Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich dem Abgeordneten Dr. Mertes zu seinem 60. Geburtstag meine herzlichen Glückwünsche sagen.
Die Fraktion der CDU/CSU hat als Nachfolger für den verstorbenen Abgeordneten Amrehn den Abgeordneten Lorenz als stellvertretendes Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates benannt. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich bemerke keine gegenteilige Meinung. Es ist so beschlossen. Damit ist der Abgeordnete Lorenz als stellvertretendes Mitglied in die Parlamentarische Versammlung des Europarates gewählt.
Ich rufe die Zusatzpunkte der Tagesordnung auf:
1. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Entwurf des Bundeshaushalts 1982 und den diesen begleitenden Gesetzen
2. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU Vorlage eines Nachtragshaushalts für das Jahr 1981 und eines Ergänzungshaushalts für das Jahr 1982
— Drucksache 9/950 —
Die Bundesregierung hat mich wissen lassen, daß die Abgabe der Regierungserklärung durch zwei Ressortminister erfolgen soll. Ich erteile zunächst dem Bundesminister für Wirtschaft das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe Verständnis dafür, wenn in der Öffentlichkeit angesichts der erneuten Diskussion über sogenannte Löcher in den Staatskassen Unmut, Verunsicherung —
— Aber meine Damen und Herren, ich habe gerade von Verständnis gesprochen. Das hat etwas mit Verstand zu tun.
— Unmut, Verunsicherung oder gar Verärgerung entstanden ist, wenn auch der Wohlwollende beginnt, am Verhalten und der Position der Bundesregierung Kritik zu üben. Völlig zu Recht stellt man der Bundesregierung die Frage: Wie kann es geschehen, daß wenige Wochen nach der sogenannten Operation '82 das Zahlenwerk des neuen Haushalts geändert werden muß, daß unsere Schätzungen binnen kurzer Zeit so gründlich überholt worden sind?Prognosen können immer nur so gut sein wie die Informationen, auf denen sie beruhen. Das ist eine Binsenweisheit.Ich möchte hier zwei Aspekte in den Vordergrund stellen. Erstens: Sichere Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung gibt es nicht. Wir haben es im Wirtschaftsleben nicht mit dem Ablauf von chemischen Prozessen zu tun, sondern wir haben es mit sozialökonomischen Verhaltensweisen zu tun. Das gilt für die Marktwirtschaft. Das gilt übrigens genauso für die Planwirtschaft, nur wollen es deren Protagonisten nicht wahrhaben. Niemand von uns ist Hellseher.Zweitens: Alle Prognosen beruhen auf Daten und Fakten der Vergangenheit. Hier kommt ein weiteres Unsicherheitselement hinein. Wenn man schon nicht weiß, in welchem Zustand sich die Wirtschaft in der Gegenwart befindet, wie soll man dann sichere Aussagen für den zukünftigen Ablauf ableiten können?In der Bundesrepublik hat sich ein ganz bestimmter Fahrplan für die Aufstellung von Prognosen ergeben. Im Januar erstellt die Bundesregierung ihren Jahreswirtschaftsbericht für das jeweils bevorstehende Jahr. Im Frühjahr finden sich die großen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute zusammen, um ihre erste Gemeinschaftsdiagnose zu erstellen. Auch in dieser Gemeinschaftsdiagnose wird lediglich für die jeweils verbleibenden Monate des laufenden Jahres eine Prognose aufgestellt. Ebenfalls im Frühjahr schon muß die Bundesregierung mit der Aufstellung des Haushalts für das kommende Jahr beginnen, obwohl dafür zu diesem Zeitpunkt noch lange keine wirtschaftlichen Prognosen vorliegen können. Die Bundesregierung verfügt dann über statistische Daten, die kaum über den Jahreswechsel hinausreichen. Der Verlauf der wirtschaftlichen Aktivität innerhalb des laufenden Jahres läßt sich aber frühestens nach Vorliegen der Da-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorfften des ersten Halbjahres beurteilen, und das ist frühestens im Herbst der Fall, weil der erforderliche statistische Datenkranz erst dann verfügbar ist. Dies ist somit der Zeitpunkt, zu dem die für den Haushaltsplan des nächsten Jahres aufgestellten Arbeitshypothesen erstmals in eine bedingte Prognose verwandelt werden können. Deshalb werden auch die zweite Gemeinschaftsdiagnose der Institute und das Gutachten des Sachverständigenrates, die beide erstmals eine konsistente Prognose für das kommende Jahr enthalten, erst im Herbst vorgelegt. Der Reigen schließt sich damit, daß die Bundesregierung im November mit den Vorarbeiten zum Jahreswirtschaftsbericht beginnt.Wir werden auch in Zukunft an diesem Ablauf der Vorausschätzungen gar nichts ändern können. Der Entwurf des Haushaltsplans für das kommende Jahr muß im Sommer vorgelegt werden, damit der Haushalt halbwegs rechtzeitig in Kraft treten kann. Wir werden deshalb auch künftig mit diesen Unsicherheiten leben müssen.Zusätzlich zu diesen grundsätzlichen Bemerkungen möchte ich auf die besonderen Unsicherheiten dieses Jahres hinweisen. In einer Zeit, in der sich so große weltwirtschaftliche Umbrüche vollziehen, wie das derzeit der Fall ist, sind die Unsicherheiten noch viel größer, als das sonst der Fall ist. Bei der Abschätzung von Umfang und Zeitablauf der Anpassungsprozesse kann man um so weniger auf Erfahrungen der Vergangenheit zurückblicken. Ganz deutlich wird dies an den Revisionen, die die internationalen Organisationen hinsichtlich ihrer Wachstumsschätzungen für den Welthandel und die Entwicklung in den Industrieländern vorgenommen haben. Erst im Herbst erkannte man, daß das Wachstum der Industieländer und der Anstieg des Welthandels deutlich hinter dem zurückbleiben werden, was man noch im Juni angenommen hatte.Für die Bundesrepublik kommt schließlich erschwerend hinzu, daß sich wichtige Rahmenbedingungen in letzter Zeit kurzfristig immer wieder massiv verändert haben. Ich denke hier vor allem an die Weckselkurse, die im Verlauf dieses Jahres ein drastisches Auf und Ab gezeigt haben. Lassen Sie mich hierfür ganz kurz das Verhältis zwischen D-Mark und Dollar nennen, damit Ihnen der Eindruck dieser Zahlenreihe vor Augen geführt wird. Am 2. Januar kostete der Dollar 1,97 DM, am 16. Februar 2,25 DM, am 19. März 2,04 DM, am 10. August 2,57 DM, am 9. Oktober 2,18 DM, gestern 2,32 DM.Das Fazit dieser Entwicklung und auch meiner Ausführungen bis hierher ist: Sichere Prognosen gibt es nicht. Wir werden sie auch in Zukunft nicht haben können, und in der aktuellen Lage ist das Unsicherheitsfeld besonders groß.Der Ausgangshypothese der Wirtschaftsentwicklung 1982 für den Haushaltsentwurf konnten im Sommer erst die Ergebnisse der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des ersten Vierteljahres 1981 zugrunde gelegt werden. Wie Sie alle wissen, deuteten diese Daten des ersten Quartals auf eine günstigere Wachstumsentwicklung hin, als wir sie erwartet hatten. Dennoch ist die Bundesregierung von einer aus damaliger Sicht vorsichtigen Einschätzung ausgegangen. Die Überprüfung der Entwicklungschancen hat nun ergeben, daß die Konjunktur in diesem Jahr, im Jahre 1981, anders verläuft, als ursprünglich von uns wie auch von den Instituten, vom Sachverständigenrat, von der Bundesbank und von den internationalen Institutionen angenommen. Statt von einer Erholung bereits im Verlauf des zweiten Halbjahres 1981 müssen wir jetzt davon ausgehen, daß sich die Stagnation über das ganze Jahr 1981 hinwegzieht. Dadurch wird der Einstieg in das Jahr 1982 tiefer ausfallen, und vermutlich wird auch der Wiederanstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion schwächer sein, als ursprünglich angenommen.Neben dem schwächeren Verlauf der Weltkonjunktur ist ein Grund hierfür vor allem die dramatische Verschlechterung bei den Erträgen aus Unternehmenstätigkeit im engeren Sinne in diesem Jahr, im Jahre 1981. Sie hat ihre Ursachen vor allem im drastischen Anstieg der Importpreise, im Rückgang der Kapazitätsauslastung, in den anhaltend hohen Zinsen und im deutlichen Anstieg der Lohnkosten. Die Bundesbank beziffert den Rückgang der Bruttoeinkommen aus privater Unternehmenstätigkeit im engeren Sinne im ersten Halbjahr 1981 auf minus 15% gegenüber dem ersten Halbjahr 1980. Das heißt auf deutsch, daß eine große Anzahl von Betrieben mit Verlusten arbeitet. Während mit reinen Finanzanlagen hohe Zinserträge verbucht werden, sind gewerbliche Investitionen eher verlustbringend. Es bleibt bei der alten Erkenntnis: Unternehmen, die Verluste machen, schaffen keine neuen Arbeitsplätze.Die Investitionsneigung — so hieß es in allen Prognosen des Frühjahrs und Sommers — bleibe angesichts des großen Strukturanpassungsbedarfs in der Bundesrepublik verhältnismäßig robust. Die drastische Verschlechterung der Ertragslage hat aber die Investitionskraft der Unternehmen beeinträchtigt.
Zwar hat sich die Vermutung, der verstärkte Zwang zum Strukturwandel werde Produkt- und Prozeßinnovationen auslösen, bestätigt — die Institute konstatieren ausdrücklich, die Ausrüstungsinvestitionen seien bei weitem nicht so stark in den Sog der allgemeinen wirtschaftlichen Schwäche geraten, wie dies bei dem ausgeprägten Druck auf die Erträge sonst der Fall gewesen wäre —, der Ertragseinbruch der ersten Jahreshälfte hatte aber eben doch zur Folge, daß nach dem bereits in Gang gekommenen Export-Motor der Lagerzyklus und der Investitions-Motor nicht auf volle Touren gekommen sind.Am Montag haben die wirtschaftswissenschaftlichen Institute ihr Gutachten zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung für das Jahr 1982 vorgelegt. Wie nun stellt sich die wirtschaftliche Entwicklung 1982 an Hand der vier Ziele des Stabilitäts-und-Wachstumsgesetzes dar?Erstens. Die Mehrheit der Institute rechnet 1982 mit einem realen Wachstum von plus 1 %. Die Institute gehen in ihrer Prognose davon aus, daß die kon-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffjunkturelle Wende im Verlauf des ersten Halbjahres 1982 eintritt. Diese Einschätzung deckt sich mit der der Bundesregierung. Das Kieler Institut ist — traditionell, muß man schon sagen — pessimistischer. Es sieht die konjunkturelle Wende erst im Verlauf des zweiten Halbjahres und kommt so für den Jahresdurchschnitt 1982 noch zu einem Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Leistung. Das Kieler Institut ist vor allem in der Einschätzung der weltwirtschaftlichen Entwicklung weniger optimistisch als die anderen Institute.Zweitens. Die Institute rechnen alle damit, daß sich der Preisanstieg in der Bundesrepublik verlangsamen wird. Sowohl für die Gesamtwirtschaft als auch für den privaten Verbrauch veranschlagen sie ihn im Jahresmittel 1982 auf rund 4,5 %. Vor allem die Dämpfung der Einfuhrpreise schlägt hier zu Buche. — Stabilität der Preise, meine Damen und Herren, ist eine der entscheidenden Voraussetzungen dafür, daß die strukturelle Anpassung bei uns vorankommt und daß die Arbeitsmarktprobleme gelöst werden.Drittens. Sorge bereitet die voraussichtliche Entwicklung am Arbeitsmarkt. Die Institute rechnen in Übereinstimmung mit der Bundesregierung mit einer Zunahme der Zahl der Arbeitslosen auf durchschnittlich 1,6 Millionen für das Jahr 1982. Das Gesamtbild der Prognose 1982 ist vor allem angesichts dieser Entwicklung der Arbeitslosigkeit mit Sorge zu betrachten. Aber es gibt auch Lichtblicke, nämlich:Viertens. Positiv an der wirtschaftlichen Entwicklung ist die voraussichtliche Entwicklung unserer Außenbilanz zu werten. Die Institute rechnen für das Jahr 1982 mit einer Rückführung unseres Leistungsbilanzdefizits, das sich in diesem Jahr noch einmal auf 25 bis 30 Milliarden DM belaufen wird, auf „nahe Null" — so steht es wörtlich in der Gemeinschaftsdiagnose.Ich möchte, meine Damen und Herren, persönlich meine Zweifel anmelden, ob sich der Umschwung in dieser Größenordnung vollziehen wird.
In der Einschätzung der Tendenz der Bewegung teile ich jedoch den Optimismus der Institute. Das läßt sich schon an den Zahlen der letzten Monate ablesen. Ich sehe schon in einer Halbierung des Leistungsbilanzdefizits einen großen Erfolg. Sie würde das Vertrauen der Welt in die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft unerhört stärken, und sie bliebe nicht ohne Wirkung auf die Wechselkurserwartungen und damit auf die Zinsen und auf die Investitionen. Meine Damen und Herren, Sie kennen diese Wirkungskette. Sie wird nun seit Monaten von mir, aber auch von anderen — ich erwähne vor allem die Bundesbank —, immer wieder hervorgehoben.Es hat auch seinen guten Grund, daß wir darauf immer wieder hinweisen, denn im Abbau des Leistungsbilanzdefizits und in der damit verbundenen Möglichkeit, die Zinsen weiter zurückzuführen, liegt einer der zentralen Schlüssel zur Lösung unserer Probleme. Der größte Hemmschuh für die Investitionen, die der Motor der Konjunktur sind, sind die derzeit hohen Zinsen.
Die eben dargestellte Prognose wird — bei allen vorhin genannten Unsicherheiten — nur dann Wirklichkeit werden können, wenn eine vernünftige Finanzpolitik betrieben wird, wenn eine vernünftige Geldpolitik betrieben wird und wenn eine vernünftige Einkommenspolitik betrieben wird.
Meine Damen und Herren, zur Finanz- und Haushaltspolitik wird gleich der Bundesfinanzminister sprechen. Ich will an dieser Stelle nur eines schon nachdrücklich sagen: Es sind die Steuermindereinnahmen durch die verschlechterte Ertragslage der Unternehmen und die Mehrausgaben für die Nürnberger Anstalt wegen der gestiegenen Arbeitslosigkeit oder des zu erwartenden Steigens der Arbeitslosigkeit, die zu den neuen Haushaltsbeschlüssen führten. Beides konnten wir im Sommer nicht wissen.
— Beides konnten wir im Sommer nicht wissen!
Dabei räume ich ein, daß wir nach meiner Ansicht schon im Sommer 1,5 Millionen Arbeitslose hätten berücksichtigen sollen. Aber bei der jetzt gegebenen Annahme von 1,6 Millionen Arbeitslosen im Durchschnitt des Jahres 1982 hätte auch dies die Nachbesserung des Haushalts nicht erübrigt.
Was die Geldpolitik betrifft, so verweise ich darauf, daß die Notenbank bisher eine stabilitäts- und wachstumsorientierte Politik verfolgt hat. Sie wird dies auch weiterhin tun.
Zur generellen wirtschaftspolitischen Orientierung lassen Sie mich bitte kurz noch folgendes vortragen. Meine Damen und Herren, für eine erfolgreiche Therapie der Arbeitslosigkeit ist die Frage nicht unbedeutend, welcher Typ von Arbeitslosigkeit bei uns denn vorherrscht, sogenannte Keynesianische Arbeitslosigkeit oder Arbeitslosigkeit wegen zu geringen Risikokapitals oder sogenannte technologische Arbeitslosigkeit.
Die Untersuchungen der internationalen Organisationen — wie OECD, Internationaler Währungsfonds oder GATT —, aber auch nationaler Wirtschaftsforschungsinstitute kommen mehr oder minder explizit, und zwar nicht nur für die Bundesrepublik — keineswegs; ich darf, und zwar nicht als Entschuldigung, nicht als Ausrede und schon gar nicht als Verschönerung, daran erinnern, daß es in der OECD im nächsten Jahr voraussichtlich 23 Millio-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffnen Arbeitslose geben wird; wir beschäftigen uns also mit einem Problem, das kein spezifisch bundesrepublikanisches Problem ist — zu einem und demselben Ergebnis: Die während der letzten Jahre entstandene Arbeitslosigkeit ist immer stärker auf Kapitalintensivierung und auf arbeitssparende Innovationen zurückzuführen. Deswegen kreisen alle internationalen Therapievorschläge vor allem darum, wie in einer offenen Volkswirtschaft mehr wettbewerbsfähige, d. h. rentable Arbeitsplätze geschaffen werden können.Wie ist es zu dieser Entwicklung der Arbeitslosigkeit gekommen? Sicher haben viele Faktoren mitgewirkt, doch läßt sich hier — wenn auch vereinfacht — folgende Wirkungskette ausmachen. In marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaften reagiert über längere Frist das Einsatzverhältnis von Arbeit zu Kapital auf das Verhältnis der realen Löhne zu den realen Zinsen gegenläufig. Sind die Reallöhne dauerhaft zu hoch, rentieren sich die Investitionen weniger; die Investitionstätigkeit verringert sich allmählich, so daß schließlich die Produktionskapazitäten langsamer wachsen, als die Zahl der Arbeitskräfte zunimmt. Dies ist der eine Grund der gegenwärtigen Arbeitslosigkeit.Der andere Grund ist darin zu sehen, daß neue Anlagen immer arbeitssparender ausgelegt werden, obgleich es ein Überangebot von Arbeitswilligen gibt.In diesem Zusammenhang lassen sich am Beispiel der Lohnabschlüsse auch die unterschiedlichen Zeithorizonte zwischen einer auf Nachfragestimulierung und einer auf gesamtwirtschaftlichen Erwägungen begründeten Wachstumspolitik verdeutlichen. Der Nachfrageeffekt und der Kosteneffekt hoher Reallöhne stehen einander gegenüber. Hohe Reallöhne schaffen zwar rasch ein kräftiges Nachfragewachstum, die Kapazitäten werden besser beschäftigt; aber gleichzeitig belasten hohe Reallöhne von der Kostenseite her dauerhaft die Investitionsrechnungen. Für die Beschäftigungserwartungen auf mittlerer Sicht noch wichtiger ist indessen ein bleibender Struktureffekt. Verstärkte Kapitalinvestitionen führen mehr und mehr dazu, daß menschliche Arbeit verdrängt wird. Dieser Grund tritt zunehmend an die Stelle der durch Nachfragemangel begründeten Arbeitslosigkeit.Es ist die Kumulation dieser beiden Effekte aus den 70er Jahren, die heute den Hauptteil des Problems ausmachen. Wir würden dieses Problem nicht an der Wurzel packen, wenn wir glaubten, nur für mehr Nachfrage sorgen zu müssen. Vielmehr müssen wir für mehr Investitionen in neue Arbeitsplätze sorgen. Diese Investitionen werden nur kommen, wenn sie rentabel sind.
Leider, meine Damen und Herren, ist ein solches Ergebnis nicht auf Knopfdruck zu erzielen. Wir brauchen Geduld und gute Nerven, so schwer das angesichts der mit der Arbeitslosigkeit verbundenen menschlichen Probleme ist. Jeder Versuch, mit kurzfristigem Aktionismus zu reagieren, würde das Grundproblem aber nur verschärfen. Deshalb sagtdie Bundesregierung: kurzfristige, fremdfinanzierte, d. h. mit Schulden oder zusätzlichen Steuern finanzierte Beschäftigungsprogramme nutzen nichts. Sie schaden eher; sie würden die eben aufgezeigte Entwicklung verschärfen.
Wir brauchen, meine Damen und Herren, so schwer das auch fällt — allen, wie ich annehme —, Geduld, Mut und Zuversicht. Wenn alle zusammenarbeiten — Regierung, Bundesbank, Unternehmer und Gewerkschaften —, dann werden wir auch mit den vor uns liegenden außerordentlich schwierigen Problemen der nächsten Monate fertigwerden können.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Zum zweiten Teil der Regierungserklärung hat der Herr Bundesminister der Finanzen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ihnen vom Bundeswirtschaftsminister gerade vorgetragene neue Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung führt 1982, wie sich in der öffentlichen Diskussion noch herausstellen wird, für die Haushalte aller staatlichen Ebenen, des Bundes, der Länder und der Gemeinden, zu niedrigeren Steuereinnahmen, als wir noch bei der letzten Steuerschätzung Ende Juni gemeinsam angenommen haben. Auch für das laufende Jahr 1981 sind seit der ersten Aufstellung der Haushaltsentwürfe vor einem Jahr und seit den Beratungen im Finanzplanungsrat Ende 1980 in den dann folgenden Steuerschätzungen die Annahmen nach unten korrigiert worden.Es hat sich überhaupt gezeigt, daß bei gedrückter wirtschaftlicher Entwicklung der Arbeitskreis Steuerschätzung, dem Bund, Länder und die wirtschaftswissenschaftlichen Institute sowie die Bundesbank angehören, die Steuereinnahmen eher überschätzt, während umgekehrt in Aufschwungsjahren die Einnahmen fast regelmäßig unterschätzt werden, so etwa 1971, 1972, 1976, 1978 und 1979. Ein einziges Mal, nämlich 1973, ist der Fall eingetreten, daß die Schätzungen hinterher von der Wirklichkeit voll bestätigt worden sind, und mehr kann man von Schätzungen dieser Art, in die alle Unsicherheiten der wirtschaftlichen Entwicklung eingehen — auch der Verhaltensweisen der Steuerzahler — wohl gar nicht erwarten. Insofern werden die öffentlichen Haushalte immer mit der Tatsache konfrontiert, daß die Einnahmen mal in die eine, mal in die andere Richtung anders verlaufen, als vorausgeschätzt wird. Bund, Länder und Gemeinden sind insbesondere im Verlauf der letzten zwölf Monate immer wieder mit der Frage konfrontiert worden, ob sie niedrigere Einnahmeschätzungen zum Anlaß für zusätzliche Ausgabenkürzungen nehmen oder konjunkturell bedingte höhere Neuverschuldung in Kauf nehmen sollen.
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Bundesminister MatthöferGrundsätzlich konnte in allen Sitzungen des Finanzplanungsrates bereits Übereinstimmung darüber hergestellt werden, daß alle öffentlichen Haushalte die Dynamik insbesondere der konsumtiven Ausgaben nachhaltig bremsen und den Zuwachs der Ausgaben möglichst auf eine Größenordnung von 4 % beschränken sollten. Dies war eine durchaus ehrgeizige Zielsetzung, wenn man an die Ausgabenzuwächse gerade auch bei den Ländern in den Jahren 1978 bis 1980 denkt.Dabei war völlig klar, daß in der konjunkturellen Entwicklung das Risiko geringer Steuereinnahmen lag. Es war die ganz überwiegende Meinung im Finanzplanungsrat, daß weitere konjunkturell bedingte Steuermindereinnahmen nicht noch durch weitere Einschnitte in die Ausgaben ausgeglichen werden sollten.Für den Bundeshaushalt hat sich dies dadurch verschärft, daß er nicht nur auf der Einnahmenseite, sondern auch auf der Ausgabenseite erhebliche konjunkturbedingte Mehrbelastungen zu verkraften hat, und zwar nicht nur, wie die Länder und Gemeinden, die steil angestiegenen Kreditzinsen, sondern auch die beachtlich gestiegenen Mehrausgaben bei der Bundesanstalt für Arbeit für eine zunehmende Arbeitslosigkeit.1981 hat die Erhöhung der Nettokreditaufnahmen von 27,3 Milliarden DM im ursprünglichen Haushaltsentwurf auf 33,8 Milliarden DM in dem Entwurf, der dann von diesem Hause im Juni endgültig beschlossen wurde, unbestreitbar Verunsicherung geschaffen. Die Besorgnisse in der Wirtschaft, auf den Kapitalmärkten und auch im Ausland über die Entwicklung der Nettokreditaufnahme drohten jenseits aller ökonomischen Kreislaufüberlegungen, die auch nicht gering einzuschätzen sind, die Konjunktur zusätzlich zu belasten, den Kurs der D-Mark zu schwächen und eine Rückkehr zu einem konjunkturgerechten und potentialorientierten Zinsniveau zu erschweren.Deshalb hat die Bundesregierung bei der Aufstellung des Haushalts für 1982 großen Wert darauf gelegt, die Besorgnisse um eine überhöhte öffentliche Kreditaufnahme auszuräumen. Sie hat trotz der anhaltenden Konjunkturschwäche im gegenseitigen Stadium einer noch immer passiven Leistungsbilanz bewußt darauf verzichtet, von der Ausgabenseite her expansive Impulse zu geben, und sie hat nachträglich auf einen Kurs der Verstetigung der Ausgaben auf einem niedrigeren Wachstumsniveau gesetzt. Dieser Kurs war richtig, wie sich auch an den positiven Reaktionen bei den Wechselkursen und auf den Kapitalmärkten gezeigt hat. Dieser Kurs hat dann ja auch zu einer Lockerung des hohen Zinsniveaus mit beigetragen.Wenn wir nun erneut vor ungünstigeren Prognosen für die wirtschaftliche Entwicklung und folglich vor der Wahrscheinlichkeit geringerer Steuereinnahmen und höherer Arbeitslosenzahlen stehen, widerlegt dies keineswegs unseren finanzpolitischen Kurs. Eine weitere Verzögerung der konjunkturellen Erholung, eine nachhaltig schlechte Gewinnsituation der Unternehmen, geringere Steuereinnahmen und steigende Arbeitslosenzahlen machen es allerdings noch einmal schwerer, den Kurs der Vertrauensstabilisierung erfolgreich durchzuhalten. Trotz der in der ganzen Welt vorherrschenden Unsicherheiten, die in unser Land hineinwirken, darf es nicht dazu kommen, daß eine nicht abreißende Folge von immer neuen Deckungslücken in öfffentlichen Haushalten nachhaltig Verunsicherung verbreiten und sich schädlich auf wirtschaftsbestimmende Faktoren auswirken können.Die Bundesregierung hält es deshalb für außerordentlich wichtig, einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken. Es muß durch zusätzliche Maßnahmen die Voraussetzung dafür geschaffen werden, daß von den öffentlichen Haushalten keine Risiken für die Kapitalmärkte, für die Stabilität und für die Investitionsfähigkeit der Wirtschaft ausgehen.Eine Korrektur der Einschätzungen des konjunkturellen Verlaufs im nächsten Jahr und der damit verbundenen Beschäftigungsfolgen ist zu diesem Zeitpunkt schon und lange vor der offiziellen Steuerschätzung unvermeidbar. Der schwächere Konjunkturverlauf im zweiten Halbjahr 1981 führt insbesondere bei den Bruttoeinkommmen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen zu einem erheblichen Rückgang, und zwar allein um 12 Millarden DM gegenüber der März-Schätzung. Im laufenden Jahr 1981 halten sich per saldo die Steuermindereinnahmen gegenüber der Dritten Lesung im Juni noch in Grenzen, da den deutlich niedrigeren Einnahmen bei der Körperschaft-, Gewerbe- und Einkommensteuer höhere Lohnsteuereinnahmen gegenüberstehen.Die schlechtere Ertragslage der Wirtschaft wird sich erst im nächsten Jahr steuerlich voll auswirken. Selbst eine konjunkturelle Besserung kann sich nicht kurzfristig bei den gewinnabhängigen Steuern niederschlagen, weil es hier steuertechnische Verzögerungen gibt und obendrein der Verlustvortrag dazu führen wird, daß die jetzt entstandenen Verluste die im Konjunkturaufschwung entstehenden Gewinne steuerlich neutralisieren werden. Die konjunkturell bedingten Steuermindereinnahmen folgen dem Konjunkturrückgang mit einer gewissen Zeitverzögerung. Ausgabekürzungen als Reaktion auf konjunkturbedingte Steuermindereinnahmen wirken jedoch prozyklisch, so daß der Ausgleich durch eine höhere Nettokreditaufnahme in solchen Fällen ökonomisch richtig, ja sogar wirtschaftlich erforderlich und notwendig ist.Wenn wir uns in der jetzigen Situation gleichwohl gegen eine Erhöhung der Nettokreditaufnahme entschieden haben, so hat dies in erster Linie mit der Psychologie der Kapitalmärkte zu tun. Eine erneute Erhöhung der Nettokreditaufnahme würde in der gegenwärtigen Lage wahrscheinlich eine erhebliche Belastung für das Vertrauensklima bedeuten. Für die Entspannung der Kapitalmärkte, für Wechselkurserwartungen, auch für die Geldpolitik der Bundesbank und damit das Zinsniveau ist die öffentliche Neuverschuldung zu einem bestimmenden Einflußfaktor geworden.Die Bundesregierung nimmt im Interesse der für die öffentliche Vertrauensbildung im Inland und Ausland psychologisch wichtig gewordenen Begren-
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Bundesminister Matthöferzung der öffentlichen Kreditaufnahme eine befristete Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in Kauf, obwohl gegen eine erneute Abgabenerhöhung sehr gewichtige Gründe sprachen. Ich betone an dieser Stelle ausdrücklich, daß sich meine Äußerungen, die ich in den letzten Wochen und Monaten auch im Bundestag und im Bundesrat zur Abgabenbelastung abgegeben habe, für richtig halte. Die Belastung der Löhne und Gehälter mit direkten Steuern und Sozialabgaben birgt die Gefahr einer Schwächung der Arbeits- und Leistungsbereitschaft.
Ich habe in der Tat keinen Anlaß gesehen, eine Ausschöpfung des Beitragsrahmens für die Arbeitslosenversicherung von 4 % zu früh in Betracht zu ziehen, und ich habe sie auch nicht vorgeschlagen. Der nun gefaßte Beschluß ist die Konsequenz daraus, daß bei der Bundesanstalt für Arbeit durch die wachsende Arbeitslosigkeit zusätzliche Ausgaben in Milliardenhöhe entstehen und daß es sich hier trotz der schon erheblichen Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt nach Meinung der weit überwiegenden Mehrheit meiner Freunde um eine Sozialversicherung handelt, die auf dem Grundsatz der Beitragsdeckung beruht.
Die Befristung dieses Beschlusses auf den 31. Dezember 1983 ist der Ausdruck des ernsthaften politischen Willens, den Anstieg der Arbeitslosigkeit und damit gleichzeitig auch die Sozialabgabenquote wieder zurückzuführen. Die befristete Finanzierung der zusätzlichen Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit durch zusätzliche Beitragseinnahmen ist ein Element eines Finanzierungsbündels, das insgesamt die Fortsetzung und Bekräftigung des mit der Einbringung des Haushaltsentwurfs verbundenen finanzpolitischen Kurses ermöglichen soll.Das Festhalten an dem Ziel einer Begrenzung der Neuverschuldung wird dem Bund dadurch erleichtert, daß sich auf der Einnahmenseite nicht nur konjunkturell bedingte Mindereinnahmen, sondern auch Mehreinnahmen aus dem Bundesbankgewinn abzeichnen. Für die Bundesregierung gibt es weder eine rechtliche Alternative noch einen wirtschafts-und finanzpolitischen Grund, die nach dem Gesetz zu erwartende Gewinnabführung nicht in den Bundeshaushalt einzustellen.
Nicht zuletzt auch das Herbstgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Institute weist nach, daß ein Ausgleich konjunkturbedingter Steuerausfälle durch die Gewinnabführung der Bundesbank an dem strukturellen Einsparerfolg der bisher beschlossenen Maßnahmen nichts ändert.Es bleibt dabei, daß durch die Haushaltsbeschlüsse vom Sommer Einsparungen auf der Ausgabenseite des Bundeshaushalts in einer Größenordnung von rund 13 Milliarden DM für 1982 und 16 Milliarden DM für 1983 mit in den Folgejahren steigender Tendenz erzielt werden.Wenn die konjunkturelle Entwicklung den Verlauf nehmen wird, der heute unterstellt werden kann, so werden damit selbstverständlich auch die Grundlagen dafür gelegt, daß die Steuereinnahmen im Jahr 1983 wieder steigen. Die hohe Gewinnabführung der Bundesbank hat nicht zur Folge, daß die Bundesregierung in ihrem Bemühen um Einsparungen bei den Ausgaben nachläßt.Die in den letzten Tagen lautgewordene Kritik daran, daß die Bundesbank so viel Geld verdient, veranlaßt mich, auf die Rolle des Bundesbankgewinns etwas näher einzugehen.Zunächst zur Rechtslage. § 27 des Bundesbankgesetzes schreibt im wesentlichen vor, daß vom Reingewinn 20 % einer gesetzlichen Rücklage zugeführt werden müssen. Der Rest ist an den Bund abzuführen. Das Gesetz selbst ist völlig eindeutig. Was der Bund an voraussichtlichen Einnahmen erhält, darf nicht nur, es muß sogar nach Art. 110 des Grundgesetzes in den Haushalt eingestellt werden.Ungewöhnlich ist lediglich die Höhe des Bundesbankgewinns. Er ist das Ergebnis der gegenwärtigen Wirtschaftslage und insofern ein sinnvoller Gegenposten zu konjunkturbedingten Mindereinnahmen und Mehrausgaben, auf Neudeutsch: gewissermaßen ein „built-instabilizer".Sowohl die Höhe des Bundesbankgewinns als auch die Höhe der Zinsbelastung des Bundeshaushalts haben eine gemeinsame Ursache: das gegenwärtig hohe Zinsniveau. Wenn sich die Zinsen wieder normalisieren, dann wird das nicht nur Auswirkungen auf die Gewinnabführung haben, sondern zugleich auch zu Entlastungen bei den Zinsausgaben und anderen durch die gegenwärtige wirtschaftliche Lage verursachten Ausgaben und Mindereinnahmen führen.Nun ist auch die Frage aufgeworfen worden, wie dieser Gewinn im Rahmen des gesamten volkswirtschaftlichen Einkommenskreislaufs zu beurteilen sei und welche Rolle er für die Geldmengensteuerung der Deutschen Bundesbank spiele. Der Gewinn der Bundesbank stammt im wesentlichen aus den Zinseinnahmen bei den Aktiva: aus den Refinanzierungskrediten für das Bankensystem und den Währungsreserven. Diese Zinsen werden von den Kreditnehmern gezahlt und erwirtschaftet. Sie sind das Ergebnis des allgemeinen Wertschöpfungsprozesses in der Volkswirtschaft und berechtigten daher den Empfänger wie jeden anderen Bezieher von Zinseinkommen dazu, Teile des Sozialprodukts in Anspruch zu nehmen. Am deutlichsten wird dieser Zusammenhang bei den Zinsen, die von den inländischen Schuldnern an die Bundesbank gezahlt werden. Diese Zinsen werden unmittelbar dem inländischen Einkommenskreislauf entzogen. Würden sie diesem nicht wieder zugeführt, dann entstünde insoweit eine Nachfragelücke.Entsprechendes gilt auch für die Zinserträge der Währungsreserven. Die Dollarbestände der Bundesbank sind in US-Staatspapieren angelegt. Die Zinsen darauf zahlt der amerikanische Steuerzahler. Auch diese Zinserträge stellen, wie jede andere Zinseinnahme aus dem Ausland, legitime Ansprüche an das ausländische Sozialprodukt dar.
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Bundesminister MatthöferDie zweite Frage ist, ob die Gewinnüberweisung der Bundesbank an den Bund zu einer inflatorischen Geldschöpfung führt. Hierzu ist zunächst einmal zu sagen; eine Inflation kann nur entstehen, wenn das von der Bundesbank kontrollierte Geldmengenwachstum das Wachstum des Produktionspotentials über einen längeren Zeitraum hinweg nachhaltig übersteigt. Dies ist in der Bundesrepublik nicht der Fall.Die Entwicklung der Zentralbankgeldmenge ist außerdem das Ergebnis der Einwirkung vieler Faktoren. Der Gewinn der Bundesbank und seine Verwendung sind nur eine von mehreren Einflußgrößen. Die Gewinnausschüttung der Bundesbank muß daher im Zusammenhang mit allen monetären Bewegungen gesehen werden, die die Liquidität des Bankensystems berühren. Dazu gehört z. B. auch die Entstehung dieses Gewinns der Bundesbank.Während Zinszahlungen deutscher Kreditinstitute an die Bundesbank für sich genommen eine Geldvernichtung bewirken, führt eine Gewinnausschüttung an den Bund zur Schaffung von Zentralbankgeld. Beide Vorgänge gleichen sich also in einer solchen Teilanalyse im Grundsatz aus.Entscheidend für die Gesamtbeurteilung bleibt, ob die Bundesbank in der Lage ist, Bewegungen der Zentralbankgeldmenge, die sich aus der Gewinnüberweisung, über deren zeitliche Staffelung ja noch zu reden ist, ergeben könnte, mit ihren kreditpolitischen Instrumenten wieder auszugleichen. Die Bundesbank hat im übrigen in der Vergangenheit viel größere Veränderungen der Bankliquidität bewältigt. Die Ausschüttung des Bundesbankgewinns für 1980 in diesem Jahr hat die Geldmengensteuerung der Bundesbank jedenfalls nicht erschwert. Es ist auch nicht zu befürchten, daß die nächstjährige Ausschüttung die Geldmengensteuerung behindern könnte.Die Gesetzentwürfe der Bundesregierung, die sich jetzt im Gesetzgebungsverfahren von Bundestag und Bundesrat befinden, bedeuten eine massive, weit über das Jahr 1982 hinausreichende Haushaltsentlastung. Diese Entwürfe müssen nun aber erst einmal auch Gesetz werden. Die gesetzliche Verwirklichung der Sparbeschlüsse ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß der Kurs der Vertrauensstabilisierung erfolgreich beibehalten werden kann. Der Bundesrat hat das Spektrum der gesetzlichen Einsparungsmöglichkeiten durch seine gesetzgeberischen Initiativen erweitert. Nun wird es darum gehen, alle diese Beratungsgegenstände gemeinsam zu einem vernünftigen, notwendigen Gesamtergebnis zu führen.Zusätzlich zu diesem Gesetzgebungspaket sollen nach unserer Absicht weitere Ausgabeneinsparungen in verschiedenen Einzelplänen vorgenommen werden. Diese zusätzlichen Einsparungen sollen untermauern, daß der Kurs der Ausgaben- und Verschuldensbegrenzung bekräftigt und eben nicht, wie jetzt in weiten Kreisen der Eindruck erweckt wird, aufgegeben wird. 350 Millionen DM sollen durch eine zeitnähere Ermittlung der Berechnungsgrundlage für das Arbeitslosengeld, durch Nichtberücksichtigung von Überstunden und wiederkehrendenSonderleistungen sowie durch andere Maßnahmen im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit eingespart werden. Die übrigen Einsparungen, insbesondere in den Geschäftsbereichen des Bundesministers für Wirtschaft, für Forschung und Technologie und Verteidigung, werden im Haushaltsausschuß konkretisiert werden.Es ergibt sich, daß durch das Finanzierungsbündel von Bundesbankgewinn, Beitragserhöhung und zusätzlichen Einsparungen die gesamte Deckungslücke in Höhe von 7,8 Milliarden DM geschlossen wird, die durch die Steuermindereinnahmen in Höhe von 4,2 Milliarden DM, die Mehrausgaben für jetzt 1,6 Millionen Arbeitslose in Höhe von 2,8 Milliarden DM und durch Mehrausgaben für Stahl- und Kokskohlenbeihilfe in Höhe von 800 Millionen DM zunächst entstehen würde. Die Nettokreditaufnahme bleibt bei 26,5 Milliarden DM.Abschließend noch ein Wort zum Antrag der Opposition, einen Nachtragshaushalt für 1981 und einen Ergänzungshaushalt für 1982 vorzulegen. Seit vielen Jahren ist es üblich, daß die notwendige Anpassung des Haushaltsentwurfs auf Grund aktualisierter gesamtwirtschaftlicher Daten in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses ohne formelle Ergänzungsvorlage der Bundesregierung vorgenommen wird. Dieses Verfahren ist nicht nur politisch ratsam, sondern selbstverständlich rechtlich korrekt.
Auch für einen Nachtragshaushalt 1981 sehe ich weder eine rechtliche noch eine politische Notwendigkeit. Aus heutiger Sicht erfolgen alle voraussichtlichen Abweichungen vom Haushaltsplan im Rahmen bestehender gesetzlicher Verpflichtungen oder parlamentarischer Ermächtigungen.Im übrigen habe ich den Haushaltsausschuß in der letzten Woche eingehend über die Probleme des Bundeshaushalts 1981 wie auch des Haushalts 1982 unterrichtet und stehe dem Ausschuß auch selbstverständlich zu allen weiteren Auskünften zur Verfügung. — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort zur Begründung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU und zur Aussprache hat der Herr Abgeordnete Dr. Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist der dritte Anlauf der Bundesregierung, den Bundeshaushalt 1982 auszugleichen. Der erste Versuch waren die Finanzbeschlüsse der Bundesregierung am 30. Juli dieses Jahres. Der zweite Anlauf erfolgte im September mit den Kabinettsentscheidungen und mit der Einbringung des Haushalts durch den Finanzminister am 16. September.Bei diesem dritten Versuch verfolgt die Bundesregierung im Grunde aber nur noch ein sehr bescheidenes Ziel. Es geht plötzlich nicht mehr um die seit Monaten angekündigte durchgreifende Sanierung
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Dr. Häfelefür die kommenden Jahre, sondern es geht nur noch um das bescheidene Ziel, die Neuverschuldung wenigstens in der Spitzengruppe der Rekordverschuldungen der letzten Jahre zu halten. Es geht nur noch darum, zu verhindern, daß die Neuverschuldung vollends ins Uferlose versinkt.Es war schon ein einmaliger Vorgang, daß vier Wochen nach Einbringung des Haushalts durch den Finanzminister plötzlich eine weitere Haushaltslücke von mehreren Milliarden von der Regierung eingeräumt werden mußte. Dabei war in der Zwischenzeit überhaupt nichts Unvorhersehbares geschehen. Die Sachverständigen, alle Sachverständigen unseres Landes, waren sich darüber einig — und die CDU/CSU hat ausdrücklich darauf hingewiesen —, daß die von der Regierung vorgetragenen Annahmen nicht wirklichkeitsgerecht waren.
Das Verwirrspiel der letzten Wochen mit Zahlen, das die Regierung geboten hat, ist kaum mehr zu überbieten.
Ständig hörten und hören wir von neuen Zahlen.Wie war es im laufenden Jahr? Der ursprüngliche Entwurf des Bundeshaushalts 1981 sah eine Neuverschuldung in Höhe von 27,4 Milliarden DM vor. Als wir monatelang darauf hinwiesen, daß dieses nicht stimme, wurde dies bestritten. Im Juni schließlich mußte die Regierung bei der Verabschiedung zugeben, daß es 33,8 Milliarden DM würden. Jetzt plötzlich vor ein paar Tagen sprach man — ich glaube, es war Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff als erster — wie selbstverständlich von 38 Milliarden DM Neuverschuldung. Wir fragen: Wieviel werden es denn am Ende dieses Jahres tatsächlich sein?
Dies ist der Grund, warum die CDU/CSU heute die unverzügliche Vorlage eines Nachtragshaushalts 1981 beantragt. Es handelt sich, Herr Matthöfer, um erhebliche Abweichungen. Da gibt es einen ordnungsgemäßen Weg: Das ist die Vorlage eines Nachtragshaushalts.
Darüber hinaus bitte ich Sie, Herr Matthöfer, heute noch dem Hohen Hause zu sagen, wie hoch nach Ihrer heutigen Einschätzung die Neuverschuldung beim Bund Ende dieses Jahres sein wird. Sind es 38 Milliarden DM, oder wieviel werden es sein? Bitte, hier heute dem Hohen Haus erklären!
Bitte, Herr Matthöfer, beantworten Sie heute hier dem Hohen Hause noch eine zweite Frage: Trifft es zu, was man hört, daß sich nach dem Stand vor einer Woche — 22. Oktober — der Restkreditbedarf brutto für alle öffentlichen Hände einschließlich Bahn und Post auf über 40 Milliarden DM in den restlichen zwei Monaten dieses Jahres beläuft? — Diese zwei Fragen müssen Sie heute beantworten.
Das Verwirrspiel mit Zahlen setzt sich für das Jahr 1982 fort. Täglich hörten wir und hören wir noch von neuen sogenannten Deckungslücken. Auch die Zahlenangaben über den Bundesbankgewinn haben sich plötzlich verändert. Ursprünglich hieß es, 6,1 Milliarden DM würden vereinnahmt. Heute vor einer Woche, Herr Matthöfer, haben Sie vor dem Haushaltsausschuß gesagt, es seien jetzt doch Bundesbankgewinne von 8,3 Milliarden DM. Am Samstag darauf, zwei Tage später, erklärten Sie vor der Presse oder in einem Interview, es seien sogar 10 Milliarden DM. Wieviel es tatsächlich sein werden, das wird die Deutsche Bundesbank im Frühjahr kommenden Jahres feststellen.Dabei ist auch in dieser Frage in den letzten Monaten überhaupt nichts Neues, Unvorhersehbares geschehen. Herr Matthöfer, Sie wissen seit einem halben Jahr von der Bundesbank, so wie wir es auch wissen, daß in der Tat etwa in dieser Größenordnung dort Gewinne anfallen. Warum ziehen Sie dann plötzlich dies nur so schübchenweise aus Ihrem Paket, am Donnerstag noch so, am Samstag so, jeden Tag andere Zahlen?
Nein, meine Damen und Herren, wie sollen die Bürger irgendeiner Zahl der Regierung angesichts eines solchen Verhaltens noch glauben?
Auch dieser dritte Anlauf der Bundesregierung ist nicht geglückt. Teilweise handelt es sich um eine Scheinlösung, teilweise um eine falsche Lösung. Im übrigen sind die Einsparungen völlig unzureichend.Erstens. Die Scheinlösung: Sie vereinnahmen jetzt 10 Milliarden DM Bundesbankgewinne zum Stopfen von Haushaltslöchern. Das ist, volkswirtschaftlich gesehen — wir befinden uns hier in Übereinstimmung mit der Bundesbank —, genau das gleiche, wie wenn die Neuverschuldung um 10 Milliarden DM aufgestockt würde. Nur zum Schein halten Sie die Zahl von 26,5 Milliarden DM Neuverschuldung aufrecht. In Wirklichkeit sind es, volkswirtschaftlich gesehen, 36,5 Milliarden DM.
Die Bundesbank ist nach dem Bundesbankgesetz verpflichtet, eine antiinflationäre Geldmengenpolitik zu treiben. Bei einer Inflationsquote von nunmehr 7 % liegt es auf der Hand, daß sie diese Verpflichtung erst recht fortführen muß. Also muß sie den Geldmengenzuwachs auf anderen Gebieten entsprechend drosseln, entsprechend den 10 Milliarden DM, die sie an Gewinnen an den Bundeshaushalt abführt. Dies trifft den Bankenapparat und damit im Ergebnis in erster Linie die Privatinvestitionen. Das ist genau das Falsche.
Die Bundesregierung braucht sich nicht zu wundern, wenn die erste zarte Hoffnung auf Zinssenkungen gerade in den letzten Tagen infolge dieses Feh-
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Dr. Häfelelers der Bundesregierung wieder einen Rückschlag erfahren hat.
Genau das, was Sie, Graf Lambsdorff, vorhin gesagt haben — eine Finanzpolitik müsse die Voraussetzungen für die Privatinvestitionen schaffen, damit die Struktur verändert werden könne —, konterkarieren Sie mit der Vereinnahmung dieser 10 Milliarden DM Bundesbankgewinne. Das ist doppelt gefährlich, weil wir mit unserem Leistungsbilanzdefizit nach wie vor nicht über den Berg sind.
Entgegen den geschönten, den zweckoptimistischen Zahlen, wie sie in den letzten Wochen auch aus Ihrem Munde, Herr Wirtschaftsminister, verkündet wurden, sieht das tatsächliche Ergebnis der ersten neun Monate anders aus. Auch die fünf Institute haben insoweit Falsches geschrieben.
Die Summe des Leistungsbilanzdefizits der ersten neun Monate beläuft sich auf 26,8 Milliarden DM.
Im Vergleichszeitraum des Vorjahres — und das war bisher der Rekord — waren es nur 25 Milliarden DM. Das Leistungsbilanzdefizit in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres ist also größer als das Rekorddefizit im vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres. Wir sind noch keinesfalls über den Berg.
Nein, mit der Gewinnabführung, mit der Vereinnahmung zum Stopfen von Haushaltslöchern — das ist ja der Zusammenhang; das ist das Entscheidende — geht die Bundesregierung den scheinbar bequemen Weg, sich über die Runden zu helfen, anstatt weitere Einsparungen vorzunehmen. Das ist tatsächlich der Sinn dieser Aktion.
Das ist schädlich für unsere wirtschaftliche Entwicklung, für die Investitionen, für die Zinsen, die niedriger werden müssen, für den Geldwert und für die Arbeitsplätze. Es ist die Vertagung der Sanierung der öffentlichen Haushalte auf weitere Jahre.
Wir befinden uns hier auch in Übereinstimmung mit dem Sondergutachten des Sachverständigenrates vom Juli dieses Jahres. Es ist sehr empfehlenswert, das nachzulesen, was die Sachverständigen zur Gewinnabführung der Bundesbank dort auf zwei Seiten niedergelegt haben — mit warnendem Unterton, weil sie gespürt haben, daß die Regierung womöglich einen verhängnisvollen Weg gehen würde. Es heißt unter Ziffer 33 wörtlich:Falsch wäre es daher auch, sich von dem Beitrag, den die Gewinnablieferung zur Finanzierung des Bundeshaushalts leistet, eine entsprechende Entlastung der Kreditmärkte zu versprechen. Das kompensatorische Verhalten der Bundesbank beim Erwerb anderer Aktiva schließt dies aus.Genau das, was ich gesagt habe: Die Bundesbank muß kompensieren, muß die Geldmenge auf anderem Felde drosseln, und das trifft die Investitionen.Der Sachverständigenrat weiter:Bei unseren Überlegungen zur Größe der Konsolidierungsaufgabe der öffentlichen Haushalte sind wir von jährlichen Ablieferungen der Bundesbank in Höhe von rund 3 Mrd. DM ausgegangen.3 Milliarden DM hält der Sachverständigenrat für vertretbar, aber nicht die 10 Milliarden DM, die die Bundesregierung jetzt vereinnahmt.Professor Schmölders, einer der bedeutenden Finanzwissenschaftler in unserem Land, hat gestern in einem Rundfunkinterview zu dieser Art der Finanzierung des Bundeshaushaltes wörtlich gesagt:Dies ist die leichtsinnigste Art der Finanzierung, noch leichtsinniger als über Kredite.
Er hat natürlich recht; denn wenn die Bundesregierung auf den Kapitalmarkt gehen muß, muß sie Zinsen zahlen wie der Häuslebauer und wie der Investor. Damit wird sie wenigstens mittelbar zum Sparen genötigt, weil die Zinsen zu teuer werden, während sie bei diesem bequemen Weg an so etwas eben nicht denkt und das Sparen vergißt.Im übrigen ist diese Gewinnabführung in Höhe von 10 Milliarden DM zum Stopfen von Haushaltslöchern ein klarer Wortbruch sowohl der FDP wie auch des Bundeskanzlers.
Herr Bundeskanzler, Sie haben am 30. Juli dieses Jahres nach den Finanzbeschlüssen des Kabinetts vor der Presse in Bonn wörtlich folgendes gesagt:Falls ... der festgestellte Gewinn der Bundesbank ... größer werden sollte ...,— als die damals eingestellten 6,1 Milliarden DM —so wird der überschießende Teil ausschließlich zur weiteren Rückführung der Nettokreditaufnahme verwendet werden. Darauf haben wir uns festgelegt.
Das Wort des Bundeskanzlers ist nach ein paar Wochen in den Wind gesprochen. Niemand kann sich mehr darauf verlassen.
Zweitens. Die Bundesregierung bringt die falsche Lösung. Sie hebt die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung um einen weiteren halben Prozentpunkt auf vier Prozent an. Damit wird der Leistungswille der Arbeitnehmer geschmälert und werden die Betriebe mit zusätzlichen Kosten belastet. In unserer wirtschaftlichen Entwicklung ist das eben genau der falsche Weg.
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Dr. HäfeleWir von der CDU/CSU lehnen jede Steuererhöhung, jede Abgabenerhöhung aus diesen grundsätzlichen ökonomischen Gründen ab und sagen auch dazu nein.
Ich erkläre der Bundesregierung heute klar zu dem Versuch, den die Koalition jetzt in den Ausschüssen mit dem Kinderbetreuungsbetrag macht: Bemühen Sie sich nicht! Sie sind ohne jede Chance, hier etwas zu erreichen. Eine Steuererhöhung und eine Streichung des Kinderbetreuungsbetrags werden mit der CDU/CSU nicht geschehen. Ich sage das, damit ein für allemal Klarheit besteht.
Nun argumentiert die Regierung vielfach so: Es gab ja schon einmal Zeiten, wo sich der Arbeitslosenversicherungsbeitrag auf 4 % belief. Sie hebt dabei auf die große Adenauer-Zeit ab. Ich habe mir die Zahlen heraussuchen lassen und festgestellt: Eine treffendere Bilanz der Adenauer-Zeit, aber auch der Zeit der Koalition, gibt es überhaupt nicht, als wenn man verfolgt, wie sich die Arbeitslosenversicherungsbeiträge entwickelt haben. In der Tat: Inmitten der Trümmer nach dem verlorenen Krieg haben wir 1950 mit 4 % begonnen. Das hat sich bis 1954 gehalten. 1955 kam die Senkung auf 3 %. 1957 kam die Senkung auf 2 %, 1962 kam die Senkung auf 1,4 %, 1964 kam die Senkung auf 1,3 %. Das hat sich bis 1971 gehalten. Da kam 1972 die erste Erhöhung durch diese Koalition auf 1,7 %. 1975 kam die zweite Erhöhung auf 2 % und 1976 die Erhöhung auf 3 %. Und jetzt soll die Erhöhung auf 4 % kommen. Das ist eine hervorragende Bilanz — nach beiden Seiten!
Ich rate, Herr Bundeskanzler, den Mitgliedern Ihrer Regierung und auch Ihnen, ja nicht mehr in den Mund zu nehmen, das sei nur für zwei Jahre. Nach den Täuschungen, die Sie mit Zahlen in den letzten Monaten hier gemacht haben, glaubt Ihnen kein Bürger des Landes, das sei bei Ihnen auf zwei Jahre.
Auch hier liegt ein klarer Wortbruch sowohl der FDP wie der Bundesregierung und des Bundesfinanzministers vor. Ich erinnere an Herrn Genscher und seinen berühmten „Wende"-Brief
vom 20. August, wo er klar höhere Steuern, höhere Abgaben und Beiträge ablehnt. Es gibt hier Zitate in Fülle. Wenn er hier sein könnte — wir wissen, er kann heute nicht hier sein —, müßte man ihn fragen — er sagt j a inzwischen in Interviews: „Wir sind mitten in der Wende" —,
ob nicht sein Begriff von Wende inzwischen bei ihm eine neue Wendung genommen hat. Auf jeden Fall ist es wahrscheinlich eine andere Wende, nachdem Herr Wehner ja gesagt hat, eine Wende sei mit ihm nicht zu machen. Welche Wendung hat der BegriffWende in den letzten Wochen bei der FDP genommen?
Herr Matthöfer, Sie haben vorgestern abend im Fernsehen dies bestritten. Vorhin haben Sie es in Ihrer Rede ein bißchen verklausuliert. Da gibt es keinen Ausweg. Vor einem Monat, am 25. September, haben Sie, als es um den Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 4 % ging, im Bundesrat wörtlich gesagt: „Hier ist, jedenfalls während der Amtszeit dieses Bundesfinanzministers, keine weitere Beitragserhöhung eingebaut."
Herr Matthöfer, ich fordere Sie auf: Erklären Sie bitte heute dem Hohen Hause: Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dieser Erklärung, die Sie am 25. September vor dem Bundesrat abgegeben haben? Bitte antworten Sie!
Drittens. Es handelt sich um völlig unzureichende Einsparungen. Von der Deckungslücke von rund acht Milliarden DM wird nur eine Milliarde durch sogenannte Einsparungen gedeckt. Und die sind nicht seriös. Nicht einmal der schüchterne Versuch, im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes die Kosten bei den Schülern etwas einzudämmen, wird von der SPD getragen. Im übrigen sind es weitgehend globale Kürzungen, z. B. bei der Verteidigung, obwohl es da an allen Ecken und Enden spannt. Kann dies wirklichkeitsgerecht sein? Weitere „Tornados" sind programmiert. Hinzu kommen die Zinsrisiken. Das sind alles keine realistischen Zahlen.Nein, meine Damen und Herren, auch die Grundannahmen der volkswirtschaftlichen Daten sind nach wie vor nicht realistisch, sondern eher am günstigen Rand dessen, was die Sachverständigen prognostizieren. Sie sind also mit weiteren großen Risiken behaftet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
tolle Leistung, nächstes Jahr nur eine Ausgabensteigerung von 2,8 %. Das wäre in der Tat eine Leistung. Aber das ist das alte Spiel, mit den falschen Zahlen von vorher plötzlich neue, gute Zahlen für die Zukunft zu projizieren. Wie war es denn im laufenden Jahr? Da hieß es auch: Wir machen einen Sparhaushalt mit 4 % Zuwachs. Verabschiedet wurden dann 7,2 % Zuwachs, und jetzt sind es 8,5% Zuwachs.
Wenn ich natürlich aus den 4% jetzt 8,5% als Basis mache — für ein paar Wochen, das lebt nur ein paar Wochen —, dann kann ich aus der Zahl 4 ganz schnell 2,5 machen. Wir werden sehen, wie sich das entwickelt.Die CDU/CSU fordert die Regierung auf, für das Jahr 1982 einen Ergänzungshaushalt — das ist der
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Dr. Häfeleübliche und ordnungsgemäße Weg — und eine neue mittelfristige Finanzplanung vorzulegen. Denn vor allem die mittelfristigen Zahlen sind in der Folge natürlich völlig überholt.
Ich fasse zusammen. Auch der dritte Anlauf der Bundesregierung, die Löcher im Haushalt 82 zu stopfen, ist nicht geglückt. Die Bürger haben kein Vertrauen mehr in die Zahlen und in die Politik der Bundesregierung.
Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der SPD/FDP- Koalition seit 1969 erweist sich als eine Summe von Fehlern, von Täuschungen der Bürger und von Wortbrüchen. 1972 führten Sie den Wahlkampf mit der Behauptung, Inflation sei der Preis für Vollbeschäftigung. Damit haben Sie die Bürger getäuscht.
1976 führte der Bundeskanzler Schmidt den Wahlkampf mit der Behauptung, bei den Renten gebe es nur ein „Problemchen". Damit haben Sie die Bürger getäuscht.
1980 haben Sie den Wahlkampf mit einer verantwortungslosen Verniedlichung der Schuldenproblematik geführt und behauptet, dies sei der Weg zur Vollbeschäftigung. Damit haben Sie die Bürger getäuscht.
In dem Jahr nach der letzten Bundestagswahl, im letzten Jahr, täuschen Sie die Bürger ständig mit Zahlen. Der Bundeskanzler und seine Minister begehen einen Wortbruch nach dem anderen. Meine Damen und Herren, es ist schlimm: auf das Wort der Regierung können unsere Bürger keinen Pfifferling mehr geben. Unsere Bürger haben das Vertrauen in die SPD/FDP-Koalition verloren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Westphal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Scheinlösung", „falsche Lösung", „völlig unzureichend", „Täuschung",
was ist das eigentlich mehr als ein inzwischen oft wiederholtes Feuerwerk der Worte,
das abbrennt, das jetzt schon abgebrannt ist, das in wenigen Minuten verpufft, ein Feuerwerk gegenüber einer regierenden Koalition, die mit einer schwierigen Lage fertigzuwerden hat — und dies auch schafft.
