen der Erde erschöpft werden, ist natürlich eine Frage, wie die Industrienationen, die den größten Teil davon verbrauchen — dies ist gesagt worden —, damit umgehen, ob wir z. B. im Bereich der Energie bereit sind, mit Energieeinsparungen, mit rationeller Energieverwendung, durch Einsatz aller neuen Energietechniken einschließlich Kerntechnik die Vergeudung von Energieressourcen zurückzudrängen. Erschöpfbare Rohstoffe zu ersetzen durch technischen Sachverstand und durch Kapital, dies wird entscheidend sein für die Zukunft auch der Entwicklungsländer.Wir hier mit unserer relativen Kapitalüberlegenheit können auf den Weltmärkten auch dann noch Ö1 kaufen, wenn sich der Preis verdoppelt hat. Aber für die Entwicklungsländer bedeutet eine Verdoppelung der Preise die Strafe des Verhungerns.
Dies bedeutet aber auch, daß wir die Fülle der Techniken in allen ihren Möglichkeiten einsetzen müssen, um weltweite Entlastung zu schaffen. Dies gilt für die Umwelt genauso wie für die Rohstoffe. Frau Hartenstein wies auf die Fragen des sauren Regens, des Schwefeldioxids hin. Wenn es uns nicht gelingt, im Wandel der Märkte, in der Abfolge der Anlagegenerationen neue umweltfreundliche Techniken tatsächlich umzusetzen, dann werden wir in unserem Land in Probleme kommen, die nicht an den Grenzen unseres Landes enden und die wir nicht verantworten können.Dazu gehört auch die Bereitschaft, durch Innovation und Austausch von Wissen einen Strukturwandel in unserem eigenen Land zu erreichen, Arbeitsteilung auf den Weltmärkten so aufzubauen, daß arbeitsintensive Produkte aus den Ländern der Dritten Welt ebenso ihre Märkte finden wie unsere Produkte hochgezüchteter Technologien in den Ländern der Dritten Welt. Das gehört beides zusammen.Das Entscheidende in dieser Lage ist, daß keiner von uns ohne den anderen überleben kann. Das Entscheidende ist, daß wir nur dann überleben können, wenn wir gemeinsam auf dieser Erde überleben. Es gibt natürlich Märkte und Interessen. Es wäre völlig unrealistisch, zu leugnen, daß hier Märkte und Interessen wesentlich sind. Natürlich sind auch Märkte und Interessen ein Vehikel. Funktionierende Märkte sind eine Voraussetzung dafür, daß die beste Technik unter den entsprechenden Rahmenbedingungen des Staates an den richtigen Platz kommt. Die kann sich natürlich nur entwickeln — es ist auf die Umweltprobleme unseres Landes eingegangen worden —, wenn rechtzeitig, zuverlässig und klar die Rahmenbedingungen durch den Staat gesetzt werden, um diese auch schwierigen Techniken durchzusetzen.Herr Präsident, meine Damen und Herren, es geht darum, daß wir in einer verletzlichen Welt überleben, daß wir gemeinsam überleben. Es geht darum, daß wir die Konflikte mindern und den Frieden bewahren, denn wenn der Frieden nicht gewahrt werden kann, sind die Chancen, daß wir diese Probleme in den künftigen Jahrzehnten gemeinsam lösen, ganz gering. Es geht darum — wie es jemand gesagt hat —, daß wir anders leben, damit andere überleben. Wenn es uns gelingt, dieses andere Leben wirklich zu vollziehen, dann bestehen die Chancen, daß wir die Probleme in den nächsten Jahren lösen können, und zwar nicht durch ein einfaches Leben, sondern durch eine verantwortbare Technik, durch eine Technik, die sich ihrer Folgen bewußt ist, die sich ihrer Rolle und Funktion bewußt ist, die eingebettet ist in verpflichtende Rahmenbedingungen des Staates im Bereich des Umweltschutzes, der Sicherheit und Entsorgung.Ich glaube, in diesem Grundanliegen — dies ist aus meiner Sicht schon jetzt eine wesentliche Frucht dieser Debatte — sind sich die Fraktionen des Deutschen Bundestages und die Bundesregierung einig. Es kommt darauf an, daß wir bei allem Streit in der Sache, der sein muß und eine wesentliche Triebkraft bei der Suche nach den besten Lösungen ist, aus dieser Gemeinsamkeit den Beitrag entwickeln, den unser Land, als ein Industrieland, in diesen schwierigen Jahren als Dienst an anderen Ländern zu leisten hat. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Graf von Waldburg-Zeil.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7587
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! „Die Erde quillt über von Adams entsetzlicher Fruchtbarkeit", so hat der bedeutende evangelische Theologe Paul Wilhelm Schütz schon in den 50er Jahren formuliert.Papst Johannes Paul II. hat indes in seiner Enzyklika „Laborem Exercens" vom 14. September 1981 das Buch Genesis 1, 28 zitiert als Gottes zu den ersten Menschen gesprochenes Wort:Seit fruchtbar und mehret euch und erfüllet die Erde und macht sie euch untertan ...Nicht nur die Theologie, auch die säkularisierte Wissenschaft kennt hier zwei Traditionsströme. Zu Beginn der Neuzeit haben die Merkantilisten vom „Bevölkerungsreichtum" einer Volkswirtschaft gesprochen und aktiv sowohl Handel und Wandel als auch die Landwirtschaft entwickelt. Malthus hingegen hat in seiner genialen Abhandlung von 1798 das „Bevölkerungsproblem" beschrieben und über den Neumalthusianismus bis zu „Global 2000" pessimistische Nachahmer gefunden.Die Kurve des Bevölkerungsanstiegs der Menschheit hat in der Tat etwas Beängstigendes. Am Ende der Jungsteinzeit, 8000 v. Chr.: knapp 10 Millionen Menschen, 1650: 140 Millionen, 1800: 900 Millionen, 1900: 1,6 Milliarden, 1950: 2,5 Milliarden, 1980: 4,5 Milliarden und im Jahre 2000 werden es vermutlich, wie schon gesagt, 6,3 Milliarden, 2100 gar 30 Milliarden sein. Wo liegen die Grenzen?Zu allen Ängsten der jungen Generation vor Krieg, Strahlungen, Umweltverschmutzung noch die Vision des menschlichen Heuschreckenschwarms, nach dem Kahlfraß der Erde dem Untergang geweiht.Mit Recht hat die frühere Bundesregierung in ihrer Stellungnahme vom März 1982 zu „Global 2000" Vergröberungen und Schwächen im methodischen Vorgehen des Berichts kritisiert. Nicht Kassandrarufe tun not, sondern konkrete Empfehlungen zu politischem Handeln. Diese sind im Bericht, auch in „Time to act", zu kurz gekommen.Ebenso ist der Warnung der früheren Bundesregierung vor dem Irrglauben, Verbesserungen könnten durch neue bürokratische Organisationen erreicht werden, zuzustimmen.Schließlich ist auch Übereinstimmung darin festzustellen, daß Familienplanung kein Ersatz für Entwicklungsanstrengungen sein kann, sondern bestenfalls deren Folge, daß der Respekt vor Eigenverantwortung der Entwicklungsländer, vor ihren religiösen und kulturellen Vorstellungen und vor den fundamentalen Menschenrechten Zwangsmaßnahmen in diesem Bereich ausschließen.Der Korridor möglicher Maßnahmen zur längerfristigen Stabilisierung der Weltbevölkerung ist also sehr schmal. Die einzig wirksame und humane Chance zur Stabilisierung des Zuwachses liegt in einer Verbesserung der Lebensbedingungen, der Bildungschancen, der sozialen Stellung der Frau. Das heißt im Grunde konsequente Fortsetzung der Entwicklungshilfe, wenn auch mit ständigem Überprüfen und Überdenken im Hinblick auf größtmögliche Wirksamkeit. Dazu ein paar knappe Überlegungen.Erstens. Fortschritte von Entwicklungsländern sind weder von der relativen noch von der absoluten Höhe der erhaltenen Entwicklungshilfe abhängig. Da die Menge der zur Verfügung stehenden Finanzmittel durch die Strukturkrise in den Industrieländern, mit Verminderung der Staatseinnahmen bei steigenden Staatsausgaben immer knapper wird, ist eine Konzentration auf entwicklungswirksamste Modelle unerläßlich.
Wenn bei einer Überprüfung deutlich werden sollte, daß unter den Rahmenbedingungen einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung dem Gesamtwohl am besten gedient wird, muß auch die Entwicklungspolitik dem in Zukunft Rechnung tragen.Zweitens. Hunger und Nahrungsmittelmangel sind nicht automatisch Konsequenz einer hohen Bevölkerungszahl, sondern oft genug Folge schlechter Verwaltungen, falscher Politik und korrupter Machtstrukturen. Auch dies kann nicht länger außer Betracht bleiben. Dasselbe gilt für das Problem Projektgröße. Oft verschlingt die Stützung unrentabler Großprojekte Mittel, die in erfolgversprechenden Kleinprojekten wirkungsvoller angelegt wären.Drittens. Entwicklung und Arbeitsteilung sind untrennbar. Kein Staat, der sich wirtschaftlich weiterentwickeln will, kommt an der Industrialisierung vorbei. Die Zurverfügungstellung landwirtschaftlicher Produkte in einem Ausmaß, das mit dem Bevölkerungswachstum Schritt hält, ist weniger schwierig als zu erreichen, daß die Bevölkerung auch die Kaufkraft besitzt, diese Güter zu erwerben. Prozesse erheblicher landwirtschaftlicher Produktionsverbesserungen bei Diversifizierung, Änderungen im Bodenrecht — vom Feudalen zur Eigentumsstruktur - Stärkung bäuerlicher Mittelbetriebe, Verbesserung der Bodenpflege und Tierzucht im engen Zusammenhang mit landwirtschaftlichem Ausbildungs- und Beratungswesen haben noch immer zur Kontraktion der von und in der Landwirtschaft Lebenden geführt. In diesem Zusammenhang muß den Schwellenländern mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Sie haben den Sprung zur Entfaltung produktiver Sektoren geschafft. Ihr Beispiel ist für diejenigen, deren Entwicklung noch nicht so weit ist, wichtiger als bewegte Klagen, daß in Boom-Ländern Verteilungsprobleme entstehen. Wichtig ist der Aufbau von Klein- und Mittelindustrie. Dabei ist mehr Gewicht auf ausgewogene Siedlungsstruktur zu legen, um der Abwanderung in Großstadtslums vorzubeugen.
Eine der Landwirtschaftsverbesserung parallel laufende derartige Industrialisierung ist ihrerseits Voraussetzung für eine funktionsfähige Sozialpolitik, durch die allein der Zwang abgebaut wird, ausschließlich durch Kinderreichtum soziale Sicherung erreichen zu wollen.
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7588 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Graf von Waldburg-ZeilViertens. Die Einteilung von Ländern nach Entwicklungsstand ist weniger wichtig als die nach Entwicklungsfähigkeit. Es gibt in der Gruppe der unterentwickeltsten solche, die durchaus Chancen haben, aber es gibt auch solche, die undank ihrer kolonialzeitbedingten Grenzziehung von Land, Bodenschätzen, Böden, Bildung und Infrastruktur her einen derartigen Nachteil besitzen, daß sie sozusagen zum Sozialhilfeempfänger auf Weltebene werden müssen, wenn nicht in Zukunft regionale Gruppierungen in Entwicklungsländern stärkere Berücksichtigung finden, in deren Rahmen Randgebiete ebenso verkraftet werden können, wie dies ja auch längst in industrialisierten Ländern der Fall ist.Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren, wenn von Bevölkerungsproblemen die Rede ist, muß auch von den weltweiten Flüchtlingsströmen die Rede sein und von denen, die sie verursachen. Können wir in Deutschland weiter geruhsam über „Boat People" diskutieren, während Flüchtlinge ertrinken?
Wenn heute von „Global 2000" Hunderttausende von Exemplaren bei vor allem jungen Menschen als eine Art wissenschaftlicher Apokalypse kursieren — das Wort ist schon gesagt worden —, gehört es zur Aufgabe der Politik, zu zeigen, daß es zwar weltweite Probleme gibt, aber auch Auswege und Lösungen. Vor allem muß der abwegigen Auffassung entgegengetreten werden, bisher sei nichts geschehen und nur gewaltige Umkehrstrategien seien geeignet, uns vor dem Untergang zu retten. Vereinfachungen dieser Art sind ein Nährboden für totalitäre Lösungen. Die Bemühungen müssen beharrlich ständig auf Wirksamkeit überprüft, hier verstärkt und dort modifiziert werden, bei Einsatz von Phantasie und auch von unternehmerischem Schwung.Mit Recht sind wir auf Deutschlands Wiederaufbauleistungen nach dem Kriege stolz. Der heutigen Jugend steht ein weltweites Aufbaufeld zur Betätigung offen. Die Diskussion von „Global 2000" sollte zu einer Aufbruchsstimmung, nicht zu einer Weltuntergangsstimmung führen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hauff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Alle Redner haben deutlich gemacht, wie sehr sie aus „Global 2000", aber auch aus anderen Weltmodellen entnehmen können, wie bedroht, wie verletzlich unsere Welt ist, wie ernst die Situation ist. Nur steht dies j a in eigentümlichem Gegensatz zu dem Interesse, das dieses Thema auch hier im Deutschen Bundestag findet. Bei der Frage, was möglicherweise die Ursache dafür ist, scheint mir, daß wir die Diskussion vielleicht etwas zu allgemein führen, auf einer Ebene, wo niemand widerspricht und wo eine Meinungsbildung praktisch gar nicht mehr stattfindet,weil da Dinge sind, über die wirklich Grundkonsens besteht. Deswegen können wir über die Probleme nicht nur global reden und nicht nur im allgemeinen, sondern wir müssen die Probleme dort benennen, wo wir jeweils gefordert sind und wo es uns auch wehtut, wo es schmerzt.
Vergiftete Fische, Seveso, Harrisburg, Tankerunfälle, mit Blei vergiftete Kinderspielplätze und das Absterben des Waldes auch bei uns, die Verkarstung ganzer ehemals fruchtbarer Landschaften sind nur einige der Stichworte, die unsere Situation hier bestimmen und die eine Entwicklung aufzeigen, die niemand auf die leichte Schulter nehmen kann.Ich glaube, es gibt berechtigten Grund zur Sorge. Ich glaube, daß derjenige, der das nicht auch sagt, nicht das Recht hat, darauf hinzuweisen, daß wir auch an der Lösung der Probleme arbeiten müssen. Es gibt berechtigten Grund zur Sorge. Ich glaube nicht, daß wir alle diese Themen unter der Rubrik „Sonstiges" behandeln sollten. Es gibt nur dann keinen Grund zur Panik, wenn wir heute, hier und jetzt wirklich entschlossen und mutig handeln, um dem entgegenzuwirken. Dabei bitte nicht die Diskussion darüber führen, was andere jeweils tun sollten, sonden den Mut und die Kraft haben, darüber zu reden, was wir heute, hier und jetzt in unserem eigenen Lande zu tun haben.Ich möchte mit dem beginnen, was wir in den letzten Jahren gemacht haben. Die Umweltpolitik war in der sozialliberalen Koalition schwierig genug durchzusetzen. Ich weiß, wovon ich da rede. Da gab es sachliche Probleme. Es gab vielerlei politischen Widerstand. Es war keineswegs so, daß das alles immer im Einvernehmen geschehen ist, Herr Bundesminister Zimmermann. Aber wir haben da einiges erreicht. Die Umweltschutzgesetzgebung der Bundesrepublik gilt heute in Europa als vorbildlich. Die Erfolge sind auch deutlich zu erkennen. Die Belastung mit Staub und Ruß wurde fast halbiert in zehn Jahren. Das läßt sich ja sehen. Ich erinnere mich auch noch sehr gut, gegen welchen massiven Widerstand wir das Benzinbleigesetz durchgesetzt haben, was jetzt zur Folge hat, daß wir in der Tat 65 % Reduktion des Bleigehalts in der Luft haben. Wir dürfen doch nicht verschweigen, wie die Auseinandersetzungen waren, die da geführt wurden.
Vor zehn Jahren war nur ein Drittel aller Abwässer biologisch gereinigt. Dann haben wir das Abwasserabgabengesetz gemacht. Welche politischen Debatten und Konflikte hat es denn ausgelöst? Da ist doch mit großen, hehren Sprüchen in Form von Sonntagsreden nichts zu bewegen gewesen. Endlich haben wir es dann durchgesetzt. Heute sind zwei Drittel aller Abwässer in unserem Lande biologisch gereinigt. Das ist ein Erfolg, der sich sehen lassen kann.Wir haben auch bei der Abfallwirtschaft Enormes erreicht. Praktisch alle wilden Müllkippen — es gab davon noch Zehntausende — sind, durch das Abf all-
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Dr. HauffBeseitigungsgesetz wesentlich mitbestimmt, beseitigt worden.Auf diese Erfolge der sozialliberalen Koalition bin ich auch persönlich stolz. Das macht mich aber nicht blind. Ich weiß, daß das Erreichte nicht ausreicht. Denn das Waldsterben ist bedrohlich. Der Schaden für die Landschaft, für die Wasserwirtschaft, für den Wasserhaushalt in der Natur und für die Forstwirtschaft ist groß. Die Luftverschmutzung bringt vor allem in den Ballungsgebieten — in Räumen wie dem Ruhrgebiet, dem Rhein-Main-Gebiet und in vielen Großstädten — enorme Probleme mit sich. Ich glaube auch, daß wir alle das Lärmproblem in seiner Wirkung unterschätzt haben. Ich weiß, daß die Aufwärmung der Flüsse das Leben in den Flüssen und anderen Gewässern bedroht.Was mich persönlich am meisten beschäftigt, ist die — ich glaube, wir müssen das zugeben — unberechenbare Gefahr, die für unser Grundwasser durch nicht abbaubare giftige Stoffe, insbesondere durch die Schwermetalle, droht. Was dort an Hypothek vorhanden ist, ist am allerwenigsten durch große Sprüche, daß alle Probleme lösbar wären, aus der Welt zu schaffen. Wer wollte eigentlich leugnen, welche enorme Gefährdung heute und jetzt etwa der Nordsee droht?Meine Damen und Herren, angesichts dieser erdrückenden Probleme kann niemand bezweifeln: Es ist Zeit zum Handeln. Es ist Zeit, weitere, klarere Orientierungen zu geben, damit die Menschen dann statt Angst tatsächlich Hoffnung schöpfen können, aber nicht unbegründete Hoffnung, sondern begründete.Die sozialliberale Koalition hat gehandelt, zuletzt am 1. September 1982.
Sie hat damals eine ganze Reihe von Maßnahmen beschlossen — mit Zustimmung aller FDP-Minister. Sie hat beispielsweise beschlossen, daß das Verursacherprinzip Vorrang hat. Wer den Dreck macht, soll für seine Beseitigung bezahlen. Meine Frage heute und hier und jetzt ist: Gilt das eigentlich noch? Und warum ist von so einem Grundsatz, der wirklich Grundlage der Politik sein muß, weder in den Koalitionsvereinbarungen noch in der Regierungserklärung mit einem Wort die Rede?
Darüber schweigt man sich aus. Gilt das noch, oder gilt das nicht mehr?Wir haben weiter beschlossen: die Lebensmittel werden durch eine umfassende rechtliche Regelung besser geschützt. Auch davon steht kein Wort in der Koalitionsvereinbarung. Gilt das noch? Stehen die Kollegen von der FDP noch zu ihrem Wort, das erst wenige Wochen alt ist?Wir haben beschlossen: Für die Nordsee wird ein Schwerpunktprogramm erarbeitet, in dem steht, was die Bundesregierung tut, auch international abgestimmt. Kein Wort steht dazu in der Koalitionserklärung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?
Vom Kollegen Gallus, meinem Landsmann, immer gern.
Herr Kollege, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß es, wenn man von der Belastung der Nordsee spricht und wenn besonders in Bremen und Hamburg sehr viel davon gesprochen wird, Aufgabe dieser Städte ist, endlich einmal dafür zu sorgen, daß die Abwasserbeseitigung usw. so in Ordnung kommen wie im letzten Dorf im Bayerischen Wald?
Also, Herr Kollege Gallus, es gibt überhaupt keinen Zweifel, daß die Hauptverschmutzung der Nordsee über die Flüsse erfolgt und daß deswegen alle, die Flußanlieger sind, in der Bundesrepublik, aber auch in den anderen Staaten helfen müssen, damit die Bedrohung beseitigt wird. Die Vorstellung, daß das im wesentlichen durch die Stadtstaaten verursacht wird, geht an der Wirklichkeit ziemlich vorbei.
Wir haben am 1. September 1982 beschlossen, daß die Vorschriften über die Abgase von Autos durch neue Vorschriften innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, also ohne Wettbewerbsverzerrungen, verschärft werden sollen, weil wir das für notwendig halten. Kein Wort davon steht in der Koalitionsabsprache und in der Regierungserklärung.Die Möglichkeiten für Forschung und Technologie sollten gezielt zur Förderung der Umweltprobleme eingesetzt werden. Noch wichtiger: Das bestehende Umweltrecht — ein wichtiger Grundsatz, kein Detailproblem! — soll noch konsequenter angewendet werden. So haben wir es formuliert. Kein Wort davon steht in der Koalitionsvereinbarung, kein Wort davon in der Regierungserklärung. Das muß ein ganz elementarer Grundsatz der Umweltpolitik sein.
Dann gibt es die Auflagen für Großfeuerungsanlagen, die verschärft werden. Wir strebten entsprechende internationale Absprachen an, weil das ein Mittel ist, um dem Waldsterben entgegenzuwirken. Nach der gestrigen Fragestunde hat man den Eindruck: Auch auf diesem Gebiet wackelt die Bundesregierung; sie denkt schon darüber nach, die Grenzwerte zu entschärfen. Sie schließt es jedenfalls nicht aus. Sie sagt nicht klar: Wir sind der Meinung, daß das nach dem heutigen Stand geschehen muß.Am 1. März haben wir weiter beschlossen: Die TA Luft wird novelliert. Gewiß: Das steht in der Koalitionsvereinbarung. Aber das ist auch das einzige. Und es steht unter der bezeichnenden Überschrift „Sonstiges" — als ob das Thema Umweltschutz, wenn es so ernst ist, wie wir es von der Union und
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Dr. Hauffder Regierung hören, unter der Überschrift „Sonstiges" abgehandelt werden könnte.
