Protokoll:
9104

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 9

  • date_rangeSitzungsnummer: 104

  • date_rangeDatum: 28. Mai 1982

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 12:17 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 9/104 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 104. Sitzung Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 Inhalt: Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde 6267 A Beratung des Zwischenberichts der Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 26. Mai 1981 — Drucksache 9/1607 — Wissmann CDU/CSU 6267 B Hauck SPD 6271 A Eimer (Fürth) FDP 6275 B Dr. Vogel, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz 6277 D Dr. Ehmke SPD 6280 C Sauter (Ichenhausen) CDU/CSU . 6284 B, 6298 D Mischnick FDP 6287 A Frau Fuchs, Bundesminister BMJFG . 6290 C Frau Karwatzki CDU/CSU 6294A Schröder (Hannover) SPD 6296 D Nächste Sitzung 6299 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 6300* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 6300* C Anlage 3 Praktiken der tschechoslowakischen Botschaft in Köln bei Einreiseanträgen ehemaliger Staatsbürger der CSSR MdLAnfr 5, 6 21.05.82 Drs 09/1664 Hartmann CDU/CSU SchrAntw StMin Dr. Corterier AA . . . 6301*A Anlage 4 Beschluß des US-Senats über die Produktion chemischer Waffen für das NATO-Arsenal; Äußerungen des Bundeskanzlers über Sicherheitsvorkehrungen für das NATO-Gipfeltreffen in Bonn MdlAnfr 7, 8 21.05.82 Drs 09/1664 Hansen fraktionslos SchrAntw StMin Dr. Corterier AA . . . 6301"C Anlage 5 Demonstrationen und Verurteilungen von ausreisewilligen Deutschen in der Sowjetunion in der Zeit von Januar bis Mai 1982 MdlAnfr 10 21.05.82 Drs 09/1664 Dr. Hupka CDU/CSU SchrAntw StMin Dr. Corterier AA . . . 6302* B Anlage 6 Deckung der durch die unentgeltliche Beförderung von Schwerbehinderten im öffentlichen Nahverkehr entstandenen Kosten II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 MdlAnfr 39 21.05.82 Drs 09/1664 Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dreßler BMA . . . . 6302* D Anlage 7 Finanzierung fälschungssicherer Personalausweise; Regreßansprüche an der Entwicklung beteiligter Firmen MdlAnfr 56, 57 21.05.82 Drs 09/1664 Dr. Friedmann CDU/CSU SchrAntw StSekr Dr. Fröhlich BMI . . . 6303* A Anlage 8 Freigabe des im staatlichen Auftrag gesammelten Materials über die Vertreibung Deutscher MdlAnfr 58 21.05.82 Drs 09/1664 Dr. Hupka CDU/CSU SchrAntw StSekr Dr. Fröhlich BMI . . . 6303* B Anlage 9 Streichung der Bundeszuschüsse für die deutsche Journalistenschule in München, die Akademie für Publizistik in Hamburg und das Deutsche Institut für publizistische Bildungspolitik in Hagen ab 1983 MdlAnfr 64 21.05.82 Drs 09/1664 Weirich CDU/CSU SchrAntw PStSekr Haehser BMF . . . 6303* C Anlage 10 Ungleiche steuerliche Behandlung von Spesen und Nahauslösungen für Montagearbeiter MdlAnfr 65, 66 21.05.82 Drs 09/1664 Schröder (Hannover) SPD SchrAntw PStSekr Haehser BMF . . . 6303* D Anlage 11 Umstrukturierung des Zollkriminalinstituts MdlAnfr 67, 68 21.05.82 Drs 09/1664 Krey CDU/CSU SchrAntw PStSekr Haehser BMF . . . 6304* A Anlage 12 Stabilere Wechselkurse durch eine engere internationale währungspolitische Zusammenarbeit MdLAnfr 70 21.05.82 Drs 09/1664 Dr. Mitzscherling SPD SchrAntw PStSekr Haehser BMF . . . 6304* C Anlage 13 Folgerungen aus dem Gutachten des Bundesverbandes Mittelstands-Unternehmen (BMU) e. V. zur Einfamilienhausbesteuerung MdlAnfr 71 21.05.82 Drs 09/1664 Dr. Jahn (Münster) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Haehser BMF . . . 6305* A Anlage 14 Maßnahmen der Bundesregierung auf rechtlichem Gebiet zur Verwirklichung regionaler Energieversorgungskonzepte MdlAnfr 78 21.05.82 Drs 09/1664 Catenhusen SPD SchrAntw PStSekr Grüner BMWi . . . 6305* B Anlage 15 Lieferung von Leopard-Panzern an Libyen MdlAnfr 79 21.05.82 Drs 09/1664 Dr. Hennig CDU/CSU SchrAntw PStSekr Grüner BMWi . . . 6305* C Anlage 16 Erteilung von Genehmigungen nach § 4 a des Kriegswaffenkontrollgesetzes für Veranstalter und Aussteller der IDEE- und ILA-Messe; Werbung für den Verkauf von Kriegswaffen und restriktive Kriegswaffenexportpolitik MdlAnfr 80, 81 21.05.82 Drs 09/1664 Gansel SPD SchrAntw PStSekr Grüner BMWi . . . 6305* D Anlage 17 Beteiligung von Bundesministerien an der IDEE-Messe; Beschränkung des Waffenexports Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 III MdlAnfr 82, 83 21.05.82 Drs 09/1664 Frau Simonis SPD SchrAntw PStSekr Grüner BMWi . . . 6306* A Anlage 18 Erteilung von Genehmigungen nach § 2 und § 3 des Kriegswaffenkontrollgesetzes für Veranstalter und Aussteller der IDEE-und ILA-Messe; Verhinderung der Lieferung deutscher Kriegswaffen über südamerikanische Länder an Argentinien MdlAnfr 84, 85 21.05.82 Drs 09/1664 Jungmann SPD SchrAntw PStSekr Grüner BMWi . . . 6306* C Anlage 19 Produktionsgenehmigungen für Abwehrkanonen für Argentinien; Bedeutung der neuen Grundsätze zum Kriegswaffenexport MdlAnfr 86, 87 21.05.82 Drs 09/1664 Peter (Kassel) SPD SchrAntw PStSekr Grüner BMWi . . . 6306* D Anlage 20 Vereinbarungen zur Überwindung der Weltwirtschaftskrise auf dem Weltwirtschaftsgipfel MdlAnfr 88 21.05.82 Drs 09/1664 Junghans SPD SchrAntw StSekr Dr. Schlecht BMWi . . 6307*A Anlage 21 Möglichkeiten einer international abgestimmten Zinssenkung MdlAnfr 89 21.05.82 Drs 09/1664 Junghans SPD SchrAntw PStSekr Haehser BMF . . . 6307* D Anlage 22 Mindereinnahmen des Steinkohlenbergbaus im Jahre 1982 MdlAnfr 90 21.05.82 Drs 09/1664 Frau Hürland CDU/CSU SchrAntw PStSekr Grüner BMWi . . . 6308*A Anlage 23 Weiterverfolgung der sogenannten Kohlevorrangpolitik MdlAnfr 91 21.05.82 Drs 09/1664 Frau Hürland CDU/CSU SchrAntw PStSekr Grüner BMWi . . . 6308* C Anlage 24 Benachteiligung Alleinerziehender durch die Änderung des § 205 Abs. 4 RVO MdlAnfr 92 21.05.82 Drs 09/1664 Frau Schmidt (Nürnberg) SPD SchrAntw PStSekr Dreßler BMA . . . . 6308* D Anlage 25 Verlängerung des Anspruchs auf Familienhilfe der Krankenkassen in Ausnahmefällen MdlAnfr 93, 94 21.05.82 Drs 09/1664 Repnik CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dreßler BMA . . . . 6309*A Anlage 26 Vermittlung von Arbeitslosen durch die Bundesanstalt für Arbeit angesichts der rückläufigen Meldung von offenen Stellen durch Arbeitgeber MdlAnfr 95, 96 21.05.82 Drs 09/1664 Keller CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dreßler BMA . . . . 6309* B Anlage 27 Streichung des „Babyjahrs" bei der geplanten Rentenreform MdlAnfr 97 21.05.82 Drs 09/1664 Frau Geiger CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dreßler BMA . . . . 6309* D Anlage 28 Vermittlungstätigkeit von Mitarbeitern der Bundesanstalt für Arbeit im Außendienst MdlAnfr 98, 99 21.05.82 Drs 09/1664 Günther CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dreßler BMA . . . . 6310*A IV Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 Anlage 29 Kostenlose Beförderung von Hilfsfahrzeugen für Behinderte durch die Bundesbahn MdlAnfr 100 21.05.82 Drs 09/1664 Tillmann CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dreßler BMA . . . . 6310* C Anlage 30 Änderung des § 71 a des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte betreffend Rücklagenbildung MdlAnfr 101, 102 21.05.82 Drs 09/1664 Horstmeier CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dreßler BMA . . . . 6310* D Anlage 31 Änderung des Schwerbehindertengesetzes zur Schaffung von Arbeitsplätzen für Auszubildende in Klein- und Mittelbetrieben MdlAnfr 103 21.05.82 Drs 09/1664 Schröder (Wilhelminenhof) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dreßler BMA . . . . 6311* B Anlage 32 Konsequenzen aus der negativen wirtschaftlichen Entwicklung der Stiftung Rehabilitation MdlAnfr 104 21.05.82 Drs 09/1664 Dr. Kübler SPD SchrAntw PStSekr Dreßler BMA . . . . 6311*C Anlage 33 Konsequenzen aus den Einsparungen in Bundeswehrkrankenhäusern, insbesondere im Bundeswehrkrankenhaus in Kronshagen MdlAnfr 105, 106 21.05.82 Drs 09/1664 Stutzer CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Penner BMVg . . 6311* D Anlage 34 Teilnahme von Absolventen der FrunseAkademie der sowjetischen Streitkräfte am Generalstabslehrgang der Bundeswehr MdlAnfr 107 21.05.82 Drs 09/1664 Biehle CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Penner BMVg . . 6312*A Anlage 35 Schäden an Militärfahrzeugen der zweiten Generation und deren Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft MdlAnfr 108, 109 21.05.82 Drs 09/1664 Berger (Lahnstein) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Penner BMVg . . 6312* B Anlage 36 Allgemeinzustand von Militärfahrzeugen der ersten und der zweiten Generation MdlAnfr 110 21.05.82 Drs 09/1664 Ganz (St. Wendel) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Penner BMVg . . 6312* C Anlage 37 Prüfung von Schäden an Militärfahrzeugen der zweiten Generation durch den Güteprüfdienst der Bundeswehr und Mittel zu ihrer Beseitigung MdlAnfr 111, 112 21.05.82 Drs 09/1664 Dallmeyer CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Penner BMVg . . 6312* D Anlage 38 Verbände der Bundeswehr mit Verbot der Durchführung einer Erstverpflichtung MdlAnfr 113 21.05.82 Drs 09/1664 Milz CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Penner BMVg . . 6313*A Anlage 39 Versetzungshäufigkeit nach Einführung der Planstellen A 9 mA für Hauptfeldwebel; Übergangsregelung zur Vermeidung unbilliger Härten MdlAnfr 114 21.05.82 Drs 09/1664 Schröder (Wilhelminenhof) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Penner BMVg . . 6313* B Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 V Anlage 40 Differenzierung der Zinsen für öffentliche Baudarlehen nach Regionen und sozialen Kriterien, insbesondere für arbeitslose Schuldner MdlAnfr 115, 116 21.05.82 Drs 09/1664 Stiegler SPD SchrAntw PStSekr Dr. Sperling BMBau . 6313"C Anlage 41 Verwendung der Erträge aus der Höherverzinsung der Wohnungsbaudarlehen des Bundes für Sonderprogramme des sozialen Wohnungsbaus der Länder; Einsatz der Rückflüsse aus Wohnungsfürsorgemitteln des Bundes in der Wohnungsbauförderung MdlAnfr 117, 118 21.05.82 Drs 09/1664 Dr. Möller CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Sperling BMBau . 6314* A Anlage 42 Absenkung von Kostenmieten für Sozialwohnungen auf ortsübliche Vergleichsmieten durch gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften MdlAnfr 119 21.05.82 Drs 09/1664 Dr. Jahn (Münster) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Sperling BMBau . 6314* C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 6267 104. Sitzung Bonn, den 28. Mai 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein ** 28. 5. Dr. Ahrens * 28. 5. Dr. Barzel 28. 5. Biehle ** 28. 5. Dr. Bötsch 28. 5. Brandt 28. 5. Braun 28. 5. Conrad (Riegelsberg) 28. 5. Frau Dr. Däubler-Gmelin 28. 5. Dr. Dregger 28. 5. Dr. Enders * 28. 5. Engholm 28. 5. Feinendegen 28. 5. Francke (Hamburg) ** 28. 5. Genscher 28. 5. Dr. Geßner ** 28. 5. Herterich 28. 5. Dr. Holtz * 28. 5. Horn ** 28. 5. Dr. Hüsch 28. 5. Dr. Hupka ** 28. 5. Ibrügger ** 28. 5. Jung (Kandel) ** 28. 5. Dr. Kreutzmann 28. 5. Kroll-Schlüter 28. 5. Frau Krone-Appuhn ** 28. 5. Dr. Kunz (Weiden) ** 28. 5. Dr.-Ing. Laermann 28. 5. Lampersbach 28. 5. Dr. Lenz (Bergstraße) ** 28. 5. Lenzer * 28. 5. Frau Dr. Martiny 28. 5. Dr. Marx ** 28. 5. Meinike (Oberhausen) 28. 5. Dr. Mertens (Bottrop) 28. 5. Möhring ** 28. 5. Möllemann ** 28. 5. Dr. Müller * 28. 5. Müller (Bayreuth) 28. 5. Neumann (Stelle) ** 28. 5. Petersen ** 28. 5. Picard 28. 5. Rainer 28. 5. Repnik 28. 5. Dr. Riesenhuber 28. 5. Roth 28. 5. Rühe ** 28. 5. Sauer (Salzgitter) ** 28. 5. Schmidt (Würgendorf) ** 28. 5. Seehofer 28. 5. Sick 28. 5. Spranger 28. 5. Dr. Unland * 28. 5. für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Vogel (Ennepetal) 28. 5. Dr. Vohrer * 28. 5. Voigt (Frankfurt) ** 28. 5. Dr. Waigel 28. 5. Dr. Warnke 28. 5. Dr. von Wartenberg ** 28. 5. Wehner 28. 5. Würtz ** 28. 5. Dr. Zimmermann 28. 5. Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident hat gemäß § 92 der Geschäftsordnung die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Zustimmungsbedürftige Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 4/82 - Zollkontingent für Walzdraht - 1. Halbjahr 1982) (Drucksache 9/1666) überwiesen: Ausschuß für Wirtschaft Zustimmungsbedürftige Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 5/82 - Zollpräferenzen 1982 gegenüber Entwicklungsländern - EGKS) (Drucksache 9/1669) überwiesen: Ausschuß für Wirtschaft Der Präsident hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Faktenbericht 1981 zum Bundesbericht Forschung (Drucksache 9/1581) zuständig: Ausschuß für Forschung und Technologie (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß Bericht der Bundesregierung über die Integration in den Europäischen Gemeinschaften (Berichtszeitraum Oktober 1981 bis März 1982 im Anschluß an den Bericht bis September 1981) (Drucksache 9/1625) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß Bericht der Wahlkreiskommission für die 9. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gemäß § 3 Bundeswahlgesetz/BWG (Drucksache 9/1636) zuständig: Innenausschuß Nichtaufhebbare Zweiundachtzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz (Drucksache 9/1659) zuständig: Ausschuß für Wirtschaft Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" für den Zeitraum 1982 bis 1985 (Drucksache 9/1608) zuständig: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 6301* Anlage 3 Antwort des Staatsministers Dr. Corterier auf die Fragen des Abgeordneten Hartmann (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Fragen 5 und 6): Ist der Bundesregierung bekannt, ob ehemalige tschechoslowakische Staatsbürger, die die CSSR illegal verlassen und in der Bundesrepublik Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft erworben haben, der Konsularabteilung der tschechoslowakischen Botschaft in Köln pro Person 4 000 DM zahlen müssen, wenn sie einen Antrag auf eine Besuchsreise zu ihren nächsten Verwandten in die CSSR stellen? Ist der Bundesregierung bekannt, ob diesen deutschen Staatsbürgern nach drei bis vier Besuchen in der CSSR die Einreise wieder verweigert wird und sie von neuem einen Antrag „auf Entlassung aus dem tschechoslowakischen Staatsverband" stellen müssen? Zu Frage 5: Der Bundesregierung ist bisher nichts von Zahlungsaufforderungen der Tschechoslowakischen Botschaft in Köln in der von Ihnen genannten Höhe wegen einer Besuchsreise in die CSSR bekannt geworden. Die üblicherweise von deutschen Staatsangehörigen vor Antritt einer Besuchsreise in die CSSR zu entrichtenden Sichtvermerksgebühren belaufen sich nach hiesiger Kenntnis auf DM 24,—. Hinzu kommen Porto, Bearbeitungsgebühren und — bei Inanspruchnahme eines Reisebüros — eine weitere Bearbeitungsgebühr. Bei deutsch-tschechoslowakischen Doppelstaatern könnte allerdings der von Ihnen genannte Betrag von DM 4 000,— der Gebühr entsprechen, die von den tschechoslowakischen Behörden für die Entlassung aus der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit verlangt wird. Diese Gebühren sind unterschiedlich hoch. Sie richten sich z. B. nach der Ausbildung, die der Antragsteller in der CSSR erhalten hat. Die Höchstgebühr beträgt nach den tschechoslowakischen Vorschriften 12 500 Kronen (nach dem amtlichen tschechoslowakischen Umrechnungskurs ca. 5 000,—DM). Die von Ihnen genannte Gebühr bewegt sich jedenfalls ihrer Höhe nach im Rahmen der Gebühr zur Entlassung aus der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit. Zu Frage 6: Deutsch-tschechoslowakischen Doppelstaatern wird der Antrag auf Erteilung eines tschechoslowakischen Sichtvermerks in ihren deutschen Reisepässen von der Auslandsvertretung der CSSR grundsätzlich abgelehnt, da sie sich als Staatsangehörige der CSSR gegenüber deren Behörden mit tschechoslowakischen Reisedokumenten auszuweisen haben. Es steht im Ermessen der tschechoslowakischen Stellen, ob und unter welchen Voraussetzungen sie die Einreise der eigenen Staatsangehörigen genehmigen wollen. Es mag vorgekommen sein, daß im Einzelfall einem deutsch-tschechoslowakischen Doppelstaater die Einreise unerwartet verweigert wurde, nachdem sie ihm zuvor zu wiederholten Malen genehmigt worden war. Eine generelle Praxis dieser Art ist dem Auswärtigen Amt nicht bekannt. Solche Fälle können sich ereignen, wenn die Tschechoslowakische Botschaft erst zu einem späteren Zeitpunkt feststellt, daß die Sichtvermerksbewerber auch die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit besitzen. Eine Wiederholung der Entlassung aus der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit dürfte es nicht geben, wenn die erste Entlassung einwandfrei durchgeführt wurde und belegt werden kann. Es ist zu vermuten, daß die von Ihnen genannten Personen irrigerweise von ihrer Entlassung aus der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit ausgingen, während sie tatsächlich nach vollzogener Einbürgerung in den deutschen Staatsverband deutschtschechoslowakische Doppelstaater waren. Anlage 4 Antwort des Staatsministers Dr. Corterier auf die Fragen des Abgeordneten Hansen (fraktionslos) (Drucksache 9/1664 Fragen 7 und 8): Wann und in welcher Weise wird die Bundesregierung auf den Beschluß des US-Senats, mit der Produktion chemischer Waffen zur Ergänzung des NATO-Arsenals zu beginnen, reagieren? Inwiefern lassen die jüngsten Äußerungen des Bundeskanzlers, er wolle Bonn während des NATO-Gipfels im Juni am liebsten „hermetisch abriegeln", damit eine „solche Veranstaltung ohne Störung" stattfinden könne, die Gegner des NATO-„Nachrüstungs"-Beschlusses würden die „Verhandlungsbereitschaft zerstören" und „die Wahrscheinlichkeit eines späteren Krieges noch vermehren" (München, 22. April 1982) sich mit seiner Aussage in Übereinstimmung bringen, der Bundeskanzler habe „Verständnis für die Sorge vieler Menschen für den Frieden"? Zu Frage 7: Wie ich bereits in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 4. März 1982 erläutert habe, handelt es sich bei der beabsichtigten Aufnahme der Produktion chemischer Waffen um eine souveräne Entscheidung der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Bundesregierung sieht daher derzeit keinen Anlaß zu einer Reaktion. Ich bitte Sie, meine diesbezüglichen Ausführungen in der genannten Fragestunde nachzulesen, insbesondere auch meinen Hinweis auf die Bemühungen der Bundesregierung um ein Verbot der chemischen Waffen. Zu Frage 8: 1. Ein Widerspruch, wie er in Ihrer Frage konstruiert wird, ist nicht gegeben, auch nicht mit der von Ihnen zitierten angeblichen Äußerung des Bundeskanzlers zu den Sicherheitsvorkehrungen aus Anlaß des NATO-Gipfels in Bonn. Eine Pressemeldung vom 15. Februar 1982, Bonn werde nach dem Willen der Bundesregierung während des Gipfels weiträumig abgesperrt werden, entspricht in diesem Zusammenhang nicht den Tatsachen. Der Bundeskanzler hat immer wieder betont, daß friedliche Demonstrationen unmittelbarer Ausdruck unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung sind. Er hat dies zuletzt am 20. Mai 1982 in Aachen anläßlich der Verleihung des Karls-Preises an König Juan Carlos I. und bei seiner Rede vor der Gewerk- 6302* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 schaft der Polizei am 23. Mai 1982 in der Pauls-Kirche in Frankfurt unterstrichen. Der persönliche Schutz der Gäste beim NATO-Gipfel und die Gewährleistung eines unbehinderten Konferenzgeschehens sind allerdings eine Selbstverständlichkeit. Diese Maßnahmen halten sich im Rahmen des bei solchen Gelegenheiten international Üblichen. 2. Die von Ihnen zitierte Passage der Erklärung des Bundeskanzlers vom 22. April 1982 auf dem SPD-Parteitag in München ist aus dem Zusammenhang seiner Rede gerissen. Der Bundeskanzler hat in der Passage Gedanken Carl-Friedrich von Weizsäckers wiederholt. Im übrigen hat der Bundeskanzler auf dem SPD-Parteitag die bekannte Auffassung der Bundesregierung verdeutlicht, daß der von uns gewünschte umfassende Erfolg der Genfer INF-Verhandlungen, d. h. ein Verzicht beider Seiten auf die dort verhandelten landgestützten Mittelstreckenflugkörper, letztlich nur dann zu erwarten ist, wenn die Sowjetunion keinerlei Zweifel daran hat, daß die Stationierung neuer amerikanischer Systeme beginnen wird, wenn es in Genf nicht zu dem gewünschten Ergebnis kommt. Wer einen einseitigen Verzicht des Westens fordert, muß wissen, daß er damit den Verhandlungserfolg gefährdet. Diese Feststellung steht nicht im Gegensatz, sondern beruht gerade auf der auch vom Bundeskanzler empfundenen Sorge vieler Menschen um den Frieden. Anlage 5 Antwort des Staatsministers Dr. Corterier auf die Frage des Abgeordneten Dr. Hupka (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Frage 10): Welche Auskunft kann die Bundesregierung über das Ausmaß der Proteste und Demonstrationen und die Zahl der laufenden Prozesse sowie Verurteilungen von ausreisewilligen Deutschen in der Sowjetunion während der Monate Januar bis Mai 1982 erteilen? Bis 25. Mai 1982 wurde nach Kenntnis der Bundesregierung nur einmal auf dem Roten Platz in Moskau für die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland demonstriert, und zwar am 16. Mai durch fünf Rußlanddeutsche mit vier Kindern. Die nach einer Minute festgenommenen — namentlich bekannten — Demonstranten wurden nach einem 52stündigen Hungerstreik entlassen und in ihre Wohnorte in Georgien und Kasachstan abgeschoben. Für den 26. Mai wurde eine entsprechende Demonstration von acht — namentlich bekannten — Rußlanddeutschen angekündigt. Die Ausreiseanliegen aller Demonstranten werden von unserer Botschaft in Moskau im Rahmen der beschränkten Möglichkeiten bestmöglich unterstützt. In entsprechende Förderungsmaßnahmen einbezogen sind u. a. — der zweimal in Hungerstreik getretene Sowjetbürger nichtdeutscher Volkszugehörigkeit namens Kiblitzki, der mit seiner deutschen Ehegattin zusammengeführt werden möchte — die Eheleute Vollmer, die im Februar in Hungerstreik getreten waren, und — die am 6. Mai 1982 in Frunse/Kirgisien zu zweieinhalb bzw. zwei Jahren Freiheitsentzug verurteilten ausreisewilligen Alexander Till und Waldemar Reiser sowie deren Angehörige. Über den Prozeß in Frunse berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" am 8. Mai 1982 ausführlich. Unterstützt werden von unserer Botschaft auch Ausreiseanliegen anderer Rußlanddeutscher, die aus verschiedenen Gründen oder unter verschiedenen Vorwänden, offiziell jedoch nicht wegen ihrer Ausreiseanträge benachteiligt, angehalten oder verurteilt werden. Das Ausmaß der Demonstrationen und Prozesse ist nach Meinung der Bundesregierung nicht größer als früher. Zahlenmäßig gesicherte Angaben über Demonstrationen und Prozesse zu machen, ist nicht möglich, da unsere Botschaft diese Vorfälle nur registriert, wenn sie unmittelbar und nicht nur gerüchteweise an sie herangetragen werden. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dreßler auf die Frage des Abgeordneten Dr. Kunz (Weiden) (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Frage 39): Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung — angesichts der Tatsache, daß die Zahl der freifahrtberechtigten Schwerbehinderten seit dem 1. Oktober 1979 sehr stark angestiegen ist — zu ergreifen, damit die den Nahverkehrsbetrieben bei den derzeit gültigen, großenteils nicht kostendeckenden Erstattungssätzen und der gegenwärtigen Regelung der Fahrgelderstattung entstehenden Fahrgeldausfälle ausreichend abgedeckt werden können? Der Bundesregierung sind Hinweise zugegangen, daß den Verkehrsunternehmern des öffentlichen Personennahverkehrs in einzelnen Orten durch die unentgeltliche Beförderung freifahrtberechtigter Schwerbehinderter Fahrgeldausfälle entstehen, die durch die gesetzlich vorgesehene Erstattung nach landesrechtlich festgelegten Vomhundertsätzen nicht voll ausgeglichen werden. Die Länder, die mit der Durchführung der Erstattung der Fahrgeldausfälle überwiegend beauftragt sind, wurden um Uberprüfung dieser Hinweise und zugleich um Stellungnahme gebeten, wie unter Beibehaltung des pauschalen Erstattungssystems einer überdurchschnittlichen Inanspruchnahme von Verkehrsunternehmen durch freifahrtberechtigte Schwerbehinderte besser Rechnung getragen werden könnte als bisher. Darüber hinaus wurden insbesondere mit dem Verband öffentlicher Verkehrsbetriebe Gespräche über die Einführung einer Härteklausel und einer zeitnäheren Anpassung der Vomhundertsätze ge- Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 6303* führt. Entsprechende Vorschläge sind den Ländern, die zum überwiegenden Teil die Kosten für die unentgeltliche Beförderung sowie den Verwaltungsaufwand zu tragen haben, ebenfalls zur Stellungnahme übermittelt worden. Sobald die Stellungnahmen der Länder vorliegen, wird abschließend geprüft werden, durch welche gesetzgeberischen Maßnahmen im Zuge der angekündigten Novellierung des Schwerbehindertengesetzes eine Lösung des von Ihnen angesprochenen Problems gefunden werden kann. Anlage 7 Antwort des Staatssekretärs Dr. Fröhlich auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Friedmann (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Fragen 56 und 57): Ist das Konzept, insbesondere die Finanzierung, des fälschungssicheren Personalausweises inzwischen gesichert, und in welchen Zeitschritten wird bei der Einführung vorgegangen? Muß noch mit Regreßforderungen von Firmen gegenüber der Bundesdruckerei bzw. dem Bundesinnenminister gerechnet werden, die bei der Entwicklung des Konzepts Vorleistungen erbracht haben? Die Bundesregierung hat auf der Grundlage eines Beschlusses der Ständigen Konferenz der Innenminister der Länder am 19. März 1982 den zur Einführung eines fälschungssicheren Personalausweises erforderlichen Gesetzentwurf eingebracht. Die Finanzierung des neuen Personalausweises soll durch Erhebung einer Gebühr sichergestellt werden. Alle weiteren Fragen hängen vom Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens ab. Anlage 8 Antwort des Staatssekretärs Dr. Fröhlich auf die Frage des Abgeordneten Dr. Hupka (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Frage 58): Wird die Bundesregierung der Bitte des bayerischen Kultusministers an den Bundesinnenminister entsprechen, „das über die Vertreibung Deutscher in staatlichem Auftrag gesammelte Material insgesamt freizugeben", und bejahendenfalls, wann wird das sein? In seinem Schreiben, aus dem Sie zitieren, bezieht sich der Bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultus auf einen Beschluß des Bayerischen Landtages vom 17. Dezember 1981. Dem Wortlaut des Beschlusses ist zu entnehmen, daß die „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus OstMitteleuropa" gemeint ist, die im Auftrag der Bundesregierung von einer wissenschaftlichen Kommission erarbeitet und in den Jahren 1953 bis 1961 veröffentlicht worden ist. Die Frage einer „Freigabe" — was immer darunter verstanden werden soll — stellt sich für diese Dokumentation nicht. Das umfangreiche Berichtsmaterial, aus dem für die veröffentlichte Dokumentation eine wissenschaftlich begründete Auswahl getroffen wurde, steht uneingeschränkt nach der allgemein geltenden Benutzungsordnung des Bundesarchivs zur wissenschaftlichen und publizistischen Benutzung zur Verfügung. Die veröffentlichte Dokumentation selbst ist zwar im Buchhandel vergriffen, jedoch in allen wichtigen Bibliotheken zugänglich. Fünf der acht Grundbände werden aus Restbeständen von meinem Hause weiterhin auf Anfrage an Bibliotheken, Institutionen und Multiplikatoren abgegeben. Im übrigen werden Anfragende in jedem Einzelfall auf die nächstgelegenen Bibliotheken verwiesen, die das Gesamtwerk besitzen. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haehser auf die Frage des Abgeordneten Weirich (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Frage 64): Trifft es zu, daß der Bundesfinanzminister beabsichtigt, ab 1983 keine Bundeszuschüsse mehr an die deutsche Journalistenschule in München, an die Akademie für Publizistik in Hamburg und das Deutsche Institut für publizistische Bildungspolitik in Hagen zu zahlen? Ja, das trifft zu. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haehser auf die Fragen des Abgeordneten Schröder (Hannover) (SPD) (Drucksache 9/1664 Fragen 65 und 66): Welche Gründe rechtfertigen es, daß nach geltendem Steuerrecht Spesen zwar steuerfrei sind, Nahauslösungen (für Montagearbeiter) dagegen — von einem Freibetrag abgesehen — steuerpflichtig sind, obwohl diese regelmäßig unterhalb der Spesensätze liegen? Beabsichtigt die Bundesregierung, die ungleiche steuerliche Behandlung von Spesen und Nahauslösung in naher Zukunft zu beseitigen? Die im Wirtschaftsleben üblichen Bezeichnungen „Spesen" und „Auslösungen" werden im Lohnsteuerrecht nicht verwandt. Gemeint dürfte sein die lohnsteuerliche Behandlung von Vergütungen, die an Arbeitnehmer bei einer auswärtigen Tätigkeit gezahlt werden. Die steuerliche Behandlung richtet sich danach, ob die Vergütungen als Reisekostenersatz oder als bloße Verpflegungszuschüsse zu werten sind. Die Anerkennung dieser Beträge als Reisekostenersatz setzt voraus, daß begrifflich eine Dienstreise vorliegt. Das ist in der Regel nur der Fall, wenn der Arbeitnehmer im eigentlichen Betrieb eine regelmäßige Arbeitsstätte hat. Bei Montagearbeitern, die nur auswärts tätig sind und im Betrieb keinen regelmäßigen Arbeitsplatz haben, ist nach der ständigen Rechtsprechung des 6304* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 Bundesfinanzhofs eine Dienstreise nicht anzunehmen, wenn diese Arbeitnehmer täglich nach Hause zurückkehren. Ihnen entstehen in der Regel keine wesentlich höheren Aufwendungen als den arbeitsplatzgebundenen Arbeitnehmern. Deshalb können die ihnen gezahlten Auslösungen auch nicht als Reisekostenersatz behandelt werden. Gewisse, durch die Auswärtstätigkeit bedingte Mehraufwendungen können indessen durch Anerkennung eines steuerfreien Verpflegungszuschusses bis zu 5 DM für jeden Tag berücksichtigt werden, an dem der Arbeitnehmer mehr als 10 Stunden von seiner Wohnung abwesend ist. Wenn tatsächlich höhere Verpflegungskosten entstehen sollten, bleibt es dem Arbeitnehmer unbenommen, diese als Werbungskosten geltend zu machen. Eine grundlegende Änderung der geltenden Bestimmungen ist zur Zeit nicht beabsichtigt; insbesondere kann nicht erwogen werden, tarifvertraglich vereinbarte Auslösungen schlechthin steuerfrei zu stellen. Diese tarifvertraglichen Regelungen sind, was die Anspruchsvoraussetzungen betrifft, höchst unterschiedlich, so daß eine allgemeine Steuerfreiheit zu nicht vertretbaren steuerlichen Ungleichbehandlungen führen müßte. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haehser auf die Fragen des Abgeordneten Krey (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Fragen 67 und 68): Plant die Bundesregierung, dem Zollkriminalinstitut den Status einer Oberbehörde zu verleihen, und wie will die Bundesregierung der Sorge Rechnung tragen, daß die Institutionalisierung des Zollkriminalinstituts als weitere örtliche Behörde, nämlich als „Zentrales Zollfahndungsamt", dem Auftrag des Zollkriminalinstituts als zentrales Führungsinstrument des Zollfahndungsdienstes mit bundesweiter Aufgabenstellung und im Hinblick auf seine Bedeutung im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland nicht gerecht würde? Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß das Nebeneinander von mehreren weisungsberechtigten Stellen (Zollkriminalinstitut und Oberfinanzdirektion) gegenüber den Zollfahndungsämtern nicht zweckmäßig ist und insbesondere die Bekämpfung des Rauschgift- und Waffenschmuggels sowie die Wirtschaftskriminalität klare Weisungsstrenge vom Bundesfinanzminister über das Zollkriminalinstitut an die Zollfahndungsämter verlangt? Zu Frage 67: Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, das Zollkriminalinstitut als Bundesoberbehörde zu errichten. Das Zollkriminalinstitut hat u. a. die Aufgabe, alle Nachrichten, die für den Zollfahndungsdienst wichtig sein können, zu sammeln, auszuwerten und die Zollfahndungsämter und gegebenenfalls die anderen Zolldienststellen zu unterrichten. Es koordiniert — soweit erforderlich — die Ermittlungen von Zollfahndungsämtern und erteilt ihnen in Fällen von überregionaler Bedeutung unmittelbar fachliche Weisungen. Außerdem hat das Zollkriminalinstitut überregionale Zuständigkeiten auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe. Zu Frage 68: Die Bundesregierung teilt die Auffassung nicht, daß die bisherige Zuständigkeitsregelung unzweckmäßig ist und die optimale Bekämpfung des Rauschgift- und Waffenschmuggels sowie der Wirtschaftskriminalität behindert. Die Weisungsbefugnisse von Zollkriminalinstitut und Oberfinanzdirektion sind klar voneinander abgegrenzt. Die Weisungsbefugnis des Zollkriminalinstituts umfaßt grundsätzlich nur überbezirkliche Fälle. Fachliche Weisungen in Fällen von regionaler Bedeutung kann das Zollkriminalinstitut nur erteilen, wenn der Ermittlungserfolg ohne eine solche Maßnahme gefährdet wäre. In solchen Ausnahmefällen hat das Zollkriminalinstitut die zuständige Oberfinanzdirektion unverzüglich zu unterrichten. Dadurch wird auch die Gefahr einer Doppelgleisigkeit vermieden. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haehser auf die Frage des Abgeordneten Dr. Mitzscherling (SPD) (Drucksache 9/1664 Frage 70): Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeiten einer engeren internationalen währungspolitischen Zusammenarbeit mit dem Ziel, stabilere Wechselkursentwicklungen zu erreichen? Zusammenarbeit zwischen währungspolitisch wichtigen Ländern in unterschiedlicher Form und Intensität — bilateral oder multilateral, durch gegenseitige Unterrichtung, Beratung oder abgestimmtes währungspolitisches Handeln — ist bereits Realität. Gegenseitige Abstimmungen finden im europäischen Währungssystem (EWS), im internationalen Währungsfonds und beim jährlichen Wirtschaftsgipfel der sieben großen Industrieländer statt. Eine weitere Vertiefung der Zusammenarbeit ist möglich und geboten. Stabile Währungs- und Wechselkursbeziehungen setzen freilich stabile und gleichgerichtete wirtschaftliche Verhältnisse voraus. Dies erfordert Zusammenarbeit auf der ganzen Breite der Wirtschaftspolitik, die in einzelnen Ländern nach wie vor durch unterschiedliche wirtschaftspolitische Wertvorstellungen und Denkweisen geprägt sind. Unter diesen Umständen sind wirklich stabile Wechselkurse auf Dauer nur möglich, wenn die nationale Wirtschaftspolitik außenwirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet wird. Die Bereitschaft und Fähigkeiten dazu sind abhängig vom weltwirtschaftlichen Gewicht eines Landes und seiner guter- und finanzwirtschaftlichen Verflechtungen mit der Welt. Ferner setzen das bedeutende Volumen und die hohe Beweglichkeit der internationalen Finanzströme dem Einfluß der Währungsbehörden auf den Wechselkurs Grenzen. Im EWS hat die währungspolitische Zusammenarbeit ein beachtliches Maß erreicht. Das EWS hat in einem schwierigen weltwirtschaftlichen Umfeld seit seiner Gründung im März 1979 für eine bemerkenswert ruhige Entwicklung in den Währungsbeziehungen der Teilnehmerländer gesorgt. Die Regierungen Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 6305* und Währungsbehörden der EWS-Mitgliedsländer sind entschlossen, den Zusammenhalt des Systems zu festigen. Die Voraussetzungen für engere währungspolitische Zusammenarbeit der Bundesrepublik mit den USA haben sich wesentlich dadurch verbessert, daß die USA in den letzten Jahren den Kampf gegen die seinerzeit sehr hohe Inflation in ihrem Lande mit Nachdruck und inzwischen mit beachtlichem Erfolg aufgenommen haben. Jetzt kommt es darauf an, daß die USA durch geeignete haushaltspolitische Maßnahmen den Erfolg bei der Preisstabilisierung festigen und gleichzeitig einen Rückgang ihrer hohen Zinsen und damit eine weitere Senkung des Weltzinsniveaus ermöglichen. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haehser auf die Frage des Abgeordneten Dr. Jahn (Münster) (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Frage 71): Ist der Bundesregierung das jüngst erschienene Gutachten des Bundesverbandes Mittelstands-Unternehmen (BMU) e. V. zur Einfamilienhausbesteuerung bekannt, und beabsichtigt die Bundesregierung, Folgerungen aus dem Ergebnis dieses Gutachtens zu ziehen, nachdem die Einfamilienhausbesteuerung infolge der erheblich angestiegenen Belastungen eines durchschnittlichen Bauherren die Schwelle zur Verfassungswidrigkeit überschritten hat? Das Gutachten ist der Bundesregierung bekannt. Die in ihm geäußerte Auffassung, daß die angestiegene Belastung eines durchschnittlichen Bauherrn die Schwelle zur Verfassungswidrigkeit überschritten hat, wird von der Bundesregierung nicht geteilt. Der in dem Gutachten genannte Beispielsfall, der von einer 100%igen Fremdfinanzierung ausgeht, ist sicher ein ganz seltener Ausnahmefall. Vor einer solchen Finanzierung wären — auch angesichts der derzeitigen hohen Zinsen — mögliche Bauherrn nur zu warnen. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Frage des Abgeordneten Catenhusen (SPD) (Drucksache 9/1664 Frage 78): Welche rechtlichen Schritte kann und will die Bundesregierung unternehmen, damit regionale Energieversorgungskonzepte zügig verwirklicht werden? Teilweise bestehen bereits Versorgungskonzepte; für zahlreiche Gebietskörperschaften sind sie in Arbeit. Auf Veranlassung der Bundesregierung haben die einschlägigen Verbände Grundsätze und Orientierungshilfen für Versorgungskonzepte beschlossen. Die Bundesregierung hat darüber hinaus in der 3. Fortschreibung ihres Energieprogramms unterstrichen, daß sie auf die breite Durchsetzung von Versorgungskonzepten hinwirken wird; sie hat Versorgungsunternehmen und Gemeinden zu entsprechenden weiteren Anstrengungen aufgefordert. Im Rahmen eines Forschungsprogramms der Bundesregierung werden Hilfen für die Entwicklung von Versorgungskonzepten erarbeitet. Zusätzliche Schritte der Bundesregierung sind derzeit nicht erforderlich. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Frage des Abgeordneten Dr. Hennig (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Frage 79): Wann hat die Bundesregierung der Lieferung westdeutscher Leopard-Panzer an Libyen zugestimmt, und um wieviel Panzer handelte es sich dabei? Genehmigungen für den Export von Leopard-Panzern nach Libyen hat die Bundesregierung zu keinem Zeitpunkt erteilt. Es wurde allerdings wiederholt behauptet, in Italien nachgebaute Leopard-Panzer seien nach Libyen geliefert worden. Dieser Verdacht konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Fragen des Abgeordneten Gansel (SPD) (Drucksache 9/1664 Fragen 80 und 81): In welchem Umfang und aus welchen Gründen hat die Bundesregierung Veranstaltern und Ausstellern der IDEE- und ILA-Messe Genehmigungen nach § 4 a des Kriegswaffenkontrollgesetzes erteilt? Wie verträgt sich die Werbung für den Verkauf von Kriegswaffen mit der von der Bundesregierung für restriktiv gehaltenen Kriegswaffenexportpolitik? 1. Genehmigungen nach § 4 a Kriegswaffenkontrollgesetz wurden von Veranstaltern und Ausstellern der ILA und der IDEE nicht beantragt. Dementsprechend wurden auch keine Genehmigungen erteilt. 2. Die restriktive Kriegswaffenexportpolitik der Bundesregierung bezieht sich darauf, daß sie den ihr vom Kriegswaffenkontrollgesetz eingeräumten Ermessensspielraum bei der Genehmigung des Exports von Kriegswaffen restriktiv handhabt. Vorgänge im Vorfeld von Herstellung und Export von Kriegswaffen, zum Beispiel die Werbung von Kriegswaffen, werden nicht vom Kriegswaffenkontrollgesetz erfaßt und liegen insofern nicht im Rahmen der Befugnisse, die der Gesetzgeber der Bundesregierung im Kriegswaffenkontrollgesetz eingeräumt hat. 6306* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Fragen der Abgeordneten Frau Simonis (SPD) (Drucksache 9/1664 Fragen 82 und 83): In welchem Umfang und aus welchem Gründen sind Dienststellen im Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung mit der IDEE-Ausstellung befaßt gewesen? Hat die Bundesregierung eine Übersicht über gegenwärtige exportspezifische Kapazitäten in der Kriegswaffenproduktion, und welche Maßnahmen wird sie ergreifen, um gemäß den neuen Grundsätzen zu verhindern, daß der Kriegswaffenexport zum Aufbau zusätzlicher exportspezifischer Kapazitäten führt? Zu Frage 82: Das Ministerium für Wirtschaft und Verkehr des Landes Niedersachsen hatte Ende April 1982 den Bundesminister für Wirtschaft um Prüfung gebeten, ob auf der IDEE Kriegswaffen ausgestellt werden sollen. In der Antwort wurde mitgeteilt, daß keine Genehmigungen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz erteilt worden seien; auch lägen keine Anträge vor. An diesem Sachverhalt hat sich auch bis zur Ausstellung nichts geändert. Das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft, das angewiesen war, während der gesamten Dauer der Ausstellung darüber zu wachen, daß Kriegswaffen nicht ungenehmigt ausgestellt werden, hat keinen Verstoß festgestellt. Zu Frage 83: Kapazitäten für die Produktion von Kriegswaffen, die speziell oder vorwiegend für den Export bestimmt sind, gibt es in der Bundesrepublik Deutschland nicht. Die Rüstungskapazitäten sind vielmehr am Bedarf der Bundeswehr ausgerichtet. Angesichts des zeitlich schwankenden Bundeswehrbedarfs tragen Rüstungsexporte in erster Linie zur kontinuierlichen Auslastung der vorhandenen Kapazitäten bei. Gesichtspunkte der Auslastung vorhandener Kapazitäten oder der Aufrechterhaltung sicherheitspolitisch unverzichtbarer Kapazitäten sind schon nach den bisher geltenden rüstungsexportpolitischen Grundsätzen im Genehmigungsverfahren berücksichtigt worden, zum Beispiel bei Genehmigungen für Schiffslieferungen. Nach den neugefaßten Grundsätzen wird die Genehmigungsbehörde prüfen, ob ein beantragtes Exportvorhaben zum Aufbau zusätzlicher, exportspezifischer Kapazitäten führt. Welche Maßnahmen in diesem Zusammenhang zu ergreifen sind, hängt von den konkreten Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls ab. Dazu zählen vor allem die aktuelle Auslastung des Unternehmens, laufende und zu erwartende Entwicklungs-, Produktions- und Wartungsaufträge von Bundeswehr und NATO-Partnern, die Streckungsmöglichkeit solcher Aufträge oder das Erfordernis, aus Know-How-Gründen bestimmte Kapazitäten für einen späteren Zeitpunkt aufrechtzuerhalten. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Fragen des Abgeordneten Jungmann (SPD) (Drucksache 9/1664 Fragen 84 und 85): Welche Genehmigung nach § 2 und § 3 Kriegswaffenkontrollgesetz sind Veranstaltern und Ausstellern der IDEE und ILA erteilt worden? Kann die Bundesregierung ausschließen, daß Kriegswaffen oder Ersatzteile aus der Bundesrepublik Deutschland über andere südamerikanische Staaten an Argentinien gelangen? Zu Frage 84: An Ausstellerfirmen der ILA wurden Genehmigungen zur Beförderung von Kriegswaffen nach Hannover erteilt. Es handelte sich dabei insbesondere um Genehmigungen für militärische Flugzeuge und Hubschrauber und für Flugabwehrwaffen. Genehmigungen im Zusammenhang mit der Ausstellung von Kriegswaffen auf der IDEE wurden keine erteilt; es lagen auch keine entsprechenden Anträge vor. Zu Frage 85: Kriegswaffenexporte in Nicht-NATO-Länder, also auch in südamerikanische Staaten, werden nach den bisherigen wie auch nach den neugefaßten politischen Grundsätzen für den Rüstungsexport nur bei Vorliegen von amtlichen Endverbleibsnachweisen genehmigt. Diese enthalten die Zusicherung des Empfängerstaates, daß die Kriegswaffen nicht oder nur mit Zustimmung der Bundesregierung in ein anderes Land weiterexportiert werden. Theoretisch ist allerdings nicht auszuschließen, daß eine aus der Bundesrepublik Deutschland gelieferte Kriegswaffe entgegen dieser Zusage dennoch aus dem Empfängerland weitergeliefert wird. Die Bundesregierung ist jedoch davon überzeugt, daß sich die Empfängerländer der Konsequenzen eines zusagewidrigen Weiterexports, insbesondere hinsichtlich der Genehmigung künftiger Lieferungen, bewußt sind und schon deshalb die Zusage einhalten werden. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Fragen des Abgeordneten Peter (Kassel) (SPD) (Drucksache 9/1664 Fragen 86 und 87): Ist es zutreffend, daß für ortsfeste Abwehrkanonen Produktionsgenehmigungen für Argentinien erteilt worden sind? Welche rechtliche Bedeutung haben die neuen Grundsätze der Bundesregierung zum Kriegswaffenexport? 1. Ich nehme an, daß sich Ihre Frage auf Flugabwehrkanonen bezieht. Davon sind 1978 eine begrenzte Stückzahl genehmigt worden, die noch in den 70er Jahren exportiert wurden. 2. Für die Genehmigung zur Lieferung von Kriegswaffen gibt das Kriegswaffenkontrollgesetz als Ausführungsgesetz zu Artikel 26 Grundgesetz Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 6307* den rechtlich verbindlichen Rahmen vor. In diesem Gesetz wird unter anderem festgelegt, wann Genehmigungen zwingend zu versagen oder zu widerrufen sind und wann dies fakultativ der Fall ist. Darüber hinaus hat die Bundesregierung einen relativ großen Ermessensspielraum, innerhalb dessen sie im Rahmen der Schutzzwecke des Gesetzes nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet. Für die Genehmigungsbehörde selbst stellen die Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern eine verbindliche Richtlinie zur Handhabung des Ermessens dar. Für die Bundesregierung oder den Bundessicherheitsrat sind die Grundsätze politische Leitlinien, von denen sie Ausnahmen zulassen können. Die Grundsätze haben — im Gegensatz zum Kriegswaffenkontrollgesetz — insoweit keinen Normcharakter. Anlage 20 Antwort des Staatssekretärs Dr. Schlecht auf die Frage des Abgeordneten Junghans (SPD) (Drucksache 9/1664 Frage 88): Welche Chancen sieht die Bundesregierung nach der Tagung der OECD in Paris, auf dem Weltwirtschaftsgipfel zu Vereinbarungen zu gelangen, die Weltwirtschaftskrise durch gemeinsame Anstrengungen zu überwinden? Die Bundesregierung ist zuversichtlich, daß der bevorstehende Weltwirtschaftsgipfel in Versailles dazu beiträgt, die gemeinsamen Anstrengungen zur Überwindung der akuten weltwirtschaftlichen Probleme zu intensivieren. Höchste politische Priorität, dies wurde auch auf dem OECD-Ministerrat hervorgehoben, muß der Bekämpfung der weltweit hohen Arbeitslosigkeit zukommen. Die Beschäftigungssituation läßt sich dauerhaft nur über einen solide fundierten Wachstumsprozeß verbessern. Diese Grundüberzeugung teilen die Regierungen aller westlichen Industrieländer. Um zu einem höheren Wachstumspfad und damit zu mehr Beschäftigung zurückzufinden, ist eine wirkungsvolle internationale Kooperation gegenwärtig mehr denn je erforderlich. Entscheidend ist der Wille zum Handeln auf der Basis einer gemeinsamen Grundlinie der Wirtschaftspolitik. Bei der Diskussion während des OECD-Ministerrats haben sich folgende Kernelemente für eine gemeinsame Haltung in der Wirtschaftspolitik herauskristallisiert: — Eine dauerhafte Verminderung der Arbeitslosigkeit setzt eine Rückführung der weltweit nach wie vor zu hohen Inflationsrate voraus. — Nachhaltiges Wirtschaftswachstum kann nur dann erzielt werden, wenn mehr produktive Investitionen getätigt werden, die Produktivität und der technische Fortschritt sich verbessern. — Ein freies Welthandelssystem, eine Stärkung der Marktkräfte und die Bereitschaft zur positiven strukturellen Anpassung sind entscheidend für die Überwindung unserer gegenwärtigen Probleme. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Diskussion auf dem Versailles-Gipfel auf dieser Basis erfolgreich fortgesetzt werden kann. Im Rahmen dieser Grundüberlegungen können die einzelnen Länder ihre Wirtschaftspolitik so gestalten, daß den Unterschieden in Ausgangslage, institutionellen und sonstigen Besonderheiten Rechnung getragen wird. Allerdings sollte jedes Land die außenwirtschaftlichen Konsequenzen der binnenwirtschaftlichen Maßnahmen sorgfältig beachten. Dies gilt wegen der großen Bedeutung für die Weltwirtschaft insbesondere für die Vereinigten Staaten von Amerika. Fortschritte bei der Haushaltskonsolidierung dort, aber auch in anderen Ländern mit hohen öffentlichen Defiziten, sind eine wesentliche Voraussetzung für einen nachhaltigen Rückgang der gegenwärtig in vielen Ländern außergewöhnlich hohen Zinsen. Mehr Wachstum und Beschäftigung werden auf Dauer nach Auffassung der Bundesregierung am effizientesten verwirklicht durch eine stetige Geldpolitik, eine stabilitäts- und wachstumsgerechte Haushaltspolitik sowie eine beschäftigungsorientierte Lohnpolitik. Demgegenüber haben die Erfahrungen der 70er Jahre gezeigt, daß eine Politik des billigen Geldes, einseitiges Vertrauen auf expansive Fiskalpolitik und die Lokomotivenfunktion einzelner Länder die Probleme nicht lösen können. Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haehser auf die Frage des Abgeordneten Junghans (SPD) (Drucksache 9/1664 Frage 89): Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung für eine international abgestimmte Zinssenkung? Die Regierungen und Zentralbanken der wichtigen westlichen Industrieländer stehen in ständigem Kontakt miteinander. Soweit sich dabei Spielräume für ein abgestimmtes Handeln in der Zinspolitik ergeben haben, sind diese auch genutzt worden. Ich nenne als Beispiel hier die Tatsache, daß seit Herbst vergangenen Jahres die Zinsen in wichtigen Ländern sowohl im kurz- als auch im längerfristigen Bereich zurückgegangen sind. In der Bundesrepublik sanken sie im kurzfristigen Bereich von über 12 % auf z. Zt. 9 % und im längerfristigen Bereich von über 11 % auf etwas unter 9 %. Ein weiteres Beispiel ist die teilweise gleichzeitige Senkung der Lombard- bzw. Diskontsätze in der Bundesrepublik, Niederlande, Schweiz und Österreich am 22. Januar, 19. März sowie am 6. Mai 1982. Eine international abgestimmte Zinssenkung muß allerdings der besonderen Situation der einzelnen Länder Rechnung tragen. Länder mit größeren 6308* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 Stabilitätsfortschritten wie z. B. die Bundesrepublik, können dabei schneller voranschreiten, als andere. Auch dies ist in den letzten Monaten geschehen. Die Aussichten für das Tempo der weiteren Zinssenkungen hängen einerseits vom Erfolg der Stabilitätsbemühungen in den beteiligten Ländern ab, andererseits aber insbesondere davon, wie rasch es den USA gelingt, die unbestreitbaren Erfolge bei der Inflationsbekämpfung zu festigen und das Defizit in ihrem Staatshaushalt zu begrenzen. Anlage 22 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Frage der Abgeordneten Frau Hürland (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Frage 90): Wie hoch beziffern sich die Mindereinnahmen des Steinkohlebergbaus in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1982 durch Mittelkürzung bei Investitionen durch den Bund durch nichtgenehmigte Erhöhung des Kokskohlepreises und durch die Einfuhrsteigerung von Steinkohle und Koks? Der Deutsche Bundestag hat im Rahmen des Haushaltsgesetzes 1982 aus Haushaltsgründen beschlossen, die traditionelle Investitionshilfe um 40 Millionen DM auf 100 Millionen DM (Bundesanteil) zu kürzen. Dies bedeutet auch eine entsprechende Kürzung des Drittelanteils der Bergbauländer. Die zusätzliche Investitionshilfe (in 1981 Bundes- und Landesanteil 361,5 Millionen DM) ist vereinbarungsgemäß mit dem Jahre 1981 ausgelaufen. Die Listenpreise für Kokskohle legen die Bergbauunternehmen in eigener Verantwortung fest. Für die Lieferungen an die Stahlindustrie ist jedoch der Hüttenvertragspreis maßgebend. Die Festlegung dieses Preises für das Jahr 1982 erfolgt voraussichtlich im Herbst dieses Jahres im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Höhe der Kokskohlenbeihilfe. Eine Aussage über Mehr- oder Mindereinnahmen aus diesen Lieferungen in 1982 kann daher heute noch nicht erfolgen. Auch nach Erweiterung der Einfuhrmöglichkeiten für Drittlandskohle zum 1. Januar 1981 sind die Importe vorwiegend zur Substitution von 01 nur um rund 1 Million t auf rund 7 Millionen t gestiegen. Der Inlandsabsatz an deutscher Steinkohle blieb praktisch konstant. Im ersten Quartal 1982 sind die Einfuhren von Steinkohle und Koks gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum wieder leicht zurückgegangen. Demgegenüber ist in diesem Zeitraum der Inlandsabsatz an deutscher Kohle gestiegen, so daß bei Anhalten dieser Tendenz eine Verdrängung deutscher Kohle nicht zu erwarten ist und damit auch nicht von dadurch bedingten Mindereinnahmen ausgegangen werden kann. Anlage 23 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Frage der Abgeordneten Frau Hürland (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Frage 91): Wird die sogenannte Kohlevorrangpolitik zufolge der Fakten und einer Absatzminderung im Steinkohlebergbau weiterverfolgt, und mit welchen Mitteln soll die „Wanderung" des Bergbaus nach Norden durchgeführt werden? Die Bundesregierung hat ihre Politik des Vorranges der Steinkohle im Verstromungssektor in der Dritten Fortschreibung des Energieprogramms erneut bekräftigt. Diese Vorrangstellung wird insbesondere durch das Dritte Verstromungsgesetz und den Vertrag zwischen der deutschen Steinkohle und Elektrizitätswirtschaft gesichert. Die aus Haushaltsgründen für 1982 vorgenommene Kürzung der Investitionshilfe steht dazu nicht in Widerspruch. Konjunkturell bedingte Absatzschwankungen und die aus Haushaltsgründen notwendigen Kürzungen der Investitionshilfe ändern nichts an den weitergeltenden kohlepolitischen Grundsätzen der Bundesregierung. Die notwendigen Investitionsmittel zur optimalen Nutzung der heimischen Kohlelagerstätten, und damit auch der fortschreitenden Nutzung der Kohlenvorräte im nördlichen Ruhrgebiet, müssen und werden auch in erster Linie in den Preisen erwirtschaftet werden. Anlage 24 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dreßler auf die Frage der Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg) (SPD) (Drucksache 9/1664 Frage 92): Sind der Bundesregierung die negativen Auswirkungen auf alleinerziehende Mütter und Väter bekannt, die sich aus der Änderung des § 205 Abs. 4 RVO ergeben, und welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung gegebenenfalls durchzuführen, um diese Benachteiligungen abzustellen? Wenn sowohl der Vater als auch die Mutter eines Kindes in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, können die Leistungen der Familienhilfe für das Kind nur einmal erbracht werden. Welche Krankenkasse dazu verpflichtet ist, richtet sich seit 1. Januar 1982 danach, welcher Elternteil zuletzt den höheren Beitrag gezahlt hat. Dadurch wird vermieden, daß die Krankenkasse, der der geringer verdienende Elternteil des Kindes angehört, neben den Krankheitskosten des Versicherten auch die Kosten seiner Kinder tragen muß. Durch die Neuregelung wird eine größere Belastungsgerechtigkeit unter den Krankenkassen erreicht. Aus Gründen der Gleichbehandlung aller Versicherten muß sie auch dann gelten, wenn die Eltern des Kindes nicht miteinander verheiratet sind oder getrennt leben. Der Bundesregierung ist bekannt, daß bei der Durchführung der Neuregelung gelegentlich verwaltungsmäßige Schwierigkeiten aufgetreten sind, insbesondere bei alleinerziehenden Müttern und Vätern. Jedoch hindern Ermittlungen, ob die Leistungsvoraussetzungen für die Familienhilfe vorlie- Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 6309* gen und welche Kasse zuständig ist, die Krankenkasse nicht, die Leistungen unverzüglich zu erbringen. Insbesondere dürfen die Krankenkassen die Versicherten nicht etwa bis zur Klärung der Kassenzuständigkeit warten lassen. Vielmehr schreibt das Sozialgesetzbuch vor, daß der Berechtigte von der zuerst angegangenen Krankenkasse verlangen kann, vorläufig die Leistungen zu erbringen. Diese Krankenkasse kann sich dann mit der anderen Krankenkasse in Verbindung setzen und klären, welche von ihnen endgültig leistungspflichtig ist. Die Bundesverbände der Krankenkassen wurden gebeten, sich bei ihren Mitgliedskassen für eine sinnvolle und kostensparende Verfahrensweise einzusetzen. Anlage 25 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dreßler auf die Fragen des Abgeordneten Repnik (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Fragen 93 und 94): Wird die Bundesregierung Maßnahmen ergreifen, um in Ausnahmefällen Kinder, die eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen oder fortsetzen können, auch nach Vollendung des 19. Lebensjahrs einen Familienhilfeanspruch in der gesetzlichen Krankenversicherung einzuräumen, nachdem seit der Neuregelung zum Januar 1982 der Familienhilfeanspruch mit Vollendung des 19. statt bisher 23. Lebensjahrs endet? Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, in den Fällen, in denen junge Männer, die ihren Wehrdienst ableisten und ihre staatsbürgerliche Pflicht erfüllen, danach jedoch wegen nicht von ihnen zu vertretender Gründe keine Ausbildung beginnen können, eine Verlängerung des Familienhilfeanspruchs vorzusehen? Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die seit 1. Januar 1982 geltende Altersgrenze des Familienhilfeanspruchs für Kinder zu verändern, die mangels Ausbildungsplatzes eine Berufsausbildung nicht beginnen können. Jugendliche, für die der Familienhilfeanspruch mit Vollendung des 19. Lebensjahres endet, haben die Möglichkeit, der gesetzlichen Krankenversicherung beizutreten und damit gegen Zahlung eines Beitrags einen umfassenden Krankenversicherungsschutz zu erwerben. Auch eine krankenversicherungsrechtliche Sonderregelung für Jugendliche, die Wehrdienst abgeleistet haben, strebt die Bundesregierung nicht an. Eine derartige Sonderregelung, die das vor dem 1. Januar 1982 geltende Recht ebenfalls nicht enthielt, ist im Hinblick auf die Finanzierung der Familienhilfe durch die Solidargemeinschaft der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten nicht vertretbar. Anlage 26 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dreßler auf die Fragen des Abgeordneten Keller (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Fragen 95 und 96): Ist die Bundesanstalt für Arbeit augenblicklich in der Lage, in ausreichendem Umfang ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen, der in erster Linie in der Vermittlung von Arbeitslosen liegt? Sieht die Bundesregierung Ansatzpunkte für eine Beurteilung dahin gehend, daß die seit einiger Zeit sehr geringe Zahl der gemeldeten offenen Stellen auch darauf zurückzuführen sein kann, daß Arbeitgebern in zurückliegenden Zeiten nach Meldung von offenen Stellen nicht in ausreichendem Umfang Arbeitssuchende mit der gewünschten Qualifikation vermittelt worden sind? Die gegenwärtige Arbeitsmarktlage ist von einem deutlichen Mangel an Arbeitsplätzen gekennzeichnet. So meldeten sich in den ersten vier Monaten des Jahres 1982 1,24 Millionen Arbeitslose bei den Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit; das waren 10 Prozent mehr als im Vorjahr. Im gleichen Zeitraum wurden den Dienststellen der Bundesanstalt von den Arbeitgebern nur 0,42 Millionen offene Arbeitsplätze gemeldet; das waren 17 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahrs. Die Bundesanstalt für Arbeit räumt der Arbeitsvermittlung entsprechend dem gesetzlichen Auftrag (§ 5 Arbeitsförderungsgesetz) Vorrang vor der Leistung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe ein. Bei dem großen Mangel an angebotenen offenen Stellen kann die Arbeitsvermittlung und Arbeitsberatung die Wiederbeschäftigung aller von Arbeitslosigkeit betroffenen Arbeitnehmer jedoch nicht sicherstellen. Gleichwohl konnten in den ersten vier Monaten des Jahres 1982 etwa 71 Prozent aller der Bundesanstalt gemeldeten offenen Stellen auf Dauer besetzt werden. Die in Ihrer zweiten Frage geäußerte Vermutung dürfte bedauerlicherweise zutreffen. In der Vergangenheit haben Arbeitgeber sehr häufig übertriebene Qualifikationsansprüche bei der Besetzung ihrer offenen Stellen durch Arbeitslose gestellt. Schon wiederholt wurde darauf hingewiesen, daß trotz der gegenwärtig insgesamt ungünstigen Arbeitsmarktlage ein gewisser Mangel an qualifiziertem Fachpersonal andauert. Die Arbeitgeber sollten daher auch bereit sein, weniger qualifizierte Kräfte einzustellen und sie durch betriebliche Maßnahmen zu qualifizieren, wie sie das in Zeiten der Hochkonjunktur auch getan haben; übrigens nicht nur mit deutschen, sondern auch mit ausländischen Arbeitnehmern. Anlage 27 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dreßler auf die Frage der Abgeordneten Frau Geiger (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Frage 97): Inwieweit ist es mit der Aussage des Bundeskanzlers vereinbar, „Leistungen der Frauen in der Familie müssen ebenso hoch bewertet werden, wie Frauenarbeit im Beruf und umgekehrt", daß bei der geplanten Rentenreform die Leistung einer Hausfrau und Mutter, die Kinder erzieht, nicht berücksichtigt wird und das versprochene „Babyjahr" schon bereits vor seiner Einführung wieder gestrichen wurde? 6310* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 Die Bundesregierung hält grundsätzlich eine Anrechnung eines Jahrs der Kindererziehung in der Rentenversicherung für eine wichtige sozial- und familienpolitische Forderung zur Verbesserung der sozialen Sicherung der Frauen. Durch eine solche Regelung könnten Lücken in den Rentenbiographien der Frauen zumindest teilweise geschlossen werden, die dadurch entstehen, daß Frauen während der Erziehung kleiner Kinder keine Rentenansprüche aufbauen können. Allerdings ist die Verwirklichung einer solchen Maßnahme durch die veränderten wirtschafts- und finanzpolitischen Bedingungen nicht erleichtert worden. Bei der derzeitigen Finanzlage des Bundes und der Rentenversicherungsträger muß sorgfältig geprüft werden, in welcher Weise und zu welchem Zeitpunkt ein solches Kindererziehungsjahr eingeführt werden kann. Die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 24. November 1980 enthält ausdrücklich einen Vorbehalt hinsichtlich der Kosten. Eine abschließende Entscheidung kann im Rahmen der Entscheidung über das Gesamtkonzept zur Reform der Hinterbliebenenversorgung getroffen werden, wenn die Kosten aller Maßnahmen im einzelnen bekannt sind. Anlage 28 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dreßler auf die Fragen des Abgeordneten Günther (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Fragen 98 und 99): Sind die Mitarbeiter in der Arbeitsvermittlung der Bundesanstalt für Arbeit in ausreichendem Umfang in der Lage, Außendienst (Betriebsberatung) durchzuführen, und wie schätzt die Bundesregierung die Effektivität des Außendienstes bei Bemühungen um die Vermittlung von Arbeitslosen gegenüber der Vermittlung in den Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit ein? Teilt die Bundesregierung meine Meinung, daß die Vermittler der Arbeitsverwaltung insbesondere durch Besuche bei den Arbeitgebern die Chancen zur Eingliederung schwer vermittelbarer Arbeitsloser in das Erwerbsleben verbessern können, indem beispielsweise gleichzeitig gesuchte Fachkräfte vermittelt werden? Trotz der hohen Arbeitsbelastung der Mitarbeiter legt die Bundesanstalt für Arbeit großen Wert darauf, im Rahmen der Arbeitsvermittlung weiterhin Außendienst durch Betriebsbesuche der Arbeitsvermittler durchzuführen. Außendienst ist ein wichtiges Mittel, um Stellenangebote von den Arbeitgebern zu erhalten. Persönliche Kenntnisse des Vermittlers von Lage, Ausstattung und Bedingungen der angebotenen Arbeitsplätze erleichtern zudem zielgerichtete Vermittlungsvorschläge, die bei Gesprächen im Betrieb auch wirkungsvoller als auf schriftlichem Wege und bei einem Gespräch in der Dienststelle unterbreitet werden können. Aus diesen Gründen wäre eine weitere Ausdehnung des Außendienstes wünschenswert. Bei der derzeitigen Arbeitsbelastung der Vermittlung ist dies jedoch gegenwärtig nicht möglich. Die zu Ihrer zweiten Frage geäußerte Auffassung teile ich. Arbeitsvermittler können durch Besuche bei den Arbeitgebern, denen gesuchte Fachkräfte vermittelt werden, zugleich die Chancen zur Eingliederung schwervermittelbarer Arbeitsloser verbessern. Gerade in der Möglichkeit, durch verstärkten Außendienst die Chancen Schwervermittelbarer zu erhöhen, liegt die besondere Bedeutung, die der Außendienst bei der Arbeitsvermittlung durch die Bundesanstalt für Arbeit hat. Anlage 29 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dreßler auf die Frage des Abgeordneten Tillmann (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Frage 100): Ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß nicht nur Rollstühle, sondern auch andere, dem Grad der Behinderung angepaßte Hilfsfahrzeuge, z. B. Spezialfahrräder, von der Deutschen Bundesbahn gemäß § 57 des Schwerbehindertengesetzes unentgeltlich befördert werden sollten, und welche Vorstellungen sieht die Bundesregierung, diesen Vorschlag zu realisieren? Gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 2 Schwerbehindertengesetz sind im Nah- und Fernverkehr das Handgepäck, ein mitgeführter Krankenfahrstuhl (soweit die Beschaffenheit des Verkehrsmittels dies zuläßt), sonstige orthopädische Hilfsmittel und ein Führhund unentgeltlich zu befördern. Orthopädische Hilfsmittel sind dazu bestimmt, den Zwecken der orthopädischen Behandlung zu dienen. Dazu gehören Fahrräder nicht, auch dann nicht, wenn sie behindertengerecht umgerüstet worden sind. Die Bundesregierung sieht für eine Gesetzesänderung keinen Anlaß. Bisher sind auch — von einer Ausnahme abgesehen — keine Fälle dieser Art an das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herangetragen worden. Anlage 30 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dreßler auf die Fragen des Abgeordneten Horstmeier (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Fragen 101 und 102): Hält die Bundesregierung die Bestimmung der Rücklagenbildung nach dem derzeit gültigen § 71 a des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte für angebracht, und wenn nein, welche Vorschläge kann sie unterbreiten, um die Abschmelzung der Rücklagen zu verhindern? Wie beurteilt die Bundesregierung diese Frage besonders im Hinblick darauf, daß die Landwirtschaftliche Krankenversicherung kein Beitragssatzsystem wie bei den anderen RVO-Kassen kennt und deshalb über kein dynamisches Beitragsaufkommen verfügt? Die gesetzlichen Bestimmungen über die Bildung von Rücklagen der landwirtschaftlichen Krankenkassen (§ 71 a des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte) beruhen auf dem Gesetz über die Verwaltung der Mittel der Träger der Krankenversicherung vom 15. Dezember 1979 und entsprechen den gleichzeitig eingeführten Regelungen in der allgemeinen Krankenversicherung. Ziel die- Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 6311* ser Regelungen ist, die zur Aufgabenerfüllung der Träger der Krankenversicherung erforderliche Finanzierungsreserve zu gewährleisten und die Ansammlung nicht erforderlicher Mittel zu verhindern. Der Bundesverband der landwirtschaftlichen Krankenkassen hat während des Gesetzgebungsverfahrens vorgeschlagen, für die Betriebsmittel und Rücklagen der landwirtschaftlichen Krankenkassen eine Regelung vorzusehen, die es den Kassen ermöglicht, größere Vermögensbestände anzusammeln, als der Gesetzentwurf zuließ. Dem ist der Gesetzgeber nicht gefolgt. Der vorgesehene Rahmen, bei den Betriebsmitteln eine Reserve in Höhe einer halben Monatsausgabe zu halten und die Rücklage auf einen Monatsbeitrag der Ausgaben festzusetzen, reicht auch bei den landwirtschaftlichen Krankenkassen zur Aufgabenerfüllung aus. Zu Ihrer zweiten Frage kann ich zwar Ihre Feststellung bestätigen, daß bei den anderen Kassenarten das Beitragssystem bei steigenden beitragspflichtigen Entgelten der Versicherten zu einem höheren Beitragsaufkommen führt. Aber auch bei diesen Kassen ist jährlich bei der Aufstellung der Haushaltspläne die Beitragshöhe nach dem kalkulierten Bedarf neu zu bestimmen. Anlage 31 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dreßler auf die Frage des Abgeordneten Schröder (Wilhelminenhof) (CDU/ CSU) (Drucksache 9/1664 Frage 103): Welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung, das geltende Schwerbehindertengesetz dahin gehend zu ändern, daß bei Klein- und Mittelbetrieben die Bereitschaft zur Schaffung von Arbeitsplätzen für Auszubildende gestärkt wird, ohne daß im übrigen die gesetzliche Beschäftigungspflicht für schwerehinderte Auszubildende eine Einschränkung erleidet? Die Bundesregierung betrachtet es als eine zentrale Aufgabe, ein Ausbildungsplatzangebot zu gewährleisten, das allen Jugendlichen die Möglichkeit für eine qualifizierte Berufsausbildung bietet. Soweit es um Ausbildungsplätze für Schwerbehinderte geht, tragen eine Reihe gesetzlicher Regelungen im Schwerbehindertengesetz dazu bei, daß Ausbildungsplätze in einem angemessenen Umfang auch für schwerbehinderte Jugendliche zur Verfügung gestellt werden. Dazu gehören insbesondere — die Einbeziehung der Ausbildungsplätze in die Beschäftigungspflicht, — die Möglichkeit der Mehrfachanrechnung und — die finanzielle Förderung von Ausbildungsplätzen für Schwerbehinderte. Gerade vor dem Hintergrund der schwieriger gewordenen Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt erscheint es problematisch, solche Schutzregelungen für Schwerbehinderte abzubauen. Die Interessen schwerbehinderter Auszubildender einerseits und nichtbehinderter Auszubildender andererseits dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Im Rahmen der angekündigten Novellierung des Schwerbehindertengesetzes wird es darum gehen, Lösungen zu finden, die beiden Seiten gerecht werden. Anlage 32 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dreßler auf die Frage des Abgeordneten Dr. Kübler (SPD) (Drucksache 9/1664 Frage 104): Hält die Bundesregierung die in der Vergangenheit verfehlte wirtschaftliche Entwicklung der Stiftung Rehabilitation für einmalig, oder sieht sie vergleichbare Gefahren auch für andere Rehabilitationseinrichtungen? Die Bundesregierung hält die in der Vergangenheit verfehlte wirtschaftliche Entwicklung der Stiftung Rehabilitation für einen Sonderfall. Die Gründe für diese Entwicklung sind — abgesehen von einer unangemessenen Personalstruktur — vor allem darin zu suchen, daß die Stiftung neben den „klassischen" Rehabilitationseinrichtungen (Berufsförderungswerk, Berufsbildungswerk, Rehabilitationsklinik) kosten- und personalintensive Aktivitäten in Bereichen entfaltet hat, für die eine ausreichende Finanzierung nicht gesichert werden konnte. Das gilt insbesondere für das Forschungsinstitut, das Dokumentationszentrum und die Beratungsstellen. Da die übrigen Rehabilitationseinrichtungen sich auf ihre eigentliche Aufgabe beschränken und ihre Betriebsstruktur — anders als bisher die der Stiftung Rehabilitation — überschaubar ist, bestehen für diese Rehabilitationseinrichtungen keine vergleichbaren Gefahren. Anlage 33 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Penner auf die Fragen des Abgeordneten Stutzer (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Fragen 105 und 106): Welche Einsparungen sind im Bereich der Bundeswehrkrankenhäuser vorgesehen, und inwieweit wird hiervon auch das Bundeswehrkrankenhaus in Kronshagen betroffen? Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den diesbezüglichen Prüfungsbemerkungen des Bundesrechnungshofs, und welche organisatorischen oder personellen Veränderungen sind im Bundeswehrkrankenhaus Kronshagen vorgesehen? Es ist gegenwärtig nicht beabsichtigt, ein Bundeswehrkrankenhaus zu schließen oder organisatorische oder personelle Veränderungen vorzunehmen. Dies gilt auch für das Bundeswehrkrankenhaus Kiel. Eine abschließende Beantwortung der Frage nach Einsparungsmöglichkeiten im Bereich der Bundes- 6312* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 wehrkrankenhäuser jedoch setzt die sorgfältige Prüfung des Bundesrechungshof-Gutachtens zu „Ausgewählten Teilbereichen des Sanitätswesen der Bundeswehr" vom April 1982 voraus, die noch eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen wird. Anlage 34 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Penner auf die Frage des Abgeordneten Biehle (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Frage 107): Trifft es zu, daß sich unter den Absolventen des laufenden Generalstabslehrgangs für Offiziere der Bundeswehr auch ein jugoslawischer und ein ägyptischer Teilnehmer befinden, die zuvor die Frunse-Akademie der sowjetischen Streitkräfte in Moskau besuchten, und liegen Erkenntnisse vor, wonach diese eine dauerhafte geheime Verpflichtung gegenüber dem sowjetischen Sicherheitsdienst KGB eingehen mußten? Es ist zutreffend, daß der ägyptische Offizier, der z. Z. in der Bundesrepublik Deutschland auf die Teilnahme am Verwendungslehrgang „Generalstabsdienst — A — Truppenführung für ausländische Offiziere" vorbereitet wird, 1974 eine höhere militärische Ausbildungseinrichtung in Moskau besucht hat. Von dem jugoslawischen Teilnehmer des gleichen Lehrgangs liegen keine entsprechenden Erkenntnisse vor. Im übrigen erhalten die Lehrgangsteilnehmer im Verlaufe ihrer Ausbildung keinen Zugang zu Verschlußsachen vertraulichen Inhalts. Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, wonach die Offiziere, die die Frunse-Akademie in Moskau besuchten, eine von Ihnen angesprochene Verpflichtung eingehen mußten. Anlage 35 Antwort des Parl Staatssekretärs Dr. Penner auf die Fragen des Abgeordneten Berger (Lahnstein) (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Fragen 108 und 109): Ist es zutreffend, daß bei den Fahrzeugen der Bundeswehr der sogenannten zweiten Generation viele Schäden auftreten, die offensichtlich zu einem erheblichen Teil auf Fehler bei der Konstruktion bzw. der Produktion zurückzuführen sind, wie z. B. auf mangelhafte Rostschutzgrundierungen, die schon nach einer Gebrauchszeit von weniger als zwei Jahren zu Durchrostungen bei wichtigen Karosserieteilen und der Auspuffanlage führen? Ist es zutreffend, daß diese Mängel wegen der nicht ausreichenden Bevorratung entsprechender Ersatzteile zu überlangen Stehzeiten bei der Instandsetzung geführt haben und deshalb z. B. in einem Panzerartilleriebataillon der 5. Panzerdivision dessen geländegängige 10-Tonner-Lastkraftwagen, die für die Munitionsversorgung unerläßlich sind, über einen längeren Zeitraum hinweg nur zu ca. 50 v. H. oder sogar weniger einsatzbereit gewesen sind? 1. Es ist nicht zutreffend, daß bei den Fahrzeugen der zweiten Generation viele Schäden auftreten, die zu einem erheblichen Teil auf Fehler bei der Konstruktion bzw. der Produktion zurückzuführen sind. Die Korrosionsschäden, die bei einem Teil der 8 600 geländegängigen Lkws der zweiten Generation öfter als üblich auftraten, werden zur Zeit noch untersucht. Ihre Ursache ist derzeit noch nicht eindeutig erkannt. Sie wird in der Verwendung des dekontaminierbaren Zweikomponentenlackes vermutet, der verhindert, daß eingedrungene, den Lack unterwandernde Feuchtigkeit entweicht. 2. Eine zentrale Ersatzteilversorgung für die Lkw ist noch nicht vollständig aufgebaut. Die Truppe kann aber jederzeit auf die Ersatzteile zurückgreifen, die in der Service-Organisation der Industrie lagern. Den Kommandobehörden stehen dafür Haushaltsmittel zur Verfügung. Detailuntersuchungen an insgesamt 62 Lastkraftwagen 10 t gl 8 x 8 im süddeutschen Raum bei zwei Panzerartilleriebataillonen und Nachschubkompanien haben für den Zeitraum von 1978-1980 eine durchschnittliche Verfügbarkeit von rd. 90 % ergeben. Inwieweit der genannte Fall zutrifft, wird noch untersucht. Anlage 36 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Penner auf die Frage des Abgeordneten Ganz (St. Wendel) (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Frage 110): Ist es zutreffend, daß der Allgemeinzustand der Fahrzeuge der Bundeswehr der zweiten Generation nach nur wenigen Jahren des Gebrauchs in der Truppe teilweise schlechter ist als jener von entsprechenden Fahrzeugen der ersten Generation, die sich schon seit 15 Jahren und länger in der Truppe befinden? Es trifft nicht zu, daß sich die Fahrzeuge der zweiten Generation in einem schlechteren Zustand befinden als die der ersten Generation. Trotz einer gewissen Korrosionsanfälligkeit der geländegängigen Lkws 5, 7 und 10 t ist ihr Allgemeinzustand besser als der der Fahrzeuge der ersten Generation. Anlage 37 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Penner auf die Fragen des Abgeordneten Dallmeyer (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Fragen 111 und 112): Warum sind bei den Fahrzeugen der Bundeswehr der zweiten Generation aufgetretene Schäden, soweit sie auf Produktionsmängel zurückzuführen sind, nicht rechtzeitig vom Güteprüfdienst der Bundeswehr erkannt worden, bzw. hat es solche Erkenntnisse mit welcher Konsequenz gegeben? Reichen die Mittelzuweisungen des Bundeshaushalts 1982 aus, um die bei den Fahrzeugen der Bundeswehr der zweiten Generation aufgetretenen Schäden unverzüglich zu beseitigen? Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 6313* 1. Die bisher aufgetretenen Schäden, insbesondere die Korrosionsschäden, sind, soweit bisher bekannt, nicht auf Produktionsmängel zurückzuführen. Die Fertigung wurde vom Güteprüfdienst überwacht. Die Ursache der Schäden wird untersucht. Die Anzeichen deuten darauf hin, daß der dekontaminierbare Zweikomponentenlack verhindert, daß eingedrungene, den Lack unterwandernde Feuchtigkeit entweicht. 2. Eine Beseitigung der derzeit erkannten Schäden ist mit den der Truppe zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln möglich. Anlage 38 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Penner auf die Frage des Abgeordneten Milz (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Frage 113): Bei welchen Verbänden der Bundeswehr besteht ein Verbot der Durchführung einer Erstverpflichtung, und ist in diesem Zusammenhang ein Ausgleich beabsichtigt, um damit bei allen Truppenverbänden eine personelle Ausgewogenheit zu erreichen? Die für 1982 vom Parlament beschlossene Kürzung der Geldansatzstärke für Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit um 8 000 auf 251 000 läßt Einstellungen und Ersatzverpflichtungen nur in diesem Umfang zu. Bewerber für eine Verpflichtungszeit von zwei Jahren werden nur in dem Maß eingestellt, wie Bewerber für längere Verpflichtungszeiten nicht zur Verfügung stehen. Die notwendigen Steuerungsmaßnahmen sind in den Teilstreitkräften unterschiedlich. Der Führungsstab des Heeres hat den Kommandobehörden Jahresdurchschnittsstärken vorgegegen, die nicht überschritten werden dürfen. Innerhalb dieser Vorgaben sind sie gehalten, die besonderen Belange der unterstellten Verbände zu berücksichtigen und ggf. interne Ausgleiche durchzuführen. Der Führungsstab der Luftwaffe legt in monatlichen Besprechungen mit den Kommandobehörden die Quoten der durchzuführenden Erstverpflichtungen fest. Der Führungsstab der Marine steuert in enger Zusammenarbeit mit der Stammdienststelle, die über sämtliche Anträge auf Erstverpflichtung entscheidet. Anlage 39 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Penner auf die Frage des Abgeordneten Schröder (Wilhelminenhof) (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Frage 114): Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Einführung der Planstellen A 9 mA für Hauptfeldwebel ein Versetzungskarussell in Gang gesetzt hat, das für zahlreiche Betroffene unbillige Härten verursacht, und ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, eine zeitlich begrenzte Übergangsregelung einzuführen, die diese Härten vermeidet und gleichzeitig die bei Versetzungen üblichen hohen Folgekosten vermindert? Die Einweisung in Planstellen der Besoldungsgruppe A 9 mA setzt nach dem Gebot der funktionsgerechten Besoldung (§ 18 Bundesbesoldungsgesetz) einen entsprechend bewerteten Dienstposten voraus. Im Haushaltsjahr 1981 wurden insgesamt 844 Planstellen der Besoldungsgruppe A 9 mA bewilligt. Die sachgerechte Besetzung des Spitzenamtes für Unteroffiziere hat bisher 128 Umsetzungen erforderlich gemacht. Soweit sie auf dem Versetzungswege erfolgten, haben sie lediglich in 31 Fällen zu einem Wechsel des Standortverwaltungsbereiches geführt. Die damit verbundenen Kosten erscheinen wegen der rechtlichen Vorgaben als unvermeidlich. Anlage 40 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Sperling auf die Fragen des Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache 9/1664 Fragen 115 und 116): Erlaubt die im Gesetz zum Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen den Ländern und auch dem Bund eingeräumte Kompetenz, Zinsen für öffentliche Baudarlehen nachträglich zu erhöhen, eine Differenzierung nach Regionen und nach sozialen Kriterien? Sind die Bundesregierung und die Landesregierungen nach diesem Gesetz in der Lage, z. B. arbeitslose Baudarlehensschuldner von der Zinserhöhung für die Zeit der Arbeitslosigkeit auszunehmen bzw. ihnen Stundungen einzuräumen? Aufgrund Artikel 27 des 2. Haushaltsstrukturgesetzes sind die Bundesländer ermächtigt, Zinsen für öffentliche Baudarlehen der Förderungsjahrgänge bis einschließlich 1959 auf bis zu 8. v. H. und für die Förderungsjahrgänge bis einschließlich 1969 auf bis zu 6 v. H. zu erhöhen. Gleiches gilt für den Bund hinsichtlich der von ihm ausgegebenen Wohnungsfürsorgedarlehen. Die Möglichkeit der Regionalisierung besteht insoweit nicht. Bund und Länder haben aber bei den von ihnen für die Zinsanhebung zu erlassenden Rechtsvorschriften sicherzustellen, daß bestimmte Obergrenzen, die sich u. a. auch nach Gemeindegrößenklassen richten, nicht überschritten werden. Das Wohnungsbindungsgesetz selbst sieht für die Zinsanhebung nicht vor, daß die Auswirkungen im Einzelfall berücksichtigt werden. Die Zinsforderungen unterliegen aber generell den Haushaltsordnungen der Länder und des Bundes. Danach können beispielsweise Ansprüche des Bundes nach § 59 der Bundeshaushaltsordnung gestundet, niedergeschlagen oder erlassen werden, wenn die gesetzlich näher geregelten Voraussetzungen erfüllt sind; entsprechende Regelungen sind in den Haushaltsordnungen der Länder getroffen. Eine Stundung kommt z. B. in Betracht, wenn die Einziehung zu erheblichen Härten für den Betroffenen führen würde; dies kann bei Arbeitslosigkeit der Fall sein. 6314* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. Mai 1982 Anlage 41 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Sperling auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Möller (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Fragen 117 und 118): Ist die Bundesregierung bereit, die Erträge aus der von den Bundesländern verordneten Höherverzinsung der alten Wohnungsbaudarlehen des Bundes den Ländern zusätzlich für Sonderprogramme im sozialen Wohnungsbau zu belassen entsprechend der Forderung des Bundeskanzlers, die Mehreinnahmen aus dem Vermittlungsausschußergebnis auf dem Feld der Wohnungswirtschaft sollten zusätzlich in den Wohnungsbau fließen? Wie hat die Bundesregierung sichergestellt, daß die infolge von Rückflüssen aus Wohnungsfürsorgemitteln des Bundes im Haushaltsjahr 1982 aufkommenden Mehreinnahmen zusätzlich für Finanzhilfen zur Wohnungsbauförderung eingesetzt werden? Zu Frage 117: Gemäß § 19 Abs. 3 II. WoBauG hat jedes Bundesland aus dem Zins- und Tilgungsaufkommen für öffentliche Baudarlehen an den Bund einen Anteil abzuführen, der sich jeweils nach dem Verhältnis der insgesamt ausgeliehenen Bundesmitteln zu den übrigen öffentlichen Mitteln des Landes errechnet. Der Vermittlungsausschuß ist bei seinem zu Art. 27 des 2. Haushaltsstrukturgesetzes gefundenen Kompromiß davon ausgegangen, daß dem Bund auch in Zukunft der ihm gesetzlich zustehende Rückflußanteil in voller Höhe zufließen wird. Über den Einsatz der dem Bund aus der Höherverzinsung der öffentlichen Baudarlehen zufließenden Mittel wird deshalb bei der Aufstellung der jeweiligen Bundeshaushaltspläne zu entscheiden sein. Zu Frage 118: Wie die Bundesregierung bereits in ihrer Antwort auf eine frühere Frage (95. Sitzung, S. 5761, Anlage 3) dargelegt hat, sind die Rückflüsse aus Wohnungsfürsorgedarlehen des Bundes im Rahmen ihrer Zweckbindung nach § 20 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes wie die Rückflüsse aus Darlehen an Länder für Maßnahmen des sozialen Wohnungsbaues einzusetzen. Der Bundeshaushaltsplan 1982 trägt dieser Zweckbestimmung in Kapitel 2503 in vollem Umfang Rechnung. Anlage 42 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Sperling auf die Frage des Abgeordneten Dr. Jahn (Münster) (CDU/CSU) (Drucksache 9/1664 Frage 119): Trifft es zu, daß es gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften für ihre preisgebundenen Sozialwohnungen untersagt ist, für den Fall, daß die preisrechtlich zulässige Kostenmiete die ortsübliche Vergleichsmiete wesentlich übersteigt, die Miete auf die Vergleichsmiete abzusenken, und wenn ja, aus welchen rechtlichen Vorschriften ergibt sich ein solcher Zwang zur Erhebung der preisrechtlich zulässigen Kostenmiete? Nein — das trifft nicht zu!
Gesamtes Protokol
Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0910400000
Die Sitzung ist eröffnet.
Im interfraktionellen Einvernehmen wird vorgeschlagen, in der Woche vom 7. Juni 1982, in der bekanntlich am Mittwoch, dem 9. Juni, eine Plenarsitzung stattfindet, keine Fragestunde durchzuführen. Diese Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde muß nach § 126 unserer Geschäftsordnung mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder beschlossen werden. Ich frage, ob das Haus mit dieser Regelung einverstanden ist? — Ich stelle fest, daß sich dagegen kein Widerspruch erhebt. Dann ist das mit der notwendigen Mehrheit so beschlossen.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Beratung des Zwischenberichts der EnqueteKommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 26. Mai 1981
— Drucksache 9/1607 —
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. Ich darf das Haus fragen, ob es mit dieser Regelung einverstanden ist. — Ich stelle fest, daß das so ist.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Wissmann.