Wir sind gerade dabei, dies Ihnen und dem Bürger draußen zu erläutern, zu erklären und es zu verdeutlichen.Was ist geschehen? Wie jedes Jahr im Herbst riskieren — so kann man es vielleicht nur nennen — die Wirtschaftswissenschaftler eine Vorausschau auf die wirtschaftliche Entwicklung des nächsten Jahres. Sie tun das, wie wir alle seit Montag haben nachlesen können, mit lauter Wenn und Aber, aber mit Zahlen, die — man kann das bedauern, aber man kann nicht darüber hinweg — für uns, die wir über Haushalte zu entscheiden haben, zur politischen Realität werden. Bei dieser Gelegenheit müssen die Wirtschaftswissenschaftler auch Feststellungen darüber treffen, ob das zu Ende gehende Jahr so verlaufen ist, wie sie es vorhergesagt haben, oder ob sie sich korrigieren müssen. Der wirtschaftswissenschaftliche Sachverstand der Bundesregierung steht vor der gleichen Aufgabe.Ich will das mal an einem Zahlenbeispiel verdeutlichen — das konnte man gerade in diesen Tagen nachlesen —: Im Juni dieses Jahres ist die Vorausschätzung so gewesen, daß man für die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden für das Jahr 1981 einen Wert errechnet hatte, der bei 393 Milliarden DM lag. Herauskommt nun, kurz vor Ende des Jahres, eine Schätzung auf das Ist — es ist immer noch eine Schätzung —, die sagt: Das sind nicht 393 Milliarden DM, sondern das werden 387 Milliarden DM sein — 6 Milliarden DM weniger. — Guckt man das aus der Sicht der Schätzer an, wird man sagen: Bezogen auf diese gewaltige Größenordnung, um die es dort geht, sind 6 Milliarden DM ein minimaler Betrag. Für uns, für Bund, Länder und Gemeinden, sind 6 Milliarden DM Steuermindereinnahmen eine gewaltige, uns umtreibende Größenordnung, die uns zu Konsequenzen zwingt. Und davor stehen wir.Die Daten, die sich aus dem rechenbaren Ist-Zustand für das Jahr 1981 und aus dem geschätzten Entwicklungsgang für ein ganzes vor uns liegendes, noch gar nicht begonnenes Jahr 1982 jetzt zu diesem Zeitpunkt ergeben, hat uns der Wirtschaftsminister eben in seiner Regierungserklärung vorgetragen. Und — lassen Sie uns das nüchtern feststellen — diese Daten sind schlecht, sie sind für unsere bundesrepublikanischen Verhältnisse mies, obwohl andere Länder in der Welt um uns herum, große Industriestaaten, uns um diese Daten beneiden würden.Uns werden am Ende dieses Jahres wesentlich mehr Steuereinnahmen fehlen, als im Juni dieses Jahres noch vorausgeschätzt wurde. Und wir haben das nachzudecken, aus einem vorhandenen Kreditrahmen, in ordentlichem Verfahren, mit sauberer Information des ganzen Parlaments und mit Diskussions- und Beratungsmöglichkeiten innerhalb dieses Parlaments, ohne auch nur einen Zipfel vom Haushaltsrecht abzuweichen.Ähnlich, meine Damen und Herren, sind die Konsequenzen schlechter Wirtschaftsdaten für den noch im Beratungsprozeß befindlichen Haushaltsentwurf 1982. Wir stehen vor dem ernüchternden Tatbestand, daß Steuereinnahmen fehlen und die Kosten für die
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Westphalan Arbeitslose zu gewährenden Leistungen in erheblichem Maße steigen werden. Dieses Problem zu meistern ist die zusätzlich gestellte Aufgabe. Und die Koalition legt Ihnen heute, knapp zwei Wochen nach den ersten Angaben über die Größe der Fehlbeträge, eine Antwort dazu vor, eine Antwort, die uns entscheidungsfähig macht.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, lamentieren über unsere Fähigkeiten und konstruieren Schuldzuweisungen. Das war der Inhalt der Rede von Ihnen, Herr Häfele. Wir aber haben inzwischen nachgedacht und haben gehandelt. „Wir", das sind Liberale und Sozialdemokraten als Partner mit unterschiedlichen Grundauffassungen, deren unterschiedliche Positionen draußen jeder gerne als Streit bezeichnet und die doch nichts weiter sind als der Ausdruck normaler parlamentarischer Demokratie. Nur in Diktaturen ist das anders; nur dort darf über solche unterschiedlichen Auffassungen nichts gesagt und nichts veröffentlicht werden, nur dort darf darüber nicht diskutiert werden und darf nichts verändert werden. Dies aber haben wir hinter uns, und wir wollen es nicht wieder.Wir als Partner einer Koalition mit unterschiedlichen Grundauffassungen haben unsere Runde ausgestanden und haben uns an deren Ende — nach kurzer Zeit — geeinigt. Das Ergebnis ist das, was wir Ihnen hier vorlegen.
Meine Damen und Herren, wir legen Ihnen keine Ideallösung der Probleme vor.
Die gibt es ja auch gar nicht. Wo gibt es so etwas? Das, was wir Ihnen vorlegen, ist unser Kompromiß. Wenn er Ihnen von der Opposition nicht gefällt, dürfen Sie ihn ablehnen.
Die Verantwortung — vor der wir uns nicht drücken — können Sie uns sowieso nicht abnehmen. Dann allerdings, wenn Sie uns an der Verwirklichung unserer Lösungsvorschläge hindern sollten oder wollen, sind Sie gefragt,
Ihre Vorstellungen darzustellen und sie uns entgegenzuhalten.
Dann genügt die Kritik nicht!
Wir sind da in Erwartungsstimmung. Machen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, es à la Strauß, oder machen Sie es à la Stoltenberg, oder machen Sie es à la Kohl?
Herr Kohl, was wir ertragen können, ist Sonthofener Verbalismus und Kieler Realismus. Das können wir ertragen!
Was unsere Republik — und es geht nicht bloß um unsere Meinung, es geht um unsere Republik — nicht ertragen könnte, wäre Sonthofen in der Praxis. Dies gilt es abzuwenden!
Dem darf man bei dieser Gelegenheit ja einmal hinzufügen, daß das arme Sonthofen eigentlich immer darunter leiden muß, daß wir für eine so schöne kleine Stadt im Allgäu so schlechte Parallelen zu ziehen haben, weil dort nun einmal eine so schlimme Rede gehalten worden ist.
Meine Damen und Herren, wir haben deshalb mit Interesse gelesen, daß Herr Stoltenberg in einem heute in den Zeitungen auffindbaren Zitat die begrenzte Zusammenarbeit als seine Politik aufrechterhält und dies von der Bedingung abhängig macht: wenn wichtige Vorschläge übernommen werden.Nun, das wird ausgelotet werden, wenn der Bundesrat mit seiner Mehrheit dran ist
und wenn darüber zu verhandeln ist. Ein Teil dessen ist auch schon in unsere Beratungen und im Blick auf die Entscheidungen dieses Hauses, die wir hier in der nächsten Parlamentswoche bei der „Operation '82" in zweiter und dritter Lesung zu treffen haben, mit einbezogen worden.Nun aber noch eine Bemerkung zu der Frage, ob wir, die Koalition, uns das Ganze, was hier jetzt geschieht, nicht hätten ersparen können, wenn wir gleich bei Vorlage des Etats im September
von richtigen Wirtschaftsdaten ausgegangen wären. Dies ist ja einer der Hauptvorwürfe.Meine Damen und Herren, die Antwort ist einfach. Sie lautet: ja, wir hätten uns das ersparen können. Nur, das Problem ist: der einzige, der nach einem gestrigen Interview, das heute zur Verfügung steht, die richtigen Daten zu der Zeit hatte, von der ich spreche, das ist der heute aus Gründen einer Moskaureise nicht anwesende Herr Kiep, und der hat das damals eben nicht gesagt. Er behauptet, er habe es gewußt. Ich zitiere ihn. Gestern war von Herrn Kiep zu lesen: „Zunächst einmal hätten wir" — wir, das ist die Opposition — „an Stelle der Koalition im Sommer realistische Zahlen auf den Tisch gelegt."
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WestphalDas heißt also, Herr Kiep hätte im Sommer 1981 gesagt, im Jahre 1982 werden Bund, Länder und Gemeinden 9 Milliarden DM weniger Steuereinnahmen haben, als es im Juni geschätzt wurde; und Juni ist doch der Beginn desselben Sommers, von dem ich hier rede. Herr Kiep hätte also im Sommer 1981 gesagt, wir hätten im Durchschnitt des Jahres 1982, das dann noch anderthalb Jahre bevorstand, 1,6 Millionen Arbeitslose.Ich will hier feststellen, daß Herr Kiep dies eben damals nicht gesagt hat und daß er es auch Anfang September nicht gesagt hat. Ich will Ihnen auch die Gründe dafür nennen. Herr Kiep hat dies aus zwei Gründen nicht gesagt, aus dem einen Grund nämlich, daß er es eben zu der Zeit nicht hat wissen können. Der zweite Grund ist noch viel deutlicher und klarer: weil auch er ein so kluger Mensch ist, daß er zu dieser Zeit damals nicht den Teufel an die Wand gemalt hätte für eine Wirtschaftsentwicklung des nächsten Jahres mit so miesen Daten. Diese beiden eben genannten Gründe sind genau dieselben Gründe, die den Bundesminister für Wirtschaft und den Bundesminister der Finanzen heute morgen dazu geführt haben, uns zu sagen, sie hätten eben auch vor vier Wochen, Anfang September, solche Zahlen nicht nennen können, nicht wissen können und hätten wenn man sie geahnt hätte, ohne sicher zu sein, sie nicht als Teufel an die Wand für das nächste Jahr gemalt.
Aber das, was die Bundesregierung getan hat, war, daß sie in die Haushaltsentwürfe höhere Belastungen eingestellt hat, als sie damals die Selbstverwaltung der Bundesanstalt für Arbeit vorgesehen hatte. Und wir wurden auf das bevorstehende mögliche Risiko in der Einbringungsrede des Bundesministers der Finanzen für den Haushalt 1982 im September offen hingewiesen. Ein ganzer Abschnitt der Rede, die ja nun gedruckt vorliegt — Sie können es nachlesen — befaßt sich mit diesem Hinweis auf ein mögliches Risiko.Ich war dabei, als man sich überlegte, für welche Größenordnung eines Risikos man, ohne dieses in einem Etat einstellen und haushaltsrechtlich begründen zu können, eventuell zusätzliche Vorsorge treffen müßte. Es gab niemand, meine Damen und Herren, der uns gesagt hätte oder sagen konnte, daß wahrscheinlich 1982 dem Bund allein 4,2 Milliarden DM mehr Steuereinnahmen fehlen würden, als es im Juni vorausgeschätzt worden war.Ich möchte gleich hinzufügen, daß ich nicht verstehen kann, warum Herr Kiep sein gestern erläutertes, aber verschwiegenes Wissen nicht im Sommer des Jahres 1981 wenigstens den CDU- und CSU- Ministerpräsidenten der Länder mitgeteilt hat. Dann hätten wenigstens diese Herren kein — wie heißt das heute so schön? — „Haushaltsloch" produziert und hätten realistische Landesetats als Entwürfe vorgelegt.
— Richtig, ich komme sofort auf Herrn Rau zu sprechen. — Es war doch Herr Biedenkopf, den ich sonstals einen klugen Gegner sehr schätze — ich habe gerade heute gelesen, was er zum Thema der nuklearen Abschreckung geschrieben hat —,
der in diesem Zusammenhang einen taktischen Fehler gemacht hat, indem er Herrn Rau vorgeworfen hat, daß dieser den Haushalt des Landes Nordrhein-Westfalen mit einem „Loch" versehen hätte, und daran sei Herr Rau schuld. Die Konsequenz ist doch, daß nun mit derselben Begründung die Oppositionspolitiker im rheinland-pfälzischen Landtag, die Oppositionspolitiker im bayerischen Landtag, die Oppositionspolitiker im schleswig-holsteinischen Landtag und, und, und, hingehen und sagen, Herr Stoltenberg, Herr Strauß, Herr Späth, sie alle hätten ein Haushaltsloch produziert. Dies ist nämlich der tatsächliche Vorgang: Die Länder, aber leider auch die Gemeinden stehen vor derselben schwierigen Lage, die uns wirtschaftliche, konjunkturelle Entwicklungen ins Haus gespielt haben.Meine Damen und Herren, lassen Sie uns zurückfragen: ist diese Art des Diskutierens über solche Fragen nicht dumm?
Ist es für uns alle, für die Menschen draußen nicht viel richtiger, mit Nüchternheit folgendes festzustellen:Erstens: Staatshaushalte aller Ebenen werden in entscheidenden Positionen von sich schnell wandelnden Wirtschaftsdaten bestimmt. Sie sind abhängig von der Konjunktur und deren Verläufen. Die Regierungen und Parlamente machen vorher bei ihrer Aufstellung den Versuch, diese Konjunktur mit zu beeinflussen, aber während des Verlaufs sind die Haushalte abhängig von der Konjunktur. Öffentliche Etats sind Schätzungen und setzen Rahmen. Sie leben und verändern sich im Jahr ihrer Gültigkeit.Zweitens. Jedes Jahr vor der Verabschiedung des Etats holt das Parlament letzte Wirtschaftsdaten ein und erwartet von der Regierung, daß die Regierung aus diesen Voraussschätzungen Konsequenzen empfiehlt, die einen ausgeglichenen Haushalt ermöglichen. Dies ist der normale, laufende jährliche Vorgang.Ich habe es selber erlebt, wie wir im Haushaltsausschuß in wenigen Minuten der Abschlußsitzung vor Ende unserer Beratungen auf der Basis einer neuen positiven Steuerschätzung die Nettokreditaufnahme um 3 Milliarden DM abgesenkt haben.
— Oh nein, drei Jahre. — Es stand fast keine Zeile über diesen Vorgang in den Zeitungen, Es gab auch keine Folgekosten bei der Bundesanstalt für Arbeit. Dies ist nun einmal nur dann ein uns umtreibendes, ein bedrückendes Problem, wenn die Daten ungünstig sind. Sind sie günstig, ist es für niemanden eine große Aufregung.Wie sieht nun — das ist der zweite Teil meiner Überlegungen hier vor Ihnen — unsere Antwort
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Westphalaus? Ich kann das wohl auch am besten wieder in der Gegenüberstellung zu den Ansichten der Opposition verdeutlichen. Herr Kiep verweist auf die Vorschläge der CDU/CSU zur Verbesserung der Haushaltsstruktur, die bekanntlich selbst dann, wenn man diese neben die Beschlüsse der Koalition vom September 1981 stellt, in keiner Weise gleiche Größenordnungen erreichen. Er nennt Kürzungen beim BAFÖG, Senkung des Arbeitslosengeldes, der Anwärterbezüge im öffentlichen Dienst, der Sozialhilfe und einen Krankenversicherungsbeitrag für Rentner. Wir sind — sehr überlegt — andere Wege gegangen. Doch rechnet man die Oppositionsvorschläge zusammen, dann reichen sie in keiner Weise, die im Sommer festgestellten und von uns beantworteten strukturellen Probleme abzudecken. Sie würden nicht einmal ausreichen, um die jetzt hinzugekommenen konjunkturellen Probleme abzudecken.Herr Kohl erinnerte daran, die Opposition sei bereit, aus den Entschlüssen, die wir gefaßt haben, 7 Milliarden DM mitzutragen. Ich weiß nicht, wie er gerechnet hat. Aber immerhin: Wir honorieren diese Mitwirkung, wir stellen jedoch fest: Das ist ein Drittel dessen, um was es geht. Wir haben in der Operation '82 Haushaltsverbesserungen in Höhe von 16 Milliarden DM vorgenommen, und wir mußten nun — wir haben es getan — Konjunkturfolgen und Stahlrisiken in Höhe von fast 8 Milliarden DM abdecken. Meine Damen und Herren, das sind zusammen 24 Milliarden DM von einem Etatjahr auf das nächste. Dies hat es in unserer Republik noch nicht gegeben.
Dies ist ein enormer Vorgang. Er wird durch das, was wir hier vorlegen, bewältigt. 24 Milliarden DM, das sind 10% der Größenordnung des gesamten Etatentwurfs von 1982!Ich füge sofort hinzu: Es geht um Einschnitte; es geht um Belastungen. Da ist es schwer, draußen Zustimmung zu erreichen. Das tut man unter Kritik — die erleben wir zur Zeit —, und das tut man auch unter Kritik aus den eigenen Reihen. Wir haben das nicht gescheut. Wir belasten — so kann man vielleicht feststellen —, aber wir bringen niemanden um, selbst wenn das der eine oder andere Interessenverband an irgendeiner Einzelstelle, nämlich dort, wo er Betroffene vertritt, glaubt behaupten zu können.Meine Damen und Herren, es geht um Korrekturen an dem, was man den erreichten Wohlstand nennen kann, es geht nicht um Vernichtung von Existenz.
Zur Abdeckung der Konjunkturfolgekosten von 7,8 Milliarden DM erfolgen Einschnitte bei einem Leistungsgesetz in einer Größenordnung von 250 Millionen DM. Die gewichtigste Belastung muten wir zu gleichen Teilen Arbeitnehmern und Arbeitgebern mit je einem Viertelprozent Beitragserhöhung bei der Arbeitslosenversicherung zu. Wir hoffen, daß dies ein auf zwei Jahre begrenzter Vorgang sein kann.Es ist richtig, daß uns ein günstiger Umstand tiefere Einschnitte erspart. Der dem Bund rechtlich zustehende Gewinn der Bundesbank steigt mit den Leiden, die unsere Wirtschaft durch die Hochzinspolitik in den USA zu ertragen hat. Wir handeln konsequent und wirtschaftlich wie sozial vernünftig, wenn wir den ganzen Gewinn einsetzen, um mit den negativen Folgen der Hochzinseinwirkungen fertig zu werden. Es ist zutreffend, daß man auf solche Gewinne nicht auf längere Zeit bauen kann. Das wollen wir nicht, und das tun wir auch nicht; das hat der Bundesfinanzminister hier deutlich gemacht. Im Gegenteil, wir hoffen auf das Ende dieser Zinsgewinnperiode, damit bei uns Investitionsmittel endlich wieder billiger zur Verfügung stehen. Eine Vertagung der Sanierung ist das nicht.Wir nehmen den Bundesbankgewinn anstelle von Krediten, die sonst die Antwort der Wirtschaftswissenschaftler wären, weil Kürzungen auch auf der Seite des Verbrauchs den Konjunkturverlauf nach unten drücken würden und weil man eben nicht dazu beitragen darf, daß mit den großen Instrumenten der öffentlichen Haushalte etwa so etwas wie „Kaputtsparen" gemacht wird; das darf es nicht geben.Ein Kredit aber ist der Bundesbankgewinn nicht, denn der Kredit, für den man keine Zinsen zu zahlen und den man nicht zurückzuzahlen braucht, ist eben kein Kredit, sondern er ist ein Geschenk. Nehmen wir es als eine Hilfe, auf die wir rechtlich Anspruch haben und die zur rechten Zeit kommt.Die Opposition hält das zwar alles für falsch, hat aber keine konkretisierte Antwort, außer weitere Einschnitte bei Leistungsgesetzen vorzunehmen. Da sie damit nur den Sozialbereich, die Transferleistungen meint und den darauf nicht angewiesenen Bürger nicht einbeziehen will — in dieser Frage stehen wir Sozialdemokraten offensichtlich sowieso allein —, bedeutet dies konkret neue Einschnitte in der Größenordnung von etwa 6 bis 7 Milliarden DM allein beim Bund. Damit Sie einen Größenvergleich haben, was dies bedeuten würde, will ich Ihnen sagen, daß das, was die Bundesratsmehrheit von CDU/ CSU geführten Ländern an BAföG-Kürzungen vorschlägt, von diesen auf 750 Millionen DM beziffert wird. Das stimmt zwar nicht — da muß man nachrechnen; das sieht ganz anders aus —, aber gehen wir einmal davon aus, daß der Betrag von 750 Millionen DM zutrifft. Setzen Sie das einmal ins Verhältnis zu Ihren Vorstellungen bezüglich der Einschnitte in Leistungsgesetze — 6 bis 7 Milliarden DM —, dann müssen Sie noch fünf-, sechs-, siebenmal so tief einschneiden. Dies haben Sie vor. Dies ist Ihr Konzept, nicht unseres, meine Damen und Herren.
Das können Sie an dem sehen, was wir hier vorgelegt haben. Wir haben damit schwierige Fragen gelöst. Unsere Lösungen liegen näher an dem, was die kleinen Leute ertragen können, als an dem, was die Opposition machen würde, wenn sie zu entscheiden hätte.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981 3523
WestphalMeine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Die Antworten der Koalition auf ein im Haushalt vor seiner Verabschiedung zu lösendes Problem liegen Ihnen vor. Der Bundeswirtschaftsminister hat die Gründe, die zu unseren Handlungserfordernissen führten, erläutert. Der Bundesfinanzminister hat dargelegt, was wir zu tun entschlossen sind und wie wir schnell handeln werden.Ihnen liegen die für die Beratung erforderlichen Unterlagen vor. Der Bundesrat wird in gleicher Form unterrichtet. Verfahrensverzögerungen — mögen formale Wünsche hier auch noch so betont werden — sollten wir uns nicht leisten. Unsere Empfehlung ist: Rückkehr an die Arbeit in den Ausschüssen, und das möglichst sofort, damit der Bürger schnell die fertigen Beschlüsse, die fertigen Ergebnisse unserer schwierigen Arbeit vor sich hat und das Parlament als Gesamtheit seine Entscheidung darüber treffen kann.Den vorliegenden Antrag der Opposition lehnen wir ab.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Zumpfort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist verständlich, daß Oppositionspolitiker zu jeder Gelegenheit, die sich ihnen bietet, das sagen, was sie für richtig halten. Wenn es dann aber um die praktische parlamentarische Arbeit geht, Herr Kollege Häfele, müssen Sie selber eingestehen, daß Sie das, was Sie sagen, nicht durchsetzen können. Ich erinnere Sie daran, daß Ihre Kollegen Sie gestern im Finanzausschuß kolonnenweise im Stich gelassen haben, als es darum ging, gestern für heute und für die Zukunft Vorschläge zur Konsolidierung des Haushalts zu machen. Das müssen wir an dieser Stelle festhalten.
Meine Damen und Herren, ich gehöre einer jungen Generation von Politikern an, die im Gegensatz zu älteren und früheren Abgeordneten — das muß man hier einmal ganz deutlich sagen — vor politischen Gestaltungsmöglichkeiten stehen, die sich radikal geändert haben gegenüber einer Politik, die meine älteren oder früheren Kollegen seit 30 Jahren haben machen können. Wir stehen vor grundsätzlich veränderten Rahmenbedingungen für politisches Handeln für die 80er Jahre, die dadurch gekennzeichnet sind, daß man Politik nicht mehr auf den bisherigen Zuwächsen des Bruttosozialprodukts aufbauen kann, sondern mit niedrigeren oder sogar negativen Zuwächsen des Bruttosozialprodukts zurechtkommen muß.Das ist der Grund, Herr Kollege Häfele, weswegen Ihre Vergleiche mit den Jahren der Adenauer-Regierung oder früheren Regierungen von CDU/CSU und FDP oder auch mit der Großen Koalition nicht stimmen. Die Rahmenbedingungen sind gänzlich anders.
Täuschen wir uns doch nicht: Was die Grünen gewollt haben, ist unfreiwillig eingetreten. Wir haben Nullwachstum, wir haben negatives Wachstum — um diese Modewörter zu gebrauchen. Worauf es jetzt ankommt, ist, Umverteilungsprobleme in einer Gesellschaft, die nicht mehr wächst, zu bewältigen. Vor dieser Aufgabe laufen wir nicht davon.
— Warten Sie ab! Ich bin noch nicht am Ende.Diese veränderten Rahmenbedingungen
— hören Sie einmal zu, was jetzt kommt — des politischen Handelns sind doch nicht allein ein Problem des Bundes, auch wenn wir hier im Bundestag darüber reden. Die äußeren Kennzeichen, daß die Ausgaben zu hoch sind, die Einnahmen immer niedriger werden, daß man sich verschulden muß, findet man doch nicht nur beim Bund, sondern auch bei den Ländern, sogar bei denen, von denen man sagt, sie seien gut gestellt.
Da hat sich, um es deutlich zu sagen, im Jahr 1981 bei allen Ländern ein Defizit von insgesamt über 11 Milliarden DM aufgetan; das können Sie hier doch nicht verschweigen. Und schauen Sie sich an, was die Stadt Frankfurt allein in diesem Jahr macht. Sie hat weitere 170 Millionen DM Kredite aufgenommen; seit der Kommunalwahl sind es eine halbe Milliarde DM. Nicht der Bund allein hat hier seine Probleme, sondern Bund, Länder und Gemeinden sowie die EG stehen hier vor den gleichen Schwierigkeiten; daran muß man sich gewöhnen.
In dieser Situation — ich sage das hier ganz deutlich — halte ich eine Schuldsuche nach dem Motto „Haltet. den Dieb!" für peinlich. Ich glaube auch, daß der Bürger dies nicht hören will.
In diesem Schwarzer-Peter-Spiel, das hier stattfindet, hat der Bund zur Zeit zwar schlechtere Karten, aber doch nur deswegen, weil er zuerst einschneidende Maßnahmen zur Einsparung, zur Konsolidierung getroffen hat; da haben Sie noch einen Nachholbedarf.
Als Ihr Kollege, der Finanzminister Palm, verkündete, daß das Land Baden-Württemberg in diesem Jahr wahrscheinlich 1 Milliarde DM zusätzlich Schulden machen müsse, hat er gesagt: Hektik ist kein Programm. Das sollten Sie sich bitte auch merken.
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3524 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981
Dr. ZumpfortEs kommt darauf an, daß wir hier zu einer gemeinsamen Verantwortung zurückfinden — ich werde dazu gleich noch Stellung nehmen —, und es kommt darauf an, daß wir sachlich debattieren. Ich will einen Beitrag dazu leisten.Vor mehr als 100 Jahren hat ein Ökonom Wagner gelebt, der gesagt hat: In Wohlfahrtsstaaten breitet sich der Staat unaufhaltsam aus. Dieses Wagnersche Gesetz brauchte somit nicht erst von der Opposition zur Anklage der Regierung erfunden zu werden, sondern es existiert bereits seit mehr als 100 Jahren. Um es deutlich zu sagen: Wir haben Beispiele dafür, daß es sich nicht allein in dieser Regierung bestätigt hat. Wer hat denn, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU, das Bruttolohnprinzip und die dynamische Rente eingeführt, die wir jetzt korrigieren müssen?
Wer hat denn in der Großen Koalition die gesetzlichen Regelungen für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall geschaffen? Das waren doch Sie und nicht wir!
Herr Abgeordneter Zumpfort, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Herr Präsident, ich glaube nicht, daß das eine Fragestunde ist,
aber bei dem Vorsitzenden meines Ausschusses mache ich eine Ausnahme.
Also bitte.
Herr Kollege, warum leugnen Sie denn Ihre Beiträge in bester Zeit der Bundesrepublik Deutschland, als Sie noch mit uns zusammen in einer Koalition waren? Daher stammen doch die guten Beschlüsse, von denen Sie soeben gesprochen haben.
Herr Kollege Haase, wenn Sie genau zugehört hätten — Sie sind sonst auch sehr sensibel, aber im Augenblick wollen Sie nicht —, hätten Sie festgestellt, daß ich nur das gesagt habe, was auch mein Parteivorsitzender immer gesagt hat: Wir sagen nicht, daß die Beschlüsse, die wir in der Vergangenheit gefaßt haben, falsch sind. Aber wir sagen: Wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, dann muß man die Kraft und die Fähigkeit aufbringen, Beschlüsse, die man damals gefaßt hat, zu korrigieren, und das machen wir
Ich sage nicht, Herr Kollege Haase, daß das Wagnersehe Gesetz für uns eine Verpflichtung ist; im Gegenteil!
— Meine Beispiele zeigen aber, Herr Kohl — lachen Sie nicht —, daß Sie mit aufgefordert sind, etwas zu tun. Denn die Beispiele, die ich soeben angesprochen habe, sind von Ihnen mit verantwortet worden.
Es muß auch endlich Schluß damit sein — wir hatten das an früherer Stelle, bei der Diskussion über den Verteidigungshaushalt 1981, auch schon einmal an die Adresse der Opposition sagen müssen —, ständig neue Horrorzahlen und Horrorgebilde in die Welt zu setzen. Der Bürger hat einen Anspruch auf Vertrauensschutz.
Wer von Bankrott spricht, sollte sich bitte einmal — sachlich gesprochen — die Stadien, die es im ökonomischen Bereich gibt, anschauen. Zuerst gibt es das Moratorium, dann den Vergleich und dann den Konkurs.
Ich behaupte: Bis jetzt ist keine öffentliche Körperschaft in unserem Bundesstaat in einer dieser Situationen. Deswegen ist es falsch, wenn Sie diese Situation an die Wand malen.
Diese Regierung ist in Schwierigkeiten gekommen, okay. Aber es gab schon größere Schwierigkeiten für uns als die jetzigen.
Auch diese Schwierigkeiten werden wir meistern.
— Herr Friedmann, machen wir uns doch nichts vor: Wir stehen doch nicht nur vor Umverteilungsproblemen innerhalb unserer Gesellschaft, sondern auch in der Welt. Es geht doch nicht nur darum, daß man fragt: Müssen wir im Sozialbereich kürzen? Müssen wir im Verteidigungsbereich kürzen? Die Entwicklungsländer zeigen mit ihrem Finger auf uns und sagen: Ihr habt uns das Ö1 weggekauft, Ihr kauft uns die Kohle weg, und nun geht Ihr noch auf den Kreditmarkt und treibt die Zinsen hoch! Das ist das Umverteilungsproblem. Dem müssen wir uns stellen, und dem wollen wir uns stellen.
Welches sind denn die Probleme? Es sind von Ihnen und anderen Gesetze gemacht worden, die auf der Annahme zu hoher Wachstumsraten fußten. Wenn es diese Wachstumsraten jetzt nicht mehr gibt, muß man die Gesetze korrigieren. In die Gesetze eingebaut ist eine Eigendynamik, die zu strukturellen Defiziten führt. Sie haben der Mehrzahl der Gesetze zugestimmt, deshalb müssen wir sie auch gemeinsam ändern.Der Staat hat zu viele Aufgaben an sich gezogen — das muß man auch sagen —, die er zurückgeben muß.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981 3525
Dr. ZumpfortDas letzte Glied in der Kette sind nicht etwa die Gemeinden, die sich in dieser Situation sehen und jetzt darauf hinweisen, daß sie zusätzliche Ausgaben haben, sondern das letzte Glied in der Kette ist der Bürger. An ihn müssen wir die Aufgaben zurückgeben.
Es gibt doch keine Gemeinde, die ein Schwimmbad gebaut hat, ohne daß sie vom Bund und dem Land mindestens 70 oder 80 % Zuschuß bekommen hat. Es gibt doch keine Industrie, die nicht Subventionen genommen hat, wenn sie sie bekommen konnte. Es gibt doch keinen Bürger, der nicht etwas mitgenommen hat, wenn er vom Gesetz her dazu in der Lage war.
— Nicken Sie nicht mit dem Kopf; Sie sind doch selber betroffen.Dieses Problem kann man auch auf die einfache Formel bringen: Wenn der Staat, d. h. Bund, Länder und Gemeinden, erst einmal über 50 % des Bruttosozialpodukts vereinnahmt, um sie dann auszuteilen, wird es für viele Bürger interressant, nicht an der Leistungserstellung teilzunehmen, sondern an der Verteilung. Das müssen wir umdrehen.
Der Finanzexperte Ihrer Partei im nordrheinwestfälischen Landtag, Dr. Schwefer, sagt das auch treffend. Aber Sie müssen hier im Bundestag die Konsequenzen ziehen. Er hat nämlich gesagt, es gebe z. B. bei der regionalen Wirtschaftsförderung nur einen Mitnahmeeffekt. Wie haben Sie sich hier gebärdet, als wir daran gingen, die Aufgaben des Bundes im Verhältnis zu den Ländern neu zu regeln? An diesem Kollegen müssen Sie sich einmal ein Beispiel nehmen.
Das ist die Wende, von der mein Parteivorsitzender gesprochen hat. Das ist nicht so sehr das Schielen nach Defiziten, nach fiskalischen Größen, sondern das ist der Wandel des Bewußtseins, den wir überall brauchen und den wir bewirken wollen.
Aber politische Systeme sind träge Systeme; ich sage das einmal ganz deutlich.
Es dauert lang, bis ein Pendel, das den Schwung verloren hat, in die andere Richtung ausschlägt und wieder an Geschwindigkeit zunimmt. Ich glaube, daß viele Kommunalpolitiker und viele Landespolitiker das noch nicht gemerkt haben, aber auch — zwei Beispiele will ich Ihnen nennen — Mitglieder dieses Hohen Hauses. Ich denke beispielsweise daran, welch kostspielige Vorhaben der neu eingerichteten Enquetekommissionen einstimmig in Auftrag gegeben haben oder in Auftrag geben wollen. Die Enquetekommission „Jugendprotest" will150 000 DM für eine Umfrage über Motivationen junger Leute ausgeben. Das halte ich für schlecht.
— Das sagen Sie bitte Herrn Wissmann.
Die Enquetekommission „Zukünftige Kernenergiepolitik" will 750 000 DM für volkswirtschaftliche Gutachten bewilligt bekommen. Wir sind der Meinung, daß die jetzt neu gestellten Fragen schon beim letzten Mal mit Gutachten beantwortet worden sind.
Deshalb meine Aufforderung an die Vorsitzenden: Dieses Ausgabengebaren muß sich ändern.
Meine Damen und Herren, es waren unser Außenminister und mein Parteivorsitzender Hans-Dietrich Genscher und unser Wirtschaftminister Graf Lambsdorff, die im Sommer die Prinzipien für die Sparpolitik unserer Partei formuliert haben, die da hießen: Sparen vor Ausgabenerhöhungen, keine Arbeitsmarktprogramme, Rahmenbedingungen der Wirtschaft verbessern. Ich glaube, wir haben diese Grundsätze eingehalten.Ich stelle fest: Die Koalition hat im September nach schwierigen Verhandlungen ein Sparvolumen in der imponierenden Größenordnung von 16 Milliarden DM beschlossen. Die Nettokreditaufnahme wurde erheblich gesenkt. Dieses Ergebnis ist eine Sparaktion, wie es sie in der Nachkriegsgeschichte unseres Landes noch nicht gegeben hat.
Viele zweifelten damals, auch Sie, ob die Koalition die Kraft habe, ihren Grundsätzen treu zu bleiben und ein deutliches Signal für die Konsolidierung der Staatsfinanzen zu setzen. Ich glaube, wir haben diese Zweifel widerlegt.
Der Empfehlung des Finanzplanungsrats — nehmen Sie das doch einmal zur Kenntnis! —, durch unterproportionale Entwicklung der öffentlichen Ausgaben und eine deutliche Rückführung der öffentlichen Nettokreditaufnahme eine Umkehr in der Finanzpolitik sichtbar zu machen, hat die Regierung von den Plandaten her entsprochen. Die Koalition hat mit diesen Etatbeschlüssen jetzt schon vertrauensbildende Wirkungen erzielt, obwohl die Beschlüsse noch nicht umgesetzt sind und obwohl wir alle Mühe haben, Verzögerungen zu vermeiden. Das Vertrauen in die Deutsche Mark ist gestiegen. Das durch die teuren Öl- und Rohstoffimporte verursachte Leistungsbilanzdefizit geht deutlich zurück. Das extrem hohe Zinsniveau, das die Wirtschaft undDr. Zumpfortden Bürger belastet, bröckelt. Die Erwartung wächst, daß wir im nächsten Jahr mit weniger hohem Zinsdruck rechen können.Auch der Bund hatte wohl deutlich gemacht, daß der privaten Initiative wieder mehr Raum gegeben und den für Produktion und Beschäftigung wichtigen privaten Investitionen wieder entsprechender Finanzspielraum eingeräumt worden ist. Das wollen wir hier noch einmal festhalten.Es ist auch — das muß man ganz deutlich zu meinem Kollegen Häfele sagen und zu all denen, die das widerlegen wollen — bei der Einbringung des Haushalts in der ersten Lesung von dieser Stelle aus von den Ministern der Finanzen und der Wirtschaft deutlich gesagt worden, daß Risiken bestehen. Daran kann keiner vorbei. Wir sind keine Bank, die jetzt schon das größte Risiko in den Haushalt einsetzen kann. Gerade Sie haben durch einen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts deutlich machen lassen, daß man das nicht kann. Wir gehen jetzt daran, wo sich die Risiken konkretisieren, wo sie den amtlichen Stempel der Größenordnung haben, diese Risiken zu beseitigen. Da wollen wir bitte auch Ihre Unterstützung. Wenn Sie sie nicht geben, werden wir es alleine machen.
Es gab Bemühungen Ihrer Fraktion und auch des Bundesrats, bei der Konsolidierung mitzuwirken. Aber Sie haben das selbst gewählte Ziel nicht erreicht. Das ist nicht etwa mein Wort, sondern das hat Herr Stoltenberg, der Ministerpräsident des Landes, aus dem ich komme, selber gesagt: Auch die Unionsanträge erreichen das Sanierungsziel nicht, um es einmal ganz deutlich zu sagen.
Das konkrete Ergebnis der Beschlüsse des Bundesrats ist doch, daß sie nicht etwa mehr eingespart haben, sondern eine Verringerung des Gesamtsparvolumens von mindestens 3,5 Milliarden DM verursachen. Weniger, nicht etwa mehr!
Man muß berücksichtigen, daß Sie auch — im doppelten Sinne — ein eigenes Bildungsproblem haben. Sie haben nämlich beim BAföG nicht richtig gerechnet. Da fehlen noch einmal 500 Millionen DM. Addieren wir diese, beträgt das Defizit schon bald 4 Milliarden DM.Es ist klar, der Begriff „Wende" ist Ihnen von Genscher weggenommen worden. Das muß man einmal ganz klar sagen.
Sie haben versucht, ihn nachträglich zu besetzen, natürlich. Herr Kiep ist nicht hier. Der hat es doch versucht. Ich komme aus dem Norden. Da wird viel gesegelt. Sie haben mit Ihren Sparbeschlüssen im Bundesrat keine Wende vollzogen. Was haben Sie gemacht? Sie haben sich mit Wind von hinten eine Patenthalse geleistet, nämlich nicht mehr eingespart, sondern weniger eingespart, und Sie sind beinahe dabei gekentert.
Meine Damen und Herren, die Konkretisierung der Risiken durch die Wirtschaftsforschungsinstitute, durch den Sachverständigenrat, durch die Steuerschätzung, die wir im Augenblick nicht beschleunigen können — es sei denn, wir überlegen uns gemeinsam, was wir dort besser machen können —, zwingt uns jetzt zur Korrektur unserer Annahmen, die wir vor drei Monaten gemacht haben. Es ist legitim, daß man es jetzt deutlich sagt. Ich meine, unsere Regierung macht das beispielhaft vor, was Sie in Ihren Ländern noch nachvollziehen müssen.
Einsparungen von 3 Milliarden DM durch Abgabenerhöhungen im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit bedeuten — das muß man auch einmal sagen — eine Rückkehr zum Solidarprinzip. Die, die später eine Leistung haben wollen, sollen selber vorher die Leistung erbringen. Vielleicht ist es gerade ein Problem, das wir in Zukunft zu bewältigen haben, daß wir die Versicherungen von zusätzlichen Aufgaben entlasten, die wir ihnen einmal gegeben haben. Hier haben wir einen Anfang gemacht. Die Maßnahme ist zeitlich befristet worden. Ich halte diese Maßnahme für gerechtfertigt.Was die 4 Milliarden DM Bundesbankgewinne angeht, so gibt es auch im Norden ein schönes Sprichwort: Ebbe und Flut sind des Kaufmanns Gut.
Sie wissen genau, Herr Kohl, daß die Bundesbankverluste — —
— Nun hören Sie doch einmal zu. Sie brauchen einen längeren Horizont.
Sie wissen doch genau, Herr Kohl, daß die Bundesbank in den Jahren 1977 und 1978 Verluste bis zu einer Höhe von 9 Milliarden DM gehabt hat und daß sie sie selber ausgeglichen hat. Jetzt hat sie Gewinne.In der Tat kann man sagen, daß die Konsolidierung in einem wichtigen Bereich im Zuge dieser zweiten Operation noch nicht in dem Maße vollzogen worden ist, wie man sich das wünscht. Deswegen sage ich für meine Fraktion, aber auch für alle jüngeren Abgeordneten meiner Fraktion, die wollen, daß es weitergeht, ganz deutlich: Für die Jahre 1983 und 1984 sind weitere Konsolidierungsschritte unerläßlich. Wir werden sie vollziehen,
allein schon deswegen, weil der Zuschußbedarf derBundesanstalt für Arbeit nach 1983 wieder steigt —
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Dr. Zumpfortdenn zu dem Zeitpunkt werden wir die gesetzliche Beitragserhöhung ja wieder zurücknehmen —, aber nicht nur deswegen, sondern auch deshalb, weil sich die mittelfristige Finanzplanung auf einem Plafond bewegt, der unserer Meinung nach zu hoch ist.Ich sage Ihnen noch einmal: Wir wollen und dürfen uns nicht aus der Verantwortung stehlen. Wir tun es nicht. Wenn sich die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens und des Haushalts ändern, muß man die Kraft aufbringen — wir tun das —, den bisherigen Kurs durch Sparbeschlüsse radikal zu ändern. Wir müssen vor diesem Hintergrund weitere Schritte zur Haushaltskonsolidierung unternehmen, d. h. wir müssen die strukturellen Defizite — darauf kommt es an — in der Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung abbauen.Als Haushaltspolitiker sage ich nicht ohne Ironie: Wenn die Regierung etwas am Kabinettstisch nicht löst, werden wir uns im Haushaltsausschuß nicht zieren, zur Lösung beizutragen. Fassen wir es positiv auf: Wir sind nicht nur Notare, sondern wir haben Gestaltungsfreiheit. Aber wir wünschen uns schon, daß die Regierung etwas strammer vorwärtsgeht.
Der einzige nachhaltig wirksame Ausweg aus der Entwicklung, die uns nun schon zum wiederholten Male zum Nachbessern einer an sich schon schwierigen Haushaltsoperation zwingt, liegt in der Wiedererlangung eines Wirtschaftswachstums, das zu höheren Steuereinnahmen und zur Entlastung wesentlicher Ausgabenbereiche der öffentlichen Haushalte, z. B. der Arbeitslosenversicherung, führt. Das ist nur durch weitere Verbesserungen der Rahmenbedingungen der Wirtschaft zu erreichen. Solange wir das nicht machen — das ist meine Meinung —, müssen wir uns an weitere schmerzhafte Abstriche auch im sozialen Bereich gewöhnen.Aber die notwendige staatliche Haushalts- und Beschäftigungspolitik kann alleine nicht zum Erfolg führen, wenn nicht der Anstieg der jährlichen betrieblichen Gesamtkosten je Beschäftigten unter dem Anstieg der gesamten Nachfrage gehalten werden kann. Dazu gehört, daß die Preisrelationen an den Märkten für Arbeit und Kapital wieder ins Lot kommen. Als junger Abgeordneter, der die Geschichte der Gewerkschaften studiert hat, sage ich: Ein Hans Böckler der 80er Jahre muß noch gefunden werden. Einen solchen Mann brauchen wir. Produktivitätszuwächse dürfen nicht voll verfrühstückt werden, sondern sie müssen für Investitionen in der Wirtschaft verwendet werden, damit neue wettbewerbsfähige Arbeitsplätze geschaffen werden.
Das ist die Aufgabe der 80er Jahre, die sich gleichermaßen den Unternehmern stellt, um es deutlich zu sagen. Wie wollen keinen Attentismus, wir wollen keine Risikoscheu. Wir wollen, daß dynamische Unternehmer — und nicht Mitnehmer — aktiv werden und Arbeitsplätze zur Verfügung stellen.
Ich komme zum Schluß. Ich glaube, es gab in der Vergangenheit wirklich schwierigere Situationen als heute.
Auch diese wird die Koalition meistern. Wir sind entschlossen, den jetzt eingeschlagenen Weg der Konsolidierung bis ans Ziel weiterzugehen. Ich kann zu dieser Wirtschafts- und Haushaltspolitik, die auf mehrere Jahre angelegt ist, im Kern auch keine Alternative erkennen. FDP und SPD stehen in der Pflicht, das in der politischen Praxis zu vollziehen, was als richtig erkannt worden ist.
Ich sage Ihnen noch einmal: Wir können das nicht allein. Herr Kollege Hoppe hat im Frühjahr dieses Jahres bereits betont, daß die Mitwirkung der Opposition notwendig sei, daß es erforderlich sei, im Bewußtsein gemeinsamer Verantwortung ein Zusammenwirken zu ermöglichen, das dem Wohle unseres Landes diene. Darum geht es.
— Das stimmt nicht. — Wir begrüßen die Ankündigung, daß die Bereitschaft dazu vorhanden sei. Es hätte nicht nur aus Respekt gegenüber diesem Verfassungsorgan keinen Sinn, unnötige Hürden aufzurichten. Darum geht es im Augenblick: ob Sie das tun oder nicht. Wir sagen: Machen Sie es nicht; arbeiten Sie mit!Ich zitiere noch einmal meinen Parteivorsitzenden Genscher, der gesagt hat: Wir muten der Opposition im Bundestag nicht zu, daß sie für die Regierung die Kohlen aus dem Feuer holt. Das machen wir selber. Wir erwarten nur, daß sie dort, wo sie die Mehrheit hat, von ihr verantwortungsvoll Gebrauch macht. Wir gehen davon aus, daß sie das tut.Deswegen sage ich Ihnen: Lassen Sie uns an die Arbeit gehen! Ich nehme das Wort auf, das der Fraktionsvorsitzende der SPD gesagt hat: Lassen Sie uns an die Arbeit gehen und begreifen wir das Sparen als Chance, als Chance nämlich, die Eigenverantwortung des Bürgers zu stärken und ihm die Selbstverantwortung zurückzugeben!Auf diesem Weg sollten wir voranschreiten. — Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat gegenwärtig den Besuch — den sehr erwünschten und uns sehr angenehmen Besuch — des ungarischen Ministerpräsidenten. Das ist der Grund dafür, daß ich kurz vor 12 Uhr diese Sitzung verlassen muß. Ich bitte vorweg um Verständnis dafür. Das ist auch der Grund dafür, daß ich in dieser relativ frühen Phase der Debatte um das Wort gebeten habe.
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3528 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981
Bundeskanzler SchmidtDie Unterhaltungen mit dem ungarischen Ministerpräsidenten waren und sind übrigens angenehm. Es ist nicht zu erkennen, daß wir in wichtigen Punkten wirklich verschiedener Meinung wären. Der Erfahrungsaustausch ist für beide Seiten nützlich.Es wird Sie interessieren — ich komme später noch auf die Lage der westlichen Weltwirtschaft zu sprechen —, daß Ministerpräsident Lázár, wenn er über die wirtschaftliche Lage nicht etwa nur Polens, sondern auch anderer osteuropäischer Staaten spricht, voll Sorgen über die gegenwärtige Situation und im Hinblick auf den Winter und das nächste Jahr ist — Sorgen, die ich teilen muß.Hier hat der erste Sprecher der Opposition die deutsche Wirtschaftsentwicklung so gezeichnet, als ob sie in der Geschichte einmalig wäre. Er hat nicht gesagt: einmalig in der Welt. Aber er hat geflissentlich seinen Blick provinziell auf die Punkte verengt, auf die es ihm für seine Demagogie angekommen ist.
Herr Abgeordneter, es ist wahr, daß wir uns mit unserer Volkswirtschaft in einem schwierigen Wetter befinden.
Aber wir alle, nicht nur wir Deutschen, alle Volkswirtschaften der Welt befinden sich in einer sehr schwierigen Lage, und Sie sollten nicht so tun, als ob etwaige Fehler der letzten Monate unsere Wirtschaft in schwierigeres Wasser gebracht hätten. Sie sollten sehen, daß es sehr darauf ankommt, daß nicht in nationalistischem Provinzialismus die Staaten gegeneinander die Welt in eine Deflationskrise treiben.
Mit aller Deutlichkeit muß ich darauf hinweisen, daß in der Tat die wirtschaftliche Lage der ganzen Welt am Beginn dieses Winters schwieriger als seit Jahrzehnten ist und daß nicht überall in der ganzen Welt dieselben Fehler gleichzeitig gemacht werden dürfen, damit wir nicht im nächsten Jahr tiefer als in diesem Jahr in der Rezession drinstecken.Ich nenne Ihnen einige Daten. Ich nenne jeweils das deutsche Datum als erstes.Die Arbeitslosenquote betrug in Deutschland im September 5,4 %, in den Vereinigten Staaten schon im August 7,2 % — im September war sie sicher schlechter —;
— ich komme auf Japan, natürlich! — in Frankreich 9,6 % schon im August, im September war sie sicher schlechter, in England im September 12,4 %, in Italien schon im August 8,6 %, in Kanada schon im August 6,4 %. Ich erinnere noch einmal an das deutsche Datum: im September waren es 5,4 %. Nun kommt Japan — ich werde das um Gottes willen nicht verschweigen —, das einzige Land der westlichen Weltwirtschaft, das wesentlich besser dasteht, mit 2,2 %.
Wir haben eine steigende Tendenz der Arbeitslosigkeit in all den Ländern, die ich vorgetragen habe.Die zweite Kette von Daten sind die Verbraucherpreise. In Deutschland hatten wir im September 6,5 % Anstieg gegenüber dem Vorjahr,
in Amerika schon im August 10,9 %, auch steigende Tendenz, in Frankreich schon im August 13,6 % Preisanstieg, in England im August 11,5 %, in Italien schon im August fast 20 %, in Kanada fast 13 %. Auch hier liegt Japan übrigens mit einem Wert zwischen 4 und 5 % im August am besten. Wir Deutschen haben 6,5 %.Auch ein drittes Datum bitte ich deutlich zu sehen. Drei-Monats-Geld kostet bei uns gegenwärtig 11,7 % Zinsen, in den USA 13,5 %, in Frankreich fast 16 %, in England über 16 %. Die Zahlen von Italien und Kanada stehen mir im Augenblick nicht zur Verfügung; sie dürften aber in der gleichen Höhe liegen, wobei die Zahl für Italien sicherlich noch etwas höher liegt.Japans Zahlen sind günstiger als unsere. Wir liegen in all diesen Zahlenreihen an zweitbester Stelle. Das wird auch so bleiben. Aber es nützt uns allein nichts, wenn es so bleibt, weil sich gegenwärtig die ganze Welt in all diesen Zahlenreihen verschlechtert. Dies wird nicht besser, wenn man versuchen wollte, die ganze Welt durch übertriebenen Monetarismus und gleichzeitige budgetäre Deflationspolitik zu kurieren.
Die Länder, die ich Ihnen soeben genannt habe — Japan ist mit einer liberalen Regierung besser dran; nach europäischen Begriffen müßte sie in Wirklichkeit eher konservativ genannt werden —, haben die verschiedenartigsten Regierungen: Kanada liberal, Großbritannien konservativ — ich kann mich erinnern, daß es bei der Opposition gewisse Personen gab, die noch im Sommer der „deutsche Thatcher" genannt werden wollten —,
republikanisch in Washington, christdemokratisch in Italien und sozialliberal hier in Bonn.Wir können uns, wenn ich von Japan einmal absehe, in all diesen internationalen Vergleichen sehr wohl sehen lassen, und das ist kein Zufall. Es hat zwei, vielleicht drei Hauptgründe.Der erste Hauptgrund liegt darin, daß die deutschen Einheitsgewerkschaften und ihre Vertragspartner, die Arbeitgeber, in den letzten Jahren Augenmaß bewiesen haben.
Der zweite Hauptgrund liegt darin, daß diese Bundesregierung und die Bundestagsmehrheit nicht
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981 3529
Bundeskanzler Schmidtden aufgeregten Ratschlägen der Opposition gefolgt ist.
Ein dritter Grund liegt in der Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank. Auch das will ich hier deutlich sagen.
Ich gebe gern zu, als das Bundesbankgesetz in den frühen 50er Jahren gemacht wurde, war ich als ganz junger Volkswirt an einigen der Gespräche damals beteiligt. Ich habe damals nicht ganz so schnell gesprochen wie Herr Zumpfort heute, aber auch ziemlich schnell, habe auch schnell gedacht. Ich habe damals das Maß an — —
— Ich haben den Geist in Ihrem Zuruf nicht verstanden, Herr Kollege.
Nehmen wir an, er war in freundschaftlichem Geist gedacht!Ich hätte damals, wenn ich junger Mann etwas zu sagen gehabt hätte, die Autonomie der Bundesbank wahrscheinlich nicht ganz so weit getrieben. Es gibt ja nur zwei Zentralbanken mit dieser Autonomie auf der Welt, die in Frankfurt und die in Washington. Aber die Bestimmungen über den Bundesbankgewinn, Herr Abgeordneter Häfele, haben wir seinerzeit auch sehr sorgfältig erwogen und so ins Gesetz geschrieben — wie der andere Punkt der Autonomie auch sehr sorgfältig erwogen worden ist. Und deswegen sollten Sie ihre Polemik in dem Punkte der Gewinn-Ablieferung etwas zurücknehmen — wie auch in anderen Punkten.
Schauen Sie, Sie haben mich z. B. damit zitiert, daß ich gesagt hatte, der Bundesbankgewinn müsse zur Verminderung der Nettokreditaufnahme benutzt werden. Das halte ich auch heute im Prinzip für richtig und muß davon nichts wegnehmen.
— Was heißt: „nur im Prinzip"? Ich meine schon, was ich sage. — Im Gegensatz zu dem Abgeordneten, mit dem ich im Augenblick gerade spreche, polemisiere ich nicht.
Nur hat sich die wirtschaftliche Entwicklung inzwischen auf der ganzen Welt wesentlich verschlechtert. Schauen Sie sich einmal an, wie heute die Prognosen für die Nettokreditaufnahme z.B. der Vereinigten Staaten von Amerika im Vergleich zu August oder September aussehen! Staatskredit wird netto mehr aufgenommen in den USA und in England und in Frankreich. Wir müßten es auch tun, wenn wir hier nicht auf den Bundesbankgewinn zurückgriffen, wie das Gesetz es seit fast 30 Jahren vorsieht. Polemik dagegen ist unangebracht.Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Der Weg, den wir hier volkswirtschaftlich steuern müssen, ist nicht sehr breit. Eine Spar-Euphorie, eine Einspar-Gesinnung vom Prinzip her ist in der gegenwärtigen Phase der konjunkturellen Entwicklung nicht nur problematisch, sondern wäre falsch.
Wenn die ganze Welt aus einem reinen Sparprinzip heraus die gegenwärtige Lage der Weltwirtschaft korrigierte, wären all die Arbeitslosigkeitsziffern, die ich Ihnen eben vorgelesen habe, für Kanada, die USA, England, Frankreich, Italien, Deutschland, im nächsten Jahr wesentlich höher. Ich warne Sie vor dem naiven Fehlurteil, das Einsparen von Ausgaben schüfe Arbeitsplätze. Das ist falsch.
Auf der anderen Seite ist der Weg für uns begrenzt durch die Gefahr der Inflation. Diese Gefahr ist in der ganzen Welt in den letzten zehn Jahren nicht ernst genug genommen worden. Und nun wird zu einem relativ späten Zeitpunkt, der eigentlich nicht mehr geeignet ist, in vielen Staaten der Welt mit einer Zügelung der Geldpolitik versucht, Monetarismus genannt, mit enorm hohen Zinsen, die jede Investition kaputtmachen, jeden Bauherrn zwingen, sich zu überlegen, ob er seinen Bauentschluß nicht ein oder zwei Jahre verschieben soll, weil er die Hypothekenzinsen scheuen muß, die er in dieser Höhe gar nicht verdienen kann, die Inflation zu bekämpfen. Gleichzeitig machen aber die Regierungen und Parlamente höhere Staatsdefizite, so daß sie mit der Geldpolitik wieder zu korrigieren trachten, was sie mit der Budgetpolitik gleichzeitig anrichten.Diese ausländischen Beispiele zeigen, daß wir unsererseits heute nur einen sehr schmalen Weg haben, auf dem wir uns halten müssen: Weder Monetarismus noch Keynesianismus, sondern gesunder Menschenverstand, Herr Häfele!
Mir ist angesonnen worden, heute morgen eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede zu halten. Das habe ich nicht für richtig gehalten, weil es dafür keinen inneren Grund gibt. — Blut sowieso nicht, Schweiß ja. Falsches Pathos schadet in dieser Lage auch nur. Man soll auch wohl keine Bußpredigt halten. Aber wenn gesagt wird, daß wir in der Bundesrepublik in der allerletzten Zeit über unsere Verhältnisse gelebt hätten, wir alle — und das gilt dann sicherlich, Herr Kollege, auch für die CDU/CSU-Bundesländer; Sie tun so, als ob nur der Bund in fiskalischen Schwierigkeiten sei; fragen Sie mal Herrn Stoltenberg, in welchen Schwierigkeiten der sich befindet —,
wenn uns also gesagt wird, wir hätten über unsere Verhältnisse gelebt, so ist es richtig, wenn man auf unsere Zahlungsbilanz — genauer gesagt, auf unsere Leistungsbilanz — schaut, daß wir im letzten Jahr und auch in den ersten Monaten dieses Jahres oder sogar für drei Viertel des Jahres 1981— ich versuche ein Wortspiel — uns mehr geleistet haben, als
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Bundeskanzler Schmidtwir für andere geleistet haben. Ich muß das einmal sagen: Die Deutschen geben in diesem Jahr für Auslandsreisen 40 Milliarden DM in Devisen aus, in fremdem Geld, in fremder Währung; und die müssen erst durch eigene Exporte verdient sein. Dagegen geben die Ausländer bei uns durch ihre Besuche nur 10 Milliarden DM aus. Wir haben uns insgesamt zuviel geleistet.Wir sind aber dabei, die Zahlungsbilanz bzw. die Leistungsbilanz wieder in Ordnung zu bringen! Und es sieht — entgegen Ihrer Polemik, Herr Häfele — so aus, als ob in den letzten drei Monaten dieses Jahres von dem etwas wieder aufgeholt würde, was am Anfang des Jahres noch ziemlich schwarz — oder, wenn Sie so wollen, rot — aussah.Nun gibt es in dem Lamento der Konservativen hier im Bundestag und sonst im Lande ein ständiges Versatzstück: die Annahme, seit langer Zeit, seit einem ganzen Jahrzehnt, habe der kleine Mann in seinem Lebenszuschnitt über seine Verhältnisse gelebt, seien wir in unseren Ansprüchen verrückt geworden. Dazu möchte ich zwei, drei Sätze sagen.Ich bin mir der Tatsache schmerzlich bewußt, daß es auch in Deutschland immer noch viele Menschen gibt, deren Lebensstandard und deren Anspruchsniveau deutlich gehoben werden müßten, so daß sie in der Lage wären, über Lebensqualität geistiger Art nachzudenken.
Ich für meine Person denke nicht, daß es richtig wäre, zu sagen, wir hätten das Netz der sozialen Sicherheit maßlos überdehnt oder wir hätten die Bürger in ihrer Mehrzahl auf diese Weise um ihren natürlichen Willen zur Selbsthilfe und zur Leistung gebracht.
Ich verwahre mich dagegen!Gestern habe ich in einer der Großstädte des Ruhrgebiets vor 1 000 Gewerkschaftlern über all diese Fragen gesprochen und habe dort öffentlich und deutlich gesagt, daß es auch Mißbräuche gibt. Das wissen wir; und wir wollen die Möglichkeit des Mißbrauchs der sozialen Netze einengen. Das tun wir j a auch mit unseren Gesetzen.Auf die Gefahr hin, daß ich mit meiner Formulierung wissenschaftlichen Ansprüchen nicht ganz genüge, möchte ich andererseits das Wort wagen, daß wir Deutschen uns gegenwärtig — 1981 und 1982 — ungefähr „nur" den Wohlstand leisten können, den wir 1978 erreicht hatten — „nur" den Wohlstand von 1978! Und war das etwa nichts?
War das etwa nichts?
Wir haben damals gut gelebt, und wenn wir es jetzt unternehmen, daß durch die von uns hier zu treffenden Maßnahmen der Wille zu gerechter, zu solidarischer, zu freiheitlicher Gestaltung unsererGesellschaft erfahrbar bleibt, so haben wir dazu — da fühle ich mich sehr sicher — die innere Bereitschaft und die innere Zustimmung der ganz großen Mehrheit unseres Volkes, auch — das sage ich hier sehr deutlich — der ganz großen Mehrheit der Unternehmerschaft und der ganz großen Mehrheit der Arbeitnehmerschaft, insbesondere der organisierten Arbeitnehmerschaft.
Sie machen mir hier Zurufe über mißbräuchliche Inanspruchnahme der Sozialgesetze, der sozialen Leistungen, der sozialen Sicherheit. Ich vermisse Ihre Empörung über den Mißbrauch der Steuergesetze und der Subventionsgesetze.
Wenn ich es richtig weiß, ist der Abgeordnete Häfele von Beruf Steueranwalt. Es stünde Ihnen an, Ihre im Beruf erworbenen Kenntnisse auf diesem Gebiete hier einmal auszubreiten, Herr Abgeordneter Häfele.
Statt dessen haben Sie hier wirtschaftliche Schwarzmalerei betrieben und den Blick eingeengt auf die Punkte, die sich für Ihre Prophetie eigneten.
Sie haben unsere Zukunft schwarz in schwarz gemalt.Ich muß Ihnen sagen, Herr Abgeordneter, ich habe in den letzen Wochen, insbesondere vor etwa 14 Tagen, Tausende von Briefen bekommen — auch von solchen, die ausdrücklich sagten, sie seien Ihre Parteifreunde — —
— Wissen Sie, in den Zeitungen erfahre ich nicht des Volkes Stimme, wohl in den Briefen. In den Zeitungen erfahre ich, was Sie gerne möchten, daß das Volk für wahr halten soll.
Ich habe aus den Tausenden von Briefen entnommen, Herr Häfele: sehr viel Vertrauen — ich habe sehr viele, Hunderte von den Briefen selbst gelesen und auch selbst beantwortet —
in die Zukunft des eigenen Staates und der eigenenWirtschaft, übrigens auch ein zum Teil rührendes
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Bundeskanzler SchmidtVertrauen in die Personen, die gegenwärtig die Hauptverantwortung für den Staat tragen.
