Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Mit Trauer gedenken wir eines langjährigen Mitglieds des Deutschen Bundestages, unseres Kollegen Albert Burger, der nach längerer Krankheit am 10. Oktober im Alter von 56 Jahren verstarb.Albert Burger wurde am 23. Februar 1925 in Kollnau im Breisgau geboren. Nach dem Besuch der Volksschule, der Höheren Handelsschule und anschließender kaufmännischer Lehre wurde er 1943 zum Wehrdienst einberufen und nach schwerer Verwundung und Kriegsgefangenschaft im Jahre 1946 entlassen. Danach zunächst in der Verwaltung der) klinischen Universitätsanstalten in Freiburg tätig, trat er 1958 in den kommunalen Dienst über. Nach Ablegung der ersten und zweiten Verwaltungsprüfung war er als Beamter des gehobenen Dienstes in der Gemeindeverwaltung seines Geburtsortes Kollnau tätig.Als aktives Mitglied der CDU, der er seit 1946 angehörte, betätigte er sich in besonderer Weise auf dem Gebiete der Familien- und Sozialpolitik. Seit 1965 war er Vorsitzender der südbadischen Sozialausschüsse und des Bildungswerkes christlicher Arbeitnehmer Südbaden. Zugleich war er stellvertretender Vorsitzender des CDU-Bezirksverbandes Südbaden.Albert Burger war ein erfahrener Parlamentarier, der auf allen parlamentarischen Ebenen gewirkt hat. Er wurde 1953 in den Gemeinderat seiner Heimatgemeinde Kollnau, 1959 in den Kreistag des Landkreises Emmendingen und 1964 in den Landtag von Baden-Württemberg gewählt.Dem Deutschen Bundestag gehörte Albert Burger ohne Unterbrechung seit dem Jahre 1965 an. Während seiner langen Mitgliedschaft im Bundestag hat er sich unermüdlich für die Belange der Kriegsopfer und der Behinderten eingesetzt und aktiv in der Familienpolitik mitgewirkt. Seit 1969 war er für die CDU/CSU Obmann im Bundestagsausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit. Im Mittelpunkt seiner politischen Arbeit stand vor allem die Sorge für die behinderten Menschen. Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung der Schwerbeschädigtengesetzgebung, dem Rehabilitationsangleichungsgesetzund der Einbeziehung der Behinderten in die Sozialversicherung beteiligt. Durch seinen persönlichen, tatkräftigen Einsatz hat er als ein Anwalt der Behinderten Wertschätzung und Anerkennung gefunden.Ich spreche den Familienangehörigen und der Fraktion der CDU/CSU meine aufrichtige und herzliche Anteilnahme aus. Der Deutsche Bundestag wird Albert Burger auch künftig in ehrendem Gedenken behalten. — Ich danke Ihnen.Als Nachfolger des verstorbenen Abgeordneten Burger hat mit Wirkung vom 16. Oktober 1981 der Abgeordnete Funk die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße ihn im Deutschen Bundestag und wünsche ihm eine erfolgreiche Mitarbeit.Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Erhard , Dr. Dregger, Spranger, Dr. Bötsch, Bohl, Clemens, Deres, Dr. Götz, Dr. Klein (Göttingen), Dr. Laufs, Dr. Miltner, Dr. Olderog, Regenspurger, Sauter (Ichenhausen), Dr. Schroeder (Freiburg), Dr. Stark (Nürtingen), Dr. Wittmann und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutze friedfertiger Demonstrationen und Versammlungen— Drucksache 9/628 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
RechtsausschußMeine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Debattenrunde vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden?
— Es ist eine Debattenrunde vereinbart worden. Das ist der Vorschlag des Ältestenrates.
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3386 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1981
Präsident Stücklen— Dem steht nichts entgegen.Wird das Wort zur Begründung gewünscht?
— Zur Begründung oder zur Begründung mit Aussprache?
Herr Abgeordneter Bohl?
— Gut, ich erteile zur Begründung und zur Aussprache dem Abgeordneten Bohl das Wort und erkläredamit auch die Aussprache für eröffnet. Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Bundesrepublik Deutschland hat jedermann das Recht, friedlich öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und daran teilzunehmen. Im Jahre 1980 hat es bei uns immerhin 4471 solcher Demonstrationen — gegenüber 3327 im Jahre 1979 — gegeben.Dieses Grundrecht unserer Verfassung auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit ist für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ein zu hohes Gut, als daß wir dem unerträglichen Mißbrauch dieses Grundrechts mit ständig zunehmenden gewalttätigen Ausschreitungen tatenlos zusehen könnten und wollten.
So ist allein die Zahl der unfriedlichen Demonstrationen von 98 im Jahre 1979 auf 143 im vergangenen Jahr gestiegen. Fast gewinnt man den Eindruck, Demonstrationen seien derart alltäglich geworden, daß sie nur noch dann die gewünschte Aufmerksamkeit finden, wenn sie von Krawallen begleitet sind.Es gilt daher, zum einen die Grundrechtsausübung durch friedliebende Bürger, die sich für etwas engagieren oder gegen etwas aussprechen wollen, zu schützen und zum anderen den öffentlichen Frieden, der durch gewalttätige Ausschreitungen empfindlich gestört ist, wiederherzustellen. Dazu bedarf es gesetzlicher Regelungen, die friedliche und unfriedliche Demonstrationen klar voneinander trennen.Das ist auch das Ziel unseres hier heute vorliegenden Gesetzentwurfs. Mit ihm unternehmen wir einen erneuten Versuch, die verhängnisvolle gesetzgeberische Fehlentscheidung aus dem Jahre 1970 zu korrigieren, bei der Sie, meine Damen und Herren von SPD und FDP, in der Aufbruchsstimmung, die Sie sich selbst eingeredet hatten, meinten, entscheidende gesetzliche Bestimmungen zur Erhaltung des öffentlichen Friedens bei Demonstrationen über Bord werfen zu können.
— Herr Kollege Wehner, ich bedanke mich außerordentlich für diesen Zwischenruf; ich sehe es als eineAuszeichnung an, bei meiner Jungfernrede von Ihnen damit beglückt zu werden.
Wir haben inzwischen mit vielen sogenannten Demonstrationen schlimme Erfahrungen machen müssen, insbesondere in Berlin und in Frankfurt. Lassen Sie mich relativ willkürlich
als ein Beispiel von vielen die Straßenschlacht in Berlin am 13. September 1981 anläßlich des Besuchs des amerikanischen Außenministers Alexander Haig herausgreifen, bei der einerseits 151 Polizisten verletzt wurden, andererseits ca. 70 Demonstranten ärztlich behandelt werden mußten. Von dem zum Teil vermummten und mit Äxten und Steinen bewaffneten Pöbel wurden an diesem Tage u. a. 110 Privatautos und fast 70 Polizeiautos demoliert. Nur 17 aus der gewalttätigen Menge konnten dem Haftrichter vorgeführt werden.
Ich meine, das ist eine sehr schlimme Bilanz dieses Tages, die geradezu nach Konsequenzen schreit.Meine Damen und Herren von der Koalition, wollen Sie das denn eigentlich gar nicht sehen? Wollen Sie nicht auch einmal die Frage nach dem Recht des Bürgers auf Schutz vor total ungerechtfertigter Gewalt stellen? In der „Frankfurter Neuen Presse" hieß es vor einiger Zeit:Es sollte Bundesinnenminister Baum nicht kalt lassen, daß die Existenzen vieler Menschen bedroht sind, die regelmäßig am Schwerpunkt von Demonstrationen geschädigt werden, noch weniger, daß bestimmte Demonstrationen anfangen, ein nationales Sicherheitsrisiko darzustellen.Ich habe dem nichts hinzuzufügen, außer daß der Steuerzahler und der rechtstreue Bürger — die erdrückende Mehrheit unserer Bevölkerung — fassungslos diesen tobenden Pöbel sehen und nicht glauben wollen, daß der herausgeforderte Rechtsstaat nicht handelt.
Wie lange glaubt der Innensenator eigentlich noch hinnehmen zu können, daß vor den Augen der Polizei Automobile von Berliner Bürgern zerstört, Scheiben zerschlagen, Brände gelegt und Geschäfte geplündert werden? Das fragte nicht irgendeiner, sondern das fragte der DGB-Chef von Berlin, Walter Sickert, anläßlich dieser Krawalle.
Ich meine, Sie sollten sehen, daß dieses Unbehagen weit in Ihre politische Anhängerschaft hineinragt, meine Damen und Herren von der Koalition.
In diesem Zusammenhang möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, den vielen Polizeibeamten in
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Bohlunserem Lande ganz herzlich zu danken, die zum Teil bis an die Grenze ihrer physischen und psychischen Belastung seit vielen Monaten und Jahren verantwortungsbewußt ihren Dienst tun und dabei ihre Gesundheit im Interesse der öffentlichen Sicherheit zu Markte tragen.
Es sind immerhin in Berlin allein im Jahre 1981 über 800 Beamte verletzt worden.
Ich glaube, wir haben Anlaß, den großartigen Beitrag unserer Polizeibeamten hier dankbar und anerkennend zu erwähnen.Nun zu unserem Gesetzentwurf. Kernstück dieses Entwurfes ist es, den geltenden, aber wirkungslosen Tatbestand des Landfriedensbruchs so neu zu fassen, daß er seine den öffentlichen Frieden sichernde Funktion zurückerhält. Seit 1970 ist die bloße Teilnahme an einer gewalttätigen Demonstration nicht mehr strafbar. Der Teilnehmer muß vielmehr selbst gewalttätig gewesen sein. Das führt dazu, daß der harte Kern gewalttätiger Demonstranten seine Ausschreitungen derzeit in der Deckung einer Menschenmenge — darunter häufig Sympathisanten — ohne größeres Risiko begehen kann, da er durch die umstehende Menge gut abgeschirmt ist. Die Polizei ist daher oft gar nicht in der Lage, solch gewalttätige Demonstranten zu ergreifen oder sie später zu identifizieren. Angesichts der Veränderung der Qualität von Demonstrationen in dramatischem Ausmaß in den letzten Monaten, der Gefährlichkeit der „verfeinerten Demonstrationstechniken", der Welle der Gewalt, der Schwere des Unrechts und der Nachhaltigkeit der Störung des öffentlichen Friedens kann dieser Zustand nicht mehr länger hingenommen werden.
Es müssen daher in einem genau beschriebenen Umfang die Fälle des Anschlusses oder des Sichnicht-Entfernens aus einer gewalttätigen Menge unter Strafe gestellt werden. Bereits der Anschluß bzw. das Verbleiben stellt unserer Meinung nach ein strafwürdiges, weil sozialschädliches Verhalten dar.Meine Damen und Herren, nach den bösen Erfahrungen der letzten Monate komme niemand mit den Gegenargument, damit könnten Neugierige bestraft werden oder man könne nicht verlangen, daß friedliche Demonstranten sich bei unfriedlichen Demonstrationen entfernten, damit sie ihre friedliche Demonstration fortsetzten. Da komme ich einfach nicht mehr mit. Allein durch das Dabeibleiben werden die Gewalttätigkeiten in solchen Fällen mit gefördert und mit verstärkt.In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, daß sich auch der Deutsche Richterbund in seiner jüngsten Stellungnahme von Anfang Oktober nunmehr für eine entsprechende gesetzliche Änderung des Tatbestands des Landesfriedensbruches in unserem Sinne ausgesprochen hat.Des weiteren wollen wir als CDU/CSU, daß die Aufforderung zur Teilnahme an verbotenen öffentlichen Versammlungen unter Strafe gestellt wird und nicht länger eine reine Ordnungswidrigkeit ist, da sich die bisherige Bußgeldandrohung des § 116 des Ordnungswidrigkeitengesetzes als wirkungslos erwiesen hat. Wir meinen, daß der Unrechtsgehalt der Aufforderung zur Teilnahme an verbotenen Demonstrationen sogar größer ist als der Unrechtsgehalt der bloßen Teilnahme.Schließlich wollen wir als Union, daß im Versammlungsrecht die sogenannte passive Bewaffnung mit Helmen und Masken sowie die Maskierung und Unkenntlichmachung von Demonstrationsteilnehmern verboten werden. Gerade die jüngsten Vorgänge zeigen, daß sich militante Demonstranten durch Vermummung der Strafverfolgung entziehen und sich mit einer passiven Bewaffnung gezielt für gewaltsame Auseinandersetzungen rüsten und sich selbst stimulieren. Beides muß daher verboten werden.Wer sich friedlich und ohne Waffen bei uns versammelt, hat nämlich keinen Grund, Abwehrmaßnahmen gegen einen erwarteten Einsatz polizeilicher Zwangsmittel zu treffen. Freie Bürger brauchen sich in unserem freiheitlichen Rechtsstaat bei Wahrnehmung ihrer demokratischen Rechte nicht zu vermummen.
Und schließlich — das sei auch gesagt — ist für mich die Gesundheit des Polizeibeamten vor Ort zweifellos ein höheres Rechtsgut als der Wille, bei der Abhaltung von Krawallen unerkannt zu bleiben.
Befinden sich in einer friedlichen Demonstration vermummte Gestalten, so darf man unterstellen, daß sie die Absicht haben, diese friedliche Demonstration in eine unfriedliche umfunktionieren zu wollen. Und angesichts der schweren Schäden, die wir fast täglich erleben, ist das unbedingt zu verhindern.Es mag zwar sein, daß die Polizei zunächst vielfach überfordert wäre, aller Vermummten bei einer Demonstration habhaft zu werden, aber es wäre ein Anfang. Wenn mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder Vermummte aus Demonstrationszügen herausgegriffen und bestraft würden, so würde es nicht ausbleiben, daß die präventive Wirkung dieses Handelns dazu führte, daß es weniger Vermummte, weniger Gewalt und weniger Militanz bei solchen Demonstrationen geben würde.Es ist auch richtig, daß nach geltendem Recht das Vermummen bei einer zu erwartenden unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verboten werden kann. Eine derartige Prognose ist jedoch in der Praxis mit erheblichen Unsicherheiten und Beweisschwierigkeiten belastet. Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, welch extrem hohe Anforderungen z. B. das Frankfurter Verwaltungsgericht stellt, wenn es darum
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Bohlgeht, Demonstrationen wegen der Besorgnis gewalttätigster Ausschreitungen zu unterbinden.Es ist auch richtig, daß die meisten westeuropäischen Staaten ein Vermummungsverbot nicht kennen. Interessanterweise haben aber die Italiener im Jahre 1975 die Teilnahme an öffentlichen Kundgebungen bei Vermummung des Gesichtes verboten und unter Strafe gestellt. Ich bin der Meinung, daß auch andere europäische Staaten ernsthaft ein solches Verbot prüfen würden, wenn bei ihnen ein derart maskierter Pöbel durch die großen Städte tobte, wie das bei uns leider nun einmal der Fall ist.Unverständnis muß ich auch dem Argument entgegenbringen, das Vermummungsverbot sei nicht praktikabel, weil es Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Wetterschutz und Vermummung geben könne. Abgrenzungsschwierigkeiten sind das tägliche Brot der Strafrechtspflege, meine Damen und Herren von der Koalition. Sie werden doch sicher auch zugeben, daß man einem, der an einem heißen Sommertag den Kopf mit einem Schal umwickelt, kaum glauben kann, daß er schrecklich gefroren habe.Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zu diesem Komplex zusammenfassend sagen, daß wir ganz sicher sind, mit unserem Vorschlag den Strafverfolgungsbehörden ein Instrument an die Hand zu geben, die schweren Schäden gewaltsamer Ausschreitungen einzudämmen.Im übrigen befinden wir uns mit unserem Vorschlag eines Vermummungsverbotes in gar nicht so schlechter Gesellschaft. Immerhin hat der SPD-Justizminister in Hessen vor vier Jahren auf Grund der schlechten Frankfurter Erfahrungen genau diesen Vorschlag gemacht.
Allerdings wurde er bald zurückgepfiffen.
Wir als CDU/CSU müssen leider davon ausgehen, daß Sie unseren Vorschlag ablehnen. Wir halten dies angesichts der elementaren Herausforderung des Rechtsstaates für unverantwortlich. Hier wird Terror geduldet,
Terror, der das zerstören will, was Millionen Bürger geschaffen haben.Wir sind sicher: Wenn der Staat weiter zurückweicht, so fordert er neue Ausschreitungen geradezu heraus.
Wenn der Staat aber sichtbar Flagge zeigt und für die Erhaltung des öffentlichen Friedens sorgt, wird der Erfolg auf Dauer nicht ausbleiben.
Wir als Union sind bereit, die ehrenwerten Motive friedlicher Demonstrationen anzuerkennen und uns politisch mit allen auseinanderzusetzen, die mit ihren Demonstrationen andere politische Ziele verfolgen. Dem Terror der Straße stellen wir uns aber entschlossen entgegen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pensky.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf den Kollegen Bohl zu seiner Jungfernrede beglückwünschen, obwohl es keine Meisterleistung war und auch nicht sein konnte.
Denn man hat Ihnen, Herr Kollege Bohl, irgendwelche Hinweise gegeben, die hier in dieser Form bereits immer wieder wie tibetanische Gebetsmühlen durchgedreht worden sind.
Dazu gehört beispielsweise auch das Zahlenspiel, das Sie hier gebracht haben. Allerdings wird dabei immer verschwiegen, daß es noch nie so viel unfriedliche Demonstrationen wie vor 1970 gegeben hat, vor Erlaß des neuen Demonstrationsrechts und zu einer Zeit, als es noch keine sozialliberale Verantwortung in diesem Staat gab.
— Die Zahlen — Sie haben sie ja alle da; Sie bekommen sie ja jederzeit pünktlich vom Innenminister — kann ich Ihnen geben. Allerdings kann ich sie Ihnen hier aus Zeitgründen nicht vorlesen.
Aber Sie können mich ja widerlegen, wenn es nicht richtig ist, Herr Dregger. Ich habe nämlich gehört, daß Sie noch das Wort begehren.
— Ich weiß ja, Sie regen sich auf, weil Sie hier mit jemandem reden, der weiß, worüber er spricht, der sich selbst mit diesen Dingen auseinanderzusetzen hatte und selbst in dieser Front der manchmal gegen Chaoten Kämpfenden gestanden hat.
Nun, meine Damen und Herren, zum wiederholten Male diskutieren wir hier über Gesetzesvorschläge der Union, die eine Änderung des Demonstrationsrechts zum Ziele haben. Inhaltlich ist es immer wieder dasselbe, nur die Überschriften sind jeweils neu,
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Penskyso auch jetzt wieder. „Entwurf eines Gesetzes zum Schutze friedfertiger Demonstrationen und Versammlungen" ist dieser Gesetzentwurf überschrieben.
— Das ist ein guter Titel. Das klingt zwar gut in Volkesohr,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, und es soll ja wohl auch den Eindruck nach dorthin vermitteln, als bedürfe es nur der Verabschiedung eines solchen Gesetzes, um den friedfertigen Verlauf von Demonstrationen oder Versammlungen ein für allemal zu sichern.
— Nein, meine Damen und Herren von der Opposition, so leicht können und dürfen wir uns das alles als Antwort auf diejenigen Randalierer nicht machen, die, wie wir inzwischen j a alle wissen, gar nichts anderes zum Ziele haben — natürlich wissen wir das alle —, als aus friedlichen Demonstrationen heraus die abscheulichsten Gewalttaten zu begehen, und zwar nur deshalb, weil Sie diesen Staat — im Gegensatz zu den sonstigen Demonstranten — erschüttern wollen. Natürlich wissen wir das! Aber ich füge hinzu: Das sind Gott sei Dank Minderheiten in unserem Volke, zu deren Strategie es gehört, ständig nach Solidarisierungen zu suchen, um die eigene Operationsbasis zu erweitern.
Eingedenk dieser Tatsache kann für uns Politiker meines Erachtens deshalb nur gelten: alles vermeiden, was Solidarisierungseffekte und Eskalationen nur fördern könnte.
Das gilt hinsichtlich der Gesetzgebung, bei der wir uns — mag es uns auch schwerfallen — nicht in erster Linie von Stimmungen und Tagesgefühlen leiten lassen dürfen. Das gilt aber auch — und das unterstreiche ich — für Äußerungen von Politikern, bezogen auf Massendemonstrationen, auch auf die vom 10. Oktober 1981 in Bonn.Ich bin keinesfalls der Meinung, meine Damen und Herren von der Opposition, daß es dem inneren Frieden dienlich wäre oder die Solidarität der Demokraten stärken könnte, wenn in diesem Zusammenhang der Oppositionsführer im Deutschen Bundestag, Herr Dr. Kohl, diffamierend von Volksfront und der Ministerpräsident des Freistaates Bayern, HerrDr. h. c. Strauß, infam vom umgekehrten Reichsparteitag spricht.
— Nein, das ist nicht unsere Position.
Für uns gilt das, was wir mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen vom 7. Oktober 1981 u. a. zum Ausdruck gebracht haben: Die Freiheit der Meinung, die auch in Demonstrationen ausgedrückt werden kann, ist durch das Grundgesetz jedem Bürger gewährleistet. Wer friedlich demonstriert, hat Anspruch auf Achtung seiner Meinung.
Das gilt unabhängig davon, ob wir deren Meinung teilen oder nicht. Ich nehme damit nicht zum Inhalt dieser Kundgebung Stellung.
— Sie sind so aufgeregt! Wenn die Polizei so nervös wäre wie Sie, dann wäre ihr dieser Einsatz sicherlich nicht so gelungen, wie er gelungen ist.
— Sie sind wie ein Schnatterladen, wie schnatternde Enten und Gänse.
Herr Abgeordneter Pensky, die Häufigkeit der Zwischenrufe stört. Deshalb bin ich ganz .auf Ihrer Seite zu ermahnen. Gezielte einzelne Zwischenrufe sind immer Salz und Pfeffer bei der Debatte. Aber zu viele werden a) nicht verstanden, und b) stören sie.
Ich bedanke mich für diese Hilfe, Herr Präsident.Ich möchte hinzufügen: Ich bin mit dem Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Dr. Schnoor, der Meinung, daß unser geltendes Demonstrationsrecht in Bonn seine Bewährungsprobe eindeutig bestanden hat.
Ich teile auch seine Auffassung, daß der friedliche Verlauf dieser Kundgebung in erster Linie auf die gute Zusammenarbeit zwischen Polizei und Veranstaltern sowie auf die Organisation der Veranstaltung zurückzuführen ist. Die Strategie, meine Damen und Herren, die hier erfolgreich zum Tragen gekommen ist, sollte für uns alle eine Ermunterung sein, auf diesem Wege fortzufahren.
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PenskyIch nehme deshalb gern Gelegenheit, in diesem Zusammenhang namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion allen eingesetzten Polizeikräften unseren herzlichsten Dank zu sagen.
Denn diese Polizisten, meine Damen und Herren, haben trotz erheblicher Strapazen durch ihr besonnenes Verhalten in Bonn in der Tat ein Meisterstück geleistet.Es gibt auch sonst noch positive Beispiele für die Eindämmung von Gewalteskalationen durch politisches Handeln. Ich meine Berlin. Erinnern wir uns: Am 22. September kam dort während einer Demonstration, die zu schwersten Ausschreitungen führte, ein junger Mensch zu Tode, und das Risiko einer weiteren Gewalteskalation wurde unvermittelt deutlich.Inzwischen aber scheinen die Töne in der Diskussion etwas gemäßigter zu sein als zuvor. Das hat auch seinen Grund. Denn auf Initiative meines Freundes und unseres früheren Kollegen Dr. Hans-Jochen Vogel
fanden und finden zwischen den politischen Kräften und gesellschaftlichen Gruppen Gespräche darüber statt, wie man den Ursachen der Gewalttätigkeiten zu Leibe rücken kann
und ihnen besser beikommen kann.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir uns trotz dieser teilweise bösartigen Zwischenrufe zumindest in dem Ziel einig sind, daß für den inneren Frieden unseres Landes das Bestmögliche getan werden muß. Aber dann müssen wir uns zunächst einmal selber an die Brust schlagen und uns fragen, was wir denn möglicherweise versäumt haben, den Ursachen der Gewalttätigkeiten nachzugehen. Das gilt ebenso für die Politiker in den Ländern und in den Gemeinden. In Berlin — das sage ich ausdrücklich — gibt es hierfür einen erfolgversprechenden Anfang.Keinesfalls darf es dazu kommen, daß der Polizei von den Politikern Lasten aufgebürdet werden, die sie nicht tragen kann und auch nicht tragen soll. Allzuoft — ich sage auch: sogar sicher nicht immer zu Unrecht — ist bei der Polizei der Eindruck entstanden, daß sie für versäumte Politik ihren Buckel als Prügelknabe der Nation hinzuhalten hat.Um es noch einmal zu sagen: Die begonnenen Gesprächsrunden beim Regierenden Bürgermeister in Berlin — ich beziehe Ihre politischen Freunde ausdrücklich mit ein — sind Schritte in die richtige Richtung. Nur, meine Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir viel Geduld, damit die Klüfte, die quer durch unsere Gesellschaft gehen, dauerhaft überbrückt werden können, und das ist eine Aufgabe, für die wir alle einzustehen haben.
Ich meine aber, daß es auch wichtig ist, auf bloße Symbolhandlungen zu verzichten, und ich komme selbst bei wohlwollendster Beurteilung nicht umhin, eine Einengung des Versammlungsrechts oder die Verschärfung des Strafrechts, wie sie von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, hier vorgeschlagen wird, als eine solche Symbolhandlung zu bezeichnen.
Sie bringt uns nämlich nicht nur nichts, sondern sie begünstigt den Weg zur Eskalation, und hierzu möchte ich einige Bemerkungen im einzelnen machen.Erstens. Die von Ihnen vorgeschlagenen neuen Tatbestände des Landfriedensbruchs halte ich in Übereinstimmung mit vielen Polizeipraktikern nicht für praktikabel.
Der Tatbestand setzt voraus, daß sich Feststellungen über die Willensrichtung einer Menschenmenge treffen lassen. Ist das denn realistisch? Wenn einzelne Gewalttäter in der Menschenmenge, wie Jürgen Schmude es auch im Bundesrat ausgeführt hat, wie Fische im Wasser schwimmen und dort Deckung finden, kann man dann von einer Unterstützung durch die Menge sprechen? Ich kann mir nicht vorstellen, daß unsere Gerichte mit einem solchen Tatbestandsmerkmal zu Rande kommen würden.Die Tatbestände des Landfriedensbruchs in den §§ 125 und 125 a des Strafgesetzbuchs ermöglichen ein differenziertes Vorgehen, und darauf kommt es an. Sie bedrohen denjenigen mit Strafe, der sich an Gewalttätigkeiten oder Bedrohung von Menschen mit Gewalttätigkeiten aus einer Menschenmenge heraus entweder als Täter oder als Teilnehmer oder als sogenannter Anheizer selbst beteiligt.
Dies ist aus polizeilicher Sicht notwendig, aber auch ausreichend, um Demonstranten, die guten Willens sind, von strafbedrohten Handlungen abzuhalten und Straftäter — es geht uns um die Gewalttäter — zu verfolgen und zu bestrafen.Dem gutwilligen, auch kritischen Bürger wird es als eine glatte Verhöhnung des Rechts auf friedliche Versammlung erscheinen, wenn er ohne sein eigenes Zutun durch andere, nämlich durch die Randalierer, durch die Straftäter, durch die Gewalttäter, strafbar gemacht werden kann. Wer im übrigen einmal in einer brodelnden Versammlung war — ich war darin —, der weiß, wie groß auch die realen Schwierigkeiten sein können, staatlichen Anordnungen zu folgen, wie groß auch der Gruppendruck sein kann. Er weiß aber auch, daß einem dann entgegengehalten wird, man habe die Anordnung nicht gehört, oder man habe ihr nicht folgen können. Sol-
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Penskyche Behauptungen wird man nur selten widerlegen können.Zweitens möchte ich zu der Frage der Vermummung und sogenannten passiven Bewaffnung einige Bemerkungen machen. Die Vermummung kann, wie Sie alle wissen, meine Damen und Herren, im Wege der Auflage verboten werden. Von dieser Möglichkeit wird auch bei uns im Lande Gebrauch gemacht. So hatte doch der Polizeipräsident von Bonn z. B. für die Großdemonstration vom 10. Oktober dem Anmelder u. a. folgende Auflage gemacht — ich zitiere —: „Das Mitführen von Tarnmitteln sowie Schutzhelmen und Schutzschildern ist nicht gestattet."
Die Polizei hat, wenn sich Teilnehmer nicht an diese Auflage halten, die Möglichkeit, hiergegen einzuschreiten, wenn es die Situation zweckmäßig erscheinen läßt. Das ist doch das andere, das Opportunitätsprinzip, im Gegensatz zu dem Zwang zum Handeln im Legalitätsprinzip.Nichts anderes würden Sie erreichen, wenn Sie das Vermummungsverbot so gesetzlich verankern würden, wie Sie das vorsehen. Dann würden Sie der Polizei ein für allemal ihr Handeln vorschreiben. Sie schränken damit die Möglichkeiten polizeilichen Handelns ein, vor allem die Möglichkeit, je nach der Situation angemessen zu entscheiden. Dadurch machen Sie der Polizei, so gut es von Ihnen gemeint sein mag, das Leben nur schwerer.
Ich sage auch: Die Einführung von Verbots- und Straftatbeständen hinsichtlich der sogenannten passiven Bewaffnung halte ich für äußerst problematisch. Die Grenzziehung, wo eine passive Bewaffnung beginnt und wo sie noch nicht gegeben ist, ist in einleuchtender Weise kaum möglich.
Herr Abgeordneter Pensky, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Olderog?
Wenn das auf meine Redezeit nicht angerechnet wird.
Doch, das wird angerechnet.
Das wird angerechnet, dann muß ich leider darauf verzichten.
Ein Verbot der passiven Bewaffnung kann im übrigen ebenfalls nach geltendem Recht durch Auflage erfolgen, wie das in Bonn geschehen ist; das habe ich gerade zitiert. Das kann gegebenenfalls auch durchgesetzt werden. Was soll also — frage ich — die zusätzliche Änderung des Versammlungsrechts? Wollen wir nur unser Gewissen beruhigen oder wollen wir tatsächlich etwas ändern?
Ich muß zum Schluß kommen — der Präsident mahnt mich bereits —, obwohl es notwendig wäre, die Problematik auch hier noch etwas mehr zu vertiefen. Das werden wir im Ausschuß noch tun können.
Aber ich darf Sie doch noch auf die beachtenswerte Ausarbeitung der Gewerkschaft der Polizei hinweisen, die ja auch Ihnen zu dieser Thematik zugeleitet worden ist. Ich glaube, dieser Hinweis ist notwendig. Ich hätte daraus gern noch einiges zitiert. Sie wissen, daß dieses Werk von Polizeipraktikern verfaßt worden ist. Sicherlich gibt es keine volle Übereinstimmung. Das ist in einer so großen Organisation auch nicht möglich. Ich werde mit den Praktikern, die in erster Linie Wert darauf legen müssen, ein praktikables Gesetz zu haben, auf jeden Fall das Gespräch fortführen, den Kontakt aufrechterhalten. Ich halte das für notwendig. Ich empfehle Ihnen, das auch zu tun.
Ich denke, daß wir am Schluß der Diskussion in den Ausschüssen zu Ergebnissen kommen, die wir alle tragen können. Ich stimme der Überweisung an die Ausschüsse, wie vorgeschlagen, zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Opposition findet sicherlich in weiten Teilen der Öffentlichkeit Zustimmung, aber bei der überwiegenden Mehrheit der Praktiker nicht.
— Herr Kollege, hören Sie erst einmal zu. Dann werden wir uns über die Einzelheiten unterhalten können.In den sechs oder sieben Debatten, die diesem Thema bisher in Bundestag und Bundesrat gewidmet worden sind, ist kaum etwas Neues zutage gefördert worden. Man kann auf die Debatte im Bundesrat am 9. Oktober 1981 — einen Tag vor der großen Demonstration — und auf das verweisen, was dort der Bundesjustizminister und der Kollege Schnoor, Innenminister von Nordrhein-Westfalen, gesagt haben. Ich fand, einen Tag vor dem ja ungewissen Ausgang dieser außerordentlich großen Demonstration mit großem Mut; denn sie haben darauf hingewiesen, daß wir mit dem geltenden Demonstrationsrecht in der Tat auskämen.Es ist richtig: Man muß nicht nur das Richtige wollen, man muß auch bereit sein, das Richtige zu tun.
Wir wollen keine private Gewalt. Sie kann nicht geduldet werden. Eine Demonstration kann kein schleichender Übergang sein, um demonstrativ Landfriedensbruch ausüben zu wollen. Private Gewalt bleibt kriminell, auch wenn sie öffentlich ausgeübt wird.Wir wollen auch keine maskierten Demonstranten. Sie verdienen keinerlei Sympathie. Wer — so sagte der Bundesjustizminister — die Grundfreihei-
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Dr. Hirschten der Verfassung verwirklichen will, muß und kann das öffentlich tun. Wer seine Meinung anonym äußert, offenbart zumindest eine beachtlichen Mangel an Zivilcourage.Wer sich vermummt, wer Mummenschanz treibt, ist in aller Regel ein Narr; aber es muß nicht ein Krimineller sein. Man muß sich fragen: Warum maskieren sich denn eigentlich die Leute, dieser Teil der Demonstranten? Einmal, weil sie Aufsehen erregen wollen, was sie mit ihrer eigenen Schönheit nie erreichen würden, zum anderen, weil sie provozieren wollen. Wie man sieht, tun sie das mit Erfolg. Ein erheblicher Teil maskiert sich drittens deswegen, weil er Angst hat, in den Computer zu kommen, wie es so schön heißt. Ich glaube, daß man diese Angst nicht dadurch verringert — auch wenn man sie für unberechtigt hält —, daß man das Maskieren unter Strafe stellt.Alles das ist nicht kriminell. Es mag die Hemmschwelle herabsetzen und die Versuchung verstärken, unter bestimmten Umständen eine strafbare Handlung zu begehen; das ist richtig. Aber gerade darum besteht ja die Möglichkeit — darauf hat Herr Pensky hingewiesen —, das Maskieren durch eine Auflage zu verbieten. Die Verwaltungsgerichte — das zeigt die Erfahrung hier in Nordrhein-Westfalen — setzen solchen Verboten im Gegensatz zur Begründung Ihres Gesetzentwurfs in der Tat kein Hemmnis entgegen. Es ist ein Verbot, das bei demjenigen, der dagegen verstößt, mit einer Geldstrafe bis zu 1 000 DM geahndet werden kann.Ich habe den Eindruck, daß die ständige Forderung, ein Vermummungsverbot einzuführen, diesen schlichten Tatbestand hat vergessen lassen. Ich war überrascht, daß der Innensenator von Berlin die Meinung vertreten hat, daß das Vermummungsverbot nur den Veranstalter einer Demonstration treffe, was ja falsch ist. Nun wundert es mich nicht, daß er bei der Demonstration in Berlin, die verschiedentlich erwähnt wurde, durch Auflage weder die, wie Sie es nennen, passive Bewaffnung noch die Vermummung, also das Maskieren, verboten hat, was er hätte tun können. Er hat es nicht getan.
Ich nehme an, daß er das nicht getan hat, weil ihm entweder diese Möglichkeit nicht bewußt war oder weil er — und darin hätte er Recht — darin keinen Vorteil sah.Übrigens sind in Berlin, wie Sie in Ihrer Begründung vorgetragen haben nicht nur elf Haftbefehle ausgestellt worden. Es sind aber 130 Personen festgenommen worden, zum Teil vor Beginn der Demonstration. Nur 17 davon sind dem Haftrichter vorgeführt worden.Das entscheidende Argument hat Herr Pensky hier vorgetragen, nämlich daß es von entscheidender Bedeutung ist, daß die Polizei entscheiden kann, wann sie die Vermummung oder das Maskieren verbieten will und wann nicht. Wenn Sie es zu einem regulären Straftatbestand machen, führen Sie die Polizei in eine schlimme Lage. Entweder muß sie dann tatenlos zusehen, wie ein gesetzliches Verbot, dasSie mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe belegen wollen, übertreten wird, oder sie muß in einer Versammlung, die ohne Gewalttaten verläuft, hineingehen, um Maskierte herauszuholen. Wir haben das vernünftigerweise nie getan, weil das dazu führt, daß sich die Demonstranten miteinander solidarisieren. Das führt zwangsläufig dazu, daß entweder gegen das Legalitätsprinzip verstoßen werden muß oder daß gewaltfreie Demonstrationen eskalieren. Ich kann das nicht verstehen. Ich halte das für einen schlimmen Rat und für einen falschen Weg, den Sie vorschlagen.
Etwas Ähnliches kann man zum Bereich der passiven Bewaffnung sagen. Sie wissen, daß das Mitführen von waffenähnlichen Gegenständen, also von Gegenständen, mit denen man andere verletzen kann, nach geltendem Versammlungsrecht mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht wird. Das Problem der passiven Bewaffnung liegt, wie sich aus Ihrer eigenen Begründung ergibt, natürlich in der Abgrenzung, wenn beispielsweise auch „Körperpolster" zur passiven Bewaffnung gerechnet werden. Was ist, wenn jemand einen dick wattierten Mantel anhat? Ist das eine passive Bewaffnung? Macht er sich strafbar? Was soll das? Das führt nicht weiter.Der dritte Punkt, den Sie hervorheben, ist die Rückkehr zum alten Tatbestand des Landfriedensbruchs, also die Strafbarkeit eines jeden, der sich nicht aus einer Menschenmenge entfernt, aus der heraus Gewalt ausgeübt wird. Neben vielen rechtlichen Problemen und Beweisproblemen, die die Formulierung Ihres Vorschlags aufwirft, worauf der Deutsche Richterbund hingewiesen hat, muß man einen praktischen Gesichtspunkt besonders hervorheben. Der Anlaß zur Reform von 1970 war u. a., daß gegen Polizeibeamte ein Verfahren wegen Strafvereitelung eingeleitet wurde, weil sie nicht alle Teilnehmer einer solchen Menschenmenge festgenommen hatten, sondern weil sie sich auf diejenigen beschränkten, die Gewalt ausgeübt oder dazu angeheizt hatten. Das ist das eigentliche kriminelle Unrecht, was auch nach der Reform von 1970 strafbar geblieben war. Nach geltendem Recht machen sich diejenigen, die Gewalt ausüben oder decken, strafbar. Auch diejenigen, die Schutz gewähren, sind strafbar. Da habe ich Ihre Ausführungen nicht verstanden, Herr Kollege. Es geht also gar nicht anders, als eine solche Auswahl zu treffen, wenn man nicht aus einer großen Menschenmenge entweder wahllos Leute herausgreifen und festnehmen oder die gesamte Menschenmenge — wie groß auch immer sie sein mag — ausnahmslos festnehmen wollte. Da frage ich Sie, wie Sie das machen wollen, nicht bei 500, bei 1 000, bei 5 000, bei 10 000 Demonstranten. Fangen Sie dann an, wahllos herauszugreifen, oder wie wollen Sie dann eigentlich verfahren?Nun sollte man meinen, daß die Abschaffung des alten Tatbestandes des Landesfriedensbruchs, den Sie beklagen, die Wirkung gehabt hätte, daß es seit damals, seit 1970, zu einer dramatischen Zunahme des Landfriedensbruchs gekommen wäre und daß die Zahl der wegen Landfriedensbruchs Verurteilten ebenso dramatisch abgenommen hätte. Das Gegen-
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Dr. Hirschteil ist der Fall. Sie haben eine Zahl von 1970 genannt; Sie müssen ein oder zwei Jahre weiter zurückgehen. Im Jahre 1969 hatten wir in der Bundesrepublik 2 253 Demonstrationen; davon sind 813 gewaltsam verlaufen. Im Jahre 1980 hatten wir 4 471 Demonstrationen; davon verliefen 143 gewaltsam. Das heißt: Genau das Gegenteil der von Ihnen dargestellten Entwicklung ist eingetreten. Vor 1970 verlief fast jede dritte Demonstration gewaltsam. Im vergangenen Jahr ist der Anteil der allerdings heftigen Gewaltausübungen, die nicht während, sondern im Anschluß an Demonstrationen vorgenommen wurden, auf 3% der Zahl der Demonstrationen zurückgegangen, während die Zahl der wegen einfachen und schweren Landfriedensbruchs Verurteilten keinesfalls in derselben Weise zurückgegangen ist.Daraus muß man folgende Schlüsse ziehen.Erstens: Man soll keine Gesetze machen, die eine Situation nicht verbessern, sondern deren Durchsetzung mehr Probleme schafft, als sie zu lösen in der Lage sind.