Alle diese Beispiele zeigen deutlich — jedenfalls kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren —: Die neue Bundesregierung schiebt die Umweltpolitik in die hinterste Schublade.Ich finde das bedauerlich. Denn hier wird etwas zerstört, was wir in den letzten Jahren mit viel Mühe begonnen haben.
Nun spricht der Herr Zimmermann von Kontinuität im Umweltschutz, dem er sich verpflichtet fühle. Nun, Herr Bundesminister, ich höre die Botschaft; allein, mir fehlt der Glaube.
Warum eigentlich haben Sie den für Umweltschutz zuständigen Spitzenbeamten, wenn Sie Kontinuität wollen, gefeuert, dazu noch mit den Worten: Ich bin mit der von Ihnen vertretenen Umweltpolitik nicht einverstanden?
Warum haben Sie das gemacht, wenn Sie für Kontinuität plädieren? Das ist das Gegenteil. Herr Zimmermann, Sie sagen: Unwahr! Ich habe Ihr „Spiegel"-Interview gelesen, Herr Kollege Zimmermann — Entschuldigung: Herr Bundesminister Zimmermann. Ich habe daraufhin den Betreffenden befragt. Er hat mir bestätigt, daß das Zitat, das ich hier genannt habe, genau stimmt. Das Gesetz zwingt Sie überhaupt nicht, Ihre Entscheidung zu rechtfertigen. Nur wenn Sie einen Grund dafür angeben, müssen Sie auch zulassen, daß darüber öffentlich geredet wird. Das müssen Sie sich schon gefallen lassen.
Hier wird offensichtlich der Versuch unternommen, die erfolgreiche Arbeit, die Gerhart Baum in der sozialliberalen Koalition begonnen hat, kaputtzumachen. Herr Verheugen hat das ein Alarmsignal genannt.
Ich finde das alles eine unzumutbare Provokation für all diejenigen, die im Umweltschutz keine Wende und schon überhaupt keine Atempause wollen.
In diesem Zusammenhang muß sich der Bundesinnenminister fragen lassen: Was stimmt eigentlich an dem Gerücht, er beabsichtige im Frühjahr personelle Veränderungen beim Umweltbundesamt in Berlin, um sich auf diese Weise unliebsame Mahner vom Hals zu halten? Herr Menke-Glückert soll nur der Anfang gewesen sein, und nach einer Schonfrist sollen dann dabei weitere Köpfe rollen, ähnlich wie es Präsident Reagan in den Vereinigten Staaten von Amerika gemacht hat, wo er die Umweltschutzbehörde durch solche Entscheidungen praktisch zerstört hat. Ich finde, Herr Bundesinnenminister, dazu sollten Sie sich hier in diesem Parlament öffentlich und klar äußern.Mein Eindruck ist: Sie machen im Umweltschutz nur das, was sich in das Kräftefeld der Unternehmerinteressen einordnen läßt.
Dafür ein Beleg, Herr Kollege Lenzer: Am 1. September hatten wir beschlossen — das ist ein wörtliches Zitat, mit Genehmigung des Präsidenten -: „Im Naturschutzgesetz wird die Landwirtschaftsklausel so revidiert, daß dem wechselseitigen Verhältnis zwischen landwirtschaftlicher und forstwirtschaftlicher Nutzung und einem funktionsfähigen Naturhaushalt gemäß den heutigen Erkenntnissen Rechnung getragen wird." Jetzt soll das nicht mehr weiter verfolgt werden. Statt dessen heißt es in der Regierungserklärung von Herrn Kohl: „Dabei vertrauen wir in besonderer Weise auf die Mithilfe der in unserer Landwirtschaft Arbeitenden." Ende der Durchsage.
Das ist weiße Salbe. Nichts gegen Vertrauen, aber der Verzicht auf eine gesetzliche Regelung ist ein schwerer Rückschlag für den Naturschutz und für die Landschaftspflege.
Offensichtlich ist diese Bundesregierung zu feige, die Natur gegen die Interessen der industriellen Großbetriebe in der Landwirtschaft wirklich zu schützen. Herr von Heereman läßt grüßen. Mit Kontinuität hat das jedenfalls nichts zu tun.Es lassen sich meines Erachtens weitere Beispiele dafür anführen, daß diese Regierung gerade im Umweltschutz mächtige Interessen schützt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gallus?
Ich möchte den Gedanken jetzt erst einmal zu Ende führen.Da werden Milliarden für dieses größenwahnsinnige Projekt des Rhein-Main-Donau-Kanals ausgegeben. Die Mittel im Haushalt 1983 sollen sogar noch einmal aufgestockt werden, wie ich höre. Ich weiß nicht, was daran ist. Gleichzeitig werden die Mittel für den öffentlichen Personennahverkehr zusammengestrichen, obwohl der nun wirklich aus stadtökologischen Gründen dringend erforderlich ist.Da legt sich ein neuer Bundesforschungsminister — voreilig, meine ich — darauf fest, daß auf jeden Fall beide fortgeschrittenen Reaktorlinien, sowohl der Hochtemperaturreaktor als auch der Schnelle Brüter, auf jeden Fall zu Ende gebaut werden, und er wettert auch gegen die direkte Forschungsförderung.
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Dr. HauffDas kann doch nur der Auftakt sein, um so wichtige Bereiche wie Klimaforschung, wie Umweltforschung finanziell abzuwürgen.
— Doch, das stimmt, und wir werden das noch erleben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Riesenhuber?
Bitte schön.
Herr Kollege Hauff, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir in allen Aussagen zu dem Schnellen Brüter und Hochtemperaturreaktor festgestellt haben, daß nach dem katastrophalen Debakel des Projektmanagements in den letzten Jahren die zusätzlichen Kosten nicht insgesamt vom Forschungshaushalt aufgebracht werden können
und daß damit die Festlegung und Fertigstellung der Projekte hier von einer zusätzlichen substantiellen Beteiligung der Wirtschaft abhängig ist?
Ich nehme das zur Kenntnis. Nur hören wir auch — das werden wir im Rahmen der Etatberatungen miteinander zu bereden haben -, daß Sie, wie der Kollege Ehmke gerade eingeworfen hat, zusätzliche 600 Millionen DM eingestellt haben.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte schön, das ist aber die letzte.
Sind Sie bereit, Herr Kollege Hauff, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Einstellung der 600 Millionen DM im Nachtragshaushalt erforderlich war, weil die vergangene Bundesregierung im Vorgriff auf zukünftige Haushalte Verpflichtungsermächtigungen, Zuwendungsbescheide am Haushalt vorbei beliehen hat, so daß diese Bugwelle überhaupt erst einmal abzutragen war, damit überhaupt eine sachgerechte und haushaltswahre Haushaltsführung möglich ist?
Selbst wenn das so wäre, würde das bestätigen, daß damit der finanzielle Rahmen für alle die Aufgaben, die Sie hier genannt haben, praktisch ausgeschöpft ist.
Meine Damen und Herren, in der Regierungserklärung von Herrn Kohl heißt es wörtlich:Wirksamer Umweltschutz ist nur mit der Technik und nicht ohne sie möglich.So weit Bundeskanzler Kohl. — Dem kann ich zustimmen, aber es ist meines Erachtens nur die halbe Wahrheit, denn richtig ist auch — worauf Bundesminister Riesenhuber in seinem Debattenbeitrag hingewiesen hat —, daß die Probleme der Umweltverschmutzung in den Industriestaaten durch die angewandten Naturwissenschaften und durch die technisch industrialisierte Produktion entstanden sind. Deswegen gehört zur ganzen Wahrheit,
daß wir eben eine neue Technik, neue Umwelttechnologien brauchen. In diesem Sinne ist Global 2000 ein einziger Appell an die Technik, nicht nur, Herr Bundesminister Riesenhuber, um Probleme, die vorhanden sind, zu lösen — das ist wichtig und richtig —; aber noch wichtiger wird es meines Erachtens in der Zukunft sein, auch eine industrielle Produktion zu ermöglichen, bei der diese Probleme in der Form überhaupt nicht mehr auftauchen. Das heißt: Das Sanierungsprinzip ist richtig, aber es muß in wachsendem Maße durch das Vorsorgeprinzip ergänzt werden. Wir hätten an den Stellen, wo sich der Regierungschef zu diesen Fragen äußert, ganz gern etwas im Sinne einer geistig-moralischen Orientierung gehört.Wir brauchen eine Technik, die die Lösung der Probleme nicht erschwert, sondern erleichtert, denn richtig ist eben, auch: Die bloße Ausdehnung der vorhandenen Produktionstechnik auf alle Länder ergibt keine menschliche Zukunft. Ich hoffe sehr, daß wir in diesem Parlament die Kraft haben — bei allem Streit, der in der Tat notwendig ist —, unserer Verantwortung auch wirklich gerecht zu werden. Ich denke, dabei kommen wir nicht an der Erkenntnis vorbei: Unser Verhältnis zur Natur ist nicht mehr in Ordnung. Niemand gibt uns das Recht, die Natur zu zerstören.
Aber bereits heute sind 8 % aller Säugetiere und Vögel ausgestorben, so der Bericht der Bundesregierung. Für das Jahr 2000 wird in der Studie, die im Augenblick auf der Tagesordnung steht, vermutet, daß etwa 15 bis 20% aller Pflanzen- und Tierarten auf der Erde ausgestorben sind, wenn wir den Kurs nicht energisch ändern.Nun höre ich das Lachen und sehe das auch; manch einem mag das gleichgültig sein. Ich muß das zur Kenntnis nehmen.
— Wenn Sie so freundlich sind und mithelfen würden, daß in Idar-Oberstein ein entsprechender Gemeinderatsbeschluß in dieser Frage zustande kommt, dann wäre schon eine Menge erreicht. Immer die Probleme dort lassen, wo sie sind!
Lassen Sie mich zurückkehren zu der Frage unseres Umgangs mit der Natur. Ich glaube, daß die Tatsache, die Global 2000 hier anspricht, in der Per-
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Dr. Hauffspektive keinen von uns gleichgültig lassen kann. Ich jedenfalls fühle mich mitverantwortlich, wenn ich meinen Kindern eine Welt hinterlasse, in der dann 20 % aller Pflanzen und Tiere, die heute existieren, nicht mehr leben. Mein 14jähriger Sohn fragt mich heute danach. — Wir dürfen nicht so tun, als ob das etwas wäre, was nur in Expertenkreisen diskutiert wird. — Ich bin traurig, daß ich ihm keine überzeugende Antwort geben kann — bis jetzt.Es gab eben nicht nur eine Ausbeutung des Menschen in der industriellen Arbeit, sondern es gibt heute eine Ausbeutung der Natur durch den Menschen. Dies ist kein Problem von Spinnern und von Radikalen, sondern das ist ein sehr ernstes Problem, das uns alle angeht.
Es ist zur Zeit sehr viel von Wachstum die Rede, aber die Natur wächst nicht mehr,
sie schrumpft, und zwar durch Entscheidungen des Menschen.
— Verehrter Herr Lenzer, daß Sie sich nicht mit Global 2000 beschäftigt haben, ist eine andere Sache. Ich sage Ihnen noch einmal: Da wird prognostiziert, daß die Natur in erheblichem Maße zerstört wird.
Ich finde schon, daß das niemanden, der für einen verantwortlichen Umgang mit der Natur und insbesondere mit der Kreatur und — vielleicht ist es gestattet, in diesem Plenum das Wort auch in den Mund zu nehmen — für einen verantwortlichen Umgang mit der Schöpfung eintritt, gleichgültig lassen kann.Ich will noch ein Wort zum Verhältnis von Ökologie und wirtschaftlicher Entwicklung sagen. Da werden in der Tat oft künstliche Gegensätze konstruiert. Mit Recht hat deswegen Helmut Schmidt in seiner Regierungserklärung 1980 formuliert:Wir brauchen nämlich zugleich neue Arbeitsplätze und Schutz für unsere natürliche Umwelt. Wir brauchen beides zugleich!Das heißt, es muß also das Ziel der praktischen Politik sein, jene Schritte herauszufinden, die ökonomische und ökologische Vernunft zur Übereinstimmung bringen. Dafür gibt es viele Chancen, beispielsweise im weiten Bereich der Industrie, die zum Umweltschutz beiträgt, im Bereich des Energieeinsparens, der rationellen Energieverwendung, der Abfallbehandlung, der Abwassertechnik, der Luftreinhaltung, der Entsorgung von giftigen Stoffen, der Lärmverminderung, kurz gesagt, im Gesamtbereich der Öko-Industrie. Hier liegen Wachstumsfelder. Hier liegen auch Chancen für neue Arbeitsplätze. Wir brauchen neue Kläranlgen. Wir brauchen modernisierte Kohlekraftwerke. Wir brauchen eine Sanierung und Modernisierung alterIndustrieregionen, z. B. des Ruhrgebietes. Wir brauchen einen besseren Schutz für das Grundwasser. Wir brauchen saubere Flüsse. Hier liegen noch ungenutzte Chancen, auch beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit.Ich möchte aber nicht verschweigen, daß es natürlich in diesem Verhältnis zwischen Ökologie und wirtschaftlicher Entwicklung auch Konflikte gibt, etwa bei der Beseitigung von ökologisch schädlichen oder gar für den einzelnen Arbeitnehmer gesundheitsgefährdenden Produktionsbereichen.Ich glaube aber, daß sich sehr oft zeigen läßt, daß es sich dabei um einen Zielkonflikt zwischen kurzfristigen Einzelinteressen und längerfristigen gesamtgesellschaftlichen Interessen handelt. Wenn man die Dinge etwas differenziert betrachtet, stellt man sehr rasch fest, daß wir oft eine Art des Produzierens haben, bei der der Vorteil einer bestimmten Produktionstechnik privatisiert wird und die negativen Folgen, die Nachteile, für uns sozialisiert werden, sei es über die Solidargemeinschaft der Krankenkassen, der Rentenversicherer oder über den Steuerzahler. Deswegen bleibt es richtig: Nur ökologisch vernünftige Arbeitsplätze sind auch wirklich zukunftssichere Arbeitsplätze!
Für mich ist der an einem Gänseblümchen kauende, im unverseuchten Gras liegende Arbeitslose ebenso ein Schreckensbild wie der Arbeitnehmer in einem gesundheitsgefährdenden Produktionsbereich, der vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden und seinen Lebensabend als verkrüppelter oder behinderter Mensch verbringen muß. Anders formuliert: Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der die ernsten Sorgen über die den Menschen bedrohende Umweltzerstörung ebenso berechtigt sind wie die ernsten Sorgen angesichts von fast 2 Millionen Menschen, die keine Arbeit mehr finden. Wir dürfen weder das eine noch das andere allein sehen.
Das ist unsere Situation, der wir uns stellen müssen, voller Widersprüche, auch voller Spannungen. Wir müssen versuchen, den Weg zum Abbau dieser Spannung zu finden. Wir brauchen Vollbeschäftigung und wir brauchen Umweltschutz. Diesen Weg müssen wir suchen. Diesen Weg müssen wir finden. Das ist unser Weg. Wir Sozialdemokraten gehen diesen Weg entschlossen. Wir sind dabei, um mit einem Wort von Ernst Bloch zu schließen, „ins Gelingen verliebt und nicht ins Scheitern".
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin Herrn Hauff sehr dankbar, daß er ein bißchen Farbe in diese Debatte gebracht hat, weil ich mir vorgestellt habe, wie wohl die jungen Leute, die die Hoffnung aufgegeben haben, daß die, die in diesem Hause sitzen, die Her-
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Frau Schuchardtausforderungen der Zukunft wirklich aufnehmen können, wohl reagiert hätten, wenn sie Gelegenheit gehabt hätten, diesem zu folgen. Dieses findet aber natürlich unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt; insofern ist es nicht so schlimm. Ich sage das einmal mit aller Härte.Es wird immer wieder gesagt, wir sollten doch, bitte schön, keinen Pessimismus verbreiten. Nur, Pessimismus muß man wohl entwickeln, wenn man weiß, daß dieser Bericht schon ein paar Jahre alt ist und in seinem Ursprungsland trotz des Alarms, den er ausgelöst hat, nicht nur in der Schublade, wie Torsten Wolfgramm vorhin gesagt hat, gelandet ist, sondern schlicht und einfach im Papierkorb. Man muß doch wohl auch sehen, daß dieser Bericht schon so alt ist, daß der Alarm, der aus ihm spricht, wenn er wirklich ernstgenommen würde, natürlich hätte dazu führen müssen, daß der Bericht der Bundesregierung der sozialliberalen Koalition mehr Betroffenheit ausspricht;
das gilt natürlich auch für die Regierungserklärung der jetzigen Koalition.
Beides ist nicht geschehen, und deswegen ist das, was hier heute stattfindet, wahrscheinlich nichts anderes als eine Alibi-Veranstaltung.
Es wird gesagt: Zwar haben wir es gelesen, aber ansonsten gehen wir wieder zur Tagesordnung über.
Es kann doch gar kein Zweifel daran bestehen, daß das, was in diesem Bericht in Trends beschrieben ist, heute nicht mehr bestritten werden kann und auch nicht mehr ernsthaft bestritten wird. Dennoch geistert immer die Auffassung umher, hier seien die Probleme, wie sie sich denn wohl im Jahre 2000 darstellten, lediglich durch ein Vergrößerungsglas gesehen worden. In Wirklichkeit handelt es sich doch wohl um ein ganz anderes Bild, das man in diesem Zusammenhang heranziehen muß — es stammt übrigens nicht von mir, sondern von einem Teilnehmer an einer Podiumsdiskussion, an der auch ich teilgenommen habe —: Im Grunde genommen handelt es sich um eine Momentaufnahme eines Selbstmörders, der aus dem 50. Stock eines Hochhauses gesprungen ist und von dem man, wenn er in Höhe des 20. Stocks ist, sagt: Er lebt noch. Das ist das, was dieser Bericht sagt. Er stellt fest, was im Jahre 2000 an Entwicklungen gegeben sein wird; aber man muß natürlich wissen, daß die Trendentwicklungen danach — und zwar ziemlich selbstmörderisch — weitergehen.Wenn man dies hier ausspricht, so ist das ja kein Pessimismus. Pessimistisch müßte man vielmehr dann sein, wenn man dies nicht zur Kenntnis nähme.
Es handelt sich hierbei schließlich um etwas Bedrohliches, was nur noch 18 Jahre vor uns liegt. „2000" klingt immer so phantastisch; das nächste Jahrtausend, ach du lieber Gott, das erleben wir ja gar nicht. Die meisten werden es noch erleben! Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, daß keine Generation über die zukünftigen Herausforderungen so viel wußte, wie unsere politisch handelnde Generation heute weiß.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lammert?
Ja.
Frau Kollegin Schuchardt, welchen Sinn könnte eigentlich die Debatte Ihrer Meinung nach noch haben, wenn nach Ihrer Auffassung das Bild vom Selbstmörder für die Beschreibung der Lage, über die wir hier gemeinsam miteinander reden, zuträfe?
Das Entscheidende ist, daß man versuchen muß, die Trendwende tatsächlich noch einzuleiten,
die Trendwende, die eben den sicheren Tod verhindert. Um nichts anderes geht es. Das geht nicht durch schöne Sonntagsreden zu dieser Zeit, sondern das muß ich gleichzeitig bei der Wirtschaftsdebatte, gleichzeitig bei der Entwicklungsdebatte und gleichzeitig bei der Haushaltsdebatte berücksichtigen. Nur dann wird es glaubwürdig!
Weil die Zeit davonläuft — ich habe, um noch einiges aufzuzählen, nur 10 Minuten gehabt, und jetzt sind es nur noch 4 —, möchte ich nun nur noch die folgenden Punkte ansprechen. Was den ganzen Bericht „Global 2000" so wenig treffend — im Sinne von: tatsächlich jeden einzelnen von uns treffend - macht, ist, glaube ich, daß er keine Ursachenanalyse enthält. Möglicherweise wäre ein Bericht, der eine Ursachenanalyse mit angestrebt hätte, auch niemals auf den Markt gekommen. Insofern muß man natürlich denjenigen sehr dankbar sein, die gesagt haben: Lassen wir die erst einmal weg, beschreiben wir einfach einmal, wie es ist. — Eine Ursachenanalyse muß dann natürlich dringend folgen, und das bedeutet, daß man sehr vielen auf die Füße treten muß, uns selbst, unserer Stadt, unserer Kommune, unserem Betrieb, in dem wir tätig sind, unserem Land — wem auch immer.
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Frau SchuchardtIch will meinerseits einfach einmal versuchen aufzuzeigen, wo man etwas tun müßte, um hier tatsächlich noch die Chance zu ergreifen, eine Trendwende einzuleiten. Wir haben es in diesem Bericht mit Sachzwängen zu tun, und zwar mit objektiven Sachzwängen. Was mich in der Politik mit dem Begriff Sachzwang immer so ins Unreine gebracht hat, ist die Definition Sachzwang rührt allein aus interessenorientierten Gründen her; man hält etwas für nicht durchsetzbar, weil bestimmte Interessen dagegen sprechen. Das ist der Sachzwang, mit dem sich Politik in der Regel auseinandersetzen mußte. Hier handelt es sich aber um einen objektiven Sachzwang; denn, wenn er in der aktiven Politik nicht berücksichtigt wird, machen sich alle diejenigen, die heute politisch handeln, an den zukünftigen Generationen strafbar.Nun, ich meine, wir kommen nicht drum herum, in Bundestag und Bundesregierung Kapazitäten zu schaffen, die langfristige Trends und ihre Ursachen prognostizieren und analysieren, und zwar ressortsübergreifend. Dann heißt es aber immer gleich wieder einschränkend: um Gottes willen, wir brauchen keine neue Bürokratie. Will ich nun das Planungspotential haben, das es mir ermöglicht, vernünftige politische Entscheidungen zu treffen, oder will ich es nicht haben?
Dann darf ich aber nicht auf der einen Seite sagen: Ich fordere es! und gleich auf der anderen Seite: Aber es darf um Gottes willen nichts Neues an Bürokratie entstehen!Ich bin sehr wohl bereit, darüber nachzudenken, daß ich meine Aufgabenkritik beim Staat vornehmen muß, weil das Ding sowieso viel zu umfangreich geworden ist. Aber bitte nicht immer an der Stelle den Finger heben, wo dringend etwas zu tun nötig wäre.
