Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Am 12. Juni verstarb König Khalid ben Abdul-Aziz al Saud nach langer schwerer Krankheit im Alter von 69 Jahren. Mit ihm verliert Saudi-Arabien seinen König, der weit über die Grenzen seines Landes hinaus hohes Ansehen und Respekt genoß. Seine stete Sorge galt dem Ausgleich in der arabischen Welt und der Bewahrung des Friedens. Noch in den letzten Tagen seines Lebens hat sich König Khalid erfolgreich darum bemüht, die im Nahen Osten bestehenden Konflikte einzudämmen.
Deutschland brachte er immer freundschaftliche Gefühle entgegen. Im Juni 1980 weilte der König zu einem Staatsbesuch in der Bundesrepublik Deutschland. Im Namen des Deutschen Bundestages spreche ich der königlichen Familie und dem saudiarabischen Volke meine tiefempfundene Anteilnahme aus. Die deutsche Bevölkerung nimmt teil an der Trauer des saudiarabischen Volkes.
Sie haben sich zu Ehren des verstorbenen saudiarabischen Königs von Ihren Plätzen erhoben. — Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, aus dem Programmbeirat der Deutschen Bundespost ist der frühere Abgeordnete und jetzige hessische Staatsminister für Wirtschaft und Technik, Herr Hoffie, ausgeschieden. Gemäß § 2 der Geschäftsordnung des Programmbeirats hat der Deutsche Bundestag das Recht, einen Nachfolger vorzuschlagen. Als Nachfolger hat die Fraktion der FDP den Abgeordneten Merker benannt. Ist das Haus mit dieser Benennung einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist der Abgeordnete Merker als Mitglied des Programmbeirats der Deutschen Bundespost vorgeschlagen.
Der Abgeordnete Dr. Bötsch scheidet aus dem Wahlprüfungsausschuß aus. Gemäß § 3 Abs. 2 des Wahlprüfungsgesetzes ist für ihn ein Nachfolger als ordentliches Mitglied des Wahlprüfungsausschusses zu wählen. Die Fraktion der CDU/CSU hat den Abgeordneten Sauter als ordentliches Mitglied benannt. Ich frage das Haus, ob es mit dieser Benennung einverstanden ist. — Ich stelle Ihr Einverständnis fest. Damit ist der Abgeordnete Sauter (Ichenhausen) als ordentliches Mitglied des Wahlprüfungsausschusses gewählt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 6 der Tagesordnung — Gesundheitsschutzgesetz — abgesetzt werden. Ich frage das Haus, ob es mit diesem Vorschlag einverstanden ist. — Ich stelle Ihr Einverständnis fest. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 2 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 6. April 1974 über einen Verhaltenskodex für Linienkonferenzen
— Drucksache 9/1713 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Darf ich davon ausgehen, daß Sie damit einverstanden sind? — Ich stelle dies fest.
Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einem „übervollen Hause" zu diesem Thema zu sprechen, ist angemessen. Trotzdem, wie es uns gelegentlich geht, ist dies eine wichtige Sache. Die Frage, die wir uns bei solchen Anlässen stellen, ist immer wieder diese: Wem nützt es? Die Frage, die wir uns stellen sollten, lautet: Ist es nötig, was wir hier tun?Was wir hier tun, ist, meine ich, nötig angesichts der Tatsache, daß wir es weltweit mit einem Anwachsen von Lenkungsmaßnahmen zu tun haben: Bilateralismus, Verkrustung der Märkte mit einem Schaden für uns.Wem nützt es? Hier könnte man ein bißchen spitz die Lesart der Verlader übernehmen, die sagen: Aha,
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Sickdas nützt ja den deutschen Reedern! — In der Tat, es ist so. Aber das ist auch beabsichtigt, nicht um der Reeder, sondern um der Tatsache willen — über die wir uns bisher immer einig waren —, daß wir aus gesamtwirtschaftlichem Interesse einen bestimmten Teil deutscher Handelsschifftonnage unter deutscher Flagge halten wollen. Angesichts der Entwicklung, die ich vorhin schilderte, ist dies zunehmend gefährdet. Insoweit also: Ja, es nützt den deutschen Reedern. Aber es ist kein Schutzzaungesetz. Das hätten wir nicht gewollt und nicht mitgemacht. Vielmehr liegt es im deutschen, im nationalen Interesse, einen bestimmten Teil vorzuhalten.Wenn ich von diesem Teil spreche, dann deswegen, weil es hier um den normalen Gegensatz zwischen Verlader und Transporteur geht. Übrigens ist das der normale Gegensatz zwischen Käufer und Verkäufer. Wenn ich als Käufer betroffen bin, will ich möglichst wenig ausgeben, und als Verkäufer will ich möglichst viel einnehmen. Die Diskussion um dieses Gesetz hat sich inzwischen insofern versachlicht, als auch die Verlader erkennen, daß ihnen hiermit ein Vorteil geboten wird. Insgesamt ist es ein Vorteil für die deutschen Transporteure und Produzenten, verläßliche, kalkulierbare Tarifsätze zu haben. Das ist auf die Dauer besser, als am Markt einmal so oder einmal so wildern zu können.Ich will nicht sagen, daß wir mit diesem Gesetz die Gegensätze ausräumen; das wird nicht möglich sein. Aber sie werden quasi reglementiert. Die Regeln, nach denen dieses geht, ergeben sich aus der Tarifbildung, der Möglichkeit von Treueabkommen, von Freistellungen und schließlich von Schlichtungsabkommen bis hin zur Zwangsschlichtung, wobei auch die Verlader erkannt haben, daß ihnen hiermit Instrumente an die Hand gegeben werden, mit denen sie ein verläßliches Verfahren garantieren können. Ein ganz wesentlicher Punkt: Der Wettbewerb wird nicht beseitigt. Er wird dadurch beibehalten, daß die Outsider nach wie vor am Markt sind und bleiben, auch für die Verlader.Ein für mich ganz besonders wichtiges Kapitel, das in diesem Gesetz ausdrücklich steht, ist das der Gleichbehandlung, ungefähr nach dem Grundsatz: Wie du mir, so ich dir. Ich möchte mir wünschen, daß dieser Grundsatz in der allgemeinen Verkehrspolitik mehr gilt, als das bisher der Fall ist. Natürlich haben wir Gegensätze und Spannungen zwischen den Industrieländern, zwischen Industrie- und Entwicklungshilfeländern, und insbesondere gibt es Spannungen und kann es Verwerfungen geben gegenüber den Schwellenländern. Die Kolleginnen und Kollegen unter uns, die das Geschäft kennen, von dem ich rede, wissen genau, welch große Gefahren auf uns zukommen können, wenn besonders die Schwellenländer freiwerdende Tonnage aufnehmen, ohne Rücksicht auf Rentabilität auf den Markt gehen — und das mit einem erheblich geringeren Grundkostenanteil, als ihn die Industrieländer haben. Das müssen wir sehen. Ich würde mir wünschen — deswegen meine besondere Aufmerksamkeit für diesen Punkt —, daß wir das Prinzip der Gegenseitigkeit nicht nur im Bereich von EG und OECD anwenden, sondern, wenn es geht, auch imVerhältnis zu den Ostblockländern, die ja Weltmeister in puncto Dumpingpreise sind und die Märkte kaputtmachen.
Ich würde also sagen: Wir sollten sehen, daß wir unseren Anteil behalten. Sie entnehmen aus meinen Äußerungen, daß wir, die Unionsfraktion, positiv zu diesem Gesetzentwurf stehen und auch so in die Beratungen hineingehen werden.Nun stellt sich noch die Frage nach dem Zeitablauf. Haben wir beliebig viel Zeit? Ich würde sagen, wir sollten sehen, daß wir die Dinge jetzt hinter uns bringen. Es wird langsam Zeit, denn das Problem der weiteren Verkrustung und Verkarstung der Märkte schreitet fort. Das eigentlich Schlimme daran ist: Dies alles ist nicht kalkulierbar. Die Schwierigkeiten entstehen aus einem quasi irrationalen Raum, aus Prestigedenken, Nationalitätsdenken, Flaggezeigen. Das sind alles Dinge, die mehr auf der Psychowelle statt auf der Kostenwelle schwimmen. Deswegen sollten wir sehen, daß wir Ordnungsfunktionen hineinbringen, um das in den Griff zu bekommen.Dies gilt um so mehr, als die Sache selbst inzwischen alt genug geworden ist. Der uns vorliegende UNO-Verhaltenskodex stammt aus dem Jahre 1974. Im Augenblick verfahren wir nach dem sogenannten CENSA-Kodex von 1971, den die europäischen Reeder einmal selbst verabschiedet haben. Dazwischen lag der Versuch der Welthandelskonferenz von 1972 mit der Entschließung 66, den wir abgelehnt haben. Daneben gibt es noch einen OECD-Kodex, aus dem übrigens Spannungen und Schwierigkeiten entstanden, weil Mitglieder der OECD zuerst meinten, das, was wir heute behandeln, passe damit nicht zusammen. Das ist Gott sei Dank ausgeräumt.Aber die lange Zeitdauer hat auch ihre Vorteile gehabt. Denn die ursprünglich sehr starken Spannungen zwischen Verladern und Transporteuren sind inzwischen durch Gespräche, durch diesen Gesetzentwurf und auch durch die Vorbehalte, die hier von der Bundesregierung gemacht worden sind, abgebaut worden. Es sind drei Vorbehalte, die auch in das Gesetz eingearbeitet worden sind. Nur mit diesen drei Vorbehalten soll, wenn wir uns so entschließen, ratifiziert werden. Da ist einmal der Grundsatz der Gleichbehandlung unter EG-Partnern. Es ist zweitens der Vorbehalt der Nichtanwendung der Ladungslenkungsregelung unter EG-Partnern. Es ist drittens die Nichtanwendung der Vetoregelung unter bestimmten Umständen, auf die ich hier nicht im einzelnen einzugehen brauche.Ich meine daher, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können in die Beratung dieses Gesetzentwurfes in dem Bewußtsein eintreten, daß es sich hier um einen Kompromiß handelt, der brauchbar ist, einen Kompromiß zwischen totaler Ladungslenkung oder totaler Liberalisierung — sprich „Laissez faire, laissez passer"; jeder kann machen, was er will. Da der Wettbewerb durch die Outsider erhalten bleibt — der gesamte
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SickBereich der Trampschiffahrt ist überhaupt nicht berührt, Massengut auch nicht —, paßt dies nach meinem Empfinden auch durchaus in die Soziale Marktwirtschaft hinein. Es verfälscht sie nicht. Aber es bringt Sicherheit in die Beziehungen zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern.Darum gehen wir in die Beratungen mit der Absicht hinein, den Gesetzentwurf passieren zu lassen. Wir werden sehen, was die Beratungen im einzelnen vielleicht hier und da noch bringen. Ich bitte unsere mitberatenden Ausschüsse, uns ihr Veto möglichst bald zu geben
— Votum, kein Veto, im Gegenteil; vielen Dank, Herr Kollege —, es sei ausdrücklich berichtigt: uns ihr Votum, nicht ihr Veto bald zu geben, damit wir, wenn es denn gehen kann, diese Sache recht zügig zu einem guten Ergebnis bringen, von dem ich glaube, daß es uns allen — auch den deutschen Reedern natürlich —, also insgesamt der Volkswirtschaft guttut. Insoweit, meine ich, ist es ein gutes Vorhaben. Wir werden es als Union auch so begleiten. — Vielen Dank.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Duve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wieder einmal so, daß der Deutsche Bundestag ein Thema diskutiert, dessen sachlicher Hintergrund und dessen Vokabeln eher auf eine Fachkonferenz hinter verschlossenen Türen als vor das Plenum des Deutschen Bundestages zu gehören scheinen. Dadurch verengt sich dann auch das öffentliche Interesse. Ich weiß nicht, wie es den Zuhörern geht, wenn wir über so etwas reden. Das öffentliche Interesse an solchen Debatten beschränkt sich auf die unmittelbar Interessierten, die deutschen Reeder, die deutschen Verlader — dabei weiß allerdings derjenige, der nicht vom Fach ist, nicht genau, was mit dem Wort gemeint ist —, die Beamten im Bundesverkehrsministerium und drei oder vier Fachjournalisten, die mit der Materie vertraut sind.Wir Abgeordneten haben es selbst in der Hand, ob wir uns über Angelegenheiten des Deutschen Bundestages so unterhalten, daß dabei mehr herauskommt als die tägliche Geheimkonferenz, in der Beamte und unmittelbar Betroffene in unübersetzbarem Kauderwelsch Positionen hin- und herschieben, die sie zuvor schon x-mal ausgetauscht haben.Um was geht es? Die UNCTAD — die Vereinten Nationen — haben 1974 ein Abkommen vorgelegt, dem inzwischen 72 Länder beigetreten sind, mit dem vielen der ärmeren Länder garantiert wird, daß ein bedeutender Anteil ihrer Schiffsladung auch von eigenen Schiffen transportiert werden kann. Dieses Abkommen betrifft allerdings nur solche Verkehre, die mehrere Reedereien in festen Linienfahrten gemeinsam betreiben, die sogenannten Linienkonferenzen — hier haben wir das schwierige Wort. Je 40 % Ladungsanteil sollen den Reedereien der beiden als Importeur und Exporteur betroffenen Staaten zustehen, 20 % stehen dem Marktzugriff anderer an der Linienkonferenz beteiligter Staaten offen. Wir haben in Norddeutschland einen Schnack — Herr Sick, der wie ich Plattdeutsch kann, kennt ihn —: Wat dem enen sin Uhl, is dem annern sin Nachtigall.
— Das ist wunderbar. Wir brauchen dann keinen Dolmetscher; wir hatten ja letzte Woche hier schon Dolmetscher.
— Wenn Sie mir mehr Zeit geben, Herr Kollege, interpretiere ich Ihnen noch etwas ganz anderes.Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages hören niemanden lauter trapsen als die Nachtigall, wenn sich die Interessenten und Betroffenen bei ihnen melden, um ihnen wortreich — wiederum im Jägerlatein — die Vorzüge oder Nachteile einer Sache zu erläutern. Um es gleich zu sagen: Dieses UNCTAD-Abkommen bedeutet für die deutschen Linienreeder Sicherheit und Stetigkeit — es ist die kündende Nachtigall —, während es für die deutsche Industrie, für die Verlader, jahrelang so etwas wie ein drohender Schrei der Nachteule war. Ich will die Tierwelt nicht weiter strapazieren.
— Lassen Sie mich bitte mit meinen Bildern sprechen.Wir Deutschen können nicht — das richtet sich an die Adresse der Industrie — die Entwicklung der Welttonnage und die ordnungspolitischen Tendenzen der Weltschiffahrt aus eigener Kraft umorganisieren. Ich weiß, daß gerade in der letzten Zeit die Verlader noch einmal einen Anlauf unternommen haben, zwar nicht gegen dieses Abkommen, aber mit dem Ziel, sich noch kritischer mit Ladungslenkung zu befassen. In den meisten Staaten der Welt hat sich die Tendenz zu Staatshandelsflotten — übrigens häufig mit unserer Zustimmung und aktiven Hilfe — verstärkt. Wir haben auch nicht die Kraft, schiffahrtspolitische Lehrmeister der ganzen Welt zu werden. Allerdings finde ich es richtig, daß wir im Zusammenhang mit den Beratungen grundsätzliche schiffahrtspolitische Fragen diskutieren, die von der verladenden Wirtschaft aufgeworfen werden.Ein Wort zu den Bedenken, die von Europa gegen das Abkommen vorgebracht worden sind. Ich finde, da haben sich die europäischen Staaten nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Schon vor drei Jahren hat die EG beschlossen und durch Vorbehalte der EG-Mitglieder in bezug auf die Verkehre untereinander verordnet, wesentliche Bestimmungen des Abkommens— so kann man schon sagen — zu unterlaufen. Es war jedenfalls kein großartiger Beitrag zum Nord-Süd-Dialog, denn dadurch ist eine Verzögerung um viele Jahre eingetreten. Dadurch ist dem UNCTAD-Abkommen sehr viel von seiner Schrecklichkeit für die europäische Industrie, aber möglicherweise auch von seiner Wirkung genommen worden.
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DuveDas Abkommen tritt mit der Ratifizierung durch den Deutschen Bundestag in Kraft. Die deutsche Tonnage wird gerade jener Anteil sein, der das Abkommen nach acht Jahren endlich zur Verwirklichung bringt. Insofern sind auch unsere Beratungen von Bedeutung.Schon bei ihrer Unterschrift hat die Bundesregierung eine Entschließung eingebracht — Herr Sick hat darauf hingewiesen —, die ausdrücklich anmahnt, daß die Verlader nach wie vor das Recht behalten, auch sogenannte Outsider-Dienste außerhalb der Linienkonferenzen zu nutzen. Wir Sozialdemokraten begrüßen diesen neuen Ordnungsrahmen der Linienschiffahrt in der Welt. Wir nehmen zur Kenntnis, daß wir davor gewarnt werden, solche Abkommen auch auf andere Schiffsverkehre auszudehnen.Die Interessen der Industriestaaten werden mit diesem Abkommen beileibe nicht untergebuttert; eher im Gegenteil. Wenn einzelne Staaten der Dritten Welt wie gerade jetzt Indonesien auf sehr problematische Weise eine Ladungslenkung erzwingen wollen, dann zeigt dies, daß es Zeit wird, das Abkommen endlich in Kraft zu setzen. Indonesien hat bereits vor vielen Jahren unterzeichnet, ist aber an das Abkommen zur Zeit noch nicht gebunden. Wenn wir ratifiziert haben, ist es daran gebunden.Ein Gutes hat diese starke und langandauernde Kritik der verladenden Wirtschaft an den Bemühungen zur Ladungslenkung gewiß: Schärfer und präziser können wir tatsächliche Fehlentwicklungen bei der Frachtratenentwicklung wahrnehmen und diskutieren. Wenn vorgebracht wird, daß die Linienkonferenzen dauernd „Sondergebühren" erheben, bei denen man sich auf Wechselkursänderungen, Ölpreissteigerungen und vieles andere mehr beruft, dann müssen wir diese Fehlentwicklungen deshalb ernst nehmen, weil inzwischen diese sogenannten surcharges höher sind als die Raten selber. Dann können sich auch die ärmeren Länder nicht mehr auf feste Raten und Verladerbeteiligungen, wie es das Abkommen festsetzt, verlassen.Meine Damen und Herren, eine Schlußbemerkung. Wir sollten auch nicht auf falsche Flaggen setzen. In der letzten Zeit wird von der Industrie — nicht von den Reedern — gegen solche Abkommen wieder die vielgepriesene „Freiheit der Meere" vorgebracht, die früher im wesentlichen die Unfreiheit der Kolonialländer war. Solche Begriffe sollten wir nun wirklich nicht mehr bemühen. Mit ideologisch aufgebauschten Begriffen sollte man Interessenlagen nicht verdecken: Unsere Industrie kann günstige Frachtraten gebrauchen, und unsere deutschen Reeder können einen günstigen Ladungsanteil dringend gebrauchen. Der Verfolgung beider Interessen steht dieses Abkommen nicht entgegen.Meine Fraktion wird bei der Ratifizierung nach der Beratung in den Ausschüssen zustimmen. — Danke schön.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Zumpfort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit nunmehr fast zehn Jahren diskutiert die Linienschiffahrt den UNO-Verhaltenskodex für die Linienkonferenzen weltweit. Man kann fast sagen: Leider erst jetzt steht die Ratifikation durch die Bundesrepublik Deutschland an. Mit „leider" meine ich, daß es zu viele Probleme gerade im Bereich der Schiffahrtspolitik gibt, die offen sind, z. B. die SBAO, z. B. die Probleme der Seerechtskonferenz, z. B. die Vorschläge des Seeverkehrsbeirats und nicht zuletzt dieses Problem hier, das wir nun seit zehn Jahren diskutieren.Vor diesem Hintergrund begrüßt auch meine Fraktion, daß dieser Vorschlag jetzt zur Ratifikation ansteht. Mit der Übernahme dieses Verhaltenskodex der UNCTAD auch für die deutsche Flotte sind im gesamten Weltschiffsverkehr die magischen 25 % der Weltlinientonnage erreicht. Immerhin ist das ein solider Grund, auf dem man weiter aufbauen kann.In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Schiffahrt — und hier insbesondere die Linienschiffahrt — stark verändert. Zum Teil sind meine Vorredner schon darauf eingegangen. Auf den Meeren sind neue Wettbewerber aufgetreten. Ich denke vor allem an die Flotten der Entwicklungsländer und an die in letzter Zeit verstärkt zu beobachtende Schiffahrt in den Schwellenländern, die zunehmend mit Tonnage auf den Markt drängen. Nicht zuletzt sollte an dieser Stelle noch einmal an die aggressive Marktpolitik der Sowjetunion und anderer Staatshandelsländer erinnert werden, die unabhängig von gesundem wirtschaftlichen Kostendenken mit ihrer Politik versuchen, die bestehenden Strukturen umzustoßen.Dies, meine Damen und Herren, hat mit Wettbewerb nichts mehr zu tun. Dies ist Protektionismus, der darauf gerichtet ist, das marktwirtschaftliche System, das auch bei uns in der Schiffahrt zum Teil noch herrscht, gänzlich zu zerstören. Vor diesem Hintergrund hat auch dieser UNCTAD-Verhaltenskodex eine Berechtigung wenn auch wie man hinzufügen muß, schwere ordnungspolitische Bedenken dagegen bestehen bleiben.Vor zehn Jahren war es auch noch recht schwierig, eine Ladungsaufteilung in einer Größenordnung von 40:40:20 % überhaupt ernsthaft zu diskutieren, weil man glaubte, daß damit der Dirigismus für alle Zeiten festgeschrieben würde. Hier hat aber die Realität die damalige Diskussionspraxis überholt. Heute wissen wir, daß bei dem zunehmenden Protektionismus eine solche Ladungsaufteilung immer noch das kleinere Übel ist. Ja, es gibt mittlerweile, so kann ich wohl für unsere Bundesrepublik Deutschland sagen, eigentlich niemanden, der ernsthaft den Verhaltenskodex gänzlich ablehnt. Aus unserer Sicht muß man sagen, daß der Kodex ja auch dazu führt, zu einem Interessenausgleich zwischen Angebot und Nachfrage sowie zu einer ausgewogenen Zusammenarbeit innerhalb der Linienkonferenzen zwischen den beteiligten Reedern, den Verladern und dem Außenhandel der betreffenden Länder zu kommen, was ohne diesen Kodex in verfälschter Form stattfinden würde.
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Dr. ZumpfortUrsprünglicher Sinn und Zweck des Vertragswerkes war es, eine Grundlage für Linienkonferenzen, an denen Seeverkehrsunternehmen unterschiedlicher Nationalität beteiligt sind, im gegenseitigen Einvernehmen zu schaffen. Hierzu gehören gleiche Rechte der Länder, die Außenhandel betreiben, auf Beteiligung an der Fracht und an der Ladungsmenge. Der Verhaltenskodex muß über die EG-Absicherung hinaus in Einzelfällen durch bilaterale Abkommen zur Ladungssicherung ergänzt werden. Hierzu hat der Seeverkehrsbeirat entsprechende Lösungsvorschläge erarbeitet. Dabei ist offen, was man in solchen Fällen unter einer angemessenen Beteiligung deutscher Reedereien zu verstehen hat. Das kann von Fahrtgebiet zu Fahrtgebiet unterschiedlich sein, und es kann ebenfalls von den verschiedenen Linienkonferenzen unterschiedlich beurteilt werden.Der Seeverkehrsbeirat empfiehlt in solchen Fällen, daß bei voller Anwendung der Ladungsaufteilungsvorschriften nur solche Reedereien als nationale Linienreedereien zugelassen werden, die einen angemessenen Teil ihrer Tonnage unter deutscher Flagge einsetzen. Sinn dieser Einschränkung ist es, zu verhindern, daß durch Scheinniederlassungen der Wettbewerb verfälscht wird. Mit diesem Problem müssen sich dann ja auch noch die beteiligten Ausschüsse befassen. Hier bedarf es auch in Zukunft der Unterstützung des Verkehrsministeriums, damit eine angemessene Beteiligung der nationalen Flagge an den verschiedenen Linienverkehren gesichert wird.Trotzdem muß man an dieser Stelle wieder sagen, daß der Markt mit der Ratifizierung des Kodex nicht völlig zwischen den beteiligten Außenhandelsländern aufgeteilt werden darf. Monopolistische Verhaltensweisen schaden dem Wettbewerb und sind geeignet, dem Sinn des Kodex zuwiderzulaufen. Deshalb ist mit der Aufteilung von 40:40:20 % ja auch weiterhin die Möglichkeit einer freien Betätigung zugelassen. In diesem Sinne hoffe ich, daß der Wettbewerb erhalten bleibt.Mit dem Beitritt der Bundesrepublik kommen nun zusätzlich rund 5 % der Welttonnage in den UN-Verhaltenskodex hinein. Das führt dazu, daß die Sicherheit des Seetransports und damit auch die Versorgungssicherheit stärker als bisher gewährleistet werden. Auch sollte man dabei nicht übersehen, daß eine solche Gewährleistung der Sicherung der Arbeitsplätze an der Küste dient.Meine Damen und Herren, ich glaube feststellen zu können, daß im Rahmen der Grundsätze des UN-Verhaltenskodex die deutsche Flotte in der Lage ist, den wettbewerblichen Risiken zu trotzen, die durch die in den letzten Jahren veränderten Bedingungen auf den Linienschiffahrtsmärkten entstanden sind. Die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist in vielen Fällen nicht mit denen der Partnerländer in Übersee, etwa in den Bereichen der Dritten Welt, oder mit denen der Staatshandelsländer des Ostblocks vergleichbar. Der UN-Verhaltenskodex kann und soll hier zusätzliche Sicherheit gewährleisten. Hinzu kommt die Ratifizierung unter Berücksichtigung der EG-Verordnung.Ich kann also für meine Fraktion die Ratifizierung begrüßen und feststellen, daß noch eine Reihe von Einzelproblemen gelöst werden müssen, bevor der Kodex in die Praxis umgesetzt werden kann, um den erhofften Erfolg zu gewährleisten.Beispielhaft für die noch zu lösenden Probleme möchte ich hier diejenigen nennen, die von den deutschen Stahlexporteuren in die Debatte gebracht worden sind. Da ist das Problem der zunehmenden Containerisierung der deutschen Flotte, wodurch das Angebot an konventionellem Schiffsraum verringert wird. Hier stehen sich Ladungssicherung der deutschen Flotte und die Nachfrage nach konventionellem Schiffsraum gegenüber. Da gibt es in der Tat Probleme, über die man sprechen muß.Grundsätzlich sollte man bei der Ausarbeitung der Einzelheiten davon ausgehen, daß das Ziel, Wettbewerb in der Schiffahrt, in der Linienschiffahrt und in der Massengutschiffahrt, zu erhalten, nicht vernachlässigt wird. Wenn diesem Ziel gefolgt wird, kann man sagen, daß die deutsche Handelsflotte, die ja hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit in der Welt eine Spitzenstellung einnimmt, durch den Verhaltenskodex gerade in Zeiten wachsenden Dirigismus und Protektionismus sowie zunehmender Flaggendiskriminierung eine solide Wettbewerbschance erhalten kann. Ich bin sicher, daß damit die Handelsschiffahrt eine weitere Herausforderung bestehen wird. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 9/1713 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Verkehr und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft und den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu überweisen. Ich frage das Haus, ob es mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden ist. — Ich stelle Ihr Einverständnis fest. Es ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zum Antrag der Abgeordneten Dr. Riesenhuber, Dr. Dregger, Kiep, Dr. Dollinger, Dr. Waigel, Dr. Probst, Dr. Stavenhagen, Gerstein, Dr. Jahn (Münster), Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Kraus, Lenzer, Kolb, Dr. Bugl, Dr. Schneider, Spranger, Dr.-Ing. Kansy, Magin, Müller (Wadern), Dr. Laufs, Prangenberg, Niegel, Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Keller, Dr. Friedmann, Pfeifer, Dr. Kunz (Weiden), Röhner, Dr. Jobst und der Fraktion der CDU/ CSUUmstrukturierung des „Programms zur Förderung heizenergiesparender Maßnahmen"— Drucksachen 9/319, 9/1511 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr.-Ing. Kansy Menzel
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Vizepräsident WindelenMeine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Darf ich feststellen, daß Sie damit einverstanden sind? — Ich stelle Ihr Einverständnis fest.Ich frage, ob das Wort zur Berichterstattung gewünscht wird. — Dies ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kansy.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit dem 8. April 1981— ich möchte das wiederholen: 1981— liegt nun dieser Antrag, Drucksache 9/319, auf dem Tisch, das seit 1978 laufende Programm zur Förderung heizenergiesparender Maßnahmen umzustrukturieren und über den ursprünglich beabsichtigten Zeitraum hinaus fortzuführen. Vor fast einem Jahr, am 25. Juni 1981, haben wir diesen Antrag hier im Plenum zum erstenmal mit dem Ergebnis beraten, daß alle Fraktionen des Deutschen Bundestages — bei unterschiedlichen Detailvorstellungen — Bereitschaft zeigten, den Intentionen dieses Antrags der CDU/CSU zu folgen.Die Bundesregierung hat inzwischen in der Dritten Fortschreibung des Energieprogramms vom November 1981 ebenfalls festgestellt, daß sie — ich zitiere jetzt — „eine Fortsetzung des Programms in veränderter Form und in reduziertem Umfang energiepolitisch für notwendig hält". Sie bestätigt in dieser Fortschreibung weiter die Auffassung der Union, daß — ich möchte hier noch einmal wörtlich zitieren — „die gestiegene Wirtschaftlichkeit vieler konventioneller Wärmedämm-Maßnahmen, die Erfahrung des bisherigen Programms", Herr Kollegel Menzel, „und die angespannte Haushaltslage eine Konzentration der künftigen Förderung auf wenige, noch nicht wirtschaftliche, aber unter Einspargesichtspunkten besonders wichtige Maßnahmen empfehlen".Mein Kollege Kolb wird in dieser Debatte noch einmal die Details unseres Antrags umreißen. Ich möchte am Beginn dieser Debatte einige grundsätzliche Bemerkungen machen.Zu unserer Enttäuschung haben sich die Ausschußberatungen im Bundestag und die Abstimmungen mit den Ländern unverhältnismäßig lange hingezogen. Am 31. Dezember dieses Jahres läuft der Zuschußteil des bisherigen Programms aus, am 30. Juni nächsten Jahres der steuerliche Teil.Um angesichts der gesamtwirtschaftlichen Situation von heute nicht an einer weiteren Stelle Unsicherheit bei Wirtschaft und Verbrauchern hervorzurufen, ist eine Entscheidung jetzt, noch vor dieser Sommerpause unseres Erachtens überfällig.Die Fortführung des Programms ist aber aus einer Reihe anderer politischer Gesichtspunkte fast noch wichtiger. Erste Tendenzen neuer Sorglosigkeit bei der Energieeinsparung und Ölverdrängung sind für den aufmerksamen Betrachter leider erkennbar. Die monatlichen Erfolgsmeldungen über den Rückgang des Ölverbrauchs und der Ölpreise waren wohl zu verführerisch.
Selbstverständlich freuen wir uns gemeinsam, daß sich der Verbrauch an Mineralöl seit unserer letzten Debatte im ersten Quartal dieses Jahres erneut um 6,5% im Vergleich zum ersten Quartal des Vorjahres verringert hat und daß sich der Beitrag des Mineralöls zur Deckung des gesamten Energieverbrauchs in diesem ersten Vierteljahr auf 41 % reduziert hat.Aber hüten wir uns vor einer verhängnisvollen Fehleinschätzung! Der Rückgang des Primärenergieverbrauchs — ich sage das noch einmal — um 14 % und des Ölverbrauchs um 22 % in den Jahren 1980 und 1981 ist im wesentlichen in einer Zeit wirtschaftlichen Niedergangs und zunehmender Arbeitslosigkeit entstanden.
So kann man natürlich auch Energie sparen, sozusagen alternativ.
Aber das ist mit Gewißheit das sicherste Programm zur Verhinderung von Vollbeschäftigung.
Im übrigen dürfen wir nicht vergessen, daß diese Situation, die bei uns besteht, im Grunde weltweit existiert. Die Internationale Energieagentur hat vor kurzem einige interessante Zahlen veröffentlicht. Sie schätzt, daß der Rückgang des Weltölverbrauchs um 260 Millionen Tonnen seit 1979 zur Hälfte auf die wirtschaftliche Rezession zurückzuführen ist. Wenn diese 130 Millionen Tonnen, was wir ja alle hoffen, möglichst bald wieder benötigt werden, dann werden sich die öl- und gasexportierenden Länder mit Sicherheit nicht wie Wohlfahrtsorganisationen gebärden. Wir haben gesehen, daß die Engländer und die Norweger schon wieder anfangen, an der Ölpreisschraube zu drehen. Da ist ja nicht mehr nur die OPEC im Spiel. Nach einer Untersuchung des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln werden unter diesen Voraussetzungen die realen Preise für Rohöl noch in diesem Jahrzehnt auf etwa 45 Dollar steigen, zu Dollarpreisen von 1981.Wir müssen deshalb — um diesen Gedankengang abzuschließen — unbeirrt in unserem Bemühen fortfahren, insbesondere das Öl zu ersetzen, und zwar soweit wie irgend möglich durch Sparen, aber, ich sage es noch einmal, auch durch andere uns zur Verfügung stehende Energieträger, und das ist in diesem Land u. a. und im wesentlichen auch die Kernenergie.Im übrigen — und das sollten wir bei dieser Debatte nicht vergessen — hat die Einschränkung des Ölverbrauchs bei uns in den Industrieländern auch erhebliche umweltpolitische und entwicklungspolitische Bedeutung. In dieser einen Stunde, in der wir hier dieses Thema diskutieren, werden auf der Welt etwa 200 Hektar Wald abgeholzt. Das sind rund 20
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1982 6393
Dr.-Ing. KansyMillionen Hektar jährlich, also 80 % der Fläche der Bundesrepublik. Dies geschieht, weil insbesondere in den Ländern der Dritten Welt dies der letzte Ausweg aus einem katastrophalen Energiemangel ist. Für viele dieser Länder bedeutet die letztlich durch zügellosen Ölverbrauch und die Nichtausnutzung eigener Energieträger provozierte Preisexplosion das Ende jeder Hoffnung auf Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse.
70 % des Weltenergieverbrauchs werden von 15 reichen Ländern, darunter von uns, benötigt. In der Bundesrepublik — um das vielleicht einmal mit einem Satz klarzumachen — wurden 1979 pro Kopf 6,1 Tonnen Steinkohleeinheiten verbraucht, in Indien 0,2 Tonnen. Hier liegt auch eine wesentliche Ursache für Hunger und Armut in der Dritten Welt. Dies bekämpfen zu wollen erfordert deswegen keine großen Worte bei entwicklungspolitischen Debatten, sondern auch hier in der Energiepolitik Maßnahmen, die im Grunde mehr Energie diesen Ländern zur Verfügung stellen. Statt dessen fressen seit Jahren die Mehrkosten für Energie die gesamte Weltentwicklungshilfe mehr als auf.Meine Damen und Herren, ein deutsches Montags-Magazin, in dem man recht preiswert — für 3,50 DM pro Woche — seinen politischen Standort beziehen kann,
schrieb vor einigen Wochen unter der Überschrift „Abends kalt" — ich zitiere —:Die Begeisterung für Wärmepumpen als ölsparendes Heizsystem ist abgeklungen. Sie sind unwirtschaftlich, anfällig und energiepolitisch sinnlos.Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob der oder die Verfasser des Artikels vorher den energiepolitischen Akrobaten aufgesessen waren, die das Energiesparen als kostenlose Energiequelle darstellen, was uns einer vernünftigen Vorsorgepolitik enthebt. Vor wenigen Jahren hat sich noch nicht einmal zusätzliche Wärmedämmung in diesem Lande gerechnet. Deswegen ist die Wärmedämmung als Förderungsmaßnahme ein Bestandteil des derzeitigen Programms. Mittlerweile sind diese Maßnahmen auch ohne staatliche Hilfen wirtschaftlich. Hier können wir jetzt aussteigen, um daraus keine sinnlose Dauersubvention werden zu lassen.Bei vielen modernen Technologien — bei Anschlüssen ans Fernwärmenetz und bei Wärmerückgewinnungsanlagen — ist die Wirtschaftlichkeit heute noch nicht gegeben. Es fehlt der Gleichklang zwischen dem privaten Interesse an Wirtschaftlichkeit und dem allgemeinen Interesse an Energiesparen und Ölsubstitution. Hier sollte nach unserer Auffassung die öffentliche Hand für eine Übergangszeit nicht nur weiter, sondern verstärkt fördern, um die Marktschwelle zu überwinden. Ich glaube, das ist auch in Zeiten berechtigter Kritik am Subventionsunwesen ordnungspolitisch vernünftig.Unvernünftig ist es unserer Auffassung nach, Investitionen in rationelle Energienutzung durch die Anhebung des Energiepreises auf nationaler Ebene über das Weltmarktniveau steuerpolitisch erzwingen zu wollen. Eine solche Politik, wie sie j a teilweise von Mitgliedern der Bundesregierung diskutiert wurde, führt doch nur zu neuen Forderungen nach Subvention oder Einkommenstransfer bei den Haushalten.Meine Damen und Herren, der Antrag der CDU/ CSU hat also zwei Schwerpunkte: erstens Weitermachen beim Energiesparen mit staatlichem Anreiz durch ein Anschlußprogramm und zweitens Konzentration einer zeitlich begrenzten Hilfe auf die Maßnahmen, die energiepolitisch sinnvoll, aber noch unwirtschaftlich sind. Der finanzielle Umfang kann unter diesen Voraussetzungen auf ein Drittel des heutigen Umfangs reduziert werden und ist, so glaube ich, mit 300 Millionen DM jährlich für Bund und Länder gemeinsam angemessen.Wir möchten die Bundesregierung auffordern — damit komme ich zum Schluß —, die Verhandlungen mit den Ländern nunmehr schnell zum Abschluß zu bringen. Die Zeit drängt mittlerweile auch aus haushaltstechnischen Gründen. Wir bedauern, daß die Koalitionsfraktionen zumindest bis jetzt in den Ausschußberatungen unseren sehr detaillierten Vorstellungen nur zum Teil gefolgt sind. Wenn wir dennoch als CDU/CSU dieser doch recht mageren Beschlußempfehlung des Ausschusses unsere Zustimmung geben werden, dann tun wir es, um endlich weiterzukommen. Eine schnelle Einigung dürfte erreichbar sein, Herr Staatssekretär Sperling, wenn man den Ländern möglichst große Spielräume gibt, ihren besonderen Bedingungen Rechnung trägt und vor allen Dingen auf neue gesetzliche Regelungen verzichtet. Die Anschlußregelung sollte deswegen unseres Erachtens nicht zu eng mit der Behandlung des Modernisierungs- und Energieeinsparungsgesetzes gekoppelt werden. Wie bei zeitlich befristeten Vorhaben üblich, reicht für die Anschlußregelung durchaus eine Verwaltungsvereinbarung nach Art. 104 a des Grundgesetzes.Meine Damen und Herren, auch bei diesem Thema gilt: je einfacher, je schneller, desto besser.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Menzel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es freut mich, Herr Kollege Dr. Kansy, daß Ihre Bewertung des laufenden Programms doch erheblich moderater klang als die Bewertung, die Kollege Riesenhuber bei der ersten Beratung Ihres Antrags im Juni vergangenen Jahres vorgenommen hatte. Es hat sich gezeigt, daß wir in vielen Fragen einer Meinung sind. In der Frage der Notwendigkeit des Energiesparens kann es, meine ich, zwischen uns gar keine Meinungsverschiedenheit geben. Trotzdem haben Sie es nicht unterlassen, etwas im Kaffeesatz zu lesen, wenn Sie nämlich sagen, daß die Energiesparerfolge weniger auf das Programm als auf die Folgen der wirtschaftlichen Rezession zurückzuführen sind. Sie alle wissen, daß
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Menzelgesicherte Daten über dieses Programm bis heute noch nicht vorliegen, daß z. B. die steuerlichen Auswirkungen des Programms frühestens 1984 bekannt sein werden. Woraus Sie jetzt solche Folgerungen ableiten, ist mir nicht erklärlich.Nun, meine Damen und Herren, spätestens nach dem letzten Ölpreisschock ist auch denjenigen, die immer noch an die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft als alleiniges Lenkungsinstrument glauben, klargeworden, daß es zum energiepolitischen Desaster führt, wenn man die Energieversorgung allein der Marktwirtschaft überlassen wollte. In der Energieversorgung zeigt sich, daß sich vieles, was volkswirtschaftlich sinnvoll ist, betriebswirtschaftlich kurzfristig nicht rechnet — nicht rentiert. Das ist das Dilemma. Der Staat muß eingreifen. Darin sind sich, wenn ich es richtig sehe, alle Fraktionen einig. Das Gerede von der Marktwirtschaft hilft da überhaupt nicht weiter. Da sind massive Eingriffe des Staates erforderlich, Herr Kollege Riesenhuber.
Wenn Sie diese Eingriffe in die Marktwirtschaft als Rahmenbedingungen bezeichnen — na ja, gut, dann mögen unsere Vorstellungen von Marktwirtschaft auseinandergehen.
Wir nehmen das zur Kenntnis. — Bleiben Sie doch ruhig! Es mag ja sein, daß Ihnen das eine oder andere nicht paßt.Haben Sie doch den Mut zu der Erkenntnis, daß Energiepolitik allein mit den Mitteln der Marktwirtschaft, wie Sie sie in den 50er und 60er Jahren betrieben haben, wobei Sie die heimische Kohle fast zu Tode geritten haben, langfristig zu energiepolitisch nicht gewünschten und von uns allen teuer zu bezahlenden Ergebnissen führt! Das haben wir in den letzten Jahren erlebt.
Nicht erst seit Ihrem Antrag, sondern spätestens seit dem zweiten Ölpreisschock sind sich alle Parteien darin einig, daß Energiesparen eine der wichtigsten Energiequellen ist, die wir haben,
eine Energiequelle, die weder radioaktive Abfälle im Gefolge hat noch Devisen kostet und mit relativ geringen Umweltbelastungen verbunden ist. Eine solche Energiequelle nicht vorrangig nutzen, hieße im höchsten Grade unvernünftig handeln.Einig sind sich alle Fraktionen auch darin, daß das Programm zur Förderung heizenergiesparender Maßnahmen fortgesetzt werden muß. Schließlich sind wir uns auch darin einig, daß bei der Entscheidung darüber, wie es fortgesetzt werden sollte, Konsequenzen aus den Erfahrungen mit dem laufenden Programm zu ziehen sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst?
Bitte schön.
Herr Kollege, wenn Sie sagen, Sparen sei eine Energiequelle, würden Sie dann auch folgern, daß das Sparen von Geld in unserem Haushalt eine Geldquelle sei?
Also einigen wir uns darauf: Sparen ist keine Energiequelle im hergebrachten Sinn. Aber Sparen hilft uns, mit den Problemen besser fertig zu werden.
— Ich freue mich, daß Sie dieser Erkenntnis zustimmen.Das Urteil der Opposition aber, das Heizenergiesparprogramm sei ein Fehlschlag, kann ich nur als billige Polemik bezeichnen,
eine Polemik, die jeglicher sachlicher Grundlage entbehrt.
— Dann möchte ich Sie bitten, einmal die Protokolle der ersten Lesung durchzulesen; dann werden Sie das darin finden!
— Sehen Sie, wenn Ihnen das eine oder andere nicht paßt, was Sie hier zutage gebracht haben, dann müssen Sie sich damit auseinandersetzen, was Sie vorgebracht haben.
Angesichts der Tatsache, daß wir 30 % der Primärenergie für Raumheizung aufwenden, ist das laufende Programm ein recht ordentlicher Erfolg. Wenn in der Zeit von 1978 bis 1980 allein über Zuschußförderung in 800 000 Wohnungen energiesparende Maßnahmen durchgeführt wurden, dann ist das ein Erfolg. Wenn seit Beginn des Programms bis heute in zirka 2,4 bis 2,5 Millionen Wohnungen im Zuschußprogramm und über steuerliche Anreize Energiesparmaßnahmen durchgeführt worden sind, d. h. also in 10 % des Wohnungsbestandes, dann ist das ein Erfolg dieses Programms. Wenn bei der Raumheizung 1981 20 % weniger Energie verbraucht worden ist als 1979, dann ist das ein Erfolg. Wenn die Heizölhändler seit 1979 einen Bestellungsrückgang von 28 % feststellen, dann ist das ein Erfolg. Wenn zwischen Privatleuten und Gewerblichen, von Industrie und Behörden Möglichkeiten zum Einsparen von Heizenergie entdeckt, entwickelt und erprobt worden sind, im kleinen und im großen, in einem
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MenzelAusmaß, wie es niemand erwartet oder vorauszusagen gewagt hätte, dann ist das ein Erfolg.Wenn der Kollege Riesenhuber Energieeinsparungen von 20 bis 25 Millionen Jahrestonnen Steinkohleeinheiten im Jahre 2000 als enorm bezeichnet, dann ist es sicherlich ein Erfolg, wenn wir erreicht haben, daß der Primärenergieverbrauch 1981 um 19 Millionen Steinkohleeinheiten gesunken ist und niedriger liegt als 1973, dem Jahr des ersten Ölpreisschocks.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Riesenhuber?
Bitte schön.
Bitte, Herr Dr. Riesenhuber.
Ist Ihnen erinnerlich, Herr Kollege Menzel, daß ich die 20 bis 25 Millionen Steinkohleeinheiten auf eine Energieeinsparung durch neue Energietechniken wie Wärmepumpe, Solarenergie usw. bezogen habe, während das Programm, über das wir heute sprechen, überhaupt nur mit einem bis zwei Prozent in diese Projekte und in diese Techniken gegangen ist?
Das ist mir erinnerlich. Sie würden es also als einen enormen Erfolg bezeichnen, wenn in 20 Jahren 20 Millionen Steinkohleeinheiten durch neue Technologien ersetzt, eingespart würden. Wir haben durch unser Programm, so wie es gefahren worden ist, in einem Jahr einen Rückgang bei der Primärenergie um 19 Millionen Tonnen erreicht. Das beweist doch, daß das Programm nicht verkehrt war. Wir haben also in einem Jahr das erreicht, was Sie erst in 20 Jahren als enormen Erfolg bezeichnen würden.
Ein Erfolg dieses Programms, der gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, ist aber die unbestreitbare Tatsache, daß sich das Bewußtsein der Bürger geändert hat. „Schluß mit der Energieverschwendung" ist heute die Devise. Erinnern wir uns bei dieser Gelegenheit einmal daran, daß vor gar nicht allzu langer Zeit die Bürger zur Energieverschwendung geradezu aufgerufen wurden. Die Elektrizitätsversorgungsunternehmen haben mit seitenlangen Anzeigen — ich erinnere an den sogenannten Pfennigfraß — die Bürger aufgefordert, Energie im Grunde genommen zu verschwenden. Wenn wir sie von diesem Bewußtsein heruntergebracht haben, auch durch das Programm, dann ist das sicherlich ein Erfolg. Die Behauptung vom Fehlschlag des Programms wird also ganz offensichtlich durch die Entwicklung widerlegt.Den Bürgern gegenüber, die das Programm in einem ganz außerordentlichen Ausmaß angenommen haben, würden wir unglaubwürdig, wenn wir, wie von der Union vorgeschlagen, kurzfristig Wärmedämmaßnahmen nicht mehr fördern und sämtliche dafür vorgesehenen Mittel zugunsten anderer Maßnahmen umschichten würden. Das heißt aber nicht, daß nicht auch Konsequenzen aus den Erfahrungen der Vergangenheit gezogen werden müssen.So wie bereits die Bundesregierung in ihrem Grundsatzbeschluß zur Weiterführung des Heizenergiesparprogramms im vergangenen Jahr hat der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Konsequenzen aus der Tatsache gezogen, daß ca. 90 % der Förderfälle ausschließlich Wärmedämmaßnahmen zugute kamen, daß nur zu ungefähr zehn Prozent die Umstellung von Heizungen gefördert wurde und daß nur zu ca. ein Prozent neue Technologien gefördert wurden.In Zukunft sollen nach unserer Meinung folgende Maßnahmen gefördert werden:Einmal neue Technologien wie Wärmepumpen, Solaranlagen, Wärmerückgewinnungsanlagen usw. Darüber besteht keine Meinungsverschiedenheit.