Zweitens: Wir müssen prüfen, ob und wie in den Verfahren, die nach geltendem Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrecht anhängig gemacht werden können, die Fristen zur Durchführung dieser Verfahren verkürzt werden könnten, und wir sollten einmal gemeinsam empirisch feststellen, warum von den geltenden Strafmöglichkeiten — sowohl nach Ordnungswidrigkeitenrecht wie nach allgemeinem Strafrecht — in der Tat sehr wenig Gebrauch gemacht worden ist; ich sage: einfach aus Gründen der praktischen Vernunft.Drittens: Wir müssen begreifen, daß die Ursachen großer und gewaltsamer Demonstrationen soziale Spannungen und ungelöste politische Probleme sind, die man weder mit dem Strafrecht noch mit der Polizei lösen kann. Ich denke, daß Veranstalter von Demonstrationen ebenso wie Demonstranten in zunehmendem Maße begreifen, daß sie durch die Ausübung von Gewalt ihren eigenen politischen Zielen schaden und sie diskreditieren. Ich meine, daß gerade die Veranstalter von Demonstrationen eine hohe Verantwortung haben, sich im Interesse ihrer eigenen politischen Motivationen im Vorfeld von Demonstrationen von denjenigen sichtbar zu trennen, die damit umgehen, die Ausübung eines Grundrechts mißbrauchen zu wollen.Aber wir selber haben auch eine Verpflichtung. Wir wollen der Gewalt nicht nachgeben, aber wir werden sehr sorgfältig prüfen und weiter prüfen müssen, ob wir auch politisch alles überzeugend getan haben, um die Ursachen solcher Demonstrationen politisch zu lösen. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines darf meines Erachtens nicht entstehen, nämlich der Eindruck, als gäbe es hier eine Opposition, die entschieden gegen Gewalt und Vermummung und passive Bewaffnung sei, und eine Regierung und eine Koalition, der das gleichgültig sei. Uns ist das nicht gleichgültig, meine Damen und Herren.
Wir sind ebenso entschieden gegen Gewalt in unserem Lande.
Wir sind uns in diesem Hause einig, daß die im Grundgesetz gewährleistete Versammlungsfreiheit zu den grundrechtlichen Verbürgungen gehört, die die Freiheit der Willensbildung der Bürger sichern. Und wir sind uns doch wohl auch einig darüber, daß sich dieses Recht auf Mitwirkung an der Meinungsbildung nicht nur in Wahlen äußert, sondern auch zwischen den Wahlen, ferner, daß das Versammlungsrecht, die Versammlungsfreiheit konstituierend für diese Demokratie ist und daß sie nicht abgewertet werden darf.
Wir sind uns auch sicher alle in diesem Hause einig, daß wir Mißbrauch dieses Rechts — in der Verfassung steht „friedlich versammeln" — im Interesse der freiheitlichen Grundordnung, die wir alle verteidigen, nicht dulden wollen.
Worüber wir streiten, ist: welche Mittel müssen denn eingesetzt werden, um den Mißbrauch zu verhindern? Da sagen wir ganz deutlich: wir sind der Meinung, daß wir ein durchaus taugliches, wirksames Instrumentarium haben. Wir halten die Vorschläge der Union nicht für tauglich. Wir halten sie für ungeeignet, die Probleme in unseren Städten zu lösen, meine Damen und Herren von der Opposition. Ich habe sogar die Befürchtung, daß Sie mit Ihren Vorschlägen, wenn sie durchgesetzt würden, die Spannungen noch vergrößern und nicht abbauen.
Es ist richtig, die Innenminister und -senatoren von Bund und Ländern sehen mit Sorge die zunehmende Bereitschaft zur aggressiven Militanz in unserem Lande. Sicherlich: das wird von niemandem verschwiegen. Wir sehen auch die dahinter erkennbare Entfremdung von Gruppen zu Staat und Gesellschaft. Wir sehen auch die politischen Ursachen, auf die Herr Hirsch hingewiesen hat.Wir können es auch nicht dulden, daß Polizeibeamte, deren Aufgabe es ist, die Ausübung des Grundrechtes zu schützen — sie schützen ja die Versammlungsteilnehmer, sie wollen ihnen das Grundrecht ermöglichen, und sie müssen die Bürger vor Ausschreitungen schützen —, gewalttätig angegriffen werden. Die Bundesregierung hat Anlaß, der deutschen Polizei zu danken. Ihr Verhalten bei der letz-
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Bundesminister Baumten großen Demonstration hier in Bonn war beispielhaft.
Ich muß hinzufügen: entscheidend war wohl auch hier in Bonn — und dazu gehört j a einiger Mut auch von seiten der Verantwortlichen —, daß die Polizei eben unbewaffnet sehr vielen Demonstrationsteilnehmern gegenübergetreten ist.Der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, mein Kollege Schnoor, hat hier in Bonn mit der nordrhein-westfälischen Polizei bewiesen, daß man mit dem geltenden Demonstrationsrecht den friedlichen Verlauf auch großer Demonstrationen gewährleisten kann, wenn man klug und besonnen damit umgeht.
— Nehmen Sie doch auch einmal die positiven Beispiele! Wir wollen doch ermutigen und nicht nur immer schwarz in schwarz malen.
Bonn hat gezeigt, daß es unrichtig ist, Demonstration und Gewalt immer mehr oder minder automatisch gleichzusetzen. Gewiß, es gibt viele Fälle, wo wir das tun müssen. Es liegt in der Tat eine Gefahr darin, daß im Bewußtsein von Teilen unserer Bevölkerung das Demonstrationsrecht abgewertet wird, weil es viele Demonstrationen gibt, in denen Minderheiten Gewalt anwenden und Gewalt ausüben.Zur Diskreditierung des Demonstrationsrechts trägt auch eine in vielen Fällen zu kritisierende Berichterstattung in den Medien bei.
Da wird nur auf die Krawalle hingewiesen. Es wird gar nicht mehr auf den Inhalt dessen eingegangen, was die Leute, die auf der Straße für ihre politischen Ziele demonstrieren, eigentlich politisch wollen.
So ist es dazu gekommen, daß im Vorfeld der Bonner Demonstration mindestens ebensoviel über ihren möglichen Ablauf wie über ihre politische Aussage diskutiert wurde — von uns allen, auch von seiten der Koalition. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Situation, daß in der letzten Zeit das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit von allen politischen Seiten immer wieder öffentlich bestätigt werden mußte, obwohl dies doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist.
Herr Kollege Schmude hat im Bundesrat zu Recht darauf hingewiesen, daß in unserem Land die Neigung groß ist, auf Fehlentwicklungen mit Symbolhandlungen zu antworten. Dazu gehört in Deutschland immer sehr leicht auch der Ruf nach Verschärfung des Strafrechts. Ich meine, und ich stimme Herrn Kollegen Schmude hier ausdrücklich zu: Wir dürfen nicht symbolhaft handeln, wir dürfen uns nicht ein Alibi verschaffen, sondern wir müssen wirksam handeln. Und Ihre Vorschläge sind eben nicht wirksam.
Sie wollen mit der Verschärfung des Demonstrationsrechts ein Zeichen setzen. Sie wollen einen neuen Tatbestand des Landfriedensbruchs einführen. Die geltenden Straftatbestände des Landfriedensbruchs bedrohen — das wissen Sie — diejenigen mit Strafe, die sich an Gewalttätigkeiten oder Bedrohung von Menschen mit Gewalttätigkeiten aus einer Menschenmenge als Täter oder Teilnehmer beteiligen.
Jedes Einwirken auf die Menge mit dem Ziel, das geeignet ist, die Gewalt zu fördern, wird davon schon erfaßt.
Es ist richtig, daß friedliche Demonstrationsteilnehmer, ohne es zu wollen, mitunter einen Schutzschild für die militanten Demonstranten bilden. Das ist sicher richtig.
Der Vorschlag der Opposition würde aber darauf hinauslaufen, daß man bewußt in Kauf nehmen würde, friedliche Bürger nur deshalb einer Strafandrohung zu unterwerfen, damit die Beweisnot in bezug auf wirkliche Gewalttäter beseitigt wird.
Ich kann dem nicht zustimmen.Herr Kollege Schnoor hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Polizei nicht überall zum gleichen Zeitpunkt sein kann. Die Störer werden immer versuchen, gerade dort, wo keine Polizei ist, zu handeln. Sie werden dabei von Versammlungsteilnehmern abgeschirmt, die an diesen Störungen nicht teilnehmen und gar nicht teilnehmen wollen.Aber mit der Gesetzesänderung, die Sie vorschlagen, werden Sie an dieser Situation überhaupt nichts ändern. Im Gegenteil — ich sage es noch einmal —: Der Vorschlag provoziert geradezu eine Solidarisierung mit den Störern, statt deren Isolierung zu erreichen. Und die Isolierung der Störer, das ist unsere Aufgabe.
— Durch Politik; nicht allein durch Polizei und Justiz!
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Das Demonstrationsgrundrecht soll nach Ihren Vorstellungen obsolet werden, sobald andere Teilnehmer diese Grundrechtsausübung mißbrauchen. Das wäre ein gefährlicher Gedanke. Nicht nur die Gerichte, sondern auch die Polizei wären mit einer solchen Vorschrift überfordert. Nach Ihren Vorstellungen, meine Damen und Herren von der Opposition, soll die Polizei alle Teilnehmer einer Großdemonstration, die sich nach polizeilicher Aufforderung nicht schnell genug entfernen, vorläufig festnehmen. Stellen Sie sich diese Situation jetzt einmal im Licht der Bonner Demonstration oder im Licht anderer Großdemonstrationen, etwa in Brokdorf, vor!
Schon das geltende Recht ermöglicht die Strafverfolgung dann, wenn ein Teilnehmer an einer Demonstration erkennt, daß er durch sein Verhalten Gewalttätigkeiten fördert. Und dabei sollte es bleiben. Wir müssen doch erreichen — das wäre der Idealzustand, und dafür gibt es Ansätze —, daß friedliche Demonstrationsteilnehmer, Demokraten wie wir, sich nicht in besonderen Spannungssituationen mit den Gewalttätern solidarisieren, sondern dazu beitragen, daß die Gewalttäter isoliert werden. Dafür hat es in Brokdorf Zeichen gegeben. Da hat es eine Situation gegeben, wo sich zwischen gewalttätige Demonstranten, die mit Molotow-Cocktails gedroht und geworfen haben, und die Polizei friedliche Demonstranten, Demokraten gestellt und gesetzt und einen Schutzschild für die Polizei gebildet haben. Das ist doch eigentlich das Ziel, nicht aber die Solidarisierung, die Sie mit Vorschlägen, die nicht genau durchdacht sind, möglicherweise bewirken.
Der Haupteinwand — das ist hier schon gesagt worden — gegen das Verbot der passiven Bewaffnung ist, daß eine praktikable Grenzziehung nicht möglich ist. Es besteht sicher kein Anlaß, daß sich Versammlungsteilnehmer mit Helmen, Gasmasken und ähnlichem ausrüsten. Ich muß hier erwähnen, was Kollege Hirsch, als er noch Innenminister Nordrhein-Westfalens gewesen ist, bei einer sehr gefährlichen Demonstration in Kalkar geleistet hat. Dort ist es gelungen, im Vorfeld den gewalttätigen Demonstranten diese Waffen abzunehmen, und die Veranstaltung, die emotional sehr aufgeheizt war, im wesentlichen friedlich verlaufen zu lassen. Das war ein Verdienst des besonnenen Verhaltens des Kollegen Hirsch. Es ging mit dem geltenden Recht.
Das geltende Versammlungsrecht bietet ausreichend Möglichkeiten — sagt die Gewerkschaft der Polizei, und ich stimme ihr zu —, präventiv und repressiv gegen Personen vorzugehen, die Waffen oderwaffengleiche gefährliche Gegenstände in eine Versammlung oder in eine Demonstration einbringen.Drittens noch zum Vermummungsverbot. Auch hier darf es keine Mißverständnisse zwischen uns geben, meine Damen und Herren von der Opposition. Auch ich bin der Meinung, auch die Bundesregierung ist der Meinung, freie Bürger in einem freien Staat sollten offen für ihre Sache werben, sie sollten ihr Gesicht zeigen. Nur so sind sie glaubwürdig. Aber auch ich sehe natürlich die Gründe, die Ursachen, denen wir nachgehen müssen, die einige veranlassen, sich zu vermummen, ohne daß sie bereit wären, Gewalttätigkeiten zu begehen. Diesen Gründen müssen wir auch nachgehen, ohne daß wir unsere Grundposition in Frage stellen. Ich sage es Ihnen noch einmal: Freie Bürger müssen ihr Gesicht zeigen, sollten ihr Gesicht zeigen, wenn sie in einem freien Staate demonstrieren.
Schon nach dem geltenden Gesetz können Auflagen gemacht werden, die die Vermummung verbieten. Das ist hier gesagt worden. Ich bin auch der Meinung: die Einzelfallentscheidungen sind einer generellen Regelung vorzuziehen. Wenn ein gesetzlicher Tatbestand besteht, wie Sie das wollen, meine Damen und Herren von der Opposition, muß die Polizei nach dem Legalitätsprinzip stets einschreiten. Wir sind jedoch der Meinung, daß sie die Freiheit behalten muß, zu entscheiden, wann und ob sie einschreiten will.
Sie wird es nämlich dann nicht tun, wenn die Versammlung friedlich verläuft, sie wird doch keine zusätzliche Spannung in eine große Menschenmenge bringen wollen, nur weil sie dazu vom Gesetz gezwungen ist.
Ein generelles Verbot wäre nicht nur rechtlich fragwürdig, sondern auch unter polizeilichen Gesichtspunkten schädlich. Es gibt erhebliche Abgrenzungsund Definitionsschwierigkeiten, nicht nur bei dem Beispiel mit dem Schal im Sommer, Herr Kollege Bohl. Die Frage ist nicht so leicht und einfach zu beantworten, wie Sie das hier getan haben.
Gerade die Fürsorgepflicht für die Polizei, die Sie von der Opposition gerne in Anspruch nehmen, muß Sie veranlassen, die Polizei nicht in unnötige Konfrontationen zu bringen. Darauf müssen Sie auch achten.Es gehört zur freiheitlichen Substanz unserer Demokratie, das friedliche Engagement unserer Bürger zu achten — darin sind wir uns sicher alle einig —, z. B. das friedliche Engagement einer Viertelmillion Bürger für den Frieden auch dann ernst zu nehmen, wenn Kommunisten mitmarschieren oder mitorganisieren. Das Engagement wird politisch nicht unbeachtlich durch die Teilnahme von Men-
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Bundesminister Baumschen, denen es nur um die Interessen der anderen Seite geht — und solche hat es hier in Bonn gegeben —, so wie einige hundert Chaoten bei anderen Demonstrationen, etwa in Berlin, nicht die politische Bedeutung der politischen Meinungsbildung von 10 000 friedlichen Demonstranten auslöschen können.
Wir sollten nicht dazu übergehen, jedes Fehlverhalten von Chaoten den friedlichen Demonstranten zuzurechnen.
Ich halte nichts von der Grundhaltung, sich vor allem mit denjenigen zu beschäftigen, die randalieren oder Extremisten sind. Mit denen müssen wir uns auch beschäftigen, aber eben nicht nur. Wir dürfen das Anliegen der friedlichen Teilnehmer nicht verdrängen. Diese Tendenz, daß Sie sich mehr mit den Randalierern beschäftigen, meine ich, liegt auch Ihren gesetzlichen Vorschlägen zugrunde, aber sie liegt auch den Volksfronteinschätzungen zugrunde, die von Herrn Kohl zunächst vorgenommen worden sind.
— Zunächst vorgenommen worden sind, Herr Kollege Klein.
Herr Bundesminister, gestatten Sie — —
Sofort, ich will den Satz zu Ende führen.
Bitte sehr.
Ich halte auch nichts — ich sage das ganz unpolemisch — von dem unpassenden Wort von Franz Josef Strauß, die Friedenskundgebung in Bonn sei organisiert gewesen wie ein umgekehrter Reichsparteitag. Dies trägt zum inneren Frieden in unserem Lande nicht bei.
Herr Abgeordneter Klein, bitte.
Herr Bundesminister, wie beurteilen Sie das Wort des Bundeskanzlers, der am Tage vor der Demonstration in Bonn von „zwielichtigen Gestalten" sprach?
Herr Kollege Klein, der Bundeskanzler hat hier in diesem Raum, wie ich meine, eine große Rede für diese Demokratie gehalten.
Er hat dieses Wort in einen Zusammenhang gestellt, der jede Zweideutigkeit ausschließt.
Herr Abgeordneter Dr. Olderog, wenn Sie eine Frage stellen wollen, bitte ans Mikrophon!
Meine Damen und Herren, es gibt eben keine Alternative zur Verständigung, zum Zuhören, zum Auf einanderzugehen und zum Miteinanderreden in diesem Staat; sonst kann es keinen Frieden im Innern geben. Vielleicht ist es auch besser, eben mehr miteinander zu reden als ständig übereinander, über die junge Generation, über die Notwendigkeit des Dialogs usw.
Es gehört eben auch dazu — ich sage das auch an unsere eigene Adresse —, daß wir uns inhaltlich mit dem auseinandersetzen, was diese jungen Menschen meinen und wofür sie demonstrieren. Das haben wir ja auch hier in diesem Hause getan. Inhaltlich haben z. B. diese Menschen hier in Bonn zum Ausdruck gebracht, was wir selbst empfinden, was— so nehme ich an — wir alle empfinden: wie unerträglich es ist, daß die ins Unermeßliche steigenden Rüstungsausgaben die Kriegsgefahr nicht mindern, sondern erhöhen, wie unerträglich es ist, daß der Rüstungswettlauf vor allem die Fähigkeit der Völker verringert, die großen Probleme der friedlichen Entwicklung zu lösen. Ich meine, wir brauchen überall— national wie international — Schritte zu mehr gegenseitigem Verständnis, zum Abbau von Mißtrauen, also zur Vertrauensbildung.Dieser 10. Oktober 1981 in Bonn — das war j a die letzte große Demonstration in diesem Lande, und deshalb muß man auf sie eingehen —,
diese Demonstration in Bonn war — man mag zu den Wegen zur Abrüstung stehen, wie man will; hier hat die Koalition eine klare Position, die der Bundeskanzler in der eben erwähnten Rede hier vertreten hat —
kein Tag des Kleinmuts, weder auf seiten der Demonstranten noch auf seiten der Polizei.
Meine Damen und Herren, da passen kleinmütige Vorschläge zur Einschränkung des Demonstrationsrechts nicht.
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Bundesminister BaumDamit die Republik stabil bleibt, muß sie sich auch immer wieder fragen, was verbessert werden kann, was verändert werden muß, um die Zukunft zu sichern. Deshalb ist es lebenserhaltend für jede demokratische Ordnung, andere Lebensformen gelten zu lassen, tolerant zu sein auch gegenüber anderen Meinungen und Strömungen.
Die Bereitschaft zur Toleranz gegenüber anderen Lebensformen, zur Konfliktlösung in gewaltfreier Auseinandersetzung ist zugleich das Wesen jeder Friedenspolitik überhaupt, nach innen wie nach außen. Meine Damen und Herren, diese Bereitschaft gilt es vorzuleben, auch im Innern, auch bei einem solchen Thema, wie wir es heute besprechen, im Umgang mit Bürgern, die anders denken und die für andere Meinungen demonstrieren und die wir dabei nicht einschränken dürfen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dregger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Stellungnahmen meiner verehrten Vorredner Pensky, Hirsch und Bundesinnenminister Baum waren zwar nicht überraschend, aber doch enttäuschend. Sie haben wiederum den Eindruck erweckt, daß die Koalition fest entschlossen ist, an ihren Irrtümern und Fehlern trotz aller gemachten Erfahrungen festzuhalten.
Meine Damen und Herren, ich räume gern ein, daß es auch bei dem von uns vorgeschlagenen Demonstrationsstrafrecht Anwendungsschwierigkeiten geben wird. Das ist aber keine Besonderheit. Das gilt insbesondere für das jetzt geltende Demonstrationsstrafrecht, das nahezu unanwendbar ist,
so daß die diesbezüglichen Einwendungen, die hier gemacht worden sind, in keiner Weise treffen.Ich räume auch nicht nur ein, sondern fordere, daß auch die Mißstände beseitigt werden, die zwar keine Rechtfertigung, aber Veranlassung für gewalttätige Demonstrationen sind. Meine Damen und Herren, es ist ein Skandal, daß Wohnungen in dieser Zahl leerstehen, aber dafür sind doch Sie verantwortlich!
Warum ändern Sie das Mieterschutzrecht nicht dahin gehend, daß z. B. die leerstehenden Wohnungen der Gewerkschaften in Berlin, der Neuen Heimat, auf Zeit vermietet werden können bis sie tatsächlich für die bauliche Sanierung in Anspruch genommen werden müssen? Daß das nicht möglich ist, ist ein Skandal, für den Sie verantwortlich sind. In der Tat, diese Mißstände müssen beseitigt werden!
Es ist auch sicherlich nicht möglich, allein mit den Mitteln der Polizei und der Justiz Entwicklungen aufzuhalten, die man als Verfall des Rechtsbewußtseins und der demokratischen Gesinnung in einem Teil unserer Gesellschaft bezeichnen muß. Das ist eine Aufgabe der geistigen und politischen Führung in unserem Lande, die von Ihnen nicht wirksam und angemessen wahrgenommen worden ist.Ich räume schließlich ein: Unser Vorschlag ist kein Patentrezept. Er ist aber ein möglicher und daher auch notwendiger Beitrag der Gesetzgebung, es der Justiz und der Polizei zu ermöglichen, ihren schweren und, wie man bei der Polizei auch sagen muß, gefährlichen Dienst rechtsstaatlich korrekt und zugleich wirksam wahrzunehmen.Meine Damen und Herren, die zu geißelnden Mißstände — z. B. im Wohnungswesen — und die zehnjährige Untätigkeit des Gesetzgebers auf dem Feld des Demonstrationsstrafrechts haben schlimme Folgen.Sie haben zunächst einmal Folgen bei der Polizei, bei der sich Resignation auszubreiten beginnt. Die Polizeibeamten fragen sich: Welche Chance haben wir denn eigentlich, uns, ohne das Kollegen immer wieder aufs schwerste verletzt werden —, gegen Gewalt und Gewalttäter durchzusetzten? Sind wir nur noch hilflose Zielscheiben für Molotowcocktails, für Schlagwerkzeuge, für Eisenkrampen und ähnliches?Gehen wir doch einmal auf den letzten Vorfall in Berlin ein. Herr Kollege Bohl hat die Zahlen genannt: 151 verletzte Polizeibeamte, 70 verletzte Demonstranten und nur 17 Festnahmen. Welche der festgenommenen Täter nun auch überführt und bestraft werden können, ist eine Frage, die sich heute noch nicht beantworten läßt. Es steht aber fest, daß es nur ganz, ganz wenige sein werden. Es bestehen ja doch Beweisschwierigkeiten, auf die der Richterbund hingewiesen hat. Wie wollen Sie denn einen vermummten Täter überführen, wenn Sie auch festgestellt haben, daß er den Stein geworfen hat, der zu einer Verletzung geführt hat? Das ist doch nicht möglich. Wie wollen Sie einen zur Gewalt entschlossenen Täter, der sich mit Sympathisanten und Neugierigen umgeben hat, die ihn schützen, festnehmen und überführen und damit eine Bestrafung ermöglichen?
Die Polizei wird zum Prügelknaben, wenn sie von der Politik, von der Publizistik und vielleicht auch von Teilen der Justiz im Stich gelassen wird. Das ist ein Eindruck, der sich immer mehr verschärft.
Das weiß ich aus vielen Gesprächen mit Polizeibeamten, auch mit der Führung der Gewerkschaft der Polizei, die uns vor einigen Tagen besucht hat.Die zweite schlimme Folge der Untätigkeit, der Mißstände und der Fehlentwicklungen ist die Verunsicherung unserer Mitbürger. Sie fragen sich doch: Was ist das für ein Staat? Kann er uns noch vor Gewalt schützen?
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3398 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1981
Herr Abgeordneter, gestatten Sie ein Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Kollege Pensky.
Herr Abgeordneter Penksy, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dregger, sollte Ihr Hinweis auf das Gespräch mit dem Vorstand der Gewerkschaft der Polizei beinhalten, daß die Gewerkschaft der Polizei Ihrer Konzeption, die hier auf dem Tisch liegt, zugestimmt hat? Es könnte sonst Verwirrung entstehen, wenn wir das nicht aufklären. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dazu etwas sagten.
Herr Kollege Penksy, es gibt mehrere Polizeigewerkschaften. Die Meinungen der Polizeigewerkschaften sind ebenso unterschiedlich, wie die Meinungen hier in diesem Hause unterschiedlich sind. Die Tatsache, daß eine Gewerkschaft der Polizei einen bestimmten gesetzgeberischen Vorschlag nicht unterstützt, ist für uns aber nicht Veranlassung, uns unserer Verantwortung zu entziehen. Wir stehen zu unserer Verantwortung.
Die zweite Folge betrifft die Bürger. Sie fragen sich: Kann der Staat uns noch vor Gewalt schützen oder muß er mit der Gewalt paktieren? Muß er sich vor der Gewalt zurückziehen? Es entstehen doch Millionenschäden. In Berlin waren es Hunderte von demolierten Autos. In Frankfurt sind es immer wieder Geschäfte, deren Fensterscheiben eingeschlagen und die geplündert werden. Sollen die Bürger denn Bürgerwehren dagegen aufstellen? Wollen Sie der Gefahr nicht ins Auge schauen, daß es rechtsextremistische Gegengewalt geben könnte — bei einem Staat, der nach dem Eindruck vieler seine rechtsschützende, friedensbewahrende Funktion nicht mehr vollständig wahrnehmen kann? Meine Damen und Herren, der Staat mischt sich in viel zu viele Dinge ein, die die Bürger sehr viel besser selber regeln könnten. Den Frieden zu schützen — auch im Innern — ist aber die vornehmste Aufgabe des Staates.
Die dritte schlimme Folge dieser Untätigkeit ist der Verfall des Rechtsbewußtseins.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch?
Ja, bitte schön, Herr Kollege Hirsch.
Herr Kollege Dregger, sind Sie denn der Überzeugung, daß Sie das Rechtsbewußtsein der Menschen dadurch stärken, daß Sie sich die Möglichkeit schaffen — und es dann auch tun —, Menschen zu verhaften, denen Sie die Ausübung von Gewalttätigkeiten eben gerade nicht nachweisen können, wie Sie hier ausgeführt haben?
Herr Kollege Hirsch, nach unserem Gesetzentwurf macht man sich der Teilnahme an einer gewalttätigen Demonstration nur dann schuldig, wenn man sich auf die Aufforderung eines Polizeiführers hin, der dazu befugt ist, nicht aus dieser Demonstration entfernt. Ich stimme Ihnen zu, daß unsere Polizeiführung so besonnen ist, daß sie diese Aufforderung nicht schon dann ergehen lassen wird, wenn einige wenige Täter eine Demonstration mißbrauchen, sondern erst dann, wenn ein Zustand erreicht ist, in dem es in der Tat notwendig ist, zur Wahrung des Friedens eine gewalttätig gewordene Demonstration zu beenden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch?
Bitte schön, gern, Herr Kollege.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zuzugeben, daß gerade der Deutsche Richterbund, auf den Sie und Ihre Kollegen sich wiederholt berufen haben, eben dieses Tatbestandsmerkmal in Ihrem Gesetzentwurf, vorherige Aufforderung durch die Polizei, als völlig ungeeignet betrachtet und erklärt hat?
Herr Kollege Hirsch, das ist mir zwar nicht bekannt, aber ich halte es durchaus für möglich. Ich bin selbstverständlich gerne bereit, so wie mit Ihnen auch mit dem Deutschen Richterbund über diese Frage zu diskutieren.Nun aber zum Verlust des Rechtsbewußtseins, nicht nur bei den Demonstranten, sondern auch bei anderen: Vor kurzem haben sich der hessische Innenminister und einige Bürgerinitiativen, die gegen die Erweiterung des Flughafens sind, gegenseitig bestätigt, daß beide Seiten darauf hinwirken wollen, daß Demonstrationen gewaltfrei verlaufen. Das ist gut so, und ich kann das nur begrüßen.
Aber, meine Damen und Herren, sie haben nicht hinzugefügt — vielleicht war es ihnen gar nicht mehr bewußt, oder vielleicht haben sie es nur vergessen —, daß nicht nur das Aufeinandereinprügeln und das Steinewerfen Gewalt ist, sondern bereits das Besetzen fremden Eigentums.
Meine Damen und Herren, „Besetzen" ist kein Begriff des Friedens, sondern des Krieges.
Wer ein Haus besetzt, das ihm nicht gehört, und werein Waldstück besetzt, das ihm nicht gehört, der verübt Gewalt. Ich habe die große Sorge, daß die Untä-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1981 3399
Dr. Dreggertigkeit und die Hinnahme eines Zustandes, von dem man den Eindruck hat, es stehen sich zwei Gewalten gegenüber, auf der einen Seite die Staatsgewalt mit der Polizei und auf der anderen Seite eine andere Gewalt, die miteinander verhandeln, allmählich das Bewußtsein zerstört, daß bereits die Besetzung fremden Eigentums Gewalt ist. Meine Damen und Herren, was hier vorliegt, ist die Fortsetzung einer schlimmen Entwicklung, die damit eingeleitet wurde, daß man glaubte unterscheiden zu können zwischen Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen.Wir alle, wir, die Bürger der Bundesrepublik Deutschland, müssen uns doch darüber klar werden, was wir wollen, wie wir unsere Konflikte, die es immer geben wird, austragen wollen, ob wir sie im Rahmen unserer Verfassung, unserer Rechtsordnung austragen wollen, der freiheitlichsten Verfassung der Welt. Selbstverständlich gehört dazu auch das Recht zur Demonstration.Die große Kundgebung am 10. Oktober hier in Bonn ist friedlich verlaufen. Daher war sie rechtsstaatlich korrekt. Deswegen ist diese Demonstration überhaupt kein Gegenstand dieser Debatte. Damit hat sie überhaupt nichts zu tun.
Wir müssen uns darüber klarwerden, ob wir Konflikte, Meinungsverschiedenheiten, Auseinandersetzungen austragen wollen, friedlich, im Rahmen unserer freiheitlichen Verfassung und der rechtsstaatlichen Ordnung, oder ob wir es auch mit Gewalt wollen, ob wir Gewalt tolerieren wollen, ob wir das zulassen wollen. Die Grenze zwischen beiden Feldern ist im Grunde eindeutig bestimmbar. Wofür wir sorgen müssen, ist, daß diese Grenze nicht verwischt wird.Meine Damen und Herren, ich kann den Eindruck nicht unterdrücken, daß Ihr Verhalten — sicherlich nicht beabsichtigt, natürlich nicht —, Ihre Untätigkeit auf diesem Felde und auch die Hinnahme von schlimmen Mißständen wie in der Wohnungswirtschaft, doch einer Entwicklung Vorschub leistet, die man nur als Verfall des Rechtsbewußtseins und der demokratischen Gesinnung in einem Teil unserer Gesellschaft bezeichnen kann.
Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß dafür nur Sie die Verantwortung tragen, wir nicht. Um das deutlich zu machen, haben wir diesen Gesetzentwurf dem Parlament erneut zur Beratung vorgelegt. Wir werden nichts unterlassen, was dazu beitragen kann — wir sind ganz bescheiden —, der Gewalt zu wehren und den Frieden zu schützen. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie haben uns hier, Herr Kollege Dregger, wie Sie das in solchen Fällen häufig tun, Sachverhalte in Erinnerung gerufen, die uns alle natürlich erregen, die uns mit Ärger erfüllen und zum Teil auch bedrücken. Wir sind uns in der Beurteilung gewalttätiger, gewalttätig verlaufender oder ausufernder Demonstrationen einig. Wir sind uns in der Beurteilung des Auftretens vermummter Demonstranten einig. Wir sind uns in vielem von dem, was Sie hier beklagt haben, in der Bewertung und Beurteilung einig.Aber die Frage ist doch nicht, ob wir in dieser Einschätzung übereinstimmen, sondern ob wir Lösungen wissen, die dazu führen, daß eine Änderung eintritt, daß, wie wir alle es wollen, eine Befriedung eintritt. Da begrüße ich es, daß Sie sagen, Sie seien sich der Anwendungsschwierigkeiten Ihrer Vorschläge bewußt; leider haben Sie das nicht näher ausgeführt. Denn diese Anwendungsschwierigkeiten gehen weiter, als Sie es hier angedeutet haben. Sie werden etwa bei der wichtigen Änderung des § 125 StGB, die Sie vorschlagen, dazu führen, daß man als Polizist, aber auch als Staatsanwalt und Richter aus dem Dilemma gar nicht mehr herauskommt.Wir haben diesen Paragraphen 1970 ja nicht aufs Geratewohl und nicht aus einer momentanen Laune, sondern auf Grund der Erfahrungen der ausklingenden 60er Jahre geändert. Sie ignorieren diese Erfahrungen und konstruieren jetzt eine Strafvorschrift, die an den, den Sie aus dieser Demonstration herausgreifen, ohne daß er selbst gewalttätig gewesen ist, so viele Anforderungen stellt, daß letztlich nur zwei Wege denkbar sind: Der eine würde sein, daß diese Vorschrift nicht angewendet wird. Das bedeutet in der Praxis, daß die Herausgegriffenen gar nicht bestraft werden. Die Vorschrift läuft leer, sie verfehlt ihre Wirkung; sie stärkt nicht das Rechtsbewußtsein, sie schwächt es. Der andere wäre vielleicht noch verhängnisvoller: daß es zu Strafurteilen kommt, die in ihrer Berechtigung zweifelhaft sind und die deshalb der Kristallisationspunkt für berechtigte Empörung, ja vielleicht für neue Demonstrationen sind. Beides können wir doch im Ernst nicht wollen.
Beides — darauf hat Herr Pensky Sie mit Recht hingewiesen — will auch die von Ihnen zitierte Gewerkschaft der Polizei nicht. Diese Gewerkschaft hat nicht das Gefühl, daß wir — das ist immerhin die Gewerkschaft, in der ungefähr 80 % der Polizisten organisiert sind; das zu Ihrer Bemerkung, es gebe j a mehrere — die Polizei im Stich lassen, sondern sie macht deutlich, daß beide Änderungen, die Sie vorschlagen, nichts helfen, ja daß sie die Lage verschlimmern, daß sie der Polizei freien Ermessensspielraum nehmen und letztlich zur Verschärfung führen würden.Ein weiterer Punkt — und damit will ich dann schon schließen —: Sie sagen, die Demonstration vom 10. Oktober 1981 hier in Bonn gehöre nicht hier her; denn sie sei friedlich verlaufen. Ja, können wir es uns in der Tat so einfach machen und dieses eindrucksvolle Geschehen übersehen mit der Feststel-
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Bundesminister Dr. Schmudelung, es ist friedlich verlaufen, wir kümmern uns um anderes?
— Nein, Herr Kollege Lenz, das können wir nicht.
— Sie können ja gleich hier heraufgehen und es darlegen. — Von den Vorrednern ist auf diese Demonstration mit Recht wiederholt hingewiesen worden. Sie ist friedlich verlaufen und hat damit ein Beispiel gesetzt, wie eine Demonstration nicht nur verlaufen, sondern auch wirken kann. Ich hoffe, daß dieses Beispiel auf all diejenigen wirkt, die anderwärts Demonstrationen zu organisieren haben und sich fragen müssen: Wollen wir in dem anschließenden Presseecho nur berichtet haben, zu welchen Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten es kommt, oder soll die Botschaft, die man mit einer Versammlung, einer Demonstration herausbringen will, Gegenstand der Berichterstattung sein? In Bonn war es der Inhalt der Aussagen.Übrigens wird es auch an uns liegen, wie wir den Inhalt dieser Aussagen aufgreifen und auch denjenigen, die als Demonstranten oder Organisatoren für den friedlichen Verlauf gesorgt haben, nachträglich bestätigen: Jawohl, wer so demonstriert, wird ernst genommen, wer so seine freie Meinung kundtut, kann darauf rechnen, daß er gehört wird und Antworten bekommt.
Hier sind wir, meine Damen und Herren, alle gefordert. Auch auf uns wird es ankommen, wie sich das Demonstrationsgeschehen in unserem Land weiter entwickelt. Mit Strafvorschriften, die dann noch unpraktikabel sind, ist nicht zu helfen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Erhard.
— Herr Abgeordneter Wehner, da ein zweites Mitglied der Bundesregierung gesprochen hat, ist damit die Aussprache auch nach der Rede — —
Herr Abgeordneter Erhard, Sie haben das Wort.
Herr Wehner, Sie leisten hier einen Beitrag dazu, daß die Geschäftsordnung, die wir uns alle selber gegeben haben, nicht eingehalten werden soll.
Sie verlangen von uns, auf die Geschäftsordnungsregeln zu verzichten, nur damit sich Ihre Minister von Ihrer Koalition hier produzieren können.
Sie möchten, daß die Opposition möglichst überhaupt nicht mehr den Mund auftut. Wir werden Ihnen diesen Gefallen nicht tun.
— Herr Wehner, wenn Sie laut werden — das habe ich in den 16 Jahren, die ich hier bin, inzwischen gelernt —, dann haben Sie unrecht.
Außerdem verstecken Sie, wenn Sie laut werden, Ihre wirklichen Absichten.
Ich darf zur Sache kommen.