Das Zweite. Es gibt etwas, wie ich finde, außerordentlich Vernünftiges: Das ist das Vetorecht aus finanziellen Gründen, d. h. die besondere Machtstellung des Haushaltsausschusses, die besondere Machtstellung des Finanzministers. Eine sehr weise Geschichte! Warum haben wir keine Anwälte in Sachen Zukunft — nicht nur in Sachen zukünftiger Finanzierung, sondern auch in Sachen Zukunftsverträglichkeit im weitesten Sinne? Warum haben wir keinen Zukunftsminister — das soll einfach ein Arbeitstitel sein —, der ein Veto einlegen kann gegen bestimmte Gesetze, gegen bestimmte Vorhaben, die keine Zukunftsverträglichkeit haben.
— Aber bitte nur mit Kompetenzen, keine Spielwiese!
Der nächste Punkt. Ich halte es für unerträglich, daß wir als Abgeordnete — und zwar jetzt unabhängig, wer auch immer da regiert — darauf angewiesen sind, daß in bestimmten Bereichen — Autobahnbau oder wo auch immer — von seiten der Regierung Untersuchungen in Auftrag gegeben werden, aber nur diejenigen Untersuchungen weitergegeben werden und das Licht der Öffentlichkeit, auch der parlamentarischen Öffentlichkeit, entdecken, die das von der Regierung gewünschte Handeln untermauern?
— Ich habe bewußt gesagt: das ist unabhängig davon, wer regiert. Mein Gott, seien Sie auch einmal fähig, Ihrer eigenen Regierung gegenüber kritisch zu sein!
Das habe zumindest ich immer als meine Aufgabe als Parlamentarier empfunden. Es steht j a nicht im Grundgesetz: Es gibt zwei Typen von Parlamentariern; die einen müssen die Regierung unterstützen, die anderen kontrollieren sie. Sondern die Aufgabe dieses Parlaments in Gänze ist, die Regierung zu kontrollieren.
Damit kein Mißverständnis aufkommt: Ich hätte das gleiche gesagt, wenn hier noch die sozialliberale Koalition säße. Daß wir uns da nicht. mißverstehen!
— Sie brauchen bloß meine Ausschußkollegen zu fragen,
dann wissen Sie ganz genau, daß ich mir darin treu geblieben bin und auch treu bleiben werde.
Wir sprechen immer wieder an: Wo thematisiert man dies eigentlich international? Dann wird gern auf die globalen Verhandlungen — auch wieder so eine Spielwiese — vor der UNO verwiesen. Natürlich gehört das dahin. Es ist auch ganz wichtig, daß die stattfinden. Aber wo es natürlich zu allererst hingehört, das ist der Wirtschaftsgipfel. Die dürfen sich beim Wirtschaftsgipfel nicht nur darüber unterhalten,
wie man das mit den Währungen hinkriegt und wie man das mit der Inflation, mit der Verschuldung und sonstwas hinbringt. Was zum wirtschaftlichen Handeln ganz intensiv gehört, ist das langfristige Überleben dieses Globus.
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Frau SchuchardtIch brauche überhaupt nicht mehr wirtschaftlich zu handeln, wenn darauf keiner mehr lebt. Da gehört das hin — unmittelbar.Schließlich bedarf es — um dieses Thema nicht allzusehr als globales am Horizont zu belassen - natürlich der vielen, vielen „Lokal 2000": nämlich daß man in jeder einzelnen Kommune, in jedem einzelnen Lebensbereich, in dem man sich selber befindet, vor sich selber analysiert, was für die Zukunftsverträglichkeit notwendig ist.Schließlich: Wir sind hier alle zerfallen in ein ziemliches Expertenwesen. Jeder ist für seinen kleinen Politikbereich zuständig. Je mehr Experte er ist, desto höher Ist auch noch seine Anerkennung.
Das heißt, Politik muß sich endlich wieder begreifen als eine ressortübergreifende Art der Betrachtung, nicht nur als eine ressortspezifische Betrachtung.
Verzeihen Sie, Frau Abgeordnete; ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Dasselbe gilt natürlich auch für die Wissenschaft. Ich finde es nicht gut, wenn die Politikberatung ressortspezifisch ist: Hier gibt es den Jahreswirtschaftsbericht, dort den Umweltbericht, dort den Entwicklungshilfebericht. Überall sitzen andere Leute und schreiben wahnsinnig viel schlaues Zeug. Aber es kommt niemals zu einer vernünftigen Verzahnung aller dieser Politikbereiche.
Insofern meine ich, daß die Politikberatung ressortübergreifend erfolgen muß.
Darf ich nur noch zwei Stichworte erwähnen, Herr Präsident.
Die Zeit ist schon wesentlich überschritten. Ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Ich habe die Redezeit schon um zwei Minuten überschritten. Vielleicht doch noch einiges zur Entwicklungspolitik, obwohl das nachher Herr Vohrer deutlich machen wird.
Bitte noch zwei Sätze.
Wir müssen wissen, daß die Entwicklung so nicht weitergehen darf, daß für die Entwicklung der armen Länder nur die Brosamen vom Tisch der Reichen übrigbleiben. Wir haben vielmehr die verdammte Pflicht, wenn wir „Global 2000" wirklich ernst nehmen, auch bei einem Nullwachstum bei uns, j a sogar auch bei einem negativen Wachstum bei uns, entscheidende Zuwächse im Bereich der Entwicklungspolitik vorzusehen,
weil nur so ernsthaft den Herausforderungen, die aufgezeigt wurden, begegnet werden kann. Allein schaffen es die Entwicklungsländer nicht.
Ich glaube, wir sollten dieses Thema nicht mit dem heutigen Tag beenden, sondern bei jeder Einzeldebatte, die zukunftsorientiert geführt werden muß, dies mit einbeziehen. Sonst ist das hier heute nur ein Strohfeuer gewesen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich glaube nicht, Frau Kollegin Schuchardt, daß das eine Alibiveranstaltung sein soll. Ich glaube nicht, daß die Antragsteller das gedacht haben. Ich glaube auch nicht, daß sich der Bericht, auf dem die Debatte basiert, nämlich der Bericht „Global 2000", als Alibi eignet.Ich habe im Gegenteil den Eindruck, daß sich alle politischen Kräfte in diesem Hause der großen, langfristigen, weltweiten Bedeutung und der Lösungsnotwendigkeit, von der hier gesprochen worden ist, absolut bewußt sind.
Ich finde es auch antiparlamentarisch, wenn man von einer Alibiveranstaltung im eigenen Parlament spricht.
Das Parlament stellte sich selbst in Frage, wenn es eigene Anträge, die heute debattiert werden, als Alibiveranstaltung bezeichnete.
Das ist daran antiparlamentarisch. Sie könnten auch sagen: Es ist aparlamentarisch.
Das, was Herr Hauff gemacht hat, nämlich einen außerordentlich scharfen Ton in die Debatte zu bringen, fand ich nicht antiparlamentarisch, aber unnötig; denn vorher war die Einigkeit vorhanden, von der ich glaube, daß sie in diesen Fragen notwendig ist. Das ist kein Kampffeld für innenpolitische Auseinandersetzungen.
Wenn man, wie Herr Hauff das getan hat, kritisiert, daß kein Wort davon in der Regierungserklärung gestanden habe, muß ich sagen: Die Regierungserklärung, die Sie offenbar haben wollen, hätte drei bis vier Stunden dauern müssen. Eine solche hat es sicher noch nicht gegeben. Eine Regierung kann bei ihrer ersten Regierungserklärung doch nur in Umrissen deutlich machen, was sie anstrebt.
Man sollte auch nicht Gerüchte in die Welt setzen wie — an meine Adresse gewandt —: Was haben Sie denn mit dem Umweltbundesamt in Berlin vor? Wollen Sie da im März feuern? Meine Damen und
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7596 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Bundesminister Dr. ZimmermannHerren, ich bin jetzt dreieinhalb Wochen im Amt. Ich war weder beim Umweltbundesamt in Berlin noch beim Bundeskriminalamt noch beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Ich habe in den letzten dreieinhalb Wochen auf meinem Stuhl im Hause sitzen, es zuerst kennenlernen müssen und werde hier doch nicht Absichten verkünden, was ich im nächsten März zu tun gedenke. Hier will man doch mit einem Ausrufezeichen Methode machen. Hier will man doch Stimmung machen, hier will man doch so tun, als sei hier ein Böser am Werke, der alles Mögliche vorhabe, es aber noch nicht sage. Lassen Sie das doch bitte! Das gehört nicht zum guten Stil.
Wenn das Projekt Rhein-Main-Donau-Kanal bei diesem ehemaligen Minister hier unvermeidlicherweise wieder einmal zur Sprache kommen mußte, dann darf ich darauf bitte einen einzigen Satz als Antwort sagen: Ich bin nicht der Verkehrsminister. Die betroffene Bevölkerung — sie hat es auch in der Wahl, auch für die SPD, ausgedrückt — ist zu mehr als 95 % für den Weiterbau, für den Zuendebau dieses Kanals.
Man sollte hier nicht so arrogant über die Wünsche der Betroffenen hinweggehen.Im übrigen: Wer einmal dort war und sich nicht nur die Baustellen, sondern auch die Teile des Kanals, die fertig sind, von oben, aus der Luft angesehen hat, der wird feststellen
— ich war nicht mit dem Hubschrauber dort; da brauchen Sie nur die flachen Hügel, die den Kanal einrahmen, zu besteigen, Herr Kollege,
wenn Sie körperlich dazu in der Lage sind, was ich glaube, wenn ich Sie so ansehe —, daß das Altmühltal schöner ist als vorher.
— Ja, schöner. -
Ich begrüße, daß wir heute diese Debatte haben. Das gibt mir Gelegenheit, die Feststellungen des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung zum Thema Umweltschutz noch einmal zu unterstreichen. Der Kollege Wolfgramm hat recht, wenn er sagte, daß ich in dieser Debatte erklärt habe, für ein hochindustrialisiertes und dicht bevölkertes Land wie unseres ist Umweltschutz einfach eine Notwendigkeit. In dieser Hinsicht waren wir uns in diesemHause immer einig. Die Regelungen für alle die Probleme, von denen der frühere Bundesminister Hauff sprach, sind in diesem Hause einvernehmlich beschlossen worden, auch wenn es vorher — natürlich! — Debatten über diese oder jene Zweckmäßigkeit gab. Beim Abwassergesetz sollte man fairerweise darauf hinweisen, daß zwar wir es hier formuliert, nach heftigen Debatten beschlossen haben, daß aber die Länder zahlen müssen.Also, aus meiner Sicht steht außer Zweifel: Umweltpolitik sollte kein Schlachtfeld für parteipolitische Auseinandersetzungen, aber auch nicht Tummelplatz für Schwärmereien oder Ideologien sein. Umweltpolitik ist eine große, komplizierte Sachaufgabe, die Nüchternheit, solide Arbeit und Geld erfordert.
Nun möchte ich noch einmal betonen: Umweltschutz wird bei uns groß geschrieben; Abstriche wird es nicht geben. Ich höre und lese, daß manche das befürchten. Ich weiß auch, daß andere darauf hoffen. Sie artikulieren sich allerdings nicht ganz so laut und nicht unbedingt in aller Öffentlichkeit. Also, ich bitte hier: keine vorschnellen Urteile. Messen Sie uns zu gegebener Zeit an unseren Taten, aber bitte noch nicht nach dreieinhalb Wochen; das ist etwas zu kurz.Vordringliches Ziel dieser Bundesregierung ist - neben der Sanierung der öffentlichen Haushalte — die Verbesserung der Beschäftigungssituation. Die äußerst schwierige Aufgabe, vor der wir stehen, heißt, den notwendigen Schutz der Umwelt unter zugegebenermaßen ungünstigen Bedingungen sicherzustellen. Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen: Umweltschutz ist nicht nur ein Gebot ökologischer, sondern auch ein Gebot ökonomischer Vernunft. Die Sicherung unserer Lebensgrundlagen ist auch für unsere wirtschaftliche Zukunft unverzichtbar.Im übrigen ist es jetzt auch gesicherte Erkenntnis der Allgemeinheit, daß Umweltschutz ein positiver Wirtschaftsfaktor ist. Er löst Investitionen aus, schafft und sichert Arbeitsplätze, nicht zuletzt in einer wachsenden Umweltschutzgüterindustrie.Stellenwert und Perspektive der Umweltpolitik bestimmen auch Ausmaß und Intensität unserer nationalen und internationalen Aktivitäten. Grenzüberschreitende oder globale Probleme verlangen gemeinsame Lösungen mit Nachbarn und Mitbetroffenen. Der Wettbewerb auf den internationalen Märkten erfordert die Harmonisierung von Anstrengungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes. Die Gleichartigkeit von Umweltproblemen in vielen Staaten und der oft immense Aufwand zu ihrer Lösung führen zu internationaler Arbeitsteilung z. B. im Bereich der Chemikalien.Die Bundesrepublik Deutschland spielt seit langem eine aktive Rolle in der internationalen Umweltpolitik — das weiß ich —, und das wird so bleiben. Dabei wird die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn im Westen und Osten auch in Zukunft ein Schwerpunkt sein. Das gilt vor allem für unsere Partner in der Europäischen Gemeinschaft. Wir
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Bundesminister Dr. Zimmermannwerden aber auch weiterhin im Rahmen der OECD und der Vereinten Nationen mitarbeiten.Die Debatten über globale Probleme des Umweltschutzes und des Ressourcenverbrauchs sollten dazu führen, daß wir aus der weltweiten Herausforderung konkrete Schlußfolgerungen für unser praktisches Handeln ziehen. Ein Teilnehmer der NordSüd-Konferenz in Cancun hat gesagt: Wir müssen lernen, global zu denken und lokal zu handeln. — Das heißt, wir müssen unseren Beitrag vor allem dort leisten, wo wir selbst Einwirkungsmöglichkeiten haben.In dieser Beziehung gibt es genug zu tun, bei der Luftreinhaltung, dem Gewässerschutz, der Abfallwirtschaft. Hier sehe ich meine Aufgabe darin, die von allen Parteien des Hauses in den letzten zehn Jahren entwickelte Umweltpolitik konsequent weiterzuentwickeln. Mir geht es dabei nicht um ökologische Scheingefechte, sondern um rationale, für die Betroffenen berechenbare Entscheidungen, insbesondere Investitionsentscheidungen.In diesem Sinn habe ich unmittelbar nach meinem Amtsantritt den Entwurf einer Großfeuerungsanlagen-Verordnung an die beteiligten Kreise verschickt, die darauf abzielt, eine drastische Reduzierung von Schwefeldioxidemissionen vor allem bei Kraftwerken zu gewährleisten. Damit wird ein wesentlicher Beitrag zur Lösung des Problems „saurer Regen" und der daraus folgenden Schädigung von Wäldern und Gewässern erreicht werden. Wir werden erst nach dem Rücklauf sehen können, wie sich die beteiligten Kreise dazu eingelassen haben.
— Mein Amtsvorgänger hat sie auf dem Tisch liegen gehabt. Ich habe sie unterzeichnet. Das ist der Unterschied.
Auch auf dem Gebiet des internationalen Gewässerschutzes sind wir Akteure und Betroffene zugleich. Denken Sie an Elbe und Werra, an den Rhein oder an die Nord- und Ostsee. Überall haben wir unseren Beitrag zur Verbesserung der Gewässerqualität zu leisten. Überall wird deutlich, daß unser Bemühen allein nicht ausreichen kann, um die Verbesserungen zu erreichen.Im Hinblick darauf bin ich dringend daran interessiert, mit der DDR zu Vereinbarungen über die Sanierung von Elbe und Werra zu kommen. Ich hoffe, daß Regierungsverhandlungen zu diesen Problemen in den nächsten Monaten anlaufen können. Meine Bereitschaft dazu möchte ich hier ausdrücklich signalisieren.Gespräche und weitere Verhandlungen sind auch nötig, um die Verschmutzung der Nordsee wirksam einzudämmen. Mit diesem Ziel sind in den vergangenen Jahren zwar eine Reihe von internationalen Vereinbarungen in Kraft getreten — so die Konventionen von Paris, Oslo und London —, aber es wäre vermessen zu behaupten, daß diese Maßnahmen schon volle Wirkung gezeigt haben. Von einem einheitlichen Vollzug in den Anrainerstaaten sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Nehmen Sie das Beispiel der Abfallbeseitigung auf hoher See. Wir haben bereits beträchtliche Anstrengungen unternommen, diese Form der Abfallbeseitigung einzuschränken.Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund sieht diese Bundesregierung eine wesentliche Aufgabe darin, auf einen einheitlichen Vollzug der internationalen Abkommen, vor allem auch bei den EG-Partnern, hinzuwirken, nicht zuletzt auch im Interesse einheitlicher Wettbewerbsbedingungen.
Der enge Zusammenhang zwischen Umweltschutz und Ressourcenverbrauch wird ganz besonders auf dem Gebiet der Abfallwirtschaft deutlich; denn mehr Verbrauch von Rohstoffen bedeutet mehr Abfall, und mehr Abfall bedeutet mehr Belastung der Umwelt. Umgekehrt ist vorsorgende Politik zur Lösung der Abfallprobleme aktive Rohstoffvorsorge. Diese Vorsorge haben wir als rohstoffabhängiges Land dringend nötig.Auch in der Abfallwirtschaft gilt es, bei jeder Einzelaufgabe Farbe zu bekennen. Nur durch das Angehen von vielen Einzelproblemen ist das Gesamtproblem in den Griff zu bekommen.Ich möchte hier das Beispiel des Verpackungsaufwands erwähnen, über dessen Begrenzung ich vergangene Woche mit dem deutschen Lebensmitteleinzelhandel konkrete Absprachen habe treffen können.Die Studie „Global 2000" mag in der einen oder anderen Hypothese umstritten sein, wichtig erscheint mir, daß sie wesentlich zur Schärfung des Umweltbewußtseins beigetragen hat; denn Problembewußtsein ist eine zentrale Voraussetzung für eine auf Konsens aufgebaute Umweltpolitik.
Für die Bundesregierung stelle ich fest: Wir werden unseren sichtbaren Beitrag zur Lösung der nationalen und internationalen Umweltprobleme leisten. Dabei bitten wir um breite Unterstützung in diesem Hause, aber auch bei allen Bürgern in unserem Land. — Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Boroffka.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Niemand wird erwarten, daß man sämtliche hier angeschnittenen Probleme in einem Kurzbeitrag lösen kann. Deshalb bitte ich um Verständnis, wenn ich nur zwei Gesichtspunkte, die mir besonders bedeutsam erscheinen, kurz beleuchten will.Ich will versuchen, auch nach der Rede des Kollegen Dr. Hauff, mich dabei jeder Polemik zu enthalten, obwohl es reizvoll wäre, Herr Kollege Dr. Hauff, etwa in dem Punkt Umweltbundesamt, den Sie an-
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Boroffkagesprochen haben, wenn man Ursprung und Verlauf beispielsweise der Cadmium-Debatte hier in unserem Lande kennt, polemisch zu werden.Zum ersten. Das erste größere durch Menschen verursachte Umweltproblem trat wohl auf, als König Augias die Intensivtierhaltung einführte; denn man wurde des Mistes nicht mehr Herr. Wie Sie wissen, rief man dann den damals bekanntesten Problemlöser, Herkules, und der löste das Problem scheinbar in genialer Weise, indem er einen Fluß durch den Stall leitete. Betriebswirtschaftlich gesprochen verwandelte die Firma Augias betriebsinterne Kosten, nämlich die Kosten der ordnungsgemäßen Mistbeseitigung, in externe Kosten und lastete diese so anderen, am Geschäft nicht Beteiligten auf.Die Sage berichtet daher auch nicht, meine Damen und Herren, was die flußabwärts Wohnenden davon dachten. Und das ist bedauerlich; denn so hat sich dieses Prinzip bis zum heutigen Tage halten, j a, auf ganz ungeahnte Weise noch erweitern können.
Die Ableitung von fast ungeklärten Abwässern - zwei norddeutsche Städte sind angesprochen, aber überall in der Welt haben wir dies —, von Abraumsalzen in Flüsse und Meere, die Politik der hohen Schornsteine mit der Folge der sauren Niederschläge sind eklatante Beweise. Die Tatsache, meine Damen und Herren, daß die Nutzung, j a, Ausnutzung der Natur noch immer so billig, ja, allzu billig ist, ist Teil der weltweiten Umweltprobleme, die uns teuer zu stehen kommen.Und daher: Anstatt die Rahmenbedingungen des Umweltschutzes der Technik gezwungenermaßen nachträglich gleichsam draufzusatteln, müssen die Rahmenbedingungen mitbestimmender Parameter schon bei der Entwicklung der Technik selber sein. Wir sind hier, glaube ich, einig: Die Umwelttechnik muß kommen.Dies bedeutet natürlich nicht Technikfeindlichkeit, um das auch gleich deutlich zu machen, meine Damen und Herren; denn ich weiß wohl, welche Verbesserung seiner Lebensverhältnisse sich der Mensch seit Erfindung der Dampfmaschine und gleichzeitig beginnender Nutzung der Kohle als Primärenergieträger geschaffen hat. Die Verdoppelung der durchschnittlichen Lebenserwartung spricht ja für sich.Aber in der gleichen Zeit, in der der Mensch seine Lebenschancen so drastisch verbesserte, haben sich die Chancen anderer Lebewesen ebenso drastisch verschlechtert. Viele Arten von Pflanzen und Tieren — das ist schon von Frau Kollegin Dr. Hartenstein angesprochen worden — sind unwiederbringlich verloren. Dergleichen auseinanderlaufende Entwicklungen müssen zur Katastrophe führen. Das sagt einem der logische Menschenverstand.Das Verdienst von „Global 2000" und ähnlichen Untersuchungen ist, den schwierigen und angesichts der Komplexität der Zusammenhänge sicher nicht ganz befriedigenden Versuch unternommenzu haben, den zeitlichen Verlauf dieses vorhandenen und von niemand bestrittenen Trends einigermaßen zu erfassen. Dabei ist es jedenfalls für mich ziemlich gleichgültig, ob sich die zu erwartenden Zustände im Jahr 2030 oder erst im Jahr 2050 verdeutlichen. Wichtig ist, daß der in diesen genannten Untersuchungen und im Prinzip j a anerkannte, von niemandem bestrittene Trend in eine bessere politische Richtung gewendet wird.Ein wesentlicher Punkt dabei war und ist, daß der Kostenfaktor Umwelt in die betriebswirtschaftliche Rechnung weltweit Eingang findet — übrigens, Herr Kollege Dr. Hauff, nicht nur in den westlichen, sondern auch in den sozialistischen Ländern - um das deutlich zu sagen.