Und, wenn mir erlaubt ist — ich sage das in eine bestimmte Himmelsrichtung —, das zu erwähnen: Die ersten beiden Telegramme, die ich bekam, waren von zwei Menschen, die nicht Deutsche sind, die ausländische Staatsangehörige sind, von Leonard Bernstein, einem Dirigenten, den die meisten von uns schon einmal erlebt haben, in New York, und von Yehudi Menuhin, einem Geiger, den die meisten von uns auch schon einmal erlebt haben. Zwei Juden. Es hat mich auch tief gerührt, was wir insgesamt aus dem Ausland an Briefen und Telegrammen bekamen — und ich bin sehr gerne bereit, der Führung der Opposition Einblick zu geben in das Ausmaß des Vertrauens, das das Ausland in die Stabilität und Kontinuität der deutschen Wirtschafts-, Finanz- und Sicherheitspolitik setzt.
Sie haben in dieser Debatte bisher nur einen formalen Antrag gestellt, wir sollten einen Nachtrags- oder Ergänzungshaushalt vorlegen. Wir werden diesen Antrag ablehnen; denn all das, was wir in die Gesetze hineinschreiben wollen, das wissen Sie doch und es ist hier heute vorgetragen worden. Sie haben Ihrerseits bisher keine materiellen Änderungsanträge vorgelegt. Sie scheuen sich, dem deutschen Volk tatsächlich zu sagen, was Sie machen wollten. Sie üben Kritik und treiben Polemik.
Sie scheuen sich nicht nur, öffentlich zu sagen, was Sie tun würden, sondern darüber hinaus sind Sie sich — Herr Albrecht, Herr Stoltenberg, Herr Kohl, Herr Strauß — innerlich nicht einig über das, was Sie machen würden.
Nun, es ist keine Schande, wenn Politiker derselben Partei Zeit brauchen, sich zusammenzuraufen. Ich habe darin Erfahrung.
Ich habe darin Erfahrung. Es ist noch weniger eine Schande, wenn zwei Parteien einer Koalition, die beide in sich Schwierigkeiten haben, sich zusammenraufen müssen. Nur langsam wird es Zeit, Herr Kohl, daß Sie zur Sache reden und Profil bieten. Das wird Zeit.
Und dann werden wir Fragen zu stellen haben. Wollen Sie es machen wie in Italien die Christdemokraten oder wie die Republikaner in Washington oder wie die Konservativen in London? Oder wie wollen Sie es denn eigentlich machen? Das sagen Sie uns denn bitte mal.Ich weiß, daß es in der Opposition einerseits viel schwieriger ist, zu sagen, was man an Stelle der Regierung machen würde. Ich weiß das. Ich habe das lange genug selber erlebt. Es ist schwieriger, weil man nicht alle die gleichen Informationen zur Hand hat wie eine Regierung. Auf der anderen Seite weiß ich auch, wie sehr man versucht ist, sich in der Opposition auf bloße Polemik zu beschränken.
Je länger man es nicht fertigbringt, die Beschränkung auf Polemik zu überwinden, desto länger bleibt man in der Rolle, in der man ist, nämlich in der Rolle der Opposition.
Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff hat vor ein paar Monaten, als er von einer Japanreise zurückkam, schon im Fingerspitzengefühl gehabt, daß bei all diesen internationalen Vergleichen Japan besser abschneiden würde als die übrigen Staaten der westlichen Weltwirtschaft. Ich habe damals eine Fußnote hinzugefügt, und ich will sie heute gern wiederholen: Es ist eine richtige Erkenntnis; jedoch besteht dort eine andere gesellschaftliche Struktur als hier in Westeuropa oder in Nordamerika. Es gibt in Japan dieses große System öffentlich hergestellter sozialer Sicherheit und sozialer Leistungen nicht, wie es bei uns der Fall ist und wie es bei uns auch bleiben muß, wenn die Freiheit der Person, wie sie in Westeuropa gemeint ist, aufrechterhalten werden soll.
Vor mir liegt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" von heute. Diesmal steckt ein kluger Kopf dahinter.
Da lese ich, die amerikanische Regierung habe große Schwierigkeiten, die wirtschaftliche Prognose für das kommende Jahr zu stellen. Dafür habe ich großes Verständnis. Nicht nur die amerikanische Regierung, alle Regierungen der Welt — auch Professoren übrigens — haben gegenwärtig große Schwierigkeiten, die Prognosen für den ganzen Verlauf des nächsten Jahres bis zum 31. Dezember 1982 richtig zu stellen.
Gleichwohl zwingen uns die Gesetze — auch in Amerika, auch bei uns —, die Haushaltsgesetze so einzurichten und so vorzulegen, als wenn wir schon genau wüßten, wie die Wirtschaft in der Welt und im eigenen Land bis zum 31. Dezember 1982 verlaufen werden.Dann wird hier aus Washington weiter berichtet, die meisten Fachleute in Washington seien sich einig, daß es sich zwar um eine Rezession handele,
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Bundeskanzler Schmidtaber daß die Erholung doch im nächsten Jahr eintreten werde, aber frühestens ab Mitte 1982.
Gott gebe, daß es so käme! Das würde uns in Europa genauso nützen, wie es den Amerikanern nützen würde. Gott gebe, daß es so käme!
Aber sicher kann da niemand sein. In demselben Aufsatz finden Sie den Hinweis auf die steigenden öffentlichen Haushaltsdefizite in Amerika. Sie wissen selber, daß diese auch in England steigen, in Frankreich steigen.Ich habe in der „Financial Times", einer Londoner Wirtschaftszeitung, vor ein paar Tagen gelesen: „Die Aussicht auf eine stetige Verbesserung der deutschen Zahlungsbilanz ist heute sehr viel besser als noch vor ein paar Monaten." Von einem anderen Autor in derselben Zeitung habe ich gelesen, es spreche sehr viel für die Annahme, daß die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahr, 1982 also, besser abschneiden werde als die meisten ihrer schärfsten Konkurrenten. Im „Handelsblatt" lese ich, daß Optimismus jetzt keineswegs mit Übermut gleichzusetzen sei — im Blick, Herr Abgeordneter Häfele, auf Export und Handelsbilanz und Leistungsbilanz.Trotz all dieser positiven ausländischen Beurteilungen unserer deutschen Wirtschaft bleibe ich dabei, daß für die ganze Welt — und damit auch für uns — der kommende Winter und die erste Hälfte des Jahres 1982 wirtschaftlich sehr, sehr schwierig sein werden. Und daß es darauf ankommt, daß man unter dem Druck der steigenden Arbeitslosigkeit in der Welt nicht zu Maßnahmen greift, die das Funktionsgefüge der ganzen Weltwirtschaft zerreißen. Dazu gehören die Entwicklungsländer, die in Cancun mit am Tisch saßen, die Ölländer, Saudi-Arabien gehört dazu, dessen Kronprinz gestern hier war; wir haben darüber miteinander geredet, sein Finanzminister und sein Außenminister waren dabei; der Kronprinz hat j a dort die Funktion des Ministerpräsidenten, wie Sie wissen. Diese Staaten gehören alle dazu. Ich finde es übrigens fabelhaft, wie sich die saudische Regierung nachdrücklich darum bemüht, den Ölpreis für 24 Monate festzuschreiben.
Das ist weltwirtschaftliche Verantwortung; man kann das nur loben. Selbstverständlich ist das nicht, denn wenn die kaufmännischen Regeln, von denen vorhin in bezug auf Ebbe und Flut die Rede war, überall auf der Welt gelten sollten, wäre ja gegenwärtig für diejenigen, die Öl haben, nicht gerade Ebbe. Selbstverständlich ist solche Solidarität also nicht.Es ist auch nicht selbstverständlich, daß wir widerstehen, wenn uns geraten wird, wegen der Lage unserer Stahlindustrie oder wegen der Lage unserer Textilindustrie die Grenzen dichtzumachen oder jedenfalls doch ein bißchen dichter, und zwar für die Stahlerzeugnisse anderer, ausländischer Unternehmen und ausländischer Arbeitnehmer und die Textilerzeugnisse ausländischer Unternehmen und ausländischer Arbeitnehmer. Die Versuchung in allen Parlamenten der Welt, in allen Regierungen der Welt, gegenwärtig wegen der eigenen Arbeitslosigkeit die Grenzen dichtzumachen, den Protektionismus auszuweiten, z. T. sehr subtil versteckt und verdeckt, auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, ist außerordentlich groß. Die Versuchung, die eigene Wirtschaft zu schützen, zu schonen auf Kosten der Wirtschaft der Nachbarn, ist außerordentlich groß. So wie ich hier an unsere Landsleute appelliere, sich durch Schwarzmalereien nicht aus dem seelischen Gleichgewicht drängen zu lassen, nicht das Selbstvertrauen zerstören zu lassen, so muß ich an alle Regierungen der Staaten, mit denen wir Handel und Wandel treiben, appellieren — genau wie wir selber diesen Vorsatz gefaßt haben und befolgen werden —: Lassen Sie sich bitte nicht in Protektionismus hineintreiben. Nicht in die Politik des "beggar thy neighbour", nach der Moral: Hauptsache, mir geht es nicht ganz so schlecht, wie es dem anderen geht: Wir sitzen alle im gleichen Boot; sogar die Sowjetunion sitzt mit in demselben wirtschaftlichen Boot der Weltwirtschaft. Es kann sich niemand daraus entfernen.
Zum Schluß noch einmal eine ausländische Zeitung, diesmal aus England, in bezug auf die Wirtschaftsprognosen, die Graf Lambsdorff vorgetragen hat: „Die meisten Nichtdeutschen werden wahrscheinlich die Prognosen der Institute für 1982 als eine Vision eines umwerfenden wirtschaftlichen Erfolges betrachten." Das, was Sie hier kritisieren, wird im Ausland angesichts der dortigen Lage als „vision of a striking economic success", als Vision eines schlagenden wirtschaftlichen Erfolges bezeichnet. Ich weiß, daß, gemessen an den in besseren Zeiten der Vergangenheit, als es keine Ölpreisexplosionen und keine Weltinflation gegeben hatte, gewonnenen eigenen Maßstäben, das, was wir heute haben und was wir im Laufe des Jahre 1982 zu erreichen trachten, nicht als ein schlagender Erfolg angesehen werden darf; im Gegenteil. Ich weiß, daß die Zeit schwierig ist und in diesem Winter noch schwieriger wird und bis in die Mitte des nächsten Jahres auch bleibt. Natürlich wird die Erholung des Arbeitsmarktes zeitlich der Erholung der Produktion und des Bruttosozialprodukts hinterherhinken.Aber ich möchte an alle appellieren, die als Unternehmer, als Gewerkschafter, als bewußte Staatsbürger, als Politiker im Bund wie- in den Ländern, in Landesregierungen und im Bundesrat Verantwortung tragen: Lassen wir uns nicht von Gefühlen davontragen! Lassen wir uns nicht durch Angst oder Zorn oder Angstmacherei oder Zornmacherei den klaren Blick vernebeln! Lassen wir nicht zu, daß Augenmaß durch blinden Aktionismus ersetzt wird! Schauen wir uns vielmehr — das gilt für uns Deutsche besonders — in der Welt und im eigenen reichen Land um! Ich sage dies Wort mit Bedacht. Es gibt viele ausländische Besucher, nicht nur aus Entwicklungsländern, die dieses für ein sehr reiches Land halten, auch was den Lebensstandard der breiten Massen angeht,
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Bundeskanzler Schmidtauch was den Lebensstandard derjenigen angeht, die auf Arbeitslosengeld und Sozialhilfe angewiesen sind.Lassen wir uns den Blick nicht vernebeln! Schaut euch um und fragt euch, ob ich nicht recht habe, wenn ich sage: Wir haben allen Grund zum Selbstvertrauen. Wenn uns doch das ganze Ausland vertraut, warum vertrauen wir uns dann nicht selber!
Wenn uns doch alle ausländischen Regierungen vertrauen, warum sollte uns dann Herr Dr. Kohl einreden, wir dürften uns selber nicht vertrauen!
Warum sollten wir, die wir Arbeit und Beschäftigung, Lohn und Gehalt und Einkommen haben, in dem Augenblick, in dem Solidarität mit wirtschaftlich Schwachen wirklich gebraucht wird, weil sie gegen ihren Willen arbeitslos geworden sind und noch werden, in dem Augenblick, wo sie auf Solidarität wirklich angewiesen sind, warum sollten wir in diesem Augenblick nicht bereit sein, aus Solidarität ein Viertel Prozent mehr Beitrag an die Arbeitslosenversicherung zu zahlen?
Ich empfehle unserem Volk Mut und Gelassenheit. Und ich empfehle der Opposition den Mut, endlich zu sagen, was sie wirklich an die Stelle dessen setzen möchte, was wir beschließen werden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Dollinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, es ist nach meiner Meinung gut, daß Sie zu dieser Debatte gekommen sind. Wir freuen uns auch, daß Sie weltweit viele Glückwünsche zur Genesung bekommen haben. Ich habe den Eindruck: Sie haben sich nicht geändert.
Selbstverständlich haben Sie auch Wünsche des Führers der Opposition bekommen; denn es gehört, wie ich meine, einfach zum menschlichen Miteinander, daß man in Stunden der Gefährdung des Lebens dem anderen alles Gute wünscht.
Das sollte auch in Zukunft so bleiben.Allerdings sollte man unabhängig vom Protokollarischen diese Telegramme nicht als Zustimmung zur eigenen Politik umdeuten; davor möchte ich warnen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben noch ein schönes Wort gesagt, nämlich, Sie wollten hier keine Bußpredigt halten. Das haben Sie weiß Gott nicht getan.Aber ich frage mich: Sind nicht Bußpredigten für alle verantwortungsbewußten Menschen ab und zu sehr gut und heilsam? Ich meine das ganz ernst. Allerdings muß man dann auch bereit sein, etwas bußfertig zu sein.
Herr Bundeskanzler, Sie haben uns in bezug auf die wirtschaftlichen Verhältnisse in die weite Welt geführt und damit die Bundesrepublik Deutschland verglichen. Einverstanden, wenn Sie das tun. Ich stelle nur eine Frage an Sie: Warum hat man internationale Vergleiche dieser Art, als Bundeskanzler Erhard sie im Jahre 1966 einmal anstellte, beiseite geschoben und nicht anerkannt?
Sie haben meinem Kollegen Häfele gesagt, das, was er erklärt habe, sei demagogisch gewesen. Ich weiß nicht, welchen Teil der Rede Sie gemeint haben. Seine Zusammenfassung können Sie wohl kaum gemeint haben. Ich darf aus ihr zitieren: Im Wahlkampf 1972 hat die Regierung behauptet, Inflation sei der Preis der Vollbeschäftigung. Im Landtagswahlkampf von Nordrhein-Westfalen 1975 hat die SPD behauptet, der Aufschwung stehe unmittelbar bevor. Im Wahlkampf 1976 hat der Bundeskanzler behauptet, es gebe bei den Renten bloß ein „Problemchen". 1980 hat die Regierung das Problem der Staatsverschuldung in unverantwortlicher Weise verniedlicht. — Herr Bundeskanzler, das hat nichts mit Demagogie zu tun. Das sind Fakten.
Man könnte sie ohne große Schwierigkeiten erweitern.Wenn ich hier den Herrn Kollegen Brandt sehe, dann denke ich daran, wie er einmal erklärte: Wir garantieren jeden Arbeitsplatz.Der Herr Bundeskanzler hat dann — mit sanften Worten — etwas über das Verhältnis zur Bundesbank gestöhnt; das verstehe ich auch. Auch andere Bundeskanzler haben in der Vergangenheit dieser Republik öfter über die Bundesbank gestöhnt. Aber wenn die Bundesbank nach dem Gesetz unabhängig ist, dann kann es gar nicht ausbleiben, daß Konflikte zwischen Bundesbank und Regierung entstehen; das läßt sich gar nicht beseitigen.
Ich möchte nur um eines bitten: daß aus dieser Debatte heraus nicht der Eindruck entsteht, daß man am Status der Bundesbank etwas ändern wolle. Denn, meine Damen und Herren, nach meiner Meinung hat die Bundesbank in unserem Land und im Ausland nach wie vor ein hohes Ansehen. Wir sind der Meinung: Bei dieser Unabhängigkeit muß es bleiben, auch wenn es manchmal beschwerlich ist.
Nun hat der Herr Bundeswirtschaftsminister heute morgen laut darüber nachgedacht, daß es nicht ganz so leicht ist, richtige Voraussagen zu machen. Sie haben von dem Risiko gesprochen, das mit Prognosen verbunden ist. Wir haben in den Jahren 1966/69 das Instrumentarium zur Beurteilung wirt-
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Dr. Dollingerschaftlicher Vorgänge wesentlich erweitert und, wie ich meine, auch verbessert. Wenn die Bundesregierung der Meinung sein sollte, daß das heute nicht mehr ausreicht, dann steht es ihr völlig frei und würde es ihr sogar gut anstehen, zu erklären: wir brauchen weitere Instrumente zur Untersuchung. Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, hier kommt doch immer wieder ein alter Tatbestand heraus: Sie können mit noch so vielen Gutachten und Sachverständigenräten niemals die Entwicklung hundertprozentig voraussagen. Was bleibt bei dieser Betrachtung übrig? — Im Endergebnis das Wagnis des Politikers, nach den Tatbeständen zu entscheiden. Und das ist oft ein, sagen wir einmal, Glücksfall. Nach meiner Überzeugung ist es aber oft auch eine Frage der politischen Begabung, zu erkennen, wohin die mögliche Entwicklung geht.
Hier möchte ich einen gewissen Vergleich zwischen dem Politiker, dem forschenden Wissenschaftler, der auch nicht weiß, was herauskommt, und dem unternehmerisch Verantwortlichen in der Wirtschaft ziehen. Das Risiko bleibt; das müssen wir tragen. Ich habe aber den Eindruck, daß man die jetzige Entwicklung letzten Endes nicht so abtun kann, als ob sich das alles kurzfristig entwickelt hätte. das stimmt einfach nicht.
Wenn Sie die Gutachten der letzten Jahre nachlesen, Herr Bundeswirtschaftsminister, so stoßen Sie da immer wieder auf mehr oder minder starke Bedenken hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland.
Wir haben die vier Ziele des Stabilitätsgesetzes zwischenzeitlich leider total verfehlt; in den vergangenen Jahren war es nur zum Teil der Fall. Ich meine, das ist eine schlechte Sache.Ich muß hier eine Frage dazwischenschalten. Diese Regierung des Herrn Bundeskanzler Schmidt hat am 5. Oktober 1980 einen guten Vertrauensbeweis bekommen: die Koalition.
— Ich stelle das als Faktum fest. Ich schließe die Frage an: Was hat die Bundesregierung, die j a schon vorher im Amt war und ihre Tätigkeit fortsetzen konnte, aus diesem Vertrauensbeweis vom 5. Oktober 1980 eigentlich bis heute gemacht? Wo waren hier die oft angekündigten Entscheidungen und Beschlüsse? Wie sagte der Herr Bundesfinanzminister einmal? — Es würde Heulen und Zähneklappern geben! — Wo ist die Sanierung des Haushalts?Ich glaube, wir müssen hier ehrlich sagen, daß dieses Jahr in vieler Beziehung vertan worden ist, weil man nicht die Konsequenzen aus der Entwicklung gezogen hat. Und wenn wir das Jahr 1981, das zu Ende geht, überblicken, dann müssen wir doch feststellen, daß dies ein Jahr ist, in dem die Bürger in der Bundesrepublik Deutschland zum ersten Mal — zumindest nach vielen Jahren — einen tatsächlichen Verlust an Kaufkraft zu verzeichnen haben. Die Inflationsrate ist weit stärker als erwartet gestiegen.Die letzten Zahlen sind einfach erschreckend. Wir liegen jetzt bei 6,9 %. Man sollte öfter daran denken, was das auch für arbeitslose Bürger bedeutet.Inflation und Arbeitslosigkeit laufen letzten Endes ineinander hinein. Die Arbeitslosigkeit, die wir haben, ist deshalb so bedrückend, weil sich nach dem bisherigen Konzept der Bundesregierung nicht abzeichnet, wie diese Entwicklung gestoppt und geändert werden soll. Ich denke an Herrn Genscher, der von der „Wende" spricht. Wenn ich dann die Zahl der Arbeitslosen betrachte, sieht die „Wende" nicht so aus, daß die Kurve plötzlich nach unten ginge — das wäre eine Wende —, sondern die Kurve geht viel steiler nach oben. Das gleiche trifft für die inflationäre Entwicklung zu.Meine Damen und Herren, wir haben Inflation, wir haben Arbeitslosigkeit, Verlust der Kaufkraft der breiten Schichten unserer Bevölkerung und wir haben — der Herr Bundeswirtschaftsminister hat darauf hingewiesen — auch eine Verschlechterung der Ertrags- und Absatzverhältnisse in der Wirtschaft. Das Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und aus Vermögen wird für 1981 mit minus 3 % angesetzt. Im ersten halben Jahr hat es minus 7,5 % betragen. Das sind Zahlen, die gesamtwirtschaftlich Auswirkungen haben. Ich stimme dem Herrn Bundeswirtschaftsminister zu, daß ich nicht sehe, wie es zu der Steigerung um 7 % für das nächste Jahr kommen soll.Einige Bereiche sind von dieser Entwicklung ganz besonders betroffen. Ich denke insbesondere an die Bauwirtschaft. Der Tiefbau ist weitestgehend von dieser Entwicklung betroffen, obwohl man wirklich nicht sagen kann, daß alle Verkehrsprobleme gelöst wären. Ich kenne das aus meinem eigenen Raum. Da haben wir jetzt einen neuen Begriff für Brücken. Es gibt jetzt „So-da-Brücken", die stehen nämlich so da, weil kein Anschluß zur Brücke und über die Brücke hinweg gestaltet wird. Das scheint mir auch keine vernünftige Entwicklung zu sein.Wir haben im Hochbau den Rückgang, obwohl wir vielerorts Bedarf an Wohnungen haben. Wir sollten nicht vergessen, daß wir wirtschaftliche Zusammenbrüche in einem ganz bedenklichen Ausmaß haben. Wir haben für das Jahr 1981 mit ca. 11 000 Konkursen zu rechnen. Das ist nicht nur eine schlechte Sache für den Inhaber, für den Unternehmer, sondern das bedeutet auch die Vernichtung von Arbeitsplätzen,
die Vernichtung von Kapital. Das ist eine Entwicklung, die zu denken gibt, zumal häufig dadurch auch die Konzentration gefördert wird; und das ist meistens nicht gut.
Ich meine, das sind Entwicklungen, die sich seit Jahren abzeichnen und die sich leider in einem gefährlichen Ausmaß fortgesetzt haben.Der Herr Bundeswirtschaftsminister und auch der Herr Bundeskanzler haben das Verhältnis zwischen D-Mark und Dollar angeschnitten. Durch die
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Dr. DollingerAufwertung des Dollars, die Abwertung der D-Mark ist eine große Unsicherheit entstanden. Es gibt aber für mich keinen Zweifel, meine Damen und Herren: Die Abwertung der D-Mark hat auf der einen Seite zu einer wesentlichen Verteuerung der Einfuhren geführt. Auf der anderen Seite ist aber die Abwertung der D-Mark zu einer entscheidenden Stütze des Exports geworden. Daß wir nicht noch schwierigere wirtschaftliche Verhältnisse haben, hängt doch im Augenblick entscheidend damit zusammen, daß durch die Aufwertung des Dollars und die Abwertung der D-Mark unser Export steil nach oben gegangen ist. Wie lange das anhält und wie die Entwicklung sein wird, weiß niemand vorauszusagen. Auch das bleibt ein Risiko für die weitere Entwicklung.Ich möchte nicht im einzelnen auf das Gutachten dieser Woche eingehen. Wir haben viele Gutachten. Manchmal habe ich das Gefühl, daß sie gar nicht richtig ausgewertet werden. Ich kann nur feststellen, daß durch dieses Gutachten eine Reihe von Tatsachen festgestellt werden, die wir unterschreiben können; daß eine Reihe von Anregungen gegeben werden, von denen ich meine, daß sie eingehend geprüft werden müssen.Diese Berichte stehen auch im Zusammenhang mit der Frage der Haushaltssanierung. Ich darf noch einmal kurz auf das Thema „Sanierung durch Bundesbankgewinne" eingehen. Halten wir uns einmal die Entwicklung der Überschüsse oder Fehlbeträge bei der Bundesbank vor Augen. Es gab Ablieferungen im Jahre 1968 mit 0,358 Milliarden DM, 1970 mit 0,523 Milliarden DM, 1975 mit 0,397 Milliarden DM. Und nun kommt die große Ablieferung dieses Jahres. Warum nenne ich diese Zahlen, meine Damen und Herren? Man sieht daraus, daß die jetzige Ablieferung an den Bund etwas ganz Außergewöhnliches und Außerordentliches ist. Diese Ablieferung in den Haushalt einzusetzen ist für dieses Jahr — ich sage es einfach — bequem. Aber es stellt sich doch die Frage: Kann man im nächsten oder übernächsten Jahr wieder solche Beträge erwarten? Oder ist nicht durch die Tatsache, daß man diesen Ausgleich mit Hilfe des Bundesbankgewinns leichter geschafft hat, automatisch für 1982 und 1983 ein großes Loch vorauszusehen?
Ich betrachte diesen Betrag eigentlich als einen — um es einmal betriebswirtschaftlich auszudrücken — außerordentlichen, einmaligen Ertrag. Das Ganze erinnert mich daran — wenn ich das einmal humorvoll sagen darf, wenn auch mit ernstem Hintergrund —, wie manche deutsche Unternehmen, auch Aktiengesellschaften, in den letzten Jahren verfahren sind: Als keine Dividenden mehr aus den Geschäften zu erwarten waren, hat man Grundstücke verkauft, und mit Hilfe dieser Erlöse war man in der Lage, eine bescheidene Dividende zu zahlen. Wir sollten also bei dem Thema Bundesbank sehr vorsichtig sein. Es ist eine Augenblickslösung gefunden worden. Aber das Problem wird wieder auftauchen, weil mit solchen Gewinnen nicht über eine längere Zeitspanne gerechnet werden kann.
Lassen Sie mich noch ein paar Gedanken vortragen, die zeigen, worin ich die Ursachen dieser Schwierigkeiten sehe. Wir hören immer wieder, das sei die weltweite Entwicklung; uns wird immer wieder gesagt, das seien die Ölpreise. Ich verkenne dieses Problem überhaupt nicht. Aber, ich glaube, wir machen uns das Leben zu einfach, wenn wir so tun, als ob allein darin das Problem läge. Auch die Bundesbank, auch sachverständige Gremien sind der Meinung, daß die jetzige Entwicklung zur Hälfte mit Öl, zur anderen Hälfte aber mit der eigenen Politik in unserem Lande zu tun habe.Wir haben im internationalen Vergleich unwahrscheinlich gestiegene Kosten. Wir haben Steuern und Abgaben, die eine zusätzliche Belastung sind. Wir haben, so empfinde ich, eine abnehmende Bereitschaft zum Leistungswillen und zur Risikobereitschaft. Wenn wir kein Wirtschaftswachstum haben — das wurde heute ja zu Recht beklagt —, sollten wir uns eigentlich einmal fragen, ob das nicht auch etwas damit zu tun hat, wie wir das Wort Leistung in den letzten Jahren interpretiert haben.
Wenn man sagt, 50 % der Wirtschaftspolitik sei Psychologie, dann muß man, glaube ich, auch fragen, wie es hiermit aussieht. Ich habe den Eindruck, daß das Vertrauen in unserem Lande in zunehmendem Maße enttäuscht worden ist. Man hat sich mit dem Slogan „Reformen, Reformen" übernommen. Ich meine, man hat sich auch mit jener Formulierung übernommen: „Wir schaffen das moderne Deutschland."
Da ist mir eigentlich ein etwas konservativeres Deutschland lieber als das fortschrittliche Deutschland, das jetzt geschaffen worden ist.
Die Hoffnungen wurden zu hoch angesetzt, das Vertrauen enttäuscht, abgebaut. Schließlich entstand auf Grund dieser Entwicklung ein Zustand der allgemeinen Unsicherheit, der Resignation auf der einen Seite und der Radikalisierung auf der anderen Seite. Daraus entsteht jener Angstkomplex, den wir heute doch nicht nur bei der Jugend, sondern in weiten Bereichen unserer Bevölkerung finden. Das hat nach meiner Überzeugung etwas mit den Worten auf der einen Seite und den Taten auf der anderen Seite zu tun.Ich glaube auch, daß das Zaudern, das ein Bestandteil der Politik geworden ist, wesentlich zu diesem Zustand beigetragen hat. Wie einig war sich das Parlament einmal in der Frage der Nutzung der Kernenergie. Was für eine Unsicherheit haben wir dagegen heute draußen in der Bevölkerung? Sie ist doch auch deshalb entstanden, weil man nicht den Mut hatte, die Entscheidungen auch durchzusetzen, weil man gezaudert und nötige Schritte immer wieder verschoben hat. Ich habe die große Sorge, daß nach all den Ankündigungen — ich habe vorhin schon ein Zitat des Herrn Bundesfinanzministers gebracht — über die Notwendigkeit der Sanierung des Haushalts und die harten Maßnahmen, die getroffen werden müssen, sich auch hier wieder etwas
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Dr. Dollingerentwickelt, was im Endergebnis zu einer ganz anderen Form der Meinungsäußerung als bisher führt.Es war viel Bereitschaft vorhanden. Ich erinnere an das Schlagwort: Den Gürtel enger schnallen! Aber wenn das alles wieder überspielt wird und wenn verhältnismäßig wenig passiert, sagt der Bürger: Also es ist doch nicht so schlimm. Das kann böse Folgen haben.Wir haben leider — das gilt für dieses Haus — eine gewisse Starrheit in der politischen Betrachtung bekommen. Man ist zuwenig offen für Lösungen. Man ist zuwenig offen, aufeinander einzugehen.
Ich denke an die Zeit vor 15 Jahren, an das Jahr 1966. Da ging es um eine Deckungslücke von 3 Milliarden DM bei einer jährlichen Neuverschuldung des Bundes von 2,5 Milliarden DM bei einer Arbeitslosenquote von 0,7 % und bei 540 000 offenen Stellen; die Preissteigerungsrate von 3,5 % war die höchste in den 60er Jahren. Seinerzeit war die FDP nicht zu bewegen, bei der Deckungslücke von 3 Milliarden und der Neuverschuldung von 2,5 Milliarden eine geringfügige Erhöhung der Steuern mitzutragen. Die Minister sagten j a, die Fraktion sagte nein. Heute hat die FDP in dieser Beziehung eine völlig andere Position. Sie geht nicht wie damals aus der Regierung raus. Da bleibt sie standfest. Aber sie ist unwahrscheinlich flexibel, neue Belastungen mit zu beschließen und mit durchzusetzen.
Dieses Beispiel ist sehr deutlich dafür, wo wir eigentlich hingekommen sind. Damals führten so geringe Verschuldungsbeträge zu einer Regierungskrise. Heute wird eine weit, weit höhere Verschuldung abgetan, als wenn das gar nichts bedeuten würde, sondern normal wäre. Ich kann nicht anders; ich muß den Satz sagen: Ich glaube, man hat sich jetzt mehr dem Gesichtspunkt untergeordnet: wir wollen an der Macht bleiben.
Wir haben heute eine Stagflation. Das kann so sein. Aber ich glaube, wir sollten wirklich wieder einmal auch etwas vom Grundsätzlichen erörtern, selbst wenn es nicht angenehm ist.Lassen Sie mich vom Volkswirtschaftlichen her noch etwas unter dem Aspekt der Produktionsfaktoren sagen. Die Arbeit hat als Ertrag den Lohn, das Kapital den Zins. Wir haben eine Entwicklung, wo steigende Lohnkosten im Vergleich zu den Kapitalkosten, die niedriger waren, zu einer Bevorzugung der Investitionen und der Rationalisierung geführt haben. Wir haben heute einen Zustand, wo hohe Kapitalkosten, nämlich Zinsen, dazu führen, daß Investitionen weitestgehend unterbleiben, nicht zuletzt, weil das Eigenkapital oft zu gering ist.
Die Beobachtung der Produktionsfaktoren und die Zuordnung zueinander sind von entscheidender Bedeutung, wenn die Wirtschaft problemloser und mit weniger Schwankungen laufen soll.
Ich nenne als Beispiel die Zinsen. Wenn der Bund für seine Anleihen 9, 10, 11 % Zinsen zahlt, kann ich einen Mann, der Geld hat, kaum mit Erfolg auffordern: Bauen Sie ein Miethaus, wo Sie 2 bis 3 % Rendite haben! Das ist gar keine Frage. So ist auch die Höhe der Zinsen ein Faktor, der unsere wirtschaftliche Entwicklung sehr gefährlich behindert.Wenn hier gesagt wird, das sei alles ein Problem Amerikas, so stimmt das nicht. Jeder vernünftige Geldanleger orientiert sich nicht allein an der Höhe des Zinssatzes, sondern er fragt sich, wo sein Geld sicher angelegt ist.
Ich habe die große Sorge, daß bei uns die Höhe der Zinssätze nicht mehr reicht, weil wir durch Staatsdefizite und durch Defizite in der Leistungsbilanz einen Zustand der Unsicherheit haben.Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat gesagt, wir brauchten Geduld, Mut und Zuversicht. Was muß hier geschehen, auch wenn man diese Sätze nimmt? Ich glaube, wir brauchen Klarheit über den Haushalt 1981 — das hat Kollege Häfele gesagt —, nicht alle vier Wochen neue Zahlen, Richtigstellung der mittelfristigen Finanzplanung, tatsächliche Konsolidierung der Staatsfinanzen, denn mit diesen Vorlagen ist der Haushalt wahrscheinlich nur für ein Jahr einigermaßen ausgeglichen,
Klarheit auch im Hinblick auf die Konsequenzen für Länder und Gemeinden, denn diese Entwicklung im Bund — täuschen wir uns nicht — schlägt durch bis zur letzten Gemeinde.Wir sollten auch im Sozialbereich prüfen, was im Hinblick auf die veränderte wirtschaftliche Entwicklung noch geleistet werden kann. Es gibt keine Sozialpolitik, losgelöst von der Wirtschaftspolitik.
Wenn wir in der Wirtschaftspolitik rückläufige Entwicklungen haben, wie sie allgemein heute nicht bestritten werden, dann hat das automatisch auch Konsequenzen für die Sozialpolitik. Ich möchte davor warnen, den Eindruck zu erwecken, als wenn das Netz der sozialen Sicherheit unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung gehalten werden könnte.
Als vom Mißbrauch von sozialen Leistungen gesprochen wurde, kam vom Herrn Bundeskanzler der Vergleich mit dem Mißbrauch von Steuern. Ich bin völlig einverstanden mit Steuerprüfungen, ich bin völlig mit der Bestrafung derjenigen einverstanden, die Steuern hinterziehen, weil sonst jeder, der gegen das Gesetz verstößt, einen Wettbewerbsvorteil hätte. Aber wir sollten auch nicht verkennen, daß es im Sozialbereich nicht zuletzt auf Grund der Tatsache Mißbrauch gibt, daß wir heute so hohe Beitragssätze haben, daß der eine oder andere in die — ich möchte beinahe sagen: menschlich verständliche — Versuchung kommt: Der Bürger will nicht nur ständig Geld einzahlen, sondern er möchte auch einmal etwas herausbekommen.
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Dr. DollingerDie Überprüfung der Subventionen ist ein weiterer Punkt, der diskutiert wird, wo aber wenig passiert. Ich meine, der Staat soll sich im Wirtschaftsprozeß mehr zurückhalten, Rahmenbedingungen schaffen, er soll die unternehmerische Tätigkeit sich entfalten lassen und auch das Risiko bei den Unternehmungen belassen.
Der Leistungswettbewerb muß gestärkt werden. Wenn ich an die Berichte der Monopol-Kommission denke, so wird dort deutlich und klar, wie gefährlich hier die Entwicklungen sind, die den Leistungswettbewerb gefährden können. Das gilt auch für die Frage der Nutzung der Fusionskontrolle im Interesse der Erhaltung des Leistungswettbewerbes.Schließlich müssen wir alles tun, damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibt, und zwar durch Förderung von Forschung und Wissenschaft, Offenhalten der Märkte, womit wir sehr einverstanden sind. Hier können wir der Bundesregierung sagen, daß sie das Offenhalten der Märkte bisher gut gemacht hat, und in diesem Bereich hat sie auch unsere volle Unterstützung. Aber ich meine, daß wir auch sagen müssen, daß es neben Forschung, Wissenschaft und Ausbildung dringend notwendig ist, daß die Unternehmungen Gewinne haben. Wer glaubt, daß Gewinne eine Schande und Verluste eine Tugend seien, der geht an wirtschaftlichen Erkenntnissen einfach vorbei.
Eine Schlußbemerkung. Ich glaube, wir sind uns darüber im klaren: Die Zeche für Fehlentwicklungen in Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik zahlt das Volk.
Wenn wir das ändern wollen, brauchen wir klare Erkenntnisse der Fakten, die gegeben sind, brauchen wir klare Führung, Willen und Mut zu Entscheidungen. Ich meine, daß die Bürger in ihrer Masse in Deutschland bereit sind, Opfer auf sich zu nehmen, wenn sie wissen, daß dies sinnvoll und von Nutzen ist.
Ich meine aber, daß hier nicht das Richtige getan worden ist. Ich sage es ganz einfach: Die Regierung von SPD und FDP hat ein gutes Erbe, das sie 1969 übernommen hat, weitgehend vertan.
Das muß kein Naturgesetz sein. Ich bin sogar der Meinung, daß man das ändern kann, wenn man den Willen dazu hat, wenn man Einsicht hat, wenn man bereit ist, Fehler einzugestehen, und wenn man den Mut hat, daraus Konsequenzen zu ziehen. Mit Übermut und mit Hochmut ist es mit Gewißheit nicht zu schaffen. Das Urteil der Geschichte über diese Politik von elf Jahren SPD/FDP-Koalition liegt heute vor aller Augen — zum Schaden unseres Volkes.
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/950 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, nach einer Verständigung zwischen den Fraktionen soll zur besseren Ausnutzung der Tagungszeit eine Umstellung in der heute vormittag beschlossenen Tagesordnung vorgenommen werden. Demnach wird Punkt 2 der Tagesordnung bis nach der Mittagspause zurückgestellt und Punkt 3 der Tagesordnung vor der Mittagspause aufgerufen. Ich sehe keinen Widerspruch. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP
Ächtung der Todesstrafe
— Drucksachen 9/172, 9/920 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Klein Dr. Klein (Göttingen)
Meine Damen und Herren, zwischen den Fraktionen ist für die Aussprache eine Runde vorgesehen worden. — Ich sehe auch da keinen Widerspruch.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Klein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es trifft sich gut, daß der Deutsche Bundestag den Antrag zur Ächtung der Todesstrafe zu einem Zeitpunkt berät, zu dem der Ausschuß für Menschenrechte der Vereinten Nationen in der Bundeshauptstadt tagt.Die CDU/CSU begrüßt es, daß sich der Ausschuß entschlossen hat, seine erste Tagung außerhalb eines Sitzes der Vereinten Nationen gerade in Bonn durchzuführen.Der Ausschuß steht vor einer schwierigen Aufgabe. Wir glauben nicht, daß die ihm zur Zeit zur Verfügung stehenden Instrumente ausreichen, der Verachtung, die den Menschenrechten vielfach entgegenbracht wird, wirksam entgegenzutreten, und zwar gerade auch in einer Reihe derjenigen Länder, die die einschlägigen internationalen Verträge unterzeichnet und sich darin zur Beachtung der Menschenrechte verpflichtet haben. Aber es handelt sich um einen ermutigenden Anfang.Die Anerkennung von Menschenrechten im Völkerrecht führt folgerichtig zur Erhebung des einzelnen in den Rang eines Völkerrechtssubjektes, einen Rang, den im klassischen Völkerrecht nur die Staaten eingenommen haben. Der eiserne Panzer der
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Dr. Klein
Souveränität der Staaten ist hier durchbrochen, und die These, es sei eine unzulässige Einmischung in innere Angelegenheiten, wenn ein Staat die Verletzung der Menschenrechte durch einen anderen rügt, ist, zumindest im Kreise der Unterzeichner des Menschenrechtspaktes, falsch. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist auch die Kritik des Botschafters des Iran in der Bundesrepublik Deutschland an den Äußerungen des Herrn Bundesministers der Justiz über die Verhältnisse in diesem Lande falsch, und sie war überdies — das füge ich hinzu — in ihrer Form ungehörig.
Dem Ausschuß für Menschenrechte der Vereinten Nationen wünschen wir bei seiner Arbeit viel Erfolg.Die verschiedenen Initiativen der Bundesregierung zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe werden von der CDU/CSU unterstützt. Unser Grundgesetz verbietet die Todesstrafe. Selbst unter dem Eindruck der abscheulichen Verbrechen des Terrorismus in unserem Lande sind die Stimmen, die ihre Wiedereinführung fordern, vereinzelt geblieben. Die Erfahrung hat uns, so meine ich, gelehrt, daß der Verzicht auf die Todesstrafe die wirksame Verbrechensbekämpfung nicht beeinträchtigt, daß also die abschreckende Wirkung der Todesstrafe, sofern sie überhaupt ins Gewicht fällt — Sachverständige bestreiten das — , jedenfalls nicht sonderlich hoch zu veranschlagen ist.
Wir Deutschen stehen überdies unter dem Eindruck, den der brutale Mißbrauch der Todesstrafe unter der Tyrannei der Hitlerdiktatur hierzulande hinterlassen hat. Um so erschreckender ist es allerdings, daß in einem Teil unseres Vaterlandes unter einem wiederum totalitären Regime diese Strafe nach wie vor für eine Reihe von Straftaten angedroht wird und ihr Mißbrauch auch nicht ausgeschlossen ist. Wenn wir uns schon im Sinne der Ächtung der Todesstrafe international zu Wort melden, stünde es uns, so meine ich, gut an, an diesen Tatbestand zu erinnern.
Ich bedaure, daß einem entsprechenden Antrag unserer Fraktion im Auswärtigen Ausschuß, gerichtet auf eine diesbezügliche Ergänzung der Formulierung, die uns vorliegt, nicht gefolgt worden ist.Dennoch stimmt meine Fraktion dem Koalitionsantrag zu, wie wir auch der Entschließung des Europäischen Parlaments zum gleichen Gegenstand zustimmen. Vielleicht ist es ganz sinnvoll, aus dieser Entschließung des Europäischen Parlaments zwei Zitate herauszugreifen. Es heißt dort:... in der Erwägung, daß ein Verständnis der Menschenrechte, das im Einklang mit den Prinzipien der europäischen Kultur steht, voraussetzt, daß das Recht auf Leben allen Menschen zuerkannt und gewährleistet wird; daher— so heißt es weiter —muß das Gesetz zugleich hart sein, um potentielle Opfer zu schützen, und konsequent, indem es in keinem Falle die Vernichtung menschlichen Lebens androht.Das Parlament wünscht dann, „daß innerhalb der zuständigen nationalen Instanzen eine umfassende Debatte über die Abschaffung der Todesstrafe geführt werde, und zwar" — dies betone ich — „mit der notwendigen Gelassenheit".Wir stimmen, wie gesagt, dem Antrag der Koalitionsfraktionen zu, aber es bleiben in diesem Zusammenhang gewisse Bedenken, die ich nicht unerwähnt lassen möchte. Da ist zum einen die Sorge vor rechthaberischer Selbstüberhebung. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht der praeceptor mundi.
Einige Formulierungen in der Begründung des Antrages könnten immerhin so verstanden werden, etwa wenn da von einem „inhumamen Relikt vergangener Jahrhunderte" und von „Unmenschlichkeit" die Rede ist. Dies alles ist aus der Sicht unserer kulturellen Tradition sehr verständlich und, wie ich meine, auch richtig, aber der Herr Bundeskanzler hat vor nicht langer Zeit von diesem Pult aus daran erinnert, daß die Gesellschaftsordnungen auf dieser Welt unterschiedlich strukturiert sind, und von daher beurteilt sich eben möglicherweise auch die Frage der Menschlichkeit oder Unmenschlichkeit der Todesstrafe unterschiedlich, je nachdem, ob man in einer christlichen Tradition oder beispielsweise in einer islamischen Tradition aufgewachsen ist.Dennoch, ich verstehe die Emotionalität, die hinter diesen Formulierungen steht, frage allerdings auch: Was müssen beispielsweise die Amerikaner dabei empfinden, wenn sie dieses lesen; denn deren Supreme Court hat erst im Jahre 1976 befunden, daß die Todesstrafe für Mord nicht in allen Fällen eine grausame und ungewöhnliche Bestrafung darstelle und daher die Verfassung der Vereinigten Staaten nicht unbedingt verletze. Nun ist die Schonung der Empfindungen amerikanischer Bürger freilich ein Anliegen, das manchen in diesem Hause nicht sehr am Herzen zu liegen scheint. Aber der Antrag könnte ohne die Differenzierung, daß es eben einen Unterschied macht, ob die Todesstrafe im Rahmen einer rechtsstaatlichen Ordnung für schwerste Verbrechen angedroht, selten verhängt und noch seltener vollstreckt wird, oder ob sie zur Ausrottung politischer Gegner oder anderer mißliebiger Minderheiten mißbraucht wird, als eine jener Äußerungen mißverstanden werden, die Ost und West, Diktaturen und freiheitliche Staaten in einen Topf werfen. An einem Mangel an solchen Äußerungen leiden wir ja zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland nicht.
Unser Anliegen geht also dahin — und ich glaube, auf unsere Diplomaten können wir uns da verlassen —, auf internationaler Ebene das berechtigte Ziel dieser Entschließung mit dem Takt zu verfol-
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gen, den deutsche Vergangenheit und Gegenwart jenseits der Zonengrenze uns nahelegen.
Zum zweiten fragen wir uns ja wohl alle mit wachsender Resignation, inwieweit Instrumente des internationalen Rechts überhaupt dazu taugen, mehr Menschlichkeit im Umgang der Staaten mit ihren Bürgern durchzusetzen.
Der internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte verbietet die Folter, gewährt Schutz vor willkürlicher Festnahme, garantiert die Unschuldsvermutung bis zum gerichtlichen Nachweis der Schuld, das Recht auf gerichtliches Gehör, auf eine angemessene Verteidigung und den Grundsatz „keine Strafe ohne Gesetz". Er sagt überdies in seinem Art. 6 Abs. 1:Jeder Mensch hat ein angeborenes Recht auf Leben. Dieses Recht ist gesetzlich zu schützen. Niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden.Die Todesstrafe darf, so heißt es da, nur für das schwerste Verbrechen verhängt werden; sie darf für Straftaten von Jugendlichen unter 18 Jahren nicht verhängt und an schwangeren Frauen nicht vollstreckt werden.Wer aber sind die Unterzeichnerstaaten dieses Paktes? Da finden wir Chile, die DDR, den Irak, den Libanon, Libyen, die Mongolei, Nicaragua, die Sowjetunion, Syrien und — um allem die Krone aufzusetzen — auch den Iran. Muß man nicht an der Wirksamkeit internationalrechtlicher Bemühungen zweifeln angesichts des Maßes an Heuchelei, das bei manchen Unterzeichnern solcher Verträge und feierlicher Erklärungen obzuwalten scheint?
Manche der genannten Staaten scheuen sich ja nicht, offen zu bekennen, daß sie mißliebige Minderheiten auszurotten bestrebt sind — im Namen eines Rechts, das der Hölle entstammt und in Wahrheit nichts ist als menschenunwürdige Barbarei. Im Iran werden die Anhänger der Sekte der Bahai gnadenlos verfolgt und umgebracht, wo man ihrer habhaft wird,
Kinder werden hingerichtet, wenn sie sich an unerwünschten Demonstrationen beteiligen.Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang, an diejenigen Kollegen in der SPD, die noch vor kurzem in den Iran gereist sind, die Frage zu richten, wann sie daran gehen werden, hier in der Bundesrepublik Deutschland zu Massendemonstrationen zum Zwecke des Protests gegen die inzwischen dort gehandhabte Praxis aufzurufen.
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, waren wir der Meinung, daß es sich empfehle, den Text des Beschlusses so zu verändern, daß er auch eine Aufforderung zur Beachtung bereits bestehender rechtlicher Verpflichtungen enthält; denn dahinter steht die Sorge, daß das Instrument völkervertragsrechtlicher Verpflichtungen zur Achtung der Menschenwürde sich abnützen könnte, wenn man hinnimmt, daß solche Verpflichtungen zwar feierlich unterzeichnet, aber dann nicht beachtet werden. Ich bin dafür dankbar, daß dieses Anliegen bei den Kollegen von der Koalition nicht auf sachlichen Widerspruch gestoßen ist. Es hat jetzt auf eine gemeinsame Empfehlung des Rechtsausschusses hin wenigstens in der Begründung des Antrags seinen Niederschlag gefunden.In seinen Betrachtungen zur Todesstrafe kommt Albert Camus zu dem Schluß:Die Todesstrafe ist ein Schandfleck unserer Gesellschaft, und ihre Befürworter können sie mit keinerlei Vernunftgründen rechtfertigen.Sein gerade durch die unterkühlte Art der Darstellung erschütterndes Plädoyer für die Abschaffung dieser Strafart bezieht sich auf Frankreich, ein Land mit unbestreitbar rechtstaatlicher Tradition, das j a gerade in allerjüngster Zeit die Todesstrafe abgeschafft hat. Um wieviel schlimmer aber ist die Lage in den zahllosen Ländern dieser Erde, in denen im Namen eines Rechts, das außerhalb der Tradition europäischer Rechtsstaatlichkeit steht, aus Herrschsucht, aus Haß auf den Andersdenkenden, den Andersgläubigen, den politischen Gegner gefoltert und getötet wird, in denen der Staat selbst sich zum Henker macht!Camus schließt seine Betrachtungen mit dem Satz:Weder im Herzen des einzelnen noch in den Sitten der Gesellschaft wird es einen dauerhaften Frieden geben, solange der Tod nicht aus den Gesetzen verbannt ist.Ich teile diese Auffassung. Die Bundesregierung möge das in ihren Kräften Stehende tun, um ihr Geltung zu verschaffen.Vielen Dank.
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Klein das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dieser heutigen abschließenden Debatte über den Antrag der Koalitionsfraktionen wollen wir hinter die Diskussionen in den Ausschüssen und in den Fraktionen einen vorläufigen Schlußstrich setzen. Es ist erfreulich, Herr Kollege Klein — von Klein zu Klein muß man so reden —,
daß wir mit Ihrer Unterstützung rechnen können und daß damit das Begehren der Koalitionsfraktionen nun zu einem Anliegen der gesamten Volksvertretung und nicht nur der Bundesregierung wird.Ich finde es gut, daß wir uns auch in dem federführenden Ausschuß darauf verständigt haben — Sie haben es angesprochen —, nicht nur den Art. 6 des
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Paktes über bürgerliche und politische Rechte anzusprechen, der auf die Einschränkung — nicht auf die Abschaffung, aber auf die Einschränkung — der Todesstrafe zielt, sondern auch zwei weitere Punkte mit aufzugreifen, einmal auf Ihre Intention, einmal auf die Intention der Sozialdemokraten hin, nämlich die Garantie eines gerechten Strafverfahrens und die Ächtung der Folter.Es spricht für den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß, daß hier nicht Mehrheitsentscheidungen gefällt worden sind, ohne auf die Argumente der anderen Seite zu hören, sondern daß man versucht hat, zu einer gemeinsamen Linie zu kommen. Wenn gelegentlich bedauert wird, man höre im Parlament nicht mehr aufeinander und man wäge die Argumente des politischen Gegners nicht, so hat gerade die Praxis des Rechtsausschusses — in diesem Punkte jedenfalls — dies nachdrücklich widerlegt. Ich möchte mich bei Ihnen herzlich für das konstruktive Verhalten der Opposition bedanken, einem Antrag der Koalitionsfraktionen beizutreten.
Unser Antrag zielt darauf, daß wir auf dem bisherigen Wege fortfahren, nämlich nicht durch bilaterale Vereinbarungen zu versuchen, die Todesstrafe abzuschaffen, sondern auf den drei Ebenen, die uns vorgezeichnet sind, im Europäischen Parlament, in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, auf der Ebene der Vereinten Nationen, nun Schritt für Schritt weiter voranzukommen. Ich meine, wir haben in den letzten Jahren hier durchaus Erfolge gehabt.Wir begrüßen besonders die klare und deutliche Entschließung des Europäischen Parlaments, über die wir in diesem Sommer unterrichtet worden sind und die auch Gegenstand der Beratungen im Rechtsausschuß gewesen ist. Während sich beispielsweise das Europäische Parlament im Jahre 1980 noch darauf beschränkte, die Mitgliedsländer aufzufordern, verhängte Todesstrafen nicht zu vollstrecken, ist man schon ein Jahr später einen deutlichen Schritt weiter gegangen. Es heißt nämlich jetzt in der Entschließung: Das Europäische Parlament bringt entschieden den Wunsch zum Ausdruck, daß die Todesstrafe in der Gemeinschaft abgeschafft werden sollte. Meine Damen und Herren, dies ist, wie ich meine, eine klare Sprache, die man oftmals in Entschließungen europäischer Organe nicht so deutlich vorfindet, wie es hier doch Gott sei Dank der Fall ist.Nicht nur, weil das Europäische Parlament dies gefordert hat, sondern vor allem deshalb, weil die Wähler, die Bürgerschaft Voraussetzungen dafür geschaffen haben, kann beispielsweise in zwei großen europäischen Ländern in nächster Zeit einiges verändert werden, oder es ist schon verändert worden. Ich denke an Belgien. Dort gibt es einen Gesetzentwurf, der vorsieht, daß die Todesstrafe abgeschafft werden soll. Der Ministerrat hat sich damit schon befaßt.Im vergangenen Monat, im September, haben in Frankreich sowohl die Nationalversammlung wie auch der Senat die Abschaffung der Todesstrafe beschlossen. Vor exakt 20 Tagen, am 9. Oktober, ist das Gesetz in Kraft getreten. Ich meine, wenn in dem klassischen Land der Guillotine die Todesstrafe künftig nicht mehr praktiziert wird, dann ist dies aus meiner Sicht wahrhaft ein säkulares Ereignis.
Wir Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag sind jedenfalls unseren französischen Gesinnungsfreunden dafür dankbar, daß sie nach der Erringung einer klaren Mehrheit im Parlament auch die Forderung aus dem Wahlprogramm so rasch in die Wirklichkeit umgesetzt haben. Sie haben damit umgehend ein Versprechen eingelöst, das nicht ohne Widerspruch geblieben ist, denn wir wissen ja auch, daß zum Zeitpunkt der Verabschiedung dieses Gesetzes etwa 63 %, d. h. zwei Drittel der Bürger Frankreichs gegen die Abschaffung der Todesstrafe waren. Ich beglückwünsche meine französischen Gesinnungsfreunde zu dem Mut, den sie in diesem Falle gezeigt haben.
Meine Damen und Herren, wir haben bei der Behandlung des Antrages Anfang April 1981 von Oppositionsseite gehört — ja, man hat sogar gehöhnt; der Kollege, der dies damals getan hat, ist jetzt leider nicht da —, man denke sogar im Fürstentum Liechtenstein daran, die Todesstrafe abzuschaffen. Nun, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn jetzt Belgien und Frankreich Schritte getan haben oder künftig tun werden: Dies mag vielleicht ein bißchen eindrucksvoller für sie sein.Wenn wir Bilanz ziehen, was sich bisher im europäischen Bereich getan hat, dann können wir durchaus die Erwartung hegen, daß vielleicht bis Mitte der 80er Jahre in keinem Mitgliedsland der Europäischen Gemeinschaft die Todesstrafe mehr gesetzlich verankert sein wird. Damit würde — jedenfalls aus meiner Sicht — unter Beweis gestellt, daß die Europäische Gemeinschaft nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern — was sie ja auch sein will — eine Kulturgemeinschaft ist.Wir haben natürlich hier im europäischen Bereich mehr meßbare Fortschritte erzielen können als in anderen Teilen der Welt. Vor allem die Bewegungen in den übrigen Teilen der Welt, die wir nur auf der Ebene der Vereinten Nationen beeinflussen können, sind viel, viel zähflüssiger, langwieriger und umständlicher. Aber wir sollten nicht mutlos werden, denn der Vorschlag des Dritten Ausschusses, der im letzten Jahr gemacht worden ist und der jetzt auf der 36. Tagung der Vereinten Nationen wieder zur Debatte stehen wird, bezüglich des Fakultativprotokolls — Herr Kollege Klein hat schon darüber gesprochen — soll erneut diskutiert werden. Danach soll jeder Vertragsstaat in seinem Hoheitsgebiet die Todesstrafe abschaffen. Wenn bisher 42 UN-Mitglieder diesen Pakt, der zitiert worden ist, unterschrieben haben, dann glaube ich durchaus, daß man auch weltweit Stück für Stück und Land für Land ein bißchen vorankommen kann.Aber es sollte auch nicht vergessen werden, daß im Augenblick nur in 20 von 140 Ländern die Todes-
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strafe abgeschafft ist. Wenn wir es einmal auf die Weltbevölkerung umrechnen, dann stellen wir fest, daß 90% der Weltbevölkerung heute noch mit der Todesstrafe als Bestandteil der jeweiligen Rechtsordnung leben müssen. Das Verhältnis von 20 : 120 veranschaulicht natürlich auch das Problem, das besteht; es macht ferner die Aufgabe deutlich, die wir uns vorgenommen haben, wenn wir nun weltweit dazu auffordern, die Todesstrafe abzuschaffen. — Herr Kollege Klein, ich stimme Ihnen zu: Wir sollten dies mit Gelassenheit und mit Zurückhaltung tun.Wir haben es auch nie anders gewollt. Wir wollen nicht der Präzeptor sein oder werden. Wir haben gerade auf dem Hintergrund unserer Geschichte die Pflicht, Zurückhaltung zu üben. Wir haben aber auch die Pflicht, auf Grund der Erfahrungen von 32 Jahren ohne Todesstrafe unsere Empfehlungen an andere weiterzugeben.Meine Damen und Herren, obwohl wir auf europäischer Ebene in der letzten Zeit erfreuliche Fortschritte gemacht haben, ist Bedauern angebracht, daß in anderen Teilen der Welt gegenläufige Entwicklungen eingetreten sind. Herr Kollege Klein, Sie haben dies deutlicher angesprochen, als ich es nun tun werde. Aber wenn wir von einem Land im Nahen Osten reden, das den Pakt für bürgerliche und politische Rechte — damals allerdings unter einer anderen Regierung — unterschrieben hat, und heute erleben müssen, daß fast das Gegenteil dessen geschieht, was in vier „essentials" dieses Paktes angesprochen worden ist — nämlich das Recht auf Leben, der Widerstand gegen Folter, die Garantie eines fairen Gerichtsverfahrens und die Glaubens- und Gewissensfreiheit. sprich: auch Religionsfreiheit für die Minderheitsgruppe der Bahá'is —, dann kann uns das nur sehr besorgt stimmen.Wenn sich unser Justizminister Jürgen Schmude in diesen Tagen in Bonn vor dem Gremium der UN- Menschenrechtskommission zu einer Kette von Hinrichtungen geäußert hat, dann tat er das zu Recht.
Er verdient es nicht, in rüder Form von einem Botschafter attackiert zu werden, der offenbar die Gepflogenheiten in unserem Land, wie man miteinander umgeht, nicht kennt oder nicht kennen will.Herr Minister, was Sie in diesen Tagen gesagt haben, ist jedenfalls von der SPD-Bundestagsfraktion voll gedeckt und wird voll von ihr unterstützt. Wir sind der Meinung, daß Sie klar gesprochen und Ihre Aussage zu Recht gemacht haben.
Herr Kollege Klein, Sie haben nicht ohne Grund noch einmal in Erinnerung gerufen, daß dem Auswärtigen Ausschuß eine andere Formulierung vorgelegen hat, die Begründung insbesondere im Hinblick auf die DDR anders zu fassen. Gewiß: Wenn wir heute von Ihnen hören, daß § 60 des dortigen Strafgesetzbuchs den Mißbrauch des Rechts nicht ausschließt, wenn wir andererseits wissen, daß in der DDR seit 30 Jahren keine Zahlen mehr über die Häufigkeit der Schwerverbrechen veröffentlicht werden, wenn wir aus Unterlagen, die uns im Westen zugänglich sind, weiter wissen, daß es seit 1949 214 Todesurteile gegeben hat, dann sind das alles Daten, die sehr bedrückend stimmen. Sie dürfen und sollen nicht verniedlicht werden.Tatsache ist aber auch, daß die Todesstrafe in der DDR in den letzen 10 Jahren offenbar nur sehr selten verhängt worden ist.
— Herr Kollege Lenz, wir unterhalten uns hier über die Rechtsnormen, die sich dieses Land gesetzt hat, und über die Rechtsnormen, die sich der freiheitliche Teil der Welt gesetzt hat. Man sollte die Dinge jedenfalls in dieser Diskussion nicht miteinander vermengen.