Herr Abgeordneter Erhard, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Aber keine Geschäftsordnungsdiskussion! Zur Sache!
Ich habe eine Zwischenfrage an den Kollegen Erhard. Herr Kollege Erhard, ist Ihnen bewußt, wie die Vereinbarung für den heutigen Vormittag gelautet hat?
Mir ist durchaus bewußt, daß eine Debattenrunde vereinbart war. Wir haben Begründung und Debatte schon von uns aus in einer Wortmeldung zusammengefaßt. Wenn Sie Disziplin zwischen Fraktion und Regierungsbank hätten, hätten die beiden Minister geschwiegen.
Würden Sie mir auch zustimmen, daß zu einer Debattenrunde drei Redner, nämlich ein Redner pro Fraktion, plus ein Minister gehören? Das ist die Übung dieses Hauses.
Herr Abgeordneter Erhard, fahren Sie mit Ihren Ausführungen fort!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stimmen mit dem Justizminister insofern überein, daß es uns allen wohl um die Befriedung in unserem Lande gehen soll und muß, was deutlich geworden ist und von allen Seiten betont wurde. Wir sind auch der Meinung, daß die rund 4 000 Demonstrationen, die im letzten Jahr friedlich verlaufen sind, hervor-
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Erhard
gehoben werden müssen. Aber das heißt nicht, daß wir das, was auf einer großen oder kleinen friedlichen Demonstration zum Ausdruck gebracht worden ist, übernehmen müßten. Die Meinungsbildung, auch durch öffentliche Demonstration, heißt noch lange nicht, daß man sich dem, was dort gefordert wird, auch anschließen muß. Ich habe die große Sorge, hochverehrter Herr Innenminister, wenn Sie sagen, Sie müssen gegen gewalttätige Demonstrationen mit Politik vorgehen, daß Sie damit die Gewalt laufen lassen.
Der Herr Justizminister — Sie, Herr Schmude — sollte eigentlich nicht so tun, als wäre der Landfriedensbruch-Tatbestand unseres Strafgesetzbuchs, bis 1970 in Kraft, wirkungslos oder eskalierend gewesen.
Wir wissen ganz genau, daß in der Zeit, in der in Deutschland Freiheit herrschte, nämlich vor 1933, diese Straftatbestimmungen absolut ausdiskutiert, von der Rechtsprechung geklärt waren und von der Polizei gehandhabt wurden und gehandhabt werden konnten.
1970 haben alle Polizeipräsidenten in der Bundesrepublik Ihre Gesetzesvorschläge als unglücklich angesehen.
Ich bin der Auffassung, Herr Schmude, auch der Justizminister muß Antworten suchen und helfen zu finden, wenn eine Eskalation der Gewalt im Zuge von genehmigten und ungenehmigten Demonstrationen die Zustände herbeiführt, die wir zu beklagen haben und die Herr Dr. Dregger genannt hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, wir wollen zum Ende kommen.
Sie haben keinerlei Lösungen angeboten, und das ist für den Justizminister sehr bedauerlich. Sie sagen, Sie hätten die Hoffnung, daß künftig alles friedlich verläuft. Kann die Rechtsordnung wirklich darauf vertrauen, daß es keine Rechtsbrecher mehr geben wird und daß alles überall friedlich sein wird, nur weil Sie und wir alle das hoffen? Nein, Sie suchen die Zuflucht in der Hoffnung. Herr Baum nennt das Politik, und ich nenne das Untätigkeit. Genau das dürfen wir uns nicht leisten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 9/628 zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Asylverfahren
— Drucksache 9/875 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Redezeit von 90 Minuten vereinbart worden. Dies ist eine Beschränkung der Aussprache und nur dann wirksam, wenn das Plenum diese Beschränkung bestätigt. Ist das Haus mit einer Beschränkung auf 90 Minuten einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Es ist ein Unterschied zwischen einer solchen Runde und einer Runde mit drei Beteiligungen und zwei Ministern, Herr Parlamentarischer Geschäftsführer, und deshalb kann hier beim neuen Beschluß ganz eindeutig verfahren werden.
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Herr Abgeordneter Brandt, wünschen Sie eine Begründung oder eine Begründung mit Aussprache?
— Es wird also eine Begründung mit Aussprache gewünscht. Damit eröffne ich die Aussprache, und Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gegenwärtig reden die Deutschen oder manche Deutsche über das Asyl, als hätten die Deutschen nie eines nötig gehabt.
Das ist eine der bedauerlichen Erkenntnisse, die man in dieser Diskussion zur Kenntnis zu nehmen hat. Ich denke, wir versuchen in diesem Haus gemeinsam, uns dem entgegenzustellen, weil die Befürchtung besteht, daß wir über eine Debatte über Asyl und Asylverfahrensrecht, die in der öffentlichen Diskussion an manchen Stellen weit über die verfahrensrechtlichen Fragen hinausgegangen ist, eine Art von Stellvertreterdiskussion bei uns in der Bundesrepublik führen, in der zwar über Asyl und Asylverfahrensrecht gesprochen wird, aber das ganze Ausländerproblem gemeint ist.
Das kann das Asylrecht oder das Asylverfahrensrecht nicht leisten.
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Brandt
Wir werden sicherlich noch Anlaß haben, uns über die gesamte Ausländerproblematik — wir haben ungefähr 4,6 Millionen bei uns in der Bundesrepublik — zu unterhalten. Da wird es auch grundsätzliche Überlegungen geben müssen. Wir werden uns mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie denn der Kurs in der Ausländerpolitik nun insgesamt aussehen soll. Auch im Zusammenhang mit dieser Frage gibt es j a eine ganze Reihe von Irritationen. Nur, das geht weit über das hinaus, was in dem schmalen Teilbereich Asylrecht und Asylverfahrensrecht zu diskutieren möglich ist.Ich möchte mich auf diesen Teil beschränken; denn wir legen einen Gesetzentwurf vor, der das Verfahrensrecht neu ordnen soll, nachdem wir uns in der Vergangenheit schon mehrfach über diese Fragen unterhalten und auch schon Beschleunigungsnovellen verabschiedet haben.
— Nein, sie waren nicht unwirksam, Herr Kollege; denn wenn man sich anschaut, wie sich die Zahlen der Asylsuchenden entwickelt haben, muß man doch wohl feststellen, daß sie nicht von alleine so gesunken sind, wie das der Fall ist.
— Jetzt einigen Sie sich doch einmal mit sich selber darüber, wie Sie argumentieren wollen. Entweder Sie sagen, es sei unwirksam gewesen, oder Sie sagen, es sei vorübergehend wirksam gewesen. Das ist ja wohl ein Unterschied.Ich möchte nun aber kurz auf das Verfahren eingehen. Wir werden uns über einige Grundfragen klar werden müssen. Ich hoffe wir können das miteinander in Gemeinsamkeit tun. Wenn Sie übrigens glauben, Herr Kollege Bötsch, daß der Entwurf, den der Bundesrat vorgelegt hat, wirksamer sei, sind Sie falsch gewickelt; denn dieser Entwurf wird insgesamt zu Verzögerungen führen, nicht aber zu einer Beschleunigung.
— Wenn Sie das nicht verstehen wollen, werde ich Ihnen das auch gern erklären. Aber ich will einmal am Anfang beginnen.Wir haben einen Art. 16 im Grundgesetz. Es gibt Leute, die meinen, daß dieser Art. 16, in dem ganz knapp steht, politisch Verfolgte genießen Asyl, zur Disposition gestellt werden müsse. Wir teilen diese Auffassung nicht, und ich glaube, in diesem Hause gemeinsam nicht. Das ist zugleich eine gemeinsame Absage an alle Änderungen oder auch Ergänzungen des Art. 16.Wenn wir sagen, das Grundrecht des Art. 16 bleibt ungeschmälert, kann es eigentlich nicht um die materielle Rechtsfrage gehen, die man diskutiert — außer im Einzelfall —, sondern es kann ausschließlich um die Verfahrensfrage gehen. Da sind wir wiederum gemeinsam der Meinung, daß das Verfahren gestrafft werden kann, daß es gestrafft werden muß, daß die Entscheidung, ob eine politische Verfolgung vorliegt oder nicht, schneller getroffen werden muß, und zwar in beider Interesse, im Interesse derjenigen, die den Antrag stellen, wie auch in unserem Interesse. Nur, ein rasches Verfahren ist alles andere als ein kurzer Prozeß. Deshalb achten wir darauf, daß auch im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens die Rechtsgarantien erhalten bleiben.Ich will jetzt nur über das Verwaltungsverfahren sprechen; mein Kollege Rudolf Schöfberger wird sich im Anschluß schwerpunktmäßig mit dem Gerichtsverfahren befassen.Nun kommt also ein Mensch bei uns an, und er hat Grund, seine Heimat zu verlassen. Aber das muß nicht immer ein Grund sein, der mit politischer Verfolgung gleichzusetzen ist. Aber man muß feststellen können ob der, der an der Grenze ankommt, politisch verfolgt wird oder ob er andere — sicherlich auch sehr respektable Gründe hat, seine Heimat zu verlassen und hierher zu kommen. Niemand verläßt seine Heimat ohne Grund, um sich unter Umständen in einem ganz anderen Kulturkreis mit all den damit verbundenen Schwierigkeiten hineinzubegeben. Aber es ist eben nicht immer politische Verfolgung.Dann gab es einige, die meinten, dies müsse man an der Grenze erledigen. Diese Diskussion hatten wir ja auch. Wir teilen diese Auffassung nicht. An der Grenze kann man Menschen abweisen, aber man kann nicht sachgerecht prüfen, ob sie einen Grund haben, hier Schutz vor Verfolgung zu suchen. Der oft gegebene Hinweis, man könne das ja vom Ausland her betreiben, ist etwas zynisch.Wir sagen also: Nein, an der Grenze keine Entscheidung. Wer an die Grenze kommt und Asyl verlangt, wird dort hereingelassen. Wir haben dann die Aufgabe, sehr schnell das Verfahren in Gang zu bringen. Wir verpflichten ihn mit diesem Gesetzentwurf — das ist eigentlich mehr eine Klarstellung als eine Neuheit —, sich sofort bei der Ausländerbehörde zu melden. Wir sagen aber: Die Ausländerbehörde ist nicht die Behörde, die über einen Asylantrag entscheidet. Die Ausländerbehörde nimmt den Antrag entgegen und prüft, ob es sich überhaupt um einen Asylantrag handelt. Sie prüft auch, ob dieser Mann oder diese Frau etwa schon anderweitig Asyl gefunden haben; das kann sie. Nur: Zur Sachprüfung sind die Ausländerbehörden nicht imstande. Dafür gibt es ein Bundesamt, das seit vielen Jahren dafür ausgerüstet ist, das nach seinen Kenntnissen und den Angaben des Antragstellers entscheiden muß, ob hier eine politische Verfolgung vorliegt.Nun muß man die Ausländerbehörden offensichtlich besonders verpflichten, dafür zu sorgen, daß der Antrag unverzüglich weitergeleitet wird. Meine Damen und Herren, wenn man sich dieses Verfahren anschaut, stellt man fest, daß die Problematik gar nicht so sehr in der Frage liegt, ob ich noch diese oder jene Instanz wegnehmen kann — ich füge gleich hinzu: im Verwaltungsverfahren ist überhaupt keine Instanz mehr vorhanden, die man wegnehmen könnte —, sondern das Problem liegt viel eher darin, ob denn die Behörden dafür sorgen, daß
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Brandt
der Antrag, der nun einmal gestellt wurde, auch zügig durch alle Stationen geleitet wird.
Wir haben, Herr Stark, ganz schlicht die Feststellung getroffen, daß es in nicht wenigen Fällen, ja man könnte sagen: in der Regel, zu Leerlaufzeiten von rund zwei Jahren kommt, in denen mit der Akte einfach nichts passiert, wo sie irgendwo aus irgendeinem Grund liegt. Das gilt oft nicht nur für die Ausländerbehörden, sondern das gilt z. B. auch für Zirndorf. Nur ist Zirndorf in der Vergangenheit nicht schuld daran gewesen. Zirndorf entscheidet verhältnismäßig schnell und sachgerecht.Aber es mangelt manchmal an der Möglichkeit, die Entscheidung auch zuzustellen. Bis man eine neue Adresse gefunden hat, vergehen oft Monate. Wir sagen: Der Antragsteller muß entweder einen Zustellungsbevollmächtigten ernennen oder er muß die zuletzt angegebene Adresse gegen sich gelten lassen. Dies als Lösung, um die Leerzeiten zu verringern.
— Daß sonst der Antrag unbeachtlich ist.
— Ich sage Ihnen, welche Rechtsfolgen dies haben kann.
— Wir reden noch über manches, Herr Erhard; seien Sie doch einmal ein bißchen geduldig. Wir reden j a noch über manches.Meine Damen und Herren, wenn es uns gelingt, aus dem Verwaltungsverfahren all das, was noch an Leerzeiten vorhanden ist, herauszunehmen, dann müßte es eigentlich möglich sein, das Verwaltungsverfahren etwa innerhalb eines halben Jahres abzuschließen. Dann bleibt immer noch die Möglichkeit, Klage zu erheben. Aber auch das gerichtliche Verfahren müßte dann in verhältnismäßig kurzer Zeit abgeschlossen werden können. Es muß unser Ziel sein, ein sachgerechtes und rechtssicheres Verfahren unter Ausnutzung aller Beschleunigungsmöglichkeiten, die wir haben, auf ein Jahr zu konzentrieren, jedenfalls zu erreichen, daß es nicht wesentlich über ein Jahr hinausgeht. Das ist möglich.Allerdings müssen dann auch die Länder mit in die Pflicht genommen werden, weil es beispielsweise auch Schwierigkeiten in der Ausstattung der Gerichte gibt. Darüber will ich im einzelnen jetzt nicht sprechen. Das Bundesamt ist, soweit wir erkennen können, gut versorgt.Meine Damen und Herren, alles das, was den Sachverstand des Bundesamtes bei der Anerkennung nicht voll einbezieht, die Entscheidung vorverlagert, ist unseres Erachtens nicht sachgerecht. Das ist deshalb nicht in unserem Entwurf enthalten. Wir wollen die volle Konzentration beim Bundesamt in Zirndorf behalten; wir wollen dafür sorgen, daß dasBundesamt immer zeitnah informiert ist, auch über politische Entwicklungen in der Welt, damit man dort überhaupt eine Chance hat festzustellen, ob eine politische Verfolgung vorliegt oder nicht, so daß auch hier eine schnelle und sachgerechte Entscheidung getroffen werden kann.Wer immer glaubt, man könne das vorverlagern, wird der Sachlage schon deshalb nicht gerecht, weil — nehmen wir die rund 100 000 Personen, die hier im vergangenen Jahr um Asyl nachgesucht haben — wir schlecht beraten sind, wenn wir sagen, es handle sich um Wirtschaftsasylantentum, um Faulenzer. Wir erhalten ja auch Briefe, die Ergebnisse von bestimmten Pressekampagnen sind, und lesen in unseren Arbeitskreisen mit Erschrecken, was dort passiert. Wir müssen dann feststellen, meine Damen und Herren, daß sich unter diesen 100 000 Personen immerhin 13 000 Personen befanden, bei denen festgestellt worden ist, daß sie diesen Antrag zu Recht gestellt haben, daß sie politisch verfolgt sind. Ich glaube, um dieser 13 000 oder 15 000 Personen — seien es auch nur 10 000 oder weniger — willen lohnt es sich, ein solches Verfahren auch beizubehalten und in jedem Einzelfall zu prüfen, ob hier eine politische Verfolgung vorliegt.
Dabei bin ich mir sehr bewußt, daß die Entscheidung manchmal auch für diejenigen, die sie zu treffen haben, nicht einfach ist. Denn wir wissen sehr genau, daß es in der Welt eben leider immer noch guten Grund gibt, woanders Asyl zu suchen, weil immer noch in vielen Teilen dieser Welt gefoltert, geschändet, getötet wird. Die Teile der Welt, in denen man Zuflucht suchen kann, sind eigentlich gar nicht so zahlreich. Deshalb, meine ich, sollten wir unseren Beitrag in der Welt dazu leisten, denen zu helfen, die politisch verfolgt sind, aus eigener Verpflichtung und aus Überzeugung. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fellner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf regelt bei wohlwollender Betrachtung sehr vieles, nur eben nicht das, was derzeit dringlich ist, nämlich die Eindämmung der Asylantenflut. Die Hoffnungen der Öffentlichkeit, insbesondere der Gerichte und der Kommunen, daß die Politik ein Problem anpackt, das ihnen bis zum Halse steht, sind angesichts dieses Entwurfs überhaupt nicht gerechtfertigt. Die SPD/FDP hat es in den vergangenen Tagen verstanden, über die Presse den Eindruck entstehen zu lassen, als habe ihr Entwurf das gleiche Ziel wie der uns seit Monaten vorliegende Bundesratsentwurf, nämlich das Asylverfahren zu beschleunigen und die Asylantenflut einzudämmen.In Wahrheit liegt ein Asylgesetz vor, das viele Bereiche regelt, die zweifellos auch mehr oder minder lösungsbedürftig sind, nur eben nicht das, was derzeit aktuell gelöst werden muß.
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FellnerAngesichts dieses Mangels ist es eigentlich zweitrangig, ob es überhaupt zweckmäßig und notwendig ist, ein eigenes Asylgesetz einzubringen. Natürlich ist es immer besser, eine Materie umfassend und abschließend zu regeln. Dazu bedarf es aber sorgfältiger Beratung. Ich halte es für ungut, daß wir in einer Zeit, in der sich ein Problem dermaßen aufdrängt, versuchen, in einem Gesetzentwurf, der langfristig beraten werden muß, das Problem anzupacken. Wir können es so jedenfalls nicht lösen. Ichmeine, daß die Regierungskoalition damit zwar Aktivität entwickelt, aber nichts in der notwendigen Richtung tut.Notwendig ist die Eindämmung der Asylantenflut. Das schöne Wort, Herr Kollege Brandt, daß unter 100 000 immerhin 13 000 echte Asylanten dabei sind, kennen wir genauso, selbstverständlich. Deshalb reden wir genau von denen, die auf Grund offensichtlicher Umstände schon in einer Vorauswahl ausgesondert werden können, weil sie Asylgründe nicht geltend machen können.
Die Zahl der monatlichen Antragstellungen scheint sich bei zirka 5 000 in der Bundesrepublik einzupendeln. Immer mehr Kommunen sehen sich einfach nicht mehr in der Lage, die Asylbewerber aufzunehmen und unterzubringen. Zur Unterbringung muß bereits auf Hotelbetten zurückgegriffen werden, wofür horrende Summen an Unterbringungskosten von den Kommunen zu leisten sind. Neben der unerträglichen finanziellen Belastung für die Gemeinden birgt das eine immer stärker werdende Gefahr. Auf diese möchte ich hinweisen.Die Bevölkerung bringt für die Behandlung der Asylbewerber und in der Folge für die Ausländer insgesamt kein Verständnis mehr auf. Als Folge davon steigt die Ausländerfeindlichkeit immer mehr. Das ist wohl das letzte, was ein politisch Verfolgter, der bei uns Asyl sucht, verdient hätte. Gerade weil wir das Asylrecht unter allen Umständen gewährleisten wollen und müssen, sind wir verpflichtet, den Zustrom derer einzudämmen, die sich auf dieses Recht nicht berufen können.
Ich meine auch, daß wir gerade wegen der überwältigenden Zahl derer, die aus asylfremden Gründen zu uns kommen, den echten politisch Verfolgten nicht die Behandlung angedeihen lassen können, die wir uns als Wohlstandsstaat leisten könnten, auch wenn wir dazu nicht verpflichtet wären.Wer das Wort vom „Wirtschaftsflüchtling" und „Scheinasylanten" nicht gerne hört, der mag getrost von „Armutsasylanten" sprechen, wie dies kürzlich von kirchlicher Seite getan worden ist. Der mag getrost auch darauf hinweisen, daß kaum einer von denen, die über die deutsche Grenze drängen, seine Heimat aus Übermut und Leichtsinn verlassen hat. Natürlich müssen wir die Armut auf der Welt sehen und wollen auch gern helfen. Aber dazu ist das Asylrecht bestimmt nicht der richtige Weg. Es ist nicht der richtige Weg für humanitäre Hilfe.
Man muß sich fragen, warum wir dann nicht gerade den Ärmsten der Armen helfen, sondern denen, die sich immerhin in der Lage sehen, Schlepperorganisationen zu bezahlen und mit dem Flugzeug nach Deutschland zu kommen. Wirtschaftsasylanten, auch wenn sie aus den ärmsten Verhältnissen kommen, haben bei uns nichts zu suchen. Der Kampf gegen die Armut auf der Welt muß auf anderem Wege geführt werden. Bestimmt ist der bessere Weg der, den jetzt auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit bezüglich der afghanischen Flüchtlinge gewählt hat, nämlich dem Land Pakistan zu helfen, das diese Flüchtlinge aufgenommen hat, und dort durchaus beachtliche, große Beträge einzusetzen, um den Flüchtlingen zu helfen.
Das hat den Vorteil, daß sie in ihrem Kulturkreis bleiben. Wir tun den Flüchtlingen im Endergebnis keinen Gefallen, wenn wir sie bei uns aus sozialen Gründen aufnehmen.
Man muß darauf hinweisen, daß die Möglichkeiten unseres Sozialstaates und ein beispiellos großzügiges Asylrecht nach Überzeugung aller Experten die entscheidenden Gründe dafür sind, daß gerade Deutschland als Ziel der Asylantenströme in Frage kommt. Dies müssen wir sehen, und wir müssen unser Land weniger attraktiv machen, wenn wir das Problem mit einigermaßen Aussicht auf Erfolg anpacken wollen. Es bleibt uns keine andere Wahl, auch wenn in diesem Zusammenhang von verschiedenen Seiten gemahnt wird, wir dürften Asylbewerber nicht als Abschreckungsobjekte für potentiell anklopfende Armutsflüchtlinge mißbrauchen. Es wird niemand mißbraucht. Wenn jemand seine Erwartungen nicht ganz erfüllt sieht, so ist doch ganz eindeutig gewährleistet, was er von unserem Lande erwarten kann, nämlich Schutz vor politischer Verfolgung.Allein die Entscheidung für die sogenannte Realverpflegung hat dort, wo sie praktiziert wurde, viele zur Rückkehr veranlaßt. Wer tatsächlich politisch verfolgt ist und um Leib und Leben fürchten muß, wird sicherlich nicht zurückkehren, wenn er statt des erwarteten Geldes, mit dem man Wohlstandsgüter erwerben kann, nur Hühnchen auf Reis für sich und seine Familie bekommt.
Es kann deshalb keinen anderen Weg für uns geben, als uns selber ein wenig unattraktiver zu machen. Dazu gehört beispielsweise auch das Verbot der Arbeitsaufnahme. Weil es für viele eben schon attraktiv genug ist, mehrere Jahre in Deutschland leben zu können, müssen wir uns für diese Gruppe von Asylanten Wege einfallen lassen, sie schneller in ihre Heimat zurückzuschicken. Der vorliegende Gesetzentwurf bringt in dieser Richtung nahezu überhaupt nichts und ist deshalb nicht tauglich, das Problem zu lösen.Zwar spricht auch dieser Gesetzentwurf von offensichtlich unbegründeten Anträgen. Aber ernst-
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Fellnerhafte Konsequenzen für ein beschleunigtes Verfahren in diesen Fällen sind überhaupt nicht gezogen. Es besteht unter Fachleuten kein Zweifel, und sogar Stimmen aus den Reihen der SPD betonen dies, daß mindestens 60 % aller Fälle in die Rubriken „offensichtlich unbegründet" oder „eindeutig aussichtslos" einzureihen sind. Da liegt es doch auf der Hand, diese Fälle durch eine Vorauswahl gar nicht erst ins allgemeine Asylverfahren gelangen zu lassen. Der diesem Parlament ebenfalls vorliegende Entwurf des Bundesrats geht diesen Weg, der mir als einziger geeignet erscheint, eine Lösung zu bringen.Die Beratung des vorliegenden Entwurfs wird uns nicht davon abhalten, darauf zu drängen, daß die Beratung des Bundesratsentwurfs vorangebracht wird und daß es zu Entscheidungen kommt. Die Öffentlichkeit soll gegebenenfalls wissen, wer bereit war, das Problem anzupacken, und wer sich nur darum herumgedrückt hat.
— Herr Kollege, ich halte auch die verfassungsrechtlichen Bedenken — wir haben das bereits im Innenausschuß diskutiert, und die Bundesregierung hat dazu Stellung genommen, und zwar eindeutig in dem von mir vorgetragenen Sinn —, die gegen den Regelungsvorschlag des Bundesrats für die offensichtlich unbegründeten Fälle geltend gemacht werden, für nicht gerechtfertigt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1981 sagt zum entscheidenden Punkt folgendes:Da es der humanitären Zielsetzung des Asylrechts entspricht, dem Asylbewerber möglichst schnell Klarheit über seine Asylberechtigung zu verschaffen, wäre es grundsätzlich mit Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG vereinbar, für bestimmte Fallgruppen eindeutig aussichtslose Asylanträge durch Gesetz die Zuständigkeit zur Prüfung und Entscheidung den Ausländerbehörden zu übertragen und diese zu ermächtigen, bei der Ablehnung eines derartigen Asylbegehrens sogleich aufenthaltsbeendende Anordnungen zu erlassen.Der Vorschlag zur Beschleunigung des Verfahrens, den der Bundesrat gemacht hat und den wir voll unterstützen, hält sich also durchaus im verfassungsrechtlichen Rahmen. Er verlangt eben nur Mut, diesen Weg zu gehen.Das Bundesverfassungsgericht gibt uns — das geht aus dem eben gebrachten Zitat hervor —, dem Gesetzgeber, jede Möglichkeit der Regelung, die der Bedeutung des Asylrechts gerecht wird und eine zuverlässige und sachgerechte Prüfung von Asylgesuchen ermöglicht. Das Bundesverfassungsgericht läßt es ausdrücklich zu, daß zu einer Vorprüfung auch die Ausländerbehörden berechtigt sind. Es ist einfach nicht sachgerecht, den dort tätigen Beamten vorzuhalten, sie seien zu wenig sachkundig. Es ist vorgesehen, durch eine Verordnung in jedem Bundesland eine oder zwei Ausländerbehörden ausdrücklich als für die Annahme von Asylanträgen zuständig zu benennen. Es ist sicher kein Problem, die dort tätigen Beamten durch ein entsprechendes In formationssystem jeweils auf dem aktuellen Stand der Ereignisse in den einzelnen Herkunftsländern zu halten und durch eine entsprechende Ausstattung, besonders durch die notwendigen Dolmetscher, arbeitsfähig zu halten.Es ist einfach nicht einzusehen, warum beim derzeitigen Rechtszustand Ausländerbehörden bei einer beabsichtigten Abschiebung nach § 14 Ausländergesetz beurteilen sollen, ob dem Betroffenen in dem Land, in das er abgeschoben werden soll, Gefahren für sein Leben und seine Freiheit drohen, dieselbe Behörde aber nicht in der Lage sein soll, bestimmte Fälle aussichtsloser Asylanträge richtig einzuschätzen.
Wir gehen selbstverständlich davon aus, daß diese Behörden im Zweifel eben nicht sagen, es sei aussichtslos. Das dürfte auf alle Fälle doch wohl sichergestellt und eine Selbstverständlichkeit sein. Die Beamten bei der Ausländerbehörde können dies zumindest ebenso sachgerecht wie ein Bediensteter des Bundesamts entscheiden, der dazu nicht einmal eine besondere Qualifikation haben muß.Es steht also nichts entgegen, die Ausländerbehörden über den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter anstelle des Bundesamts entscheiden zu lassen, wenn der Antrag eindeutig aussichtslos ist. Darin und in dem konsequenterweise für die offensichtlich aussichtslosen Fälle gekürzten Verfahren liegt das eigentliche Beschleunigungselement. Ein solches fehlt dem vorliegenden Entwurf nahezu völlig.Sicherlich mag die Regelung des Zustellungsverfahrens, die in § 12 des Entwurfs vorgesehen ist, in gewissen Fällen zu einer Beschleunigung von wenigen Wochen oder Monaten führen. Ich glaube nicht, daß es gleich zwei Jahre sind, wie Sie, Herr Kollege, angedeutet haben.
Der große Wurf, den man doch an sich erwarten könnte, wenn sowohl Bundesamt als auch Verwaltungsgericht einen Antrag als offensichtlich unbegründet zurückweisen, tritt ebenfalls nicht ein. In diesem Fall endet die aufschiebende Wirkung der Ausreiseaufforderung automatisch einen Monat nach Zustellung des Urteils der ersten Instanz. Dann kann die Ausländerbehörde aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchführen. Aber auch in diesem Fall hat der Asylbewerber nach dem vorliegenden Entwurf noch die Möglichkeit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung. Wo soll hier eine Beschleunigung liegen? Selbstbei den sogenannten Wiederholungsanträgen soll die aufschiebende Wirkung nur dann entfallen, wenn das Bundesamt den Wiederholungsantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat bzw. unter den Voraussetzungen des Art. 14. Dann nennen Sie doch bitte einen Prozentsatz, den Sie durch dieses Verfahren herausnehmen wollen, nennen Sie einen Prozentsatz, wo irgendwo im Verfahren auch nur im geringsten etwas beschleunigt wird! Gerade das tut aber not.
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FellnerIch glaube, diese Entlastung muß sich schon deshalb ergeben, weil die Gerichte bei der nahezu selbstverständlichen Inanspruchnahme nach einem ablehnenden Bescheid auf Jahre hinaus die an sie herangetragenen Fälle nicht mehr entscheiden können. Man muß berücksichtigen, daß die Welle der Asylbewerber des Jahres 1980 das Bundesverwaltungsgericht überhaupt noch nicht erreicht hat. Die Welle wird überschwappen, aber eben auch bei den Oberverwaltungsgerichten, auf die Sie nach dem vorliegenden Entwurf durch die Nichtzulassungsbeschwerde diese Fälle lenken wollen, wenn eine Vorauswahl im Verwaltungsverfahren nicht stattfindet.Dann haben Sie noch etwas in Ihrem Entwurf vorgesehen, was wir so nicht akzeptieren können: Uns macht nicht so sehr das offensichtliche Motto „noch ein Beauftragter", demgemäß wir jemanden als zuständig für das Verteilen einteilen, so sehr skeptisch, das vorgesehene Verteilungsverfahren führt nur zu einem Hin- und Herschieben der Asylbewerber zwischen den Ländern je nach dem zufälligen Anfall. Die Überschußländer werden diejenigen Asylbewerber behalten, die bereits Arbeit gefunden haben und die nach Ablauf der Sperrfrist Arbeit finden werden. Vor allen Dingen werden sie diejenigen behalten, die bei den Verwandten oder Bekannten bereits Unterkunft gefunden haben. Die Überschußländer werden die obdachlosen und an einer Arbeitsaufnahme nicht interessierten Asylbewerber an die anderen Länder weitergeben. Damit entstünde hauptsächlich bei dem aufnehmenden Land eine Belastung während die Überschußländer die Asylbewerber nach Gutdünken abgeben können. Nachdem sich Asylbewerber häufig dort melden, wo sie Kontaktadressen haben, besitzen sie in ihrem Meldebereich auch Bindungen zu Verwandten, Freunden und Landsleuten. Eine Verteilung auf die anderen Länder bedeutet, daß diese Bindungen abgebrochen werden müssen. Schließlich sieht § 39 des Ausländergesetzes ausdrücklich eine Mitverantwortung des Bundes bei der Unterbringung der Asylbewerber vor. Von dieser Verpflichtung soll sich der Bund durch ein Verfahren der Verteilung der Asylbewerber auf die Länder nicht entlasten können.Lassen Sie mich nach den aufgezeigten Mängeln und dem Hinweis auf die dringend notwendige Problemlösung abschließend zum Verfahren folgendes bemerken: Wir können diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, auch wenn er eine Anzahl von Nebenproblemen regelt und dauerhaft und endgültig gelten soll, weil der Entwurf das entscheidende Problem auf Dauer nicht löst und deshalb zu noch unerträglicheren Problemen führen wird. Es wird für dieses Gesetz keine Zustimmung geben, wenn nicht ein Element der Vorauswahl und die entsprechenden verfahrensmäßigen Konsequenzen im Rahmen des rechtlich Zulässigen eingebaut werden. Es wird auch keine Zustimmung geben, wenn das Verteilungsverfahren nicht fällt. Die Verantwortung für die Nichtlösung des Problems trägt dann die Bundesregierung, die trotz aller Dringlichkeitsbeteuerungen gar nichts, und die SPD/FDP, die in keiner Weise etwas auch nur annähernd Geeignetes getan haben. Der Bundesrat wird diesem Entwurf nicht zustimmen, da nicht nur die derzeit brennenden Probleme nicht gelöst werden, sondern dieses Gesetz auf lange Zeit sinnvolle Lösungen verhindern würde. Es ließe sich deshalb schlechthin nicht verantworten, diesem Entwurf zuzustimmen.Der Bundesrat hat sich — darauf mache ich ganz ausdrücklich aufmerksam — mit dem Sachverstand der Fachleute aller Länder auf einen Entwurf geeinigt — und zwar über die Parteigrenzen hinweg —, der Welten vom vorliegenden Entwurf entfernt ist. Die Regierungskoalition muß sich darüber im klaren sein, daß ihr Entwurf nicht über die Bühne geht, wenn nicht die von uns und vom Bundesrat vertretenen Beschleunigungselemente eingebaut und bestimmte Ungereimtheiten gestrichen werden. SPD und FDP täten deshalb gut daran, in den anstehenden Beratungen die notwendigen Verbesserungen ohne Scheuklappen zu diskutieren und entsprechenden Änderungsvorschlägen zuzustimmen. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, Herr Kollege Fellner, ob es gut und der Sache dienlich ist, bereits bei der ersten Lesung in einer doch fast harschen Form auszuführen, was gehen werde und was alles nicht machbar sei. Ich glaube, die Bevölkerung erwartet etwas ganz anderes: daß wir alle uns bei den Ausschußberatungen zügig und gründlich dem Problem widmen. Sie will weniger hören, was da nicht geht; vielmehr erwartet sie von uns Ergebnisse.
Darum, Herr Kollege, wollen wir uns in den nächsten Monaten gemeinsam bemühen,
und da kann niemand zur Seite geschoben werden.Wir werden dabei auch zu berücksichtigen haben, daß es ein zustimmungsbedürftiges Gesetz ist,
und werden froh sein — ich habe dies bei anderer Gelegenheit bereits gesagt —, wenn der Bundesrat mitwirkt, sehr rechtzeitig mitwirkt und seine Auffassungen im Detail kundtut.
Bei der heutigen ersten Lesung ist es, glaube ich, notwendig, zunächst einmal einige Worte zum Asylrecht ganz allgemein zu sagen. Für uns, die wir unter der Rechtswohltat des Grundgesetzes stehen, ist dies ja ein hohes Grundrecht. Für die Mitglieder des Parlamentarischen Rates war die Schaffung eines Grundrechts auf Asylgewährung die logische, ja zwingende Konsequenz aus unseren eigenen histori-
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Engelhardschen Erfahrungen mit der Zeit des Nationalsozialismus.
Damals war ja fast allen noch hautnah bewußt, daß viele Deutsche nur deshalb überlebt haben, weil es ihnen gelungen war, im Ausland Zuflucht zu finden.Heute, 36 Jahre nach Kriegsende, ist es manchmal schon schwer, die Erinnerung daran lebendig zu erhalten, und ich sehe die Gefahr — wir alle müssen sie sehen —, daß den Jüngeren hier und draußen, insbesondere den Jugendlichen und den Kindern, eigentlich nur die Geschichtsbücher bleiben, während die Älteren und auch manche meiner Generation zumindest noch die Chance hatten und haben, eigene Erinnerungen zu besitzen. So mag jeder seine besonderen Anknüpfungspunkte haben.Ich will einmal aus meiner persönlichen Sicht sagen: Immer, wenn von Asylrecht die Rede war, habe ich durch die Jahrzehnte etwa Dr. Wilhelm Hoegner, den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten, und Professor Nawiasky, gleichfalls entkommen ins Schweizer Exil, vor 1933 und nach dem Kriege wieder Professor für Staatsrecht und öffentliches Recht an der Universität München, vor mir gesehen.Ich erinnere auch daran, daß heute hochbetagt ein Mann noch lebt, der damals, am 9. November 1923, beim Marsch auf die Feldherrnhalle in München als junger Polizeioffizier mit seinen Leuten an der Residenz stand und den strikten Auftrag hatte, den Durchmarsch Hitlers und seiner Gefolgsleute zum Odeonsplatz in jedem Falle zu verhindern. Er hat damals im Zuge der Auseinandersetzungen den Feuerbefehl erteilt. Auch er hat überlebt, weil es ihm gelungen ist, rechtzeitig in die Schweiz zu entkommen. Ich sage das, weil es vielleicht gut ist, das von der Ursache unseres Asylrechts her noch einmal in die Erinnerung zu rufen.Heute besteht für uns die Herausforderung, nach außen werbend tätig zu sein. Das wird auf die Dauer aber nur möglich sein, wenn es uns gelingt, das Asylrecht von dem vieltausendfachen Mißbrauch zu befreien.
Ich meine, es ist schlimm, daß es so weit gekommen ist, daß „Asylant" in unserem Lande zum Schimpfwort verkommen ist.