Zum anderen die Umstellung von Heizungen zum Anschluß an die Fernwärmeversorgung insbesondere aus der Kraftwärmekopplung. Darüber gibt es auch keine Meinungsverschiedenheiten.
Drittens Maßnahmen zur Wärmedämmung, wenn sie — ich will es kurz sagen — in Verbindung mit Umstellungen von Heizungen oder mit Anschluß an die Fernwärme durchgeführt werden.
Diese Maßnahmen sollen in Zukunft gefördert werden, allerdings nicht — da gibt es eine ganz gravierende Meinungsverschiedenheit, die sie hier verschwiegen haben —, wie Sie es vorschlagen, vorrangig durch steuerlichen Abzug.Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt — so heißt es in Ihrem Antrag —, daß einer steuerlichen Förderung der Vorzug zu geben ist. Kein Wort darüber, meine Damen und Herren von der Opposition, welche Erfahrungen das sind, die Sie zu dieser Forderung veranlassen!Auch Ihnen dürfte bekannt sein, daß sowohl eine Untersuchung der Infratest-Wirtschaftsforschungsgesellschaft als auch eine Expertenanhörung im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ergeben hat, daß gerade im steuerlichen Teil des Programms die größten Mitnehmereffekte zu verzeichnen sind. Wie Sie in Ihrem Antrag das Sparprogramm mit dem Hinweis auf Mitnehmereffekte kritisieren und gleichzeitig der steuerlichen Regelung den Vorzug geben wollen, ist mir unerklärlich.
Ich will gar nicht davon reden, wie Sie es den Bürgern gegenüber vertreten wollen, daß Sie einem Fördersystem den Vorrang einräumen wollen, wonach
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Menzelfür die gleiche energiesparende Maßnahme ein Bürger einen Zuschuß in Höhe von z. B. 6 000 DM bekommt, ein anderer Bürger aber Steuern in Höhe von 9000 DM und ein Spitzenverdiener sogar Steuern in Höhe von ca. 17 000 DM spart. Wie Sie das dem Bürger klarmachen wollen und das noch vorrangig fördern wollen, das ist Ihr Geheimnis!
— Da haben Sie völlig recht; das wird auch deren Geheimnis bleiben!Wäre es nach dem Willen meiner Fraktion gegangen — auch das wissen Sie —, wäre die Förderung bereits im laufenden Programm lediglich in Form von Zuschüssen gezahlt worden. Mit Ihrer Mehrheit im Bundesrat, meine Damen und Herren von der Opposition, haben Sie eine Regelung, die allein für sich in Anspruch nehmen könnte, gerecht zu sein, verhindert. Es darf keinesfalls dazu kommen, daß die Ungerechtigkeit weiter vergrößert wird und nach Unionsmanier die Reichen wieder einmal noch reicher gemacht werden.
Die finanziellen Auswirkungen der steuerlichen Regelungen können bisher keinesfalls genau eingeschätzt werden. Erst 1984 werden Daten über die Inanspruchnahme des § 82 a der Einkommensteuerdurchführungsverordnung vorliegen. Fest steht, daß die steuerliche Regelung erheblich teurer als die Zuschußregelung wäre.Unseriös erscheint mir Ihr Vorschlag auch deshalb, weil Deckungsvorschläge dafür überhaupt nicht gemacht worden sind. Die Mehrheit des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat den Vorschlag, der steuerlichen Förderung den Vorzug zu geben, deshalb aus gutem Grund abgelehnt.Unverständlich ist auch der CDU-Vorschlag für die Behandlung der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen. Auf der einen Seite sehen Sie wohl ein, daß dort, weil steuerliche Möglichkeiten nicht bestehen, mit Zuschüssen gefördert werden muß. Auf der anderen Seite möchten Sie aber die Mittel für diese Unternehmen mit dem Hinweis auf Abschreibungsmöglichkeiten und auf die Instandhaltungspauschale kürzen. Da frage ich mich: Gelten Abschreibungsmöglichkeiten nicht auch für andere Unternehmen, und wird die Instandhaltungspauschale nicht auch in anderen Unternehmen genau wie bei den gemeinnützigen auf die Miete abgewälzt? Was hat also die Instandhaltungspauschale mit den Investitionen zu heizenergiesparenden Maßnahmen zu tun?
Würden wir Ihren Antrag annehmen, so würde das zu einer erheblichen Benachteiligung der Mieter bei den gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften führen.Ich muß zum Ende kommen. Das rote Lämpchen leuchtet auf.
Lassen Sie mich deswegen zusammenfassen. Wir werden das Energiesparprogramm fortsetzen, und wir werden dabei die Erfahrungen aus der Vergangenheit nutzen; aber wir werden verhindern, daß unter dem Vorwand, noch effektiver zu sparen, diejenigen bevorteilt werden, die ohnhin rundum privilegiert sind.Ich fasse zusammen: Das auslaufende Programm ist ein Erfolg. Meine Fraktion tritt für seine Fortsetzung unter Berücksichtigung der mit dem Programm gemachten Erfahrungen ein. Der Beschlußempfehlung des Ausschusses werden wir zustimmen. Wir haben auch von Ihnen gehört, daß Sie die Notwendigkeit der Fortsetzung des Programms einsehen.
— Sie haben es beantragt. Dann ist es um so besser. Ich möchte Sie sehr darum bitten, bei den unionsregierten Ländern vorstellig zu werden, damit sie die Fortsetzung dieses Programms nicht weiter blockieren.
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Beckmann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Eine deutsche Großbank hat neulich in einem Branchenbericht den Deutschen attestiert, daß sie tüchtig sparen. Damit war allerdings nicht das Geldsparen angesprochen,
sondern die Lage auf dem Energie- und Mineralölmarkt. Hierzu wurde festgestellt, daß man angesichts der angestrebten Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch einen deutlichen Schritt vorangekommen sei.Während man früher — viele von Ihnen wissen das auf Grund Ihrer Fachkenntnis — noch der alten Faustregel nachging, daß eine reale Zunahme des Bruttosozialprodukts einen ebenso großen Zuwachs an Primärenergieverbrauch nach sich ziehe, haben sich die Verhältnisse inzwischen deutlich verschoben. Der Energieverbrauch 1981 hat schon unter dem Verbrauch des Jahres 1973 gelegen, dem Jahr, in dem wir den absoluten Höchststand beim Ölverbrauch hatten. Das war vor der ersten Ölkrise. Dies ist auch um so bemerkenswerter, als im gleichen Zeitraum, also zwischen 1973 und 1981, ein reales Wirtschaftswachstum von 17 % erreicht wurde. Diese Feststellung bleibt bemerkenswert, auch wenn man — darauf hat Herr Kollege Kansy hingewiesen — den Konjunkturverlauf bei dieser Betrachtung natürlich nicht unberücksichtigt lassen darf.
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BeckmannWir Freien Demokraten verfolgen auch im Bereich der Energieeinsparung eine marktwirtschaftlich orientierte Politik.
Davon werden wir, Herr Kollege Menzel, trotz Ihrer Bedenken, die Sie hier vorgetragen haben, auch in Zukunft nicht abweichen.
Diese unsere Politik besteht darin, daß einerseits durch richtige wirtschaftliche Signale, z. B. durch den Preis, und durch geeignete Rahmenbedingungen, wie finanzielle Anreize für wichtige Energiesparmaßnahmen, die vorhandenen Möglichkeiten zur Energieeinsparung voll genutzt werden. Ich glaube, daß die vorhin genannten Zahlen eindrucksvoll die Erfolgsbilanz dieser unserer Konzeption, die auch die Konzeption der Koalition gewesen ist, belegen.Beim Mineralöl, bei dem die Preise geradezu explodiert sind, läßt sich die Verbraucherreaktion sehr deutlich ablesen. So ist im Zeitraum von 1977 bis 1981 der Verbrauch von leichtem Heizöl um 28 % zurückgegangen. Selbst wenn man diese Zahlen um Witterungseinflüsse und Lagerabbau bereinigt, bleiben immerhin noch 20 % spezifischer Verbraucherrückgang bzw. Ersatz durch andere Energieträger. Das andere Bein liberaler Einsparungspolitik sind finanzielle Anreize für wichtige Energieeinsparmaßnahmen. Mit dem Programm heizenergiesparender Maßnahmen vom Juni 1978 wurde hierzu — darauf bestehen wir — ein wesentlicher Beitrag geleistet.Nun müssen wir folgendes feststellen: Kaum war dieses Programm nach langem Tauziehen mit den Union-regierten Ländern verabschiedet, da wurden bereits Änderungsvorstellungen von eben diesen Ländern im Bundesrat eingebracht.
Der Antrag der Unionsfraktionen vom vergangenen Jahr hatte also bereits einen Vorläufer.
In diesem Stadium bei der Abwicklung des Programms, das immerhin über fünf Jahre läuft, von einem Fehlschlag zu sprechen — ich greife das auf, was der Kollege Menzel hier mit Recht in Erinnerung an die Debatte gesagt hat, die wir im Juni vergangenen Jahres hier geführt haben —, halte ich nicht für gerechtfertigt; denn grundsätzlich ist auch festzustellen, daß die Bürger den bedeutenden Schritt zur verstärkten Einsparung und rationellen Verwendung von Energie erkannt und das laufende Programm voll angenommen haben. Dies wird durch die Überzeichnung des Programms bei der direkten Förderung unterstrichen. Ich meine, daß man auch aus dieser Sicht heraus den psychologischen Effekt, der durch dieses Programm ausgelöst wurde, nicht unterschätzen darf.Allerdings haben sich insbesondere durch die zweite Ölkrise von 1979/80 einige wichtige Ausgangsdaten für die Energieversorgung verändert.Das sprunghaft angestiegene Energiepreisniveau hat einige im Programm vorgesehene Maßnahmen sozusagen zu Selbstläufern gemacht. Ich nenne hierbei bestimmte Maßnahmen zur Wärmedämmung, die Auswechslung von einfachverglasten Fenstern zu doppel- oder dreifachverglasten Fenstern. Diese Dinge rechnen sich alle bereits ohne staatliche Zuschüsse. Andererseits mußten wir natürlich den Vertrauensschutz in die Fördertatbestände dieses Programms gewährleisten, da ja viele Bürger im Vertrauen auf die Zuwendung des Staates aus diesem Programm Maßnahmen bereits anfinanziert hatten, für die sie zum Teil erst Jahre später auf Grund des großen Andrangs zu diesem Programm ihren Zuschuß ausbezahlt bekommen haben.Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben bereits recht frühzeitig vor Auslaufen des Programms erklärt, daß sie ein Anschlußprogramm für wünschenswert halten. Ziel dieses Programmes soll es bleiben, entsprechend der Aufgabenstellung des ersten Programms die Importabhängigkeit auf dem Energiemarkt insbesondere von teuren und unsicheren Ölimporten zu reduzieren. Dies hat die Bundesregierung auch in der dritten Fortschreibung ihres Energieprogramms vom 4. November 1981 unterstrichen. Es wurde schon erwähnt, daß entsprechende finanzielle Mittel im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung mit jährlich 150 Millionen DM Bundesanteil ausgewiesen worden sind. Ich freue mich, Herr Kollege Kansy, daß auch Sie seitens der Opposition dies anerkannt haben.Allerdings, die CDU/CSU-Fraktion muß nun ein geschlossenes Handeln im Verein mit den CDU- bzw. CSU-geführten Bundesländern erst noch unter Beweis stellen, damit weitere Erfolge beim Energieeinsparen auch politisch durchgesetzt werden.
Ermutigend allerdings, Herr Kollege Kolb, war die grundsätzliche Haltung der Wirtschaftsministerkonferenz der Länder im Februar dieses Jahres. Nur stehen die hierzu notwendigen Kabinettsentscheidungen allerdings noch aus. An dem dortigen schnellen und entschlossenen Handeln wird man dann auch messen können, wie ernst es der Union mit der sparsamen und rationellen Energieverwendung tatsächlich ist.
Angesichts des Auslaufens des bisherigen Programms im Zuschußteil zum 31. Dezember und im steuerlichen Teil ab 31. Juli 1983 sind nun wirklich rasche Entscheidungen gefragt, um der Wirtschaft und den Verbrauchern die notwendige Klarheit über das Anschlußprogramm zu verschaffen.Bei den Beratungen in den Ausschüssen hat sich auch gezeigt, daß es zwischen allen Fraktionen unstreitig ist, daß die Weiterentwicklung des Programms sich vorrangig auf neue Technologien, Einsparpakete zur Wärmedämmung in Verbindung mit Optimierung der Heizungstechnik erstrecken soll und daß auch der Hausanschluß für Fernwärme ge-
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Beckmannfördert werden soll. Mit dem Kohleheizkraftwerk- und Fernwärmeausbauprogramm wird die Förderung der Fernwärmeversorgung mit einem Volumen von 1,2 Milliarden DM in den nächsten fünf Jahren konsequent fortgeführt.Die Fernwärme dient der Energieeinsparung und der Ressourcenschonung und ist besonders umweltfreundlich im Versorgungsgebiet. Sie bietet auch eine gute Alternative zur Ölheizung. Sie leistet bei Einsatz heimischer Energie und durch Heizölverdrängung einen guten Beitrag zur Verbesserung und zur Entlastung unserer Leistungsbilanz. Es ist daher nur logisch, auch zukünftig den Verbraucher in die Förderung mit einzubeziehen, und zwar in der Form, daß auch der Fernwärmeanschluß im Hause von den Maßnahmen des Energiesparprogramms abgedeckt wird.Es muß festgestellt werden, daß neue Energietechnologien wie z. B. Wärmepumpenanlagen, Sonnenenergieanlagen und Wärmerückgewinnungsanlagen nach dem alten Programm kaum gefördert wurden. Dies liegt sicherlich auch daran, daß diese Anlagen in puncto Versorgungssicherheit und Lebensdauer bisher die in sie gesetzten Erwartungen nicht immer ganz erfüllen konnten. Nun warne ich allerdings auch davor, in diesem Bereich das Kind mit dem Bade auszuschütten, so wie wir es neulich in dem bereits von meinem Vorredner zitierten Artikel in einem Magazin lesen konnten. So etwas verbreitet eine Unruhe in der Bevölkerung, die nicht gerechtfertigt ist.Wenn es bis zum Ende des vergangenen Jahres zirka 60 000 Heizwärmepumpenanlagen in der Bundesrepublik gegeben hat, so ist dies bereits eine beachtliche Zahl, die allerdings die Erwartungen, die wir früher gehabt haben, bei weitem nicht erfüllt. Es wird sicherlich noch einige Jahre dauern, bis wir zu wirtschaftlichen Großserien kommen, deren Wirkung sich auch nachhaltig im Energieverbrauch, insbesondere beim Öl, positiv niederschlagen wird.Wenn man die Anschlußförderung entsprechend ausgestaltet, dürfte dieses Ziel zu erreichen sein. Nach Ansicht meiner Fraktion, der FDP-Fraktion, sollte dieses sowohl die direkte Förderung als auch Steuervergünstigungen beinhalten. Die steuerliche Förderung sollte in Form einer degressiven Abschreibung ausgestaltet werden, die insbesondere in den ersten Jahren einen höheren Anreiz bietet.
Auch sollten die Obergrenzen für die förderungsfähigen Investitionskosten von derzeit 12 000 DM angehoben werden, da die tatsächlichen Investitionskosten für die neuen Energietechnologien erheblich über dem bisherigen Höchstsatz der förderungsfähigen Kosten liegen.Erfreulicherweise ist festzustellen, daß dem Verbraucher auf breiter Front seitens der Energieversorgungs- und -erzeugungsunternehmen, aber auch von Handel und Gewerbe Beratung und Information zum sparsamen und rationellen Umgang mit Energie angeboten werden. Eigenheimbesitzer und Vermieter können diese Angebote aufgreifen und mit den entsprechenden Maßnahmen in die Tat umsetzen. Durch die Mustervereinbarung „Modernisierung durch Mieter" wird jetzt auch dem überwiegenden Teil der in Mietwohnungen lebenden Menschen eine Hilfe angeboten, energiesparende Umbauten vorzunehmen, die durch den Abschluß eines geeigneten Vertrages abgesichert werden können.Die gegenwärtige Preisberuhigung beim Mineralöl rechtfertigt nicht die These, daß der Ölpreis langfristig zurückgehen könnte. Dies wird jüngst durch eine Studie des energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln unterstrichen. Daher dürfen wir in unserem Bemühen, vom OPEC-Öl wegzukommen, nicht nachlassen. Nach der genannten Studie soll der Mineralölpreis bis 1990 noch einmal um ein Drittel steigen. Hier durch energiesparende Maßnahmen vorzusorgen, ist mit Sicherheit eine der besten Investitionen. Die FDP-Fraktion wird daher auch weiterhin alle sinnvollen Maßnahmen unterstützen, die zur Einsparung von Heizenergie beitragen können. Wir werden daher der Ausschußempfehlung gerne zustimmen. — Schönen Dank.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Kolb.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 1973 und 1979 wurden wir von der Ölpreisentwicklung kalt erwischt. Wir haben nicht reagieren können, wir haben selbst bis 1980 noch Heizungsanlagen gebaut, deren Kalkulation ein Ölpreis von 25 Pf zugrunde lag. Wir sind heute soweit, daß wir sagen können: die Spreu ist vom Weizen getrennt. Wir sind heute auch in der Lage, bei einem Neubau im Einfamilienhausbau zu sagen, daß man mit 600 1 Heizöl pro Jahr auskommen kann. Aber — und das ist das entscheidende Aber — was tun wir mit dem Althausbestand, dort, wo wir heute echt noch Energie verschwenden?Mein Kollege Kansy hat angedeutet, wir dürften den Bürger nicht zu etwas treiben, was er auf Dauer betriebswirtschaftlich nicht für sinnvoll ansieht. Ich stimme dem vollkommen zu. Nur, mit was rechnen wir im Augenblick? Wir können im Augenblick, Herr Kollege Beckmann, leider nur mit dem Ölpreis von heute rechnen. Ob er 1990 ein Drittel höher liegt oder ob sich eine Jamini-Formel mit Pausen der Erhöhung durchsetzt, wissen wir nicht. Wir wissen nur eines, daß nämlich Investitionen zur Energieeinsparung bei einem Neubau relativ preiswert, bei einem Altbau aber sehr teuer sind. Deswegen müssen wir den Bürger verstehen, der sich heute hinsetzt und überlegt: Was kommt unter dem Strich für mich heraus, wenn ich diese Investition vornehme? Der Bürger wird betriebswirtschaftlich rechnen. Wir aber haben volkswirtschaftlich zu rechnen.Herr Kollege Beckmann, es hat mich gefreut, was Sie soeben gesagt haben; es war nämlich ein gewaltiger Unterschied zu dem, was Ihre Kollegin Matthäus-Maier am 13. Februar 1982 sagte,
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Kolbals ich die Frage stellte: Wie sieht das eigentlich mit den Wärmepumpen aus? Was sparen wir volkswirtschaftlich? Darauf hat Ihre Kollegin Matthäus-Maier gesagt: Da kommen Sie schon wieder und wollen Geld. — Ich bin in der Zwischenzeit zu der Erkenntnis gekommen: iudex non calculat, das trifft für Ihre Kollegin zu. Sie haben mich mit dem, was Sie heute gesagt haben, freundlich überrascht. Ich hoffe, daß das in Zukunft geht.Aber Sie, Herr Kollege Menzel — und das letzte Mal Herr Kollege Meininghaus —, sprechen immer von Gerechtigkeit. Es müsse Gerechtigkeit walten. Sie haben heute auch den schönen Spruch vom Sparen gebracht. In meiner fränkischen Heimat gibt es den alten Spruch: „Jetzt hab ich der Geiß das Fressen abgewöhnt, jetzt ist mir das Saumensch verreckt."
Das darf natürlich nicht passieren.
— Herr Kollege Menzel, ich sage das bewußt hier. Sie haben heute eine Verrenkung gemacht.
— Moment, ich will Sie gerade dorthin bringen. — Sie haben heute gesagt, da ist einer, der könnte etwas mitnehmen; nach dem Motto „Haltet den Dieb!"Wie ist das nun aber mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz? Ich kenne Betriebe, die tun nichts anderes als das, was sie fünf Jahre lang geplant haben. Die nehmen dreistellige Millionensummen mit, obwohl sie nichts anderes tun. Die werden von Ihnen direkt genötigt, das zu nehmen.
Wenn Sie dem bei den Großen zustimmen, dann, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, müssen Sie natürlich auch einmal einen Ausrutscher draußen bei den Kleinen zulassen.
— Natürlich gebe ich das zu, Herr Kollege Menzel.
Der Wunsch nach der absoluten Gerechtigkeit führt doch dazu, daß wir nichts tun. Ich weiß, daß der Wärmepumpeneinsatz in der Zwischenzeit im Einfamilienhaus bei einem Einsatz von 2 bis 4 kW am Tag die ganze notwendige Warmwassermenge bringt, daß das eine wesentliche Einsparung ist, daß das umweltfreundlich ist. Sie haben das sehr richtig gesagt.Nur muß ich dann einfach fragen: Wie sollen sich 20 000 bis 25 000 DM rechnen? Ich habe am 13. Februar 1980 gesagt: 50 % zuerst und dann fünf Jahre 10 %. Da gab es damals Empörung. Wenn sich das heute geändert hat, freue ich mich. Immerhin, Herr Kollege Menzel, beträgt der geschätzte Bedarf an Wärmepumpen 7 Millionen Stück. 60 000 haben wir gebaut; Sie haben es soeben gesagt. Das bedeutet, daß der Rest einen Investitionsstau von 170 bis 190 Milliarden DM darstellt. Ich meine, wenn wir immer von Beschäftigung und Beschäftigungsnotwendigkeiten sprechen, wäre hier sehr viel zu tun.Vor allem zu Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, sage ich: Wir verschlafen jetzt wieder eine Beruhigungsphase, jetzt, da es eigentlich notwendig wäre, etwas zu tun.
Dann kommt die Ölpreiserhöhung, und es rechnet sich erneut nicht. Wir müssen uns endlich angewöhnen, in den Zeiten zu investieren, in denen sich eine Beruhigung ergibt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Menzel?
Ja.
Bitte, Herr Abgeordneter Menzel.
Herr Kollege Kolb, Sie begründen also diese „Ungerechtigkeit" mit beschäftigungspolitischen Notwendigkeiten. Sehen Sie denn nicht ein, daß bei einer Zuschußförderung in Höhe von 6 000 DM im Verhältnis zu einer Förderung in Höhe von 17 000 DM in der Spitze bei einer steuerlichen Regelung mit demselben Betrag das Dreifache gefördert werden kann und damit ein dreimal so großer beschäftigungspolitischer Effekt erzielt werden kann, so daß auch nach Ihrer Ansicht eine andere Verhaltensweise richtig wäre?
Herr Kollege Menzel, das Problem ist doch, ob er es mit diesem Betrag tut oder nicht. Das Ergebnis ist, daß eine Investition in Höhe von 25 000 DM mit 6 000 DM Förderung nicht gemacht wird, sondern es muß ein höherer Anreiz vorhanden sein, der sich volkswirtschaftlich beispielsweise in bezug auf die Beschäftigung niederschlägt.Für mich sind das Selbstläufer, und bei Selbstläufern bremse ich nicht, wo einer etwas mehr bekommt, sondern ich frage: Was nimmt er mit? Das ist für mich das Problem.Noch eine Bemerkung zu den Gemeinnützigen. Herr Kollege Menzel, die Gemeinnützigen haben 3% Rückstellungen für solche Investitionen. Die Gemeinnützigen waren — das meinte im übrigen der Kollege Riesenhuber — diejenigen, die speziell im Austausch von Fenstern Investitionen nachgeholt haben, die sie sowieso hätten vornehmen müssen. Das haben sie nun mit einem kräftigen Zuschuß getan.
Wenn es uns gelingt, Öl zu substituieren — da stimme ich voll dem zu, was Sie, Herr Beckmann, gesagt haben —, haben wir zwei Effekte: Volkswirtschaftlich bringen wir die Öllieferländer in Schwierigkeiten, weil sie größere Mengen anbieten müssen. Sie haben nicht die Möglichkeit, schnell zuzulangen,
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Kolbund für uns wird sich die Zahlungsbilanz verbessern. Ich glaube, das ist doch sehr wichtig.Lassen Sie mich eine kurze Bemerkung zu Solaranlagen machen. Die Installation von reinen Solaranlagen ist bei uns genauso zu werten, als wenn Sie sich dafür entschieden, hier Orchideen im Freien zu züchten. Sie bringen ganz selten einen Erfolg, und die Orchideen können Sie nur an wenigen Tagen des Jahres draußen stehenlassen. Heute beispielsweise würden es Ihnen die Orchideen übelnehmen, wenn Sie sie herausstellten, denn sie würden frieren.Deswegen sind die Teilsolaranlagen wie Absorberdächer oder Energiezäune eine hervorragende Verbesserung gegenüber der Wärmepumpe. Sie bringen eine bessere Ausnutzung. Sie sind aber auf Grund der geringen Stückzahlen heute noch zu teuer. Deswegen müssen wir hier den drive hineinbringen. Ich gehe davon aus, daß dies besser wird, wenn eine Massenproduktion erfolgt.Eine Bemerkung zur Fernwärme. An diesem Pult ist sehr viel dazu gesagt worden, was wir mit der Fernwärme alles tun können. Ich bestreite nicht, daß es ökologisch sinnvoll ist und daß wir damit eine bessere Energieausnutzung erreichen. Allerdings sind die Anlaufverluste dort so hoch, daß sie in der Regel subventioniert werden müssen. Leider ist hier die Situation so wie bei dem Gleichnis vom Hasen und dem Igel: Dort, wo wir mit der Fernwärme kommen wollen, ist das Gas schon da.Ich bin dafür, daß wir dies tun, aber mit einer Einschränkung, über die wir nachdenken sollten. Wir sollten bei der Fernwärme nicht wiederholen, was wir einmal beim sozialen Wohnungsbau gemacht haben: daß wir die Anlaufverluste sozialisieren, aber anschließend, wenn die Schere auseindergeht, werden die Vorteile privatisiert, so daß man wieder die Unterteilung in haves und havenots hat. Ich bitte Sie, das bei den weiteren Beratungen zu beachten. Wir sollten nicht fragen müssen, wenn das Kind ins Wasser gefallen ist, wie wir die Subventionen zurückholen können.Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine der wichtigsten und besten Einsparungsmöglichkeiten, die wir überhaupt haben und die wir bis jetzt nicht genutzt haben, liegt beim Althausbau. Der Althausbau leidet in vielen Fällen darunter, daß überhaupt keine Unterlagen mehr für die Anlagen vorhanden sind. Das bedeutet: Die Anlagen müßten erst energetisch aufgenommen werden, und das Ergebnis wird in vielen Fällen sein, daß man feststellt, daß die Anlagen um 100 % überdimensioniert sind. Das beginnt beim Kessel und setzt sich bei den Rohrleitungen und den Heizkörpern fort.Es ist für mich schon abenteuerlich, daß wir hier über Energieeinsparung reden und in dem Haus, in dem wir uns laufend bewegen, feststellen müssen, daß dort die Energie am schlechtesten genutzt wird. Wenn Sie heute durch die Gänge dieses Gebäudes gehen, stellen Sie fest, daß die Heizkörper warm sind, weil sie nicht steuerbar sind. In meinem Büro im Hochhaus im Tulpenfeld besteht die Wärmeregelung nur darin, daß ich den Heizkörper auf- oder zudrehen kann. Wenn ich den Heizkörper aufgedreht habe, muß ich die Regelung über das Öffnen und Schließen der Fenster vornehmen. Herr Staatssekretär, dort wäre einiges zu tun. Ich sage das als Baden-Württemberger, weil das Land Baden-Württemberg in seinen öffentlichen Gebäuden durch die Einführung von witterungsabhängiger Vorlaufsteuerung, Nachtabsenkung und Absenkung der Temperatur im Raum auf 20 Grad zwischen 10 und 30 % eingespart hat.Dies ist wahrscheinlich einer der wichtigsten Punkte. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, daß auch öffentliche Gebäude mit 20 Grad geheizt werden und daß Sie nicht, wenn Sie hineinkommen, am liebsten die Jacke ausziehen möchten.
— Herr Kollege Stahl, ich bitte Sie, im Winter in mein Büro zu kommen; dann werden Sie feststellen, wie wir regeln. Es ist eine Katastrophe.
— Gut.
— Dann warte ich darauf, daß das in meinem Büro geschieht. Ich freue mich darüber, daß Sie die Absichtserklärung abgegeben haben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich aber etwas zur Zukunft sagen. Herr Kollege Menzel, Sie haben gesagt: Wir stehen hier. Ich meine, wir haben mit der Mikroprozessorentechnik eine große Chance. Damit können wir optimal steuern. Wir dürfen nämlich den Bürger nicht dadurch überfordern, daß er ein Ingenieurstudium absolviert haben muß, um dann überhaupt die Regelungsmöglichkeiten wahrnehmen zu können. Für ihn muß es drei Knöpfe geben — Sommer, Frühling/ Herbst, Winter —, und dann muß es die Anlage tun. Thermostate müssen — —
— Ja, natürlich! Sie können doch nicht von unbedarften Bürgern erwarten, daß sie ein volles Ingenieurstudium haben müssen, um damit fertig zu werden,
obwohl die Mikroprozessorentechnik dies kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte eine letzte Bemerkung machen. Der Herr Kollege Beckmann hat es angedeutet: Wir wissen nicht, wie sich der Energiepreis entwickelt. Deswegen sollten wir uns nicht immer, wie Sie, Herr Kollege Menzel, es heute getan haben, mit der Vergangenheit befassen, sondern fragen: Was ist der augenblickliche Zustand, und was können wir tun, damit wir vorankommen? Ich glaube, daß wir damit auch das tun, was der Bürger von uns erwartet. Er will wissen, wie es besser geht, er will nicht immer gesagt bekommen: Hätten wir es in der Vergangenheit
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Kolbso gemacht, wäre es besser gewesen. — Herzlichen Dank.
Ich gebe dem Abgeordneten Leuschner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der bisherige Verlauf der Debatte hat, glaube ich, mehr Gemeinsamkeiten als unterschiedliche Bewertungen gezeigt, aber einige unterschiedliche Bewertungen sind wohl vorhanden und müssen doch noch einmal betont werden.
— Herr Dr. Riesenhuber, die CDU hat heute nicht das gemacht, was Sie in der ersten Runde gemacht haben, als Sie die wärmedämmenden Maßnahmen, die sich jetzt rechnen, doch so ziemlich als Mißerfolg hingestellt haben.
— In Übereinstimmung mit dem Wirtschaftsminister,
aber gerade diese wärmedämmenden Maßnahmen haben meines Erachtens dazu beigetragen, daß der Mineralölimport so drastisch gesenkt werden konnte und tendenziell auch noch in diesem Jahr weiter sinkt. Das rechnet sich heute!
Das war vernünftig, und das wissen Sie auch.Besonders erfreulich ist für mich dabei, daß gerade durch diese erzielten Einsparungen die Megawatt-Gigantomanie bei der Kernkraft in diesem Lande doch deutlich gebremst werden konnte.
— Mit Kernkraft wurde nicht geheizt, aber es wird — jedenfalls teilweise — substituiert, und Sie wissen das.Kernkraft kann heute von Ihnen und auch von der Lobby nicht mehr mit Quantitätsaspekten begründet werden. Ich weiß, Sie sehen das mehr mit einem weinenden als mit einem lachenden Auge.
Ich freue mich darüber, und ich weiß auch, daß das teilweise auf dieses Energieeinsparprogramm mit seinen positiven Auswirkungen zurückzuführen ist. Gerade hier sind Sie wohl vom mündigen Bürger und auch vom Markt etwas widerlegt worden. Der mündige Bürger und auch der Markt haben hier besser reagiert. Das „Einspartheater", das von Ihnen früher oft beschworen worden ist, ist keines.Übrigens haben Sie, Herr Dr. Riesenhuber, in der letzten Runde auch beklagt, die Bundesregierung fördere regenerative Energiequellen nicht genügend und setze sie in diesem Lande vor allem nicht genügend durch. Woran das liegt, wissen Sie auch. Wir müssen einen sehr großen Anteil — einen immer größer werdenden Anteil — für die Förderung fortgeschrittener Reaktorlinien einsetzen. Sie kennen die aktuelle Debatte über unsere beiden „Lieblingskinder", den Schnellen Brüter und den HTR.
— Stiefkinder, sagen Sie. Ich glaube, die Förderung ist auch mit Ihrer ausdrücklichen Billigung erfolgt.
— Ich greife nicht die Bundesregierung an.
— Nun hören Sie doch den Satz zu Ende an. Daß diese extreme Förderung der fortgeschrittenen Reaktorlinien, die wir uns jetzt nicht mehr in dieser Form leisten können, gerade mit Ihrer Billigung erfolgt ist, das ist doch wohl klar.
Wenn dieses nicht so gemacht werden müßte, hätte der Bundesforschungsminister sicher den Kopf mehr für andere Dinge frei. Wir werden darüber mit Sicherheit noch im Laufe dieses Jahres reden müssen.Einig sind wir uns darin, meine Damen und Herren, daß wir im neuen Programm Schwerpunkte bilden müssen.Wir wollen über das hinaus, was Sie genannt haben, noch einige sich nicht rechnende Maßnahmen fördern, nämlich hinsichtlich Außenhausisolierung, Heizung und Brennern. Mit dem anderen sind ja auch wir einverstanden. Wir sind mit Ihnen der Meinung, daß sich bei Wärmepumpen und Solaranlagen etliches noch nicht rechnet und am Markt durchgesetzt werden muß. Dabei wünschen wir uns allerdings, daß die interessierte Industrie dabei hilft, insbesondere durch längere Gewährleistungsfristen für ihre Einrichtungen. Das könnte mit dazu beitragen, Herr Kolb, daß über die 70 000 Anlagen, die wir jetzt haben, hinaus ein schnellerer Durchbruch erzielt wird.Bei der Fernwärmenutzung stimmen wir auch mit Ihnen überein. Wir wollen dort die Förderungssätze erhöhen. Nur muß man hier folgendes sehen: Der Fernwärmenutzung — Sie haben das angesprochen— stehen natürlich noch einige Hindernisse in diesem Lande entgegen.Unsere Partei hat auf dem Münchner Parteitag Fernwärmenutzung mit einem maximal möglichen Anteil von hoffentlich 20 bis 25% noch einmal zu einer zentralen Forderung erklärt. Die Widerstände haben Sie erwähnt. Es ist einmal die Tatsache: Gas
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Leuschnerist in vielen Bereichen dort. Andererseits stellen Überkapazitäten auf dem Strommarkt in vielen Gebieten aber bereits heute auch eine Konkurrenz dar. Hier werden wir uns entscheiden müssen.Es wäre theoretisch vielleicht sogar vernünftig,
daß Strom auf dem flachen Lande die Versorgung einsam gelegener Bauernhöfe übernimmt. Sie wissen aber auch, daß die Stromindustrie nicht nur in der Eifel dafür wirbt, sondern durchaus auch bei Bewohnern in Essen oder Köln. Hier müssen wir uns entscheiden. Ein Stichwort ist hier der Anschluß- und Benutzungszwang, den es in den Gemeindeordnungen theoretisch durchaus gibt. Darüber muß debattiert werden können. Eines steht für mich fest: Niemand, der in eine andere Energiequelle investiert hat, darf geschädigt werden.Wenn wir etwas Derartiges aus übergeordneten volkswirtschaftlichen Gründen wollen, wenn wir eventuell die Energieversorgung in einem geschlossenen Gebiet ändern wollen, muß durchaus darüber gesprochen werden, was mit den Investitionen geschieht, die noch nicht abgeschrieben sind. Dort müßte eventuell entschädigt werden. Aber dennoch sollte man den Anschluß- und Benutzungszwang, wenn man Fernwärme tatsächlich am Markt durchsetzen will, nicht unbedingt ablehnen. Darüber müßte geredet werden.
— Das wissen Sie doch gar nicht. Wenn in einem geschlossenen Gebiet etwas Derartiges gemacht wird, wäre ich jedenfalls durchaus bereit, darüber zu debattieren.
Eine letzte Bemerkung zu dem, was Sie, Herr Kolb, gesagt haben: auch steuerliche Förderung. Wir kennen Ihre Argumente dort. Das ist genau wie beim Kinderbetreuungsbetrag: Dem, der viel hat, wird viel gegeben. Herr Menzel hat die Beispiele mit den 6 000 DM gebracht. Ich würde es dann lieber sehen — um möglichst viele in den Genuß kommen zu lassen; wir haben ja auch nicht einen unbeschränkt großen Finanzrahmen für derartige Maßnahmen —, wenn hier einheitlich gefördert würde. Ich weiß, Herr Beckmann, wir sind uns da nicht völlig einig. Meines Erachtens kann da aber ein größerer Effekt erzielt werden. Unsere Auffassung ist dieselbe.Ich hoffe, daß die Bundesregierung schnell mit den Ländern zu einer Einigung kommt, daß nicht der Fall eintritt wie beim letzten Programm, als wir immer auf den Ministerpräsidenten Stoltenberg warten mußten.Wir fordern die Bundesregierung auf, hier schnell zu handeln. Wir stimmen der Beschlußempfehlung des Ausschusses zu.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/1511 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Entschließung ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Stavenhagen, Lenzer, Pfeifer, Dr. Probst, Gerstein, Boroffka, Dr. Bugl, Engelsberger, Maaß, Neuhaus, Prangenberg, Weirich, Dr. Riesenhuber, Frau Dr. Hellwig, Lowack, Zierer, Rossmanith, Dr. Götz, Dr. Kunz , Sauter (Ichenhausen), Dr. Jobst, Dr. Hüsch, Dr. Voss, Magin, Kraus und der Fraktion der CDU/ CSU
Raumfahrtpolitik
— Drucksache 9/1529 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Forschung und Technologie Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. Darf ich fragen, ob das Haus damit einverstanden ist? — Ich stelle Ihr Einverständnis fest.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Stavenhagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Drucksache 9/1529 haben wir Ihnen einen Antrag zur Raumfahrtpolitik vorgelegt. Die Raumfahrt ist eine Schlüsseltechnologie. Das heißt, in ihr kommen besonders viele neue Techniken zur Anwendung, die in andere Bereiche hineinstrahlen, hineinwirken, und deswegen ist die Raumfahrt von hoher volkswirtschaftlicher Bedeutung. Die Zahl der Arbeitsplätze der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie hat mit 67 000 im letzten Jahr einen Höchststand erreicht. Davon entfallen etwa 5 % auf die reine Raumfahrt.Die Haushaltskürzungen in diesem Bereich treffen vor allen Dingen Forschung und Entwicklung, und es besteht die Gefahr, daß die Erhaltung des technischen Leistungsstandes nicht gewährleistet ist. Luft- und Raumfahrtprodukte stellen hohe Anforderungen an die Technik, insbesondere in den Bereichen Digitaltechnik, Mikroelektronik, neue Werkstoffe. All das sind Dinge, die für andere Bereiche, auch für unsere exportorientierte Wirtschaft, von hoher Bedeutung sind. Im Raumfahrtbereich zeichnen sich jetzt schon zivile Märkte von erheblicher Größenordnung für die Zukunft ab.Angesichts dieser Zusammenhänge ist es mehr als verwunderlich, daß die Bundesregierung der Raumfahrt einen so geringen Stellenwert zumißt und daß sie für die Zukunft der Raumfahrt kein geschlossenes Konzept hat. Seit dem Auslaufen des alten Weltraumprogramms im Jahre 1979 hat es die
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Dr. StavenhagenBundesregierung nicht vermocht, ein neues, den geänderten Bedingungen anzupassendes Konzept der Raumfahrtpolitik für die 80er Jahre und auch, zumindest in groben Umrissen, ein Konzept für die 90er Jahre zu entwickeln. Mit dem früheren Förderprogramm des Bundes wurden Forschungs- und Industriekapazitäten aufgebaut; dort weiß man jetzt nicht, wie es weitergehen soll. Die erfolgreiche Bilanz der Vergangenheit wird jetzt praktisch abgebrochen.Der Raumfahrtetat der Bundesrepublik stagniert seit 1979. Schon im Jahr 1962 hat Frankreich für die Raumfahrt mehr ausgegeben als wir heute. Seit 1981 gibt Frankreich das Doppelte aus wie wir. Seit 1974 gibt Japan mehr als die Bundesrepublik Deutschland aus. Auf diesem Gebiet kann sich wiederholen, was wir in anderen Bereichen erleben, nämlich bei Autos, bei optischen Artikeln, in der Elektronik oder bei den Kernkraftwerken, daß wir nach guter Ausgangslage immer mehr ins Hintertreffen geraten und anderen dann die Nutzung der Märkte kampflos überlassen müssen.Die staatlichen Mittel wurden nach unserer Einschätzung auch falsch eingesetzt. Es gab gravierende Fehlentscheidungen im Bereich der Trägerraketen, der Spacelab-Nutzung — des Raumfahrtlabors — und der Nachrichtensatelliten.Bei den Trägerraketen hat die Bundesregierung Anfang der 70er Jahre den Abbruch durchgesetzt. Durch die konsequente Initiative Frankreichs wurde eine gemeinsame europäische Trägerrakete weiterentwickelt, die Ariane, die nun rechtzeitig für einen wachsenden Markt fertig geworden ist. Man verfügt über feste Aufträge im Wert von weit mehr als 1 Milliarde DM bis 1986.Die Bundesregierung hat einseitig auf das Weltraumlabor gesetzt und sich an der Ariane nur mit einem verschwindend geringen Betrag von 40 Millionen DM jährlich beteiligt — gewissermaßen als Merkposten. Das heißt: wir haben bei der Ariane auch keine entscheidenden Mitwirkungsrechte, und die Marktchancen von Ariane gehen ebenfalls an uns vorbei.Das Spacelab, also das Weltraumlabor, kostete den deutschen Steuerzahler bisher über 1 Milliarde DM. Zugunsten dieser Entwicklung wurde die deutsche Beteiligung an der Trägerentwicklung vernachlässigt.Meine Damen und Herren, das Spacelab ist nach meiner Einschätzung sein Geld nicht wert. Ein einziges Raumlabor mit deutschen Experimenten soll 1985 starten. Man muß die Industrie gewissermaßen dazu bewegen, sich überhaupt hier mit Experimenten zu beteiligen. Die Finanzierung ist noch nicht gesichert. Dieses Progamm hat nach unserer Einschätzung keine zentrale Bedeutung, etwa für neue Anwendungen. Wir halten dies für fehlgeleitetes Geld.Der dritte Bereich, den ich ansprechen möchte, ist der der Nachrichtensatelliten. Schon vor mehr als zwölf Jahren bestanden im Forschungsministerium Pläne für einen fortgeschrittenen nationalen Nachrichtensatelliten. Seitdem wurden in der Industrie erhebliche Entwicklungen mit über 100 Millionen DM gefördert. Wo stehen wir heute? Auf Grund der medienpolitischen Schwäche der Bundesregierung war lange Zeit nicht zu klären, was man eigentlich will. Man hat sich schließlich nach vielem Hin und Her für eine gemeinsame Entwicklung mit den Franzosen zum sogenannten TV-Satelliten entschlossen. Man war aber nicht in der Lage, in diese gemeinsame Entwicklung die deutschen Vorentwicklungen einzubringen und hat deswegen Komponenten und Teilbereiche noch einmal bezahlt und noch einmal entwickelt — zu Lasten des Steuerzahlers.Von der einstigen Spitzenstellung blieb wenig übrig, nur eine etwa 10%ige Beteiligung am weltumspannenden Nachrichtensystem Intelsat VI. Die deutschen Firmen liefern hier den Solargenerator und das Lageregelungssystem, das den Satelliten stabilisieren soll. Allein bei den Nachrichtensatelliten wird mit einer Vervielfachung des weltweiten Umsatzes innerhalb der nächsten zehn Jahre gerechnet. Auch dieser Markt droht an uns vorbeizulaufen.Es gibt nun neue Diskussionen im Forschungsministerium über einen sogenannten Postsatelliten. Dieser Postsatellit steht in einer Konkurrenzsituation zum deutsch-französischen TV-Satelliten. Es ist nicht klar, was dieser Postsatellit leisten soll. Es wird von vier Kanälen zur Fernsehversorgung von Berlin und von acht Kanälen gesprochen, die benutzt werden sollen, um die Regionalprogramme der ARD bundesweit zu verteilen — also eine Zementierung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.Hier ist es notwendig, daß die Bundesregierung klar erklärt, was sie medienpolitisch mit diesem Satelliten will, wie er sich von TV-Sat unterscheidet und ob die Weiterentwicklung von TV-Sat nicht günstiger und zweckmäßiger wäre.Zum TV-Sat ist auch anzumerken, daß seine Finanzierung nicht gesichert ist. Der Postminister hat zwar zugesagt, sich in den Jahren 1984 und 1985 jeweils mit 70 Millionen DM zu beteiligen, aber mehr als eine solche Zusage ist bisher nicht erfolgt. Auch dieser Satellit ist — wie viele andere Vorhaben im Bereich des BMFT — nicht durchfinanziert.Ein weiterer Markt, der der deutschen Raumfahrtindustrie verschlossen geblieben ist, sind die Bodenstationen für Intelsat. Von den 300 weltweit installierten Stationen liefert eine französische Firma knapp die Hälfte, eine andere knappe Hälfte liefert Japan. Von den 30 europäischen Stationen haben wir nur die fünf in Deutschland befindlichen Anlagen liefern können.Auf Grund dieser Entwicklung und auf Grund der fehlenden Zukunftsperspektiven überlegt das führende Industrieunternehmen in diesem Bereich, ob die Raumfahrtaktivitäten nicht wesentlich eingeschränkt werden sollen, was bedauerlich wäre auf Grund der volkswirtschaftlichen Bedeutung und der Ausstrahlung der Raumfahrttechnik in andere Bereiche.Was wir nun fordern, meine Damen und Herren, ist ein langfristig orientiertes Raumfahrtprogramm,
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Dr. Stavenhagenein Raumfahrtprogramm, das auch die Möglichkeiten neuer Märkte angemessen einbezieht.Mir hat einmal ein Wissenschaftler aus diesem Bereich gesagt: Was schwer zu erklären ist, taugt nichts; was etwas taugt, ist auch leicht zu begründen, leicht zu erklären und dem Bürger überzeugend darzulegen.Bringen Sie also ein Programm, das die Förderung der Grundlagenforschung als einen Schwerpunkt hat, das die Nutzung zukünftiger Marktchancen als weiteren Schwerpunkt hat, daß die internationale Zusammenarbeit auf mittel- und langfristige Perspektiven ausrichtet, das nicht von der Hand in den Mund lebt, sondern das der Raumfahrtindustrie wirklich wieder eine Zukunftsperspektive gibt! Und stellen Sie dar, was Sie finanziell in den kommenden Jahren in diesem Bereich aufwenden wollen!Die Forscher und die Industrie, die sich hier engagieren, haben ein Anrecht darauf, zu wissen, was Sie wollen. Sie haben ein Anrecht darauf, zu wissen, ob die Kapazitäten gehalten werden können, ob sie abgebaut werden müssen und wie es weitergeht.Wenn Sie unserem Antrag im federführenden Ausschuß für Forschung und Technologie die notwendige Aufmerksamkeit widmen und dort dieses Problem mit uns gemeinsam erörtern, dann können wir hier vielleicht zu einer Lösung kommen. Ich hoffe sehr, daß die Bundesregierung endlich einmal von ihrem Ritual abläßt, von vorherein zu sagen, Anträge der Opposition könnten natürlich mit Sicherheit nicht angenommen werden, selbst wenn sie sinnvoll und zweckmäßig sind. — Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Fischer .