— Herr Kollege Lenz, bitte bedenken Sie, daß ich nur noch drei Minuten Redezeit habe. Wir können nachher darüber sprechen.
Wenn Sie mit bedenken, daß seit Mitte der 70er Jahre in der DDR Urteile dieser Art nicht mehr verhängt worden sind, dann meine ich durchaus, daß dies von uns zu bewerten und in die Betrachtung mit einzubeziehen ist.In diesen Tagen haben wir, die wir damit befaßt gewesen sind, sicherlich einiges über die Geschichte der Todesstrafe und den Weg zur Abschaffung nachgelesen. Liberale und Sozialdemokraten können stolz darauf sein, daß sie von Beginn ihrer nachweisbaren geschichtlichen Entwicklung an immer gegen die Todesstrafe gewesen sind. Ich meine, es ist den Konservativen im Parlamentarischen Rat in den Jahren 1948/49 sicherlich schwerer gefallen als Liberalen und Sozialdemokraten, den Weg mitzugehen, Art. 102 des Grundgesetzes so zu formulieren, wie wir ihn heute kennen.Die Sozialdemokratische Partei hat seit ihrer Gründung — es liegt jetzt 118 Jahre zurück — die Abschaffung der Todesstrafe beharrlich gefordert. Schon 1870 haben sechs sozialdemokratische Abgeordnete im Norddeutschen Reichstag — darunter auch Wilhelm Liebknecht — Partei gegen die Todesstrafe ergriffen. In Parteiprogrammen und in öffentlichen Aussagen unserer jüngeren Parteigeschichte ist dies immer wieder mit aufgetaucht.1948/49 haben wir bei den Beratungen des Grundgesetzes erlebt, daß auch konservative Politiker, die es, meine Damen und Herren von der CDU, schwerer hatten als Sozialdemokraten und Liberale, den Mut gezeigt haben, das Grundgesetz so zu formulieren, wie wir es kennen; das verdient Anerkennung. Es war eine sachbezogene Entscheidung, und zwar auch deshalb, weil damals, im Jahre 1950, nur 30 % der Bevölkerung es gutgeheißen haben, daß die Todesstrafe abgeschafft werden soll. Wir haben in den
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letzten Jahren erleben können — Allensbach hat dies gründlich und mit deutlichen Ergebnissen untersucht —, daß die Zahl der Befürworter dieser Regelung auf mehr als die Hälfte der Bevölkerung angewachsen ist. Ich meine, der Mut von damals hat sich auch im nachhinein als richtig erwiesen.Wenn sich nun das Meinungsbild in unserem Lande so deutlich verändert hat, dann soll das auch für die Länder, die — so haben wir damals auf der Konferenz in Caracas gehört — die Todesstrafe abschaffen wollen, aber bei der Verwirklichung dieser Absicht durch die öffentliche Meinung gebremst werden, eine Ermutigung und Ermunterung sein. Angesichts unserer Erfahrungen sollten sie den Mut zeigen, dort, wo es denkbar ist, die Todesstrafe abzuschaffen.Meine Damen und Herren, der erste Justizminister der Bundesrepublik, Thomas Dehler, hat zur Abschaffung der Todesstrafe vor mehr als 30 Jahren folgendes geschrieben:Es ist eine glückliche Fügung des Schicksals, daß unsere junge Demokratie nach den furchtbaren Erfahrungen der Vergangenheit heute die Möglichkeit hat, Neues zu erproben. Erprobt werden soll, ob die vielfach vertretene These wirklich zutrifft, daß die innere Ordnung eines Staatswesens nur dann aufrechterhalten werden kann, wenn dem Staat das Recht zusteht, über Leben und Tod eines Verbrechers zu verfügen. Diese Chance— so Dehler —ist ein wichtiges Anliegen unserer Zeit.Meine Damen und Herren, wir können heute ohne Überheblichkeit sagen: Unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, hat diese Chance genutzt. Die Bundesrepublik Deutschland braucht keine Todesstrafe. Wir haben den Tod aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Ich meine, die Autoren des Grundgesetzes haben damals, vor 32 Jahren, richtig und auch mit Weitsicht entschieden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bergerowski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen zur weltweiten Ächtung der Todesstrafe unterstützt ein Anliegen, das die Bundesregierung mehrfach vorgetragen hat — das haben die Kollegen dargestellt — und das darauf abzielt, in die Lebensbedingungen der Menschen weltweit ein Stück Humanität einzubringen. Der Wert dieser Bestrebungen sollte nicht gering eingeschätzt werden. Noch immer gibt es in diesem Jahrhundert — trotz fortgeschrittener Zivilisation und hohem technischen Stand — in vielen Ländern gerade der von uns oft als zivilisiert bezeichneten Welt die Todesstrafe. Sie ist nach meiner Einschätzung ein Relikt früherer Gesellschaften, die diese Strafe als ein wesentliches Element der Verbrechensbekämpfung kannten.Herr Professor Klein hat vorhin den Gedanken eingebracht, wir sollten nicht Schulmeister anderer Staaten sein. Wenn man hier eine solche Bewertung an den Anfang stellt, dann muß man das, glaube ich, sicher sofort aufnehmen. Ich tue das, indem ich sage: Ich bin völlig seiner Meinung. Allerdings müssen wir uns, glaube ich, doch in besonderem Maße verpflichtet fühlen, das weiterzugeben, was wir aus unserer Vergangenheit gelernt haben. Wir in Deutschland — das ist mehrfach gesagt worden, auch in früheren Beratungen, aber es hat damit nicht an Aktualität und Gewicht eingebüßt — haben unsere Erfahrungen mit dem Problem staatlich legitimierten Tötens gemacht. Das war die von Ihnen angesprochene unsägliche Zeit ab 1933. Mehr als 16 000 Menschen wurden im damaligen nationalsozialistischen Unrechtsstaat durch die Justiz zu Tode gebracht. Das ist eine Tatsache, die nicht nur Mahnung, sondern eben auch Verpflichtung für eigenes politisches Handeln sein muß.Es wurde vorhin schon dargestellt, welche Gründe gegen die Todesstrafe sprechen, und das will ich ganz kurz wiederholen. Die Todesstrafe wirkt in keiner Weise abschreckend, was anhand von Erfahrung in vielen Ländern nachzuweisen ist, insbesondere auch an der Entwicklung in den Vereinigten Staaten, wo trotz der Wiedereinführung der Todesstrafe in einigen Staaten die mit dieser Strafe bedrohten Delikte keineswegs zurückgegangen sind. Die Todesstrafe ist irreparabel. Sie ist endgültig. Wer ahnt, wie viele Menschen in den vergangenen Jahrhunderten auf Grund von Justizirrtümern verurteilt worden sind, den muß die Todesstrafe schon aus diesem Grunde schrecken. Drittens ist die Todesstrafe für den Betroffenen qualvoll und mit verheerenden psychischen und physischen Auswirkungen schon vor der eigentlichen Vollstreckung verbunden. Ein Letztes: Die Todesstrafe verleitet dazu, sie zur Beseitigung von politisch oder religiös Andersdenkenden zu mißbrauchen — auch das ist vorhin schon dargestellt worden. Wir sehen das an der aktuellen Praxis im Iran. Dort wird es besonders anschaulich vorgeführt.Diese Gründe allein sind von genügender pragmatischer und moralischer Qualität, so daß es kaum weiterer Ergänzungen bedarf. Der Kollege Klein hat bei der Debatte am 9. April darzustellen versucht, was wir durch die Abschaffung der Todesstrafe für dieses Land abgewendet haben. Man kann da einmal eine Hochrechnung machen und käme zu dem Ergebnis — basierend auf den Entscheidungen vor Abschaffung der Todesstrafe —, daß in diesen 30 Jahren allein in Deutschland etwa 1 200 Menschen hingerichtet worden wären. Ich meine, kein Richter hätte garantieren können, daß da nicht auch ein Unschuldiger darunter gewesen wäre. Wir haben daraus die Konsequenz gezogen und die Abschaffung der Todesstrafe 1949 ins Grundgesetz geschrieben. Ich glaube, wir haben damit richtig gehandelt. In diesem Zusammenhang wiederhole ich: Es zeichnet sich erfreulicherweise eine immer höhere Zustimmung der Bevölkerung in der Frage der Abschaffung der Todesstrafe ab. Es hat sich hier ein beachtlicher Bewußtseinswandel vollzogen.
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BergerowskiWelche Zielrichtung soll unser Antrag haben? Wir wollen aus dem Deutschen Bundestag heraus — und darin sind sich alle Fraktionen einig — die Bemühungen der Bundesregierung in den internationalen Gremien breiter, nachhaltiger unterstützen. Ich glaube, daß es notwendig ist, daß Bemühungen auf der internationalen Ebene vollzogen werden. Schon die Tatsache — das hat vorhin Herr Klein von der SPD-Fraktion gesagt —, daß eben nur 20 von ungefähr 130 Staaten, die man zu dem Vergleich heranziehen kann, diese Strafe abgeschafft haben, zeigt eben die Schwierigkeiten auf, die der Initiative zur Ächtung der Todesstrafe entgegenstehen, die von der Bundesregierung und Außenminister Genscher mit seinen Aktivitäten vor der UNO seit 1979 entwikkelt wurde.Es gibt kein internationales Recht, das die Grundlage für ein Verbot der Todesstrafe gäbe. Da muß man auf den Art. 3 der UNO-Menschenrechtsvereinbarung hinweisen. Aber bei dieser Willenserklärung handelt es sich immer nur um eine Deklaration mit keinerlei Rechtsverbindlichkeit. Das bedeutet, daß die Vernichtung menschlichen Lebens auf Grund von Gesetzen zur Erfüllung eines vermeintlichen Strafanspruchs in der Regel als legal gesehen werden muß. Der Kongreß für Verbrechensverhütung und Behandlung Straffälliger in Caracas hat sich mit dieser Frage befaßt; auch auf der 35. Generalversammlung der UNO ist die Problematik behandelt worden.Nun zeichnet sich — und das ist von den Kollegen ebenfalls dargestellt worden — in einigen Teilen der Welt deutlich ab, daß eine Bereitschaft besteht, von der Todesstrafe Abstand zu nehmen. Aber das ist nur eine Seite der Geschichte. Ich glaube, daß wir im internationalen Rahmen immer noch mit ganz erheblichen Widerständen gegen eine verbindliche Abschaffung der Todesstrafe rechnen müssen. Das muß man sehen. In diesem Zusammenhang muß man die unsägliche Praxis, die sich in weiten Teilen der Welt eben immer noch hält, in Erinnerung rufen. An den vorhin schon genannten Beispielen, die ich hier nicht im Detail darstellen will, zeigt sich, daß wir in den letzten Jahren in manchen Bereichen eher eine Zunahme der Zahl der Hinrichtungen und der Zahl der Verurteilungen zur Todesstrafe beobachten müssen, als daß es hier zu einer Besserung kommt. Ich halte das für einen sehr beunruhigenden Zustand.Ich unterstreiche das, was beide Kollegen zu der Äußerung, die Vertreter des Iran gemacht haben, und zu Anmerkungen des Herrn Bundesjustizministers Schmude gesagt haben, in vollem Umfang.
Wir kennen keine genauen Zahlen. Aber wir müssen darüber reden, daß genau in diesem Lande zur Ausschaltung politischer Gegner und von religiösen Minderheiten das Todesurteil mit der Tötung vollzogen wird. Ich meine, es ist richtig und notwendig und liegt im Sinne dessen, was wir heute beraten, daß wir auch offen und nach draußen über solche Entscheidungen reden.Man kann nur bedauern, daß in einer ganzen Reihe von anderen Ländern in den letzten Jahren die Verhängung der Todesstrafe zunimmt. Ich denke an Südafrika, wo sich in diesem Jahr eine Verdoppelung der Zahl der Hinrichtungen abzeichnet. Ich denke an die Türkei, wo im Laufe der letzten Monate in einem immensen Umfang in den Verfahren Anträge auf Verhängung der Todesstrafe gestellt werden. Auch das gehört in diesen Zusammenhang. Ich denke an El Salvador und an Guatemala, wo wir es mit einem ganz anderen Problem zu tun haben. Dort geht es nicht mehr nur um die Tötung eines Menschen nach einem Gerichtsverfahren, sondern um die Liquidierung von Menschen ohne Verfahren. Man muß diese Entwicklungen für außerordentlich bedenklich halten.Die Koalitionsfraktionen haben so stark darauf gedrungen, daß wir bei der vorliegenden Entschließung nur auf die Todesstrafe Bezug nehmen, um die besondere Stellung dieser Frage herauszuheben und sie nicht durch die Aufnahme weiterer Detailforderungen unscharf werden zu lassen. Das war eigentlich das Anliegen und auch der Grund, warum wir im Ausschuß über das Thema reden mußten.Wir verkennen nicht — wir haben deshalb auch die Anregung, die aus der CDU/CSU-Fraktion kam, mit in die Begründung aufgenommen —, daß die Garantie rechtsstaatlicher Verfahren einen hohen Stellenwert hat. Sie ist aus Tradition Grundbestandteil liberaler Rechtspolitik gewesen. Das soll natürlich auch so bleiben. Wir meinen aber, daß diese Frage Gegenstand einer weiteren Initiative sein sollte, wie auch andere Probleme, etwa das der Folter und das der Wahrnehmung der elementaren Menschenrechte.Nach wie vor wird in vielen Gefängnissen aller Erdteile gefoltert. Die Methoden sind im technischen Zeitalter verfeinert worden. An der Grausamkeit hat sich trotz Änderung der Methoden überhaupt nichts geändert.Gerade die Schwere dieser Verstöße gegen die Persönlichkeitsrechte von Menschen rechtfertigt eine weitere Initiative. Das habe ich gerade erwähnt. Auch hier werden wir mit internationalem Widerstand rechnen müssen. Auch hier müssen wir sehen, daß das kein Problem der Zuordnung zu einzelnen Regierungssystemen, zu Blöcken, zu politischen Systemen in der Welt ist. Es ist leider eine Erscheinungsform, daß Menschenrechte in allen Teilen der Welt verletzt werden. Das ist dann besonders schmerzlich, wenn gerade Länder, die sich selbst an der Seite des Westens sehen, immer wieder selbst zu Mittelpunkten von Menschenrechtsverletzungen werden. Ich habe vorhin einige dieser Länder genannt. Sie sind in diesem Zusammenhang natürlich genauso zu erwähnen.Gerade wegen der Notwendigkeit zur Differenzierung in allen Fällen haben wir uns auf das Wesentliche, auf das Element der Todesstrafe, beschränkt. Weil die Frage der Todesstrafe so eng mit ethischen und moralischen Vorstellungen verbunden ist, müssen wir auch die Motive und Hintergründe sorgfältig betrachten. Ich nehme damit gerne das auf, was Professor Klein gesagt hat. Die Motive, die Hintergründe liegen ganz sicher bei den US-Staaten völlig anders als in Systemen wie dem Iran, wo das offene
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BergerowskiUnrecht in Massenerschießungen auf Grund von Schnellverfahren praktiziert wird, um sich der politischen Gegner zu entledigen und religiöse Minderheiten zu unterdrücken. Ich bin da Ihrer Meinung. Wir müssen in der Tat sichtbar machen, daß es aus ganz unterschiedlichen Gründen, teils aus mit der Rechtsordnung verträglichen Gründen und in anderen Fällen aus Gründen, die mit Rechtsordnungen, wie man sie in der Welt vertreten kann, nicht verträglich sind, zur Tötung eines Menschen kommt. Es ist sicherlich notwendig, im Umgang mit den Ländern auch sichtbar zu machen, daß hier Unterschiede bestehen.Ich möchte an dieser Stelle nochmals betonen, für wie wichtig wir die Tatsache halten, daß es in der grundsätzlichen Frage für oder gegen die Todesstrafe in diesem Hause nach wie vor zu einem breiten Konsens kommt. Das ist ja sehr deutlich geworden. Ich meine, es ist auch richtig, das nach draußen zu vermitteln.Ich möchte an dieser Stelle auch die konstruktive, positive Atmosphäre lobend erwähnen, die bei den Beratungen dieser Entschließung im Ausschuß geherrscht hat. Ich bedanke mich dafür bei allen Beteiligten.Die FDP-Fraktion sieht in den Bemühungen der Bundesregierung einen elementaren Schritt in Richtung auf die Verwirklichung liberaler Freiheitsrechte weltweit. Die Bundesregierung und insbesondere Bundesaußenminister Genscher stehen damit in derselben Tradition wie Thomas Dehler, der einen wichtigen Teil seiner Arbeit darin gesehen hat, in der Auseinandersetzung mit den Befürwortern einer Wiedereinführung der Todesstrafe den liberalen Rechtsstaat durchzusetzen.Aus all den Erwägungen, die ich vorgetragen habe, stimmen wir dem Antrag vorbehaltlos zu.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP und die vom Rechtsausschuß ausgesprochene einstimmige Empfehlung, ihn anzunehmen.Die Aufforderung, weiterhin mit Nachdruck für eine Abschaffung der Todesstrafe in allen Ländern der Erde einzutreten, nimmt sie gerne und dankbar entgegen. Sie sieht sich dadurch wirksam und eindrucksvoll in ihrer Politik bestätigt, nicht nur im eigenen Land an der Abschaffung der Todesstrafe festzuhalten und allen Forderungen auf Wiedereinführung energisch entgegenzutreten, sondern auch über unsere Grenzen hinaus für die unbedingte Achtung des Rechts auf Leben zu werden.Für meine Person füge ich hinzu, daß ich glücklich und dankbar bin, Bürger eines Staates zu sein, der die Todesstrafe durch seine Verfassung abgeschafft und dadurch auch vorübergehenden Mehrheiten die Wiedereinführung unmöglich gemacht hat.
Ich bin weiter dankbar dafür, als Bundesminister der Justiz vom Deutschen Bundestag in Übereinstimmung aller seiner Fraktionen und Mitglieder den ehrenvollen Auftrag zum weltweiten Kampf gegen die Todesstrafe zu erhalten.Dieser Aufgabe weiß sich die Bundesregierung seit langem verpflichtet. In meinem Amt kann ich dabei an die nachdrücklichen und international stark beachteten Bemühungen meines Vorgängers Hans-Jochen Vogel anknüpfen.Es geht uns nicht darum, anderen Staaten mit moralisierender Überheblichkeit Belehrungen zu erteilen. Der Vorwurf, wieder einmal solle am deutschen Wesen die Welt genesen, wäre hier besonders fehl am Platze. Die mit diesem Sprichwort bezeichnete Überheblichkeit hat schließlich vor einem halben Jahrhundert gerade zum Gegenteil dessen geführt, was wir heute wollen. Geringschätzung anderer Völker, Geringschätzung auch bestimmter Teile unseres eigenen Volkes, Verachtung der Menschen und schließlich millionenfacher Mord einschließlich einer Unzahl von Hinrichtungen waren damals die Folge. Aus diesen schlimmen Erfahrungen haben wir für uns die Konsequenz gezogen. Diese Erfahrungen verpflichten uns aber auch, anderen die Gefahren zu zeigen, die einzelnen ebenso wie ganzen Gruppen von Menschen drohen, wenn nicht alle Wege zur absichtlichen Vernichtung von Menschenleben kompromißlos verschlossen sind.Für die unbedingte Ehrfurcht vor dem Menschenleben treten wir entschieden und nachdrücklich ein, bei uns in der Bundesrepublik ebenso wie in anderen Staaten. Daß wir von den Menschenrechten nicht nur reden, sondern sie unter anderem durch materielle Hilfeleistung sichern helfen, daß wir politisch Verfolgten besonders zum Schutze ihres Lebens verfassungsrechtlich den Anspruch auf Asyl bieten, daß wir für den Frieden auch dort eintreten, wo wir selbst nicht bedroht werden — das alles sind Beweise dieser Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben.Wir wissen, daß unsere Mittel nicht zureichen, um allen Notleidenden zu helfen. Auch wissen wir, daß wir unsere Anstrengungen weiter verstärken müssen, um mehr Menschen zu helfen und sie vor elendem Tod zu bewahren. Allzu schnell sind unsere Mittel und Kräfte erschöpft.Um aber Menschen vor der Tötung durch den eigenen Staat zu retten, bedarf es gar nicht des schwierigen Kampfes gegen Hunger und Elend in riesigen Regionen. Es bedarf nur des überzeugenden Wortes, des glaubhaften, nachdrücklichen Auftretens gegenüber jenen, die die staatliche Grundsatzentscheidung über Leben und Tod zu treffen haben. An ihren guten Willen wollen wir appellieren, ihnen unsere Erfahrungen und Einsichten anbieten, um ihnen unsere Schlußfolgerungen nahezubringen.
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Bundesminister Dr. SchmudeWir leben in der Bundesrepublik seit fast 32 Jahren ohne Todesstrafe. In Europa ist sie nur in Island länger abgeschafft. Unsere Erfahrung zeigt uns: Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die Todesstrafe und ihr Vollzug einen Rückgang der Morde oder sonstigen schweren Verbrechen bewirken. In der Schweiz gab es bis 1942 Kantone mit und Kantone ohne Todesstrafe. Die Häufigkeit der Kapitalverbrechen war davon völlig unabhängig.Und der besondere Sicherungszweck, den Mörder durch die Hinrichtung an weiteren Straftaten zu hindern? Die nüchterne Prüfung läßt auch dazu keine Notwendigkeit erkennen. Die Rückfallquote der Mörder ist die niedrigste überhaupt. Auch mit der Freiheitsstrafe ist der Sicherungszweck vollständig zu erreichen.Das Argument, die Todesstrafe solle doch nur Schwerstverbrechern drohen, darf niemanden beruhigen. Wer sie zuläßt, nimmt bewußt oder unbewußt den Tod Unschuldiger in Kauf. Richter sind Menschen, ihre Urteile dem Irrtum unterworfen. Andere Fehlurteile kann man durch Wiedergutmachung wenigstens in einem gewissen Maße ausgleichen, vollstreckte Todesurteile nicht. Allein in den ersten 15 Jahren unserer Bundesrepublik sind mindestens zwölf Menschen wegen Mordes rechtskräftig zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, später aber im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen worden. Bei fortbestehender Todesstrafe wären sie wahrscheinlich unschuldig gestorben.Den Mißbrauch der Todesstrafe zu bekämpfen, ihre weite Anwendung zu politischen und anderen Zwecken also, genügt nicht. Die wirksamste Sicherung gegen ihren Mißbrauch ist die Abschaffung der Todesstrafe. Bleibt sie auch nur in schwerwiegenden Einzelfällen anwendbar, so ist der Damm zwischen Leben und Tod gebrochen. Das Bemühen um Ausweitung findet leicht seinen Anknüpfungspunkt. Unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft haben wir das in schrecklichem Ausmaße erlebt.Auch wer allen diesen Bedenken Rechnung tragen will und die engstmögliche Anwendung der Strafe sicherstellt, kann einer verheerenden Wirkung seiner Grundsatzentscheidung nicht entgehen. Er gibt nämlich mit der das Wertbewußtsein prägenden Kraft staatlichen Handelns in jedem Anwendungsfall das Beispiel dafür, daß das Menschenleben eben doch nicht völlig unantastbar ist, daß es unter bestimmten Voraussetzungen sehr wohl mit einer sorgfältig geplanten, in aller Nüchternheit und Ruhe durchgeführten Exekution vernichtet werden darf.Die Bundesregierung hat auf diese Tatsachen immer wieder beharrlich hingewiesen und wird das weiterhin tun. Wir dürfen mit Freude feststellen, daß solche Beharrlichkeit sich auszahlt. Die Zahl der Befürworter der Todesstrafe unter unseren Bürgern hat mehr und mehr abgenommen. Ich erwarte, daß diese Haltung, unterstützt durch die jetzige Entschließung des Bundestages auch international zunehmende Beachtung finden und die öffentliche Meinung beeinflussen wird.In diesem Sinne bemüht sich die Bundesregierung seit Jahren. So hat mein Amtsvorgänger HansJochen Vogel bei der europäischen Justizministerkonferenz in Kopenhagen 1978 nachdrücklich den Vorschlag des österreichischen Justizministers Christian Broda unterstützt, im Rahmen des Europarats auf die Abschaffung der Todesstrafe hinzuarbeiten. Die europäische Justizministerkonferenz 1980 in Luxemburg hat dazu das Ziel festgeschrieben, die Todesstrafe in allen Mitgliedstaaten abzuschaffen. Ich bin in der glücklichen Lage, dieses Vorhaben schon nach kürzerer Amtszeit im engsten Einvernehmen mit dem österreichischen Justizminister und anderen weitertreiben zu können.In den letzten Wochen haben wir durch die Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich nachhaltige Unterstützung erfahren. Gegenwärtig wird in den Ausschüssen des Europarats an einer Ergänzung der Menschenrechtskonvention um das Gebot der Abschaffung der Todesstrafe gearbeitet. Für diese Ergänzung hat sich die Beratende Versammlung des Europarates mit Unterstützung von Vertretern aller Fraktionen des Deutschen Bundestages eingesetzt.Die Bundesrepublik Deutschland hat als erster Staat bei den Vereinten Nationen den Entwurf eines Zweiten Fakultativprotokolls zu dem Internationalen Übereinkommen über bürgerliche und politische Rechte eingebracht. Der Entwurf sieht die Abschaffung und das Verbot der Wiedereinführung der Todesstrafe vor. Angesichts der leider noch weltweiten Verbreitung der Todesstrafe ist es bereits ein großer Erfolg, daß die Generalversammlung bereit ist, sich damit zu befassen.Eine wichtige Unterstützung ihrer eigenen Bemühungen sieht die Bundesregierung in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 18. Juni dieses Jahres zur Abschaffung der Todesstrafe in der Europäischen Gemeinschaft. Diese Entschließung argumentiert zugleich praktisch und moralisch. Sie appelliert ebenso wie der vorliegende Entschließungsantrag des Bundestages an alle Länder der Welt, die noch die Todesstrafe verhängen. Sie betont, daß die Europäische Gemeinschaft nicht nur Gemeinsamer Markt, sondern auch eine Kulturgemeinschaft ist. Die Bundesregierung wird sich bemühen, dieser gewichtigen europäischen Stimme immer wieder Gehör und Geltung zu verschaffen.Wir sehen sehr wohl die Gefahr, mit unserem Drängen auf Abschaffung der Todesstrafe den Vorwurf der Einmischung in die inneren Verhältnisse anderer Staaten auszulösen. Diesen Vorwurf darf nicht scheuen, wer sich den elementaren Menschenrechten — dazu gehört das Recht jedes Menschen auf Leben — verpflichtet weiß und dieser Pflicht entsprechend handelt.
Er hat den Vorwurf auch nicht verdient. Denn es entspricht der durch internationale gemeinsame Erklärungen der Staaten und völkerrechtliche Vereinbarungen bestätigten modernen Sicht des Rangs und der Schutzbedürftigkeit der Menschenrechte, daß kein Staat ihre Geltendmachung als unerlaubte Einmischung zurückweisen darf.
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Bundesminister Dr. SchmudeNoch ist es zwar leider nicht gelungen, allgemeine internationale Anerkennung für die Bewertung des Vollzugs der Todesstrafe als einer Beeinträchtigung der Menschenrechte zu finden. Auch über diese Abgrenzung oder Erweiterung der Menschenrechte muß aber der grenzüberschreitende Dialog möglich sein, wie bei den allgemein anerkannten Belangen der Menschenrechte selbst.Uns ist an solchen offenen Gesprächen über Staatsgrenzen hinweg sehr gelegen. Wir sind bereit, uns selbst kritischen Fragen zu stellen. Wir betrachten etwa Kontrollen, die von internationalen Instanzen im Bereich der Menschenrechte ausgehen, nicht als Einmischung in unsere innerstaatlichen Verhältnisse. Im Gegenteil halten wir diese Offenheit für einen Vorzug unserer Verfassung und für einen zusätzlichen Schutz der Menschen in unserem Land.Umgekehrt werden wir selbst nicht nachlassen, auf andere Staaten mit Appellen einzuwirken, um von ihnen die Gewährleistung der Menschenrechte und die Abschaffung der Todesstrafe zu erreichen. Maßstab für die Form dieses Vorgehens ist nicht ein propagandistischer Effekt, sondern die damit erzielbare Wirkung.Mit Recht fordert die Entschließung des Europäischen Parlaments dazu auf, innerhalb der nationalen Instanzen die umfassende Debatte über die Abschaffung der Todesstrafe mit der notwendigen Gelassenheit zu führen. Es gilt, diese Gelassenheit bei allem Engagement auch dort zu wahren, wo der Appell über die nationale Grenze hinausgeht.Meine Damen und Herren, das fällt nicht immer leicht. Wie soll man gelassen bleiben, wenn unsere Medien fast täglich über ärgste Grausamkeiten, Folterungen und oft leider auch über massenhafte Morde in anderen Ländern berichten? Sind wir nicht ständig in Gefahr, unempfindlich und hartherzig, also doch unmenschlich, über die Meldungen über solche Untaten zur Tagesordnung unseres wohlbehüteten Lebens in der Bundesrepublik überzugehen?Ein anderes Beispiel — es ist heute mehrfach genannt worden —: In zunehmendem Maße erschüttern uns seit Monaten die nicht mehr abreißenden Meldungen über zahlreiche Hinrichtungen im Iran. Mit diesem Land und seinem Volk verbinden uns seit langer Zeit freundschaftliche Beziehungen. In der Vertragspraxis beider Staaten hat das seinen Ausdruck gefunden. Auch der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte gilt in beiden Staaten bereits seit 1976. Dieser Bestand an gemeinsamen Rechtsüberzeugungen und gleichermaßen verbindlichen Rechtsgrundlagen erhöht nur unsere Betroffenheit und Bestürzung, wenn wir die Zahlen der täglich Hingerichteten lesen, wenn wir erfahren, daß auch Minderjährige dabei sind; wenn die Vollstreckung von Todesurteilen unverzüglich erfolgt, so daß jede Möglichkeit der Nachprüfung oder Begnadigung ausscheidet.Die schwerwiegenden Verstöße gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, vor allem die Verletzungen der vom Rechtsausschuß zum heutigen Entschließungsantrag betonten Grundsätze des fairen Strafverfahrens, sind in dieser Praxis offensichtlich. Ihre Rechtfertigung mit innerem Notstand oder revolutionärer Umwälzung kann niemanden überzeugen.
Was immer an Gewalttaten voraufgegangen sein mag, es kann durch schreiendes Unrecht des Staates weder ausgeglichen noch befriedet werden.
Solchem Unrecht öffentlich zu widersprechen, bringt häufig Ärger, auch Beschimpfungen. Das Unrecht aber hinzunehmen, sich damit kommentarlos abzufinden, wäre schändlich und könnte auf die Dauer unser eigenes Rechtsempfinden nicht unbeschädigt lassen.
Wir dürfen in dieser Situation nicht von dem Versuch absehen, einen betroffenen Staat auch mit deutlichen Worten an seine Pflicht gegenüber den Menschen zu erinnern. Wer sonst soll für sie sprechen, wenn uns das reibungslose Funktionieren diplomatischer, wirtschaftlicher und anderer Beziehungen so wichtig ist, daß wir deswegen zugunsten der Menschen nicht einmal klare und völkerrechtlich wirksam vereinbarte Rechtsnormen in Erinnerung bringen?Der Blick auf die zahlreichen Staaten, die die Todesstrafe noch anwenden, und auf die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede, auf die hier mit Recht hingewiesen worden ist, lehrt uns, wie lang und dornenreich der Weg zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe noch sein wird. Das darf uns nicht entmutigen. Auch der kleine Fortschritt auf diesem Weg ist, weil es um Menschenleben geht, ein großer Erfolg.Die nachdrückliche und wirkungsvolle Unterstützung durch den Deutschen Bundestag, die in der Annahme der heute beratenen Entschließung sichtbar wird, gibt der Bundesregierung bei ihren Bemühungen neuen Ansporn und auch ganz praktische Hilfe. Ich bitte Sie daher, dem Entschließungsantrag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 9/920, den Antrag auf Drucksache 9/172 anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Antrag des Ausschusses ist angenommen.Nach einer Vereinbarung zwischen den Fraktionen treten wir in eine Mittagspause ein. Der Deutsche Bundestag tritt um 14 Uhr wieder zusammen.Ich unterbreche die Sitzung.
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Wir fahren in unseren Beratungen fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 9/936 —
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Stahl steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Frage 38 wird auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Dr. Steger, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 39 des Herrn Abgeordneten Dr. Kübler auf. — Der Fragesteller ist nicht im Saal. Die Frage wird nicht beantwortet.
Ich rufe Frage 40 des Herrn Abgeordneten Catenhusen auf:
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, welche Brutraten weltweit bei den im Betrieb befindlichen Brutreaktoren durch Messungen nachgewiesen wurden?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, darf ich mit Genehmigung des Herrn Abgeordneten beide Fragen gemeinsam beantworten?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Dann rufe ich zusätzlich Frage 41 des Herrn Abgeordneten Catenhusen auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob es zutrifft, daß der Brutmantel des französischen Phénix-Brutreaktors bisher nicht aufgearbeitet wurde und die behauptete Brutrate von 1,15 auf einer Hochrechnung von einzelnen wiederaufgearbeiteten Brennelementen auf den ganzen Reaktor beruht?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Danke schön! — Herr Kollege Catenhusen, die Brutrate ist für ein Prototypkraftwerk von untergeordneter Bedeutung, da für dessen Brennstoffausstattung und für diejenigen der ersten großen Brüter genügend Plutonium aus den in größerer Zahl vorhandenen Leichtwasserreaktoren zur Verfügung steht und weil bei einem Prototypreaktor das Betriebsverhalten und das Sammeln von Betriebserfahrungen viel wichtiger sind. Erst bei einer größeren Rate des Zubaus an Brütern ist eine hohe Brutrate für die Erstausstattung oder die weitere Verwendung im Brennstoffkreislauf nötig.
Messungen zur Bestimmung von Brutraten sind der Bundesregierung nur für den französischen Reaktor „Phénix" bekannt. Von diesem Reaktor wurden in Frankreich bisher 5 t Brennelemente in der SAP-Anlage aufgearbeitet. Insgesamt hat Frankreich 12 t Brüterelemente aufgearbeitet. Für die Brutrate ergaben die Messungen einen Wert von 1,16 ± 0,05. Der Brutgewinn von 0,16, also der Überschuß, ergab sich aus lokalen Messungen mit Hochrechnungen für den ganzen Reaktor. Die vorausgehende theoretische Rechnung hatte 0,13 ergeben. Die Unsicherheit der theoretischen Berechnung und der Hochrechnung auf den ganzen Kern wird durch die Marge von ± 0,05 bzw. 0,04 berücksichtigt.
Eine Zusatzfrage? — Bitte, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, verstehe ich die Bundesregierung dahin gehend richtig, daß Aussagen über die Wirtschaftlichkeit des Brutreaktors, die ja entscheidend auch von der Brutrate abhängen wird, erst bei einer wirtschaftlichen Nutzung dieses Reaktortyps möglich sind?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Catenhusen, die Brutrate selbst ist, wie ich eben dargelegt habe, für die wirtschaftliche Nutzung eines Brutreaktors nicht von größter Bedeutung. Von größter Bedeutung ist, was der Reaktor in seiner gesamten Laufzeit — beim Betrieb insgesamt mit der vollen Stundenzahl — an Nutzen bringt.
Weitere Zusatzfragen? — Bitte schön, Herr Leuschner.
Herr Staatssekretär, in welchem Zeitraum wäre bei einem später kommerziell zu nutzenden Brutreaktor bei einer Brutrate von ungefähr 1,15 oder 1,16 mit einer Plutoniumverdoppelung zu rechnen?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Etwa in einem Zeitraum von 25 bis über 30 Jahren.
Keine weiteren Fragen hierzu. Dann rufe ich Frage 42 des Herrn Abgeordneten Jansen auf:
Kann die Bundesregierung eine Aussage von Prof. Häfele in der Zeitschrift „Atomwirtschaft" vom April 1969 bestätigen, wonach der deutsche SNR-300-Reaktor in Kalkar eine Brutrate von 1,35 haben wird, oder verneinendenfalls angeben, welche Brutrate für diesen Reaktor beim gegenwärtigen Wissensstand erwartet wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jansen, darf ich auch diese beiden Fragen im Zusammenhang beantworten?
Ich würde um Einzelbeantwortung bitten.
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jansen, für den ersten Kern des SNR 300 wird zur Zeit eine Brutrate von 0,94 bis 0,98 ermittelt. Bei Folgekernen wird eine mittlere Brutrate von 1,05 erwartet. Wir haben dem Deutschen Bundestag — dem Ausschuß für Forschung und Technologie — einen Bericht gegeben, den ich Ihnen gern überreichen will. Dort ist das im einzelnen dargestellt. Dieser Bericht datiert von 1977. An seiner Aussagefähigkeit hat sich nichts verändert, Herr Kollege Jansen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jansen.
Auf welche wissenschaftlichen Untersuchungen stützt sich die Bundesregierung im
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JansenBlick auf den eben erwähnten Bericht bzw. auf die heutige Beurteilungssituation, und ist die Bundesregierung bereit, diese wissenschaftlichen Gutachten, wenn es sie gibt, zur Verfügung zu stellen, und zwar insgesamt?Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jansen, ich habe soeben bei der Frage des Herrn Kollegen Catenhusen darauf hingewiesen, daß uns gesicherte Erkenntnisse aus dem französischen Reaktor Phénix vorliegen, was die Gesamtberechnung betrifft. Es gibt eine ganze Menge von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die bei der theoretischen Berechnung für eine derartige Anlage zugrunde gelegt werden. Unter anderen Voraussetzungen könnte sie auch nicht genehmigt werden — z. B. in der Bundesrepublik Deutschland —, weil natürlich ein derartiger Reaktor erst dann genehmigt werden kann, wenn all das, was den Betrieb und was Brutrate betrifft, tatsächlich belegbar ist. Aber wenn Sie es wünschen, kann ich Ihnen einiges an Material zur Verfügung stellen. Der Bericht, den ich hier erwähnte und den wir dem Ausschuß für Forschung und Technologie zur Verfügung gestellt haben, ist sehr ausführlich. Er beruht auf den Grundlagen und wissenschaftlichen Erkenntnissen, die der Bundesregierung zugänglich waren.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jansen, bitte.
Kann ich Ihre Antwort so auslegen, daß nach dem, wie Sie das mit den Brutraten einschätzen, die Bezeichnung Schneller Brüter im Grunde falsch ist und daß man das Investitionsobjekt von Kalkar Plutoniumsverwerter nennen sollte?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jansen, so würde ich das nicht bezeichnen. Ich glaube schon, daß der Name zu Recht besteht; denn der Reaktor nutzt z. B. das Uran verglichen mit einem Leichtwasserreaktor um das Sechzigfache. Das heißt, Sie könnten mit der gleichen Uranmenge einen derartigen Brutreaktor dann 60 Jahre lang betreiben. Die Bezeichnung Brüter besteht, glaube ich, in diesem Fall zu Recht, weil innerhalb des Gesamtprozesses zusätzliches Material erbrütet wird, das den Betriebsablauf für diese lange Zeit tatsächlich aufrechterhalten könnte.
Danke schön.
Ich rufe die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Jansen auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob Angaben der französischen Elektrizitätswerke EDF zutreffen, wonach der Preis der Kilowattstunde Strom aus dem im Bau befindlichen Brutreaktor Super-Phénix das Zwei- bis Dreifache des Preises betragen wird, der bei Stromerzeugung aus französischen Leichtwasserreaktoren erzielt wird?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jansen, beim internationalen Brüterreport in Kalkar am 22. Oktober dieses Jahres hat Georges Vendryes, CEA-Direktor für die industrielle Anwendung der Kernenergie mitgeteilt, daß die Stromerzeugungskosten des Super-Phénix ungefähr doppelt so hoch liegen werden wie bei einem französischen Hochwasserreaktor gleicher Leistung. Er drückte gleichzeitig die Überzeugung aus, daß diese Differenz mit wachsender Erfahrung mit dem Brutreaktorsystem erheblich vermindert werden könne.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jansen.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Berechnungen vorliegen, die auf Grund der ständig wachsenden Kosten für das Projekt Kalkar eine Strompreiskalkulation bringen, und ist diese Berechnung so, daß man sagen kann, auch bei dem Projekt Kalkar kann die Aussage aufrechterhalten werden, daß Strom aus Kernenergie billiger ist als herkömmliche Stromproduktion?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jansen, nach den uns derzeit vorliegenden Erkenntnissen kann man davon ausgehen, daß der Strom, der in einem Leichtwasserreaktor produziert wird, wesentlich billiger ist als der Strom, der aus Steinkohle produziert wird, bezogen auf den Grundlastbereich. Wenn wir den Super-Phénix, den Sie in Ihrer Frage angesprochen haben, zum Maßstab nehmen, ergibt sich folgendes. Es wird Ihnen bekannt sein, daß in Frankreich die Erzeugungspreise für die Kilowattstunde aus Leichtwasserreaktoren, aus Druckreaktoren wesentlich tiefer liegen als die in der Bundesrepublik Deutschland. Man kann, selbst wenn man eine großzügige Kalkulation anlegt, davon ausgehen, daß die Stromkosten beim Super-Phénix in der Größenordnung etwa mit der beim Kohlestrom in der Bundesrepublik Deutschland vergleichbar sein könnten.
Zweite Zusatzfrage, bitte sehr.
Darf ich noch einmal auf meine Frage zurückkommen und darum bitten, zu beantworten, ob — auf das Projekt Kalkar und seine Investitionskosten bezogen — es eine Berechnung gibt, die den eventuell entstehenden Stromanfall aus diesem Projekt als billiger als heute herkömmlich produzierten Strom ausweist — auf Kalkar bezogen, meine ich jetzt, und nicht auf den Super-Phénix.Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jansen, Sie können davon ausgehen, daß sicherlich der Strom, der aus dem Schnellbrutreaktor in Kalkar produziert wird, im Preis schon allein infolge der unwahrscheinlich hohen Investitionskosten für diesen Prototyp, also den Forschungsreaktor, wesentlich höher liegt als bei vergleichbaren Reaktoren. Natürlich müssen auf Grund der Kostenkalkulation für diesen Versuchsreaktor auch die Stromkosten dementsprechend höher sein. Dies ist nun einmal nicht in Frage zu stellen. Denn dies ist ein Reaktor, der zum erstenmal als Prototyp, als Versuchsreaktor in der Bundesrepublik gebaut wird. Es geht bei diesem Reaktor SNR 300 nicht allein um die Stromerzeugung und den Strompreis, sondern es geht darum, daß wir eine derartige Technologie in unserem Lande einmal verfügbar haben. Damit können wir
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Parl. Staatssekretär Stahllangfristige Erfahrungen sammeln, und so werden wir für künftige eventuelle Projekte dementsprechend im Bereich der Sicherheit, im Bereich des Baus, im Bereich des Genehmigungsverfahrens einen großen Erfahrungsschatz haben, auf den unsere Volkswirtschaft nicht verzichten sollte.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Leuschner.
Herr Staatssekretär, berücksichtigen die üblichen Preisvergleiche in bezug auf die preisliche Überlegenheit des Atomstroms die Tatsache, daß man langfristig zwingend zur Brüterwirtschaft übergehen muß und daß, wie wir eben gehört haben, die Kosten dieser Stromerzeugung doppelt so hoch sind wie bei den Leichtwasserreaktoren?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Leuschner, ich habe soeben auf eine Zusatzfrage des Kollegen Jansen erklärt, daß dann, wenn man das Preisniveau des Super-Phénix zugrunde legt — die Anhörung in Kalkar hat dies ja ergeben; der französische Vertreter sagte es —, dort mit einem doppelt so hohen Preis zu rechnen ist, wie bei einem normalen Druckwasserreaktor, der in Frankreich verwendet wird. Ich habe hinzugefügt, daß, wenn man diesen Preis annimmt, sich etwa ein Preisniveau vergleichbar — im Mittellastbereich — mit dem Kohlestrom in der Bundesrepublik ergäbe. Wenn man dies miteinander vergleicht, muß man auch dem Rechnung tragen, was der französische Vertreter gesagt hat: bei weiteren Brutreaktoren, wenn sie gebaut werden, wird man einen größeren Erfahrungsschatz haben und diese werden auch von den Investitionskosten her wesentlich billiger werden. Wenn das so ist, dann lautet die Antwort so, daß es nicht sehr ratsam wäre, auf eine derartige Technologie in unserem Lande langfristig zu verzichten. Nur dann wäre es z. B. möglich, mittels des Stromes, der aus Kernenergie gewonnen wird, Strom aus Braunkohle und Gas zu verdrängen, um diese Rohstoffe volkswirtschaftlich sinnvoller für andere Industriezweige nutzen zu können. Dies ist, glaube ich, der Hintergrund dieses wichtigen Projekts.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hirsch.
Herr Staatssekretär, Ihre letzte Antwort führt mich nur noch zu der Frage: verstehe ich Sie richtig dahin gehend, daß Sie Ihre Aussage aber vorbehaltlich der ausstehenden risikoorientierten Studie machen, die sich auf Kalkar bezieht, und auch vorbehaltlich der Entscheidung des Deutschen Bundestages darüber, ob es nützlich oder sinnvoll ist, diesen Reaktor einzusetzen?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hirsch, wenn Sie mir richtig zugehört haben, werden Sie festgestellt haben, daß ich dies berücksichtigt habe. Denn ich habe mich bei der Kalkulation und bei der gesamtvolkswirtschaftlichen Aussage auf die derzeitigen fundierten, aus Betriebsabläufen erkennbaren Erfahrungen der französischen Seite gestützt. Ich habe aber auf die Zusatzfragen des Kollegen Catenhusen und des Kollegen Leuschner hinzugefügt, daß ich der Meinung bin, daß es, wenn ich dies alles abwägend betrachte, nicht gut wäre, in unserem Lande auf die Chance einer derartigen Technologie zu verzichten.
Ich gehe selbstverständlich davon aus, daß dem Deutschen Bundestag der Bericht im nächsten Jahr vorliegen wird und er darüber debattieren wird und daß dann die Entscheidung dafür oder dagegen gefällt wird. Dies ist keine Vorwegnahme, Herr Kollege Hirsch.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Catenhusen.
Herr Staatssekretär, worauf stützt die Bundesregierung ihre Zuversicht, daß im Jahre 2010 der Zeitpunkt erreicht sei, zu dem eine wirtschaftliche Nutzung der Reaktorlinie Schneller Brüter möglich ist? Wie kommt dieser Zeitpunkt zustande?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Catenhusen, die Bundesregierung ist zuversichtlich — dies hat sie erklärt —, daß der hier in Rede stehende Reaktor in Kalkar fertiggebaut und nach Möglichkeit auch in Betrieb genommen wird. Es läßt sich heute nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, ob der Strom im Jahre 2010 teurer oder billiger ist. Aber, Herr Kollege Catenhusen, eines kann ich hinzufügen: Nach den Erfahrungen, die wir haben, und nach den Aussagen der Franzosen, die ich soeben hier dargestellt habe, ist es, glaube ich, notwendig, an einem derartigen Projekt festzuhalten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 44 des Herrn Abgeordneten Leuschner auf:
Hält die Bundesregierung die Aussagen in dem Artikel „Der Koloß von Kalkar" im Spiegel Nr. 43 vom 19. Oktober 1981 für richtig, daß der Schnelle Brüter SNR 300 keinen zusätzlichen Brennstoff erbrüten wird?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Leuschner, in der ersten Betriebsphase ja, anschließend hängt es vom künftigen Betrieb und Abbrand ab. Im übrigen verweise ich auf meine Antwort auf die Frage des Herrn Kollegen Jansen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Leuschner.
Frau Präsidentin, ich würde darum bitten, daß der Herr Staatssekretär zunächst auch die zweite von mir eingebrachte Frage beantwortet, weil ich daraufhin Zusatzfragen stellen will.
Das wird er gern tun.Ich rufe dann auch die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Leuschner auf:Ist es richtig, daß die Plutoniumverluste im Brennstoffkreislauf bei ca. 10 v. H. liegen und folglich die Brutraten zukünftiger Brutreaktoren nicht über 1,00, sondern über 1,10 liegen müssen, um insgesamt den Brennstoff Plutonium zu vermehren?Bitte, Herr Staatssekretär.
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3550 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Leuschner, die Plutoniumverluste im Brennstoffkreislauf liegen nicht bei 10%. In dem Bericht der Arbeitsgruppe 5 der Internationalen Bewertung des Brennstoffzyklus wird von Gesamtverlusten von Plutonium im Brennstoffzyklus von 2% ausgegangen, je etwa zur Hälfte in der Brennelementfabrikation und der Wiederaufarbeitung.Fachleute in Großbritannien rechnen auf Grund jüngster Erfahrungen mit wesentlich geringeren Verlusten.Bei einem Verlust von 2% und einem Abbrand von 80 000 Megawatt-Tagen je Tonne ist zur Erreichung einer Uran-Ausnutzung von 60% eine Brutrate von zirka 1,04 erforderlich.
Herr Leuschner, Sie haben jetzt vier Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, angesichts Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Jansen, daß der SNR 300 eine Brutrate zwischen 0,94 und 1,05 haben wird, frage ich Sie, ob unter Berücksichtigung Ihrer letzten Antwort dann die Feststellung nicht tatsächlich richtig ist, daß der Schnelle Brüter — jedenfalls dieser Prototyp — keinen zusätzlichen Brennstoff erbrüten wird.
Stahl, Parl. Staatssekretär: Richtig, das ist korrekt.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn das der Fall ist, ist dann ein öffentlicher Aufwand von fast 5 Milliarden DM für ein solches Projekt volkswirtschaftlich gerechtfertigt, da ja dann wahrscheinlich ein solcher Prototyp auch nicht zur Herstellung eines wirtschaftlichen Typs verwendet werden kann, weil die entsprechenden Erfahrungen nicht vorliegen?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Leuschner, ich habe vorhin auf Ihre Zusatzfrage geantwortet, daß es korrekt ist, daß im ersten Core des SNR 300 in Kalkar kein zusätzlicher Brennstoff erbrütet wird. Ich habe aber vorhin, glaube ich, sehr deutlich gemacht, daß die Brutrate bei einem Brutreaktor nicht das Entscheidende ist, sondern daß es im wesentlichen darauf ankommt, daß er den Energieinhalt — sprich: Uran und Plutonium, was uns zur Verfügung steht — etwa um das 60fache besser nutzen kann. Ich habe hinzugefügt, um dies zu ver-bildlichen, daß man — mit den abgebrannten Brennelementen — eines 1 300-Megawatt-Reaktors in einem Jahr, wenn er anschließend für die Technologie der Brutreaktoren als Brennstoff zur Verfügung gestellt wird, einen vergleichbaren 1 300-MegawattBrutreaktor zwischen 60 und 70 Jahre betreiben könnte.
Ich glaube, wenn man sich dies einmal vor Augen
hält, wird man feststellen, daß man allein aus rohstoff- und gesamtenergiepolitischen Gründen nicht
ohne Not auf eine derartige Technologie, hier vor allem bezogen auf Kalkar, und auf die Erfahrungen mit einer solchen Technologie in unserem Land verzichten sollte.
Eine dritte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wann müßte, wenn sich dieser deutsche Typ lang- oder mittelfristig nicht als erfolgreich erweisen würde, nach Auffassung der Bundesregierung gegebenenfalls auf ein ausländisches Brütersystem übergegangen werden, um mittel- und langfristig die Zukunft der Atomwirtschaft in unserem Land zu gewährleisten?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Leuschner, Sie stellen eine sehr hypothetische Frage. Die Bundesregierung geht davon aus, daß wir bemüht sind, den Schnellbrutreaktor in Kalkar fertigzustellen, ihn in Betrieb zu setzen und die Erfahrungen, die wir damit sammeln, aufzuarbeiten, um sie, wenn es notwendig ist, für andere Schnellbrutreaktortypen in unserem Land verfügbar zu haben.
Ich bin der Meinung — lassen Sie mich das hinzufügen —, daß die Durchführung eines derartigen Projekts auch deshalb notwendig ist, um nicht, wie Sie es hier in Sorge dargelegt haben, etwa im Jahre 2000 oder danach aus einem anderen Land eine derartige Technologie importieren zu müssen. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland auf diesem Gebiet einen sehr hohen technologischen Sicherheitsstandard, und wir haben sehr gut ausgebildete Ingenieure und Facharbeiter, die in diesem Bereich tätig sind.
Ich würde es bedauern, wenn eine derartige Technologie unserem Lande verlorenginge, die vielleicht in 20 oder 30 Jahren unserer Industrie im Zusammenhang mit Arbeitsplätzen und mit allem, was dazu gehört, eine große Chance bieten würde.
Sie haben noch eine letzte Zusatzfrage. Wenn es geht, stellen Sie sie etwas kürzer, damit auch die anderen Kollegen noch an die Reihe kommen.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung den Bau von rund 70 Brutreaktoren, wie er im Pfad 1 der Enquete-Kommission angegeben ist, bis zum Jahr 2030 in unserem Land für wünschenswert bzw. machbar?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Leuschner, ich kann nicht im einzelnen bestätigen, daß die Zahl, die Sie mir hier genannt haben, richtig ist. Aber wenn ich es richtig übersehe, ist das unmöglich.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Catenhusen.
Herr Staatssekretär, da Sie eben das Spaltinventar eines Schnellen Brüters angesprochen haben, frage ich: Wieviel Jahresabbrände eines Leichtwasserreaktors mit 1 300 MW
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981 3551
Catenhusensind denn notwendig, um das für einen Schnellen Brüter wie den in Kalkar nötige Spaltinventar zur Verfügung zu stellen?Stahl, Parl. Staatssekretär: Von einem Leichtwasserreaktor mit einer Leistung von etwa 1 300 MW werden jährlich etwa 230 kg Plutonium erbrütet. Dies entspricht etwa 20 Jahren Betriebszeit.
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Hirsch.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie eben wirklich richtig verstanden, daß Sie es für möglich halten, einen Reaktor 60 Jahre lang zu betreiben? Sind Sie weiterhin der Auffassung, daß man alle technischen Erfahrungen selber machen muß und nicht auch von anderen lernen kann?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hirsch, Sie haben mich falsch verstanden oder interpretieren mich falsch. Ich habe ausgeführt, daß man mit der Uranmenge für einjährigen Betrieb eines 1 300-
MW-Leichtwasserreaktors einen Schnellbrutreaktor gleicher Größenordnung und Leistung etwa 60 bis 70 Jahre betreiben könnte. Ich habe nichts über die Lebensdauer, verehrter Herr Kollege Hirsch, dieses Reaktors gesagt. Denn bei einer derartigen Berechnung kann man j a nicht von der Lebenszeit eines Reaktors ausgehen, sondern hier geht es darum, um wievielmal besser dieser Brennstoff in einer derartigen technischen Anlage insgesamt genutzt werden kann. Dies, Herr Kollege Hirsch, ist, glaube ich, die große Chance, die eine derartige Technologie bietet.
Noch eine Zusatzfrage? — Bitte, Herr Kollege Hirsch.
Ich hatte des weiteren die Frage gestellt, ob man die Erfahrungen selber machen muß, und füge gleich noch eine weitere hinzu: Habe ich Sie dahin richtig verstanden, daß Ihre Antwort impliziert, daß die Inbetriebnahme des Schnellen Brüters gleichzeitig den Bau immer weiterer Reaktoren erzwingt?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Nein, Sie haben mich nicht richtig verstanden. Ich habe gesagt, daß sie es ermöglicht, Herr Kollege Hirsch. Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es, um einen größeren Brutreaktor in unserem Land bauen zu können, meines Erachtens dringend notwendig ist, betriebstechnische Erfahrungen, die ja für eine derartige Technologie wichtig sind, z. B. mit dem SNR 300, in unserem Lande gewinnen zu können.
Darüber hinaus wissen Sie, daß wir mit der Französischen Republik und den dort tätigen Verstromungsunternehmen Verträge haben, die uns in die Lage versetzen, auch auf die französischen Erfahrungen zurückzugreifen. Wenn man beides hat, ist man, glaube ich, in die Lage versetzt, über eine derartige Technologie letztendlich auch wirklich verfügen und entscheiden zu können. Ob dies zum Tragen kommt, hängt nicht allein von der Bundesregierung ab, sondern es hängt im wesentlichen davon ab, ob die einschlägigen Verstromungsunternehmen in unserem Lande eine derartige Technologie unter den wirtschaftlichen Voraussetzungen, die dann gegeben sind, auch tatsächlich nutzen werden. Der Staat allein kann dies ja nicht bezahlen; das ist Ihnen ja bekannt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
Herr Staatssekretär, ergibt nicht die Antwort auf die Frage von Herrn Catenhusen, daß der Schnelle Brüter erst dann wirtschaftlich sinnvoll sein kann, wenn eine Wiederaufbereitungsanlage Material zuliefert?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Es ist sicherlich so, Herr Kollege Duve, daß Wiederaufarbeitungsanlagen für eine größere Anzahl von Schnellbrutreaktoren notwendig sind. Aber eine Wiederaufbereitungsanlage ist in unserem Lande, glaube ich, auch schon deshalb notwendig, weil wir ja in Karlsruhe derzeit nur eine kleine Anlage haben, die als Pilotanlage läuft, und weil eine derartige Technologie unter wirtschaftlichen Voraussetzungen und normalen betrieblichen Gegebenheiten in einem größeren Maßstab erprobt werden muß. Wenn wir den Brennstoffkreislauf schließen wollen, dann wird es notwendig sein, eine derartige Wiederaufarbeitungsanlage in unserem Lande zu betreiben, um das aus Leichtwasserreaktoren vorhandene Material wieder aufzuarbeiten und zu rezyklieren.
Die Bundesregierung hat in ihrem Energieprogramm und in der Entscheidung mit den Ministerpräsidenten, was die Schließung des Brennstoffkreislaufs angeht, unmißverständliche Beschlüsse gefaßt, die Ihnen ja bekannt sind. In diesen Brennstoffkreislauf hinein gehört auch eine Wiederaufarbeitungsanlage.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich komme nun zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Herr Staatsminister Huonker steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Fragen 46, 47, 48 und 49 werden auf Wunsch der Fragesteller, der Abgeordneten Spranger und Dr. Miltner, zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Reddemann auf:
Hat die Bundesregierung im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht den Staatsminister im Auswärtigen Amt, Dr. Corterier, gegenüber dem Präsidenten des Bundesrats, Koschnick, in Schutz genommen und dessen Äußerung, bei Staatsminister Dr. Corterier handele es sich um einen „vollendeten Trottel", gebührend zurückgewiesen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Sehr geehrter Herr Kollege Reddemann, bei dem Selbstbewußtsein der Staatsminister bedarf es nicht der Ausübung der Fürsorgepflicht der Bundesregie-
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3552 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981
Staatsminister Huonkerrung durch deren Inschutznahme bei Vorgängen wie dem, auf den Sie sich mit Ihrer Frage beziehen. Der zweite Teil Ihrer Frage ist durch meine Antwort auf den ersten Teil Ihrer Frage erledigt.Im übrigen, sehr geehrter Herr Kollege, darf ich Sie darauf hinweisen, daß die Meinungsverschiedenheit zwischen dem Vorsitzenden der Sicherheitspolitischen Kommission beim SPD-Parteivorstand, der — anders, als Sie in Ihrer Frage unterstellen — erst nach dem Vorgang zum Präsidenten des Bundesrats gewählt worden ist, und Herrn Staatsminister Dr. Corterier in freundschaftlicher Weise ausgeräumt ist. Ich hoffe, daß die aus Ihrer Frage sprechende „Sorge" — vielleicht sollte ich angesichts Ihrer Frage zu Meinungsverschiedenheiten zwischen zwei wichtigen Sozialdemokraten von einer „tiefen Sorge" sprechen — durch diesen Hinweis gegenstandslos geworden ist.
Herr Kollege Reddemann, bitte sehr.
Sehr geehrter Herr Staatsminister, da ich voraussetze, daß diese Regierung immer etwas selbstbewußter auftritt, als es sein sollte, möchte ich die Frage stellen, ob es wirklich vernünftig ist, daß die Bundesregierung in einem solchen Falle nicht reagiert, weil schließlich die Gefahr bestehen könnte, daß andere außerhalb der Bundesregierung meinen könnten, weil die Bundesregierung nicht widerspricht, sei das Werturteil, das der Herr Kollege Koschnik über den Herrn Kollegen Corterier ausgesprochen hat, richtig.
Huonker, Staatsminister: Ihre Frage zu der „Gefahr" beantworte ich mit Nein und verweise im übrigen auf das, was ich auf Ihre Eingangsfrage geantwortet habe.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, darf ich nach der lapidaren Kürze Ihrer Antwort fragen, ob vielleicht eine dahin gehende Koalitionsvereinbarung bestanden haben könnte, daß der freidemokratische Bundesminister des Auswärtigen seine Fürsorgepflicht nicht wahrnehmen durfte, weil es sich bei dem Kritiker um einen sozialdemokratischen Politiker gehandelt hat?