Wir haben auch die Verpflichtung, nach draußen deutlich zu machen, daß diese Leute, die Wirtschaftsflüchtlinge oder wie immer man sie nennen mag, im Regelfall ja keine unlauteren oder gar verwerflichen Motive haben, zu uns zu kommen. Sie wollen sich und ihrer Familie wenigstens ein kleines Einkommen verschaffen, was in ihrem Heimatlande nicht möglich ist. Ihnen kann nur unser Mitleid gelten. Das Asylrecht wird auf Dauer — mit Zustimmung der Bevölkerung und nicht nur als vier Worte in unserer Verfassung — aber nur Bestand haben, wenn es uns gelingt, hier eine deutliche Scheidung vorzunehmen und klarzumachen, daß das Asylrechtfür die politisch Verfolgten und für sonst niemanden da ist, daß wir als Bundesrepublik uns nach der Kraft unserer Möglichkeiten bemühen, auf dem Sektor der Entwicklungshilfe, bei vielen humanitären Maßnahmen, ja, bei der Aufnahme von Kontingentflüchtlingen das Unsere zu tun, daß wir aber bei noch so gutem Willen eben nicht in der Lage sind, Auffanglager oder gar Heimstatt auf Dauer für alle Ratlosen und Elenden dieser Welt zu sein.Praktische Abhilfe wird nur mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen möglich sein, die zunächst einmal dafür sorgen, daß jene, die Asylrecht zu Unrecht begehren, erst gar nicht zu uns kommen. Des weiteren muß das Asylverfahren wesentlich beschleunigt werden. Wir sollten uns nichts vormachen: Der Hauptgrund für den wesentlichen Rückgang der Zahl der Asylbewerber während des Jahres 1980 waren nicht die gesetzgeberischen, sondern die administrativen Maßnahmen. Auch wenn es vielen nicht gefallen mag: Die Einführung der Sichtvermerkspflicht, die Verweigerung der Arbeitserlaubnis wurden draußen als Signale verstanden und haben zu dem wesentlichen Rückgang der Zahl der Asylbewerber geführt. Wir müssen aber umgekehrt sehen, daß diese flankierenden administrativen Maßnahmen natürlich nur haltbar sind — damit komme ich zu unserem heutigen Thema —, wenn es uns gelingt, das Verfahren ganz wesentlich zu beschleunigen. Wir können die Menschen doch nicht über Jahre ohne Arbeit — gar in Sammelunterkünften — sitzenlassen. Es muß durch eine wesentliche Verkürzung des Verfahrens dafür gesorgt werden, daß auf der einen Seite davon abgehalten wird, überhaupt zu uns zu kommen, und daß die Fälle derjenigen, die unberechtigterweise kommen, in einem gestrafften, konzentrierten Verfahren behandelt werden und die Betroffenen, wenn ihr Antrag unbegründet ist, anschließend in ihr Heimatland zurückgeschickt werden. Wir haben den Gesetzentwurf auch zur Beschleunigung als Fraktionenentwurf eingebracht. Wir können ihn zusammen mit dem Entwurf des Bundesrates beraten.Zur Vorbereitung haben wir bereits im Juni dieses Jahres im Kreise der Koalition ein Hearing veranstaltet, eine kleine Anhörung, die uns so wesentliche Ergebnisse gebracht hat, daß wir sie weitgehend in diesen Entwurf mit eingespeist haben. Es ist interessant, bei solchen Hearings nicht den Versuch zu unternehmen, nur die Präsidenten zu hören, sondern sich darum zu bemühen, die Männer der vordersten Front zu hören. Die Präsidenten mögen den großen Überblick haben, die Männer der vordersten Front kennen die tägliche Arbeit. Und dann lernt man etwa, warum es gut ist, daß die Entscheidung allein beim Bundesamt liegen soll, daß auch schon allein die Frage des richtigen Dolmetschers — um nicht zu Mißinterpretationen zu kommen — selbst in großen Städten von Ausländerämtern nicht so einfach gelöst werden kann. In solch einem Hearing lernt man, daß auch das Bundesamt in den Stand gesetzt werden muß, schnell zu entscheiden, und daß wir es — und dies alles steht in dem vorgelegten Entwurf — nicht mehr zulassen dürfen, daß für Anschriftenermittlung in 30 % der Fälle zusätzlich ein halbes Jahr ins Land geht, daß Anhörtermine nicht eingehalten
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Engelhardwerden, weil dies offensichtlich sehr stark von der jeweiligen Wetterlage abhängig ist, daß Schwierigkeiten bei der Zustellung auftreten. Dann hört man von Verwaltungsrichtern der ersten Instanz, daß der Einzelrichter keine Steigerung der Arbeitskapazität bringen würde, daß aber umgekehrt — und dies wäre Sache aller Bundesländer — bei den Verwaltungsgerichten Schreibkräfte fehlen, daß entschiedene Sachen, abgesetzte Urteile über Monate liegen bleiben, nicht zugestellt werden können, eben weil die Schreibarbeiten nicht rechtzeitig erledigt werden können.Für uns war — um dies abschließend zu sagen — die entscheidende Frage: Wird es uns, ausgehend von der Novelle 1978, gelingen, zu einer Strukturierung der Fallgruppen zu kommen? Denn wir haben mittlerweile gelernt, daß, nachdem die Verwaltungsgerichte in den Stand gesetzt wurden, Fälle als offensichtlich unbegründet abzuweisen, um die 60% in diese Kategorie fallen. Und nirgends sonst als im Asylrecht bietet es sich von der Fallgestaltung derart zwingend an, zu unterscheiden zwischen jenen, die anerkannt werden, jener Gruppe, deren Fall als unbegründet eingestuft wird, wo es aber notwendig ist, mit Akribie in weiteren Instanzen dem Problem nachzugehen, und jener großen Gruppe, deren Fall als offensichtlich unbegründet einzustufen ist, weil es zum frühestmöglichen Zeitpunkt auf der Hand liegt, daß hier eine Berechtigung, aus politischen Gründen Asyl zu verlangen, nicht gegeben ist. Das haben wir jetzt im Verwaltungsverfahren wie im Gerichtsverfahren konsequent weiterzuverfolgen versucht.Ich verkenne nicht, daß man bei den offensichtlich unbegründeten Fällen auch andere Wege gehen kann. Natürlich, die Rechtsgarantie des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verlangt nur die gerichtliche Nachprüfung durch einen unabhängigen Richter — eine Möglichkeit. Aber wir haben trotzdem gesehen, daß es für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und für die Qualität der Rechtsprechung dringend geboten ist, auch hier noch die Möglichkeit einer weiteren Instanz zu eröffnen — jetzt aber vorgesehen in einer so konzentrierten Form, daß uns dies der Beschleunigung keinen Abbruch zu tun scheint.
Wir lösen gleichzeitig die Frage, daß das Bundesverwaltungsgericht den großen Arbeitsanfall, der ihm durch die Novelle 1978 aufgebürdet wurde, nicht mehr zu bewältigen vermag. Wenn man etwa liest, daß 80 % aller im zweiten Quartal 1981 anhängigen Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden beim Bundesverwaltungsgericht aus Asylsachen kommen, dann müßte man fast meinen, man müßte das Bundesverwaltungsgericht in „Oberster Gerichtshof für Asylsachen" mit dem Untertitel „In Nebentätigkeit auch für das sonstige Verwaltungsrecht" umbenennen. Das konnte kein Zustand sein. Ein jetzt reduzierter Arbeitsanfall wird auf zehn Oberverwaltungsgerichte verlagert. Über die Einzelheiten werden wir uns in den Ausschußberatungen zu unterhalten haben. Ich glaube aber und hoffe es, Herr Kollege Fellner — um auf Sie zurückzukommen —, daß es uns gelingen wird, im Interesse einer Sache, einer dringenden Sache aufeinander zuzugehen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige wenige Bemerkungen auch aus meiner Sicht: Ich begrüße es zunächst, daß wir eine sehr ruhige, eine sehr sachliche Debatte führen. Denn bei diesem Thema ist nichts schlimmer als das Aufwühlen von Emotionen.
Das Wort „Asylant" ist schon zu einem Schimpfwort verkommen; auch mit dem Wort „Wirtschaftsflüchtlinge" ist es beinahe schon so geworden. Ich gewöhne mir jetzt an, von Armutsflüchtlingen zu reden; die Kirche hat hier meines Erachtens einen richtigen Weg gewiesen. Es ist ja in unserer Geschichte oft so gewesen, daß schon die Wortwahl enthüllend war. Es gab ja Worte der Unmenschen, die dann auch zu Taten, zu unmenschlichen Taten geführt haben. Wir sollten das Ausländerthema also nicht zu gegenseitigen Schuldzuweisungen benutzen. Wir sitzen alle in einem Boot der Verantwortung. Wir haben zwar die Vorteile der Ausländerbeschäftigung alle akzeptiert, aber die Verantwortung, die sich daraus auf allen staatlichen Ebenen ergeben hat, haben wir, so sage ich einmal ganz hart, nicht voll wahrgenommen. Die Integrationsfragen sind nicht gelöst. Wir haben uns nicht vor Augen geführt, daß mehr als 1,1 Millionen der 4,7 Millionen Ausländer unter 16 Jahre sind, meine Damen und Herren, und bereits ca. 626 000 hier geboren sind. Haben wir uns einmal die Frage gestellt, welche Konsequenzen sich daraus ergeben?Also, ich meine, wir sollten uns jeder Emotionalisierung enthalten. Sonst wird es sehr schwierig sein, die Geister wieder loszuwerden, die man ruft. Gestern hat mein Kollege Gries aus Hessen über eine sogenannte „Bürgerinitiative Ausländerstopp" berichtet. Sie ist eine rechtsradikale Gruppierung und wirbt auf der Basis einer in der Bevölkerung teilweise vorhandenen Stimmung um Unterschriften, und sie wirbt nicht erfolglos. Dies ist schon ein Zeichen dafür,
daß die Geister schon da sind, meine Damen und Herren. Die demokratischen Parteien sollten sich hier wirklich in einer gemeinsamen Verantwortung finden.Ich will nicht sehr deutlich werden, was auf Länder- und Gemeindeebene getan werden muß, was da versäumt worden ist, Herr Kollege Dregger. Ich möchte hier nicht selbstgerecht sein und behaupten, daß der Bund alles getan hätte. Es gibt ein allgemeines Defizit an Diskussionen, Einstellungen und Ent-
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Bundesminister Baumscheidungen auf dem Ausländersektor im ganzen Land, in der ganzen Bundesrepublik Deutschland.
Das Asylproblem ist hier nur ein kleiner Ausschnitt; darauf hat Herr Kollege Brandt hingewiesen.Auch ich bekenne mich zu der Verpflichtung des Grundgesetzes — ich nehme an, wir alle bekennen uns dazu —, in Art. 16. Wir wollen, daß dieser Artikel wirkt. Deshalb müssen wir alles tun, um möglichst schnell diejenigen herauszufinden, die wirklich politische Flüchtlinge sind. Nur ist das nicht so einfach, Herr Kollege Fellner, das wissen Sie. Auch Ihre Vorschläge sind keine Patentrezepte, auch Ihre Vorschläge führen, so kann ich mir vorstellen, nicht zu der Verkürzung, die Sie wünschen. Da gibt es eben auch Spannungsverhältnisse in unserem Rechtssystem, da gibt es Rechtsgarantien, die wir nicht einfach übergehen können.Die ungelösten Probleme der gesamten Ausländerpolitik schlagen auf das Asylproblem durch und umgekehrt. Herr Kollege Fellner, Sie haben von der Asylantenflut gesprochen; auch da sollte man vielleicht etwas präziser sein. Wir haben zwar eine Zunahme, eine ziemlich beträchtliche Zunahme der ausländischen Bevölkerung, aber nur ein Drittel dieser Zunahme geht auf die Asylbewerber zurück.
Die anderen Teile sind auf Familiennachzug und auf Geburten zurückzuführen. Über den Familienzuzug können Sie zwar diskutieren, aber nicht mehr diskutieren können Sie — aus begreiflichen Gründen — über die Geburten. Das ist der größere Anteil. Wenn wir über die Aufnahmefähigkeit unseres Landes reden, müssen wir sehen, daß Familiennachzug und Geburten ein wichtiges Element neben dem Zuwachs der Asylbewerber sind, die nur ein Drittel dieser ganzen Zahlen ausmachen.Im übrigen schätzen wir — es gibt leider keine genauen Statistiken —, daß sich in unserem Land jetzt insgesamt zirka 160 000 Asylbewerber aufhalten, und zwar bei einer Ausländerzahl von 4,6 bis 4,7 Millionen. Ich sage das, damit die Relation richtig verstanden wird. Ich wehre mich dagegen, daß man das Asylproblem vor sich herträgt, ohne deutlich zu machen, daß es sich um einen wichtigen Teil des gesamten Ausländerproblems handelt.
Bei der Diskussion der Lösungsmöglichkeiten müssen die Probleme der einzelnen Ausländergruppen, der Arbeitnehmer mit Familien, der Asylberechtigten, der Kontingentflüchtlinge, der Asylbewerber, voneinander getrennt werden. Es gibt unterschiedliche, aber keine isolierten Lösungen. So ist ohne deutliche Fortschritte bei der Integration der hier ansässigen Arbeitnehmer die Bereitschft der Bevölkerung zur Aufnahme ausländischer Flüchtlinge sicherlich gefährdet. Ohne eine wirksame Beeinflussung des Asylbewerberzugangs gibt es keineKonsolidierung der Ausländerbeschäftigung. Wir haben dazu, Herr Kollege Fellner, unsere Beiträge geleistet.Ich bin übrigens mit Ihnen der Meinung, daß das Asylrecht nicht zur Lösung ungelöster Probleme des Arbeitsmarktes mißbraucht werden darf. Das war im letzten Jahr so. Da gab es einen Sog der Bundesrepublik auf arbeitsuchende Türken. In der Türkei gibt es Millionen von Arbeitslosen. Einige tausend von ihnen wurden auf dem deutschen Arbeitsmarkt aufgenommen. Der Anwerbestopp wurde unterlaufen. Das hat sich darin ausgedrückt, daß im letzten Jahr 53 000 Türken als Asylbewerber in unser Land gekommen sind, während es in diesem Jahr 1981 bis zum September nur noch 5 000 waren. Sie sehen daran deutlich, daß hier etwas passiert ist. Das haben wir hier auch gemeinsam getragen. Was vor der Bundestagswahl beschlossen worden ist, war also wirksam. Sie können sagen: Das ist angesichts der Finanz- und Haushaltslage und angesichts der Arbeitsmarktlage nicht genug. Da werde ich Ihnen gar nicht widersprechen, wenn ich auch darauf hinweisen muß, daß es keine Patentrezepte gibt. Aber daß etwas Wirksames geschehen ist, müssen wir doch feststellen. Im Jahre 1980 gab es 108 000 Asylbewerber, während es in diesem Jahr bis September nur 32 600 sind.Wir müssen uns auch einmal die Zusammensetzung ansehen. Ich nenne nur eine Gruppe, die Polen. 14,4 % der Asylbewerber sind Polen. Unabhängig davon möchte ich Ihnen eine weitere Zahl nennen. Die deutsche Botschaft in Warschau hat in diesem Jahr ca. 300 000 Visa-Anträge von Polen wegen Reisen in die Bundesrepublik Deutschland bewilligt. Sie mögen sich über diese Zahl ihre Gedanken machen. Keiner wird hier bestreiten, daß die Bundesrepublik Deutschland im Moment eine Sogwirkung ausübt. Hieran muß man denken, wenn man über die Asylbewerberzahlen dieses Jahres diskutiert.Die Einführung der Visapflicht — Herr Kollege Engelhard hat darauf hingewiesen — war ein sehr wirksames Mittel. Das harte Mittel, die Arbeitsaufnahme im ersten Jahr nicht zuzulassen, war meines Erachtens genug. Jetzt ist eine Regelung getroffen worden, die darüber hinausgeht. Aber die Bundesregierung wird zu gegebener Zeit darauf zurückkommen und feststellen, wie sich die neue Regelung bewährt hat, ob es also wirklich notwendig war, den Zeitraum auf zwei Jahre festzulegen, was ja für diejenigen, die aus dem Osten kommen — die sind ja alle einbezogen —, besonders hart ist. Das müssen wir sehen.Ich möchte das Bundesamt in Zirndorf loben. Das muß man bei einer Behörde, die hier Außerordentliches geleistet hat, einmal tun. Ich möchte den Mitarbeitern danken. Die Verfahrensdauer beträgt inzwischen nur noch sechs bis acht Monate. Wir haben im letzten Haushalt 63 zusätzliche Stellen geschaffen. Im ersten Halbjahr 1981 wurden bei einem Zugang von 14 000 Fällen in Zirndorf 36 000 Fälle bearbeitet. Das heißt, es sind nicht nur die zugegangenen Fälle bearbeitet worden, sondern teilweise ist auch der Rückstand aufgearbeitet worden. Ich glaube, das
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Bundesminister BaumBundesamt und seine Mitarbeiter verdienen hier einen ausdrücklichen Dank.
Auch die Verwaltungsgerichte haben jetzt bessere Bearbeitungszeiten. Bei ihnen geht es jetzt schneller. Auch das ist wichtig.Was ich eben über das Bundesamt gesagt habe, ist ein Argument gegen Ihren Vorschlag. Das Bundesamt funktioniert also, und ich sehe keine Notwendigkeit, die Befugnisse auf die Ausländerbehörden zu übertragen. Das wird dort schneller gehen.Es kommt aber ein gewichtiges Argument hinzu, das hier schon genannt worden ist. Das Bundesamt hat die Kenntnisse, Erfahrungen, Informationen und Einblicke, die es ihm ermöglichen, die Fälle im Interesse der Asylbewerber und im allgemeinen Interesse wirklich sachgerecht zu entscheiden. Wir sollten das nicht ändern. Ich sehe unter dem Aspekt der Verfahrensverkürzung keine Notwendigkeit, das zu verändern, Herr Fellner. Ich sehe Gefahren im Hinblick auf die sachgerechte Entscheidung. Wir dürfen bitte nicht vergessen, daß wir das Verfahren in Zirndorf schon sehr vereinfacht haben. Das ist bis an die Grenze dessen gegangen, was man, meine ich, verantworten kann.Das Bundesministerium des Innern wird auch weiterhin alles tun, um die Probleme im Ausländerbereich zu lösen, die in seine Kompetenz fallen. Im nächsten Jahre werden wir dem Parlament eine Novelle zum Ausländergesetz vorlegen. Darin soll u. a. eine sichere Grundlage für die Zukunftsplanung der Ausländer geschaffen werden. Ich möchte auch auf die Arbeit der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Asylwesen hinweisen, die gute Vorarbeit auch zur Lösung der Probleme geleistet hat, die wir hier behandeln.Abschließend möchte ich nur noch eine Bemerkung machen. Die Neugestaltung des Asylverfahrensrechts ist nur ein Problem. Die Ausländerfrage, die Sogwirkung unseres Landes auf arme Menschen, die aus Verzweiflung hierherkommen, ist nur ein Teilstück. Es gilt die übergeordnete Aufgabe, im Rahmen unserer Möglichkeiten dazu beizutragen und darauf hinzuwirken, daß in der Welt Verhältnisse geschaffen werden, daß es nicht 13, 14, 15 Millionen Flüchtlinge gibt, die der Flüchtlingskommissar im Moment schützen muß. Dieser Zustand sollte uns nicht ruhen lassen.Ich beglückwünsche im übrigen diese Organisation des UN-Flüchtlingskommissars. Ich beglückwünsche den bewunderungswürdigen Paul Hart-ling, den Flüchtlingskommissar, zum zweiten Friedensnobelpreis.
Hier wird wirkliche Hilfe für Flüchtlinge in der Welt geleistet; das ist eine wirklich anerkennenswerte Leistung dieser Organisation. Ich sage für die Bundesregierung, wir werden alles in unseren Kräften Stehende tun, um den Kampf gegen das Flüchtlingselend in der Welt weiterhin zu unterstützen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bötsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst kurz auf die Ausführungen von Herrn Minister Baum eingehen. Ich hatte den Eindruck, daß er schon Teile seiner Einbringungsrede für die angekündigte Novelle zum Ausländergesetz gehalten hat, wobei ich nicht bestreiten will, daß die Asylrechtsproblematik thematisch in die gesamte Ausländerproblematik eingebunden ist. Aber wir lesen heute den Entwurf der Regierungsfraktionen zu einem Gesetz über das Asylverfahren. Ich werde den Verdacht nicht los, Herr Minister, daß Sie mit dem großen Wurf, in den Sie das gestellt haben, vielleicht vom eigentlichen Gesetz ablenken wollen, nämlich von der Tatsache, daß leider auch die heute von Ihnen, von SPD und FDP, gemachten Vorschläge für die Lösung der Problematik, mit der wir uns zu beschäftigen haben, nicht ausreichend sind.Ich möchte mich für meine Fraktion dabei ausdrücklich dem Dank, den Sie den Beschäftigten in Zirndorf ausgesprochen haben, anschließen, weil es nicht an denen, sondern an der Mehrheit in diesem Hause liegt, wenn sie mit unzureichenden Gesetzen arbeiten müssen.
Wenn man die Protokolle der letzten dreieinhalb Jahre des Deutschen Bundestages zu diesem Thema durchsieht, dann wird man unschwer feststellen, daß sich das Haus seit diesem Zeitpunkt immer wieder mit der Problematik der steigenden Zahl der Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt hat. Fast könnte man sagen, das, was sich der Bundestag hier leistet, sei eine En-suiteAufführung.
— Weil die Frage gestellt wird, was das sei, möchte ich es einmal so erklären: Wenn beispielsweise am Broadway in New York 15 Jahre lang „My Fair Lady" aufgeführt wird — damit könnte man das vielleicht vergleichen —, dann ist das eine En-suite-Aufführung. Dabei ist das Beispiel der „Fair Lady" nicht unbedingt zufällig gewählt worden.
— Das war damals allerdings ein Erfolg, während es hier natürlich ein Mißerfolg ist. Und der Beifall, Herr Kollege Stark, ist natürlich nicht deshalb ausgeblieben, weil das Publikum nicht beifallsfreudig gewesen wäre, sondern deshalb, weil in diesem Fall die Akteure, nämlich die Mehrheit dieses Hauses, bisher nicht bereit waren, Ergebnisse zu produzieren, die den Beifall der Betroffenen tatsächlich verdienen.Wenn ich Betroffene sage, meine ich vor allen Dingen unsere Länder und Gemeinden, die die Last Ihrer Entschlußlosigkeit, meine Damen und Herren
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Dr. Bötschvon SPD und FDP, in sehr starkem Maße zu tragen haben.
— Herr Kollege Fellner hat dazu vorhin in einer, wie ich meine, bemerkenswerten Jungfernrede — zu der ich ihm recht herzlich gratulieren möchte —
im Detail einige Ausführungen gemacht. Aber Betroffene sind natürlich nicht nur Länder und Gemeinden, sondern die Betroffenen sind vor allem die Asylbewerber selbst.Zu einem früheren Zeitpunkt habe ich von dieser Stelle aus schon einmal ausgeführt, daß man auch Asylbewerbern keinen Gefallen damit tut, wenn man sie fünf bis sieben Jahre warten läßt, bis sie wissen, ob sie nun in der Bundesrepublik Deutschland bleiben dürfen oder ob sie wieder in ihr Heimatland zurückkehren müssen. Man tut den Betroffenen keinen Gefallen, die aus wohlerwogenen Gründen und von Art. 16 des Grundgesetzes gedeckt — der auch bei uns, Herr Kollege Brandt, nicht zur Disposition steht; ich will das ausdrücklich feststellen — um Asyl nachsuchen und das im Ergebnis auch erhalten — mögen sie auch lange auf die Anerkennung warten müssen —, aber auch denjenigen nicht, die nach fünf bis sieben Jahren, nachdem sie sich hier mehr oder weniger häuslich eingerichtet haben, erfahren, daß sie das Land wieder verlassen müßten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?
Gerne.
Herr Kollege, tut man denn dem Asylbewerber einen Gefallen, den man im Zweifel erst einmal in das Land abschiebt, aus dem er geflohen ist, um ihm die Möglichkeit zu lassen, von dort aus den Rechtsweg zu beschreiten?
Herr Kollege Hirsch, Sie scheinen noch von einem Diskussionsstand auszugehen, der in keinem der beiden vorliegenden Gesetzentwürfe seinen Niederschlag gefunden hat, weder in dem des Bundesrates noch in dem des jetzt vorliegenden;
denn der Grenzrichter, auf den Sie anspielen und der vom Freistaat Bayern erwogen worden war — das will ich gar nicht bestreiten —, war zwar in der Diskussion, ist aber nicht in den Entwurf des Bundesrates aufgenommen worden, der im Kompromißwege zustande gekommen ist.
Insofern brauchen wir uns darüber jetzt, jedenfalls in diesem Verfahrensstand, auch nicht mehr zu unterhalten.
— Das war auch ein Teil der En-suite-Aufführung, Frau Kollegin, die ich unter dem Titel „My Fair Lady" angesprochen habe.Ich habe mit Wohlwollen sowohl heute bei der Rede des Kollegen Brandt als auch in den Vorberatungen, die wir im Ausschuß schon geführt haben — ich denke dabei an die Ausführungen des Kollegen Schöfberger —, vermerkt, daß die allgemeinen Beschimpfungen der Union mit Worten wie inhuman— und wie sie alle lauten mögen — nicht mehr erfolgt sind. Deshalb besteht zumindest die geringe Hoffnung, daß wir doch einen Schritt weiterkommen, wenn auch der vorliegende Gesetzentwurf nicht das hält, was jedenfalls verbal vorgegeben wird: daß die Probleme gelöst werden.
Bei den Erstbetroffenen, den Ländern, war es spätestens seit dem Herbst 1980 klar, daß die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen. Diese Bewertung ist durch das bereits zitierte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1981 bestätigt worden. „Aber" — so schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" am 17. Oktober 1980 zu diesem Thema — „der Gesetzgeber läßt sich Zeit."Der Gesetzgeber läßt sich aber nicht etwa deswegen Zeit, weil ihm durch andere dringliche Aufgaben die Chance genommen worden wäre, tatsächlich einen Entwurf zu beraten, nämlich den Entwurf des Bundesrats, der dort bereits am 19. Dezember 1980 verabschiedet wurde — und zwar fast einstimmig — und dem Deutschen Bundestag bereits am 10. März zugeleitet und hier in der ersten Aprilwoche in erster Lesung behandelt wurde;
nein, der wahre Grund ist, daß sich SPD und FDP nicht auf diesen Entwurf einigen konnten; sie konnten sich nicht einigen, wie sie mit diesem Werk verfahren sollten, das hier ja von einer der SPD angehörenden Senatorin aus der Hansestadt Hamburg in erster Lesung begründet wurde. Die Vorlage schnell zu verabschieden, verbot eine falsche Sicht der Dinge; sie schnell vom Tisch zu wischen, verbot die Höflichkeit oder zumindest die Rücksichtnahme gegenüber den von der SPD regierten Ländern, die dem Entwurf ja zugestimmt hatten.So verließ man sich auf Ankündigungen. Man kündigte im Juni dieses Jahres von Woche zu Woche immer wieder neue Gesetzentwürfe an, die jetzt gerade in Vorbereitung seien, die von der Bundesregierung beraten und demnächst vorgelegt würden, die mit der Koalition beraten werden sollten usw. So war dann jeder gespannt, was nach der Sommerpause auf den Tisch des Hauses gelangen würde. Da aber außer dem ungeliebten Gesetzentwurf des Bundesrats nichts vorhanden war, war zunächst einmal Sendepause. Man befaßte sich mit gar keinem Gesetzentwurf. Es wurde dann angekündigt, man werde den Bundesratsentwurf anreichern, es werde Formulierungshilfe geleistet und ähnliches.
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Dr. BötschNichts von alledem ist erfolgt. Man hat einen völlig neuen Gesetzentwurf vorgelegt. Wer den Gesetzentwurf nach Seitenzahl und Paragraphenfülle beurteilen wollte, insbesondere wenn man die Seitenzahl der Begründung mit hinzuzählt, müßte eigentlich annehmen, jetzt sei der ganz große Wurf für die Problematik gelungen.Mitnichten, meine sehr verehrten Damen und Herren! Man hat — dies muß zugestanden werden — viel Richtiges aus anderen Gesetzen zusammengeschrieben. Man hat das eine oder andere in Ansätzen, zur Beschleunigung beizutragen, versucht.
— Zunächst verbal. Es steht auch einiges drin, aber die wesentlichen Punkte wurden schlicht und einfach weggelassen. Ich will nicht davon ausgehen, daß sie vergessen wurden.
Um aber nicht eine Verzögerung von uns aus zu veranlassen, haben wir uns bereit erklärt, schon einmal, ohne daß überhaupt die erste Lesung stattgefunden hat, mit den Gesetzesberatungen im Ausschuß zu beginnen. Dabei haben sich die bisherigen Zweifel an der Wirksamkeit des Gesetzentwurfs keineswegs zerstreuen lassen, sondern sie wurden in manchen Teilen noch verstärkt.Man kann sagen, daß ein gegenüber dem bisherigen Rechtszustand beschleunigtes Verfahren zur Entscheidung der offensichtlich unbegründeten Asylanträge in dem Gesetzentwurf weder für das Stadium des Verwaltungsverfahrens noch für das Stadium des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens enthalten ist. Dies muß uns mit großer Sorge erfüllen, denn der Zustrom der Asylbewerber ist erneut erheblich angewachsen, so daß Ihre Prognosen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, vom Frühjahr dieses Jahres, daß die bisherigen Maßnahmen gegriffen hätten und auch für die Zukunft greifen würden, nicht zutreffen.
— Insofern, Herr Kollege Brandt, ist es kein Widerspruch, wenn ich sage: Gegenüber dem, was Sie vorhin ausgeführt haben, haben wir eine unzureichende oder höchstens temporär geltende Wirkung, denn jetzt haben wir wieder monatlich über 5 000 Asylbewerber.
Die Minister der von der Union regierten Bundesländer haben deshalb vor wenigen Tagen nochmals an die Bundesregierung appelliert — ich möchte diesen Appell auf die Koalitionsfraktionen erweitern —, die Beschleunigungsvorschläge nicht länger zurückzuweisen; denn, Herr Kollege Schöfberger, der Entwurf läßt den tragbaren Weg vermissen, um das auch von Ihnen dargestellte Ziel zu erreichen, aussichtslose Asylanträge vorzeitig aus dem langwierigen Verfahren wirksam auszuscheiden. Dies könnte mit den vom Bundesrat vorgelegten Vorschlägen tatsächlich verwirklicht werden.Insbesondere im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergibt sich gegenüber dem bisherigen Rechtszustand keine wesentliche Beschleunigung — dies ist ja wohl der Punkt —, weil im Verwaltungsverfahren mit Ausnahme der möglichen Verlagerung von Zirndorf auf die Ausländerbehörden, die ich ganz anders beurteile, als das hier beurteilt worden ist, hier wohl nichts weiter möglich sein wird.In den bisherigen Gesprächen gegen eine Beschleunigung im gerichtlichen Verfahren wurde eingewandt, daß hierauf ja nicht der Schwerpunkt liegen müsse, weil jetzt weniger Asylbewerber gekommen seien und man den Stau irgendwo anders aufarbeiten müsse. Wir sind dafür, den Stau in rechtlich einwandfreier Weise aufzuarbeiten; daran gibt es überhaupt keinen Zweifel.Ich warne aber ausdrücklich davor, etwa daran zu denken, in einer Art — ich benutze das Wort jetzt un-technisch — Amnestie alle diejenigen bei uns aufnehmen zu wollen, die im Vertrauen auf ein langes Verfahren schon jetzt bei uns im Lande sind; denn die langfristige „Staubsaugerwirkung", so möchte ich das einmal nennen, die von einer solchen Verfahrensweise ausginge — auch auf solche, die vielleicht jetzt noch erwägen, in die Bundesrepublik zu kommen —, ist wohl nicht zu übersehen.Nach bisherigem Recht war die Berufung bei offensichtlich unbegründeten Klagen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ausgeschlossen. Als weiterer Rechtsbehelf stand dem Asylbewerber die Nichtzulassungsbeschwerde wegen Nichtzulassung der Revision zum Bundesverwaltungsgericht offen.Nun machen Sie eines: Sie versuchen der Tatsache, daß beim Bundesverwaltungsgericht im Augenblick noch doppelt so viele Asylverfahren anhängig sind als alle übrigen Verfahren zusammengerechnet, dadurch gerecht zu werden, daß Sie eine Änderung vornehmen und das Ganze auf die Oberverwaltungsgerichte verlagern wollen. Aber ob dies einen Beschleunigungseffekt auslösen wird, wagen wir füglich zu bezweifeln. Es ist auch nicht ersichtlich, ob der Entwurf für die Mehrzahl der kritischen, offensichtlich unbegründeten Fälle gegenüber dem bisherigen Rechtszustand eine fühlbare Beschleunigung herbeiführen wird.Es gibt eine Reihe von weiteren Vorschriften, die von uns kritisch gewürdigt werden und hinsichtlich derer wir sicherlich Abänderungsanträge einbringen müssen. Es sollte beispielweise, wenn Sie schon die Zuständigkeit in Zirndorf behalten wollen, was wir für falsch halten, noch einmal über die Qualifikation der dort Beschäftigten nachgedacht werden.Wir werden uns ja schon heute nachmittag im Rechtsausschuß weiter mit dem Entwurf beschäftigen — ich habe den Eindruck, daß diese Bereitschaft, jetzt sehr schnell zu beraten, auch bei Ihnen besteht —, damit wir möglichst noch in diesem Jahr die zweite und dritte Lesung hier abhalten können. Wir versichern, daß wir die Beratungen zügig, aber nicht ohne die gebotene Gründlichkeit durchführen werden.Der Kollege Engelhard hat hier ein Wort zum Bundesrat gesagt. Ich bitte Sie, bei Ihren Entschei-
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Dr. Bötschdungen zu erwägen — auch hinsichtlich dessen, was Sie aus dem Bundesrat in Ihre Beschlüsse mit übernehmen wollen —, daß der Bundesrat hier natürlich ein ganz gewaltiges Mitentscheidungsrecht hat; das betone ich. Insofern kann ich nur das unterstreichen, was der Kollege Engelhard sagt: Wenn der Gesetzentwurf so aus dem Ausschuß herauskommt, wie er dort nach der ersten Lesung hineingeht, habe ich größte Zweifel, ob der Bundesrat da mitmacht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dafür tragen dann Sie die Verantwortung und nicht wir. Deshalb verschließen Sie sich nicht unseren Abänderungsanträgen, prüfen Sie sie so, wie es der Materie angemessen ist.Es geht hier nicht um einzelne, Herr Kollege Engelhard, wie damals bei Nawiasky, Hoegner oder Willy Brandt, die irgendwo Zuflucht suchen, sondern es geht heute um Massen, die mit dem Jet hierherkommen. Dieses Problem müssen wir bewältigen. Deshalb ist der Vergleich — trotz der interessanten historischen Reminiszenzen, die Sie gezogen haben — natürlich nur als hinkend anzusehen. — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schöfberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es um Menschen geht und deren Schicksal, sollten wir Ausdrücke wie „aussondern" oder auch „Staubsaugerwirkung" oder auch „Wirtschaftsflüchtlinge" peinlich vermeiden. Denn unsere Sprache könnte verräterisch sein. Darüber sollten wir uns einigen.
Zweitens, Herr Kollege Bötsch: trotz aller Versuche können Sie nicht darüber hinwegreden, daß das Sofortprogramm der Bundesregierung vom August 1980 und unsere gemeinsam beschlossene zweite Beschleunigungsnovelle erstaunliche Wirkungen gezeitigt haben. Der Zustrom an Asylanten ist, wenn sich das für die restlichen beiden Monate so fortsetzt, vom Jahre 1980 — da waren es fast 108 000 — zum Jahre 1981 auf weniger als ein Viertel gesunken.Auch die Beschleunigungsnovelle wirkt sich aus. Ich habe mir die neuesten Zahlen eines großen Verwaltungsgerichts, des Verwaltungsgerichts Stuttgart, geben lassen. Dort hatten wir noch im ersten Quartal 1981 2 510 neu eingereichte Klagen und nur 938 Erledigungen. Wir haben jetzt im dritten Quartal nur mehr 1 190 neue Klagen, aber 1 210 Erledigungen. Das heißt, erstmals seit Jahren übersteigen die Erledigungen die Neuzugänge. Es besteht also auf Grund der Beschleunigungsnovelle eine gewisse Hoffnung, daß wir den Stau abbauen können.Wir sollten doch einmal unsere eigenen Entschlüsse würdigen, denen ja auch Sie zugestimmt haben, und uns im Gespräch nicht immer schlechter machen mit unseren Gesetzen, als sie tatsächlich sind und als wir es tatsächlich waren.
Es ist auch nicht so, daß wir nicht bereits eine gemeinsame Basis gefunden hätten. Ich bin dem Kollegen Bötsch und dem Kollegen Erhard dankbar dafür, daß wir uns im Rechtsausschuß bei den bisherigen Beratungen doch schon auf ein Fundament geeinigt haben, das alle Zweifel und Unterstellungen ausschließen kann. Dieses Fundament läßt sich zusammenfassend in drei Punkten beschreiben.Erstens. Das Asylrecht ist ein fundamentales Menschenrecht, das der Würde des politisch Verfolgten, seiner Freiheit und körperlichen Unversehrtheit dient. Das Asylrecht ist Ausdruck der politischen Kultur unseres Volkes. Es steht nicht nur im Devotionalienschrein des Grundgesetzes, sondern es bringt, wenn wir es wollen, Pflichten und Lasten mit sich, die wir bewußt und gewollt auf uns genommen haben und auch in Zukunft auf uns nehmen werden.Zweitens. Das Asylrecht ist ein Grundrecht, das nicht unter Gesetzesvorbehalt steht, wie manche anderen Grundrechte. Es ist deshalb in seinem Umfang, in seiner Wirkung, in seinem Wesensgehalt der Disposition des einfachen Gesetzgebers entzogen. Und an eine Verfassungsänderung denkt jedenfalls bei uns im Rechtsausschuß niemand — obwohl das draußen gelegentlich herumgeistert.Drittens. Das Asylrecht nimmt als Grundrecht an der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes teil, d. h., es muß auch bei vollem Rechtsschutz durchsetzbar sein und darf durch Verfahrensnormen weder ausgehöhlt noch unterlaufen werden.Über diese drei Punkte haben wir alle dankenswerterweise Einigung erzielt. Nun kommt es darauf an, auf diesem gemeinsamen Fundament zu gemeinsamen Lösungen bei der Gestaltung des Verfahrens zu kommen.Ich bezeichne noch einmal die Problematik, über die wir uns auch bereits einig sind. Keiner, der bei uns Zuflucht sucht, trägt seinen Fluchtgrund auf der Stirn. Die wenigstens aber können den Fluchtgrund auch mit Dokumenten und Zeugen beweisen, j eden-falls nicht nach den strengen Regeln der deutschen Verwaltungsgerichtsordnung. Jährlich sind es also Tausende, die in der Tat politisch verfolgt werden und zu uns kommen, aber in höchster Beweisnot sind. Doch es sind, solange es auf dieser Welt nicht nur Verfolgung, sondern auch Hunger, Not und Elend gibt, auch Zehntausende, mit denen wir ebenso Mitleid haben, die freilich bei uns keine Bleibe haben können, weil das Asylrecht dafür nicht vorgesehen ist.Die nüchternen Zahlen, wie das geht, beweisen es. 108 000 sind 1980 zu uns gekommen. 12 877 davon sind vom Bundesamt ohne große Probleme anerkannt worden. Weitere 250 haben 1980 in irgendeiner der drei Gerichtsinstanzen ihre Anerkennung erstritten. Das sind 2 Promille der Neuzugänge.