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich auf Ihren Antrag und Ihre Ausführungen, Herr Stavenhagen, eingehen werde, möchte ich ein paar grundsätzliche Bemerkungen bezüglich der Raumfahrtpolitik machen.Der Weltraum ist nach den Weltmeeren die letzte, neue Dimension, die sich dank der fortgeschrittenen Technik der Menschheit zur Erforschung und Nutzung erschließt. Dies ist eine globale Aufgabe, der viele Länder ihre Aufmerksamkeit schenken. So haben die Vereinten Nationen den Weltraumausschuß geschaffen, der jährlich mit mehreren Unterausschüssen tagt. Im Jahr 1982 findet die Welt-Weltraumkonferenz Uni-Space 1982 statt, auf der eine weltweite Darstellung und Diskussion der Weltraumaktivitäten erfolgen wird.Die Industrienationen mit einem hohen technologischen Stand haben bei der Erforschung und der Erschließung des Weltraums die Chance, Führungsaufgaben mit der damit verbundenen Verantwortung zu übernehmen. Die enge Koppelung zwischen hohem wissenschaftlich-technischem und wirtschaftlichem Stand mit besonderem Engagement der Raumfahrt zeigt sich besonders bei den Industrienationen, aber auch bei den Entwicklungsländern, auch bei den Schwellenländern, wie es das Beispiel Indien zeigt.Führung bedeutet u. a. die Aufgabe, wissenschaftlich-technisches Neuland mit den damit verbundenen Risiken zu betreten. Hierbei darf der Blick über den mittelfristigen Rahmen hinaus nicht gescheut werden. Ich erinnere nur daran, daß der Start des ersten Satelliten etwa 25 Jahre zurückliegt. Die weitere Entwicklung hat zur Mondlandung geführt, zur Erforschung der äußeren Planeten, zum Routineeinsatz von Fernmeldesatelliten und wiederverwendbaren Transport- und Trägersystemen.Mit dem Shuttle-Spacelab-System — da unterscheide ich mich von Ihrer Beurteilung, Herr Stavenhagen — eröffnen sich neue Möglichkeiten für Aktivitäten in den Erdumlaufbahnen. Der technische Trend geht zu größeren, automatischen oder bemannten Orbitalsystemen, die die Beherrschung von Techniken wie Rendezvous und Docking, Service für Satelliten, Automatisierung von Systemen und Bergung von Nutzlasten erfordern.Die Anwendungsgebiete der Raumflugtechnik werden in den Bereichen extraterrestrische Forschung, Forschung unter Schwerelosigkeit, Medizin und Biologie, Kommunikation und Erdbeobachtung liegen. Damit werden Forschung und Dienstleistung, die mit terrestrischen Mitteln gar nicht oder jedenfalls nicht so effektiv durchgeführt werden können, ermöglicht. Neben dem unmittelbaren Einsatz der Raumflugtechnik für Forschung und Nutzanwendungen stellt sie nach wie vor eine Spitzentechnologie dar — darin sind wir in der Bewertung einig —, und zwar eine Spitzentechnologie, die höchste Anforderungen an die Kreativität und den Erfindungsgeist der Forscher und Ingenieure stellt sowie hohe Kompetenz und Verantwortungsbewußtsein aller an ihr Beteiligten erfordert, mit großen Impulsen in viele andere Bereiche der Technik und Wissenschaft.Die Förderung der Weltraumforschung ist weltweit überwiegend eine staatliche Aufgabe, und zwar wegen der Risiken und der Größe der Projekte. Es zeigt sich also weltweit ein internationaler Charakter.Nun zu dem, was Sie hier angeprangert haben. Hierzu möchte ich doch einmal den im deutschen Weltraumprogramm erreichten Stand schildern und im übrigen daran erinnern, daß das Erstellen von Weltraumforschungsprogrammen keine Erfindung der Opposition war, sondern die Sozialliberalen die Programme erstellt haben. Wenn Sie vorhin gesagt haben, seit 1979 sei das Programm nicht mehr fortgeschrieben worden, so möchte ich Ihnen erwidern, daß auch Sie sehr wohl wissen müßten, warum das passiert ist. Ich erwähne ESA und die Schwierigkeiten, die nicht auf europäischer Ebene liegen, sondern die von amerikanischer Seite herübertransportiert worden sind. Im übrigen wird das Weltraumforschungsprogramm 1982-1985 noch in diesem Monat im Kabinett beraten werden, und wir werden uns mit diesem Weltraumforschungsprogramm
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Fischer
auch noch in den zuständigen Ausschüssen zu bef assen haben.
Zum erreichten Stand im deutschen Weltraumprogramm ist zu sagen:Erstens. Im Wissenschaftsbereich nimmt die deutsche Forschung international den Rang gleichwertiger Partnerschaft ein. In Teilbereichen, z. B. auf Grund des gemeinsam mit der NASA durchgeführten anspruchsvollen Sonnensondenprogramms Helios — im übrigen ein gewolltes Kind unseres früheren Bundeskanzlers, Ihres Kollegen Erhard —, wird weltweit eine Spitzenstellung erreicht.Um den besonderen deutschen Leistungsstand in der Röntgenastronomie zur Entfaltung zu bringen, soll ein Röntgensatellit geplant werden — ich sage: soll geplant werden, weil die finanzielle Seite wohl noch nicht exakt geklärt werden kann, jedenfalls jetzt noch nicht —, der bi- oder trinational durchgeführt werden soll.Die Forschung auf dem Gebiet der schwerkraftbeeinflußten Werkstoff- und Verfahrenstechnik hat inzwischen auf Grund der gezielten Förderung des BMFT und unterstützt durch die Ergebnisse der Weltraumexperimente, die im Rahmen des Raketenprogramms Texus gewonnen wurden, einen Stand erreicht, der international anerkannt ist und als führend bezeichnet werden kann.Zweitens. Im Anwendungsbereich hat die deutsche Raumfahrtindustrie auf dem Gebiet der Rundfunksatelliten, die gemeinsam mit Frankreich gebaut werden, eine führende Stellung erreicht. — Ihre Bewertung bezüglich TV-Sat sehe ich ein bißchen anders. Wir haben immerhin eine Aufteilung von 54 % deutscher Materialanteile und 46 % französischer Materialanteile bei einer finanziellen Beteiligung von 50:50. Das ist also wohl doch ein bißchen anders zu sehen, als Sie es vorhin geschildert haben. — Hier bietet sich künftig die Chance eines kommerziellen Exports von Satellitensystemen. Bei den Anwendungsprogrammen der ESA wirkt die Bundesrepublik ebenfalls in erheblichem Maße mit. Ich werde nachher noch Zahlen nennen. In Zusammenarbeit mit europäischen Postverwaltungen wird das europäische Fernmeldesatellitensystem ECS entwickelt. Die europäische Entwicklung des Seefunksatelliten Marees wird in das internationale Seefunksystem Inmarsat eingebracht. Deutsche Vorschläge für die Einbeziehung des Seenotfunks in das Inmarsat-System liegen international wohl schon vor. Ein Seetnotrufsystem wurde bereits entwickelt. Auf dem Weltmarkt konnte sich die deutsche Raumfahrtindustrie vor allem am Bau von Satelliten für das weltweite Intelsat-System beteiligen. — Sie sagten vorhin, die finanzielle Beteiligung sei vielleicht ein bißchen zu gering.Die Wetterbilder des europäischen Meteosat sind u. a. ein fester Bestandteil der deutschen FernsehWetterberichte. Bei der Fortsetzung dieses Satellitenprogramms durch ein operationelles Satellitensystem der Wetterdienste sind jedoch noch Finanzierungsschwierigkeiten zu überwinden. Ein europäisches Satellitenprogramm zur Erdbeobachtung einschließlich Klimaforschung wird sowohl als ein Programm noch notwendiger Grundlagenforschung, aber auch als europäischer Beitrag zur weltweiten Ressourcen- und Umweltüberwachung vorbereitet.Ferner haben wir eine führende Rolle bei der europäischen Entwicklung des Weltraumlaborsystems Spacelab übernommen — hier unterscheiden wir uns wieder in der Bewertung — und damit einen wesentlichen Beitrag zur Erschließung der neuen Möglichkeiten des wiederverwendbaren bemannten Transportsystems der USA geleistet. Der praktische Einsatz des Spacelab/Spaceshuttle-Systems wurde insbesondere mit dem frühen Forschungsraketenprogramm Texus intensiv und erfolgversprechend vorbereitet. In konsequenter Weiterentwicklung dieses Systems hat die Bundesrepublik ein europäisches Entwicklungs- und Nutzungsprogramm für Raumplattformen vorgeschlagen, das rückführbaren Experimenten längere Flugzeiten und geringere Kosten als vollständige Spacelab-Flüge bieten soll.Die Bundesrepublik ist ferner wesentlich an der Entwicklung der europäischen Trägerrakete Ariane beteiligt, für deren industrielle Herstellung ein Firmenkonsortium gegründet wurde. Diese Rakete hat ihre Funktion und Leistungsfähigkeit beim Start des Satelliten Meteosat II — ich glaube, es war am 19. Juni 1981 — bewiesen. Eingeleitete Weiterentwicklungen haben die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und der Anpassung an verschiedene Nutzlastgrößen zum Ziel. Sie haben ihren Markt besonders bei geostationären Nutzlasten.Wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe, dann glaube ich, daß wir uns in der Ansicht, daß das Weltraumprogramm unter den folgenden vier allgemeinen Zielen bzw. auf den folgenden vier Beinen zu stehen hat, einig sind: Das erste Bein ist die Förderung der Grundlagenforschung. Das zweite Bein ist die Innovation durch Anwendung der Weltraumtechnik; ich erinnere nur an die Abfallprodukte, z. B. Teflon, oder an die Auswirkung auf die Mikroelektronik und Datenverarbeitung. Das dritte Bein ist die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie; ich glaube, auch das haben Sie vorhin gesagt. Das vierte Bein ist die Förderung der internationalen Zusammenarbeit. Dieses vierte Bein ist wesentlich.Die Nutzung der Raumflugtechnik für friedliche wissenschaftliche Zwecke und Anwendungen ist ein hervorragendes Mittel der Völkerverständigung. Deshalb möchte ich jetzt kurz auf Ihre Ausführungen von vorhin eingehen.Sie haben vorhin Vergleiche mit Frankreich und Japan angestellt und dargelegt, was diese Länder gemessen am Bruttosozialprodukt für die Entwicklung ausgeben. Da muß man fairerweise hinzufügen, daß die genannten Länder Weltraumforschung auch für militärische Zwecke betreiben, was wir bei uns in der Bundesrepublik Deutschland nicht machen und nicht machen werden. Wir betreiben Weltraumforschung nur für die friedliche Nutzung.
Die europäische und atlantische Zusammenarbeit sowie die bilaterale Zusammenarbeit mit einer
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Fischer
Reihe von Staaten haben sich bewährt und sollen fortgesetzt werden. Hierbei gelten sowohl unmittelbare Kooperation als auch fairer Wettbewerb.Sie sehen also, meine Damen und Herren von der Opposition, wir reden nicht nur von Partnerschaft, sondern wir versuchen sie auch zu praktizieren.Jetzt zur Geschichte Ihres Antrags. In der 8. Legislaturperiode hatten Sie einen Antrag zur Raumfahrtpolitik eingebracht, der hier am 17. April 1980 behandelt und an die zuständigen Ausschüsse überwiesen worden ist, aus zeitlichen Gründen aber nicht mehr abschließend behandelt werden konnte. Ihr neuer Antrag zum gleichen Thema ist — das gestehe ich Ihnen gern zu — wesentlich realistischer als der alte Antrag der 8. Legislaturperiode. Die Opposition ist also auch in diesem Punkt lernfähig. In zwei Jahren kann man allerhand hinzulernen.
— Ja, ja!Sie haben in Ihren jetzigen Antrag nicht mehr die abenteuerliche Forderung aufgenommen, daß die Raumfahrt bezüglich der nuklearen Entsorgung oder der nuklearen Endlagerung Beiträge leisten solle. Das ist zu begrüßen. Sie listen in Ihrem Antrag allerdings eine Reihe von Selbstverständlichkeiten und — entschuldigen Sie, ich sage es nicht gern — Platitüden auf. Etwas vermessen erscheint mir Ihre Einschätzung,
daß die Weltraumpolitik langfristig die einzige Möglichkeit biete, neue Energie- und Rohstoffquellen sichern zu helfen. Ferner fordern Sie einen selbständigen nationalen Programmteil. Ich weiß nicht, was Sie darunter verstehen. Das hätten Sie etwas näher spezifizieren müssen. Wenn Sie das so verstehen, daß ein eigener nationaler Programmteil entwickelt werden soll, dann muß ich Ihnen vorhalten, daß diese Forderung in dieser Form nicht erfüllt werden kann, zumal wir noch nicht einmal einen eigenen Raketenstartplatz haben. Wir haben noch nicht einmal eine eigene Rakete.Einige Ihrer Formulierungen erscheinen mir unklar; aus ihnen kann man alles oder nichts ablesen. Wenn Sie mit Ihren mir etwas unklaren Formulierungen meinen sollten, wir müßten z. B. die Einführung des Privatfernsehens forcieren, dann sollten Sie dies in Ihren Anträgen auch klipp und klar sagen.Positiv möchte ich Ihren Antrag in dem Punkt bewerten, daß Sie die Tatsache erkannt haben, daß Raumfahrtpolitik nur langfristig betrieben werden kann und die Kurzfristigkeit ausgeschlossen werden muß.
In vielen Punkten, meine Damen und Herren der Opposition, besteht Übereinstimmung, da die Bundesregierung die Raumfahrtpolitik seit Jahren so konzipiert und auch durchgeführt hat, wie Sie dies in einer Reihe von Teilvorschlägen fordern. Eine langfristige Planung der Raumfahrtpolitik bis ins Detail ist meines Erachtens nicht möglich. Was möglich ist, ist eine langfristige Option unter Ausnutzung der jeweiligen neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und Ergebnisse. Wir sollten auch nicht immer neue Satellitensysteme fordern, sondern versuchen, bestehende Systeme weiterzuentwickeln. Die internationale Zusammenarbeit werden wir weiterhin pflegen und auch ausbauen, und zwar sowohl aus technologischen als auch aus wirtschaftlichen und finanziellen Erwägungen.An dieser Stelle möchte ich dem Bundesminister für Forschung und Technologie den besonderen Dank dafür aussprechen, daß im Jahre 1981 663 Millionen DM für die Raumfahrtpolitik und noch zusätzlich 85 Millionen DM für den Weltraumanteil an DFVLR ausgegeben worden sind. Der ESA-Beitrag betrug in diesem Zeitraum 392 Millionen DM. Für den Haushalt 1982 sind insgesamt 746 Millionen DM vorgesehen. Ich bin der festen Überzeugung, daß die Bundesregierung die Raumfahrtpolitik konsequent, eingebettet in eine intensive internationale Zusammenarbeit, weiterführen wird. — Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Timm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die letzten Wochen haben eine Überzeugung gebracht: Die Wettervorhersagen waren so präzise, daß wir uns in unserer Freizeitplanung exakt danach richten konnten. Das ist immerhin ein Beweis dafür, daß Raumfahrttechnik etwas bewirken kann und einen guten Ruf hat.Raumfahrtforschung und Raumfahrttechnologie gehören zu den Bereichen, die nicht aus eigenem Antrieb existieren, sondern vielmehr wissenschaftlicher und staatlicher Initiative bedürfen. Darüber dürfen auch die umfangreichen Nutzungsmöglichkeiten und Nutzungen kommerzieller Art nicht hinwegtäuschen, denn die Summen, die für diesen Bereich aufzuwenden sind, haben Größenordnungen, die nur mit staatlicher Hilfe zur Verfügung gestellt werden können. Daß die Raumfahrtpolitik dazu den Weg ebnen muß, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, und wir streiten auch nicht darum. Wir müssen mit unserer Raumfahrtpolitik einen Beitrag leisten, einen Teil unserer Zukunftsprobleme — davon haben wir weiß Gott eine Vielzahl — zu lösen. Ob es dabei allerdings ein erklärtes Ziel deutscher Raumfahrtpolitik sein muß, uns primär mit der Frage zu beschäftigen, wie wir mit Hilfe der Raumfahrttechnik Rohstoff- oder Energiequellen sicherstellen können, sei zunächst einmal dahingestellt. Ich glaube, hier muß man sagen, daß wir zunächst einmal den sparsamen Umgang mit unseren irdischen Ressourcen üben müssen. Im Hinblick auf die Erschließung neuer und natürlicher Energiequellen aus dem All scheint Optimismus durchaus angebracht zu sein. Jedenfalls erfordert die Bewältigung solcher und anderer Probleme staatliche Initiative, sei es nun im nationalen Rahmen oder — was wahrscheinlicher ist — im bilateralen und im internationalen Rah-
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Timmmen. Wir haben ja verschiedene Gremien dazu. So haben wir z. B. im europäischen Bereich die ESA; erhebliche Mittel werden in diese Organisation gesteckt. Ich glaube, Herr Kollege Stavenhagen, es ist nicht ganz richtig, wenn Sie die Meßlatte ohne unsere Beiträge in diesem europäischen Gremium ansetzen und unsere deutsche Raumfahrtbeteiligung so in ein etwas falsches Licht rücken.Auch die Tatsache, daß die ESA erst entstanden ist, nachdem eine Trägerraketengeneration nicht zum Erfolg geführt werden konnte, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir eben mit dieser neuen Organisation und mit diesem strafferen Management jetzt ein Trägersystem in internationaler Zusammenarbeit auf die Beine gestellt haben, das seinen Erfolg bewiesen hat. Insgesamt gesehen hat Europa gerade im Bereich der Trägerraketen bewiesen, daß es in der Lage ist, auch auf wirklich schwierigster Ebene in der Kommunikation zwischen den einzelnen beteiligten Staaten gegenüber einem Staat wie den Vereinigten Staaten von Amerika in diesem Bereich der Raumfahrttechnik den Beweis anzutreten, daß wir mithalten können und daß wir in der Lage sind, ein System zu entwickeln, das für unsere zukünftige Raumfahrttechnik noch eine große Bedeutung haben wird.Ich halte auch nichts davon, daß einfach pauschal gesagt wird, die Beteiligung oder, wie es vorhin wörtlich lautete, das Spacelab, das Raumlabor, sei sein Geld nicht wert. Gerade aus diesem Bereich hat unsere deutsche Raumfahrtforschung und -technologie erhebliches Potential gezogen. Wir müssen uns nur darüber im klaren sein, daß, wenn wir auf dieser Schiene weiter fahren wollen, wir auch bereit sein müssen, die entsprechenden Mittel zur Verfügung zu stellen, d. h., wir müssen diese Mittel haben. Ich sehe durchaus die Chance, daß wir bei optimalem Einsatz unserer relativ geringen Mittel, die wir zur Verfügung haben, aus dieser internationalen Beteiligung den Nutzen ziehen werden, den Sie sich in Ihrem Antrag u. a. davon erhoffen.Ob die Raumfahrtforschung allerdings die einzige langfristige Lösung unserer irdischen Probleme darstellt, wage ich zu bezweifeln. In diesem Punkt stimme ich Ihrem Antrag allerdings nicht zu. Aber sie trägt absolut ihren Teil dazu bei. Es ist nicht auszuschließen, daß wir in diesem Zusammenhang mit der Verfolgung von Einzelprojekten durchaus einen richtigen Weg beschreiten. Auf internationale Vorhaben zu reagieren, heißt ja nicht, kein Konzept zu haben. Wir können nicht davon ausgehen, daß die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem geringen Etat auf diesem Gebiet die ausschließliche Spitzenposition in der Welt behaupten kann. Wir müssen auch einmal reagieren und kurzfristige Entscheidungen treffen dürfen, schon allein wegen des sparsamen Umganges mit unseren Mitteln.Gleichwohl ist es wichtig, daß wir unsere Möglichkeiten so ausschöpfen, daß sich unser Wissen und Können auch in produktiven Nutzen verwandelt, z. B. im Austausch und Tausch mit anderen Ländern, aber auch in bezug auf die Bereitwilligkeit und die Beteiligung unserer eigenen Nutzer raumfahrttechnischer Anlagen. Ich denke z. B. an die DeutscheBundespost und an den geforderten Satelliten für postalische Zwecke.Zum Programmteil Ihres Antrags möchte ich folgendes bemerken. Es ist sicher notwendig — darüber gibt es auch keine Meinungsverschiedenheiten —, daß wir eine längerfristige Perspektive der Raumfahrtpolitik, ein Raumfahrtkonzept eröffnen, damit sichergestellt ist, daß die zukünftige Entwicklung der Raumfahrttechnik in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf einen absterbenden Ast gerät. Inwieweit dazu allerdings ein langfristiges Programm erforderlich sein wird, das sollten wir im Ausschuß ordentlich besprechen. Es scheint mir im Augenblick so zu sein, daß ein langfristiges Programm zu viele Risiken in sich birgt. Zu utopische Forderungen können im Grunde das Projekt, das wir gemeinsam erreichen wollen, ins Gegenteil verkehren. Ich bin also damit einverstanden, wenn wir uns über eine längerfristige Perspektive dahin gehend unterhalten, daß wir auch einen nationalen Anteil einbringen, der sich im wesentlichen auf die Nutzung der Raumfahrttechnik stützt.Wir müssen uns sehr intensiv darum bemühen, daß wir uns auch einmal die Rückflüsse aus dem, was wir in den vergangenen Jahren in der internationalen Zusammenarbeit bereits erreicht haben, zunutze machen und darauf die Entscheidung aufbauen, wie wir in der Raumfahrtforschung und Raumfahrttechnik weiterverfahren wollen. Ich habe ein Instrument genannt, die ESA. Wir haben aber auch das multilaterale Gebiet gemeinsam mit den Amerikanern, das im Spacelab-Bereich auch erhebliche Möglichkeiten für uns bietet. Diese sollten wir ausschöpfen. Die Mittel, die wir einsetzen und die wir eingesetzt haben, sollten in einer bestimmten Weise letztendlich auch zum Nutzen unserer Raumfahrtforschung wieder zurückfließen können. Dazu ist nach meiner Auffassung noch Wesentliches zu tun. Wir müssen uns also im nationalen Bereich auf die Nutzung unserer Raumfahrttechnik und Raumfahrtforschung einstellen, und wir müssen uns im internationalen Bereich engagieren, damit wir in der Lage sind, auch wirklich zukunftweisende Raumfahrtforschung zu betreiben.Ich möchte noch ein Wort zum Stellenwert unserer Raumfahrttechnik in der Strukturpolitik unseres Landes sagen. Wir können es uns nicht erlauben, daß unsere Regionen gegeneinander ausgespielt werden. Die Verteilung raumfahrttechnischer Aufgaben muß unsere hochwertigen Kapazitäten in Nord und Süd schützen. Verluste in diesen Bereichen können wir uns nicht erlauben. Denn man darf mit Fug und Recht sagen: Ein einmal aus einem Programm durch widrige Umstände herausgedrängter Techniker oder Wissenschaftler kehrt so schnell nicht wieder zur Raumfahrttechnik und Raumfahrtforschung zurück; er ist für diese verloren.Wir sollten uns im Ausschuß darüber klarwerden, daß wir eine Perspektive sowohl mit nationalen, aber auch insbesondere mit internationalen Bereichen aufbauen müssen, damit sichergestellt ist, daß die hochwertige Kapazität in unserer Raumfahrt-
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Timmtechnik durch unsere Raumfahrtpolitik nicht verlorengeht. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Stahl.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung, Herr Kollege Stavenhagen, wird im Sommer das neue Weltraumforschungsprogramm vorlegen und darüber Beschluß fassen. Dies sollte Ihnen eigentlich, wenn ich es richtig sehe, bekannt gewesen sein. Denn im Ausschuß für Forschung und Technologie ist ja in den letzten Wochen darüber gesprochen worden.Was mich ein wenig erstaunt hat, Herr Kollege Stavenhagen — lassen Sie mich das sagen —, war z. B. Ihre Presseerklärung in der letzten Woche, die — wenn ich es einmal ein wenig vorsichtig formuliere — in Form eines dicken Hammers der Öffentlichkeit vorgetragen wurde. Das war, glaube ich, vollkommen überflüssig.
Sie haben eingangs zu einzelnen Punkten aus der Vergangenheit sehr kritische Bemerkungen gemacht, Herr Kollege Stavenhagen. Man muß sicherlich über Einzelheiten reden. Aber ich glaube, daß es nicht richtig ist, hier pauschal negative Stellungnahmen und Bewertungen abzugeben.Ihr Antrag betreffend die Langfristplanung und die Sicherstellung der Kontinuität in der Weltraumforschung, den Sie 1979 als Opposition schon einmal in ähnlicher Form gestellt haben, berührt verständlicherweise Kernfragen der deutschen Raumfahrtpolitik. Hier ist bemerkenswert und erfreulich, daß Ihre Vorstellungen einerseits in weiten Bereichen mit der Raumfahrtpolitik der Bundesregierung übereinstimmen. Andererseits finden sich in Ihrem Antrag sehr allgemeine Aussagen, etwa daß die Raumfahrt die einzige langfristige Lösung für zahlreiche Probleme — vom steigenden Kommunikationsbedarf bis hin zur Erschließung neuer Energie- und Rohstoffquellen — anbiete. Die Aussage in dieser Form, verehrte Kollegen von der Opposition, scheint mir überspitzt zu sein. Soweit wir in Detailpunkten übereinstimmen, freut mich das. Soweit wir nicht übereinstimmen, muß ich Ihnen folgendes sagen. Wir haben heute doch eigentlich andere Sorgen als z. B. die Sorge, schon jetzt über Erzgewinnung auf dem Mond als langfristige Perspektive nachzudenken und dies — Sie sprachen ja auch von den 90er Jahren, Herr Kollege Stavenhagen — unter Umständen einzuplanen.Für die Deckung des wachsenden Kommunikationsbedarfes in der Bundesrepublik zeichnet sich eine Kombination von satellitengestützten und bodengebundenen Systemen ab. Die geforderte langfristige Raumfahrtplanung stößt also beim Vorhandensein technischer Alternativen und bei dem heutigen Tempo technischer Entwicklung natürlich aufGrenzen. Dies sollten wir, glaube ich, auch einmal offen aussprechen.Beim Vorwurf, die Bundesregierung habe es bisher versäumt, ein in sich geschlossenes langfristiges Forschungs- und Entwicklungsprogramm für die 80er und 90er Jahre — ich wiederhole nochmals, Herr Kollege Stavenhagen: für die 90er Jahre — zu entwickeln, werden die Schwierigkeiten bei der Diskussion über das Zehnjahresprogramm, d. h. das Programm alleine schon für die 80er Jahre, der Europäischen Weltraumorganisation ESA nicht zur Kenntnis genommen. Sie sollten sich dies noch einmal ansehen. Hier wird eine Programmentscheidung erst Mitte der 80er Jahre für möglich gehalten.Der gleichzeitige Vorwurf, die Zukunft der Raumfahrt für die 80er Jahre in der Bundesrepublik sei gegenwärtig völlig offen und ohne Zukunftsperspektive, ignoriert vor allem die deutsche Initiative bei TV-SAT und die kürzlichen Grundsatzentscheidungen in der ESA auf Grund jahrelanger Vorbereitungen über ein langfristig orientiertes Erdbeobachtungsprogramm, ebenso ein Programm für Spacelab-Weiterentwicklung und für wiedereinfangbare Raumplattformen mit erheblichem Entwicklungspotential bis hin zu größeren Raumplattformen sowie die Erweiterung des Ariane-Programms durch eine modulare Bauweise mit einem Einsatzpotential bis über die 80er Jahre hinaus. Herr Kollege Stavenhagen, es ist Ihnen doch bekannt, daß die Bundesrepublik Deutschland am Ariane-Programm einen ziemlich gewichtigen Anteil hat, daß wir der zweitgrößte Partner sind.Diese Programmentscheidungen sind möglich geworden, nachdem die Verzögerung der laufenden Projekte in der ESA und die damit verbundenen Finanzierungsforderungen bewältigt worden waren. Vor allem aus diesem Grunde konnte die Fortschreibung des Weltraumprogramms zunächst noch nicht abgeschlossen werden. Das Kabinett verabschiedet dieses Programm nach der neuen Finanzplanung Mitte Juli.Der neu vorliegende Programmentwurf beruht auf Empfehlungen der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt und berücksichtigt ein „Memorandum für die Zukunft der Raumfahrt in Deutschland" der deutschen Raumfahrtfirmen und der DFVLR.Angesichts dieser breiten Programmvorbereitung und der mehrjährigen Programmdiskussionen in der ESA ist es wohl nicht verwunderlich, wenn die bereits erwähnte weitgehende Übereinstimmung in der Raumfahrtpolitik festzustellen ist. Der Entwurf des mittelfristigen Weltraumprogramms ist entsprechend der Forschungspolitik der Bundesregierung, die auf eine breite Förderung der Grundlagenforschung und auf innovatorische Impulse für die Volkswirtschaft gerichtet ist, auf die folgenden, im allgemeinen langfristigen Ziele ausgerichtet. Lassen Sie mich diese kurz in drei Thesen vortragen: erstens Förderung der Grundlagenforschung mittels Raumflugtechnik als kultureller Beitrag und Basis einer langfristigen Sicherung der Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft, zweitens Inno-
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Parl. Staatssekretär Stahlvationen durch Anwendung der Weltraumtechnik, vor allem für neuartige oder verbesserte Dienstleistungen, wobei Satellitenkommunikation und Erdbeobachtung im Vordergrund stehen, drittens Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Raumfahrtindustrie durch direkte kommerzielle Verwertung der entwickelten Raumfahrttechnologien. Die Industrie soll in die Lage versetzt werden, Weltmarktanteile für ihre Produkte zu erringen. Aber, Herr Kollege Stavenhagen, ich sage auch dies mit aller Offenheit: Diese Märkte müssen natürlich auch von der Raumfahrtindustrie dementsprechend genutzt werden. Die Raumfahrtindustrie muß sich auch selbst bemühen und darf nicht nur immer nach dem Staat schielen.Ein zusätzliches Ziel ist die Förderung der internationalen Zusammenarbeit. Die Nutzung der Raumflugtechnik für friedliche wissenschaftliche Zwecke und Anwendung ist, wie ich glaube, auch ein geeignetes Mittel zur Völkerverständigung. Herr Kollege Fischer hat dazu einiges ausgeführt, dem man nur zustimmen kann.Die in der ESA begonnene Diskussion über Alternativen für eine längerfristige Orientierung künftiger Raumfahrt- und Orbitalsysteme bezieht sich vor allem auf die Fragen, ob der europäische Bedarf für eine Infrastruktur in der Erdumlaufbahn die hohen Kosten eines derartigen eigenständigen europäischen Programms rechtfertigen kann und welches Ergebnis eine Abwägung der Vor- und Nachteile automatischer oder bemannter Raumfahrtsysteme bringen wird.Es liegt auf der Hand, daß hier eine langfristige Planung erst nach Erfahrungen mit dem Spacelab und nach vergleichbaren Betriebserfahrungen mit dem bemannten amerikanischen Space Shuttle und der konventionellen europäischen Ariane möglich ist.Schwerpunkte dieses neuen Programms werden sein — lassen Sie mich nur drei Schwerpunkte nennen; es gibt eine ganze Menge, darüber werden wir in den Fachausschüssen diskutieren —: erstens die Weiterführung der extraterrestrischen Forschung, ergänzt durch erdorientierte Wissenschaften; zweitens der Aufbau eines langfristig orientierten europäischen Fernerkundungsprogramms, beginnend mit dem Meeresforschungssatelliten ERS 1, Fortführung des europäischen Wettersatellitenprogramms Meteosat durch ein operationelles Satellitensystem der Wetterdienste; drittens die Entwicklung von Kommunikations- und Fernmeldesatelliten bis zur Demonstration der Anwendungsreife wie z. B. des TV-SAT.Herr Kollege Stavenhagen, es ist nicht so, wie Sie es darstellen, daß der TV-SAT nicht mit der Politik des Bundespostministers in Einklang stünde.Lassen Sie mich abschließen. Wir sind der Meinung, Herr Kollege Stavenhagen, daß der Stellenwert der Raumfahrt in der Bundesrepublik Deutschland richtig ist. Die Opposition kritisiert den Stellenwert, den die Bundesrepublik der Raumfahrt einräumt, als zu niedrig.Nun sieht zwar die Finanzplanung für die Weltraumaktivitäten im Forschungs- und Entwicklungsbereich mittelfristig eine Steigerungsrate vor, die sicher nicht über der mittleren Steigerungsrate der Finanzplanung des Bundesforschungsministers liegt, wodurch real ein Absinken hervorgerufen wird, vor allem wegen der hohen europäischen Inflationsrate.Aber ich darf Ihnen sagen, Herr Kollege Stavenhagen: 1981 wurden für Weltraumaktivitäten durch das Forschungsministerium rund 670 Millionen DM ausgegeben. Für 1982 sind immerhin fast 750 Millionen DM eingeplant. Ich glaube, dies ist eine doch sehr ordentliche Summe.Es ist auch damit zu rechnen, daß mit dem Übergang zur routinemäßigen Satellitennutzung durch die Bundespost und den Wetterdienst sowie durch die Beteiligung der Raumfahrtindustrie an kommerziellen Projekten eine Stabilisierung dieses Bereichs erreicht wird.Meine Damen und Herren, trotz weitgehender Übereinstimmung kann die Bundesregierung dem vorliegenden Antrag zur Raumfahrtpolitik nicht zustimmen. Ich würde es für sehr hilfreich erachten, wenn die Beratung in den zuständigen Ausschüssen des Deutschen Bundestages ein Votum über die Einordnung der Raumfahrtpolitik in die allgemeine Forschungs- und Entwicklungspolitik mit dem möglichen Ziel einer künftigen flexiblen Kontinuität erbrächte, um eine langfristige und anpassungsfähige Forschungs- und Technologieförderung auch im Bereich der Raumfahrt zu sichern.Herr Kollege Stavenhagen, dazu nützen keine großen Sprüche und keine dicken Hämmer in Presseerklärungen, sondern hier werden wir uns am Detail auseinandersetzen müssen. Ich kann nur hoffen, daß der Haushaltsausschuß dann, wenn die Bundesregierung und der Fachausschuß entsprechende Vorschläge machen, dies auch honoriert, wie ich es schon einmal in der letzten Sitzung des Bundestages erläutert habe. Schließlich gibt es ja oftmals zwischen dem einen und dem anderen an Aussagen einen großen Unterschied. — Schönen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Abgeordneten Dr. Stavenhagen, Lenzer, Pfeifer sowie weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU auf Drucksache 9/1529 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Forschung und Technologie und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß und an den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf der Diplomatentribüne haben der Präsident der Großen Nationalversammlung der Sozialistischen Republik Rumänien, Herr Professor Dr. Giosan, und die Mitglieder einer Delegation der Großen Nationalver-
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Vizepräsident WurbsSammlung Platz genommen. Ich habe die Ehre, sie im Deutschen Bundestag zu begrüßen.
Dieser Besuch gibt uns Gelegenheit, die Beziehungen zwischen der Sozialistischen Republik Rumänien und der Bundesrepublik Deutschland auch auf parlamentarischer Ebene weiter zu beleben und zu vertiefen. Die vielfältigen offenen Gespräche der letzten Tage haben das gemeinsame Interesse an der Erhaltung des Friedens in der Welt zum Wohle unserer Völker, die wirtschaftliche Zusammenarbeit unserer Länder und die Verbesserung der Kontakte zwischen der Großen Nationalversammlung und dem Deutschen Bundestag deutlich gemacht.Ich wünsche Ihnen einen nützlichen und angenehmen Aufenthalt in unserem Lande.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 5 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinien 72/159/EWG, 72/160/ EWG und 72/161/EWG auf dem Gebiet der Agrarstruktur— Drucksachen 9/1416 Nr. 11, 9/1683 —Berichterstatter:Abgeordneter Sauter
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch.Wird das Wort vom Berichterstatter gewünscht? — Nein. Dann eröffne ich die Aussprache.Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sauter .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir kehren vom Himmel auf die Erde zurück, nach der Raumfahrt wieder zur Agrarpolitik. In der Drucksache 9/1683 geht es um die Aufforderung der Kommission an den Agrarrat, die Strukturrichtlinien 72/159 bis 72/161 bis zum 31. Dezember 1983 zu verlängern. Der federführende Ausschuß ersucht die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, daß eine weitere Verlängerung über diesen Termin hinaus verhindert wird.
Darüber hinaus sollte die Zeit genutzt werden, um die Richtlinien inhaltlich grundlegend zu ändern. Schließlich ergeht die Aufforderung an die Bundesregierung, bis zum 1. April 1983 einen Bericht darüber vorzulegen, welche Bemühungen um eine Änderung der obengenannten Richtlinien erfolgt sind.
Jeder von uns hat in den letzten Jahren, wenn er draußen in den Diskussionen gestanden hat, erfahren, wie leidenschaftlich gerade diese damit zusammenhängenden Fragen diskutiert worden sind. Die Union — dies möchte ich in Erinnerung zurückrufen — hat Minister Ertl im Jahre 1971 kritisiert, weil er in diesem Jahr die Kompetenz für die Agrarstrukturpolitik an die Europäische Gemeinschaft abgegeben hat.
Die Bundesregierung und die Koalition sind in den vergangenen Jahren nicht müde geworden, den Eindruck zu erwecken, als seien diese Richtlinien in ihrer nationalen Ausformung der Weisheit letzter Schluß, zu denen es keine Alternativen gebe. Da ist jetzt Einsicht eingekehrt. Allenthalben wird eingesehen, daß eine Änderung notwendig ist. Selbst Staatsekretär Gallus hat im Oktober letzten Jahres gar davon gesprochen, daß eine EG-weite Aussetzung dieser Richtlinien in Auge gefaßt werden soll.
Das sogenannte Ertl-Programm, um das es sich hier handelt, sollte einst zu einem Markenzeichen der neuen Agrarpolitik werden. Es ist aber eher ein Reizwort oder ein Ärgernis geworden.
Die Kritik, die sich vor allem an der Aufteilung der Landwirtschaft in zwei Klassen durch die Förderschwelle entzündete, wurde mit dem Hinweis auf regionale Abschläge und auf die Anrechnung von außerlandwirtschaftlichen Einkommen und ähnlichen Argumenten vom Tisch gewischt.
Schließlich verwies die Bundesregierung darauf, daß es ja für die Betriebe, die dieses Ziel nicht erreichen, dennoch Hilfe gebe. Man bot Umstellungsprämien, Überbrückungshilfen und ähnliches an. Diese Maßnahmen haben sich von selbst überlebt. Sie waren ein Schlag ins Wasser. Sie wurden so gut wie überhaupt nicht in Anspruch genommen.
Wenn heute die Debatte neu geführt wird, so nicht nur, weil Fehler und Mängel sichtbar geworden sind, sondern auch, weil sich die Finanzierung dieser Aufgabe wesentlich verschlechtert hat. Herr Staatssekretär, falls Sie nachher das Wort nehmen, hätte ich auch gern eine Antwort auf die Frage, inwieweit sich die Aufwertung der D-Mark und die Abwertung des Franc möglicherweise auf die Zuschüsse für die Strukturhilfe negativ für die Bundesrepublik Deutschland auswirkt.
Gestatten Sie, Herr Abgeordneter, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Paintner?
Herr Kollege Paintner, wir haben Kurzbeiträge — zehn Minuten — vereinbart. Es tut mir leid. Ich bitte Sie um Nachsicht.In dieser Richtlinie 160 ist auch die Landabgaberente angesprochen. Ich möchte mich dazu im einzelnen nicht auslassen. Es wird entscheidend sein, ob die Finanzierung in Zukunft sichergestellt ist. Aber auch bei dieser Landabgaberente haben wir zu Recht Kritik erfahren, weil die frei werdenden Flächen fast ausschließlich den sogenannten entwicklungsfähigen Betrieben zugute gekommen sind.
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Sauter
Bei den weiteren Beratungen sollte meines Erachtens auch das Votum des Europäischen Parlaments stärker berücksichtigt werden. Dieses Parlament hat beschlossen, die Förderschwelle abzuschaffen.
Nach den Informationen, die ich bekommen habe, besteht die Begründung darin, daß den sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten mehr entsprochen werden sollte. Dies kann ich nur unterstreichen. Wenn wir die wirtschaftlichen Gegebenheiten betrachten, stellen wir fest, daß sie durch besorgniserregende Arbeitslosigkeit, durch sinkende Einkommen und durch strukturelle Überschüsse in der Landwirtschaft gekennzeichnet sind.Die regionalen Probleme in der Europäischen Gemeinschaft verschärfen sich. Die ländlichen Regionen fallen gegenüber den Verdichtungsgebieten immer weiter zurück. Die Arbeitslosigkeit ist dort besonders hoch.Unter diesen Rahmenbedingungen und angesichts der chronischen Defizite in den nationalen Haushalten stehen wir bei der Änderung der Richtlinie vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Das einzelbetriebliche Förderprogramm hat zu sehr unterschiedlichen Resultaten geführt. Darüber gibt es eine Untersuchung des Ifo-Instituts in München. Das Ergebnis ist, knapp zusammengefaßt, daß diese Richtlinie am effektivsten dort gewirkt hat, wo wir ohnehin strukturell gesunde Verhältnisse gehabt haben. Ähnlich wird auch die Wirkung in der Bundesrepublik Deutschland beurteilt. Man liest dort, daß mit dem Ertl-Plan Betriebe in den Regionen mit historisch bedingt günstigen strukturellen Voraussetzungen bevorzugt werden.Zu einem ähnlichen Ergebnis ist übrigens bereits vor zwei Jahren das Europäische Parlament gekommen, das an Kritik an dieser Richtlinie nicht gespart hat.
Das Ergebnis nach zehn Jahren ist: Nur wenige Betriebe sind in das Programm einbezogen; die anderen gehen leer aus. Dies ist nach unserer Auffassung unsozial und unliberal.
Der Zwang zur Erreichung der außerlandwirtschaftlichen Einkommen muß zur Steigerung der Produktion führen. Das führt letzten Endes in den Betrieben dazu, daß sie entweder in die Fläche ausweichen müssen oder sich stärker in die Veredelung stürzen müssen.
Die Betriebe stehen unter einem enormen psychologischen Druck. Nicht mehr die Familie, sondern das Arbeitseinkommen, der Vergleichslohn haben Priorität. Die Steigerung der landwirtschaftlichen Pachtpreise hat hier eine ihrer Ursachen. Der Verdrängungswettbewerb ist dadurch gewachsen. Dies darf und kann keine Maxime für künftige Agrarpolitik sein, nämlich das Wachsen und Weichen. Wir meinen, daß sich Agrarpolitik in der Zukunft nicht nur an einer Gruppe orientieren darf.Dennoch sind wir der Auffassung, daß im Einzelfall Förderung noch notwendig ist, gezielt und besonders in den benachteiligten Gebieten. Wir von der Union fordern eine größere Flexibilität der Richtlinien und den Abbau von Detailregelungen. Wir wollen, daß die EG-Richtlinien künftig als Rahmendaten erlassen werden. Die einzelnen Mitgliedsländer sollen mehr Möglichkeiten zur Ausgestaltung haben.Es ist auch zu überlegen — lassen Sie mich das hinzufügen —, ob es nicht vernünftiger wäre, statt einen einzigen Betrieb zu unterstützen, diese Mittel auf mehrere Betriebe aufzuteilen nach Kriterien der Regionalstruktur, der Eigenkapitalbildung und der Wirtschaftlichkeit. Ich habe nämlich Zweifel, ob auf Dauer die Entwicklung nur in Richtung der Vollerwerbsbetriebe gehen kann oder ob nicht auch eine Entwicklung umgekehrt von Vollerwerbsbetrieben zu Zu- und Nebenerwerbsbetrieben erfolgen kann. Ich glaube, daß wir dies aufmerksam beobachten müssen und auch entsprechend zu berücksichtigen haben. Bei den Zu- und Nebenerwerbsbetrieben haben wir schon früher ein Agrarkreditprogramm vorgeschlagen. Die wirtschaftliche und soziale Beratung sollte vor allen Dingen auf die Betriebe verlagert werden, die in den kritischen Zonen sind.Zusammenfassend darf ich sagen: Die Orientierung am außerlandwirtschaftlichen Einkommen, also die sogenannte Förderschwelle, muß beseitigt werden. Wettbewerbsverzerrende Förderpraktiken in einzelnen EG-Ländern müssen abgebaut werden, der Verwaltungsaufwand muß verringert werden.
Der Schwerpunkt der einzelbetrieblichen Förderung muß in den strukturschwachen Gebieten liegen. Die regionale Struktur- und Wirtschaftspolitik soll in den ländlichen Räumen schwerpunktmäßig erfolgen.Die CDU/CSU-Fraktion will mit diesen Vorschlägen einen Beitrag zu einer sachlichen Diskussion über die künftige Agrarstrukturpolitik in der Gemeinschaft leisten.Ich bitte das Hohe Haus, der Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine kurze abschließende Bemerkung machen. Strukturpolitische Veränderungen wird es nach unserer Auffassung auch in Zukunft geben. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Zahl der Betriebe in den letzten 30 Jahren um über 1 Million zurückgegangen. Dieser Prozeß ist noch nicht abgeschlossen. Es kann jedoch nicht das Ziel der Agrarpolitik sein, im Jahr 2000 nur noch 200 000 Betriebe à 60 Hektar zu haben. Eine solche Strukturpolitik wird die Union nicht mitmachen.
Wir wollen den Vollerwerbs-, den Zuerwerbs- und den Nebenerwerbsbetrieb. Die Strukturpolitik muß sich daran messen lassen, ob sie allen Betriebsarten in Zukunft gerecht wird. — Ich danke Ihnen.
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6412 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1982
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Immer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die einzelnen Fraktionen des Deutschen Bundestages haben seit langem gefordert, daß die europäische Agrarpolitik grundsätzlich überdacht wird. Auch die EG-Kommission hat in einem Bericht vom 24. Juni 1981 zum Mandat vom 30. Mai 1981 Richtlinien vorgelegt. All dies ist zu bedenken und in einen Zusammenhang zu stellen, wenn wir heute mitempfehlen, was vom Ministerrat offenbar schon beschlossen ist, nämlich diese Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft um ein weiteres Jahr zu verlängern.Der Sinn dieser Debatte kann eigentlich nur sein, daß wir hier einmal festhalten wollen — bei der Fülle von Vorlagen aus dem europäischen Bereich —, daß wir mitbeteiligt sein möchten an der Diskussion, weil sie — das wird in dieser Strukturrichtlinie ja deutlich — unmittelbare Auswirkungen auf die nationale Strukturpolitik, in die nationale Agrarpolitik hat.