Huonker, Staatsminister: Es besteht in dieser Hinsicht, sehr geehrter Herr Kollege, weder eine Koalitionsabsprache noch eine sonstige Vereinbarung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, wäre eine öffentliche Inschutznahme Ihres Herrn Kollegen Corterier seitens der Bundesregierung nicht schon deswegen notwendig gewesen, weil sonst das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Auslande darunter Schaden leidet, daß es unwidersprochen hingenommen wird, wenn immerhin der Stellvertreter des Herrn Bundesaußenminister mit dem Ausdruck eines Trottels belegt wird, ohne daß das zurückgewiesen wird?
Huonker, Staatsminister: Ich verweise auf das, was ich eingangs gesagt habe und beantworte im übrigen Ihre Frage mit Nein.
Herr Abgeordneter Dr. Jobst, bitte schön.
Herr Staatsminister, muß die Bundesregierung nicht schon deshalb darauf reagieren, damit nicht im Raum bleibt, der Bundeskanzler wäre mit vollendeten Trotteln umgeben?
Huonker, Staatsminister: Wer, sehr geehrter Herr Kollege, meinen Kollegen Dr. Corterier kennt, der weiß: Es bedarf bei einer solchen öffentlichen Äußerung keiner Richtigstellung. Ich sage hier, was ich eingangs gesagt habe: Hier spricht Dr. Corterier für sich selbst.
Weiter keine Fragen. Ich danke Ihnen schön, Herr Staatsminister.
Ich rufe jetzt die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Dr. Lammert auf:
Hält die Bundesregierung nach der Publikation wesentlicher Ergebnisse ihrer Umfrage über das Deutschlandbild in Brasilien im Jornal do Brasil vom 20. September 1981 an ihrer Aussage fest, das Ergebnis dieser Meinungsumfrage sei „insgesamt nicht negativ", und in welcher Weise will sie die in ihrem Schreiben vom 9. September 1981 angekündigte Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit in Brasilien gestalten?
Herr Staatssekretär Becker steht zur Beantwortung zur Verfügung. Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, auch nach der Lektüre des im Jornal do Brasil veröffentlichten Artikels sehe ich keinen Anlaß, die in meiner schriftlichen Antwort vom 10. September dieses Jahres dargelegte Bewertung der Meinungsumfrage in Brasilien zu korrigieren. In dem Bericht des Bonner Korrespondenten dieser Zeitung werden die Ergebnisse der Umfrage vor dem Hintergrund einer deutschen Erwartungshaltung interpretiert, wie sie der brasilianische Journalist angetroffen hat. Ich halte es nach wie vor für erfreulich, daß ich durch die Umfrage erfahren habe, daß in Brasilien das Interesse an der Bundesrepublik Deutschland noch vor demjenigen an Frankreich, Japan, England und Spanien rangiert. Keineswegs überraschend ist es, wenn in der Sympathiebewertung die Bundesrepublik Deutschland erst nach den USA, nach Italien, Frankreich und Portugal folgt, aber immer noch vor Ländern wie Großbritannien, Spanien, Japan und der Sowjetunion.
Zum Nachdenken Anlaß gibt jedoch die Tatsache, daß der Wissensstand über die Bundesrepublik
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981 3553
Staatssekretär BeckerDeutschland noch immer durch die nationalsozialistische Zeit und den Zweiten Weltkrieg, möglicherweise aber auch durch Fernsehserien über diese Epoche mit geprägt ist.
In jüngerer Zeit sind andere Faktoren hinzugetreten, die das gegenwärtige Deutschlandbild in Brasilien beeinflussen. Für die Zukunft ist nicht völlig auszuschließen, daß sich daraus partielle Beeinträchtigungen des Deutschlandbildes in Brasilien ergeben.Die Bundesregierung ist sich dieser Gefahr sehr wohl bewußt. Ich habe Ihnen daher schon in meiner schriftlichen Antwort dargetan, daß die Absicht besteht, ihr entgegenzuwirken. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ich Ihnen indessen noch keinen Katalog konkreter Maßnahmen vortragen, die wir zur Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit in Brasilien planen. Die Überlegungen zu den einzelnen Vorhaben sind noch nicht abgeschlossen. Ich bin jedoch gerne bereit, Sie weiter zu unterrichten, sobald Entscheidungen getroffen sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lammert.
Herr Staatssekretär, Sie halten ausdrücklich an der grundsätzlichen Beurteilung der Umfrageergebnisse fest. Sollten Sie nicht einräumen, daß allein ein Ergebnis wie dieses — um ein einzelnes zu nennen —, daß der bekannteste Deutsche nach wie vor mit weitem Abstand Adolf Hitler ist und — da Sie auf Rangfolgen in der Länderpräferenz hingewiesen haben — daß in den Antworten auf die Frage, welches Land man besonders gerne kennenlernen wolle, die Bundesrepublik Deutschland deutlich etwa hinter der Sowjetunion rangiert, hinreichender Grund dafür ist, sich eben nicht mit dem Hinweis auf das eine oder andere vielleicht weniger problematische Ergebnis zufriedenzugeben, sondern zu sagen, dies alles müsse für uns eigentlich Anlaß zu ernsthaften Bemühungen um Korrektur eines offenkundig verfehlten Bildes sein? Können Sie auf den Hintergrund genau dieser Sachverhalte Ihre für mich sehr unbefriedigende Auskunft, Sie könnten gegenwärtig noch nicht konkretisieren, in welcher Weise die auch von Ihnen für erforderlich gehaltene Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit stattfinden sollte, etwas verdeutlichen und sagen, zu welchem Zeitpunkt Sie meinen, in der Lage zu sein, das hier konkreter erläutern zu können?
Becker, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das hängt zum Teil davon ab, über welche Finanzmittel das Amt verfügen kann. Sie sind, wie Sie sicherlich wissen, für die Auslandsöffentlichkeitsarbeit seit fünf Jahren nicht einmal nominal erhöht worden, so daß sie also real seit mehreren Jahren rückläufig sind. Eine wirklich intensive und durchgreifende Öffentlichkeitsarbeit kostet viel Geld. Angesichts der Finanzmittel muß so etwas sorgfältig geplant werden. Ich bin gern bereit, Ihnen unverzüglich eine Mitteilung darüber zu geben, was im einzelnen zu planen ist.
Zweite Frage, bitte.
Herr Staatssekretär, nach Ihrer Auffassung sind die Ergebnisse im ganzen positiver, als es in dieser Veröffentlichung der brasilianischen Tageszeitung zum Ausdruck kommt. Welchen Grund gibt es dafür, daß die Bundesregierung die Ergebnisse dann nicht insgesamt publiziert und damit die Möglichkeit einer unausgewogenen Beurteilung durch Zitierung von Einzelergebnissen eröffnet? Können Sie in, diesem Zusammenhang auf der Basis der Ihnen zur Verfügung stehenden Gesamtumfrage bestätigen bzw. teilen Sie die Beurteilung, die in dieser Woche in den „Entwicklungspolitischen Informationen" mit Bezug auf genau diese Umfrage wiedergegeben wurde, daß es gerade — ich zitiere — in der augenblicklichen subtilen Stimmungslage der brasilianischen Öffnungspolitik angebracht erscheine, die Bestimmung des Deutschlandbildes nicht ausschließlich deutschen Großunternehmen zu überlassen, weil das nach Auffassung dieser Stelle einer der Faktoren für eine Komplizierung der Lage in Brasilien geworden sei?
Becker, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, wir sind der Auffassung, daß Brasilien für die deutsche Außenpolitik und für die deutsche Außenhandelspolitik eine sehr wichtige Rolle spielt. Selbstverständlich hat das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung die Aufgabe, diese Arbeit im Rahmen seiner Möglichkeiten und Aufgaben zu begleiten. Ob nun die von Ihnen herangezogene Bewertung durch eine brasilianische Zeitung die allein denkbare Bewertung ist, möchte ich offenlassen.
Danke schön.
Ich rufe jetzt die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Duve auf:
Treffen Presseberichte zu, nach denen das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung in einer breit angelegten Aktion die Friedensdemonstration vom 10, Oktober 1981 in Bonn durch eigene Mitarbeiter hat beobachten und einzelne Vorgänge und Äußerungen von Demonstrationsteilnehmern hat festhalten lassen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Becker, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Presseberichte über eine breit angelegte Aktion zur Beobachtung der Friedensdemonstration am 10. Oktober 1981 durch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung sind in dieser Form nicht zutreffend. Es war nur jeweils ein Mitarbeiter des Amtes an den fünf Sammelstellen bei den Auftaktkundgebungen anwesend. Wir mußten annehmen, daß die dort gehaltenen Reden anderweitig nicht verbreitet werden. Über den Inhalt dieser Reden haben die Mitarbeiter berichtet.
Darüber hinausgehende Vorgänge oder Äußerungen von Teilnehmern an der Demonstration waren nicht Gegenstand von Berichten.
Die Tätigkeit dieser Mitarbeiter entsprach den gesetzlichen Aufgaben des Amtes, das die Bundesregierung auf dem gesamten Nachrichtensektor laufend zu unterrichten hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
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3554 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981
Herr Staatssekretär, gab es im Amt Bedenken gegen einen solchen Auftrag?
Becker, Staatssekretär: Ich selbst habe diese Anordnung gegeben. Ich habe von allen Abteilungsleitern, in deren Kreis das besprochen worden ist, nur Zustimmung bekommen.
Ich hatte überhaupt keine Wahl, auf eine andere Weise zu erfahren, wie sich die Demonstration im Laufe des Tages entwickeln würde. Selbstverständlich bestand ein besonderes Interesse daran, im Verlaufe des Tages zu wissen, ob die Bundesregierung, ob möglicherweise der Bundeskanzler selbst eine Erklärung zum äußeren Ablauf der Demonstration und zur Substanz der dort gehaltenen Reden abgeben sollte. Der Bundeskanzler befand sich an jenem Tage von morgens früh 3 Uhr bis abends um 18.30 Uhr auf einem Flug nach Kairo und zurück.
Frau Präsidentin, ich hatte eine ganz andere Frage gestellt: ob es im Amt Bedenken gab - -
Da kann ich leider nichts tun. Wenn Sie Ihre nächste Zusatzfrage stellen, können Sie das vielleicht miteinander kombinieren, Herr Duve.
Herr Staatssekretär, ich will also meine Frage wiederholen: Sind im Amt Bedenken gegen diesen Auftrag laut geworden?
Becker, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Abteilungsleiter haben meiner Absicht spontan zugestimmt.
Ich habe lediglich in Zeitungen, die der Bundesregierung nicht sehr wohlgesonnen sind, gelesen, daß es innerhalb des Hauses auch Kritik gegeben habe. Sie ist mir direkt oder auch indirekt nicht bekanntgeworden.
Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Engel.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Tatsache, daß bereits Fünfzehnjährige, die an der Demonstration teilgenommen haben, befürchten, nachhaltigen Benachteiligungen ausgesetzt zu werden, wenn ihre Teilnahme registriert wird, was auch immer sie darunter verstehen? Welche Möglichkeiten sehen Sie, derartige Befürchtungen auszuräumen?
Frau Kollegin, ich muß Ihnen sagen, daß Ihre Zusatzfrage keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der Frage hat, die ursprünglich gestellt worden ist.
Wenn Sie dennoch antworten wollen, Herr Staatssekretär.
Becker, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, diese Mitarbeiter des Presse- und Informationsamtes waren keine verhinderten Verfassungsschützer, sondern als Mitarbeiter des Hauses hatten sie erstens ausschließlich den Auftrag, darüber zu berichten, was sie an Reden zu Beginn dieser Demonstration wahrnehmen. Zum zweiten waren sie angewiesen worden, sich nicht an der Demonstration zu beteiligen. Zum dritten war es jedem freigestellt, der sich gern an der Demonstration beteiligen wollte, einen solchen Auftrag nicht zu übernehmen.
Die Sorge von Fünfzehnjährigen, sofern sie bestanden hat, vermag ich nicht näher zu bewerten.
Eine Zusatzfrage, Herr Reddemann.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie eben von Zeitungen gesprochen haben, die der Bundesregierung unfreundlich gegenüberstehen und die über dieses angeblich oder tatsächliche Faktum geschrieben haben: Würden Sie dem Hause bitte mitteilen, um welche Zeitungen es sich handelt? Denn es ist ja nicht uninteressant zu erfahren, welche Zeitungen der Bundesregierung unfreundlich gegenüberstehen.
Becker, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, es sind so viele, daß ich sie auf Anhieb gar nicht nennen kann.
Ich rufe die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Duve auf:
Ist es richtig, daß während der Demonstration vom 10. Oktober 1981 Tonaufnahmen des WDR dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung bzw. dem Lagezentrum des Bundesinnenministeriums direkt überspielt worden sind, wobei auch Material an die Bundesregierung gelangte, das der WDR in seinen Sendungen nicht ausgestrahlt hat?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Becker, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, es ist richtig, daß die bei der zentralen Veranstaltung im Bonner Hofgarten am 10. Oktober 1981 gehaltenen Reden auf Bitte des BPA vom Westdeutschen Rundfunk dem Presse- und Informationsamt über eine geschaltete Tonleitung überspielt worden sind. Entsprechend der Aufgabenstellung des Amtes wurden die Texte zulässigerweise zur Unterrichtung der Bundesregierung verwertet.
Wir hatten die Reden derer, die dort sprechen wollten, wie jede Presseagentur auch, wie jede Zeitung auch, wie überhaupt jeder Interessent, vorab vorliegen. Uns kam es darauf an, festzustellen, ob die Redetexte, die vorab verbreitet worden waren, am Ende mit dem gesprochenen Wort übereinstimmen werden. Dies schien uns für den Auftrag wichtig zu sein, frühzeitig ein Bild zu entwickeln, ob die Bundesregierung möglicherweise noch am gleichen Tag eine Erklärung zu der Demonstration abzugeben hätte.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß es sich bei dem übermittelten Material ausschließlich um die Reden gehandelt hat und
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981 3555
Duvenicht auch um andere akustisch wahrnehmbare Vorgänge während der Demonstration; und wie groß war der Anteil des dem BPA zugänglich gemachten WDR-Materials im Verhältnis zu dem vom WDR für die Bürger ausgestrahlten Sendematerial?Becker, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, uns kam es ausschließlich darauf an, den Vorab-Wortlaut mit dem gesprochenen Wort zu vergleichen, damit wir die Bundesregierung nicht unabsichtlich falsch informieren. Das war der einzige Zweck. Fernsehaufnahmen hat es überhaupt nicht gegeben. Mir ist nicht bekannt, daß hier an das Presse- und Informationsamt Material überspielt worden ist, das in irgendeiner Form geheimhaltungsbedürftig wäre.
Die zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, gab es Absprachen zwischen dem WDR und der Bundesregierung, und, wenn ja, in welcher Form sind diese Absprachen über dieses Verfahren der Zusammenarbeit zwischen der öffentlich-rechtlichen Anstalt und der Bundesregierung getroffen worden?
Becker, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, es war kein formalistischer Vorgang, sondern das ist auf einer — wenn ich das einmal so nennen darf — mittleren Arbeitsebene auf dem Wege kollegialen Denkens und Handelns vor sich gegangen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lammert.
Herr Staatssekretär, trifft mein Eindruck zu, daß es sich bei der hier in Rede stehenden Bonner Friedensdemonstration um eine öffentliche Veranstaltung und nicht um eine Veranstaltung in einem geschlossenen Kreis, die der Geheimhaltungspflicht unterliegt, gehandelt hat?
Becker, Staatssekretär: Ich teile diesen Eindruck.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reddemann.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß der Westdeutsche Rundfunk bei vergleichbaren oder ähnlichen Veranstaltungen das Bundespresseamt genauso beliefert wie beispielsweise die Schiedskommission der SPD beim Parteiordnungsverfahren Hansen?
Becker, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich bedaure sehr: Ich vermag Ihrer Frage nicht völlig zu folgen. Ich kann Ihnen nur sagen: Es handelt sich bei der angesprochenen Zusammenarbeit in rein technischer Hinsicht um einen nach meiner Auffassung und Kenntnis einmaligen Fall. Ich wüßte auch gar nicht, warum er sich wiederholen sollte.
Damit sind die Fragen beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Herr Staatsminister Dr. Corterier steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Wie ist der genaue und vollständige Wortlaut der Äußerungen Präsident Reagans zur Möglichkeit der Begrenzung eines Kriegs mit atomaren Waffen auf einen bestimmten Kriegsschauplatz?
Bitte, Herr Staatsminister.
In einem Gespräch mit Chefredakteuren am 16. Oktober 1981 beantwortete Präsident Reagan Fragen zu aktuellen Themen. Im Mittelpunkt des Gesprächs stand die Lage in Nahost, insbesondere die Lieferung von Frühwarnflugzeugen AWACS nach Saudi-Arabien. Der Präsident äußerte sich ferner zu den bevorstehenden Verhandlungen über LRTNF und der Sicherheitslage in Europa.Ich verlese jene Passagen, die in der deutschen Öffentlichkeit Reaktionen ausgelöst haben — ich zitiere —:Frage: Herr Präsident, um noch mal auf das Thema der strategischen Waffen in Europa zurückzukommen: Manche Leute in Europa, die gegen einen Teil unserer Politik sind, befürchten wahrscheinlich, daß sie sozusagen die stellvertretenden Opfer eines Kriegs zwischen den USA und der Sowjetunion werden könnten. Diese Angst mag dadurch begründet sein, daß so viel über integrierte Kriegsschauplätze und den beschränkten Einsatz nuklearer Waffen gesprochen wird. Sind Sie der Meinung, daß ein beschränkter nuklearer Schlagabtausch zwischen den USA und der UdSSR möglich wäre oder daß er zwangsläufig eskalieren würde?Jetzt kommt die Antwort des Präsidenten — ich zitiere —:Offen gesagt, das weiß ich nicht. Weltweit wird Forschung betrieben, um Verteidigungswaffen zu entwickeln. Bisher hat es für jede Waffe eine Gegenwaffe gegeben. Diese Art der Verteidigung besteht jedoch darin, daß die eine Seite ihre eigenen Waffen gegen die der anderen einsetzen muß. In einer solchen Pattsituation wäre es meines Erachtens möglich, daß taktische Waffen gegen Truppen eingesetzt werden, ohne daß eine der Großmächte den nuklearen Knopf betätigt.Der Präsident ging sodann auf die sowjetische Überlegenheit bei nuklearen Mittelstreckensystemen und die Bedrohung ein, welche diese für Europa darstellen. Er wies ferner auf das Übergewicht der Sowjetunion bei taktischen Nuklearwaffen sowie im konventionellen Bereich hin.Auf die hypothetische Frage — ich zitiere —: „Glauben Sie aber, daß es einen Schlagabtausch im Gefechtsfeld ohne nukleare Eskalation geben könnte?" führte der Präsident anschließend folgendes aus — ich zitiere —:Wenn wir den Russen klarmachen, daß unsereGegenschlagkraft derart vernichtend ist, daß
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3556 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981
Staatsminister Dr. Corterierein Angriff sich nicht lohnt, wäre die nötige Pattsituation hergestellt. Ich brauche nicht herauszustellen, daß die Aussagen der Sowjetunion und ihrer militärischen Handbücher den Glauben der Sowjetunion klar erkennen lassen, daß ein Nuklearkrieg geführt und gewonnen werden kann. Mit anderen Worten sind sie der Ansicht, daß mit der nötigen Überlegenheit die Gegenschlagkraft des Gegners aufgehoben werden kann. Solange dieser Glaube von der Sowjetunion gehegt wird, besteht eine Gefahr für uns alle im Westen. Wir müssen ihnen diesen Glauben nehmen.So weit das Zitat des Präsidenten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hirsch.
Wäre es möglich, Frau Präsidentin, daß beide Fragen im Zusammenhang beantwortet werden?
Selbstverständlich. Dann rufe ich auch die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Hirsch auf:
Ist die Bundesregierung tätig geworden, um Sinn und Absicht dieser Äußerung aufzuklären, und welche Folgerungen zieht sie aus dieser Äußerung?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. Corterier, Staatsminister: In Anbetracht der heftigen Reaktion, welche die verkürzt und daher mißverständlich wiedergegebenen Äußerungen Präsident Reagans in der deutschen Öffentlichkeit ausgelöst haben, hat die Bundesregierung die amerikanische Regierung um Klarstellung gebeten. Dies ist durch folgende Erklärung geschehen. Zunächst gab es eine Sprachregelung des State Department, aus der ich zitieren darf:
Frage: Hat der Präsident gesagt, daß der Einsatz von Kernwaffen in einem europäischen Konflikt auf Europa begrenzt werden könnte?
Antwort: Die Ausführungen des Präsidenten sind völlig im Einklang mit der seit langem bestehenden Strategie der Flexiblen Antwort, Aufrechterhaltung einer gesicherten militärischen Fähigkeit, die Anwendung von Gewalt, ob konventionell oder nuklear, durch den Warschauer Pakt auf möglichst niedriger Ebene abzuschrekken. Es ist das Wesen der Abschreckungspolitik der NATO, der Sowjetunion auf jeder Ebene glaubwürdig entgegentreten und notfalls die Anwendung von Gewalt in kontrollierter Weise steigern zu können. Diese Strategie hat den Frieden in Europa seit der Gründung des Bündnisses bewahrt. Sie stellt sicher, daß die Sowjetunion keinen Vorteil darin erkennen kann, auf irgendeiner Ebene Gewalt anzuwenden.
Dann gab es vom Weißen Haus am 21. Oktober eine Erklärung des Präsidenten, aus der ich folgendermaßen zitieren darf:
In den letzten Tagen hat die Sowjetunion mehrere Propagandaerklärungen abgegeben, mit
denen versucht wird, einen Keil zwischen die
Vereinigten Staaten und einige unserer engsten Freunde in Europa zu treiben. Ich möchte diese groben Entstellungen unserer Politik nicht unwidersprochen lassen.
Die auf die Verhinderung eines Konflikts in Europa gerichtete amerikanische Politik ist in den vergangenen 20 Jahren die gleiche geblieben. Unsere Strategie ist und bleibt die der Flexiblen Antwort, Aufrechterhaltung einer gesicherten militärischen Fähigkeit, die Anwendung von Gewalt, ob konventionell oder nuklear, durch den Warschauer Pakt auf möglichst niedriger Ebene abzuschrecken. Alle Präsidenten haben sich dazu bekannt, daß ein Einsatz von Kernwaffen die ernstesten Folgen haben würde. In einem Atomkrieg würde die gesamte Menschheit der Verlierer sein. Die mit einem Einsatz von Kernwaffen verbundenen schrecklichen und unberechenbaren Risiken tragen selbst dazu bei, von ihrer Verwendung abzuschrecken. Die Behauptung, die Vereinigten Staaten könnten auch nur erwägen, einen Atomkrieg auf Kosten Europas zu führen, ist eine glatte Irreführung. Die amerikanische Nuklearstrategie ist ja darauf gegründet, keinen Angreifer glauben zu lassen, daß der Einsatz von Kernwaffen in Europa auch auf Europa begrenzt bleiben könnte. Die gemeinsame europäisch-amerikanische Verpflichtung besteht ja darin, die Lasten unserer Verteidigung, die den Frieden sichert, gemeinsam zu tragen. Jede militärische Bedrohung Europas ist für uns daher eine Bedrohung auch der Vereinigten Staaten. 375 000 US-Soldaten sind eine lebendige Garantie dieser unerschütterlichen Verpflichtung der USA zur Bewahrung von Frieden und Sicherheit in Europa.
Durch diese Erklärung, Herr Abgeordneter, ist eindeutig klargestellt, daß Präsident Reagan nicht, wie ihm zu Unrecht unterstellt wurde, die Möglichkeit eines auf Europa begrenzten Nuklearkrieges bejaht, sondern sich in voller Übereinstimmung mit der seit 1967 gültigen NATO-Strategie der Flexiblen Antwort geäußert hat. Reagan hat zugleich deutlich gemacht, daß die USA einen auf Europa begrenzten Nuklearkrieg nicht hinnehmen würden. Indem der Präsident Zweifel an der Begrenzbarkeit einer jeden nuklearen Auseinandersetzung äußerte, hat er zugleich bestätigt, daß die USA im Abschreckungsverbund kein geringeres Risiko als die europäischen Partner tragen. Diese Klarstellung ist aus der Sicht der Bundesregierung voll befriedigend.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.
Herr Staatsminister, halten Sie es für die Folge eines kollektiven Irrtums, daß dieses Interview und diese Erklärung des amerikanischen Präsidenten zwar in Europa, nicht aber in den Vereinigten Staaten höchste Aufmerksamkeit gefunden haben, und worauf führen Sie diesen Umstand zurück?
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Dr. Corterier, Staatsminister: Ich glaube, Sie müssen da auch innerhalb Europas differenzieren.
Wir konnten feststellen, daß es in den meisten europäischen Ländern keine entsprechende Reaktion wie hier in der Bundesrepublik gegeben hat. Ich führe das vor allem darauf zurück, daß es gerade in der Bundesrepublik unmittelbar nach dem Interview Berichte gegeben hat, die das Interview in verkürzter und nicht ganz richtiger Weise wiedergegeben haben. Das hat dann zu entsprechenden Irrtümern und Reaktionen geführt.
Zweite Zusatzfrage, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatsminister, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung die Auffassung des Präsidenten teilt und meint, daß sie im Sinne der Flexiblen Antwort liegt, die Auffassung, die in dem Satz zum Ausdruck kommt:
Und wenn man nun in dieser Art von Patt steht, kann ich mir denken, daß es da einen Austausch von taktischen Waffen gegen Truppen im Felde geben kann, ohne daß eine der beiden Supermächte auf den Knopf für die großen Waffen drücken müßte,
also die Erwartung, daß eine Begrenzung eines atomaren Krieges auf das Gefechtsfeld, was immer das sein mag — ich denke: Europa —, begrenzt werden könne?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich will jetzt nicht an dem Interview heruminterpretieren, sondern mich an das halten, was der Präsident selber zur Interpretation und zur Deutlichmachung gesagt hat, und an das, was auch das State Department gesagt hat. Wir gehen davon aus, daß der Präsident die gültige Strategie der Flexiblen Antwort voll unterstützt. Das ist inzwischen eindeutig klargestellt. Allerdings — und ich glaube, das haben einige Kritiker mißverstanden — kann es natürlich nicht so sein, daß auf jeden möglichen militärischen Angriff nun gleich, wie es der Präsident formuliert hat, der Druck auf den Knopf und der nukleare Holocaust die Antwort sind. Das wäre nicht im Sinne der Strategie der Flexiblen Antwort.
Zusatzfrage, Dr. Hirsch.
Herr Staatsminister, könnten Sie sich entschließen, mir darin zuzustimmen, daß der Satz, den ich zitiert habe, so vom Präsidenten gesagt worden ist?
Dr. Corterier, Staatsminister: Ich müßte — Sie haben es mir mündlich vorgetragen — das dann noch einmal mit meinen Unterlagen vergleichen. Das ist jetzt etwas schwierig, wenn ich es nicht vorliegen habe.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schuchardt.
Herr Staatsminister, da die Interpretation der Äußerungen des amerikanischen Präsidenten mit der Flexiblen Antwort vorgenommen wird, frage ich Sie: Beinhaltet möglicherweise die Flexible Antwort eine Begrenzung auf Europa?
Dr. Corterier, Staatsminister: Nein, das ist mit Sicherheit nicht der Sinn dieser Strategie. Der amerikanische Präsident hat ganz klar gesagt, daß eine solche Begrenzung von ihm nicht für möglich gehalten wird, daß die Amerikaner das gleiche Risiko wie die Europäer im Falle eines Konfliktes zu tragen hätten.
Zweite Frage, Frau Schuchardt.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung amerikanischer Militärexperten, wonach die Einführung der MX-Rakete das derzeitige ungefähre strategische Gleichgewicht zwischen den Supermächten so weit zugunsten der USA verschiebe, daß damit die Sowjetunion von einem politischen Gebrauch ihrer eigenen strategischen Waffen nach Ausbruch eines regionalen Konflikts, z. B. in Europa, abgeschreckt würde?
Dr. Corterier, Staatsminister: Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß durch die Einführung der MX-Rakete ein Ungleichgewicht im strategischen Potential zwischen den beiden Weltmächten entstehen würde.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß nach den Darlegungen, die Sie dem Hohen Hause gegeben haben, jedermann, der die unverkürzten Äußerungen des amerikanischen Präsidenten gelesen hat, zu dem Schluß kommen kann, daß Sie ihn hier richtig interpretieren und daß er sich im Rahmen der gültigen Strategie des Nordatlantischen Bündnisses bewegt hat?
Dr. Corterier, Staatsminister: Ich kann der Frage zustimmen.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Straßmeir auf:In welchem Umfang sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen neuerdings Deutschen, die im Jahr 1945 bei Anrücken der Roten Armee aus ihrer Heimat Schlesien geflohen sind und nunmehr Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, von den tschechoslowakischen Behörden für die Erteilung eines Einreisevisums in die Tschechoslowakei die Auflage erteilt wurde, eine „Bescheinigung über die Ausbürgerung aus Polen" beizubringen, weil diejenigen, die diesem Personenkreis angehören, als Polen anzusehen seien?Bitte, Herr Staatsminister.Dr. Corterier, Staatsminister: Dem Auswärtigen Amt sind Anfang 1981 Fälle bekanntgeworden, in de-
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3558 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981
Staatsminister Dr. Corteriernen deutschen Staatsangehörigen, die nach 1945. in den Oder-Neiße-Gebieten oder auf dem Territorium von Vorkriegspolen geboren wurden und die über die CSSR nach Polen reisen wollten, von seiten der CSSR der Sichtvermerk verweigert worden ist, obwohl sie ein gültiges polnisches Visum hatten. Dagegen ist dem Auswärtigen Amt nicht bekannt, daß für die Erteilung eines tschechoslowakischen Sichtvermerks die Vorlage einer „Bescheinigung über die Ausbürgerung aus Polen" zur Auflage gemacht würde.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Straßmeir.
Herr Staatsminister, Sie haben eben davon geprochen, daß es sich um Personen handelt, die nach 1945 in den betreffenden Gebieten geboren wurden. Meine Frage bezog sich auf solche Personen, die vor Beendigung der Kampfhandlungen im Jahre 1945 bei Anrücken der sowjetischen Armee aus Schlesien geflüchtet sind, also nicht erst nach der Besetzung dort geboren worden sind.
Dr. Corterier, Staatsminister: Die Antwort ist aber so allgemein formuliert, daß damit auch der Personenkreis, den Sie meinen, erfaßt ist.
Es ist hier von Personen die Rede, die auf dem Territorium von Vorkriegspolen geboren wurden. Ich glaube, das betrifft auch den Personenkreis, den Sie meinen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Straßmeir.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß von den Personen, die betroffen wurden, nicht nur eine Bescheinigung über die Ausbürgerung verlangt worden ist, sondern auch so etwas wie ein Flüchtlingsausweis oder sogar das Datum ihrer Ausbürgerung, was sie gar nicht beibringen konnten?
Dr. Corterier, Staatsminister: Das ist mir nicht bekannt.
Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich Frage 57 des Herrn Abgeordneten Straßmeir auf:
Hat die Bundesregierung gegebenenfalls Rechtsverwahrung eingelegt, und welche weiteren Maßnahmen hat sie ergriffen, um den Betroffenen wie bisher ohne diese rechtswidrigen schikanösen Auflagen die Besuchsreise in die Tschechoslowakei zu ermöglichen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. Corterier, Staatsminister: Die Botschaft Prag hat nach Bekanntwerden der genannten Fälle im Außenministerium der CSSR interveniert. In der letzten Zeit sind dem Auswärtigen Amt keine derartigen Fälle mehr bekanntgeworden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Behörden der Tschechoslowakei solchen Bürgern der Bundesrepublik Deutschland, die möglicherweise erst aus Schlesien und dann über die DDR in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, das Zusammentreffen mit Angehörigen auf ihrem Staatsgebiet verwehren wollen?
Dr. Corterier, Staatsminister: Ich kann diese Frage nicht beantworten. Mir sind derartige Überlegungen nicht bekanntgeworden.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Straßmeir.
Sind der Bundesregierung ähnliche Maßnahmen aus anderen Ländern des Warschauer Paktes, die auf eine abgestimmte Verfahrensweise schließen lassen, bekannt?
Dr. Corterier, Staatsminister: Nein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, wie viele Fälle im Sinne der Frage des Kollegen Straßmeir sind der Bundesregierung bekanntgeworden, und hat die Bundesregierung Vermutungen, was die Gründe für die Tschechoslowakei gewesen sein können, sich so zu verhalten und eine Beurkundung der Ausbürgerung zu verlangen?
Dr. Corterier, Staatsminister: Eine Zahl kann ich Ihnen nicht nennen. Ich kann Ihnen aber sagen, daß die Botschaft Prag im tschechoslowakischen Außenministerium interveniert hat, als seinerzeit derartige Fälle bekanntgeworden sind. Aus der letzten Zeit haben wir keine solchen Mitteilungen bekommen.
Ich rufe die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Hält die Bundesregierung Malaysia für ein Spannungsgebiet, und folgert sie daraus, daß jeglicher Waffenexport in diesen ASEAN-Staat zu unterbleiben hat?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. Corterier, Staatsminister: Die Bundesregierung betrachtet Malaysia nicht als Spannungsgebiet. Sie ist somit nicht der Meinung, daß jeglicher Export von Kriegswaffen nach Malaysia zu unterbleiben hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, Sie würden also einen Bericht, der im „Deutschland-Magazin" und am letzten Sonntag auch in der „Welt am Sonntag" erschienen ist, nach dem Auflagen mit dem Ziel, nicht Waffenmaterial nach Malaysia zu liefern, gemacht worden sind, für falsch halten?Dr. Corterier, Staatsminister: Mir sind diese Berichte nicht bekannt. Ich kann deswegen auch nicht auf die darin enthaltenen Feststellungen eingehen.
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Die zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Kann ich dann davon ausgehen, daß die Verträge, die mit Malaysia schon geschlossen worden sind, jetzt ohne Verzug in die Tat umgesetzt werden können und daß damit Waffen, wie Malaysia sie haben will, exportiert werden können?
Dr. Corterier, Staatsminister: Da müßten wir uns aber genau darüber verständigen, von welchen Verträgen Sie sprechen. Eine so pauschale Antwort kann ich nicht geben. Es gibt gewisse Anträge, die noch zu prüfen sind, und es hat in der Vergangenheit gewisse Lieferungen gegeben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Herberholz.
Herr Staatsminister, ohne den Begriff „Spannungsgebiet" definieren zu wollen: Ist Ihnen bekannt, daß an der nördlichen Grenze Malaysias seit etwa zehn Jahren kriegsähnliche Auseinandersetzungen stattfinden?
Dr. Corterier, Staatsminister: Ich glaube, dieser Sachverhalt darf als allgemein bekannt vorausgesetzt werden.
Keine weiteren Zusatzfragen? —
Ich rufe die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Dr. Lammert auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Vorgänge im iranischen Generalkonsulat in Hamburg, die zum Rücktritt nahezu aller iranischen Beamten von ihren Ämtern und zum Antrag auf politisches Asyl in der Bundesrepublik Deutschland geführt haben, und welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung, auf die unerträglichen menschenverachtenden Entwicklungen im Iran einzuwirken?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Dr. Corterier, Staatsminister: Am 9. Oktober 1981 haben vier der sechs entsandten Mitglieder des Genralkonsulats der Islamischen Republik Iran in Hamburg sowie die Ehefrau eines der vier um politisches Asyl gebeten. Soweit Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes ein Recht auf Asyl gewährt, steht dieser Grundrechtsschutz auch Mitgliedern fremder Botschaften und Konsulate zu. Über die Asylgewährung entscheidet das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, dem die Anträge inzwischen vorliegen sollen, in eigener Zuständigkeit. Die internen Verhältnisse und Vorgänge im iranischen Generalkonsulat, mit denen die Asylbewerber ihre Anträge vor der Presse u. a. motiviert haben, entziehen sich der Beurteilung des Auswärtigen Amtes und der für das Konsulat zuständigen Senatskanzlei in Hamburg.
Die Bundesregierung beobachtet mit großer Sorge, wie sich im Iran in jüngster Zeit Gewalt und Gegengewalt, Attentate und Hinrichtungen gegenseitig hochgesteigert haben. Es handelt sich hierbei um die Begleiterscheinungen einer tiefgreifenden und zunehmend radikalen revolutionären Entwicklung.
Bundesminister Genscher hat am 8. Oktober bei seinem Gespräch mit dem iranischen Außenminister Musawi die Bedenken der Bundesregierung gegen die wachsende Zahl von Todesurteilen zum Ausdruck gebracht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lammert.
Herr Staatsminister, Sie werden mir sicher zubilligen, daß diese Frage weder mit dem Ziel der Kritik an der Regierung noch in der Aussicht auf eine ergiebige Antwort gestellt worden ist, sondern im wesentlichen der Protokollierung dieses Sachverhaltes wegen. Aber meinen Sie nicht, daß inzwischen eine Situation entstanden ist, wo es notwendig werden könnte, daß die Bundesregierung zusammen mit befreundeten Ländern, insbesondere etwa im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, nach Möglichkeiten sucht, auf eine Entwicklung einzuwirken, die nun so weit mit der von uns für unantastbar gehaltenen Würde des Menschen unvereinbar geworden ist, daß der Hinweis auf diplomatische Gepflogenheiten oder auf den Grundsatz der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten dahinter zurückstehen muß?
Dr. Corterier, Staatsminister: Die Bundesregierung ist schon seit längerem ständig auf der Suche nach solchen Möglichkeiten. Dies gilt vor allem auch im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit der zehn Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Nur haben alle unsere Bemühungen gezeigt, daß die Möglichkeiten, von außen auf die Entwicklung im Iran einzuwirken, leider äußerst beschränkt sind, selbst wenn man sich die Voraussetzungen, die Sie eben hier angedeutet haben, zu eigen macht. Wir haben gerade in letzter Zeit — wenn ich darauf noch hinweisen darf; das hat ja auch zu heftigen Angriffen gegen den Bundesminister der Justiz geführt — darauf gedrängt, daß der Iran sich an seine Verpflichtungen aus dem Menschenrechtspakt hält. Sowohl der Bundesminister der Justiz wie auch ich haben in Ansprachen vor der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, die zur Zeit in Bonn tagt, diese Kommission darum gebeten, weiter darauf zu drängen, daß der ausstehende Länderbericht des Irans endlich vorgelegt wird und daß die Kommission dann versucht, auf der Basis dieses Paktes einzuwirken.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lammert.
Herr Staatsminister, Sie haben gerade darauf hingewiesen, daß die Hintergründe, insbesondere die politischen Hintergründe des Asylantrags der iranischen Beamten in Hamburg, der Bundesregierung nicht bekannt seien. Bemüht sich die Bundesregierung um Aufklärung dieser Hintergründe, und zu welchem Zeitpunkt kann mit einer entsprechenden Information gerechnet werden?Dr. Corterier, Staatsminister: Es muß ja im Rahmen des Verfahrens ohnehin eine solche Aufklärung stattfinden. Ich hatte nur darauf hingewiesen, daß
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3560 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981
Staatsminister Dr. Corterierdie internen Vorgänge in dem Konsulat in dieser Form dem Auswärtigen Amt nicht bekannt sind. Ich weiß nicht, inwieweit das für das Verfahren von Bedeutung sein kann; aber das wird dann festzustellen sein.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voigt .
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß die Reaktion offizieller iranischer Stellen, insbesondere der hiesigen Botschaft, auf die berechtigte wachsende Kritik an den Zuständen im Iran, und zwar sowohl auf seiten der Regierung wie auch auf seiten des Parlaments und auch in der Bevölkerung, auf die Dauer zu einer Entfremdung führen und sich sogar zu einer Belastung der Beziehungen auswachsen könnte?
Dr. Corterier, Staatsminister: Das kann durchaus so sein. Aber ich glaube, wir müssen uns bei Abwägung der Umstände eher für die Menschenrechte entscheiden. Nur ist es natürlich notwendig, eine Verbindung zu haben, wenn man einwirken will. Das sind die Grenzen, die uns hier gegeben sind.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 60 des Abgeordneten Jäger auf:
Wird die Bundesregierung allein oder zusammen mit Regierungen anderer demokratischer Staaten aus Anlaß des 25. Jahrestages des ungarischen Volksaufstands in der Vollversammlung der Vereinten Nationen die Nichtbeachtung der Resolutionen der Vollversammlung über den Rückzug der sowjetischen Truppen aus Ungarn zur Sprache bringen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. Corterier, Staatsminister: Es ist nicht beabsichtigt, dies zu tun, Herr Abgeordneter.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatsminister, wie begründet die Bundesregierung ihre mangelnde Bereitschaft, die Nichtbefolgung verschiedener Resolutionen der UN-Vollversammlung anzumahnen, angesichts der Tatsache, daß die Bundesregierung sich bei zahlreichen anderen wichtigen UN-Resolutionen völlig anders verhalten hat? Ich erinnere etwa an Resolutionen zum Rückzug der israelischen Truppen aus den von Israel besetzten Gebieten oder ähnliche Resolutionen, die Südafrika und Handlungen der südafrikanischen Regierung auf Territorien von Nachbarländern betreffen.
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, nach dem Volksaufstand in Ungarn hat die zweite Notstands-Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen u. a. in den Resolutionen 1004 und 1005 vom 4. und 9. November 1956 den sofortigen Rückzug der sowjetischen Truppen aus Ungarn gefordert. Diese Forderung hat die Generalversammlung später in weiteren Entschließungen bekräftigt. Die Sowjetunion hat demgegenüber bekanntlich an ihrer
Machtpolitik gegenüber Ungarn festgehalten. Die Forderung nach Truppenabzug blieb unerfüllt.
Die Generalversammlung hat schließlich auf Antrag der Vereinigten Staaten 1962 das Mandat des Ungarn-Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen beendigt und war seither mit dieser Frage nicht mehr befaßt.
Die damalige Bundesregierung hat zu den Ereignissen in Ungarn 1956 seinerzeit klar Stellung genommen. Ich verweise vor allem auf die Regierungserklärung sowie diesbezügliche Ausführungen von Bundeskanzler Dr. Adenauer im Deutschen Bundestag am 8. November 1956.
Sie haben, Herr Abgeordneter, die Entwicklung in Ungarn seit 1956 beobachtet und auch die Entwicklung, die unsere gegenseitigen Beziehungen genommen haben. Die begonnene Politik der friedlichen Zusammenarbeit hat, wie mir scheint, im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten eindrucksvolle Erfolge gebracht, die von der Zustimmung beider Völker getragen werden. Ich glaube, dieser Sachverhalt ist auch durch den Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten in der Bundesrepublik in diesen Tagen erneut unterstrichen worden.
Ein Vorgehen, wie von Ihnen vorgeschlagen, bei einem Thema, das vor knapp 20 Jahren von der Tagesordnung der Vereinten Nationen abgesetzt wurde, würde auch nicht die Unterstützung anderer westlicher Partner finden.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatsminister, muß nicht befürchtet werden, daß ein solches Verhalten der Bundesregierung und anderer westlicher Regierungen dazu beiträgt, die Sowjetunion in der Überzeugung zu bestärken, daß politische Fakten, die mit Gewalt erreicht worden sind, wenn sie nur lange genug hartnäckig aufrechterhalten werden, zum Schluß auch eine wenigstens stillschweigende Sanktionierung durch die freie Welt erfahren?
Dr. Corterier, Staatsminister: Davon gehe ich nicht aus. Die Bundesregierung und ihre Verbündeten haben immer deutlich gemacht, welche Ziele sie im Sinne der Demokratie und der Menschenrechte auch für die osteuropäischen Staaten verfolgen. Nur, glaube ich, muß man hier das, was wir uns als längerfristiges Ziel gesetzt haben, mit den Möglichkeiten vergleichen, die angesichts der Tatsache, daß Ungarn ein Mitglied des Warschauer Paktes ist, kurz- und mittelfristig gegeben sind.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:Teilt die Bundesregierung die bei der Tagung der Gesellschaft für Deutschlandforschung im Berliner Reichstag zum Ausdruck gebrachte Beurteilung der sowjetischen Berlin-Politik, wonach diese nach wie vor versucht, West-Berlin von der Bundesrepublik Deutschland zu trennen und eine so entstehende besondere politische Einheit dann auf Dauer der DDR einzuverleiben, und wonach die drei Westmächte und die Bundesregierung gegenüber ständigen Versuchen, eine einseitige
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981 3561
Vizepräsident Frau RengerInterpretation des Viermächteabkommens im Sinne dieser Politik der UdSSR und der DDR durchzusetzen, auf der Hut sein müßten?Bitte, Herr Staatsminister.Dr. Corterier, Staatsminister: Die Gesellschaft für Deutschlandforschung hat am 15. und 16. Oktober 1981 im Berliner Reichstag ein wissenschaftliches Symposium zum Thema „Zehn Jahre Viermächteabkommen — Versuch einer Bilanz" veranstaltet. Nach Kenntnis der Bundesregierung hat das Viermächteabkommen bei den Teilnehmern des Symposiums eine positive Würdigung gefunden.Die Einstellung der Bundesregierung zu diesem Abkommen ergibt sich aus den Erklärungen des Bundeskanzlers und des Bundesministers des Auswärtigen aus Anlaß des zehnten Jahrestages der Unterzeichnung des Viermächteabkommens am 3. September 1981.Im übrigen betrachtet es die Bundesregierung nicht als ihre Aufgabe, zu den in einem wissenschaftlichen Forum geäußerten vielfältigen Meinungen bewertend Stellung zu nehmen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatsminister, da ich nicht nach der Beurteilung des Viermächteabkommens über Berlin gefragt habe, sondern nach der Beurteilung der sowjetischen Berlin-Politik, von der auf diesem Forum in Berlin zum Ausdruck gebracht wurde, daß äußerste Vorsicht und Wachsamkeit angebracht sei, möchte ich Sie nochmals fragen, wie die Bundesregierung derzeit diese sowjetische Politik der einseitigen Interpretation — und das ist ja wohl das mildeste, was man hier bewertend sagen kann — beurteilt.
Dr. Corterier, Staatsminister: Die Bundesregierung hat bereits in ihrer Antwort auf die Große Anfrage zur umfassenden Bestandsaufnahme in der Deutschlandpolitik vom 20. Juli 1981 darauf hingewiesen, daß die Sowjetunion versucht, bei der Anwendung des Viermächteabkommens ihrer Interpretation Geltung zu verschaffen. Sie macht sich dabei den Umstand zunutze, daß die Regelungen des Viermächteabkommens vom 3. September 1971 die unterschiedlichen Rechtspositionen unberührt gelassen haben. Die Sowjetunion wendet sich mit Unterstützung der DDR nach wie vor mit Protesten gegen bestimmte Formen der Präsenz des Bundes in Berlin, gegen die Teilnahme von Berlinern, vor allem Angehörigen der in Berlin ansässigen Bundesinstitutionen als Mitglieder von Delegationen der Bundesrepublik Deutschland am internationalen Austausch, und in Einzelfällen gegen die Einbeziehung von Berlin-West in internationale Verträge der Bundesrepublik Deutschland.
Die Proteste der östlichen Seite sind von den drei Mächten stets zurückgewiesen worden. Die Bundesregierung hat diese Zurückweisungen durch eigene Anschlußerklärungen unterstützt. Dank der festen von der Bundesregierung unterstützten Haltung der drei Mächte sind östliche Versuche, das Viermächteabkommen in der Praxis einzuschränken oder zu unterlaufen, erfolglos geblieben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatsminister, da sich die sowjetische Politik bezüglich des Viermächteabkommens j a nicht nur auf die Situation in den Westsektoren Berlins bezieht, sondern vor allem versucht, den Ostsektor, den sowjetischen Sektor Berlins aus dem Viermächteabkommen herauszulösen, in das er aber zweifelsfrei hineingehört, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung dieser Entwicklung mit Sorge zusieht und was sie dagegen — vor allem in Zusammenarbeit mit den drei Westmächten — unternimmt.
Dr. Corterier, Staatsminister: Die drei Mächte werden mit Unterstützung der Bundesregierung — davon können wir ausgehen — auch künftig allen Versuchen entgegengetreten, das Viermächteabkommen in der Praxis einzuschränken oder zu unterlaufen.
Danke schön, Herr Staatsminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Schoeler steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe Frage 62 des Herrn Abgeordneten Dr. Laufs auf:
Warum hat der für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz zuständige Bundesinnenminister die in § 45 der Strahlenschutzverordnung vorgeschriebene Rechtsverordnung zur Ermittlung der Strahlenexposition durch Ableitung radioaktiver Stoffe noch nicht erlassen, obwohl seit Inkrafttreten der neuen Strahlenschutzverordnung bereits fünf Jahre vergangen sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich die Fragen 62 und 63 zusammenfassend beantworten könnte.
Dann rufe ich auch Frage 63 des Herrn Abgeordneten Dr. Laufs auf:Wie beurteilt die Bundesregierung den Erlaß einer Radioökologieverordnung hinsichtlich der Erhöhung der Rechtssicherheit sowie der Beschleunigung atomrechtlicher Genehmigungsverfahren?Bitte schön.von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Daß bisher noch keine Radioökologieverordnung erlassen worden ist, hat nach Auffassung der Bundesregierung nicht zu einer Verzögerung bei der Durchführung atomrechtlicher Genehmigungsverfahren geführt. Vielmehr hat sich die seit August 1979 in Kraft befindliche Richtlinie zu § 45 der Strahlenschutzverordnung in der Praxis der Genehmigungsverfahren bewährt. Sie findet zunehmend auch im Gerichtsverfahren Beachtung.
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3562 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981
Parl. Staatssekretär von SchoelerVon einer Verfestigung des Regelungsgehalts der Richtlinie durch eine Radioökologieverordnung ist bisher Abstand genommen worden, weil eine neue EG-Richtlinie über die Grundnormen für den Strahlenschutz vom 15. Juli 1980 zu einer Überarbeitung der Strahlenschutzverordnung und damit auch der Rechtsgrundlage der Radioökologieverordnung führen muß.Gerade im Hinblick auf die von Ihnen zu Recht angesprochene Frage der Rechtssicherheit erschien es nicht ratsam, die Radioökologieverordnung zu einem Zeitpunkt zu erlassen, zu dem die Notwendigkeit ihrer alsbaldigen Änderung bereits absehbar war. Die erforderlichen Änderungen der Strahlenschutzverordnung werden zur Zeit mit der Strahlenschutzkommission beraten. In diesem Rahmen wird auch über die Fortführung der Arbeiten an der Radioökologieverordnung entschieden werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Laufs.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß ein im einzelnen ausgearbeiteter Entwurf einer Radioökologieverordnung im Bundesinnenministerium vorliegt?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Dieser Entwurf lag bereits im Jahre 1979 vor, Herr Kollege Laufs. Er ist aber dann aus den von mir in meiner Antwort auf Ihre Ausgangsfrage dargestellten Gründen nicht erlassen worden, weil er wegen des neuen EG-Rechts alsbald wieder hätte geändert werden müssen.
Zweite Zusatzfrage.
Wann beabsichtigt die Bundesregierung, diesen Verordnungsentwurf vorzulegen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Laufs, dazu kann ich Ihnen im Augenblick keinen Termin nennen, weil ich dem Ergebnis der Beratungen der Strahlenschutzkommission, die sich, wie ich gesagt habe, mit dem Thema beschäftigen wird, nicht vorgreifen möchte.
Dritte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, verstehe ich Ihre Antwort dahin gehend richtig, daß die Bundesregierung nach wie vor die Absicht hat, eine Radioökologieverordnung vorzulegen, oder kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß sie die dort vorgesehenen Regelungen über die anzuwendenden Verfahren in die Strahlenschutzverordnung selbst auf nehmen will?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Wie Sie wissen, Herr Kollege Laufs, wird diese Frage auch die Strahlenschutzkommission beschäftigen. Die Meinungsbildung im Bundesministerium des Innern zu dieser Frage ist noch nicht abgeschlossen. Diese Meinungsbildung wird das Ergebnis der Beratungen der Strahlenschutzkommission einbeziehen.
Vierte Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie meiner Einschätzung zustimmen, daß der bisher fehlende Wille der Bundesregierung, die Verordnungsermächtigung der Strahlenschutzverordnung hier zügig auszufüllen, auch in Zukunft zu langwierigen und, wie wir feststellen konnten, vielfach auch fruchtlosen Auseinandersetzungen in Genehmigungsverfahren und Verwaltungsstreitverfahren führen wird?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Laufs, ich kann diese Auffassung nicht teilen. Im Gegenteil, ich würde annehmen, daß, wenn sich die Bundesregierung so verhalten hätte, wie Sie es sich offenbar vorstellen, nämlich die Radioökologieverordnung bereits erlassen worden wäre, die Rechtssicherheit nicht erhöht, sondern dadurch vermindert worden wäre, daß sie alsbald wieder hätte geändert werden müssen.
Im übrigen hat die Bundesregierung mit den Richtlinien zu § 45 der Strahlenschutzverordnung bereits gezeigt, daß sie den Genehmigungsbehörden durch klare Richtlinien, salopp ausgedrückt, so weit unter die Arme greifen will, wie es in ihrer Möglichkeit steht.
Ich bin gern bereit, Sie über den weiteren Stand der Beratungen in dieser Sache zu informieren, Herr Kollege Laufs. Nur wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie bereit wären, von der Ebene herunterzugehen, daß es sich hier um politische Verzögerungen oder ähnliches handeln würde. Es handelt sich um sachliche Probleme, die auch in den Beratungsgremien der Bundesregierung erörtert werden und wo wir zu einer sachlichen Schlußfolgerung kommen müssen, und zwar so, daß dadurch Rechtssicherheit geschaffen wird. Das war bisher nicht möglich, weil die EG-Richtlinie aus dem Jahre 1980 neu über die Strahlenschutzverordnung „gestülpt" worden ist.
Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Bohl auf:
Hält es die Bundesregierung für vertretbar, daß privaten Sportbootseignern bzw. -führern der Erwerb und das Führen von zur Sicherheitsausrüstung seegängiger Segelboote gehörender Signalpistolen waffenrechtlich erleichtert wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bohl, Signalwaffen, die zur Sicherheitsausrüstung seegängiger Segelboote gehören, können von Sportbooteignern und -führern ohne große bürokratische Schwierigkeiten erworben und an Bord der Boote geführt werden. Zunächst bei der Durchführung der waffenrechtlichen Vorschriften aufgetretene Schwierigkeiten sind zugunsten einer praktikableren Lösung bereinigt worden. Für die Inhaber kleinerer Segelboote besteht eine ähnlich günstige Sonderregelung nicht. Die Bundesregierung prüft im Rahmen der gegenwärtigen Arbeiten an der Novellierung des Waffengesetzes, ob auch für sie eine ihren Bedürfnissen angepaßte und den Sicherheitserfordernissen genügende unbürokratische Sonderregelung gefunden werden kann.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Bohl.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981 3563
Herr Staatssekretär, wann ist mit dem Abschluß dieser Überprüfung zu rechnen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bohl, ich kann Ihnen dazu im Augenblick keinen Termin nennen, weil es nicht nur um diese Einzelfrage geht, sondern auch um die generellen Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Novellierung des Waffengesetzes stellen. Wie Sie wissen, handelt es sich dabei um eine außerordentlich komplizierte Materie, die wir auch mit den Ländern werden erörtern müssen. Im Augenblick ist es mir nicht möglich, einen Termin zu nennen.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Wann ist damit zu rechnen, daß die Bundesregierung dem Bundestag einen Gesetzentwurf zur Novellierung des Waffengesetzes vorlegt?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Auch dazu kann ich Ihnen im Augenblick keinen Termin nennen, Herr Kollege.
Die Fragen 65 und 66 der Abgeordnete Dr. Zumpfort und Sauer werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 68 des Abgeordneten Müller auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Bundesamt für die Anerkennung politischer Flüchtlinge Asylbewerbern Fragebogen zusendet mit der Begründung, eine persönliche Befragung sei wegen Personalmangels nicht möglich?
Bitte, Herr Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Das Bundesamt hat in der Zeit vom April bis November 1980 in Asylverfahren von Asylbewerbern aus Hauptherkunftsländern — sofern auf Grund der schriftlichen Antragsbegründung der Sachverhalt ausreichend geklärt war und die allgemeine Kenntnislage über die Situation in den Herkunftsländern für eine Entscheidung ohne persönliche Anhörung ausreichte — die Bevollmächtigten der Antragsteller bzw. die Antragsteller selbst angeschrieben und ihnen anheimgestellt, den Vortrag zu ergänzen. Dieses Verfahren hatte seine Ursache ausschließlich in dem Umstand, daß in diesen Fällen der Sachverhalt für die anstehende Entscheidung ausreichend geklärt war.
Darüber hinaus sind in der Vergangenheit Fragebogen an Asylbewerber aus Gambia versandt worden, weil dem Bundesamt ein entsprechender Dolmetscher nicht zur Verfügung stand. Diese Fragebogen enthielten gezielte Fragen, die auch in der mündlichen Anhörung gestellt worden wären. Ferner wurden in der Vergangenheit Fragebogen an Asylbewerber aus Äthiopien versandt, wenn eine Anerkennung nach Aktenlage wahrscheinlich war. Bestätigte sich dieser Eindruck nach Auswertung des Fragebogens, erging eine anerkennende Entscheidung. Bestätigte sich dieser Eindruck nicht, wurde der Asylbewerber zur persönlichen Anhörung geladen.
Diese Verfahrensweisen wurden zwischenzeitlich alle abgestellt. Es handelt sich hier also um einen Vorgang der Vergangenheit.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß ein Drittel aller Bediensteten des Bundesamtes über Zeitvertrag beschäftigt wird, und, wenn ja, wie wird die Bundesregierung diese Entwicklung zu steuern versuchen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Mit Zustimmung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages beschäftigt das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zur Zeit noch 54 Bürohilfskräfte und Schreibkräfte im Rahmen von jeweils auf ein Jahr befristeten Arbeitsverträgen. Zwei Kräfte scheiden auf eigenen Wunsch aus. Von den übrigen 52 stehen im Laufe des Jahres 1982 voraussichtlich 49 zum Abschluß eines Zeitvertrages an.
Auf die Mitarbeit von Zeitvertragskräften kann das Bundesamt auch im Jahre 1982 noch nicht verzichten. Es empfiehlt sich daher, diesen Kräftebedarf dadurch zu decken, daß mit den vorhandenen, bereits eingearbeiteten Mitarbeitern erneut Zeitarbeitsverträge abgeschlossen werden. Würden neue Kräfte eingestellt werden müssen, würde dies wegen der notwendigen Einarbeitung eine Effizienzminderung der Arbeit des Bundesamtes zur Folge haben. Sofern sich aus dem Abbau der Rückstände und einem Rückgang der Neuzugänge von Asylanträgen eine Verminderung des Arbeitsanfalls auch für diesen Personenkreis ergibt, werden diese Verträge zumindest für einen Teil der Mitarbeiter sodann auslaufen. Für den Fall, daß sich im Zuge von daran anknüpfenden Arbeitsrechtsstreitigkeiten im Einzelfall eine Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung ergeben sollte, müßte unter Berücksichtigung des dann noch gegebenen Arbeitsanfalls die Möglichkeit einer betriebsbedingten Kündigung geprüft werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Herr Staatssekretär, in Zirndorf ist ein außerordentlicher Mangel an Juristen zu beklagen. Darf ich fragen, was die Bundesregierung zu tun gedenkt, um diesen Engpaß zu beseitigen, damit es wieder zu einer qualifizierten Bearbeitung der Anträge kommen kann?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das kann ich Ihnen im Augenblick nicht sagen. Ich bin aber gern bereit, Ihnen das schriftlich zu beantworten.
Ich rufe die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Müller auf:
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3564 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981
Vizepräsident Frau RengerHält es die Bundesregierung für möglich, daß auf Grund des in Frage 68 erwähnten Personalmangels und unzureichender Kenntnisse über die politische Situation der Herkunftsländer Asylbewerber Fehlentscheidungen hinnehmen müssen?Bitte, Herr Staatssekretär.von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Fehlentscheidungen einer Behörde lassen sich naturgemäß nie völlig ausschließen. Gleichwohl liegen mir keine Anhaltspunkte dafür vor, daß Asylbewerber auf Grund Personalmangels des Bundesamtes oder auf Grund unzureichender Kenntnisse der Einzelentscheider über die politische Situation in Herkunftsländern Fehlentscheidungen hinnehmen müssen. Die Qualität der Entscheidungen des Bundesamtes wird durch den Umstand belegt, daß im Durchschnitt der letzten Monate nur 2 % der Entscheidungen durch die Verwaltungsgerichte aufgehoben wurden. Die Bundesregierung wird weiterhin bemüht sein, das Bundesamt personell und sachlich so auszustatten, daß es seine Aufgaben sachgerecht erfüllen kann.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die bewilligten Mittel in Höhe von 30 000 DM für das Einholen von Gutachten bei weitem nicht ausreichen, um sachverständige Arbeit leisten zu können?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir sind laufend bemüht, die Möglichkeiten der Erkenntnisgewinnung beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu verbessern, um möglichst gute Entscheidungsgrundlagen zu haben. Ich bin gern bereit, der Frage nachzugehen, ob hier aus der Sicht des Bundesamtes ein Gutachten im Einzelfall aus finanziellen Gründen nicht hat eingeholt werden können. Das wäre dann eine Frage, mit der ich mich beschäftigen würde, weil ich durchaus sehe, was Sie bewegt. Im übrigen ist das auch eine Frage, die mich interessiert.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Müller.