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3414 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1981
Dr. SchöfbergerEs gilt zweierlei zu erkennen. Wir müssen dieses Gerichtsverfahren, diesen Rechtsschutz haben. Denn da geht es in der Praxis in jedem Jahr um 250 Menschenleben. Andererseits dürfen wir die Regeln des Gerichtsverfahrens nicht an den von Anfang an ganz offensichtlich unzulässigen und unbegründeten Fällen ausrichten. Das ist die Problematik, vor der wir stehen.Die gesetzgeberische Aufgabe ist nun, ein dauerhaftes Asylverfahren zu schaffen, das der Rechtsweggarantie entspricht und auch die Gebote der Europäischen Menschenrechtskonvention beachtet. Dort steht nämlich: Mündliche Verhandlung ist notwendig. Also auf so etwas kann man da nicht verzichten.Das Ergebnis eines solchen Gesetzgebungsverfahrens muß sein — da stimmen wir voll überein —: Nicht in sechs bis acht Jahren, sondern in einem bis zwei Jahren soll der Asylberechtigte künftig rechtskräftig wissen, daß er hier bleiben kann, und soll der, der nicht asylberechtigt ist, rechtskräftig erfahren, daß er gehen muß, weil er hier keine Bleibe hat. Sicher, eine noch kürzere Verfahrensdauer ist wünschenswert. Aber wer sie uns andient, hat entweder keine Ahnung von den notwendigen Ladungsfristen, Bearbeitungszeiten, Zustellungsfristen und Rechtsmittelfristen, oder er will bewußt auf die Einhaltung dieser rechtsstaatlichen Regeln verzichten. Dazu sind wir nicht bereit.Wo liegen denn die Schwächen des bisherigen Verfahrens? Die Schwächen liegen darin, daß man bis zur dritten Instanz beim Bundesverwaltungsgericht alle Fälle, ob sie nun problematisch waren oder ob sie von Anfang an offensichtlich unbegründet waren, im selben Verfahren über acht Jahre durchgezogen hat. Deswegen meinen wir: Es muß im frühen Stadium des Verwaltungsverfahrens und der ersten Tatsacheninstanz vor dem Verwaltungsgericht zu einer Auftrennung kommen.
— Ich weiß aus der Praxis, daß es etwa 60 % der Anträge sind, die schon von der Antragstellung her — weil diese nämlich meist gar nicht schlüssig, geschweige denn bewiesen ist — offensichtlich unbegründet sind. Wir meinen, wenn das Bundesamt und das Verwaltungsgericht gemeinsam — beide wollen wir, um das sicher zu machen — sagen: das ist offensichtlich unbegründet, dann soll es zu einem Minimalprogramm der rechtsstaatlichen Rechtsweggarantie kommen; d. h., es gibt dann neben der einen Tatsacheninstanz eine Nichtzulassungsbeschwerde, damit nicht der blaue Himmel der Rechtskraft eintritt. Das liegt auch im Interesse der Einheitlichkeit unserer Rechtsprechung.
— Herr Kollege Bötsch, meine Redezeit ist zu Ende; ich bedaure es sehr.Wir sollten uns also auf diese Lösung verständigen.Aber nicht nur die Vielzahl der Instanzen — darauf hat Herr Kollege Engelhard bereits hingewiesen — und die damit verbundenen Fristen haben zu der langen Verfahrensdauer geführt. Viele Vorlageversäumnisse, der Mangel an Schreibkräften und Zustellungsprobleme sind es, die in der Praxis ein bis zwei Jahre Verzögerung verursacht haben. Wir müssen auch dort im Einklang mit den Ländern, wo wir zuständig sind, nach Verbesserungen trachten. Zum Teil wird das in unserem Entwurf sehr pragmatisch und wirksam vorgeschlagen. Zum anderen Teil sind aber auch die Länder, besonders diejenigen, die im Bundesrat immer nach dem Bundesgesetzgeber rufen, endlich aufgerufen, doch im Bereich der Ausstattung der Gerichte mit entsprechenden Spruchkammern und Sekretärinnen ihre Pflicht zu erfüllen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch der Verlauf dieser Debatte, die hier ausgetauschten Argumente haben gezeigt: Die Möglichkeiten, das Asylverfahren durch Änderungen des Prozeßrechts zu beschleunigen, sind beschränkt. Die Gerichte brauchen Zeit, um den im Grundgesetz garantierten Rechtsschutz zu gewähren, sonst wird das gerichtliche Verfahren über ein in der Verfassung verbürgtes Grundrecht zu einer Farce, und das kann niemand von uns wollen.Ich begrüße es, daß der Entwurf der Fraktionen der SPD und der FDP für das Prozeßrecht Regelungen vorsieht, die das Verfahren beschleunigen und gleichwohl den notwendigen Rechtsschutz erhalten. So soll der Rechtsmittelzug gestrafft werden. Die Bundesregierung hat dazu dem Vorschlag des Bundesrates, eine Zulassungsberufung einzuführen, im Grundsatz zugestimmt, nicht aber in der Ausgestaltung. Der nun vorgelegte Entwurf geht den besseren Weg. In eindeutig aussichtslosen Fällen soll die Berufung nicht zulässig sein. Damit können die vielen Fälle beschleunigt abgewickelt werden, in denen ohne jeden Zweifel ein Anspruch auf Asyl nicht besteht. Aber auch in diesen Fällen — darauf ist von seiten der Opposition kritisch hingewiesen worden; ich sehe das ganz anders — ist das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht das letzte Wort. Der Asylbewerber kann eine kurze Überprüfung des Urteils durch das Oberverwaltungsgericht mit der Beschwerde herbeiführen, mit der er die nachträgliche Zulassung der Berufung begehrt. Diese Abweichung des Koalitionsentwurfs vom Bundesratsentwurf halte ich für richtig. Wir sollten nicht so weit gehen, für die Bewältigung eines hoffentlich vorübergehenden Engpasses ein ausgeprägtes Sonderrecht für Asylbewerber zu setzen.
Wir sollten auch keine Regelung treffen, die erwarten läßt, daß sich Asylbewerber in größerem Umfang
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Bundesminister Dr. Schmudean das ohnehin mit Verfassungsbeschwerden überhäufte Bundesverfassungsgericht wenden.
Die Oberverwaltungsgerichte werden durch die Zulassungsbeschwerden nicht unangemessen belastet. Zehn Oberverwaltungsgerichte werden sich die Arbeitslast teilen können, die bisher das Bundesverwaltungsgericht allein tragen mußte. Allein das wird zur wirksamen Beschleunigung der Verfahren führen.
Der Bundesratsentwurf ermöglicht es, Asylbewerber abzuschieben, bevor endgültig über ihren Antrag entschieden ist. Sollte das auch nur einige wirklich politisch Verfolgte treffen, so länge darin ein Skandal. Sollen sie ihr Verfahren aus dem Gefängnis heraus betreiben? Der Koalitionsentwurf vermeidet diese Bedenken.Machen wir uns bitte eines klar: Alle Änderungen des Prozeßrechts schaffen das Problem der sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge nicht aus der Welt. Durchgreifende Abhilfe kann nur auf anderen Gebieten erfolgen. Es geht darum, den Anreiz zu mindern, mit nur vorgeschobenen Asylgründen zu uns zu kommen. Die Sperrfrist für die Arbeitserlaubnis war ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn den Asylbewerbern Sozialhilfe nicht ganz in barem Geld, sondern vor allem in Naturalien gewährt wird, wie das zum Teil schon geschieht, kann auch das dazu beitragen, die Einreise für Bewerber mit nicht ernsthaften Asylgründen weniger attraktiv zu machen.
Insgesamt gilt, daß es nicht ausreicht, wirksame Regelungen zu treffen; man muß auch deren Einhaltung überwachen und die Anordnungen durchsetzen. Wenn wir so verhindern, daß sich viele auf das Asylrecht berufen, obwohl sie aus ganz anderen Gründen zu uns kommen, können wir noch besser als bisher den wirklich Verfolgten Schutz gewähren. Es wäre gut, wenn unsere gemeinsamen Überlegungen zu diesem Ergebnis führten.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 9/875 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Innenausschuß sowie den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. Ist das Haus mit diesem Überweisungsvorschlag einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 4 und 5 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur"— Drucksache 9/823 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche BeziehungenErste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Juli 1980 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Portugiesischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen— Drucksache 9/897 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitDas Wort wird offensichtlich nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 9/823 an den Ausschuß für Wirtschaft — federführend — sowie an die Ausschüsse für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und für innerdeutsche Beziehungen zur Mitberatung und den Gesetzentwurf auf Drucksache 9/897 an den Finanzausschuß — federführend — und den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit — mitberatend — zu überweisen.Ist das Haus mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Lorenz, Baron von Wrangel, Werner, Jäger , Lintner, Schulze (Berlin), Graf Huyn, Frau Roitzsch, Schmöle, Dr. Hennig, Gerster (Mainz), Dr. Warnke, Dr. Kunz (Weiden), Amrehn, Kroll-Schlüter, Böhm (Melsungen), Dr. Mertes (Gerolstein) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSUDeutschlandausstellung— Drucksache 9/446 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen InnenausschußMeine Damen und Herren, interfraktionell sind für diesen Tagesordnungspunkt 30 Minuten Rededauer vorgesehen. Ich bitte darum, dafür Sorge zu tragen, daß diese Zeit auch eingehalten wird, weil wir etwa um 13 Uhr unterbrechen wollen. — Ich sehe, das Haus ist mit dieser Regelung einverstanden.
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Vizepräsident WurbsWird das Wort zur Begründung gewünscht?
— Zur Begründung oder zur Aussprache?
— Ich darf also davon ausgehen, daß Sie zugleich zur Sache sprechen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort zur Begründung und in der Aussprache hat der Herr Abgeordnete Werner. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einer der grundlegenden Verfassungsaufträge lautet, das Wissen um die Gemeinsamkeiten des deutschen Volkes und den Willen der Deutschen zur Einheit zu wahren und zu fördern. Wir müssen mit großem Bedauern feststellen, daß sich gerade in den vergangenen Jahren in diesem Punkte — was das Wissen. um die Gemeinsamkeiten und die aktive Förderung des Willens zur Einheit in allen Teilen unserer Bevölkerung betrifft — die Dinge nicht zum Besseren entwickelt haben.Heute diskutieren wir darüber, wo und wie wir unser gemeinsames kulturelles und historisches Erbe bestimmen und definieren wollen. Heute streiten wir in Deutschland darüber, ob Goethe nun nach Frankfurt oder nach Weimar gehört; heute ist den meisten unserer Bürger unbekannt, daß Hegel sowohl Tübinger als auch Berliner ist. Wir gehen — ohne es eigentlich noch richtig würdigen zu können — davon aus, daß Kant als Königsberger, Luther, Bach, Marx, Bismarck und viele andere selbstverständlich unsere Geschichte bedeutend geprägt haben und damit dieses gesamtdeutsche gemeinsame nationale Erbe mit geschaffen haben, von dem wir leben und von dem aus wir auch unsere Zukunft werden gestalten können.Es geht also darum, wiederum ins Bewußtsein — vor allen Dingen ins Bewußtsein unserer jüngeren Mitbürger — zu rufen, welch große kulturelle Vielfalt, welch großer historischer Reichtum dieses deutsche Volk in allen Höhen und in allen Tiefen der Geschichte geprägt und bestimmt hat.
Deswegen haben wir darauf zu achten, daß auch die kommenden Generationen darum wissen, daß Ostpreußen genauso zu Deutschland gehört wie Baden, daß Schleswig genauso zu Deutschland und zur deutschen Kultur gehört wie Schlesien. Wir haben alles daranzusetzen, daß wir dieses Bewußtsein um den gemeinsamen Reichtum an Kultur und das Wissen auch um die staatliche Einheit und den Willen zum Fortbestand dieser staatlichen Einheit weiter wach erhalten und wahren. Dies ist nicht nur der Appell der Deutschlandpolitiker. Dies muß das ureigene Anliegen aller Parlamentarier in diesem Hause sein!
Nun war es für unsere jüngeren Mitbürger früher zweifelsohne wesentlich einfacher, deutsche Gemeinsamkeit zu erleben, denn man konnte unmittelbar erfahren, was Schlesien, Ostpreußen, Pommern,Mecklenburg bedeuten. Trotz aller Versuche und Bemühungen auch in den vergangenen zwölf Jahren leben wir heute leider immer noch mit der Teilung und müssen wir leider immer noch eine fortschreitende Erosion des Einheitsbewußtseins feststellen. Diese Feststellung widerspricht nicht der zweiten Feststellung, die auch schon einmal in diesem Hause getroffen wurde, daß gleichzeitig das Interesse an der gemeinsamen Vergangenheit, wie es sich etwa in der großen Anteilnahme an der Staufer-Ausstellung und der Preußen-Ausstellung dokumentiert, wächst, auch und gerade bei der jungen Generation wächst, und daß wir uns in die Phase der kritischen, der fragenden dritten Generation hineinbewegen. Diese Generation hat nicht — wie die Älteren unserer Mitbürger früher — die Möglichkeit, ungehemmt und ohne Hindernis nach Ostpreußen zu fahren. Sie hat nur begrenzt die Möglichkeit — diese Möglichkeiten sind leider auch erschwert worden —, in die DDR zu fahren.Die Situation an unseren Schulen — dort, wo die entscheidende Wissensvermittlung stattfinden sollte — ist zudem sicherlich nicht rosig.
Wir haben das gerade in den vergangenen Tagen während der Anhörung des Ausschusses gehört.Es geht uns deswegen darum, unserer Bevölkerung vor allen Dingen im Hinblick auf unsere jüngeren Mitbürger mehr an Kenntnissen zu vermitteln. Dinge, die früher konkret erfaßbar und faßbar waren, können wir heute in weiten Teilen leider nur noch rein kognitiv zur Wahrnehmung weitergeben. Dazu dient in hervorragendem Maße — so glauben wir — gerade eine Ausstellung, die sich mit diesem Gesamtkomplex befaßt. Ich möchte hier ganz deutlich machen: Es geht uns nicht darum, womöglich nur eine sogenannte Ostdeutschland-Ausstellung ins Leben zu rufen. Es geht uns eben nicht nur darum, darauf hinzuweisen, wie es früher um Ostpreußen und Schlesien bestellt war. Es geht uns auch darum, zu zeigen, wie die Verhältnisse dort heute sind. Wir wollen auch durch diesen Hinweis und Fingerzeig auf das heute Trennende bewußt die Diskussion in unserer Bevölkerung herbeiführen und damit das Wissen, aber auch dieses Ringen um Gemeinsamkeiten und um diesen Willen zur Einheit vitalisieren und wach erhalten.Es geht uns zum zweiten darum, daß wir in einer derartigen Ausstellung auch deutlich machen müssen, in wie schwieriger, komplexer Art die deutsche Frage insgesamt in das politische Beziehungsgefüge in Europa eingeordnet ist. Und es geht uns auch darum, darauf hinzuweisen, daß die deutsche Frage heute offen ist und offen bleiben muß, bis wir in Freiheit in einem Friedensvertrag darüber befinden können.Ich sagte vorhin: Das Interesse ist groß. Wir wissen, daß 76 % unserer jungen Mitbürger im Alter von bis zu 24 Jahren mehr über die DDR und OstDeutschland wissen wollen. Gleichzeitig sind 75% der Auffassung, man erfahre in unseren Schulen darüber bei weitem zuwenig. Das Angebot an Anschauungsmaterialien, das zwar bestehe, werde
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Wernerweitgehend nicht wahrgenommen, werde nicht unmittelbar vor Augen gestellt. Und deswegen glauben wir, daß gerade im Hinblick auf die Überschaubarkeit und auf die unmittelbare Ansprache, im Hinblick auf das Betroffenwerden, eine Ausstellung die optimale Möglichkeit bietet, einem breiten Teil der Bevölkerung die deutsche Frage wieder näherzubringen.Ich erinnere an die Ausstellung „Der Deutsche Bundestag". Ich möchte diese nicht gleichsetzen, aber doch darauf hinweisen, daß hier ein interessanter Anfang gemacht wurde. Da wir uns vorstellen, daß die Trägerschaft für eine derartige Ausstellung beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen liegen müßte, glauben wir, daß man, aufbauend auf diesen gemachten Erfahrungen, weitergehen kann. Wir gehen davon aus, daß bei einer derartigen Ausstellung selbstverständlich die Bundesländer, die Landsmannschaften aus Mittel- und Ost-Deutschland, aber auch das Gesamtdeutsche Institut sowie die Bundeszentrale und die Landeszentralen für politische Bildung mitwirken müssen und die Mitarbeit eines hochqualifizierten Gutachterteams, bestehend aus Wissenschaftlern, angefangen von der Germanistik, Slawistik bis hin zu den Landeskundlern unserer Territorialgeschichte, nötig ist. Wir wollen ganz bewußt auf das Gemeinsame hinweisen. Wir wollen, meine Damen und Herren — und daran liegt mir — nicht große Grundsatzdiskussionen an Hand einer solchen Ausstellung entfachen.Wir bitten Sie alle — vor allen Dingen Sie aus den Reihen der SPD und der FDP — dieses Anliegen: Förderung des Einheitsbewußtseins mit uns gemeinsam in einer solchen Ausstellung zu gestalten und gemeinsam mit uns die dazu notwendigen näheren Maßnahmen zu diskutieren. Ich glaube, daß wir uns dann auch zu einer gemeinsamen Basis werden zusammenfinden können. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bühling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele von den Zielen, keineswegs alle, die der Kollege Werner hier namens der CDU/CSU-Fraktion dargestellt hat, sind sicher lobenswert.
— Ich komme darauf.Aber es ist doch sehr fraglich, ob die vorgeschlagenen Mittel die richtigen sind. Aus Ihren Worten, Herr Werner, schien mir doch ein gutes Stück Euphorie zu sprechen, das ich so nicht teilen möchte.Die Themen, die eine Deutschlandausstellung nach dem Willen der CDU/CSU-Fraktion behandeln soll, sind zu ernst und zu wichtig, als daß man den Antrag einfach den berufsmäßigen Ausstellungsfachleuten übergeben und ihnen alles Weitere überlassen sollte.
— Aber es kommt da hin.Die deutsche Frage, wie sie der Antrag in verschiedenen Aspekten anspricht, ist von solchem Gewicht, daß am Anfang aller Überlegungen über die Gestaltung einer solchen Ausstellung die politischen Entscheidungen vorgegeben werden müssen. Und diese politischen Entscheidungen müssen so klar sein, daß mit einer mißglückten Ausstellung kein Schaden angerichtet wird. Dabei wäre auch zu bedenken, daß eine wenig besuchte und zuwenig beachtete Deutschlandausstellung gerade der Sache, der sie nützen soll, bestimmt nicht dienen würde. Es darf keine große Ausstellung veranstaltet werden nur um der Ausstellung willen.Deshalb bedarf der Antrag der CDU/CSU-Fraktion nach unserer Ansicht einer gründlichen Prüfung in mehrfacher Beziehung: Hinsichtlich des politischen Konzepts ist zunächst einmal festzustellen, daß der Antrag und die Begründung in einem offenbaren Widerspruch stehen. Der Antrag selbst zielt auf die Stärkung des gesamtdeutschen Bewußtseins und des Willens zur Einheit des deutschen Volkes ab, er wendet sich mithin an die deutsche Öffentlichkeit. Diese Bezugspunkte im Antrag selbst können nach ihrem klaren Wortlaut nur für die deutschen Zuschauer, also für das Inland von Bedeutung sein. Die Begründung dagegen — darüber ist vorhin von meinem Herrn Vorredner nichts gesagt worden — stellt ausdrücklich auch auf die Eignung für das Ausland ab. Beides schließt sich nach unserer Meinung vollständig aus. Dem Ausländer muß man Deutschland, die deutsche Frage wohl anders erläutern, als man dem eigenen Bürger sein eigenes Land und dessen Probleme vor Augen führen muß. Unter diesen Gesichtspunkten kann es wohl keine Ausstellung geben, die für das Inland und für das Ausland gleichermaßen geeignet ist.
— Ja, das hat aber nichts damit zu tun, daß dem Ausländer wohl ein anderes Interesse und ein anderer Kenntnisstand als dem eigenen Bürger vorgegeben sind; das habe ich ja soeben dargetan.Des weiteren ist es sehr schwierig, aus der Begründung herauszulesen, was der Antrag eigentlich unter „Deutschland" versteht.
Zwar hat Herr Werner dazu einige Ausführungen gemacht, die ich aber so nicht teile, mit denen ich mich hier jetzt nicht auseinandersetzen kann. Im ersten Satz der Begründung ist von „allen Teilen" Deutschlands die Rede, die berücksichtigt werden sollten. Wie viele Teile das sein sollen, bleibt offen. Es wäre meiner Ansicht nach im Zusammenhang mit der Ausstellung vernünftiger gewesen, wenn
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Bühlingman von „beiden Teilen" Deutschlands gesprochen hätte. Aber, wie gesagt, ich will jetzt darauf nicht eingehen. Denn diese Frage kann im Ausschuß besprochen werden. Die Antragsteller werden sich dazu sicher noch im einzelnen äußern.
— Ich weiß nicht, was daran unglaublich ist.
— Ja, es ist eben die Frage, was hier in der Ausstellung gezeigt werden soll.
Auch sollten Sie die völkerrechtliche Lage in Betracht ziehen. Sie sollten vielleicht auch daran denken, was in völkerrechtlichen Bestimmungen über die Bedeutung der Oder-Neiße-Grenze festgelegt ist.
Ich komme zu einem weiteren Punkt — wir reden ja jetzt über die Ausstellung —, der von grundsätzlicher Bedeutung ist. Ist es wirklich sinnvoll, wenn die Bundesregierung die Bundesrepublik Deutschland und die DDR in einer Ausstellung zugleich darstellt? Wer soll denn in der Lage und berufen sein, die DDR darzustellen, und zwar in einer Weise, die das von den Antragstellern angesprochene Grundwissen vermittelt und das gewünschte Bewußtsein bildet? Es ist wohl — vorsichtig gesagt — gar nicht so einfach, auf der einen Seite die Gemeinsamkeiten beider Seiten in Deutschland, die die Antragsteller j a auch hervorheben, darzustellen und auf der anderen Seite die „Vielfalt der soziologischen Strukturen" zur Geltung zu bringen. Die letztere Formel des Antrags läuft auf einen Antagonismus und damit mehr auf eine Polemik innerhalb der Ausstellung hinaus. Man kann auch sagen, daß dann in einem Teil der Ausstellung gegen den anderen Teil der Ausstellung polemisiert werden muß. Damit wird für die Ausstellung und in der Ausstellung ein Zielkonflikt vorprogrammiert, der wahrscheinlich gar nicht, auf jeden Fall aber nur sehr schwer lösbar ist.
— Ja, aber es kommt, wie ich sagte, auf die politischen Vorgaben an. Das Ministerium kann das, glaube ich, wohl kaum so gestalten, wie Sie das wollen.Schließlich sind auch eine Reihe praktischer Fragen zu beachten, die für Erfolg oder Mißerfolg der angestrebten Ausstellung maßgeblich sind. Ich sagte schon am Anfang und möchte es wiederholen, daß der Erfolg einer solchen Ausstellung sehr wichtig ist. Ich glaube, darauf müßten auch Sie Bedacht nehmen, daran müßten auch Sie interessiert sein.
Einmal ist es sehr fraglich, ob eine Deutschlandausstellung allgemeiner Art mit den aktuellen Medien konkurrieren kann. Schließlich werden die Themen, wie die Antragsteller sie meinen — oder vermutlich meinen —, in Presse, Publizistik, Rundfunk und Fernsehen weitgehend erörtert. Es muß in diesem Zusammenhang auch beachtet werden, daß das Gesamtdeutsche Institut eine dauernde Aufklärungs- und Informationsarbeit über den anderen Teil Deutschlands leistet. Eine solche ständige Arbeit mit den entsprechenden didaktischen Mitteln erscheint wirkungsvoller als eine einmalige kurze Veranstaltung.Außerdem wäre das Verhältnis zu anderen Ausstellungen z. B. zu der über „Fragen an die deutsche Geschichte" im Reichstag in Berlin, die Sie alle kennen, zu prüfen. Darüber hinaus ist an die vorbereitenden Arbeiten für ein „Museum der deutschen Geschichte" zu denken, das auch die Zeitgeschichte berücksichtigen soll. Die Antragsteller verlangen aber keine ständige, sondern eine mobile Ausstellung.
Dies führt ebenfalls dazu, daß an Stelle kontinuierlicher Arbeit an bekannter Stelle der flüchtige Eindruck an wechselnden Plätzen tritt.Die weitere Untersuchung muß den Erfahrungen mit ähnlichen Ausstellungen in der Vergangenheit gelten. Dies betrifft vor allem die beiden Ausstellungen mit allgemeinen deutschlandpolitischen Themen, die das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, das Sie, wie Sie soeben gesagt haben, damit betrauen wollen, in den Jahren 1976/77 und 1979/80 durchgeführt hat. Deren Besuch war keineswegs zufriedenstellend. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, daß sich das Publikum durch die Medien bereits genügend informiert fühlt — das Interesse ist ja auch, wie Sie sagen, durchaus vorhanden — und einer besonderen Ausstellung über Deutschland allgemein kein besonders großes Interesse mehr entgegenbringt. Mit Sonderthemen wie „Die Staufer", die sonst nie behandelt worden sind, kann man das, glaube ich, nicht vergleichen.Die durchschnittliche Verweilzeit der Besucher in den eben genannten Ausstellungen hat nach einer erst im vorigen Jahr durchgeführten Untersuchung nur fünf Minuten betragen.
— Das mögen Sie für furchtbar halten, Herr Jäger, aber es sind nur fünf Minuten gewesen. Das werden Sie nicht bestreiten können.Nun frage ich Sie: Was kann man in einer solch kurzen Zeit von fünf Minuten an Wissen transportieren, und was kann man in fünf Minuten an Bewußtsein schaffen? Wie will man in fünf Minuten so viele hochgesteckte Ziele erreichen — einschließlich derer, die Herr Sauer hier noch genannt hat —, wie sie der Antrag der CDU/CSU im einzelnen aufführt?
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BühlingDem Interesse des Publikums durch eine besonders moderne und attraktive Technik aufzuhelfen, wäre auch nicht ohne Bedenken. Hier müßte die Deutschlandausstellung mit kommerziellen Ausstellungen konkurrieren. Das würde übrigens auch erhebliche Kosten verursachen. Vor allem aber läßt eine forcierte Modernität, wie sie sich vielleicht für die Wirtschaftswerbung eignen mag, die Ausstellung dem Besucher mehr als bloße Propaganda erscheinen; und gerade das soll ja nicht der Fall sein, j eden-falls nach unserer Auffassung nicht und hoffentlich auch nicht nach Ihrer.Schließlich kann man in einer Zeit, in der die Mittel knapp sind und auch auf dem Gebiet der innerdeutschen Beziehungen Prioritäten gesetzt werden müssen, die Kosten-Nutzen-Frage nicht ganz außer acht lassen. Dies sollte Gegenstand eingehender Erörterungen im Ausschuß sein. Allerdings gehört dazu erst noch eine genaue Kenntnis über die Vorstellungen der CDU/CSU-Fraktion, wer die Ausstellung konzipieren, mit welchen technischen Mitteln dies geschehen, welchen Umfang die Ausstellung haben und welche Themen sie im einzelnen behandeln soll.Aus all diesen Gründen kann ich namens der SPD-Fraktion eine gewisse Skepsis zu dem Antrag der Opposition nicht verhehlen. Aber wir wollen jetzt und hier keine endgültige Meinung äußern. Wir wollen die aufgeworfenen Fragen im Ausschuß gründlich prüfen und dann entscheiden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte vor Ihrem einführenden Beitrag, Herr Kollege Werner, zu diesem sicherlich sehr interessanten Vorschlag nur zweierlei gesagt: 1. Problem erkannt; 2. Durchführung zum mindesten höchst problematisch.Nachdem ich Ihre Begründung gehört habe, würde ich meiner zweiten Anmerkung hinzufügen — nur rein formal betrachtet; ich komme auf Inhalte, wenn Sie wollen, gleich zu sprechen —: Dies müßte eine Mammutausstellung sein, bei der ich aber nicht weiß, wer sie machen und wie sie strukturiert werden soll. Aber dies sage ich nur zu Anfang.Lassen Sie mich ein paar grundsätzliche Bemerkungen voranschicken, die im Grunde genommen unsere gemeinsame Erkenntnis und das uns Verbindende darstellen, gerade auch nach dem, was wir in den letzten Tagen gehört haben. Ein seit über 36 Jahren geteiltes Land wie das unsere mit einer jüngeren Geschichte, die, wie man sagen muß, nicht ohne Irritationen ist, hat es ohne Zweifel schwer, in der breiten Öffentlichkeit lange Zeiträume hindurch ein gesamtdeutsches Bewußtsein zu erhalten und, wie wir es alle wollen, zu stärken.Ich brauche einführend nicht die vielfältigen Probleme aufzuzeigen, die uns bedrücken, und die Ursachen darzulegen, warum dies so ist. Ich glaube aber gerade, daß die öffentliche Anhörung, die der Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen in diesen Tagen durchgeführt und gestern abgeschlossen hat, beispielsweise zu dem Problembereich eines einheitlichen — und das soll doch wohl heißen: allen Deutschen gemeinsamen — Geschichtsbewußtseins, eine Fülle von Fragen aufgeworfen hat, auf die ich hier nicht näher eingehen kann und will, die aber im Grunde genommen deutlicher machen, als es mir beim Lesen Ihres Antrags vorkam, wie schwierig ein solches Unterfangen in der Durchführung ist, wie es Ihrem Antrag zugrunde liegt.In einer solchen Lage, meine Damen und Herren, hätte jedes Volk, so sage ich, gewisse Probleme. Ich verkenne nicht, daß diese Probleme bei uns Deutschen, auch hier in der Bundesrepublik Deutschland — nur davon können wir im Augenblick reden —, größer sind. Ich füge hinzu, daß eine jede Politik — und das ist das Schwierige der Situation, vor der wir alle stehen —, die das Offenhalten der deutschen Frage zum Ziel hat, den Grund unter den Füßen verliert, wenn in der Bevölkerung das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit im Abnehmen begriffen ist.
Diese Sorge verbindet uns alle, Herr Kollege Jäger. Bei allen Meinungsverschiedenheiten im Detail — vielleicht auch manchmal etwas mehr als im Detail — das weiß ich nicht genau —, glaube ich, daß eine solche Lagebeurteilung im Grunde genommen von allen hier geteilt wird. Darüber hinaus bin ich der Meinung, daß die Politik in der Bundesrepublik Deutschland, d. h. Bundesregierung ebenso wie Parlament und Parteien, durch geeignete Maßnahmen einer solchen Entwicklung entgegenwirken muß. In erster Linie ist dies allerdings eine Frage von Erziehung und Bildung, die in Familie und Schule, in anderen Bildungseinrichtungen und auch in den Medien zu leisten sind. Ich möchte allerdings schon jetzt warnen: Ein gesamtdeutsches Bewußtsein muß das Ergebnis eines natürlichen — ich möchte beinahe sagen: selbstverständlichen — Bildungsprozesses im einzelnen Bürger sein, wenn es von Dauer sein soll. Gesamtdeutsches Bewußtsein als Kunstprodukt wird keinen Bestand haben können.Nun komme ich zu Ihrem Vorschlag, zu dem gedachten Zweck eine „mobile Ausstellung unter Beteiligung der interessierten gesellschaftlichen Gruppen zu schaffen". Ich glaube, darüber muß man ein- oder zweimal wirklich sehr gründlich nachdenken. Es sollte selbstverständlich sein, die einzelnen Gegenstände der deutschen Geschichte, Persönlichkeiten, Zeitepochen, kulturelle, soziale Leistungen in geeigneter Weise und aus geeignetem Anlaß öffentlich darzustellen. Das steht aber auf einem anderen Blatt. Ich denke z. B. daran, daß man sich auch in der Bundesrepublik Deutschland zum 500. Geburtstag Martin Luthers 1983 einiges mehr einfallen lassen sollte, als uns jedenfalls zur Zeit erkennbar ist.
Eine umfassende mobile Ausstellung, die Deutschland in allen Teilen, wie es in Ihrem Antrag
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3420 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1981
Dr. Wendigheißt, allen kulturellen, wirtschaftlichen und soziologischen Strukturen darstellen soll, empfinde ich als eine beinahe unlösbare Aufgabe. Was heißt: „in allen Teilen"? Ich habe durchaus Verständnis dafür — ich habe das sehr wohl aufgenommen —, daß Sie beispielsweise auf Ostpreußen und Schlesien hinweisen. Ich meine aber, es ist ein Unterschied — das macht es für die Ausstellung schwer —, den Beitrag Schlesiens, Ostpreußens oder welches Teils auch immer zur deutschen Geschichte, zu unserer Kultur, nicht nur als Geschichte, sondern als lebendigen Bestandteil darzustellen, wozu ich selbst als Ostdeutscher stehe, oder die Frage zu beantworten, wie ich für die Zukunft deutsche Politik betreibe. Hierin sehe ich einen Unterschied. Das ist in einer Diskussion sicherlich darzustellen. Aber ich sehe sehr große Schwierigkeiten, meine sehr verehrten Kollegen von der Opposition, das in einer Ausstellung deutlich zu machen.Bei uns im Lande scheint in der letzten Zeit die Form einer Ausstellung zur Darstellung historischer Entwicklungen überhaupt in Mode gekommen zu sein. Was für eine fernere Zeit, wie das Zeitalter der Staufer, vielleicht noch anging — ich habe die Ausstellung selbst nicht gesehen —, wird schon dann schwierig, wenn der historische Bereich mit in unsere Gegenwart hineinreicht. Dies zeigt die Preußen-Ausstellung in Berlin, die ich für kein nachahmenswertes und für Gesamtdeutschland nachahmbares Modell halte.Ich will in diesem Punkt auch in einem anderen Zusammenhang Preußen nicht mit Deutschland oder der deutschen geschichtlichen Gesamtentwicklung gleichsetzen. Es ist jedoch unbestritten, daß auch die deutsche Geschichte von Friktionen, von unterschiedlichen, oft gegensätzlichen Betrachtungsweisen nicht frei ist. Das haben wir in diesen Tagen gehört. Damit ich in diesem Zusammenhang nicht mißverstanden werde, möchte ich klarstellen, daß ich mich überhaupt nicht davor scheue, über solche noch unausgeräumten Streitpunkte öffentlich zu diskutieren. Dies scheint mir sogar notwendig zu sein. Ständig und auch heute erleben wir eine Diskussion. Aber ich sage es noch einmal: Darüber kann und muß man, wenn es nottut, zur rechten Zeit am rechten Ort öffentlich diskutieren. Eine Ausstellung wäre überfordert, sollte sie Derartiges leisten wollen. Die von den meisten erwünschte Ausgewogenheit kann sich nicht einstellen, oder die Darstellung bleibt blaß, ohne Konturen und daher eher unverbindlich.Vor allem kommt es wohl darauf an, daß ein gesamtdeutsches Bewußtsein — das ist auch Ihr Anliegen — lebendig ist und lebendig fortwirkt. Ich scheue mich — das sage ich noch einmal — vor dem Versuch, gesamtdeutsches Bewußtsein durch das Medium einer Ausstellung, insbesondere dann, wenn sie so breit angelegt werden soll, wie Sie es sagen, zu erhalten und fortzuentwickeln. Ich fürchte, es bleibt im besten Fall ein untauglicher Versuch, im schlimmsten Fall ein regional unterschiedlich getönter Streit um die Richtigkeit von Darstellungen. Ob damit das erstrebte Ziel erreicht wird, mag fraglich sein.Heinrich Heines „Deutschland — ein Wintermärchen" war 1844 nicht nur ein brandaktuelles politisches Gedicht, sondern vielleicht sogar ein Manifest. Ich hätte Sorge, ein Zeitgenosse heute schriebe, sofern er über die entsprechende dichterische Begabung verfügt, ein ähnliches Manifest unter der Überschrift „Deutschland — eine Wanderausstellung". Wenn am Ende nichts weiter übrig bliebe als das, nämlich eine Ausstellung, dann wäre das für unser Land nur traurig.
Ich bin der Meinung, wir sollten deswegen im Ausschuß sehr gründlich über diese Fragen reden und dabei auch die Erkenntnisse berücksichtigen, die wir als Mitglieder des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen in diesen Tagen gewonnen haben. Ich stimme der Ausschußüberweisung im Namen meiner Fraktion zu.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Abgeordneten Lorenz, Baron von Wrangel, Werner und weiterer Abgeordneter der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/446 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen und zur Mitberatung an den Innenausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Lorenz, Baron von Wrangel, Jäger , Lintner, Böhm (Melsungen), Schulze (Berlin) und der Fraktion der CDU/CSU Dokumentation zur Situation der Menschenrechte in der DDR
— Drucksache 9/684 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß
Auch für diesen Tagesordnungspunkt ist interfraktionell eine Redezeit von insgesamt 30 Minuten vereinbart worden. Sind Sie mit dieser neuen Regelung einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß bei diesem nicht ganz unwichtigen Thema doch noch ein paar Kollegen im Saal geblieben sind, und bedanke mich dafür.
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LowackDie Fraktion der CDU/CSU hat beantragt, die 1966 vom damaligen Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen erstellte und den Vereinten Nationen übermittelte Aufzeichnung über die Verletzung der Menschenrechte in der Sowjetischen Besatzungszone im Hinblick auf die heutige Situation in der DDR fortzuschreiben. Ich habe eines der letzten greifbaren Exemplare; es ist sehr, sehr schwierig — über den Wissenschaftlichen Dienst war es nicht möglich —, ein Exemplar zu bekommen. Ich glaube, wir sollten das wieder auflegen, weil doch sehr interessant ist, was damals auf Grund eines einstimmigen Beschlusses im Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen
und eines einstimmigen Kabinettsbeschlusses gedruckt wurde.
Dieser Antrag liegt auf der gleichen Linie wie der Antrag meiner Fraktion vom 3. März 1977 — Drucksache 8/152 —, eine Dokumentation über die menschenrechtliche Lage in Deutschland vorzulegen. Über diesen Antrag wurde in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 23. März 1977 diskutiert. Die schriftliche Begründung zu diesem Antrag hat unverändert Gültigkeit. Ich darf insoweit auszugsweise zitieren:Der Bundesrepublik Deutschland obliegt kraft Grundgesetz die besondere Verpflichtung, für die Wahrung der Menschenrechte in Deutschland und aller Deutschen einzutreten. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Verpflichtung im Urteil vom 31. Juli 1973 über den Grundvertrag erneut bekräftigt.Ich darf hierzu anmerken: Es ist schlimm genug, daß es einer erneuten Bestätigung und Bekräftigung bedurfte.Die Bundesregierung ist hiernach „nach wie vor befugt, innerhalb des Geltungsbereiches des Grundgesetzes, durch alle ihre diplomatischen Vertretungen und in allen internationalen Gremien, deren Mitglied sie ist, ihre Stimme zu erheben, ihren Einfluß geltend zu machen und einzutreten für die Interessen der deutschen Nation, zum Schutz der Deutschen im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 GG und Hilfe zu leisten auch jedem einzelnen von ihnen,— wenn ich an die Sache Rauschenbach denke, habe ich schwerwiegende Bedenken —der sich an eine Dienststelle der Bundesrepublik Deutschland wendet mit der Bitte um wirksame Unterstützung in der Verteidigung seiner Rechte, insbesondere seiner Grundrechte. Hier gibt es für die Bundesrepublik Deutschland auch künftig keinen rechtlichen Unterschied zwischen den Bürgern der Bundesrepublik und ,den anderen Deutschen".Die Prüfung der menschenrechtlichen Lage in Deutschland und der Deutschen darf sich nicht nur auf die Registrierung der Durchführung bzw. Nichtdurchführung der in den Absichtserklärungen der KSZE-Schlußakte vorgesehenen Maßnahmen undvon einschlägigen Entwicklungen im Besuchsverkehr und bei der Aussiedlung auf Grund anderer Rechtsgrundlagen beschränken, sondern muß die gesamte menschenrechtliche Lage erfassen. Ihre Maßstäbe müssen hierbei die Menschenrechtsgarantien der Charta der Vereinten Nationen, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der Internationalen Konventionen über die Menschenrechte sein.Wir haben dann klar gesagt, was die Dokumentation erfassen soll. Ich darf in Ergänzung zu dem bisherigen Antrag darauf Bezug nehmend kurz zusammenfassen: Die menschenrechtliche Lage in der DDR in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht, insbesondere bezüglich der Gedanken-, Gewissens- und Meinungsfreiheit, des Rechts auf Sicherheit der Person, des Schutzes vor rechtswidrigen Eingriffen in das Privat- und Familienleben, des Rechts auf Eheschließung zwischen Bewohnern der DDR und der Bundesrepublik Deutschland; die Menschenrechtsverletzungen an der innerdeutschen Demarkationslinie.Verehrte Kollegen, wir haben ständig Anlässe, daran zu erinnern, was im anderen Teil Deutschlands an Menschenrechtsverletzungen geschieht.