Wenn wir hier über ein weltweites Problem sprechen, haben alle Völker gleichermaßen Verantwortung, auch die sozialistischen.
Sie kennen die Probleme der Luftverunreinigung gerade im Bereich DDR und CSSR. Ich sage das deshalb, weil Sie insbesondere Amerika, die USA und Präsident Reagan mit seiner Politik angesprochen haben.Nun weiß ich, wie schwer eine ökonomische Bewertung des Faktors Umwelt ist. Es ist ein bedauerliches Versäumnis, daß es bisher nur wenige, ja, fast nur tastende Versuche gegeben hat, diese zu erfassen. Ich möchte daher die Bundesregierung ausdrücklich ermutigen, in diesem Bereich das Wissen durch verstärkte Forschung zu vermehren, übrigens schon um der Rationalität der Diskussion willen. Dabei wird man natürlich auch um politische Bewertungen nicht herumkommen.
Als in den Industriegesellschaften die sozialen Kosten des Faktors Arbeit in die Kalkulation eingingen, hat j a auch niemand mit mathematisch-naturwissenschaftlicher Exaktheit diese Kosten berechnet.
Daß dies eine Auseinandersetzung war und ist, ist klar. Diese Auseinandersetzung führen wir heute. Es ist nicht an einem Tage gelungen, und auch dies wird nicht an einem Tage gelingen, Herr Kollege Duve. Aber ich hoffe, daß wir es miteinander wie übrigens bisher in der Umweltproblematik in diesem Hause lösen; ich denke dabei noch an den Kollegen Konrad, den ich kenne.Dabei kann die Bundesrepublik sicher nicht als erste dastehen und allein die Weltprobleme lösen. Aber vorangehen sollten wir schon, wie es in einigen Bereichen ist. Dabei muß sicher auch angesprochen werden, daß andere Staaten, die mit uns verbündet sind, leider andere Standpunkte haben. Herr Kollege Dr. Hauff, Sie erinnern sich vielleicht — Sie waren ja nicht da, aber jemand anderes aus
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Boroffkadem damaligen Kabinett — an die Haltung zweier uns befreundeter westlicher Staaten beispielsweise zur Rauchgasentschwefelung.Ein zweites. In der von mir angesprochenen, durch die technische Zivilisation verbesserten Lenbensqualität lebt, dies ist schon gesagt worden, ein Teil der Menschheit. Ich meine, es ist eine absolute Notwendigkeit aus moralischen Gründen, Hilfe nicht nur wie bisher im gesundheitlichen und Nahrungsmittelbereich zu geben. Hier muß der Begriff der Solidarität wohl weiter gefaßt werden als nur bis zur Medikamentierung der Kranken und notdürftigen Ernährung der Hungernden.Hier werden noch viele Aufgaben zu lösen sein. Ich wähle nur einige Beispiele. Die angepaßte Energiebereitstellung in der jeweils vernünftigen Form, um damit übrigens auch die Informationsvermittlung in solche Bereiche der Welt zu verbessern. Denn ein Teil der Probleme dort resultiert auch aus Uninformiertheit. Hier ist noch ein erhebliches Maß an Forschung notwendig, etwa auch im Bereich des Ersatzes gefährdeter Ressourcen wie beispielsweise der Edelhölzer, um derentwillen immer noch Urwälder gerodet werden — das ist hier schon gesagt worden, ich habe es mal durchgerechnet —: 30 Hektar pro Minute.Oder im Bereich des Tier- und Pflanzenschutzes! Denn es will mir nicht in den Sinn, daß Insektizide und Pestizide, die bei uns als bedenklich bekannt sind — darauf hat auch Frau Kollegin Dr. Hartenstein schon hingewiesen —, anderwärts unbedenklich sein sollen.Meine Damen und Herren, wir gehen mit dieser Welt um, so hat Jane Fonda einmal gesagt, als ob wir noch eine zweite im Kofferraum hätten. Haben wir aber nicht! Wir müssen uns diese schon erhalten. Das ist, meine ich, vom Wortsinn wie auch vom politischen Selbstverständnis her eine ebenso konservative wie reizvolle Aufgabe angesichts der Schönheit der Erde.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Bindig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die im Bericht „Global 2000" eindringlich dargestellten Folgen, die sich bei einer unveränderten Fortsetzung der bisherigen Entwicklungstendenzen ergeben, übergreifen Länder und politische Systeme. Sie wirken sich jedoch in Industrieländern und Entwicklungsländern unterschiedlich aus. In den Entwicklungsländern sind die Probleme besonders schwerwiegend.Während in den Industriestaaten die Inanspruchnahme der Umwelt und ihre Zerstörung Folgen einer Lebensweise sind, welche sich der Überversorgung nähert, also Folgen des Wohlstands, entstehen in vielen Entwicklungsländern Umweltzerstörungen als Folge von Unterversorgung und Armut.
Armut führt zu einem zerstörerischen Raubbau ander Natur, wenn durch Überweidung fruchtbaresLand zur Steppe wird, wenn wertvoller Dünger verheizt wird und deshalb nicht für die natürliche Bodenregeneration zur Verfügung steht oder wenn in weiten Landstrichen jeder Baum und jeder Strauch zu Brennholz geworden ist. Übermäßige Bodennutzung führt zu Erosion.Die ökologische Situation in den Ländern der Dritten Welt ist noch kritischer als in den Industriestaaten, weil die Ökosysteme dort labiler sind als bei uns und die Menschen den Schäden wehrloser ausgeliefert sind.Zu den Umweltbelastungen und Umweltzerstörungen aus Armut treten in den Entwicklungsländern j a auch noch die aus der gewerblichen Produktion herrührenden Umweltschädigungen durch Rohstoffverbrauch, Abluft und Abwässer wie wir sie bei uns kennen. Die Belastung ist jedoch höher, weil arme Entwicklungsländer, die im Wettbewerb um Industrieansiedlungen stehen und nach kostengünstigen Industrieanlagen Ausschau halten, eher bereit sind, aus ihrer Interessenlage oft bereit sein müssen, niedrigere Umweltstandards zu akzeptieren, als dies die Industrieländer tun, und weil sie weniger Mittel zur Bekämpfung der dabei entstandenen Schäden haben.Während bei uns die übermäßige Inanspruchnahme der Umwelt also mehr ein Produkt der Verantwortungslosigkeit ist, läßt der tägliche Kampf um die Existenz in den Entwicklungsländern Umweltfragen in den Hintergrund treten.Spätestens seit der Veröffentlichung von „Global 2000" wissen wir, wie sich die Bevölkerung, die Verfügbarkeit von Rohstoff und Energie und die Umweltbelastung bis zum nahen Jahrtausendende entwickeln werden, wenn sich die bisherigen Trends und die bisherige Politik fortsetzen. Für uns stellt sich nicht mehr die Frage des Analysierens, des Theoretisierens, sondern die des konkreten Handelns.
Mit dem Hinweis, daß die Entwicklungsländer selbst einen entscheidenden Beitrag zur Veränderung der sich abzeichnenden Entwicklungstendenzen bringen müssen, können sich die Industriestaaten nicht aus ihrer Mitverantwortung verabschieden. Die Industriestaaten haben in der Kolonialzeit die heutigen Strukturprobleme der Entwicklungsländer mitgeschaffen. Durch die Wirtschaftsbeziehungen und durch die Auswirkungen industrieller Lebensformen wirken sie bis heute entscheidend auf die Entwicklungsländer ein. Aber alle, auch wir, sind von den Auswirkungen der Ereignisse in der Dritten Welt mitbetroffen.Die gewaltigste Herausforderung ist für viele Länder der Wettlauf zwischen dem Bevölkerungswachstum und ausreichender Versorgung mit Nahrungsmitteln. Die steigende Bevölkerungsdichte stellt viele traditionelle wirtschaftliche Produktionsverfahren in Frage. Bei der Beseitigung der absoluten Armut, der Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung und einer Begrenzung der Umweltschäden kommt der Begrenzung des Bevölke-
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Bindigrungswachstums eine zentrale Rolle zu. Deshalb sollten wir Entwicklungsländer, in denen aus eigener Erfahrung und Einsicht Maßnahmen zur Begrenzung des Bevölkerungswachstums unternommen werden, dabei aktiv unterstützen.Wegen der hohen Sensibilität dieses Problems, seiner tiefen Verankerung in kulturellen und religiösen Traditionen und der geringen Bereitschaft einiger Entwicklungsländer, dieses Thema überhaupt zu diskutieren, kann das Bevölkerungsproblem im wesentlichen nur über internationale Organisationen behandelt werden. Die Bundesregierung muß daher die Arbeit des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen sowie des Dachverbands privater Familienplanungsträger weiter aktiv unterstützen. Es darf nicht mehr passieren, daß der Weltbevölkerungsfonds der Vereinten Nationen wegen des Finanzbedarfs in China seine Familienplanungshilfe an Indien, das Land mit der zweitgrößten Bevölkerung der Erde kürzen muß.
Die Programme dieser Organisation müssen unbedingt ausreichend mit finanziellen Mitteln versorgt werden.
Die meisten der in „Global 2000" angesprochenen Probleme machen nicht vor den nationalen Grenzen halt. Sie sind nur in internationaler Zusammenarbeit zu lösen. Das heißt, daß die Vereinten Nationen und der Kranz sie umgebender Organisationen zunehmend wichtiger werden. So wie sich die Vereinten Nationen in den letzten Jahren als das wichtigste Forum des Nord-Süd-Dialogs entwickelt haben, müssen sie als Instrument zur Lösung der weltweiten Probleme des Umweltschutzes, der Sicherung der Nahrungsmittelversorgung und des Wachstums der Weltbevölkerung genutzt werden.Es sind Zweifel angebracht, ob die amtierende Bundesregierung diese Aufgabe wahrnehmen wird. CDU und CSU haben ihr Verhältnis zu den Vereinten Nationen immer noch nicht eindeutig geklärt. Bisher war dieses Verhältnis von Unsicherheit und Gegnerschaft bestimmt.
So kann zur Lösung der in „Global 2000" geschilderten Probleme auf internationaler Ebene nicht beigetragen werden.
Gefordert sind konstruktive Vorschläge, um notwendige Maßnahmen in den zuständigen UN-Gremien unverzüglich in Angriff zu nehmen.Initiativen brauchen eine Konzeption der Entwicklungswege in der Dritten Welt unter dem Gesichtspunkt einer stärkeren Berücksichtigung ökologischer Erfordernisse. Dafür gilt es zunächst zu begreifen, in welcher Schieflage sich die Industrienationen und die Entwicklungländer zueinander befinden. Die Industrienationen des Nordens, in denen 90 % der Industriegüter hergestellt werden, verwerten einen Großteil der Weltrohstoffe und derWeltenergie und überbeanspruchen die Biosphäre der Erde.
Zum Teil haben die Entwicklungsländer und die Weltmeere die Funktion einer Regenerationszone für die Industriestaaten. Würden in der Dritten Welt pro Kopf so viel Energie, Rohstoffe und Sauerstoff wie bei uns verbraucht, könnten wir an den Fingern abzählen, wann der Kollaps unserer Erde eintreten würde.
Niemand darf der Bevölkerung in den Entwicklungsländern das Recht auf die Befriedigung ihrer Bedürfnisse absprechen. Wenn es nicht bei der Wahrnehmung dieser Rechte zu einem konfliktträchtigen Wettlauf um die knappen Ressourcen kommen soll, ist eine baldige Veränderung auch unserer Produktions- und Konsumgewohnheiten erforderlich. Ein weniger aufwendiger und stärker rohstoffsparender Konsum- und Produktionsstil bei uns ist Voraussetzung für eine langfristige Verbesserung der Lebensbedingungen in den Entwicklungsländern.Wenn wir einen weniger aufwendigen und stärker rohstoffsparenden Konsum- und Produktionsstil anstreben, bieten sich für die Entwicklungsländer, die ihre Industrieproduktion und Energiewirtschaft erst aufbauen, die Chance, ihre Wirtschaftsstrukturen gleich nach diesen Grundsätzen auszurichten.Die erforderlichen Veränderungen bei uns vorzunehmen und die richtigen Akzente für die Entwicklung in der Dritten Welt zu setzen ist eine zentrale Zukunftsaufgabe deutscher Politik.Die SPD ist wegen ihrer Forderung nach vorausschauender Strukturpolitik oft von der CDU/CSU angegriffen worden. Wer aber den Anspruch erhebt, eine geistig-moralische Erneuerung schaffen zu wollen, hätte Anregungen geben müssen, wie er eine weltweite Anhebung der wirtschaftlichen Produktion zur Befriedigung wichtiger Bedürfnisse in den Entwicklungsländern mit einer sparsamen Verwendung von Rohstoffen und Energie in Einklang bringen will.
In der Regierungserklärung der neuen Bundesregierung findet man jedoch nur den platten Hinweis, daß in den Entwicklungsländern private Initiative „zum Motor der Entwicklung eines gesunden Wachstums der Wirtschaft" werden muß.Die von „Global 2000" aufgegriffene Grundfrage lautet jedoch: Wie ist die weltweite Wirtschaftsstruktur umzugestalten, wenn für eine Bevölkerung von mehr als 6 Milliarden Menschen produziert werden soll?Mangelndes Problembewußtsein der CDU/CSU gegenüber den Erkenntnissen des Berichts „Global 2000" wird an einem anderen Punkt besonders deutlich. „Global 2000" beschreibt, wie die Natur in naher Zukunft verarmen wird. Demnach ist zu befürchten, daß in einigen Jahren wohl mehr als
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Bindig500 000 Tier- und Pflanzenarten nicht mehr vorhanden sein werden, eine der für mich erschreckendsten Visionen dieses Berichtes. Aber vielleicht findet Herr Zimmermann eine so bereinigte Natur dann schöner als die bisherige Natur.
In ihrer Großen Anfrage „Tendenzen globaler Entwicklung" hat die CDU/CSU dieses Thema aufgegriffen. Neben der Frage, welche Beiträge zur Sicherung der weltweit vorhandenen Tier- und Pflanzenarten geleistet werden können, fragt sie — ich zitiere wörtlich —: „Welche Rückwirkungen auf die chemische und pharmazeutische Industrie der Bundesrepublik Deutschland hätte das als möglich angesehene Aussterben von ca. 500 000 Tier- und Pflanzenarten?" Welch eine Betrachtungsperspektive! Da wird nach den Auswirkungen des Artenrückgangs auf die chemische und pharmazeutische Industrie in der Bundesrepublik gefragt, statt zuallererst zu fragen, in welchem Maße es durch die Produkte der chemischen und pharmazeutischen Industrie zu einer Schädigung der Umwelt und zu einem Aussterben von Tier- und Pflanzenarten kommt.
Soll dies der neue Stil entwicklungspolitischen Denkens einer Regierung sein, die einen ehemaligen Geschäftsführer des Verbandes der chemischen Industrie zum Entwicklungshilfeminister gemacht hat?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Boroffka?
Die Zeit erlaubt mir das leider nicht mehr.
Die aus dem Bericht „Global 2000" gewonnenen Einsichten verlangen nicht nur aktive Impulse der Bundesrepublik Deutschland in den Organisationen der Vereinten Nationen, sie verlangen nicht nur die Bereitschaft, unseren Produktions- und Konsumstil zu verändern, sie verlangen auch, daß wir in der bilateralen Entwicklungspolitik die ökologischen Auswirkungen stärker berücksichtigen. Dabei geht es um den Transfer umweltschonender Technologien und um Verfahren zur Nutzung erneuerbarer Energie. Alle Projekte der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit müssen auf ihre Umweltverträglichkeit überprüft werden.
In den entwicklungspolitischen Grundlinien der sozialliberalen Bundesregierung waren die inhaltlichen Schwerpunkte entsprechend den Erkenntnissen von „Global 2000" richtig gesetzt. Sie lagen bei der Steigerung der Nahrungsmittelprodukte in den Entwicklungsländern selbst, bei der Sicherung der Energieversorgung der Dritten Welt und beim Schutz der natürlichen Ressourcen. Diese Schwerpunktsetzung in den entwicklungspolitischen Grundlinien ist in der Fachwelt weithin anerkannt. Es gilt, diese Schwerpunkte beharrlich und sogar noch intensiver als bisher zu verfolgen. Entwicklungspolitik muß sozialorientiert und umweltorientiert sein.
Für entwicklungspolitische Wendemanöver ist bei uns und in der Dritten Welt keine Zeit.
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Vohrer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die heutige Debatte zeigt, daß wir kein Defizit an Analysen, Szenarien, Modellen und Prognosen von Umweltpoblemen, aber ein Defizit an Aktionen, an konkretem Handeln und an Umsetzung haben.
Ich glaube, wir sollten die Debatte auch dazu nutzen, mit der Legende von der Harmonie zwischen Ökologie und Ökonomie Schluß zu machen.
Ökonomie und Ökologie sind in einem Spannungsverhältnis, Herr Boroffka, insbesondere in der Marktwirtschaft, wo es das Ziel der Unternehmer ist, Gewinn zu erzielen, und wo Umweltauflagen zu Kosten führen, wie Sie es ausgeführt haben.
Deshalb werden diese Auflagen umgangen, wenn das möglich ist. Herr Boroffka, Sie haben darauf hingewiesen — das war ganz interessant —, daß auch zentrale Verwaltungswirtschaften dieses Ziel nicht erreichen. Dabei könnten sie dies vom System her viel leichter als wir. Weil Umweltschutz aber Kosten und Konsumverzicht bedeutet und weil in solchen Systemen auch nichts unbegrenzt zur Verteilung ansteht, passiert dort eher weniger als bei uns. Es liegt also nicht am System, sondern an der Begrenztheit der Mittel, daß dort nichts oder so wenig passiert.
— Herr Boroffka, seien Sie mir nicht böse: Ich bin gern bereit, nachher mit Ihnen zu diskutieren. Jetzt habe ich nur noch acht Minuten Zeit und will auch noch zur Entwicklungspolitik kommen.Wir als Politiker haben die ökologischen Rahmenbedingungen zu gestalten, um mehr Umweltschutz zu verwirklichen, und zwar nicht nur national, sondern auch auf europäischer Ebene, weil wir einen offenen Markt haben und Wettbewerb zulassen. Dabei, Herr Innenminister, bin ich sehr gespannt, ob die Initiativen, die wir für die Zeit der Präsidentschaft der Bundesrepublik im kommenden Halbjahr vorhatten, auf europäischer Ebene durchgeführt werden.Ökologie hat auch eine weltweite Dimension. Dabei ist es insbesondere Aufgabe der UN-Institutionen mit ihren Sonderorganisationen, dafür zu sor-Dr. Vohrergen, globale Probleme zu lösen, wobei ich in der Tat in Frage stelle, inwieweit Mammutkonferenzen, wie sie in den verschiedenen Problembereichen mit 3 000, 4 000, 5 000 Teilnehmern und vielen Reden, die zum Fenster hinaus gehalten wurden, das geeignete Instrument sind, uns voranzubringen.
Ich erwähne eine Sonderorganisation, nämlich die UN-Familienplanungsagentur, und zwar deshalb, weil sie im Zentrum des Berichts „Global 2000" steht und weil mir daran liegt, auch deutlich zu machen, daß Familienplanungsprogramme sinnvollerweise auf internationaler Ebene durchgeführt werden, weil sich zu viele Emotionen damit verbinden, wenn diese Programme national durchgeführt werden.
Aber wenn wir die Problematik der Bevölkerungsexplosion als eine so schwergewichtige Fragestellung sehen und kein Patentrezept haben, dann kommt es darauf an, daß wir alle wenigstens in die gleiche Richtung wirken. Einige der Reisen der religiösen Führer sind nicht immer geeignet, hier mit uns in eine Richtung zu ziehen, wenn nämlich in der Dritten Welt deutlich gemacht wird, der Kinderreichtum sei der eigentliche Wohlstand der Nation, und jegliche Art von Familienplanung strikt abgelehnt wird.
Frau Kollegin Hartenstein hat einiges über die) zunehmende Slumbildung in den Städten gesagt,was ich nur unterstreichen kann. Ich möchte michjetzt auf die Entwicklungspolitik konzentrieren,nämlich auf den Bereich, wo sich bei der neuenBundesregierung Veränderungen erkennen lassen.Herr Bundesminister Warnke, ich habe Ihre heutigen Presseerklärungen zur Kenntnis genommen, in denen Sie Impulse in Richtung auf die verstärkte Förderung privater Investitionen und privater Initiativen ankündigen. Wenn wir heute über Global 2000 reden, dann möchte ich hier in aller Klarheit deutlich machen, daß genau Ökologieinvestitionen unterbleiben, wenn wir primär den Weg der Förderung privater Investitionen gehen.
— Herr Pinger, ich sage Ihnen gleich, wie ich den Zusammenhang sehe. — Ökologieinvestitionen ziehen keinen privatwirtschaftlichen Gewinn nach sich, und Ökologieinvestitionen sind auf der gleichen Ebene zu sehen wie Infrastrukturinvestitionen: Sie sind nicht rentierlich. Deshalb unterbleiben sie, wenn sie nicht von uns mit gefördert werden.
Deshalb müssen wir uns, wenn wir solche neuen Initiativen fördern wollen, überlegen, ob zumindest die alten Bereiche dadurch nicht zu kurz kommen.Ökologie in der Dritten Welt hat besondere Ansätze. Herr Kollege Bindig hat hier einiges heraus-gearbeitet. Während wir in den Industrieländern in stärkerem Maße das Phänomen der Verschwendungswirtschaft haben, ist es in den Entwicklungsländern die Armutswirtschaft mit der Übernutzung der Ressourcen. Es sind andere Ansätze notwendig, wenn wir der Abholzung, der Überweidung, dem Absinken des Grundwassers entgegenwirken wollen. Wir müssen dazu beitragen, die Reparatur der kaputten Natur zu bewerkstelligen.
Wir müssen überhaupt wieder die Grundlage für effiziente Produktion, insbesondere der Nahrungsmittelproduktion, durch unsere Beiträge zur Ökologie schaffen. Wir sollten darauf hinwirken, daß die von den Entwicklungsländern empfundenen Verschmutzungsreserven — d. h. die Entwicklungsländer haben den Eindruck, sie könnten sich mehr an Verschmutzung erlauben — nicht zu unverantwortlich niedrigeren Grenzwerten führen, wie es der Kollege Bindig erläuterte.Es entstehen sonst sehr kurzfristige Gewinne. Wir sollten von hier aus nicht versuchen, investitionslenkend in die Entwicklungsländer einzuwirken. Wir sollten deutlich machen, daß wir nicht die Auflagen der deutschen Industrie, die sich dort ansiedelt, machen sollten, sondern daß wir die Entwicklungsländer in die Lage versetzen, daß sie planerisch in der Lage sind, Kosten-Nutzen-Schätzungen für die Betriebe, die sich dort ansiedeln wollen, durchzuführen.