Trifft es zu, daß im Anerkennungsverfahren verschiedene Kriterien angelegt werden, daß also beispielsweise bei Asylbewerbern aus dem Ostblock andere zugrunde gelegt werden als bei Bewerbern aus anderen Ländern?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, zunächst einmal: Sie wissen — ich will es aber wiederholen —, daß die Entscheider im Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge weisungsunabhängig arbeiten. Es ist ein wesentlicher Bestandteil der Asylgarantie des Art. 16 unserer Verfassung, daß sie politischen Weisungen nicht unterworfen sind. Das kann natürlich zur Folge haben, daß abweichende Entscheidungen auftreten. Die wesentliche Ursache für unterschiedliche Entscheidungen, z. B. im Verhältnis von Ostblockstaaten zu anderen Ländern, liegt aber darin, daß eine große Zahl der Ostblockländer den sogenannten Republikfluchttatbestand in ihren Strafgesetzen kennt. Diesem Umstand wird dadurch Rechnung getragen, daß auch dann, wenn ursprünglich keine politische Verfolgung gegeben war, aber allein auf Grund der Flucht in die Bundesrepublik Deutschland mit anschließender Rückkehr die Gefahr der politischen Verfolgung oder strafrechtlichen Verurteilung verbunden wäre, einem Asylantrag stattgegeben wird. Das ist also nicht eine Frage der willkürlichen unterschiedlichen Handhabung gleichgelagerter Fälle, sondern eine unterschiedliche Bewertung, weil es sich um unterschiedliche Sachverhalte handelt. Dies ist übrigens nicht bei allen Ostblockländern der Fall, sondern es hängt von der jeweiligen Strafrechtslage ebenso wie von der Praxis in diesen Ländern ab.
Danke, Herr Staatssekretär. Die Fragen 70, 71 und 72 werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 73, 93, 110, 111, 140 und 141 sind von den Fragestellern zurückgezogen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende unserer Fragestunde. Die nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich danke den Herren Staatssekretären, auch denen, die nicht mehr zur Beantwortung der Fragen gekommen sind.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU
Vorlage eines jährlichen Berichts zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie der Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis
— Drucksache 9/674 —
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Würzbach.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits im Juli ist der Entschließungsantrag in den Bundestag eingebracht worden, der die Bundesregierung auffordert, dem Deutschen Bundestag jeweils im ersten Quartal des Jahres einen Bericht vorzulegen zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung einerseits sowie über die Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis andererseits. Diesen Antrag hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eingebracht. Wir begrüßen es, daß wir ihn heute hier begründen und in der Debatte diskutieren können.Wir rufen gleich eingangs dazu auf, ihn gemeinsam zu verabschieden.Dieser Bericht soll nach unseren Vorstellungen folgendes enthalten: einmal eine genaue und übersichtliche Angabe zu den Rüstungskontroll- und Abrüstungsbemühungen der Bundesrepublik Deutschland, unseres Atlantischen Bündnisses, des Warschauer Pakts und der Vereinten Nationen. Er soll weiter eingehen auf Einzelheiten über geplante Rüstungsvorhaben wie auf durchgeführte Rüstungsvorhaben sowohl der NATO als auch des War-
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Würzbachschauer Pakts. Dies soll sich auf Vorhaben im konventionellen, im atomaren, im biologischen und im chemischen Bereich erstrecken.Schließlich soll dieser Bericht nach unserer Vorstellung eine Darstellung und Würdigung der politischen Ursachen der Rüstungsentwicklung auf beiden Seiten geben.Ausdrücklich weist die Fraktion darauf hin, daß wir diesen Bericht in einer allgemeinen, für den Bürger verständlichen Sprache erwarten mit einer amtlich erfolgenden verbindlichen Gegenüberstellung, die dem Bürger klar macht, worin etwaige Erfolge oder Mißerfolge bei den Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung bestehen, worauf diese zurückzuführen sind und wie sich die militärischen Kräfte und die politischen Folgen seit dem letzten Berichtszeitraum — das betrifft die Frist von einem Jahr — entwickelt haben.Was will die Union mit diesem Antrag erreichen? Sie will einen weiteren konstruktiven Beitrag dazu leisten, in der Öffentlichkeit Verständnis für die Zusammenhänge zwischen Sicherheit einerseits und Abrüstung in Sicherheit andererseits zu wecken. Wenn ich von einem weiteren konstruktiven Beitrag spreche, weise ich hier unter anderem auf eine gestern von meinem Kollegen Jürgen Todenhöfer vorgelegte Dokumentation hin. Er wird auf einige dieser Punkte hinweisen, um deutlich zu machen, in welcher langen Kontinuität auch dieser heute hier zu beratende Antrag steht.Wir alle — ich glaube, das ist inzwischen keine leere Floskel mehr — bemühen uns bei unserer politischen Arbeit, gleichgültig, in welchem Feld wir arbeiten, die Politik bürgernah zu gestalten. Dies heißt auch: für den Bürger verständlich zu gestalten. Ich glaube, wir stimmen darin überein, daß wir bei der bürgernahen Gestaltung auf diesem Feld, über das wir heute hier reden, noch enorme Barrieren haben zwischen dem, was dieses Haus hier will, und dem, was der Bürger an Kenntnissen, Informationen und Verständnis über Zusammenhänge hat. Dieser Antrag soll mit dazu beitragen, diese Barriere abzubauen, dem Bürger die Zusammenhänge, die Informationen zu geben. Es ist das Ziel, anstelle der Emotionen Informationen zu vermitteln.
Die heutige Unwissenheit, die heutige Emotion führt zur Verunsicherung. Wir sind uns sicherlich alle einig, daß genau diese von einigen dann sehr bewußt in entsprechender Richtung ausgenutzt wird, und sie verbreitet Angst. Wir als Politiker haben diese Angst nicht zu vergrößern, wenn wir unsere Aufgabe, ich hoffe, alle ernst nehmen. Wir haben denen, die Angst haben, zu sagen, was wir politisch zu tun gedenken und zu tun in der Lage sind, um diese Angst zu mindern, um Instrumente zu zeigen, wo diese Angst nicht not tut. Angst und Emotionen sind ein schlechter Ratgeber. Diejenigen, die davon ausschließlich beseelt sind, sind leicht zu führen und in eine bestimmte politische Richtung zu verführen.Wir sehen immer mehr plakative Transparente, wie „Lieber rot als tot". Es sollte Anliegen von uns allen gemeinsam — ich wiederhole dies noch einmal sein, der Bevölkerung — hier wende ich mich nicht nur an die junge Bevölkerung — deutlich zu machen, daß dies nicht die Alternative ist, so wenig— da sind wir in der Bundesrepublik uns einig — die Alternative sein kann „Lieber braun als tot".Wir müssen durch unsere Politik zeigen, daß wir weder rot oder braun noch tot sein möchten und müssen und dies verständlich, deutlich machen.
Ich möchte auch in einer solchen Debatte und gerade als Sprecher der Opposition hier sagen, daß ein gutes Beispiel auf diesem Weg die Rede des Bundeskanzlers am 9. Oktober an dieser Stelle gewesen ist, die von allen Applaus bekam. Nur, ähnliche Reden, häufiger — ich will nicht die Vergangenheit bemühen —, früher und von mehreren und immer wieder, in offensiver Form machen es erst möglich, daß wir das erreichen, worüber ich eben sprach.Ich möchte in diesem Zusammenhang zu der Studie des amerikanischen Verteidigungsministers übergehen und ausdrücklich anerkennend erwähnen, daß auch auf Drängen unserer Bundesregierung die Amerikaner entgegen sonstiger Gepflogenheit diese Studie geschrieben und veröffentlicht haben. Ich darf hieran die Bitte knüpfen, daß unsere Bundesregierung schnell eine deutsche Übersetzung auf den Markt bringt
und diese dann auch so breit verteilt wird, daß jeder, der sie haben möchte, sie in einer überschaubaren Form in die Hand bekommt.Ich bitte darüber hinaus unseren Bundesminister der Verteidigung, unterstützt durch alle Kollegen im Kabinett, darauf hinzuwirken, daß die Amerikaner doch noch einen Schritt mehr ihre Geheimhaltungsgepflogenheiten überprüfen,
um uns — und über das Parlament an die Öffentlichkeit — noch mehr Informationen über die Situation hier und über die Bedrohung drüben zu geben. Ich ersuche unseren Verteidigungsminister, die jüngst in Ingolstadt gezeigten Filme, Dokumente, Bilder, von denen wir über die Presse erfuhren, nicht nur — ich weiß, daß Sie das inzwischen eingeräumt haben — dem Parlament, den Fachausschüssen, den Abgeordneten zugänglich zu machen. Er möge bitte auch mit allem Nachdruck prüfen, ob es bald geeignete Möglichkeiten gibt, über das Parlament hinaus der Öffentlichkeit in einer ähnlichen Form diese Informationen zugänglich zu machen.Der Bericht und — so stellen wir uns das vor — die jeweils daran anknüpfende Debatte darüber von allen Seiten des Hauses wird nach unserer Vorstellung dazu beitragen, komplizierte und manchmal unverständliche Zusammenhänge zu verdeutlichen. Ich möchte ein Beispiel hierfür herausgreifen.Trotz der gestiegenen Zahl der Mittelstreckenraketen auf der östlichen Seite und obwohl wir erst einen Ausgleich von etwa einem Drittel zum Jahreswechsel 1983/84 dagegensetzen werden, hat der Westen, haben die Vereinigten Staaten als ein weiteres
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WürzbachGlied in einer langen Kette von Vorleistungen, von vertrauensbildenden Maßnahmen in dem letzten Jahr 1 000 atomare Gefechtsköpfe aus der Bundesrepublik abgezogen. Das gehört in die Öffentlichkeit. Der Bericht wäre ein Instrument, dies in die Öffentlichkeit zu bringen. Diese Maßnahme unsererseits als weitere Vorleistung ist der Öffentlichkeit verborgen geblieben. Ich nenne das als ein Beispiel. Es gäbe eine Menge mehr.Eine solche Debatte wird auch die Chance bieten, im Zusammenhang mit dem Doppelbeschluß die Koppelung von Vertrauen, weiterer Vorleistung und Verhandlungsangebot immer wieder in einer verständlichen Form deutlich zu machen. Die von Ihnen, Herr Minister, veröffentlichte Zahl — nur 10 % der bundesdeutschen Bevölkerung ist wirklich über den Inhalt des Doppelbeschlusses informiert, über den draußen so viel emotionsgeladen geredet wird — spricht eine traurige Sprache. Das richtet sich an uns alle. Aber auch wenn ich uns hier sozusagen in eine Reihe mit Ihnen stelle, so brauche ich nicht zu betonen, daß die besondere Führungs- und Informationspflicht in diesem Hause natürlich auf Grund der Mehrheiten unterschiedlich zu gewichten ist. Dennoch wollen wir nicht leugnen, daß das auch an unsere Adresse gerichtet ist.Ein solcher Bericht wird die Gelegenheit bieten, deutlich zu machen, daß es das Gleichgewicht ist, was wir wollen, j a ich sage sogar: nicht einmal das Gleichgewicht, sondern ein ausreichendes Gegengewicht auf einem niedrigen Niveau, das der Westen erhalten möchte. Das gilt seit der Gründung der NATO, seitdem im Westen Frieden und Freiheit herrschen. Nichts anderes wollen wir.Daran schließe ich die Formulierung an, daß jeder von uns Nachrüstung dann für überflüssig hält, wenn die Vorrüstung, die die Nachrüstung erforderlich macht, entfällt.
Wir werden mit solchen Berichten und den anschließenden Debatten die Chance haben zu verdeutlichen, welche enorme, auf den Erfolg der Verhandlungen gerichtete Wirkung dieser Doppelbeschluß hat und daß er es ist, mit dem erstmals eine Waffe zur Disposition gestellt wird, die noch nicht eingeführt ist. Das kann Ansporn im Blick auf zukünftige Verhandlungen sein, ähnlich zu verfahren. Stellen wir uns nur kurz miteinander vor, wie wohl die Situation wäre, wenn auch die östliche Seite hinsichtlich der SS 20 ein ähnliches Angebot zu Verhandlungen über die später zu installierenden Waffen — das wäre etwa im Jahr 1973 gewesen — gemacht hätte.Ein Wort zur Null-Lösung. Die politische Vernunft, die politische Hoffnung bringt uns alle aus innerstem Anliegen dazu — ich glaube, es gibt niemanden, der hier ausgenommen werden möchte, schon gar keiner von meinen politischen Freunden -, die Mittel, die wir haben, natürlich zur Linderung der Not, für die Hilfe für viele Hungernde in allen Teilen der Welt einzusetzen. Unsere Vorstellung ist schon — unter Bewahrung unserer Sicherheit, unter Bewahrung unseres politischen, freiheitlichenSystems und der damit verbundenen Handlungsweise —, zu einer Null-Lösung zu kommen. Das gilt ohne jede Frage. Nur, Null-Lösung heißt: null und null ist null, auf beiden Seiten, und das nicht nur auf dem Papier, sondern kontrolliert und überprüft.
Der Bericht und die anschließenden Debatten sollen nach unserer Vorstellung die großen politischen, gesellschaftspolitischen Unterschiede der beiden Systeme in Ost und West verdeutlichen: die Offensivfähigkeit, die totale Militarisierung, die Unterdrückung auf der einen Seite, die ausschließlich auf Verteidigung gerichtete, die Menschenrechte wahrende, die innerhalb weit gesteckter Grenzen mögliche freiheitliche, demokratische Lebensform bei uns. Diese Berichte und die anschließenden Debatten sollen darüber hinaus zeigen, daß der Westen — obwohl er in allen genannten Bereichen weit unterlegen ist — immer wieder Angebote gemacht hat, daß er seine Rüstung zu begrenzen willens ist und nur das, was zur Verteidigung nötig ist, hat bzw. beschaffen will. Er wird verdeutlichen müssen, daß es die militärische Überlegenheit ist, die Spannungen verursacht, und nicht umgekehrt.Der Bericht und die Debatten werden darüber hinaus in ausreichendem Maße die deutschen Initiativen in den zurückliegenden Jahrzehnten — bis in diese Tage hinein — deutlich machen können: die Verifizierung vertrauensbildender Maßnahmen, Offenlegung von Verteidigungsausgaben, von Verteidigungshaushalten; alles Voraussetzungen für erfolgversprechende Kontrollverhandlungen.Vertrauensbildende Maßnahmen gelten nicht nur zwischen Ost und West, sondern wir müssen darauf achten, daß vertrauensbildende Maßnahmen im Zusammenhang mit dieser Thematik in unserem — ich spreche wieder das gesamte Parlament an — Verhältnis zur Öffentlichkeit, zum Bürger, für den wir Verantwortung tragen, wirksam werden. Diese Debatte über diese Probleme, auch ein Anliegen dieses Berichts, soll wieder hier im Parlament geführt werden — von allen Seiten gemeinsam in der Verantwortung, in der wir stehen. Von hier, aus dem Parlament, dem Deutschen Bundestag, sollen Impulse, Überzeugungen in die Öffentlichkeit getragen werden. Das heißt übersetzt, daß geistige Führung wie Verantwortung in dieser Frage, die wir alle übernommen haben, besonders die Bundesregierung und der Bundeskanzler, wahrgenommen werden müssen.Ich sage ausdrücklich ein Wort zu den vielen Friedensappellen, die — ob in Datteln, ob beim DGB, ob in Starnberg oder an anderen Stellen — viele Menschen unterschrieben haben. Diese Friedensappelle — die wir begrüßen — ersetzen nicht das, was wir wollen. Aber sie signalisieren uns die große Bereitschaft der Menschen, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Dies haben wir auf- und anzunehmen.Ich rufe uns alle, besonders die beiden Fraktionen der die Regierung tragenden Parteien, noch einmal zur Gemeinsamkeit in dieser Frage auf, ebenso zum Unterlassen, dem anderen bestimmte Verhaltens-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981 3567
Würzbachweisen abzusprechen. Ich fordere uns alle zur offensiven Diskussion, zur offenen Debatte, zur Weitergabe verständlicher Informationen auf, woraus die Bevölkerung wieder Zuversicht in diesen Fragen entwickeln kann. Ich fordere weiterhin dazu auf, daß wir uns alle miteinander nicht in die Ecke derer stellen lassen, die nicht Frieden, die nicht Abrüstung wollen, sondern daß wir — damit meine ich SPD wie CDU/CSU wie FDP, DGB, Kirchen; 97 % der Wähler — deutlich machen, daß wir nicht nur mal irgendwo irgendwann über Frieden geredet oder für ihn demonstriert haben, sondern daß alle die soeben Genannten und noch viele mehr seit 1945 den Frieden verantwortlich praktisch gestaltend gehandelt haben und ihn haben bewahren können. Lassen Sie uns diese Entschließung gemeinsam verabschieden.Ich schließe mit der Bitte um einen gemeinsamen Aufruf an den Bundeskanzler, er möge in unser aller Verantwortung beim bevorstehenden Besuch des Herrn Breschnew hier diesen auffordern, einer beiderseitigen kontrollierten Abrüstung zuzustimmen und durch eine völlige Verschrottung der uns — Deutschland und Europa — bedrohenden Raketen die Voraussetzung für eine Null-Lösung — null hier und null da — zu schaffen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Männing.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter Kollege Würzbach, wir haben Ihren beeindruckenden Appell zur Gemeinsamkeit in einem wichtigen Bereich unserer Politik wohl gehört; allein, uns fehlt immer noch der Glaube.
— Nicht unbegründet! — Ich werde versuchen,
im Verlauf meiner Ausführungen, Herr Dr. Wörner, dies im einzelnen zu belegen.
Die heutige Aussprache des Deutschen Bundestages über die Vorlage eines jährlichen Abrüstungsberichts fällt in eine Zeit, in der zu viel Rüstung vorhanden ist, um den Menschen, auch in diesem Land, noch hinreichend das Gefühl zu vermitteln, sie seien „sicher". Dabei muß zunächst jeder Seite das gleiche Recht zugestanden werden, die Sicherheit ihrer Bürger auch durch militärtechnische Maßnahmen zu gewährleisten. Jetzt aber gewinnen immer mehr Leute die Überzeugung, daß über das Ziel im Sinne des Wortes „hinausgeschossen" werde. Immer weniger Mitbürger glauben, daß mehr Waffen auch mehr Sicherheit bedeuten. Immer mehr fragen sich, ob trotz des andauernden Funktionierens des Prinzips der Abschreckung künftig nicht auch ein Krieg aus technischem Versehen das Ende jeglichen Lebens auf unserem Erdball herbeiführen könnte.
Angesichts einer unglaublichen Anhäufung nicht nur atomarer Potentiale, sondern auch von konventionellen Massenvernichtungswaffen, die — ich glaube, darüber sind wir uns alle einig — im Fall ihres Einsatzes in Mitteleuropa keinen Stein auf dem anderen ließen, stellt sich gerade auch für die deutsche Politik die entscheidende Frage: Welches ist der richtige, der erfolgreiche Weg in eine Welt mit gleicher Sicherheit durch weniger Waffen?
Nun hat mit Ihnen, Herr Würzbach, der verteidigungspolitische Sprecher der Union, das Wort genommen, um diesen CDU/CSU-Antrag zu begründen. Niemand kann eine Fraktion hindern, hier im Plenum denjenigen reden zu lassen, den sie für den richtigen hält.
Aber daß zu einem Antrag mit der Überschrift „Abrüstungsbericht" nicht ein Mitglied der CDU/CSU- Arbeitsgruppe für Abrüstung und Rüstungskontrolle begründend das Wort nimmt,
ist für uns in der Tat ein bemerkenswerter Vorgang,
weil er Akzente setzt, die für uns Sozialdemokraten keineswegs neu sind und auch so erwartet werden mußten.
Meine Damen und Herren von der Opposition, lassen Sie es mich noch etwas genauer sagen: Es geht Ihnen vielleicht doch nicht so sehr um eine Darlegung der deutschen Bemühungen im Abrüstungs-
und Rüstungskontrollbereich, sondern vielmehr um eine erhoffte einseitige Darlegung einer unverminderten Auf- und Hochrüstung der Warschauer-PaktStaaten,
in der Absicht, von daher Fortschritte im Bereich von Abrüstung und Rüstungskontrolle für unmöglich oder im Interesse des Westens für wenig wünschenswert zu erklären.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Würzbach?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, schön, Herr Würzbach.
Herr Kollege, würden Sie erstens bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich sehr wohl Mitglied des von Ihnen genannten Ausschusses bin? Zweitens möchte ich Sie bitten, mir zu sagen: Wo ist eine Stelle in unserem Antrag, aus der Sie das ablesen könnten, was Sie soeben vorgetragen haben?
Herr Würzbach, das erste war mir sehr wohl bekannt. Hinsichtlich des zweiten Teils
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MänningIhrer Frage bitte ich Sie sehr herzlich, meine weiteren Ausführungen abzuwarten. Da werde ich im einzelnen dazu Stellung nehmen.
— Dies ist Ihre persönliche Haltung, Herr Dr. Wörner, und ich will sie Ihnen auch gar nicht ausreden.Ich setze meine Ausführungen fort. Ich hatte gesagt, daß sich die Union vielmehr in der Absicht bewegen könnte, von daher Fortschritte im Bereich von Abrüstung und Rüstungskontrolle für unmöglich oder im Interesse des Westens für wenig wünschenswert zu erklären. Einem derartigen Ansinnen — dessen bin ich gewiß — wird die Bundesregierung widersprechen müssen. Im übrigen würde dann ja das Weißbuch des Bundesministeriums der Verteidigung, das vorliegt, eher dieser Absicht entsprechen.Rüstungskontrolle und Abrüstungsbemühungen werden so lange nicht erfolgreich sein, wie die politischen Rahmenbedingungen nicht stimmen. Deswegen bleibt die Bundesregierung aufgefordert, ihre Politik der Vertrauensbildung zwischen den beiden Bündnissen fortzusetzen. Es kann nämlich nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden, daß die gegenwärtigen Hemmnisse im Prozeß der Entspannungspolitik vor allem auf die anhaltende Kontroverse der Bündnisvormächte im Bereich der Rüstungspolitik zurückzuführen ist.Es war Präsident Kennedy, der in seiner ersten Rede vor den Vereinten Nationen am 25. September 1961, also genau vor 20 Jahren, unterstrich — ich darf zitieren —:Heute muß sich jeder Bewohner dieses Erdballs mit dem Gedanken vertraut machen, daß die Erde eines Tages unbewohnbar sein kann. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind leben unter dem nuklearen Damoklesschwert, das an einem seidenen Faden hängt, der jederzeit durch Zufall, Fehlkalkulation oder Wahnsinn durchgeschnitten werden kann. Die Waffen des Krieges müssen vernichtet werden, bevor sie uns vernichten.Ich schlage deshalb vor, Abrüstungsverhandlungen sofort aufzunehmen und so lange ohne Unterbrechung fortzuführen, bis ein umfassendes Programm für eine allgemeine und vollständige Abrüstung nicht nur beschlossen, sondern tatsächlich erreicht ist.
Wir alle wissen nur zu gut, daß in den vergangenen 20 Jahren seit dieser Rede das Ziel einer allgemeinen und vollständigen Abrüstung nicht einmal ansatzweise erreicht worden ist; daß nicht einmal erreicht werden konnte, das Wettrüsten sowohl im konventionellen als auch im nuklearen Bereich ernsthaft abzubremsen.
Trotzdem muß dieses Ziel verstärkt angestrebt werden, wenn Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik ein glaubwürdiges Element der internationalen Politik bleiben sollen.Der Bundeskanzler führte in seiner vielbeachteten Rede vor der 10. Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen am 25. Mai 1978 in New York aus:Wenn auch die bisherigen Fortschritte bei der Rüstungsbegrenzung bescheiden sind, so haben sie doch auch ein wichtiges strategisches Ergebnis gebracht: die Großmächte haben ihr eigenes Sicherheitsbedürfnis neu definiert. Sie erkennen einen eigenen einseitigen Zuwachs an nuklearer Macht nicht mehr automatisch als einen Gewinn an eigener Sicherheit. Ich halte dies für einen großen Fortschritt.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, hebt hervor, daß die Opposition des Deutschen Bundestages auch sozialdemokratische Anregungen zu Abrüstung und Rüstungskontrolle aufgegriffen und zum Gegenstand des hier vorliegenden Antrags gemacht hat.Auf ihrem Berliner Parteitag 1979 bekräftigte die SPD eine alte Forderung, die ihrer großen Tradition als Partei des Friedens entspricht. Sie formulierte:Der Deutsche Bundestag soll das politische Instrumentarium zur Stärkung seiner politischen Kontrollfunktion so ausbauen, daß sein Einfluß auf die Politik kooperativer Rüstungssteuerung, Rüstungsbegrenzung und -verminderung verstärkt wird. Dazu gehören insbesondere ein jährlicher Abrüstungsbericht und die Umwandlung des Unterausschusses für Abrüstung und Rüstungskontrolle in einen vollwertigen Ausschuß.Bereits 1978 kam die „Arbeitsgruppe Waffenexport" der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion in einem Zwischenbericht zu folgendem Ergebnis:Die Bundesregierung wird aufgefordert, alljährlich einen Abrüstungsbericht dem Parlament vorzulegen. Der Bericht soll die internationalen und nationalen Entwicklungen in der Rüstung aufzeigen und gleichzeitig über die Bemühungen in der Rüstungskontrolle berichten. Dieser Bericht soll im Parlament diskutiert werden.Gleichfalls im Jahre 1978 fragten die Fraktionen von SPD und FDP die Bundesregierung in einer Großen Anfrage zur Politik der Friedenssicherung durch Verteidigung und Entspannung und zum Stand der Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle — ich zitiere —:Wann wird die Bundesregierung in Fortsetzungihrer vor den Vereinten Nationen dargelegtenPositionen dem Deutschen Bundestag einen er-
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Männingsten Jahresbericht zu Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle vorlegen?Der Antwort der Bundesregierung vom 16. Februar 1979 ist zu entnehmen, daß die Bundesregierung es damals nicht für angebracht hielt, einen jährlichen Bericht vorzulegen, sie statt dessen immer dann, wenn die Entwicklung im Rüstungskontroll- und Abrüstungsbereich dies angezeigt sein lasse, dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Bericht zuleiten werde.Ich glaube, meine Damen und Herren, wir beklagen gleichermaßen, daß dies bis heute bedauerlicherweise ausgeblieben ist.Darüber hinaus darf ich, was die Substanz eines solchen Berichtes anbetrifft, daran erinnern, daß die sozialliberale Koalition die seit 1967 von allen NATO-Staaten akzeptierte Sicherheitskonzeption, nämlich Sicherheit durch verteidigungspolitische Anstrengungen und rüstungskontrollpolitische Maßnahmen zu erreichen, aufgenommen und durch eine konstruktive Politik seit 1969 ausgefüllt hat.Ich will damit nicht mehr sagen, als daß diese Politik der sozialliberalen Koalition dazu führte, daß der Bundesrepublik eine aktive Mitwirkungsrolle in der internationalen Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik zuwuchs und sie damit die Voraussetzung geschaffen hat, daß in einem von der Opposition jetzt beantragten Bericht über den Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung überhaupt bundesdeutsche Bemühungen Erwähnung finden können.Daß dies nicht immer so war, läßt sich in einer eindrucksvollen Studie der Berliner Professorin Helga Haftendorn mit dem Titel „Abrüstungs- und Entspannungspolitik zwischen Sicherheitsbefriedigung und Friedenssicherung" nachlesen, die ich der Opposition als Gedächtnisstütze nachdrücklich empfehlen möchte.Herr Würzbach, weil Sie die Haltung der Opposition in den vergangenen Jahren zu den verschiedenen Abrüstungsinitiativen, Rüstungskontrollinitiativen und Friedenssicherungsinitiativen in unglaublich schillernden Farben gemalt haben, möchte ich mir erlauben, dies ein wenig zurechtzurücken und einige Beispiele zu nennen, die belegen, daß Ihr Versuch, sich als die „Abrüstungspartei" im Deutschen Bundestag zu profilieren, zum Scheitern verurteilt sein muß.Erstens. Bei der parlamentarischen Entscheidung über die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland dem Atomwaffensperrvertrag beitreten solle oder nicht, haben Sie, die Opposition, zu keiner einheitlichen Entscheidung gefunden. Die eine Hälfte hat dafür, die andere Hälfte hat dagegen gestimmt.
Ich muß Sie fragen: In welcher außenpolitischen Lage befände sich die Bundesrepublik Deutschland heute, wenn sie dem Atomwaffensperrvertrag seinerzeit nicht beigetreten wäre,
wenn sie nicht vor aller Welt klargemacht hätte, daß sie kein Interesse am Besitz von Nuklearwaffen hat?
Gerade unserem Lande, das in der historischen Schuld steht, zweimal in diesem Jahrhundert für einen Weltkrieg verantwortlich gewesen zu sein, steht es gut an, in einer Position zu sein, die Nuklearmächte durch eine aktive Politik auf die Verpflichtung aus Art. VI des Atomwaffensperrvertages verweisen zu können, in dem es bekanntlich heißt — ich zitiere —:Jede Vertragspartei verpflichtet sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle.Zweitens. Bei der parlamentarischen Abstimmung über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen hat sich die Opposition bedauerlicherweise ähnlich unentschieden verhalten. Ich und mit mir meine Freunde der sozialdemokratischen Fraktion können sich keine wirksame Wahrnehmung der sicherheits- und friedenspolitischen Interessen wie auch der abrüstungs- und rüstungskontrollpolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland außerhalb der UNO überhaupt noch vorstellen.
Drittens. Was Ihre Beiträge zur KSZE-Politik angeht, so haben Sie bekanntlich noch in der Schlußdebatte des Deutschen Bundestages gefordert, daß sich die Bundesrepublik als einziger der 35 beteiligten Staaten nicht an dieser Schlußakte beteiligen solle. Man kann sich kaum vorstellen,
wie es für die Bundesrepublik heute politisch aussähe, wäre die Bundesregierung damals Ihrem Rat gefolgt, der Kooperationspolitik aller europäischen Staaten sowie der Vereinigten Staaten und Kanadas fernzubleiben. Wäre es nach Ihnen gegangen, wäre auch auf diesem wichtigen Politiksektor für die Bundesrepublik die Chance verspielt worden, über Fragen von Abrüstung und Rüstungskontrolle international mitzureden. Herr Würzbach, lediglich als Außenstehende könnten wir heute die Vorgänge in Madrid beobachten, wo bekanntlich über ein Mandat für eine „Konferenz über Abrüstung in Europa" verhandelt wird.Viertens. Um ein weiteres Beispiel, diesmal aus der jüngsten Vergangenheit, zu nennen: Auf dem Parteitag der CSU im Juli dieses Jahres hat der Parteivorsitzende der CSU, den Ihre Fraktion immerhin einmal zum Kanzlerkandidaten nominierte, gesagt,
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3570 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981
Männinger sei gegen den NATO-Doppelbeschluß vom 12. Dezember 1979.
Herr Strauß sprach in dieser Rede von einem Geburtsfehler des Doppelbeschlusses, der taktisch bedingt gewesen sei, und er glaubte feststellen zu müssen, der Geburtsfehler bestehe darin, daß man sich nicht auf den Nachrüstungsbeschluß beschränkt habe.Meine Damen und Herren der Opposition, ich vermisse aus Ihren Reihen eindeutige Zurückweisungen solcher Behauptungen, die das Verdienst des NATO-Doppelbeschlusses insbesondere in rüstungskontrollpolitischer Hinsicht in Frage stellen, wo doch gerade mit dem verhandlungspolitischen Element des Doppelbeschlusses angestrebt wird, die verhängnisvolle Kette automatischer Nachrüstung zu durchbrechen.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner?
Bitte sehr.
Da Sie uns auffordern, von den Äußerungen von Franz Josef Strauß abzurükken, darf ich Sie erstens fragen, ob Sie diese Äußerungen im ganzen Zusammenhang gelesen haben, und Sie zweitens fragen, ob Sie dann bereit sind, zuzugeben, daß Franz Josef Strauß selbst in der Rede, die Sie zitiert haben, zwar vom Geburtsfehler gesprochen hat, sich aber sehr eindeutig zu diesem Doppelbeschluß in der jetzigen Fassung bekannt hat,
was er an anderer Stelle häufig genug wiederholt hat. Die intellektuelle Redlichkeit geböte es doch wirklich, dies hier einmal festzustellen. Warum immer diese alten Klischees?
Herr Dr. Wörner, Ihre Einlassung kann mich nicht dazu bringen, den Akzent, den ich als bedeutsam ansehe, nämlich die Hervorhebung des Begriffs „Geburtsfehler", nicht weiterhin als wesentlich zu betrachten, und dies möchte ich der deutschen Öffentlichkeit über den Bundestag noch einmal klarmachen.
Meine Damen und Herren, diese Debatte im Deutschen Bundestag bietet darüber hinaus Gelegenheit, den Entwurf eines umfassenden Abrüstungsprogramms mit Genugtuung zu würdigen, der von der Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit Australien, Belgien, Großbritannien und Japan im Genfer Abrüstungsausschuß im August dieses Jahres vorgelegt worden ist.Dieses Programm reiht sich nahtlos ein in die Bemühungen der Bundesregierung und der sozialliberalen Koalition seit 1969, die Abrüstung und Rüstungskontrolle stets als wesentliches Element zur Sicherung des Friedens, der Entspannung und der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zu betrachten. Wir begrüßen, daß dieses Programm als Fernziel eine „allgemeine und vollständige Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle ohne Minderung der Sicherheit irgendeines Staates" fixiert, und begrüßen zudem, daß es einen Rahmen setzt für den Ausbau vertrauensbildender Maßnahmen und die Verwendung der durch Abrüstung freiwerdenden Finanzmittel zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, insbesondere der Entwicklungsländer. Wir Sozialdemokraten begrüßen und vertreten mit Nachdruck die in diesem Programm aufgestellten Grundsätze.Das Interesse der Sozialdemokraten richtet sich also nicht nur — um das noch einmal deutlich zu unterstreichen — auf eine bloße Bilanz der bisherigen Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung. Genauso wichtig ist, die konzeptionelle Vorstellung der Bundesregierung zu diskutieren, mit deren Hilfe die unterschiedlichen Ebenen rüstungskontrollpolitischer Bemühungen verbunden werden. Abrüstung bezieht sich j a nicht nur auf die gegenwärtig im Zusammenhang mit dem NATO-Doppelbeschluß erörterten Fragen, sondern umfaßt das gesamte Spektrum bisheriger Rüstungs- und Bedrohungswahrnehmungen: Von den konventionellen, den biologischen, chemischen und nuklearen Waffen hin bis zur Nichtverbreitungsproblematik, zur Möglichkeit der Beendigung militärischer Atomtests und zur Begrenzung von Waffenexporten. Entscheidend bleibt also, daß wir diese verschiedenen Problembereiche so miteinander verbinden, daß am Ende weniger und nicht mehr Rüstung in der Welt vorhanden ist.Auch uns scheint es deshalb geboten, rechtzeitig Überlegungen über die Auswirkungen von Rüstungsmaßnahmen auf die Rüstungskontrollpolitik, die Rüstungskontrollverhandlungen und die internationale Stabilität anzustellen. Rüstungskontrolle ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Sicherheitspolitik und ebenso wichtig für die Aufrechterhaltung unserer Verteidigungsfähigkeit. Deshalb sollte ein jährlicher Bericht über die rüstungskontrollpolitischen Bemühungen der Bundesregierung darauf eingehen, in welcher Form und in welchem Umfang unsere abrüstungspolitischen Vorstellungen in der Atlantischen Allianz zur Geltung gebracht wurden und wie dort ein gemeinsames Vorgehen der Bündnispartner abgestimmt wurde.Dieser gemeinsame sicherheitspolitische Bezugspunkt von Maßnahmen zur Abrüstung und zur Aufrechterhaltung des militärischen Gleichgewichts läßt es sinnvoll erscheinen, von der Regierung einen verbundenen Bericht zu fordern und nicht zwei getrennte Berichte, von denen der eine die Veränderung im militärischen Kräfteverhältnis und der andere die Bemühungen um Kontrolle und Begrenzung der Rüstungen wiedergibt. Für uns Sozialdemokraten gehören diese beiden Teile zusammen, weil sie eine politische Bedeutung nur dann haben, wenn sie als Beitrag zur Sicherung des Friedens und
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Männingzur Festigung der internationalen Stabilität verstanden werden.Fest steht, daß die sozialliberale Koalition mit der Entspannungspolitik der letzten 12 bis 15 Jahre angefangen hat, zumindest eine Triebkraft des Wettrüstens zwischen Ost und West zugunsten kooperativer Lösungen zu verändern. Es bleibt aber noch eine Reihe weiterer Impulse, die als Hemmnisse für Abrüstungsschritte wirken und über die wir uns in verstärktem Maße Gedanken machen müssen. Wo die Regierung die Probleme sieht und zu ihrer Lösung beitragen will, ist einer der zentralen Punkte, auf die ein solcher Abrüstungsbericht eingehen sollte.
Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Herr Präsident, ich komme zum Schluß.
Friedenspolitik ist nur deutlich zu machen, wenn es hierüber auch eine kontinuierliche und detaillierte Berichterstattung gibt. Damit ein solcher Bericht überhaupt einen Sinn erhält, gilt es, daran mitzuwirken, daß der Weg der Abrüstung und Rüstungskontrolle konsequent beschritten wird, dies insbesondere von uns Deutschen, die die Lektion gelernt haben, daß nicht der „Krieg Vater aller Dinge" ist, wie es Heraklit 600 Jahre vor Christus irrtümlich angenommen hat.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD stimmt der Überweisung des Antrags der CDU/CSU in die Ausschüsse zu. — Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Feldmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion begrüßt den Antrag, einmal im Jahr hier im Plenum des Deutschen Bundestages Bilanz zu ziehen über die Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie einen Bericht zu den Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis vorzulegen. Wir halten das für hilfreich. — Jawohl, Herr Kollege Würzbach. Wir wollen Barrieren, wir wollen Verständnisbarrieren abbauen.
Wir fragen auch nicht nach den Motiven für diesen Antrag. Wir gehen davon aus, daß dieser Antrag von unser aller Sorge um die Sicherung des Friedens getragen ist.
Der Antrag paßt auch in die augenblickliche politische Landschaft. Im übrigen ist diese Woche von den Vereinten Nationen zur „Woche der Abrüstung" erklärt worden.Die Antragsteller fordern, in allgemeinverständlicher und amtlich verbindlicher Gegenüberstellung soll der Bericht dem Bürger klarmachen, worin die etwaigen Erfolge oder Mißerfolge der Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung bestehen, worauf sie zurückzuführen sind und wie sich die militärische Sicherheitslage einschließlich ihrer politischen Folgen in einem Jahreszeitraum verändert hat. Unsere Bemühungen um einen weiteren Ausbau der Entspannungspolitik bedürfen tatsächlich ständiger und umfassender Information über den aktuellen Stand von Rüstungskontrolle und Abrüstung. Sozialliberale Bundesregierungen waren immer bereit, Parlament und Öffentlichkeit zu informieren. Der mündige Bürger hat auch Anspruch auf solche Informationen, um sich ein eigenes Urteil bilden zu können.Offene Information fördert aber auch Kritik. Westliche Demokratien brauchen jedoch in Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik das Licht der kritischen Öffentlichkeit nicht zu scheuen. Ich zitiere:Die Demokratien verlangen stets mehr von sich selbst als von ihren Gegnern. Unsere Offenheit, unsere freie Presse, unsere demokratischen Institutionen unterziehen unser Handeln einer unerbittlichen Kritik, die jene— gemeint sind totalitäre Staaten —nicht erfahren. Das ist für die Demokratie eine Quelle der Stärke und Vitalität.So der amerikanische Außenminister Haig am 13. September in Berlin.Durch diese Offenheit unserer Gesellschaft, meine Damen und Herren, Herr Kollege Würzbach, ist natürlich auch die Friedensbewegung ein zu berücksichtigendes Element unserer Sicherheitspolitik. Die Friedensbewegung ist ein eindrucksvoller Beweis, wie tief der Friedenswille in unserem Volk heute verankert ist. Sie beweist auch, daß ein großer Teil der Bevölkerung bereit ist, sich mit dem schwierigen Thema „Verteidigungs- und Sicherheitspolitik" konstruktiv auseinanderzusetzen.Ich stimme zu, Herr Kollege Würzbach, diese Bereitschaft, Informationen aufzunehmen, sollte diese Bundesregierung nutzen. Denn Mangel an Information, Mangel an Vertrauen in Information haben vielleicht zu einem Mangel an Vertrauen eines Teiles der Bevölkerung in unsere Sicherheitspolitik geführt und damit möglicherweise wesentlich zum Entstehen der Friedensbewegung beigetragen.Sicherheitspolitik aber braucht breite Zustimmung. Einige in der internationalen Friedensbewegung fordern den qualitativen Sprung, eine Änderung der Sicherheitskonzeption. Sie fordern ihre Regierungen auf, beispielhaft mit einseitigen kleinen demonstrativen Abrüstungsschritten auf dem Wege zu mehr Sicherheit, Stabilität und Frieden in der Welt voranzugehen. Dieses nicht von Mehrheiten getragene Vorgehen setzt ebenfalls umfassende nachprüfbare Informationen voraus.Lassen Sie mich zu der in diesem Antrag ebenfalls geforderten Darstellung der militärischen Kräfteverhältnisse einige Anmerkungen machen. Eine Schwierigkeit der Analyse der Kräfteverhältnisse zwischen NATO und Warschauer Pakt liegt wohl konkret darin begründet, daß der Warschauer Pakt keine eigenen Zahlen über den Stand seiner Rü-
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Dr. Feldmannstung vorlegt. Die Sowjetunion zeigt sich lediglich hin und wieder bereit, westlichen Zahlen über den Stand ihrer Rüstung zuzustimmen. Um so mehr begrüße ich von dieser Stelle aus die heutige Nachricht, wonach die Sowjetunion als Antwort auf die Weinberger-Studie „Soviet Military Power" in Kürze eine eigene Darstellung ihres Rüstungspotentials vorlegen will. Mit ihrer übertriebenen militärischen Geheimniskrämerei erweist sich nämlich die Sowjetunion keinen guten Dienst, wie auch ihr überzogenes Sicherheitsbedürfnis nicht jedem verständlich ist. Diese Übertreibungen führen in die Sackgasse der Rüstungsspirale.Uns deprimiert, daß trotz aller bisherigen Abrüstungsgespräche und Rüstungskontrollverhandlungen die Rüstungsausgaben weltweit weiter gestiegen sind. Alle fürchten um ihre Sicherheit und begründen Rüstungsprogramme mit Verteidigungszwecken. Das Ergebnis, die globale Aufrüstung, befriedigt niemanden, belastet alle. Die Rüstung bringt die Verteidigungshaushalte aller Volkswirtschaften an die Grenze des Finanzierbaren. Es werden Gelder gebunden, die in anderen Bereichen dringend nötig sind.Herr Kollege Männing, wir sind uns darin einig, daß Rüstung sicher nicht der einzige Weg zu Sicherheit, zu Stabilität und Frieden ist. Es ist Illusion zu glauben, daß ein Mehr an Rüstung mit einem Mehr an Sicherheit gleichzusetzen ist. Rüstungskontrolle und Abrüstung müssen in den Mittelpunkt unserer Entspannungsbemühungen gestellt werden.Die bisherige Entspannungspolitik hat leider noch nicht vermocht, den Rüstungswettlauf zu stoppen. Soll die Entspannungspolitik dem Rüstungswettlauf aber nicht zum Opfer fallen, müssen die Rüstungskontrolle und die Abrüstung neue Impulse erhalten. Auch wenn weltweit von kaum einer anderen Regierung mehr positive Impulse für die Friedenssicherung ausgegangen sind als von der sozialliberalen Koalition — ich verweise in diesem Zusammenhang auf das persönliche und beständige Engagement von Bundeskanzler Schmidt und Außenminister Genscher —, müssen wir unsere Anstrengungen offensichtlich doch noch weiter verstärken. Der Ausbau konkreter vertrauensbildender Maßnahmen muß vorangetrieben werden.Meine Damen und Herren, es ist falsch, den voreiligen Schluß zu ziehen, die Entspannungspolitik sei am Ende. Sie ist und bleibt das ständige Bemühen um eine gewaltfreie und friedliche Lösung von Konflikten. Die Politik der Entspannung ist auch dann nicht widerlegt, wenn sie Rückschläge erleidet. Sie darf ihre Bedeutung nicht verlieren, wenn sich das politische Klima verschlechtert. Entspannungspolitik hat gerade in Gefahrenzeiten die Aufgabe, Konfliktverschärfung zu verhüten, die Konsequenzen militärischer Gewaltanwendung zu verdeutlichen und friedliche Lösungen anzubieten.
Es gibt keine realistische Alternative zur Entspannungspolitik.
Dies sage ich vor allem auch vor dem Hintergrund unserer besonderen Verantwortung für die Menschen im anderen Teil Deutschlands. Menschliche Erleichterungen können wir nur durch eine Fortsetzung und Verstärkung unserer Entspannungsbemühungen erreichen. Deshalb muß Entspannungspolitik weitergehen.Von den geforderten jährlichen Berichten über den Stand der Rüstungskontrolle und Abrüstung muß erwartet werden, daß sie ein Höchstmaß an Objektivität und Seriosität kennzeichnet. Nur dann können sie ihr Ziel erreichen, die Glaubwürdigkeit unserer Verteidigungspolitik zu stärken. Übertriebene Darstellungen des gegnerischen Potentials sowie Untertreibungen der eigenen Stärke wirken wenig hilfreich. Mit diesen Berichten sollte keine Politik gemacht werden, diese Berichte sollen nur Grundlage für Politik liefern. Die geforderte Kontinuität des Abrüstungsberichts garantiert, daß nicht nur dann mit massiven Zahlen über Rüstungsanstrengungen der Gegenseite aufgewartet wird, wenn dies gerade opportun erscheint. Kontinuität und Tranzparenz sind daher wesentliche Punkte.Unter diesen Aspekten begrüßt die FDP-Fraktion den Antrag. Der Bericht muß allerdings so ausgelegt sein, daß er sowohl von unserer Bevölkerung, der kritischen Öffentlichkeit und unseren westlichen Verbündeten als auch von den Staaten des Warschauer Pakts als Beitrag zur Vertrauensbildung und zur Förderung der Entspannungspolitik verstanden werden kann.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Todenhöfer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine kurze Bemerkung an die Adresse des Kollegen Männing: Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU, Herr Würzbach, hat diesen Antrag begründet, weil er Autor des Antrags und der Autor dieser Idee ist. Es ist bei uns nicht so, daß die Verteidigungspolitiker weniger friedlich als die Außenpolitiker wären. Alle Verteidigungspolitiker der CDU/CSU wären froh, wenn wir heute anfangen könnten, weltweit abzurüsten.
Sie sollten mit Ihren Wahlkampfklischees aufhören: auf der einen Seite Frieden und auf der anderen Seite Krieg. Sie sollten sich an Bundesaußenminister Genscher halten, der gesagt hat:Die Politik der Bundesrepublik Deutschland ist seit ihrem Bestehen Friedenspolitik. Alle Bundesregierungen — ich wiederhole: alle Bundesregierungen — haben sich zum Ziel einer allgemeinen und umfassenden Abrüstung unter wirksamer internationaler Kontrolle bekannt.In dieser Kontinuität stehen wir, die CDU/CSU, heute.Meine Damen und Herren, die CDU/CSU hat seit ihrem Bestehen eine Politik der aktiven Friedenssicherung betrieben. Wir lassen uns in diesem Bereich
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Dr. Todenhöfervon niemandem übertreffen. Es war ein Bundeskanzler der CDU/CSU, der 1954 einseitig und freiwillig für unser Land auf die Herstellung atomarer, bakteriologischer und chemischer Waffen verzichtete.
Dieser einseitige Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf die Produktion von Atomwaffen, der heute noch gilt, war damals nur möglich, weil die CDU/CSU gegen den Willen der SPD den Beitritt unseres Landes zur NATO durchsetzte und dadurch unsere Sicherheit garantierte.Herr Präsident, ich war damals — um noch einmal auf Herrn Männing zu kommen — 14 Jahre alt. Ich bin noch heute stolz auf die Politik der aktiven Friedenssicherung, die die CDU/CSU damals gegen den Widerstand der SPD durchsetzte und die heute die Grundlage dafür ist, daß wir seit 35 Jahren in Frieden leben.
Wir haben unsere Politik der aktiven Friedenssicherung vor allem auf zwei Säulen gestützt: auf der einen Seite auf eine seriöse Abrüstungspolitik und auf der anderen Seite auf eine seriöse Verteidigungspolitik, eingebettet in die NATO, eingebettet in eine feste Freundschaft mit den USA und eingebettet in unsere Politik der Einigung Europas. Dieser Politik der aktiven Friedenssicherung wird die CDU/CSU auch in Zukunft treu bleiben.
Wir stellen die Abrüstungspolitik aus folgenden Gründen an eine zentrale Stelle unserer Außenpolitik:erstens, weil wir das Geld, das die Rüstung alljährlich verschlingt, viel lieber für die Linderung der Not in der Dritten Welt und für die Lösung anderer öffentlicher Aufgaben in unserem Land ausgeben würden;
zweitens, weil die neuen Massenvernichtungswaffen, insbesondere die Atomwaffen, immer verheerender und mörderischer werden;drittens, weil natürlich die Gefahr nicht übersehen werden kann, daß die politisch Verantwortlichen eines Tages durch die technische Entwicklung und durch das Hinzukommen neuer Kernwaffenstaaten die Kontrolle über die Atomwaffen verlieren könnten.Die Zähmung der Atomwaffen, Abrüstung und Rüstungskontrolle ist in der Tat eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. In dieser Sorge stimmen wir mit dem anständigen und ehrlichen Teil der Friedensbewegungen überein. Allerdings nicht in der Therapie. Pazifismus ist der sicherste Weg, um den Frieden in Freiheit zu verspielen.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter. — Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Voigt?
Ja.
Herr Todenhöfer, stimmen Sie dann auch mit Herrn Biedenkopf überein, der die Problematik der atomaren Waffen auch von der militärischen Sicherung des Friedens her als Grenzfall angesprochen hat?
Herr Kollege Voigt, ich glaube, es ist jetzt nicht der Augenblick, hier zu einzelnen Presseäußerungen von Professor Biedenkopf Stellung zu nehmen. Dies sind einzelne Bemerkungen eines führenden Politikers der CDU, mit denen wir uns auf unserem Bundesparteitag in der nächsten Woche offen und demokratisch auseinandersetzen werden.
Wir als CDU/CSU unterstützen — in dieser Linie steht auch Professor Biedenkopf — den NATO-Doppelbeschluß geschlossen, weil er das abrüstungspolitisch Wünschenswerte mit dem sicherheitspoltisch Notwendigen in vorbildlicher Weise verbindet. Die Sowjets könnten den Verzicht auf die Aufstellung der westlichen Mittelstreckensysteme schon morgen haben, wenn sie heute ihre SS-20 verschrotten würden. Wir sind für die Null-Lösung, ohne Wenn und Aber.
Was uns allerdings in dieser Frage von der SPD trennt, ist: Wir sind für Abrüstung mit Sicherheit, weite Kreise der SPD sind für Abrüstung ohne Sicherheit. Unser Motto heißt: So viel Abrüstung wie möglich, aber so viel Sicherheit wie nötig. Für uns ist die NATO in der Tat die überzeugendste Friedensbewegung unserer Zeit.
Der Herr Bundesverteidigungsminister — er ist leider nicht mehr da —,
Herr Apel, hat in diesen Tagen dankenswerterweise dasselbe gesagt. Aber diese Aussage, daß die Bundeswehr die größte Friedensbewegung unseres Landes sei, steht leider in völligem Widerspruch zu der Tatsache, daß pazifistische Bewegungen, die sich gegen die Bundeswehr wenden, zu jeder Zeit, in jeder Stadt auf allen Straßen und Plätzen unseres Landes öffentlich demonstrieren können, während unsere Bundeswehrsoldaten ihr Gelöbnis auf die Grundwerte unseres Staates nur noch selten öffentlich und dann meist nur noch unter massivem Schutz der Polizei durchführen können.
Die Verantwortung hierfür liegt beim Verteidigungsminister.Meine Damen und Herren, Sie werden uns im Engagement, für den Frieden zu kämpfen, nicht übertreffen können. Aber wir geben uns auch keinen Illusionen bezüglich der Ziele und der Methoden der Sowjetunion, der anderen Seite hin. Die Sowjetunion
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Dr. Todenhöferstrebt die Überwindung der sogenannten kapitalistischen Welt und den weltweiten Aufbau des Sozialismus unter ihrer Führung mit unverminderter Entschlossenheit an. Das Schlagwort von der friedlichen Koexistenz hat für die Sowjetunion nie bedeutet, daß sie die Lebensberechtigung des freien Westens anerkannt hätte. Die Entspannungspolitik der Sowjetunion war das größte Täuschungsmanöver der Sowjets nach dem Zweiten Weltkrieg. Während der Westen wirkliche Entspannung wollte, hat die Sowjetunion in gigantischer Weise aufgerüstet. Die Überlegenheit der Sowjets im Bereich euronuklearer Mittelstreckenraketen beträgt zur Zeit, gemessen an den Sprengköpfen, 9 : 1. Selbst wenn man der Forderung der Sowjetunion nach Einbeziehung der sogenannten forward based systems, der vorne stationierten Systeme, nachkäme, betrüge der Vorsprung der Sowjetunion gegenüber den USA immer noch 4 : 1. Ich will hier nicht im einzelnen zu der militärisch-politischen Offensive Stellung nehmen, die die Sowjetunion paralell dazu in der Dritten Welt unternommen hat. Ich stelle nur fest, daß über 90% der 15 Millionen Flüchtlinge der letzten sechs Jahre aus kommunistisch und marxistisch orientierten Ländern geflohen sind. Die Menschen dieser Welt fliehen vor dem Kommunismus und nicht vor dem Kapitalismus.
Wer moralisch argumentiert, darf zu diesem Fragen nicht schweigen. Angesichts dieser Politik der Sowjetunion halte ich es für sehr schwer erträglich, wenn SPD-Politiker Breschnew als eine um den Weltfrieden zitternde Friedenstaube und den amerikanischen Präsidenten Reagan als Kriegstreiber darstellen.
Meine Damen und Herren, ich komme zu einer sehr skeptischen Analyse der sowjetischen Ziele und Methoden. Aber gerade weil die Sowjetunion so ist, wie sie ist, müssen wir mit ihr verhandeln und werden wir mit ihr verhandeln. Die Bundesregierung wird bei seriösen Verhandlungen auch unsere Unterstützung haben. Nur erwarten wir, daß nüchterner und realistischer verhandelt wird, als dies beispielsweise Politiker wie Brandt und Bahr getan haben.
— Für beide Seiten, Herr Wehner.
— Auch für uns. Ich sage „uns", ich sage nicht nur „Sie".Die Abrüstungspolitik der Bundesregierung hat nur dann eine Chance, wenn die sowjetische Führung spürt, daß diese westliche Politik von der überwiegenden Mehrheit unserer Bevölkerung in Deutschland mitgetragen wird. Deswegen muß sich die Bundesregierung endlich zu einer mutigeren, offensiveren Informationspolitik durchringen. Nur wenn sie in einer breit angelegten Aufklärungskampagne erstens die Öffentlichkeit über Ziele und Methoden der Sowjetunion informiert, zweitens alle wichtigen Fakten des Ost-West-Kräfteverhältnisses regelmäßig auf den Tisch legt und drittens die Öffentlichkeit regelmäßig ungeschminkt über den Stand der internationalen Abrüstungsverhandlungen informiert, hat sie in der Bevölkerung eine Chance, jene breite Unterstützung zu finden, die sie für eine ernsthafte und verantwortungsvolle Abrüstungs- und Sicherheitspolitik braucht, bei der wir sie ja unterstützen wollen.
Gerade weil die NATO eine defensive Sicherheitspolitik verfolgt, brauchen wir eine offensive Informationspolitik.
Wer diese offensive Informationspolitik unterläßt, arbeitet letztlich der sowjetischen Strategie in die Hände, die — das wissen Sie auch, Herr Wehner — durch gezielte Desinformationskampagnen die Verteidigungsbereitschaft unserer Bevölkerung unterlaufen will. Die Sowjetunion und die DDR haben seit dem letzten Jahr nach den Erkenntnissen unserer zuständigen Behörden 100 Millionen DM zur Finanzierung ihrer Propagandaoffensive in der Bundesrepublik Deutschland und in anderen westlichen Ländern ausgegeben. Diese Zahlen sollten uns zu denken geben.Die Friedensdiskussion in Europa ist nicht nur eine rein verteidigungspolitische Diskussion; sie ist im Kern eine Diskussion um die politische, die wirtschaftliche, die soziale und die kulturelle Zukunft Europas. Wir haben die Möglichkeit, die Menschenrechte in Europa auch in Zukunft über die NATO durch eine Politik der glaubwürdigen Abschreckung und durch die ehrliche Bereitschaft zu weltweiter Rüstungsbegrenzung zu sichern.Wir können die Wahrung der Menschenrechte in Europa in Zukunft theoretisch allerdings auch vom guten Willen der Sowjetunion und von der Kontrolle der Sowjetunion abhängig machen. 35 Jahre lang haben wir es abgelehnt, uns unter sowjetische Vorherrschaft zu begeben. 35 Jahre lang hat der Westen seine mühsam erkämpften Menschenrechte durch eine Politik der gemeinsamen Verteidigungsbereitschaft gesichert. Wir sollten auch in Zukunft den Mut haben zu einer Politik der Einheit, der Stärke und der Menschenrechte.Die CDU/CSU ist weiß Gott bereit, diese Bundesregierung bei einer seriösen Politik der aktiven Friedenssicherung mit Nachdruck und wirklichem Engagement zu unterstützen. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Scheer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzte Rede hat uns gezeigt, daß dieser Antrag nicht nur aus formalen Beratungsgründen überwiesen werden muß, sondern auch deshalb, weil noch über seinen Inhalt diskutiert werden muß.
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Dr. ScheerWir wollen einen Abrüstungsbericht des Deutschen Bundestags, aber keinen Bedrohungsbericht, der weit von dem wegführen würde, was ein solcher Abrüstungsbericht leisten soll, nämlich Fortschritte für Abrüstung zu erzielen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner?
Wenn sie kurz und präzise ist, j a.
Herr Kollege, ich habe nicht die Absicht, mich Ihrer Schulmeisterei zu unterstellen, sondern eine Frage zu stellen, über deren Form und Inhalt ich selbst entscheide.
Ich frage Sie, ob diese Ihre Bemerkung darauf abzielt, Abrüstung und Sicherheit von der Bedrohung zu lösen.
Nein, ich will Ihnen in dem Zusammenhang auch gleich zeigen, warum nicht.Ihr Antrag enthält Forderungen nach Dokumentation der internationalen Abrüstungsbemühungen und einem Aufzeigen der Rüstungsentwicklungen und eines Kräftevergleichs. Ich sage hierzu: Das kann man eigentlich überall nachlesen. Wenn Sie lediglich einen offiziellen Stempel durch die Regierung dazu haben wollen, dann ist das zunächst einmal nicht schlecht. Es reicht aber für einen Abrüstungsbericht nicht aus. Ein Abrüstungsbericht, der vom Parlament in Auftrag gegeben wird, muß präzisiert werden, und zwar im Zusammenhang mit dem Gleichgewichtsbegriff, mit dem Sicherheitsbegriff, den wir haben, mit unseren Vorstellungen von erfolgreichen Verhandlungen und mit unseren Vorstellungen von eigener Initiative.In dem Zusammenhang komme ich auf Ihre Frage. Sie fordern einen Kräftevergleich, aber wir müssen fragen, nach welchen Kriterien eigentlich. Nach denen eines zahlenmäßigen Gleichgewichts? Nach der Gleichheit aller Systeme? Nach vollständiger Symmetrie? Ich will hier nicht undifferenziert argumentieren.
— Ich frage das, weil es im Zusammenhang mit einer Diskussion über den Kräftevergleich auch heute diskutiert wird. Herr Würzbach hat hierzu differenzierte Anmerkungen gemacht. Ich will das durchaus konzedieren. Aber wenn in einem Abrüstungsbericht lediglich eine Gegenüberstellung von Tabellen steht, so reicht das nicht aus
— ich will j a betonen, was alles hinein muß — weilwir dann einige Grundprobleme und Mängel nichtaller, aber sehr vieler Gleichgewichtsvorstellungen nicht ausreichend bedenken, wie die Gefahr der Vernachlässigung qualitativer und geographischer Unterschiede oder unterschiedlicher militärischer Konzeptionen, oder die Gefahr der Vernachlässigung der besonderen, unvergleichlichen Anforderungen unseres speziellen Verteidigungsauftrags, oder die Gefahr eines Gleichgewichtsdenkens, das unser Rüstungsverhalten zu sehr allein von dem des Gegners abhängig macht, mit der Folge des Stopfens immer neuer vermeintlicher oder echter Lücken und immer neuer Rüstungsrunden.Diese Befürchtungen werden heute weithin von vielen Leuten geteilt, die sich damit beschäftigen. Denen müssen wir etwas Differenziertes entgegensetzen.Eine weitere Gefahr besteht in einem sehr undifferenzierten und einseitigen Sicherheitsbegriff,
der den politischen Voraussetzungen von Rüstungsbegrenzungen nicht gerecht würde, ebensowenig wie den Voraussetzungen einer Friedenssicherung. Ein Kollege Ihrer Fraktion, Herr Kollege Zimmermann, hat einmal gesagt — ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten —:Die Chance der Friedenssicherung liegt im wesentlichen im militärischen Gleichgewicht, solange verbindliche Abrüstungsvereinbarungen nicht bestehen.