Wir haben erst vor wenigen Tagen erlebt, wie zwei junge Familien mit einem zweijährigen Kind versucht haben, dem Regime drüben zu entgehen, indem man den Weg über die Ostsee in zwei kleinen Booten genommen hat. Aber wir erleben andere, furchtbare Beispiele, die nicht so glücklich ausgehen, in denen wie vor ein paar Monaten eine schwangere Frau erschossen wurde. Dieses Beispiel gab es früher auch schon. Das sind leider grausame Tatsachen einer Wirklichkeit, die wir politisch so nicht akzeptieren können, die wir auch nicht verschweigen können; denn wir als frei gewähltes deutsches Parlament sind dazu aufgerufen, darauf hinzuweisen, daß das Unrecht an Deutschen ist, das wir so nicht hinnehmen können.
Wir sind aufgerufen, immer wieder anzumahnen und die Mitglieder des Regimes drüben daran zu erinnern, daß das keine deutsche Politik auf Dauer sein kann.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Menschenrechte werden drüben mißachtet, obwohl das DDR-Regime gemäß Art. 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte anerkannt hat:Jeder Mensch hat das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl seines Wohnsitzes innerhalb eines Staates. Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen.Der Vorsitzende des Staatsrats der DDR hat am 28. Februar 1966 gegenüber dem Generalsekretär der Vereinten Nationen erklärt:Im Namen des Staatsrates der DDR erkläre ich feierlich, daß die DDR bereit ist, die Pflichten, die sich aus der Charta der Vereinten Nationen ergeben, zu übernehmen und
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3422 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1981
Lowack— ich bitte, genau zuzuhören —gewissenhaft zu erfüllen.Verehrte Kollegen, wir hatten im Innerdeutschen Ausschuß ein Gespräch mit dem zuständigen Bundesminister. Ich habe mir damals gestattet, den Minister zu fragen: Welches Konzept hat diese Bundesregierung im innerdeutschen Bereich langfristig, mittelfristig? Welche einzelnen Maßnahmen will sie in den nächsten Tagen, in den nächsten Monaten und Jahren unternehmen? Die offene und ehrliche Antwort des Ministers war: Wir haben kein Konzept, und da können wir auch kein Konzept haben. Ich frage Sie nur: Was bedeutet das in der Konsequenz? Das heißt doch nichts anderes, als daß wir uns dem aussetzen, was die anderen uns täglich vorsetzen: nur reagieren auf das, was die anderen im deutschdeutschen Verhältnis an Störungen in Szene setzen. Wenn wir so arm sind, daß eine deutsche Bundesregierung über lange Jahre kein Konzept hat, was sie in Deutschland erreichen will, dann — das muß ich wirklich sagen — sind wir am Ende dieser Politik angekommen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Keine Zwischenfrage; ich bitte um Verständnis im Hinblick auf die kurze Redezeit.
— Danke für den Hinweis. Herr Kollege Wehner, ich wollte Sie nachher sowieso noch besonders ansprechen, denn immerhin: Diese Dokumentation, die man heute nicht mehr bekommt, ist damals, wie ich bereits gesagt habe, durch einen einstimmigen Beschluß im Innerdeutschen Ausschuß zustande gekommen. Verehrte Kollegen, der Vorsitzende dieses Ausschusses war — das beleuchtet eigentlich, wohin sich in der Zwischenzeit die Bundesregierung begeben hat — Herbert Wehner. Ich bin gespannt, Herr Kollege Wehner, wie Sie das, was Sie damals vertreten haben, dem wir restlos zustimmen, heute innerhalb Ihrer eigenen Fraktion durchsetzen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ist uns nicht bewußt, welchen Irrsinn es bedeutet, wenn sich Menschen anmaßen, andere erschießen zu können oder den Befehl zum Erschießen geben zu können, nur weil die sich ein paar Meter oder Kilometer weiter westlich begeben wollen, welche ungeheure menschliche Überheblichkeit dahintersteckt? Das können wir doch nicht tolerieren, das können wir doch nicht hinnehmen. Damit wir überhaupt wissen, was passiert, müssen wir diese Dokumentation erstellen, damit wir im politischen Bereich überhaupt argumentieren können.
Wir haben die gesamtdeutsche Verantwortung. Bitte vergessen wir nicht: Die Menschen im anderen Teil Deutschlands erwarten von uns,
daß wir diese Verantwortung übernehmen, daß wir uns dieser Verantwortung stellen. Sie erwarten nicht nur, daß wir dauernd im stillen kuschen und sagen, wir könnten nur dann argumentieren und helfen, wenn wir diese Punkte nicht ansprechen. Das ist falsch. Es gibt eine Reihe von Beispielen. Ich darf an die Diskussion am 23. März 1977 erinnern. Damals hat einer unserer Kollegen die Probleme angesprochen, z. B. bezüglich Dr. Nitsche, Petition Riesa; ich kann das so in den Raum stellen. Nur dadurch, daß man diese Leute und diese Schicksale herausgestellt hat, war es doch möglich — genauso bei Nico Hübner und bei Rudolf Bahro —, diese Menschen letztlich davor zu bewahren, weiter in einer unglaublichen Art und Weise als Deutsche mit den Menschenrechtsverletzungen durch das Regime drüben konfrontiert zu werden.
— Ich danke für den wertvollen Hinweis von Ihrer Seite. Er beleuchtet für mich nur, wie konzeptionslos ihr letztlich seid. — Die Dokumentation 1966 war aus Anlaß eines Antrags des Staatsratsvorsitzenden der DDR erstellt worden, die DDR als Mitglied in die UNO zu bringen. Das war ein aktueller Anlaß. Trotzdem würde ich sagen: Das grundsätzliche Anliegen, das mit dieser Dokumentation verfolgt worden ist, ist nicht weggefallen. Nachdem wir haben erleben müssen, daß hier bisher kein gemeinsames Gespräch so möglich war, daß hier eine ständige Fortschreibung erfolgt, haben wir diesen Antrag gestellt. Wir brauchen die Dokumentation als Hilfe für die Menschen, die aus politischen Gründen inhaftiert und bedroht sind. Sie brauchen eine angemessene Vertretung durch uns.
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Ich bin bereits bei den letzten Sätzen. Ich bitte um Verständnis, daß ich, nachdem die Redezeit ursprünglich auf 15 Minuten festgesetzt war, eine Reihe von Argumenten leider nicht aufgreifen kann, unter anderem, Herr Kollege Wehner, die Argumente Ihrer Seite.Ich darf abschließend eines sagen: Ich würde bedauern, wenn diese Einmütigkeit, die damals im Innerdeutschen Ausschuß, im Kabinett und auch im Parlament vorhanden war, total verspielt wäre und heute nicht mehr möglich sein sollte.Ich bitte den Deutschen Bundestag, seine gesamtdeutsche Verantwortung als frei gewähltes deutsches Parlament zu akzeptieren und im Rahmen einer zielgerichteten Deutschlandpolitik die Fortschreibung der Dokumentation zu beschließen. — Danke schön.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1981 3423
Das Wort hat der Abgeordnete Schlaga.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die einzige Erwiderung, die ich im Moment auf meinen Vorredner für notwendig halte, ist die, daß die von ihm zitierten Aufzeichnungen jederzeit zu bekommen sind und nicht etwa irgendwo verschwunden sind. Ich hatte jedenfalls nicht die geringste Mühe, sie zu bekommen.Wir diskutieren hier über einen Antrag, der, so meine ich, doch schon eine ganze Menge Patina angesetzt hat. Wir haben gestern im Innerdeutschen Ausschuß ein Hearing — —
— Es ist doch kein Problem, ob das eine Ablichtung ist oder nicht. Ich bekomme es jedenfalls dort, wo ich es herbekommen möchte. Ich kann auch in die Bibliothek gehen und es mir von dort holen. — Wir haben gestern ein Hearing mit dem Thema: „Die deutsche Frage im Unterricht" gehabt. Während dieses Hearings wurde beklagt, daß in der jüngeren Generation wesentlich weniger an Wissen über die Problematik der Teilung in Deutschland vorhanden ist. Da wurde der Mangel an Bewußtsein über diese Problematik beklagt — natürlich auch über die Problematik aller deutsch-deutschen Fragen und selbstverständlich auch der sich daraus ergebenden Fragen der Handhabung der Menschenrechte —, und es wurde die mangelnde Betroffenheit über das beklagt, was zwischen Deutschland und Deutschland vor sich geht. Es wurde beklagt, daß nicht genügend Engagement da sei.Natürlich sucht man dann nach den Ursachen. Das ist notwendig. Dazu sind Anhörungen auch da. Ich finde, eine wesentliche Ursache dafür ist, daß vieles, was die deutsch-deutsche Problematik betrifft, durch andere, auch wesentliche, unter Umständen sehr viel wesentlichere Ereignisse in dieser Welt überlagert worden ist.Auch scheint mir die andere Ursache wichtig zu sein, daß wir nicht mehr in den 50er und 60er Jahren leben.
Wir leben nicht mehr in der Zeit der totalen Vereisung. Das hatten wir einmal.Ich bin mir sehr wohl darüber klar, daß wir noch viele Probleme zu lösen haben. Manche werden wir überhaupt nicht lösen können. Auch das ist mir klar. Wir leben in einer Zeit, in der es an der Grenze ruhiger geworden ist.
— Lieber Herr von Wrangel, Sie werden mir doch wohl zustimmen, daß wir gestern sehr nüchtern und sachlich in dem Hearing diskutiert haben. Mehr wollte ich eigentlich auch im Moment nicht wiedergeben.Es fehlt sozusagen das Spektakuläre, an dem sich vieles hochgerankt hat, fast über Jahrzehnte hinweg. Wenn das Spektakuläre, Sensationelle nicht da ist, dann gibt es so etwas wie eine Problemferne. Es steht für mich aber auch außer Zweifel, daß sich die Zustände in der DDR gegenüber den 50er und 60er Jahren verändert haben.Es gibt auch noch andere Gründe für die Beruhigung, für das Weniger an Hickhack zwischen hüben und drüben, nämlich die zielstrebige, sachliche, un-spektakuläre Politik der Bundesregierung gegenüber der DDR, gegenüber dem gesamten Komplex, der nun einmal über Jahre vor uns aufgebaut gewesen ist und den wir natürlich noch nicht bewältigt haben konnten. Die Folge davon war aber ein Mehr an menschlichen Erleichterungen, waren viel mehr menschliche Verbindungen und waren weniger Menschenrechtsverletzungen. Das ist gar keine Frage. Gemessen an den Beziehungen vieler anderer Staaten, benachbarter Staaten in dieser Welt hat sich sehr vieles zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR verändert, ja verbessert.Ich frage mich also: Was soll Ihr Antrag? Was soll dieser Antrag, daß die „Aufzeichnung über die Verletzung der Menschenrechte in der Sowjetischen Besatzungszone" von 1966 jetzt, 1981, fortgeschrieben werden soll, um in die Vereinten Nationen gegeben zu werden?
Das haben wir ja schon einmal getan, 1966, und das fand in einer Zeit statt, da die deutsch-deutschen Unzuträglichkeiten manchen in der Welt belasteten — ich will mir ein etwas unangenehmeres Wort ersparen —, das, was man damals gemeinhin „querelles allemandes" nannte, das in einem Umfeld stattfand, in dem das Hickhack über Fahne und Hymne eine Rolle spielte. Das Thema ist j a nun vom Tisch.
Manches entstand vielleicht, weil wir damals zuviel darüber laut nachgedacht haben, viel zu laut darüber gesprochen haben.Ich weiß also nicht, was Sie mit dem Antrag wollen, was diese Initiative bewegen soll. Ich hoffe, Sie haben sich das richtig überlegt — wenn es nicht nur politischer Aktionismus war oder ein bißchen politische Langeweile, um aus Ihrer Sicht die Landschaft neu zu beleben und manches, was Ihnen an Erfolgen nicht so richtig paßt, beiseite zu reden.Wir werden Ihren Antrag natürlich — er wird ja wohl überwiesen — im Ausschuß beraten. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, daß wir gegen alle Menschenrechtsverletzungen, die begangen worden sind,
Schritte unternommen haben, aber in einer Weise, die wir für angemessen und für richtig und auch letztlich für erfolgreich gehalten haben, die erfolgreich waren. Wir werden das auch in Zukunft, ver-
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Schlagaehrter Herr Kollege, nicht anders, sondern genausohandhaben.Die Frage ist nämlich die, wie spektakulär man etwas tut und wie wenig wirksam es dadurch unter Umständen werden kann.
Die Bundesregierung hat sich — das wissen Sie — dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte bedingungslos unterworfen. Dies hat die DDR nicht getan. Das wissen wir. Da gibt es auch nur bedingt Möglichkeiten einzugreifen. Die Bundesrepublik ist Mitglied und tätig in den Menschenrechtskommissionen, und sie ist Mitglied und tätig im Menschenrechtsausschuß der Vereinten Nationen. Ich verweise darauf, daß dieser Ausschuß derzeit in Bonn tagt. Ich erlaube mir namens meiner Fraktion, die Mitglieder dieses Ausschusses herzlichzu begrüßen.
— Ich verweise darauf, verehrter Herr Kollege, daß wir in diesen Gremien die Menschenrechtsverletzungen in allen Staaten der Erde besprechen bzw. versuchen, sie zu beseitigen oder zumindest erst einmal festzustellen. Zu den Staaten der Erde gehört auch die DDR. Also was soll das hier, daß Sie eine Sonderaktion machen?
Wir wissen aber auch, sehr verehrter Herr Kollege Lorenz — und darauf weise ich besonders hin —, daß die deutsch-deutschen Belange sehr sorgfältig, sehr sensibel und sehr wenig lautstark behandelt werden müssen, die deutsch-deutschen Belange, die nun einmal durch diese vertrackte Grenze gekennzeichnet sind, die unser Land teilt, und die durch zwei offensichtlich völlig unvereinbare Systeme gekennzeichnet ist, die ebenfalls durch diese vertrackte Grenze markiert werden und die durch zwei bis an die Zähne bewaffnete Militärpakte gekennzeichnet sind. Wenn man Anlieger einer solchen Grenze ist, hat man es ganz besonders nötig, vorsichtig und nicht zu lautstark zu taktieren. Dabei steht zuviel auf dem Spiel.
Die Erfolge, die wir mit dieser Politik gegenüber dem, was sich vor 1968 abgespielt hat, gehabt haben, liegen eindeutig auf der Hand.Im übrigen haben wir Sozialdemokraten aus der eigenen Geschichte ein außerordentlich gutes Gespür für die Menschenrechte und dafür entwickelt, wie man sie erwirkt — bei uns und anderswo — und wie man sie festigt. Die Mühseligkeit dieses Prozesses haben wir erfahren. Wir wissen, wie das läuft.Sie können diesen mühseligen, langen, aber sicher erfolgversprechenden Weg mit uns gehen. Sie haben doch erst kürzlich ein Angebot zur Zusammenarbeit abgegeben. Sie sind erneut dazu eingeladen. Ich hoffe, Sie machen davon Gebrauch. — Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Fromm.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der von der CDU/CSU eingebrachte Antrag bezüglich einer Dokumentation zur Situation der Menschenrechte in der DDR reiht sich ein in die Anfragen, die bereits in den vergangenen Legislaturperioden eingebracht wurden, zuletzt z. B. im Juni und im September dieses Jahres. Wir haben darüber debattiert. Nachzulesen sind die Antworten der Bundesregierung auf die Großen Anfragen der CDU/CSU zu den „wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten in der DDR" und zum „Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes sowie über bürgerliche und politische Rechte in der DDR, Anwendung der am 3. Januar und am 23. März 1976 in Kraft getretenen Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen", außerdem zum „Zweiten Folgetreffen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Madrid". Diskutiert wurde darüber auch in der vorigen Sitzungswoche im Rahmen zur „Bestandsaufnahme der Deutschlandpolitik".In ihren Antworten bekräftigt die Bundesregierung immer wieder, daß es ein wesentlicher Faktor für den Frieden und das Fundament der Entspannung ist, die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu wahren.Der Standpunkt der FDP wurde von vielen meiner Kollegen dargestellt. Ihnen schließe ich mich an.Ich möchte aber heute noch einmal erklären: Wir Freien Demokraten sehen in der Verwirklichung der Menschenrechte ein wesentliches Ziel der Entspannungspolitik. Wir setzen uns für das Recht eines jeden einzelnen ein, ganz gleich, wo er lebt, welche politische oder religiöse Überzeugung er vertritt und welche Hautfarbe er hat. Das erfordert, die Menschenrechte auch für alle Deutschen zu verwirklichen.
Meine Damen und Herren, auch Sie werden zugeben müssen: Wir leben in zwei Staaten unterschiedlicher Staats- und Gesellschaftsordnungen. Daraus müssen wir erkennen, daß das kommunistische Menschenrechtsverständnis auf soziale und wirtschaftliche Menschenrechte gründet, die individuellen und politischen Menschenrechte jedoch weitgehend zurückweist. Ein Hinweis auf die Verwirklichung der Menschenrechte bedeutet für uns keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes. Dieser Systemgegensatz läßt sich nicht mit Polemik überwinden, nicht mit Selbstgefälligkeit und vor allem nicht mit Schulmeisterei.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1981 3425
Herr Lowack, wenn Sie vorhin ein Konzept ansprachen, dann lassen Sie mich auf eins hinweisen: Schulmeisterei klingt aus einigen Antworten Ihrer Kollegen. Ich möchte aber den Weg zu einem Konzept weisen. Beharrlichkeit und sachliche Gespräche sind nötig. Wie mit der von der FDP und der SPD getragenen Politik der Verständigung und Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas und der DDR haben wir unseren Beitrag zu konkreten Verbesserungen für die Menschen im geteilten Deutschland geleistet. Auf diese Art und Weise können wir auf die Verwirklichung der Menschenrechte Einfluß nehmen und damit die Lebensbedingungen der Deutschen in der DDR verbessern.Herr Kollege Lowack, ist Ihnen bekannt, daß wir inzwischen viele tausend Probleme gelöst haben, ohne sie an die große Glocke zu hängen? Ich glaube, das muß hier gesagt werden.
In den KSZE-Konferenzen von Helsinki, Belgrad und Madrid ist die Bundesregierung für die Einhaltung der Menschenrechte eingetreten. Die klare und unmißverständliche Position der Bundesregierung hat sie zuletzt am 8. September 1981 in der Antwort auf die Große Anfrage der Union zum zweiten Folgetreffen der KSZE in Madrid wie folgt definiert:Die Bundesregierung ist insgesamt der Ansicht, daß Rechtsordnung und Praxis der DDR dem in den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen niedergelegten Standard in wesentlichen Bereichen nicht entsprechen. Dies belastet unser Verhältnis zur DDR. Gleichwohl hat das Bemühen um eine Verbesserung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten zu menschlichen Erleichterungen, d. h. zu konkreten Verbesserungen auch für die Bewohner der DDR, geführt. Darüber hinaus dient auch die durch die Deutschlandpolitik der sozial-liberalen Koalition erst ermöglichte Einbeziehung der DDR in völkerrechtliche Verpflichtungen zum Schutze der Menschenrechte der Absicherung und Verbesserung der Rechte der in der DDR lebenden Deutschen.Ende September dieses Jahres hat Bundesaußenminister Genscher mit Nachdruck auf den Geist und die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen hingewiesen wie Bereitschaft zum Dialog, zur Verhandlung und zur Zusammenarbeit und dabei festgestellt, daß in der gegenwärtigen schwierigen Phase der Ost-West-Beziehungen für beide deutschen Staaten gemeinsames Ziel sein muß, bei der Verwirklichung der Schlußakte von Helsinki in allen ihren Teilen die größten Fortschritte zu erzielen. Auch das ist ein Weg, Herr Lowack.Meine Damen und Herren von der Opposition, begreifen Sie doch endlich, daß all unsere Gespräche das Ziel verfolgen
— nein, sie gehen nicht ins Leere —,
die Lage der Menschen in Deutschland zu erleichtern und die Überwindung der Teilung durchmenschliche Begegnungen erträglicher zu machen.Für die FDP stellt sich durch den Antrag der Opposition die Frage, ob wir denn wirklich den Menschen in der DDR helfen, wenn wir einseitig die DDR an den Pranger stellen und übersehen, daß die auch von uns erhobene Kritik an der Umsetzung der Menschenrechte für viele andere Staaten dieser Welt ebenso gilt.
Wir sind nicht bereit, den Kampf um die Menschenrechte als Instrument des Kalten Krieges zu mißbrauchen.
— Das ist nicht aus der Mottenkiste, sondern Sie wärmen etwas auf, indem Sie solche Dinge, die 1966 geschehen waren, hier heute wieder vorbringen.
Dagegen sprechen, so möchte ich sagen, vor allem die ost- und deutschlandpolitischen Erfolge der sozialliberalen Koalition. Es ist heute so, daß die Entwicklung für uns spricht!
Meine Damen und Herren, wir werden der Überweisung an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen zustimmen. Nur ist für uns die Elle, an der auch dieser Antrag gemessen werden muß, unverändert: Es muß das Ziel der deutschen Politik bleiben, einen Zustand des Friedens in Europa herbeizuführen, in dem auch das deutsche Volk seinen Anspruch auf Selbstbestimmung verwirklichen kann. — Danke schön.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Kreutzmann.
Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Lowack hat hier Ausführungen zu Aussagen von Minister Franke im Innerdeutschen Ausschuß gemacht, die so nicht hingenommen werden können.Der Minister hat wörtlich erklärt:Wir wollen kein starres Konzept, das uns in unserer Beweglichkeit gegenüber der DDR hemmen und die andere Seite veranlassen würde, je-
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Parl. Staatssekretär Dr. Kreutzmannder Initiative von unserer Seite Widerstand entgegenzusetzen aus Furcht, eine Politik im alleinigen Interesse der Bundesregierung zu machen.Ich glaube, das hat wesentlich anders geklungen als das, was Sie, Herr Kollege Lowack, jetzt hier gesagt haben.Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß der Minister bei anderer Gelegenheit sehr deutlich gesagt hat, was das Konzept dieser Bundesregierung ist. Er hat gesagt: Unser Konzept ist, alles zu tun, um einen Krieg vom deutschen Boden her zu verhindern und in der Suche nach einem Interessenausgleich in den deutschen Dingen zwischen den beiden deutschen Staaten weiterzukommen.Herr Kollege Lowack, ich denke, dies ist ein Konzept. Das Konzept dieser Bundesregierung in der deutschen Frage hat als ein entscheidender Beitrag zur Festigung des Friedens in der Welt vom deutschen Boden aus weltweit Anerkennung gefunden. Ich glaube, daß man hier den Vorwurf der Konzeptionslosigkeit bei Gott nicht anbringen kann. Ich bedaure Ihre Ausführungen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 9/684 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß sowie den Rechtsausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit diesem Überweisungsvorschlag einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, die Punkte 8 und 9 wurden von der Tagesordnung abgesetzt.
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Pensky zur Abgabe einer Erklärung gemäß § 32 der Geschäftsordnung das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der heutigen Vormittagssitzung habe ich in der Debatte zu Punkt 2 der Tagesordnung, antwortend auf das zuvor vorgetragene Zahlenspiel des Herrn Kollegen Bohl zu unfriedlichen Demonstrationen, folgendes erklärt:
Allerdings wird dabei immer verschwiegen, daß es noch nie so viel unfriedliche Demonstrationen wie vor 1970 gegeben hat, vor Erlaß des neuen Demonstrationsrechts und zu einer Zeit, als es noch keine sozialliberale Verantwortung in diesem Staat gab.
„Nennen Sie die Zahlen, Herr Pensky!" Ein weiterer Zwischenruf — des Herrn Kollegen Dr. Klein (CDU/CSU) — lautete: „Sie müssen erst einmal den Beweis für Ihre Behauptung antreten!" — Durch diese Zwischenrufe ist der Eindruck entstanden, als hätte ich vor dem Deutschen Bundestag die Unwahrheit gesagt.
Gemäß § 32 der Geschäftsordnung möchte ich daher folgendes erklären.
Gemäß der jährlich von dem Herrn Bundesminister des Innern herausgegebenen Statistik über die Entwicklung auf dem Gebiet der Demonstrationen und der im Zusammenhang damit begangenen strafbaren Handlungen, die für alle Mitglieder des Hauses zugänglich ist, haben im Jahre 1969 2 253 Demonstrationen stattgefunden, von denen 813 unfriedlich verlaufen sind. Im Jahre 1980 sind von 4 471 Demonstrationen 143 unfriedlich verlaufen. Aus der Statistik ergibt sich des weiteren, daß in den Jahren 1970 bis 1979 die Demonstrationen, soweit sie unfriedlich verlaufen sind, unterhalb der Grenze von einem Viertel der im Jahre 1969 unfriedlich verlaufenen Demonstrationen gelegen haben. — Ich danke.
Meine Damen und Herren, wir treten nun in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Wir fahren in den Beratungen fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 9/911 —
Die Frage 55 des Abgeordneten Bamberg aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Die Fragen 56 und 57 des Herrn Abgeordneten Pfeffermann, die Fragen 58 und 59 des Herrn Abgeordneten Bindig und die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brücher steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe Frage 61 des Herrn Abgeordneten Schröder auf:
Welche einzelnen Möglichkeiten der Einflußnahme auf die beginnenden Verhandlungen zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten und der Regierung der UdSSR zur Begrenzung der Rüstung mit Mittelstreckenraketen hat die Bundesregierung?
Bitte, Frau Staatsminister.
Herr Kollege, auf Initiative der Bundesregierung ist im Namen des Nordatlantischen Bündnisses schon vor fast zwei Jahren eine besondere Beratungsgruppe geschaffen worden, in der der Verhandlungsteil des NATO-Doppelbeschlusses vorbereitet wird. Die Gruppe trifft sich seither regelmäßig zur Abstimmung westlicher Positionen und wird die
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Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücher Verhandlungen als maßgebliches Konsultationsgremium der Bündnispartner auch begleiten.Die Bundesregierung nimmt an den Beratungen in dieser Gruppe aktiv teil. Sie hat die Möglichkeit, über diese Gruppe, die sich, wie gesagt, in kurzen Abständen trifft und zusätzlich im Falle der Notwendigkeit jederzeit einberufen werden kann, ihre Vorstellungen in die Verhandlungen einzubringen.Darüber hinaus hält die Bundesregierung engen bilateralen Kontakt mit dem westlichen Verhandlungsführer USA und anderen Bündnispartnern. Sie nutzt zudem alle Gesprächsmöglichkeiten mit der Sowjetunion, um die Verhandlungen im Sinne der von ihr mitgetragenen westlichen Position zu fördern.Schließlich bieten auch Kontakte mit anderen Staaten des Warschauer Paktes Gelegenheit zum sachbezogenen Meinungsaustausch.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 62 des Herrn Abgeordneten Schröder auf:
Mit welchen konkreten von deutschen und europäischen Interessen bestimmten Verhapdlungszielen nimmt die Bundesregierung diese Möglichkeiten wahr?
Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, deutsches, aber auch europäisches und allgemein westliches Verhandlungsziel ist es, die nuklearen Mittelstreckenraketen auf einem gleichen und möglichst niedrigen Niveau global zu begrenzen. Dieses Niveau kann um so niedriger sein, je weiter die Sowjetunion ihre Vorrüstung reduziert. Wird diese Vorrüstung vollständig beseitigt, dann erübrigt sich für den Westen die Aufstellung der vorgesehenen Mittelstreckenwaffen.
Regierung und Bürger der Bundesrepublik Deutschland würden nichts sehnlicher wünschen als ein solches Verhandlungsergebnis. Dies wäre für uns der Idealfall.
Insgesamt hat sich die Bundesregierung in den bisherigen Konsultationen dafür eingesetzt, daß bei den Verhandlungen konkrete Ergebnisse auf einem gleichen, möglichst niedrigen Niveau angestrebt und dadurch auch mehr Vorhersehbarkeit und mehr Stabilität in den Beziehungen zwischen Ost und West erreicht werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schröder.
Frau Staatsminister, was versteht die Bundesregierung unter dem Begriff der „Vorrüstung", und ist es denkbar, daß ein Teil — ich sage ausdrücklich „ein Teil" — der sowjetischen SS-20-Raketen auch als Modernisierung bisher stationierter Raketen betrachtet werden könnte?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, wie Sie wissen, ist unter „Vorrüstung der Sowjetunion" die seit Jahren anhaltende Stationierung von SS-20-Raketen mit vergrößerter Reichweite und mehreren Sprengköpfen zu verstehen.
Ob und in welcher Weise am Ende das Gleichgewicht definiert wird, läßt sich zu Beginn der Verhandlungen natürlich nicht voraussagen.
Zweite Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, ich habe hier einen Aufsatz von Theo Sommer aus der „ZEIT" vom 8. 10. 1981. Ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin eine Bemerkung daraus zitieren.
Herr Kollege, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß das nicht üblich ist. Sie dürfen hier nur Fragen stellen.
Ich stelle es in indirekter Rede dar.
Würde die Bundesregierung einer Bemerkung von Theo Sommer in der „ZEIT" vom 8. 10. 1981 in einem Artikel über den amerikanischen Verhandlungsführer Paul Nitze zustimmen können, wonach dieser Paul Nitze vor vierzehn Tagen eine internationale Strategiekonferenz mit der Bemerkung verblüfft habe, er, Nitze, finde es gut, wenn man die westliche Nachrüstung, falls sie nötig sei, auf See stationiere?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich glaube, wir haben jetzt im Zusammenhang mit Ihrer ursprünglichen Frage nicht zu verhandeln, ob es vorteilhafter ist, Mittelstreckenraketen auf See oder auf Land zu stützen.
Weitere Zusatzfragen? — Herr Abgeordneter Schulte.
Frau Staatsminister, ist es richtig, daß die Vereinigten Staaten seit der Tagung der Nuklearen Planungsgruppe das Ziel, das Verhandlungsziel einer Null-Lösung miterstreben werden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Das ist richtig, Herr Kollege, und schlägt sich j a auch in dem Kommuniqué der gestern abgeschlossenen Sitzung nieder, in der auch auf die Möglichkeit des Verhandlungsziels einer Null-Option ausdrücklich hingewiesen wird.
Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:Kann die Bundesregierung Auskunft darüber geben, von welchen Ländern während der Vollversammlung der Vereinten Nationen in diesem Jahr die offene deutsche Frage und die Situation von Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze angesprochen oder behandelt worden sind?Bitte sehr, Frau Staatsminister.Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die deutsche Frage wurde während der Generaldebatte der diesjährigen Generalversammlung der Vereinten Nationen — die Generalversammlung
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Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücherselbst dauert ja noch bis Mitte Dezember — wie in den Vorjahren außer von uns und der DDR nur von dem afrikanischen Staat Ruanda angesprochen, der sich in seinen Reden in den Vereinten Nationen traditionell für die deutsche Wiedervereinigung einsetzt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Frau Staatsminister, worauf führen Sie es zurück, daß nur die Betroffenen — in welcher Perspektive auch immer — die deutsche Frage in die Vereinten Nationen, in die Vollversammlung eingebracht haben?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, es ist schwierig, darüber zu spekulieren. Aber ich gehe davon aus, daß durch den Grundlagenvertrag eine vertragliche Regelung der Verhältnisse der beiden deutschen Staaten vorhanden ist, so daß dieses Thema aus diesem Grunde nicht regelmäßig Gegenstand der Reden in den Vereinten Nationen ist.
Zweite Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.
Frau Staatsminister, können Sie mir darin zustimmen, daß der Schießbefehl, der Todesstreifen und auch die Mauer trotz des innerdeutschen Grundvertrages weiterhin existieren, so daß auch für andere Vertretungen Grund genug vorhanden wäre, in New York auf diesen Punkt einzugehen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, es gibt ja nicht nur die Generaldebatte der Generalversammlung, sondern es gibt ja auch viele andere Gelegenheiten, im Rahmen der Vereinten Nationen auf diese Dinge hinzuweisen. Wie Sie wissen, tut die Bundesregierung das bei jeder geeigneten Gelegenheit.
Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger .
Frau Staatsminister, hat die Bundesregierung in dieser noch andauernden Vollversammlung der Vereinten Nationen den Versuch unternommen, durch Gespräche mit befreundeten Staaten darauf hinzuwirken, daß außer Ruanda, dessen Eintreten für die deutsche Sache verdienstvoll ist, auch noch ein paar andere, mit uns befreundete oder verbündete Staaten die Gelegenheit genommen hätten, die Worte des Bundesaußenministers dort eindrucksvoll zu unterstreichen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, wir versuchen natürlich, mit den befreundeten Staaten immer wieder über die Probleme zu sprechen. Wir können sie aber nicht in irgendeiner Weise veranlassen, in den Generaldebatten dazu Stellung zu nehmen, in denen ja in der Regel auch nur die sehr aktuellen Probleme behandelt werden.
Danke.
Ich rufe die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Herberholz auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die in der an amerikanische Soldaten in der Bundesrepublik Deutschland verteilten Broschüre „Welcome to Deutschland", herausgegeben vom USAREUR und der 7. US Army, auf der ersten Seite enthaltene Äußerung, die US-Soldaten seien nur aus einem Grund in der Bundesrepublik Deutschland, um die Interessen der Vereinigten Staaten zu verteidigen, im Hinblick auf den NATO-Verteidigungsauftrag?
Bitte, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die von Ihnen zitierte Broschüre wird von USAREUR verteilt, um die zum ersten Mal in Europa Dienst tuenden amerikanischen Soldaten zu begrüßen und sie auf ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland einzustimmen. Es handelt sich demnach nicht um ein irgendwie geartetes sicherheitspolitisches Dokument. In einer derartigen Broschüre kann und soll ja nicht im einzelnen auf komplexe Zusammenhänge der sicherheitspolitischen Lage eingegangen werden.
Im übrigen wird in den auf die zitierte Formulierung folgenden Sätzen der Broschüre auf den gemeinsamen Verteidigungsauftrag der NATO unter Beteiligung amerikanischer Streitkräfte hingewiesen. Ich möchte Sie also bitten, diesen Absatz auch noch nachzulesen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Herberholz? — Bitte.
Frau Staatsminister, ich wäre Ihnen natürlich dankbar, wenn Sie mir, was den letzten Teil Ihrer Antwort angeht, mitteilen könnten, wo Sie diese Ausführungen in der Broschüre gefunden haben. Teilen Sie meine Auffassung, daß die Bundesregierung dennoch darauf hinwirken sollte, daß Formulierungen wie „to defend the interests of the United States" innerhalb der NATO möglichst nicht verwendet werden sollten?Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, da wir im Auswärtigen Amt den Fragen der Abgeordneten stets mit großer Ernsthaftigkeit nachgehen, habe ich mir das Blatt „Welcome to Deutschland" besorgt. Ich möchte den von mir vorhin angeführten Satz nun mit Genehmigung der Frau Präsidentin vorlesen — ich lese langsam —:American troops support the North Atlantic Treaty Organization ... whose 15 member nations make up a common defense effort to check the spread of Soviet influence in Europe. NATO forces serve to counter the powerful threat of the Warsaw Pact, headed by the Soviet Union.Ich glaube, gegen die Definition des Auftrags amerikanischer Truppen in Deutschland kann beim besten Willen nichts eingewendet werden.Was den ersten Teil Ihrer Frage angeht, Herr Kollege, so haben wir eine Information bekommmen, wonach man unter Umständen erwägt, die Formulierung des ersten Satzes bei einer Neuauflage zu überdenken.
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Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Herberholz.
Frau Staatsminister, dürfte ich Sie dann vielleicht auch bitten, daß Sie das von Deutschland gezeichnete Bild auf Seite 1, dritte Kolumne, zweiter Absatz, etwas zu korrigieren versuchen, in dem Deutschland nur als aus Karneval, Bergen, Schifahren und „Fräuleins" bestehend apostrophiert wird?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich glaube, bei beckmesserischer Kritik — entschuldigen Sie — sollten wir ein bißchen den Sinn dieser Broschüre im Auge behalten. Es ist eine Broschüre, die in sehr leichter Form versucht, den aus Amerika kommenden jungen GIs ein bißchen schmackhaft zu machen, warum sie überhaupt hier sind. Da ist dieser lockere Ton meiner Ansicht nach durchaus angebracht.
Keine Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Frau Staatsminister.
Die Fragen 65 und 66 des Abgeordneten Thüsing werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär von Schoeler zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 67 des Abgeordneten Sielaff auf:
Inwiefern berücksichtigt die Bundesregierung im Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes, daß mit der Nutzbarmachung von Energie aus Altreifen die Umweltbelastung durch die lange Verrottungszeit in Deponien gemindert und gleichzeitig durch eine systematisierte Altreifenverbrennung eine 10 bis 20prozentige Ersparnis von Primärenergie in bestimmten Industrieanlagen erreicht wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich wäre dankbar, wenn ich Ihre Fragen 67 und 68 zusammenfassend beantworten dürfte.
Der Fragesteller ist einverstanden. Daher rufe ich auch die Frage 68 des Abgeordneten Sielaff auf:
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, darauf hinzuwirken, daß Sammelstellen in Kreisen und Städten für Altreifen eingerichtet werden, damit die Verrottung von Altreifen in Deponien generell untersagt werden kann?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Der Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes enthält für den in der Frage angesprochenen Bereich keine Regelung. Die Bundesregierung hat mit ihrem Abfallwirtschaftsprogramm von 1975 ein umfassendes Konzept zur Abfallverwertung und -verminderung vorgelegt. Der Vollzug dieses Programms durch die Wirtschaft hat bei der Bewertung von Altreifen wegen des reichen Energiegehalts und der guten Eignung als Sekundärrohstoff einen besonders hohen Stand erreicht.