Deshalb kein Export der Umweltbelastungen!
Deshalb sollten wir darauf hinwirken, daß die Länder nicht mehr wie Brasilien mit Slogans werben wie „come and pollute us". Damit muß Schluß sein, aber nicht dadurch, daß wir deutsche Unternehmungen an Auslandsinvestitionen hindern, sondern dadurch, daß wir den Entwicklungsländern helfen, indem wir auch planerische Kapazitäten von uns aus zur Verfügung stellen.
Ich möchte noch kurz einen dritten Ansatz ausführen. Ich sehe in der niedrigen Ausgangsposition der Entwicklungsländer auch eine gewisse Chance. Wenn Sie heute sehen, daß der Energieverbrauch in einigen Entwicklungsländern zwei, drei Prozent des Durchschnittsverbrauchs der Industrieländer beträgt, dann liegt darin die Chance, die Energiestruktur nicht mit all den Fehlern belastet aufzubauen, die wir in unseren Industrieländern haben.
Dort ist noch die Möglichkeit, das Verkehrssystem effizienter aufzubauen, Siedlungsstrukturen und Bauweisen so zu verändern, daß sie nicht in dem Maße Energie verbrauchen, wie dies bei uns der Fall ist. In solchen Ländern sehe ich noch die Möglichkeit, Energiestrukturen durchzusetzen, in denen 01 als hochwertiger Energieträger so eingesetzt
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Dr. Vohrerwird, daß lediglich hochwertige Energie erzeugt wird und nicht Raumheizumg oder Warmwasseraufbereitung mit einem unserer kostbarsten und wertvollsten Energieträger betrieben wird. Hier können wir dazu beitragen, daß alternative Energien in stärkerem Maße genutzt werden, zumal die Voraussetzungen für Solarenergie dort viel besser sind, daß Wasserkraft, daß Biomasse, daß Wind in stärkerem Maße eingesetzt werden.Dabei müssen wir oftmals pragmatische Wege gehen. Hier wurde viel über Holz gesagt. Ich bin der Auffassung: Wenn es uns gelingt, in der Dritten Welt Holzarten einzuführen, die schneller wachsen— z. B. Eukalyptusbäume, die schon nach acht Jahren zu vernünftigen Erträgen führen —, wenn es möglich ist, dort die Verfeuerung des Holzes effizienter zu gestalten, dann haben wir allein im Bereich des Holzes einen fast zehnmal besseren Wirkungsgrad, verglichen mit dem bisherigen Einsatz. Wenn wir dies mit einer geordneten nachhaltigen Forstwirtschaft — mit Wiederaufforstung und systematischer Rekultivierung — verbinden, dann sind das vernünftige Ansätze, die geeignet sind, ohne durch zu viele Interventionen auf traditionelle Verhaltensweisen, Kultur- und Lebensräume dieser Leute einzuwirken, zu helfen, hier eine Entwicklung in Gang zu setzen, die ökologisch zu verantworten ist.Ich kann, da meine Zeit zu Ende geht, nicht mehr die Probleme der Biomasse vertiefen, die entstehen, wenn Energieproduktion mit Nahrungsmittelproduktion in Konkurrenz steht. Wenn wir anfangen, Zuckerrohr entweder in Zucker oder in Alkohol umzuwandeln, den wir dann dem Bezin beimischen, sind dies alles Konflikte, die auf uns zukommen, bei denen wir mit dazu beitragen müssen, daß ökologisch sinnvolle Wege gefunden werden.Ich würde mich sehr freuen, wenn diese Debatte mit dazu beitragen würde, die Aufmerksamkeit und das Bewußtsein für ökologische Lösungen bei uns und in der Dritten Welt zu schärfen. Dann könnte ich mir vorstellen, daß die Debatte keine Alibifunktion hatte, sondern daß vielleicht sogar von den Parlamentariern Anregungen ausgehen, die dann von der Regierung aufgegriffen und umgesetzt werden.— Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Reuter. — Entschuldigen Sie, Herr Kollege, ich habe mich geirrt. Ich hatte die Wortmeldung des Ministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit vorliegen. Ich rufe Sie dann anschließend auf. — Danke schön.
Das Wort hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst Herrn Kollegen Ertl danken, daß er mir nach einer entwicklungspolitischen Runde unter Zurückstellung seiner eigenen Wortmeldung Gelegenheit gegeben hat, unmittelbar zu erwidern. Dies ist im Inter-esse der Debatte, und so werden Sie, Herr Kollege Reuter, das sicher auch verstehen.Der Herr Kollege Bindig hatte das Problembewußtsein der Bundesregierung gegenüber den Problemen von „Global 2000" in Frage gestellt.Sehen Sie einmal, Herr Kollege Bindig, hier ist ein Viertel des gesamten Bundeskabinetts geschlagene vier Stunden — und wenn Sie es länger haben wollen, auch noch länger — anwesend. Vergleichen Sie das einmal mit dem Prozentsatz Ihrer Fraktion, der hier anwesend ist!
— Herr Kollege Bindig, wer selbst im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Sie sollten also das Problembewußtsein der Bundesregierung etwas nachsichtiger beurteilen, wenn Sie hier selbst so ein wackeres Häuflein der Unentwegten sind, der Großteil Ihrer Fraktion aber durch Abwesenheit glänzt.
— Ich meine schon, daß vier Minister dem Problem das Gewicht zukommen lassen, das ihm meiner Meinung nach zukommt.
Und Sie sollten jetzt langsam zur Kenntnis nehmen, daß man das nicht gerade als mangelndes Problembewußtsein bezeichnen sollte.
Herr Kollege Bindig, wenn dies wirklich die Schicksalsfragen der Weltentwicklung bis zum Jahr 2000 und darüber hinaus sind, wie sie es nach unserer Auffassung sind, sollten Sie sie nicht mit so kleiner und billiger polemischer Münze abhandeln, wie Sie es tun, wenn Sie dem Kollegen Zimmermann - völlig aus der Luft gegriffen - unterstellen, er würde Genugtuung empfinden, wenn hier gewisse Pflanzensorten aussterben würden.
— Nein, das war ein Stilbruch, der zeigt, daß Sie zwar die Gewichtigkeit Ihrer Überlegungen beteuern, dann aber nicht im Ernst der Behandlung des Themas und in der Auseinandersetzung mit ihm die entsprechenden Konsequenzen ziehen.
Meine Damen und Herren, die Debatte hat eines ergeben: daß es auch unter dem Gesichtspunkt der Entwicklungspolitik ganz überwiegend das Umweltproblem ist, das als weltweites Problem gesehen wird, und ich möchte zu dieser Stunde meine Ausführungen auch auf diesen Schwerpunkt konzentrieren.
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7604 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Bundesminister Dr. WarnkeUmweltprobleme gerade in den Entwicklungsländern haben heute ein Ausmaß angenommen, mit dem sie tatsächlich die langfristigen Lebensgrundlagen der Menschheit insgesamt in Frage stellen. Es ist durchaus so, daß die Anfälligkeit der Ökosysteme der Entwicklungsländer gegenüber der der Systeme in den weiterentwickelten Ländern erhöht ist und daß wir hier einen besonderen Risikofaktor erkennen. Unsere Antwort auf diese weltweite Gefährdung der Existenzgrundlagen, die in „Global 2000" aufgezeigt worden ist, kann allerdings nicht eine voreilige umfassende Konzeption sein. Verfehlt wäre nach Auffassung der Bundesregierung insbesondere eine Umkehrstrategie in Richtung auf traditionelle Wirtschafts- und Lebensformen. Weder können damit Spannungen zwischen armen und reichen Ländern abgebaut, noch können in den armen Ländern für uns selbstverständliche Bedürfnisse befriedigt werden.Es gibt gegenüber der Herausforderung von „Global 2000" überhaupt kein Patentrezept, sondern nur, um mit Max Weber zu sprechen, ein mühsames, geduldiges Bohren dicker Bretter. Maßnahmen, die sich wechselseitig ergänzen und die entsprechend dem wachsenden Wissens- und Bewußtseinsstand gerade auch der Bevölkerung in den Entwicklungsländern schrittweise verwirklicht und fortentwikkelt werden müssen, müssen darauf abzielen, die notwendige Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens in den Entwicklungsländern nicht mit höherer Umweltbelastung zu erkaufen.Meine Damen und Herren, von der Bundesregierung wird dieser Debatte — das möchte ich doch der jetzt leider abwesenden Frau Kollegin Schuchardt sagen — keine Alibifunktion beigemessen. Die Bundesregierung nimmt diese Debatte ernst. Sie will und wird durch ihre Entwicklungspolitik dazu beitragen, daß sich die Vorhersage von „Global 2000" nicht erfüllt und daß die prognostizierten Tendenzen in den Entwicklungsländern durchbrochen werden.Der Schutz der natürlichen Umwelt ist für die Bundesregierung neben ländlicher Entwicklung, neben Energieversorgung, neben Bildung und Ausbildung ein Schwerpunkt unserer Entwicklungspolitik. Ich möchte das an drei Beispielen konkretisieren.Erstens. Alle umweltrelevanten Projekte der bilateralen deutschen Entwicklungszusammenarbeit werden darauf hin geprüft, ob und welche Auswirkungen sie auf die Umwelt haben. Bei der Verwirklichung der Projekte werden schädliche Auswirkungen soweit wie möglich verringert oder vermieden. Diese Umweltverträglichkeitsprüfungen deutscher Entwicklungshilfeprojekte müssen und werden noch weiter verfeinert und ausgebaut werden.
Zweitens. Darüber hinaus zielen zahlreiche Projekte der Entwicklungshilfe unmittelbar auf die Bewahrung und Wiederherstellung der natürlichen Umwelt ab. Zu diesen umweltspezifischen Vorhaben zählen insbesondere Maßnahmen der Walderhaltung und Waldaufforstung. Herr Kollege Sauter, ich habe Ihre Anregung vorgemerkt, in diesem Zusammenhang massiv auf die FAO auf internationaler, multilateraler Ebene einzuwirken. Zu dieser Politik gehört die Bekämpfung von Erosionen, Versteppung und Wüstenausbreitung. Die für diese Maßnahmen vorgesehenen Mittel werden im Haushalt 1983 gegenüber dem Vorjahr spürbar erhöht werden.
Ich stehe nicht an, Herr Kollege Bindig — denn wir befinden uns nicht in der Stunde der Polemik —, zu erklären: Damit setzen wir Planungen fort, die unter meinem Amtsvorgänger begonnen worden sind. Wir haben es doch nicht nötig, uns im Zusammenhang mit einer solchen Frage in die Polemik hineintreiben zu lassen, wenn das Haus einmal eine der wenigen Stunden des legitimen Konsensus erlebt.
Zu dieser Politik gehören auch Maßnahmen zum biologischen und integrierten Pflanzenschutz — der Kollege Zimmermann ist darauf schon eingegangen — sowie zur Kontrolle der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln.Schließlich gehört dazu auch, daß wir in den Entwicklungsländern die Aus- und Fortbildung zur besseren Erkenntnis der Umweltzusammenhänge fördern und auch Entwicklungshilfe leisten bei dem Aufbau und Ausbau von Umweltschutzämtern in diesen Ländern; ausnahmsweise ein Zweig der Behörden und Bürokratie, der einmal förderungswürdig erscheint.Drittens. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, daß bei Projekten der multilateralen Zusammenarbeit, z. B. in der Weltbank, z. B. in der Europäischen Gemeinschaft, Umweltauswirkungen stärker berücksichtigt werden. Wenn Sie, Herr Kollege Bindig, es für richtig gehalten haben, der Union zu unterstellen, daß sie den Vereinten Nationen — ich habe es mitgeschrieben — mit Skepsis und mit Gegnerschaft begegne,
dann kann ich nur sagen: So war es nie, und dies ist nicht die Stunde, in der wir eine Legendenbildung durch Sie zulassen werden.
Gegenüber der Organisation der Vereinten Nationen, die durchaus ein legitimes Forum für „Global 2000" ist und nach unserer Auffassung auch sein soll, bestehen nicht Skepsis und Gegnerschaft. Aber in den Vereinten Nationen sind die einzelnen Mitglieder manchmal auch durchaus zu Auseinandersetzungen mit der Bundesrepublik Deutschland bereit. Das ist deren gutes Recht. Wenn sie es tun, ist es unser gutes Recht, darauf zu antworten, was wir für richtig halten.Meine Damen und Herren, diese Unterstützung internationaler Aktionen auf dem Gebiet des Umweltschutzes läßt sich beispielhaft darstellen an der Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland bei der Wüstenbekämpfung in der Sahel-Zone. Ein anderes Beispiel ist die schon erwähnte Unterstüt-
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Bundesminister Dr. Warnkezung von Bestrebungen, internationale Leitlinien für Pflanzenbehandlungs- und Schädlingsbekämpfungsmittel zu erarbeiten.Aber bei all diesen Bestrebungen, bei all diesen konkreten Maßnahmen bleibt es natürlich entscheidend, daß die Entwicklungsländer bereit sind, eigene Anstrengungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes zu unternehmen. Wir denken doch gar nicht daran, uns von unserer Verantwortung auf diesem Gebiet und von der Notwendigkeit zum eigenen Tätigwerden freizukaufen. Aber wir können doch auch nicht die Augen davor verschließen — Herr Kollege Bindig, Sie haben das Thema angesprochen; deshalb spreche ich Sie an —, daß die Entwicklungsländer ihrerseits nicht immer ihrer eigenen Umweltverantwortung gerecht werden.Frau Kollegin Hartenstein hat die Verminderung des Teakholzbestands in Nepal beklagt. Meine Damen und Herren, dann müssen halt die Nepalesen dafür sorgen, daß die Teakholzbestände in ihrem Land pfleglich behandelt werden. Wir können nicht aus Fürsorglichkeit ein Einfuhrverbot für nepalesisches Teakholz erlassen.
— So einfach geht es nicht, daß wir die Verantwortung für die ganze Welt auf uns nehmen. Die anderen haben ihre Verantwortung zu schultern, so wie wir die unsere schultern.
Die Entwicklungsländer müssen eben den Mut haben, Maßnahmen zum Schutz der Umwelt nicht nur zu beschließen, sondern auch durchzusetzen. Viel liegt in diesen Ländern am Vollzug. Den kann ihnen keine industrialisierte Welt abnehmen. Die Entwicklungsländer dürfen langfristige ökonomische und ökologische Notwendigkeiten nicht der Bewältigung kurzfristiger Aufgaben opfern. So, Herr Kollege Vohrer, haben wir die Unterstützung privater Initiative verstanden. Wir gehen davon aus, daß an Ort und Stelle, z. B. am Platz der Investition, durch den einzigen für die Umweltverträglichkeit gesorgt wird, der dafür sorgen kann, nämlich durch die zuständige Regierung des Entwicklungslands.Zugleich, meine Damen und Herren, kommt es natürlich darauf an, auch in diesen Ländern das Bewußtsein der Bevölkerung dafür zu schärfen. Auch dafür haben wir in unseren Projekten Ansatzpunkte, die finanziell gefördert werden.Lassen Sie mich abschließend folgendes sagen: Studien wie „Global 2000" und wie auch seinerzeit die des Club of Rome haben düstere Entwicklungstendenzen aufgezeigt. Sehr verehrte, liebe Frau Kollegin Schuchardt, so düstere Entwicklungstendenzen, wie sie sich dem aus dem 50. Stockwerk herunterspringenden Selbstmörder darstellen, der gerade auf Station 20 angelangt ist, hat nicht einmal „Global 2000" aufgezeichnet. Ich hoffe, daß Sie bei der nächsten Behandlung des Themas in einer etwas heitereren Gemütsverfassung sind und sich Ihnen nicht solche Beispiele aufdrängen.Meine Damen und Herren, es ist richtig und verdienstvoll, auf die Gefahr aufmerksam zu machen, aber eben auch nur auf eine drohende Gefahr, nicht etwa auf ein schicksalhaft und unausweichlich auf uns zukommendes Verhängnis. „Global 2000" ist für uns kein Grund zur Entmutigung und darf es auch nicht sein. „Global 2000" ist sinnvoll nur zu begreifen als eine Herausforderung an die Politik, als eine Herausforderung an die menschliche Gestaltungskraft schlechthin.
Herr Abgeordneter Reuter, Sie haben jetzt das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vom amerikanischen Präsidenten Carter seinerzeit in Auftrag gegebene Studie „Global 2000" zeigt Gefahren für die gesamte Menschheit auf, wenn sich die bisherigen Grundtendenzen unverändert fortsetzen. Bereits vor zehn Jahren hat der zur Zeit in Tokio wieder tagende Club of Rome auf bedenkliche Tendenzen und Entwicklungen weltweit aufmerksam gemacht. Es ist aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch einmal positiv hervorzuheben, daß in der Bundesrepublik in den zurückliegenden Jahren schon erhebliche Anstrengungen zum Schutz unserer Umwelt unternommen wurden. Vernünftiger Umweltschutz ist jedoch nur dann möglich, wenn die Ursachen der Umweltgefährdung erforscht und neue Techniken zu ihrer Bekämpfung entwickelt werden. Wir dürfen uns nicht nur darauf beschränken, eingetretene Schäden in der Umwelt zu reparieren. Um der globalen Herausforderung zu begegnen, müssen auch konkrete und länderübergreifende Maßnahmen entwickelt werden, um bereits vorbeugend Schäden zu vermeiden.Im internationalen Maßstab können sich unsere Anstrengungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes durchaus sehen lassen. Seit 1973 wurden Forschung und Entwicklung für die Umwelt mit rund 2,5 Milliarden DM gefördert. Es wurden beispielhaft Techniken und Verfahren mit erheblichem Erfolg auf den Weg gebracht, so z. B. zur Verringerung der Schwermetallableitung in Abwässer, für moderne Kraftwerke, insbesondere zur Verringerung der Schwefeldioxid- und Stickoxidemission, zur größeren Umweltfreundlichkeit des Autos, was den Lärm und das Abgas betrifft, zur Nutzung von Deponiegas, zur Rückgewinnung von Rohstoffen und Energiegewinnung aus Haus- und Gewerbemüll, zur Behandlung und Verwertung von Klärschlämmen oder zur Aufbereitung von Trinkwasser. Viele der Techniken und Verfahren dienen gleichzeitig dem Umweltschutz sowie der besseren Rohstoff- und Energienutzung.Trotz dieser Leistungen und Erfolge dürfen wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen. Ein besonderer Schwerpunkt unserer Umweltpolitik muß es sein, schnellstens geeignete Maßnahmen zur Vermeidung des sauren Regens und damit des Waldsterbens zu ergreifen. Nach dem neuesten Bericht einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe sind in der Bundesrepublik mindestens 8% der Waldfläche, so-
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Reutermit 560 000 Hektar Wald geschädigt. Wenn auch die Forschungsarbeiten über die Ursachen des sauren Regens noch nicht abgeschlossen sind, kann heute schon festgestellt werden, daß Schwefeldioxid wesentlich verantwortlich dafür ist.An diesem Punkt kann schon heute mit Entlastungsmaßnahmen angesetzt werden, gerade bei Kohlekraftwerken. Das Bundesministerium für Forschung und Technologie hat für die Entwicklung neuer Technologien zur Vermeidung der Emission von Kohlekraftwerken und Großfeuerungsanlagen in den letzten zehn Jahren mehr als 500 Millionen DM bereitgestellt. Am 26. August dieses Jahres konnte als größtes Einzelprojekt in diesem Forschungsschwerpunkt das Modellkraftwerk Völklingen in Betrieb genommen werden. Dieses Modellkraftwerk zeigt, daß uns durch die Förderung dieser Maßnahmen neue Techniken zur Verfügung stehen, die den gesetzlichen Regelungen des Umweltschutzes schon voraus sind.Im Hinblick auf die dramatische Entwicklung des Waldsterbens fordern wir die Bundesregierung auf, durch geeignete Maßnahmen dafür zu sorgen, daß auch bei allen bestehenden Kohlekraftwerken Rauchgasentschwefelungsanlagen eingebaut werden.
Der Kostenaufwand für die Umrüstung aller Kohlekraftwerke in der Bundesrepublik in Höhe von 5 bis 6 Milliarden DM wäre ein nützlicherer Beitrag zum Umweltschutz als die ständigen Forderungen nach neuen Kernkraftwerken, meine Damen und Herren.
Außerdem könnten hierdurch auch noch Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden. Ich bin auch davon überzeugt, daß unsere Bürger bereit sind, zur Finanzierung dieser Maßnahmen eine Anhebung des Strompreises in Pfennighöhe in Kauf zu nehmen.Notwendig sind aus meiner Sicht eine noch stärkere Befassung der Wissenschaft mit den Fragen der zukünftigen, weltweiten Entwicklung und eine weitere, nachhaltige Förderung der Forschung. In diesem Zusammenhang frage ich den neuen Forschungsminister, ob in den Etat 1983 die notwendigen Mittel für Umweltforschung eingestellt sind. Wir Sozialdemokraten hätten kein Verständnis dafür, wenn z. B. die Restfinanzierung des Schnellen Brüters aus dem Bundeshaushalt zu Lasten anderer Forschungsbereiche erfolgen würde.
Ich bin allerdings in Sorge, wenn ich das würdige, was als Presseerklärung vorliegt: für Brüter und Hochtemperaturreaktor 700 Millionen DM mehr. Wenn es hier zu einer Umverteilung im Forschungshaushalt kommen soll, werden wir ein entschiedenes Nein dagegensetzen, weil wir der Meinung sind, daß genauso wie seither Mittel für die Umweltforschung zur Verfügung gestellt werden müssen.Nach Auffassung aller Experten nimmt der Forschungsbedarf nicht ab, sondern zu. Unsere Forderung muß es deshalb sein, die Forschungsanstrengungen im Umweltschutz verstärkt fortzusetzen. Mit Nachdruck müssen Technologien entwickelt und gefördert werden, die der Notwendigkeit der Energieeinsparung und der Ressourcenschonung Rechnung tragen. Der Staat muß durch Förderung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten mit dazu beitragen, daß neue Techniken zur Verfügung stehen, um den verschärften Umweltschutzanforderungen entsprechen zu können. Sich hierbei auf die „Stärkung der Suchfunktion des Marktes" zu verlassen, wie der neue Forschungsminister Dr. Riesenhuber vor der Festversammlung der Fraunhofer-Gesellschaft betont hat, reicht nach meinem Dafürhalten nicht aus, der Probleme Herr zu werden. Dazu muß die seitherige Politik kontinuierlich fortgesetzt werden. Gerade die Bundesrepublik als Industrienation hat dabei eine besondere Verantwortung, mit ihren Erfahrungen den Ländern der Dritten Welt bei der Bewältigung ihrer Probleme behilflich zu sein.Abschließend möchte ich feststellen, daß in Verantwortung für eine gesicherte Zukunft der nachfolgenden Generationen eine neue Ära der globalen Zusammenarbeit und der gegenseitigen Verpflichtung beginnen muß, so wie es die Verfasser der Studie „Global 2000" ausgeführt haben. — Schönen Dank.