Matthias Wissmann (CDU):
Rede ID: ID0910400100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor genau einem Jahr, am 26. Mai 1981, hat der Bundestag die Einsetzung der EnqueteKommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" beschlossen. Sie haben uns den Auftrag gegeben, Ursachen, Formen und Ziele des Protestes junger Menschen zu untersuchen. Darüber hinaus war es die Aufgabe der Kommission, Möglichkeiten zu prüfen, wie das Verständnis zwischen Jugend, Politik und älterer Generationen verbessert werden könne, und Wege aufzuzeigen, die geeignet sind, das, Demokratie- und Staatsverständnis junger Menschen zu fördern, die Lage der Jugend zu verbessern und Spannungen, die auf unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Einstellungen beruhen, abzubauen.
Die Enquete-Kommission wurde am 2. Juli des vergangenen Jahres konstituiert und hat mittlerweile ihren Zwischenbericht vorgelegt, der nicht nur etwas zu den Hintergründen des Jugendprotestes
sagt, ihn analysiert. Vielmehr wird auch versucht, in diesem Zwischenbericht Anregungen zu geben, wie wir, die wir politisch engagiert sind, dem Protest in Bund, Ländern und Gemeinden begegnen und wie wir Anliegen von Jugendlichen aufnehmen sollten.
Die Kommission glaubte, nicht nur über Jugend, sondern vor allem auch mit Jugendlichen reden zu sollen. Wir haben deswegen bei einer Anhörung im Parlament in Bonn mit Vertretern der Jugendverbände, aber beispielsweise auch im Haus der Arbeiterwohlfahrt mit Jugendlichen aus den verschiedensten Protestgruppen oder in Berlin vor Ort mit Jugendlichen der verschiedensten Einstellungen diskutiert. Wir meinten, damit am ehesten Authentisches von dem aufnehmen zu können, was Jugendliche empfinden, was sie an uns kritisieren. Ziel war es also nicht, irgend etwas kosmetisch zu übertünchen, sondern ein einigermaßen gerechtes und wahres Bild über die Lage der Jugend in unserem Bericht niederzulegen. Entsprechend unserem Auftrag wollten wir eben vor allem die Probleme und die Anliegen der protestierenden Jugend hören und darauf unsere Antworten geben.
Ich möchte mich an dieser Stelle ganz nachdrücklich bei allen Kommissionsmitgliedern, den parlamentarischen Kollegen wie den Sachverständigen, für das immer konstruktive Engagement bedanken. Ich glaube, es kann uns ermutigen, daß es in Bonn möglich ist, bei allen Meinungsverschiedenheiten über Parteigrenzen hinweg gemeinsam etwas zu erarbeiten. Wir sollten diese Gemeinsamkeit bei der weiteren Behandlung dieses wichtigen Themas beibehalten.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, wir kamen zu dem Ergebnis, daß es sich bei dem, was man als Probleme der Jugend bezeichnen könnte, nicht um den Ausdruck einer klassischen Generationenauseinandersetzung handelt, sondern daß der Problemteil dessen, womit wir uns beschäftigen, mehr widerspiegelt, nämlich eine tiefergehende Sinn- und Orientierungskrise in unserer Gesellschaft, die bei Jugendlichen nur deshalb besonders deutlich wird, weil Jugend schon für sich eine Phase der Unsicherheit, des Reifens und des Unabgeschlossenen darstellt.



Wissmann
Das, was uns in den vielen Gesprächen in besonderer, ja manchmal in fast bedrückender Weise deutlich wurde, meine Damen und Herren, ist, wie viele Jugendliche ein hohes Maß an Zukunftsangst verspüren. Diese persönlichen Eindrücke, die wir sammeln konnten, wurden beispielsweise auch durch die sogenannte Shell-Studie, die vor einigen Monaten veröffentlicht wurde, belegt. Immer wieder haben uns Jugendliche in Gesprächen gesagt, wie sehr Jugendarbeitslosigkeit, Wirtschaftsprobleme, geringer gewordene Ausbildungs- und Berufschancen, Zerstörung der Umwelt, aber auch Sorgen um das Wettrüsten sie bedrücken. Meine Damen und Herren, wenn nach allen Untersuchungen, die wir vorliegen haben, Anfang der 70er Jahre mehr als 70 % der Jugendlichen noch sagten, sie schauten optimistisch in die gesellschaftliche Zukunft, während es heute nach allen Untersuchungen vielleicht noch 30, 35 oder 40% sind, dann ist das ein Verfall an Optimismus, über den wir alle selbstkritisch nachdenken müssen, selbstkritisch vor allem auch deswegen, weil ein eigenartiges Paradoxon die Einstellung der Jugendlichen zur Zukunft kennzeichnet, nämlich eine immer noch — trotz aller Berufs- und Ausbildungsprobleme - relativ hoffnungsvolle Erwartung in die eigene, ganz persönliche Zukunft, aber eine um so pessimistischere Einstellung gegenüber der gesamten gesellschaftlichen Zukunft. Wir müssen uns deswegen fragen, ob Politik, die nur den Tag verwaltet — ich sage das selbstkritisch an uns alle gerichtet —, in der Lage ist, die Ängste zu überwinden, oder ob wir nicht, um eben auch wieder mehr Hoffnung und Optimismus zu schaffen, Zukunftsperspektiven sichtbar machen müssen, die helfen können, Angst zu überwinden, zur Hoffnung zu ermutigen und auf diese Weise etwas von dem Pessimismus abzubauen, den ich hier soeben geschildert habe.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte hinzufügen, daß mit der Sinn- und Orientierungskrise, von der ich hier gesprochen habe und die wir im Zwischenbericht dargestellt haben, vor allem zwei Dinge gemeint sind: Einmal wird gerade von jungen Menschen empfunden, daß Werte in unserer Gesellschaft eine zu geringe Rolle spielen. Technische Perfektion, eine manchmal als ungebremst empfundene Fortschrittsgläubigkeit und eine Vorherrschaft wirtschaftlicher Denkweisen haben unser Denken und Fühlen in den letzten Jahren zu sehr, wie ich meine, geprägt. Dieser Entwicklung hat auch die Politik nicht standhalten können. Sie strebte nach immer perfekteren Regelungen, alles umfassender Normierung, nach Kontrolle durch Gesetze, Verordnungen und Formulare und fand ihre eigene Sprache im Bürokratendeutsch. Freiräume, die Jugendliche suchen, Geborgenheit, Menschlichkeit, Zuwendung und Wärme, die sie immer wieder vermissen, wurden auf diese Weise zu sehr an den Rand gedrückt. Wir haben in den Gesprächen immer wieder spüren können, und zwar bei Leuten, die der Protestjugend zuzuzählen sind, aber auch bei vielen anderen Jugendlichen, daß Jugendliche bemängeln, daß die Menschlichkeit in unseren Beziehungen dem Götzen des technischen Fortschritts allzu häufig geopfert wurde. Es war nicht eine allgemeine
Technik- oder Fortschrittsfeindlichkeit, die da feststellbar war, sondern es war die drängende Frage nach der humanen Dimension dieses Fortschritts. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir müssen alle selbstkritisch über die Frage nachdenken, ob eine allzu sehr verwaltete und allzu sehr als nur technisch perfekt empfundene Welt nicht ein Grund dafür ist, daß sich Jugendliche in diesem demokratischen Staat nicht so geborgen fühlen können, wie es auch in einer hochindustrialisierten Gesellschaft möglich sein kann, wenn wir bei allem Fortschritt Freiräume, kleinere Einheiten, überschaubare Räume schaffen und damit Menschlichkeit in den Beziehungen in unserer Gesellschaft, im demokratischen Staat möglich machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube schon, wir können feststellen, daß nahezu alle Lebensbereiche vergesellschaftet wurden und unsere ganze Gesellschaft nach dem mechanischen Bauplan funktionaler Ziele konstruiert wurde. Wir Politiker haben Paragraphen für alle Eventualitäten und Wechselfälle des Lebens produziert und damit selber einen Beitrag dazu geleistet, daß unsere Welt immer komplexer, undurchschaubarer und unmenschlicher wurde.
Sinn- und Orientierungskrise meint aber auch ein Zweites, meine Damen und Herren. Während die Aufbaugeneration der Nachkriegszeit ganz verständlicherweise darum bemüht war, alles zu tun, um Not und Hunger zu überwinden, und für sie ganz verständlich die materiellen Seiten des Lebens im Vordergrund standen, hat die junge Generation Wohlstand und Fortschritt als fast selbstverständlich hingenommen und fragt viel mehr nach der menschlichen Seite. Während die einen Wohlstand und Leistung in den Vordergrund rücken, fragen die anderen mehr nach Mitmenschlichkeit, Kreativität und Mitwirkung. Während die einen den alten Mangel, Not und Hunger, noch nahe vor Augen spüren und manchmal in der Gefahr sind, den neuen Mangel, den Mangel an Mitmenschlichkeit, zu übersehen, sind die anderen dabei, die humane Frage immer drängender auch an die mittlere und die ältere Generation zu stellen.
Ich meine nicht, daß das ein unüberbrückbarer Gegensatz sein muß, sondern glaube, es müßte möglich sein, die Basis des materiellen Wohlstands, die viele dankbar empfinden, zu nutzen, um eine größere Konzentration als bisher auf die andere Seite unserer eigenen gesellschaftlichen Entwicklung, nämlich auf mehr Mitmenschlichkeit, mehr Wärme, mehr Zuwendung, mehr Geborgenheit, mehr Kreativität, mehr auf all die Dinge zu lenken, die gerade auch von Jugendlichen als besonders wichtig empfunden werden.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den Gesprächen aber auch eines gemerkt, von dem ich meine, es auch hier sagen zu sollen: Mit Schlagworten oder Etiketten läßt sich das Bild der Jugend in der Gänze nicht kennzeich-



Wissmann
nen. „Die" gewalttätige, „die" protestierende, „die" aussteigende Jugend gibt es nicht.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Neben Aussteigern und Hausbesetzern gibt es auch die große Zahl derjenigen, für die ein harmonisches Familienleben und eine glückliche Ehe nach wie vor oberster Bezugspunkt ihrer Lebensgestaltung sind. Es gibt nach wie vor viele junge Menschen, die ihren Beruf als Berufung ansehen und in ihm Leistung erbringen wollen.
Es gibt — das will ich hier feststellen — wie selten zuvor Jugendliche, die nicht nur von Mitmenschlichkeit reden, sondern sich auch im Sinne dieses Grundgedankens für andere engagieren. Ich wünschte mir manchmal, daß wir in der Politik, aber auch manche der Damen und Herren in den Medien nicht nur, wie wir es versuchen, ernsthaft und ohne billige Polemik auf die Probleme der Protestierenden eingehen, sondern auch sehen, daß es viele Jugendliche gibt, die sich in der Behindertenarbeit, in der Entwicklungshilfe, im Engagement für andere verwirklichen. Ich glaube, auch das gehört zum Bild „der" Jugend in Deutschland. Wir sollten dieses Bild nicht übersehen,

(Beifall bei allen Fraktionen)

das die Gesamtheit mit kennzeichnet in einer Welt, in der sich Jugendinitiativen gerade darum bemühen, nicht auf eine Änderung von oben zu warten, sondern wieder stärker als zuvor selber anzupacken. Dies ist, deutlicher als bisher beschrieben, die Wirklichkeit in Jugendzentren, in Vereinen, in Kirchen, in Gewerkschaften und anderswo, überall dort, wo Jugendarbeit getrieben wird.
Gerade auch im Hinblick auf die in der letzten Woche veröffentlichte INFAS-Studie möchte ich ein weiteres sagen. Meine Damen und Herren, wir sollten vorsichtig sein, die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen zu überschätzen. Umfragen, die mit Zahlen operieren und z. B. mit dem Ergebnis enden, 70 oder 74 % der Jugendlichen hielten Gewalt prinzipiell für etwas Legitimes, haben sich in unserer Arbeit und in dem, was wir an Material hatten, eigentlich nicht bestätigt. Natürlich gibt es die Gewaltbereitschaft kleiner Gruppen am linksextremen wie am rechtsextremen Rand, aber die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen, auch die überwiegende Mehrheit der protestierenden Jugendlichen ist persönlich nicht zur Gewalt bereit. Ich glaube, wir sollten kein Bild zeichnen, das einem Horrorgemälde entspricht und das eine falsche Wirklichkeit von dem wiedergibt, was Jugendliche empfinden

(Beifall bei allen Fraktionen)

und was sie selbst für richtig und notwendig halten.
Wir haben im Kommissionsbericht, erfreulicherweise einmütig, ein klares Bekenntnis zum staatlichen Gewaltmonopol abgelegt. Wir haben klar gesagt, daß wir auch im Gespräch mit Jugendlichen immer wieder klarmachen müßten, wo notwendig auch im Widerspruch, daß eine Gesellschaft, die auf das Gewaltmonopol des Staates verzichten würde, auf Dauer zu einer Ellenbogengesellschaft würde, in
der nur der Stärkere sein Recht schließlich durchsetzen kann. Bei allen Unterschieden, die wir in der Kommission zum Thema Amnestie festgestellt haben, ist es, glaube ich, doch wesentlich, daß wir hier gemeinsam klargemacht haben, daß ein Staat, der gerade auch dort, wo es um Jugendliche geht, um mehr Gerechtigkeit bemüht sein muß, nicht auf das Gewaltmonopol verzichten kann, weil am Ende einer Aufgabe dieses Monopols nicht mehr, sondern weniger Gerechtigkeit gerade für die Benachteiligten in unserer Gesellschaft stehen würde.
Meine Damen und Herren, so sehr wir sagen, Gewalt werde häufig überschätzt, sollten wir ein Phänomen nicht übersehen, das uns alle nachdenklich machen muß, nämlich daß es in letzter Zeit eine zunehmende Minderheit gerade von benachteiligten Jugendlichen gibt, die eher als früher bereit ist, selbst notfalls auch Gewalt anzuwenden. Wir haben die Sorge, daß eine Situation, wie wir sie beispielsweise 1981 in Brixton in Großbritannien gehabt haben, wo nicht der Protest am technischen Fortschritt, an der Perfektion eines Wohlstandsstaates artikuliert wurde, sondern eher der Protest an der sozialen Ghettosierung benachteiligter Jugendlicher ausgebrochen ist, auch irgendwann zu einem Problem in unseren Großstädten werden könnte, wenn wir uns nicht ernsthafter als bisher um die Probleme arbeitsloser Jugendlicher und ausländischer Jugendlicher bemühen. Mit anderen Worten: Wir sollten bei diesem Problem nicht wie in der Vergangenheit erst dann reagieren, wenn der Protest bereits explodiert ist, sondern sollten bereits jetzt erkennen, daß sich hier ein Potential entzünden kann,

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

das zu dem bisherigen Protest hinzukommen könnte. Unsere Forderung ist also — einige Kollegen werden dazu nachher im einzelnen sprechen —: Lassen wir nicht deswegen, weil im Moment noch keine Fensterscheiben klirren, das Thema der ausländischen und arbeitslosen Jugendlichen einfach außer Betracht, sondern kümmern wir uns mit Reden und mit Taten mehr als bisher gemeinsam über Parteigrenzen hinweg, gerade auch um diese Konfliktstoffe, bevor die Fensterschreiben klirren!