Nach den Ermittlungen des Umweltbundesamts werden gegenwärtig bei einem Jahresanfall von 330 000 t Altreifen bereits zirka 82 % der Runderneuerung, der thermischen Energienutzung, der Verarbeitung zu Sekundärrohstoffen und anderen Verwertungsprozessen zugeführt. Inbegriffen sind die Bevorratung für diese Zwecke und die im Binnen- und Außenhandel befindlichen Mengen. Lediglich zirka 18%, d. h. etwa 60 000 t, werden noch abgelagert, und zwar auf Hausmülldeponien zirka 10 000 t — das sind 3% — und auf Monodeponien zirka 17 000 t — das sind 5% —. In Anlagen zur Zerkleinerung und Aufbereitung von Autowracks, sogenannten Schredderanlagen, werden rund 33 000 t — das sind 10 % — Altreifen zu Abfall.
Die Bundesregierung fördert Entwicklungsvorhaben, um auch diese Reststoffe einer Verarbeitung zuzuführen.
Die Einlagerung von Altreifen in Deponien zeigt, wie sich aus diesen Zahlen ergibt, stark abnehmende Tendenz und dürfte in den kommenden Jahren weiter auf geringfügige und für die Umwelt unproblematische Mengen zurückgehen. Die gesonderte Erfassung von Altreifen ist weitgehend gesichert. Aus diesen Gründen sieht die Bundesregierung keine Notwendigkeit für zusätzliche staatliche Regelungen.
Keine Zusatzfrage.Die Fragen 69 und 70 des Abgeordneten Wimmer werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 71 des Abgeordneten Weirich auf:Welche Gründe haben das Bundesinnenministerium veranlaßt, an das ÖKO-Institut in Freiburg einen Auftrag zu vergeben, und was sind die Kosten?Bitte schön, Herr Staatssekretär.von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weirich, der Bundesminister des Innern hat dem ÖKO-Institut in Freiburg keinen Auftrag erteilt. Das ÖKO-Institut ist aber neben dem Institut Infras, Zürich, vom Institut für angewandte Systemforschung und Prognose e. V., abgekürzt ISP, in Hannover, in dessen Vorstand sich Professor Dr. Pestel und Professor Dr. Hübl befinden, als Unterauftragsnehmer in die Bearbeitung eines Forschungs- und Entwicklungsvorhabens einbezogen worden, welches vom Umweltbundesamt vergeben wurde. Es handelt sich um das Forschungs- und Entwicklungsvorhaben „Abschätzung der Umweltverträglichkeit energierelevanter Gesetzesvorhaben".Der Vergabe dieses Vorhabens im Jahre 1979 war eine Vorstudie vorausgegangen, die vorn ISP ebenfalls mit dem Institut Infras und dem ÖKO-Institut als Unterauftragnehmern im Jahre 1978 abgeschlossen wurde. Die Vorstudie wies inhaltlich wie formal keine Mängel auf und hat ihren Zweck voll erfüllt.Es bestand auf Grund dieser Erfahrungen kein Anlaß, den Anbieter zu veranlassen, bei dem Hauptvorhaben das ÖKO-Institut nicht als Unterauftragnehmer heranzuziehen. Der Anteil des ÖKO-Insti-
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Parl. Staatssekretär von Schoelertuts am Gesamtvolumen des über zwei Jahre laufenden Vorhabens beträgt, in Mark ausgedrückt, rund 225 000 DM.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weirich.
Herr Staatssekretär, wie viele Aufträge hat das ÖKO-Institut entweder als Unterauftragsnehmer oder als Auftragsnehmer in den letzten fünf Jahren von der Bundesregierung erhalten, und wie hoch ist die Geldsumme dafür gewesen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weirich, die Frage kann ich Ihnen naturgemäß nicht beantworten, da sie einen langen Zeitraum und den Aufgabenbereich zahlreicher anderer Ressorts betrifft. Ich bitte Sie, sich mit den hauptsächlich in Frage kommenden Ressorts in Verbindung zu setzen. Ich bin auch bereit, die Frage zwecks Arbeitserleichterung weiterzugeben; aber ich kann sie im Augenblick nicht beantworten.
Eine zweite Zusatzfrage.
Halten Sie es angesichts des umstrittenen wissenschaftlichen Wertes des ÖKOInstituts und der besonders pointierten Position des ÖKO-Institutes gegen die Energiepolitik der Bundesregierung für erträglich, daß dieses Institut von der Bundesregierung in besonderem Maße als Auftragsnehmer oder auch als Unterauftragsnehmer beschäftigt wird?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weirich, weder der Bundesminister des Innern noch die Bundesregierung haben jemals die Auffassung vertreten, daß Voraussetzung für die Vergabe eines Auftrags an ein Institut dessen Wohlverhalten im Sinne der Politik der Bundesregierung zu sein habe.
Ich rufe die Frage 72 des Herrn Abgeordneten Weirich auf:
Wo sind die Berichte über das abgeschlossene Forschungsprojekt einzusehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Vorhaben steht kurz vor dem Abschluß. Nach Abnahme des Abschlußberichtes, voraussichtlich noch Ende dieses Jahres, werden Berichtsexemplare in der Bibliothek des Umweltbundesamtes zur Verfügung stehen. Eine Veröffentlichung des Berichts ist vorgesehen und wird im wesentlichen von der Verfügbarkeit entsprechender Haushaltsmittel abhängen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 73 des Herrn Abgeordneten von Wrangel auf:
Strebt die Bundesregierung gegenüber der DDR eine Regelung über den Verlauf der innerdeutschen Grenze im Elbeabschnitt an, und vertritt sie dabei den Standpunkt, daß die Grenze an der Elbe zwischen Schnackenburg und Lauenburg am Nordostufer entlang der Streichlinie der Buhnenköpfe verläuft?
Bitte, Herr Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach Abschnitt I des Zusatzprotokolls zum Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten ist es Aufgabe der Grenzkommission, die Markierung der zwischen beiden deutschen Staaten bestehenden Grenze zu überprüfen, und, soweit erforderlich, zu erneuern oder zu ergänzen sowie die erforderlichen Dokumentationen über den Grenzverlauf zu erarbeiten. Gleichermaßen hat die Kommission zur Regelung sonstiger mit dem Grenzverlauf im Zusammenhang stehender Probleme beizutragen.
Wie im Regierungsprotokoll vom 29. November 1978 über die Ergebnisse der Arbeit der Grenzkommission festgestellt worden ist, sind die Arbeiten zur Erfüllung dieser Aufgaben für die Grenzabschnitte 7 bis 9 — Elbe — und einen Teil des Grenzabschnitts 24 — Warme Bode — noch nicht abgeschlossen. Beide Seiten haben im Regierungsprotokoll die Absicht bekundet, die Arbeiten fortzusetzen.
Die Schwierigkeit einer eindeutigen Auslegung der vorhandenen Unterlagen und der Praxis auf der Elbe hat dazu geführt, daß zur Zeit noch keine Feststellung des Grenzverlaufs im Elbeabschnitt getroffen werden konnte. Diese Schwierigkeit besteht unverändert fort. Die Bundesregierung hat immer wieder, zuletzt in meiner Antwort vom 15. Mai 1981, auf die Fragen der Kollegen Mertes und Lorenz darauf hingewiesen, daß sich der Verlauf der Grenze gemäß Ziffer 1 der Erklärung zu Protokoll über die Aufgaben der Grenzkommission allein nach den diesbezüglichen Festlegungen des Londoner Protokolls vom 12. September 1944 und späteren davon abweichenden Vereinbarungen der damaligen Besatzungsmächte bestimmt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Wrangel.
Herr Staatssekretär, nach dieser Antwort darf ich Sie fragen, ob Sie mir zustimmen, daß die Frage der Verlegung immer im Zusammenhang mit der Staatsbürgerschaft und der Umwandlung der Ständigen Vertretung genannt worden ist und daß Nachgiebigkeit in der Elbfrage selbstverständlich die Verhandlungsposition der Bundesregierung aufweichen und auflösen könnte.von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Was den ersten Teil der Frage betrifft, Herr Kollege von Wrangel, so ist richtig, daß der Staatsratsvorsitzende der DDR in seiner Geraer Rede diesen Punkt des Elbeabschnittes im Zusammenhang mit den beiden anderen von Ihnen erwähnten Punkten genannt hat.Was den zweiten Teil der Frage betrifft, so weise ich noch einmal darauf hin, daß nach Auffassung der Bundesregierung der Auftrag der Grenzkommission eindeutig ist: den Grenzverlauf nicht mit konstituti-
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Parl. Staatssekretär von Schoelerver Wirkung festzulegen, sondern festzustellen, welchen Inhalt die Abmachungen und Erklärungen der Alliierten haben, also festzustellen, was die Alliierten festgelegt haben, und nicht eigene Feststellungen zu treffen.
Keine Zusatzfrage. — Dann rufe ich die Frage 74 des Herrn Abgeordneten Baron von Wrangel auf:
Wird die Bundesregierung der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs , daß die Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR am Ostufer der Elbe verläuft, folgen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Feststellung des Grenzverlaufs ist Aufgabe der Grenzkommission. Wie in der Antwort zu der vorangegangenen Frage ausgeführt wurde, konnten die Arbeiten für den Elbeabschnitt noch nicht abgeschlossen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Jäger .
Herr Staatssekretär, können Sie die Frage, die der Herr Kollege von Wrangel gestellt hat, insoweit bejahen, als sich die Bundesregierung bei ihrer Mitwirkung in der Grenzkommission — sie ist ja, was die Vertreter der Bundesrepublik betrifft, nicht ein weisungsungebundenes, sondern ein weisungsgebundenes Gremium — an dem geltenden Recht, wie es auch in Urteilen und Beschlüssen unserer Gerichte zum Ausdruck kommt, zu halten gedenkt?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, ich glaube, daß das Problem durch diese Frage verschoben wird. Ich kann Ihre Frage nicht bejahen, ohne in Widerspruch zu einer Aussage zu geraten, die die Bundesregierung immer wiederholt hat und an der ich auch hier festhalte: daß es die Aufgabe der Grenzkommission ist, den Grenzverlauf der Elbe allein nach den diesbezüglichen Festlegungen des Londoner Protokolls vom 12. September 1944 und späteren davon abweichenden Vereinbarungen der damaligen Besatzungsmächte zu bestimmen. Sie werden in diesen Erklärungen keinen Hinweis auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs finden, in dem es im übrigen um eine Frage der örtlichen Zuständigkeit ging.
Ich glaube, Sie ersehen schon aus diesem Zusammenhang, daß ein solcher Schluß, wie Sie ihn vereinfachend gezogen haben, nicht zu ziehen ist.
Danke schön.
Ich rufe die Frage 75 des Herrn Abgeordneten Lorenz auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der Verlauf der innerdeutschen Grenze auch im Elbeabschnitt allein nach den Bestimmungen des „Londoner Protokolls" vom 12. September 1944 und den zusätzlichen Vereinbarungen der damaligen Besatzungsmächte sowie unter Berücksichtigung der insoweit rechtserheblichen Praxis der damaligen Besatzungsmächte festgestellt werden darf, und daß spätere Verhaltensweisen deutscher Stellen in diesem Zusammenhang unerheblich sind?
Bitte, Herr Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lorenz, die Bundesregierung hat bereits in meiner Antwort vom 15. Mai 1981 auf Ihre Frage ausgeführt, daß maßgeblich auch für den Grenzverlauf im Elbeabschnitt die Erklärung zu Protokoll über die Aufgaben der Grenzkommission ist. Hier muß ich mich wiederholen.
Für die Ermittlung des Inhalts der Vereinbarungen der Besatzungsmächte ist auch deren Praxis rechtserheblich. Auf die Ausführungen in der Antwort auf die Frage des Kollegen von Wrangel nehme ich Bezug. Deutsche Stellen konnten das Grenzregime der Besatzungsmächte selbstverständlich nicht ändern.
Eine Zusatzfrage, Herr Jäger .
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß die Bundesregierung bei der Aufgabe der Feststellung bzw. Beschreibung, die der Grenzkommission anhand des Londoner Protokolls und eventuell später getroffener alliierter Vereinbarungen obliegt — darum geht der Streit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR j a —, die Interpretation zu wählen hat, die sich für unsere Vertreter in dieser Grenzkommission aus unserem geltenden Verfassungsrecht, aus unserem geltenden Recht ergibt?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weise noch einmal darauf hin, daß es darum geht, in einem sicherlich sehr schwierigen Bereich Tatsachen festzustellen, nicht aber Rechtsfragen zu klären. Die Tatsachenfeststellung hat anhand der Unterlagen zu erfolgen, die für diese Tatsachenfeststellung maßgeblich sind. Ich glaube, damit ist Ihre Frage zum Teil beantwortet. Ansonsten fehlt es nach meiner Auffassung an der Berechtigung für die Frage.
Ich rufe die Frage 76 des Herrn Abgeordneten Lorenz auf:
Hält die Bundesregierung daran fest, daß mit Rücksicht auf die fortbestehenden Rechte und Pflichten der ehemaligen Siegermächte in bezug auf Deutschland als Ganzes auch im Elbe-abschnitt keine Grenzfeststellungen erfolgen dürfen, die konstitutiven Charakter hätten?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Der Auftrag der Grenzkommission, Herr Kollege, bestimmt sich nach der Erklärung zu Protokoll über die Aufgaben der Grenzkommission. Danach ist sie lediglich befugt, das von den Besatzungsmächten Vereinbarte festzustellen.
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Bedeutet das, daß die Bundesregierung der Auffassung ist, daß auch im Elbeabschnitt keine Grenzfeststellungen erfolgen dürfen, die konstitutiven Charakter haben?von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Das bedeutet, wie ich bereits gesagt habe, daß die Grenzkommis-
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Parl. Staatssekretär von Schoelersion ausschließlich befugt ist, das von den Besatzungsmächten Vereinbarte festzustellen.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie immer wieder zu hörende Äußerungen von den Koalitionsparteien und von der Bundesregierung — zuletzt von Herrn Bundesminister Franke in einer Debatte in diesem Hause —, daß man über die Frage der Abgrenzung „nachdenken" solle? Ist das auch nur so gemeint, daß man im Rahmen dessen, was von den Besatzungsmächten festgelegt worden ist, nachdenken kann, oder gibt es da bei der Bundesregierung weitergehende Vorstellungen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Ich sehe keinerlei Widerspruch zwischen dem, was ich hier geantwortet habe, und dem, was Herr Bundesminister Franke in der Debatte des Bundestages dargelegt hat. Herr Franke hat auch seinerseits in den letzten Tagen noch einmal ausdrücklich betont, daß den Arbeiten der Grenzkommission ausschließlich deklaratorische, jedenfalls keine konstitutive Bedeutung zukommen kann, was die Feststellung des Grenzverlaufs betrifft.
Ich habe gerade die entsprechende Erklärung von Herrn Franke gesucht. Ich bin gern bereit, sie Ihnen anschließend zu geben. Ich nehme aber an, Herr Kollege, Sie kennen sie auch.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, da es nach Ihren gerade getroffenen Aussagen ja um die Ermittlung des Faktischen geht, möchte ich Sie fragen: Nachdem sich die Bundesregierung bisher nicht in der Lage gesehen hat, dem Wunsch der DDR zu folgen und die Fakten so, wie sie von der DDR behauptet werden, anzuerkennen, daß nämlich die Grenzlinie von den Alliierten auf den Talweg der Elbe festgelegt ist, hat sich denn irgendein neues Faktum aus der Sicht der Bundesregierung ergeben, das es der Bundesregierung erlauben würde, in dieser Frage der DDR gegenüber mehr Nachgiebigkeit zu zeigen? Haben sich hier neue Erkenntnisse und Fakten ergeben?
von Schoeler, Parl Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, ich meine, daß es beim gegenwärtigen Stadium der Arbeiten zur Feststellung des Grenzverlaufs im Elbabschnitt nicht sinnvoll ist, wenn sich einzelne Mitglieder der Grenzkommission zu den Fragen des Verlaufs des Grenzabschnitts in der Öffentlichkeit äußern. Ich halte deshalb auch nichts davon, wenn nun Einzelheiten der Tatsachen, die den Feststellungen, die von der Grenzkommission zu treffen sind, zu Grunde zu legen sind, seitens der Regierung öffentlich dargestellt oder bewertet werden. Ich glaube, diese Arbeiten sollten in dem vertrauensvollen Sinne, wie sie in der Grenzkommission bisher von Bund und den dort beteiligten Ländern behandelt worden sind, weiter behandelt und nicht öffentlich erörtert werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Wrangel.
Herr Staatssekretär, würden Sie bestätigen, daß, wenn Sie sich auf das Londoner Protokoll berufen, die Grenze nordöstlich der Buhnenköpfe verläuft?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es auf das Londoner Protokoll vom 12. September 1944 ebenso ankommt wie auf spätere, davon abweichende Vereinbarungen der damaligen Besatzungsmächte.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir darin zustimmen, daß die Mitglieder der Grenzkommission, soweit sie von uns gestellt werden, weisungsgebunden sind, und daß zu dieser Weisung gehören müßte, daß sie dem konstitutiven Charakter der bisherigen Grenzauffassung entspricht?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hupka, ich glaube, ich habe Ihre Frage nicht verstanden — akustisch schon, nur inhaltlich nicht. Denn es gibt doch gar keinen Anlaß dafür, zu glauben, daß zwischen Mitgliedern der Grenzkommission und der Bundesregierung auch nur irgendeine Meinungsverschiedenheit auftreten würde. Die von Ihnen hier aufgeworfene Frage stellt sich also gar nicht.
Ich rufe dann die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:Wie viele Polen haben in den drei Quartalen dieses Jahres um eine Aufenthaltserlaubnis auf Dauer in der Bundesrepublik Deutschland nachgesucht, und bei wie vielen ist ein Asylverfahren eingeleitet worden?Bitte schön, Herr Staatssekretär.von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Eine statistische Erfassung aller in der Bundesrepublik Deutschland einreisenden polnischen Staatsangehörigen erfolgt im Ausländerzentralregister nicht. Dort werden diejenigen Ausländer erfaßt, die sich nicht nur vorübergehend — z. B. auf Verwandtenbesuch oder als Touristen —, sondern für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten im Bundesgebiet aufhalten.Nach Angaben des Ausländerzentralregisters betrug die Zahl der polnischen Staatsangehörigen mit einer Aufenthaltsdauer von mehr als drei Monaten am 30. September 1980 60144. Vom 30. September 1980 bis zum 30. September 1981 sind 22 567 Aufenthaltserlaubnisse für diesen Personenkreis erteilt worden. Damit beträgt die Gesamtzahl der polnischen Staatsangehörigen, die sich Ende September 1981 in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur vorübergehend aufgehalten haben, 82 711, soweit sie im Ausländerzentralregister erfaßt sind.
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Parl. Staatssekretär von SchoelerIn den ersten drei Quartalen diese Jahres haben insgesamt 4 718 polnische Staatsangehörige einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte gestellt, um den zweiten Teil der Frage zu beantworten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hupka.
Herr Staatssekretär, um auf den ersten Teil Ihrer Antwort zurückzukommen: Entspricht die Zahl einer Statistik für das laufende Jahr oder entspricht sie der Gesamtzahl, die früheren Jahre mit einbezogen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Das ist die Gesamtzahl, Herr Kollege Hupka.
Keine weitere Zusatzfrage.
Frage 78 des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 79 des Herrn Abgeordneten Pauli auf:
Ist es zutreffend, daß die illegale Einfuhr von Betäubungsmitteln — insbesondere Rauschgiften — in das Bundesgebiet zunimmt, und was gedenkt die Bundesregierung zur Verstärkung der Kontrollfunktion der Grenzdienste zu tun?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es liegen derzeit keine Erkenntnisse für eine Zunahme der illegalen Einfuhr von Betäubungsmitteln vor.
Die Bundesregierung mißt der Bekämpfung des Rauschgiftschmuggels an der Grenze durch den Zoll und den Bundesgrenzschutz nach wie vor jedoch hohe Priorität bei. Diese Bereiche wurden deshalb von der Stelleneinsparung im Jahre 1981 ausgenommen.
Im Bereich der Zollverwaltung konnte die Zahl der Sondertrupps für Intensivkontrollen zu Lasten des allgemeinen Grenzaufsichtsdienstes von 65 auf 75 erhöht, die Ausrüstung mit Testsätzen und Werkzeugen verbessert und die Zahl der Rauschgiftspürhunde vermehrt werden. Die Sondereinsätze mit Verstärkungskräften aus anderen Bereichen der Zollverwaltung, die seit einem Jahr im Eisenbahn-, Landstraßen- und Luftverkehr durchgeführt werden, werden auch künftig eine wichtige Rolle bei der Rauschgiftbekämpfung spielen.
Im Bereich des Bundesgrenzschutzes werden die Dienststellen des Grenzschutzeinzeldienstes laufend durch Verstärkungskräfte der Verbände unterstützt. Die mobilen Fahndungstrupps des Grenzschutzeinzeldienstes werden seit einiger Zeit verstärkt zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität eingesetzt. Im übrigen werden mit Inkrafttreten des neuen Betäubungsmittelgesetzes am 1. Januar 1982 alle Beamten des Grenzschutzeinzeldienstes durch die Anwendung des § 21 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes weitergehende Befugnisse bei den Rauschgiftkontrollen erhalten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pauli.
Herr Staatssekretär, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich anläßlich einer Grenzbereisung zumindest teilweise andere Eindrücke erfahren habe, und, wenn es zutreffend ist, daß z. B. die Rauschgiftspürhunde und die entsprechenden Hundeführer nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind, d. h. auch die etatmäßig vorgesehenen Stellen dazu, was gedenkt die Bundesregierung insbesondere zum Schutz unserer Jugend auf diesem Gebiet zu tun?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, was die Bundesregierung getan hat, habe ich in meiner Antwort auf Ihre Frage dargestellt. Wenn Sie aber anhand eines konkreten Besuchs bei einem Grenzübergang bestimmte Erfahrungen gemacht haben, die nach Ihrem Eindruck im Widerspruch zu meiner Aussage hier zu stehen scheinen, dann bin ich selbstverständlich gerne bereit, Ihren Hinweisen nachzugehen. Ich kann natürlich nicht ausschließen, daß bei der generell richtigen Aussage, daß es laufend Verstärkungen der Kontrollmaßnahmen gegeben hat, wie ich sie im einzelnen aufgeführt habe, örtlich irgendwo ein Problem auftaucht. Ich bin gerne bereit, Ihren diesbezüglichen Hinweisen nachzugehen und zur Lösung beizutragen, soweit mir das irgend möglich ist.
Noch eine Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, sind im Hinblick auf den Drogenmißbrauch und auch angesichts der Unmöglichkeit, die Betriebsprüfungen durchzuführen, Stellenkürzungen bei der Bundeszollverwaltung im Grenzbereich überhaupt vertretbar?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bitte um Verständnis, daß ich Ihnen für den Bereich des Zolls und dortiger administrativer Maßnahmen keine Auskunft geben kann, denn der Finanzminister würde es wahrscheinlich als wenig sachkundig und wenig freundlich bezeichnen, wenn ich das täte. Sie wissen, daß der Zoll der Zuständigkeit des Finanzministers unterliegt.
Keine weiteren Zusatzfragen. Die Frage 80 des Herrn Abgeordneten Dr. Steger und die Frage 81 des Herrn Abgeordneten Dr. Laufs sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe Frage 82 des Herrn Abgeordneten Engelsberger auf. — Ich sehe ihn nicht im Saal. Die Frage wird nicht beantwortet.Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Herr Staatssekretär Dr. Erkel steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Ich rufe Frage 83 des Herrn Abgeordneten Daweke auf:
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3434 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1981
Vizepräsident Frau RengerHat die Bundesregierung Anhaltspunkte für die Annahme, daß es in den kommenden Jahren zu einer ,,Juristenschwemme" kommt, wie in Presseberichten vorhergesagt wird, und wenn ja, welche?Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, darf ich die Fragen 83 und 84 zusammen beantworten?
Ausgangspunkt für die in Presseberichten vorhergesagte Juristenschwemme ist die hohe Zahl von Bewerbern für das Fach Rechtswissenschaft, namentlich jetzt im Wintersemester 1981/82. Nach Auskunft der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen haben sich 17 971 deutsche Studienanfänger im Hauptantrag um einen Studienplatz in diesem Fach beworben. Diese Zahl muß jedoch — das muß ich allerdings hinzufügen — relativiert werden, da ein nicht unbeträchtlicher Anteil der Bewerber das Studium in dem gewählten Fach nicht aufnimmt. Auf Grund der Erfahrungen des vorigen Wintersemesters dürfte die Zahl der Studienanfänger im Fach Rechtswissenschaft im Wintersemester 1981/82 bei 13 500 liegen. Dies bedeutet gegenüber dem Vorjahr immerhin eine Steigerung von knapp 30 %, gegenüber 1979 sogar eine Steigerung von knapp 50 %. Ob dieser Trend anhält, läßt sich — auch wegen der noch in den letzten Jahren aufgetretenen Schwankungen bei den Studienanfängerzahlen — nicht absehen.
Die Arbeitsmarktlage für Juristen ist gegenwärtig insgesamt nicht ungünstig. Im September 1980 waren bei der Bundesanstalt für Arbeit 1060 arbeitslose Juristen gemeldet. Diese Zahl liegt immerhin weit unter der allgemeinen Arbeitslosenquote.
Die Bundesregierung hat allerdings bereits in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage über Berufsaussichten junger Juristen vom 6. Juni 1977, Drucksache 8/550, darauf hingewiesen, daß sich wegen der Mitte der 70er Jahre erheblich angestiegenen Zahl der Studienanfänger die Absolventenzahlen ab 1982 erheblich erhöhen werden. Sie dürften sich bis zum Ende dieses Jahrzehnts — sofern dies berechenbar ist — auf verhältnismäßig hohem Niveau, bei knapp geschätzt 6 000 im Jahr, stabilisieren. Auf Grund dieses Zuwachses ist, wie die Bundesregierung ebenfalls in der vorgenannten Antwort ausgeführt hat, damit zu rechnen, daß in den kommenden Jahren ein erheblicher Teil der Absolventen keine Beschäftigungsmöglichkeiten in den traditionellen Juristenberufen finden wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Daweke.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt denn die Bundesregierung die Entwicklung in den 80er Jahren insgesamt? Wir müssen ja feststellen, daß wegen der demographischen Entwicklung die große Zahl der Studenten erst noch auf die Universitäten zukommt, so daß die Vermutung naheliegt, daß auch die Zahl der Jurastudenten weiter ansteigen wird.
Dr. Erkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich habe mich in meiner Antwort auf die Zahl der Jurastudenten bezogen. Die Beurteilung der Entwicklung insgesamt liegt beim Bildungsminister. Diese Zahlen sind mir nicht gegenwärtig.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? — Bitte.
Ich möchte Sie noch einmal im Zusammenhang mit der „Schwemme" — weil das j a auch eine Situationsbeschreibung des Angebots an Arbeitsplätzen ist — fragen, wie denn die Bundesregierung die Zahl der in den nächsten Jahren freiwerdenden Stellen für Juristen im öffentlichen Dienst beurteilt.
Dr. Erkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Zahl der freiwerdenden Stellen im öffentlichen Dienst wird meiner Erinnerung nach auf zirka 2 000 geschätzt. Der Abgang insgesamt wird etwas darüber liegen. Die Zahl der freiwerdenden Stellen wird nach unserer Erfahrung erheblich unter dem liegen, was an Juristen auf uns zukommen wird. Dies hängt natürlich damit zusammen, daß die Rechtswissenschaft kein Numerus-clausus-Fach gewesen ist und nun schon über lange Zeit einen erheblichen Anteil der Studenten anzieht, die in den Numerus-claususFächern keinen Platz finden.
Ich rufe Frage 84 — des Herrn Abgeordneten Daweke — auf:Kann die Bundesregierung Statistiken bestätigen, denenzufolge in Kürze sich so viele Juristen in der Ausbildung befinden wie es Volljuristen in der Bundesrepublik Deutschland gibt, nämlich 100000, und wie beurteilt die Bundesregierung die sozialen Folgen einer massenhaften Arbeitslosigkeit unter Juristen?Bitte, Herr Staatssekretär.Dr. Erkel, Staatssekretär: Die Bundesregierung hat 1977 die Zahl der Absolventen auf 91 000 geschätzt. Unter Berücksichtigung der Entwicklung in der Zwischenzeit dürfte die Annahme von gegenwärtig etwa 100 000 erwerbstätigen Volljuristen in der Bundesrepublik Deutschland zutreffen. Die Zahl der in Ausbildung befindlichen Juristen, die sich abschätzen läßt, beläuft sich etwa auf 85 000. Daraus wird schon ein großes Mißverhältnis deutlich. Die genannte Zahl 85 000 setzt sich folgendermaßen zusammen: aus zirka 73 000 Studenten, wobei die Rechtspraktikanten der einstufigen Ausbildung mitgezählt sind, und aus etwa 12 000 Referendaren.Wie sich aus der Antwort auf die vorangegangene Frage ergibt, kann für absehbare Zukunft noch nicht von einer massenhaften Arbeitslosigkeit der Juristen ausgegangen werden. Es ist damit zu rechnen, daß sich die Arbeitsmarktlage für Juristen beträchtlich verschlechtern wird und daß ein Teil der Berufsanfänger — wie es aber auch in anderen Bereichen bei den akademischen Berufen der Fall ist — schlechtere Verdienstmöglichkeiten vorfinden wird.Im Hinblick auf die allgemein veränderte Arbeitsmarktsituation für Hochschulabsolventen empfiehlt sich eine möglichst breite Unterrichtung der Schüler schon der Oberstufe; und bei der Studienberatung
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1981 3435
Staatssekretär Dr. Erkelsollte klargestellt werden, daß das Jurastudium kein unbedingt erfolgversprechendes Ausweichstudium für Studienanfänger ist, die die Voraussetzungen für die Numerus-clausus-Fächer nicht erfüllen.Gute Juristen mit gutem Examen werden auch heute noch sehr gesucht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Daweke.
Herr Staatssekretär, könnten Sie etwas zu den auch in meiner Frage zitierten Presseberichten sagen, wonach von sämtlichen im öffentlichen Dienst beschäftigten Juristen zur Zeit 25 % über 50 Jahre alt sind, und wie beurteilen Sie die Folgen dieses sehr ungünstigen Altersschnitts für Juristen, die sich in der Ausbildung befinden?
Dr. Erkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Zahl kann ich im Moment nicht bestätigen. Wenn sie in unseren Unterlagen ist, werde ich sie gern nachreichen.
Das Problem der zunehmenden Zahl der Juristen besteht natürlich nicht nur darin, daß die Hochschulabgänger nicht die Arbeit finden, die sie sich vorgestellt haben. Das ist ein allgemeines Problem. Die — in Anführungsstrichen gesprochen — Überproduktion bei der Ausbildung von Juristen, die keinen Arbeitsplatz finden, der ihnen adäquat ist oder ihren Vorstellungen entspricht, hätte nicht nur die erheblichen individuellen Härten zur Folge, die mit einer solchen Fehlleitung verbunden sind, sondern hätte ganz nachteilige Auswirkungen auch auf die Rechtspflege. Bei der Rechtspflege ist der Zugang zur Anwaltschaft ja nicht beschränkt. Deshalb würden arbeitslose Juristen vornehmlich in den Anwaltsberuf gedrängt, ohne dort zureichende Verdienstmöglichkeiten zu finden. Der dadurch bedingte starke Konkurrenzdruck könnte die bisherige Stellung des Anwalts gefährden, der in seinem freien Beruf nach dem Gesetz und nach ganz überwiegender Auffassung ein Organ der Rechtspflege ist.
Wie ich bereits gemerkt habe, geht die Bundesregierung auf Grund der erkennbaren Fakten davon aus, daß durch sachgerechte Aufklärung und anderes eine massenhafte Arbeitslosigkeit unter den Juristen nicht eintreten wird. Die Justizminister der Länder haben wiederholt die Gelegenheit ergriffen, darauf hinzuweisen, daß Berufswünsche der Jurastudenten sich möglicherweise nicht erfüllen lassen werden. Besonders angelegen sein lassen hat sich dies der Deutsche Anwaltsverein, der von dem Problem natürlich am ehesten bedrängt werden wird.
Das war aber eine ausführliche Antwort. Ich hoffe, Sie haben nicht noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
— Dann darf ich aber um eine kürzere Antwort bitten.
Daweke [CDU/CSU]: Vielleicht ist die Frage diesmal länger als die Antwort.
Auch das wäre verkehrt.
Wenn man Ihre These akzeptiert, daß das Verdrängen der Juristen aus den öffentlichen Beschäftigungsverhältnisssen in den Anwaltsberuf hinein zu solchen Ergebnissen, wie Sie sie gerade beschrieben haben, führt, müßte sich daraus an die Bundesregierung zusammen mit den Landesministern für Justiz eigentlich eine dringende Aufforderung ergeben, die größere Öffentlichkeit auf dieses Problem hinzuweisen, zumal wenn man weiß, daß es bei den Städten nicht mehr ungewöhnlich ist, daß Anwälte Sozialhilfe beziehen.
Dr. Erkel, Staatssekretär: Ich glaube, Herr Abgeordneter, dies ist wiederholt geschehen.
Wir behandeln das Thema in der Fragestunde, damit es an die Öffentlichkeit kommt.
Sehr gut.
Herr Reddemann, eine Zusatzfrage.
Herr Staassekretär, könnten wir Sie in dieser Fragestunde dazu veranlassen, nicht nur im Rahmen der Fragestunde das Thema halböffentlich zu behandeln, sondern darüber hinaus in den diversen Broschüren, die die Bundesregierung in die Bevölkerung einschleust?
Dr. Erkel, Staatssekretär: Wir haben im Augenblick keine Broschüre hierüber vorgesehen. Die Aufklärung obliegt auch mehr der Bildungsseite und ist damit weitgehend in der Zuständigkeit der Länder.
Meine Bemerkung „sehr gut" war natürlich keine Bewertung, es war nur meine Reaktion auf die kurze Antwort Ihrerseits.
Befürwortet die Bundesregierung eine Auflösung der „Zentralen Erfassungsstelle" der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter, und welche Änderungen der 1961 maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen könnten —bejahendenfalls — Anlaß dafür geben?Dr. Erkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, bei der Zentralen Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter handelt es sich um eine Einrichtung des Landes Niedersachsen, das diese Einrichtung im Auftrage der übrigen Bundesländer unterhält. Die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, eine Entscheidung über die Befürwortung oder Nichtbefürwortung des Fortbestandes oder der Auflösung zu treffen. Die Justizminister der Länder sind vor kurzem in Celle zu ihrer 52. Konferenz zusammengetreten, und zwar am 1. und 2. Oktober. Auch dort hat das Thema nicht auf der Tagesordnung gestanden; es ist nicht darüber gesprochen worden. Es hat auch niemand das Bedürfnis gehabt, hierüber zu sprechen.
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3436 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1981
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.
Herr Staatssekretär, da sich Ihre Auskunft mit der Antwort deckt, die mir der Parlamentarische Staatssekretär Ihres Hauses schon am 21. Januar dieses Jahres gegeben hat, muß ich Sie fragen: Wie erklärt sich dann die Bundesregierung, daß Herr Bundesminister Franke die Möglichkeit einer Auflösung der Erfassungsstelle in Salzgitter in der Debatte am 8. dieses Monats ins Gespräch gebracht hat bzw. sich auch Herr Staatssekretär Bölling überhaupt zu dieser Problematik geäußert hat, nachdem mir von der Bundesregierung gesagt worden war, es gebe überhaupt keinen Grund, darüber zu debattieren?
Dr. Erkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, eine Äußerung von Herrn Staatssekretär Bölling ist mir nicht bekannt. In der Zeitung habe ich etwas gelesen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kommt das in unserer Einstellung zu dem Problem, das mit der Zentralen Erfassungssstelle in Salzgitter verknüpft ist, hinreichend zum Ausdruck? Leider müssen wir das mit Nein beantworten.
Dann hat er gefragt:
Ist unsere Haltung wirklich so ganz frei von Selbstgerechtigkeit?
Ich sehe hier keinen Widerspruch.
Zusatzfrage, Herr Sauer.
Würden Sie in dieser, wenn auch vielleicht nur rhetorisch gestellten Frage, Herr Staatssekretär, nicht ein Signal an die DDR sehen, auch diese Frage in zukünftige Gespräche einzubinden?
Dr. Erkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann Herrn Bundesminister Franke nicht interpretieren. Soweit ich das sehe, ist hier kein Signal an die DDR beabsichtigt gewesen. Die Stelle in Salzgitter ist j a ein Thema, das man nicht behandeln kann wie die Frage, ob man ein Postamt an einer bestimmten Stelle errichtet oder ob man es an einer bestimmten Stelle schließt. Die Stelle in Salzgitter ist in einer bestimmten Situation im Jahre 1961 entstanden.
— Ich weiß es. — Sie ist von allen politischen Kräften der Bundesrepublik Deutschland damals so gewollt und getragen worden. Sie ist mit vielen Motiven, Wünschen, Hoffnungen der verschiedensten Art belastet. Wenn die Bundesrepublik den Wunsch hat, daß diese Stelle nicht mehr bestehen soll, dann
wird die Bundesrepublik das sagen. Ich glaube, damit habe ich Ihre Frage beantwortet.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung entgegen den wiederholten Forderungen der Regierung der DDR dabei bleibt, daß an dem gegenwärtigen Zustand, daß die Bundesländer diese Zentrale Erfassungsstelle unterhalten und betreiben und in der bisherigen Weise dort verfahren, nichts geändert werden soll?
Dr. Erkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich darf dazu auf meine Antwort auf die eingereichte Frage verweisen.
Zusatzfrage, Herr Reddemann.
Herr Staatssekretär, wenn es einerseits richtig ist, daß Bundesminister Franke kein besonderes Signal an die DDR-Regierung geben wollte, als er dieses Thema im Bundestag anschnitt, wenn es andererseits aber auch stimmt, daß die Zentrale Erfassungsstelle eine Einrichtung des Landes Niedersachsen ist, die auf Wunsch der Justizminister aller Bundesländer geschaffen wurde, möchte ich Sie fragen: Was kann den Minister überhaupt veranlassen, zu einem solchen Zeitpunkt eine solche Erklärung abzugeben?
Dr. Erkel, Staatssekretär: Die Frage kann ich beantworten, Herr Abgeordneter.
Ich glaube, uns alle - nun ohne Unterschied zwischen den Parteien, die in diesem Hause vertreten sind — bedrückt die Situation. Die DDR ist j a keine Sache, die wir abhandeln könnten wie irgend etwas anderes. Wir haben Mitgefühl mit den Menschen dort drüben. Es ist j a nicht unser Verdienst, daß wir in dieser Bundesrepublik Deutschland, in diesem freiheitlichen Staat, leben, und es ist auch nicht der Fehler der Deutschen in der Deutschen Demokratischen Republik, daß sie in diesem Staat leben.
So habe ich auch Herrn Franke verstanden. Selbstgerecht zu sein ist keine gute Eigenschaft. Wir sollten, gerade um unsere Verbundenheit mit den Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik, mit den Deutschen in der Deutschen Demokratischen Republik, zum Ausdruck zu bringen, auch darüber nachdenken, ob wir nicht selbstgerecht sind.