— Ja. Wir wollen es aber hier in der Öffentlichkeit dokumentieren und uns dies mit der Beschlußempfehlung ermöglichen.Wir sprechen sehr viel von Strukturen mit vielfältigen Bedingungen. Ich möchte sagen, daß gerade auf dem Gebiet, mit dem wir uns heute beschäftigen, die Ergebnisse einer Struktur vorliegen, die aus der Vergangenheit entstanden ist und die sich ständig fortentwickelt. Diese Struktur prägt und bestimmt die Lebens-, Arbeits- und Einkommensverhältnisse der Menschen. Wir dürfen aber, wenn wir an diese Richtlinie herangehen, nicht nur daran denken, wie es bei uns aussieht. Unser Land — und darauf hat Herr Kollege Sauter hingewiesen — ist in den letzten Jahren in einen Strukturwandel hineingezogen worden. Wir haben bereits Ergebnisse, die weit über das hinausgehen, was anderen Ländern in der Gemeinschaft noch bevorsteht. Aus diesem Grunde ist es wohl richtig, wenn wir darüber nachdenken, ob es mehr Flexibilität im einzelnen geben kann.Was gilt es zu bedenken? Agrarstrukturpolitik geht weiter, kann also nicht isoliert betrachtet werden. Sie wirkt hinein in Bereiche wie Gewässerschutz, Landschaftsschutz, Erhaltung oder Verbesserung der Wirtschaftsstruktur und Kombination von Landbewirtschaftung und anderen Erwerbsmöglichkeiten. Wenn wir die klassischen Maßnahmen der Richtlinie analysieren, dann wird die Spannweite deutlich.Ich möchte hier eine kleine Bemerkung zu etwas anschließen, was mir in dem Bericht von Herrn Sauter etwas zu eng gefaßt ist. Es kann ja nicht sein, daß wir alles anders machen wollen. Sie sprechen von grundsätzlicher Änderung. Es ist wohl nicht richtig, alles anders zu machen, aber wir müssen alles auf die Wirksamkeit überprüfen und Korrekturen durchsetzen.Ich möchte im Zusammenhang mit dieser Richtlinie drei Beispiele geben.Erstens. Wir müssen uns über die einzelbetriebliche Förderung unterhalten. Bei all den Stichworten, die hier genannt werden müssen — ob das die Prosperitätsklausel oder die Bestandsgrößenbegrenzung oder die Regionalisierung ist —, müssen wir wissen, wohin die Reise geht. Ich darf ein Beispiel sagen, das uns im Augenblick sehr bedrückt. Innerhalb meines Wahlkreises wird von einer Kapitalgruppe ein Mammutprojekt mit einer Bestandsgröße von 50 000 Schweinemastplätzen geplant. Der Bauernverband hat bereits seinen Protest angemeldet. Wenn wir davon ausgehen, daß hier möglicherweise noch Steuervergünstigungen einfließen, dann können wir unsere Agrarförderungspolitik einpakken, weil alles konterkariert und unterlaufen wird.
Ich glaube, hier müssen wir sehr sauber nachdenken, ob wir von agrarischer Seite nicht zu Regelungen kommen müssen, die nicht von anderer Seite unterlaufen werden können.Es geht zweitens um die Landabgaberente, um die Diskussion: Einkommensübertragungen ja oder nein. Ich nenne dieses Stichwort nur, um zu sagen, wie breit das Spektrum dessen ist, was wir hier zu bedenken haben; denn die Europäische Gemeinschaft hat ja verlautbart, daß in dieser Richtung gedacht werden soll. Wir müssen uns fragen: Ist das sinnvoll, können wir hier mitmachen, oder müssen wir hier andere Maßnahmen vorziehen?Ich möchte noch ein Wort zum dritten Bereich, zu der sozio-ökonomischen Beratung, sagen. Hinter diesem komplizierten Begriff verbirgt sich etwas, was wir in den 60er Jahren zuerst in der Bundesrepublik entwickelt haben. Ich erinnere mich sehr gut daran, daß wir überall überlegt haben, ob es denn richtig sei, nur betriebswirtschaftliche Beratung zu geben, nachdem wir die agrartechnische Beratung abgelöst hatten, oder ob man nicht den gesamten Bereich der Familie, ihre Fähigkeiten, ihre Möglichkeiten der Ergänzung ihres Einkommenserwerbs einbeziehen müßte. Sicher ist es richtig, Herr Sauter, wenn Sie sagen, daß das gerade in den Problembereichen dringend erforderlich ist, daß hier nicht einseitig verfahren und daß hier nicht überfordert werden darf. Ich glaube deshalb, daß wir das weiter betreiben müssen. Das funktioniert in der Bundesrepublik relativ gut. Bedauerlicherweise funktioniert das in anderen Bereichen, etwa in Italien, sehr schlecht. Gerade in den Gebieten, wo es am nötigsten wäre, kommt man mit dieser Sache nicht weiter. Das ist sehr bedauerlich.Ich möchte zusammenfassen. Erstens. Wir befürworten eine Verlängerung der EG-Agrarstrukturrichtlinie. Wir möchten nicht, daß sich die Kommission auf den Preisbeschlüssen ausruht und sagt: Wir haben jetzt eine Einigung erzielt und kommen im nächsten Jahr wieder mit einem Verlängerungsantrag, sondern wir wollen, daß die Zeit dazu genutzt wird, über das weitere Schicksal dieser Strukturpolitik nachzudenken.Zweitens. Wir weisen auf den Zusammenhang hin, der zwischen dieser Richtlinie und der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes besteht. Wir erwarten von
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Immer
der Bundesregierung, daß alle Bemühungen in Gang gesetzt werden, dies zu synchronisieren. Es hat keinen Zweck, wenn wir isoliert über die Gemeinschaftsaufgabe reden, auf alle Details eingehen und wir dann bei der Fortschreibung der Strukturrichtlinien im europäischen Raum praktisch gebremst werden oder unsere Vorstellungen nicht umgesetzt werden können. Darum sind wir sehr gepannt auf den zum 1. April nächsten Jahres von uns erbetenen Bericht.Drittens. Die Aussprache — damit komme ich zum Ausgangspunkt zurück — über die Beschlußempfehlung am heutigen Tag hat nicht zuletzt den Sinn, den Anspruch nicht nur dieses Hohen Hauses, sondern auch der Fachausschüsse anzumelden, daß wir gerade bei diesen wichtigen, für die Zukunft entscheidenden Punkten ein wenig mitentscheiden, mitraten und mitbedenken möchten. Aus diesem Grund stimmen wir der Beschlußempfehlung zu.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Holsteg.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Über die vorgeschlagene Verlängerung der Laufzeit der drei EG-Agrarstrukturrichtlinien aus dem Jahr 1972 sowie der daran angehängten sogenannten Bergbauernrichtlinie 268 aus dem Jahr 1975, die zusammen den gemeinsamen Rahmen der nationalen Agrarstrukturmaßnahmen in der Europäischen Gemeinschaft bilden, bestand im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über die drei Fraktionen hinweg kein Dissens.Die FDP wird daher auch der vorliegenden Beschlußempfehlung für die Fristverlängerung bis zum 31. Dezember 1983 zustimmen, wie sie im Grundsatz bereits vom Agrarministerrat im Rahmen des diesjährigen Preispakets vereinbart worden ist. Auch wir halten die Fristverlängerung für sinnvoll und angebracht, weil sie weitere Zeit zum Nachdenken darüber geben wird, wie es in der EG-Agrarstrukturpolitik weitergehen soll, eine Zeit des Nachdenkens, die die Kommission und wir alle brauchen, um die Auswirkungen und Konsequenzen der Änderungen, die als Ergebnis der Diskussion zur Reform der EG-Agrarpolitik gerade in den letzten zwei Jahren in den einzelnen Richtlinien beschlossen worden sind, vollends zu übersehen, um darauf aufbauend weitere Schritte einzuleiten.Für nicht sehr sinnvoll halten wir es daher auch, schon heute über die notwendigen oder möglichen Veränderungen zu diskutieren, bevor die erforderlichen Erfahrungen gesammelt worden sind und deren Auswertung durch die Kommission in Form von Schlußfolgerungen oder Vorschlägen auf dem Tisch liegt.Ich habe allerdings Verständnis dafür, daß insbesondere die Union wieder einmal die Gelegenheit wahrnimmt, alte Vorstellungen und Angriffe gegen die Agrarstrukturpolitik in der Bundesrepublik und in der EG vorzubringen. Ich glaube aber, daß Sie derLandwirtschaft insgesamt mit dieser überkommenen und gleichzeitig voreiligen Diskussion keinen Dienst erweisen, weil derzeit noch keine Vorschläge der Kommission vorliegen.
Was hat es denn in dieser Situation für einen Sinn, Herr Sauter, wenn Sie zum x-ten Mal auf der Förderschwelle herumhacken, obwohl es EG-weit doch keine praktikable Alternative gibt, will man an dem Prinzip einer gezielten Förderung nach einheitlichen Kriterien festhalten! Dabei ist und bleibt es eben die einzige EG-weit praktikable Lösung, auf das vergleichbare außerlandwirtschaftliche Einkommen abzuheben. Sie wissen doch auch ganz genau, daß in vielen Ländern der EG und auch bei uns in der Bundesrepublik eine Förderung nach dem Prinzip der Eigenkapitalbildung schon allein an der notwendigen Voraussetzung scheitert, daß in den betreffenden Betrieben Buchführungsdaten vorliegen müßten. Das Fehlen dieser Unterlagen würde dazu führen, daß nach dem Förderkriterium ,,Eigenkapitalbildung" noch deutlich weniger Betriebe gefördert werden könnten.Ganz außer Frage steht für uns auch, daß auch in Zukunft in der Agrarstrukturpolitik eine gezielte Förderung betrieben werden muß — das läßt sich nicht umgehen und ist das einzig ökonomisch und fiskalisch Sinnvolle — und daß nur denjenigen Betrieben eine Hilfe zur Selbsthilfe angeboten werden kann, die mittelfristig entsprechend einem Betriebsentwicklungsplan ein ausreichendes Einkommen erwirtschaften können.
Darüber hinaus sind im Grundsatz verschiedene Hilfen vorhanden, so auch die bereits angesprochene Überbrückungshilfe für Betriebe, die allerdings — das müssen wir ganz kritisch sehen — vielleicht nicht das wünschbare Volumen haben. Hier sind uns einfach durch die Situation der öffentlichen Haushalte schmerzliche Grenzen gesetzt. Sehen Sie sich einmal das Volumen des noch kurz vor der niedersächsischen Landtagswahl angekündigten Agrarkreditprogramms an! Was ich hier anspreche, ist doch nicht allein das Haushaltsproblem des Bundes.Was mir allerdings verbesserungsfähig erscheint — wenn wir nun schon auf der Ebene: hier Bundes-, hier Landeskompetenz sind —, will ich Ihnen abschließend ganz deutlich sagen: Wiederholen Sie doch bitte nicht immer wieder den unberechtigten Vorwurf der starren Förderschwelle, der Inflexibilität der Förderschwelle, mit dem Sie Ihre Leute gegen dieses sinnvolle Prinzip einnehmen! Schöpfen Sie als Union in den Ländern doch vielmehr die Möglichkeiten aus, die das Konzept der Förderschwelle zuläßt, indem Sie die Grenzen auf Länderebene regionalisieren können, um damit dichter an das tatsächliche außerlandwirtschaftliche Einkommen in den einzelnen Regionen und Landstrichen heranzukommen! Denn es ist doch eine Tatsache, daß diese regionenbezogene Stufung bisher nur
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Holstegvom Land Bayern konsequent in die Tat umgesetzt worden ist.
Hier wäre in den einzelnen Bundesländern von Ihnen noch einiges zu verbessern.Was den Vorwurf der Ungerechtigkeit betrifft, die dadurch entstanden sei, daß wegen der reduzierten Fördermittel einerseits und des höheren Investitionsbedarfs für die einzelnen Maßnahmen andererseits derzeit weniger Betriebe und Vorhaben gefördert werden können als früher, so halte ich dieses Argument für nicht ganz redlich. Sehen Sie doch, was die Förderschwelle und die Summe der Fördermittel angeht, die Ergebnisse der letzten zehn Jahre gerade in der Bundesrepublik an. Sprechen Sie mit den Landwirten über die mit Bundes- und EG-Mitteln geförderten Investitionen! Ich kann Ihnen nur sagen: Benutzen Sie nicht die schwierige Haushaltslage dazu, Ihre uralten Vorbehalte gegen eine aktive Agrarstrukturpolitik nach dem Prinzip der Förderschwelle zu untermauern und damit implizit für das Gießkannenprinzip zu plädieren!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Die interfraktionelle Zusammenarbeit scheint doch nicht mehr so gut zu funktionieren.
Sie hatten eben diese Zwischenfrage nicht mehr stellen wollen. — Bitte schön.
Herr Präsident, gestatten Sie aber, daß ich wenigstens meinen Satz noch zu Ende führe. — Und jetzt bitte zu Ihrer Frage, Herr Eigen.
Herr Kollege Holsteg, können Sie mir sagen, in welchen Ländern der Europäischen Gemeinschaft außer der Bundesrepublik Deutschland eine solche Förderschwelle angewandt wird? Können Sie mir sagen, ob diese beispielsweise auch in Holland angewandt wird? Und haben Sie nicht selbst das Gefühl, daß auch die Bundesregierung durch ihre Maßnahmen schon zu erkennen gegeben hat, daß sie selber die starre Förderschwelle eigentlich auch schon nicht mehr so recht will?
Das habe ich teilweise bereits ausgeführt, Herr Eigen. Einmal ist die Förderschwelle nicht starr, sondern flexibel, und die regionenbezogenen Dinge, die ich hier angeführt habe, siehe Beispiel des Landes Bayern, sagen das ausdrücklich. Im übrigen ist es j a gerade der Sinn der Verlängerung dieser Strukturrichtlinien und unser gemeinsames Bemühen, EG-weit an der Schaffung einheitlicher Agrarstrukturrichtlinien zu arbeiten, die uns in der EG nur in ihrer Gesamtheit weiterbringen können.
Ich sage Ihnen: Bei Praktizierung dieses Prinzips benötigen wir noch sehr viel mehr Finanzmittel. Sie sind letztlich dennoch, weil zu weit gestreut, wie ich es vorhin ausführte, verkleckert oder eben der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein, der, ohne etwas zu bewirken, sofort verdunstet.
In gleicher Weise möchte ich auch den Vorstellungen der Union eine Absage erteilen, wie sie in einer Stellungnahme des Bundesrates zum Ausdruck kommen, wo die Union — so im übrigen heute auch Herr Sauter — eine teilweise Zurückverlagerung der Zuständigkeit in der Agrarstrukturpolitik von der EG in die nationale Kompetenz fordert. Hierzu möchte ich, ohne dies im einzelnen zu beleuchten, nur feststellen: Diese Forderung würde uns einen Finanzwettlauf zwischen den einzelnen Staaten, j a sogar zwischen den einzelnen Bundesländern bescheren, der zu ganz unterschiedlichen Wettbewerbsvoraussetzungen in der EG führen würde.
Dies können wir nicht wollen!
Hiergegen wäre auch eine Prüfung der Beihilfen durch die EG-Kommission, die zu prüfen hätte, ob eine Beihilfe zu einer Verzerrung des innergemeinschaftlichen Handelns führte, ein lächerlich stumpfes Instrument, wenn es darum geht, die dann möglichen Wettbewerbsverzerrungen zu unterbinden. Ich glaube, dazu braucht man nicht sehr viel Phantasie.
Damit möchte ich jedoch nicht in Abrede stellen, daß es in der Strukturpolitik der Europäischen Gemeinschaft in der Tat zu einem bürokratischen Aufwand in der Ausführung gekommen ist, der abgebaut werden muß. Hier müssen administrative Verfahren aufgelockert werden. Dies kann aber nicht so weit führen, daß die gemeinsame EG-Agrarstrukturpolitik mit ihrer Koordination der nationalen Agrarstrukturmaßnahmen aufgegeben bzw. durch Rückverlagerung an die Einzelstaaten aufgeweicht wird.
Sehr verehrte Damen und Herren! Für die FDP kann es in diesen grundlegenden Fragen der zielgerichteten Förderung nach einem EG-einheitlichen Förderkriterium und der wirksamen EG-Koordinierung der nationalen Agrarstrukturmaßnahmen keinen Kurswechsel geben. Darüber hinaus zeichnet sich allerdings schon heute die Notwendigkeit von Korrekturen in einzelnen Detailfragen ab, wie z. B. hinsichtlich der Aussetzung einzelner Förderungsmaßnahmen, — —
Verzeihung, Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Ja, ich bin gleich soweit! — hinsichtlich einer verstärkten Überwachung nationaler Beihilferegelungen, verbunden mit einem konsequenteren Einschreiten gegen unzulässige Subventionen, aber auch hinsichtlich einer eventuellen weiteren Konzentrierung der Maßnahmen auf Berggebiete und benachteiligte Gebiete.
Hierzu möchte ich noch anführen, — —
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
— daß bisher 30 % der Mittel dieser Agrarstrukturmaßnahmen in die benachteiligten
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HolstegGebiete geflossen sind und daß es das Ziel bleiben muß, den bäuerlichen Familienbetrieb für die Zukunft zu stärken und zu fördern.Wir werden uns deshalb im Ernährungsausschuß, sobald die Kommission die Richtlinien vorgelegt hat, gemeinsam mit der Bundesregierung um ein Übereinkommen bemühen. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 9/1683 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jäger , Graf Huyn, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Dr. Czaja, Frau Krone-Appuhn, Lowack, Dr. Mertes (Gerolstein), Frau Geier, Rossmanith, Dr. Abelein, Feinendegen, Schröder (Lüneburg), Dr. Hennig, Graf Stauffenberg, Dr. Hupka, Sauer (Stuttgart), Werner, Dr. Marx, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Wittmann, Straßmeir, Lintner, Schulze (Berlin), Gerlach (Obernau), Ruf, Weiß und Genossen
Freilassung des Gewerkschaftsführers Lech Walesa und anderer politischer Häftlinge
— Drucksache 9/1541 —
Im Ältestenrat wurde für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten vereinbart. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Jäger .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Inhaftierung und Gefangenhaltung des Vorsitzenden der freien Gewerkschaft Solidarität, Lech Walesa, durch das polnische Kriegsrechtsregime ist das sichtbare Zeichen der Unterdrückung und Unfreiheit, die in Polen seit dem 13. Dezember des letzten Jahres vom polnischen Volk erkämpfte Rechte und Freiheiten weitgehend wieder verdrängt haben.
Dies ist aber auch ein Zeichen der inneren Schwäche dieses Regimes, das es sich nicht erlauben kann, einen Mann als Partner des Gesprächs auf freiem Fuß gegenüber zu haben, hinter dem die große Mehrheit des polnischen Volkes steht, und auch das muß heute mit Deutlichkeit gesagt werden.Lech Walesa ist der freigewählte Vorsitzende einer Gewerkschaft, die heute noch immer ein Mehrfaches von Mitgliedern hat als die Kommunistische Partei Polens als eine Monopolpartei und als die Partei des herrschenden Regimes. Schon dies bringt zum Ausdruck, daß die Verhaftung dieses Mannes und die Verhaftung vieler anderer führender Gewerkschafter nichts anderes war und bis heute nichts anderes geblieben ist als eine Art Kriegserklärung des Regimes an das eigene Volk. Die polnischen Machthaber müssen wissen, daß der innere Frieden in diesem Land nicht zurückgewonnen wird und nicht zurückgewonnen werden kann, solange diese Männer und Frauen, an der Spitze Lech Walesa, in Haft sitzen und in Unfreiheit sind.
Wir haben festzustellen, daß diese Inhaftierungen — sie werden da und dort schamhaft als Internierungen bezeichnet, was mit der rauhen Wirklichkeit nicht viel zu tun hat — klare Verstöße gegen die auch von Polen anerkannten, unterschriebenen und ratifizierten Menschenrechtspakte sind. Sie sind ein klarer Verstoß gegen Geist und Inhalt der Schlußakte von Helsinki, und dies ist auch — Gott sei Dank mit erfreulicher Klarheit — beim letzten Treffen in Madrid klar zum Ausdruck gebracht worden. Nur dürfen wir es damit nicht bewenden lassen: Wir müssen dem polnischen Regime klarzumachen versuchen, daß es mit der weiteren Inhafthaltung der führenden Gewerkschafter und anderer Freiheitskämpfer die Vertrauensbasis zerstört, die es haben muß und haben will, wenn es in Verhandlungen mit den westlichen Staaten eintreten will, um jene finanzielle Unterstützung zu erhalten, ohne die die polnische Volkswirtschaft zusammenbrechen muß. Diese Vertrauensgrundlage kann nicht gegeben sein, solange die Führung der Gruppe in Haft sitzt, die das Vertrauen der Masse des polnischen Volkes hat.
Meine Damen und Herren, mit Lech Walesa und mit seinen Freunden aus der Gewerkschaft Solidarität steht und fällt auch die Gewerkschafts- und Vereinigungsfreiheit, die in Polen vorbildlich und beispielhaft für alle Arbeitnehmer in den vom Kommunismus unterdrückten Völkern errungen worden ist.
Von daher gesehen ist es eine Aufgabe des freigewählten Parlaments der Bundesrepublik Deutschland, das sich über alle Parteigrenzen hinweg immer zur Vereinigungs- und Gewerkschaftsfreiheit bekannt hat, dafür einzutreten, daß dieser Grundsatz, der in Polen mühsam errungen worden ist, durch die Inhaftierung Walesas und seiner Freunde nicht auf Dauer wieder zerstört wird.
Der Bundestag sollte daher durch Annahme des Initiativantrags, natürlich nach gründlicher Beratung in den zuständigen Ausschüssen, ein Zeichen setzen und einen feierlichen Appell an die polnische Führung richten, dafür zu sorgen, daß diesem auch seinerzeit durch den Danziger Kompromiß vom polni-
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Jäger
schen Regime selbst anerkannten Grundsatz wieder Rechnung getragen und in der Wirklichkeit zum Durchbruch verholfen wird.
Aber — und deswegen richtet sich dieser Antrag zuallererst an sie — am Ball ist die Bundesregierung. An ihr liegt es, die Initiative zu ergreifen, um auf die Freilassung Walesas hinzuwirken. Ich verkenne nicht — das will ich ohne weiteres zugeben —, daß die Bundesregierung mittelbar durch verschiedene Aktivitäten im Rahmen der KSZE in dieser Richtung bereits Schritte unternommen hat. Aber Schritte, die auch nach außen sichtbar werden und die den Menschen in Polen zeigen, daß wir in dieser Frage unverbrüchlich hinter ihnen stehen, hat es bis heute nicht in der notwendigen Weise gegeben. Daher meine ich, daß dieser Antrag notwendig war und notwendig bleibt, um die Bundesregierung zur notwendigen Aktivität anzuhalten.Wie die Bundesregierung im einzelnen handelt, haben wir in dem Antrag nicht vorgesehen; denn das ist der breite Spielraum, der der Regierung zugestanden werden muß. Ob sie — was wir für das Dringlichste halten — bilateral vorgeht, also alle Gesprächsmöglichkeiten mit der polnischen Regierung nutzt, ob sie multilateral vorgeht und die Dinge bei den Vereinten Nationen zur Sprache bringt oder ob sie die vielfältigen Kontakte, die es im Rahmen der KSZE und des Folgetreffens in Madrid gibt, nutzt und in welcher Weise das geschieht, das zu entscheiden, ist Aufgabe der Bundesregierung.
Hauptsache, die Bundesregierung tut etwas; denn das gehört zur moralischen Legitimation der deutschen Position in dieser Frage, daß die Bundesregierung klar Stellung bezieht.
Lassen Sie mich noch einen Satz zur moralischen Legitimation sagen, nach der vielleicht der eine oder andere fragt; denn wir wissen natürlich, daß in Warschau gesagt wird: „Das ist wieder eine offene Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Polnischen Volksrepublik!" Meine Damen und Herren, diese Legitimation haben wir. Wir haben sie auf Grund der völkerrechtlichen Menschenrechtsverträge. Aber wir haben sie moralisch auch auf Grund der vielfältigen Hilfe, die unser Volk — und das anerkennen die Polen heute dankbar — in den Monaten und Jahren der Not geleistet hat. Wir haben das Recht, den Polen, die inhaftiert sind, beizustehen, und das sollte auch die Bundesregierung bei ihrer Aktivität nicht unter den Tisch fallen lassen.
Die polnischen Gewerkschafter sollen und müssen wissen, daß wir, das frei gewählte Parlament der Deutschen, an ihrer Seite stehen. Lech Walesa und seine Freunde von der „Solidarität" sind das Symbol des Freiheits- und Widerstandswillens des polnischen Volkes. Deshalb dürfen wir ihn und seine Freunde nicht im Stich lassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Voigt .
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag war das erste Parlament Europas, das nach dem 13. August 1981 seiner Betroffenheit, seinem Mitleiden und seiner Solidarität mit dem polnischen Volk in einer gemeinsamen Entschließung Ausdruck gegeben hat.
Ich verstehe auch unsere heutige Debatte als Zeichen unserer unveränderten Solidarität mit dem polnischen Volk und mit jedem einzelnen Menschen, der dort leidet.
Unsere Bereitschaft zur Solidarität ist Ausdruck unseres Willens zur Versöhnung und zur guten Nachbarschaft. Wer sich versöhnen will, muß helfen wollen. So verstehe ich die Millionen Pakete, die von zahllosen Deutschen an polnische Bürger und ihre Familien geschickt worden sind. Wir wollen heute jedem einzelnen danken, der in den vergangenen Wochen und Monate solche Pakete nach Polen geschickt hat.
Er hat damit vielen Bürgern Polens in der Not und mehr als durch hohle Phrasen und Worte geholfen. Er hat damit aber auch seinen wichtigen persönlichen Beitrag zum historischen Prozeß der Versöhnung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk geleistet. Mein Dank gilt aber auch den großen traditionellen Hilfsorganisationen und den vielen spontanen Initiativen, die es ermöglichten, daß unsere Hilfe die der Hilfe Bedürftigen in Polen auch erreichte. Mein Dank gilt den Helfern bei uns, aber auch den Helfern in Polen. Ich möchte den Bundestag und die Bundesregierung auffordern, auch in den kommenden Monaten durch besondere Gebührenregelungen für den Paketverkehr nach Polen den Strom der Hilfsbereitschaft weiter zu fördern.
Weil wir dem polnischen Volk helfen wollen, waren und sind wir auch so skeptisch gegenüber wirtschaftlichen Sanktionen. Weil wir helfen wollen, waren wir im vergangenen Jahr und sind wir auch in diesem Jahr daran interessiert, daß Lösungen für die Kreditverpflichtungen Polens gefunden werden. Weil wir helfen wollen, begrüßen wir die Bereitschaft vieler westlicher Regierungen zur Wiederaufnahme staatlicher Unterstützung für Polen, sobald hierfür die Voraussetzungen in Polen wieder geschaffen worden sind. In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich an die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 18. Dezember 1981 erinnern.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Huyn?
Herr Kollege Voigt, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es ein grundlegender
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1982 6417
Graf HuynUnterschied ist, ob — wie Sie eben lobend hervorgehoben haben und was wir voll unterstützen — durch private Initiative Hilfe von Mensch zu Mensch, zu den leidenden und unterdrückten Menschen in Polen, geleistet wird oder ob durch staatliche oder staatlich verbürgte Kredite dem heruntergekommenen und verrotteten Planwirtschaftssystem der polnischen Unterdrücker, die auf Weisung Moskaus dieses Volk unterdrücken, die Zeit noch verlängert wird, die sie dies tun können?
Wenn ich Ihre Frage auf den sachlichen Kern reduziere, dann möchte ich Ihnen zustimmen, daß es einen Unterschied macht, ob man privat hilft oder öffentlich hilft. Deshalb haben wir ja auch unterschiedlich darüber befunden. Aber wenn Sie mich nach der Konsequenz fragen: in beiden Fällen bin ich dafür, daß wir der polnischen Bevölkerung helfen und daran vor allen Dingen unser Handeln orientieren.
— Dem polnischen Volk und der polnischen Bevölkerung helfen und daran vor allen Dingen auch unser Handeln orientieren.
Verzeihung, Herr Abgeordneter. Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, eine Frage des Abgeordneten Dr. Barzel?
Herr Kollege Voigt, darf ich das so verstehen, daß Sie versuchen, die gemeinsame Entschließung in dieser Frage aufzukündigen?
Ganz und gar nicht.
Ich habe mich gerade in meinem letzten Satz noch einmal darauf berufen. Ich habe gesagt, daß wir für die Wiederaufnahme der Hilfe in einem sogar noch verstärkten Umfange sind, wenn die Voraussetzungen in Polen dafür wieder geschaffen sind. Das habe ich ausdrücklich noch einmal gesagt. Herr Huyn hatte diese Bemerkung offensichtlich nicht im Detail so gehört.
Wer sich versöhnen will, muß miteinander reden wollen. Auch aus diesem Grunde möchte ich an die Bürger unseres Landes appellieren, gerade auch in diesem Jahr, in dem in Polen weiterhin Schwierigkeiten bestehen, ihre persönlichen Kontakte zu Polen fortzusetzen und wenn möglich zu intensivieren. Ich möchte dazu auffordern, gerade auch jetzt nach Polen zu reisen und auch dort seinen Urlaub zu verbringen. Ich möchte mich bei den Verbänden und Institutionen bedanken, die auch in den letzten schwierigen Monaten ihre Beziehungen in die Volksrepublik Polen hinein weiterhin intensiv gepflegt haben. Mein Dank gilt insbesondere den Kirchen und auch den Jugendorganisationen.
Ich möchte die Mitglieder dieses Hauses, die im Bundestag vertretenen Fraktionen und Parteien und auch die Bundesregierung ermutigen, im Interesse der Versöhnung unserer Völker und im Interesse der in der Volksrepublik Polen lebenden Menschen weiterhin auch mit offiziellen Vertretern der polnischen Behörden und des polnischen politischen und gesellschaftlichen Lebens zu reden. Mein Dank gilt in dieser Hinsicht besonders Herrn Mischnick und auch Herrn Wehner. Der Verzicht auf solche Gespräche hilft niemandem. Das Ergebnis solcher Gespräche aber kann für manchen konkrete Hilfe bedeuten.
Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt alle Bemühungen um die Freilassung Lech Walesas und der übrigen aus politischen Gründen Inhaftierten und Internierten. Wir schlagen vor, diesen Antrag in den Ausschußberatungen entsprechend der Entschließung des Bundestages vom Dezember 1981, Herr Barzel, durch eine Aufforderung zur Aufhebung des Kriegsrechtes und zur Wiederaufnahme des Dialogs mit der Kirche und den Gewerkschaften zu ergänzen. Dies würde auch dem Inhalt eines Antrages entsprechen, den u. a. Willy Brandt für die sozialistische Fraktion im Europäischen Parlament eingebracht hat.
Wer sich versöhnen will, muß gerade in der gegenwärtigen Not Polens und der Not seiner Bevölkerung klar und eindeutig in bezug auf seine langfristigen Vorstellungen von der guten Nachbarschaft zwischen Deutschen und Polen sein. Auf dem Hamba-cher Fest im Jahre 1832 wehten neben der schwarzrot-goldenen Fahne als Symbol des freiheitlichen und friedlich gesinnten Patriotismus in Deutschland die Trikolore und die Fahne Polens. Die damalige revolutionäre demokratische Bewegung in Deutschland wollte ihre Ziele in Solidarität mit den nationalen und freiheitlichen Interessen der Polen verwirklichen. Unsere heutige Versöhnungspolitik knüpft an diese Tradition der guten Nachbarschaft zwischen Deutschen und Polen an, wieder an.
Lassen Sie mich aus diesem Grunde am Schluß noch einmal unterstreichen: Wir wollen Polen und seiner Bevölkerung helfen, wir wollen keine Notlage Polens ausnutzen, sondern dazu beitragen, Notlagen Polens und seiner Bevölkerung zu überwinden. Polen hat von Deutschen nichts mehr zu befürchten. Wir stellen keine Gebietsansprüche mehr, wir wollen keinen Grenzstreit, sondern wir wollen dauerhaft als europäische Nachbarn in Frieden miteinander leben.
Das Wort hat der Abgeordnete Möllemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion unterstützt das Anliegen des hier vorgelegten Antrages der Kollegen aus der Union, nämlich die Bundesregierung zu ersuchen, sich für die Freilassung der in Polen Inhaftierten einzusetzen. Dies gilt natürlich in besonderer Weise für Lech Walesa, nicht etwa weil jener besondere Rechte hätte, sondern weil er natürlich als ein Symbol für einen bestimmten Prozeß der Demokratisierung, aber auch der gewerkschaftlichen Orientierung, gilt. Wir unterstützen darüber hinaus die
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Möllemannvom Kollegen Voigt vorgeschlagene Ergänzung dieser Überlegungen um die bekannten Forderungen, sowohl das Kriegsrecht aufzuheben — also die Rahmenbedingungen für diese ganz konkrete Aktion — wie aber auch den Dialog mit den Kirchen und den Gewerkschaften wiederaufzunehmen.Lassen Sie mich persönlich sagen, daß ich skeptisch bin, ob wir hierbei schnelle Ergebnisse sehen werden; denn es zeigt sich, daß im Wettbewerb zwischen dem Interesse an der inneren Stabilisierung im Sinne des kommunistischen Systems und dem Interesse am freundlichen Umgang mit den westlichen Staaten sich im Zweifel das kommunistische System immer zuallererst für seine innere Stabilität entscheiden wird und erst dann andere Elemente in Betracht zieht.Darüber hinaus muß man wohl sehen, daß die polnische Regierung, selbst wenn sie unserem Petitum nachgeben möchte, wohl nur eine begrenzte Souveränität hat, daß sie ganz erkennbar unter dem massiven Druck ihres Paktsystems und vor allen Dingen der Sowjetunion steht, die hier offenkundig massiven Einfluß genommen hat und dies vermutlich sogar in der Verbindung zwischen der Bereitschaft zur wirtschaftlichen Hilfe einerseits und der Durchsetzung bestimmter Verhaltensweisen andererseits weiterhin tut.Deswegen muß die politische Konsequenz für uns sein, daß wir uns im Rahmen des derzeit ja ausgesetzten KSZE-Prozesses, Sicherheit auch durch Zusammenarbeit zu gewährleisten, also im Rahmen des Gesprächs, dafür einsetzen, daß die dort vereinbarten Prinzipien eingehalten werden. Wir können es nicht hinnehmen, daß wir Verträge schließen und diese dann gebrochen werden. Das Vorgehen in Polen ist ein Bruch der KSZE-Schlußakte; dies kann man nicht anders ansehen.
Wir können es auch nicht nur deswegen nicht hinnehmen, weil wir damit diese Politik in den Augen unserer eigenen Bürger diskreditieren würden, die sich dann ja nach dem praktischen Nutzen fragen und fragen müßten, und auch nicht nur, weil wir die Hoffnungen, die in verschiedenen Staaten dieser Welt an diese Schlußakte geknüpft worden sind, enttäuschen würden, sondern auch deswegen, weil wir damit j a provozieren — und hier kann man eine Parallele ziehen zu der Diskussion über Afghanistan vor einer Woche —, daß jemand Verhaltensweisen wie die in Afghanistan — ich vergleiche das vom Ansatz her — und die in Polen als etwas ansieht, an das sich der Westen nach einer gewissen Zeit einfach so gewöhnt. Diese schleichende Gewöhnung ist die eigentliche Gefahr, meine ich.
An diese dürfen wir uns nicht selbst herandrücken lassen nur deswegen, weil es uns vielleicht den Vorwurf erspart, wir störten eine gewisse Ruhe, die die andere Seite sicher wünscht.
Wir dürfen uns also an die Menschenrechtsverletzungen nicht gewöhnen. Wir müssen den KSZE-Prozeß in dem Sinne fortsetzen, daß wir uns selbst sorgfältig an alle Bestimmungen der Schlußakte halten; denn wir sind ja überzeugt, daß sie richtig ist. Das gibt uns aber eben auch das Recht, ihre Implementierung, ihre Umsetzung durch alle andere zu verlangen.Ich stimme dem Kollegen Voigt ausdrücklich zu, daß eine solche Position um so glaubwürdiger ist, je mehr wir uns parallel dazu bemühen, Akte der praktischen Solidarität mit den betroffenen Menschen, die über verbale Deklamationen hinausgehen, nicht nur zu ermuntern, sondern sie auch zu fördern.
— Wir müssen ja nicht über alles streiten, was wir hier diskutieren. Es gibt j a Gott sei Dank noch einige Anliegen, die im Grundsatz einvernehmlich sind.Wir müssen die politischen Rahmenbedingungen setzen — sei es im Bereich der humanitären Hilfe, sei es durch die Angebote der Bundespost, praktisch unentgeltlich tätig zu sein, sei es dadurch, daß wir da, wo wir es können, auch die humanitären Hilfsorganisationen unterstützen —, wir müssen Rahmenbedingungen dafür setzen, daß die praktische Solidarität fortgesetzt werden kann. Denn in der Tat, es gibt in beiden Hinsichten wohl kaum ein Volk, das auf eine solche Solidarität jetzt so sehr angewiesen ist und uns gegenüber auch einen solchen Anspruch hat wie das polnische. Das umfaßt die praktische Solidarität durch Hilfsmaßnahmen, aber auch die politische Solidarität dadurch, daß wir denen, die das polnische Volk jetzt unterdrücken, deutlich zeigen, daß wir uns an diese Unterdrückung nicht gewöhnen werden. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Staatsminister Dr. Corterier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu dem Antrag über die Freilassung politischer Häftlinge in Polen, der uns heute vorliegt, zunächst feststellen, daß die Bundesregierung in dieser Initiative eine Unterstützung ihrer Bemühungen sieht,
die Freilassung der in der Folge der Ereignisse vom 13. Dezember 1981 Inhaftierten zu erreichen. Ich kann allerdings dem Herrn Abgeordneten Jäger nicht zustimmen, wenn er hier feststellte, dieser Antrag sei notwendig, um die Bundesregierung zu entsprechenden Aktivitäten anzuhalten; denn wir tun das, was in unseren Möglichkeiten steht. Ich werde gleich darauf noch einmal zurückkommen.
— Rückenwind ist gut, aber Beine machen brauchen Sie uns nicht.
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Staatsminister Dr. CorterierZu den prominentesten Inhaftierten gehört Lech Walesa. Wir dürfen im Zusammenhang mit diesen für Polen so schmerzlichen Ereignissen aber nicht die vielen anderen Träger großer Namen und genauso wenig die vielen Namenlosen vergessen, denen wir ja auch helfen wollen.
Die Bundesregierung hat sich seit Dezember 1981 mehrfach — auch gemeinsam mit ihren Verbündeten — an die polnische Regierung gewandt, um die Freilassung der Inhaftierten zu erreichen. Der Bundeskanzler hat sich zuletzt vor zwei Tagen in dem Gespräch, das er in New York mit dem Politbüromitglied und polnischen Außenminister Czyrek geführt hat, für die Freilassung Lech Walesas und der anderen Inhaftierten eingesetzt.
Der Bundeskanzler hat mich gerade eben im Kabinett ermächtigt, das hier öffentlich bekanntzugeben.
In der Erklärung des Nordatlantikrates vom 18. Mai 1982 heißt es:Die Bündnispartner erinnern an ihre Erklärung vom 11. Januar 1982 und fordern die polnischen Behörden erneut dringend auf, das Kriegsrecht aufzuheben, alle Inhaftierten freizulassen und zu einem echten Dialog mit der Kirche und der Gewerkschaft Solidarität zurückzukehren.
Mit diesen Forderungen wird erneut auf jene Zusagen Bezug genommen, die der polnische Militärrat am 13. Dezember 1981 abgegeben hat. Wir halten die Einlösung dieser Zusagen im Interesse des inneren Friedens in Polen für unerläßlich.
Menschenrechte und Selbstbestimmungsrecht der Völker bleiben aber auch das Fundament der internationalen Zusammenarbeit; denn dort, wo diese Rechte verletzt werden, gefährdet dies unser Bemühen um Friedenssicherung.Die Bundesregierung und ihre Partner in der Europäischen Gemeinschaft und in der Nordatlantischen Allianz sind fest davon überzeugt, daß ohne Erfüllung unserer drei Forderungen, zu denen auch — ich wiederhole es — die Freilassung der Inhaftierten gehört, der Dialog mit der Kirche und der Gewerkschaft Solidarität in Polen nicht zustande kommen kann. Ohne echten Dialog kann nicht jener Konsens erreicht werden, den Polen braucht, um die gegenwärtige innenpolitische Immobilität und das tiefe Mißtrauen gegenüber den Regierenden zu überwinden.Uns läßt das Schicksal des polnischen Volks nicht ungerührt. Die Leiden des polnischen Volks verpflichten uns in besonderem Maße. Die Bereitschaft zur Verständigung mit Polen und das Verständnis für die schwierige Lage in Polen sind sehr deutlich in der spontanen Pakethilfe und in der Spendenbereitschaft zum Ausdruck gekommen. Darauf ist bereits hingewiesen worden. Allein vom 8. Februar bis Ende Mai dieses Jahres wurden 2,9 Millionen Pakete nach Polen geschickt. Das sind täglich über 30 000 Pakete. Mit der gegenüber 1981 verdreifachten Menge privater Postpakete wurde eine zusätzliche individuelle Hilfe mobilisiert. In dieser Zahl zeigt sich auch, daß wir in diesem Lande nicht bei Appellen und Erklärungen stehengeblieben sind, sondern aktiv geholfen haben, um der polnischen Bevölkerung in einer schweren Zeit und in einer schwierigen Situation zur Seite zu stehen und Solidarität zu praktizieren. Ich hoffe, daß diese Hilfsbereitschaft nicht nachläßt, denn Polen hat noch immer sehr große Versorgungsprobleme.Das, was der Abgeordnete Voigt über den Prozeß der Versöhnung mit dem polnischen Volk, der durch diese spontane Hilfsaktion neue Impulse erhält, gesagt hat, kann ich nur unterstreichen.Der Deutsche Bundestag hat in seinen Entschließungen vom 18. Dezember 1981 und vom 14. Januar 1982 die Erwartungen, die wir alle — aber nicht nur wir — gegenüber der polnischen Regierung haben, deutlich formuliert. An diesen drei Punkten, von denen jeder für sich sein Gewicht und seine besondere Bedeutung hat, wollen wir — das ist ja auch schon von mehreren Rednern zum Ausdruck gebracht worden — festhalten, und ich bin sicher, daß es dann gelingen wird, die Resolution im Auswärtigen Ausschuß noch in diesem Sinne zu ergänzen. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Abgeordneten Jäger , Graf Huyn, von der Heydt Freiherr von Massenbach und weiterer Abgeordneter der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/1541 an den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen. — Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes
— Drucksache 9/1696 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: RechtsausschußMeine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus mit dieser Regelung einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
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6420 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1982
Vizepräsident WurbsIch eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Götz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorgelegte Gesetzentwurf hat als Ziel die Erweiterung des Katalogs der die Verjährung unterbrechenden Handlungen und die bedingte Hinausschiebung des Zeitpunkts für den Eintritt der absoluten Verfolgungsverjährung bei Vergehen, die im Höchstmaß mit drei oder fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind.Da wir hier wieder im kleinen und intimen Kreise der Mitglieder des Rechtsausschusses zusammen sind, darf ich diese Veranstaltung mehr privatissime sehen und selbstverständlich Ihnen, meine Damen und Herren Kollegen, auch gratis berichten, um was es sich hierbei handelt.
— Für Sie, meine Damen und Herren in diesem Saal, gratis! Das heißt, ich verzichte auf ein gesondertes Honorar.