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wir hätten dann einer vorausschauenden Aufgabe, wie ich meine, Rechnung getragen, um die wir uns mehr als bisher kümmern müssen.
Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, von diesem Gesichtspunkt zu den weiteren Lösungsansätzen überleiten, die wir angesprochen haben. Wir haben bewußt gesagt, wir dürften nicht die Illusion nähren, es gebe einen Ausstieg aus einer hochentwickelten Industriegesellschaft. Aber wir haben sozusagen den Gedanken von Hermann Lübbe, den er immer wieder schreibend und redend zum Ausdruck bringt, betont: Gerade in einer komplexen und undurchschaubar gewordenen, manchmal auch bürokratisierten Welt bedürfen vor allem Jugendliche mehr als bisher des Halts der Orientierung und der Geborgenheit. Deswegen kommt durch die ganzen Lösungsansätze immer wieder der Gedanke hervor:



Wissmann
Stärken wir Bindungen, statt Bindungen zu zerschlagen, stärken wir kleine Einheiten, statt immer neue Mammutorganisationen aufzubauen, stärken wir persönliche Freiräume oder, mit anderen Worten, sorgen wir dafür, daß Subsidiarität und Toleranz in unserer Gesellschaft, in Bund, Ländern und Gemeinden wieder stärker vom Bereich der Programme in den Bereich der Taten übergeführt werden, um Entscheidungen von oben nach unten zu verlagern! Nicht die Mammutschule und nicht der Mammutstädtebau, sondern das menschliche Maß an Schule sowie in Städte- und Wohnungsbau sollten das Charakteristikum der Politik in der Zukunft werden,

(Beifall bei der CDU/CSU)

wie ich finde, über Parteigrenzen hinweg in allen unseren Vorschlägen und in unserem Engagement.
Ein letzter Bereich, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir haben ganz bewußt gesagt: Wir sollten die Anliegen Jugendlicher, auch in der offiziellen politischen Diskussion, ernster als bisher nehmen und sollten Alternativen, wie sie beispielsweise zu verschiedensten Bereichen, auch der Außen- und Sicherheitspolitik, gemacht werden, in unserer Diskussion aufgreifen — allerdings nicht, indem wir ihnen bedingungslos folgen. Der Widerspruch gehört dazu um im Gespräch mit Jugendlichen ernstgenommen zu werden. Es wäre ganz töricht, zu fordern, opportunistisch und kritiklos allem zu folgen. Der Denkstil in Alternativen, die Bereitschaft, gegenüber Herausforderungen aus der Jugend offen zu sein, gehören meiner Ansicht nach genauso zur Diskussion wie die Bereitschaft, dort mutig Widerstand zu leisten, wo wir nach Prüfung von Forderungen aus der Jugend diesen Forderungen nicht folgen können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube, wir sollten beides stärker als bisher tun.
Unter dieser Überlegung haben wir auch ein Thema angesprochen, das im Bundestag bisher strittig war. Wir haben eine einmütig getragene Formulierung zur Neuregelung der Kriegsdienstverweigerung in unseren Zwischenbericht hineingeschrieben.

(Beifall bei der SPD)

Als erstes interfraktionelles Gremium schlagen wir Ihnen vor, daß sich die Fraktionen darauf einigen mögen, das Prüfungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer abzuschaffen

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der SPD und der FDP)

und entsprechend den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts die Dauer des Zivildienstes angemessen zu verlängern. Wir haben, weil wir auch um die faktischen Probleme wissen, hinzugefügt, daß gegebenenfalls durch eine Vermehrung der Zivildienstplätze sichergestellt werden muß, daß jeder Kriegsdienstverweigerer seinen Zivildienst leistet.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie namens der ganzen Kommission bitten, daß wir uns auf allen Seiten gemeinsam bemühen, aufeinander zuzugehen und den gelegentlichen Kleinkrieg in dieser Frage einzustellen,

(Beifall bei allen Fraktionen)

weil ich meine, wir werden gerade auch an einem solchen konkreten Punkt gefragt sein, wenn es darum geht, mit unseren Vorschlägen und gelegentlich auch mit unseren Lernprozessen glaubwürdig zu sein.
Lassen Sie mich sozusagen als Zwischensatz aber noch dies hinzufügen: So wie beispielsweise hier eine Lösung gefordert wird, so erwarten von uns auch viele junge Wehrpflichtige, daß wir nicht übersehen, daß auch dort gelegentlich die Gefahr besteht, daß wir eine große Gruppe von Jugendlichen schlichtweg übersehen und dann noch Beiträge leisten, um ihre soziale Lage zu verschlechtern.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich meine, wir sollten gemeinsam nicht erst dann sensibel werden, wenn irgend jemand lautstark seinen Forderungen gegenüber dem Parlament oder anderswo Nachdruck verleiht, sondern wir sollten früher sensibel sein, auch und gerade dann, wenn Jugendliche, ohne lautstark zu sein, Forderungen haben, die wir als berechtigt empfinden müssen. Wir sollten dann auch entsprechend diesen Forderungen handeln.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, viele Jugendliche erwarten von uns nicht nur politische Grundsätze und eine Veränderung unserer Mentalität. An bestimmten Punkten — ich sagte es eben schon — müssen wir auch Widerspruch leisten. Sie erwarten von uns auch — in weiten Teilen, wie ich meine zu Recht — eine Änderung des manchmal praktizierten politischen Stils. Deswegen hoffe ich, daß wir in der Debatte heute morgen bei allen Unterschieden, die wir haben werden und die wir in der Schul- und Familienpolitik, in der Amnestiefrage auch im Zwischenbericht festgestellt haben, versuchen, dieses Thema nicht parteipolitisch zu verhackstücken, sondern daß wir uns gemeinsam überlegen, wie wir Ansätze aus dieser Diskussion in allen Parteien selbstkritisch aufnehmen sollten. Deswegen täte niemand gut daran, wenn er sich hier selbstgerecht hinstellen und dem jeweils anderen die ausschließliche Schuld für Probleme im Umgang mit einem Teil der Jugend zuschieben wollte. Ich glaube, daß wir alle beginnen sollten, einen Lernprozeß an den Punkten zu starten, in denen sich in der Politik in Stil und Inhalt auch in Bonn etwas verändern kann, aber, wie ich finde, nicht nur in Bonn, sondern auch in Bund, Ländern und Gemeinden. Darum möchten wir Sie bitten. Deshalb bitten wir Sie um Zustimmung und, wo notwendig, auch um Widerspruch.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen wir bitten vor allem darum, daß unsere Anregungen auf einen fruchtbaren Boden im Deutschen Bundestag fallen und daß wir einiges davon in



Wissmann
die politische Wirklichkeit umsetzen können. — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0910400200
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Hauck.

Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0910400300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Viele Jugendliche bedrückt die Angst, ob man in der Zukunft überhaupt noch ein lebenswürdiges Dasein führen könne und ob die Welt in Zukunft für Menschen noch bewohnbar sei.
In dieser Angst um ihre Zukunft äußern sie den Verdacht, daß die Erwachsenen, die heute die Entscheidungen für die Zukunft treffen, ihrer Verantwortung für die Erhaltung menschenwürdiger Lebensbedingungen nicht gerecht würden. Auf der anderen Seite seien sie selbst von wirklicher Mitsprache und Mitentscheidung ausgeschlossen, obwohl sie diese sich abzeichnenden bedrohlichen Fehlentwicklungen „auszubaden" hätten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ist diese Aussage des Zwischenberichts der Enquete-Kommission nicht ein alarmierendes Signal für uns alle? Können wir uns denn noch lange den Tatsachen verschließen, daß Arbeitslosigkeit und generelle Verschlechterung der Ausbildungssituation, zunehmende Zerstörung der natürlichen Umwelt, fortschreitendes Wettrüsten und zunehmende Kriegsgefahr, weitere Einengung der persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten durch Vermarktung aller Lebensbereiche, Probleme wachsender Minderheiten in der Wohlstandsgesellschaft als Hauptursachen für die Zukunftsangst junger Menschen zu betrachten sind?
Ich weiß, daß man bei solchen Feststellungen schnell bei der Hand ist, sie als grundlos, überzeichnet und pessimistisch abzutun und dann zur Tagesordnung überzugehen. Aber eine solche Handlungsweise dürfen wir nicht zulassen.
Ich stelle mit Nachdruck fest, daß hier in diesem Hause, an dieser Stelle in den letzten drei Jahren führende Politiker aller Fraktionen ihre Furcht, ihre Angst und Sorge über die Zukunftsentwicklungen in allen Politikbereichen artikuliert haben. Und wenn in unserem Lande der Bundeskanzler, Ministerpräsidenten, Minister, Oppositionsführer, Oberbürgermeister und Landräte auf den jeweiligen Ebenen unseres Gemeinwesens ihre Zukunftsbefürchtungen aussprechen und um Verständnis, Mitarbeit und Opferbereitschaft werben, dann haben auch junge Menschen das Recht, ihre Ängste und Sorgen, auf die Zukunft bezogen, hinauszurufen und Gehör und Berücksichtigung zu verlangen.

(Beifall bei der SPD)

Weil man in unserer hektischen, verbürokratisierten und unübersichtlichen Gesellschaft sich kaum Gehör verschaffen kann, wird der Aufschrei sehr oft zum Protest. So gesehen ist friedlicher Protest oft der Hilferuf vieler ohnmächtiger Individuen. — Dies ist, auf eine einfache Formel verkürzt, eine Erkenntnis, die ich aus der Arbeit der Kommission gewonnen habe.
Dies ist aber nur eine Erkenntnis, und wer den Zwischenbericht aufmerksam liest, wird im Analyse-Teil und bei der Ursachenbeschreibung noch eine Vielzahl von anderen wichtigen Fakten und Details finden.
Zweifellos ist vieles, was in dem Bericht gesagt wird, schon in anderen Untersuchungen festgestellt worden. Richtig ist auch, daß es eine Vielzahl von Publikationen zum Thema Jugendprotest und Jugendproblematik gibt. Aber ich frage: Wer von den politisch Verantwortlichen aller Ebenen hat sie gelesen, durchgearbeitet und in die Praxis umgesetzt?

(Beifall bei der SPD)

So glaube ich, daß mit der Arbeit der Kommission nun eine auf die deutsche Situation bezogene Ausarbeitung vorliegt, die dem Vergleich mit den Eidgenössischen Studien und ähnlichen Arbeiten standhält und eine Handhabe für Politiker und für Interessierte in allen Bereichen darstellt.
Wollen wir doch offen zugeben, daß man vor einem Jahr der Initiative der Koalitionsfraktionen von allen Seiten mit Skepsis begegnet ist. Ich selbst hatte Zweifel, ob die ausschließliche Fixierung auf den Jugendprotest umfassende Einblicke in die gesamte Jugendsituation überhaupt ermöglichen könnte. Der Zwischenbericht zeigt nun aber, wie dringend notwendig ein solcher Auftrag war. Der Berliner Oppositionsführer und damalige Regierende Bürgermeister, Dr. Hans-Jochen Vogel, einer der Initiatoren dieses Einsetzungsbeschlusses, unterstreicht die wichtigsten Aussagen und Wertungen der Kommission, die mit seinen Berliner und gesamtpolitischen Erfahrungen übereinstimmen. Er drängt übrigens — wie auch Ministerpräsident Johannes Rau — auf eine baldige politische Umsetzung.
Als stellvertretender Vorsitzender der Kommission möchte ich es an dieser Stelle nochmals begrüßen, daß in dieser Kommission über Parteiengrenzen hinweg in einer sachlichen und kooperativen Art gearbeitet werden konnte. Wie Sie im vorliegenden Zwischenbericht sehen können, waren wir uns in weiten Teilen der Analyse der Ursachen jugendlichen Protests einig, und auch in den Ansätzen für Lösungen zeigt sich diese weitgehende Übereinstimmung. Ich hoffe, daß diese Übereinstimmung nicht nur beim Schlußbericht, sondern auch bei der Umsetzung der Vorschläge ebenfalls zu erreichen ist. Dabei sind wir dann über den Bundestag und über die Bundesregierung hinaus auch auf die Länder, auf die Gemeinden und auf andere Institutionen unseres Gemeinwesens angewiesen, und im Grunde genommen ist jeder einzelne zur Mitarbeit aufgefordert.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Eine wichtige Rolle spielt die Glaubwürdigkeit von Politikern für das Verhältnis der Jugend zum Staat. Gerade die Vorgänge um die sogenannte Spendenaffäre haben hier viel Vertrauen zerstört. Die Diskussion in unserer Fraktion ist nicht zuletzt



Hauck
unter dem Aspekt der Glaubwürdigkeit geführt worden. Wir haben uns deshalb nicht in der Lage gesehen, den damals im Gespräch befindlichen Gesetzesänderungen zuzustimmen.

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

Die von der Kommission geforderten klaren gesetzlichen Regelungen scheinen mir aber weiterhin von großer Bedeutung zu sein; man sollte sich interfraktionell einmal damit befassen.

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

Ein anderer Aspekt der Glaubwürdigkeit von Politikern ist der des Umgangs, den wir miteinander pflegen. In manchen Debatten im Plenum oder in manchen Beiträgen in der Öffentlichkeit werden nicht nur die Gegensätze zwischen den Auffassungen der einzelnen Parteien dargestellt, sondern es wird auch eine polemische Schärfe hineingebracht, die uns allen nur schaden kann.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich denke hierbei an die Debatten zur inneren Sicherheit oder zur Familienpolitik. Oder lassen Sie mich ein aktuelles Beispiel bringen: Welche Eindrücke hinterlassen wir alle, wenn wir uns in aller Öffentlichkeit gegenseitig beschuldigen, der jeweils andere sei für die Kürzung des Taschengeldes verantwortlich

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

oder sei schuld daran, daß der Elternbeitrag für die Unterbringung behinderter Kinder so drastisch erhöht wurde?

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Die Leute lachen uns doch aus, wenn wir ihnen die Kompliziertheit eines Vermittlungsverfahrens erklären wollen oder wenn wir ihnen die Prinzipien der Subsidiarität nach dem Bundessozialhilfegesetz erklären wollen! Sie stellen mit Recht fest, daß der Staat in Notlagen zuerst auf die Schwächsten zurückgreift und daß — so erscheint es zumindest denen draußen — wirtschaftlich und gesellschaftlich stärkere Gruppen kaum belastet werden.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0910400400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kohl? — Bitte.

Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID0910400500
Herr Kollege, sind Sie bereit, in Sachen Taschengeld und bezüglich anderer Ergebnisse des Vermittlungsverfahrens vom Dezember, die Sie eben — wie ich finde, mit Recht — kritisiert haben, zu sagen, daß wir gemeinsam einen Fehler gemacht haben?

(Bindig [SPD]: Sie haben das doch angezettelt! — Weitere Zurufe von der SPD)


Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0910400600
Herr Kohl, lesen Sie bitte meine Rede nach! Ich habe gesagt: Was machen wir — ich habe an alle appelliert — für einen Eindruck, wenn
wir das den Leuten draußen erzählen? Soll ich es wiederholen?

Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID0910400700
Nein, Herr Kollege, ich frage ja nur, ob Sie der Aussage zustimmen, daß wir gemeinsam einen Fehler gemacht haben!

(Zurufe von der SPD und Gegenrufe von der CDU/CSU)


Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0910400800
Ja, wir alle!

Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID0910400900
Darf ich eine Zusatzfrage stellen?

Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0910401000
Gestatten Sie eine Zusatzfrage?

Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0910401100
Bitte.

Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID0910401200
Sind Sie dann auch damit einverstanden, daß wir gemeinsam — ich sage bewußt „gemeinsam" — damit aufhören, uns draußen in dieser Sache gegenseitig die Schuld zuzuschieben?

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ehmke [SPD]: Das hat er doch gerade gesagt!)


Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0910401300
Ja!

(Zurufe von der SPD)


Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID0910401400
Ich frage ja nur!

Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0910401500
Herr Kollege Kohl, ich stelle jetzt fest, daß ich allgemein gesprochen habe. Ich habe die Chance genutzt, hier im Plenum des Deutschen Bundestages zu unterstreichen — —

Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID0910401600
Ja, und ich versuche doch nur, die Chance zu unterstreichen!

(Zurufe von der SPD: Hinsetzen! — Nicht zu fassen! — Weitere Zurufe)


Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0910401700
Ich habe versucht, hier im Plenum des Deutschen Bundestages so, wie wir es auch in der Kommission gemacht haben, an alle zu appellieren, draußen nicht polemische Schärfen hineinzubringen und sich nicht gegenseitig zu beschuldigen, denn die Leute verstehen das nicht, und uns wird Schaden zugefügt.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0910401800
Gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage? — Bitte.

Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID0910401900
Herr Kollege, haben Sie nicht gemerkt, daß ich genau das erreichen will? Ich will ja nur feststellen,

(Unruhe bei der SPD)

daß wir in diesem Augenblick gemeinsam festhalten,

(Dr. Ehmke [SPD]: Fragen!)

daß wir gemeinsam einen Fehler gemacht haben
und daß wir uns gemeinsam dazu verpflichten soll-



Dr. Kohl
ten, uns draußen nicht gegenseitig die Schuld zuzuschieben!

(Beifall bei der CDU/CSU — Bindig [SPD]: Wer hat das denn angezettelt!)


Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0910402000
Herr Abgeordneter Dr. Kohl, würden Sie die Antwort bitte am Mikrophon entgegenehmen.

Rudolf Hauck (SPD):
Rede ID: ID0910402100
Das, was Sie am Schluß gesagt haben, war eine Feststellung, die ich nur noch einmal bestätigen kann.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Aber jetzt eine Bemerkung, die wohl gestattet ist: Wenn wir so in der Kommission gehandelt hätten, wären wir nicht weitergekommen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wenn wir alles, was schon klar und deutlich gesagt wurde, mißverstanden hätten, wären wir nicht weitergekommen.
Die Glaubwürdigkeit der Politiker, Herr Kohl, wird auch dann gefordert, wenn es um das Verfahren zur Neuregelung des Rechtes der Kriegsdienstverweigerung geht.

(Beifall bei der SPD)

Als hier in der Jugendfragestunde dieses Thema nur genannt worden ist, ist sofort wieder ein inhaltlicher Streit entstanden. Auch ich habe das bedauert. Bei all diesen Themen wäre es mir angenehmer, wenn wir ungeachtet bestehender Meinungsverschiedenheiten bestimmte Grenzen der Auseinandersetzung einhalten könnten, damit das Gespräch zwischen den Parteien auch zukünftig möglich ist.
Die Kommission hat in ihrem Zwischenbericht festgehalten, daß auch das Gespräch zwischen den Generationen in vielen Fällen Protestverhalten begünstigt, obwohl es sich nicht um einen Generationenkonflikt handelt. Es gibt durchaus Verständigungsschwierigkeiten zwischen den Generationen, die auf unterschiedlichen Lebenserfahrungen beruhen. Ich gehöre zu der Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg Sicherheit in materieller und sozialer Hinsicht gesucht hat und auf der anderen Seite stolz auf die von uns allen erreichten Leistungen gewesen ist. Ich weiß, daß viele die Fragen und die Ängste junger Menschen deshalb schwer verstehen können, weil hier Vergleiche mit Zeiten der Not und der Unsicherheit gezogen werden, die alle nicht gegenwärtig sind. Auf der anderen Seite habe ich volles Verständnis für die Kritik an den Mängeln unserer Gesellschaft, wie sie von vielen jungen Menschen vorgetragen wird. Wir sind stolz auf das Erreichte, und die junge Generation sieht sehr oft nur die Wunden und Schäden, die dieser Fortschritt in Natur, Landschaft und gesellschaftliche Bereiche hineingetragen hat. Das müssen wir doch sehen, und damit müssen wir uns auch auseinandersetzen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Nicht nur das Gespräch zwischen den Generationen erfordert die gegenseitige Toleranz, die Bereitschaft, einander zuzuhören. Die Kommission hat in dieser Richtung Anstöße zu geben versucht. Sie hat
sich bei ihrem Besuch in Berlin selber davon überzeugen können, mit welchen alternativen Projekten — sei es handwerklicher, sei es sozialer oder sei es gesellschaftlicher Art — gearbeitet wird. Sie hat deshalb vorgeschlagen, alternative Projekte unter bestimmten Voraussetzungen zu fördern.
Die Bereitschaft zur Toleranz im Gespräch kann nach Ansicht der Kommission, und zwar der gesamten Kommission, zur Lösung der Probleme bei Hausbesetzungen beitragen. Die Kommission wird in ihrer weiteren Arbeit versuchen, dazu konkrete Aussagen im Sinne vertraglicher Lösungen zu machen.
Grenzen findet die Toleranz jedoch, wenn es um Krawalle und um die Anwendung von Gewalt geht. Die Kommission hat im Zwischenbericht dazu nur kurz Stellung genommen. Sie hat aber eindeutig festgehalten, daß die Anwendung von Gewalt kein Mittel zur politischen Auseinandersetzung sein kann und sein darf.
Erschrecken muß aber, daß Ausschreitungen von Fußballfans oder solchen, die sich darunter verstekken, jetzt auch politisch motiviert werden, wie am 1. Mai in Frankfurt geschehen. Auch wenn sich erweisen sollte, daß diese Krawalle nicht gesteuert, sondern zufällig waren, so deutet sich hier für mich doch an, daß Gewalt, die nicht politisch motiviert ist, unter Umständen in eine politische Richtung umschlagen, sich umwenden kann und dann für uns gefährdend wird. Das sollten wir ebenfalls beachten.
Es könnte allerdings auch sein, daß diese Krawalle Anzeichen eines sich wandelnden Klimas sind, das von militanten Zügen geprägt wird. Die wachsende Ausländerfeindlichkeit, die sich bereits in solch scheinbaren Nebensächlichkeiten wie Türkenwitzen äußert, in Verbindung mit einer fortbestehenden Arbeitslosigkeit kann zu einer erheblichen Gefährdung des innenpolitischen Klimas führen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Die Kommission sollte sich deshalb vor dem Endbericht intensiv dem Problem des Rechtsradikalismus zuwenden und auch fragen, ob nicht bei einem Teil der jugendlichen Arbeitslosen gerade in dieser Richtung Tendenzen feststellbar sind. In diesem Zusammenhang nehme ich auch Mitteilungen sehr ernst, daß in einigen Jugendzentren zunehmend von rechtsradikalen Gruppen Aktivitäten entwickelt werden. Ich hoffe, daß es sich hier nicht um die Spitze eines Eisberges handelt, sondern nur um Einzelerscheinungen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Pressekommentaren zum Zwischenbericht wird gelegentlich bemängelt, daß die Kommission den zahlenmäßigen Umfang des Protestes nicht genau beschrieben hat. Von solchen Angaben erwartet man natürlich Aufschlüsse darüber, wie groß das Verhältnis zwischen aktiv Protestierenden und der sogenannten normalen oder schweigenden Mehrheit ist.
Lassen Sie mich dazu freimütig sagen, daß es mir zunächst nicht so sehr auf die Zahl ankommt, sondern vielmehr auf die Wirkung, die vom aktiven Pro-



Hauck
test auf den anderen Teil der jungen Generation ausgeht.

(Zustimmung bei der FDP)

Wenn es in einer Studie des nordrhein-westfälischen Arbeits- und Sozialministers heißt, daß — ich sage das mit dem Vorbehalt, daß wir diese Studie in der Kommission noch genau prüfen — 66 % der Jugendlichen und 43 % der Erwachsenen erklären, daß Entscheidungen von Politikern nicht immer im Interesse des Volkes getroffen werden, wenn 68 % der jungen Menschen und 43 % der Erwachsenen dem Satz zustimmen, daß es den Parteien in erster Linie um die Stimme und nicht um das Anliegen der Bürger gehe, wenn 74 % der jungen Leute und 46 % aller Bürger Verständnis für Gewalt gegenüber gesellschaftlichen Institutionen zeigen, wenn es in ihren Augen um gerechtfertigte Forderungen geht, dann ist das auf lange Sicht gesehen eine Bedrohung unseres demokratischen Systems.

(Zustimmung bei der SPD, der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir müssen feststellen, daß sich hier Bürger nicht richtig vertreten fühlen. Dies ist eine alarmierende Feststellung. Ich sage noch einmal: Die Kommission — da sind wir uns einig — wird diese Untersuchung noch einmal prüfen und auch fragen, ob die Fragestellungen richtig waren; denn man kommt oft je nach der Fragestellung zu solchen Antworten. Ich sage das aber, weil es draußen publiziert wird und damit es hier einmal zugänglich gemacht wird.
Ich habe selbst immer wieder die Frage gestellt: Ist der Protest eine Erscheinungsform, die das Gesamtverhalten der jungen Generation mit einschließt? Nach vielen Gesprächen mit jungen Menschen, mit Vertretern von Jugendverbänden, Jugendlichen aus Freizeitheimen und Teilnehmern an Tagungen der Jugend- und Erwachsenenbildung bin ich sehr nachdenklich geworden. Es besteht kein Zweifel darüber, daß sich eine große Mehrheit der jungen Generation in vielen Gruppen, Vereinen, Verbänden und Organisationen vielfältigster Art zusammenschließt und sich in unserer Gesellschaft engagiert. In den Jugendbildungsstätten wird gute Arbeit geleistet.
Aber dies kann und darf doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch in dieser Mehrheit der jungen Generation die Probleme unserer Zeit erkannt und diskutiert werden. Wer sich z. B. im Natur- und Vogelschutz engagiert, wird doch irritiert, wenn er feststellen muß, in welch erschreckender Weise Natur, Umwelt und Tierwelt bedroht sind.

(Zustimmung bei der SPD)

Wer als junger Mensch mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in aller Welt Kriegsgräber pflegt, fragt sich doch erschüttert, warum 37 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges in allen Teilen der Welt neue Kriegsgräber ausgehoben werden.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich könnte viele Beispiele nennen und möchte dies zum Anlaß nehmen, die Stimme junger Menschen aus den Jugendverbänden genauso ernst zu
nehmen, auch wenn diese nicht demonstrativ oder gar gewaltmäßig erhoben wird.
In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich auf die Forderung der Kommission hinweisen, daß Mittel für die Jugendförderung und für die Jugendbildung in Kommunen, Ländern und Bund weiter gesteigert und nicht gekürzt werden dürfen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Von großer Bedeutung für die persönlichen Zukunftschancen junger Menschen sind jedoch Arbeit und Ausbildung. Die Probleme von Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz haben oder die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, können wir nicht nur unter dem Gesichtspunkt möglicher Anfälligkeit für radikale politische Tendenzen sehen. Die Sorge um die eigene Berufsausbildung und die Furcht davor, unter Umständen von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein, prägen viele Jugendliche. Ihre Hoffnung auf eine gesicherte persönliche Zukunft in diesem Bereich, der für sie das Glück und die Zukunft und die Zufriedenheit bedeutet, ist von großer Bedeutung. Viele fühlen sich bedroht.

(Zustimmung bei der SPD)

Unsere Gesellschaft kann sich nicht leisten, hier nicht alles zu unternehmen, um diesen Jugendlichen den Einstieg in die Gesellschaft zu ermöglichen. Wir haben deshalb in der Kommission eine Reihe von Maßnahmen zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze gefordert. Wenn wir in diesen Tagen erfahren, daß auf der einen Seite die Zahl der Ausbildungswilligen um 14 % gestiegen ist, daß auf der anderen Seite aber die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze sinkt, dann müssen wir zusätzliche überbetriebliche Ausbildungsplätze schaffen und auch entsprechend finanzieren.

(Beifall bei der SPD, der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

In diesem Zusammenhang sollten unkonventionelle Initiativen wie die des Bundesverbandes der Lehrer an Berufsschulen ernsthaft überprüft werden. Dieser Verband hat in diesen Tagen vorgeschlagen, Jugendliche auch an Berufsschulen auszubilden. Ich sage einmal: so wie wir in der Medizin unkonventionelle Methoden zulassen, müssen wir auch hier neue Methoden prüfen.

(Beifall bei der SPD)

Die Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit wird natürlich nur im Rahmen der Beseitigung der allgemeinen Arbeitslosigkeit möglich sein. Hier ist nach meiner Auffassung in besonderem Maße die Solidarität derjenigen gefordert, die im Arbeitsleben stehen. Ich begrüße es, daß z. B. von einzelnen Gewerkschaften Modelle für Tarifverträge vorgelegt wurden, nach denen durch eine vorübergehende Kürzung der Lebensarbeitszeit Arbeitsplätze für Jüngere freigemacht werden sollen. Wir haben in der Kommission darüber gesprochen, aber keine einvernehmliche Aussage erreichen können. Wir werden diese Frage weiterhin prüfen.
Von den Problemen im Ausbildungsbereich und auf dem Arbeitsmarkt sind insbesondere ausländische Jugendliche und junge Frauen betroffen. Ich



Hauck
bin der Meinung, daß die Kommission zu den Problemen dieser beiden Gruppen im Endbericht gesondert Stellung nehmen sollte, damit auch die Öffentlichkeit diese Probleme erkennt und damit Anstrengungen zur Lösung unternommen werden. Wir werden es uns nicht leisten können, es zu einer Situation wie in Großbritannien kommen zu lassen, wo farbige und weiße Jugendliche, die in vielen Fällen arbeitslos waren, auf die Straße zogen und es zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen ist.

(Zustimmung bei der SPD und der FDP)

Der Zwischenbericht der Kommission nimmt noch zu einer Reihe von Problemen Stellung, die ich allerdings nicht in der mir zur Verfügung stehenden Zeit, die gleich abgelaufen ist, darstellen kann. Ich appelliere an alle, daß wir diese Vorschläge besprechen und sie umzusetzen versuchen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Abschließend sei noch einmal festgehalten, daß wir folgende Probleme mit Vorrang angehen müssen und uns bemühen müssen, diese auch im Interesse unserer Glaubwürdigkeit durchzusetzen: Erstens ist die zügige Regelung des Rechtes der Kriegsdienstverweigerung von Wichtigkeit.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Zweitens geht es darum, Maßnahmen zur Beseitigung des Mangels an Ausbildungsplätzen und Arbeitsplätzen für junge Menschen zu treffen.

(Beifall bei der SPD)

Drittens sollten wir eine große Allianz bilden, um die Probleme junger Ausländer zu vermindern und die wachsende Ausländerfeindlichkeit zu bekämpfen.

(Beifall bei der SPD, der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Zwischenbericht ist nur ein Anfang. Wie die Sache sich umsetzt, hängt von uns allen ab. Packen wir es an!

(Beifall bei der SPD, der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0910402200
Ich erteile dem Abgeordneten Eimer das Wort.