Das reicht nach unserer Meinung nicht aus. Wir brauchen durchaus in einem Abrüstungsbericht Kräftevergleichsargumente. Aber sie alleine führen nicht weiter. Wir müssen in diesem Bericht die Kriterien formulieren, die dem zugrunde liegen müssen, und müssen die dazu gehörigen Elemente bestimmen. Wir müssen einen Vergleich in eine sicherheitspolitische Lagebeurteilung unter Einbeziehung all der Aspekte einbetten, die dazu gehören: die Lage der Entspannungspolitik, die wirtschaftliche und soziale Stabilität im internationalen Bereich.Wir sind nicht gegen Gleichgewicht, um das gleich zu betonen. Wenn man differenziert, gerät man ja gleich in diesen Verdacht. Aber wir sind gegen einen pauschalen und mißverständlichen Gleichgewichtsgedanken. Wir sagen: ungefähres Gleichgewicht. Das wichtigste Element dabei ist neben dem, was an Fakten vorhanden ist, die Bindung all der Aspekte, all der Fragen, die dabei auftreten, auch der eigenen Beschaffungen, an den Aspekt der Rüstungskontrollziele. Bei der Herstellung des Gleichgewichts haben Rüstungskontrolle und Abrüstung eindeutig die politische Priorität, sagt unser Parteitagsbeschluß. Wir sagen: Wir wollen ungefähres Gleichgewicht auf immer niedrigerem Niveau. Dazu muß man dann fragen, welche Wege dafür richtig sind.Das erste und wichtigste sind die politischen Voraussetzungen für Verhandlungen auf der Grundlage der Entspannungspolitik. Das zweite sind Verhandlungen. Da gibt es drei Wege, wie Sie wissen: Er-
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Dr. Scheerstens. Bisheriges, nicht Zureichendes war, vorhandenes Potential gegen vorhandenes Potential aufzurechnen. Der zweite Weg wird vom NATO-Doppelbeschluß gegangen: noch nicht vorhandenes Potential gegen vorhandenes Potential aufzurechnen. Sie haben im Zusammenhang mit diesem Beschluß von der Null-Lösung gesprochen. Ich sage hier nicht, wie ich mir diese vorstellen könnte. Das sollte man im Zuge der Verhandlungen nicht tun. Aber eines ist auch klar: Wir sollten hier nicht Bedingungen formulieren, die von vornherein eine Verhandlungslösung unmöglich machen. Auch damit kommt man nicht weiter.
— Es gibt eine Menge Dinge, auf die ich leider hier nicht Bezug nehmen kann, weil ich nur zehn Minuten Redezeit haben.Ein dritter Weg ist, noch nicht vorhandenes, aber technisch mögliches Potential gegen noch nicht vorhandenes, aber auch technisch mögliches Potential auf der anderen Seite aufzurechnen und durch Verhandlungen frühzeitig zu verhindern, daß es eingeführt wird. Das ist z. B. unser Standpunkt bei der Neutronenwaffe.
Ein dritter Punkt ist, die Gefahr eines Rüstungswettlaufs, die auch durch technologische Entwicklungen gegeben ist, dadurch zu vermindern, daß wir eine Form von Selbstkontrolle finden. Damit meine ich, daß wir uns auch überlegen müssen — hier komme ich gleich zu Ihrem Zwischenruf, Herr Würzbach; ich hoffe, daß ich ihn richtig verstanden habe —, ob nicht durch die Einführung von Waffensystemen Reaktionen erzeugt werden, die genau das Gegenteil von Rüstungskontrolle bewirken. Wir müssen die Reaktionen überprüfen, und wenn solche Schritte Rüstungswettlauf bedeuten würden, müßten wir sie unterlassen.Ich nenne als Beispiel die Neutronenwaffe. Ihr Standpunkt dazu war klar. Es ging j a nur — so der differenzierte Standpunkt des Kollegen Wörner — —
— Entschuldigung, Herr Kollege Wörner, ich kann jetzt leider keine Zwischenfragen mehr zulassen, weil ich fast am Ende meiner Rede bin.Ich will hier hervorheben: Es gab auf Ihrer Seite einen differenzierten Standpunkt. Er bezog sich aber nicht auf das Prinzip, sondern auf den Zeitpunkt. Das war eine taktische Angelegenheit. Viele Äußerungen von Ihrer Seite beschäftigten sich mit dem Prinzip. Das betrifft den Punkt Selbstkontrolle, den ich meine. Haben Sie sich bei Ihrem Standpunkt, den ich nicht von vornherein abwerten will — ich meine den Standpunkt, den Sie eingenommen haben, als Sie sagten, dies verbessere die Abschrekkung —, überlegt, welche Konsequenzen das für eine Rüstungskontrolle haben könnte?Ich frage Sie, Herr Wörner.
— Entschuldigung, Herr Kollege Wörner, Sie brauchen mich überhaupt nicht mit Zwischenrufen zu unterbrechen! Der Kanzler hat für die Bundesregierung gefordert, Vereinbarungen über einen wechselseitigen Verzicht auf die Neutronenwaffe zu treffen. Das meinte ich damit. Sie haben bei Ihren Forderungen eben nicht bedacht — ich will das gar nicht polemisch sagen —, welche Folgen ihre Einführung auf das Verhalten der Sowjetunion — wenn diese sie auch hätte — in bezug auf einen möglicherweise globalen Rüstungswettlauf, in bezug auf China usw. hätte, oder welche Konsequenzen das für das Teststoppabkommen hätte, das ja verbessert werden soll, oder auf das System des Nichtverbreitungsvertrages, insbesondere in einer Zeit, wo viele Länder drauf und dran sind, auszusteigen, weil die erhofften und versprochenen Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung nicht erreicht werden. Dies sage ich, ohne Ihnen schlechten friedenspolitischen Willen zu unterstellen. Das haben Sie offenkundig nicht bedacht;
sonst hätten Sie das nicht so eindeutig fordern können.
CSU]: Schmidt heißt er!)Ich komme zum Schluß. Neue Initiativen begrüßen wir. Wir müssen sie in der Substanz überprüfen und anreichern. Neue Initiativen reichen allerdings nicht aus, wenn die Praxis dem nicht folgt. Ich bitte Sie, unseren Vorstellungen zu folgen.
Das Wort hat der Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer den Kollegen Würzbach kennt — hier unterscheide ich mich, glaube ich, in der Beurteilung von Herrn Kollegen Männing —, der war heute außerordentlich überrascht — ich muß Ihnen sagen, ich war angenehm überrascht —, wie moderat er dieses Thema angegangen ist. Ich war fast versucht zu sagen: Der Würzbach ist schon beim Abrüsten.
Ich glaube aber, er hat sich in seiner Rede heute davon leiten lassen, daß uns die Bundesregierung bisher schon in vielfältiger Form über die Probleme der Rüstungskontrolle und Abrüstung informiert hat, und zwar jede Woche im Unterausschuß, dann natürlich auch in den Jahresberichten und in den
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Jung
Weißbüchern des Verteidigungsministers, die insbesondere auch über die militärischen Kräfteverhältnisse unterrichten.Darüber hinaus hat die Bundesregierung ja auch bei vielerlei Anlässen zugesichert, den Bundestag über die Entwicklung im Rüstungskontroll- und Abrüstungsbereich immer dann zu unterrichten, wenn es angezeigt erscheint.Dies bringt mich zu der Frage, ob man bei der weiteren Behandlung dieser Anträge in den Ausschüssen überlegen sollte, zu einer flexibleren Handhabung zu kommen. Wir haben j a vor einigen Jahren schon einmal in diesem Haus nachgedacht, ob wir das — sicher notwendige — Berichtswesen nicht etwas korrigieren sollen, weil es allzu leicht zum Berichtsunwesen werden kann. Aber diese kritische Bemerkung gebe ich nur weiter, damit es in den Ausschüssen zu einer sachgerechten Behandlung kommt.Ich möchte zu der Frage der Darstellung der Veränderung militärischer Kräfteverhältnisse sagen, daß ja Sie, meine Kollegen von der CDU/CSU, vor einiger Zeit an die Bundesregierung Fragen gerichtet haben, die von der Bundesregierung in, wie ich finde, umfassender Weise beantwortet wurden, wobei uns diese Antwort deutlich machte, daß uns in Europa auf dem Gebiet des Warschauer Pakts eine dem westlichen Potential zahlenmäßig überlegene Truppenansammlung und das entsprechende Waffenarsenal gegenüber stehen. Der Vorwurf mangelnder Unterrichtung kann also mit Sicherheit nicht erhoben werden.Aber diese Informationen scheinen — da stimme ich mit manchen meiner Vorredner überein — nicht in gleichem Maße bei einem großen Teil unserer Bevölkerung gelandet zu sein. Die aktuelle Friedensdiskussion ist meines Erachtens auch auf ein großes Bedürfnis nach mehr, nach besserer, nach umfassenderer Information über dieses Gebiet internationaler Politik zurückzuführen.
Deshalb begrüßen wir auch die Möglichkeit, im Zusammenhang mit der Vorlage solcher Berichte die Bürger unseres Landes zusätzlich und eingehender über die Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung zu unterrichten. Nur dadurch — das ist ebenfalls ein wichtiger Gesichtspunkt — kann vorsätzlicher Fehlinterpretation und vorsätzlicher Falschinformation von Aposteln entgegengewirkt werden, die die Friedenssehnsucht unserer Bürger möglicherweise für andere politische Zwecke mißbrauchen wollen.
Alle drei Fraktionen in diesem Haus — das betone ich noch einmal — haben in den vergangenen Wochen und Monaten bei mehreren sicherheitspolitischen Debatten — sei es zum NATO-Doppelbeschluß, sei es zur KSZE oder zuletzt vor der Bonner Friedensdemonstration — mit überwältigender Mehrheit die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung bestätigt. Ich zitiere noch einmalHerrn Todenhöfer, der zu Recht sagte: Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ist Friedenspolitik.
Das ist ein Wort von Außenminister Genscher. Ich bekräftige dies hier noch einmal. In allen ihren Schritten dient diese Außen- und Sicherheitspolitik in enger Abstimmung mit unseren westlichen Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und in der Atlantischen Allianz dem Ziel, den Frieden in Europa und in der Welt zu sichern und zu bewahren.In der Tat hat uns diese Politik in den 36 Jahren seit 1945 vor Kriegen bewahrt, während wir leider in anderen Teilen der Welt in derselben Zeit rund 140 bewaffnete Konflikte zählen mußten,
bei denen mehr als 25 Millionen Menschen ums Leben kamen. Es ist die mit vielen Opfern bezahlte historische Erfahrung unseres Volkes, daß wir mit allen unseren Kräften für ein friedliches Zusammenleben aller Völker arbeiten müssen. Das drückt sich in unserem Willen aus, Spannungen abzubauen und nicht zu verschärfen
und einen gerechten Ausgleich der unterschiedlichen Interessen zu sichern.Die Diskrepanz — das wurde vorhin schon angesprochen — zwischen dem ständig wachsenden Vernichtungspotential und dem weit verbreiteten menschlichen Elend in der Dritten Welt zwingt uns moralisch zur Abrüstung und Rüstungskontrolle. 500 Milliarden Dollar jährlich. mehr als 2 Millionen DM in jeder Minute, in der wir hier reden, werden in der Welt für Rüstung aufgewendet. Das ist eine unvorstellbare Summe. Da ist es nicht verwunderlich, daß die Sorge vor der Eigendynamik der Rüstung wächst und sich die Angst vor einem Nuklearkrieg insbesondere auf unserem Kontinent mit seiner hohen Konzentration von nuklearen Waffen breit macht.Deshalb wollen wir Freien Demokraten die durch eine periodische Berichtsvorlage jeweils ausgelöste Diskussion über Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wir brauchen letztlich auch eine breite Basis der Zustimmung in unserem Volk, die wir nur bekommen können, wenn wir permanent Informationen geben. Wir wollen also eine breite Zustimmung für eine Politik, die durch den Doppelbeschluß die Sicherheit in Europa auf möglichst niedrigem Rüstungsniveau zu stabilisieren versucht.
Deshalb danken wir heute nochmals der Bundesregierung, die anläßlich der offiziellen Besuche des Bundeskanzlers Schmidt und des Außenministers Genscher sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Moskau entscheidend darauf hingewirkt hat, daß sowohl im Bereich nuklearer Mittelstrekkenraketen als auch im SALT-Bereich Abrüstungs-
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und Rüstungskontrollgespräche am 30. November 1981 in Gang kommen werden. Zugegeben, es ist hiermit noch nicht automatisch ein Verhandlungserfolg mit dem Ziel des Gleichgewichts auf möglichst niedrigem Niveau verbunden. Aber angesichts der Komplexität des Sachzusammenhangs wird von niemandem ernsthaft angenommen werden, daß ohne zähe und geduldige Verhandlungen Resultate erzielt werden können, die beide Seiten befriedigen; ich betone: beide Seiten.Ich unterstreiche nochmals — das sei allen Kritikern unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik gesagt —, daß ohne die feste Haltung der Bundesregierung diese Verhandlungen gar nicht erst zustande gekommen wären.In dem Kommuniqué der nuklearen Planungstruppe der NATO, der 30. Ministertagung in Gleneagles unterstützen alle Minister in vollem Umfang die erklärte Absicht der Vereinigten Staaten, innerhalb des SALT-Raumes vergleichbare und verifizierbare Vereinbarungen über die Theater Nuclear Forces auf dem niedrigsten erzielbaren Niveau zu erreichen.Auf der Grundlage von Gegenseitigkeit bleibt die Null-Option eine mögliche Lösung unter Idealbedingungen. Ich betone das, damit wir nicht falsche Erwartungen wecken. Die Tatsache, daß die Null-Lösung erstmals überhaupt in einem Schlußkommuniqué enthalten ist, zeigt deutlich die positive Entwicklung im Bereich der Abrüstung und Rüstungskontrolle.Aber nachdem Sie, Herr Kollege Würzbach, die Null-Lösung immer wieder so betont haben, möchte ich auch wegen der intellektuellen Redlichkeit sagen: Wir dürfen nicht zu große Erwartungen wecken. Mein Kollege Feldmann hat auf das hohe Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion hingewiesen, die, was ich selbst in vielen Gesprächen auch mit sowjetischen Partnern festgestellt habe, offensichtlich immer noch nicht das Trauma von 1941 überwunden hat, die sich deshalb eine Rundumverteidigung vorstellt, wie sie vielleicht in Ansätzen bei einem westlichen Partner erkennbar ist. Ich sage das, Herr Kollege Würzbach, weil wir uns, die wir ein bißchen tiefer in der Materie stehen, auch bewußt sein müssen, daß dazu auch eine gewisse Bereitschaft unseres westlichen Nachbarn gehört, in die Verhandlungen, die im Augenblick zwischen den beiden Supermächten geführt werden, mit seinen 18 Systemen mit einzusteigen. Ich glaube, wir sind uns einig, weil dies ganz einfach die Basis sein muß,
— ja, unter Einbeziehung einer Nation, die im Augenblick nicht an diesen Verhandlungen beteiligt ist.Wir alle sind deshalb mehr denn je gefordert, mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln konkrete, überprüfbare und akzeptable Abrüstungs- und Rüstungskontrollergebnisse herbeizuführen, um zu verhindern, daß in der eigenen Bevölkerung vertrauensbildende Maßnahmen für die Sicherheitspolitik der Bundesregierung je erforderlich werden;
denn den um den Frieden besorgten Bürgern muß immer wieder verdeutlicht werden, daß die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Bundesregierung Friedenspolitik ist, die gekennzeichnet ist durch Verläßlichkeit, Berechenbarkeit und partnerschaftliche Zusammenarbeit im Bündnis, durch Bereitschaft zum Dialog, zu Verhandlungen mit der Sowjetunion und allen osteuropäischen Staaten und durch Nutzung jeder Chance, durch Rüstungskontrolle ein stabiles Kräfteverhältnis auf möglichst niedrigem Niveau herzustellen.Ich muß mir leider aus Zeitgründen versagen, auf die zahlreichen Initiativen der Bundesregierung, die sie in der UNO, bei den MBFR-Verhandlungen in Wien, bei den KSZE-Folgekonferenzen ergriffen hat, einzugehen.Vorhin wurde bereits die Aktivität im Genfer Abrüstungsausschuß genannt, wo sich seit 1980 eine Arbeitsgruppe C-Waffen unter aktiver deutscher Beteiligung mit der Materie des Verbots der Entwicklung, Herstellung und Lagerung chemischer Waffen und der Vernichtung ihrer Bestände befaßt. —Es wurde darauf hingewiesen, daß 1954 die damalige Bundesregierung den Verzicht auf ABC-Waffen feierlich erklärt habe. Hier darf ich Sie korrigieren, Herr Kollege Todenhöfer. Sie haben recht einseitig, vielleicht aus parteiinternen Gründen, Ihre eigene Partei hervorgehoben. Aber es waren in dieser Zeit sicher auch Freie Demokraten dabei — und ich betone das ganz besonders, weil unser längst verstorbener Freund Pfleiderer einer der aktiven Politiker war —, die in dieser noch etwas kritischen Zeit auch den Dialog mit dem Osten gesucht und mit eingeleitet haben.Ich darf Sie daran erinnern, daß es Bundeskanzler Schmidt war, der 1978 — Herr Kollege Männing hat seine Rede vor den Vereinten Nationen bei der Sondervollversammlung über Abrüstung kurz erwähnt — Vorstellungen über Verifikationssysteme entwikkelt hat, die später auch in Genf fortgesetzt wurden und dazu geführt haben, daß wir im März 1979 mit Experten aus 21 Ländern hier in der Bundesrepublik diese Systeme diskutiert und weiterentwickelt haben. Es gab also aktive Beiträge der Bundesrepublik im Bereich chemischer Waffen.Das gilt auch für die Wiener MBFR-Verhandlungen, wo auf Veranlassung des Bundesaußenministers Genscher 1979 ein Vorschlag ausgearbeitet wurde, die Verhandlungen zu vereinfachen und zu beschleunigen. Das erfolgte dann in der Tat auch. Leider sind wir noch nicht zu einem konkreten Ergebnis gekommen, weil die Differenz — Sie kennen die Probleme der Daten-Diskussion — von 150 000 Mann zwischen den Zählungen beider Seiten noch vorhanden ist.Es ist also das Ziel dieser von der sozialliberalen Koalition getragenen Bundesregierung, Vertrauensbildung zu erreichen, auch und besonders bei
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den KSZE-Folgekonferenzen. Bei der Folgekonferenz von Madrid, die am Dienstag dieser Woche nach dreimonatiger Sommerpause wiederaufgenommen wurde, ist dieser wichtige Vorschlag, ein konkretes Mandat für eine Konferenz über Abrüstung in Europa zu erteilen, zu behandeln.Ich sehe, daß die Lampe aufleuchtet, Herr Präsident, geben Sie mir noch eine Minute Zeit! —Ich will dann zum Schluß kommen: Ich meine — und das ist ein nach Madrid gerichteter Appell —, daß die Vorschläge der blockfreien und der westlichen Delegationen zur Präzisierung des geographischen Anwendungsbereichs hinsichtlich einer KAE vom Ural bis zum Atlantik angenommen werden sollten. Wir hoffen, daß die erste sowjetische Reaktion, das harte Nein, nicht das letzte Wort ist.Die Bedeutung des Madrider Treffens liegt gerade darin, daß hier zur Zeit neben den Wiener MBFR- Gesprächen die einzigen aktiven und umfangreichen Verhandlungen zwischen Ost und West geführt werden und es einen Beitrag zur Stabilisierung des Ost-West-Verhältnisses und zur Offenhaltung der Gesprächskanäle leistet.
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen. Die von Ihnen erbetene Minute ist um.
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident, und möchte nur noch eine Anregung geben. Ich bitte darum, bei der Beratung dieses Antrages in den Ausschüssen eine Erweiterung vorzunehmen und bei der Vorlage des Berichts die Bundesregierung zu bitten, auch auf die zahllosen Bemühungen der parlamentarischen Gremien — im Europäischen Parlament, im Europarat, in der Nordatlantischen Versammlung — einzugehen, denn hier gibt es sicherlich eine gute Gelegenheit, die seit Vorlage des Harmel-Berichts schon als eine „Friedensbewegung" bezeichnete NATO in der Öffentlichkeit darzustellen. In diesem Sinne begrüßen wir diesen Antrag und unterstützen ihn. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Staatsminister Dr. Corterier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst meinem Wahlkreisnachbarn Herrn Dr. Feldmann zu seiner heutigen Jungfernrede, die gleichzeitig ein wichtiger Beitrag zu unserer Debatte war, gratulieren.
Der vorliegende Antrag gibt mir die willkommene Gelegenheit, die zentrale Bedeutung zu betonen, die die Bundesregierung realistischen Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung und deren angemessener Darstellung in der Öffentlichkeit beimißt. Rüstungskontrolle und Abrüstung sind neben den erforderlichen Verteidigungsanstrengungen gleichwertige, komplementäre Bestandteile der auf Entspannung und Friedenssicherung gerichteten Politik der Bundesregierung.
Das politische Umfeld, auf dem sich heute Bemühungen um praktische Fortschritte auf dem Gebiet von Rüstungskontrolle und Abrüstung vollziehen, ist schwieriger geworden. Lassen Sie mich an dieser Stelle zwei wichtige Faktoren, die hierfür bestimmend sind, herausgreifen.Da ist erstens der noch keineswegs überwundene Schock, den die Invasion und anhaltende Besetzung Afghanistans mit militärischen Mitteln ausgelöst hat.
Hier besteht ein direkter Bezug zum internationalen Abrüstungsdialog, weil das sowjetische Vorgehen in Afghanistan eine Tendenz zum Einsatz militärischer Macht offenbart, um eigene Interessen durchzusetzen, eine Tendenz, die in klarem Widerspruch zu den Bestimmungen und zum Geist der Charta der Vereinten Nationen steht.
Anwendung oder Androhung von Gewalt mit Waffen jeder Art muß in den internationalen Beziehungen unterbleiben, wenn eine auf Dauer und Stabilität angelegte Rüstungskontrollpolitik Aussicht auf Erfolg haben soll.
Die Verwirklichung des Gewaltverbots der VN- Charta ist die unverzichtbare Vertrauensgrundlage für eine derartige Politik.
Konstruktive Rüstungskontrollpolitik wird auch dadurch erschwert, daß die Sowjetunion in den 70er Jahren und bis heute sowohl im konventionellen als auch im nuklearen Bereich ein Rüstungspotential angehäuft hat und weiter anhäuft,
das ihre Verteidigungserfordernisse bei weitem überschreitet,
während sich der Westen in all diesen Jahren größte Zurückhaltung auferlegte.
Für Abrüstung und Rüstungskontrolle bleibt das Erfordernis des Gleichgewichts der fundamental wichtige Orientierungspunkt. Dabei wollen wir durch konkrete und nachprüfbare Verhandlungsergebnisse Gleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau herstellen.
Hiermit komme ich zu dem zweiten aktuellen politisch wirksamen Faktor, nämlich zu all denjenigen, denen es mit der Abrüstung zu langsam geht und die den Ausweg in einseitigen Zugeständnissen und Vorleistungen suchen. Gerade diejenigen, denen es mit der Sorge um den Frieden und um zügige konkrete Resultate auf dem Wege zu Abrüstung und Rü-
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Staatsminister Dr. Corterierstungskontrolle ernst ist, müssen einer Abkehr von einer auf Gleichgewicht gerichteten Politik widerstehen. Einseitige Vorleistungen haben sich in der Geschichte nämlich noch nie ausgezahlt.
Sie bewirken das Gegenteil von dem, was ihre Initiatoren erreichen wollen:
Statt den Frieden zu sichern, machen sie ihn prekärer, indem sie die Grundlage für Sicherheit und Stabilität schwächen.
Die Forderung nach Vorleistungen gefährdet zudem die Chancen, in den anstehenden Verhandlungen ausgewogene Resultate zu erreichen.
Es führt kein Weg an einer Politik des geduldigen, zielstrebigen Verhandelns, das sich am Gleichgewicht orientiert, vorbei.
Die beiden Weltmächte sind zur Zeit im Begriff, einen neuen realistischen Dialog in wesentlichen Bereichen aufzunehmen.
Ich glaube, wir sind dabei — auch mit dem, was Sie heute in Ihrem Antrag fordern —. einen weiteren Schritt zu einer beinahe perfekten Darstellung unseres Potentials zu tun.
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Staatsminister Dr. CorterierBemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle haben nur Erfolg, wenn gleichzeitig Vertrauen geschaffen wird. Die Bundesregierung mißt diesem Aspekt besondere Bedeutung bei und hat mit ihrer Initiative zur Ausarbeitung einer VN-Studie über vertrauensbildende Maßnahmen einen wichtigen Beitrag zur weltweiten Anerkennung und Durchsetzung dieses Grundsatzes geleistet. Eine Fortführung dieser Initiative ist beabsichtigt.Die Bundesregierung hat von jeher besonderen Wert auf Nachprüfbarkeit von Rüstungskontrollvereinbarungen gelegt. Die Nachprüfung kann nicht dem Gutdünken der betroffenen Staaten selbst überlassen bleiben, sondern muß international verankert sein
und die Bereitschaft einschließen, da, wo es der Sache nach erforderlich erscheint, Inspektionen an Ort und Stelle durch internationale Expertenteams zuzulassen.
Es wäre der Mühe wert, einmal festzuhalten, wieviel Verträge deshalb nicht oder noch nicht zum Abschluß gekommen sind, weil es dem Osten immer noch an der entsprechenden Bereitschaft mangelt. Ich denke hier insbesondere an das Verbot der Herstellung chemischer Waffen, das für die Bundesregierung eine hohe Priorität hat. Es ist ein Gebiet, auf dem sie besondere Erfahrungen bei der Verifizierung ins Feld führen kann.
Eine zuverlässige unparteiische Kontrolle der Einhaltung der Vertragsverpflichtungen liegt im Interesse aller Beteiligten.
Ich begrüße den vorliegenden Antrag, da er eine neue Gelegenheit gibt, Probleme und Chancen der Rüstungskontrolle und Abrüstung systematisch und zusammenfassend darzustellen. Ich darf daran erinnern, daß die Bundesregierung schon in der Beantwortung der Großen Anfrage der SPD und FDP und der CDU/CSU aus dem Jahr 1979 zugesagt hatte, den Bundestag wie bisher intensiv „über' die Vorgänge im Abrüstungsbereich zu unterrichten und immer dann, wenn die Entwicklung im Rüstungskontroll- und Abrüstungsbereich dies angezeigt sein läßt, dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Bericht zuzuleiten".Die Bundesregierung ist in der Vergangenheit auf diesem Gebiet nicht untätig gewesen. Sie nimmt in ihren Jahresberichten sowie in den Weißbüchern zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu aktuellen Fragen des Abrüstungs- und Rüstungskontrollbereichs laufend Stellung und unterrichtet regelmäßig den Unterausschuß „Abrüstung und Rüstungskontrolle". Wir haben gerade in letzter Zeit, um einen Beitrag zu der aktuellen Diskussion zu leisten, wie Sie wissen, eine ganze Reihe von weiteren Publikationen vorgelegt. Es hat also in der Vergangenheit nicht an Informationsquellen auf diesem Gebiet gefehlt.Dennoch ist die Bundesregierung bereit, falls das Hohe Haus dies für nützlich erachtet — und das scheint mir nach all den Beiträgen, die hier heute gegeben worden sind, der Fall zu sein —, einen besonderen jährlichen Bericht über Fragen der Abrüstung und Sicherheit vorzulegen. Die Bundesregierung ist bereit, in den zuständigen Ausschüssen mit den Fraktionen in einen Dialog darüber einzutreten, wie dieser Bericht im einzelnen ausgestaltet werden soll.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/674 zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß zu überweisen. — Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Lorenz, Baron von Wrangel, Jäger , Lintner, Böhm (Melsungen), Schulze (Berlin) und der Fraktion der CDU/CSU
Zentrale Beratungsstelle für den innerdeutschen Reise- und Postverkehr
— Drucksache 9/685 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht?
— Zur Begründung und gleichzeitig zur Aussprache. Ich erteile dem Abgeordneten Böhm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist vier Jahre her, seit die CDU/CSU-Fraktion dieses Hauses die Bundesregierung mit einem Antrag aufgefordert hat, eine Beschwerdestelle für den innerdeutschen Reise- und Postverkehr zu schaffen. Dieser Antrag stieß damals nicht auf die Gegenliebe der Koalition. Wohl aber war in den Diskussionen im Plenum und im zuständigen Bundestagsausschuß für innerdeutsche Beziehungen anerkannt worden, daß die bestehenden Beschwerdemöglichkeiten in der Öffentlichkeit zu wenig bekannt seien. Die Bundesregierung sagte uns damals zu, sie wolle nunmehr die Öffentlichkeit im
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Rahmen ihrer Möglichkeiten wirksamer unterrichten.
— Heute kann diese Bundesregierung, wie ich eben höre, überhaupt nichts zu dem Thema sagen, weil sie nicht da ist, jedenfalls nicht durch den Minister oder den Staatssekretär des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen hier vertreten ist.Vier Jahre später müssen wir nun feststellen, daß sich in dieser von mir angesprochenen Frage wenig oder nichts getan hat. Über das Gesamtdeutsche Institut, eine der Stellen, von der aus den Reihen der Koalition seinerzeit gesagt worden war, sie sei eine der Institutionen für Beratung, Information und Beschwerde, heißt es in der Zeitschrift „Das Parlament" vom 9. September dieses Jahres — ich zitiere wörtlich —, „daß der Öffentlichkeitsarbeit des Amtes noch viel zu tun bleibt". Es heißt dann weiter — ich zitiere erneut —:Viele Bürger übersehen die Anzeigen und Veröffentlichungen, auf denen die Informationsmöglichkeiten dargestellt sind und wissen nichts von den zahlreichen Merkblättern, die nicht nur über Fragen des Grundstücksrechts in der DDR oder über Ausfuhr von Erbschaftsgut aus der DDR, sondern auch darüber aufklären, welche Vorschriften beim Versand privater Geschenksendungen oder gar bei der Überführung von Leichen und Urnen in die DDR zu beachten sind.
So weit das Zitat aus „Das Parlament".
Die Erfahrung aller, die mit dem Alltag der innerdeutschen Beziehungen befaßt sind oder die Gespräche mit den unzähligen betroffenen Bürgern führen, haben uns dazu bewogen, die damalige Initiative erneut und in veränderter Form aufzugreifen, um damit einen konkreten Beitrag zur Gestaltung und zum Ausbau der innerdeutschen Beziehungen zu leisten. Dabei möchte ich hier ausdrücklich feststellen, daß wir in den Ausschußberatungen selbstverständlich und gern bereit sind, über die Form zu diskutieren, mit der das hoffentlich gemeinsame Ziel erreicht werden kann, nämlich einen neuen Anstoß für alle betroffenen Bürger zu geben, sich an der Gestaltung des gesamtdeutschen Alltags zu beteiligen.
Wir möchten erstens erreichen, daß alle Betroffenen das berechtigte Gefühl haben, ihren Beschwerden werde nachgegangen und ihnen werde Rat und Hilfe zuteil;
zweitens, daß durch die möglichst umfangreiche Sammlung aller Vorkommnisse die Bundesregierung in die Lage versetzt wird, jederzeit nachdrücklich bei der DDR vorstellig werden zu können, um auf die volle Erfüllung der geschlossenen Verträge noch besser als bisher hinzuwirken;
drittens, daß die DDR erkennt, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland gewillt sind, möglichst lükkenlos alle Behinderungen und Schikanen zu erfassen und daß es uns ernst ist mit dem Bestreben, auch den kleinsten Einzelfall nicht stillschweigend zu übergehen.
Meine Damen und Herren, die DDR betreibt ihre Politik der Abgrenzung mit drei Methoden.Erstens. Sie hat eine Mauer aus Stein, Stacheldraht und Schießbefehl errichtet.Zweitens. Sie erhöht die finanzielle Mauer des Zwangsumtausches und hat damit einen erheblichen Rückgang der Begegnungen und der Kontakte erzwungen.Drittens. Sie praktiziert eine Mauer aus Schikanen und Behinderungen und der bewußten Erzeugung der Angst mit dem Ziel, den Reisewillen abzutöten oder einzuschränken und auf diese Weise den innerdeutschen Verkehr zahlenmäßig in Schranken zu halten und die geschlossenen Verträge zu unterlaufen.
Dieser dritte Punkt ist heute der Gegenstand unserer Initiative und damit dieser Erörterung. Es gibt eine Fülle willkürlicher Zurückweisungen im Transitverkehr, von Einreiseverweigerungen bei Besuchsreisen und Tagesaufenthalten, auch bei noch so dringenden Familienangelegenheiten. Es gibt Behinderungen so wie überlange Wartezeiten an den Grenzübergängen, schikanöse Kontrollen, Verhöre und provozierte Verkehrsverstöße durch Radarfallen auf den Transitwegen, in die die westdeutschen Autofahrer hineingelockt werden, um die Staatskasse der DDR aufzufüllen.
Bürger werden gezwungen, ihre Autos auseinanderzunehmen, und mit westlichen Nummernschildern getarnte Polizeifahrzeuge der DDR werden zur Kontrolle eingesetzt.
Jugendliche werden stundenlang an Sektorenübergängen in Berlin aufgehalten und schließlich zurückgeschickt; aber auch Ausländer, die, wie kürzlich eine Reisegruppe aus dem Senegal, von Polen aus in die Bundesrepublik Deutschland reisen wollen, werden durch DDR-Behörden behindert, so daß sie, wie in dem soeben erwähnten Fall, schließlich mit 20stündiger Verspätung bei ihren westdeutschen Gastgebern ankommen.So reagieren denn auch viele Besucher, die aus der DDR zurückkehren, mit einem resignierenden „einmal und nicht wieder" und verzichten auf weitere Reisen zu unseren Landsleuten in Mitteldeutschland. Bekanntlich nutzen nur knapp 5 % aller Bürger, die in dem für Tagesaufenthalte in der DDR zugelassenen Raum der Bundesrepublik Deutschland wohnen, die ihnen formal gebotene Reisemöglichkeit in die DDR.
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Im Zusammenhang mit diesen Behinderungen im Reiseverkehr, aber auch im Postverkehr, wo die Zahl der zurückgesandten und verschwundenen Pakete und Päckchen noch weit über dem Durchschnitt liegt und ungefähr zehnmal so hoch ist wie beim Postverkehr innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, bedarf es der Mitwirkung aller betroffenen Bürger aus der Bundesrepublik Deutschland. Sie sind aufgefordert, alle Vorfälle den Behörden zur Kenntnis zu bringen. Diese Bürger aber brauchen einen eindeutigen Ansprechpartner, der nicht nur die Beschwerden registriert, sondern ihnen auch Beratung und Hilfe zuteil werden läßt.
Gegenwärtig herrscht ein Wirrwarr an Dienststellen, die solche Informationen der Bürger entgegennehmen. So nennt das offizielle Merkblatt der Bundesregierung für Reisen nach und von Berlin allein fünf Adressen und führt u. a. die Anschriften des Bundesinnenministers, des Bundesverkehrsministers und des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen an. Das Merkblatt für Reisen in die DDR bringt nur eine Adresse, nämlich die des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn. Die ebenfalls von der Bundesregierung herausgegebene Broschüre „77 praktische Tips für Besuche in der DDR und aus der DDR" führt sieben verschiedene Adressen an, bei denen man jeweils im Hinblick auf bestimmte Probleme Auskünfte erhalten kann.
Angesichts dieser Situation kommen nach unserer Beobachtung immer mehr Bürger zu der Auffassung, es habe keinen Sinn, sich zu beschweren. Aus diesem Grund wird die Dunkelziffer der Schikanen und Behinderungen beträchtlich sein.Der Brief eines Bürgers, aus dem ich zitieren möchte, steht für viele:Ich hatte ursprünglich vor, mich zu beschweren bei der DDR und beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen, habe es aber dann doch unterlassen, weil ich von der Sinnlosigkeit derartiger Beschwerden überzeugt bin.Anschließend an diese Feststellung schildert er dann eine geradezu abenteuerliche Bestrafungspraxis auf einer DDR-Autobahn.Meine Damen und Herren, ich bin sicher, daß wir bei gemeinsamem Nachdenken eine Fülle von Möglichkeiten finden, den gegenwärtigen Zustand zu verbessern. Vielleicht wird uns auch die zentrale Melde-, Beratungs- und Betreuungsstelle für den Ost-West-Reiseverkehr, die 1972 in Berlin auf Antrag der CDU geschaffen worden ist, bei den Beratungen nützliche Erfahrungen mitteilen können.Ich erinnere z. B. an die vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen im Frühjahr 1977 durchgeführte Telefonaktion, bei der Mitarbeiter des Ministeriums in Zeitungsredaktionen im Zonenrandgebiet für Bürger zur Verfügung standen, die sich in innerdeutschen Angelegenheiten ratsuchend an sie wenden konnten. Wer wollte etwa bestreiten, daß durch dieses Angebot des Gesprächs viele Fragen geklärt und Sorgen überhaupt erst bekanntwurden und viele Bürger endlich erfuhren, wo sie ihre speziellen Probleme einmal loswerden konnten? Diese Aktion war gut, man sollte sie wiederholen und schließlich in der zentralen Beratungs- und Informationsstelle, die wir mit unserem Antrag begehren, institutionalisieren. Dabei sind wir der Meinung, daß das durch Umorganisation in den bestehenden Institutionen geschieht und nicht etwa durch Neuschaffung von Stellen und mehr Bürokratie.
Meine Damen und Herren, nach unserer Auffassung könnte die gewünschte zentrale Beratungsstelle ein nützliches Instrument bei der Praktizierung der mit der DDR geschlossenen Abkommen werden. Ich meine, es lohnt sich, über diese Möglichkeit gemeinsam nachzudenken, um damit das menschliche Miteinander in Deutschland zu fördern, soweit es in unserer Macht steht.Wir wissen, daß die DDR menschliche Erleichterungen verkauft und sie sich aus öffentlichen Kassen und privaten Portemonnaies bezahlen läßt. Es ist nicht mehr als recht und billig, wenn wir alles unternehmen, uns die Gegenleistung nicht schmälern zu lassen. Unsere Initiative soll ein konkreter und, wie ich meine, konstruktiver Beitrag zur Herbeiführung und Gestaltung vertragsgemäßer Verhältnisse und Bedingungen im innerdeutschen Reise- und Postverkehr sein.Wir bitten um Überweisung des Antrags an die vorgeschlagenen Ausschüsse.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wuttke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich den vorliegenden Antrag betrachte und mir den Zeitpunkt vor Augen halte — wir haben noch einige Sitzungswochen bis Weihnachten —, dann fällt mir das Lied „Alle Jahre wieder" ein.
Wie oft wurde schon über die heute anstehende Frage erschöpfend diskutiert! Aber trotzdem: Wir müssen es wieder tun, weil es die Antragsteller wollen. Ich gebe zu, daß der vorliegende Antrag gegenüber früheren Anträgen eine Änderung erfahren hat. Bisher forderte man eine Beschwerdestelle, heute ist es eine Beratungsstelle. Ansonsten aber ist das, was auf dem Tisch liegt, fast wortgleich mit dem am 21. Oktober 1977 dem Bundestag vorgelegten Antrag.
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WuttkeDieser wurde damals eingehend beraten und am 11. Mai 1978 vom Plenum des Deutschen Bundestages abgelehnt.
Damals wurde festgestellt, daß das Verfahren für die betroffenen Bürger eine Vielzahl und Vielfalt von Möglichkeiten enthält, eine Beschwerde oder eine Information an die zuständigen Stellen der Bundesregierung heranzutragen. Der Bürger kann das in der ihm bequemsten oder der Sache nach sinnvollsten Weise tun.Nun, was hat sich am Sachverhalt geändert, was hat sich geändert, das diesen Antrag rechtfertigte? Nichts, es sei denn, der Antragsteller stellt fest, daß die Beratung und Behandlung von Beschwerden noch „optimaler" geworden sind.
Die Zahl der Zurückweisungen von Personen und die der postalischen Verluste steht in einem statistisch kaum feststellbaren Verhältnis zu den — positiv zu bewertenden — millionenfachen nicht behinderten Reisen und der Zahl der nicht zu beanstandenden Sendungen im Postbereich. Das beweist, daß eine Beschwerdestelle oder Beratungsstelle überflüssig ist; denn diese Extra-Bürokratie würde eher behindern als fördern.Der Sachverhalt beweist erstens, daß die Beratung der Bürger durch das von Herrn Bundesminister Franke geführte Ministerium wirkungsvoll war und ist, und zweitens, daß sich die DDR an getroffene Vereinbarungen im wesentlichen hält. Die zentrale Beratungsstelle ist überflüssig. Seit dem Transitabkommen vom 17. Dezember 1971, der Berliner Besuchsregelung vom 20. Dezember 1971, dem Verkehrsvertrag vom 26. Mai 1972 und den Vereinbarungen auf dem Gebiet des Post- und Fernmeldewesens werden vom Ministerium für innerdeutsche Beziehungen und vom Berliner Senat regelmäßig und zentral Informationen, Ratschläge und Merkblätter über den Reise-, Transit- und Postverkehr an die Bürger gegeben. Beschwerden über Behinderungen und Zurückweisungen werden sowohl beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen als auch beim Berliner Senat zentral entgegengenommen. Diese Beschwerden werden der ständigen Transit- bzw. Verkehrskommission vorgetragen. Nach Art. 19 Ziffer 1 des Transitabkommens ist es Aufgabe der Transitkommission, „Schwierigkeiten ... bei der Anwendung oder Auslegung" des Transitabkommens zu klären. Über Vorkommnisse aller Art im Transitverkehr wird der Leiter der Delegation der Bundesrepublik Deutschland von den Bediensteten des Bundesgrenzschutzes, der bayerischen Grenzpolizei und der Berliner Polizei über das zuständige Ministerium unterrichtet. Die Bediensteten an den Übergangsstellen haben Anweisung, Vorfälle aller Art unverzüglich zu melden. Hierzu gehören nicht nur Festnahmen, Zurückweisungen und Ausschluß von der Benutzung der Transitwege, sondern auch unangemessene Wartezeiten und sonstige Vorkommnisse, die mit dem Transitabkommen nicht in Einklang stehen.Ich meine, dieses Verfahren hat sich bewährt. Der Reisende kann die Bediensteten unserer Seite an der Übergangsstelle sofort über ein Vorkommnis unterrichten. Das geschieht in aller Regel auch, da der Reisende von den Bediensteten stets nach besonderen Vorkommnissen gefragt wird. Auch wird durch die vom Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen herausgegebenen Merkblätter zu Berichten aufgefordert, die dann unter dem frischen Eindruck des Geschehens abgegeben werden. Eine zentrale Beschwerde- oder Beratungsstelle wäre für die meisten Betroffenen nur schriftlich oder auch telefonisch erreichbar. Erfahrungsgemäß entschließt sich nur ein Teil der Betroffenen dazu, nach Abschluß der Reise einen schriftlichen Bericht abzufassen. Das ist der geringe Teil, der schon jetzt schriftlich an die Bundesregierung herantritt. Andere scheuen wieder Telefonkosten oder auch die Umstände, die sie sich damit machen würden.Würde man also die Annahme von Beschwerden zentralisieren, wäre die Folge, daß die Bundesregierung manchen Abkommensverstoß überhaupt nicht erführe.Auch für den Postverkehr kann die Einrichtung einer zentralen Beratungsstelle nicht für zweckmäßig gehalten werden. Eine ähnliche Einrichtung gibt es bereits heute: das im Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen errichtete Gesamtdeutsche Institut. Dieses Institut gibt im Einvernehmen mit dem Bundespostministerium unter anderem das Merkblatt „Hinweise für Geschenksendungen in die DDR und nach Berlin-Ost", das bei allen Postschaltern ausliegt, heraus. Auch sonst berät es auf Anfrage über Fragen des Postverkehrs mit der DDR. Vor allem stehen den Bürgern aber alle Postämter, Oberpostdirektionen und das Bundespostministerium für Auskünfte und Beschwerden zur Verfügung. Erfahrungsgemäß wenden sich die Bürger auch in erster Linie an diese Stellen, weil diese für die Abwicklung des Postdienstes unmittelbar zuständig sind und daher über die größten Erfahrungen verfügen.
Mit der Einrichtung einer weiteren Beratungsstelle würde nur ein zusätzlicher Verwaltungsapparat geschaffen, ohne daß eine größere Effektivität erreicht würde. Auch hier gilt: Die Erkenntnisse der Beratungsstelle müssen unvollständig bleiben, da die Bevölkerung nur in Einzelfällen Beschwerden einzureichen pflegt oder Auskünfte bei zentralen Stellen einholt.Zusammenfassend ist zu sagen: Die jetzt bestehende Organisation ist in der Lage, umfassend zu informieren, aber auch schnell und wirkungsvoll Beschwerden entgegenzunehmen und zu bearbeiten. Die gegebenen Möglichkeiten reichen aus, Erkenntnisse zu erfassen und auszuwerten, im Einzelfall Hilfe zu gewähren und in geeigneter Weise durch Verhandlungen im Reise- und Postverkehr immer wieder Verbesserungen zu erreichen. Das sagte auch Herr Bundesminister Egon Franke am 25. November 1972. Ich kann das hier nur unterstreichen. In einer Zeit, wo man allenthalben vom Sparen spricht, sollte man nicht eine Institution schaffen,
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Wuttkederen Arbeit schon längst von anderen besser und wirkungsvoller geleistet wird und die deshalb überflüssig ist. — Schönen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Fromm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der CDU/CSU betreffend „Zentrale Beratungsstelle für den innerdeutschen Reise- und Postverkehr" ist im Wortlaut fast identisch mit dem Antrag der CDU/CSU aus dem Jahre 1977. Hier schließe ich mich dem Kollegen Wuttke an, der auch schon darauf hinwies. Nur ist aus der Beschwerdestelle nun inzwischen eine Beratungsstelle geworden. Der Tenor ist der gleiche geblieben.
Ich frage mich — und als neue Abgeordnete frage ich mich besonders —, warum diese Wiederholung von Ihnen gewünscht wird.
— Nein. Ich darf es vielleicht so betrachten: Als einer neuen Abgeordneten erleichtern Sie mir dadurch sehr viel mehr den Einstieg in die Deutschlandpolitik. Ich glaube aber, das wollten Sie damit sicherlich nicht erreichen.
Zu den Schwierigkeiten, die in den deutsch-deutschen Beziehungen auftreten können, möchte ich bemerken, daß Beschwerden der Bevölkerung aus verschiedenen Bereichen, wie dem Reiseverkehr, dem Post- sowie dem Fernmeldebereich, zur Zeit hauptsächlich beim Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium für das Post-und Fernmeldewesen bearbeitet werden. Meine Damen und Herren, eine zusätzliche Stelle, so, wie sie die Opposition heute wieder fordert, besäße nur die Kompetenz, Beschwerden entgegenzunehmen. Die Bearbeitung der Beschwerden müßte aber nach wie vor bei den Ministerien liegen. Das soll so bleiben; denn die von Ihnen geforderte Beratungsstelle würde dem Bürger auch nicht mehr Bürgernähe bringen.
— Danke. Wie oft hören und verspüren wir alle den Wunsch nach Abbau der übermäßigen Bürokratie! Doch sie fordern heute mit Ihrem Antrag ein Aufblähen, eine unnötige Bürokratie, wie ich meine.
Meine Herren, Ihr Antrag liest sich für mich wie ein Arbeitsplatzbeschaffungsprogramm für den öffentlichen Dienst.
Meine Damen und Herren, ich bitte doch um etwas mehr Ruhe. Die Lautstärke entspricht keinesfalls der Besetzung des Plenums.
Wir Freien Demokraten halten es für vernünftiger, die Bearbeitung der Beschwerden wie bisher zu belassen. Rechnet man nämlich die Personen zusammen, die zur Zeit z. B. im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen und dem Gesamtdeutschen Institut mit dem innerdeutschen Reiseverkehr befaßt sind, so kommt man auf etwa 20 Personen, die als Experten auf diesem Gebiet anzusehen sind.
Eine zusätzliche Dienststelle brächte nur zusätzliche Verwaltungs- und Personalkosten.
Mit Beschwerden im Postverkehr kann sich der Bürger unbürokratisch jederzeit an sein zuständiges Postamt wenden; dort kann er sich auch informieren lassen. Er kann damit rechnen, daß Verluste erstattet und Beschwerden weitergeleitet werden.Dies gilt ebenso für die Transitwege, wo die Beamten der Grenzübergangsstellen Beschwerden annehmen und weiterleiten. Die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR und der Bundesminister für Verkehr sowie der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen bearbeiten Beschwerden in der Transitkommission, tragen sie der DDR vor und drängen auf Abhilfe. Eine Registrierung der Vorfälle und Fragen erfolgt außerdem bereits. Genaue Zahlen liegen vor und werden vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen veröffentlicht.Die Arbeit des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen im Bereich des Reiseverkehrs besteht zu ca. 90 % in der Information und Aufklärung über das Verkehrsrecht der DDR, die Zollbestimmungen usw. Der Rest entfällt auf Bearbeitungen im Bereich von Festnahmen, wo bei einem Teil eine Intervention bei den DDR-Behörden notwendig ist.Uns ist durchaus bekannt, daß die von Kollegen der CDU/CSU angesprochene Dunkelziffer von Vor-
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Frau Frommfällen im Bereich des innerdeutschen Reise- und Postverkehrs vorhanden ist.
Die Bundesregierung und auch wir können die Bevölkerung aber immer nur wieder auf die Stellen hinweisen, die Auskünfte erteilen und Beschwerden entgegennehmen.In der Beschlußempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zum damaligen Antrag der CDU/CSU hieß es, daß die Bundesregierung die Öffentlichkeit über die Beschwerdemöglichkeiten wirksamer unterrichten und ein Mehr an Öffentlichkeitsarbeit betreiben werde.
Das ist inzwischen in großem Umfang geschehen. Ich weise auf die Broschüre „Reisen in die DDR" hin, die in der 14. Auflage erscheint und eine Auflagenhöhe von 7 Millionen bis 8 Millionen erreicht hat.
Zudem gibt es noch die Broschüre „Reisen über die Transitwege".
Daß die Bevölkerung von diesen Informationsmöglichkeiten und Beratungsstellen Kenntnis besitzt und davon Gebrauch macht, beweisen zum einen die millionenfach nachgefragten Merkblätter und zum anderen die ständigen Anfragen an das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen. Die jetzige Instanzenregelung kann als für alle zufriedenstellend betrachtet werden. Ein Mehr an Bürokratie und ein Aufblähen des Verwaltungsapparats sind nicht gefragt.Meine Damen und Herren, dazu fällt mir eine Szene aus dem Roman „Die Buddenbrooks" ein, als der alte Senator Buddenbrook auf den Balkon tritt und die demonstrierende Menge fragt: „Was wollt ihr denn?" Darauf die Antwort: „Wir wollen mehr Republik." Der Senator: „Leute, geht nach Hause! Die habt ihr doch schon." Darauf erhält er die Antwort: „Wir wollen noch eine."
Zum Schluß möchte ich noch anmerken, daß die Anträge der CDU/CSU aus dieser Woche zum Reiseverkehr, den Sperranlagen usw. Zweifel aufkommen lassen, wie ernst es die Opposition mit der Gemeinsamkeit in der Deutschlandpolitik aller hier im Parlament vertretenen Parteien meint.
Meine Damen und Herren von der Opposition, mit Aktionismus wie in Ihren letzten Anträgen ist es sicherlich nicht getan.Wir Freien Demokraten schlagen Überweisung des Antrags an den Innerdeutschen Ausschuß — federführend — vor.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 9/685 an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen — federführend — und zur Mitberatung an den Ausschuß für Verkehr sowie den Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Herr Kollege Jäger, ich bitte, sich lieber zu Wort zu melden und nicht dauernd dazwischenzureden, wenn ich hier Bekanntmachungen vortrage.
Der Tagesordnungspunkt 5 ist auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung abgesetzt worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klein , Dr. von Geldern, Dr. Götz, Dr. Hupka, Dr. Hüsch, Klein (München), Krey, Linsmeier, Neuhaus, Schwarz, Dr. Schwarz-Schilling, Dr. Stercken, Weirich und der Fraktion der CDU/CSU
Medienbericht
— Drucksache 9/877 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Debattenrunde vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Zur Begründung und zur Aussprache?
— Zu beidem.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Weirich das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich in der gebotenen Kürze diesen Antrag der Unionsfraktion begründen. Wir fordern die Bundesregierung mit dieser parlamentarischen Initiative auf, den fälligen Medienbericht bis zur Mitte des Jahres 1982 vorzulegen. Diese parlamentarische Initiative gründet sich auf Beschlüsse des Deutschen Bundestages aus den Jahren 1969 und 1976. Ende der 60er Jahre wurde die Bundesregierung aufgefordert, dem Parlament künftig regelmäßig über die Entwicklung der deutschen Presse zu berichten. 1976 wurde dieses Postulat dadurch erweitert, daß die Bundesregierung ersucht wurde, ihre Berichte zur Lage von
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981 3587
WeirichPresse und Rundfunk in der Bundesrepublik Deutschland künftig in kürzeren Zeitabständen dem Deutschen Bundestag vorzulegen. Der letzte vorgelegte Medienbericht datiert vom 8. November 1978. In seiner 2. Sitzung einigte sich der Innenausschuß am 17. Dezember 1980 darauf, daß auf eine pünktliche Vorlage des nächsten Medienberichts gedrängt werden sollte. Soweit zur Genesis des Medienberichts, der heute Gegenstand unseres parlamentarischen Antrags ist.Uns sind in den letzten Wochen und Monaten wiederholt Informationen zugegangen, daß die Bundesregierung überhaupt nicht daran denke, den Medienbericht zu gegebener Zeit vorzulegen. Ausgangspunkt solcher Überlegungen sei, daß der Bundestag schließlich eine Enquete-Kommission mit dem Titel „Künftige Informations- und Kommunikationstechniken" gebildet habe und daß man erst die Ergebnisse dieser Enquete-Kommission abwarten wolle. Es ist hier heute nicht der Platz, über die Arbeit der Enquete-Kommission zu beraten. Sie wird morgen zusammentreten, um über entsprechende Fragen zu diskutieren. Wir sind zur konstruktiven Mitarbeit in dieser Enquete-Kommission bereit, und wir haben die Hoffnung, daß insbesondere beim größeren Partner der Regierungskoalition, der Sozialdemokratischen Partei, die Einsicht in bezug auf die Nutzung der neuen Medientechnologien auch im Hinblick auf die Massenkommunikation wachsen wird.Ich möchte aber zur Begründung dessen, was ich vorhin erklärt habe, deutlich sagen: Diese neu gebildete Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages enthebt die Bundesregierung nicht der Verpflichtung, den Medienbericht pünktlich vorzulegen. Die Enquete-Kommission will nach einem Beschluß aller Fraktionen ihre Arbeit im September 1982 abschließen. Es wäre durchaus gut, wenn der Medienbericht im Sinne dieses Antrags bis Mitte 1982 vorgelegt sein könnte, damit die Enquete-Kommission in der Schlußphase ihrer Beratungen die Stellungnahme und Position der Bundesregierung aufnehmen und berücksichtigen kann.Im übrigen befaßt sich die Enquete-Kommission mit den Perspektiven der neuen Medientechnologien, nicht aber mit der Lage von Presse und Rundfunk, also den konventionellen öffentlich-rechtlichen Monopolanstalten, die wir heute hier im Bereich von Rundfunk und Fernsehen haben.Um die Situation der Medien in unserem Land in den Ausschüssen und im Plenum angemessen beraten zu können, brauchen wir deshalb die Präsentation des Medienberichts der Bundesregierung.Lassen Sie mich in dieser kurzen Begründung schon zum Schluß kommen. Zweifelsohne ist die Medienpolitik eine brisante Frage der Gesellschaftspolitik. Das wissen wir alle. Die Stellungnahmen von Koalitionspolitikern zur Lage der Medien in den letzten Jahren und Wochen war so kontrovers, daß man sich nach der Position der Bundesregierung bei der Beurteilung der Lage fragt. Deshalb wollen wir der Bundesregierung mit unserem Antrag auch die Möglichkeit geben, eine seriöse und fundierte Bestandsaufnahme vorzulegen und endlich einmal eine einheitliche Beurteilung gegenüber dem Deutschen Bundestag abzugeben.Wir haben noch eine spezielle Bitte, was die Vorlage des Medienberichts angeht. Es wäre sinnvoll, zum ersten Mal in der deutschen Rundfunk- und Fernsehgeschichte in diesem Medienbericht auch die Gehaltsstrukturen der Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aufzuführen,
damit zum ersten Mal gegenüber einem öffentlichen Gremium eine notwendige Information für die Gebührenzahler gegeben wird.
Rundfunkpolitik ist zwar Sache der Länder, und die Gebühren werden durch die Landesparlamente per Staatsvertrag beschlossen. Aber ich meine, daß die Gebührenzahler draußen, wenn es schon ein solches Verfahren gibt, angesichts des Bedarfs der Rundfunkanstalten und der dringenden Forderungen, die sie erheben, und angesichts der Diskussion über die Empfehlungen der Kommission der Ministerpräsidenten zur Ermittlung des Finanzbedarfs einmal ganz offen und seriös über die Gehaltsstrukturen der Mitarbeiter in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkmonopolanstalten informiert werden sollten.
Was ein Beamter etwa im Bund oder im Land oder in der Kommune verdient, ist nicht geheim. Das kann man aus dem Besoldungsgesetz ablesen. Aber die Gehaltsstrukturen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten werden merkwürdigerweise geheimgehalten und wie ein Augapfel gehütet. Deswegen ist es im Sinne der Transparenz für die Öffentlichkeit, daß Angaben über die Gehaltsstrukturen in diesen Medienbericht eingebaut werden. Ich unterlasse jegliche Wertung, obwohl etwa der schleswigholsteinische Ministerpräsident darauf hingewiesen hat, daß die Durchschnittsgehälter dieser Mitarbeiter um einen halben Tausender höher liegen als die der Mitarbeiter der Max-Planck-Gesellschaft. Ich will auch keinen Neid wecken oder irgendwelche klassenkämpferischen Akzente in dieser Diskussion setzen. Ich will nur deutlich machen, daß die Öffentlichkeit einen Anspruch auf die Beantwortung dieser interessanten Frage hat.Weil dies alles nicht nur für uns, sondern auch für Sie wichtig ist, und weil es eine Verpflichtung der Bundesregierung gibt, dem Parlament einen Bericht zu erstatten, gehen wir davon aus, daß Sie diesem Antrag, der die Bundesregierung an eine selbstverständliche Pflicht erinnert, selbstredend zustimmen werden. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Nöbel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nun haben Sie, Herr Kollege Weirich, versucht, aus diesem Antrag doch
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Dr. Nöbelnoch etwas zu machen. Gebührenpolitik steht nicht drin. Die haben Sie hier eingefügt. Ich will dazu nichts sagen.Offen gestanden, als wir den Antrag zu Gesicht bekamen, haben wir uns gefragt: Wissen denn die Antragsteller nicht, daß fast jeder heute Telefon oder wenigstens eine Telefonzelle in der Nähe hat? Sie hätten doch bei der Regierung anrufen können — dann hätten wir uns hier diese Stunde erspart — mit der Frage, ob die Regierung dieses oder jenes bis zu dem bestimmten Zeitpunkt, wie Sie es wünschen, leisten kann. Dann hätten Sie eine Antwort bekommen. Wir finden dieses Verfahren hier gar nicht glücklich. Wissen Sie, uns geht es darum, die parlamentarischen Möglichkeiten, die wir haben und die wir ernst nehmen, jetzt zu nutzen, damit wir im September nächsten Jahres allesamt, wie wir hier sitzen, vielleicht sogar stolz sein können, ganz abgesehen von Kompetenzfragen, einen Beitrag geleistet zu haben, der, um es ganz einfach und bescheiden zu sagen, in dieser Enquete-Kommission nützlich ist.Ich werde hier wirklich nicht polemisch, dafür ist mir die. Sache zu ernst. Aber lassen Sie mich einmal fragen, warum Sie eigentlich so scharf hinter einem Medienbericht der Bundesregierung her sind. Der letzte Bericht der Regierung ist überhaupt noch nicht abschließend beraten worden. Ich gebe Ihnen zu, Herr Kollege Weirich — Sie haben auf den Innenausschuß hingewiesen —, daß wir das gemeinsam mit dem nächsten behandeln wollen. Er ist aber noch nicht endgültig beraten. Aber das kann doch wohl nicht der Grund dafür sein, daß ausgerechnet Sie einen neuen Medienbericht fordern. Unser früherer Kollege Langguth hat hier in der Debatte am 27. April 1979 gesagt, die Regierung habe beim letzten Medienbericht „Eiertänze" gemacht. „Grandiose Fehlanzeige" hat ein anderer Kollege aus Ihrer Fraktion festgestellt. Und darauf sind Sie scharf? Was erwarten Sie denn eigentlich, wenn von dieser Regierung nichts kommt?