Für die Nichtjuristen darf ich das, was ich über die Zielsetzung gesagt habe, übersetzen: Der Gesetzentwurf möchte, daß in Teilbereichen der Wirtschaftskriminalität Verjährungsfristen verlängert werden. Er geht auf praktische Erfahrungen bei der Bearbeitung von Großverfahren — vorwiegend im Bereich der Wirtschaftskriminalität — zurück. Dabei hat sich gezeigt, daß solche Verfahren durch zahlreiche Gründe verzögert werden, daß Straftaten mit erheblichem Unrechtsgehalt verzögert verfolgt werden und daß teilweise Täter, die solche Straftaten im Bereich der Wirtschaftskriminalität begehen, straffrei bleiben.Insbesondere wurden folgende Verzögerungsgründe bekannt:Erstens. Strafrechtliches Fehlverhalten wird zu spät bemerkt, weil zunächst äußerlich korrektes wirtschaftliches Verhalten die Straftat verdeckt.Zweitens. Die Ermittlungen sind wegen der Stofffülle und der Kompliziertheit der wirtschaftlichen Vorgänge besonders schwierig.Drittens. Das Verfahren wird durch ein auf Zeitgewinn gerichtetes Prozeßverhalten des Angeklagten — z. B. durch verspätete Einlassungen, zum Teil durch Verhandlungsunfähigkeit — bewußt verzögert.Viertens. Die Wirtschaftsstrafkammern und die Zentralstellen der Staatsanwaltschaften sind überlastet.Die genannten Verzögerungsgründe haben nach Angaben der Landesjustizverwaltungen dazu geführt, daß in Fällen von Betrug, Subventionsbetrug, Untreue oder Bankrott Täter, die einzelne, aber auch die Gesellschaft mit beträchtlichen Schäden belasten, strafrechtlich nicht mehr belangt werden können. Nach geltendem Verjährungsrecht beträgt bei diesen Tatbeständen die Strafandrohung bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe, so daß nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB die gesetzliche Verjährungsfrist ebenfalls fünfJahre betragen würde. Da die absolute Verjährungsfrist, d. h. die äußerste durch Unterbrechung der normalen Verjährungsfrist erreichbare Verjährungsfrist, auf das Doppelte bemessen ist, stehen in den genannten Fällen höchstens zehn Jahre für die Durchführung des Verfahrens zur Verfügung. Dieser Zeitraum reicht nach der Erfahrung von Staatsanwaltschaften und Gerichten nicht aus, um das Verfahren mit einem erstinstanzlichen Urteil abschließen zu können. Erst nach Abschluß durch ein erstinstanzliches Urteil würde nach der gegenwärtigen Rechtslage die Verjährungsfrist nicht mehr weiterlaufen.Ich teile die Auffassung unserer Länder — insoweit stimme ich auch mit Herrn Bundesjustizminister Schmude überein, der das an anderer Stelle gesagt hat —, daß bei langwierigen Verfahren gegen sogenannte Weiße-Kragen-Täter die Prozeßverzögerung nicht noch mit dem Eintritt der endgültigen Verjährung prämiiert werden darf.Andererseits bin ich der Auffassung, daß Eingriffe in das System des Verjährungsrechts nur als letztes Mittel zur Anwendung kommen dürfen, wenn alle anderen Möglichkeiten der Prozeßbeschleunigung ausgeschöpft worden sind. Auch dann sollten die aufgezeigten Schwierigkeiten nur durch einen möglichst geringen Eingriff in das Recht der Verjährung behoben werden. Die CDU/CSU-Fraktion teilt insofern die Auffassung der Bundesländer, daß eine allgemeine Verlängerung der Verjährungsfristen oder gar eine gerichtliche Entscheidung im Einzelfall über die Verlängerung der Verjährungsfrist ausscheiden.Aber auch der Lösungsvorschlag des Bundesrats begegnet nach meiner Auffassung erheblichen Bedenken. Schon jetzt ist eine absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren ein sehr langer Zeitraum, in dem nicht nur das Bedürfnis nach Strafe, sondern vor allem die Möglichkeit der Aufklärung des Sachverhalts, z. B. wegen Nachlassens des Erinnerungsvermögens von Zeugen, zunehmend schwindet. Erst recht würde dies für einen Verjährungszeitraum von 15 Jahren gelten, der im Entwurf als absolute Verjährungsfrist bei den genannten Delikten vorgeschlagen wird.In diesem Zusammenhang wird zu Recht auf die Vereinbarkeit einer so langen Verfahrensdauer mit Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Menschenrechtskonvention verwiesen. Immerhin hat der Bundesgerichtshof entschieden, daß schon ein Zeitraum von 13 Jahren und zehn Monaten die angemessene Verfahrensdauer bei weitem überschreiten würde, auch wenn ein — so das Bundesgerichtshof-Urteil — außerordentlich umfangreicher Prozeßstoff zu bewältigen war. Es handelte sich in diesem Fall um ein Sprengstoffdelikt, das sicherlich von nicht weniger großem Unrechtsgehalt begleitet war, wie dies normalerweise bei Delikten der Wirtschaftskriminalität der Fall ist.Nun wird man umgekehrt allerdings eine Verlängerung der Verjährungsfristen auch nicht allein mit dem Hinweis auf die Menschenrechtskonvention oder die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ablehnen können. Vielmehr ist es nach meiner Auf-
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Dr. Götzfassung erforderlich, ein unabweisbares Bedürfnis für die Verlängerung der Verjährung dadurch nachzuweisen, daß ansonsten die Waffengleichheit zwischen Strafverfolgung und Täter nicht mehr gewährleistet sei. Dieser Nachweis wurde jedoch nach meinen Betrachtungen bisher nicht in ausreichendem Maße seitens der Länder oder des Bundesrates erbracht.Sicher darf eine so tief eingreifende Änderung der Verjährungsregelung nicht mit beispielsweise personellen und technischen Schwierigkeiten bei den Wirtschaftsstrafkammern oder in den Zentralstellen der Staatsanwaltschaft begründet werden. Auch die Komplexität der Materie, die angeführt wird, kann die Waffengleichheit zwischen Staatsanwaltschaft und Täter nach meiner Auffassung nicht beeinträchtigen. Was für den Täter durchschaubar ist und durchschaubar war, muß nach meiner Auffassung auch für den kundigen Staatsanwalt und Richter durchschaubar sein. Notfalls kann eine entsprechende Ausbildung von Staatsanwälten und Richtern hier für den notwendigen Wissensstoff sorgen, so daß insoweit rein wissensmäßig, erkenntnismäßig kein Defizit seitens der Strafverfolgungsbehörden bestehen dürfte. Ein eventuell erhöhter Arbeitsaufwand kann notfalls durch Personalmehrung oder durch Einsatz von Technik ausgeglichen werden.Nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion muß deshalb im Verlauf der weiteren Beratungen zu diesem Gesetz nachgewiesen werden können, daß bei den genannten Delikten ein erstinstanzliches Urteil innerhalb der heutigen Verjährungsfristen aus zwingenden rechtlichen und tatsächlichen Gründen in der Regel ausscheidet.Die bisher vorgetragenen Bedenken gegen den vorgelegten Gesetzentwurf bestehen allerdings nicht gegen den zweiten Teil des Entwurfs, nämlich gegen die Übernahme der für die gerichtliche Einstellung des Verfahrens bestehenden Regelung aus § 78 c Abs. 1 Nr. 10 des Strafgesetzbuches für Fälle der vorläufigen Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft vor Eröffnungsbeschluß und nach Erlaß eines Haftbefehls. Diese vorgeschlagene Lösung führt nicht zu einem Bruch mit dem Grundgedanken der Verjährung und erscheint auch im Hinblick auf die in der Praxis gemachten Erfahrungen dringend erforderlich. Die CDU/CSU-Fraktion wird deshalb einer entsprechenden Gesetzesänderung zustimmen.Insgesamt sind wir der Auffassung, daß mit dem Gesetzentwurf des Bundesrates eine begrüßenswerte Initiative zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vorgelegt wurde. Es geht sicher nicht an, daß es den Kriminellen mit dem weißen Kragen zunehmend gelingt, sich der gerechten Strafe zu entziehen, während andere Täter mit geringerer krimineller Intensität in der Regel bestraft werden können. Dies führt zur Ungleichheit in unserem Land, und es stört das Rechtsempfinden unserer Bürger in erheblichem Maße.Es wäre deshalb auch an der Zeit, daß endlich der von dem Herrn Bundesjustizminister seit längerem angekündigte Entwurf eines weiteren Strafrechtsänderungsgesetzes, in dem neue Tatbestände derWirtschaftskriminalität erfaßt werden sollen, vom Parlament beraten werden kann.
Ich nehme an und hoffe, daß wir bei den weiteren Beratungen zu diesem Gesetzentwurf des Bundesrats wie aber auch zu dem Gesetzentwurf, den die Bundesregierung vorlegen wird — den sie jedenfalls versprochen hat, vorzulegen —, in diesem Haus an einem Strick ziehen, weil es an der Zeit ist, im Bereich der Wirtschaftskriminalität maßgeblich voranzukommen.Meine Damen und Herren, ich bedanke mich, daß Sie in dieser Mittagsstunde auch diesen rechtspolitischen Ausführungen zugehört haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lambinus.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach geltendem Strafrecht läuft für die meisten Eigentums- und Vermögensdelikte, zum Beispiel Diebstahl, Betrug, Untreue, Steuerhinterziehung, fünf Jahre nach der Tat die sogenannte einfache Verjährungsfrist ab. Diese Regelung ist vernünftig. In aller Regel ist das Strafbedürfnis entfallen, wenn eine derartige Tat fünf Jahre unentdeckt geblieben ist. Die Beweis- und Verteidigungsmöglichkeiten sind durch Zeitablauf erheblich eingeschränkt. Werden jedoch Ermittlungen vor Ablauf von fünf Jahren aufgenommen, beginnt grundsätzlich noch einmal die Fünfjahresfrist von vorn. Die sogenannte absolute Verjährungsfrist zieht derzeit regelmäßig nach der doppelten Zeit, hier also nach zehn Jahren, den endgültigen Schlußstrich unter ein Strafverfahren.Auch diese Regelung ist für den Normalfall angemessen. Sie führt jedoch dazu, daß insbesondere der Wirtschaftsstraftäter eine gute Chance hat, bei einer kompliziert angelegten Straftat und bei extensiver Ausnutzung der Möglichkeiten der Strafprozeßordnung das rettende Ufer der Verjährung zu erreichen.Da im Bereich der Wirtschaftskriminalität Straftaten meistens in Formen äußerlich korrekter wirtschaftlicher Betätigung begangen werden und strafrechtlich relevantes Fehlverhalten oft erst längere Zeit nach Tatbeendigung erkennbar wird, zum Beispiel im Anschluß an Firmenzusammenbrüche oder Betriebsprüfungen, ist bei Aufnahme der Ermittlungen häufig ein nicht unerheblicher Teil der insgesamt zur Verfügung stehenden Zehnjahresfrist bereits abgelaufen.Lassen Sie mich ein konkretes Beispiel nennen. Wird eine Tat vier Jahre nach ihrer Begehung entdeckt und dauern die umfangreichen Ermittlungsarbeiten, eventuell erschwert durch die zu sichtenden Aktenberge und eventuelle internationale Verflechtungen, die bürokratische Rechtshilfeersuchen erforderlich machen, drei oder vier Jahre, so stehen dem Gericht für die Einarbeitung und Durchführung der Hauptverhandlung nur noch zwei bis drei Jahre
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Lambinusbis zum Eintritt der absoluten Verjährung zur Verfügung. In dieser Situation wächst die Motivation des Beschuldigten und der Verteidigung, die Möglichkeiten der Strafprozeßordnung über Gebühr auszureizen.Die geltenden Verjährungsregelungen privilegieren daher bestimmte Gruppen von Beschuldigten. Gerade diejenigen, die im Verdacht stehen, der Gemeinschaft beträchtlichen Schaden zugefügt zu haben, können durch die geltende Gesetzeslage einer gerechten Bestrafung entgehen. Umfangreiche personelle und finanzielle Verfahrensaufwendungen werden nutzlos, wenn eine Sachentscheidung wegen des Eintritts der absoluten Verjährung nicht mehr ergehen kann.Das geltende Recht geht von der Vorstellung aus, daß nach Ablauf von zehn Jahren der Rechtsfriede wieder insoweit hergestellt ist, daß es einer gerichtlichen Entscheidung nicht mehr bedarf, daß der Staat seinen Strafanspruch insoweit verloren hat. Der Rechtsfriede wird jedoch nicht wieder dadurch hergestellt, daß während einer laufenden Hauptversammlung die Beteiligten an einem Tage X auseinandergehen müssen, und nur über die Kosten des Verfahrens, nicht aber über die Sache zu entscheiden ist. Der Staat darf seinen Strafanspruch nicht dadurch verlieren, daß der Beschuldigte selbst zielbewußt durch Hinhaltetaktik im Strafverfahren den Eintritt der Verjährung bewirkt.Der Gesetzentwurf des Bundesrates bezeichnet das Regelungsbedürfnis zutreffend. Es gibt zweifellos noch die eine oder andere organisatorische Beschleunigungsmöglichkeit für die Justiz im Verfahren selbst. Im Bereich der Strafprozeßordnung wird man sich Gedanken machen müssen, inwieweit das Verfahren beschleunigt werden kann, ohne das berechtigte Interesse des Beschuldigten zu vernachlässigen.Schon vor zehn Jahren hat Professor Tiedemann darauf hingewiesen, daß die aus der Reformgesetzgebung des 19. Jahrhunderts stammende Beweismaxime der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit in ihrer heutigen gesetzlichen Ausformung nur auf Verfahren normalen oder geringen Umfangs paßt, dagegen bei Großverfahren nicht nur kaum durchführbar, sondern geradezu sinnlos ist, und daß ihre Vorzüge in das Gegenteil verkehrt werden.Welche Regelung im Bereich der Verjährungsvorschriften letztendlich die optimale ist, wird im Ausschuß zu beraten sein. Neben dem Vorschlag des Bundesrates wäre es beispielsweise auch denkbar, den Zeitpunkt, von dem an keine Verjährung mehr eintritt, vom Erlaß des Urteils in erster Instanz — so die gegenwärtige Rechtslage — auf den Beginn der Hauptverhandlung vorzuverlegen.Jeder Änderung des Verjährungsrechts — Kollege Götz hat bereits darauf hingewiesen — setzt Art. 6 der Menschenrechtskonvention, der eine Durchführung eines Verfahrens innerhalb einer angemessenen Frist gebietet, auch zukünftig Grenzen.Eines bleibt festzuhalten. Ein Handlungsbedarf besteht. Dies ist vom Bundesrat richtig erkannt undwird auch von uns anerkannt. Um noch einmal Tiedemann zu zitieren:Das Verfassungsgebot der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verlangt, daß nicht nur die relativ einfachen Formen der Primitivkriminalität, sondern auch versteckt und verdeckt angelegte Wirtschaftsbetrügereien zum Schaden der Allgemeinheit und der Verbraucher, der Konkurrenten und der Wettbewerbswirtschaft nachhaltiger als bisher bekämpft werden.Wir Sozialdemokraten werden im Rechtsausschuß für eine zügige Behandlung des Gesetzentwurfs sorgen. — Recht herzlichen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Bergerowski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden Kollegen haben sehr ausführlich dargestellt, um welches Problem es sich handelt. Dabei ist meine Fraktion mehr der Auffassung, die Kollege Götz vorgetragen hat, daß ein Regelungsbedürfnis — jedenfalls bezüglich einer Regelung, wie sie jetzt vom Bundesrat vorgeschlagen ist — nicht besteht. Wohl sind wir uns in einem einig: daß uns Erscheinungen bei der Bewältigung gerade dieser Großverfahren zwingen müssen, darüber nachzudenken, wie wir in den nächsten Jahren überhaupt fertig werden und die Überlastung der Justiz bewältigen können, wie wir die Dauer der Verfahren gerade in Wirtschaftsstrafsachen bewältigen können.Der Einstieg, der im Augenblick mit der Vorlage aus dem Bundesrat versucht wird, befriedigt uns nicht. Dieses ganze Problem muß eher in den Zusammenhang anderer Beschleunigungsaktionen gestellt werden. Dann kann man über Einzelfragen, wie sie Herr Götz für einen Fall angeschnitten hat, vielleicht ernsthaft nachdenken.Wir sind uns einig, daß es hier ein Problem gibt. Aber ich muß für die Fraktion sagen, daß wir genau die Bedenken teilen, die die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme vorgetragen hat, die eben auch sagt — das wird uns nachher der Herr Staatssekretär noch im einzelnen vortragen —, daß genau der Lösungsweg nicht der rechte ist.Ich finde, das Element der Verjährung hat eben auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten einen Stellenwert, weil Verjährung j a nicht nur eine Schutzvorschrift ist, die jemanden, der eigentlich bestraft werden müßte, der verdienten Bestrafung entziehen soll, sondern auch den Sinn hat, einen Prozeß irgendwann einmal nicht mehr möglich zu machen, weil man Zweifel daran hat, daß er ordnungsgemäß zu Ende geführt werden kann, weil Beweismittel verlorengehen könnten; es könnten Probleme des Nachweises entstehen. Das ist die eine Seite. Zum anderen spielt auch eine Rolle, daß irgendwann mit der Verfolgung Schluß sein muß.Ich meine, das sollte man in diesem Zusammenhang zumindest deshalb sehen, weil es sich um
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BergerowskiStraftaten handelt — das hat Kollege Dr. Götz deutlich gesagt —, die der Höhe nach nicht zu der schweren Taten gehören, wie wir sie im Strafgesetzbuch beschrieben haben, sondern weil es um einen Strafrahmen geht, der zwischen zwei, drei, vier und fünf Jahren liegt. Das ist eben auch ein Ausweis dafür, daß das Unrecht, welches hinter allem steht, und die Notwendigkeit, mit den Mitteln des Strafrechts einzugreifen, begrenzt sind. Wir sehen, daß es schwerere und weniger schwere Taten gibt. In der Relation steht natürlich auch die Regelung, die bislang für die Frage der Verjährung gefunden wurde.Weiter ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß langwierige Prozesse — wir würden natürlich langen Prozessen Vorschub leisten, wenn es kein Ende durch den Eintritt der Verjährung gibt — etwas sind, was uns in einen Konflikt mit den Regelungen bringt, die sich inzwischen durchgesetzt und in der Europäischen Menschenrechtskonvention ihren Niederschlag gefunden haben. Wir müssen daran denken, einfach auch mit Rücksicht auf die internationalen Vorstellungen unsere Verfahren wieder zurückzuschrauben. Aber das ist nicht nur Rücksichtnahme auf internationales Recht, sondern entspricht auch unserem eigenen Rechtsverständnis, daß nur dann Recht richtig gewährt ist und ein Rechtsstaat funktioniert, wenn er mit seinen Verfahren in angemessener Zeit zu Ende kommt.
Das ist in diesem Land in der Tat ein Riesenproblem. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, wie wir es schaffen, unsere Gerichte und Staatsanwaltschaften leistungsfähiger zu machen. Einstiege sind durch zentrale Strafkammern und zentrale Staatsanwaltschaften gemacht worden. Andere Wege wurden aufgezeigt — etwa durch Abkoppelung von Tatbeständen und Sachverhalten, die nicht unbedingt in dem eigentlichen Verfahren aufgeklärt werden müssen, oder durch Nutzung der Möglichkeiten des § 154 und anderes mehr —, zu einer Konzentration im Verfahren zu kommen.Ich meine, unsere Forderung muß sein, endlich darüber zu beraten, wie durch rechtsstaatlich vertretbare Veränderungen des Prozeßrechts die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß in der zur Verfügung stehenden Zeit, die hier immerhin zehn Jahre beträgt — das hat auch Kollege Götz dargestellt —, ein Verfahren dieser Art zum Ende kommt. Dies ist im Interesse des Ansehens der Justiz ein Ziel, dem wir uns konzentriert und aufmerksam widmen müßten. Und dann sollten wir diesen Weg, der eher wieder eine Schleuse öffnet, das Nachdenken aufzuschieben, nicht weitergehen.Mit diesen wenigen Anmerkungen will ich es für heute bewenden lassen. Wir müssen im Ausschuß selbst darüber nachdenken. Wir müssen aber inzwischen auch bei Bundesregierung und den Fraktionen darüber nachdenken, wie wir das, was jetzt insgesamt in der Diskussion ist — auch in der Diskussion mit den Justizministern der Länder —, endlich ins Parlament bringen, und wie das im nächsten Jahr durch eine inhaltliche Diskussion weiter vorangetrieben werden kann. — Ich bedanke mich bei Ihnen recht herzlich.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesrat sieht Schwierigkeiten bei der Strafverfolgung von WeißeKragen-Tätern und will verhindern, daß Verfahren gegen Weiße-Kragen-Täter wegen Verjährung eingestellt werden, will verhindern, daß damit WeißeKragen-Täter straffrei bleiben. Gegen dieses Ziel wendet sich selbstredend niemand in diesem Hause; das ist gut so. Fraglich bleibt bloß, ob die angebotenen Methoden die richtigen sind und ob wir jetzt schon sagen können: nur auf diese Art und Weise und auf keine andere.Der Bundesrat macht hierzu zwei Vorschläge. Einmal will er, daß schon gegen den Beschuldigten, wenn er abwesend ist und gegen ihn ein Haftbefehl besteht, die Verjährung unterbrochen werden kann. Dagegen gibt es allgemein keine Bedenken. Im Grunde genommen wird damit nur auf den Beschuldigten erstreckt, was schon gegen den Angeschuldigten möglich ist, also gegen den, der ebenfalls ebenso verdächtig ist und sich aber bereits in einem späteren Stadium befindet.Fraglich aber wird es bei dem zweiten Vorschlag des Bundesrates, nach dem er die Verjährung in bestimmten Fällen von dem bisher Zweifachen auf das Dreifache ausgedehnt wissen will, wobei sich die dreifache Ausdehnung nicht allein auf die WeißeKragen-Täter bezieht, sondern auf alle, die von dem entsprechenden Strafrahmen erfaßt werden. Hierzu gibt es folgende Bedenken:Wie Sie wissen, wird unser Strafprozeßrecht u. a. von drei Prinzipien beherrscht. Einmal sollen Verdächtige rasch verfolgt werden nach dem Prinzip: spätes Recht ist halbes Recht. Zum zweiten muß nach dem Legalitätsprinzip dafür Sorge getragen werden, daß alle gleichermaßen und nach Möglichkeit in gleicher Zeit zur Verantwortung gezogen werden. Drittens muß irgendwann einmal mit der Strafverfolgung Schluß sein. Das heißt, das Rechtsinstitut der Verjährung sagt, wann mit der Strafverfolgung aufgehört werden muß. Diese Einrichtung dient, wie wir sagen, dem Rechtsfrieden.Die letzte Einrichtung nun steuert mittelbar und unmittelbar die beiden ersten Prinzipien. Erst mit der Großen Strafrechtsreform im Jahre 1969 und dann mit dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch zu Beginn der 70er Jahre haben wir diese Fragen, wie wir meinen, sehr differenziert geregelt, und seitdem haben diese Vorschriften auch gut gearbeitet. Bedenken dagegen sind nicht erhoben worden.Die Verjährung ist danach ausgerichtet worden, wie schwer die Straftat ist, indem man die Zeit der Verjährung nach dem Strafrahmen der Straftaten bewertet. Zusätzlich haben die Staatsanwälte und Richter noch ein Regulativ in der Hand, indem sie durch gewisse Maßnahmen die Verjährung verlän-
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Parl. Staatssekretär Dr. de Withgern können, und genau da liegt, wenn ich das so formulieren darf, der Hase im Pfeffer.Wenn, dem Willen des Bundesrates entsprechend, von einer Verzweifachung in einem bestimmten Deliktskreis auf eine Verdreifachung übergegangen wird, dann besteht natürlich auch die Gefahr, daß viele andere Verfahren, bei denen es einen Druck überhaupt nicht gibt, sich automatisch verlängern und damit das erste Prinzip, spätes Recht ist halbes Recht, Schaden leidet. Das wollen wir alle nicht. Auf der anderen Seite wünschen wir natürlich, daß jeder Weiße-Kragen-Täter zur Verantwortung gezogen wird und nicht durch Rechtsanwälte, die mit dem Prozeßrecht gut „Klavier spielen" können, erreicht wird, daß sich der Richter vor die Situation gestellt sieht: ich kann kein Urteil erlassen; ich muß das Verfahren einstellen — wodurch dann der Weiße-Kragen-Täter freikäme. Deswegen sollte im Rechtsausschuß nach Aufbereitung allen Materials sehr sorgfältig geprüft werden, ob nicht die bereits vorhandenen Instrumentarien ausreichen. Manchmal habe ich das Gefühl, daß von der Möglichkeit der Einstellung nach § 154 StPO zu wenig Gebrauch gemacht wird, weswegen sich die Verfahren automatisch verzögern.Daß die Bundesregierung Weiße-Kragen-Täter sehr nachdrücklich bekämpft wissen will, ergibt sich schon daraus, daß wir in der letzten Legislaturperiode mit Zustimmung des gesamten Hauses das erste Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität durchgeboxt haben — wenn ich so sagen darf — und die Bundesregierung, Herr Kollege Götz, bereits den zweiten Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität verabschiedet hat. Ich gehe davon aus, daß auch dieses Gesetz wiederum mit Zustimmung des gesamten Hauses recht bald verabschiedet werden wird.Wenn wir meinen, daß es Einzelfälle gibt, in denen wegen der vorhandenen Verjährungsregelung die Gefahr begründet ist, daß ein Weiße-Kragen-Täter nicht verurteilt werden kann, dann sollten wir auch nach anderen als den angebotenen Möglichkeiten suchen, nach Möglichkeiten, die allein auf WeißeKragen-Täter zugeschnitten sind, die aber nicht für andere Fälle gebraucht oder vielleicht auch mißbraucht werden können.Aus diesen Gründen ist die Bundesregierung der Auffassung: Das Ziel ist verständlich und wird von allen geteilt. Bedenken dagegen erheben sich nicht. Allerdings müssen wir prüfen, ob die vorgeschlagene Methode die richtige ist. Wenn wir das vorhandene Material aufbereitet haben, werden wir weitersehen. — Vielen herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 1696 an den Rechtsausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? —
Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 9/1731 —
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Zur Beantwortung der gestellten Fragen begrüße ich den Parlamentarischen Staatssekretär Stahl.
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Peter auf:
Gibt es Fälle, in denen internationale Konzerne mit Bundesmitteln geförderte Forschungsprojekte im Ausland wirtschaftlich verwerten?
Herr Präsident, darf ich vielleicht mit Genehmigung des Herrn Kollegen Peter beide Fragen hintereinander beantworten?
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Peter auf:Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung sicherzustellen, daß mit Bundesmitteln geförderte Forschungsprojekte in der Bundesrepublik Deutschland wirtschaftlich verwertet werden?Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Peter, Ihre Fragen beantworte ich wie folgt: Die wirtschaftliche Verwertung von mit Bundesmitteln geförderten Forschungsprojekten im Ausland ist nach den Bewilligungsbedingungen des Bundesministers für Forschung und Technologie nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Solche Fälle sind bisher aber nur äußerst selten vorgekommen. Um die Möglichkeit einer Verwertung von Ergebnissen im Ausland im Einzelfall beurteilen zu können, bedürfen Zusammenarbeits-Verträge, Lizenz-, Know-how- und ähnliche Verträge des Zuwendungsempfängers mit Dritten im Ausland der vorherigen Zustimmung des Bundesministers für Forschung und Technologie.Zur zweiten Frage: Bei der Bewilligung von Forschungsprojekten geht die Bundesregierung von dem Grundsatz aus, daß die Ergebnisse grundsätzlich im Inland verwertet werden. Die bereits erwähnte Genehmigungspflicht für Zusammenarbeits-Verträge mit dem Ausland dient der Prüfung, ob hier im Einzelfall eine Ausnahme möglich ist. Verwendet der Zuwendungsempfänger das Ergebnis ausschließlich oder überwiegend ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Zuwendungsgebers im Ausland, so kann der Zuwendungsgeber, d. h. in diesem Fall der Bundesminister für Forschung und Technologie, die Zuwendung zurückfordern. Außer-
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Parl. Staatssekretär Stahldem muß der Zuwendungsempfänger, also das Unternehmen, einem Dritten fertigungstechnische Hilfe leisten, damit dieser die Ergebnisse im Inland verwerten kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Peter.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie im Zusammenhang mit Ihrer Antwort zu Frage 1 etwa folgenden Sachverhalt: Gefördert werden anwendungstechnische Untersuchungen für Aramitfasern als Asbestersatz. Der das Projekt betreibende Konzern beschließt daraufhin, eine Aramitfaserproduktion im Ausland aufzunehmen, was er ohne einen erfolgreichen Abschluß des Forschungsprojekts sicherlich nicht tun würde.
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Peter, ich kann Ihnen im einzelnen auf das, was Sie hier vorgetragen haben, natürlich keine abschließende Antwort geben. Nach meiner Kenntnis des hier Angesprochenen ist vom Bundesminister für Forschung und Technologie nicht die Herstellung, auch nicht die Verarbeitung selbst, sondern ein Projekt der künftigen Anwendungsmöglichkeiten für diese Faser gefördert worden, so daß nicht daraus geschlossen werden kann, daß ein Verstoß gegen die Bewilligungsbedingungen des Bundesministeriums für Forschung und Technologie vorliegt.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Peter.
Wenn ich Sie richtig verstehe, wäre also eine Folgeproduktion, die sich aus einem anwendungsbezogenen geförderten Forschungsprojekt ergibt, durch die von Ihnen angesprochenen Regelungen nicht betroffen.
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Peter, der Fall, den Sie mir hier geschildert haben, ist mir nicht im einzelnen bekannt. Ich habe versucht darzustellen, daß es in dem von Ihnen angesprochenen Fall der Faser nicht um die Herstellung ging, sondern daß wir nur Untersuchungen über Anwendungsmöglichkeiten mit einem verhältnismäßig geringen Zuschuß gefördert haben.
Eine dritte Zusatzfrage, Herr Kollege Peter.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen im Zusammenhang mit den Möglichkeiten, solchen Technologietransfer zu verhindern, Regelungen bekannt, mit denen andere EG-Länder das in ihrem Land versuchen?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Peter, mir sind die Regelungen anderer EG-Länder im einzelnen nicht bekannt.. Aber ich gehe davon aus, daß andere EG-Länder, sofern sie Forschungsförderung betreiben, ähnliche Vorschriften haben wie die Bundesrepublik Deutschland. Falls es Sie interessiert, würde ich Ihnen gerne einmal die Bewirtschaftungsgrundsätze für die Forschungsförderung zur Verfügung stellen, damit Sie sich selbst einmal einlesen können. Dies ist insgesamt eine sehr komplizierte
Materie. Wir gehen natürlich davon aus, daß Tochterunternehmen ausländischer Firmen, die hier in der Bundesrepublik Forschung betreiben und Mittel der öffentlichen Hand bekommen, ihre Ergebnisse auch hier verwerten. Wenn sie das nicht tun wollen und Teile der Ergebnisse an ihre Muttergesellschaft im Ausland weitergeben wollen, bedarf dies der Zustimmung des Bundesministers für Forschung und Technologie.
Eine Anschlußfrage, Herr Kollege Czaja.
Herr Staatssekretär, gibt es Fälle der Verwertung der Ergebnisse von Forschungsprojekten auf dem Gebiete der Hochtechnologie durch Transfer in den Ostblock, oder wird das sachkundig unter Beteiligung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie überwacht?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Czaja, Sie haben den ganzen breiten technologischen Bereich der Bundesrepublik Deutschland angesprochen und dies mit einer Verwertung in den Ostblockländern verknüpft. Ich kann Ihre Frage nicht beantworten. Sie ist zu weit gefaßt. Sie reicht sicherlich über die Zuständigkeit des Bundesministers für Forschung und Technologie hinaus.
Keine weitere Frage.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung begrüße ich Herrn Staatssekretär Grüner.
Die Fragesteller der Fragen 3 bis 9 haben um schriftliche Beantwortung gebeten. Dem wird entsprochen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Dr. Scheer auf:
Wie schätzt die Bundesregierung die Überkapazitäten der elektrotechnischen Industrie im Bereich der „weißen" und „braunen" Geräte in der Bundesrepublik Deutschland und in Westeuropa ein?
Der Herr Abgeordnete ist im Saal. Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Die beiden von Ihnen genannten Bereiche, Herr Kollege, muß man wohl getrennt betrachten. Bei der sogenannten „weißen" Ware — damit ist der Bereich der Elektrohausgeräte gemeint — sind die Kapazitäten der deutschen Hersteller nach deren Angaben zur Zeit durchschnittlich nur zu rund 75 % ausgelastet. Die Jahresproduktion liegt bei knapp 10 Milliarden DM. Sie ist im vergangenen Jahr um nominal 0,7% — das sind real etwa 3 bis 4%—
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Parl. Staatssekretär Grünerzurückgegangen. Die Exportsteigerung um nominal 5,7 % konnte keinen Ausgleich für das schwache Inlandsgeschäft bringen. Bei der „braunen" Ware — also der Unterhaltungselektronik — ist die Produktion im letzten Jahr um nominal 7,1 % auf rund 8 Milliarden DM zurückgegangen. Kapazitätsanpassungen in den vergangenen Monaten stehen auch damit im Zusammenhang. In den einzelnen Ländern Westeuropas liegen die Verhältnisse in den beiden von Ihnen angesprochenen Bereichen jeweils sehr unterschiedlich. Bei der „weißen" Ware wird man wohl auch für den Gesamtbereich der Europäischen Gemeinschaft gewisse Überkapazitäten feststellen müssen. Bei der „braunen" Ware sind die Produktionskapazitäten weltweit verflochten. Kapazitätsanpassungen dürften auch hier unvermeidlich sein.
Wünschen Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege Scheer? — Das ist nicht der Fall. Auch sonst wird das Wort zu einer Zusatzfrage nicht gewünscht.
Dann rufe ich die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Dr. Scheer auf:
Welche Chancen bestehen nach Auffassung der Bundesregierung angesichts der Marktlage und der internationalen Konkurrenzsituation für eine Stabilisierung der Produktionskapazitäten der deutschen elektrotechnischen Industrie im Bereich der „weißen" und „braunen" Geräte?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Auch hier würde ich die beiden Bereiche — „weiße" Ware und „braune" Ware — wieder getrennt darstellen. Der Elektrohausgerätemarkt in der Bundesrepublik ist weitgehend gesättigt. Im Großgerätebereich liegen die Neugeschäfterwartungen lediglich bei Geschirrspülern, wo eine Marktsättigung von erst 22 % erreicht ist, und bei Wäschetrocknern, wo die Marktsättigung 8 % beträgt. Der Rückgang der Realeinkommen und das hohe Zinsniveau wirken hier jedoch zur Zeit dämpfend.
Im übrigen wird der Absatz in der Hauptsache vom Ersatzbedarf getragen. Das bedeutet: Stagnation auf hohem Niveau. Mittel- und langfristig sehe ich die Chancen der deutschen Hausgeräteindustrie vor allem bei den technischen Spitzenprodukten. Die Einführung der Mikroelektronik ermöglicht höhere Automatisierungsgrade und energiesparende Verfahren. Im Bereich der Billigprodukte ist mit wachsendem Importdruck zu rechnen. Insgesamt ist bei dieser Sachlage eine gewisse Reduzierung der heutigen Kapazitäten wohl unvermeidbar, auch schon wegen der stark gestiegenen Produktivität, die unsere Industrie im Hinblick auf ihre Wettbewerbsfähigkeit voll nutzen muß.
Auch im Bereich der Unterhaltungselektronik ist der deutsche Markt weitgehend gesättigt, insbesondere beim bisherigen Hauptumsatzträger Farbfernsehen. Allerdings tun sich hier neue Märkte auf. Zur Zeit wächst der Video-Recorder-Markt. Hier dominieren eindeutig die Japaner. Jedoch sind deutsche Fertigungen im Aufbau, zum Teil mit wachsendem Erfolg bereits im Geschäft. Neue Techniken, z. B. Stereoton im Fernsehen, Bildplatte, und die neuen
Medien, z. B. Bildschirmtext, werden der Branche längerfristig vielfältig neue Geschäftsmöglichkeiten bieten.
Der Verlust an Fertigungstiefe durch die Elektronisierung muß durch die Rückeroberung von Marktanteilen bei technischen Spitzenprodukten und durch die Erschließung neuer Märkte mit neuen Techniken kompensiert werden. Die Bundesregierung ist zuversichtlich, daß unsere Industrie hier erfolgreich sein kann. Sie sieht allerdings, daß sich auch hier Umstellungsschwierigkeiten und Friktionen durch strukturelle Anpassung nicht werden vermeiden lassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Scheer.
Sieht die Bundesregierung Gefahren einer regionalen Klumpung von Problemen im Zusammenhang mit Kapazitätsreduzierungen im Bereich der „weißen" oder der „braunen" Geräte — mit den entsprechenden negativen Beschäftigungseffekten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist nicht auszuschließen, Herr Kollege, je nachdem bei welchen Firmen diese Kapazitätsschnitte erfolgen. Es werden natürlich in erster Linie diejenigen sein, die rote Zahlen schreiben.
Wünschen Sie eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege?
Sieht die Bundesregierung einen öffentlichen Handlungsbedarf zumindest im Zusammenhang damit, daß es im Bereich der Branche für „braune" oder „weiße" Geräte zu einem abgestimmten Verfahren kommen könnte, wie sinnvolle Kapazitätsreduzierungen vorgenommen werden können, um die Arbeitsplatzeffekte möglichst im Rahmen zu halten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf. Ihr liegen auch nicht etwa entsprechende Anregungen vor. Ich nehme an, daß Ihre Frage auf ein Strukturkrisenkartell hinausläuft. Derartige Überlegungen gibt es nicht, auch nicht in der Wirtschaft.
Eine Anschlußfrage, Herr Kollege Spöri.
Herr Staatssekretär, wenn Sie eben von einer möglichen Reduzierung von Kapazitäten im „braunen" und „weißen" Bereich der elektrotechnischen Industrie gesprochen haben, können Sie — damit wir wissen, über welche Größenordnungen wir hier reden — dann mal vielleicht versuchen zu umreißen, welche Anzahl von Arbeitsplätzen von dieser Branche in der Bundesrepublik abhängig sind, vor allen Dingen wenn wir den Zuliefererbereich dazurechnen? Ich möchte gerne die Größenordnungen wissen.Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nein. Ich werde gern darauf schriftlich zurückkommen. Ich habe die Auswirkungen genannt, die ja über-
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Parl. Staatssekretär Grünerhaupt nur geschätzt werden können und die ganz entscheidend von der Fähigkeit unserer Techniker abhängen, mit den Anpassungsschwierigkeiten fertig zu werden. Darüber kann man im Grunde nur Vermutungen anstellen.
Herr Kollege Spöri, Sie haben eine Frage!
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich habe die Beschäftigtenzahlen der Branche — „weiße" Ware, „braune" Ware — nicht zur Hand. Ich werde Ihnen dazu gerne eine Mitteilung übermitteln.
Eine Anschlußfrage, Herr Kollege Laufs.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie dahin gehend richtig verstanden, daß es nach Auffassung der Bundesregierung nicht gerechtfertigt wäre, im Hinblick auf die notwendige Strukturanpassung gewissen Firmen wie etwa AEG, Zanker, Bauknecht Kreditbürgschaften zu gewähren?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Dazu habe ich nicht Stellung genommen, Herr Kollege. Sie wissen ja, daß die Firma AEG vor wenigen Tagen einen Bürgschaftsantrag bei der Bundesregierung eingereicht hat. Eine Entscheidung über diesen Antrag ist naturgemäß bis jetzt nicht getroffen worden.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht.
Ich rufe Frage 12 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz — auf. — Ist der Abgeordnete im Saal? — Das ist nicht der Fall.
Frage 13 wird auf Bitte des Fragestellers — des Herrn Abgeordneten Clemens — schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 14 — des Abgeordneten Auch — auf:
Wird der Mittelstand die Investitionszulage des Beschäftigungsförderungsgesetzes kaum beanspruchen können, weil er seine Investitionsreserven schon in der Vergangenheit ausgeschöpft hat, wie der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth meint?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung geht davon aus, daß die im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität vom 3. Februar 1982 beschlossene zeitlich begrenzte Investitionszulage besonders auch von mittelständischen Investoren genutzt wird. Für kleine und mittlere Unternehmen wird dabei der wirtschaftspolitische Impuls der Investitionszulage besonders wirksam, da sie im Unterschied zu Abschreibungsverbesserungen zu unmittelbaren Liquiditätszuflüssen führt, und zwar unabhängig von der Ertragslage, also auch gerade kleinen und mittleren Unternehmen zugute kommt, die sich gegenwärtig beispielsweise in der Verlustzone befinden, und sich besonders günstig für Gründungsinvestitionen auswirkt. Durch sie wird auch die Verbesserung der Abschreibungsbedingungen im Rahmen der Operation '82 wirksam ergänzt.
Eventuell auftretenden Problemen für kleine und mittlere Unternehmen aus Sprunginvestitionen, also diskontinuierlichem Investieren, wurde dadurch Rechnung getragen, daß die Referenzperiode von drei Jahren wie der Begünstigungszeitraum ausreichend lange gewählt wurde, um durch die Berücksichtigung der durchschnittlichen Investitionen als Vergleichsrahmen den spezifischen Investitionsrhythmus anzugleichen; ferner dadurch, daß es auf die Bestellung bzw. den Antrag auf Baugenehmigung für Investitionsgüter innerhalb der Jahresfrist bis 31. Dezember 1982 ankommt, um die Investitionszulage zu erhalten.
Im allgemeinen dürften dabei kleine und mittlere Unternehmen bei der Investitionsplanung und -durchführung wesentlich flexibler sein als große Unternehmen. Mit der Begrenzung der Förderung auf Zusatzinvestitionen soll im übrigen gerade erreicht werden, daß zusätzliche Anstrengungen der Unternehmen begünstigt werden. Dabei ist sowohl an das Vorziehen als auch an die Vornahme neuer Investitionen gedacht.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Auch.
Herr Staatssekretär, halten Sie es im Lichte Ihrer Antwort für verantwortungsbewußt, wenn der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg angesichts von 1,6 Millionen Arbeitslosen bewußt auf Zweckpessimismus macht?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung teilt die wirtschaftspolitschen Überlegungen nicht, die den Ministerpräsidenten zur Ablehnung der Investitionszulage geführt haben.
Weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Auch? — Keine mehr. Dann Herr Kollege Spöri zu einer Anschlußfrage.
Können Sie mir bestätigen, daß es im Zusammenhang mit der Investitionszulage beschäftigungs-, investitions- und konjunkturpolitisch primär darauf ankommt, daß zusätzliche, neu produzierte Investitionen bezuschußt und angereizt werden, daß es nicht etwa darauf ankommt, daß man eine Prämie für zurückliegende Investitionsprozesse gibt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung teilt die von Ihnen vorgetragene Ansicht.
Das Wort zu weiteren Fragen wird nicht gewünscht.Dann rufe ich die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Auch auf:Hat die Bundesregierung die Absicht, gezielt vor allem die kleineren und mittleren Unternehmen über die Bedingungen und die Voraussetzungen für die Gewährung der Investitionszulage zu informieren?
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Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat fortlaufend über die Bedingungen und die Voraussetzungen für die Gewährung der Investitionszulage unterrichtet. Besonders hinzuweisen ist auf die Veröffentlichungen des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, so z. B. in den „Aktuellen Beiträgen zur Wirtschafts- und Finanzpolitik" Nr. 37 vom 14. Mai 1982, in den „Finanznachrichten" des Bundesministeriums der Finanzen, in den „Tagesnachrichten des Bundesministers für Wirtschaft", zuletzt in Nr. 82/51 vom 27. Mai 1982. Ergänzend ist auf das am 18. Juni im Bundessteuerblatt Nr. 12 erscheinende umfassende Einführungsschreiben und die Verwaltungsanweisung des Bundesministers der Finanzen zur Einführung des § 4 b in das Investitionszulagengesetz aufmerksam zu machen.Im übrigen ist auf eine kürzlich erschienene Broschüre des Deutschen Industrie- und Handelstages — „I-Zulage 1982" — hinzuweisen.Die Bundesregierung geht davon aus, daß auch andere Wirtschaftsverbände, dem Beispiel folgend, besonders ihre Mitgliedsfirmen über die Nutzungsmöglichkeiten der Investitionszulage entsprechend informieren werden, um einen möglichst großen, gesamtwirtschaftlich erwünschten Anstoßeffekt zu erzielen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Auch.
Wäre es nicht sinnvoll, Herr Staatssekretär, vielleicht mit Hilfe einer Anzeigenkampagne auf die Möglichkeiten für die kleinen und mittleren Betriebe hinzuweisen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich werde dieser Anregung gern nachgehen. Ich hielte das persönlich für sinnvoll. Wir werden aber unter finanziellen Gesichtspunkten prüfen müssen, ob das zweckmäßig ist. Wir werden insbesondere noch einmal überlegen müssen, ob die eigenen Informationen der Wirtschaftsverbände — das ist ja die ureigentliche Aufgabe der Wirtschaftsverbände — nicht doch ausreichen, so daß auf eine Anzeige verzichtet werden kann.
Aber ich finde, es ist eine gute Anregung.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann zu einer Anschlußfrage Kollege Spöri.
Herr Staatssekretär, da in den Diskussionen beständig die Tauglichkeit der Investitionszulage für die mittelständische Industrie bestritten wird, darf ich Sie fragen, ob nicht die Erfahrungen der Bundesregierung mit der Investitionszulage 1975 darauf hinauslaufen, daß vorrangig die mittelständischen Betriebe stärker die Investitionszulage in Anspruch genommen haben, weil sie ja investitionsmäßig spontaner planen können als Großbetriebe, die im Investitionsbereich vorrangig mittelfristig planen.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Investitionszulage von 1975 gibt natürlich keinen unbedingten Vergleichsmaßstab, weil damals nicht auf eine Referenzperiode abgehoben wurde. Aber es ist in der Wirtschaftswissenschaft und in der Praxis völlig unbestritten, daß für mittelständische Betriebe die sogenannte „Sprunginvestition" kennzeichnend ist, im Gegensatz zu den Großbetrieben. Deswegen ist es auch trotz aller gegenteiligen Behauptungen eindeutig richtig, daß die Möglichkeit dieser Investitionszulage schwergewichtig bei der mittelständischen Industrie liegt, weil deren Möglichkeiten, rasch Investitionsentscheidungen geplanter Art vorzuziehen oder zusätzlich zu treffen, größer sind, als das bei den kontinuierlichen Großinvestitionen der Großwirtschaft der Fall ist.
Eine Anschlußfrage des Abgeordneten Dr. Jens, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, glauben Sie denn, daß die Wirtschaftsverbände die Investitionszulage kräftig propagieren werden, nachdem sie bisher ja kräftig Front gegen diese Investitionszulage gemacht haben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich teile Ihre skeptische Einschätzung, wenn ich die ersten Reaktionen — vor allem des Bundesverbandes der Deutschen Industrie — im Auge habe. Ich vertraue aber darauf, daß das wirtschaftliche Interesse der Mitgliedsbetriebe dazu zwingen wird, daß die Verbände ihrer Aufgabe der Information nachkommen und deshalb das Beispiel des Bundesverbandes der Deutschen Industrie bei den in der Praxis operierenden Wirtschaftsverbänden keinen Widerhall finden wird.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Kollege Auch.
Herr Staatssekretär, können Sie die Arbeitsplatzeffekte des von meinem Kollegen Spöri angesprochenen Programms von 1975 hier beziffern?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, ich bin dazu nicht in der Lage. Es fehlen mir die Unterlagen. In jedem Fall würden wir uns im Bereich der Spekulation bewegen, weil ja nachträglich Ursache und Wirkung sehr schwer festzustellen sind.
Sie haben keine Zusatzfrage mehr, Herr Kollege Auch. Sie haben Ihre zwei Fragen verbraucht.Meine Damen und Herren, in dem Augenblick, als ich vorhin die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz aufgerufen habe, war er gerade für Sekunden aus dem Saal. Da er im übrigen hier gewesen ist, möchte ich in diesem Fall die Frage 12 noch einmal aufrufen.
— Der Fragesteller ist immer hier gewesen, nur imAugenblick des Aufrufs der Frage nicht. Ich denke,
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Vizepräsident Dr. h. c. Leberich entspreche der Regel, wenn ich die Frage noch einmal aufrufe.
Also Frage 12:Welche Gesamtbelastungen kommen auf die deutsche Wirtschaft und die privaten Haushalte zu durch die zu erwartenden Strompreissteigerungen in der Bundesrepublik Deutschland und die sich abzeichnenden Strompreisverbilligungen in Frankreich infolge Steigerungen der Gesamtstromerzeugung aus Kernkraftwerken von 40 auf 70 v. H.?Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat in der Dritten Fortschreibung des Energieprogramms dargelegt, daß die Stromerzeugung aus Kernkraftwerken in der Bundesrepublik Deutschland trotz der stark gestiegenen Investitionskosten und höherer Kosten bei der Entsorgung in der Grundlast einen Kostenvorsprung gegenüber der Steinkohleverstromung besitzt, der über die Jahre hin noch wachsen wird.Gesicherter Grundlaststrom aus Kernenergie bietet die Chance, die steigenden Kosten der Stromerzeugung aus Öl, Gas und Kohle teilweise zu mildern.Die Bundesregierung hat auch auf die Bedeutung von Kernenergiestrom für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft hingewiesen.Der forcierte Kernenergieausbau in Frankreich bewirkt Kostenvorteile der Stromerzeugung, die sich in zunehmendem Maße in den Strompreisen niederschlagen dürften. Eine Quantifizierung dieser Zusammenhänge im Sinne der Frage erforderte umfangreiche hypothetische Vergleichsrechnungen mit Annahmen über die Entwicklung des Strombedarfs in beiden Ländern, die Deckung des Strombedarfs aus Kohle-, Kernenergie-, Gas-, Öl- und Wasserkraftwerken, die Kostenentwicklung der Einsatzbrennstoffe sowie der Investitionskosten und Altersstruktur der Kraftwerke. Ein so umfassender Strukturvergleich liegt der Bundesregierung nicht vor, so daß es nicht möglich ist, Ihre Frage in der von Ihnen gewünschten konkreten Weise zu beantworten.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Kunz.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß einerseits in der Bundesrepublik Strompreissteigerungen zu erwarten sind, sich andererseits in Frankreich infolge der Steigerung der Gesamtstromerzeugung aus Kernkraftwerken Stromverbilligungen abzeichnen und daß sich hieraus nachteilige Auswirkungen auf die Wettbewerbssituation der deutschen Wirtschaft und auf die Sicherheit der Arbeitsplätze ergeben werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich möchte so weitreichende Schlußfolgerungen nicht ziehen, Herr Kollege, sondern wiederholen, daß in der Tendenz zu erwarten ist, daß Kernenergiestrom in Frankreich einen wesentlich größeren Beitrag zur Preiswürdigkeit der Stromversorgung leisten wird, als es bei uns der Fall ist. Aber Fragen, die die Wettbewerbsfähigkeit berühren, müßten auch viele andere Faktoren in die Rechnung einbeziehen, so daß ich eine so globale Aussage, wie sie in Ihrer Frage liegt, nicht machen möchte.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Kunz.