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID0910402300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Zwischenbericht der EnqueteKommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" liegt nun vor. Wenn ich an die Skepsis denke, mit der die Medien diese Kommission begleitet haben, und — lassen Sie mich das dazu sagen — an meine eigene Skepsis, die ich auch in meiner Einbringungsrede im April 1981 ansprach, dann muß ich gestehen, daß ich über die Gemeinsamkeit bei der Analyse, aber auch bei der Zielsetzung überrascht bin.
Natürlich sind die Methoden und Wege, diese Ziele zu erreichen, in unterschiedlichen Parteien teilweise auch unterschiedlich. Aber der Stil, mit dem in dieser Kommission gearbeitet wurde, zeigte
mir jedenfalls, daß man Politik auch anders machen kann.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich hoffe sehr, daß der Zwischenbericht und die Diskussion der Teilnehmer der Kommission neben den sachlichen Aussagen auch die Stilfrage vermitteln können.
Gleichzeitig möchte ich aber vor allzu großer Euphorie warnen, vor allem die jungen Menschen. Für die Aufgaben, die man uns gegeben hat, gibt es keine schnellen Patentrezepte. Die meisten Aufgaben, die anstehen, werden wir an unsere Kollegen in den anderen Ausschüssen weitergeben müssen, weil Politik für die Jugend nicht nur Aufgabe der Jugendpolitiker ist, sondern eine Aufgabe aller Politiker aus allen Politikbereichen. Das ist für mich auch eine der wesentlichen Aussagen, die der Bericht an unsere Kollegen aus den übrigen Fachgebieten weitergeben will und weitergeben muß.
Ich will Ihnen dazu gleich ein Beispiel geben. Im Bericht ist die Frage nach der Amnestie im Bereich der Hausbesetzerszene angesprochen worden. Wir müssen zugeben, daß als Ursache für diese Besetzungen von Häusern ein eindeutiger politischer und sozialer Mangel vorlag. Das rechtfertigt natürlich nicht Verstöße gegen unsere Rechtsordnung. Die Mehrheit innerhalb der Kommission — und dazu zähle ich mich — meint, daß deshalb nach dem Vorbild der Amnestie von 1968 auch heute verfahren werden sollte.
Weiter schreiben wir in dem Bericht, daß der Staat durch die Beseitigung dieses Mangels die Voraussetzung dazu schaffen muß. Diese Voraussetzung, nämlich die Beseitigung des Mangels, ist meiner Meinung nach gestern, zum Teil jedenfalls, durch die Änderung der Mietgesetze geschehen, auch wenn dies von Teilen der jungen Leute vielleicht nicht so schnell gesehen wird.
Hier ist ein sehr deutlicher Zusammenhang: ein Problem, mit dem Jugendpolitiker konfrontiert werden, das aber nur von einem anderen Ausschuß gelöst werden kann. Ich bezweifle allerdings, daß dieser Zusammenhang Jugendlichen, die gestern der Debatte zuhörten, klargeworden ist. Sie wurden nicht angesprochen, obwohl doch dieses Thema sie in erster Linie bewegt. Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, Jugendlichen an diesem einen konkreten Beispiel zu zeigen, daß der Staat bereit ist, Mißstände zu beseitigen. Diese Sensibilität der Abgeordneten für Probleme der Jugend muß meiner Meinung nach steigen, vor allem auf Gebieten, die zunächst gar nicht so sehr nach Jugendpolitik ausschauen.
Ich wende mich deshalb an meine Kollegen, dieses aufzunehmen und bei ihren Beiträgen zu allgemeinen Themen der Politik in Zukunft besser zu beachten. Jede politische Tätigkeit ist ein Gestalten der Zukunft und für die Zukunft. Wir müssen mit diesen unseren Tätigkeiten die Jugend ansprechen.
Aber auch der nächste Schritt in dieser Frage, nämlich die Amnestie — und diese Frage bewegt ja



Eimer (Fürth)

Jugendliche am meisten —, kann von Jugendpolitikern nicht gelöst werden, sondern ist in die Zuständigkeit eines anderen Ausschusses gegeben, in die der Rechtspolitiker. Deshalb wende ich mit mit einer Bitte an meine Kollegen aus dem Rechtsausschuß, daß sie diese Frage prüfen und uns helfen, hier den Jugendlichen entgegenzukommen, damit deren Zukunft in diesem Falle nicht verbaut ist, wenn sie sich einmal etwas zuschulden haben kommen lassen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Dieses Beispiel aus dem Zwischenbericht zeigt aber auch — und da bitte ich vor allem jugendliche Zuschauer, dieses zu beachten —, daß die Enquete-Kommission keine Überkommission, kein Überparlament ist, das ohne weiteres Lösungen bringen kann, sondern daß das alles eine Aufgabe des gesamten Parlaments ist und daß wir von der EnqueteKommission in erster Linie diese Probleme unseren Kollegen nur näherbringen müssen.
Mir hat ein junger Mann bei einer Anhörung gesagt: Vielleicht müßt ihr gar nicht so sehr eure Politik ändern; vielleicht müßt ihr sie nur anders darstellen. Ich will diese Gelegenheit benützen, nicht nur zu dem vorliegenden Bericht Stellung zu nehmen, sondern darüber hinaus vielleicht etwas anzusprechen und anzudeuten, was die zukünftige Arbeit dieser Kommission sein kann. Dieser Ausspruch des jungen Mannes soll mir jedenfalls dazu Anlaß sein.
Ist es denn wirklich so, daß wir die Zusammenhänge in unserer Gesellschaft den Jugendlichen, aber auch den übrigen Mitbürgern noch deutlich machen können? Ich möchte drei Bereiche ansprechen, wo uns dies meiner Meinung nach nicht mehr gelingt. Das ist der Bereich der Technik, das ist der Bereich der Wirtschaft, das ist, so traurig es klingt, auch der Bereich der Demokratie.
Die Technik wird heute sehr stark von zwei extremen Positionen aus betrachtet. Die einen empfinden sie als einen Dämon, der nur Böses bringt, und die anderen erwarten alles Heil von der Technik. Beides ist falsch. Gut oder böse ist immer nur der Mensch, der das Werkzeug Technik einsetzt, nie aber die Technik selbst.
Wie will man Technik und die Auswirkungen der Technik auf die Gesellschaft richtig einschätzen, wenn — ich sage das einmal sehr provozierend —80 % der Deutschen nicht Aufzug fahren können? Das klingt vielleicht zunächst einmal recht überraschend. Aber ich bitte Sie, einmal obacht zu geben. Wenn es jemand am Aufzug besonders eilig hat, drückt er auf beide Knöpfe und meint dann, daß der Aufzug besonders schnell kommt, und er begreift gar nicht, daß es länger dauert. Wie will man, wenn man solche Kleinigkeiten, nicht durchschaut, bei schwierigen Problemen der Technik die Auswirkungen auf die Gesellschaft einigermaßen richtig einschätzen?
Aber auch Einsichten in Zusammenhänge der Wirtschaft sind wenig bekannt. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, daß wir unseren Bürgern viel zuwenig Gelegenheit geben, sich mit diesen Problemen zu beschäftigen und sich über diese Probleme etwas kundiger zu machen.
Auch die Demokratie, meine ich — das kommt immer wieder bei Gesprächen mit Jugendlichen deutlich heraus —, ist bei uns noch nicht so verankert, und die Mechanismen sind nicht so bekannt, wie dies sein müßte. In der Gemeinschaftskunde wird bei uns in den Schulen meistens nur dargestellt, wie der Weg der Gesetze ist. Im Grunde genommen werden nur Abläufe dargestellt, aber nicht das Leben und die Funktionsweise der Demokratie.

(Zuruf von der CDU/CSU: Blutleer!)

Ich wundere mich immer wieder über das Erstaunen von Jugendlichen, wenn ich ihnen in dem Fall, daß wir etwas durchsetzen sollen, sage: Ich muß auch erst 250 Kollegen überzeugen, bis ich mich durchsetzen kann. Das ist gar nicht bekannt.
Damit kein Irrtum entsteht: Eine andere Darstellung, ein besserer Einblick in diese Probleme beseitigen die Fragen und die Probleme, die die Jugendlichen betreffen, überhaupt nicht. Aber sie machen deutlich, daß auch Politiker nur mit Wasser kochen, daß fehlende Lösungen oder langdauernde Verfahren nicht auf Bösartigkeit oder Dummheit der Politiker zurückzuführen sind. Das gäbe den Jugendlichen sicher mehr Mut, Dinge anzupacken, Probleme zu lösen und die Gesellschaft zu verändern.
Ich darf Sie bitten, keine Angst vor dem Begriff „Veränderung der Gesellschaft" zu haben. Natürlich verändert jede Generation die Gesellschaft nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen, so wie wir das j a auch tun. Auch die liberale Gesellschaft ist nie vollendet. Es ist selbstverständlich, daß jede junge Generation das für sich auch tun will. Ich meine, es ist eine der Ursachen für die Frustration in der Jugend, daß sie den Eindruck hat, heute an eine Gummiwand zu stoßen und kaum mehr etwas verändern zu können.
Wir nehmen der jungen Generation auch etwas den Mut, weil die Freiräume für diese Generation sich ganz gewaltig eingeengt haben. Ich will hier einige Freiräume aufzählen. Da ist zunächst einmal der eigentliche Raum im engeren Sinne des Wortes. Unsere Welt ist enger geworden, wir haben vor allem für unsere Jugend nicht mehr den Platz, den Raum, den wir selbst einmal hatten.
Aber auch der rechtliche Freiraum ist enger geworden, und zwar durch Verbote und bürokratische Einengungen. Ich will auch dazu ein Beispiel geben. Es gibt noch genügend Plätze in unseren Städten, wo junge Menschen sich aufhalten, wo Kinder spielen können. An vielen dieser Plätze sehen Sie ein Schild „Betreten verboten! Eltern haften für ihre Kinder". Das geschieht natürlich nicht deswegen, weil die Besitzer böse Leute sind und die Jugendlichen dort nicht haben wollen, sondern weil wir selbst durch unser Haftungsrecht dazu beigetragen haben, daß vielen Besitzern gar nichts anderes mehr übrigbleibt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch der emotionale Freiraum ist enger geworden. Junge Menschen brauchen diesen Freiraum, sie müssen sich austoben können. Sie müssen die Mög-



Eimer (Fürth)

lichkeit haben, nach ihren Bedürfnissen, nach ihren Vorstellungen zu leben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber ohne Gewalt!)

Ich glaube, daß wir aus unserer Welt heraus hier viel zu enge Grenzen setzen. Diese Grenzen empfinden die Jugendlichen als Einengung.
Ich will Ihnen einige Beispiele dafür bringen, wie Jugendliche mir gegenüber diese Einengung von Freiräumen geschildert haben. Da wurde z. B. gesagt: „Wer von Kindesbeinen an verwaltet wird, kann doch in seinem Leben keine eigenen Initiativen mehr entwickeln, kann doch keine Ideen mehr haben."
Derselbe Jugendliche sagte: „Die Welt ist perfekt verwaltet, alles, was in ihr existiert, gehört irgend jemandem, ist Besitz. Alles in ihr ist längst verteilt. Wie kann man da noch schöpferisch tätig sein? Das Leben ist langweilig geworden, einen Freiraum gibt es nur noch nach dem Tod. Deswegen" — so sagte dieser junge Mann — „laufen so viele Jugendliche zu den Sekten." — Ich möchte Sie fragen, ob wir uns nur Sorgen machen müssen um eine Jugend, die uns genau das sagt.
Die Enquete-Kommission hat in ihrem Bericht auf den Wertwandel und auf die Sinnfragen hingewiesen. Auch dazu möchte ich Ihnen einige Aussagen von Jugendlichen zitieren. Es wurde gesagt: „Ich lebe für Werte wie Freundschaft, Geborgenheit, Vertrauen. Wer lebt denn heute für Werte, die er vertritt?" Oder: „Was hat der Vater mit seinem Sohn zu tun? Wie ist es heute mit dem Verhältnis von Meistern zu ihren Lehrlingen? Früher hat der Lehrling von seinem Meister nicht nur handwerkliche Technik erlernt, sondern er wurde auch menschlich von ihm gebildet." — Werte, die in diesen Zitaten zum Ausdruck kommen, sind keine neuen, sondern es sind die alten Werte, die nur wieder etwas stärkeres Gewicht bekommen.
Ich habe den Eindruck, wir haben in der täglichen Politik vergessen, daß man Parteien nicht so sehr wegen der Programme wählt, sondern mehr wegen der Grundwerte, die hinter diesen Programmen stehen. Programme sind in erster Linie das Vehikel — das ist meine Überzeugung —, mit dem wir, bewußt oder unbewußt, dem Bürger die Werte, die Grundwerte, das Menschenbild einer Partei vermitteln können.
Ich will das noch etwas deutlicher machen. Alle vier Jahre stellen wir uns zur Wahl. Wir haben Probleme aufgelistet, die uns bekannt sind; wir haben Lösungsvorschläge in Form von Programmen erarbeitet. Aber neue, heute noch nicht bekannte Probleme, für die es jetzt noch keine Lösungen gibt und deswegen auch keine Programme, werden auftauchen. Auch insoweit muß der Wähler das Vertrauen haben, richtig gewählt zu haben. Die Parteien verlangen also einen Vertrauensvorschuß für die nächsten vier Jahre. Deswegen wählen nicht nur Jugendliche, sondern sicher auch Erwachsene — so ist meine Überzeugung — eine Partei in erster Linie wegen des Menschenbildes, das hinter der Partei steht.
Ich möchte es wiederholen: Die Programme, die wir anbieten, sind im Grunde nur das Vehikel, dieses Menschenbild zu vermitteln. Ich bitte Sie, unter diesem Gesichtspunkt einmal den Erfolg der Grünen zu betrachten. Die Grünen verkaufen gar nicht so sehr ein Programm, sondern in erster Linie ein Menschenbild. Das ist vielleicht ein Grund für die Erfolge, den diese Parteien bei jungen Leuten haben. Es ist unsere Aufgabe als Politiker, deutlich zu machen, welche Werte hinter unseren Parteien und hinter unserem Staat stehen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wir müssen zeigen — vor allem jungen Menschen, die danach fragen —, welches die Elle ist, mit deren Hilfe man Parteien und deren Programme im Hinblick auf Liberalität, konservative oder sozialdemokratische Grundwerte messen kann. Wir haben ja alle diese Elle; wir benützen sie nicht mehr. Ist es dann ein Wunder, wenn junge Menschen meinen, wir lebten, zumindest was die Wertfrage betreffe, politisch von der Hand in den Mund? Wie wollen wir Werte vermitteln, wenn wir sie nur nicht mehr deutlich machen? Nur wer selber brennt, kann andere anzünden. Aber gerade hinsichtlich dieser Frage brennen wir nicht. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir gestehen, daß wir nur noch flackern.
Wenn man aber die Jugend, die jungen Menschen vom Wert einer Sache überzeugt, entsteht das, was im Bericht — sicher etwas verkürzt — als neues Engagement bezeichnet wird. Zukunftsangst, Wertfrage, Engagement und Protest bedingen einander. Ich möchte unsere junge Generation aufrufen, sich zu engagieren, die Arbeit unserer Kommission mit Kritik und Anregungen zu begleiten. Die junge Generation dazu zu bewegen, ist sicher auch einer der Gründe für die Vorlage des Zwischenberichtes dieser Kommission.
Lassen Sie mich zum Abschluß sagen: Viele Probleme werden von jungen Menschen anders als von den Erwachsenen gesehen. Vieles wird von unserer Seite nicht so dargestellt, nicht so deutlich gemacht, wie das eigentlich nötig wäre. Die Menschen leben immer in einer Gesellschaft, in der es Probleme gibt, und es befriedigt den Menschen, wenn er Probleme lösen kann.
Die Welt ist nicht so schlecht, wie sie vielleicht manche Jugendliche sehen. Sicher sind wir alle an der gegenwärtigen Auseinandersetzung zwischen jungen Menschen und Politikern, zwischen jungen Menschen und der Gesellschaft schuld. Aber wir müssen uns fragen, ob wir der nachfolgenden Generation das Rüstzeug dafür gegeben haben, mit den immer anstehenden Problemen fertig zu werden. Denn eines, meine Damen und Herren, sollten wir, glaube ich, nicht vergessen: Jede Generation hat die Jugend, die sie erzogen hat; jede Gesellschaft hat die Jugend, die sie verdient.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0910402400
Das Wort hat der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0910402500
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-



Ministerpräsident Dr. Vogel (Rheinland-Pfalz)

men und Herren! Auf Ihrer Tagesordnung steht im Augenblick ein Thema, das die Länder und die Gemeinden selbstverständlich ganz genauso bewegt und umtreibt wie Sie. Deswegen ist es, glaube ich, glücklich, daß unsere Verfassungsordnung die Möglichkeit schafft, daß man nicht nur in getrennten Häusern, sondern auch gemeinsam über die Fragen spricht. Ich bedanke mich, daß ich hier vor dem Bundestag dazu einiges sagen darf.
Der Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" unterscheidet sich durch seine verständliche Sprache und durch seinen Verzicht auf ideologisch einseitige Positionen wohltuend von manchen Jugendberichten der vergangenen Jahre.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist dieser Kommission gelungen, bereits nach einem Jahr wichtige Anhaltspunkte aufzuzeigen, die als Grundlagen für politisches Handeln dienen können, Positionen in einem Zwischenbericht aufzuzeigen, die erfreulich viel Gemeinsamkeit erkennen lassen. Ich möchte mich bei den Mitgliedern der Enquete-Kommission für die Arbeit und für ihre Ergebnisse bedanken. Ich wünsche der Enquete-Kommission eine breite Reaktion aus den Reihen der jungen Generation und eine breite Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Natürlich fehlt in dem Zwischenbericht noch einiges. Ich bin beispielsweise der Meinung, daß das Thema Auswirkungen der Jugendarbeitslosigkeit noch nicht hinreichend bearbeitet ist. Ich richte die Bitte an die Kommission, auch die Dinge, bei denen die Ansichten noch in Mehrheit und Minderheit auseinandergehen, so lange zu diskutieren, bis eine einvernehmliche Lösung möglich erscheint.
Meine Damen und Herren, bei der Beschreibung der Gründe und Hintergründe des Jugendprotestes kommt der Zwischenbericht zu der Feststellung, daß es in der Sache weniger um Probleme der Jugend als um solche der gesamten Gesellschaft und um die Folgen einer verbreiteten Sinn- und Orientierungskrise geht. Ich finde, diese Feststellung läßt aufhorchen, weil sie die Frage stellt, ob der Jugendprotest etwa nur eine altersspezifische Aussage über eine Befindlichkeit unserer ganzen Gesellschaft ist und ob wir dann recht tun, wenn wir die Kritik am Jugendprotest nur der jungen Generation zuweisen, oder ob wir nicht sehr viel umfassender darüber nachdenken müssen, wie es mit Sinn- und Orientierungskrise in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland steht.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, es genügt meiner Überzeugung nach nicht, Grundwerte nur in Verfassungstexte zu schreiben oder sie in staatsphilosophischen Betrachtungen zu erörtern. Entscheidend ist, daß j a nicht die Grundwerte strittig sind, sondern das Verhältnis der Grundwerte zueinander und die Frage der konkreten politischen Anwendung der Grundwerte in einer bestimmten Situation.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich meine, daß die jungen Menschen ein außerordentlich waches Gespür für Diskrepanzen, für das haben, was die politisch Verantwortlichen einerseits an Grundwerten hochhalten, und das, was sie andererseits im Vollzug, im politischen Tun tatsächlich anwenden. Meine Damen und Herren, das geht bis zur berechtigten Kritik der jungen Leute, wie Politiker miteinander umgehen, wie sie sich zuhören und wie sie sich übereinander äußern, wenn sie nicht beisammen sind, sondern in getrennten Räumen. Eine leichtfertige Floskel in einem Wahlkampf kann mehr zerstören, als Bildungsarbeit über Jahre wiederaufbauen kann, meine Damen und Herren.

(Beifall bei allen Fraktionen — Zuruf von der SPD)

Das Wort von den „lügenden Politikermäulern" aus dem Brief der Schöneberger Besetzerszene ist natürlich ein böses Wort und kann so nicht akzeptiert werden. Aber, meine Damen und Herren, nachdenklich werden sollte man darüber schon, daß es in Deutschland ein solches Wort gibt. Ich wäre dankbar, wenn jetzt nicht die einen den anderen zuriefen, sich das ins Stammbuch zu schreiben, sondern wenn es sich alle ins Stammbuch schrieben.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Im Zwischenbericht ist vom Wertwandel die Rede, der sich in der Bundesrepublik seit der Mitte der 60er Jahre vollzogen habe. Ich möchte dazu feststellen, daß manche, vor allem Ältere, wenn sie einen solchen Wertwandel erleben, zu der Meinung kommen, andere Werte seien zugleich mindere Werte. Nein, meine Damen und Herren, es ist ganz deutlich: Die Wertvorstellungen der unmittelbaren Nachkriegsgeneration sind andere als die der heutigen jungen Generation. Aber wir haben meines Erachtens kein Recht, den Wandel mit einer Verminderung der Wertvorstellungen gleichzusetzen, die jungen Leute heute haben.
Meine Damen und Herren, nach meiner Überzeugung spielt dabei eine Rolle, daß das, was ich nicht habe, immer mehr vermißt wird als das, worin ich lebe. Es hat eine begründete Bedeutung, daß beispielsweise der Geist der Freiheit oft in Systemen der Unterdrückung lebendiger ist als dort, wo man in der Freiheit lebt und nicht mehr versteht, daß man etwas zu ihrer Verteidigung tun muß.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn Jugend Kritik am Staat übt, die Unpersönlichkeit der Gesellschaft anprangert, Zukunftsangst und Ohnmachtsgefühle ausdrückt, dann müssen wir darüber sprechen, aber bitte auch mit jener Kraft der Unterscheidung, die bereit ist, eine vorhandene und akzeptierte Ordnung zu verteidigen, und gleichzeitig bereit ist, sich neuen Vorstellungen zu öffnen.
Lassen Sie es mich ganz ungeschminkt und deutlich sagen: Natürlich bekämpfe ich als Parteipolitiker das Auftreten einer neuen Partei. Das ist mein gutes Recht, und das ist das Gesetz einer Demokratie. Aber, meine Damen und Herren, die Tatsache, daß es nach 35 Jahren in einer Gesellschaft Ansätze für neue politische Parteien gibt, ist doch ein Beweis



Ministerpräsident Dr. Vogel (Rheinland-Pfalz)

für Lebendigkeit und nicht etwas, was man von vornherein kritisieren müßte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen der jungen Generation natürlich auch insofern Gerechtigkeit widerfahren lassen — Herr Wissmann hat das schon gesagt —, als wir sie nicht vorschnell über einen Kamm scheren dürfen. Bei aller Kritik im einzelnen: Bei der überwältigenden Mehrheit gibt es eine große Übereinstimmung mit Staat und Gesellschaft und mit der unmittelbaren Umwelt, übrigens ganz besonders mit dem Elternhaus. Zu unserer Verantwortung gehört es, die Probleme weder zu dramatisieren noch zu bagatellisieren, sondern sie angemessen und sachgerecht aufzugreifen.
Wenn die Umfrage aus Nordrhein-Westfalen, die veröffentlicht worden ist, einen Sinn hat, dann bitte den, nachdenklich zu machen, aber bitte nicht den, ehe man überhaupt die genauen Fragestellungen und Ergebnisse kennt, bereits eine Verwirrung in der Öffentlichkeit anzurichten und damit zu einer Schelte an der jungen Generation beizutragen, die durch nichts gerechtfertigt ist

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Zwischenbericht spricht an mehreren Stellen vom neuen Mangel, d. h. von der Klage junger Menschen, daß es an Zuwendung, an persönlicher Geborgenheit und am sozialen und gefühlsmäßigen Angenommensein fehle. Ich muß Ihnen sagen, diese Passage hat mich auch als ehemaligen Kultusminister außerordentlich nachdenklich gestimmt. Nach zehn Jahren Konfliktspädagogik kommt ein Bericht des Deutschen Bundestages zum Ergebnis, daß nicht der Konflikt, sondern die Geborgenheit und die Zuneigung die Sehnsucht der jungen Menschen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Für mich ist das in der Tat ein dringlicher Aufruf, die Lehrer zu ermutigen, bei aller Bedeutung, die das Vermitteln von Sachwissen hat, in erster Linie Erzieher und erst in zweiter Linie Konfliktpädagogen zu sein.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Ich glaube, das gilt auch für den Hochschulbereich und nicht nur für den Schulbereich. Beim Hochschulbereich füge ich hinzu: Hier ist vor allem zu beklagen, daß zu wenige deutsche Politiker den Mut haben, regelmäßig an Universitäten zu gehen und mit jungen Leuten zu sprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ich kenne leider — ich sage das nicht anklagend, sondern auffordernd — nur eine Handvoll deutscher Politiker, die in den letzten Jahren wirklich an allen deutschen Hochschulen gewesen sind und sich dort der Diskussion gestellt haben. Ich meine, das, was wir hier vorfinden, ist erstens eine Ermahnung, um die Hochschulen nicht einen großen Bogen zu machen, und zweitens eine Ermahnung, sich den Studenten, die sich dort politisch engagieren, mit mehr
Unterstützung zur Verfügung zu stellen, als das zur Zeit geschieht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn wir jungen Menschen erfahrbar machen wollen, daß es sich lohnt, für diesen Staat einzutreten, daß man diesem Staat nicht mit Mißtrauen, sondern mit dem Willen begegnen muß, ihn mitzugestalten, dann müssen wir allerdings einige Dinge, die der Entscheidung harren, tatkräftiger als in der Vergangenheit anpacken. Ich will drei ganz knappe Beispiele dafür nennen.
Erstens. Es heißt in dem Bericht, daß die kleinen Einheiten für junge Menschen von so großer Bedeutung seien. Man hat das Wort ja lange nicht mehr in den Mund nehmen dürfen, aber das heißt, daß bei den jungen Leuten eine Bestimmung dafür da ist, daß man durchaus wieder von Heimat sprechen darf, ohne damit in Provinzialismus zu verfallen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Ort, wo man mit anderen politisch und sozial leben, arbeiten und mitgestalten kann, ist für den jungen Menschen die Stadt, die Gemeinde und der Kreis. Es muß uns gelingen, in diesen Bereichen Zutrauen zum Staat zu erreichen, weil Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und Landesregierung für den normalen Jugendlichen sehr weit weg sind, aber der Beamte der Kommunalverwaltung sehr unmittelbar für ihn das Erlebnis des Staates bestimmt.

(Wissmann [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Meine Damen und Herren, das gilt aber zweitens auch für ein ganz anderes Thema, von dem hier heute morgen schon geredet ist und über das man auch aus der Sicht der Länder etwas sagen muß. Das gilt für die Frage Wehrdienst und Ersatzdienst, und zwar in erster Linie nicht für die Frage, zu welcher Lösung wir kommen. Hier ist meine Position ganz klar, und sie steht auf dem, was meine Partei mit meiner Stimme in Hamburg beschlossen hat. Aber es geht vor allem um die Frage, ob die jungen Leute draußen erfahren, daß Politiker in einer Frage, die sie sehr unmittelbar berührt, in der Lage sind, überhaupt zu einer Entscheidung zu kommen,

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

oder ob sie mitansehen müssen, daß sie über das Problem längst hinaus sind, bis endlich eine Lösung gefunden wird. Es ist weniger die Frage, welche Schlußentscheidung fällt, bedrückender ist die Tatsache, daß seit fünf Jahren darüber geredet wird und in dieser Sache überhaupt keine Entscheidung fällt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte ausdrücklich in diesem Zusammenhang sagen: Normalerweise ist es Aufgabe einer Bundesregierung, zu einer so wichtigen Sache einen Vorschlag zu machen. Normalerweise ist es das Vorrecht des Bundesparlamentes, zu dieser Sache einen Vorschlag zu machen. Weil aber vieles, was dort geregelt werden muß, auch von den Ländern erledigt werden muß, möchte ich noch einmal bekunden, daß wir erstens zur Mitarbeit bereit sind und daß wir



Ministerpräsident Dr. Vogel (Rheinland-Pfalz)

zweitens, wenn es noch Jahre dauert, bis Vorschläge kommen, auch von Länderseite entsprechende Gesetzesinitiativen ergreifen werden.

(Wissmann [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Dabei ist für mich neben allen anderen Fragen vor allem wichtig, daß Wehrdienstleistender wie Ersatz-dienstleistender

(Zuruf von der SPD: Zivildienstleistender!)

im gleichen Maße das Opfer für die Gemeinschaft erbringen muß und daß jede der beiden Seiten vom Hauch befreit wird, das eine sei einfacher als das andere. Das ist entscheidend, der Glaubwürdigkeit der jungen Leute wegen und für die Lösung einer Frage, die meines Erachtens schon viel zu lange ansteht.
Als drittes Beispiel gibt es dann in diesem Zwischenbericht den Hinweis auf Jugendliche, die keine Zukunft für sich mehr sehen. „No future" ist das deutsche Wort dafür. Diese Mischung aus Hoffnungslosigkeit, Aggressivität, Hilflosigkeit und Wut hinterläßt in der Tat Bestürzung. Zunächst der Hinweis: Das ist ein Bild von Jugendlichen.
Ein anderes Bild ist, daß Zehntausende in den einzelnen Ländern und Hunderttausende in der Bundesrepublik Deutschland in den technischen Hilfswerken — angefangen bei der Feuerwehr bis zum Malteser-Hilfsdienst — freiwillig großartige soziale Hilfeleistungen erbringen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Zweitens engagieren sich heute junge Leute in einer Unzahl von Sportvereinen, kulturtreibenden Vereinen aller Art — ihre Zahl wächst — ganz selbstverständlich. So notwendig es ist, daß der Staat etwa für die tut, die auf die schiefe Ebene geraten sind, so notwendig ist es auch, daß wir zunächst einmal denen danken, die gar nicht auf die schiefe Ebene kommen, weil sich Tausende und Abertausende von Vereinen um junge Leute ganz selbstverständlich kümmern.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Drittens. Es hat sich bei Jugendlichen eine Bereitschaft herausgebildet, die es, wenn ich recht sehe, zu unserer Zeit nicht gab, die Bereitschaft zum persönlichen sozialen Engagement, nicht nur bei uns, sondern auch draußen in der Dritten und Vierten Welt. Ich meine, es wäre an der Zeit, daß wir gemeinsam größere Anstrengungen machen, um beispielsweise einem, der als Jugendlicher etwas gelernt hat und jetzt arbeitslos ist, in einem Land der Dritten Welt die Möglichkeit zu geben, seine Fähigkeiten für ein, zwei Jahre einzusetzen, damit Arbeit zu haben und gleichzeitig einen Dienst leisten zu können, denn es entspricht dieser jungen Generation, daß sie zu solchen Dienstleistungen bereit ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Angesichts der Haltung von Jugendlichen, keine Zukunft für sich zu sehen, dürfen wir nicht selber immer meinen, die Zukunft sei von uns nicht zu bestehen. Die Tatsache, welche uns Meinungsforscher mitteilen, die Mehrheit der Bevölkerung sei zwar mit ihrer Situation heute zufrieden, lebe aber in der
Furcht, daß es ihr morgen schlechter gehen würde, ist eine völlig unnatürliche Tatsache. Natürlich ist, daß man hofft, die Schwierigkeiten der Gegenwart durch eine bessere Zukunft zu überwinden. Unnatürlich ist, die Angst zu haben, daß die Zukunft düsterer sein wird als das Heute. Ich meine, daß wir Hoffnung und Zuversicht doch nur erreichen können, wenn wir bereit sind, auch im Hinblick auf die Zukunft Entscheidungen zu treffen. Wir dürfen die Uranlage des jungen Menschen, sich auf die Zukunft hin zu orientieren, nicht verkümmern lassen. Denn es ist doch für junge Leute alles andere als typisch, sich vor neuen Aufgaben zurückzuziehen und das Experiment und — im guten Sinn des Wortes — das Abenteuer gar nicht mehr zu wagen.
Wenn die Grundaussagen dieses dankenswerten Berichtes auf Fehlverhalten dieser Gesellschaft hinweisen, dann weisen sie auch in die Frage hinein, ob die politisch Handelnden eigentlich selbst Mut zur Zukunft haben. Und wir werden die Aufgabe nur lösen, wenn wir den jungen Menschen vorleben, daß wir bereit sind, die Schwierigkeiten der Gegenwart zu meistern, um die Zukunft zu bestehen.
Ich bedanke mich sehr herzlich für diesen Bericht.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0910402600
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0910402700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mich hat beeindruckt, daß der vorliegende Zwischenbericht in der Analyse wie auch in vielen Lösungsvorschlägen von den Mitgliedern der Kommission einstimmig formuliert worden ist. Eine solche Solidarität gegenüber den Problemen ist eine gute Chance für dieses Parlament, zu einer neuen Qualität der Zusammenarbeit zu kommen.
Ich frage mich freilich, Herr Ministerpräsident, ob diese Gemeinsamkeit auch noch für Taten reichen wird, die der Untersuchung folgen müssen, wenn das Unternehmen nicht unseriös enden soll. Sie jedenfalls haben heute morgen der Versuchung nicht widerstanden, Herr Ministerpräsident, wieder mit falschen Schuldzuweisungen zu arbeiten, während Sie gleichzeitig mit Ihren Unionskollegen in den Ländern eine vernünftige Gesamtschulpolitik verhindern.

(Beifall bei der SPD)

Die Kommission, deren Einsetzung auf eine Anregung unseres Freundes Hans-Jochen Vogel zurückgeht, hat festgestellt, daß sie keinen Generationskonflikt untersucht. Diese Feststellung hat Konsequenzen. Sie führt zu einem Katalog von Empfehlungen, der im weiteren Verlauf der Kommissionsarbeit noch ergänzt werden soll. Ich meine, Herr Wissmann, die Kommission hat damit dokumentiert, daß sie ihren Auftrag ernstgenommen hat, d. h. daß sie vor allem den Protest ernstgenommen hat, der ihr Untersuchungsgegenstand war.
Ich glaube, dieser richtige Ausgangspunkt der Kommission schneidet uns den Rückweg ins Schubfachdenken, Jugendprotest gehört zur Jugendpoli-



Dr. Ehmke
tik, ab. Er ist gleichzeitig der einzige ehrliche und erfolgversprechende Ansatz für das Gespräch mit jungen Menschen. Und dieses Gespräch ist schwierig genug. Die Betroffenen wissen j a, daß sie mit Nichtbetroffenen reden, jedenfalls mit nicht unmittelbar Betroffenen. Die Jungen fühlen sich oft mit taktischen Augen beobachtet und von Worten umstellt.
Meine Damen und Herren, ich erfahre in den Diskussionen mit jungen Menschen immer wieder — und ich nehme an, es geht Ihnen genauso —: Voraussetzung einer Verständigung ist Offenheit, ist die Bereitschaft, auch die eigene Meinung zu ändern, wenn es dafür Argumente gibt. Wer junge Menschen von der Tugend des demokratischen Kompromisses überzeugen will, muß zunächst Toleranz im Zuhören beweisen.
Die Kommission hat es sich mit dieser Frage nicht leicht gemacht. Sie kommt zu dem Schluß, daß das Vertrauen eines Teils der Jugend in das politische System und in uns als seine Vertreter nur nach einer langen Phase vertrauensbildender Maßnahmen und nach überzeugenden Veränderungen in Stil und Inhalt unserer Politik möglich sein wird. Alles wie gehabt laufen zu lassen, wäre keine Lösung. Ich weiß aber, daß dieser Gedanke noch in manchen konservativen Köpfen spukt. Aber, meine Damen und Herren, zum kritischen Dialog, zu sozialen Reformen und zur Integration in eine demokratisch-egalitäre Zivilisation gibt es keine Alternative.
Das heißt nun keineswegs, daß wir als Politiker in Sack und Asche gehen und einen Jugendkult zelebrieren müßten, zu dem es manche modischen Ansätze gibt. Nein, was wir Alteren den jungen Menschen schuldig sind, ist, ihre Argumente, aber auch ihre Gefühle ernst zu nehmen. Gerade darum schulden wir ihnen aber auch Widerspruch, wenn wir aus unserer politischen Erfahrung ihre Auffassungen für unrichtig halten. Es gibt nichts Schlimmeres im Umgang mit jungen Menschen, als ihnen nach dem Munde zu reden.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Kommission hat festgestellt, daß die große Mehrheit der protestierenden Jugend nicht aus der Gesellschaft aussteigen, sondern in sie einsteigen will, allerdings nicht unbedingt in den herkömmlichen Formen, die uns so geläufig sind. Die Kommission sagt, das gelte auch hinsichtlich der Anerkennung des Leistungsprinzips, der Einstellung zum Staat und zur pluralistischen Demokratie. Es gibt viele Leute, übrigens nicht nur junge Leute, die zwar die etablierten Parteien ablehnen, sich aber z. B. in einer der örtlichen Gruppen von „amnesty international" treffen und oft hart und nach meinem Urteil oft auch sehr effektiv für die weltweite Durchsetzung von Menschenrechten arbeiten. Die Kommission spricht in diesem Zusammenhang von „sinnbringender Arbeit" im Einsatz für Jugendzentren, für sozial Benachteiligte, für Völker der Dritten Welt, für Abrüstung und für Friedenssicherung.
Darüber dürfen wir allerdings nicht die wachsende Zahl von Aussteigern in unserer Gesellschaft vergessen, wie wir auch den Terrorismus von jungen
Menschen in unserem Lande nicht vergessen dürfen. Hier laufen viele Elemente unserer Geschichte, vor allem der Geschichte unseres Bürgertums, ineinander, und manche vornehmlich im Wohlstand aufgewachsene junge Menschen sehen heute klarer als ihre Eltern, die für diesen Wohlstand hart gearbeitet haben, daß Wohlstand, so angenehm er ist, die Frage nach dem Sinn des Lebens, nach dem Sinn ihres Lebens, nicht nur nicht beantwortet, sondern oft sogar verstellt.
Aus diesen Wünschen hat sich eine stille Kulturrevolution, eine Sehnsucht nach einem — wie die jungen Leute sagen — alternativen Leben entwickelt. Und so hochgestochen oder geschwollen sie auch manchmal daherredet, wir haben allen Grund, auch sie ernst zu nehmen.
Im übrigen hat diese Kulturbewegung auch durchaus ihre positiven Aspekte. Bei vielen Aktivitäten engagierter junger Menschen entdeckt man bei genauerem Hinsehen eine stark ethische Motivation, nicht selten — darauf weist die Kommission hin — eine ethische Motivation in durchaus traditionellem Sinne. Wandel des Wertbewußtseins ist j a nicht notwendig Zerfall. Eine Gesellschaft, in der sich ethische Anschauungen und deren Ausdrucksformen nicht mehr wandeln würden, wäre tot.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Die Kommission weist meines Erachtens allerdings zu einseitig nur auf den Wandel des Wertbewußtseins in den 60er Jahren hin. Ich erinnere demgegenüber an den wahrhaft radikalen Wandel, den dieses Land auf dem Wege von der sozial-egalitären Aufbruchsstimmung nach Ende des Zweiten Weltkrieges in die Restaurations-Mentalität der Adenauer-Ara durchgemacht hat.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Ach!)