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Lammert das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sensibilität der Öffentlichkeit für Probleme der Umwelt und für langfristige Entwicklungstendenzen ist in der Bundesrepublik — und nicht nur in der Bundesrepublik — ziemlich genau zehn Jahre alt. Auslöser des sprunghaft gestiegenen Interesses einer breiteren Öffentlichkeit an ökologischen Fragestellungen waren keineswegs die Grünen oder organisierte Naturschützer. Auslöser war eine Gruppe von Industriellen, von Politikern und Wissenschaftlern, die sich zum sogenannten Club of Rome zusammengeschlossen hatten, um sich mit langfristigen Entwicklungstendenzen von grundsätzlicher Bedeutung auseinanderzusetzen.Die von diesem Club 1972 vorgelegte Studie über die Grenzen des Wachstums hat wie kaum eine andere Publikation zuvor die Öffentlichkeit elektrisiert. In dieser und vielen anderen der darauffolgenden Studien, mit denen wir uns heute in dieser Debatte beschäftigt haben, ist das unbestreitbare Doppelgesicht des Fortschritts schlaglichtartig deutlich geworden. Die geradezu apokalyptischen Perspektiven solcher Untersuchungen sind dabei für die Art der Diskussion, die sich an ihnen entzündet hat, ebenso prägend geworden wie die von vielen Autoren nahegelegte Lösung dieser Probleme, nämlich die Forderung nach einem Nullwachstum.Was immer man an kritischen Anmerkungen zur methodischen Erhebung der Daten und der Aus-
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Dr. Lammertwertung solcher Überlegungen vortragen mag, es besteht große Übereinstimmung — auch heute hier in dieser Debatte — darüber, daß die in diesen Berichten aufgezeigten globalen Entwicklungstendenzen in den Bereichen Bevölkerungsentwicklung, Nahrungsmittelversorgung, Ressourcen und Umwelt Schlüsselprobleme für die Zukunft der Menschheit darstellen und daß wir gemeinsam nach Lösungen angesichts dieser fundamentalen Herausforderungen suchen müssen.Die entscheidende Frage ist doch überhaupt nicht die nach der Beurteilung einzelner Daten und möglicher Entwicklungsverläufe, sondern die entscheidende Frage ist die nach den grundsätzlichen Konsequenzen, die man aus solchen möglichen, erkennbaren Entwicklungstendenzen für die Politik — und im übrigen nicht nur für die Politik, sondern auch für das private und für das gesellschaftliche Handeln — zu ziehen bereit ist.Die beiden wichtigsten in diesem Zusammenhang diskutierten Fragen sind die nach Wettbewerb und Wachstum als taugliche oder nicht taugliche Mittel für die Bewältigung dieser Probleme. Die öffentliche Diskussion der hier heute angeschnittenen Probleme ist von der weitverbreiteten Vermutung gekennzeichnet, daß der Wettbewerb für die Lösung solcher Problemfelder von vornherein ungeeignet sei und Nullwachstum die am ehesten erfolgversprechende Überlebensstrategie sei. Meine Damen und Herren, beide Vermutungen sind falsch.
Und deswegen möchte ich mich in den wenigen Minuten, die zur Verfügung stehen, auch darauf beschränken, zu diesen beiden Aspekten wenige Sätze zu sagen.Erstens. Die Vorzüge — die Nachteile sind unbestritten — des Wettbewerbs als Ordnungs- und Lenkungsprinzip sind für die Bewältigung der hier vor uns stehenden Herausforderungen der Zukunft von mindestens ebenso großer Bedeutung wie für die Lösung der Aufgaben der Vergangenheit. Der Wettbewerb eröffnet Alternativen in der Suche nach dem jeweils geeigneten, optimalen Weg. Er setzt Kreativität frei. Er erzwingt Innovationen. Durch den Zwang zu kostengünstigen Produktionen vermeidet er auch die Verschwendung knapper und deswegen teurer Ressourcen. Er begünstigt eine hohe Produktivität. Und er bewirkt insgesamt ein hohes Maß an wirtschaftlicher Effizienz, das ihn, jedenfalls mehr als andere Ordnungsformen, zur Erfassung und Bewältigung der jeweiligen wirtschaftlichen Probleme geeignet macht.Gerade weil niemand von uns ernsthaft den Anspruch erhebt oder auch nur erheben will, er verfüge über ein Patentrezept, das verbindliche und überzeugende Lösungen für diese Probleme anbieten könnte, wäre es um so leichtfertiger, genau auf dasjenige Ordnungs- und Steuerungsprinzip verzichten zu wollen, das noch am ehesten erfolgversprechende Lösungen eröffnet und vor allen Dingen auch für Irrtümer und für neue Erkenntnisse offenbleibt.Zweitens. Die wirtschaftlichen, die gesellschaftspolitischen, die ökologischen Aufgaben der Zukunft sind mit dem zugegebenermaßen naheliegenden Vorschlag eines Nullwachstums nicht erreichbar.
— Herr Duve, da ich Ihnen von vornherein unterstelle, daß Sie die Studie, über die wir reden, auch gelesen haben, wissen Sie Besseres, als Sie im Augenblick hier vortragen.Ein sparsamer Umgang mit den Ressourcen erfordert, wie wir alle wissen, eine Ausdehnung der staatlichen wie der privaten Investitionen, sowohl im Bereich des Umweltschutzes wie in dem der Stadtsanierung, der Energieeinsparung und anderen Bereichen. Bei einer stagnierenden Wirtschaft sind steigende Investitionen nur durch Einschränkung des privaten Verbrauchs oder durch zunehmende Staatsverschuldung oder durch entsprechende Steuererhöhungen finanzierbar. Das unvermeidliche Ergebnis all dieser j a auch miteinander kombinierbaren Varianten ist eine wachsende Belastung der Verbraucher, vor allem der Bezieher niedriger Einkommen, ein Effekt, der ja wohl gerade unter dem Gesichtspunkt einer Verbesserung von Lebensqualitäten nicht ernsthaft angestrebt werden kann.Lassen Sie mich eines hinzufügen: Nullwachstum, meine Damen und Herren, ist keine Überlebensstrategie für Hungernde, Nullwachstum ist die bequeme Rückzugsposition der Satten und der Reichen.
Und wer im übrigen der Meinung ist, wie die Kollegin Schuchardt das vorhin in einem sicher nicht sehr gelungenen Bild glaubte darstellen zu sollen, daß die ökologische Katastrophe unvermeidbar sei, der würde sie mit dem Konzept des Nullwachstums allenfalls für ein paar Jahre in die Zukunft verschieben, aber hätte in der Zwischenzeit nichts unternommen, um das Eintreten dieser Katastrophe zu verhindern.
Meine Damen und Herren, dabei wissen wir alle inzwischen gut genug, daß das Bruttosozialprodukt einer Gesellschaft weder das einzige noch ein ausreichendes Gütezeichen einer Gesellschaft ist. Nicht alles, was ins Bruttosozialprodukt eingeht, trägt tatsächlich zur Wohlfahrt einer Gesellschaft bei, und die sozialen Kosten wachsender industrieller Produktion können durchaus stärker zunehmen als die individuellen Vorteile. Ins Bruttosozialprodukt geht die Gesamtheit unserer produzierten Waren und Dienstleistungen ein, inklusive der Verkehrsunfälle und der daraus entstehenden Kosten, inklusive der Drogenabhängigkeit und der Rehabilitationsaufwendungen, die in diesem Zusammenhang erbracht werden müssen. Ins Bruttosozialprodukt gehen nicht ein: die Geborgenheit von Familien, die Qualität von Erziehung, das Niveau von Literatur oder Musik oder Kunst, die Integrität von Beamten, nicht einmal die Intelligenz von politischen Debatten. Mit anderen Worten: Das Brutto-
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Dr. Lammertsozialprodukt mißt so ziemlich alles, nur nicht das, worauf es im Leben ankommt.Die CDU hat in ihrem Grundsatzprogramm eine Formulierung für das Problem gefunden, über das wir hier reden, die meine ich, in dieser Debatte vorgetragen zu werden verdient. Wir haben damals formuliert:Die Erhaltung der natürlichen Grundlagen des Lebens ist ein Stück verantworteter Freiheit. Wer in der Gegenwart die natürlichen Grundlagen des Lebens verantwortungslos ausbeutet und die ökologischen Zusammenhänge zerstört, verletzt die Solidarität zwischen den Generationen.
Wer, meine Damen und Herren, die Umwelt zum beliebigen Gegenstand seiner privaten Interessen und Ambitionen macht, versündigt sich an der Schöpfung, deren Teil er ist. Wer ein solches Vorgehen für ökonomisch besonders effizient hält, nimmt nicht zur Kenntnis, daß er die ökonomischen Grundlagen künftiger Generationen im wörtlichen Sinne verwirtschaftet.Ich begrüße es sehr, daß es uns heute in dieser Debatte gelungen ist, weitgehend unter Vermeidung jeglicher — dem Thema auch unangemessener — Polemik über konstruktive Wege nachzudenken, wie wir diese Herausforderung bewältigen können. Sehr im Unterschied zur Kollegin Schuchardt bin ich der Auffassung, daß diese Debatte den Erwartungen junger Menschen an die Form parlamentarischer Auseinandersetzungen mindestens ebenso gerecht wird wie manche anderen Debatten, die wir wegen der großen Präsenz im Plenum auch für große Debatten gehalten haben.Ich darf Sie auf den Entschließungsantrag verweisen, den die CDU/CSU- und FDP-Fraktion vorgelegt haben, mit dem wir sicherstellen wollen, daß diese Debatte nicht unverbindlich auseinanderläuft, sondern die Punkte festhält, die sich in dieser Diskussion ja auch als einvernehmliche Überzeugung eigentlich in sämtlichen Fraktionen dieses Hauses herausgestellt haben. Lassen Sie uns in der Fortsetzung dieser Überlegungen und der Diskussion in der Öffentlichkeit Wert darauf legen, nicht nur die Probleme zu verdeutlichen, um die es hier geht, sondern auch die Möglichkeiten aufzuzeigen, für solche Probleme Antworten und Lösungen zu finden. Das Kaninchen, das vor Angst vor der Schlange erstarrt, darf nicht zum Symbol unserer Politik werden.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Frau Abgeordnete Blunck, Sie haben jetzt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die düsteren Zukunftsaussichten der Studie „Global 2000" sind heute an dieser Stelle bereits ausführlich dargestellt worden, so daß ich hierauf nicht weiter einzugehen brauche. Ich werde mich statt dessen der Ernährungssicherung, demNaturhaushalt und der Erhaltung der Waldressourcen widmen.Für die Nahrungsmittelversorgung rechnet die Studie mit einem jährlichen Plus von 2,2 °A°. Unter der Voraussetzung dieser Schätzung bedeutet das bis zum Jahr 2000 eine weltweite Steigerung von 90 %. In den Industrieländern wird, ausgehend von einem bereits hohen Niveau, ein Mehrverbrauch von 21 % erwartet, in Lateinamerika von 25 %. In vielen unterentwickelten Ländern, beispielsweise in der Sahel-Zone, wird der Verbrauch dagegen noch weiter abnehmen. 1,3 Milliarden Menschen werden, wenn der Trend anhält, im Jahr 2000 Hunger leiden. Die dann über sechs Milliarden Menschen werden sich von einer kaum größer gewordenen Ackerfläche ernähren müssen.Das starke Wachstum der Bevölkerung in der Dritten Welt und die Steigerung der Nahrungsmittelerzeugung wird in vielen Teilen der Welt zu einer weiteren Störung des ökologischen Gleichgewichts mit allen nachteiligen Folgen für die natürlichen Lebens- und Produktionsgrundlagen führen. Was auf der einen Seite landwirtschaftlich neu genutzt wird, geht auf der anderen Seite durch Erosion, Versalzung und rücksichtslose Bebauung verloren. Guter Ackerboden verarmt, weil die Menschen ohne andere Energiestoffe Stroh und Viehmist verfeuern, anstatt diese als Dünger für die Äcker zu nutzen. In vielen Ländern wird man aus finanziellen Gründen keinen Kunstdünger einsetzen können, während in den reichen Industrieländern die Gefahr besteht, daß durch Überdüngung der Boden seine Fähigkeit verliert, Feuchtigkeit zu speichern. Der übermäßige Gebrauch von Pestiziden hat Millionenverluste zur Folge. Schädlinge werden resistent, so daß immer schärfere Mittel angewandt werden müssen. Der Mangel und die Verteuerung der Energieträger, aber auch der ungebremste Bedarf der Industrieländer an exotischen Hölzern, werden den Raubbau an den Naturwäldern in den tropischen Gebieten weiter voranschreiten lassen. In den Entwicklungsländern muß fast mit einer Halbierung des Waldbestandes gerechnet werden. Und ist das sehr komplizierte ökologische Gleichgewicht erst einmal zerstört, tritt ödes Steppenland an die Stelle der Wälder, und globale Klimaveränderungen sind zu befürchten.Was bleibt uns angesichts dieses katastrophalen Szenariums zu tun? Was können wir hier in der Bundesrepublik unternehmen, um dieser weltweiten Umweltkrise zu entgehen? Die Kollegin Hartenstein hat zu Recht deutlich gemacht, daß die Industrieländer als Hauptverantwortliche aufgerufen sind, in einer globalen Solidarität alle Anstrengungen zu unternehmen, damit das aufgezeigte Schrekkenspanorama schließlich nicht doch Wirklichkeit wird. Zu diesen Anstrengungen gehört eine schonungslose Aufklärung unserer Bevölkerung. Hierzu gehört vor allem auch eine verbesserte Umweltpolitik im eigenen Lande. Nur wenn wir selbst eine glaubwürdige Umweltpolitik betreiben, haben wir eine Chance, die Umweltbewegung weltweit voranzutreiben und die global aufgezeigte Katastrophe
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Frau Blunck zu verhindern. Wir müssen vor der eigenen Tür kehren. Da liegt ein hartes Stück Arbeit vor uns.In der Landwirtschaft kommt es unter dem Zwang, immer preiswertere Nahrungsmittel zu produzieren, zu einer immer intensiveren Ausnutzung des Bodens. Die Produktionsbedingungen werden maschinengerecht ausgelegt. Für ökologische Ausgleichsflächen bleibt kein Raum mehr. Was dem Boden durch diesen Raubbau verlorengeht, wird ihm durch starken Düngemitteleinsatz wieder zugeführt, um auch weiterhin steigende Erträge sicherzustellen. Daß dieser übermäßige Düngemitteleinsatz das Auftreten von Krankheiten und Mangelerscheinungen bei den Pflanzen begünstigt, ist ausreichend bekannt. Getan wird dagegen leider nur wenig.
Frau Abgeordnete Blunck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?
Ja, lieber Herr Gallus.
Bitte, Herr Abgeordneter Gallus.
Frau Kollegin, wären Sie so freundlich, diesem Hohen Hause zu erklären, was es mit Raubbau zu tun hat, daß sich die Getreideernten in Europa — insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland — in den letzten 25 Jahren verdoppelt haben?
Lieber Herr Gallus, ich komme darauf noch. Hätten Sie ein bißchen gewartet, hätte sich dies erübrigt, und ich wäre mit meiner Zeit viel besser ausgekommen.
Daß dieser übermäßige Düngemitteleinsatz das Auftreten von Krankheiten und Mangelerscheinungen bei den Pflanzen begünstigt, ist ausreichend bekannt. Getan wird dagegen leider nur wenig. Die unliebsamen Nebenwirkungen werden statt dessen mit anderen chemischen Mitteln bekämpft. Pflanzenschutzmittel, Insektizide und Herbizide sind heute ein fester Bestandteil der landwirtschaftlichen Rüstkammern. Hier wäre es hilfreich — —
Frau Abgeordnete gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?
Es tut mir leid, ich bin durch die Zeit zu gedrängt.
Frau Abgeordnete, ich bitte um Entschuldigung. Ich mußte Sie wenigstens fragen. — Herr Abgeordneter Gallus, Sie haben das gehört.
Ich komme darauf, Herr Gallus. Seien Sie ganz beruhigt. Ich beantworte alle Ihre Fragen — notfalls im Ausschuß.
Hier wäre es hilfreich und nützlich für uns alle, wenn wir den exzessiven Einsatz von Düngemitteln und die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln reduzieren würden.
Unsere Tier- und Pflanzenwelt hätte eine Chance, der Bedrohung durch Gifte zu entgehen. Die Belastung des Wassers würde zurückgehen, und wir brauchten uns alle keine Sorgen um unser Trinkwasser mehr zu machen.
Herr Gallus, nun ein bißchen Balsam auf Ihre Wunden. Ich will unsere Landwirte überhaupt nicht als Hauptverantwortliche für unsere Umweltmisere hinstellen. Ich will vielmehr aufzeigen, wo und wie die Landwirte zu ihrer alten bewährten Rolle als Bewahrer und Pfleger unserer Natur zurückfinden können.
Unser Lebensraum und unsere Ernährungsgrundlage werden aber auch durch die Folgen und Begleiterscheinungen unserer industriellen Entwicklung, durch Immissionen verschiedenster Art— insbesondere durch Schwermetallniederschläge— gefährdet. Absterbende Nadel- und Laubbäume sind sichtbare und allen bekannte Mahnzeichen dieser verhängnisvollen Entwicklung.Ich wünsche mir, daß der neue Innenminister den Mut besitzt — er hat es hier zum Ausdruck gebracht —, die Initiative seines Amtsvorgängers zur Reinhaltung der Luft zu realisieren und daß er es nicht bei leeren Worten beläßt.Als der Abgeordnete eines an der Nordsee gelegenen Wahlkreises liegt mir die Bekämpfung der Meeresverschmutzung besonders am Herzen. Leider muß festgestellt werden, daß die Wasserqualität der Nordsee sich ständig verschlechtert. Die Verschmutzung der Elbe hat einen Stand und einen Grad erreicht, daß beispielsweise der Verkauf von Elbaalen wegen zu hoher Bleiverunreinigung verboten werden mußte.Ich frage mich, ob der Umweltminister der „Koalition der Wende" stark genug ist, den Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie einer Lösung zuzuführen.
Schlaue Kommissionen haben wir in diesem Zusammenhang zur Genüge gehabt. Jetzt ist Handeln erforderlich.
Haben wir erst einmal Ordnung im eigenen Haus geschaffen, so fällt es uns auch leichter, die ökologischen Probleme in der Dritten Welt anzugehen. Wenn „Global 2000" zufolge die Nahrungsmittelpro-
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Frau Blunckduktion vor allem in den Ländern steigen wird, die ohnehin einen hohen Pro-Kopf-Verbrauch an Nahrungsmitteln haben, stellt sich doch die Frage, ob es noch moralisch vertretbar ist, die sinnlose EG-Agrarpolitik der Überproduktion und Nahrungsmittelvernichtung weiterzuverfolgen,
vor allem wenn man sich die schlechten Perspektiven der Ernährungslage in der Dritten Welt vergegenwärtigt und wenn man bedenkt, daß 50 % aller Futtermittel aus den Entwicklungsländern importiert werden. Auf die Kosten dieser unsinnigen Nahrungsmittelvernichtung will ich hier gar nicht eingehen. Sie sind schlimm genug.Angesichts der Tatsache, daß die Entwicklungsländer in zunehmendem Maß zum Abladeplatz von Chemikalien geworden sind,
die bei uns entweder verboten sind oder deren Anwendung besonderer Kontrolle unterliegt, sollten wir den Export von Giftstoffen namentlich von Pestiziden, die bei uns nicht zugelassen sind, verbieten.
Der unkontrollierte Gebrauch der Giftstoffe ist nicht nur eine unmittelbare Gefahr für die Menschen, die damit umgehen. Der Export dieser Giftstoffe fällt schließlich auf uns zurück, weil viele Nahrungsmittel, mit diesen Rückständen belastet, auf unsere Märkte zurückkehren.Günter Grass hat einmal erklärt, ihm scheine es so zu sein, daß die Probleme wesentlich schneller wachsen, als die Politiker mit ihren Lösungsansätzen nachkommen.
Aber gerade uns Politikern fällt es ungeheuer schwer, dies zuzugeben. Nach unserer eigenen Definition von Werten wie Leistung und Führungsqualität sind wir nur allzu gern bereit, unsere Sprach-und Hilflosigkeit hinter hohlen Phrasen zu verstekken, statt zu bekennen, daß wir kein Patentrezept besitzen.
Viel schlimmer ist dabei, daß wir uns damit auch eine Neudefinition des Wertes Leistung verbauen, eine Neudefinition von Werten, die uns in die Lage versetzt, Zuhören als eine Leistung zu erkennen
und das Eingestehen von Schwächen als Leistung, sogar als eine große Leistung, zu begreifen.
Nur diese zuletzt aufgezählten Leistungen befähigen uns, Lösungsmöglichkeiten überhaupt näherzukommen, indem wir aufnehmen und beherzigen, was uns Betroffene, Alternative, Landwirte, Grüne, Frauen, die Friedensbewegung sagen.
Wir müssen viel mehr als bisher bereit sein, aus Versuch und Irrtum zu lernen. Das Godesberger Programm meiner Partei sagt in der Präambel: In unsere Hand ist die Verantwortung gelegt für eine glückliche Zukunft oder für die Selbstzerstörung der Menschheit.
Für die Zukunft brauchen wir den Verstand und die Hilfe aller, weil die Natur viel komplizierter ist, als wir zu denken in der Lage sind. — Danke schön.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe eine großartige Vorrednerin gehabt.
Ich darf meine Vorrednerin gleich zitieren: Mehr Vernunft, mehr Sachkenntnis und weniger Emotion, das tut der Sache gut.
— Was wollten Sie sagen, Herr Duve?