Herr Staatssekretär, darf ich meine Frage noch etwas vertiefen: Sehen Sie keine Auswirkungen der Verbilligungen des Stroms durch Kernkraftstrom in anderen Ländern auf die Sicherheit und Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft und damit auf die Sicherheit der Arbeitsplätze bei uns?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, allein auf Grund dieser Ursache würde ich keine Gefährdung unserer Wettbewerbsfähigkeit sehen. Aber dies ist — zusammen mit anderen Faktoren — ein ernst zu nehmender Faktor, der für die deutsche Wirtschaft zu zunehmenden Wettbewerbsschwierigkeiten führen kann.
Eine Anschlußfrage, Herr Kollege Leuschner.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen ein Bericht der „Welt" von Anfang dieses Monats bekannt, wonach das staatliche französische Elektrizitätsunternehmen im letzten Jahr einen Verlust von 4,78 Milliarden FF gemacht hat, und können Sie, wenn Ihnen dieser Bericht bekannt ist, die Ursachen für diesen hohen Verlust angeben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, ich kenne diesen Bericht nicht und kann deshalb dazu auch nicht Stellung nehmen. Aber es ist gar keine Frage, daß es gewaltige Investitionen sind, die in Frankreich getätigt worden sind und die entsprechende Kapitalkosten verursachen, welche selbstverständlich — jedenfalls solange die Abschreibungen nicht verdient worden sind — auch das Strompreisniveau beeinflussen.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
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6432 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1982
— Ich bitte sehr um Entschuldigung. Ich habe mich in den Blättern geirrt. Aber ich stelle mit Befriedigung fest, daß Sie mir zuhören.
Herr Kollege, ich antworte auf Ihre Frage 17. Für das Verhältnis der Cocom-zustimmungsbedürftigen Anträge und der Anträge, die auf Grund von Verwaltungsausnahmen national genehmigt werden, liegen mir zur Zeit Zahlen von 1977 bis einschließlich 1980 vor. In diesem Zeitraum sind 4 079 Anträge im Gesamtwert von 187,5 Millionen US-Dollar auf Grund allgemeiner Cocom-Ermächtigungen national genehmigt worden. Im gleichen Zeitraum hat das Cocom 777 deutschen Anträgen im Gesamtwert von 147 Millionen US-Dollar zugestimmt. Die statistischen Meldungen an das Cocom werden gegenwärtig im Sechsmonatsabstand nach der Erteilung der Ausfuhrgenehmigung abgegeben.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Kollege Czaja.
Herr Staatssekretär, trifft es also zu, daß die nationalen Ausnahmegenehmigungen in manchen Jahren — beispielsweise 1977 — zirka 50 % der Cocom-Lizenzen betrugen? Und ist das nicht ein Ausweichen vom internationalen Cocom-Verfahren auf das ursprünglich für Messen und Modelle bestimmte Ausnahmeverfahren, bei dem für die Entscheidungen und Kontrollen eine Anzahl von Personen — Sie haben nicht gesagt, ob es höhere Beamte sind und ob es auch Siemens-Mitarbeiter sind — herangezogen werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das hier geschilderte Verfahren entspricht den Verabredungen im Cocom. Von daher ist es nicht zu beanstanden; es wird von Cocom — wenn auch in diesen Ausnahmefällen nachträglich — kontrolliert.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Kollege Czaja.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Meldeauflagen über nationale Ausnahmeverpflichtungen, die Sie am Rande angesprochen haben, in Paris zu wünschen übriglassen? Und ist Personalmangel die Ursache für die Verzögerungen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Mir ist nicht bekannt, Herr Kollege, daß derartige Beanstandungen bestünden.
Zu weiteren Zusatzfragen wird das Wort nicht gewünscht.
Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Graf Huyn auf:
Wie hoch war in den letzten Jahren zwischen 1976 bis 1981 der Wert und die Anzahl der von Cocom genehmigten oder abgelehnten und der zurückgezogenen deutschen Anträge, und in welchem Verhältnis zu den genehmigten Anträgen stehen die gesamten Cocom-Genehmigungen in diesem Jahr?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Für Wert und Anzahl der von Cocom genehmigten Anträge liegen mir die Zahlen von 1977 bis einschließlich 1980 vor. Die Zahl der abgelehnten oder zurückgezogenen deutschen Anträge in diesen Jahren war in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu ermitteln. Ich werde mich aber bemühen, sie Ihnen nachzuliefern. Sie wird jedoch erfahrungsgemäß nicht mehr als 5% der genehmigten Anträge ausmachen. In dem genannten Zeitraum wurden 777 deutsche Anträge mit einem Wert von 147 Millionen US-Dollar von Cocom genehmigt. Die genehmigten deutschen Anträge haben in dem genannten Zeitraum etwa 15 bis 20 % alber im Cocom genehmigten Anträge ausgemacht. Eine genauere Angabe ist aus dem vorhandenen statistischen Material nicht zu gewinnen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Graf Huyn.
Herr Staatssekretär, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir meine Frage noch ausführlich schriftlich beantworteten. Außerdem möchte ich jetzt eine Zusatzfrage stellen, für deren Beantwortung Ihnen die Unterlagen jetzt wahrscheinlich auch noch nicht vorliegen. Daher bitte ich Sie, dies bei Ihrer schriftlichen Beantwortung ebenfalls zu berücksichtigen. Ich stelle die Zusatzfrage, ob die nach meinen Informationen hohe Anzahl von Zurückziehungen bei Cocom-Anträgen nicht in ei-
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Graf Huynnem völligen Mißverhältnis zur Zurückziehung von Anträgen anderer Cocom-Mitglieder steht, die am Cocom-Verfahren beteiligt sind, und welches die Ursache für diese hohe Negativrate speziell bei der Bundesrepublik Deutschland ist.Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich werde mich bemühen, darauf schriftlich einzugehen. Natürlich bin ich nicht sicher, ob ich über Zurückziehungen in anderen Ländern zuverlässige Informationen bekommen kann. Aber ich werde auf die Frage zurückkommen.
Eine zweite Zusatzfrage, Graf Huyn, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, werden die bei Cocom zurückgezogenen Anträge später im Verfahren der nationalen Ausnahmeregelungen genehmigt?
Güner, Parl. Staatssekretär: Nein, das ist nicht der Fall.
— Mir ist kein Fall bekannt. Ich halte das für ausgeschlossen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Würtz.
Herr Staatssekretär, da Sie über die deutschen Anträge gesprochen haben, habe ich die Frage: Wie sieht es eigentlich bei den Anträgen der Vereinigten Staaten von Amerika, von Großbritannien und Frankreich aus?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen dazu auf der Grundlage der eingebrachten Frage leider keine präzise Angabe machen. Ich möchte nur noch einmal sagen, daß in diesem Cocom-Ausschuß die Fragen in großer Übereinstimmung erörtert worden sind und sich seit 1950 auch eine Praxis herausgebildet hat, die in gleicher Weise alle an diesem Verfahren beteiligten Industrienationen betrifft.
— Ich werde mich gerne bemühen, auf diese Frage eine Antwort zu geben.
Eine Zusatzfrage, Herr Jäger .
Herr Staatssekretär, verteilen sich die rund 770 Genehmigungen — diese Zahl haben Sie vorhin dem Kollegen Graf Huyn genannt — in diesem Vierjahreszeitraum in etwa gleichmäßig auf alle vier Jahre oder hat sich ab dem Jahre 1980, nach dem sowjetischen Einfall in Afghanistan, etwa eine veränderte Praxis ergeben, wie man das auf Grund einer vorher gemachten Äußerung von Ihnen vermuten könnte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Auch insoweit bin ich mit Zahlen nicht bestückt; ich müßte darauf zurückkommen. Ich bitte um Verständnis.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Czaja.
Herr Staatssekretär, im Anschluß an die Frage des Kollegen von der SPD frage ich Sie: Können Sie die Zahlen widerlegen, die in der Presse veröffentlicht worden sind und nach denen die Anträge der Vereinigten Staaten bei Cocom 45 bis 55 % des Wertes der genehmigten Cocom-Anträge ausmachen, der Anteil der deutschen Anträge dagegen nur 25 %, obwohl der Export der sensitiven Technologie aus der Bundesrepublik in die Sowjetunion das Doppelte des Exports der Vereinigten Staaten beträgt? Geht das auf die nationalen Ausnahmegenehmigungen zurück?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege. Ich kann Ihnen leider auch diese Frage nicht beantworten, weil ich darauf nicht vorbereitet bin. Ich werde mich bemühen, die Unterlagen zu beschaffen.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Graf Huyn auf:
Trifft es zu, daß die Mehrzahl der deutschen Exportanträge an den Cocom-Ausschuß nur Anträge für US-Reexportlizenzen sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Aus der Genehmigungspraxis ist mir bekannt, daß sich zahlreiche deutsche Cocom-Anträge, insbesondere solche von Tochterunternehmen amerikanischer Elektronikunternehmen, auf Waren beziehen, deren Reexport nach amerikanischem Recht einer Lizenz bedarf. Ich kann jedoch nicht bestätigen, daß es sich bei der Mehrzahl der deutschen Cocom-Anträge so verhält; denn das Erfordernis einer amerikanischen Reexportlizenz ist eine rein amerikanische Angelegenheit. Weder die deutsche Genehmigungsbehörde, also das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft, noch das Cocom sind damit befaßt. Die deutschen Bezieher amerikanischer Produkte, die der amerikanischen Exportkontrolle unterliegen, dürfen solche Produkte nur mit Genehmigung der amerikanischen Behörden reexportieren. Diese Genehmigung wird von den Unternehmen direkt in den USA beantragt.
Eine Zusatzfrage, Graf Huyn.
Trifft es zu, Herr Staatssekretär, daß die Exportkontrolle sicherheitspolitisch sensitiver Hochtechnologie nachlässig ausgeübt wird, wie das in einem Artikel der „Welt" vom 30. April dieses Jahres mit vielen Daten und Einzelheiten belegt und behauptet wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, das trifft nicht zu.
Eine Zusatzfrage, Herr Czaja.
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6434 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1982
Herr Staatssekretär, wenn ein großer Teil der an Cocom gerichteten deutschen Exportanträge Reexportlizenzanträge betrifft, wie ist es dann mit den Anträgen hinsichtlich sensitiver Technologie deutschen Ursprungs, beispielsweise Mikroprozessoren, Computer, hochentwickelte Werkzeugmaschinen, Maschinen für die Produktion von Lastwagen, die auch zu militärischen Zwecken verwendet werden können, sowie ganze Fabriken? Geht das dann über die nationalen Ausnahmegenehmigungen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, das geht über die Cocom-Vorschriften, und im Rahmen dieser Cocom-Vorschriften gibt es bestimmte Möglichkeiten für nationales Handeln, die aber der nachträglichen Kontrolle durch Cocom unterliegen. Das ist kein Verfahren außerhalb der Cocom-Regelungen.
Keine weiteren Zusatzf ragen.
Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Gelten die Cocom-Richtlinien auch für den Transfer von Gütern in die DDR, und wenn ja, wieviel Genehmigungen beantragte die Bundesregierung in Paris für den Transfer strategischer Güter in die DDR in den einzelnen Jahren zwischen 1976 bis 1981 nach Anzahl und Wert?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Cocom-Richtlinien gelten auch für den Transfer von Gütern und Technologien in die DDR. In den Jahren 1976 bis 1981 hat die Bundesregierung 131 Lieferanträge, die die DDR betreffen, im Werte von 16,5 Millionen US-Dollar dem Cocom vorgelegt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger.
Herr Staatssekretär, können Sie mir denn sagen, wie viele Ablehnungen bzw. Zurückziehungen von Genehmigungsanträgen in diesem Zeitraum vorliegen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Auch das leider nur schriftlich, weil mir die Zahl nicht vorliegt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger.
Können Sie mir sagen, Herr Staatssekretär, warum die DDR auf der sogenannten Länderliste C nicht erwähnt wird, oder sehen Sie irgendeine Möglichkeit, dies — nachdem das bis heute nicht geschehen ist — durch eine entsprechende Mitaufführung unter den Staaten des Warschauer Paktes nachzuholen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es sind Gründe unserer innerdeutschen Beziehungen, die hier zu einer unterschiedlichen Handhabung führen. Das Außenwirtschaftsgesetz gilt nicht für den innerdeutschen Handel. Aber es ändert sich dadurch nichts an der Anwendung der Cocom-Grundsätze.
Die Frage ist beantwortet.
Ich rufe auf die Frage 21 des Abgeordneten Jäger .
Gelten die Cocom-Regelungen für den Export strategischer Güter in den Bereich des Warschauer Pakts auch für West-Berlin?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Cocom-Regelungen werden, soweit Exporte aus Berlin-West in Ostländer betroffen sind, von den zuständigen Berliner Behörden angewendet.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob im Falle von in diesem Bereich, nämlich von Berlin-West, erforderlich werdenden nationalen Ausnahmegenehmigungen diese von den Berliner Behörden oder von den Alliierten ausgesprochen werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Berlin steht unter Besatzungsstatut. Die Vereinbarungen mit den Besatzungsmächten haben Gültigkeit. Es handelt dort der Wirtschaftssenator, in der Praxis allerdings in strikter Anlehnung an die Cocom-Regelungen, auch wenn die Rechtsgrundlagen auf Grund des Viermächteabkommens andere sind.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger.
Können Sie mir sagen, Herr Staatssekretär, ob sich bei den aus Berlin getätigten Exporten ein anderes Verhältnis zwischen genehmigten und nicht genehmigten Exporten ergibt als für die übrige Bundesrepublik Deutschland?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, ich kann die Frage nicht beantworten. Ich werde versuchen, sie nachträglich zu beantworten.
Weitere Zusatzfragen? — Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß vor den letzten Bundestagswahlen in der Öffentlichkeit sehr viel Unruhe erzeugt wurde über die Lieferung von Werkzeugmaschinen durch die Firma Gildemeister, die angeblich gegen die Cocom-Listen verstoßen hat, daß sich aber nachträglich herausgestellt hat, daß dies alles nur als Windei zu bezeichnen war und daß die Firma Gildemeister überhaupt nicht gegen die Cocom-Listen verstoßen hat?Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will auf keinen konkreten Fall eingehen; ich kann nur bestätigen, daß diese Beziehungen und diese Art der Handhabung auch in den politischen Streit über die richtige Art der Entspannungspolitik eingreifen und von daher auch eine Fülle von Falschmeldungen bewußter oder unbewußter oder fahrlässiger Art die Szene beherrscht haben. Ich schließe das auch für die jetzige Diskussion und für unterschiedliche Interessen, die beteiligte Staaten an diesen Cocom-Re-
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Parl. Staatssekretär Grünergelungen aus ihrer jeweiligen außenpolitischen Sicht haben, nicht aus.
Das Wort wird weiter nicht gewünscht. Dann rufe ich die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Werner auf:
Hat die Bundesregierung ein Konzept oder Richtlinien hinsichtlich des Transfers sicherheitspolitisch relevanter Güter in den Bereich des Warschauer Pakts, und wenn ja, seit wann?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Der Transfer sicherheitspolitisch relevanter Güter in Ostländer ist in Cocom geregelt. Die Bundesrepublik Deutschland ist diesem Gremium im Jahre 1950 beigetreten und hat sich mit dem Deutschland-Vertrag ausdrücklich verpflichtet, die Embargobestimmungen einzuhalten. Die Cocom-Regeln sind von den Mitgliedstaaten in das jeweilige nationale Außenwirtschaftsrecht umgesetzt worden. In der Bundesrepublik Deutschland sind auf der Grundlage von § 7 des Außenwirtschaftsgesetzes die drei internationalen Embargolisten in Teil I der Ausfuhrliste aufgenommen. Hierfür sind in der Außenwirtschaftsverordnung Ausfuhrbeschränkungen, Durchfuhrbeschränkungen, Transithandelsbeschränkungen sowie Technologietransferbeschränkungen verordnet worden. Die Einhaltung der Beschränkungen wird durch Kontrollverfahren mit Endverbleibsnachweis überwacht.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Werner.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, inwieweit werden die verschiedenen nationalen Kontrollmechanismen und Kontrollstrategien zwischen den einzelnen Staaten, die die Cocom-Liste mittragen, aufeinander abgestimmt? Ich wiederhole: die Kontrollmechanismen und Kontrollstrategien.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Sie sind Gegenstand der Erörterungen im Cocom und damit auch des Vergleichs und der Diskussion darüber, wenn etwa im Einzelfall eine Umgehung der Cocom-Bestimmungen behauptet wird.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Werner.
Kann ich aus Ihrer Antwort schließen, daß auf Grund der jeweiligen Erörterungen bei einer Nichtharmonisierung der verschiedenen Kontrollorgane und Kontrollbestimmungen der einzelnen nationalen zuständigen Behörden in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart sehr wohl echte Sicherheitsrisiken auftreten konnten bzw. auftreten können?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich halte das für sehr unwahrscheinlich; denn wir meinen, daß diese Cocom-Regelungen gut funktioniert haben. Aber ausschließen läßt sich das nicht, zumal die Durchführung natürlich jeweils in nationaler Hand liegt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Gansel.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß Staaten des Warschauer Paktes die Cocom-Bestimmungen insofern umgehen können, als sie Modelle deutscher Waffen oder auch Vorräte deutscher Waffen dann erwerben können, wenn deutsche Waffenhersteller Waffenfertigungs- und Munitionsfertigungsanlagen in Drittländer exportieren, die ihre Produkte frei auf dem Weltmarkt absetzen können, ohne durch die Kontrollbestimmungen des Kriegswaffenkontrollgesetzes oder durch die Cocom-Bestimmungen gebunden zu sein?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das gilt für uns ebenso wie für alle anderen am Cocom-Statut beteiligten Staaten. Dort stehen allerdings nicht die wirklich sicherheitsrelevanten Dinge zur Diskussion, sondern das ist dann Hardware, die auch auf jede andere Art und Weise zu beschaffen ist.
Eine Anschlußfrage, Herr Kollege Czaja.
Herr Staatssekretär, ist es nach den Cocom-Absprachen Aufgabe der einzelnen Cocom-Mitglieder, die Exportkontrollstrategien für ihren eigenen Bereich festzulegen, beispielsweise die ausreichende Grenzkontrolle, das Verfahren bei Ausnahmegenehmigungen, die volle Beteiligung — ich meine hier auch das Einvernehmen, das Sie noch immer nicht bestätigt haben — des Auswärtigen Amtes bei allen sensitiven Anträgen und die klare umfassende Beteiligung des Verteidigungsministeriums bei allen solchen Anträgen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich kann nur noch einmal bestätigen: So wird das bei uns gehandhabt. Sie haben auch die Regelung richtig dargestellt.
Eine Anschlußfrage, Herr Kollege Jäger.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin von den Kontrollen zur Einhaltung dieser Richtlinien durch die betreffenden Betriebe gesprochen. Können Sie uns sagen, wie diese Kontrollen in der Praxis durchgeführt werden, insbesondere ob auch Kontrollen im Betrieb durch Prüfungen an Ort und Stelle erfolgen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Auch das gehört mit in den Anwendungsbereich. Wenn ein entsprechender Anlaß besteht, ist natürlich die Einschaltung der Zollbehörden sehr wichtig. Im übrigen ist die beste Schutzfunktion das außerordentlich große wirtschaftliche Interesse der in Frage kommenden Firmen, nicht etwa bei einer ungesetzlichen Haltung in diesen Fragen ertappt zu werden, weil die wirtschaftlichen Folgen für die betreffenden Firmen außerordentlich negativ wären.
Herr Kollege von der Heydt, wünschen Sie eine Frage zu stellen, oder muß ich Ihr Stehen anders deuten?Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Werner auf:
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6436 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1982
Vizepräsident Dr. h. c. LeberMüssen beim Verfahren für den Transfer sicherheitspolitisch relevanter Güter in den Bereich des Warschauer Pakts in der Bundesrepublik Deutschland das Auswärtige Amt und das Bundesverteidigungsministerium beteiligt werden, und muß bei den Genehmigungen eines solchen Transfers das Einvernehmen mit ihnen hergestellt werden?Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Entscheidung über die Ausfuhr sicherheitspolitisch relevanter Güter wird durch die technisch sachkundigen Experten des Bundesamtes für gewerbliche Wirtschaft vorbereitet; soweit militärisch relevante Güter betroffen sind, wird das Bundesministerium der Verteidigung beteiligt. Die außenpolitische Relevanz wird bei allen Anträgen vom Auswärtigen Amt geprüft.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Werner.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wie ist die Situation, wenn zwischen den einzelnen beteiligten Häusern kein Einvernehmen über die besondere Bedeutung eines Produkts im Hinblick auf die Ausfuhrgenehmigung besteht?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Im Endergebnis liegt die Hauptentscheidung in solchen Fragen beim Auswärtigen Amt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Werner.
Muß ich Ihrer soeben gemachten Aussage entnehmen, daß dann, wenn sicherheitsrelevante Gesichtspunkte im Bereich des BMVg und des Auswärtigen Amtes unterschiedlich gesehen werden, diese sicherheitsrelevanten Gesichtspunkte zugunsten irgendwelcher angeblich übergeordneten außenpolitischen Gesichtspunkte zurückgestellt werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ja, das ist der Fall. Ich kenne zwar keinen konkreten Fall, in dem das akut geworden ist, aber im Endergebnis steht das ganze Cocom-Verfahren unter dem Primat der Außenpolitik. Es ist selbstverständlich, daß der Sachverstand und das Urteil der zuständigen Ressorts bei dieser Entscheidung eine ausschlaggebende Rolle spielen.
Eine Anschlußfrage, Herr Kollege Czaja.
Herr Staatssekretär, der Herr Fragesteller hat vorher gefragt, ob das Einvernehmen in jedem Fall mit dem Verteidigungsministerium und mit dem Auswärtigen Amt sichergestellt ist und eingeholt wird. Sie haben das etwas umschrieben und gesagt: Wenn das politische Interesse da ist — —
Herr Kollege Czaja, kommen Sie bitte zu Ihrer Frage. Sie sind doch Fachmann.
Ich will jetzt die Frage stellen. Sie sagten: Es wird die Relevanz geprüft, und das Verteidigungsministerium wird nur angesprochen, soweit Verteidigungsinteressen berührt sind.
Meine klare Frage: Wird in allen Fällen — das sind sensitive Technologien — das Einvernehmen mit dem Verteidigungsministerium und mit dem Auswärtigen Amt vor einer Genehmigung sichergestellt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nur bei militärisch relevanten Fragen wird das Bundesverteidigungsministerium mit befaßt, während das Auswärtige Amt in allen Fragen eingeschaltet wird. Es gibt in der Praxis keine Entscheidung, die etwa gegen das Votum eines beteiligten Ressorts gefällt wird. Das heißt, ein Einspruch genügt, um den Antrag abzulehnen. Für eine Ablehnung würde es also auch genügen, daß das Bundesverteidigungsministerium nein sagt, selbst wenn das Auswärtige Amt und das Wirtschaftsministerium der Meinung wären, man könne die Genehmigung aussprechen. Noch einmal: Es besteht der Primat der auswärtigen Politik, und damit liegt die letzte Entscheidung beim Auswärtigen Amt, das, wenn die beiden anderen Ressorts ja sagen, immer noch nein sagen kann.
Eine Anschlußfrage, Graf Huyn, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, was wird die Bundesregierung angesichts der Beschlüsse des Versailler Gipfels und der NATO-Konferenz und auch in Anbetracht Ihrer Äußerungen von vorhin, daß Mißbräuche nicht ausgeschlossen werden können, in Zukunft unternehmen, um in Zukunft das Cocom-Verfahren und den Transfer hochsensitiver Technologie an den sowjetischen Machtbereich zu verbessern und zu verschärfen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin der Meinung, daß das im Sinne der Cocom-Bestimmungen bei uns schon bisher sehr gut gehandhabt worden ist. Wir werden uns wie in der Vergangenheit auch in Zukunft strikt an die Bestimmungen halten, die in Cocom vereinbart und weiterentwikkelt werden.
Keine Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung begrüße ich Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Egert.
Ich rufe die Frage 24 des Herrn Abgeordneten Horstmeier auf:
Welche Vorschläge kann die Bundesregierung unterbreiten, um zu verhindern, daß bei den Mitgliedern der landwirtschaftlichen Krankenkassen Verwirrung dadurch gestiftet wird, daß in diesem Jahr zur Abschmelzung der Rücklagen Beiträge ermäßigt und im nächsten Jahr eventuelle Beitragserhöhungen zur Gestaltung eines satzungsgemäßen Haushaltsplans gefordert werden müssen?
Herr Kollege Horstmeier, wie mein Kollege Dreßler Ihnen bereits in der
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1982 6437
Parl. Staatssekretär EgertFragestunde am 26./27. Mai dieses Jahres mitgeteilt hat, sollen die gesetzlichen Regelungen über die Betriebsmittel und die Rücklagen den Trägern der Krankenversicherung die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderliche Finanzierungsreserve gewährleisten und das Ansammeln nicht erforderlicher Mittel verhindern. In der von Ihnen genannten Vorschrift ist nicht vorgesehen, Rücklagen zum Zweck der Beitragsermäßigung abzuschmelzen; vielmehr sind die am 1. Januar 1980 vorhandenen Betriebsmittel, die den gesetzlich zulässigen Betrag übersteigen, bis spätestens 31. Dezember 1982 — also während eines Dreijahreszeitraums — zur Auffüllung der Rücklage und im übrigen zur Ermäßigung der Beiträge zu verwenden. In einer Ermäßigung der Beiträge vermag ich auch keinen Anlaß zur Verwirrung der Versicherten zu sehen. Die Versicherten werden es vielmehr begrüßen, wenn eine zur Aufgabenerfüllung ihrer Krankenkasse nicht erforderliche Kapitalansammlung aufgelöst und dadurch ihre Beitragsbelastung verringert wird.Im übrigen dürfte im Hinblick auf den zur bestimmungsmäßigen Verwendung überflüssiger Betriebsmittel eingeräumten Dreijahreszeitraum eine Beitragsermäßigung im dritten Jahr kaum noch vorkommen. Zur ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung eines jeden Trägers der Krankenversicherung gehört es, für das folgende Rechnungsjahr die Beiträge im voraus zu kalkulieren. Wenn sich dabei herausstellt, daß eine Beitragserhöhung durch Verwendung von angesammelten Betriebsmitteln vermieden werden kann, entspricht dies einer vernünftigen Finanzierungspolitik. Die Bundesregierung sieht deshalb keinen Anlaß, neue Vorschläge zu machen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Horstmeier.
Herr Staatssekretär, wenn sich Rücklagen angesammelt haben und nach den neuen Bestimmungen die Rücklagengrenze nicht überschritten werden darf, gibt es doch keine andere Möglichkeit, als Beiträge rückzuerstatten?
Egert, Parl. Staatssekretär: Wir haben die Novellierung dieses Gesetzes im Jahre 1979 unter dem Gesichtspunkt vorgenommen, die Krankenkassen insgesamt — nicht nur in dem Bereich, den Sie angesprochen haben — hinsichtlich ihrer Rücklagenpolitik und ihrer Beitragssatzpolitik flexibel zu machen. Ohne daß ich jetzt spekulieren will, wie die Entwicklung sein wird, kann ich sagen, daß mit diesem gesetzlichen Instrumentarium eine vernünftige Finanzierungspolitik gewährleistet ist, die sowohl das Interesse der Krankenkassen als auch das Interesse der Versicherten berücksichtigt, von Beitragserhöhungen verschont zu bleiben, die nicht notwendig sind.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, wir haben damals ja gemeinsam beraten. Damals waren Sie noch in unseren Reihen.
Egert, Parl. Staatssekretär: Ich war sogar der Berichterstatter!
Sind nicht auch Sie mit mir der Meinung, daß dies mehr oder weniger eine Angleichungsänderung gewesen ist, die für den Personenkreis der landwirtschaftlichen Krankenkasse wegen der spezifischen Beitragsgestaltung nicht sinnvoll ist, weil eben keine am allgemeinen Einkommensanstieg orientierte Dynamik im Beitragsaufkommen in diesem Bereich vorhanden ist?
Egert, Parl. Staatssekretär: Ich kenne die Besonderheiten, die in den von Ihnen angesprochenen Krankenkassen bestehen. Allerdings meine ich, daß im Interesse einer gleichen Behandlung aller Krankenkassen der von Ihnen besonders herausgehobene Tatbestand vernachlässigt werden kann.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht. Die Frage ist beantwortet.
Die Fragen 25 und 26 werden auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Collet auf:
Was kann die Bundesregierung dazu beitragen, damit Leistungsempfänger aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht ihren Leistungsanspruch verlieren, weil sie für ein Ehrenamt — z. B. in der Kommunalpolitik — eine Aufwandsentschädigung erhalten?
Egert, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, im Einverständnis mit dem Kollegen Collet würde ich gerne die Fragen 28 und 29 gemeinsam beantworten. — Ich sehe, der Herr Kollege Collet ist damit einverstanden.
Dann rufe ich noch die Frage 29 des Abgeordneten Collet auf:Wie verträgt sich die derzeitige Praxis mit dem Gleichheitsgrundsatz, wenn privat Versicherte und Beamte als „Leistungsempfänger" in der Wahrnehmung öffentlicher Ehrenämter begünstigt werden?Egert, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Collet, nach bisheriger Auffassung der Rentenversicherungsträger sind Aufwandsentschädigungen und vergleichbare Leistungen, die Inhaber eines Ehrenamtes, z. B. Mandatsträger in Gebietskörperschaften, im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Amtes erhalten, jedenfalls teilweise als Entgelt im Sinne der Vorschriften über den zulässigen Hinzuverdienst anzusehen. Der Bezug derartiger Leistungen kann daher Einfluß auf die Berechtigung zum Bezug eines vorzeitigen Altersruhegeldes haben. Das Bundessozialgericht hat demgegenüber in einem Urteil vom 27. April 1982 entschieden, daß eine ehrenamtliche Tätigkeit eines Versicherten in einer kommunalpolitischen Vertretungskörperschaft keine Beschäftigung oder Tätigkeit ist, die bei Beziehern eines vorzeitigen Altersruhegeldes beim Hinzuverdienst zu berücksichtigen ist. Die Gründe dieser Entscheidung liegen mir noch nicht vor. Ich bin gern bereit, Sie nach Vorliegen der Urteilsgründe zu unterrichten, welche Folgerungen die Rentenversicherungsträger aus diesem Urteil — über den ent-
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Parl. Staatssekretär Egertschiedenen Einzelfall hinausgehend — ziehen werden.Zu Ihrer zweiten Frage kann ich Ihnen bestätigen, daß bei vorzeitig in den Ruhestand versetzten schwerbehinderten Beamten anders verfahren wird als bei Rentnern. Hier bleiben bei den Hinzuverdienstgrenzen schon bisher Aufwandsentschädigungen und vergleichbare Leistungen im Zusammenhang mit der Ausübung von Ehrenämtern unberücksichtigt. Wenn sich die Träger der Rentenversicherung künftig die Auffassung des Bundessozialgerichts zu eigen machen, dürfte damit auch dem von Ihnen angesprochenen Gesichtspunkt der Gleichbehandlung Rechnung getragen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Collet.
Herr Staatssekretär, wenn ich unterstelle, daß dieses Bundessozialgerichtsurteil keine sofortige Wirkung auf die Handhabung durch die Rentenversicherungsträger gegenüber allen anderen Betroffenen haben würde: Was könnte die Bundesregierung tun, um eine Änderung der Richtlinien zu bewirken, zumal der Gesetzeswortlaut nicht von solchen Aufwandsentschädigungen für Mandatsträger oder bei Ehrenämtern überhaupt spricht?
Egert, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Collet, Sie wissen, daß wir es im Bereich der Rentenversicherung mit Selbstverwaltungskörperschaften zu tun haben. Die Bundesregierung hat also unmittelbar auf die Entscheidungen und die Schlußfolgerungen keinen Einfluß, die die Rentenversicherungsträger aus dem Urteil des Bundessozialgerichts ziehen. Selbstverständlich gehen wir davon aus, daß die maßgebenden Urteilsgründe innerhalb der Rentenversicherung berücksichtigt und umgesetzt werden, um den von Ihnen angesprochenen Tatbestand befriedigend zu regeln.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Collet.
Wäre nicht wenigstens eine Einwirkung dahin gehend möglich, daß in den Fällen, in denen der Arbeitgeber verpflichtet wird, den Arbeitnehmer, solange er noch Beitragszahler und nicht Leistungsempfänger ist, als gewählten Mandatsträger zur Ausübung des Mandats von der Arbeit freizustellen, die Rentenversicherungsträger bei den Leistungsempfängern also keine Abzüge an der Rente vornehmen?
Egert, Parl. Staatssekretär: Ich verstehe Ihre Anregung so, daß Sie davon ausgehen, daß praktisch über eine arbeitszeitrechtliche Regelung eine Kompensation für den materiellen Verlust getroffen werden soll. Ich frage noch einmal nach, weil das etwas durcheinandergegangen ist. Ist das Ihre Frage?
— Ich würde bei meinem Ratschlag bleiben, daß wir abwarten, zu welchen Schlußfolgerungen das Urteil des Bundessozialgerichts führt, bevor wir weitere Überlegungen bezüglich des Tatbestandes anstellen, den Sie zu Recht aufgegriffen haben. Im Rahmen
dieser Überlegungen würde ich dann auch gern Ihre Anregung mit einbeziehen.
Zu einer dritten Zusatzfrage, Herr Kollege Collet.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß auch die derzeitige Handhabung — einmal abgesehen von dem Urteil, dessen Begründung wir noch nicht kennen — dazu beiträgt, daß die so oft beklagte Situation, daß zu viele aus dem öffentlichen Dienst Mandatsträger werden, durch die Begünstigung dieses Personenkreises — auch bei Mandatsträgern mit Leistungsentzug in der Rentenversicherung — noch gefördert wird?
Egert, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Collet, ich kann nicht ausschließen, daß der Tatbestand, den Sie angesprochen haben, hier auch zu Verwerfungen führt, was das ehrenamtliche Engagement angeht, und damit zusätzlich die Verwerfung, die Sie beklagen und die auch gemeinsam häufig beklagt wird, unterstützt, obwohl diese Ursache nicht die einzige ist.
Zu einer vierten Zusatzfrage, Herr Kollege Collet.
Herr Staatssekretär, bis wann ist mit der Begründung des Urteils zu rechnen, und hätte das gegebenenfalls rückwirkende Auswirkungen?
Egert, Parl. Staatssekretär: Das Urteil selbst mit seiner Entscheidung liegt ja seit dem 27. April vor. Bis wir die Gründe kennen, denke ich, wird noch einige Zeit beim Bundessozialgericht vergehen. Aber sicherlich werden wir im Laufe dieses Jahres die Gründe kennenlernen und dann die Schlußfolgerungen daraus ziehen können.
Zu einer Anschlußfrage, Herr Kollege Stutzer.
Herr Staatssekretär, gilt das eben von Ihnen Gesagte auch für Alg- und Alhi-Empfänger? Dies frage ich, da Sie ja nur von Leistungsempfängern sprechen.
Egert, Parl. Staatssekretär: Ich habe mich jetzt in meiner Antwort auf die Rentenversicherung beschränkt, die auch für die Anfrage des Kollegen Collet ursächlich war.
Eine Anschlußfrage, Herr Kollege Auch.
Herr Staatssekretär, nach der bisherigen Rechtslage ist es doch so, daß ein Kommunalvertreter, wenn er lange Jahre in den Gremien wirkt, als Arbeiter oder Angestellter in der freien Wirtschaft mit Nachteilen bei der späteren Rentenzahlung rechnen muß. Dies wird durch das von Ihnen angezogene Urteil sicher nicht bereinigt. Dies war aber nach meiner Auffassung die Frage, die den Kollegen Collet beschäftigt hat.Egert, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Auch, die Frage des Kollegen Collet bezog sich auf die unter-
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Parl. Staatssekretär EgertI schiedliche Behandlung von Rentnern und des Kreises von Personen, die als Beamte mit einer vorgezogenen Leistung rechnen können; dies war Ursache für diese Frage. Insofern hat sich meine Antwort streng an dem Urteil des Bundessozialgerichts orientiert, das diesen Sachverhalt angesprochen und geregelt hat.
Eine zweite Anschlußfrage, Herr Kollege Auch.
Darf ich Sie dann, Herr Staatssekretär, vielleicht noch zusätzlich auf die Unterschiedsbehandlung aufmerksam machen, die in meiner Frage beinhaltet war?
Egert, Parl. Staatssekretär: Ich habe die Aufmerksamkeit schon bei einer weiteren Anschlußfrage zugesagt, die der Kollege Collet gestellt hat. Wie wir im kommunalpolitischen Bereich genügend ehrenamtlich Tätige bekommen, ist sicherlich ein Problem, das über den Einflußbereich der Rentenversicherung hinausgeht.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen zu den aufgerufenen Fragen wird nicht gewünscht. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Beantwortung begrüße ich Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Penner.
Ich rufe die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Dallmeyer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Arbeit der Bundeswehrfachschulen, und welchen Wert mißt sie ihr als Bildungseinrichtung der Bundeswehr zu?
Herr Kollege Dallmeyer, gestatten Sie, daß ich Ihre beiden Fragen im Zusammenhang beantworte?
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe dann auch die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Dallmeyer auf:
Welche zukünftige Planung ist hinsichtlich des Bestands der Bundeswehrfachschulen vorgesehen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Die Bundeswehrfachschulen haben sich seit über zwei Jahrzehnten bewährt. Längerdienende Zeitsoldaten erwerben hier im Rahmen der Berufsförderung bundesweit anerkannte Bildungsabschlüsse der Fachschulreife, der Fachhochschulreife, der mittleren Reife und des Abiturs.
Die Lehrgänge der Bundeswehrfachschulen sind so angelegt, daß die Bildungsqualifikationen auch von ehemaligen Volks- und Hauptschülern bei entsprechender Neigung und Eignung erreicht werden können. Die Bundeswehrfachschulen tragen damit entscheidend dazu bei, daß den längerdienenden Soldaten auf Zeit nach ihrem Ausscheiden aus der
Bundeswehr der Übergang in das zivile Berufsleben gelingt.
Wegen der besonderen Bedeutung der Bundeswehrfachschulen für die längerdienenden Zeitsoldaten ist die Planung grundsätzlich auf die Erhaltung der bestehenden Schulen ausgerichtet.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dallmeyer.
Herr Staatssekretär, wenn Sie ausführen, daß grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, daß die Bundeswehrfachschulen erhalten bleiben sollen, können Sie dann andererseits bestätigen, daß das Wort „grundsätzlich" auch beinhaltet, daß es Pläne gibt, einen größeren Teil der kleineren Bundeswehrfachschulen zu streichen bzw. zu konzentrieren?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Diese Pläne bestehen seitens des Bundesministers der Verteidigung nicht.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Dallmeyer.
Meine zweite Frage bezieht sich, Herr Staatssekretär, ebenfalls auf die Planung. Gibt es Überlegungen im Verteidigungsministerium, den Bundeswehrfachschulen im Rahmen ihrer Tätigkeit künftig weitere Aufgaben zuzuweisen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Dazu ist mir im Moment nichts bekannt. Ich biete Ihnen aber an, daß ich dieser Frage nachgehe, um sie Ihnen dann schriftlich zu beantworten.
Eine dritte Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß gerade die Bundeswehrfachschulen in besonders großem Umfang nebenamtlich Lehrkräfte beschäftigen, und können Sie mitteilen, ob es Überlegungen im Verteidigungsministerium gibt, diesen hohen Anteil nebenamtlicher Lehrkräfte auch im Hinblick auf die Probleme der Lehrerarbeitslosigkeit künftig zu reduzieren und mehr hauptamtliche Lehrkräfte im Bereich der Bundeswehrfachschulen zu beschäftigen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dallmeyer, ich kann bestätigen, daß ca. 750 bis 800 nebenamtliche oder nebenberufliche Lehrkräfte an den Bundeswehrfachschulen beschäftigt sind. Wir können gar nicht umhin, diese Kräfte weiterhin zu beschäftigen; sie decken ca. 50 % des Unterrichtsbedarfs ab.
Eine vierte Zusatzfrage, Herr Kollege Dallmeyer.
Herr Staatssekretär, können Sie etwas über die besonders hohe Erfolgsquote der Bildungsabschlüsse an den Bundeswehrfachschulen sagen?
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Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Wir sind mit den Erfolgsquoten der Bundeswehrfachschulen zufrieden. Wenn Sie detailliertere Auskünfte wünschen, bin ich gern dazu bereit.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht.
Die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Sielaff wird auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 33 des Herrn Abgeordneten Würtz wurde vom Fragesteller zurückgezogen.
Wir kommen zur Frage 34 des Herrn Abgeordneten Wimmer . — Der Abgeordnete ist nicht im Saal.
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, der Fragesteller hat mich wissen lassen, daß er die Frage gern schriftlich beantwortet hätte.
Das können Sie machen. Aber ich kann das hier nicht entscheiden. Das entspricht nicht der Geschäftsordnung. Sie können mit jedem Abgeordneten Schriftverkehr pflegen, wie es im Belieben des Ministeriums steht.
Die Fragen 35 und 36 des Herrn Abgeordneten Böhm werden auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Zur Beantwortung der Fragen begrüße ich Herrn Staatssekretär Dr. Schmid.
Die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Pauli wird auf seine Bitte hin schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 38 der Frau Abgeordneten Noth auf:
Ist der Bundesregierung die Veröffentlichung „Standordgefährdung von Handwerksbetrieben" bekannt, und gibt sie ihr Anlaß zu prüfen, ob Änderungen des Bundesbaugesetzes und/oder anderer bundesgesetzlicher Vorschriften erforderlich sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf die Frage der Frau Abgeordneten wie folgt beantworten. Die Veröffentlichung des Rheinisch-Westfälischen Handwerkerbundes „Standortgefährdung von Handwerksbetrieben" ist der Bundesregierung bekannt. Sie bestätigt die von der Bundesregierung bereits auf Grund von ihr eingeleiteter Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse über Art und Ausmaß der Probleme, die durch ein enges Nebeneinander von Wohnen einerseits und Gewerbe, Handwerk und Landwirtschaft andererseits geprägt sind.
Die Bundesregierung hat frühzeitig diese Probleme aufgegriffen und mit den Beteiligten Lösungsmöglichkeiten geprüft. Es war insbesondere die Auffassung der Länder, zunächst alles zu versuchen, die aufgetretenen Schwierigkeiten durch Maßnahmen im Verwaltungsvollzug zu beseitigen. Die Länder sind auch um entsprechende Verbesserungen bemüht.
Davon unberührt ist die Frage der für die Investitionen im gewerblichen, handwerklichen, aber auch im Wohnbereich notwendigen Rechtssicherheit und — damit zusammenhängend — die Frage nach dem Erfordernis gesetzgeberischer Maßnahmen.
Der 16. Ausschuß des Deutschen Bundestages hat im Zusammenhang mit den Beratungen des Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Bereitstellung von Bauland beschlossen, im Herbst dieses Jahres auch zu der Gemengelageproblematik eine Bereisung sowie eine Anhörung von Verbänden und Sachverständigen durchzuführen.
Ich gehe davon aus, daß im Rahmen dieser parlamentarischen Beratungen auch die erforderlichen politischen Entscheidungen über gesetzgeberische Schritte getroffen werden.
Bitte, zu einer Zusatzfrage, Frau Kollegin Noth.
Herr Staatssekretär, die Veröffentlichung weist auf planungsrechtliche, baurechtliche und auch gewerberechtliche Restriktionen hin. Sind Sie wirklich der Meinung, daß wir dann, wenn wir mit dem eben zitierten Gesetzentwurf die Dinge zu lösen versuchen, als Bundesgesetzgeber effektiv sind? Ist es nicht so, daß darüber hinaus auch andere Vorschriften — mindestens seitens des Ministeriums — überdacht werden müssen?
Dr. Schmid, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ich gehe davon aus, daß die Möglichkeiten des Verwaltungsvollzugs voll ausgeschöpft werden müssen, ehe gesetzgeberische Schritte angezeigt sind. Wir haben uns als Bundesregierung auf die praktischen Erfahrungen der Gemeinden vor Ort, auch auf die Erfahrungen der Landesbehörden zu stützen. Diese zwingen bisher nicht zu gesetzgeberischen Schritten.
Aber ich gebe Ihnen zu, daß aus Gründen der Klarheit und der Rechtssicherheit klarstellende Regelungen gegebenenfalls getroffen werden sollten.
Sie wünschen das Wort zu einer zweiten Zusatzfrage, Frau Kollegin? — Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß vielleicht auch landesrechtliche Vorschriften überarbeitet werden müssen, oder ist Ihre Meinung, daß es nur am Vollzug der bestehenden Gesetze liegt, daß hier Restriktionen auftreten?Dr. Schmid, Staatssekretär: Es ist in der Tat unsere Auffassung, daß es im wesentlichen eine Frage des Vollzugs, d. h. der Anwendung, der Interpretation vorhandenen, geltenden Rechts ist. Dort, wo gewisse
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Staatssekretär Dr. SchmidZweifel bestehen, haben sich die Landesbehörden und die Kommunalbehörden um eine einheitliche Handhabung der Gesetzesanwendung bemüht. Wir haben bisher den Eindruck, daß diese Möglichkeiten, weitgehend genutzt, durchaus ausreichen. Ich wiederhole: Dort, wo vor Ort Zweifel bestehen und nicht durch das Instrument des Verwaltungsvollzugs ausgeräumt werden können, mag eine klarstellende gesetzliche Regelung diese Zweifel beseitigen.
Eine Anschlußfrage, Herr Kollege Jäger .
Herr Staatssekretär, könnte es sein, daß diese Standortgefahren unter Umständen sogar noch dadurch vergrößert werden, daß die Bundesregierung den von der FDP so dringend gewünschten Gesetzentwurf über eine Verbandsklage vorlegt, und hat die Bundesregierung es vielleicht deswegen bisher unterlassen, diesen Gesetzentwurf dem Hohen Hause vorzulegen?
Dr. Schmid, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung sieht keinen Zusammenhang zwischen Bestrebungen, eine Verbandsklage einzuführen, und der Konfliktsituation in der sogenannten Gemengelage zwischen Wohnbereichen und Bereichen mit wirtschaftlicher Nutzung.
Das Wort wird zu dieser Frage nicht weiter gewünscht.
Ich rufe Frage 39 des Herrn Abgeordneten Meininghaus auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei Umwandlungen von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen, trotz Verlängerung der Kündigungssperrfristen und anderer Maßnahmen gegen Spekulationsgeschäfte im Wohnungssektor, die meisten Mieter, und zwar nach Angaben von „Infratest" in den Ballungsgebieten 62 v. H., bereits wenige Jahre nach der Umwandlung infolge unzumutbarer Belastungen durch Modernisierung, Eigenbedarfskündigungen und Psychoterror vertrieben werden, und wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung, durch ein Verbot der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen in Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf der Spekulation den Boden zu entziehen?
Dr. Schmid, Staatssekretär: Die Bundesregierung hat bereits in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zur Wohnungsmarktlage in Großstädten zur Problematik der Mieterverdrängung in Umwandlungsfällen Stellung genommen und darauf hingewiesen, daß es sich bei der von Ihnen genannten „Infratest"-Untersuchung um eine nicht repräsentative Umfrage handelt, da sie lediglich ca. 800 Fälle erfaßt; außerdem ist diese Untersuchung vor der Einführung der zusätzlichen Kündigungssperrfrist für Sozialwohnungen gemäß § 6 Abs. 7 des Wohnungsbindungsgesetzes durch das Wohnungsbauänderungsgesetz 1980 durchgeführt worden.