Auch die von den Kirchen beklagte Säkularisierung unserer Gesellschaft hat natürlich nicht erst in den 60er Jahren begonnen. In unserem demokratischen Gemeinwesen unterliegen eben auch ethische Anschauungen dem Wandel. Sie müssen von jeder Generation neu angeeignet werden. Für diese schöpferische Aneignung und Fortentwicklung der ethischen Grundlagen braucht die junge Generation Selbstbewußtsein.
Was sie unserer Meinung nach nicht braucht, sind autoritäre Vorbilder und konservative Ideologien.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Was sie ebenfalls nicht braucht, ist wehleidige Selbstbespiegelung oder gar penetrantes Selbstmitleid.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Nur dürfen wir Politiker nun auch nicht so tun, als ob bei uns alles oder fast alles in Ordnung wäre.

(Zustimmung bei der FDP)




Dr. Ehmke
Wie moralisch ist denn eine Welt, in der es pro Kopf der Bevölkerung mehr Sprengstoff als Brot gibt?

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt j a gar nicht!)

Und was ist denn die ethische Grundlage etwa der Verklappung von Dünnsäure? Und welche Werte rechtfertigen denn die sogenannte Rotation von ausländischen Arbeitnehmern?
Meine Damen und Herren, es hätte nicht erst der von meinem Freund Peter Glotz zu Recht kritisierten Rede des Arbeitgeberpräsidenten bedurft, um erneut deutlich werden zu lassen, daß die ethischen Grundlagen unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung keineswegs so über alle Zweifel erhaben sind, wie die Konservativen gern sagen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Aber auch unser politisches Leben muß sich kritisch fragen lassen. Die Kommission nennt als Punkte der jugendlichen Kritik an uns u. a. die Undurchschaubarkeit der politischen Entscheidungswege, den Mangel an tatsächlichen Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bürger, den starken Einfluß wirtschaftlicher Interessen, die Unfähigkeit zu zukunftgerichtetem Handeln. Daß in dieser jugendlichen Kritik oft auch eine gewisse apolitische Naivität und Mangel an politischer Erfahrung durchklingen, kann für uns weder ein Grund zum Hochmut noch ein Entschuldigungsgrund sein. Wenn es hier einen Graben von Unverständnis und Mißverständnissen gibt, so liegt das nicht nur an Schule und Elternhaus, sondern ganz offensichtlich doch auch an den politischen Parteien, d. h. an uns selber.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Umgekehrt gibt es allerdings Punkte, an denen wir zu klarem und entschiedenem Widerspruch verpflichtet sind. So werden z. B. Fragen der Nuklearwaffen oder der zivilen Kernenergie von jungen Leuten oft vorschnell zu Gewissensfragen erklärt, deren Lösung nicht durch Mehrheitsentscheidung erfolgen könne. Von da aus ist man dann schnell bei dem Wort „Widerstand", was angesichts der jüngsten deutschen Geschichte übrigens von einem erschreckenden Mangel an Geschichtsbewußtsein zeugt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer ist daran schuld?)

— Sehen Sie, daß ist das einzige, was Sie können: Schuldzuweisungen, statt sich mal zu überlegen, was man jungen Leuten darauf anwortet.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

Ich nehme an, wir sind uns einig, wenn ich sage, daß man von dem Wort „Widerstand" dann auch sehr schnell bei der Gewaltanwendung ist. Und für diese sind auch diejenigen verantwortlich, die meinen, sie könnten Parolen wie „Widerstand" oder „ökologischer Bürgerkrieg" ausgeben, und sich dann wundern, daß andere, meist Jüngere, daraus gewaltsame Konsequenzen ziehen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich verstehe die Betroffenheit junger Menschen, und es ist richtig, was unser unvergessener Kollege Adolf Arndt gesagt hat: Demokratie besteht nicht nur aus dem Mehrheitsprinzip. Sie besteht zunächst einmal darin, daß wir uns von Verfassung wegen einig sind, worüber wir nicht mit Mehrheit abstimmen können: z. B. über inhaltliche Fragen des Glaubens, der Kunst oder der Wissenschaft.
Wer aber z. B. Nuklearfragen — von Flughäfen will ich gar nicht reden — zu Gewissensfragen erklärt, erklärt damit zugleich, daß diese Fragen demokratisch nicht entschieden werden können. Da kann es dann nur noch den Kampf aller geben alle geben oder den Ruf nach dem Guru, der diese zu Glaubensfragen hochstilisierten Fragen bindend für uns entscheidet, und dann schließlich — so fürchte ich — den Ruf nach dem starken Mann, der endlich wieder für Ordnung sorgt.
Aus unserer eigenen politischen Erfahrung müssen wir daher den jungen Menschen immer wieder sagen, daß wir unsere parlamentarische Demokratie mit ihrem Mehrheitsprinzip von niemandem in Zweifel ziehen lassen dürfen. Auch mit der Überbetonung plebiszitärer gegenüber repräsentativen Elementen, wie sie ja jetzt wieder stark propagiert wird, haben wir in der Weimarer Republik schlechte, sehr schlechte Erfahrungen gemacht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

Ich bin der Meinung: In der deutschen Geschichte ist soviel Blut gefloßen, bis diese zweite deutsche Demokratie — und auch sie nur in einem geteilten Deutschland — Wirklichkeit werden konnte, daß wir Sie wie unseren Augapfel hüten müssen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich füge aber hinzu: Die Respektierung des parlamentarischen Mehrheitsprinzips wie des staatlichen Gewaltmonopols setzt auch voraus, daß wir uns immer erneut um konsensfähige Problemlösungen bemühen, einschließlich der dazu erforderlichen demokratischen Kompromisse.
Zum Schluß möchte ich zu einem praktischen Beispiel kommen. Das Problem, das mich im Zusammenhang mit dem Thema „Jugendprotest" heute, da besonders geburtenstarke Jahrgänge in das Berufsleben treten, am stärksten bedrückt, ist die Jugendarbeitslosigkeit. Das fängt mit dem Mangel an Ausbildungsplätzen an. Die Zahlen sind bekannt. Wir sind dem Herrn Bundespräsidenten sehr dankbar dafür, daß er auf dem vorgestrigen Empfang für junge Menschen auch die Wirtschaft und das Handwerk noch einmal zu einer zusätzlichen Anstrengung aufgerufen hat.

(Zustimmung bei der SPD)

Junge Menschen verlangen zu Recht, daß die berufliche Ausbildung nicht von der Konjunktur abhängig gemacht wird;

(Beifall bei der SPD und der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

denn diese Ausbildung stellt einen entscheidenden Beitrag dar zu der — wie das Grundgesetz sagt — „freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit". Außerdem sind Quantität und Qualität der Ausbildung ein ent-



Dr. Ehmke
scheidender Faktor unserer Wirtschaftskraft. „Ausbilden heißt in die Zukunft investieren", hieß es Anfang dieses Jahres in einem Aufruf des Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung, unter dem so illustre Namen standen wie von Amerongen, Bodenstock, Schnitker und Heeremann. Wir würden gern weitere Taten sehen,

(Beifall bei der SPD und der FDP)

nicht nur von der Wirtschaft, auch von der öffentlichen Hand, aber eben auch von der Wirtschaft.
Die Wirtschaft hat mit guten Gründen für die Beibehaltung des dualen Systems unserer beruflichen Ausbildung gestritten. Nun muß sie auch der daraus erwachsenden Verantwortung gerecht werden,

(Beifall bei der SPD und der FDP)

und zwar ohne gleich wieder nach Staat und Subvention zu rufen, die sie doch sonst immer ideologisch bekämpft. Die Wirtschaft war gegen die Ausbildungsplatzabgabe, aber sie ist bisher den Beweis schuldig geblieben, daß es auch ohne diese Abgabe geht.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Was Arbeitsplätze im Unterschied zu Ausbildungsplätzen betrifft, so stehen wir vor noch weit schwierigeren Problemen. Niemand in diesem Hause kann oder darf so tun, als habe er für die Lösung dieses bitteren Problems ein Patentrezept, zumal für ein Land, das mit über einem Drittel seines Bruttosozialprodukts vom Export abhängig ist.

(Breuer [CDU/CSU]: Der läuft doch!)

Aber etwas anderes scheint mir ebenso gewiß: Mit einer neokonservativen Politik des Die-Dinge-laufen-Lassens — —

(Oh-Rufe von der CDU/CSU)

— Ja, Sie müssen sich entscheiden, meine Kollegen von der CDU: Entweder Sie hören auf, sich auf das zu berufen, was man in Amerika die „neo-konservative" Welle nennt, oder Sie bleiben dabei. Wenn Sie sich aber weiter darauf berufen, dann müssen Sie sich von uns gerade in einer Debatte über Jugendprotest bitte auch einmal in Ruhe darauf ansprechen lassen.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

— Ja, ja, wir dürfen ja nicht so tun, als sei die Frage des Jugendprotestes und des Verhältnisses der Jugend zu diesem Staat unabhängig von den Inhalten der Politik. Das geht nicht.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU: Wer macht denn die Politik? Wer regiert denn? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Ja, ich verstehe ja, daß es Ihnen unangenehm wird, wenn man auf Sachfragen zu sprechen kommt. Sie meinen, Sie könnten sich mit so einem allgemeinen Schmus der Einigkeit über dieses Thema hinwegheben. Das läuft nicht!

(Beifall bei der SPD und der FDP)


(Breuer [CDU/CSU]: Wer ist konservativ? Wer ist neokonservativ?)

— Nun sagen Sie bloß, Sie seien nicht konservativ; dann falle ich aber um.

(Heiterkeit bei der SPD — Dr. Schwarz [Schilling] [CDU/CSU]: Dann fallen Sie doch um!)

Eine Politik, bei der es mit den Steuersenkungen und mit den Gewinnen aus hochverzinslichen Wertpapieren klappt, mit der Schaffung von Arbeitsplätzen aber nicht — —

(Zurufe von der CDU/CSU: Wer stellt denn die Regierung zur Zeit? Wer hat denn die Mehrheit in diesem Haus? Wer regiert denn? — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

— Sie können mir doch nur zustimmen, wenn ich sage, daß eine solche Politik sicher nicht geeignet ist, junge Menschen von der Qualität unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu überzeugen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Sehen Sie, während Sie das noch nicht einmal in Ruhe anhören können, sage ich auch durchaus selbstkritisch: keiner hat ein Patentrezept. Aber tun Sie auch nicht so, als ob diese neokonservativen Sprüche eines seien.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Breuer [CDU/CSU]: Sie sind selbstgerecht!)

Wir können uns sicher wieder in der Feststellung treffen, daß 12 Millionen Arbeitslose in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft und über 25 Millionen Arbeitslose in den Ländern der OECD nicht etwa nur ein wirtschaftspolitisch-technisches Problem sind, sondern eine grundsätzliche politisch-moralische Herausforderung für die industriellen Demokratien darstellen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Nun gibt es aber auch Beispiele, in denen der Lösung eines drängenden Problems nicht derartige Schwierigkeiten — wie ich zugebe: auch Ratlosigkeiten — entgegenstehen. Ich erinnere nur an die auch von Herrn Ministerpräsidenten Vogel angesprochene Frage der Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung, die vorgestern ja auch im Mittelpunkt der Jugendfragestunde in diesem Plenarsaal stand. Hier ist eine schnelle Einigung möglich, und zwar auf der Basis der Abschaffung des Prüfungsverfahrens bei verlängerter Zivildienstzeit. Natürlich — Herr Kollege Kohl mußte gehen, er hat sich entschuldigt; aber ich will es ihm hier noch einmal sagen; wir haben neulich darüber gesprochen — wollen auch wir Sozialdemokraten — Herr Kollege Mischnick, ich nehme an, auch die Freien Demokraten — eine Situation, in der diejenigen, die sich für den Zivildienst entscheiden, den Zivildienst auch tatsächlich ableisten müssen und sich nicht drücken können. Nur muß ich sagen, Herr Ministerpräsident: Sie sprechen hier heute so, in der Jugendfrage-



Dr. Ehmke
stunde klang es anders, im katholischen Büro klingt es dann noch wieder anders. Die Frage ist zu lösen, wenn wir nicht durch weitere Ausflüchte aus Ihren Reihen noch mehr Zeit verlieren.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich sagte es eingangs: nur wenn wir den Worten und der guten Analyse der Kommission Taten folgen lassen, wird die Arbeit dieser Enquete-Kommission „Jugendprotest" schließlich Früchte tragen können.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nicht, wenn man so redet!)

— Doch, wenn man zur Einigkeit in der Sache kommen will, darf man Meinungsverschiedenheiten nicht überkleistern, sondern muß sie austragen. Das ist die Voraussetzung dafür, daß man zu gemeinsamem Handeln kommt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

Ich glaube, wir würden der Arbeit der Jugendkommission dadurch gerecht werden,

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

wenn wir uns anschließend an eine solche Diskussion — vor der Sie nicht so empfindlich zurückzukken müssen, wie Sie das tun, weil Sie sich in den meisten Fragen selber nicht einig sind — wirklich zu gemeinsamem Handeln für die Jugend aufraffen könnten.
Herzlichen Dank für Ihre Geduld.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)


Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0910402800
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Sauter.

Alfred Sauter (CSU):
Rede ID: ID0910402900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich den Kollegen Ehmke da so reden höre, dann habe ich den Eindruck, daß dieser Bundestag eine ganze Menge von Enquete-Kommissionen bräuchte, damit sich manche Kollegen mal ein bißchen darin üben können, daß dann, wenn man gemeinsam etwas verabschiedet hat, man nicht bei der Debatte über das gemeinsam Verabschiedete auf einmal wieder einiger Büchsenspanner bedarf, die dort nicht dabei waren, die dann wieder ihre Show abziehen, auf die alte Schablone machen, damit wieder etwas Dampf hineinkommt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Bitte konkret werden! — Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Die Sprache des „Bayernkurier"! — Weitere Zurufe)

— Gnädige Frau, ich freue mich, daß Sie offensichtlich diese Zeitung lesen und damit auch die Sprache dieser Zeitung kennen. Nichts ist schöner, als wenn dieses Blatt von möglichst vielen gelesen wird; und ob Sie's glauben oder nicht: die Leserschaft nimmt zu.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch eine ganz billige Schau!)

Wenn Sie mir die Möglichkeit geben, so langsam zur Sache zu kommen, dann brauche ich nicht mit Ihnen die Show abzuziehen. Aber ich habe den Eindruck, Sie machen im Moment lieber ein bißchen auf Show.
Unabhängig davon sollte zu dem Bericht zunächst einmal festgehalten werden, daß er nicht unbedingt neue Antworten auf bekannte Probleme gibt. Dieser Bericht hat aber eines geschafft: dieser Bericht hat eine neue Gewichtung auf der einen Seite herbeigeführt, er hat eine neue Form und, wie ich auch meine, eine neue Sprache.
Soeben ist davon geredet worden, daß es nichts Schlimmeres gibt, als der Jugend nach dem Munde zu reden. Herr Ehmke, ich glaube, es gibt noch ein bißchen etwas Schlimmeres: nämlich so zu reden, daß die Jugend es nicht versteht. Der Bericht, den wir verabschiedet haben, beinhaltet das nicht. Aber manches, was heute wieder an Fremdwörtern gefallen ist, dürfte mit dazu beitragen, daß die Jugend es nicht verstehen kann.

(Zurufe von der SPD)

Ein zweites hat dieser Zwischenbericht gezeigt. Er hat nämlich gezeigt, daß Politiker mit den Antworten, die sie in diesem Bericht versuchen zu geben, keine Universalantwortgeber auf der einen Seite sind und auf der anderen Seite auch keine Omnikompetenzler. Wir müssen alle herunter von dem hohen Roß der Alleskönner, wir müssen runter von dem Machermaß, das sich mancher zugemutet hat. Wir müssen auch alle miteinander zugeben, daß falsche Erwartungen insbesondere von den Regierenden geweckt worden sind, daß damit Ansprüche produziert wurden, die heute nicht erfüllt werden können, und dies insbesondere die Jugend verunsichert und sie teilweise auch zum Protest geführt hat.
Ich bedaure an diesem Bericht, daß es uns im Untersuchungsauftrag nicht gelungen ist, ihn auf alle Jugendlichen auszuweiten. Der Untersuchungsauftrag ist auf die protestierende Jugend beschränkt. Der Protest, soweit er gewaltfrei vorgetragen wird, ist in der Tat eine Form der Meinungsäußerung, die durch das Grundgesetz geschützt ist. Wir sollten uns deshalb natürlich auch über diesen Protest entsprechend unterhalten. Wir dürfen es aber nicht zulassen, daß der Eindruck entsteht, daß nur noch etwas mit dem Protest gehe und daß diejenigen, die nicht protestieren, bei uns mehr oder weniger hoffnungslos verloren sind. Der Protest, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist für mich auch nicht eine heilige Kuh. Es ist nicht so, daß der Protest nicht hinterfragt und kritisch beleuchtet werden darf. Genauso wie diejenigen, die aus Protest kritisch fragen, haben wir eine Verpflichtung, auch den Protest kritisch zu hinterfragen. Diejenigen, die protestieren, müssen sich dies gefallen lassen. Wir dürfen die Mehrheit der nicht Protestierenden nicht verunsichern. Wir dürfen sie nicht ins Abseits treiben, sonst würden wir Gefahr laufen, daß sich diese Mehrheit auf einmal der Mittel der Minderheit bedient, um noch Gehör und Interesse zu finden.
Die Lösungsvorschläge in diesem Bericht sind Gott sei Dank in breiten Bereichen auf die gesamte Jugend eingegangen. Und das ist das Positive. Trotz



Sauter (Ichenhausen)

des Untersuchungsauftrages ist hier einiges gelungen, was vielleicht nicht so vorgesehen war, beispielsweise im Bereich der Ausbildungsplätze, der Studienplätze, der Jugendarbeitslosigkeit, der Rechte der Jugendvertreter, der bürgerschaftlichen Beteiligung in den Kommunen und der Chancen zum eigenverantwortlichen Handeln. Insbesondere bei den Ausbildungsplätzen glaube ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß es vordergründig ist, wenn man sich hier darüber streitet, ob jetzt der eine oder der andere Unternehmer noch einen oder zwei Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen sollte oder müßte. Ich glaube, wir kommen von dem Appell nicht weg, daß sie so viel wie überhaupt möglich hier tun. Aber das Problem sind zunächst nicht die Plätze, das Problem ist die Arbeit. Es müssen die Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, daß es bei uns wieder mehr Arbeit gibt. Dann gibt es auch mehr Arbeits- und Ausbildungsplätze.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe nicht den Eindruck, daß diese Bundesregierung hier ihrer Verpflichtung nachgekommen ist. Hier wäre eine wirkliche Verantwortung, die sie gegenüber der jungen Generation zu übernehmen hätte.
Ich glaube, was die gesamte Jugend anbelangt, sind wir dringend aufgerufen, im Endbericht zwei Gruppen stärker oder überhaupt zur Geltung kommen zu lassen, weil das bisher so gut wie noch nicht geschehen ist. Das ist auf der einen Seite die Gruppe der Wehrpflichtigen. Wir haben hier sehr viel über das Anerkennungsverfahren und über den Ersatzdienst drin. Wir haben auch einiges drin zur Abschaffung des Anerkennungsverfahrens. Ich darf dazusagen, daß der Kollege Wissmann richtig dargestellt hat, daß sich alle einig waren, das Anerkennungsverfahren abzuschaffen, daß es aber von mir eine Protokollnotiz gibt, wonach ich mich nur für die Abschaffung des derzeitigen Anerkennungsverfahrens ausgesprochen habe. Hier gibt es also durchaus Unterschiede. Ich stehe aus verschiedenen Gründen auch dazu.
Wenn hier heute viel in Hoffnung und Euphorie gemacht worden ist, darf ich Ihnen von SPD und FDP eines sagen und Sie um eines bitten: An Ihnen liegt es jetzt zunächst, nachdem Sie sich hier in der Kommission für die Abschaffung des Anerkennungsverfahrens ausgesprochen haben, dafür Sorge zu tragen, daß Sie glaubwürdig sind. Glaubwürdig sind Sie nur, wenn Sie alles unternehmen, um die Zahl der Ersatzdienstplätze, die wir dann brauchen, wenn wir das Anerkennungsverfahren abschaffen, tatsächlich auch vorweisen zu können. Es darf nicht sein, daß die Ablehnung aus Gewissensgründen zu einer Ablehnung aus gewissen Gründen wird. Deshalb muß Sorge dafür getragen werden, daß für den Tag X, der von Ihnen apostrophiert wird und den Sie wollen, auch jeder, der jetzt beispielsweise noch im Anerkennungsverfahren steckt, dessen Verfahren dann eingestellt werden müßte, tatsächlich den Ersatzdienst antreten muß. Es sind im Moment über 80 000 Plätze, die dann zusätzlich zur Verfügung gestellt werden müßten.

Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0910403000
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Adam-Schwaetzer?

Alfred Sauter (CSU):
Rede ID: ID0910403100
Immer, rechts und links.

Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0910403200
Bitte schön, Frau Kollegin.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID0910403300
Herr Kollege Sauter, würden Sie mir zugeben, daß gerade zu dem Thema, das Sie angesprochen haben, in der Jugendfragestunde vorgestern die konkreten Zahlen genannt worden sind, die ganz eindeutig belegt haben, daß das von Ihnen angesprochene Problem in der Zukunft eben nicht auftreten wird, daß derzeit schon ein Drittel aller zur Verfügung stehenden Zivildienstplätze nicht besetzt ist und daß innerhalb kürzester Zeit auch eine Aufstockung dieser Zivildienstplätze erfolgen kann?

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Alfred Sauter (CSU):
Rede ID: ID0910403400
Liebe Frau Adam-Schwaetzer, ich weiß nicht, wie Sie es mit der Arithmetik halten.

(Frau Dr. Adam-Schwaetzer [FDP]: Mit Adam Riese!)

— Vielleicht können wir anfangen, gemeinsam zu rechnen. 40 000 Plätze haben wir im Moment. Davon sind 30 000 besetzt. 80 000 Verfahren laufen derzeit. Bei einer Abschaffung des Anerkennungsverfahrens muß davon ausgegangen werden, daß diese Verfahren dann einzustellen sind. Es besteht dann ein Bedarf von 80 000 Plätzen. Wenn man davon die 10 000 Plätze, die im Moment zur Verfügung stehen, abzieht, bleiben unter dem Strich 70 000 Plätze. Diese müssen nachgewiesen werden; um diese 70 000 Plätze geht es. Jeden Monat werden es mehr.

Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0910403500
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Alfred Sauter (CSU):
Rede ID: ID0910403600
Natürlich. Wir sind j a beim Rechnen.

Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0910403700
Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID0910403800
Herr Sauter, würden Sie mir zugeben, daß ich in derselben Debatte darauf hingewiesen habe, daß gerade wegen dieses großen Rückstaus das von Ihnen angesprochene Problem zwar auftreten wird, daß wir aber davon ausgehen, daß die derzeit anhängigen Verfahren schon nach dem noch gültigen Verfahren abgewikkelt werden müssen, damit eine ordnungsmäßige Übergangsfrist gewährleistet sein kann, daß dieses im Grunde auch gar nicht anders gehen kann?

(Zurufe von der CDU/CSU)


Alfred Sauter (CSU):
Rede ID: ID0910403900
Erstens brauchen Sie unabhängig davon die Plätze. Zweitens frage ich Sie in aller Bescheidenheit, wie Sie denn der Jugend klarmachen wollen, daß derjenige, der den Antrag vor einem Jahr gestellt hat, das Aner-



Sauter (Ichenhausen)

kennungsverfahren durchlaufen muß, daß derjenige, der diesen Antrag jetzt stellt, das Anerkennungsverfahren aber nicht durchlaufen muß.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unabhängig davon, Frau Adam-Schwaetzer, müssen Sie doch auch Sorge dafür tragen, daß diese 80 000 Verfahren abgeschlossen werden. Angenommen, es bleiben 60 000 übrig, dann müssen Sie für die 60 000 ebenfalls Plätze schaffen. Also brauchen wir sie zusätzlich, oder? Dann haben wir doch richtig gerechnet!

(Beifall bei der CDU/CSU)


Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0910404000
Der Abgeordnete Rapp möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden? — Bitte, Herr Abgeordneter Rapp.

Heinz Rapp (SPD):
Rede ID: ID0910404100
Herr Kollege, glauben Sie nicht, daß Sie sich der jungen Generation verständlicher machen könnten und auch etwas zu Ihrer persönlichen Glaubwürdigkeit beitragen könnten, wenn Sie nicht notorisch von „Ersatzdienst", sondern von „Zivildienst" redeten?

(Zustimmung bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Das steht so im Gesetz! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Alfred Sauter (CSU):
Rede ID: ID0910404200
Herr Rapp, die Glaubwürdigkeit hängt davon ab, daß ich mit der Jugend darüber rede, was ich mir unter Ersatzdienst vorstelle. Unter Ersatzdienst stelle ich mit eine Tätigkeit vor, die psychisch und physisch dem vergleichbar ist, was von einem jungen Mann erwartet wird, der heute seinen Wehrdienst ableistet. Ich sage Ihnen in aller Offenheit, daß das Telefonieren und die Unterrichtung in Flötenmusik für mich nicht eine vergleichbare Tätigkeit ist. Darüber müssen wir auch miteinander reden, wenn es darum geht, neue Ersatzdienstplätze zu schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Das ist dekuvrierend! — Conradi [SPD]: Als ob bei der Bundeswehr nicht auch Wehrpflichtige telefonieren müßten! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Es ist richtig, daß da auch telefoniert wird. Ich weiß aber nicht, ob bei der Bundeswehr geflötet wird. Herr Conradi, da können Sie mir einmal Nachhilfeunterricht geben.

(Hauck [SPD]: Es gibt ja Musikzüge bei der Bundeswehr! — Zurufe von der CDU/ CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe von einer Gruppe gesprochen, von der ich glaube, daß sie besondere Berücksichtigung verdient; das sind diejenigen, die der Wehrpflicht nachgehen. Die anderen, die bisher auch vergessen wurden, sind diejenigen, die bei uns als junge Ausländer viel mehr Probleme haben als mancher junge Deutsche, der jetzt protestiert. Wir müssen alles dafür tun, daß hier nicht eine Situation entsteht, durch die wir die nächste Protestgeneration schon jetzt heranziehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben aus meiner Sicht in dem Bericht bisweilen zuwenig unterschieden zwischen gewaltlosem und gewalttätigem Protest. Ich möchte hier nochmals festhalten, daß nur der gewaltlose Protest den Schutz des Grundgesetzes genießt und daß alles, was nicht gewaltlos ist, aus meiner Sicht sehr schnell die Grenzen zum Krawall fließend werden läßt. Protest und Krawall sind zwei paar Stiefel. Protest ist normal, Krawall ist nicht normal. Krawall verdient nicht unseren Schutz und hat nicht den Schutz des Grundgesetzes.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte einen Punkt herausgreifen und festhalten, den ich für nicht unbedeutend halte. Wir sind alle miteinander, auch wenn ich es jetzt sprachlich etwas anders ausdrücke, zu der Überzeugung gekommen, daß diejenigen, die den Staat gelegentlich am meisten in die Pfanne hauen, auf der anderen Seite diejenigen sind, die am lautesten nach ihm rufen, wenn es darum geht, ihre eigenen Bedürfnisse zum Null-Tarif zu befriedigen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Positive ist, daß uns dies zeigt, daß von diesem Staat durchaus noch etwas erwartet wird. Das Negative ist, daß wir uns darüber im klaren sein müssen, daß wir uns in einer Situation befinden, in der sehr gern genommen, aber sehr ungern gegeben wird.
Wir konnten uns auch darüber einigen — ich begrüße das —, daß es bei der Frage Rechtsstaat und Protest keinen Zweifel darüber gibt, daß das Gewaltmonopol ausschließlich beim Staat liegt. Ich glaube aber, es ist auch Aufgabe der Politiker, dafür Sorge zu tragen, daß auf der einen Seite staatliches Handeln verständlich gemacht wird, daß aber auf der anderen Seite der Politiker im Regelfall für den Staat und nicht gegen den Staat eintritt und einsteht. Wenn ich das sage, so tue ich das auch mit Blick auf Demonstrationen, bei denen Polizisten, insbesondere junge Polizisten, nach meiner Auffassung wissen müssen, daß die Politiker hinter ihnen stehen, damit sie wissen, wofür sie überhaupt stehen.
Wenn ich sehe, daß bei manchen Demonstrationen, wo damit gerechnet werden muß, daß es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt, auch Parlamentarier mitmarschieren, stellt sich für mich die Frage, ob sich diese Leute zumindest moralisch eben nicht auf die Seite der Ordnungshüter, sondern eher auf die Seite der Ordnungszerstörer begeben.