— Ich sage jetzt einmal das, was sich mir aufdrängt. Ich weiß, daß es viele Sektierer in diesem Lande gibt. Ich beglückwünsche Sie dazu, daß offensichtlich, wenn ich die Schlußfolgerung ziehe, der Weg von der SPD zu den Sektierern geht. Aber das ist nicht mein Bier, sondern ich möchte etwas sehr Ernstes sagen.Wir unterhalten uns auch über die Sicherung der Arbeitsplätze, verehrte Frau Blunck. Ist Ihnen vielleicht bekannt, daß jeder sechste Arbeitsplatz in diesem Land von der Agrarwirtschaft abhängt? Wenn Sie schon sagen, Sie wollten die gute alte Rolle der Landwirtschaft wieder herbeiführen — das heißt eigentlich, ihre schlechte alte Rolle - dann müssen Sie Farbe bekennen. Dann sagen Sie einmal konkret, wo diese alte Rolle gut war!
Nennen Sie Roß und Reiter! Sie haben ziemlich polemisch von Vergiftung usw. gesprochen. Ich empfehle Ihnen, in einem Biologiebuch nachzulesen, wenn Ihnen nicht bekannt ist, daß unser Leben dadurch ermöglicht wird, daß es das Phänomen der Assimilation gibt, daß nämlich über Chlorophyll, Sonnenenergie und Entnahme von Nährstoffen aus dem Boden Kohlehydrate gebildet werden. Wenn dieser Prozeß erlischt, brauchen wir uns über die weitere Zukunft unseres Lebens nicht mehr zu unterhalten. Da sagen Sie nun: Wenn man diese Nähr-
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Bundesminister Ertlstoffe dem Boden zuführt, ist das Vergiftung, Denaturierung und weiß Gott was alles.
Das widerspricht nun wirklich dem seriösen Level, das man hier in diesem Parlament verlangen muß.
Das gilt so, und das ist seit Liebig bekannt. Seit Liebig gibt es das Gesetz vom abnehmenden Ertragszuwachs. Jeder vernünftige Landwirt, der sein Geschäft mit Sachkunde betreibt, weiß, daß er ab einer gewissen Menge Dünger gar keine Ertragszuwächse mehr erzielen kann, weil es das Gesetz der Natur nicht zuläßt.
— Natürlich, Herr Conradi, wird es immer notwendig sein — ich habe das hier in diesem Hohen Hause schon einmal gesagt —, daß man den Einsatz von biochemischen Mitteln überprüft, weil möglicherweise eine positive erste Wirkung bei dem einen oder anderen Mittel — ich denke da z. B. an alle Antibiotika in der Human- und Veterinärmedizin - auf lange Sicht Schäden nach sich zieht. Dann wird das Mittel eben aus dem Verkehr gezogen. Jedes andere Verfahren wäre eine Absage an jeglichen Fortschritt, und es gäbe keine durchschnittliche Lebensdauer von 70 Jahren in unserer Gesellschaft.
Das darf man sich doch nicht so einfach und billig machen. Ich führe gerne sachkundige Diskussionen, aber ich finde es nicht richtig, wenn man so sachunkundig polemisiert.Lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt eine Bemerkung machen. Ich habe mir einige Notizen gemacht. Lieber Kollege Hauff, Sie sprachen die „großindustriellen Betriebe" in der deutschen Landwirtschaft an. Wo sind sie denn? Sind das die Betriebe mit 13 oder 20 Hektar? Die durchschnittliche Betriebsgröße bei uns beträgt 13 Hektar. Erzählen Sie doch hier keine Märchen, damit man draußen etwas verkaufen kann! Ungefähr 1 % aller Betriebe — ich lege mich jetzt nicht genau fest, es könnten auch 0,9 oder 1,15 % sein — haben über 100 Hektar, und Betriebe über 200 Hektar müssen Sie in Deutschland quasi mit einem Mikroskop suchen.
Die Struktur dieser Landwirtschaft ist im Grunde kleinbäuerlich; es gibt nur wenige Großbetriebe.
— Wenn Sie Klassenkampfelemente hineinbringen wollen, so können Sie das bei mir tun; aber das ist zu billig. Die Struktur unserer Landwirtschaft ist klein- und mittelbäuerlich.
Das habe ich früher zu jener Opposition gesagt, und das muß ich nun auch dieser Opposition sagen. Das ist wirklich traurig.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo.
Nichts lieber!
Herr Minister, können Sie mir bestätigen, daß ich mit der Angabe einer Durchschnittsgröße der Betriebe in der Bundesrepublik oder in der EG die Gefahren einer industriellen Produktion, die z. B. in der Geflügelhaltung der Landwirtschaft völlig entglitten sind, überhaupt nicht fassen kann?
Herr Oostergetelo, Sie verwechseln zweierlei Dinge: bodenabhängige und bodenunabhängige Produktion. Ich spreche von der bodenabhängigen Produktion. Das ist die Mehrheit unserer Landwirtschaft.
Die bodenunabhängige Produktion ist eine absolute Minderheit.
Dazu muß ich sagen: Die Frage ist falsch gestellt, sie stellt sich so nicht.
Ein zweites Stichwort: Rhein-Main-Donau-Kanal. Dazu muß ich allerdings sagen, daß sich alle die fragen müssen, die einem Bau über Nürnberg hinaus zugestimmt haben.
Da ist doch der Zug abgefahren. — Herr Kollege Hauff, ich kann mich noch an Kabinettssitzungen erinnern, bei denen beispielsweise der damalige SPD-Vorsitzende Läpple vor der Türe wartete und sagte: Der Saar-Kanal muß gebaut werden. — Das waren politische Entscheidungen. Über sachliche Entscheidungen kann man allzeit reden. Eines muß man natürlich wissen: Wer den Bau dieses Kanals in der Form beendet, daß er es 70 km vor dem Ziel mit einem Damm bewenden läßt, der hat allerdings eine Fehlinvestition erster Klasse getätigt. Deshalb, sage ich, muß man hier eine vernünftige Lösung finden. Man kann hinterher hier jetzt nicht solche Bemerkungen machen.Es gäbe noch Vieles anzusprechen, aber mir ist nahegelegt worden, meine Redezeit zu beschränken.Aber eine Bemerkung zu einem Thema darf ich noch machen, das hier schon eine Rolle spielte. Die FAO hat bereits ein forstliches Sonderprogramm. Das braucht nicht erst initiiert zu werden. Man kann streiten, ob es genügend dotiert ist. Es ist sogar ein Arbeitsschwerpunkt der FAO, unter deutscher Beteiligung, insbesondere unter Beteiligung
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7612 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Bundesminister Ertldeutscher Förster. Diese Debatte ist ein Anlaß, Hunderten, wenn nicht sogar Tausenden von deutschen Förstern zu danken, die oft in sehr mühsamer Arbeit in der Dritten Welt geholfen haben, passable Verhältnisse zu schaffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, den Hauptanlaß dieser Debatte sehe ich vor allem in folgenden besorgniserregenden Entwicklungen:1. Die Bevölkerungsexpansion in den Entwicklungsländern hält an. 2. Die Kluft zwischen reichen und armen Ländern wird nicht kleiner, sondern größer. 3. Die Zahl der Arbeitslosen und damit auch der Hungernden nimmt erheblich zu. 4. Das Nahrungsmitteldefizit der Dritten Welt erhöht sich merklich. Die Rolle der USA und anderer westlicher Länder als Nahrungsmittellieferanten wird immer bedeutsamer. 5. Das agrarische Flächenpotential zahlreicher Entwicklungsländer ist nahezu ausgeschöpft. 6. Raubbauartiger Umgang mit der Natur und Wüstenbildung schreiten fort.Der in großen Teilen der Dritten Welt seit langem zu beobachtende Teufelskreis der Armut wird sich also verschärft fortsetzen. Er läßt sich charakterisieren durch die Stichworte: hohes Bevölkerungswachstum, unzulängliches Wirtschaftswachstum, zu geringe Kapitalbildung, Fehlen von Arbeitsplätzen und damit von kaufkräftiger Nachfrage, unzureichende Agrarproduktion, Nahrungsmangel. Die Energiekrise hat diese Erscheinungen noch erweitert um den Verlust natürlicher Lebens- und Produktionsgrundlagen auf Grund verstärkten Raubbaus.Um diese verhängnisvollen Kreisläufe zu durchbrechen und die vorausgesagten Fehlentwicklungen wenigstens zu mildern, ist unverzügliches Handeln erforderlich. Sonst werden noch mehr Menschen als heute in Hunger und Elend versinken und wird unsere an sich reiche Erde zu einem unwirtlichen Planeten degradiert. Auch wird eine Welt, in der die Zahl der Hungrigen immer größer wird, keinen Frieden finden können. Die grüne Revolution — das muß ich wiederum Frau Kollegin Blunck sagen — ist nicht zuletzt deshalb gescheitert, weil wir zwar nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen und auch nach unserem technisch-wissenschaftlichen Know-how in der Lage sind, für die Entwicklungsländer Getreidesorten zu züchten, die 40 und 60 Doppelzentner pro Hektar bringen, weil aber die Entwicklungsländer nicht in der Lage waren, beispielsweise Bodenbearbeitung und Düngung in der erforderlichen Art und Weise zu vollziehen, weil sie z. B. nicht genügend Devisen für Handelsdünger hatten, dessen Einsatz Voraussetzung für solche Erträge ist. Deshalb ist in weiten Teilen der Welt die grüne Revolution zusammengebrochen. Deswegen habe ich zuvor diese Bemerkung gemacht: Es wird in der Dritten Welt keine aktive Bekämpfung des Hungers von 500 Millionen Menschen geben, wenn dort nicht die Nahrungsmittelproduktion, die agrarischen Erträge gesteigert werden.
Dazu brauchen Sie produktionssteigernde Mittel, oder Sie müssen hier wissenschaftlich erklären, wie Sie das anderweitig lösen. Dazu muß ich Ihnen sagen, diese wissenschaftlichen Erkenntnisse möchte ich dann allerdings kennenlernen. Bis jetzt gibt es sie noch nicht.Nehmen wir z. B. Afrika. Im Durchschnitt haben die Menschen dort 10 % weniger zu essen als noch vor zehn Jahren. Wesentliche Ursachen hierfür sehe ich in den bekannten Dürrekatastrophen, aber auch in den kriegerischen Auseinandersetzungen und politischen Instabilitäten vieler Staaten. Hier, meine ich, ist ein ernstes politisches Wort angebracht. Es gilt nicht für uns, es gilt für andere: Es wäre besser, diesen Völkern bei friedlichen Investitionen — Bildung, Infrastruktur, Agrarstruktur, verbesserte Bodenbearbeitung — zu helfen, als ihnen Waffen zu liefern.
Nach wie vor richtig ist die schon zum entwicklungspolitischen Allgemeingut gewordene Forderung, daß die Versorgung der Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln vor allem über die Steigerung der Eigenerzeugung in den Entwicklungsländern erfolgen muß. Ich habe mich besonders darüber gefreut, daß die Weltbank in ihrem diesjährigen Jahresbericht die eindeutige Priorität der agrarischen Entwicklung für das Gesamtwohl der Volkswirtschaft gerade in armen Entwicklungsländern so überzeugend herausgearbeitet hat. Die FAO — Abkürzung für „Weltlandwirtschaftsorganisation" — schätzt, meines Erachtens zu Recht, das mobilisierbare Produktionspotential in den Entwicklungsländern wesentlich optimistischer ein als die Autoren von „Global 2000". Diese Mobilisierung setzt jedoch große Eigenanstrengungen der jeweiligen Staaten voraus. Eine sonst zu erwartende Nahrungsmittellücke allein bei Getreide von mehr als 100 Millionen Tonnen bereits Anfang der 90er Jahre wäre aus vielerlei Gründen kaum zu schließen. Den Entwicklungsländern fehlt es an Kaufkraft und Devisen.Ich darf auch das einmal in einem Nebensatz einschieben: Die vielgelästerten Überschüsse in der Europäischen Gemeinschaft — ich will es jetzt ganz wertfrei sagen — können Sie in der Menge sofort absetzen, wenn Osteuropa genug Devisen hätte, um sie zu kaufen — um nur ein Beispiel zu nennen, damit Sie einmal die Dimension sehen. Ich spreche jetzt nur von Osteuropa.
— Nein, der würde gar nicht dazwischenfahren, der liefert ihnen auf jeden Fall Getreide. Nur die Deutschen regen sich auf. Zum Beispiel regen Sie sich auch auf, Herr Duve, wenn wir Butter in den Ostblock liefern. Darüber regen Sie sich auf, und die Frau Blunck polemisiert über solche Dinge. Ich sage Ihnen aber, das Problem liegt doch nicht darin, daß es keine Nachfrage gibt; es gibt kein Geld, mit dem man die Nachfrage finanziell bewältigen kann.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7613
Bundesminister ErtlAn Kaufkraft fehlt es.
— Wenn die Welt so leben würde, wie wir alle leben könnten, hätten wir weder das Problem von Überschüssen noch das Problem von Hunger in der Welt, sondern wir hätten in der ganzen Welt sehr zivilisierte Zustände und sehr freiheitlich-demokratische.
Ich komme noch einmal zurück — -
- Ich teile diese Auffassung nicht, bin aber gern bereit, mit Ihnen darüber zu diskutieren.
Wenn ich diese Auffassung teilen würde, müßte ich sagen: Dann allerdings sind wir selber ganz stark in der Pflicht. Dann müßte ich Sie fragen: Haben Sie schon Ihr Auto verkauft, verzichten Sie auf Flugreisen, verzichten Sie auf Zentralheizung,
verzichten Sie auf Dusche und Bad?
Dann, Freunde, muß man ernst machen, jeder von uns, auch ich! Wissen Sie, es ist so einfach, hier immer zu polemisieren. Man muß dann bereit sein auch für sich selber Ernst zu machen. Ich sage Ihnen: Ich will Auto fahren, ich will fliegen, ich will zivilisiert wohnen,
weil ich sehe, daß in der Zivilisation auch ein Stück Garantie der Freiheit für alle liegt.
Herr Minister, die Abgeordnete Frau Blunck möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?
Ja, gerne.
Bitte, Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Minister, können Sie mir vielleicht sagen, wieviel Energie schätzungsweise verlorengeht, wenn wir Nahrungsmittel aus der Überproduktion auf EG-Ebene vernichten? Was kostet das eigentlich?
Sehr verehrte gnädige Frau, ich möchte Ihnen sagen, Obst ist schon immer verfault, und es wird auch in Zukunft verfaulen.
Das liegt an dem Produkt Obst. Ich wehre mich dagegen, daß dies pauschal als Vernichtung dargestellt wird. Das ist ein natürlicher Vorgang, der zwar bedauerlich ist, aber ich bin bereit, Ihnen Adressen von Bauern zu nennen, bei denen Sie sogar umsonst Äpfel pflücken können. Und die Bereitschaft dazu ist noch nicht einmal gegeben!
Da können Sie es sich nicht so einfach machen.Auch die zweite Frage will ich Ihnen gern beantworten; ich bin für Ihre Zwischenfrage dankbar. Die Rüchnahmegarantie ist die soziale Komponente für viele Kleinbauern in Süditalien und in Südfrankreich. Denken Sie an einen Bauern der nur ein Hektar Obst hat - ganz gleich, welche Art von Obst - und der das Pech hat, daß durch eine schnelle Reife ein Großteil der Ernte nicht vermarktet und auch nicht von heute auf morgen versaftet werden kann, weil das alles nicht in Sekunden und auch nicht in Stunden geht; das braucht ja Tage. Dann könnten Sie sagen, er hat Pech gehabt und muß das volle Risiko tragen. Nun gut, dann gebären Sie Sozialhilfeempfänger. Verehrte gnädige Frau, ein Stück EG-Agrarpolitik ist — das wissen Sie doch aus dem Ernährungsausschuß — ein Stück Sozialpolitik für schwach strukturierte Gebiete südlich von Rom, für Teile Südfrankreichs, Irlands usw.
Darüber kann man politisch streiten. Wenn man das nicht will, wenn man sagt, uns paßt das alles nicht, dann muß man den Vertrag ändern. Aber so einfach mit der Polemik kann man es sich nicht machen.Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage noch einmal: Den Entwicklungsländern fehlt es an Kaufkraft und an Devisen. Eine stark expandierende Nahrungsmittelhilfe würde die agrarische Entwicklung in der Dritten Welt eher hemmen als fördern. Es ist deshalb zu begrüßen, daß bereits 50 Entwicklungsländer insbesondere in Afrika der Empfehlung des Welternährungsrates gefolgt sind und umfassende nationale Ernährungsstrategien entwickeln.Für mich stellen sich, primär bezogen auf die Entwicklungsländer, eine Reihe von Fragen an Forschung und Wissenschaft. Wie stark sind die natürlichen Lebens- und Produktionsgrundlagen belastbar? Welche land- und forstwirtschaftlichen Erträge können mit welchen Produktionsmethoden nachhaltig erzielt werden? Welchen Beitrag kann der menschliche Erfindungsgeist leisten, um diese Erträge zu steigern, ohne die Grenzen des ökologisch Möglichen zu überschreiten? Schließlich: Ist der Gegensatz zwischen Ökonomie und Ökologie wirklich zwangsläufig? Ich glaube: nein. Im Gegenteil, gerade in den Entwicklungsländern lassen sich die ökologischen Probleme mildern, wenn ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Entwicklung erreicht wird. Dann kann beispielsweise Investitionskapital bereitgestellt werden, das man braucht, um zu nachhaltigeren Betriebswirtschaftsformen zu gelangen.
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7614 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Bundesminister ErtlFür uns ist die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit durch vorsorgliche Düngung und Wiederaufforstung eine Selbstverständlichkeit.Welche Konsequenzen muß der Politiker aus diesen langfristigen Problemen ziehen, welches sind die Grunderfordernisse, politischen Prioritäten und Strategien, um den auch in „Global 2000" dargestellten Herausforderungen zu begegnen? Ich möchte hier nur wenige Punkte nennen:Erstens. Zur Lösung der Energiefragen ist langfristig eine weltweite Kooperation anzustreben, um ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen Energieangebot und -nachfrage zu vertretbaren Preisen zu erreichen. Auf lange Sicht kommt man nicht um die Antwort herum, wie herkömmliche, d. h. vorwiegend fossile, Energie substituiert werden soll — bis hin zum Thema Kernenergie, wenn es nicht bis dahin Alternativen gibt. Ich beschänke das nicht auf diese Frage; nur wegen der Kürze der Zeit will ich hier nicht weiter darauf eingehen. Ich sage aber mit großer Bestimmtheit: Ab dem Jahre 2000 wird die Uhr mehr in die Richtung ticken, daß wir auch auf die Land- und Forstwirtschaft zur Gewinnung von Biomasse zu Energiezwecken zurückgreifen müssen. Das wird ab dem Jahr 2000 von Jahr zu Jahr brennender werden. Dann werden wir ganz große Herausforderungen bekommen.
— Nicht nur dort, auch in Lateinamerika. Ich bin Ihnen sehr dankbar, lieber Kollege Hauff. Das wird ein ganz brennendes Thema sein. Das heißt, forschungsmäßig muß es in diesem Jahrhundert aufgearbeitet werden, damit die Technologien im Jahre 2000 parat sind. Dabei werden auch die Landwirtschaft und die Forstwirtschaft eine ganz andere Stellung bekommen: nicht nur im Rahmen unseres Gesamtgefüges als Produktionszweig, sondern auch als Produzent von Biomasse-Rohstoffen. Damit niemand glaubt, ich hätte Illusionen: Ersetzen kann man natürlich die herkömmliche fossile Energie nicht, das ist nur ein Teil einer großen Palette.Zweitens. Fortschritte bei der Eindämmung des Bevölkerungswachstums in der Dritten Welt sind unabdingbar.
Hier muß man einen ganz großen Appell an alle Kirchen der Welt richten. Diese Eindämmung kann nur durch Eigenverantwortung geschehen. An diese Eigenverantwortung muß man aber appellieren.Drittens. Durch eine integrierte Entwicklung von Landwirtschaft, Handwerk und ländlicher Industrie — vor allem durch Schaffung außerlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze in ländlichen Räumen und Landreformen — müssen Arbeitslosigkeit, Massenarmut und Landflucht verringert werden. Letztlich geht es hierbei um die Schaffung von Kaufkraft, die ihrerseits für eine volkswirtschaftliche Aufwärtsentwicklung unerläßlich ist.Mein Fraktionskollege Wolfgramm hat mit Recht festgestellt: Wohlstand ist kein Wert an sich. Ich unterstreiche das voll. Nur wer politische undsoziale Stabilität hat — in meinen Augen bedingt soziale Stabilität die politische Stabilität, beides hängt eng mit der wirtschaftlichen Stabilität zusammen —, wird auf die Dauer eine menschenwürdige Gesellschaft sichern können. Dazu bedarf es in der Tat eines gewissen Maßes an Lebensstandard — ich sage nicht: Wohlstand — und Zivilisation für alle. Für alle!
Ohne beide können Sie eine demokratische freiheitliche Grundordnung nicht durchhalten.
Alle Staaten mit starkem Sozialgefälle sind für autoritäre Staatsgesinnung anfällig. Darin sehe ich die eigentliche große politische Herausforderung, vor der wir stehen.Lassen Sie mich von dieser politischen Bemerkung zur agrarischen Entwicklung zurückkehren.Viertens. Die agrarische Entwicklung in den Entwicklungsländern ist zu forcieren. Notwendig sind vermehrte Produktionsanreize — insbesondere über die Preispolitik sowie über die Förderung angepaßter Technologien und ausreichender Investitionen - Bewässerungs- und Düngemittelprogramme. Auch Wiederaufforstungs- und Rekultivierungsprogramme sind auszuweiten. Allen diesen Maßnahmen und Programmen wird der gewünschte Erfolg jedoch nur beschieden sein, wenn sie mit einer verstärkten Bildung und Ausbildung der Menschen Hand in Hand gehen, die sich nach unseren Vorstellungen letzten Endes selbst helfen wollen und auch sollen.Fünftens. Die Industriestaaten müssen zur Bewältigung ihrer eigenen ökologischen Probleme die umweltpolitischen Ziele stärker verfolgen. Nur so können die Gesundheit der Menschen und die Funktionsfähigkeit der Natur gesichert werden. Die erste Verantwortung für die Entwicklung der Dritten Welt liegt bei den Entwicklungsländern selbst. Die sogenannten reicheren Staaten müssen sie bei ihren Bemühungen jedoch unterstützen.Auch die Ostblockstaaten sind zu vermehrten und geeigneten Maßnahmen aufgerufen. Schon eine Umstrukturierung ihrer Art von Entwicklungshilfe - ich sage es noch einmal — von den Schwertern zu den Pflugscharen wäre ein sinnvoller Beitrag für die Dritte Welt.