Die Bundesregierung hat jedoch das Problem, welches sich für die Mieter in Umwandlungsfällen ergeben kann, zum Anlaß genommen, im Zusammenhang mit dem Mietrechtsänderungsgesetz 1982 den Schutz des Mieters vor Verdrängung zu verstärken, und zwar durch die Einräumung eines Vorkaufsrechts des Mieters und die Verlängerung der Kündigungssperrfrist in Umwandlungsfällen auch im freifinanzierten Wohnungsbau sowie die Neuregelung der Duldungspflicht bei Modernisierung und die Begrenzung des Mietanstiegs auf 30. v. H. innerhalb von drei Jahren.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung im Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bereitstellung von Bauland eine Ergänzung von § 39 h des Bundesbaugesetzes vorgesehen, wonach die Gemeinden zum Schutz der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung unter bestimmten Voraussetzungen auch die Bildung von Wohnungseigentum unter Genehmigungspflicht stellen können.
Ein weitergehendes generelles Verbot der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen in Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf wird von der Bundesregierung nicht in Betracht gezogen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Meininghaus.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir denn nicht recht geben, wenn ich feststelle, daß Sozialwohnungen fehlen, wobei besonders ein Bedarf an preisgünstigen Wohnungen besteht, daß von Ihnen zwar größte Anstrengungen unternommen werden, um die Bautätigkeit anzukurbeln, und daß in Städten und Gemeinden ein erhöhter Bedarf an Wohnungen erklärt werden kann, damit dann besondere Förderungsmaßnahmen durchgeführt werden können, daß es dann aber fast paradox erscheint, wenn in diesen Gebieten des erhöhten Wohnungsbedarfs durch Steuervergünstigungen noch ein Anreiz zur Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen und zum Verkauf geschaffen wird und damit der Vernichtung von preiswertem Wohnraum Vorschub geleistet wird?
Dr. Schmid, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich stimme Ihnen darin zu, daß es einen Bedarf an Sozialwohnungen gibt und daß dieser namentlich in Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf kenntlich gemacht ist. Dem trug die Änderung des Wohnungsbindungsgesetzes 1980 auch Rechnung, indem die Kündigungssperrfrist im Umwandlungsfalle auf die Dauer der Nachwirkungsfrist ausgedehnt wurde. Unser Eindruck ist, daß sich diese Bestimmung dahin ausgewirkt hat, daß solche Umwandlungsfälle in sozial unverträglicher Weise zurückgegangen sind. Der vorherige Zustand wäre in der Tat nicht mit der zusätzlichen Nachfrage nach Wohnraum vereinbar.
Wünschen Sie eine zweite Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die von Ihnen genannten Maßnahmen zum Schutz der Mieter bei Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen, wie beispielsweise verlängerte Sperrfristen oder die Tatsache, die Sie noch genannt ha-
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Meininghausben, daß die Mieter ein Vorkaufsrecht haben, nicht verhindern können, daß Mieter aus ihrer Wohnung verdrängt werden, nicht, weil sie die Mietgesetze nicht kennen — —
Herr Kollege Meininghaus, Sie sind dabei, hier in Frageform eine Feststellung zu treffen. Das ist nach unserer Geschäftsordnung nicht erlaubt.
Schönen Dank, Herr Präsident.
Werden sonst noch Fragen gestellt? Sie haben nur zwei Fragen.
Darf ich dann diese Frage zu Ende führen?
Wenn Sie eine Frage stellen, bitte sehr.
Würden Sie also zur Kenntnis nehmen, daß all diese Maßnahmen bisher jedenfalls nicht dazu geführt haben, die vielen kleinen Möglichkeiten, die ein Vermieter hat, um den Mieter herauszudrängen, zu verhindern?
Dr. Schmid, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, allein die Existenz von gesetzlichen Vorschriften garantiert den Schutz betroffener Mieter nicht. Es ist, wie Sie mit Recht feststellen, notwendig, daß eine ausreichende Information über diese Vorschriften gegeben wird und daß darüber hinaus nicht nur Mieter, sondern auch Vermieter, Notare usw. über in diesem Zusammenhang aufkommende Fragen aufgeklärt werden. Diesem Aufklärungsbedürfnis hat sich die Bundesregierung in den vergangenen Jahren in besonderer Weise gestellt. Sie führt auch die rückläufige Zahl sozial unverträglicher Umwandlungsfälle — auf das ganze Bundesgebiet gesehen, von lokalen Verhältnissen abgesehen — mit auf diese Aufklärungstätigkeit zurück.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau beantwortet. Ich danke Ihnen für die Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit an das Ende der Fragestunde. Die Fragen 83 und 84 des Abgeordneten Dr. Spöri, 97 des Abgeordneten Eigen, 98 und 99 des Abgeordneten Funk , 112 und 113 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski werden von den Antragstellern zurückgezogen. Die übrigen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragestunde ist damit zu Ende.
Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, gebe ich dem Hause bekannt, daß ich den beiden fraktionslosen Abgeordneten Coppik und Hansen heute brieflich mitgeteilt habe, daß sie mit ihrem Verhalten während der Rede des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Ronald Reagan, vor dem Deutschen Bundestag die parlamentarische Ordnung bewußt und gewollt auf das gröblichste verletzt haben und ich lediglich mit Rücksicht auf unseren Gast und in dem Bestreben, die ansonsten würdig verlaufene Sitzung nicht zu unterbrechen, davon abgesehen habe, die an sich fälligen Ordnungsmaßnahmen zu ergreifen. Ich habe beiden Abgeordneten in einem Brief jedoch nachträglich meine schärfste Mißbilligung für ihr Verhalten ausgesprochen.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes
— Drucksache 9/1697 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Olderog.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Entwurf des Bundesrates will zwei spezielle Probleme zum Strafvollzugsgesetz regeln.Problem Nr. 1: Nach § 51 Abs. 4 und 5 und nach § 75 Abs. 3 des Strafvollzugsgesetzes sind Überbrükkungsgeld und Entlassungshilfe des Strafgefangenen im normalen Strafvollzug über die allgemeinen Pfändungsschutzvorschriften hinaus unpfändbar. Die Frage, die dieser Gesetzentwurf nun aufwirft: Soll das auch für diejenigen Straftäter möglich werden, die auf Grund eines Urteils eines Strafgerichts in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt untergebracht sind?Mit Hilfe einer Ermächtigung für den Landesgesetzgeber will der Gesetzentwurf dies erreichen, um damit die soziale Position der Untergebrachten in gleicher Weise wie die des Strafgefangenen im normalen Strafvollzug zu schützen.Meine Damen und Herren, ich halte diese Regelung nicht für unproblematisch. Warum? Die unterschiedliche Behandlung der normalen Strafgefangenen einerseits und jener Verurteilten, die in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt untergebracht worden sind, andererseits, ergibt sich aus einer Grundsatzentscheidung des Strafvollzugsgesetzes: Die strafrechtlich dort Untergebrachten sollen im wesentlichen nicht anders als die anderen Patienten, die etwa auf Grund landesrechtlicher Vorschriften dort untergebracht worden sind, behandelt werden. Für die im Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt untergebrachten Straftäter sind vor allem ärztliche, medizinische Gesichtspunkte maßgebend. Das ergibt sich schon aus den §§ 136 und 137 des Strafvollzugsgesetzes. Sie leben dort mit Patienten zusammen — die
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Dr. Olderoganderen sind in der Mehrzahl —, die dort aus nichtstrafrechtlichen Gründen eingewiesen sind.Der leitende Gesichtspunkt für das Strafvollzugsgesetz in seiner bisherigen Regelung war, daß man nicht zweierlei Recht in den Landeskrankenhäusern haben wollte. Dieser Gedanke ist auch in der offiziellen Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strafvollzugsgesetz 1973 ausdrücklich hervorgehoben worden. Man fürchtete sonst Unzuträglichkeiten in diesen Krankenhäusern, die es ohnehin mit mancherlei Problemen zu tun haben. Der damalige Gesetzgeber wollte also eine Aufsplitterung des Rechts innerhalb der psychiatrischen Krankenhäuser und Entziehungsanstalten vermeiden. Deshalb auch die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers in diesen Fragen.Meine Damen und Herren, wir sollten daher sehr sorgfältig prüfen — ich kann dazu heute keine abschließende Antwort geben —, ob wir den in diesem Gesetzentwurf aufgezeigten Weg gehen wollen. Zu prüfen wäre etwa auch, ob man nicht durch eine Änderung der allgemeinen Pfändungsschutzvorschriften das politische Ziel, das mit diesem Gesetzentwurf verfolgt wird, noch besser erreichen könnte, und zwar in der Weise, daß alle Gruppen, die in einer ähnlichen Lage sind, davon Nutzen ziehen könnten.Meine Damen und Herren, zum Problemkreis Nr. 2: Es geht um die Frage der Rechtswegregelung. Auch hier bietet der Gesetzentwurf eine Ermächtigung für den Landesgesetzgeber an. Statt des Oberlandesgerichts soll die Strafvollstreckungskammer für die Entscheidung über Rechtsmittel zuständig sein, wenn der Landesgesetzgeber dies will. Auch hier stellt sich die Frage, ob das Prinzip der Gleichbehandlung der Untergebrachten durchbrochen werden soll. Strafrechtlich und landesrechtlich Untergebrachte befinden sich doch zum selben Zweck im Krankenhaus, in der Anstalt, nämlich in erster Linie, damit sie dort geheilt werden, aber auch zu ihrem eigenen Schutz und zum Schutz der Allgemeinheit.Die praktischen Fragen, die sich dort stellen, stellen sich eben für beide Gruppen der dort Untergebrachten gleich, sowohl für die strafrechtlich wie auch für die aus anderen rechtlichen Gründen dort Untergebrachten. Ich denke, auch hier sollten wir sorgfältig prüfen, ob das nicht dafür spricht, einen einheitlichen Rechtsbehelf, einen einheitlichen Rechtsweg vorzusehen. Dabei ist auch besonders zu beachten, daß hier nicht etwa vollstreckungsrechtliche Entscheidungen in Frage stehen, für die heute auch bei nach den §§ 63, 64 des Strafgesetzbuches Untergebrachten die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts zuständig ist.Meine Damen und Herren, sollte man allerdings den vom Gesetzentwurf angestrebten Weg gehen, dann sollte dem Vorschlag der Bundesregierung gefolgt werden, den Rechtsweg bundeseinheitlich zwingend vorzusehen. Wir sollten auf diese Weise einer Rechtszersplitterung entgegenwirken.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend ein Wort zur Bedeutung dieses Gesetzentwurfs im allgemeinen sagen.Ich habe mich bei der Lektüre dieser Drucksache gefragt: Ist die Neuregelung dieser beiden genannten Punkte so wichtig, daß sich dafür der Aufwand eines gesonderten Gesetzgebungsverfahrens lohnt? Muß deswegen wirklich die ganze Gesetzgebungsmaschine des Bundesrats und des Bundestages in Bewegung gesetzt werden?
Meine Damen und Herren, wir als Politiker und Abgeordnete verurteilen draußen in unseren Reden und Diskussionen immer wieder die Gesetzesflut und versprechen unseren Bürgern, daß wir tatkräftig dagegen ankämpfen wollen. Wenn ich mir das hier so angucke, frage ich mich: Muß dieses Gesetz wirklich sein? Ist es unbedingt notwendig? Hat es in der Praxis Probleme gegeben, die eine Neuregelung erfordern? Ich habe mich danach erkundigt. Mir ist davon nichts bekanntgeworden.Sicher könnten die zuständigen Fachreferenten in den Länderministerien und im Bundesjustizministerium eine ganze Reihe von Detailpunkten nennen, deren Regelung oder Ergänzung wünschenswert wäre. Warum sind diese zwei doch relativ unbedeutenden Detailfragen herausgegriffen worden? Sollte das eine Ergänzung zum Entwurf eines Strafvollzugsfortentwicklungsgesetzes sein? Aber jener Entwurf dürfte inzwischen längst gestorben sein, wenn ich es richtig sehe; jedenfalls habe ich lange nichts mehr davon gehört. Er ist vermutlich aus finanziellen Gründen gestorben.Meine Damen und Herren, wir müssen uns immer wieder klarmachen: Nicht jede gute Idee von uns oder von einem Fachreferenten oder von einer Konferenz aller Fachreferenten von Bund und Ländern sollte den Gesetzgebungsapparat in Bewegung setzen können. Wir Abgeordneten, aber natürlich auch der Bundesrat sollten nur dann einen Gesetzentwurf einbringen, wenn es dafür zwingende Gründe gibt.
Politische Verdienste, meine Damen und Herren, erwerben wir heute nicht unbedingt dadurch, daß wir Gesetzesinitiativen ergreifen. Derjenige erwirbt Verdienste, der überflüssige Gesetze verhindert. Auch unter diesem Gesichtspunkt, meine Damen und Herren, sollten wir die Bundesratsinitiative, geboren im schönen Land Hessen, kritisch prüfen. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schwenk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Olderog, der schmale Entwurf erinnert mich nicht gerade an Gesetzesflut, sondern vielleicht an das Auslaufen einer kleinen Welle. Man könnte natürlich sagen: Viel wenig macht auch ein Viel. Aber das liegt hier j a nicht vor.
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Dr. Schwenk
Schönen Dank, daß Sie mich darauf hingewiesen und erklärt haben, von wem die Initiative kommt. Ich hatte beim niedersächsischen Referenten nachgefragt. Er war in seinem Amt aber neu; er wußte das noch nicht. Jedoch wußte er mir eines zu sagen: daß außer dem niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetz vom 1. Juni 1982, herausgegeben am 7. Juni 1982 — ich habe es gerade in die Hand bekommen —, in der Tat nur die Hessen ein Maßregelvollzugsgesetz verabschiedet haben. Die anderen Länder sind noch im Verzug. Deswegen konnten auch nur diese beiden Länder in Betracht kommen.Wenn auch die anderen Bundesländer schon tätig gewesen wären, dann wäre es vielleicht eine von breiteren Kräften getragene Initiative gewesen. Aber die Quantität hat hier an der Qualität nichts zu rütteln.
— Das ist richtig. Hoffentlich mit der Selbstverpflichtung, daß die anderen Länder darangehen, ebenfalls Maßregelvollzugsgesetze zu beschließen. Das wäre schön. Aber, Herr Kollege Erhard, landsmannschaftlich sind Sie da ja außer Obligo. Die anderen Kollegen sind dran; die können zu Hause noch nachfragen.Eben ist gefragt worden: Ist die Sache wirklich so bedeutsam, daß deswegen der Bundesgesetzgeber in Bewegung gesetzt werden muß? Ich würde sagen: Hier wird wegen ganz anderer Dinge Papier bedruckt, teilweise mit Erfolg und Absicht, teilweise, Herr Kollege Olderog, um damit ein bißchen Eindruck von Aktivität zu machen. Das kennen wir auch.
Daran sind viele beteiligt. — Herr Kollege Erhard, wir bekommen ja auch von Ihrer Fraktion immer wieder etwas vorgelegt. Im Zusammenhang mit dem nächsten Tagesordnungspunkt können wir ja ein bißchen in der „Vergangenheitskiste" wühlen. Da werden wir das sehen.Aber zur Sache. Ich meine schon, es ist der Rede und auch des Tuns wert, eine Erweiterung des Strafvollzugsgesetzes in Gang zu setzen. Ich glaube kaum, daß wir uns damit zuviel Arbeit machen werden. Aber die Nachprüfung des niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetzes in diesem Punkt hat ergeben, daß die Rechtslage durchaus schwierig und nicht ganz übersichtlich ist. Die Niedersachsen haben sich nämlich auch Gedanken darüber gemacht, wie das schmale Geld, das von den Betreffenden bzw. von der Anstalt für sie zurückgelegt wird, vor einem Gläubigerzugriff geschützt werden kann. Maßgabe dabei ist, daß das Geld für den Lebensunterhalt für einen Monat reicht. Einen solchen Betrag möchte man nicht nur mit Blick auf den Strafentlassenen aus der Vollzugsanstalt, sondern auch gerne mit Blick auf jenen sicherstellen, der aus strafrechtlichen Gründen im psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt ist. Für diesen Personenkreis gibt es keine Schutzvorschriften. Das normale Pfändungsrecht reicht dafür nicht; denn das ist auf normale Bezüge ausgerichtet. Darauf kann auch der Landesgesetzgeber nicht ohne weiteres Bezug nehmen.Die Niedersachsen haben sich damit geholfen, daß sie auf Vorschriften aus dem Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuchs verwiesen haben. Es sind, wenn ich mich richtig erinnere, die §§ 38 bis 59. Hier kommt § 54 des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuchs in Frage, der einmalige und laufende Geldleistungen schützt, nicht aber angesammeltes Geld. Nun sehe ich doch einen qualitativen Unterschied zwischen demjenigen, der auf Grund strafgerichtlicher Verurteilung in einer solchen Anstalt ist, und demjenigen, der auf Grund eigenen Entschlusses oder etwa einer Bestimmung seines Vormunds — oder wer sonst für ihn zuständig ist — dort untergebracht ist; denn diejenigen, die dort auf Grund strafgerichtlicher Verurteilung sind, haben draußen normalerweise ganz andere Verbindlichkeiten, mehr Gläubiger, die Zugriff nehmen wollen, als andere. Das ist dabei nicht zu vergessen.Ob nun wirklich eine unterschiedliche Behandlung des auf Grund strafgerichtlicher Verurteilung dort Befindlichen und der anderen so außer Betracht bleiben muß oder ob die Rechtslage so betrachtet werden muß, daß er sich, abgesehen von der Unterbringung, in derselben Situation wie derjenige befindet, der in Strafhaft ist, ist wiederum fraglich. Das wesentliche Anliegen ist — und darum geht es —, das für ihn zurückgelegte Geld für die ersten vier Wochen außerhalb der Anstalt vor einem Zugriff zu sichern. Dazu würde es einer Erweiterung des Strafvollzuggesetzes bedürfen, das derartige Schutzvorschriften schon hat. Angesichts des dazu geringen erforderlichen Arbeitsaufwandes sollte es uns der Mühe wert sein, einen entsprechenden Gesetzesbeschluß zu fassen.Selbstverständlich müssen wir vorher überlegen, ob wir eine bundeseinheitliche Regelung oder eine Ermächtigung für die Länder beschließen wollen. Da schließe ich mich Herrn Olderog an: Wenn, dann den ganzen Schritt, nämlich bundeseinheitlich, und nicht den halben Schritt, den der Bundesrat vorgeschlagen hat; wahrscheinlich — ich komme wieder darauf zurück —, weil die anderen Bundesländer mit einem eigenen Maßregelvollzugsgesetz noch nicht nachgezogen haben. Da aber die Fachgruppe der Leiter der psychiatrischen Anstalten bereits einen Musterentwurf erarbeitet hat, dürfte das möglich sein. Ich würde mich freuen, wenn es dazu kommt. — Das war das eine Anliegen.Das zweite Anliegen ist, einen abgesicherten Rechtsweg für Beschwerden des Untergebrachten zu eröffnen. Auch hier ist die Rechtslage unsicher. Er ist ja gegen seinen Willen in der Anstalt, hat aber zur Zeit nur die Beschwerdemöglichkeit der Untergebrachten, so daß für das, was er vorzubringen hat, die Anstaltsleitung und ihre übergeordneten Verwaltungsdienststellen zuständig sind, nicht aber die Strafvollzugskammer. Hier wird deutlich, daß eine rechtliche Gleichstellung mit den in der Vollzugsan-
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Dr. Schwenk
stalt Befindlichen herbeigeführt werden sollte. Dann hätten wir einen klar abgegrenzten Rechtsweg: Alle, die auf Grund Richterspruchs entweder im Vollzug oder in einer solchen Anstalt untergebracht sind, haben den gleichen Rechtsweg. Das ist die Sachlage. Das sollten wir im Auge behalten. Damit sollten wir uns befassen und — ich hoffe, ohne allzu großen Arbeits- und Papieraufwand — zu einem Schluß kommen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bergerowski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie sehen, man kann auch über ein an sich ganz kleines und auf wenigen Zeilen dargestelltes Problem sehr nachdenklich reden und reden müssen. Das ist hier von den beiden Kollegen bereits getan worden. Das läßt ahnen, daß wir über diese Frage wohl am allerbesten im Ausschuß weiterreden, weil es darauf ankommt, einfach einmal auszuloten, was denn in dieser Frage für die Beteiligten sinnvollerweise geregelt werden muß.
Bei der ersten Beratung, die wir in der eigenen Fraktion durchgeführt haben, sind wir zu dem Ergebnis gekommen, das, so wie es uns jetzt vorliegt, nicht einleuchtend genug begründet ist, weshalb die Regelung so lauten muß. Ich glaube, daß wir gut daran tun, folgendes im Auge zu behalten: Wenn man die Regelungen überhaupt als notwendig erachtet — hier ist ja das Argument nicht zu übersehen, daß es sich um eine Situation des Vollzugs nach einem strafrichterlichen Spruch handelt und daß damit auch die Behandlung dieses konkreten Falles gleich sein sollte; das ist sicherlich ein ganz wichtiger Gesichtspunkt auch unter dem Aspekt der Wiedereingliederung und des Zurückführens in die Gemeinschaft, der Resozialisierung also —, wird es förderlich sein, wenn wir dann auch gleich die Voraussetzung dafür schaffen, die Gleichstellung zu garantieren, indem Überbrückungsgeld und Eingliederungshilfen finanziell gesichert werden. Dann darf es nicht darauf ankommen, wo denn nun die Folgen eines strafrichterlichen Urteils vollzogen werden, ob das im Strafvollzug selbst ist oder im Maßregelvollzug in einer Anstalt anderer Art. Unter diesem Aspekt bin ich auch der Meinung, daß der Einstieg für ein Regelungsbedürfnis schon richtig ist und wir da schon auf dem rechten Weg sind.
Aber was mich an diesem Entwurf stört, ist: Wir würden damit die Möglichkeit schaffen, daß die Länder selbst Regelungen finden und daß wir einer Rechtszersplitterung Vorschub leisten würden. Denn es wäre sehr wahrscheinlich, daß das Angebot, das in diesem Gesetz, so wie es jetzt vorliegt, gemacht wird, am Ende nicht alle Länder wahrnehmen würden. Damit wäre wohl auch für die Betroffenen unverständlich, daß sie von Land zu Land verschieden behandelt würden, wenn es um die Frage der Pfändung von angesammeltem Geld geht. Das geht nach meiner Vorstellung eigentlich nicht. Wenn man hier über eine Lösung nachdenkt, sollte man eine bundeseinheitliche Lösung ins Auge fassen.
Dann bietet sich natürlich auch an, dieselben Überlegungen, wie sie der Kollege Schwenk auch angestellt hat, für die Frage des Rechtsweges zu treffen. Das brauche ich hier wohl nicht noch einmal auszuführen.
Diese Angelegenheit ist von nicht allzu großer Bedeutung, aber es gibt eben immer wieder das Bedürfnis, Dinge abzuklären, die nicht gut zu handhaben sind, und Lücken, die man sieht, zu schließen. Solch ein kleiner Beitrag zur Vereinheitlichung des Rechts, das mit der Vollstreckung von Strafurteilen zusammenhängt, ist wohl hier gemeint, und insoweit wollen wir dieses Bemühen im Ausschuß unterstützen.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vorlage des Bundesrates reißt mit Sicherheit die Öffentlichkeit nicht von den Stühlen. Es handelt sich um den Vorschlag zur Änderung einiger weniger Paragraphen des Strafvollzugsgesetzes, eines Gesetzes, das wir erst jüngst verabschiedet haben. Und dennoch: Der Bundesrat will mit seiner Vorlage ein kleines Stück Ungerechtigkeit beseitigen und Rechtszersplitterung aufheben. Worum geht es dabei?
Nach geltendem Recht sind das Überbrückungsgeld und die Entlassungshilfe eines Inhaftierten nicht pfändbar, nicht jedoch so bei einem Untergebrachten, der z. B. in einer psychiatrischen Anstalt einsitzt. Es ist eigentlich nicht einzusehen, warum der Gesetzgeber hier zwei im Grunde gleich gelagerte Fälle unterschiedlich handhabt. Es geht also darum, einer kleinen Minderheit zu helfen und sie mit ihren Angehörigen in den Stand zu setzen, den die Mehrheit der Inhaftierten in einer Justizvollzugsanstalt bisher bereits hat. Dies ist zu billigen; dem stimmen wir alle gemeinsam zu.
Mit dem zweiten Vorschlag zielt der Bundesrat darauf ab, den Versuch zu unternehmen, die Rechtsmittel, die ein im Maßregelvollzug einsitzender Inhaftierter hat und die er jetzt beim Oberlandesgericht anbringen muß, so auszugestalten, wie dies bereits bei dem „normal" Inhaftierten der Fall ist, der nämlich seine Rechtsmittel beim Landgericht anbringen kann. Dies würde bedeuten, daß ein Stück Rechtszersplitterung beseitigt würde und daß das Oberlandesgericht eine Entlastung erführe.
Beides sind also vernünftige Anliegen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Olderog, Herr Parlamentarischer Staatssekretär?
Ja, selbstverständlich, Herr Präsident.
Herr Staatssekretär, ich wollte Sie gern fragen: Muß man nicht davon ausgehen, daß die strafrechtlich Untergebrachten in den
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Dr. OlderogKliniken voll integriert sind zusammen mit denen, die dort auf Grund landesrechtlicher Vorschriften untergebracht worden sind? Und würde die Behandlung dieser strafrechtlich Untergebrachten nach den Regeln der im Strafvollzug Einsitzenden nicht möglicherweise neue Ungerechtigkeiten schaffen im Verhältnis zu denen, die dort auf Grund landesrechtlicher Vorschriften untergebracht sind? Schafft das nicht neue Ungerechtigkeiten? Schafft das nicht zweierlei Recht in den Krankenanstalten?
Im Grunde genommen nicht, weil bei denen, um die es hier geht, eine Einweisung — wenn ich das einmal so untechnisch formulieren darf — durch einen Richterspruch im Rahmen eines Strafverfahrens erfolgt. Hier sollen zunächst Einheitlichkeit und Gleichheit hergestellt werden.
Im übrigen steht uns nichts im Wege, zu prüfen, ob wir auch den Punkt, den sie erwähnen, noch aufgreifen sollten. Aber ich meine, man sollte zunächst einmal die hier allseits erkannte Ungerechtigkeit beseitigen.
Ich darf fortfahren: Das Ziel, das der Bundesrat mit seinen zwei Vorschlägen erreichen will, wird von allen unterstützt. Aber die Wege, die in Vorschlag gebracht werden, können meiner Meinung nach keine Unterstützung erfahren. Dies haben hier bereits auch alle Vorredner dargetan. Die Wege, die der Bundesrat vorschlägt, würden zu einer neuen Rechtszersplitterung führen, weil der Gesetzesvorschlag des Bundesrates gegenüber den Ländern nur die Möglichkeit vorsieht, entsprechende Änderungen durchzuführen. Dies würde in der Praxis mit großer Wahrscheinlichkeit dahin führen, daß das eine Land eine Gleichstellung vornimmt, das andere nicht, daß das eine Land die Möglichkeit eröffnet, zum Landgericht zu gehen, das andere nicht.
Deswegen bittet auch die Bundesregierung, im Rahmen der Beratung dafür Sorge zu tragen, daß wir zu einer bundeseinheitlichen Regelung kommen. Wäre das der Fall, würde ein kleines bißchen Ungleichheit beseitigt, würde für etwas mehr Gerechtigkeit gesorgt und würde eine Rechtszersplitterung aufgehoben, ohne daß es zu einer neuen Rechtszersplitterung käme. — Vielen herzlichen Dank.
Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Ich eröffne — — Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 9/1697 an den Rechtsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Das ist so beschlossen.
Ich war wegen der immer näher heranrückenden kulturellen Veranstaltung um 17.15 Uhr schon einen Punkt weiter.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb
— Drucksache 9/1707 —
Der Ältestenrat hat für diese Aussprache eine Normalrunde vereinbart. — Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden.
Das Wort zur Begründung hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. de With.
Herr Präsident. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 7. Juni 1909, also vor beinahe exakt 73 Jahren, ist das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb verkündet worden. Seitdem hat es sehr wenige Änderungen erfahren. Es ist ein Gesetz, das vorwiegend mit Generalklauseln arbeitet, ein Gesetz, von dem wir annehmen müssen, daß es in der Tat wirksam war und geholfen hat, Unlauterkeiten im Wettbewerb zu beseitigen. Nur hat dieses Gesetz von Anfang an an dem Mangel gelitten, daß es lediglich den Mitwettbewerbern Instrumentarien zur Bekämpfung von Unlauterkeiten an die Hand gab, nicht jedoch gleichermaßen den Verbrauchern, die mindestens ebenso direkt wie die Mitbewerber von unlauteren Machenschaften beeinträchtigt werden, ungeachtet der Tatsache, daß selbstredend die Instrumentarien, die für die Mitwettbewerber geschaffen wurden, natürlich, wenn davon Gebrauch gemacht wird, den Verbrauchern, den Letztabnehmern helfen.Die Bundesregierung will mit ihrer Novellierung jetzt letztendlich dieses UWG, wie es abgekürzt heißt, um eine echte Verbraucherschutzkomponente bereichern. Daneben will die Bundesregierung in zwei Bereichen weitere Änderungen bzw. Verbesserungen einführen. Einmal möchte die Bundesregierung erreichen, daß es zu gewissen strafrechtlichen Verbesserungen kommt, und zum anderen, daß es Änderungen im Abmahnwesen gibt. Ich verweise hier nur auf das Stichwort „Abmahnvereine".
Was die Änderungen der Strafrechtsnormen anlangt, so geht es u. a. darum, die sogenannte progressive Kundenwerbung, d. h. den Gebrauch von sogenannten Schneeballsystemen, unter Strafe zu stellen. Ich glaube, dies ist unbestritten: Hier muß endlich einmal zugegriffen werden, weil in diesem Bereich eine Menge Mißbrauch getrieben wird, vornehmlich auf Kosten unerfahrener, insbesondere älterer Leute.
Was die Frage des Abmahnwesens anlangt, darf ich zunächst darauf verweisen, daß seit Bestehen, also seit mehr als 70 Jahren, das UWG die Möglichkeit kennt, daß Verbände Unlauterkeiten durch Abmahnungen beseitigen. Folgt der Angegriffene der ersten Abmahnung nicht, kann der Verband vor Gericht gehen und klagen. Die Rechtsprechung hat nun diesen Verbänden die Möglichkeit gegeben, bereits für die erste Abmahnung bei dem Abgemahnten Ko-
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Parl. Staatssekretär Dr. de Withsten einzutreiben. Das hat in der Praxis dazu geführt, daß manch ein Rechtsanwalt die Gazetten durchblättert — wobei er mitunter sehr leicht Unlauterkeiten nach dem UWG findet —, diese, nachdem er sie aufgestöbert hat, mit Hilfe eines über Freunde zusammengebastelten Vereins en masse abmahnt und dabei jeweils, sagen wir, einen Betrag von 200 DM gegenüber den Abgemahnten als Unkosten eintreibt. Dies dient nicht dem Wettbewerb, sondern in erster Linie — wir dürfen es so formulieren — seinem Portemonnaie. Daß das dem Sinn des UWG nicht gerecht wird, ist offenkundig. Deswegen ist die Bundesregierung der Meinung, daß derartigen unseriösen Abmahnvereinen dadurch mit Nachdruck ein Riegel vorgeschoben werden muß, daß wir ausschließen, daß für die erste Abmahnung ein Entgelt verlangt werden kann. Fällt nämlich dieser „Ansporn" weg, werden unseriöse Abmahner sicher nicht mehr darauf reflektieren, auf diese Art und Weise im Rahmen des Verfahrens Geld eintreiben zu wollen.
Die Bundesregierung begrüßt es ganz außerordentlich, daß sich — ich muß sagen: wohl auf Grund dieses Vorschlages — die Industrie- und Handelskammern Köln, Aachen und Bonn mit anderen Institutionen in einem Verband zusammengeschlossen haben mit der ausdrücklichen Erklärung, künftig für erste Abmahnungen keine Kostenerstattung mehr zu verlangen. Ich darf das Verhalten dieser Selbsthilfeeinrichtung mit der Vorwegnahme dessen, was die Bundesregierung mit ihrer UWG-Novelle wünscht, noch einmal ganz ausdrücklich begrüßen.
Je mehr die Selbsthilfekräfte der Wirtschaft in den Stand gesetzt werden, den Wettbewerb auf seriöse und saubere Art zu bereinigen, desto weniger wird mit Sicherheit die Stimme erhoben werden, auf öffentlich-rechtlichem Wege für mehr Sauberkeit und Ordnung zu sorgen.Nun komme ich zum Kernpunkt, zum A und O der Novelle der Bundesregierung. Ich sagte eingangs, daß das bisherige Recht dem Verbraucher keine direkte Möglichkeit gegeben hat, so wie sie der Mitwettbewerber aufzuweisen hat. Dies darf ich an einem Beispiel erläutern.Das geltende Recht kennt nur die Möglichkeit, zugunsten des Mitbewerbers auf Unterlassung bzw. auf Schadenersatz zu klagen. Meist kommt es nur zu einer Unterlassungsklage mit der Folge, daß sich an diesem Geschehen das Wort gebildet hat, „unlauterer Wettbewerb lohne sich fast immer". Mit diesem Wort muß ein- für allemal Schluß gemacht werden dadurch, daß auch den Verbrauchern entsprechende Instrumente in die Hand gegeben werden.Nun die angekündigte Erläuterung dessen, was die Bundesregierung mit ihrer Novelle will: Angenommen, ein Hersteller produziert eine Ware, für die er unlauter wirbt. In diesem Fall kann der Konkurrent — weil er fürchtet, daß sein Marktanteil kleiner wird —, wie ich bereits erwähnte, auf Unterlassung klagen und, wenn er glaubt, sein Schaden könne geschätzt werden, einen Schadenersatzanspruch geltend machen. Der Letztverbraucher hingegen, der, auf diese unlautere Werbung vertrauend, zum Händler geht und dort seine Ware kauft, hat nach geltendem Recht keinen Schadenersatzanspruch gegenüber dem Hersteller und natürlich auch keine Möglichkeit, sich vom Vertrag zu lösen für den Fall, daß sich der Händler die unlautere Werbung zunutze macht.
Aus diesem Grunde wollen wir mit der Gesetzesnovelle dem Letztverbraucher die Möglichkeit geben, falls sich ein Händler die unlautere Werbung zunutze macht, sich vom Vertrag gegenüber dem Händler zu lösen. Wir wollen außerdem die Möglichkeit schaffen, daß der Händler in diesem Fall für den eingetretenen Schaden bei dem Hersteller Regreß nimmt.Im übrigen wollen wir, daß der Verbraucher, der j a nicht in vertraglichen Beziehungen zum Hersteller steht, diesem gegenüber einen Schadenersatzanspruch geltend machen kann. Dies ist notwendig, weil der Bundesgerichtshof in seiner berühmten Prüfzeichenentscheidung aus dem Jahre 1974 expressis verbis einen Schadenersatzanspruch in solchen Fällen ausgeschlossen hat. Er hat nämlich gesagt, das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb sei kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches, und damit die Ansprüche eines Endverbrauchers gegenüber dem Hersteller — der Verbraucher hatte von einem Zwischenhändler erworben — abgewiesen. Damit sollte einfür allemal Schluß sein.
— Bitte schön, Herr Erhard.
Sie gestatten. Herr Erhard, bitte.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht am einfachsten, genau das, was der Bundesgerichtshof angenommen hat, durch einen einfachen Satz im UWG zu lösen, der lauten könnte: Dieses Gesetz ist ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Dann wären alle die Fragen gelöst.
Nicht alle Fragen wären gelöst. Zum Beispiel wäre die Frage nicht gelöst, wie es mit dem Rücktrittsrecht ist, wenn sich der Zwischenhändler die unlautere Werbung des Herstellers zu eigen macht und damit zu einem großen Geschäft kommt. Denn nur wenn in diesem Fall der Letztverbraucher gegenüber dem Händler das Recht zum Rückritt hat, wird der Händler seinem Hersteller sagen: Hör mit dieser unlauteren Werbung auf; alle Verträge platzen! Nur wenn der Händler die Möglichkeit hat, auf Grund der geplatzten Verträge Regreß beim Hersteller zu nehmen, ist der Druck groß genug, die unlautere Werbung endlich zu stoppen. Es geht letztlich darum, daß auch die Risikoschwelle des Herstellers bei der Werbung erhöht wird.
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6448 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1982
Parl. Staatssekretär Dr. de WithEine ganz andere Frage ist es, wie man das Schadenersatzrecht ausgestaltet. Dabei kann man über einige Variationen reden.
Herr Staatssekretär, ich wollte mich nur entschuldigen. Sie halten eine Einbringungsrede. Dabei ist eigentlich eine Frage nicht zugelassen. Sie haben sie jedoch beantwortet; es wird also nicht so schlimm sein. Danke schön.
Vielen Dank.
Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen. Wirbt ein Hersteller für ein Fahrrad, das 500 DM koste und fünf Gänge aufweise, mit dem Hinweis, dies könne die kleine Tochter mit dem kleinen Finger aufheben, führt das dazu, daß viele Väter bei dem Händler kaufen, weil sie glauben, dies sei ein halbes Rennrad. Stellt aber dann der Vater fest, wenn er die Pappe vom Fahrrad entfernt, daß zwar das Fahrrad 500 DM gekostet hat und es auch fünf Gänge aufweist, daß aber die Tocher keineswegs das Fahrrad mit dem kleinen Finger aufheben kann, weil allenfalls die Schutzbleche aus Leichtmetall sind — das ist ein gegriffenes Beispiel — dann fühlt er sich, wie man im Volksmund sagt, geleimt.
Was kann jetzt der Letztverbraucher tun? Der Letztverbraucher hat zur Zeit kein Recht, gegen den Hersteller vorzugehen, weil er ja vom Händler gekauft hat. Er wird in Schwierigkeiten geraten, wenn er gegenüber dem Händler den Vertrag rückgängig machen will, weil sich der Händler ja nur die Werbung des Herstellers zu eigen gemacht hat.
Mit dem neuen Recht wollen wir, falls das Fahrrad bei einem Dritten um 450 Mark gekauft werden kann, daß entweder der Letztverbraucher den Vertrag rückgängig macht und dann der Händler seine Ansprüche gegenüber dem Hersteller eintreiben kann oder aber daß der Letztverbraucher, falls er Schadenersatz wünscht, seine 50 DM Schadenersatz gegenüber dem Hersteller einklagen kann. Ich sagte, das Fahrrad habe 500 DM gekostet, es sei woanders um 450 DM zu kaufen, und er sei nur durch eine unlautere Werbung zum Geschäftsabschluß gebracht worden; dann könne er diese 50 DM direkt gegenüber dem Hersteller geltend machen. Weil das natürlich kein allzu großer Betrag ist, räumen wir zusätzlich die Möglichkeit ein, daß Verbände solche Schadenersatzansprüche sammeln und dann gebündelt geltend machen. Wir glauben, daß mit diesen beiden Möglichkeiten — Schadenersatzanspruch und Vertragslösungsrecht — nicht nur eine Verbraucherschutzkomponente dem UWG beigegeben wird. Wir glauben auch, daß damit ein Stück mehr Verbraucherschutz-Gerechtigkeit erreicht und zugleich der Wettbewerb im Sinne des ursprünglichen Wollens des UWG besser wird.
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn dieses, wie wir meinen, für den Verbraucher sehr wichtige Gesetz alsbald und zügig beraten würde. Ich darf noch darauf verweisen, daß die Wissenschaft und, ich meine, auch die Opposition, so wie ich Ihre Anträge verstehe, gegen einen Schadenersatzanspruch und gegen ein Vertragslösungsrecht im Grunde keine Einwendung haben. Um so eher und leichter sollte es möglich sein, hier einen Schritt nach vorn zu tun.
Vielen herzlichen Dank.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sauter .
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wieder einmal hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf — den zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb — mit gehöriger Verspätung vorgelegt. Und wieder einmal mußte sie dazu gewissermaßen durch einen Gesetzentwurf der Union gezwungen werden. Es ist durchaus unklar, ob innerhalb der Koalitonsfraktionen tatsächlich der Wille zur Novellierung vorhanden ist. Immerhin wurde Mitte der letzten Legislaturperiode schon einmal ein Gesetzentwurf der Regierung eingebracht. Dieser war zugegebenermaßen um vieles schlechter als der jetzige. Aber auch an dem jetzigen ist nicht alles Gold, was glänzt.
— Manche meinen noch, es würde glänzen.Der letzte Regierungsentwurf ist nicht dem Zeitablauf zum Opfer gefallen. Vielmehr war die Uneinigkeit im Lager der Koalitionsfraktionen so groß, daß es zu einer abschließenden Beratung und zur Verabschiedung eines Gesetzes nicht mehr gekommen ist. Es ist zu hoffen, daß dies den jetzigen Entwürfen erspart bleibt. Denn es muß dringend etwas geschehen, insbesondere auch im Interesse des Mittelstandes. Eine Novellierung ist unbedingt erforderlich, da gerade dieses Rechtsgebiet immer wieder an die tatsächlichen Gegebenheiten im Wirtschaftsleben angepaßt werden muß. Dabei ist dafür Sorge zu tragen, daß Wettbewerb, Wettbewerber und Verbraucher geschützt und gestärkt werden gegen Mißbrauch und Unlauterkeit.Insbesondere in folgenden Punkten hebt sich der jetzige Entwurf positiv vom letzten ab und trägt dabei den insbesondere von uns und vom Bundesrat vorgetragenen Bedenken Rechnung: erstens beim Verzicht der Erstreckung des Schadenersatzanspruches der Abnehmer bei Wettbewerbsverletzungen auf das positive Interesse, zweitens bei der einheitlichen Behandlung der Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen und der sogenannten gewerblichen Klageverbände im Hinblick auf den Unterlassungsanspruch und drittens bei der Neufassung der Voraussetzungen für das Rücktrittsrecht des Abnehmers in den Fällen, in denen die den Rücktritt begründende unlautere Werbung nicht vom Vertragspartner, sondern von einem Dritten ausging.In einem weiteren Punkt scheinen die jetzt gemachten Vorschläge zur sinnvollen Problemlösung
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Sauter
beizutragen, nämlich bei den sogenannten Gebühren- oder Abmahnvereinen.
Beide Ausdrücke sind aus meiner Sicht eine außerordentlich vornehme Umschreibung für die Spitzbuben, die sich hier zuhauf tummeln.
Die Tätigkeit der meisten Abmahnvereine begründet sich leider nicht aus dem Willen und der Notwendigkeit, für einen sauberen Wettbewerb zu sorgen; vielmehr ist den meisten der Wettbewerbsgedanke völlig egal; ihnen geht es weder um Verbraucher-noch um Wettbewerberschutz, ihnen geht es um die eigene Kasse.
Das Unwesen der Kredithaie wurde somit in den letzten Jahren um das Unwesen der Gebührenhaie erweitert. Unser Tun muß darauf ausgerichtet sein, denjenigen Schutz zu gewähren, die den unlauteren Wettbewerb unmöglich machen, und diejenigen auszuschalten, die aus angeblicher Sorge um den Wettbewerb ihre eigenen Taschen mittels Gebühren vollstopfen.
Die Tätigkeit der sogenannten Gebühren- und Abmahnvereine beruht darauf, daß ein Verband nach § 13 UWG nach der bisherigen Rechtsprechung bereits für die Abmahnung eines Wettbewerbsverstoßes die Erstattung seiner Aufwendungen nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag verlangen kann. Umstritten war und ist, ob der Verband dem Verletzer auch die Kosten eines Rechtsanwalts in Rechnung stellen kann. Die Praxis billigt dem Verband jedenfalls regelmäßig ohne nähere Nachprüfung zumindest die Erstattung einer sogenannten Kostenpauschale zu, die derzeit bei ca. 150 DM liegt. Diese Rechtslage wird etwa ab 1980 in steigendem Maße von unseriösen Verbänden dazu genutzt, in großem Umfang und formularmäßig tatsächliche oder auch nur angebliche Wettbewerbsverstöße abzumahnen, die zumeist lediglich auf einer intensiven Zeitungslektüre basieren. Die Kostenpauschale wird im Abmahnschreiben in Rechnung gestellt. Da sich Gewerbetreibende aus Unkenntnis oder weil sie den damit verbundenen Aufwand scheuen, gegen solche Abmahnungen häufig nicht zur Wehr setzen, stellt ein solches Vorgehen im Regelfall eine beträchtliche Einnahmequelle für den Verein und seine Hintermänner dar, wobei davon ausgegangen werden kann, daß von diesen Vereinen pro Tag zwischen 20 und 100 Abmahnschreiben gefertigt werden.In letzter Zeit sind verstärkt Abmahnaktionen von Gewerbetreibenden zu beobachten. Auch diesen billigt die Rechtsprechung den oben genannten Erstattungsanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag zu, und zwar regelmäßig unter Einschaltung der Anwaltskosten, also bei dann erhöhten Kosten.Die Gerichte haben versucht, diese Mißbräuche durch eine Einschränkung der Verbandsklagebefugnis zu steuern. Abgesehen davon, daß zahlreicheAbnehmer das Risiko der gerichtlichen Auseinandersetzung scheuen und es deshalb oft nicht zu einer Überprüfung der Verbandsklagebefugnis kommt, ist der Nachweis eines Mißbrauchs jedenfalls mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Erst in jüngster Zeit sind vermehrt Entscheidungen bekanntgeworden, in denen Untergerichte die Klagebefugnis eines Verbandes wegen Mißbrauchs verneint haben. Eine Rechtsprechung der Obergerichte, durch die einem Verband die Klagebefugnis wegen Mißbrauchs abgesprochen worden wäre, liegt jedoch meines Wissens bisher noch nicht vor. Die Rechtsprechung hat dieses Problem also nicht im Griff, und sie kann es bei der jetzigen Gesetzeslage auch nur schwerlich in den Griff bekommen. Insbesondere hilft die Einschränkung der Verbandsklagebefugnis dort nicht, wo die Abmahnung durch einen selbständigen Gewerbetreibenden erfolgt.Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus sachgerecht, wenn die Voraussetzungen der Klagebefugnis für Verbände neu geregelt werden. Die unseriösen Gebührenscheffler können aber nur dann wirklich ausgeschaltet werden, wenn der Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen und der Abmahnung ausgeschlossen wird, zumindest beim ersten Mal.Folgende Gesichtspunkte sind hier aus meiner Sicht nochmals zu berücksichtigen.Erstens. Eine sachliche Beschränkung der Verbandsklagebefugnis kann das Problem allein nicht lösen, da damit auf Gewinnerzielung gerichtete Abmahnaktivitäten von Einzelgewerbetreibenden, gegebenenfalls in Verbindung mit Rechtsanwälten, nicht verhindert werden können.Zweitens. Die Rechtsprechung zur Erstattung von Abmahnkosten nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag begegnet erheblichen rechtsgrundsätzlichen Bedenken. Sie geht davon aus, daß der Abmahnende durch die Abmahnung ein Geschäft des Abgemahnten wahrnehme, da er diesem die Kosten eines Rechtsstreits erspare. Dieser Ausgangspunkt, die Abmahnung als ein Geschäft im Interesse des Abgemahnten, der schließlich zahlen muß, erscheint lebensfremd. Mit derselben Begründung könnte im übrigen auch in anderen Fällen der Wahrung eigener Rechte argumentiert werden, der Verletzte nehme dadurch ein Geschäft des Verletzers wahr, daß er nicht gleich zu Gericht gehe, sondern seine Ansprüche außergerichtlich geltend mache. Diese Konsequenz ist bisher zu Recht nicht gezogen worden. Vielmehr gilt der allgemeine Grundsatz, daß der Verletzte die außergerichtlichen Kosten seiner Rechtswahrung grundsätzlich selbst zu tragen hat,
wenn ihm nicht das Gesetz einen Schadenersatzanspruch zubilligt, z. B. aus Verzug oder aus unerlaubter Handlung.Somit bedeutet die jetzt vorgeschlagene Regelung keineswegs eine besondere Benachteiligung der Verbände nach § 13 UWG bzw. der Mitbewerber, sondern führt lediglich die durch die Rechtsprechung der vergangenen Jahre begünstigte Sonderentwick-
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lung im Wettbewerbsrecht auf den nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen geltenden Stand zurück.Drittens. Der geplante Eingriff des Gesetzgebers führt allerdings zu einer gewissen Beschränkung der Verbandsklagetätigkeit auch bei seriösen Verbänden. Ferner riskieren private Mitbewerber künftig wieder, die Kosten einer erfolgreichen Abmahnung selbst tragen zu müssen. Dies entspricht jedoch allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Soweit der Wettbewerbsverstoß schuldhaft erfolgt ist, ist der Verletzer zum Schadenersatz und damit auch zur Erstattung der anfallenden Kosten der Rechtswahrung verpflichtet. Die vorgesehene Regelung ist also sinnvoll und wirft die unlauteren Verbände mangels dann nicht mehr vorhandenen Interesses aus dem Rennen.Hinsichtlich der Einführung eines Registrierungsverfahrens beim zuständigen Amts- oder Landgerichtspräsidenten für Verbraucherverbände oder gewerbliche Verbände als Voraussetzung der Klagebefugnis ist der Bundesregierung dringend anzuraten, diesen Vorschlag bei den Ausschußberatungen wieder fallen zu lassen. Neben dem erheblichen bürokratischen Aufwand, dem ein entsprechender Nutzen nicht gegenübersteht, ist insbesondere darauf zu verweisen, daß das Prozeßgericht sich auf die zeitlich zurückliegende Registrierung grundsätzlich nicht verlassen kann und deshalb selbst die sachliche Legitimationsvoraussetzung prüfen muß. Außerdem könnte die Eintragung dazu führen, daß mit ihr Mißbrauch getrieben wird oder gar dem Verein ein irreführender Anstrich von Legitimität verliehen wird.Hinsichtlich der vorgesehenen gebündelten Geltendmachung von Ansprüchen, Herr Staatssekretär, dürfte das Problem wohl darin zu sehen sein, daß bei dem großen Teil der dann doch verhältnismäßig geringen Beträge es wohl dem Verbraucher nicht nahegebracht werden kann, hierfür entsprechende Aktivitäten zu unternehmen und gegebenenfalls seinen Anspruch über 5 DM oder 10 DM an einen Verband abzutreten. Ich glaube, daß das Problem, das Sie lösen wollen, auch mit der gebündelten Klage nicht in den Griff zu bekommen sein wird. Deshalb wäre es vielleicht sinnvoll, wenn hier noch einmal über neue Vorschläge nachgedacht werden könnte.Leider, meine sehr verehrten Damen und Herren, findet sich im derzeitigen Regierungsentwurf nichts zu §§ 7 ff. UWG. Nach Ansicht vieler handelt es sich hier um die erneuerungsbedürftigsten Bestimmungen des gesamten UWG. Im Ausverkaufs- und Räumungsverkaufsrecht treten in der Praxis große Mißstände und große rechtliche Unklarheiten auf.