(Vorsitz : Vizepräsident Wurbs)

Die Frage der Amnestie ist zwischen uns kontrovers diskutiert worden. Sie wissen, daß wir uns nicht für eine Amnestie aussprechen können, und zwar deshalb nicht — ganz verkürzt gesagt —, weil nach unserer Ansicht niemand wegen seines Protestes irgendwo in den Gefängnissen sitzt. Wer nicht wegen des Protestes sitzt, braucht auch keine Straffreiheit. Es sitzen vielmehr diejenigen, die Autos zerstört, die Sachbeschädigung, Körperverletzung, Hausfriedensbruch und Landfriedensbruch begangen haben. Ich glaube, es wäre geradezu ein Aufruf an die Rechtstreuen, sich ebenso zu verhalten, wenn man jetzt den Rechtsuntreuen nachgäbe. Wir dürfen es



Sauter (Ichenhausen)

nicht zu der Situation kommen lassen, in der die Wiederanwendung von ausgesetzten Rechtsvorschriften als reine Willkür dargestellt werden könnte.
Ich hoffe, daß dieser Zwischenbericht eine breite Diskussion auslösen wird. Wir alle sind aufgerufen, diese Diskussion sowohl im Parlament als auch draußen mit den jungen Leuten zu führen. Darum bitte ich Sie sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910404300
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0910404400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich meinen ausdrücklichen Dank an die Mitglieder der Enquete-Kommission aussprechen. Man merkt dem pünktlich vorgelegten Zwischenbericht an, daß hart um der Sache willen gerungen worden ist, um die richtigen Wertungen zustande zu bringen. Diese Pünktlichkeit ist für mich auch ein Stück Zuverlässigkeit und damit ein Beitrag für die Glaubwürdigkeit dieses Parlamentes.
Ich will mich vor allem mit dem Analysenteil des Berichtes befassen. Dieser Teil macht deutlich, daß Jugendpolitik — das ist teilweise schon zum Ausdruck gebracht worden — alle Bereiche der Politik umfaßt. Die Enquete geht weit über den Rahmen des bisherigen Verständnisses von Jugendpolitik hinaus. Das ist für mich übrigens nicht überraschend. Dinge wie Jugendhilfegesetz, Gesetz zur Neuregelung der elterlichen Sorge und Jugendschutzgesetz werden nicht einmal angesprochen. Das kritisiere ich nicht; damit kein Irrtum entsteht. An den Debatten um Wohnungsbau- und Bildungspolitik, um Frieden und Umweltschutz sind Jugendliche eben viel stärker, j a besonders interessiert. Das ist eigentlich kein Wunder.
Die Jugend interessiert die Vergangenheit wenig, die Gegenwart kaum, aber die Zukunft ganz besonders stark. Darauf müssen wir bei unseren Auseinandersetzungen Rücksicht nehmen. Deshalb sind die Jugendlichen bei den Themen, die die eigenen Zukunftsinteressen berühren — wie Kernenergie, Jugendarbeitslosigkeit, Bildungsfragen, Zivildienst, Entwicklungshilfe —, viel stärker sensibilisiert, als das dem alten Verständnis von Jugendpolitik eigentlich entspräche. Hält man sich die Auswirkungen all dieser Bereiche der Politik für die jungen Menschen vor Augen, dann ist das Ganze eigentlich selbstverständlich und nur logisch. Wir müssen uns eben daran gewöhnen, den Begriff Jugendpolitik weiter zu fassen, als das in der Vergangenheit oft geschehen ist. Natürlich: Jugendarbeit im engeren Bereich ist genauso notwendig, aber Jugendpolitik heißt eben, in allen Bereichen der Politik bei Entscheidungen zu sehen, daß das eine bestimmte Wirkung oder auch Nichtwirkung für junge Menschen beinhaltet. Darüber mehr zu sprechen, es deutlicher zu machen, scheint mir eine Aufgabe zu sein, um hier auch das Verständnis für bestimmte Entscheidungen größer werden zu lassen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, Politik für Jugendliche ist kein einfaches Unterfangen. Sie muß glaubwürdig sein und darf sich nicht in bloßer Programmatik erschöpfen. Denn gerade auf diesem Gebiet sind Jugendliche ganz besonders sensibel. Sie registrieren aufmerksam die Widersprüche, die zwischen Programmen und praktizierter Politik oft bestehen. Manchmal ist die Kritik berechtigt, weil man allzu schnell bereit ist, von programmatischen Aussagen abzugehen. Manchmal ist sie unberechtigt, weil zwischen Programmen und ihrer Verwirklichungsmöglichkeit eben viele Hürden zu überwinden sind.
Jugendliche sind oft sehr idealistisch eingestellt und reagieren schnell, wenn ihre Ideale nicht sofort durchgesetzt werden. Dies geht aus den verschiedenen Untersuchungen eindeutig hervor, aber auch die persönlichen Erfahrungen bestätigen das. Ich darf hier ein paar Erfahrungswerte aus der gemeinsamen Diskussion einflechten, die wir hier vor wenigen Tagen geführt haben. Meine Bitte an alle: Wir werden aufgefordert, eine Auswahl für diese Jugenddiskussion vorzuschlagen. Aus den Gesprächen, die ich danach mit einzelnen Gruppen hatte, kam immer wieder hervor, ob es nicht im gemeinsamen Interesse wäre, wenn wir alle darauf verzichten, Jugendgruppierungen, mit denen wir eh ständig im Gespräch stehen, zu solchen Gelegenheiten einzuladen und statt dessen nur solche Jugendgruppierungen einzuladen, die mit den politischen Parteien eben keine enge Verbindung haben,

(Beifall bei der FDP)

um so die Möglichkeit der zusätzlichen Auseinandersetzung zu geben. Ich bitte, darüber doch mit nachzudenken, weil das auch ein Stück zusätzlicher Glaubwürdigkeit bedeutet, weil es bedeutet, daß wir über den Rahmen des für uns sonst Selbstverständlichen hinausgehen wollen.
Ein weiterer Punkt, der mir an dem Zwischenbericht besonders auffällt, ist die Frage nach der Glaubwürdigkeit in der Politik. Hier ist schon auf die Umfrage, die in Nordrhein-Westfalen durchgeführt worden ist, hingewiesen worden; ich will dies nicht wiederholen. Aber das macht deutlich, wie notwendig es ist, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Der Glaube vieler Menschen an Engagement, Ehrlichkeit und guten Willen von Politikern, Parteien, Gewerkschaften und Justiz ist erschüttert; dies geht gerade aus Gesprächen mit Jugendlichen immer wieder hervor. Damit ist aber nicht nur der sachliche Inhalt gemeint, sondern auch der Stil der Parteien, innerhalb und außerhalb dieses Hauses miteinander umzugehen. Ich möchte doch einmal zitieren, was mein Kollege Eimer in der ersten Lesung dazu ausführte. Er sagte:
Wir Politiker werden Jugendliche aber nur dann ansprechen können, wenn wir Glaubwürdigkeit besitzen. Ich möchte uns deshalb bei dieser Gelegenheit selbst fragen, ob es richtig ist, daß wir zu Naturschützern nur Kernkraftgegner aus unseren Reihen schicken, zu Wehrdienstverweigerern keine Verteidigungspolitiker, zu Sozialverbänden keine Finanzpolitiker, zu Gewerkschaften keine Wirtschaftspolitiker. Gerade Jugendlichen gegenüber müssen wir deutlich machen,



Mischnick
daß ein Politiker nicht die Aufgabe hat, Populäres zu sagen, sondern Notwendiges populär zu machen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was hier vor einem Jahr gesagt wurde, hat heute noch Gültigkeit. Das Protokoll verzeichnet, daß damals Beifall von allen Seiten kam.
Herr Ministerpräsident Vogel hat wieder auf Ähnliches aufmerksam gemacht. Wenn wir selbstkritisch genug sind, müssen wir zugeben, daß die Bereitschaft, sich so zu verhalten, in den letzten Jahren nicht durchgängig größer geworden ist. Wir müssen also immer wieder selber überprüfen, ob wir das, was wir gemeinsam für richtig halten, auch in der Praxis anwenden.

(Wissmann [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

An diese Aufforderung, Notwendiges populär zu machen, sind natürlich eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft. Wir sollten alle gemeinsam folgendes deutlich machen:
Erstens. Die von uns in dieser Debatte behandelten Fragen werden, wie sich gezeigt hat, bei uns im wesentlichen gleichermaßen gesehen. Das gilt auch für weite Bereiche nationaler und internationaler Probleme. Warum scheuen wir uns dann, wenn wir es gleich sehen, oft, dies auch gemeinsam zu vertreten? Dies wird von jungen Menschen nicht verstanden.
Zweitens. Der Wille zum Helfen, der Wille zum Frieden, der Wille zum redlichen Bemühen um gerechte Problemlösungen darf niemandem abgesprochen werden. Wenn dieser Eindruck entsteht, kommt sofort das Gefühl, daß die Politiker, wenn sie sich den redlichen Willen nicht einmal gegenseitig bestätigen, den redlichen Willen erst recht bei jungen Menschen nicht anerkennen. Auch dies ist gemeinsam zu sehen.

(Beifall bei der FDP)

Natürlich will ich damit nicht wegwischen, welche unterschiedlichen Meinungen und Vorstellungen in den Parteien vorhanden sind. Sie müssen vorhanden sein. Das beruht, wie Kollege Eimer schon gesagt hat, auf den unterschiedlichen Wertvorstellungen, die den Parteiprogrammen zugrunde liegen, und auf den unterschiedlichen Menschenbildern, an denen diese Politik ausgerichtet ist. Das müssen wir deutlich machen. Aber dabei muß immer auch sichtbar werden, daß der Mensch, der hinter dieser Meinung steht, über der Sachauseinandersetzung nicht herabgesetzt wird, sondern daß der Mensch, der eine andere Meinung hat, genauso geachtet wird, wie ich mich bei meiner eigenen Meinung geachtet wissen will. Auch dies ist für viele junge Menschen ein wichtiger Bestandteil der Glaubwürdigkeit.

(Beifall bei der FDP, der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen auch Irrtümer eingestehen können, die wir gemeinsam begangen haben. Nicht derjenige ist schwach, der sich irrt, sondern derjenige, der den Irrtum, der seine Fehler nicht zuzugeben vermag.
Vorhin war in einer Zwischenfrage so ein Punkt, bei dem das Gefühl entstand, daß bei der Beseitigung eines Fehlers, der im Zuge des Vermittlungsverfahrens begangen worden ist, mehr Ursachenforschung betrieben als das Ziel verfolgt worden ist, eine viel bessere Lösung zu finden.
Wir brauchen Glaubwürdigkeit, wenn wir einander zuhören, wenn wir aufeinander hören und bereit sind, die eigene Position zu überprüfen. Wenn man Glaubwürdigkeit erlangen will, erfordert das natürlich Zeit und ein Bemühen beider Seiten. Ist es nicht oft so — diesen Vorwurf müssen wir uns alle machen —, daß die Reaktion auf eine Gegenmeinung sehr schnell geschieht, bevor überhaupt der Gedankengang, der dahintersteht, nachvollzogen werden kann und damit eine ungerechte Wertung eines Urteils einer anderen politischen Seite erfolgt? Auch hier sollten wir uns bemühen, den Effekt der schnellen Reaktion im Hinblick auf die Notwendigkeit der gerechten Beurteilung zu überprüfen. Das gilt selbstverständlich für den Politiker, der die Glaubwürdigkeit für sich in Anspruch nimmt, ebenso wie für den Bürger, der Glaubwürdigkeit in der Politik erwarten kann.
Natürlich wissen wir, daß dabei die politische Bildung, die Medien und alles, was dazugehört, eine wichtige Rolle spielen. Aber ich möchte auch hier noch einmal deutlich machen, was vorhin in anderer Weise zum Ausdruck gebracht wurde. Viele junge Menschen in der Bundesrepublik Deutschland sprechen davon, daß es ihnen persönlich durchaus gutgeht. Aber wenn man sie fragt, wie sie die allgemeine Entwicklung sehen, dann bringen sie zum Ausdruck: Ja, die ist sehr, sehr negativ.
Hier eine Mahnung an unsere Medien, an unsere Publizisten: Neigt nicht die ganze Publizistik dazu, das Negative durch Schlagzeilen ganz weit herauszustellen, aber das Positive, das in diesem Land geschieht, kaum zu berücksichtigen und oft unter den Tisch fallen zu lassen?!

(Beifall bei allen Fraktionen)

Dies kann für unsere gemeinsamen demokratischen Wertvorstellungen nicht gut sein. Wenn ich will, daß das, was aus politischer Überzeugung geschieht, was mit Mehrheit entschieden wird, was oft durch sehr komplizierte Entscheidungsvorgänge zu einer Entscheidung gebracht wird, akzeptiert wird, dann ist es natürlich notwendig, daß man sich selbst ein Urteil bilden kann. Wenn ich das so ausdrücken darf: Die Akzeptanz des Willens der Mehrheit setzt Transparenz der Entscheidungswege voraus, oder, einfacher ausgedrückt, wenn ich will, daß das, was eine Mehrheit entschieden hat, auch begriffen wird, muß ich deutlich machen, warum es zu dieser Entscheidung gekommen ist. Und gerade daran mangelt es oft bei uns. Ich denke nur daran, wie wir uns selbst hier über Vermittlungsausschußergebnisse unterhalten haben. Manches davon war schon für viele Kollegen des Hauses schwer verständlich; erst recht muß das dann für die Bevölkerung gelten. Wenn wir die Akzeptanz, die Bereitschaft, Entscheidungen hinzunehmen, sie mitzutragen, haben wollen, muß sicht-



Mischnick
barer werden, warum man zu diesen Entscheidungen gekommen ist.
Gefreut haben mich manche positiven Bewertungen in dieser Enquete. Viele Formen friedlichen Protestes sieht die Kommission als — ich zitiere wörtlich — „Ergebnis einer im demokratischen Sinne gelungenen Sozialisation" an. Dies ist ein Appell an uns alle, auf Meinungsäußerungen dieser Art frühzeitig zu hören und nicht erst dann zu reagieren, wenn, wie es hier schon gesagt worden ist, Steine fliegen. Protest ernst nehmen und in die politische Arbeit mit aufnehmen heißt aber nicht, sich etwa als Politiker jeweils dem stärksten Druck zu beugen. Dies wäre völlig falsch. Es heißt aber auf jeden Fall, nicht in jedem Protest von vornherein etwas Staatsgefährdendes zu sehen, sondern sich mit dem Protest in der Sache auseinanderzusetzen.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch noch darauf hinweisen, daß viele dieser Proteste, die man Jugendlichen zuordnet, gar nicht nur von Jugendlichen kommen, sondern auch von vielen älteren Jahrgängen mitgetragen werden. Ich begrüße deshalb die klare Aussage des Zwischenberichts zum staatlichen Gewaltmonopol. Ich möchte sie hier nicht voll zitieren. Diese Aussage findet meine volle Unterstützung. Daß dem Staat ein Gewaltmonopol zusteht, ist ein Grundsatz der demokratischen liberalen Rechts-staatsidee. An diesem Postulat darf nach meiner Überzeugung, nach unserer Überzeugung nicht gerüttelt werden. Wer zuläßt, daß vom Gewaltverbot für jeden anderen außerhalb des Staates abgewichen wird, der würde sich selbst schuldig machen und uns auf den gesellschaftlichen Zustand der Steinzeit zurückführen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hier darf und kann es keine Kompromisse, kein Relativieren, keine Einschränkungen geben. Wo die Gewalt anfängt, da hört die Politik auf. Das gilt aber auch unerbittlich für beide Seiten. Das Gewaltmonopol des Staates stellt aber auch denjenigen keinen Freibrief aus, die im Auftrag anderer oder für den Staat, für die Macht im Staat Gewalt ausüben. Beides müssen wir hier sehen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Der Einsatz der Gewalt ist immer das letzte Mittel. Wir müssen natürlich auch die Frage stellen: Ist das nicht auch ein Eingeständnis einer politischen Niederlage? Dies heißt: Wenn man staatliche Gewaltmittel einsetzen muß — es gibt solche Situationen —, muß sich der Politiker gleichzeitig die Frage stellen, was vorher möglicherweise hätte anders gemacht werden können, damit es nicht zu diesem Einsatz kommt.

(Beifall bei der FDP, der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir führen diese Gewaltdiskussion in unserem Lande nicht zum erstenmal. Die unruhige Studentengeneration der späten 60er Jahre hat das schon einmal getan. Wenn ich es richtig sehe, ist j a die APO von damals über dieser Frage „Gewalt, Gewaltanwendung, in welcher Form auch immer: ja oder nein?" in sich zusammengefallen.
Ein sehr weitgefaßter Gewaltbegriff hatte seinerzeit zu der These von der einer modernen Industriegesellschaft innewohnenden strukturellen Gewalt geführt. Damit war gemeint, daß die ungerechte, jedenfalls ungleiche Verteilung von Macht und Einfluß in unserer Gesellschaft dazu führe, daß einzelne Gruppen oder Personen anderen ihren Willen aufzwingen, sie zu einem bestimmten Verhalten veranlassen können. Dies sei in letzter Konsequenz nichts anders als Gewalt. Selbst wenn man dieser Analyse folgt, so muß man aber dennoch nicht den manchmal daraus abgeleiteten Thesen folgen. Eine Ungenauigkeit der Sprache macht den gedanklichen Kurzschluß leicht. Da wird die blutige Gewalttat mit dem Recht und der Fähigkeit, etwas bewirken zu können, gleichgestellt. Dies kann man als Demokrat, als Liberaler mit Sicherheit nicht unterstützen.
Um unserer Glaubwürdigkeit als Politiker willen können wir das Problem, daß der Staat Gewalt einsetzen muß, nicht von seinem Ende her diskutieren. Das Ende sind Barrikaden, Polizeiknüppel und Steinwürfe. Wie fing es aber an? Wie kommt es dazu? Sich damit auseinanderzusetzen, scheint mir immer ertragreicher zu sein, als das negative Ergebnis zum Gegenstand der Auseinandersetzung zu machen. Es kommt oft dazu, weil wir es manchmal für ausreichend halten, wenn den formalen Anforderungen des Rechtsstaates und der Demokratie Genüge getan ist. Was aber soll der Bürger von einer formal korrekt zustande gekommenen Entscheidung halten, wenn er innerhalb der bestehenden Systeme keine echte Möglichkeit sieht — ob zu Recht oder zu Unrecht, will ich dahingestellt sein lassen —, diese Entscheidung in seinem Sinne zu beeinflussen? Was helfen ihm selbst Wahlrecht und Parteimitgliedschaft, wenn keine Partei seine Bedürfnisse aufgreift? Formal korrekte Prozeduren sind notwendig, aber für sich allein genommen noch keine hinreichende Bedingung dafür, daß die Bürger die so zustande gekommenen Entscheidungen auch akzeptieren. Hier ist eine Reihe von Punkten angesprochen, die wir mit aller Ruhe und Nüchternheit weiter behandeln müssen.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch ein paar weitere Bemerkungen machen. Ich bitte notfalls um Verlängerung meiner Redezeit um drei Minuten. Es geht natürlich auch — lassen Sie mich das ebenfalls sagen — um die beinahe schon professionell gewalttätigen Gruppen, die im Schutz großer Demonstrationen ihr Unwesen treiben. Dies sind für mich Kriminelle, und sie müssen so behandelt werden. Sie schaden denen, die Protest aus innerer Überzeugung leisten. Es ist aber auch notwendig, daß diejenigen, die Protest aus ihrer Überzeugung leisten, sich von diesen Kriminellen distanzieren.
Es geht aber vor allem um Minderheiten, die sich nicht verstanden fühlen, die Schwierigkeiten haben, notwendige Entscheidungen auch einzusehen. Der Lösungsteil zeigt diesbezüglich, insbesondere bei den Themenbereichen Hausbesetzerfragen, Amnestie, Bürgerbeteiligung, wie ich meine, positive Ansätze. Sie gilt es weiterzuführen. Ich bitte die Damen



Mischnick
und Herren der Enquete-Kommission, dies weiterhin so gründlich und so konstruktiv zu tun, wie dies bisher geschehen ist.
Zur Förderung alternativer Projekte, zur Dezentralisierung der Gesellschaft und zur Problematik der sogenannten kleinen Einheiten möchte ich nur noch folgendes sagen. Wenn es das Ziel der Politik ist, für junge Menschen dazusein, sie zu überzeugen, dabei zu helfen, Angst zu überwinden, Vertrauen, Motivation und Engagement zu fördern und genügend Freiraum für sie zu schaffen, so ist es notwendig, daß wir das Vertrauen der Jugend selbst gewinnen. Natürlich, Jugendliche brauchen mehr Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten, nicht schärfere Vorschriften und Gängelung.
Es darf auch nicht darum gehen, daß wir uns einbilden, keimfreie Lösungen anbieten zu können, sondern die Bereitschaft zur eigenen Leistung, zu Eigeninitiative und zu Eigenverantwortung muß gefördert werden. Hier verweise ich nur darauf — wie es schon in einem Beitrag geschehen ist —, daß wir breite Räume der Jugendpolitik haben, wo dieses Engagement, diese Leistungsbereitschaft, diese Einsatzbereitschaft vorhanden sind und manchmal mit wirklich ganz geringen Mitteln sehr viel erreicht werden kann, was uns davor bewahren würde, später viel mehr Mittel einsetzen zu müssen, um von dem, was an negativen Erscheinungen entstanden ist, wieder freizukommen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, zum Abschluß möchte ich dem Vorsitzenden der Kommission, dem Kollegen Wissmann, ausdrücklich dafür danken, daß er sich in seiner Partei seit langem dafür einsetzt, in der Frage der Wehrdienstverweigerung zu einem kompromißfähigen Lösungsvorschlag zu kommen. Ich wünsche ihm dabei sehr viel Erfolg. Wir haben hier schon gesehen, daß dies kein leichtes Unterfangen ist. Ich kann nur hoffen, daß nicht der Streit um die Frage „Sind da 10 000 oder 20 000 Plätze mehr oder weniger vorhanden?" die Notwendigkeit der Entscheidung überschattet. Wenn wir nicht fähig wären, diese 10 000 oder 20 000 Plätze zustande zu bringen, dann hätten wir unsere Aufgabe als Politiker verfehlt.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Es geht um die Lösung und nicht um eine Ausrede, weshalb man vielleicht diese Lösung nicht findet.
Wie unterschiedlich in der Öffentlichkeit die Beurteilung ist, mögen Sie daran sehen, daß die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" am 10. Mai schrieb, einen unwichtigen Abschnitt des Berichtes, nämlich die Frage der Kriegsdienstverweigerer, habe man in den Vordergrund gestellt. Wie wenig Ahnung haben diejenigen, die so etwas schreiben, davon, wie wichtig dieser Punkt für die junge Generation ist. Es ist nicht der einzige wichtige Punkt, aber es ist ein gewichtiger Punkt im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit dieses Parlamentes.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Wir wissen: Das Gewissen ist nicht überprüfbar. Und das Fehlen einer Regelung verhindert, daß in unserem Lande in diesem Bereich Gerechtigkeit geübt werden kann. Dies ist eben auch ein wichtiges Stück unserer eigenen politischen Glaubwürdigkeit. Beweisen wir doch gerade an diesem Punkte, daß wir gemeinsam nicht nur zur Analyse fähig sind, sondern daß wir auch fähig sind, das gemeinsam als richtig Erkannte ohne Rücksicht darauf, ob der eine oder der andere etwas mehr über die eigenen Hürden springen muß, in Lösungen umzusetzen! Denn die Lösung wollen die Jugendlichen und nicht nur die Analyse. — Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910404500
Das Wort hat Frau Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.

Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID0910404600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt den Zwischenbericht der Enquete-Kommission. Ich darf mich sehr herzlich bei den Abgeordneten des Bundestages bedanken, die sich an dieser schwierigen Arbeit beteiligt haben.
Die Bundesregierung sieht auch zum großen Teil die Analyse bestätigt, die das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit vor einem halben Jahr vorgelegt hat.
Ich glaube, es ist wichtig, daß Abgeordnete aus allen Fraktionen des deutschen Bundestages zusammen mit den Sachverständigen zu einer weitgehend gemeinsamen Haltung gegenüber dem aktuellen Protest der Jugend gefunden und sich auf erste Schlußfolgerungen geeinigt haben.
Das Ergebnis des Zwischenberichts macht auch das Gespräch mit den jungen Leuten selbst leichter. Wir sollten daher darum kämpfen, daß wir in der zukünftigen Debatte die Gemeinsamkeiten dieses Zwischenberichts erhalten können. Es wird dabei sehr darauf ankommen, wie wir miteinander die Probleme behandeln.
Wenn wir den tiefgreifenden Veränderungen in vielen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens und den internationalen Bedingungen, die darauf Einfluß haben, gerecht werden wollen, sind Neuorientierungen in verschiedenen Politikfeldern erforderlich, nicht nur auf dem jugendpolitischen Feld im engeren Sinne. Wir können uns also nicht mit besorgtem Gesicht über den Patienten Jugend beugen, eine Therapie entwickeln und uns als Politiker, als Erwachsene dabei außen vor lassen. Der Protest der jungen Leute ist an vielen Stellen eher eine gesunde Abwehrreaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen, auf soziale Risiken oder Unverträglichkeiten von bisher aufgebautem oder weiter Geplantem. Die Kommission schreibt j a auch zu Recht, daß sie viele Formen friedlichen Engagements als Ergebnis einer im demokratischen Sinne gelungenen Sozialisation begreift.
Aber gerade weil der vorgelegte Zwischenbericht so bedeutsam ist, möchte ich davor warnen, sich die Sache zu leicht zu machen. Keiner sollte glauben, man befasse sich nur mit einer kleinen Minderheit



Bundesminister Frau Fuchs
der Jugendlichen, während doch die große Mehrheit von den angeschnittenen Problemen nicht betroffen sei. Ich glaube, dies wäre ein großer Irrtum. Die zentralen Themen des Jugendprotests beschäftigen große Mehrheiten der jungen Generation, auch wenn diese selbst nicht aktiv in der Protestszene in Erscheinung treten.
Es wird oft auch zu Unrecht der Versuch gemacht, Erziehung und Bildung in Schule und Familie für den aufgebrochenen Protest verantwortlich zu machen. Hinter diesem Versuch steht eine eindeutige Absicht: Man will einfach die jungen Leute Mores lehren. Wer aber glaubt, der Protest sei nichts anderes als schlechte Kinderstube, und wer mit Pädagogik statt mit Politik antworten will, der hat die Jugend und die gestellten Fragen nicht recht begriffen.

(Beifall bei der SPD)

Erziehung und Bildung haben in der Demokratie auch die Kritik der politischen Herrschaft zu ermöglichen und dienen nicht deren Bequemlichkeit. Politischen Protest und politische Kritik für Ungezogenheit zu halten, ist daher wenig demokratisch. Die Konsequenz kann deshalb für uns nur lauten, den Protest ernstzunehmen und politisch aufzugreifen.
Ein Blick auf die Inhalte macht klar, daß durch den Protest wichtige politische Ziele und Überzeugungen angesprochen werden. Es gibt doch, wenn ich es richtig sehe, kein fertiges Konzept, das — angefangen beim Städtebau und Wohnraum über Fragen der Abrüstung und der Schaffung neuer Arbeitsplätze und Ausbildungsstellen bis zu Fragen der Jugendförderung — eine Behebung der Ursachen des Protests verspricht. Dafür sind die Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft bei uns und in der übrigen Welt zu tiefgreifend.
Zum Beispiel kann noch keiner absehen, wie die neuen Technologien unser aller Leben verändern werden, ob und wie sie sozial verkraftbar sein werden. Dies, meine Damen und Herren, ist doch einer der Punkte, auf die uns die jungen Menschen stoßen wollen: daß die Gewinn- und Verlust-Rechnungen breiter angelegt werden müssen, daß die Folgen für unser soziales Zusammenleben, für die Familien, für die Natur und nicht zuletzt für die Völker, die den Globus mit uns bewohnen, mit einbezogen werden müssen. „Soziale Marktwirtschaft" könnte so etwas schon heißen, wenn man das Adjektiv „sozial" dabei stärker berücksichtigen würde.
Ich glaube, uns Politiker trifft hier eine besondere Verantwortung. Wir sollten nicht ängstlich auf die kritischen Diskussionen der Jugend reagieren, sondern den Mut haben, uns den Themen zu stellen. Wir haben auch die Pflicht, geduldig zu erläutern, warum Entwicklungen so und nicht anders verlaufen sind, wer dafür Verantwortung trägt und wie Entscheidungen zustande gekommen sind.
Es ist beispielsweise eine wiederkehrende Argumentation, Verplanung und Bürokratisierung als Folge eines spezifischen Politik- und Staatsverständnisses darzustellen. Auch dies ist, so meine ich, eine unzulässige Verkürzung: Ein Mehr an Effizienz,
an Arbeitsteilung, an Rationalisierung, an Technologie, an Steuerungstechnik, an Programmierung, an Personalführung, an all dem, was bisher als Gebot von Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit angesehen wurde, hat einen wachsenden Dienstleistungsbereich, hat mehr Bürokratisierung, Planung und Expertenherrschaft hervorgerufen.
Wir dürfen jedoch auch nicht die Illusion nähren, als könnten wir uns aus der industriellen Gesellschaft verabschieden und bei der Gestaltung unserer Zukunft auf neue Technologien verzichten. Es geht vielmehr um die menschliche Gestaltung der hochtechnisierten Welt, und dabei können wir viele Anregungen aus der jungen Generation aufgreifen.
Wir müssen auch den Mut haben, z. B. über Solidarität und soziale Gerechtigkeit zu sprechen, und müssen dann auch den Mut haben, unsere großen Solidargemeinschaften gegen die Vorwürfe der Entmündigung zu verteidigen. Wir müssen deutlich machen, daß sie den Menschen in unserer Gesellschaft ein Maß an sozialer Sicherheit gebracht haben, das wohl niemand wieder aufgeben will. Mit den Nachteilen großer Institutionen müssen wir und können wir fertig werden; auch erstarrte Strukturen können wir aufweichen und damit einen gemeinsamen Weg suchen.
Neben diesem notwendigen und ehrlichen Dialog mit den jungen Leuten, den wir aber nicht verzagt und mutlos führen sollten, geht es um konkrete Punkte, die hier heute morgen auch schon angesprochen worden sind. Ich glaube, wer nach Großbritannien schaut, sieht, daß die Ereignisse des letzten Sommers einen Eindruck von der Hoffnungslosigkeit, Verbitterung und Gewalttätigkeit geben, die die Arbeitslosigkeit bei den betroffenen Jugendlichen hervorrufen kann. Wir in der Bundesrepublik Deutschland müssen diese Situation dann, wenn wir uns anstrengen, nicht durchleiden. Wir haben nämlich eine Chance, genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, wenn es eine Anstrengung aller gesellschaftlichen Kräfte gibt.

(Zustimmung bei der SPD)

Deswegen bin ich auch froh, daß z. B. in der Gemeinschaftsinitiative 400 Millionen DM weiter zur Verfügung gestellt wurden zum beschleunigten Ausbau überbetrieblicher Ausbildungsstätten, für die Ausbildung benachteiligter Jugendlicher sowie für bildungs- und ausbildungsbegleitende Hilfen für arbeitslose Jugendliche.
Wir sollten hier die Anregung der Kommission aufgreifen und überlegen, wie die Zahl der Ausbildungsplätze in Unternehmen, auf die Bund, Länder und Gemeinden Einfluß haben, erhöht werden kann. Der öffentliche Dienst sollte mit gutem Beispiel vorangehen.
Es ist in diesem Zusammenhang auch wieder darauf hinzuweisen, daß Jungen und Mädchen eine berufliche Ausbildung erhalten und nicht mühsam erkämpfte berufliche und soziale Chancen von Mädchen wieder verlorengehen. Ich appelliere daher auch von dieser Stelle aus an Sie, alles in Ihren Kräften Stehende zu tun, um auf Betriebe einzuwirken,



Bundesminister Frau Fuchs
damit bestehende Ausbildungskapazitäten voll ausgeschöpft werden können.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich freue mich, daß sich die Abgeordneten in der Frage der Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung auf eine gemeinsame Haltung einigen können. Es wäre sehr reizvoll, auf die kontroverse Diskussion innerhalb der CDU/CSU-Fraktion einzugehen. Ich will dies nicht tun, sondern will mich dem Appell von Herrn Mischnick anschließen und Herrn Wissmann guten Erfolg wünschen bei seiner Arbeit bei seinen eigenen politischen Freunden.

(Wissmann [CDU/CSU]: Nicht nur dort! — Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Im Stil von Ehmke! Das ist keine Hilfe!)

Wir wollen helfen, soweit es irgend geht.
Ich glaube, ein Ergebnis dieser Jugendkommission muß sein, daß wir das Zivildienstrecht relativ schnell und konkret ändern.

(Beifall bei der SPD)

Die Jugendlichen haben einen Anspruch darauf, endlich zu wissen, wie die rechtliche Situation ist.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910404700
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID0910404800
Darf ich Sie fragen, Frau Minister, ob Sie wie Ihre Vorgängerin der Meinung sind, daß ein Gesetzentwurf aus Ihrem Ministerium in der Frage der Neugestaltung des zivilen Ersatzdienstes nicht notwendig ist?

Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID0910404900
Diese Auffassung hat meine Vorgängerin nicht gehabt. Wir sind dabei — mit den Fraktionen zusammen —, nunmehr das Zivildienstrecht neu zu regeln, und ich appelliere an alle Abgeordneten dieses Hauses, daß wir endlich zu einer rechtlichen Regelung kommen.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind es den jungen Leuten schuldig, endlich weiterzukommen. Wir müssen die Gewissensprüfung abschaffen und müssen wissen, welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus ergeben.
Ich will ein paar Bemerkungen zu den Stellen machen. Wir haben heute 52 000 Plätze. Davon sind 32 000 besetzt. Wenn man dazu die 80 000 ins Verhältnis setzt, die hier im Spiel waren, sieht man schon, daß auch dieses Problem in relativ kurzer Zeit gelöst werden kann.

(Sauter [Ichenhausen] [CDU/CSU]: Wie denn?)

Deswegen sage ich noch einmal mit Nachdruck: Tun Sie doch nicht so, als sei wegen der fehlenden Plätze eine rechtliche Änderung nicht nötig! Wir müssen zuerst die rechtliche Änderung haben, dann haben wir auch die Chance, miteinander in dieser Frage weiter voranzukommen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich habe die herzliche Bitte, die gesellschaftspolitische und politische Bedeutung dieses Themas zu begreifen und weiterhin wirklich den Versuch zu unternehmen, sich aufeinander zu zu bewegen, damit wir vorankommen in dieser Frage.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910405000
Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sauter?

Alfred Sauter (CSU):
Rede ID: ID0910405100
Frau Minister, stimmen Sie mit mir überein, daß wir unabhängig von der rechtlichen Änderung auf Grund der Verfahren, die jetzt nicht entschieden sind, mehr Plätze brauchen, und warum schaffen Sie diese Plätze nicht?

Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID0910405200
Herr Abgeordneter Sauter, Sie drücken sich wieder um die politische Frage,

(Beifall bei der SPD und der FDP)

nämlich um die Frage: Wann kriegen wir ein neues Zivildienstrecht,

(Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Und Sie drücken sich um die Antwort, Frau Minister!)

damit wir in dieser Frage in der jugendpolitischen Diskussion bestehen können? Wir müssen Plätze zur Verfügung stellen, müssen dafür sorgen, daß die Zivildienstleistenden auch einen Platz haben. Das ist in Ordnung.
Aber wenn Sie mich nun fragen, muß ich Ihnen doch sagen: Ich bin bedrückt darüber, wie leichtfertig Sie über den Einsatz der Zivildienstleistenden in unserem Lande reden. Die ganze soziale Infrastruktur in der Altenpflege, in der sozialen Pflege, in der Jugendpflege ist doch aufgebaut worden mit der aktiven Mitarbeit der Zivildienstleistenden. Sie sollten endlich davon abkommen, so zu tun, als ob die alle Flöte spielen und telefonieren.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910405300
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Matthäus-Maier?

Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID0910405400
Bitte sehr.

Ingrid Matthäus-Maier (SPD):
Rede ID: ID0910405500
Frau Kollegin, könnten Sie, da natürlich dem Nichtfachmann schon der Unterschied zwischen 80 000 im Verfahren Befindlichen und „nur" 20 000 freien Plätzen auffällt, darauf hinweisen, daß selbst dann, wenn nach einer möglichen Regelung alle diese 80 000 einen Platz haben müßten, selbstverständlich nicht alle auf einmal einen Zivildienstplatz bräuchten? Man würde selbstverständlich die Älteren vorziehen und dann die nächsten nachziehen. Es kommt also nur darauf an, den Stau zu überwinden. Könnten Sie darauf aufmerksam machen, damit diese Milchmädchenrechnung von Herrn Sauter endlich ein Ende findet?

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID0910405600
Frau Abgeordnete, ich will das gerne aufgreifen. Ich habe es anzudeuten versucht, indem ich sagte: Wenn wir wissen, daß wir auch



Bundesminister Frau Fuchs
heute 20 000 offene Stellen haben, dann ergibt sich daraus, daß wir dieses Problem in relativ kurzer Zeit lösen können, wenn wir das alles ein bißchen hinziehen. Wir sind dabei, auch die Anerkennungsverfahren so zu gestalten, daß der Stau abgebaut wird. Aber ich weiß gar nicht, warum Sie sich so darüber aufregen. Es geht doch in dieser Diskussion vornehmlich darum, daß wir Herrn Wissmann ermuntern, die Frage des Zivildienstrechts weiter in seiner Fraktion zu betreiben.

(Breuer [CDU/CSU]: Gehen Sie doch in Ihre eigene Fraktion!)

Wir wollen ihm dabei helfen. Für die jugendpolitische Diskussion kommt es darauf an, daß wir endlich zu einer Regelung kommen.

(Beifall bei der SPD)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910405700
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wissmann?

Matthias Wissmann (CDU):
Rede ID: ID0910405800
Frau Bundesminister, ich möchte keine polemische Frage stellen, ich möchte nur fragen, ob Sie nicht bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Vorschlag der Kommission zwei Bestandteile hat, nämlich den Vorschlag der Abschaffung der Gewissensprüfung unter Verlängerung der Zivildienstzeit, und den Hinweis darauf, daß dazu gegebenenfalls auch zusätzliche Zivildienstplätze zu schaffen seien, und sind Sie bereit, sich mit mir darüber zu einigen, daß wir auf beiden Feldern etwas tun wollen und tun müssen, wenn wir eine Lösung herbeiführen wollen?

Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID0910405900
Herr Abgeordneter Wissmann, ich stimme Ihnen völlig zu, ich möchte nur verhindern, daß man sagt: Erst machen wir das eine, und dann machen wir das andere; wir wollen beide Elemente aus dem Zwischenbericht aufgreifen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich habe leider keine Zeit mehr, sonst würde ich weiter ausführen, daß wir die Absicht haben, beide Elemente gleichzeitig aufzugreifen.

(Werner [CDU/CSU]: Das klang vorher ganz anders! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Warum haben Sie das nicht gleich gesagt, Frau Minister!)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910406000
Verzeihen Sie, Frau Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sauter (Ichenhausen)?

Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID0910406100
Ich bitte um Nachsicht, aber ich möchte zum Schluß kommen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910406200
Es steht in Ihrem Ermessen, Zwischenfragen zuzulassen.

Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID0910406300
Ich möchte zum Schluß kommen, um meine Zeit nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen. Ich will noch zwei Sätze sagen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Wenn Sie mich provozieren, muß ich doch zu diesem zentralen Punkt des Zwischenberichts auch die Auffassung der Bundesregierung darstellen.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, es ist wichtig, daß wir hier die Gemeinsamkeit herausstellen und zu sagen versuchen, Herr Wissmann: Wir wollen beide Elemente sorgfältig betrachten. Das eine können wir ins Gesetz schreiben; bezüglich des anderen Elements müssen wir mit einem Plan aufwarten. Wenn Sie diesen Plan von mir erwarten, dann lege ich diesen Plan vor. Aber ich sage noch einmal: Ich hoffe, daß es gelingt, in den nächsten Wochen zu einer gemeinsamen Beratungsgrundlage für dieses wichtige Thema zu kommen, denn sonst könnten wir uns eigentlich die ganze Jugenddiskussion ersparen. Wir sind dann nämlich in dieser Diskussion nicht glaubwürdig.

(Frau Dr. Wex [CDU/CSU]: Wieso denn das?)

— „Wieso denn das"? — Frau Wex, haben Sie denn immer noch nicht begriffen, daß es darauf ankommt, den jungen Leuten nunmehr endlich zu sagen, was ihre Rechte und Pflichten als Zivildienstleistende sind? Wir haben ihnen versprochen, daß wir die Gewissensprüfung abschaffen, und wir stehen bei ihnen im Wort, dies nun auch gesetzgeberisch umzusetzen.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Sie sind die Regierung! Sie haben die Mehrheit! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Ich gehe noch ganz kurz auf die Frage der Jugendarbeit ein. Es sind eine Reihe neuer Elemente der Jugendarbeit in der Enquete-Kommission aufgearbeitet worden. Ich will nur ein Wort zu Initiativ- und Selbsthilfegruppen sagen.
Ich meine, wer heute die Jugendarbeit vernachlässigt, der zahlt morgen teuer an kompensatiorischen Programmen, an Ausfall von Steuern und Sozialleistungen, an Ausfall von Zustimmung zu Staat und Gesellschaft, an Verlust von Lebensfreude. Ich nenne ein Zweites: Wenn ein Jugendhaus heute schließen muß, öffnet dafür morgen wahrscheinlich eine Spielhalle oder Disco. Kommerzielle Freizeitangebote werden sich da breit machen, die Marktlücke füllen, wo pädagogisch verantwortliche Arbeit aufgegeben werden mußte. Ich meine, dem sollten wir uns widersetzen.
Wenn man den Bericht noch einmal durchsieht, und wenn man auch hinzufügt, was an sonstigen Untersuchungen vorliegt, dann stellt man fest, daß nicht die Institutionen dieses Staates in Frage stehen, denn die Jugend bekennt sich j a zu den Grundlagen der demokratischen Ordnung, zum Wert der Familie, zum Prinzip der Leistung.

(Beifall der Abg. Frau Dr. Wex [CDU/ CSU])




Bundsminister Frau Fuchs
Aber sie begegnet eben den gesellschaftlichen Institutionen und auch den Parteien und auch dem parlamentarischen Umgang, sehr verehrte Frau Abgeordnete, also der Praxis der rechtsstaatlichen und parlamentarischen Ordnung, kritisch. Deswegen müssen wir auch unser eigenes Verhalten überdenken. Wir müssen überlegen, wie problematisch zum Teil die Strukturen und Organisationsformen sind, und wir müssen auch sehen, wie Änderungen im System der politischen Willensbildung durchgesetzt werden können. Ich meine, dazu gehört, politische Verantwortung zu übernehmen und sich nicht hinter Sachzwängen und Organisationsstrukturen zu verstekken.

(Frau Dr. Wex [CDU/CSU]: Von wem reden Sie eigentlich?)

Aber es gehört auch dazu — damit komme ich zum Schluß — die geduldige Diskussion, damit wir dazu beitragen, daß aus der berechtigten Protesthandlung aktiver Einsatz für Politik wird. — Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0910406400
Das Wort hat Frau Abgeordnete Karwatzki.

Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID0910406500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Minister Fuchs, gerade zu dem Letzten — „geduldige Diskussion" — möchte ich für die Zukunft dann auch hier aufrufen, weil ich glaube, Sie haben dazu beigetragen, daß die Diskussion etwas hektisch wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich meine, bei der Behandlung dieses Themas sollten wir doch miteinander zu reden versuchen. Ich meine auch, Frau Minister Huber, daß es darauf ankommt — — Entschuldigung, die Frau Minister war noch nicht in unserem Ausschuß, ich hatte sie von daher noch nicht so nah kennenlernen können. Ich bitte um Nachsicht, Frau Minister Fuchs.

(Heiterkeit)

Ich bin der Meinung, daß es allerdings auch darauf ankommt — und dazu haben Sie nichts gesagt —, daß wir bei der Behandlung des Themas „Jugendproteste" insbesondere auch die Stärkung der Familie zu sehen haben. Die der Jugendverbände ist außerordentlich wichtig, aber die der Familie ist es mindestens genauso.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Minister Fuchs, Sie haben in Ihren ersten Wortbeiträgen gesagt, daß wir politisch handeln müssen. Aus meiner Position heraus möchte ich sagen: aber ohne Pädagogik bei der Behandlung dieses Themas geht es auch nicht. Ich glaube, es wurde in den früheren Jahren zuviel politisiert und zuwenig erzogen,

(Beifall bei der CDU/CSU)

und auch dadurch haben wir heute diese Situation.
Ich will zu zwei Bereichen Stellung nehmen, einmal zu den jungen Frauen in der Szene, und zum anderen will ich etwas Praktisches beitragen zur Lösung des Problems der Jugendarbeitslosigkeit.
Es ist auffällig und auch wiederholt bedauert worden, daß in den im Bundestag vertretenen Parteien prozentual nur sehr wenige Frauen in verantwortungsvollen Positionen tätig sind. Im Gegensatz dazu kann man feststellen, daß bei den Grünen und alternativen Parteien der Anteil Frauen weitaus beachtlicher ist. Es fällt auf — und dies muß uns nachdenklich stimmen —, daß viele junge Frauen und Mädchen bei den im Zwischenbericht genannten Formen des Jugendprotestes mitmachen. Gerade auch bei den sogenannten Sponti-Gruppen sind Frauen und Mädchen besonders aktiv tätig.
Was ist es eigentlich, was das Aussteigen für junge Frauen so attraktiv macht? Es mag sein — ich bin mir da nicht sicher —, daß ein übertriebener und manchmal falsch interpretierter Emanzipationsgedanke dazu beigetragen haben könnte. Muß es uns alle nicht sehr nachdenklich stimmen, wenn in vielen Gesprächen mit den jungen Leuten klar wurde — und dies wurde besonders von jungen Frauen artikuliert —, daß menschliche Nähe, Zuneigung und Geborgenheit oft nicht mehr erlebbar und nicht mehr erfahrbar werden. Die zahlreichen Mädchen und Frauen in der Protestszene klagen oft über die „Kälte" der Gesellschaft und berichten — und dies ist mir wichtig —, daß es in den alternativen Gruppen und Lebensformen anders zugehe. Auch der Zwischenbericht der Kommission bezeichnet dieses Gefühl der „kalten Gesellschaft" als „neuen Mangel", als einen — ich zitiere — „Mangel an Zuwendung, an persönlicher Geborgenheit sowie an sozialem und gefühlsmäßigem Angenommensein".
Wie aus den Berichten der jungen weiblichen Aussteiger zu entnehmen war, sind sie in der Szene unter anderem, so sagen sie, weil sie ihre Gefühle dort besser einbringen können. Ihre Gefühle sind dann nicht Hindernis tagtäglicher Handlungsabläufe, sondern bilden ihre Grundlage und sind Bestandteil. Sie sagen: weil man dort ernst und angenommen wird und weil man Führungsanspruch nicht nur anmelden darf, sondern führen und lenken kann.
Sosehr wir uns gegen eine verrechtlichte, ver-zweckte, verbürokratisierte Lebensordnung wenden, in der menschliche Werte wenig zählen, so sehr allerdings müssen wir andererseits vermeiden, daß jetzt ein anderes Extrem, nämlich das Ausleben aller spontanen Gefühle, in den Vordergrund tritt. Muß nicht vielmehr daraufhin erzogen werden, daß ein Gleichgewicht von Emotionalität und Rationalität im täglichen Leben die Grundlage bildet? Manchmal frage ich mich, ob ein Zuviel an Emotionalität, ein zu weit gehendes Aufgeben persönlicher Identität zugunsten einer Gruppenidentität nicht mehr zu einer Verunsicherung des Menschen beiträgt als zur Bewältigung von Problemen. Der junge Mensch beraubt sich vieler Möglichkeiten seiner individuellen Selbstverwirklichung, wenn er nicht gleichzeitig auch Erfahrungen mit der Verantwortungsübernahme macht. Eine Voraussetzung für Gruppenfähigkeit ist nun einmal die Übernahme persönlicher Verantwortung.



Frau Karwatzki
In einem Referat, das Frau Professor Noelle-Neumann im November im Rahmen des Bergedorfer Gesprächskreises hielt, ging es um den Begriff der Selbstbeherrschung. Sie führte aus, daß in den letzten Jahren und Jahrzehnten das Training der Selbstbeherrschung in Familie und Schule für junge Leute abgenommen hat. Wenn ein junger Mensch es nie gelernt hat, so Frau Noelle-Neumann, sich selbst zu beherrschen, dann kann er auch die. Anforderungen, die später an ihn gestellt werden, nicht erfüllen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ohne Selbstbeherrschung und durch die allgemein verbreitete Meinung, die Umwelt sei an allem schuld, fühlt er sich von der Umwelt total eingefangen und gleichzeitig ausgeliefert. Dies führt dann zur Wehleidigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich meine, darüber sollten wir alle sehr nachdenken.
Im übrigen ist in einer pluralistischen Gesellschaft ein konfliktfreies Leben ohnehin nicht denkbar. Sie lebt aus ihren Gegensätzen, und das ist gut. Aber bei der weiteren Behandlung in unserer Kommission muß gerade die Frage des Mittuns von jungen Frauen in der Szene noch weit differenzierter angegangen werden, als es bisher die Zeit erlaubte.
Lassen Sie mich zu einem zweiten Aspekt, dem der Jugendarbeitslosigkeit, folgendes sagen. Es ist eine Binsenweisheit, daß Arbeit nicht nur den täglichen Lebensunterhalt sichert, sondern auch zur Zufriedenheit des Arbeitenden und zu seiner Selbstverwirklichung beiträgt. Jugendlichen, die keine Lehrstelle finden, enthält man also nicht nur die Arbeit, sondern auch den Beruf vor. So meine ich, sollten wir das begrüßen, was wir uns in Berlin gemeinsam haben anschauen können, daß sich junge Leute zusammenfinden, um ihren eigenen Laden aufzumachen. Einige dieser Betriebe sichern ihren Mitarbeitern dadurch einen regelmäßigen Lebensunterhalt. Sie verschaffen gerade jungen Leuten Arbeitsplätze, die sie sonst nirgendwo finden könnten. Ich meine, wir sollten unsere Vorurteile gegen solche Experimente aufgeben.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Mir fällt auf, daß im Zusammenhang mit der Bewältigung von Jugendarbeitslosigkeit immer von Modeberufen gesprochen und den arbeitenden Jugendlichen oder den zur Arbeit bereiten Jugendlichen vorgeworfen wird, sie hätten einen zu engen Blickwinkel. Bei den Studenten fällt das Wort Modestudium sehr selten und höchstens in Verbindung mit Fächern wie Psychologie und Politologie. Den wahren Modestudenten, nämlich denjenigen, die Lehrer werden wollen, hat man erst in letzter Zeit zaghaft angedeutet, sie mögen doch auch andere Ausbildungsrichtungen in Erwägung ziehen. Absolventen von Real- und Hauptschulen müssen es als ungerecht empfinden, wenn den Privilegierten, also denen, die ohnehin schon eine lange Schulzeit bis zum Abitur hinter sich haben und die dann mehrere
Jahre studieren dürfen, weniger an Flexibilität zugemutet wird als ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will hier zwei konkrete Punkte benennen, die über die schon bekannten hinausgehen, wie man vielleicht Jugendarbeitslosigkeit bewältigen kann.
Einmal sind Betriebe zu finden, die modellhaft bereit wären, miteinander gemeinsam Ausbildungsmöglichkeiten anzubieten, damit die Kosten nicht einen einzelnen treffen, sondern auf mehrere verlagert werden könnten.

(Beifall bei der FDP)

Das Zweite: Ich finde es außerordentlich wichtig, gerade den benachteiligten Gruppen gezielte Hilfe zu geben. Ich denke hier insbesondere an die Lernbeeinträchtigten, nicht nur an die Lernbehinderten. Ich finde es von daher begrüßenswert — das muß man im Parlament auch einmal aussprechen —, daß im Ruhrgebiet gerade die Großunternehmen seit Jahren „soziales Engagement" betreiben. Sie haben spezielle Programme für Lernbeeinträchtigte eingeführt. Es ist keine Beleidigung, meine Damen und Herren, wenn dort von Jugendlichen gesprochen wird, „die ihre Intelligenz in den Händen haben". So bildet z. B. die Ruhrkohle AG in Essen neben Bergmechanikern auch Berg- und Maschinenmänner aus, die in einer nur zweijährigen Lehre in der Praxis unterwiesen werden und weniger Theorie erhalten müssen. Ich meine, jede Arbeit und jede Anregung, die aus der Großindustrie und aus der mittelständischen Wirtschaft kommt, sollten wir dankbar aufgreifen und durchführen.

(Wissmann [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ich möchte folgenden Vorschlag machen, der sich an uns richtet. Ich greife damit eine Initiative des christdemokratischen Europaparlamentariers Dr. Franz auf. Auf seine Veranlassung hin hat sich im August 1981 — daß ich dies hier sagen kann, ist mit Herrn Dr. Franz abgesprochen — eine überparteiliche Initiative zur Verminderung der Jugendarbeitslosigkeit in Mülheim/Ruhr gebildet. Die Mitglieder dieser Initiative, „Paten" genannt, haben in ausführlichen Einzelgesprächen versucht, Fähigkeiten, Sorgen und Wünsche der Jugendlichen kennenzulernen und gemeinsam mit dem Arbeitsamt — das ist wichtig — einen geeigneten Arbeitsplatz bzw. eine Lehrstelle zu finden. Sie helfen bei der Bewerbung und Vorstellung der Jugendlichen und stehen auch zur Verfügung, wenn es Probleme am Arbeitsplatz gibt. Die Initiative arbeitet übrigens in enger Abstimmung und in vollem Einverständnis mit dem Arbeitsamt.

(Frau Dr. Wex [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Ich will Ihnen den Erfolg dieser Initiative eines einzelnen Abgeordneten darstellen. Ich denke, das könnte auch für unser aller Handeln ein Maßstab sein. Der Erfolg der Mülheimer Initiative läßt sich mit Zahlen belegen. Von den 362 jugendlichen Arbeitslosen in Mülheim am 1. September 1981 waren nach fünf Monaten nur noch 59 arbeitslos, davon leider 33 türkische Jugendliche. Auf Grund der Stellenmeldungen von 106 Unternehmen, 16 Krankenhäu-



Frau Karwatzki
sern und sechs Altersheimen konnten Jugendliche in 63 Firmen und Institutionen untergebracht werden. Dabei war die Erwartungshaltung der Initiatoren eigentlich eine weit geringere.
Ich meine, so kann man als einzelner oder in kleinen unbürokratischen Gruppen schnell und wirksam etwas erreichen, worum sich die große Politik in ihrer Schwerfälligkeit — auch dies muß man hier bekennen — oftmals vergebens müht.

(Breuer [CDU/CSU]: Und das Arbeitsamt!)

Ich meine, wir sollten oft mehr handeln und weniger reden. Dann hätten wir auch Möglichkeiten, solche Erfolgssituationen hier bekanntzugeben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich ein kritisches Wort zur veröffentlichten Meinung sagen. Insbesondere die Medien, meine Damen und Herren, sind mitverantwortlich dafür, daß der Jugendprotest bereits eine Art normative Wirkung erhalten hat.

(Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Wo sind die Medien eigentlich heute?)

— Das weiß ich nicht, dafür bin ich nicht zuständig.
Jemand, der ein Haus besetzt, hat häufig sofort bundesweite Publizität. Mit ihm wird diskutiert, seine Ansichten werden zum Anlaß für tiefsinnige Betrachtungen über den Zustand der Bundesrepublik Deutschland genommen. Durch die öffentliche Darstellung haben radikal Protestierende oft Erfolg. Ihnen werden beispielsweise Nutzungsverträge für besetzte Häuser angeboten, und der Facharbeiter mit drei Kindern muß zusehen, wie er auf dem freien Wohnungsmarkt eine Wohnung findet.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

Es ist schon mehrmals gesagt worden, aber ich möchte es wiederholen: Die vielen hunderttausend Jugendlichen, die sich in der kirchlichen, gewerkschaftlichen, sportlichen Jugendarbeit und -initiativen engagieren, werden recht selten in den Medien erwähnt. Ich denke hier besonders an die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Vor allem aber verhindert die Hervorhebung der protestierenden Minderheit — das meine ich ehrlich — den Blick auf mögliche zukünftige Protestformationen. Gemeint sind die Jugendlichen der unteren Bildungs- und Sozialschichten, die heute zwar noch relativ zufrieden sind, aber angesichts drohender Arbeitslosigkeit diese Zufriedenheit nicht mehr länger „fortschreiben" können. Eine wachsende Arbeitslosigkeit könnte zu Unzufriedenheit auf ganz breiter Front führen und ein neues aggressives jugendliches Proletariat ohne Hoffnung und mit gesteigertem Haß gegen alles Etablierte erzeugen. Die Rebellion der arbeitslosen Jugendlichen in den britischen Industriestädten hat uns deutlich gezeigt, daß derartige Überlegungen nicht einer realistischen Grundlage entbehren. Ich möchte nicht, daß es hier dazu kommt.
Lassen Sie mich ein Letztes sagen. Zu den jungen Leuten, die ihren Unmut bisher noch nicht verstärkt in die Öffentlichkeit getragen haben, gehören die jungen Soldaten.

(Vo r sitz : Vizepräsident Frau Renger)

Sie haben bei einem geringen Sold ihren Wehrdienst oft weit weg von zu Hause abzuleisten. Jetzt werden noch zusätzlich Sozialleistungen gestrichen. Häufig sehen die Soldaten den Sinn ihrer Tätigkeit nicht recht ein. Das gilt z. B. hinsichtlich der Tatsache, daß viele von ihnen nach ihrer Grundausbildung noch zwölf Monate „Gammeldienst" leisten müssen. Das hat es immer gegeben, und das wird es immer geben. Aber auf Grund der Sparmaßnahmen werden Übungen seltener durchgeführt, und die sogenannte „Gammelei" nimmt weiter zu.
Die jungen Soldaten protestieren zwar noch nicht lautstark. Ich möchte auch nicht, daß sie überhaupt je protestieren müssen. Vielmehr müssen wir ihnen adäquate Arbeitsplätze anbieten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Abschließend: Ich wünsche mir, daß alle Abgeordneten und nicht nur die für Jugend, Familie und Gesundheit zuständigen mit den Jugendlichen reden, besser noch: ihnen zuhören; denn sie haben uns oft viel zu sagen. — Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910406600
Das Wort hat der Abgeordnete Schröder (Hannover).

Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID0910406700
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es ganz gut, wenn die Regierung es begrüßt, daß das Parlament arbeitet. Deswegen fand ich auch die Bemerkungen, die Frau Fuchs — aufgeschrieben von ihren Beamten — zum Thema so engagiert vorgetragen hat, wirklich prima.
Zu den einzelnen Ursachen der Angst, über die geredet worden ist, ist viel gesagt worden. Ich will das nicht alles wiederholen. Für mich sind drei Thesen und drei Ursachen wichtig.
Erstens. Die historisch falsche These, daß mehr Waffen mehr Sicherheit garantieren, glauben immer weniger Menschen. Mehr Waffen, atomare zumal, schaffen so nicht Sicherheit, sondern verbreiten Unsicherheit und Angst. Die Angst ist angesichts der unvorstellbaren Zerstörungskraft dieser Waffen, die wir angehäuft haben, nicht etwa irrational, sondern rational.
Zweitens. Die Vorstellung, daß wirtschaftliches Wachstum ohne weiteres mit Fortschritt, auch mit sozialem Fortschritt, gleichzusetzen sei, begegnet inzwischen tiefen Zweifeln. Angesichts von Studien wie etwa „Global 2000" ist dieser Zweifel mehr als berechtigt, denke ich. Angesichts täglich eintreffender Horrormeldungen über neue Umweltgefährdungen wird aus diesen Zweifeln schlicht Angst.
Drittens. Eine der Profitmaximierung verpflichtete Wirtschaftsordnung läßt in wachsendem Maße mehr Menschen ohne Arbeit. Bei diesen Menschen



Schröder (Hannover)

wächst der Zweifel, ob die persönliche Existenz noch durch Arbeit gesichert werden kann. Die persönliche, auch nur mittelbare Erfahrung mit Arbeitslosigkeit läßt aus diesen Zweifeln Angst vor dem Verlust der wirtschaftlichen Existenz und dem damit verbundenen Verlust an menschlicher Würde, an Selbstbewußtsein werden. Weil Jugendliche eben jünger sind, weil sich ihr Zeithorizont auf die Zukunft und nicht in erster Linie auf die Vergangenheit bezieht, betreffen diese Entwicklungen und die daraus resultierenden Ängste Jugendliche sehr viel stärker als Altere.
Wer über Protest redet, muß sich also mit Angst auseinandersetzen. Je nachdem, wie das geschieht — auch hier geschieht, nämlich insbesondere auf staatlicher Seite —, werden entweder Ängste abgebaut, aus ihnen resultierende Konflikte entschärft oder aber neue Angst hervorgerufen bzw. Konflikte verschärft.
Staatliche Reaktion auf Protest kann Gräben so tiefer reißen, kann sie aber auch zuschütten helfen. Es sind vor allem zwei Vorwürfe, die uns alle hier treffen: Es sind, so paradox es klingen mag, der Vorwurf des Nichtstuns und der des Zuvieltuns zugleich. Bei näherer Betrachtung zeigt sich nämlich, daß beide Handlungsweisen in einem sehr engen Zusammenhang miteinander stehen: Wir wissen z. B. um die Brisanz der Gefährdung unserer Gewässer, doch wir finden nicht genügend politische Kraft, den wirtschaftlich häufig mächtigen Verschmutzern dieser Gewässer nachhaltiger entgegenzutreten. Wir wissen, daß wir die Entsorgungsfrage bei der Atomkraft längst nicht gelöst haben, finden aber gleichwohl nicht ausreichende Kraft, massiv auf neue Energieformen zu setzen, hier auch administrativ einzugreifen. Wir wissen um das Elend in der Dritten Welt und finden nicht genügend Kraft, die lebensgefährlichen Rüstungsausgaben bei uns für die Bekämpfung des Elends und des Hungers in der Dritten Welt einzusetzen.
Im Bewußtsein einer wachsenden Zahl von Menschen verhalten wir uns deshalb so, wie Pascal das in seinen „Gedanken über die Religion" beschrieben hat. Er sagt da:
Sorglos eilen wir in den Abgrund, nachdem wir etwas vor uns aufgebaut haben, was uns hindert, diesen Abgrund zu sehen.
Und weiter:
Da die Menschen unfähig waren, Tod, Elend und Unwissenheit zu überwinden, sind sie, um glücklich zu sein, übereingekommen, nicht daran zu denken.
Ich will einräumen, daß dies übertrieben sein mag. Doch mir scheint, daß ein solches Bewußtsein sehr weit verbreitet ist, daß es zu den Ursachen für diesen Protest und für das Aufbegehren gehört und daß dieses Bewußtsein immer noch zunimmt.
Unsere vermeintlichen und unsere wirklichen Handlungsdefizite rufen dann die Bürger selbst auf den Plan. Wo immer sie das Gefühl haben, daß ihre Ängste nicht ernst genommen, ihre Existenzfragen nicht — jedenfalls nicht zureichend — behandelt
werden, handeln sie selber. Dann, meine Damen und Herren, handelt auch der Staat. Legitimiert durch Existenz und Verfahren demonstriert er dann häufig Stärke, pocht auf Kompetenzen, pocht auf sein Lösungs-, auf sein Gewaltmonopol; er setzt sich dann auch durch. Die Frage ist nur: zu welchen Kosten?
Glauben wir denn ernsthaft, die Legitimitätskrise staatlicher Institutionen lösen zu können, wenn wir für gewiß üble Körperverletzungen an Polizisten Strafen auswerfen, die, wie etwa in Itzehoe geschehen, nur drakonisch zu nennen sind?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Eine Justiz, meine Damen und Herren, die so handelt, befindet sich auf dem gefährlichen Weg, sich für politische Ziele dienstbar machen zu lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dann spricht nicht nur Otto Kirchheimer von politischer Justiz; wir sollten es auch tun. Oder glauben wir ernsthaft, die Akzeptanz staatlichen Handelns vergrößern zu können, wenn, wie in Nürnberg geschehen, die größten Massenverhaftungen nach dem Kriege vorgenommen werden und wirksame Strafverteidigung durch Aktenmanipulationen verhindert wird?

(Zurufe von der CDU/CSU)

Wer glaubt denn ernsthaft, daß dies im Bewußtsein junger Leute ohne Folgen bleiben könnte? Wer glaubt ernsthaft, daß dies Nähe zum Staat, wenn sie denn sinnvoll wäre, schaffen könnte?

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910406800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sauter?

Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID0910406900
Natürlich, gern, Herr Sauter.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910407000
Bitte, Herr Sauter.

Alfred Sauter (CSU):
Rede ID: ID0910407100
Herr Kollege Schröder, glauben Sie ernsthaft, durch die Art und Weise, in der Sie über Jugendprobleme reden und in der Sie mit Angst machen, einen Beitrag dazu leisten zu können, damit es besser werden kann?

(Beifall bei der CDU/CSU)


Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID0910407200
Ich glaube schon daran, Herr Sauter, sonst würde ich es nicht tun; die Frage verstehe ich also nicht ganz. Aber glauben Sie denn ernsthaft daran, die Übereinstimmung zwischen staatlicher Außen- und Sicherheitspolitik und den Friedenshoffnungen der Bürger und ihren Sehnsüchten nach Frieden dadurch vergrößern zu können, daß jeder noch so einseitige Vorschlag zur Abrüstung von unseren Freunden begeistert aufgegriffen wird, rationale Vorschläge der anderen Seite aber von vornherein abgelehnt werden? Helfen diese Gebetsmühlen, die dann ständig in Gang gesetzt werden, irgend jemandem weiter?

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie machen doch jetzt auch eine Gebetsmühle!)




Schröder (Hannover)

Oder ist der Eindruck einer wachsenden Zahl von Menschen nicht vielleicht doch richtig, daß es in solchen Fällen nicht in erster Linie um Verhandlungen sondern eben um historische Schuldzuweisungen geht?
Wird mit meinen Bemerkungen Protest glorifiziert? Werden Rechtsstaat und Verfassung nebenangestellt? Ich glaube, nicht. Jedenfalls sollte man das nicht unterstellen.
Es geht nicht darum. Worum es geht, hat etwa Robert Leicht in der „Süddeutschen Zeitung" geschrieben. Ich darf ihn mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren:
Gewiß, der Rechtsstaat und die parlamentarische Verfassung sollen gerade in politischen Krisenzeiten als Konflikt- und Friedensordnung dienen und als solche von allen akzeptiert werden. Aber diese erstrebenswerte Akzeptanz einer Verfassung wird besonders gefährdet, wenn die politische Klasse
— das sind wir, meine Damen und Herren — auf „law and order" pocht,

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Was sind wir?)

— ich zitiere Herrn Leicht aus der „Süddeutschen Zeitung"; den werden Sie nicht als Jungsozialisten verdächtigen wollen —
anstatt zunächst einmal politische Probleme unmittelbar und glaubwürdig sowie mit dem Gespür für neue Bewußtseinsströmungen anzugehen.
Im gleichen Artikel sagt er dann weiter:
Die Legitimität einer legalen Ordnung muß vielmehr politisch immer wieder neu begründet werden.

(Beifall bei der FDP) Dem ist doch nur zuzustimmen.

Dies heißt nicht mehr und nicht weniger, daß wir unsere Entscheidung, j a, unsere Existenz als Repräsentanten des Volkes stets neu zu legitimieren haben. Das geht nur durch Handeln, nicht durch Reden, jedenfalls nicht durch Reden allein.
Ich bin sicher: Die öffentlich geäußerte Einsicht, daß nicht die Sowjetunion ein Feind ist, gegen den man atomar rüsten muß, und wir im übrigen auch nicht gegen Weinbergers Amerika Front machen müssen, sondern daß die atomare Drohung als solche das Problem darstellt, könnte die Kluft zwischen Friedensbewegung und etablierter Politik verkleinern. Die öffentlich geäußerte Erkenntnis, daß wir nicht diese oder jene Supermacht, sondern die Militarisierung unseres eigenen Denkens überwinden müssen, würde staatliche Friedenspolitik neu legitimieren helfen, würde Bürger an den Staat heranführen, wo heute tiefe Klüfte sind.
In bezug auf die atomare Bedrohung hat Günther Anders schon 1959 geschrieben:
Da dieser Feind
— nämlich die atomare Bedrohung —
aller Menschen Feind ist, müßten sich diejenigen, die einander bisher als Feind betrachtet hatten, als Bundesgenossen gegen die gemeinsame Bedrohung zusammenschließen.
Ich meine, darum geht es in der Tat.
Wenn wir Legitimation staatlicher Politik wollen, warum unterstützen wir dann nicht nachhaltiger z. B. den Bundesinnenminister bei seinem Versuch, jenen entgegenzutreten, die Sicherheitsauflagen bei Kernkraftwerken aus durchsichtigen wirtschaftlichen Erwägungen reduziert sehen wollen? Dies würde die Legitimität unserer Umweltpolitik erheblich vergrößern.
Ich nenne ein anderes Beispiel. Hier wurde darauf hingewiesen: Beenden wir doch tatsächlich endlich das elende Gezerre und schaffen wir die Prüfung des Gewissens bei Kriegsdienstverweigerern ab! Sagen wir hier aber auch deutsch und deutlich, daß dann keiner nach Karlsruhe laufen wird, um nachprüfen zu lassen, ob das Gesetz, das ein frei gewähltes Parlament hier beschlossen haben wird, denn in Ordnung ist!

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, aus der wütenden Parole in der Szene „Staat, hau ab!" — und das ist die Parole — würde so sicher nicht Liebe zum Staat. Es wäre auch schlimm, wenn es so wäre. Was uns durch eine solche Politik vielleicht aber gelingen könnte, wäre, die Einsicht in die Notwendigkeit des Staates, die Einsicht in die Notwendigkeit seines Gewaltmonopols zu vergrößern. Ich denke, dies wäre schon sehr, sehr viel.
Es geht also nicht um vordergründige Anpassung an Stimmungen und Strömungen, es geht z. B. nicht darum, daß die Dienstkleidung von Bundestagsabgeordneten Latzhosen sein sollten, obwohl das ganz reizvoll anzusehen wäre. Es geht nicht um Anpassung; nichts wäre unehrlicher als das. Worum es geht, ist die offene, gewalt- und vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit dem, was die Protestbewegung formuliert. Was wir in dieser Auseinandersetzung von uns selber verlangen sollten, ist, die Augen und Ohren aufzumachen und vielleicht auch die Herzen. — Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910407300
Das Wort hat Herr Abgeordneter Sauter.

Alfred Sauter (CSU):
Rede ID: ID0910407400
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, Herr Kollege Schröder, daß Sie mit Ihrem jetzigen Beitrag ein bißchen etwas getan haben, was wir in der Kommission bisher vermeiden konnten. Sie haben versucht, die Polarität, die dort nicht bestanden hat, jetzt künstlich heraufzubeschwören.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mir tut dies an und für sich deshalb leid, weil wir uns überlegen müssen, wie wir das Klima wieder in Ordnung bringen. Vielleicht schaffen wir zwei das, da das bei uns immer am leichtesten geht, da wir am



Sauter (Ichenhausen)

weitesten auseinander sind. Ich bin gern dazu bereit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube, wenn man vom Frieden redet und wenn man weiß, daß dieser Frieden ein gemeinsames Anliegen von uns allen ist, dann ist ein deutscher Politiker zuallererst dazu aufgerufen, mit aller Deutlichkeit und Klarheit festzustellen, daß wir diejenigen auf der Welt sind, die niemanden, aber auch gar niemanden bedrohen,

(Beifall bei der CDU/CSU)

und daß wir diejenigen sind, die alle hier den Frieden wollen. Deshalb sollten wir aus dieser Position heraus unsere Politik betreiben und nicht das übernehmen, was die anderen von uns behaupten, und nicht auf dem aufbauen, was vielleicht einigen passen könnte.
Was die Ersatzdienstzeit und das Anerkennungsverfahren anbelangt, so hat die Frau Ministerin die
Frage, die ich ihr gestellt habe, nicht beantwortet, obwohl in der Regierungserklärung steht, daß diese Regierung ein Gesetz vorlegen wird. Zum zweiten ist es für uns in der Opposition überraschend, jetzt hören zu dürfen, nachdem es aus Ihren Reihen Töne gab, daß man die Opposition nicht brauche und daß man alles selber machen könne, daß es jetzt auf einmal entscheidend auf uns ankomme: Legen Sie mal was auf den Tisch, und dann reden wir darüber und nicht umgekehrt!

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0910407500
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 9. Juni 1982, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.