Eine letzte Bemerkung, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich meine, der große Wert von „Global 2000" war, daß diese Studie uns alle zum Nachdenken darüber gezwungen hat, wie wir die Herausforderungen der Zukunft bewältigen. Daß dabei die Gestaltung und die Erhaltung des ländlichen Raums für die gesamte Welt von entscheidender Bedeutung sind, sollte uns allen, glaube ich, bewußt sein.Ich glaube, der Kollege Hauff hat auf das explosionsartige Wachstum von Mexiko hingewiesen. Die Massenabwanderungen in den Entwicklungs-
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Bundesminister Ertlländern in die Ballungszentren sind der große soziale und politische Sprengstoff.
Daher sage ich Ihnen: Es geht darum, weltweit ausgeglichene strukturierte ländliche Räume zu erhalten. Dies muß und kann nur durch eine weltweite Zusammenarbeit ermöglicht werden. Da sind vor allem die gerufen, die möglicherweise aus ideologischen Barrieren diese Zusammenarbeit bis heute verweigert haben.
Als letzter Redner im Rahmen der Aussprache hat sich der Abgeordnete Duve gemeldet. Er hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stand unter dem Eindruck, daß meine Fraktion mich angemeldet hat. Aber ich habe mich auch gemeldet; das ist richtig.„Antiparlamentarisch" hat der Innenminister gesagt und eine Bemerkung von Frau Schuchardt gemeint. Antiparlamentarisch, meine Damen und Herren, wäre es, wenn wir über globale Fragen nicht streiten, weil sie so global, so einsichtig sind und jeder derselben Meinung ist. Nein, ich meine, auch ein solches Thema — gerade ein solches Thema muß umstritten sein. Es müssen unterschiedliche Standpunkte deutlich werden.Ich will Ihnen gleich sagen, Herr Minister Ertl: Es hat bei uns in Norddeutschland, in der Nähe von Segeberg, im letzten Jahr ein Dorf gegeben, wo die Kinder mit Sprudelwasser versorgt werden mußten, weil das Grundwasser zuviel Nitrat aufwies. Das war ein Fehlverhalten der Landwirtschaft. Es hat keinen Sinn, über „Global 2000" zu reden, daß einem der Schauer über den Rücken läuft und man an die Weltrettung denkt, aber die konkreten Probleme, über die Sie hier so locker hinweggegangen sind, zu verschweigen. Das hat keinen Sinn.
Ich möchte heute abend noch folgende Frage stellen. Es ist schon spät, und ich muß es ein bißchen rascher machen. Die Frage lautet: Wie wirken globale Informationen auf unser demokratisches Gemeinwesen? Wie reagiert eine Gesellschaft auf den vermauert und, wie heute sehr plastisch dargestellt wurde, verriegelt erscheinenden Zukunftshorizont? Bleiben wir als demokratische Gesellschaft politikfähig, wenn wir uns von solchen Endzeitdaten, von der Endzeitbedrohung, von apokalyptischen Warnungen umzingelt glauben? Wie sieht die Politik aus, wenn objektive Grenzen der Entfaltung aufgezeigt werden, aber keine Mittel und Wege, um mit der Erkenntnis objektiver Grenzen umzugehen, demokratisch in Freiheit umzugehen?Es gibt theoretisch vier Möglichkeiten der Beantwortung dieser Frage. Erstens kann man die Informationen einfach ignorieren. Das haben viele im Lande jahrelang gemacht.Zweitens kann man resignieren oder aussteigen.Drittens kann man — das ist eine sehr gefährliche Verhaltensweise - in Zorn und Angst die schuldige Gegenwart mit Gewalt zwingen wollen, das Ruder herumzureißen. Diejenigen, die das verfolgen, unterliegen dem Irrglauben, es gäbe da, wo es globale Daten gibt, auch ein globales Ruder, also einen Hebel, mit dem man das machen könnte.Das gibt es eben nicht, und darum müssen wir hier im Sinne von „Lokal 2 000" miteinander über die richtigen Wege streiten.Übrigens gibt es seit dem 1. Oktober einen fünften Weg, auf den nur ein Mann wie Herr Kohl kommen konnte: den Salto mortale in die 50er Jahre; aus Angst vor der Zukunft die Flucht in die Vergangenheit.Manche Redner von der Regierungsbank haben heute abend einen sechsten Weg aufgezeigt: eine manchmal sehr leere, mit Leerformeln angereicherte Debatte, die dann sozusagen das Ganze wegschieben soll.Drei Vorgänge haben diese Diskussion in den letzten zehn Jahren bestimmt: erstens der großartige, vor zehn Jahren, im April 1972, vom damaligen IG-Metall-Vorsitzenden Otto Brenner einberufene Kongreß zur Qualität des Lebens in Oberhausen. Dort haben die bedeutendsten Gewerkschaftler, Politiker und Wissenschaftler zu der Frage gesprochen, welche Gefahren auf eine Gesellschaft zukommen, die sich von globalen Grenzen blockiert sieht. Wir sozialdemokratischen Politiker und Gewerkschaftler haben allen Anlaß, Otto Brenner auch heute noch für dieses großartige Unternehmen zu danken.
Der zweite Vorgang ist der hier erwähnte Bericht des Club of Rome, der uns zum erstenmal mit Untergangsdaten konfrontiert hat, die bereits auf diesem IG-Metall-Kongreß diskutiert wurden. Es gab einen Vorbericht, der damals von Olof Palme und anderen bereits vorgestellt wurde.Der dritte Vorgang ist der Ölpreissprung, erzwungen von der OPEC, zur Wirkung gekommen bei uns. Er hat in Westeuropa mehr als den gigantischsten Devisenabfluß aller Zeiten ausgelöst. Er hat eine hochentwickelte Industriegesellschaft veranlaßt, ihre Grundpfeiler umzubauen, ohne daß uns der Laden dabei um die Ohren geflogen ist. Wir sind mit den Sorgen und Ängsten der Industriearbeiter konfrontiert, die nicht so sehr den Untergang der Welt als vielmehr den täglich drohenden Verlust des Arbeitsplatzes fürchten. Auf eine Formel gebracht: Für die abhängig Beschäftigten ist seit Beginn der Industrialisierung der eigene Daseinsverlust eine sehr realistische Angst. Wir sind gleichermaßen mit der Zukunftsangst vieler Menschen konfrontiert, die mit globalen Daten nicht fertig werden und nicht wissen, wie sie ihr eigenes künftiges Leben danach gestalten sollen.Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, daß wir diese Diskussion gegen die Massenpresse, gegen die Parteichristen in diesem Lande geführt haben, sehr schwierig und sehr schmerzhaft geführt haben. Wir sind stolz darauf, daß wir den Bürgerinitia-
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Duvetiven heute sagen können: Mit dem Erkennen der neuen Probleme sind die alten nicht beseitigt, und daß wir den Gewerkschaften sagen: Wer wüßte besser als ihr, daß mit dem Bewältigen der alten Probleme die neuen Probleme noch nicht im Griff sind? Umweltschutz am Arbeitsplatz, Gift in Nahrungsmitteln: Es ist doch nur eine sprachliche, semantische Verschleierung, Herr Minister Ertl, immer zu sagen: Wir dürfen nur noch Schadstoffe sagen; das Wort „Gift" wird aus dieser Sprachwelt abgeräumt. Nein, wo es Gift ist, wird auch von Gift gesprochen.
An dieser Diskussion um den Umbau der Industriegesellschaft im Rahmen einer Verfassung, die für eine so tiefgreifende Krise weiß Gott nicht eingerichtet schien, hat sich die Union nicht nur nicht beteiligt, nein, sie hat jahrelang schamlos den Beckmesser gespielt, der mit schädlicher Häme versucht hat, aus der Krise und unserem sozialdemokratischen Ringen um Auswege Nutzen zu ziehen.
— Ja, Sie sagen jetzt: unerhört. Aber Herr Dregger hat hier heute gesagt, selbst Gespräche mit den Grünen seien bereits der Anfang vom Ende der Industriegesellschaft.
Sagen Sie doch nicht „unerhört", sondern lesen Sie das, was Ihr Fraktionsvorsitzender heute gesagt hat. Wie viele Jahre hat es gebraucht, bis die rationelle Energienutzung bei Ihnen überhaupt diskutiert wurde?
Wie viele Jahre haben Sie gebraucht, um mit der Mär vom Umweltschutz als Investitionshemmnis endlich aufzuhören? Wie viele Jahre haben Sie Umweltdemonstranten als von Kommunisten gelenkt verteufelt? Wie lange hat es gebraucht, bis es auch bei Ihnen Leute gab, die zugaben, daß die Entsorgungsfrage nicht gelöst ist? Wie lange mußten wir warten, bis auch bei Ihnen dämmerte, daß Umweltschutz nicht Arbeitsplätze vertreibt, sondern schaffen kann?
Wir haben uns schwergetan, so schwer, wie diese Aufgabe nun einmal ist.Alles in allem hat die sozialdemokratische Epoche dazu geführt, daß wir heute eine große Bereitschaft haben, technisch andere Wege zu gehen, daß ein großer Prozentsatz der Bevölkerung Umweltschutz fordert und daß der Glaube daran, daß uns einige wenige Ingenieure mit ihren Großprojekten aus der Klemme helfen würden, vorbei ist.
— Da ich bei Ihnen nicht weiß, was Sie fragen, freue ich mich auf Ihre Frage.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kittelmann? — Bitte, Herr Abgeordneter Kittelmann.
Herr Abgeordneter, würden Sie uns dann einmal erklären, warum gerade in der grünen Bewegung überwiegend ehemalige Sozialdemokraten politisch tätig sind? Vielleicht könnten Sie von daher, da Sie auch der CDU/CSU große Versäumnisse nachsagen, etwas selbstkritischer sein.
Sie haben Ihren Mann, Herrn Dr. Gruhl, herausgetrieben und ihm noch zynische und höhnische Bemerkungen nachgeworfen. Das tut mir leid für Herrn Dr. Gruhl. Richtig ist, daß wir eine sehr, sehr schwierige und ernste Diskussion haben, weil wir nämlich die Partei der Opfer der ersten Industrialisierung im 19. Jahrhundert sind. Viele Menschen bei uns wissen, was Arbeitsverlust bedeutet. Bei uns ist das eine schmerzlichere Diskussion als in Parteien der Mittelschichten oder unter Angehörigen des öffentlichen Dienstes,
bei denen die Gefahr eines Arbeitsplatzverlustes nie so bestanden hat. Bei uns war das eine schwierige Diskussion, und wir haben sie mit viel Mühe und auch erfolgreich geführt.Sie haben an den neuen Themen gelegentlich geschnuppert, die neuen Gruppen aber immer ausgegrenzt. Erst wenn es opportun war, haben Sie abgesahnt.
In der Umwelt- und Technologiediskussion hat sich die Union so opportunistisch verhalten, wie sich Konservative in der Demokratiegeschichte immer verhalten haben: ausgrenzen, diffamieren, denunzieren, und zwar den, der andere Wege gehen will, aber auch denjenigen, der mit einem redet. Das machen Sie im Moment. Das scheint Ihre Politik zu bleiben: Dohnanyi diffamieren, weil er mit den Grünen redet, und wieder einmal den Untergang des Abendlandes beschwören. Zugleich spricht Ihr Planungschef, Herr Dettling — ein sehr interessanter, nachdenklicher Mann —, mit den Alternativen über neue Lebens- und Arbeitsformen.
Herr Kiep verhöhnt Klaus von Dohnanyi, wenn er neue Lebens- und Arbeitsformen konkret ermöglichen will. Die Berliner CDU finanziert die Alternativen mit und nutzt das, was Anke Brunn und andere dort angelegt haben. Gleichzeitig warnt die Bonner CDU — Herr Geißler und andere — vor jeglichen Gesprächen mit solchen Leuten.
— „Lokal 2000" ist die einzige Chance, um globalenTendenzen entgegenzuwirken. Darum spreche ich
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Duvehier von uns, von unserem Land und vom dem, was Sie mit dieser Debatte in den letzten Jahren gemacht haben.
Dies ist bei den Konservativen nicht nur eine historische Methode konservativer Verketzerung, sondern — —
— Sie hätten ja gerne gehabt, daß wir heute ausschließlich darüber reden, daß es überhaupt keine politischen Unterschiede mehr gibt, daß wir alle dieses Buch ganz ernst nehmen und, wenn wir zur Sache kommen, dann auf dem Niveau diskutieren, auf dem Minister Ertl diese konkreten Fragen stellenweise angegangen ist.
Sie möchten j a gerne, daß solche Debatten dazu führen, daß die politischen Unterschiede hier im Lande und das, was mit dem Rückfall in die 50er Jahre beabsichtigt ist, gar nicht mehr diskutiert werden. Ich lasse mich darauf nicht ein.
— Ach, bei der Fähigkeit zur Demagogie der Leute, die sie jetzt zum Minister und zum Parlamentarischen Staatssekretär im Innenministerium gemacht haben, wird es noch kübelweise alte Zitate der Herren Zimmermann und Spranger geben.
Es ist der Wesenskern des deutschen Konservatismus, so zu verfahren, von den Deutschnationalen bis heute: verketzern, ausgrenzen und absahnen.Warum sage ich das? Es gab und gibt j a bei Ihnen die Nachdenklichen, die nicht ausgrenzen wollen. Richard von Weizsäcker hat sich anders als Heiner Geißler nie an solchen Verketzerungen beteiligt. Nein, er hat umgekehrt die große Leistung der Sozialdemokratie gewürdigt. Ich darf dazu aus der Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament" von dieser Woche Richard von Weizsäcker zitieren:Nur einmal hat es in der Nachkriegszeit eine planmäßige und erfolgreiche Bemühung einer Parteiführung um den Geist im Land gegeben. Ich meine Willy Brandt in den sechziger Jahren. Parteipolitisch gesprochen hat das meiner Richtung geschadet. Staatspolitisch, so meine ich, war es etwas strukturell Richtiges.Ich setze das fort: Das gleiche staats- und gesellschaftspolitische Bemühen hat es in den 70er Jahren gegeben: Studentenbewegung, Umweltbewegung, Friedensbewegung. Von Ihrer Seite kam als Antwort darauf aber immer die alte Leier des autoritären Bürgertums des 19. Jahrhunderts. Die Konservativen und ihre Blätter haben erst einmal die Angst geschürt. Irgendwann sind sie dann auf fahrende Züge aufgesprungen. Ich will Ihnen etwas sagen. Im politischen Organismus der deutschenkonservativen Tradition fehlt ein bestimmtes politisches Organ, nämlich das der Sensibilität im Umgang mit neuen Problemen und neuen Gruppen.
Richard von Weizsäcker hat dafür ein Konzept. Er sagt, Disraeli habe sozusagen dem Gladstone die fortschrittlichen Ideen geklaut und das dann durchgesetzt. — Richard von Weizsäcker macht das zum Programm und sagt: Wir Konservativen müssen fortschrittlich sein, damit wir nicht reaktionär werden, aber wir müssen die Ideen von den anderen nehmen. Ich glaube, er unterschätzt die Kraft der anderen in seiner Partei.Wir sprechen auch mit den Grünen. Wir fordern die Grünen heraus. Wir werden sie nicht ausgrenzen, sondern mit unseren Mitteln in den demokratischen Prozeß einbeziehen, wo das möglich ist.
Wir haben keine Patentantworten. Wir sagen nicht einfach: Erhard, Adenauer. Nein, wir haben neue, damals unbekannte Probleme, und wir hören jedem, der über Lösungen nachdenkt, zu, natürlich auch Christdemokraten, wenn sie über interessante Lösungen nachdenken:
Zukunft der Arbeit, ökologische Kreislaufwirtschaft, Neuverteilung der weniger werdenden Arbeit, Entgiftung der Industrieproduktion, sparsamer Umgang mit Wasser, Neuordnung der alten Wasserrechte in den Ballungsräumen, Schutz unseres Bodens, Entgiftung der Nahrungsmittel, Rettung menschlicher Kommunikationsformen vor der endgültigen Beschädigung durch elektronische Kommunikationsprothesen.Meine Damen und Herren, wir widersprechen entschieden dem Vorstandsmitglied der Grünen, Grundmann, der diese Woche gesagt hat, das Prinzip des Gewaltmonopols des Staates sei überholt. Das demokratisch kontrollierte Gewaltmonopol ist die einzige Garantie dafür, daß wir diese ungeheure Umrüstung unserer Industriegesellschaft und unserer Lebensformen ohne soziale Explosion schaffen.
Der Abgeordnete Kretschmann von den Grünen in Baden-Württemberg hat recht: Es geht nicht um den Abbau des Gewaltmonopols, sondern um den Abbau von Gewalt. Formen der parlamentarischen Demokratie, Regularien des Sozialstaats, Rechte und Pflichten der Exekutive, Freiheiten und Bindungen der gewählten Parlamentarier, alle diese Formen — das sage ich in Richtung auf diesen Herrn Grundmann — sind historisch erkämpfte Inhalte. Politische Form ist historisch erkämpfter Inhalt. — Und heute kämpfen wir um neue Inhalte, die sich aus solchen Herausforderungen wie „Global 2000" ergeben. Sie werden im Rahmen demokratischer Freiheiten eines Tages zum Formenbestand unserer Republik gehören: Mitbestimmung und Kreislaufwirtschaft, Energiesparen, Umwelt entla-
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7618 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982
Duvesten, Wasser schützen, das Bewahren der Menschen vor der Entmündigung.Wir wissen, daß uns Herr Kohl und Herr Strauß einen großen, für unsere Probleme tragischen Umweg in die 50er Jahre bescheren wollen. Wir wissen, daß dies ein Irrweg ist. Wir wissen, daß der Horizont für die Bewältigung dieser Fragen seit dem 1. Oktober düsterer geworden ist.Aber wir wissen auch, daß es für unseren sozialen und demokratischen Weg zur Rettung und Erhaltung dieser Welt nach wie vor eine Mehrheit links von der Union gibt.
Um sie werden wir kämpfen, selbstbewußt, aber niemals selbstgerecht. Für Selbstbewußtsein haben wir angesichts der letzten 13 Jahre in der Geschichte viel, für Selbstgerechtigkeit überhaupt kein Recht erworben. — Danke schön.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Sauter , Dr. Pinger, Boroffka, weiterer Abgeordneter der CDU/CSU und der Fraktion der CDU/ CSU liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 9/2060 vor.Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist ohne Gegenstimmen angenommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 9/1728 unter den Nummern 1 und 2. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist damit einstimmig angenommen.Ich rufe die Punkte 7 bis 15 der Tagesordnung auf:7. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Stercken, Erhard , Spranger, Dr. Miltner, Dr. Klein (Göttingen), Krey, Regenspurger, Dr. von Geldern, Dr. Waffenschmidt, Broll, Dr. Laufs, Volmer, Dr. Jentsch (Wiesbaden), Dr. Lenz (Bergstraße), Graf Huyn, Dr. Mertes (Gerolstein), Dr. Czaja, Dr. van Aerssen, Hauser (Krefeld), Milz, Klein (München), von der Heydt Freiherr von Massenbach, Müller (Remscheid), Frau Dr. Wex, Dr. Hüsch, Dr. Todenhöfer, Dr. Köhler (Wolfsburg), Schmitz (Baesweiler), Dr. Pohlmeier, Dr. Hornhues, Dr. Kunz (Weiden), Dr. Wulff, Hauser (Bonn-Bad-Godesberg), Günther, Lamers, Köster, Dr. Hupka, Fellner, Lenzer, Picard, Dr. Stark (Nürtingen), Niegel, Biehle, Dörflinger, Dr. Olderog, Dr. Jobst und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes— Drucksache 9/1062 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Rechtsausschuß8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes— Drucksache 9/1913 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und GeschäftsordnungRechtsausschuß9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wehrrechts und des Zivildienstrechts— Drucksache 9/1897 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Verteidigungsausschuß
InnenausschußAusschuß für Jugend, Familie und Gesundheit10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Zuckersteuergesetzes— Drucksache 9/2035 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
— Drucksache 9/1990 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
RechtsausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung und von anderen Vorschriften
- Drucksache 9/1991 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung InnenausschußVerteidigungsausschußAusschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. Oktober 1982 7619
Vizepräsident Windelen13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften
— Drucksache 9/1997 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. Juli 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Sri Lanka über den Luftverkehr- Drucksache 9/2032 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. Juni 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Zaire über den Luftverkehr- Drucksache 9/2033 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für VerkehrDas Wort wird nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 1062, 1913, 1897, 2035, 1990, 1991, 1997, 2032 und 2033 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Ist das Haus mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:Beratung der Sammelübersicht 45 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 9/2021 -Wird das Wort gewünscht? — Dies ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, die in der Sammelübersicht 45 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist damit einstimmig angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 bis 19 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates über die Verstärkung der Mittel zur Kontrolle der Anwendung der Gemeinschaftsregelung für landwirtschaftliche Erzeugnisse— Drucksache 9/1613 Nr. 16, 9/2017 - Berichterstatter: Abgeordneter Eigen18. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates über den Abschluß des Abkommens in Form eines Briefwechsels über eine Fischereivereinbarung zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Schweden für 1982Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Festlegung von Maßnahmen zur Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischbestände gegenüber Schiffen unter schwedischer Flagge— Drucksachen 9/1613 Nr. 22, 9/2018 - Berichterstatter: Abgeordneter Eigen19. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÄnderung der gemeinschaftlichen Einfuhrbedingungen für bestimmte in der Tierfütterung verwendete Erzeugnisse- Drucksachen 9/1686 Nr. 8, 9/2019 -Berichterstatter:Abgeordneter Funk
Es handelt sich hierbei um Beschlußempfehlungen und Berichte des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu Vorlagen der Europäischen Gemeinschaft. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.Ich lasse über die Vorlagen gemeinsam abstimmen. Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses auf den Drucksachen 2017 bis 2019 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind damit einstimmig angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 3 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDPWahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder für den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt— Drucksache 9/2056 -Wird das Wort gewünscht? — Dies ist nicht der Fall.7620* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 28. Oktober 1982Vizepräsident WindelenWer dem interfraktionellen Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Darf ich um die Gegenprobe bitten. — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 10. November 1982, 11 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.