Es muß dafür Sorge getragen werden, daß Umgehungen und Mißbräuche im Aus- und Räumungsverkaufsrecht verhindert werden. Die dringendsten Probleme des Aus- und Räumungsverkaufsrechts sind im Gesetzentwurf der CDU/CSU vom Juli vergangenen Jahres weitestgehend erfaßt worden. Es wäre nicht nur zu wünschen, sondern ist dringend erforderlich, daß sich die zuständigen Ausschüsse in ihren Beratungen dieser Vorschläge und natürlich auch des gesamten Gesetzentwurfs von CDU und CSU nochmals annehmen und ihn auch so verabschieden, damit die jetzige Novellierung des Gesetzes nicht Stückwerk bleibt. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schwenk.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir sind kulturell interessiert; dennoch harren wir aus. Aber wir werden auch dafür sorgen, daß das Interesse an der Kultur zum Schluß nicht zu kurz kommt.Herr Kollege Sauter, Sie haben hier wie eine Brandungswelle die Aussage heranrollen lassen, wie sehr die Bundesregierung endlich etwas zu tun von Union bzw. Bundesrat gedrängt werden mußte. Nun, ich glaube, ganz das gleiche ist das noch nicht. Diese Aussage steht auch in umgekehrtem Verhältnis zur Anwesenheit des Bundesrates.
Mit der Pression von der Seite her ist es also nicht so gewaltig.
Wenn ich bedenke, wie viele Vorschläge der Bundesrat zur Ergänzung gemacht hat, muß ich sagen, die wären schon zu begründen gewesen.
— Ja, durch den zuständigen Staatssekretär, Herr Kollege Klein.
Auf der anderen Seite haben wir nicht einmal die Referenten, und das ist schon ein bißchen bedauerlich.
— Ja, das kann sein, aber auch das fände ich nicht so gut. Lassen Sie mich das ruhig einmal sagen.
— Ich sage nicht alles, Herr Kollege Klein. Ich weiß nicht, warum Sie jetzt gekränkt sind, nachdem ich das bezüglich des Bundesrates einmal moniert habe.Was lange währt, soll endlich gut werden. Wir haben durch die vielen Vorschläge, die wir bekommen haben, reichlich Beratungsgegenstände für einen Änderungsentwurf, und es ist ja auch schon zur Genüge dargestellt worden, welche Anliegen der Gewerbetreibenden in puncto „Schutz vor mißbräuchlicher Verwendung des Begriffs Räumungsverkauf" vorgebracht worden sind. Darüber haben wir hier auch schon am 10. September des vergangenen Jah-
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Dr. Schwenk
res gesprochen. Wir haben seinerzeit gesagt, daß dies in den Ausschußsitzungen mit berücksichtigt werden soll.Dabei ist allerdings auch darauf hinzuweisen: Dieses Gesetz soll ein Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb darstellen, nicht aber ein Gesetz gegen den Wettbewerb, der in der freien Marktwirtschaft seine Chance sucht und dabei selbstverständlich auch immer darauf angelegt ist, dem Schwächeren Schwierigkeiten zu machen. Wir wollen mit diesem Gesetz nicht den Wettbewerb an sich beschränken, sondern dem unlauteren Wettbewerb entgegentreten. Dies werden wir während der gesamten Beratungen im Auge behalten müssen.
Wir haben nicht nur den seriösen Anbieter vor unlauterem Wettbewerb des Mitbewerbers zu schützen, sondern auch den Verbraucher vor Übervorteilung. Dieser Dritte im Bunde war in der ursprünglichen Gesetzgebung noch weitgehend übersehen worden, und deshalb haben wir das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb auch immer zu den handelsrechtlichen Gesetzen gezählt. Es bedurfte verschiedener Anstöße in der neueren Zeit, um dem Verbraucher seinen gebührenden Platz in der Wirtschaftsordnung zu verschaffen. Er gehört zum Kräftespiel von Angebot und Nachfrage, und zwar nicht nur als dankbarer Abnehmer, sondern auch als schützenswerter Kunde.Unlauterer Wettbewerb ist Ärgernis für jeden anständigen Bieter, der sich an faire Usancen hält. Er ist ein Ärgernis für den Verbraucher, der für gutes Geld nicht den Gegenwert erhält, den er wirklich haben will und auch erwarten darf.Das Gesetz stammt aus dem Jahre 1909. Es ist 73 Jahre alt, also schon etwas ehrwürdig. Seine letzte große Veränderung hat es 1969 erfahren. Damals ist auch der Verbraucherschutz durch Verbände — mit seinen Klagebefugnissen — eingeführt worden. 1974 sind erweiterte strafrechtliche Vorschriften hineingekommen. Seither wird weiter an der Verbesserung des Gesetzes gearbeitet.Unlauterer Wettbewerb ist die Schattenseite des freien Marktes. Überall, wo es Freiheiten und Rechte gibt, ist deren Mißbrauch nicht weit. Wo Licht ist, ist Schatten. Wo Geld mit ehrlicher Mühe verdient werden will, gibt es ebenso den Drang nach schneller Münze. Wo der ehrliche Markt geschützt werden soll, muß unlautere Tätigkeit bekämpft werden. Unlauterer Wettbewerb fördert nicht die freie Marktwirtschaft; er stört, er verzerrt. Die Nachhaltigkeit des Kampfes gegen Machtmißbrauch zeigt, wie wichtig uns die Wahrung soliden Wirtschaftsgebarens ist.Der Verlauf der Grenzlinie zwischen lauterem und unlauterem Wettbewerb ist eine stets neu zu findende Aufgabe. Die einen sehen sie hier, die anderen dort, je nach Interessenlage. Wie immer, wenn die Verschiebung von Grenzen zur einen oder anderen Seite von hohem wirtschaftlichem Interesse ist, gibt es darum den Streit, die Frage z. B.: Wo hört aggressive Werbung auf, wo fängt unlauterer Wettbewerb an? Darum streiten nicht nur die Wettbewerber untereinander, sondern auch die Verbraucher mit Anbietern. Oder anders: Wieweit entspricht z. B. Motivation des Kunden zum Erwerb den allgemein anerkannten Überzeugungen über übliches Marktgeschehen? Wann gleitet der Versuch, den umworbenen Käufer zum Geschäft zu bewegen, in unseriöse Beeinflussung ab, die den wahren Willen des Kunden überlagert, was er sich nicht mehr gefallen lassen muß? Wo werden seine eigenen Abwehrkräfte für ausreichend gehalten, und wo muß er von Rechts wegen vor Überrumpelung, Einvernahme, Täuschung geschützt werden, deren Geschick oder Nachdrücklichkeit er aus eigener Kraft nicht begegnen kann?Wir können als Gesetzgeber nur allgemeine Richtlinien geben. Der Einzelfall kann von uns nicht geregelt werden. Insbesondere können wir uns nicht in Kasuistik verstricken. Gerade das werden wir auch bei den Überlegungen zum Räumungsverkauf und all dem, was dort vorgeschlagen wird, genau im Kopfe haben müssen.Die Einzelfallösung müssen wir der Rechtsprechung überlassen. Sie kann im Einzelfall feststellen, wer der Unterlegene ist, dem geholfen werden muß. Sie hat das schon öfter getan und uns damit dankenswerterweise Richtwerte vorgegeben. Wir müssen einiges konkretisieren und weitere Grundlagen für die Mißbrauchsbekämpfung geben, damit auch zugegriffen werden kann.Bei der Fortentwicklung dieses Gesetzes werden wir die Grenzen zwischen unlauterem Wettbewerb und Machtmißbrauch zu beachten haben. Beim UWG geht es um die Bekämpfung unsauberer Machenschaften.Nach Feststellung des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht in München werden die Verbraucher jährlich um 1,5 bis 2 Milliarden DM geschädigt. Die Beträge, die wegen unlauteren Auftretens am Markt in die falschen Kanäle geraten, entgehen nicht nur den seriösen Anbietern, sondern auch den Kunden, nicht immer als Schaden, weil sie mitunter auch etwas Wertvolles in die Hand bekommen, allerdings mitunter auch etwas, was sie gar nicht brauchen und was sie eigentlich ganz anders haben wollten.In der vergangenen Legislaturperiode lag der Gesetzentwurf vor, die Beratungen kamen aber nicht zum Abschluß. Er hat Veränderungen erfahren.Die Schwerpunkte, mit denen wir es heute zu tun haben, sind erstens strafrechtliche Verbote, und zwar wegen unwahrer Werbeangaben, die nicht mehr nur Absicht voraussetzen, sondern einfachen Vorsatz. Wir wissen alle, wie schwer Absicht im Strafrecht zu beweisen ist, so daß man hier schon bei vorsätzlicher Irreführung tätig werden kann. Wir hoffen, daß damit die Strafvorschrift besser greifen kann.Die progressive Kundenwerbung — sie ist hier schon genannt worden — hat viele, die leichtgläubig waren, die sich überhaupt keinen Überblick verschafft haben, in Schwierigkeiten gebracht. Letztlich haben sie und nicht der Absatz der vom Anbie-
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ter in Aussicht gestellten Ware den Anbieter finanziert.Dankenswerterweise ist auch die Betriebsspionage hier aufgenommen und verschärft worden. Es sollen also nicht nur Handel und Kunde geschützt werden, sondern auch der Erzeuger. In einer hochtechnisierten Wirtschaft ist das von besonderer Bedeutung, weil bereits kleinere Beute bei Betriebsspionage von erheblichem wirtschaftlichen Wert sein kann.Über die Abmahnvereine ist hier schon sehr viel gesprochen worden. Ich kann mich dem anschließen. Dem muß entgegengetreten werden. Ich will das nun nicht um weitere Beispiele erweitern, sondern nur noch darauf hinweisen, daß diese allgemeine Seuche sogar dazu geführt hat, daß klar rechtswidrige Abmahnungen bei völlig unwissenden Käufern, bei Tante Emma auf dem Lande, gegriffen haben. Im Norden hat einmal jemand gezahlt, als einer in einem ganz dummerhaften Brief mit dem „Bundeswirtschaftsgericht" gedroht hat. Solche Verunsicherungen müssen wir selbstverständlich abbauen.Ich meine, wir sollten uns noch einmal überlegen, ob wir dabei bleiben, daß die erste Abmahnung nicht mit Kosten belegt werden darf. Es könnte dazu führen, daß mancher nach dem Prinzip verfährt: Erst einmal mit einer an sich unzulässigen Werbung werben und dann einmal abwarten, was kommt. — Wir haben im Ausschuß Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen. Es sieht zwar günstig aus, unseriösen Klägern diesen Anreiz zu nehmen, aber das Pendel könnte auch zu weit ausschlagen. Dazu kann ich jetzt hier noch nicht Stellung nehmen; wir müssen darüber nachdenken.In der Vergangenheit ist nur dem Mitbewerber Schadenersatz zugebilligt worden, wenn ein anderer Mitbewerber unlauter tätig wurde. Wir wissen, daß derartige Fälle selten verfolgt worden sind, zumal es dem Mitbewerber schwerfiel, darzutun, welchen Schaden er eigentlich erlitten hat. Rein rechtssystematisch fällt aus heutiger Sicht auf, daß der Verbraucher selbst dabei nicht gesehen worden ist. Um hier die formelle Gleichheit herzustellen, ist es richtig, den Verbraucher als möglichen Geschädigten nun auch aufzuführen und ihm ein eigenes Schadensersatzrecht zuzubilligen.Von dem sogenannten „großen Schaden", also dem positiven Vertragsschaden, hat der Entwurf Abstand genommen. Jetzt wird der negative Schaden vorgeschlagen. Wir werden im Rechtsausschuß auch darüber noch einmal intensiv nachzudenken haben, ob wir das verfolgen, wie wir dem stattgeben und ob wir auch dem Vorschlag folgen, derartige Schadensersatzansprüche auf Verbände zu übertragen, damit sie gebündelt geltend gemacht werden können. Im übrigen würde diese Bündelung zu konzentrierten Verfahren führen; sie würde also eine Vielzahl einzelner Klagen vermeiden helfen und damit auch zu einer Vereinheitlichung der Rechtsprechung beitragen.Wir werden uns ebenfalls das Rücktrittsrecht ansehen, und zwar hier ein Rücktrittsrecht einfacherer Art, bei dem nicht die arglistige Täuschung — wie imBGB — nachgewiesen werden muß, sondern allein die unrichtige Angabe. Hier muß seitens des Anbieters also schon qualitativ ein gröberer Verstoß vorliegen, nämlich eine unwahre Angabe, und nicht etwa die Verwendung unzulässiger Werbemethoden mit möglicherweise zutreffenden Angaben. Diesen Qualitätsunterschied muß man im Auge haben, wenn man überlegt, ob dem Erwerber ein Rücktrittsrecht zuzugestehen ist. Denn warum soll er am Vertrag festgehalten werden, wenn er einer unrichtigen Werbung aufgesessen ist, der er mangels eigener Sach- und Fachkenntnisse nicht entgegentreten konnte?Ich bin im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Sauter, nicht der Meinung, daß wir auf eine Registrierung von Verbänden verzichten sollten. Ich kann es nicht ganz verstehen, daß wir einerseits keinerlei Bedenken haben, daß jeder eingetragene Verein und jede Änderung in einem eingetragenen Verein beim Amtsgericht zu registrieren sind, was oftmals nur ein formaler Vorgang ist. Nehmen Sie mal einen kleinen Sportverein! Da wird aus einem Stellvertretenden Vorsitzenden der Vorsitzende, und der bisherige Vorsitzende tritt ins Glied zurück und wird Revisor. All das muß dem Amtsgericht immer wieder zur Registratur mitgeteilt werden.
— Sehen Sie! Aber bislang habe ich von Ihnen keinen Antrag gesehen, der zum Inhalt hätte, das zu ändern, Herr Helmrich. Sie können also Aktivitäten entfalten. Aber bei den Verbraucherverbänden scheuen wir da bereits zurück. Hier sehe ich die Verhältnismäßigkeit des Arbeitsaufwands nicht mehr. Sonst müßten wir Konsequenzen auf anderer Seite ziehen.Es wird gesagt, durch die Eintragung sehe sich ein Verband in der Lage, einen marktschreierischen Briefkopf zu haben, bei dem jeder, der einen solchen Brief bekomme, vor Angst in die Knie gehe. Das müssen wir auch einmal überlegen. Ich sehe das aber noch nicht so.Im übrigen begrüße ich, daß für die Klageerhebung Obergrenzen vorgesehen werden sollen.
— Ich komme gleich zum Schluß.
— Schönen Dank, Herr Kollege, ich komme gelegentlich darauf zurück, wenn Sie das Wort haben. — Insbesondere wäre es nicht sinnvoll, wenn Verbände, die auf Grund öffentlicher Dotierung klagen, viel Geld an den Justizfiskus ausgeben müßten und im Rückweg vom Finanzminister wieder die Erstattung bekämen. Ich halte es für richtig, so vorzugehen, wie es jetzt vorgesehen ist.Wir haben viel Beratungsstoff. Es wird interessante Beratungen geben. Gehen wir an die Arbeit und warten wir ab, zu welchem Ergebnis wir kommen! — Schönen Dank.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bin darauf aufmerksam gemacht worden, daß wichtige Vertreter der Nation bereits dabei sind, sich warmzulaufen; ich sollte es deshalb kurzmachen. Aber es handelt sich hier nicht um eine Pflichtrunde, bei der wir uns zum Schluß noch etwas warmlaufen.Bei dem vorhergehenden Tagesordnungspunkt hat Herr Olderog sehr eindrucksvoll und meines Beifalls völlig sicher hier Ausführungen darüber gemacht, wie wichtig es sei, auch in Kleinigkeiten an die Bekämpfung der Gesetzesflut zu denken. Es geht wirklich nicht an, daß sonntäglich dagegen gewettert wird, während wir uns alltäglich damit begnügen, daß es „das bißchen" ja noch sein könnte. Auch der Ozean setzt sich bekanntlich aus Tröpfchen zusammen und aus sonst nichts. Und Graf Bobby hat einmal festgestellt: Man sieht nur das Oberste.
Diese Weisheit sollte man auch bei diesem Gesetz scharf im Auge behalten.Herr Staatssekretär de With hat hier vorgetragen, daß sich das Gesetz seit 1909 offensichtlich Verdienste immerhin für die meisten der damals schon weitblickend gedachten Zwecke erworben hat und dafür ausreichend war. Diese Tatsache kann natürlich nur Grund sein, äußerst vorsichtig an die Veränderung eines seit so langer Zeit bewährten Gesetzes heranzugehen und das Regelungsbedürfnis lieber einmal mehr als einmal zu wenig zu überprüfen.Bei früheren Gelegenheiten — zum Teil befinden wir uns hier ja unter Veteranen dieses Gesetzgebungsversuchs — haben wir schon erwähnt, daß wir hier in sehr guter Gesellschaft streiten. Hingegen habe ich von Verbrauchern überhaupt noch nie gehört, daß sie unter den hier beklagten Mängeln leiden. Zu diesem Thema äußern sich lediglich die Verbraucherverbände, deren Vorstände, soweit ich übersehe, höchst losen Kontakt zu breiten Massen von Verbrauchern haben, sondern sich im wesentlichen durch Parthenogenese zu erneuern pflegen, weit entfernt von demokratischen Gepflogenheiten, denen wir uns hier z. B. unterziehen müssen, was uns dann auch eine andere Art von Verpflichtungen auferlegt. Von Verbrauchern habe ich also im Gegensatz zu den Verbänden zur Notwendigkeit der Regelung, insbesondere hinsichtlich des interessanten Punktes des Schadensersatzes, überhaupt noch nichts gehört.Sehr wohl aber von dem doch wohl als sachverständig anzusehenden Deutschen Richterbund, der schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt vor dieser Gesetzgebung und der damit zwangsläufig verbundenen zusätzlichen Belastung der Gerichte gewarnt hat. Dieser Gesichtspunkt der Belastung der Gerichte ist ehrlicherweise angeführt worden, aber nicht mit richterlichem Eigennutz — zum Schluß handelt es sich ja nur um eine Frage der Stellenbeschaffung bzw. Stellenvermehrung, die dann wieder vom Steuerzahler zu bezahlen wäre, sprich: vom Verbraucher —, sondern mit sehr nachdenklichenBetrachtungen über das Wesen des Rechtsschutzes, die Grenze des Rechtsschutzes, seine Notwendigkeit untermauert worden. Insbesondere ist auf die Bedenklichkeit hingewiesen worden, auf Gebieten, auf denen Rechtsschutz offenbar gar nicht vermißt wird, zur Suche nach Rechtsschutz erst geradezu herauszufordern, die Suche danach sozusagen anzureizen.Der Präsident des Deutschen Richterbundes, Herr Leonardy, hat im Januar dieses Jahres dazu vor der rechtspolitischen Vereinigung in Bonn einen sehr beachtenswerten Vortrag gehalten, den Sie vielleicht einmal in der April-Nummer der „Deutschen Richterzeitung" nachlesen. An der entscheidenden Stelle heißt es — interessanterweise unter Zitierung dieses Gesetzes; aber wirklich nur als Beispiel und nicht, weil das die einzige Sorge wäre —: Hiermit würde eine weit über das in der Bevölkerung verwurzelte Rechtsempfinden hinausschießende Begehrlichkeit nach Rechtsschutz geradezu erst provoziert. Das ist meiner Ansicht nach genau das Bedenken, das hier wie in einigen anderen Fällen berücksichtigt werden muß, wenn man zu so etwas herausfordert, wenn man fragt, ob das in den einzelnen Punkten wirklich alles so sein muß, wie es vorgeschlagen ist.Wir bezweifeln nach wie vor, daß es sich beim Wettbewerbsrecht im wesentlichen auch nur mit um ein Verbraucherschutzgesetz handelt. Der Verbraucherschutz ist in einer Fülle von Gesetzen geregelt, von denen einige erst in letzter Zeit trotz auch dadurch zusätzlich hervorgerufenen Rechtsschutzbedürfnisses — unserer Ansicht nach zu Recht —, wie z. B. das Gesetz betreffend die allgemeinen Geschäftsbedingungen, verabschiedet worden sind. Aber die eigentliche Materie ist die Regelung des zivilrechtlichen Verhältnisses zwischen dem Verbraucher und seinem Lieferanten, so wie wir das im BGB und in einigen Spezialvorschriften — eine nannte ich soeben — vorfinden, und eben nicht die Regelung des Wettbewerbs, der zwischen den Wettbewerbern stattfindet.Nach liberaler Auffassung hat ein vernünftig, natürlich auch nach Regeln stattfindender Wettbewerb für den Verbraucher nützliche Folgen, ohne daß dieser selbst unmittelbar in die Art des Wettbewerbs eingeschaltet wäre. Er ist vielmehr, wenn es richtig läuft — was nicht immer der Fall ist —, dessen Nutznießer. Darum sollte man die Sache weiterhin im wesentlichen unter den Hauptbeteiligten abwickeln, nämlich den Wettbewerbern und ihren Verbänden.Im Ausschuß sollte man noch einmal sehr sorgfältig prüfen, ob dieser Schadensersatz wirklich so wünschenswert ist, wie man das glaubt. Ich kann es mir nicht versagen, zum wiederholten Male auf die Entstehungsgeschichte hinzuweisen. Tatsächlich ist dieser Schadenersatz zur Finanzierung der Verbände erfunden worden. Sei haben eine Sitzung abgehalten, auf der sie sich unter anderem mit dieser interessanten Frage beschäftigt haben und dann zu dem Ergebnis gekommen sind, daß der Schadensersatzanspruch für den einzelnen von so minimalem Nutzen und Interesse sei, daß bei der gebündelten Geltendmachung der zu erzielende Gesamterlös
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Kleinertzweckmäßigerweise bei den Verbraucherverbänden bleibe, weil es zu lästig sei, ihn an den einzelnen weiterzureichen. Erst in Verfolg der weiteren Debatte ist man von dieser — übrigens sehr einleuchtenden — Idee der Erhebung einer Sondersteuer unter Einschaltung der Gerichte wieder abgekommen. Mit den Spätfolgen haben wir uns immer noch zu befassen. Wenn man diese historische Entwicklung nicht im Auge behält, kommt man leicht hinsichtlich des Bedarfs zu falschen Ergebnissen, auch hinsichtlich gewisser Argumente, die man in dem Zusammenhang hört.Wir werden diese Diskussion im Ausschuß weiterführen können, und wir werden wohl auch, so denke ich heute hoffnungsfroh, dieses Mal zu einem Abschluß kommen können, weil das Gesetz, wofür ich der Bundesregierung ausdrücklich danken möchte, insgesamt wieder einmal schlanker geworden ist. Das haben übrigens viele Gesetze an sich, die man längere Zeit liegen lassen hat; ein Vorgang, der dieses Parlament ermuntern sollte, nicht allzu bereitwillig auf Vorschläge einzugehen.
Da er nicht nur schlanker geworden ist, sondern hier auch einige durchaus regelungsbedürftige Dinge angesprochen sind, die, wie ich meine, in sehr einleuchtender Weise geregelt werden sollen, besteht ein Anreiz, diese Novellierung nun wirklich zu Ende zu bringen und dann auch wieder zu einem gewissen Rechtsfrieden in der rechtspolitischen und gesetzgeberischen Landschaft zu kommen.Ich nenne da insbesondere die sehr gelungene, aber völlig automatisch wirkende Regelung hinsichtlich der Abmahnvereine, denen man nicht durch irgendwelche Verwaltungseingriffe und kunstvolle Definitionen hinsichtlich ihres Vereinszwecks, sondern einfach durch Entzug des materiellen Interesses mit der ersten Mahngebühr das Interesse nimmt, wenn sie nicht idealistisch an der Aufrechterhaltung eines lauteren Wettbewerbs interessiert sind, hier überhaupt tätig zu werden.Was hier in Wirklichkeit vor sich geht, hat auch jener 17jährige Schüler aus Essen, der der Reife seiner Klasse in diesem Punkt wohl erheblich voraus war, ganz deutlich erkannt. Er hat auf das ganze schmückende Beiwerk von Vereinseintragung unter mühsamer Herbeizitierung der vorhin erwähnten Schwiegermutter und anderer Verwandter verzichtet, weil das ohnehin für die Sache gar nicht wesentlich ist, sondern hat sich höchstselbst und allein Briefköpfe drucken lassen, hat sich auch die Mühe einer Kontrolle der Wettbewerbsverstöße erspart, weil er davon ausgegangen ist, die fänden ohnehin statt, und hat sich dazu einen interessanten Adressatenkreis ausgesucht, nämlich die Gastronomen. Er hat einfach allen geschrieben, sein Verein habe festgestellt, sie hätten schlecht eingeschenkt, sie möchten das ab sofort unterlassen und ihm im übrigen die Abmahngebühr schicken.
Der Junge hatte das, was hier in Wirklichkeit vorsich geht, tatsächlich genau erfaßt und in einer sehrklarsichtigen Weise daraus seine Konsequenzen gezogen, womit ich das nicht rechtlich billigen, aber doch für folgerichtig halten will.
— Der Erfolg war beachtlich. Es muß in dem angesprochenen Personenkreis prima facie die Vermutung bestanden haben, er habe vielleicht nicht unrecht.
Das hat der Mann sehr richtig erkannt.Aber so muß es ja nicht sein. Gerade weil man an diesem Beispiel besonders deutlich sieht, welche Mißbräuche hier getrieben werden, sind wir dankbar, daß das auf einfache und einleuchtende Weise geregelt werden soll.Deshalb wird man auch über die Registrierung noch einmal nachdenken können. Es ist durchaus richtig, was Herr Kollege Sauter hier gesagt hat: Es gibt soundso viele Vereinigungen, die sich durch welche Art von Registrierung auch immer in ihrem Ansehen gehoben fühlen. Deshalb haben wir hier schon gewisse Gesetze verabschiedet, die ich jetzt nicht nennen möchte. Solch ein Fall könnte hier auch eintreten. Es gibt ja bekanntlich auch eine Liste der beim Deutschen Bundestag gemeldeten Interessenvertreter und Interessenvertretungen. Von der Einführung dieser Liste hat man sich seinerzeit, wie ich höre, versprochen, die Zahl solcher Vertretungen würde zurückgehen. Das Gegenteil ist richtig. Es hat ein ungeheurer Run auf die ehrenvolle Eintragung in diese Liste eingesetzt. Das unterstützt sehr, was hier vorhin über die Wirkung solcher Registrierungen gesagt worden ist. Das werden wir im Ausschuß zu besprechen haben.Die Frage der Schneeballgeschäfte verführt mich noch — ich bitte mir das nachzusehen — zu einem kurzen Ausflug in ein Thema, das man immer wieder streifen kann: wieweit nicht auch Schaden, der einem Bürger, einem Verbraucher entsteht, seiner pädagogischen Wirkung wegen in Kauf genommen werden kann. Ich kenne keine dramatischen Schädigungen durch das Schneeballsystem — ich will mich aber gern eines Besseren belehren lassen — und frage mich, ob die mathematischen Fähigkeiten all der Menschen, die glauben, man müsse nur zu genügend vielen antreten, dann würde man etwas kriegen, ohne dafür bezahlen zu müssen, durch das praktische Exempel nicht doch nachhaltig gestärkt werden. Nur dann, wenn in der Vergangenheit wirklich ernsthafte Schäden aufgetreten sind, wäre ich bereit, diesen Bildungsvorgang humorloserweise einfach abzubrechen. Wenn es sich um kleinere Beträge handelt, dann ist das gute alte Wort, wonach man auch durch Schaden klug werden kann, vielleicht eine zusätzliche Erwägung wert.
Die übrigen Punkte, die dafür sprechen, zu einer möglichst baldigen Verabschiedung des Gesetzentwurfs zu kommen, sind von den Herren Vorrednern schon gewürdigt worden. Ich erwähne ebenfalls noch die Betriebsspionage, die in letzter Zeit wohl erheblich an Bedeutung gewonnen hat.
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KleinertIch hoffe, daß es uns zum Schluß gelingen wird, die unterschiedlichen Vorstellungen einschließlich des vorliegenden Entwurfs der Union zusammenzuführen. Bei diesen Duplikaten ist ja ohnehin nie recht klar, wer von wem in welcher Weise zu welchem Zeitpunkt etwas übernommen hat, so daß insbesondere bei einem so alten Gesetzgebungsvorhaben der Streit darüber, wer die Vorlage im letzten Jahr und wer sie in diesem Jahr eingebracht hat, zum wiederholten Male sehr müßig ist. Weil das alles irgendwo aus den gleichen Quellen gespeist wird, werden wir uns zum Schluß darauf einigen können.Was die Räumungsverkäufe und den Mißbrauch dabei angeht, werden wir dann sicherlich auch dem Mittelstand einiges Nützliche bringen können. Ich bin allerdings nicht der Ansicht von Herrn Sauter, daß das Gesetz insgesamt unter besonderer Berücksichtigung der zusätzlichen Belastungen durch diesen Schadenersatzanspruch etwa in besonderer Weise dem Mittelstand dienen würde, in dem Punkt sicherlich nicht!Zum Schluß wiederhole ich einfach noch einmal: Wenn hier zusätzliche Kosten entstehen, wenn hier wegen vergleichsweise sehr geringer Beträge in einem Verhältnis von Aufwand und Nutzen, das unserer Ansicht nach vermutlich zu ungünstig ist, um zu einer Regelung zu kommen, zusätzlich die Gerichte bemüht werden, dann wird zum Schluß in jedem Falle der Verbraucher bezahlen; ob als Verbraucher, der eben nicht von diesen Möglichkeiten Gebrauch macht — das sind die allermeisten — oder ob als Steuerzahler, das wird ihm gleichgültig sein. Gefunden wird das Geld, das hier unnütz ausgegeben werden würde, nirgendwo, sondern es wird immer nur beim letzten, beim kleinen Steuerzahler, beim kleinen Verbraucher geholt. Hoffentlich können wir den Betroffenen das ersparen. — Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 11:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Verordnung des Rates über die Angabe des Ursprungs bestimmter aus Drittländern eingeführter Textilwaren
— Drucksachen 9/1333, 9/1691 —
Berichterstatterin:
Frau Abgeordnete Dr. Skarpelis-Sperk
Die Berichterstatterin wünscht nicht das Wort.
Interfraktionell ist eine Aussprache von fünf Minuten je Fraktion vereinbart worden. Ich eröffne die
Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schwörer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das große Ereignis rückt näher. Deshalb will ich versuchen, mich sehr kurz zu fassen.Bei der heutigen europäischen Materie handelt es sich nur scheinbar um eine technische Sache. Die angesprochene Verordnung des Rates zeigt ein grundsätzliches Problem der Europäischen Gemeinschaft im Ablauf, im Inhalt und im Verfahren.Nachdem das Europäische Parlament und der Wirtschaftsausschuß des Bundestages nahezu einstimmig einen Richtlinienentwurf für Ursprungskennzeichnung abgelehnt hatten, zog die Kommission diese Richtlinie zurück und brachte kurze Zeit später wieder einen neuen Verordnungsentwurf zum gleichen Thema ein. Das ist für mich ein merkwürdiges Verhalten der Kommission. Aber aus dem ganzen Hintergrund dieser Angelegenheit ergibt sich: Frankreich, Großbritannien und Italien führten entgegen dem Vertrag obligatorische Ursprungszeugnisse für bestimmte Waren ein. Die Kommission hat versucht, das rückgängig zu machen. Als sie das nicht geschafft hat, hat sie sich vorgenommen, dann wenigstens in allen Ländern gleichmäßig diesen falschen, vertragswidrigen Zustand einzuführen. Das ist ein Weg, den wir unter keinen Umständen wollen, und wir wollen auch nicht, daß dieses Beispiel auf anderen Gebieten Schule macht.Daß im zweiten Durchgang gewisse Änderungen gemacht wurden, daß diese Verordnung z. B. nur auf Textilerzeugnisse begrenzt wurde oder daß die passive Lohnveredelung herausgenommen wurde, war sicher eine Verbesserung. Aber wer garantiert, daß nicht dieses erklärte Ziel, wenigstens den passiven Veredelungsverkehr mit zu erfassen, im Laufe der Verhandlungen nicht doch noch wieder hineinkommt? Außerdem wäre eine Textilregelung ein Präzedenzfall für andere Waren, was auch dadurch bewiesen wird, daß bereits in England und in Italien für andere Warensparten eine solche Kennzeichnungspflicht — auch gegen den Vertrag — eingeführt worden ist.Wir sind gegen diese Kennzeichnungspflicht, erstens weil sie neue Kosten und bürokratische Erschwerungen schafft, zweitens weil die Gefahr von Gegenmaßnahmen, vor allem der Nicht-EG-Staaten, sehr groß ist, und drittens vor allem wegen der Zielrichtung. Die Kennzeichnung soll doch nur dem Zweck dienen, den Verbraucher zu einem bestimmten Kaufverhalten zu veranlassen, möglichst nationale Waren zu kaufen. Wir kennen das „achetez français", und es ist kein weiter Weg dazu, daß in allen Ländern diese Parole, nur nationale Waren zu kaufen, ausgegeben wird. Das ist die sicherste Methode, den Weltmarkt kaputt zu machen, und deshalb sind wir besonders kritisch gegen solche neuen Versuche des Protektionismus. Viertens zweifeln wir auch an der Durchführbarkeit. Wie will man ein falsches Etikett erkennen? Soll hier ein neuer Überwachungsapparat eingeführt werden? Nach unserer Meinung führt die Kennzeichnungspflicht nur zu
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Dr. SchwörerErschwerungen, vor allem an den Grenzen zu unnötigen Kontrollen, zur Erschwerung der Rationalisierung in den Betrieben, zu Schwierigkeiten bei der Lagerung, ganz allgemein zu zusätzlichen Kosten. Nach unserer Meinung ist die einzige Maßnahme, die die europäische Kommission gegen diese Praktiken einzelner Mitgliedstaaten anwenden kann, die Einleitung eines Verfahrens gemäß Art. 169 des EWG-Vertrages gegen die Länder, die sich dieser vertragswidrigen Praktiken bedienen.Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluß noch auf zwei Dinge hinweisen. Erstens. Wenn ein Hersteller ein Erzeugnis nicht nur als sein Fabrikat, sondern auch mit der Angabe des Ursprungslandes freiwillig kennzeichnen will, dann haben wir nichts dagegen. Das kann er. Wir wollen nur nicht, daß es allgemein zur Pflicht wird.Zweitens. Die Diskussion über die Ursprungsregelung ist nur ein Teil der Problematik. Wir haben diese Problematik bei der letzten Diskussion über die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft mit unserem Antrag auf Drucksache 9/1586 angesprochen. Dazu hat sich die Bundesregierung leider noch nicht geäußert. Ich hoffe, daß sie dies bald tut oder daß sie — das wäre noch besser — das tut, was wir darin verlangen, und daß sie zeigt, daß sie bereit und entschlossen ist, im europäischen Bereich mit den Harmonisierungsbestrebungen auf drei Gebieten voranzukommen:Erstens die Harmonisierung der Wirtschaftspolitik. Wir haben erst in den letzten Tagen mit den Veränderungen der Paritäten im europäischen Währungssystem wieder die Notwendigkeit zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik sinnfällig vor Augen gestellt bekommen.Zweitens die Verhinderung von Verstößen gegen die Regeln des gemeinsamen Marktes, wovon diese Ursprungskennzeichnung nur ein Fall ist. Wir wissen, daß mit der Vergrößerung der Schwierigkeiten in den einzelnen Ländern die Neigung wächst, den Zugang zu ihrem Markt zu erschweren.Drittens Herstellung eines wirklichen Binnenmarktes durch die Harmonisierung aller Bereiche, die mit grenzüberschreitendem Verkehr zu tun haben. Ich habe damals einen ganzen Katalog aufgezählt. Ich bitte die Bundesregierung, diesen Katalog in Angriff zu nehmen, um das zu verwirklichen, was im Vertrag steht, in dem Vertrag von 1957, der vor einigen Wochen gefeiert worden ist: „Wir sind entschlossen, durch gemeinsames Handeln den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt unserer Länder zu sichern, indem wir die Europa trennenden Schranken beseitigen." Die heutige Sache, diese Verordnung, die die Europäische Kommission vorgelegt hat, wäre ein Rückschritt. Deshalb bitten wir die Bundesregierung, sie in Brüssel zu Fall zu bringen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Skarpelis-Sperk.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Herren! Meine Damen! Ich werde mich im Gegensatz zu meinem Kollegen der Versuchung enthalten, auch noch allgemein über die EG zu sprechen, sondern mich auf das Thema beschränken.Der dem Deutschen Bundestag vorliegende Vorschlag einer Verordnung des Rates über die Angabe des Ursprungs bestimmter aus Drittländern eingeführter Textilwaren — so lautet der Titel im Original — ist vom Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages einmütig zur Ablehnung vorgeschlagen. Meine Fraktion fordert ebenso wie der Ausschuß die Bundesregierung darüber hinaus auf, in Brüssel darauf hinzuwirken, daß weder von seiten der Gemeinschaft noch von seiten der nationalen Regierungen Regelungen über die Ursprungskennzeichnung von aus Drittländern eingeführten Textilwaren getroffen werden.Die in Frage stehende EG-Verordnung will die Ursprungskennzeichnung auf EG-Ebene regeln. Laut Liste der EG wären davon insgesamt 16 Kategorien von Textilwaren betroffen, beginnend mit Handschuhen aus Gewirken, Strümpfen, Socken, endend mit Bettwäsche, Vorhängen und Gardinen. Die EG-Kommission erklärt uns, diese Kennzeichnung sei notwendig, erstens, um Tendenzen in einigen Mitgliedstaaten, eine Ursprungskennzeichnung auf nationaler Ebene einzuführen, so abzufangen, daß sie den gemeinschaftlichen Markt nicht stören, und zweitens, weil gemeinschaftliche Regeln „einen Beitrag zu einer erhöhten Transparenz auf dem Markt für diese Produkte leisten und dadurch die betroffenen legitimen Interessen stützen würden".Beide Argumente erscheinen uns entweder sehr weit hergeholt oder schlicht falsch. Unseres Erachtens kann und darf es in der Gemeinschaft nicht Brauch werden, daß jeder, der einen nationalen Sonderwunsch hat und droht, gegebenenfalls einen Alleingang zu unternehmen, seine Vorstellungen allen anderen aufdrücken kann, damit es zu keiner Störung kommt.Auf der anderen Seite ist das Argument einer größeren Transparenz für den Verbraucher, das die EG-Kommission anführt, angesichts der vorgeschlagenen Regelungen bzw. vorgesehenen Ausnahmen schlicht widersinnig. Für den Normalverbraucher sind Ursprungskennzeichnungen von eher untergeordneter Bedeutung. Weitaus wichtiger wären Angaben über die Zusammensetzung des Materials, die empfohlene Behandlung, wie z. B. Wasch-, Reinigungs- und Pflegevorschriften.Wenn man aber, wie der Ausschuß für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments, für eine Ursprungskennzeichnung anführt, der politisch motivierte Verbraucher benötige sie, wenn er z. B. Waren aus Südafrika nicht kaufen wolle, so muß man dem entgegenhalten, daß man dann eine umfassende Regelung für alle Waren hätte vorschlagen müssen und nicht eine, die die Ursprungskennzeichnung auf 16 Kategorien Textilwaren beschränkt bei gleichzeitiger Herausnahme aller Produkte im Transitverkehr sowie im aktiven wie im passiven Veredelungsverkehr. Das
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Frau Dr. Skarpelis-Sperkbedeutet nämlich für den Verbraucher, daß nach dem vorgesehenen Entwurf Textilien, die z. B. in Taiwan oder Südkorea im Auftrage französischer, aber auch deutscher Firmen bearbeitet werden, durchaus den Namen eines bekannten Modehauses tragen könnten, während Textilwaren, die einen ähnlichen Bearbeitungsgang unter Leitung einer US-Firma durchlaufen, in der EG unter „Made in Taiwan" bzw. „Made in Corea" gekennzeichnet sein müßten.Ein Beitrag zu erhöhter Transparenz ist das gewiß nicht. Der politisch motivierte Verbraucher, der z. B. keine Handschuhe kaufen möchte, an denen der Schweiß ausbeuterischer Kinderarbeit klebt, oder der keine Waren aus Militärdiktaturen beziehen will, kann seine Neigungen und Präferenzen auch nicht durch gezielten Warenboykott ausdrücken, sofern das veredelnde Unternehmen in der EG angesiedelt ist.Kurz und gut: Wir haben an Kennzeichnungen, die dem Normalverbraucher Aufklärung und Transparenz vortäuschen, schon viel zu viele — ich denke nur an den Lebensmittelsektor. Ersparen wir uns und der Gemeinschaft noch eine weitere.
Das Wort hat der Abgeordnete Funke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben erst vor wenigen Wochen hier im Bundestag an Hand der Großen Anfrage der CDU/ CSU und der Antwort der Bundesregierung über die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und die dabei zu bewältigenden Probleme auch im Außenhandel debattiert. Dabei haben wir übereinstimmend feststellen müssen, daß der Protektionismus und staatliche Hemmnisse im Außenhandel immer stärker ins Gewicht fallen.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat dabei wie die beiden anderen Fraktionen ihre Befürchtung geäußert, daß praktizierter Protektionismus im eigenen Lande und von der Bundesrepublik Deutschland ausgehende Sanktionen gegenüber Wirtschaftspartnern sehr schlechte Beispiele in der Welt sind und Drittländern und insbesondere natürlich auch unseren Partnerländern als Vorwand für Fehlverhalten dienen können.
Auf der anderen Seite haben wir die Bundesregierung in ihrem Willen bestärkt, alle Beschwerden aufzugreifen, die ihr über protektionistisches Verhalten anderer Länder bekannt werden. Insbesondere wendet sich die FDP-Fraktion mit der Bundesregierung gemeinsam gegen Wettbewerbsverfälschungen, die innerhalb und außerhalb der EG durch Subventionen und vor allem auch durch nichttarifäre Handelshemmnisse hervorgerufen werden.
Ein Beispiel für ein solches innergemeinschaftliches Handelshemmnis ist der Verordnungsentwurf, der uns hier vorliegt und dessen Titel Frau Dr. Skarpelis-Sperk in seiner ganzen Länge schon vorgetragen hat. Da die beiden Kollegen sich bereits mit dem Verordnungsvorschlag im einzelnen beschäftigt haben, kann ich mich hier sehr kurz fassen und auch
für meine Fraktion sagen, daß wir diesem Verordnungsvorschlag nicht zustimmen werden. Wir meinen, daß dieser Verordnungsvorschlag nicht den Anforderungen an ein modernes Weltwirtschafts-Handelssystem entspricht. Wir werden demgemäß so verfahren wie die anderen Fraktionen. Ich kann mir auch die Beispiele ersparen, die mir Frau Dr. Skarpelis-Sperk vorweggenommen hat, z. B. bezüglich der eigenartigen Bezeichnungsform von Textilien, die in Singapur hergestellt werden. Ich kann mich insoweit voll auf ihre Ausführungen beziehen.
Wir von der Bundestagsfraktion der FDP bitten daher die Bundesregierung, gegenüber dem Rat und den Mitgliedstaaten darauf hinzuwirken, daß seitens der Gemeinschaft und der nationalen Regierungen keine Regelungen über die Ursprungskennzeichnung von aus Drittländern eingeführten Textilien getroffen werden.
Ich danke Ihnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/1691 die Annahme einer Entschließung, den Verordnungsentwurf der Kommission abzulehen. Wer dieser Empfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 bis 15 auf:12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 6. November 1980 zwischen der Bundesregierung Deutschland und dem Königreich Belgien über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen— Drucksache 9/1720 —Überweisungsvorschlag d. Ältestenrates: Innenausschuß13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. November 1981 der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Einkommen und Vermögen— Drucksache 9/1698 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Dezember 1980 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen— Drucksache 9/1699 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
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Vizepräsident Frau Renger15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Kooperationsabkommen vom 2. April 1980 zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien sowie zum Abkommen vom 2. April 1980 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien andererseits— Drucksache 9/1719 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und SozialordnungHierzu wird das Wort nicht erbeten.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 9/1720, 9/1698, 9/1699 und 9/1719 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge können Sie aus der Tagesordnung entnehmen. — Das Haus ist damit einverstanden. Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:Beratung der Sammelübersicht 38 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 9/1721 —Hierzu wird das Wort nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 9/1721, die in der Sammelübersicht enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist somit beschlossen.Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den. 17. Juni 1982, um 10 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.