In derselben Debatte hat Ihr Kollege Dr. SchwarzSchilling ausgeführt — ich darf das hier einmal vorlesen —:Der Bericht ist die anerkennenswerte Fleißarbeit eines Buchhalters. Hier wurden ohne ordnungspolitischen Zusammenhang Einzelheiten aneinandergereiht, wichtige, bereits eingetretene Entwicklungen vollständig ausgeklammert. Eine Bemühung, zu einer auch nur andeutungsweise erkennbaren Zukunftsperspektive zu gelangen, ist offensichtlich absichtlich unterlassen worden.Weiter sagte Dr. Schwarz-Schilling:Wen wundert es bei diesem Szenario, daß wir heute über einen politisch bedeutungslosen Medienbericht zu diskutieren haben?Das sind Stellungnahmen der CDU/CSU vom 27. April 1979 hier in diesem Hause zum Medienbericht 1978 der Bundesregierung. Heute erwartet man allerhand von einem neuen. Das darf doch wohl nicht wahr sein! Warum ist Ihnen an einer Neuauflage gelegen? Wir haben den letzten Medienbericht anders gewertet.Ich darf noch einmal auf diese Debatte im April 1979 zurückkommen, wo der Kollege Professor Klein festgestellt hat:Der gravierendste dieser Mängel ist sicherlich die Tatsache, daß in dem Bericht geradezu skrupulöse Anstrengungen unternommen werden, die Behandlung aller mit der Entwicklung der neuen Kommunikationstechnik zusammenhängenden rechtlichen und politischen Fragen geflissentlich zu vermeiden.Ich hätte wirklich Verständnis dafür, wenn Sie die Regierung bitten, einen Medienbericht zur Unterstützung der Arbeit der Enquete-Kommission des Bundestages zu liefern. Nur liefert die Regierung doch fast tagtäglich entsprechendes Material. Morgen findet ein ganztägiges Hearing zu Technikfragen statt, auf das Sie hingewiesen haben. Die Regierung ist morgen nicht nur durch den Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen und den Bundesminister für Forschung und Technologie vertreten, sondern sie hat bereits längst ihre Stellungnahme zu den einzelnen Punkten abgegeben, die wir selber abgefragt haben. Was wäre das für eine Enquete-Kommission, die sich dessen und der Regierung nicht bedient? Wir haben doch die Möglichkeit, bei der Regierung laufend konkret das abzufragen, was wir wollen und brauchen. Da interessiert mich ein Medienbericht in diesem Zusammenhang eigentlich gar nicht.
Herr Kollege Weirich, Herr Minister Baum hat im Vorwort zum letzten Medienbericht 1978 gesagt:Die Lösung der Probleme— er weist dann auf die einzelnen Bereiche hin —kann nicht allein in der Zuständigkeit der Bundesregierung oder des Bundes erfolgen. Nur Bund und Länder gemeinsam können der Herausforderung durch die neue Technik begegnen. Medienpolitische Konzepte des Bundes wie der Länder müssen fragmentarisch bleiben, wenn es nicht gelingt, die Massenmedien unbeschadet der jeweiligen gesetzgeberischen Zuständigkeit in eine Gesamtvorstellung harmonisch einzuordnen. Hierfür wird sich die Bundesregierung nachdrücklich einsetzen.Genau das macht doch zur Zeit der Bundestag ebenfalls. Jetzt sagt Herr Weirich, mit der Enquete habe sein Anliegen j a gar nichts zu tun.
Herr Kollege Weirich, ich gestehe: Als ich diesen Antrag sah — ganz abgesehen davon, daß ich mich fragte, was er überhaupt soll —, habe ich gedacht, da gibt es zwei Ziele. Das erste ist, die Arbeit der Enquete-Kommission des Bundestages abzuwerten, und das zweite ist natürlich, den Medienbericht der Bundesregierung, der noch nicht vorliegt, abzuwerten. Nun habe ich mich mittlerweile von
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Dr. Nöbeleinem Kollegen, den ich in Ihrer Fraktion für den kompetentesten halte, belehren lassen, der gesagt hat, nichts von dem sei beabsichtigt. Ich nehme das zur Kenntnis und nehme das auch so hin. Wenn wir uns darin einig sind, dann ist das gut. Ich sage das mit aller Deutlichkeit.Der Antrag der CDU/CSU lautet — es ist ein Satz —:Die Bundesregierung wird aufgefordert, bis Mitte 1982 einen neuen Medienbericht vorzulegen.Das ist der Antrag. Die Regierung wird sagen: Das ist nicht möglich. Eine Fortschreibung — deshalb habe ich das eben so ausführlich zitiert — des Berichtes von 1978 können Sie doch gar nicht wollen, Herr Kollege Weirich. Sie wollen doch etwas Besseres, Sie wollen doch etwas anderes. Das wissen Sie doch ganz genau. Deshalb bitte ich, daß wir ehrlich miteinander umgehen.Sie haben Ihren Antrag begründet. Ich habe mir die Mühe gemacht, alle Quellen, auf die Sie sich beziehen, einmal anzusehen. Es gibt keine einzige, aus der zwingend hervorgeht, der nächste Bericht müßte nun unbedingt Mitte des Jahres 1982 vorliegen. Das steht nirgendwo. Man kann das so interpretieren, aber es muß nicht sein.Ich will das aber, Herr Kollege Weirich, nicht vertiefen. Sonst müßte ich nämlich darauf hinweisen, daß die Ausgangslage gegen Ende der Großen Koalition im Jahre 1969, auf die Sie sich beziehen, fast ausschließlich den Bereich Presse betraf. In der letzten Debatte ist nämlich gerade kritisiert worden, daß sich die Bundesregierung zu sehr mit der Presse befasse und mit den neuen Medien überhaupt nicht. Das muß man doch einmal festhalten. Das ist der Ursprung. Sie beziehen sich nämlich auf die — ich zitiere, so heißt es in der Drucksache — „Stellungnahme der Bundesregierung zum Schlußbericht der Presse-Kommission". „Presse-Kommission" heißt das. Damit fängt Ihre Begründung an. Da sehen Sie, daß die Begründung schon einen ganz falschen Anfang hat.Meine Damen und Herren, wie gesagt, bringt das alles nichts, es sei denn, wir wollen uns bescheinigen, daß wir alle mit beiden Füßen fest auf den Wolken stehen. Gut, das können wir machen, bringt uns aber nicht weiter.Ja, Herr Kollege Gilges, was soll denn die recht seltsame Antragsbegründung? Herr Weirich hat sie hier vertieft. Ich kann ihr nicht folgen. Parallel zum Bericht der Enquete-Kommission sollen — ich zitiere Ihre Antragsbegründung — „auch die nicht von der Kommission" — Sie haben es eben wiederholt — „zu beratenden Bereiche von Presse und Rundfunk angemessen" — dann kommt noch etwas dazwischen — „diskutiert werden können". Dann hätte ich also rechts einen Stiefel und links einen Schuh oder umgekehrt. Was soll das? Unser Parlamentsverständnis muß doch von dem Interesse getragen sein, Ergebnisse parlamentarischer Möglichkeiten in die Regierungsarbeit nicht nur einfließen zu lassen, sondern sie auch von der Regierung umsetzen zu lassen. Das muß doch unser Parlamentsverständnis sein.
— Herr Kollege Weirich, wir wollen uns beruhigen, wir kennen uns lange genug.Die Regierung ihrerseits muß, wenn sie einen aktuellen Bericht — daran muß uns gemeinsam gelegen sein — vorlegen will, wenigstens die wichtigsten Ergebnisse — das haben Sie eben kritisiert — der Enquete-Kommission mit einbeziehen.
Zwischenbemerkung. Wir sind alle gegen Bürokratisierung, gegen zu viel Papier und gegen zu viele Papiere. Jetzt gibt es doch gar keinen besseren Weg — das ist unser konkreter Vorschlag —, als die Vorlage des Berichts der Enquete-Kommission des Bundestages im September 1982. Das entspricht der Beschlußlage, und die halten wir ein. Das ist Punkt eins.
Anschließend kommt die zügige Beratung in den Ausschüssen. Auch dafür werden wir sorgen. Parallel dazu erarbeitet die Regierung abschließende Stellungnahmen. Das ist Sache der Regierung. Ich nehme an, sie macht das.
Denn bereits im Enquete-Bericht selbst wird die Bundesregierung natürlich zu Wort kommen. Das ist ohnehin schon klar, denn bereits jetzt liegen Stellungnahmen vor. Wir fragen ab, und die Regierung antwortet laufend.Das bedeutet auch — darauf legen wir naturgemäß Wert — die Möglichkeit für die Regierung, ihren Kabinettsbeschluß vom 24. Juni 1981 zu verwirklichen. In Punkt 13 dieses Kabinettsbeschlusses — er ist veröffentlicht — heißt es nämlich:Die Bundesregierung wird den Bericht der Enquete-Kommission „Neue Informations- und Kommunikationstechniken" des Deutschen Bundestages in ihre weiteren Überlegungen einbeziehen.Meine Damen und Herren, das heißt weiter: Die Bundesregierung wird einen neuen Medienbericht zu Beginn des Jahres 1983 — wenn es geht, Ende 1982, aber wir müssen doch, wenn wir etwas davon haben wollen, realistisch sein — vorlegen, der die Stellungnahme zu den Parlamentsberatungen und den Ergebnissen dieser Parlamentsberatungen enthält. Das ist doch der Medienbericht, den wir alle wollen, wenn wir ehrlich miteinander umgehen.
Eine abschließende Bemerkung: Der Herr Kollege Schwarz-Schilling hat für die Enquete-Kommission die Bundesregierung gebeten, einen Medienatlas zu erstellen. Dafür waren wir alle, sind wir alle, und wir bleiben dafür. Dies war, wie mittlerweile bekanntgeworden ist, eine ganz schwierige Geschichte. Da haben wir alle geirrt. Ich sage das hier zum Schluß, um einzugestehen: Wir haben ja die Weisheit nicht ge-
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Dr. Nöbelpachtet. Das ist eine sehr schwierige Sache. Länder lassen die Regierung dabei hängen.
— Herr Kollege Weirich, wir bekommen diesen Medienatlas als Unterstützung unserer Arbeit in der Enquete-Kommission nicht. Wir bekommen ihn nicht!
— Da gibt es doch nur einen, den in Baden-Württemberg, und Sie wissen, wie unvollkommen der ist.Was soll der Streit um parallele Beratungen? Wir meinen, auf die Qualität kommt es an. Da ist unser Vorschlag, wie wir annehmen, konstruktiv.Im übrigen, meine Damen und Herren, ist es an der Zeit, gerade in diesem empfindlichen Bereich wieder konsensfähig zu werden. Es wäre eine ganz große Leistung dieses Parlaments, wenn wir das in wesentlichen Punkten hinbekämen. — Ich danke Ihnen.
Als nächster Redner hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Weirich, wenn man sich das so anhört, kann man wirklich sagen: Mein Gott, Sie müssen Sorgen haben!
— Ob weniger, weiß ich nicht, aber wir machen uns Sorgen um Dinge, die vielleicht von etwas größerer Bedeutung sind. Das ist der Unterschied.
Man kann ja nicht ausschließen, daß man durch einen Bericht, wenn man ihn liest, schlauer wird. Man kann das nicht von vornherein ausschließen. Das ist klar.
Ich frage mich nur, warum Sie diesen ungeheuren Kraftakt unternehmen, vor der geballten Wucht des Plenums
einen Bericht anzufordern, wenn das Plenum eine Besetzung hat, die auch nicht größer ist als normalerweise die im Innenausschuß, wo wir solche Sachen mit leichter Hand — oder, wie mein Freund Kleinert sagen würde, mit schlankem Fuß — erledigen.
Dann habe ich versucht, der Begründung — sowohl der, die Sie hier vorgetragen haben, als auch der, die Sie dankenswerterweise schriftlich der Drucksache beigefügt haben — zu entnehmen, was in aller Welt Sie dazu veranlaßt, so zu verfahren. Mir ist das nicht klargeworden. Aber ich habe der Begründung etwas anderes entnommen, was wirklich interessant ist. Sie haben ja dankenswerterweise die Daten der bisherigen Berichte und des Verlaufs der Verhandlungen angegeben.Der erste Punkt war die Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der Pressekommission vom 20. Februar 1969. Da hat sie gesagt: Wir machen Berichte, und wir werden bei Veränderungen der Lage jederzeit auf Wunsch weitere Berichte machen.— Gut. Das ist dann hier auch behandelt worden, und zwar im Juli 1969, also fünf Monate später. Dann kam der zweite Bericht im Mai 1974, vom Bundestag behandelt im Februar 1976. Dann kam der nächste Bericht vom 9. November 1978, im Innenausschuß immerhin am 17. Dezember 1980 behandelt. Wir haben damals, im Dezember 1980, gesagt, wir legen den Bericht auf Halde, d. h. wir behandeln ihn, wenn die Bundesregierung ihren nächsten Bericht vorlegt.
— Weil er so interessant war und weil er gut war, klar. Aber bei der Bemerkung: „Wir legen ihn auf Halde" ist ja interessant, sich mal darüber Rechenschaft zu geben, wie groß denn die Halde von Berichten ist, die wir hier bekommen und mit deren Abfassung wir Hunderte von Beamten unter Terminsetzung beschäftigen. Ich habe mal versucht herauszukriegen, wie viele Berichte wir denn kriegen. Schon das Herauskriegen ist eine wirkliche Arbeit; das können Sie mir glauben. Heute haben wir, wie ich der Tagesordnung entnommen habe, nach leidenschaftlicher Debatte einen weiteren Bericht beschlossen. Ich habe den Stand für Februar 1981 festgestellt. Ich erwähne zunächst nur mal die gesetzlich vorgeschriebenen Berichte, die wir fordern und auch kriegen. Da sind also erst mal die 25 gesetzlichen Berichte, davon 12 in jährlichem Abstand oder in kürzerer Frist. Dazu kommen die Berichte auf Beschlußfassung des Bundestages: 72 Berichte, in Worten: zweiundsiebzig. Dann kommen die Berichte, die wir allein im Laufe dieses Jahres, den heutigen Bericht ausgenommen, gefordert haben: zusätzlich 14 Berichte.Dann habe ich mal gesehen: Wie kommt denn das nieder, wie ist der Kumulativeffekt? Wieviel Berichte haben wir denn im Innenausschuß? Wir haben im Innenausschuß vom April 1978 bis zum Mai 1981 80 Berichte unterschiedlicher Dicke bekommen. 80 Berichte! Davon wurden 34 behandelt. Da sage ich Ihnen — das ist eine alte Weisheit —: Je mehr Papier einem vorgelegt wird, um so geringer ist die Gefahr, daß man das auch liest. Darum halte ich es für unsinnig, weitere Zeit, Geld und Arbeitskraft zu verschwenden, Berichte anzufordern, aus denen wir keine politischen Konsequenzen ziehen, sondern die wir auf Halde legen. Das ist unsinnig und bringt nichts.
— Sie brauchen die Augen nicht so aufzureißen. Das sind die Zahlen, wie sie sich wirklich ergeben. So ist
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Dr. Hirschdas. Darum halte ich es für eine wichtige Aufgabe dieses Parlaments, nicht noch mehr Berichte zu fordern, sondern mal durchzugehen, welche Berichte eigentlich entfallen können, damit sich die Mitarbeiter der Bundesregierung segensreicheren Tätigkeiten zuwenden können, was sicherlich verdienstvoll wäre.
Der Vorschlag, den Herr Nöbel gemacht hat, ist doch ganz vernünftig. Wir beschäftigen uns mit dem Thema in der Enquete-Kommission, die morgen, wie Sie richtig dargestellt haben, wieder einmal zusammentritt. Damit beschäftigen wir uns. Wir werden — das haben wir uns vorgenommen — im September kommenden Jahres fertig sein. Dann sollte die Bundesregierung dazu Stellung nehmen. Das muß sie, das erwarten wir. Dann ist auch der Zeitpunkt gekommen, daraus Konsequenzen zu ziehen. Wenn sich vorher dramatische Änderungen am Medienmarkt ergeben sollten, kann die Bundesregierung in Gottes Namen auch zwischendurch berichten, wenn das nützlich ist. Aber ich denke, daß wir diesen Bericht im September oder Oktober, jedenfalls also in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres, bekommen werden. Dann werden wir ihn beraten und werden Schlüsse daraus ziehen. Das ist doch eigentlich vernünftig, nicht wahr? — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte bringt mich dazu, doch noch zu einer kurzen Bemerkung das Wort zu ergreifen. Für mich entstand die gleiche Frage wie für die Kollegen Nöbel und Hirsch, nämlich die nach der Begründung für diesen Antrag der Opposition; denn dessen Sinn hatte ich nicht verstanden. Ich muß gestehen, daß der Schleier dieses Geheimnisses auch nach der Debatte für mich bleibt.
Nun hat der Kollege Weirich angedeutet, er habe geheime Informationen aus nicht näher bezeichneten Quellen, daß die Bundesregierung nicht daran denke, den Bericht zu gegebener Zeit vorzulegen. Das würde dafür sprechen, daß eigentlich das Verhalten der Bundesregierung der Grund für den Antrag sei. Nur um diesem Vorwurf zu begegnen, wir seien verantwortlich für den Antrag der Kollegen der CDU/ CSU-Fraktion, möchte ich hier gern mitteilen, daß das keineswegs der Fall ist. Die Vorarbeiten zu dem Bericht sind im Gange. Die Bundesregierung wird ihn selbstverständlich zu gegebener Zeit vorlegen. Über den Termin sollten wir im Ausschuß reden.
Auf diesen Sachverhalt wollte ich nur hinweisen, damit uns niemand für den Antrag verantwortlich macht, der hier eingebracht worden ist. — Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag Drucksache 9/877 an den Innenausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch; es ist entsprechend beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Windelen, Dr. Dollinger, Neffermann, Weirich, Neuhaus, Bühler (Bruchsal), Linsmeier, Maaß, Lintner, Dr. Riedl (München), Dr. Schwarz-Schilling, Dr. Köhler (Wolfsburg), Frau Dr. Wilms, Frau Dr. Wisniewski, Dr. Stavenhagen, Niegel, Röhner, Spilker, Dr. Bugl und der Fraktion der CSU/ CSU
Aufhebung des sogenannten Verkabelungsstopps der Bundesregierung
— Drucksachen 9/174, 9/895 —
Berichterstatter: Abgeordneter Merker
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Debattenrunde vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch; dann werden wir entsprechend verfahren.
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weirich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für uns ist dieser Antrag deswegen nicht erledigt, weil der Plan des Bundespostminsters, für elf Dienstleistungszentren in der Bundesrepublik Deutschland eine neue technische Generation im Fernmeldenetz zu schaffen, nie verwirklicht worden ist. 1979 tönte der Staatssekretär im Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen, Herr Elias, gegenüber den Regierungschefs der Länder, es gehe um ein leistungsfähiges Fernmeldenetz für neue Telekommunikationsdienste, die im übrigen eindeutig kein Rundfunk seien, also Datenübertragung in vielfältiger Form und Bildfernsprechfunk beispielsweise. Er fügte in seiner Begründung gegenüber den Ministerpräsidenten hinzu, dies liege im eindeutigen Interesse der deutschen Wirtschaft, dies sei wichtig für die Innovations- und Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie im Export.Ich frage Sie heute — unabhängig davon, wie man zu dem Begriff „Kabelstopp" steht —: Gilt das alles nicht mehr? Denn in den Beratungen des Ausschusses hat der Vertreter der FDP, der gleichzeitig Berichterstatter ist, das Wort aber nicht gewünscht hat, Kritik an dem Wort „Kabelstopp" geübt. Ich darf ihn in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß präzise vor einem halben Jahr der Generalsekretär der Freien Demokraten, Herr Verheugen, den Bundeskanzler aufgefordert hat, doch endlich den Kabel-
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Weirichstopp aufzuheben. Wenn Sie sich also nach dem semantischen Ursprung des Wortes „Kabelstopp" erkundigen wollen, brauchen Sie nur in Ihre Bundesgeschäftsstelle zu gehen und Ihren Parteimangager zu fragen.Andere — in der Sozialdemokratischen Partei — haben von einem „Kampfbegriff" gesprochen. Dabei ist dieser Begriff beispielsweise von den Gewerkschaften selber übernommen worden. Man regt sich auf über den Begriff „Innovations- und Investitionsstau" im Bereich der neuen Medientechnologien. Der Bundeswirtschaftsminister dieser Koalition, Graf Lambsdorff, hat in der Debatte über den letzten Jahreswirtschaftsbericht gesagt, es müsse nun endlich der Investitionsstau im Bereich der neuen Medientechnologien abgebaut werden.Was will denn eigentlich diese Regierungskoalition? Der eine redet so, der andere redet so. Wir übernehmen jedenfalls Begriffe, die Sie selber geprägt haben und bei denen einsichtsvolle und vernunftvolle Politiker der Koalition selber auf der gleichen Linie wie wir liegen.
Ich füge ein zweites hinzu. Dieser Antrag ist für uns ein demonstratives Signal. Zur Zeit streitet man sich hier über die „Notaktion Bundeshaushalt". Aber alle Sparbeschlüsse haben keinen Sinn, wenn nicht die richtigen wachstumspolitischen Weichenstellungen vorgenommen werden. Das gilt für die Kernenergietechnik genauso wie für die neuen Medientechnologien. Zwar wurde vorsichtig grünes Licht für den Ausbau der Individualkommunikation gegeben. Man will ab 1983 Bildschirmtext bundesweit einführen, die Post darf im kleineren Rahmen weiter verkabeln und übt sich in ersten Versuchen mit der Glasfasertechnik. Doch insgesamt wird das Entstehen einer neuen Informationsindustrie und einer total veränderten Medienlandschaft in Deutschland verzögert und gebremst; ich füge hinzu: mit unübersehbaren Folgen für den Arbeitsmarkt, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und unser mittlerweile katastrophales Leistungsbilanzdefizit.Über zwei bedeutsame Zukunftsfragen wird in der SPD nicht geredet: über die künftige Chance der Informationsvielfalt durch Massenkommunikation, wie etwa Kabelfernsehen, und über das Fernmeldemonopol der Deutschen Bundespost, das längst nicht mehr zeitgemäß ist und die Wettbewerbsfähigkeit der stark exportorientierten Fernmeldeindustrie erheblich beeinträchtigt.
Die Bundesrepublik Deutschland ist auf dem besten Wege, sich international abzukoppeln. Schon heute beherrschen die Vereinigten Staaten mehr als die Hälfte des Weltmarktes der Informationstechnik. Die elektronische Kommunikation ist unzweifelhaft ein riesiger Wachstumsmarkt der Zukunft, der schon heute nahezu 500 Milliarden DM umfaßt, übrigens der gleiche Betrag, der für die Rüstung ausgegeben wird. Amerika ist sich seiner Chancen auf diesem Wachstumssektor durchaus bewußt. So ist es nicht verwunderlich, daß die „Washington Journalism Review" im letzten Jahr geschrieben hat: „Information kann für die USA eines Tages das werde, was für die Araber das Öl ist."Nun wird uns von seiten der Koalition entgegnet — das wird auch in den Beratungen der EnqueteKommission in den nächsten Tagen eine Rolle spielen —: Was wollt ihr denn eigentlich? Wir setzen auf die neue, zeitgemäßere und billigere Glasfasertechnologie. — Dabei wird auf den Kabinettsbeschluß vom 8. April 1981 verwiesen, mit dem die Post beauftragt wurde — wörtlich —, „den zügigen Aufbau eines intergierten Breitband-Glasfaser-Fernmeldenetzes" vorzunehmen.Die Pläne des Herrn Bundespostministers Gscheidle sehen nun so aus: Man plant dieses Netz nicht als Verteil-, sondern als Vermittlungsnetz. Die Post gönnt jedem Haushalt nur eine Glasfaser, was dazu führt, daß einem Rundfunkteilnehmer nur zwei bis vier Hörfunk- und Fernsehprogramme zur Verfügung stehen. Das heißt: Alle anderen Programme müssen erst von einer posteigenen Vermittlungsstelle abgerufen werden. Dafür verlangt Herr Gscheidle zusätzliche Gebühren. Ich kann nur sagen: Das ist eine neue Form von „Pay-TV", nämlich das „Pay-TV" von Herrn Gscheidle mit entsprechenden Verdiensten der Bundespost.Fernsehen wird also zu einer kostspieligen Sache, weil sich die Post als Vermittler zwischen die Kunden und die Rundfunkanstalten drängt. Bei der Erprobung des breitbandigen integrierten GlasfaserFernmeldeortsnetzes , für die die Post jetzt Aufträge in Höhe von 150 Millionen DM erteilt hat, wird schon mit dieser Netzstruktur gearbeitet. Damit schlägt der Bundespostminister zwei Fliegen mit einer Klappe: Er macht, wie gesagt, quasi sein eigenes „Pay-TV" auf und zementiert gleichzeitig das Monopol der Post durch die Errichtung eines einzigen postalischen Netzes, das übrigens auch noch eine Menge datenschutzrechtlicher Fragen aufwirft.Ein sinnvolles Zukunftskonzept wäre — das werden Ihnen bedeutende Sachverständige in den nächsten Tagen dokumentieren —, die Koaxialkabeltechnik und die Glasfasertechnologie vernünftig und kostengünstig für eine optimale nachrichtentechnische Infrastruktur gleichzeitig einzusetzen, wobei man daran denken könnte, Glasfaser vor allem auf Fernstrecken und Verteilfunktionen zu konzentrieren.Wie stark beide Verwendungsarten noch die Landschaft der Zukunft prägen, macht eine Aussage des unbestritten sachverständigen Professors Kaiser deutlich, der vor wenigen Tagen auf einem Symposion in Stuttgart bemerkt hat — ich zitiere ihn wörtlich mit Genehmigung des Präsidenten —:Die Produktionsprozesse, um Glasfasern herzustellen, sind für viele Jahre noch so teuer, daß man den break even point mit dem Kupferkabel noch nicht sieht.Wie sehr auch die Rundfunkanstalten die Tatsache,daß unnötige Teilnehmergebühren entstehen, kritisieren, dokumentiert die Aussage des Technischen
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WeirichDirektors der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands, der vor wenigen Tagen bei der Veranstaltung „ARD im Gespräch" drei Fragen aufwarf, die von größter Bedeutung sind:Erstens. Wird in Zukunft die eigentliche Rundfunkgebühr nur noch einen Teil der monatlichen Gesamtgebühr ausmachen, die der Teilnehmer zu entrichten hat? Übersteigt die an die Deutsche Bundespost zu entrichtende Vermittlungsgebühr um ein Vielfaches das Entgelt für den eigentlichen Inhalt?Zweitens. Wird es künftig von den finanziellen Verhältnissen des einzelnen Teilnehmers abhängen, wieviel Rundfunkprogramme er sich leisten kann? Er fügt hinzu — ich zitiere ihn nur —: „Fernsehen nur noch für Reiche?" Das ist eine Frage, die Sie ja immer im Zusammenhang mit den neuen Medientechnologien gestellt haben; aber jetzt ist Herr Gscheidle der Adressat dieser Frage.Drittens. Selbst wenn auch in Zukunft einige wenige Fernsehprogramme überwiegend drahtlos und damit für den Teilnehmer preisgünstig verteilt werden, müßten nach den Vorstellungen der Deutschen Bundespost zumindest für zusätzliche Fernsehprogramme Vermittlungsgebühren bezahlt werden. Wird es dann zu zwei Kategorien von Fernsehprogrammen kommen? So fügte der Technische Direktor hinzu. Einmal würde es sich um ein billig zu empfangenes Massenprogramm und andererseits um weitere, sich in der Vielfalt und im Niveau unterscheidende teure und vermittelte Programme handeln. Er stellte an Herrn Gscheidle die Frage: Vielfalt also nur für Reiche?Dieser Kabinettsbeschluß — das zeigen diese wenigen Bemerkungen vor, wie man zugeben muß, nicht allzu gut besetztem Haus — wirft Fragen über Fragen auf.Lassen Sie mich zum Schluß kommen und in diesem Zusammenhang einen früher doch recht prominenten Parteigenossen von Ihnen zitieren. Vielleicht vertrauen Sie ihm mehr. Ich möchte nicht Herrn Lohmar zitieren, was Sie vielleicht erwarten, sondern ich komme auf Herrn Barsig zu sprechen, dem Intendanten des — —
— Wenn Sie Ihre Parteigenossen so bewerten, lieber Herr Nöbel, dann macht das den ganzen Zustand der Sozialdemokratischen Partei deutlich.
Franz Barsig, der in verschiedenen Aufsätzen Ihre Medienpolitik als kleinkariert und spießig bezeichnet hat, hat wörtlich geschrieben:In Wirklichkeit werden wir bis zum Jahr 2000 drei Übermittlungsformen haben: das Schmalband, das Telefonkabel mit seinen zusätzlichen Nutzungsformen wie etwa Bildschirmtext, Rundfunk und Fernsehen über den Äther einschließlich Satellitenfernsehen und Rundfunk mit neuen Bodenempfangsanlagen; daneben das Kupfer-Koaxialkabel, das eben noch lange nicht Schrott, sondern eine moderne und leistungsfähige Technologie ist.Machen Sie sich einmal die Mühe, nach Amerika zu fahren und die letzten 200 entstandenen Kabelfernsehgesellschaften in den Vereinigten Staaten zu betrachten, die mit 54 fernsehtüchtigen Programmen auftreten. Ich frage Sie, warum diese Programme eigentlich alle in Breitband ausgelegt worden sind und nicht etwa mit der Glasfasertechnologie, die Sie so preisen, womit Sie aber eine Verzögerung dieses gesamten Prozesses einleiten würden.Der ach so böse Herr Barsig — ich übernehme die Kennzeichnung von Herrn Nöbel — fährt fort — —
— Sie haben gesagt: Noch schlimmer! Ich habe es etwas abgewandelt, weil ich im Umgangston gegenüber Sozialdemokraten freundlicher bin, als Sozialdemokraten sonst mit ihren Genossen umgehen.
Herr Barsig fügt hinzu:
Erst ganz langsam wird ab Mitte der 80er Jahre die Glasfasertechnik folgen. Und das suggerierte Motto „Kupfer raus — Glasfaser rein" ist einfach falsch. Vernachlässigen wir auch einen Zweig neuer Technologien,
werden uns die Japaner und die Amerikaner den Rang ablaufen.Herr Nöbel, ich glaube, die Medienpolitik und die dort anstehenden Zukunftsfragen sind so sensibel, daß sie sich für Ihren rauhen Charme nicht so schrecklich eignen. Ich füge hinzu: Herr Barsig hat recht.Ganz davon abgesehen hat mir der Bundesminister für Forschung und Technologie auf eine parlamentarische Anfrage hin erklärt, die Bundesrepublik Deutschland sei mittlerweile auch in der Glasfasertechnik international zurück. Er hat das in einer Problemskizze deutlich gemacht, die er zu den medienpolitischen Beratungen des Bundeskabinetts im Juni dieses Jahres vorgelegt hatte.Weil Herr Barsig recht hat, hat die politische Substanz unseres Antrags weiterhin Gewicht. Deshalb fordern wir Sie auf, wenigstens hier im Parlament Einsicht zu zeigen und unserem Antrag zuzustimmen. — Danke sehr.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Paterna.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Weirich tritt hier heute abend als Mehrfachsprengkopf auf. Allerdings ist das mit der Zielgenauigkeit so eine Sache. Bei näherem Hinsehen handelt es sich allenfalls noch um Leuchtspurmunition.Dabei ist ganz interessant, daß er sich hier erst als Medienpolitiker geriert. Dann beschäftigt er sich mit der Verkabelung. Dann sagt er, die Post solle sich medienpolitisch j a neutral verhalten. Und wenn
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Paternadie Post dann nicht verkabelt und das Bundeskabinett medienpolitische Gründe geltend macht, dann zeigt er mit dem Finger auf sie und sagt: Du böse Bundespost, warum verkabelst du nicht? — Diese Logik muß mir wirklich einmal einer erklären. Ich verstehe sie nicht mehr.Sie spielen sich hier ständig als die entschiedensten Hüter der Kultur- und der Rundfunkhoheit der Länder auf. Wenn die Bundesregierung dann aber argumentiert, sie verkabele elf Großstädte nicht vollständig, weil das die Pilotprojekte der Länder, auf die sie sich gemeinsam geeinigt haben, präjudizieren könnte, dann kommen Sie mit einem Antrag her und schreiben selber in die Begründung, es sei unerhört, daß man medienpolitische Gründe geltend mache. Also, ich kann nicht so ganz verstehen, was das eigentlich soll.Weiter: Sie haben uns in Aussicht gestellt, da würden demnächst— das wird ja morgen früh sein, d. h., in etwa 14 Stunden — die bedeutenden Experten kommen und sagen: Das Vernünftigste, was wir tun können, ist zum einen Koax- und zum anderen Glasfasertechnik, beides. Ich habe alle Expertengutachten, die uns für morgen schriftlich zugegangen sind, gelesen. Allerdings habe ich das in keinem gesehen. Wenn Sie Wert darauf legen, kann ich Ihnen nachher auf Wunsch noch aus ein paar Gutachten zitieren.Eine sehr merkwürdige Geschichte an dieser Debatte ist auch dies: 14 Stunden bevor die EnqueteKommission, die dieser Bundestag selbst eingesetzt hat, um eine Reihe von Fragen zu klären, auf die heute niemand eine vernünftige und zuverlässige Antwort weiß, Experten aus dem ganzen Bundesgebiet hört, wollen Sie hier einmal so eben im Hopplahopp-Verfahren über 40, 50, 60, 70, 80, 90 Milliarden DM beschließen,
so, als hätten wir heute morgen nicht über die Notwendigkeit zum Sparen geredet.
Das müssen Sie dem Bürger nun auch einmal erklären. Natürlich kann man sich auch noch fragen: Wer soll das bezahlen? Die Antwort darauf hätte ich von Ihnen auch einmal gern gehört. Da kann man auf die Idee kommen, zu sagen: die Bundespost. Man kann natürlich auch sagen: Private. Dann wäre das natürlich hinsichtlich der Netzträgerschaft interessant: Entweder zahlen die Kunden das über Gebühren — dann wird es aus der Tasche des kleinen Mannes bezahlt —, oder aber „Private", sogenannte Private machen das auf eigene Rechnung; dann wollen die natürlich auch Gewinne erzielen. Dann aber wollen wir einmal sehen, was aus dem Rest der Deutschen Bundespost und ihren gemeinwirtschaftlichen Aufgaben wird. Dann machen Sie nämlich aus der Bundespost im Endergebnis eine zweite Bahn, d. h., die Risiken liegen wieder beim deutschen Steuerzahler. Das ist das, was sich hinter diesem ganzen Qualm, den Sie hier verbreiten, wirklich verbirgt.
— Ja, entschuldigen Sie einmal. Auffällig ist doch folgende Diskrepanz: In Ihrem Antrag schreiben Sie, daß das Verkabelungsverbot Investitionsmöglichkeiten in Höhe von 50 bis 60 Milliarden DM blokkiere. In seiner Rede vom 9. April — ich habe sie nachgelesen — sagt der Kollege Weirich, daß sich dieser Betrag auf 60 bis 90 Milliarden DM belaufe. So auf 30 Milliarden DM mehr oder weniger kommt es bei Ihren Planungen j a nicht an; das wird sich dann ja finden, nicht wahr. Angesichts dessen müssen Sie mir doch einmal die Frage erlauben und uns hier, bitte schön, erklären, wer das bezahlen soll. Ich frage Sie, und dann verlesen Sie eine Propagandarede, die man auch schon dreimal gehört hat. Das ist so ähnlich, wie wenn man einen automatischen Anrufbeantworter anwählt. Den kann man fragen, was man will, als Antwort kommt immer: verkabeln, verkabeln, verkabeln, verkabeln.
Ja, so sieht das doch aus.
Herr Kollege Paterna, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Weirich?
Ja, gern.
Bitte sehr.
Herr Kollege, würden Sie dem Parlament freundlicherweise mitteilen, wie hoch die durch den Innovations- und Investitionsstau verursachte Milliardensumme ist, die Herr Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff der deutschen Öffentlichkeit mitgeteilt hat, und würden Sie dem Parlament weiterhin mitteilen, inwieweit sich diese Summe von den Berechnungen der Opposition unterscheidet, und würden Sie bitte freundlicherweise weiterhin — —
Herr Kollege Weirich, Sie haben jetzt zwei Aufforderungen an den Redner gerichtet, hier eine Rede zu halten.
Es ist ja interessant, daß eine Frage, die man stellt, mit zwei Gegenfragen beantwortet wird. Aber ich will Ihnen an diesem Verkabelungsstopp gern einmal erklären, was für Mäuslein sich hinter diesen Bergen, die Sie da aufschütten, verbergen.
— Entschuldigen Sie einmal, ich bin j a nicht der Wirtschaftsminister; den fragen Sie einmal schön selbst. — Ich erkläre Ihnen einmal, wie ich Ihren Antrag verstehe. Ich werde Ihnen das genau an den Zahlen deutlich machen, die Sie wünschen. — Sie können sich ruhig setzen; das dauert etwas länger. —(Weirich [CDU/CSU]: Sie reden doch nurdrum herum!)— Werden Sie doch nicht aufgeregt, wenn man Ihnen einmal die Wahrheit sagt. — Sie reden vom Verkabelungsstopp für elf Großstädte; das ist der Anlaß für Ihren Antrag. Investitionsvolumen: 1,2 Milliar-
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Paternaden DM; Zeitbedarf: acht Jahre. Wenn Sie das freundlicherweise einmal teilen würden, sind das im Jahr 150 Millionen DM. Der Investitionshaushalt der Bundespost im Fernmeldewesen im Jahre 1981 beläuft sich auf 10,5 Milliarden DM. Sie reden also über ein Siebzigstel dieses Investitionsvolumens und wollen uns erzählen, daß da 100 000 Arbeitslose auf dieses Verkabelungsprogramm in den elf Großstädten warten.
Lassen Sie doch einmal die Kirche im Dorf! Der angeblich blockierte Betrag macht, wie gerade dargelegt, ein Siebzigstel des Investitionsvolumens der Post aus. Im übrigen haben Sie uns nicht erklärt, daß Sie das eine Siebzigstel oben drauf wollen, sondern Sie wollen es „anstatt". Dann sagen Sie uns einmal, an wessen Stelle, und erzählen Sie uns, wieso dann überhaupt im Saldo ein einziger Arbeitsplatz mehr herauskommt. Es ist doch alles Firlefanz, was hier getrieben wird.Was an diesen Debatten hier im Parlament so bedauerlich ist, ist, daß die Redner nicht miteinander, sondern aneinander vorbei reden. Da wird immer wieder ein vorgefertigtes Manuskript abgespult. Die ganzen Sprüche kennt man alle schon, wenn man sich häufiger begegnet, so wie wir uns im Fachausschuß und sonstwo. Wenn es nun schon so ist, daß die meisten Redner sich an ihrem Manuskript festhalten — müssen —, dann wäre es doch vielleicht nicht zu viel verlangt, wenn wenigstens einmal die Reden der vorangegangenen Runden nachgelesen würden. Es wäre doch wirklich nicht zu viel verlangt, wenn Sie das, was wir Ihnen am 20. März an Argumenten und Problemfeldern zur Medienpolitik vorgetragen haben, oder das, was wir Ihnen am 9. April zum gleichen Antrag versucht haben nahezubringen, nachgelesen hätten. Da waren doch Argumente und Fakten drin. Dann hätten Sie heute wenigstens darauf eingehen können. Aber nein, es wird ständig aneinander vorbei geredet, weil es nämlich gar nicht um ein Ringen in der Sache geht, sondern um die Verbreitung von Propaganda. Bei der dritten und vierten Runde wird man dann ein bißchen mutlos und fragt sich, ob es überhaupt noch Sinn hat, weiter Argumente miteinander auszutauschen.
Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: als ich letzte Woche erfuhr, daß über diesen Antrag debattiert werden sollte, habe ich mich gefragt: Was soll das eigentlich? Im Ausschuß ist nichts Neues gekommen; mal sehen, was da im Plenum kommt! Meine düsteren Befürchtungen haben sich bewahrheitet — mit einer Ausnahme: Es ist ein neues Gerücht entstanden. Das allerdings haben Sie geschafft. Nun bin ich einmal gespannt, wie das morgen in der interessierten Medienlandschaft läuft. Das eine Gerücht ist die Glasfaser, die die Post mit zwei bis vier Kanälen dem Bundesbürger zuteilt, und das andere wird dann ein Fernsehen für Reiche. Das ist in der Tat neu. Das habe ich noch nicht gehört. Nun bin ich einmal gespannt, wie dies läuft. Alles andere sind tibetanische Gebetsmühlen und nichts Neues, kein Ringen in der Sache.Mir sind Vergleiche aus dem Tierreich eingefallen. Ich kann Sie beruhigen. Das sind Vergleiche, die sicher nicht unparlamentarisch sind; ein paar Tiere sind hier ja nicht erlaubt. Zum Beispiel gibt es den Maulwurf. Dessen Farbe ist bekannt.
— Sie werden gleich sehen, daß es da ganz interessante Parallelen gibt. — Dieses Tierchen hat zwar einen sehr feinen Geruchs-, Gehör- und Tastsinn, aber es hat eine Eigenschaft, über die die Opposition offenbar auch verfügt. Es kann nämlich seine Gehörgänge verschließen. In dieser Situation sind wir offenbar. Und dann wissen wir von diesem Tierchen natürlich auch, daß seine eifrigen Grabetätigkeiten nicht unerhebliche Schäden anrichten. Das sind so die Dinge, über die Sie dann meistens nicht reden. Und dann ist dieses liebenswerte Tierchen — das wußte ich auch nicht, das habe ich erst beim Nachlesen festgestellt — sehr gefräßig. Es verschlingt nämlich etwa das Dreifache seines Körpergewichts pro Tag.
Was man diesem niedlichen kleinen Tierchen auch nicht zugetraut hätte — deswegen muß man manchmal zweimal hingucken —: es ist außerordentlich streitlustig; Rivalenkämpfe enden meistens tödlich. Ich gebe Ihnen anheim, einmal über diesen Vergleich mit dem Maulwurf nachzudenken. So weit hergeholt ist er bei Ihrer Verkabelungseuphorie nicht.Dann fiel mir noch ein zweites possierliches Tierchen ein, nämlich das Eichhörnchen, das ja auch gerne scharrt. Damit ich Ihnen nichts Falsches erzähle, will ich mit Erlaubnis des Präsidenten aus dem Biologiebuch meiner Kinder folgendes zitieren.
Herr Kollege, ich habe natürlich nichts gegen Ihren Ausflug in die Zoologie. Ich mache Sie nur darauf aufmerksam: Ihre Zeit läuft dabei ab.
Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen.
Aber ich wollte der Opposition einmal etwas wirklich Neues erzählen.Da heißt es — ich zitiere wörtlich —:In Parkanlagen und Vorgärten haben die Eichhörnchen oft alle Scheu vor den Menschen verloren. Im Nu sind sie vom Baum herunter und eilen in langen Sprüngen über den Rasen herbei, wenn wir rufen oder mit der Futtertüte knistern. Zum Fressen suchen sie aber einen sicher erscheinenden Platz auf. Hier sitzen sie auf den beiden Keulen der Hinterbeine und auf der Schwanzwurzel wie auf einem Schemel.
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PaternaAuch der buschige, lange Schwanz hat wichtige Aufgaben zu erfüllen. Er dient als Balancierstange, wenn das Eichhörnchen auf schwankenden Ästen entlangflitzt. In höchster Not wagt das Tier sogar den Sprung aus der Baumspitze hinunter auf den Boden. Jetzt wirkt der Schwanz zusammen mit den weit gespreizten Beinen wie ein Fallschirm.Leider sind auch Eier und Junge unserer Nistvögel nicht vor dem Eichhörnchen sicher. Das Eichhörnchen ist ein Vorratssammler.— Jetzt kommt sozusagen die Nutzanwendung dieses Vergleichs: —Beim Anlegen der Bodenverstecke geht es immer in gleicher Weise vor. Flink und sehr geschäftig sucht es sich zunächst einen geeigneten Platz. Dort scharrt es mit den Händen ein Loch, legt den Wintervorrat ab, stößt mit der Schnauze nach, füllt das Loch wieder zu und drückt den Boden mit den Pfoten sorgfältig fest.— Jetzt kommt die Nutzanwendung, letzter Teil. Nun hören Sie mal gut zu, was da wörtlich im Biologiebuch steht. —
Alles, was das Eichhörnchen hierbei tut, hat es nie zu lernen brauchen. Vergraben und Verstekken sind angeborene Instinkthandlungen.So ungefähr kommen Sie mir vor, wenn Sie uns jetzt seit zwei Jahren mit dem angeblichen sogenannten Verkabelungsstopp hier auf die Nerven gehen. Ich hoffe wirklich, das ist das letzte Mal, und Sie werden in der von Ihnen schon erwähnten Enquete-Kommission wirklich etwas klüger.Ich will Ihnen dazu nur ein Zitat bringen, damit Sie sehen, daß es für Sie noch einiges beim Nachdenken nachzuholen gibt. Aus den von Ihnen erwähnten Sachverständigenäußerungen will ich Ihnen eine von Professor Plank zitieren:Nach meinem Dafürhalten sollte sich die deutsche Volkskwirtschaft unter diesen Umständen die Doppelinvestition eines Koax-Kabel-TV- Netzes und eines Lichtwellenleiternetzes nur dort erlauben, wo anders in der Übergangszeit ein angemessener Empfang von Rundfunk und Fernsehen von terrestrisch abgestrahlten Sendungen nicht möglich ist.Dann geht es weiter über die Netzstrukturen. Dann heißt es weiter:Soweit reine Verteilnetze über Kabelnetze abgewickelt werden sollen, wird die Konkurrenz der Satelliten ohnehin die Unwirtschaftlichkeit derartiger Konzepte recht bald deutlich werden lassen.Sie werden sich also mit dem Argument auseinandersetzen müssen — da brauchen wir gar nicht medienpolitisch zu argumentieren —, ob es nicht ein volkswirtschaftlicher Unsinn ist, sich Parallelnetze in diesen Größenordnungen zu leisten. Dann wird man weiterhin die Frage zu lösen haben, inwieweitInvestitionen im Satellitenbereich und vermeidbare Investitionen im Kabelnetz wirklich notwendig sind. Wir brauchen da gar keine langen medienpolitischen Streitfragen zu lösen. Wir müssen uns darüber klar sein, daß wir mit dem Geld des Bundeshaushalts, der Länderhaushalte, des Haushalts der Deutschen Bundespost und mit dem, was die Kunden bezahlen können, sorgfältig umzugehen haben. Dann werden wir auch zu der Einsicht kommen — ich hoffe, gemeinsam —, daß wir uns dies, in der von der CDU/CSU vorgesehenen Form jedenfalls, nicht werden leisten können.
Meine Damen und Herren, der Präsident soll nach der Geschäftsordnung auch darauf achten, daß sich der Redner an die Sache hält, die aufgerufen ist. Ich finde, das hat der Kollege Paterna getan; denn es ist ja nicht auszuschließen, daß künftig die Eichhörnchen auch auf Glasfasern klettern. Es ist also ein Zusammenhang da.
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Merker das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seitdem der Kollege Hoffie vor einiger Zeit zu später Stunde die Story von den Ameisen und den Elefanten eingeführt hat, scheint es jetzt Mode zu werden, daß wir uns abends über Geschichten aus dem Tierreich unterhalten.
— Der Besetzung des Plenums nach zu urteilen, ist es relativ spät. — Ich empfehle den Kollegen, sich vielleicht doch in Zukunft mit Brehms Tierleben zu bewaffnen. Da werden noch die einen oder anderen Anregungen für Reden im Parlament zu finden sein.Ich möchte gleich zu Beginn einmal ein Wort aus der Ausschußsitzung aufgreifen, von dem ich weiß, daß es die Post- und Fernmeldepolitiker der Opposition aufregen würde, wenn sie denn heute abend vollzählig hier wären — der Kollege Weirich hat das soeben auch schon angesprochen —, nämlich das Wort von dem sogenannten Verkabelungsstopp, mit dem Sie Ihren Antrag überschrieben haben. Wenn Sie diesen Antrag mit der Überschrift „Aufhebung des sogenannten Verkabelungsstopps" versehen, dann wird daran schon deutlich, daß Sie selber nicht so recht daran glauben, daß es sich hierbei überhaupt um einen Verkabelungsstopp handelt. Wenn man aber keinen Verkabelungsstopp ausgesprochen hat, kann man ihn folglich auch nicht aufheben.In Wirklichkeit geht es schlicht darum, daß die ursprünglich vorgesehene flächendeckende Verkabelung für elf Großstädte in Verkabelungsinvestitionen — übrigens in der gleichen Höhe — in Bereichen umgewandelt worden ist, in denen sie aus technischen Gründen erforderlich sind. Es ist also unzutreffend — die Opposition versucht hier, diesen Ein-
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Merkerdruck zu erwecken —, wenn gesagt wird, durch eine Entscheidung der Bundesregierung sei ein Investitionsstau entstanden. Die Wahrheit ist doch, daß mit dem gleichen Betrag, nämlich insgesamt 1,2 Mrd. DM für einen Zeitraum von acht Jahren, die sogenannte Inselverkabelung stattfinden wird. Das heißt, daß mit dieser Summe eine Verbesserung der Empfangsqualität für Fernsehen und Rundfunk in Gebieten geschaffen wird, die bisher aus topographischen oder aus anderen Gründen benachteiligt waren.Hierfür waren zwei Gründe maßgebend. Erstens haben die Bundesländer zu Recht darauf hingewiesen, daß mit einer flächendeckenden Verkabelung von elf Großstädten Übertragungskapazitäten geschaffen werden, die natürlich die Modellversuche, die Pilotprojekte, die in den Ländern stattfinden, für den Einsatz von neuen Medien präjudizieren können. Zweitens aber — und dies ist sicherlich wichtiger — waren technische Gründe maßgebend; denn die derzeitige Verkabelung — die Vorredner haben schon darauf hingewiesen — findet in der Kupfertechnik statt. Inzwischen wissen wir jedoch, daß wir, weil die Technologie so weit fortgeschritten ist, Mitte der 80er Jahre mit der Einführung der Glasfasertechnologie rechnen können.Damit ergeben sich völlig neue Chancen auf dem Gebiet der Fernmeldetechnik und der Kommunikationstechnologie. Es ist, wie ich finde, sehr faszinierend, wenn man sich überlegt, welche Kapazitäten in der Übertragung in Zukunft durch die Glasfaser zur Verfügung gestellt werden können. Über die Glasfaser, d. h. also mit der optischen Übertragung, lassen sich in Zukunft nicht nur Telefongespräche, Datenfernübertragungen, Fernschreib- und Teletextdienste sowie Telekopiedienste, sondern auch eine Vielzahl von Fernseh- und Radioprogrammen in Stereoqualität übertragen, und als völlig neuer Dienst kommt das Fernsehtelefon in Farbfernsehqualität hinzu.Da wir hier vor einer technischen Revolution stehen, sollten wir uns gemeinsam sehr sorgfältig die damit verbundenen Konsequenzen ansehen. Dabei geht es selbstverständlich darum, völlig neue Märkte zu erschließen. Der Aufbau eines Kommunikationsnetzes mit Glasfaserkabeln wird in vielen Bereichen der deutschen Industrie eine Kette von Innovationen und Investitionen auslösen. Dabei geht es natürlich nicht nur um die Produktion und das Verlegen von Kabeln, sondern hier werden ganz wichtige Impulse auf den großen Markt der Telekommunikationsgeräte ausgeübt.Die deutsche Industrie hat bereits enorme Anstrengungen unternommen, um ihre führende Position auf dem Weltmarkt fester zu markieren. Ihr eröffnet sich hier die Chance, ein weltweit konkurrenzfähiger Partner auf einem expandierenden Markt zu sein. Unsere Aufgabe ist es, hierfür die Rahmenbedingungen zu schaffen. Dies können wir allerdings nicht dadurch tun, daß wir heute noch unsere Großstädte mit einer Technologie verkabeln, die morgen schon überholt ist. Worauf es heute ankommt, ist, die Perspektiven deutlich zu machen, die morgen die Kommunikationspolitik bestimmen werden.Daher sollte die Opposition nicht den Eindruck erwecken, als sei in den letzten Jahren nichts geschehen. Ich möchte einmal in Ihre Erinnerung rufen, mit welchen Schritten in der Vergangenheit die Glasfasertechnologie der Zukunft eingeleitet worden ist. Im September 1977 wurde die erste unterirdische Glasfaserstrecke in Berlin verlegt. Die Ergebnisse dieses Projekts waren außerordentlich positiv. Deswegen konnte bereits im Jahre 1979 die erste Glasfaserbetriebsstrecke in Frankfurt in Betrieb genommen werden. Im Dezember 1980 wurde der erste Breitbandglasfaseranschluß installiert. Als wichtigsten Schritt in dieser Kette der bisherigen Feldversuche in der Glasfasertechnik hat die Bundespost im Frühjahr dieses Jahres mit einem Investitionsvolumen von 150 Millionen DM den sogenannten Bigfon-Versuch eingeleitet. In sieben Städten, nämlich in Berlin, Hamburg, Hannover, Düsseldorf, Stuttgart, Nürnberg und München, werden in den Jahren 1982 und 1983 etwa 500 Teilnehmer an ein Glasfaserversuchsnetz angeschlossen. Diese Versuchsnetze sind Bestandteile des öffentlichen Fernmeldenetzes, d. h. daß auf ihnen zunächst einmal ganz normal telefoniert werden kann. Darüber hinaus werden in diesem Versuch aber selbstverständlich auch die anderen Dienste wie etwa das Fernsehtelefon getestet.Für die FDP-Bundestagsfraktion möchte ich hier klar feststellen, daß wir von der Deutschen Bundespost erwarten, daß sie besonders für Zwecke der Individualkommunikation die erforderliche Verkabelung vorantreibt. Die Bundespost sollte zügig die wichtigsten wirtschaftlichen Verdichtungsräume mit Breitbandkabelnetzen für Telekommunikation an die zentralen Vermittlungsstellen anschließen.Weil ich weiß — Kollege Weirich hat das soeben angesprochen —, daß hierbei natürlich sofort wieder der Hinweis auf Verheugen und Graf Lambsdorff kommt, will ich bei dieser Gelegenheit doch nochmal kurz darauf eingehen. Sie haben dies übrigens auch schon bei der ersten Lesung Ihres Antrags als Beispiel genannt. Sie haben geglaubt, durch diese Beiträge einen Keil in die Koalition treiben zu können, indem Sie sich auf Äußerungen des Bundeswirtschaftsministers und des Generalsekretärs der FDP berufen haben. Aber spätestens seit dem Brief des Bundeswirtschaftsministers an den Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Forschung und Technologie, der Ihnen sicher bekannt ist und in dem der Bundeswirtschaftsminister ausdrücklich darauf hinweist, daß er aus wirtschaftspolitischer Sicht nichts gegen die Entscheidung der Bundesregierung und der Deutschen Bundespost einzuwenden hat, weil sich die eingesetzten Investitionsmittel nicht verringern, müßte das eigentlich aus der Welt sein, Herr Kollege Weirich.Es geht also nicht um die Rückführung von Investitionsvorhaben, sondern um den optimalen Einsatz der Finanzmittel, die uns zur Verfügung stehen. Auch Sie haben ja noch keine Vorschläge gemacht, wo Sie für zusätzliche Verkabelung das Geld eigentlich hernehmen wollen. Bei dieser Gelegenheit darf
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Merkerman sicher auch darauf hinweisen, daß die Bundespost nicht nur die 1,2 Mrd. DM, die sie ursprünglich in die Verkabelung der Städte stecken wollte, inzwischen in die Inselverkabelung steckt, sondern inzwischen jährlich 150 bis 200 Millionen DM investiert, also mehr, als ursprünglich beabsichtigt war.Worauf es jetzt ankommt, ist:Erstens. Die Pilotprojekte der Länder mit ihrer Erprobung der gesellschaftlichen Auswirkungen müssen zügig weitergeführt werden. Die Bundespost hat ihre Voraussetzungen dafür erfüllt. Jetzt kommt es darauf an, daß die Finanzierung durch die einzelnen Länder gesichert wird.Zweitens. Die Verkabelung in Kupfertechnik in empfangsschwachen Gebieten ist von der Deutschen Bundespost wie bisher zügig weiterzuführen. Dabei ist wichtig, zu erwähnen, daß diese Inselverkabelung später mit einem Glasfasernetz voll kompatibel ist.Um auch heute ein deutliches Wort dazu zu sagen, stelle ich für die FDP fest, daß wir mit der Einführung der Glasfasertechnologie Mitte der 80er Jahre auf breiter Ebene rechnen.Es hat früher, meine Kollegen von der Opposition, einen Konsens zwischen den politischen Parteien gegeben, daß die Auswirkungen auf unsere Gesellschaft durch Pilotprojekte der Länder auszuloten sind. Die technischen Voraussetzungen hierfür müssen selbstverständlich von der Deutschen Bundespost getroffen werden. Zu diesem Konsens, den wir früher hatten, sollten wir zurückkehren. — Schönen Dank.
Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/895, den Antrag der Abgeordneten Dr. Schulte , Windelen, Dr. Dollinger und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/174 abzulehnen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke sehr. Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Es ist entsprechend beschlossen.Punkt 8 der Tagesordnung — Strukturberichterstattung — ist abgesetzt worden.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. Februar 1974 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Mauritius über den Luftverkehr— Drucksache 9/633 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 9/930 — Berichterstatter: Abgeordneter Ibrügger
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Ich sehe, das ist nicht der Fall. Das Wort wird auch anderweitig nicht gewünscht.Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke sehr. Wer stimmt dagegen? — Enthält sich jemand der Stimme? — Das Gesetz ist angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 bis 14 auf:10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. September 1980 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Portugiesischen Republik über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen— Drucksache 9/898 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. August 1981 zur Änderung des Vertrags vom 27. Oktober 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Regelung der Saarfrage— Drucksache 9/899 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. November 1980 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Unabhängigen Staat Papua-Neuguinea über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen— Drucksache 9/902 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Zusatzvereinbarungen vom 29. August 1980 zum Abkommen vom 22. Dezember 1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Soziale Sicherheit und zu der Vereinbarung zur Durchführung dieses Abkommens— Drucksache 9/900 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Oktober 1981 3599
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Vizepräsident Dr. h. c. Leber14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. Juli 1979 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kenia über den Fluglinienverkehr zwischen ihren Hoheitsgebieten und darüber hinaus— Drucksache 9/909 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für VerkehrDas Wort wird nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 9/898, 9/899, 9/902, 9/900 und 9/909 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Ist das Haus mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist entsprechend beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:Beratung der Sammelübersicht 21 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 9/881 — Das Wort dazu wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 9/881, die in der Sammelübersicht 21 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke sehr. Gibt es Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Das ist nicht der Fall. Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Verkehrs- und Gebühreneinnahmeentwicklung im Selbstwählferndienst seit Einführung des Billigtarifs— Drucksachen 9/528, 9/921 —Berichterstatter:Abgeordneter Bühler
Das Wort wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 9/921 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke sehr. Stimmt jemand dagegen? — Enthält sich jemand der Stimme? — Das ist nicht der Fall. Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 bis 19 auf:17. Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Reichseigenes Grundstück in Berlin-Schöneberg, Potsdamer Straße 188/190;hier: Verkauf an das Land Berlin— Drucksache 9/907 —18. Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Veräußerung des bundeseigenen Geländes in München an der Heidemannstraße an die Landeshauptstadt München— Drucksache 9/917 —19. Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Rüstersieler Groden in Wilhelmshaven; Veräußerung einer 33,72.80 ha großen Teilfläche an die Deutsche Shell Aktiengesellschaft, Hamburg— Drucksache 9/918 — Das Wort dazu wird nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Anträge auf den Drucksachen 9/907, 9/917 und 9/918 an den Haushaltsausschuß vor. Ist das Haus mit den Überweisungen einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist entsprechend beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung der Frist und der Bedingungen für die Herstellung des finanziellen Gleichgewichts der EisenbahnunternehmenVorschlag einer Entscheidung des Rates zur Änderung der Entscheidung zur Sanierung der Eisenbahnunternehmen und zur Harmonisierung der Vorschriften über die finanziellen Beziehungen zwischen diesen Unternehmen und den Staaten— Drucksachen 9/184 Nr. 19, 9/891 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. JobstDas Wort wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 9/891 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke sehr. Stimmt jemand dagegen? — Enthält sich jemand der Stimme? — Das ist nicht der Fall. Der Beschlußempfehlung des Ausschusses ist zugestimmt.Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung angelangt.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 11. November, 13 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.