Ich darf die nächste Frage aufrufen, die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Heyenn:Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß die Antwort auf meine Anfragen in der Fragestunde bei den Betroffenen Verständnislosigkeit und Besorgnis hervorrufen muß, und welche Folgerungen zieht sie gegebenenfalls daraus?
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1981 3437
Dr. Erkel, Staatssekretär: Darf ich beide Fragen zusammen beantworten?
— Vielen Dank!
Dann rufe ich zusätzlich die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Heyenn auf:
Welche Maßnahmen auf Grund des vor 3'/2 Jahren erschienenen Berichts über die Maßnahmen der Bundesregierung zur rechtlichen Gleichstellung von ehelichen Kindern und Adoptivkindern sowie von leiblichen Eltern und Adoptiveltern sieht die Bundesregierung noch vor, und wann sollen die jeweiligen Maßnahmen in Kraft treten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Erkel, Staatssekretär: Zum Zwecke der Anpassung des gesamten Bundesrechts an das neue Adoptionsrecht zieht die Bundesregierung eine Gesamtlösung in einem einzigen Gesetzeswerk gesonderten Anpassungen in den einzelnen Rechtsgebieten vor. Diese Lösung hat den Vorteil, daß die Rechtsstellung der Adoptivkinder und der Adoptiveltern auf sämtlichen Rechtsgebieten dann auch wirklich nach einheitlichen Maßstäben geregelt werden wird.
Der Nachteil ist: Diese Lösung greift in eine Vielzahl von Rechtsgebieten ein, so daß eine größere Anzahl von Bundesministerien — es sind, glaube ich, acht — daran beteiligt ist.
Die Bundesregierung glaubt, ohne mit dem Ablauf der Angelegenheit zufrieden zu sein, daß der größere Zeitaufwand bei den Betroffenen doch auf ein gewisses Verständnis stößt, zumal die dringlichsten Anliegen, wie die Anpassung auf dem Gebiete des Einkommensteuerrechts, bereits erledigt worden sind.
Im Vordergrund stehen Änderungen des Bundeskindergeldgesetzes, der Reichsversicherungsordnung, des Beamtenversorgungsgesetzes, des Soldatenversorgungsgesetzes und des Unterhaltssicherungsgesetzes. Es ist vorgesehen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung so rechtzeitig vorzulegen, daß das Gesetz in der laufenden Wahlperiode verabschiedet werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyenn.
Herr Staatssekretär, ist Ihre Antwort nicht zumindest insofern widersprüchlich, als Sie zum einen ausführen, daß Sie eine einheitliche Regelung vorziehen, zwei Sätze weiter aber ausführen, daß es im Einkommensteuerrecht, bei der Erbschaft- und der Schenkungsteuer, bereits vorgezogene Regelungen gibt?
Dr. Erkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich sehe einen Widerspruch nicht, denn die Regelungen in diesen genannten Rechtsgebieten waren besonders dringlich und von besonderer materieller Bedeutung. Es gibt auch unter den noch ausstehenden Dingen noch Änderungen von materieller Bedeutung; oft sind es aber auch nur redaktionelle Anpassungen des Textes.
Es müssen insgesamt noch 15 oder 18 Gesetze geändert werden. Es empfiehlt sich nun nicht, dem
Bundestag jeweils einen einzelnen Gesetzentwurf vorzulegen, um möglicherweise einen einzigen Paragraphen zu ändern. Eine solche Abstimmung hat — das wissen Sie, da Sie in der Verwaltung gearbeitet haben — ihre Tücken. — Die einzelnen Gesetze möchte ich jetzt, um das nicht zu verlängern, nicht aufführen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyenn.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß die Inkognito-Adoption dadurch, daß von seiten des Bundesgesetzgebers die Folgevorschriften bisher nicht geändert wurden und somit zahlreiche Formulare, die verwendet werden, noch die Unterscheidung zwischen leiblichen und Adoptivkindern bzw. zwischen leiblichen und Adoptiveltern vorsehen, in weiten Bereichen entgegen den Intentionen des Gesetzes, das ja schon 1977 in Kraft getreten ist, in Frage gestellt wird?
Dr. Erkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann nicht bestätigen, daß das an den nicht zu ändernden Formularen liegt. Ich muß Ihnen allerdings bestätigen, daß die Formulare zum Teil erst dann geändert werden können, wenn das Gesetz geändert ist.
Noch eine Zusatzfrage, bitte.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Staatssekretär: Teilen Sie meine Auffassung, daß es a) ein relativ einmaliger Vorgang ist, daß fast sechs Jahre nach einer Aufforderung des Deutschen Bundestages, die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften zu erlassen, die Bundesregierung dem noch nicht gefolgt ist, und daß es b) auf der anderen Seite begrüßenswert ist, daß Sie nun endlich einen Zeitpunkt für die Erledigung dieses Auftrages nennen können?
Dr. Erkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich sage selbst, daß mich die Abwicklung der Angelegenheit nicht zufriedenstellt.
— Anfang des Jahres ist der Entwurf fertig. Wegen dieser Materie müssen dann die verschiedensten Landesministerien beteiligt werden. Dies kann ich nicht umgehen. Wir werden den Regierungsentwurf dann so bald wie möglich vorlegen.
Herr Abgeordneter Lammert, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie hatten gerade die Hoffnung ausgesprochen, daß ein solches angekündigtes Gesetzeswerk noch im Laufe dieser Legislaturperiode verabschiedet werden könnte. Da ja die Abwicklung des Verfahrens hier im Hause nicht vollständig im Ermessen der Bundesregierung liegt, ist die relevante Frage die, bis zu welchem Zeitpunkt der Gesetzentwurf von seiten
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3438 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1981
Dr. Lammertder Bundesregierung fertiggestellt und vorgelegt werden wird.Dr. Erkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich habe mir auch überlegt, ob ich eine solche Frage heute beantworten soll. Ich kann es nicht.
— Der Grund ist folgender. Es handelt sich hier um Dinge, die nicht in meinem Machtbereich liegen. Allein in der Bundesregierung sind noch sieben andere Ministerien beteiligt. Das heißt, daß sich die Beteiligung bei den Ländern im Rahmen der Vorbereitungen des Bundesrates ganz genauso abwickelt. Dies sind Umstände, die nicht in meiner Macht stehen. Deshalb kann ich den fixen Termin nicht nennen.
Noch eine Frage? — Dies ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 88 des Herrn Abgeordneten Spranger auf:
Treffen Pressemeldungen zu, daß die Leipziger Schauspielerin Christine Reinhold in der Bundesrepublik Deutschland Schutz gesucht und bereits nach einem Tag wieder zur Rückkehr veranlaßt worden ist?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Erkel, Staatssekretär: Darf ich die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Spranger zusammen beantworten?
Dann rufe ich noch die Frage 89 des Herrn Abgeordneten Spranger auf:
Wie konnte es geschehen, daß eine „Betreuerin" die Adresse von Christine Reinhold so kurzfristig feststellen konnte und bei ihr auftauchte?
Dr. Erkel, Staatssekretär: Im Zusammenhang mit den Presseveröffentlichungen über die Vorfälle betreffend die Leipziger Schauspielerin Christine Reinhold hat die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Köln ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verschleppung im Sinne von § 234 a StGB eingeleitet.
Wie mir der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen mitgeteilt hat, verließ die DDR-Schauspielerin gemeinsam mit einer weiteren Angehörigen des „Leipziger Theater-Ensembles", das in der Bundesrepublik Deutschland gastierte, in der Nacht zum 12. Oktober 1981 ihr Hotel in Frankenthal möglicherweise mit dem Entschluß, nicht in die Deutsche Demokratische Republik zurückzukehren. Die beiden suchten eine Verwandte der Christine Reinhold in Köln auf.
Warum Christine Reinhold die Wohnung ihrer Verwandten verließ und anschließend mit einem Fahrzeug mit DDR-Kennzeichen fortgefahren ist, ist Gegenstand der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, die kurz vor ihrem Abschluß stehen. Die bisherigen Ermittlungen haben, wie der zuständige Staatsanwalt mitteilt, den zunächst vorhandenen Anfangsverdacht, daß Christine Reinhold gegen ihren Willen gehandelt hat, nicht erhärtet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Staatssekretär, sind irgendwelche Feststellungen an der Grenze getroffen worden, aus welchen Gründen Frau Reinhold wieder in die DDR zurückkehrte?
Dr. Erkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann hier nur über das berichten, was der Staatsanwalt in Köln bei seinem Ermittlungsverfahren ermittelt hat. Der Staatsanwalt in Köln hat noch mitgeteilt — dies kann ich Ihnen bestätigen —, daß ihm der Aufenthalt von Christine Reinhold im Augenblick unbekannt ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spranger, bitte.
Herr Staatssekretär, da Sie sagten, es werde wegen des Verdachts der Verschleppung ermittelt, welches sind die konkreten Verdachtsmomente, auf Grund deren dieses Ermittlungsverfahren läuft?
Dr. Erkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich habe mich bemüht, mehr Material freizubekommen, um es hier mit Ihnen besprechen zu dürfen, weil ich annahm, daß Ihr Interesse in diese Richtung geht. Meine Bemühungen im Lande Nordrhein-Westfalen sind erfolglos geblieben. Es handelt sich um ein Verfahren, über das dem Oberstaatsanwalt in Köln die Herrschaft zusteht. Er hat selbst keine Auskünfte gegeben. Das Justizministerium in Nordrhein-Westfalen will, solange das Verfahren läuft, auch im Landtag keine Auskunft geben. Ich sehe mich leider außerstande, hier weitere Einzelheiten mitzuteilen.
Herr Kollege Spranger, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie die Gründe nennen, die vorgegeben wurden, daß nun die weitere Auskunft über die Verdachtsgründe verweigert wurde?
Dr. Erkel, Staatssekretär: Weil das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist.
Die vierte Zusatzfrage, Herr Kollege Spranger, bitte.
Herr Staatssekretär, ist es nicht möglich, auch schon vor Abschluß des Verfahrens das Parlament in einem dringenden Fall insoweit über die Fakten zu unterrichten, als die weiteren Ermittlungen durch die Unterrichtung der Öffentlichkeit nicht gefährdet sind?Dr. Erkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich stimme Ihnen ja zu. Deshalb habe ich mich bemüht. Der Oberstaatsanwalt in Köln war der Meinung, daß die weiteren Ermittlungen möglicherweise durch die Eröffnung gefährdet würden.Ich darf aber auf einen Satz verweisen, der für das Parlament wichtig ist und der das Ganze, glaube ich, doch entkräftet:
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1981 3439
Staatssekretär Dr. ErkelDie Ermittlungen haben— so teilt der Oberstaatsanwalt mit, und er hat diesen Satz freigegeben —den Anfangsverdacht, daß Christine Reinhold gegen ihren Willen gehandelt hat,— beim Einsteigen in dieses Auto und beim Wegfahren —nicht erhärtet.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, muß es nicht merkwürdig berühren, daß eine Schauspielerin, die sich in dieser Weise von ihrem Ensemble entfernt, dann, wenn es sich nur um den Besuch bei einer Bekannten oder Freundin handelt, nicht nachher auf gleichem Wege wieder zu ihrem Ensemble zurückkehrt und die Tournee mit diesem Ensemble zusammen ganz normal fortsetzt, sondern vielmehr in einem unbekannten Wagen an einer noch unbekannten Stelle über die innerdeutsche Grenze in die DDR entschwindet?
Dr. Erkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, der Vorgang war wohl etwas turbulent.
Aber ich muß es dem Oberstaatsanwalt überlassen, das endgültig zu beantworten. Ich kann es nicht.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? — Bitte, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung irgendeinen Aufschluß darüber — ich frage jetzt nicht nach der Staatsanwaltschaft, sondern ich frage nach der Bundesregierung —, wie, auf welche Weise und von wem der Aufenthaltsort dieser Schauspielerin in Köln ermittelt werden konnte?
Dr. Erkel, Staatssekretär: Ich kann die Frage nicht beantworten, Herr Abgeordneter. In meinem Geschäftsbereich hat sich das nicht abgespielt.
Herr Abgeordneter Herberholz, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnten Sie bestätigen, daß jeder, der sich im Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland aufhält, dahin fahren kann, wohin er will, und auch die Grenze zu dem Land seiner freien Wahl überschreiten kann?
Dr. Erkel, Staatssekretär: So steht es in unserer Verfassung.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reddemann.
Herr Staatssekretär, da es hier um die Möglichkeit ging, daß jemand nicht aus freiem Willen über die Grenze der Bundesrepublik Deutschland gebracht wurde, möchte ich die zusätzliche Frage stellen, ob sich die Behörden der Bundesrepublik nicht pflichtgemäß dann um solche
Dinge kümmern müssen, wenn der Verdacht besteht, daß gegen den freien Willen eine Verschleppung stattfindet.
Dr. Erkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die zuständigen Behörden der Bundesrepublik Deutschland haben sich darum gekümmert. Das ist in diesem Fall der Oberstaatsanwalt in Köln. Auch der Generalbundesanwalt war pflichtgemäß über die Angelegenheit unterrichtet, hat aber keinen Anlaß gesehen, sie an sich zu ziehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Werner, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen eine Zeitungsmeldung bekannt, daß es nach Aussage der Heidemarie Gode bestimmte Anzeichen gebe, daß Frau Reinhold eben doch gewisse Verbindungen zu Staatssicherheitsorganen der DDR hatte, unter Umständen sogar in deren Auftrag hier gehandelt haben könnte?
Dr. Erkel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann hypothetische Fragen, die Gegenstand des Ermittlungsverfahrens sind, nicht beantworten. Ich bitte um Ihre Nachsicht.
Herr Abgeordneter Menzel, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie bestätigen, daß in solchen Fragen und solchen Ermittlungen ganz allein die von der Verfassung bestimmten Organe zuständig sind?
Dr. Erkel, Staatssekretär: Ja.
Keine weitere Zusatzfrage, meine Damen, meine Herren.Die Frage 90 des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Damit sind die Fragen aus diesem Geschäftsbereich beantwortet. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Böhme zur Verfügung.Die Frage 91 der Frau Abgeordneten Roitzsch wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 92 des Herrn Abgeordneten Feile auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die immer wieder aus dem Bundesland Bayern vorgetragene Kritik daran, daß die Sportvereine kein Recht der eigenen Spendenbestätigung haben, und liegen der Bundesregierung ähnliche Einwände aus anderen Bundesländern vor?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Metadaten/Kopzeile:
3440 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1981
Die Finanzministerkonferenz hat 1975 eine Ausweitung der Spendenbescheinigungskompetenz auf Sportvereine einstimmig abgelehnt. Sie hat in weiteren Beratungen 1977 und 1978 an dieser Auffassung festgehalten.
Ein Entschließungsantrag aus dem Bundestag vom 15. März 1979, der eine auf 600 DM je Spender jährlich begrenzte Spendenbescheinigungskompetenz für Sportvereine vorsah, hat im Bundestag keine Mehrheit gefunden.
Nach Kenntnis der Bundesregierung hat seither weder der Freistaat Bayern noch ein anderes Bundesland in der Bundesrepublik einen Antrag auf eine erneute Prüfung der einschlägigen Verwaltungsanweisungen durch die Finanzministerkonferenz gestellt.
Zusatzfrage, Herr Kollege Feile.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen der bisher fehlenden Spendenbestätigungskompetenz für Sportvereine und der Höhe des Spendenaufkommens, wie es von seiten der Vereine immer wieder vorgetragen wird?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Nein, da sehen wir keinen Zusammenhang, weil die bisherigen Regelungen ausreichend und auch praktikabel sind, wie ich gleich Gelegenheit haben werde, auf Ihre zweite Frage auszuführen.
Zu der ersten Frage noch eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Kritik, die man aus Kreisen der Sportvereine immer wieder hört, die sagen, sie fühlten sich gegenüber anderen Organisationen benachteiligt, die die Spendenbestätigungskompetenz ganz allgemein haben?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Dies ist eine Regelung, die sich aus unserer Rechtsordnung ergibt. Ich werde gleich in der Antwort auf Ihre zweite Frage ausführen können, daß auch Spenden an andere gemeinnützige Organisationen nur abzugsfähig sind, wenn sie über oder an eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder an eine öffentliche Dienststelle gezahlt werden. Das heißt, auch bei anderen gemeinnützigen Organisationen ist die Rechtslage nicht anders.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weinhofer.
Herr Staatssekretär, wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Regelung ausgewirkt, den Landessportverbänden die Möglichkeit zu geben, Spenden für Sportvereine entgegenzunehmen, um diese dann an die Vereine weiterzugeben?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Es ist richtig, daß die Landessportbünde die Möglichkeit haben, eigene Spendenbescheinigungen auszustellen. Wie sich dies im einzelnen ausgewirkt hat, kann ich jetzt nicht beurteilen. Ich habe jetzt kein Erfahrungsmaterial zur Hand, kann Ihnen dies aber nachreichen. Die vielen Gespräche, die mit den Vertretern des Sports, des DSB, geführt worden sind, haben ergeben, daß sich diese Regelung bei den Landessportbünden bewährt hat.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, da Sie ja, wie wir alle, die Praxis kennen, daß nämlich die Sportvereine die Spenden der Spender über ihre Gemeinde oder über ihren Landkreis bekommen, bloß mit der Verwaltungserschwerung, daß der Landkreis den Eingang der Spende zunächst verbuchen, die Bescheinigung ausstellen und das Geld weiterleiten muß, möchte ich Sie fragen: Gibt es nicht sachliche Gründe dafür, dieses etwas komplizierte und aufwendige Verfahren durch ein vereinfachteres zu ersetzen, nämlich den Vereinen die Berechtigung der Spendenbescheinigungserteilung direkt zu verleihen?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Frage wird etwas überschätzt, und zwar deshalb, weil bei Spenden bis zu 100 DM die Möglichkeit besteht, daß hier im einzelnen keine Spendenbescheinigung ausgestellt werden muß. Hier genügt der Zahlungsbeleg der Post oder eines Kreditinstituts als Spendenbescheinigung. Dieses Verfahren hat sich bewährt.
Zusatzfrage, Herr Kollege Schirmer.
Herr Staatssekretär, können Sie vor dem Hintergrund meiner unveränderten Meinung, daß die Spendenbescheinigungskompetenz auch Sportvereinen erteilt werden sollte, ausdrücklich die Bestätigung geben, daß die bisherige Ablehnung, die noch immer gültig ist, auch vom Freistaat Bayern so mitbestimmt worden ist?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ja. Ich hatte vorhin Gelegenheit, auszuführen, daß der Freistaat Bayern, so wie der Bundesregierung bekannt ist, keinen Antrag gestellt hat. Ich habe mich auf einen Entschließungsantrag aus dem Bundestag vom 15. März 1979 bezogen. Seither hat es keine anderen Anträge gegeben.
Ich rufe die Frage 93 des Herrn Abgeordneten Feile auf:Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag für Sach- und Leistungsspenden von 150 DM pro Jahr und Spender, eine im Einvernehmen mit der Finanzverwaltung entsprechend textlich ausgestaltete Leistungsbestätigung des Vereins einzuführen und insoweit das bisher vereinfachte Verfahren für Spenden bis 100 DM zu ergänzen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Wie Spenden an die meisten anderen gemeinnützigen Organisatio-
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Parl. Staatssekretär Dr. Böhmenen sind auch Spenden an Sportvereine nur abzugsfähig, wenn sie an oder über eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder eine öffentliche Dienststelle gezahlt werden. Seit 1978 können Spenden, wie vorhin auf die Fragen ausgeführt, auch an die Landessportbünde geleistet werden. Bei Spenden bis zu 100 DM je Spende braucht in diesen Fällen, wie ich ebenfalls schon in Beantwortung der ersten Frage ausführen konnte, keine Spendenbescheinigung ausgestellt zu werden. Hier genügt der Zahlungsbeleg der Post oder der Überweisungsschein eines Kreditinstitutes.Eine eigene, wenn auch nur auf 150 DM pro Jahr und Spender begrenzte Spendenbescheinigungskompetenz würde für die Vereine eine erhebliche Mehrarbeit bedeuten und müßte für die Vereine außerdem zusätzliche Kontrollen durch die Finanzbehörden darüber auslösen, ob die Spendenbescheinigungskompetenz richtig gehandhabt wird. Die Mehrarbeit besteht darin, daß die Sportvereine die Spendenbescheinigungen für die Masse der Spenden selbst ausstellen und Anschreibungen zur Kontrolle der jährlichen Höchstgrenze bei den einzelnen Spendern führen müßten. Hinzu kommt für Sachspenden, daß eine Sonderregelung nicht auf Sportvereine beschränkt werden könnte. Im übrigen könnte eine solche Regelung Mißbrauchsgefahren mit sich bringen.Die Bundesregierung hält es nicht für gerechtfertigt, über den Weg einer eigenen Spendenbescheinigungskompetenz der Sportvereine die Mitgliederbeiträge steuerlich zu begünstigen. Spenden können nur Zuwendungen sein, die unentgeltlich geleistet werden. Beiträge dagegen werden gezahlt, um die Einrichtungen und Möglichkeiten, die der Verein bieten kann, zu nutzen. Das heißt bei Sportvereinen: eine eigene sportliche Betätigung auszuüben oder zu unterstützen.
Herr Kollege, Sie haben sicher eine Zusatzfrage. — Bitte.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen denn Zahlen aus dem Bundesland Bayern bekannt, wonach schon bei einer mittleren Stadt zur Bearbeitung der Sportvereinsspenden etwa 600 Stunden einer Arbeitskraft erforderlich sind, und würden Sie bereit sein, vor diesem Hintergrund das von mir in meiner Frage formulierte Verfahren noch einmal zu überdenken?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir sind in einem ständigen Dialog mit den Vertretern des DSB. Diese Frage wird dort immer wieder geprüft. Der Standpunkt der Bundesregierung, wie ich ihn jetzt wieder dargelegt habe, ist dort mehrfach vorgetragen worden und hat dort auch Verständnis gefunden, unbeschadet der Wünsche vieler Sportvereine und teilweise auch des DSB, hier zu einer eigenen Spendenbescheinigungskompetenz zu kommen. Aber hier muß abgewogen werden. Die Gründe, die dagegen sprechen — auch aus der Sicht der Vereine —, habe ich vorgetragen. Wenn jemand eine eigene Spendenbescheinigungskompetenz hat, ist es selbstverständlich, daß die Finanzämter überprüfen müssen, wie diese Kompetenz gehandhabt wird. Das bedeutet nicht nur mehr Bürokratie für die Vereine, sondern unter Umständen auch mehr Kontrolle, mehr Aufsicht und mehr Hineinprüfen der Finanzämter in die Vereine, als es im Moment der Fall ist.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schirmer.
Herr Staatssekretär, ist das Bundesministerium der Finanzen bereit, zu prüfen — auch wegen wünschenswerter Verwaltungsvereinfachung und Entbürokratisierung —, ob erreicht werden kann, daß Sportvereinen zumindest die Spenden bis zu 100 DM direkt gegeben oder überwiesen werden können und dafür ein einfachster Nachweis gegenüber den Finanzämtern genügt?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ja, dies sind wir gern bereit zu prüfen. Wie ich schon ausführte, können bei Spenden bis zu 100 DM sehr vereinfachte Verfahren genutzt werden. Sie werden in der Praxis auch genutzt und haben sich, wie wir hören, bewährt. Es genügt nämlich der Nachweis durch den Zahlungsbeleg der Post oder den Überweisungsschein eines Kreditinstituts.
Ich rufe die Frage 94 des Herrn Abgeordneten Pauli auf:
Wie hoch sind die Ausfälle an Steuern und Abgaben, bzw. wie hoch ist der Betrag zu Unrecht gewährter Erstattungen, die durch die derzeitige personelle Unterbesetzung der Zollverwaltung entstehen, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dem Gebot der Steuergerechtigkeit Rechnung zu tragen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Steuern und Abgaben werden durch die Zollverwaltung ordnungsgemäß erhoben. Dabei muß sich der Personaleinsatz — wie bei anderen Verwaltungen auch — im Rahmen der von den gesetzgebenden Körperschaften bewilligten Stellen halten.
Die Verwaltung ist im Rahmen dieses Stellenplans nicht unterbesetzt. Zwar waren im mittleren Zolldienst am 1. Juli 1981— unter Berücksichtigung der diesjährig einzusparenden Stellen — rund 3 % der Planstellen nicht besetzt. Diese und die künftig freiwerdenden Planstellen werden jedoch für die Anstellung der rund 3 100 bereits eingestellten Nachwuchskräfte dringend benötigt. Damit ist der bisher entstandene Personalbedarf im mittleren Zolldienst gedeckt.
Auch die im Haushaltsgesetz 1981 vorzunehmenden Stelleneinsparungen können weder das Steueraufkommen verringern noch die Gewährung ungerechtfertigter Erstattungen begünstigen. Denn die für das Steueraufkommen maßgeblichen Bereiche der Abfertigung, der Betriebsprüfung sowie der Außenprüfung und der Steueraufsicht sind von der Stelleneinsparung ausdrücklich ausgenommen worden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Pauli.
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Herr Staatssekretär, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß, wie ich anläßlich einer Grenzbereisung festgestellt habe, an unseren Grenzen die Eingangsabgaben bei der Wareneinfuhr infolge des von mir genannten Personalmangels praktisch nur noch an Hand schriftlicher Unterlagen festgesetzt werden und auf eine Beschauung der Transporte weitgehend verzichtet werden muß? Und würden Sie mir sagen, was die Bundesregierung in dieser Sache zu tun gedenkt?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihre Angaben nicht bestätigen, bin aber gern bereit, das zu überprüfen, was Sie vorgetragen haben.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, den Verlust von Umsatz- und Verbrauchsteuern sowie unberechtigte Leistungen von Erstattungen aus dem EG-Bereich in beachtlichem Umfang hinzunehmen, oder ist sie mit mir der Meinung, daß die Zoll- und Finanzamtsdienste personell verstärkt werden sollten?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Sie ist nicht bereit, ungerechtfertigte Umsatzsteuervergünstigungen hinzunehmen. Dies ist überhaupt nicht der Fall. Ich habe darauf hingewiesen, daß z. B. beim mittleren Zolldienst keine Unterbesetzung vorhanden ist. Soweit dies beim mittleren Dienst bei den Planstellen mit rund 3 % tatsächlich der Fall ist, sind diese Stellen notwendig, um Nachwuchskräfte einzustellen.
Die Frage 95 des Herrn Abgeordneten Dr. Spöri wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 96 des Herrn Abgeordneten Stutzer auf:
Will die Bundesregierung die sogenannten Butterfahrten in einem nationalen Alleingang verbieten — wenn ja, welche Übergangsfrist sieht sie dann vor —, oder strebt sie eine vorhergehende europäische Harmonisierung des gesamten Zollfreibereichs in Flughäfen, auf Tagesausflugsschiffen und im Fährverkehr an?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich bitte, Ihre beiden Fragen zusammen beantworten zu dürfen.
Gern.
Dann rufe ich auch die Frage 97 des Herrn Abgeordneten Stutzer auf:
Kann die Bundesregierung Pressemeldungen bestätigen, nach denen der Bundesfinanzminister keine Bedenken hat, die Frist für Butterfahrten zunächst bis zum 30. September 1982 zu verlängern, weil auch das Hauptargument entfallen sei, wonach der Wegfall der Butterfahrten Ersparnisse bringen wird, und wann entscheidet das Bundeskabinett?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Das durch Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 7. Juli 1981 ausgelegte Gemeinschaftsrecht läßt im unmittelbaren innergemeinschaftlichen Reiseverkehr Eingangsabgabenbefreiungen für unversteuert oder unverzollt erworbene Waren nicht zu. Eine EWG-Verordnung, die im innergemeinschaftlichen Schiffsreiseverkehr Zoll- und Abschöpfungsfreiheit für bestimmte Kleinmengen an unverzollten oder subventionierten Agrarwaren gestattete, hat der Gerichtshof für ungültig erklärt.
Aus dieser Rechtslage ergeben sich Auswirkungen für die rein deutschen „Butterfahrten" auf Tagesausflugsschiffen und — in allen anderen EG-Mitgliedstaaten — für den innergemeinschaftlichen Flugreise- und Fährverkehr. Soweit die Auswirkungen alle Mitgliedstaaten betreffen, nämlich im innergemeinschaftlichen Flugreise- und Fährverkehr, sollen die Anpassungsmaßnahmen auf Gemeinschaftsebene abgestimmt werden. Soweit das Urteil besonders die deutschen Stichfahrten auf Tagesausflugsschiffen, insbesondere die Fahrten zum Einkauf unverzollter Agrarwaren, und andere Formen der „Butterfahrten" betrifft, müssen die Folgerungen alsbald gezogen werden. Das Bundeskabinett wird daher demnächst zu entscheiden haben, ab wann die Abgabenbefreiungen für zoll- und steuerfrei bei Stichfahrten erworbene Waren gestrichen werden. Dasselbe gilt für die Abgabenfreiheit für unverzollte Agrarwaren bei der Einreise von einem Hafen in einen anderen Mitgliedstaat.
Meldungen, der Bundesminister der Finanzen habe keine Bedenken, „die Frist für diese ,Butterfahrten` zunächst bis zum 30.9. 1982 zu verlängern", treffen nicht zu. In einer Pressemitteilung vom 6. Oktober 1981 wurde vielmehr folgendes klargestellt:
Meldungen, das BMF werde die Frist für „Butterfahrten" bis zum 30.9. 1982 verlängern, treffen nicht zu. Das europäische Gemeinschaftsrecht läßt nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 7. Juli 1981 keine Abgabenfreiheit für auf „Butterschiffen" erworbene Waren zu. Die deutschen Rechtsvorschriften sind spätestens mit Wirkung für 1982 dem Gemeinschaftsrecht anzupassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stutzer.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß insgesamt bis zu 10 000 Arbeitsplätze in Gefahr sind — eine entsprechende Untersuchung unparteiischer Sachverständiger ist der Bundesregierung zugegangen —, und ist es nicht ein Widerspruch, wenn die Bundesregierung auf die Frage nach Ersatzarbeitsplätzen auf die Möglichkeit der Wirtschaftsförderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur verweist, gleichzeitig aber die Fördermittel für die Gemeinschaftsaufgaben erheblich kürzen will?Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen ganz genau, daß die Sorge um die Arbeitsplätze für die Bundesregierung und auch für alle politischen Stellen im norddeutschen Raum, die von dieser Frage betroffen werden, eine besondere und wichtige Aufgabe darstellt. Dies ist überhaupt nicht fraglich. Auf der anderen Seite sind wir hier mit ei-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1981 3443
Parl. Staatssekretär Dr. Böhmenem Urteil des Europäischen Gerichtshofs konfrontiert, das von der Bundesregierung nicht angestrengt, aber von ihr zu beachten ist, das ausführt, daß nach dem heutigen Gemeinschaftsrecht diese sogenannten Stichfahrten nicht rechtens sind. Deswegen ist die Bundesregierung gehalten, diese besondere deutsche Form der Stichfahrten entsprechend dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu handhaben. Das zwingt uns, aus diesem Rechtsspruch Konsequenzen zu ziehen.Etwas anderes ist es, wenn auch in anderen Mitgliedstaaten z. B. im Fährverkehr oder im innergemeinschaftlichen Flugverkehr generell Duty Free Shops unterhalten werden und hier eine Gemeinschaftsregelung, d. h. eine Abstimmung mit unseren Partnern innerhalb der EG möglich ist. Bei den sogenannten Butterfahrten steht die Bundesrepublik völlig allein. Deswegen sind auch alle politischen Überlegungen, wie man zu einer Abstimmung in Brüssel kommen könnte, im Grunde ohne Wert. Aus diesem Grunde machen wir einen Unterschied und müssen Konsequenzen ziehen, was die besonderen deutschen Stichfahrten, die sogenannten Butterfahrten, betrifft. Das ist die Rechtslage.Was die weitere Frage betrifft, nämlich die Sorge um die Arbeitsplätze im norddeutschen Raum, die dadurch besonders akut wird, so wird dieses Problem natürlich gesehen. Aber die Rechtslage ist eindeutig.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, können Sie eine Erklärung des dänischen Finanzministers bestätigen, nach der das Urteil des Europäischen Gerichtshofs sein Land nicht berühre, und was hat die Bundesregierung bisher unternommen, um zu verhindern, daß Dänemark in das Geschäft Butterschiffe einsteigt, wenn es von der deutschen Seite aufgegeben wird?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die dänische Regierung ist genauso gehalten wie die deutsche Bundesregierung, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu respektieren. Hier besteht kein Unterschied.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, mit welchen Einnahmeausfällen der öffentlichen Hand rechnet die Bundesregierung — ich denke an die Einkommen- und Gewerbesteuer, an die Einnahmen aus den Hafengebühren, an den Ertragsanteil der Bundesbahn aus dem Fährverkehr —, und ist die Bundesregierung bereit, den geschädigten Gemeinden — ich denke an die Hafenstädte bei uns, etwa an Eckernförde und Kappeln — finanziell unter die Arme zu greifen? Ein Beispiel bloß: Die Schleivertiefung bei Kappeln ist ein Begriff. Wenn die Butterschiffahrten ausfallen, stellt sich die Frage, ob die Bundesregierung bereit ist mitzuhelfen, diesen Hafen wieder konkurrenzfähig zu machen.
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat keine eigenen Vorschläge, was die Rechtslage angeht. Die Bundesregierung muß aus einem vom Europäischen Gerichtshof gefällten Urteil Konsequenzen ziehen.
Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht: Die Bundesregierung wird im Rahmen der Bundeskompetenz helfen, soweit es ihr also möglich ist. Im einzelnen wird das Sache des Landes und der Gemeinden sein.
Eine letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem ich Konkretes über Ihre Hilfe noch nicht gehört habe, darf ich Sie als letztes fragen: Warum ist der Finanzausschuß — obwohl er ausdrücklich darum gebeten hatte, auf dem laufenden gehalten zu werden — bis heute nicht davon unterrichtet worden, daß der 1. Januar 1982 als der vom Bundesfinanzminister zunächst gesetzte Termin von dem Kabinettsausschuß aufgehoben wurde, und halten Sie es für einen guten parlamentarischen Stil, daß die Abgeordneten hiervon aus der Presse erfahren, und zwar auf Grund eines Briefes von Herrn Mischnick an die IHK in Lübeck?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Der Brief des Abgeordneten Mischnick ist mir nicht bekannt.
Der Finanzausschuß des Deutschen Bundestages ist, wie Sie, Herr Kollege Stutzer, als Mitglied des Finanzausschusses ganz genau wissen, sehr eingehend über die Rechtslage und über die Konsequenzen informiert worden, die die Bundesregierung aus diesem Urteil notwendigerweise ziehen muß. Die Bundesregierung hat schließlich keine Möglichkeit, getroffene Rechtssprüche zu unterlaufen. Sie ist vielmehr daran gehalten, das umzusetzen, was das spezielle deutsche Recht betrifft. Das geschieht auch.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 98 des Herrn Abgeordneten Magin auf:
Ist die Bundesregierung davon überzeugt, daß durch den Einbau von Heizkostenverteilern eine gerechte Heizkostenverteilung und die damit auch zusammenhängende Zielsetzung des Energieeinsparungsgesetzes erreicht werden, insbesondere bei kurzen Meßzeiträumen bzw. geringem Verbrauch?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß mit Heizkostenverteilern grundsätzlich eine gerechte Heizkostenverteilung möglich ist. Das schließt nicht aus, daß auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalls die Verwendung anderer Ausstattungen zur Verbrauchserfassung angebracht ist. Die Verordnung über Heizkostenabrech-
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Parl. Staatssekretär Grünernung stellt deshalb auch ausdrücklich dem Gebäudeeigentümer die Wahl der Ausstattungen frei; denn nur vor Ort kann entschieden werden, welche der im Rahmen der Verordnung zulässigen Ausstattungen zur Verbrauchserfassung — Heizkostenverteiler nach dem Verdunstungsprinzip, Heizkostenverteiler mit elektrischer Meßgrößenerfassung, Wärmezähler oder Wasserzähler — zum Einsatz gelangen sollen. Dies gilt insbesondere, wenn mit kurzen Meßzeiträumen bzw. mit geringen Verbräuchen gerechnet werden muß.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Magin? — Keine.
Dann rufe ich die Frage 99 des Herrn Abgeordneten Magin auf:
Hat die Bundesregierung Informationen darüber, daß die Forderung der Ziffer 4 der DIN 4713 über verbrauchsabhängige Wärmekostenabrechnung, nämlich, daß das Heizkostenverteilergehäuse am Heizkörper dauerhaft und manipulationssicher befestigt sein muß, von allen am Markt befindlichen Geräten erfüllt wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Verordnung über Heizkostenabrechnung schreibt in § 5 in Verbindung mit § 12 Abs. 2 vor, daß vom 1. Juli 1981 an nur noch solche Ausstattungen zur Verbrauchserfassung eingebaut werden dürfen, die den Mindestanforderungen nach DIN 4713 genügen. Die Einhaltung der Mindestanforderungen, auch die der dauerhaften und manipulationssicheren Befestigung am Heizkörper, wird nach einem in dieser Norm festgelegten Verfahren von unabhängigen Prüfstellen im Zusammenwirken mit einem Anerkennungsausschuß überwacht, dem Vertreter des Bundes, der Länder, der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Verbraucherverbände angehören. Nur solche Ausstattungen, die dieses Prüf- und Anerkennungsverfahren erfolgreich durchlaufen haben, werden im Bundesanzeiger bekanntgemacht, bisher in den Nrn. 119 vom 3. Juli 1981 und 154 vom 21. August 1981. Der Bundesregierung liegen keine Informationen darüber vor, daß die vom 1. Juli 1981 an nur noch zum Einbau zugelassenen Ausstattungen die Mindestanforderungen der DIN 4713 nicht erfüllen. Soweit dies bei älteren schon eingebauten Geräten der Fall sein sollte, kann davon ausgegangen werden, daß sie im Rahmen des Ersatzes oder der Erneuerung sukzessive durch neue Ausstattungen ausgetauscht werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, welchen Zeitraum wird es umspannen — es gibt j a immerhin 10 Millionen solcher Einrichtungen —, bis möglicherweise alle die ausgetauscht sind, die manipuliert werden können?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es wird sicherlich mehrere Jahre in Anspruch nehmen, bis das erfolgt sein wird.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege? — Bitte.
Sind Sie nicht auch der Auffassung, daß es trotz Plausibilitätsberechnungen dann zu Verzerrungen kommen kann, die zu Ungerechtigkeiten bei der Heizkostenabrechnung führen, was ja letztlich den Zielsetzungen der Forderungen der Verordnung über die verbrauchsabhängigen Abrechnungen der Heiz- und Warmwasserkosten zuwiderläuft?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das Entscheidende, Herr Kollege, ist, daß etwaige Fehlerquellen bei der Wärmemessung ja in der Regel alle Verbraucher in einer Wohneinheit in gleichem Maße berühren. Das Entscheidende liegt aber darin, daß durch eine verbrauchsabhängige Abrechnung ein Anreiz geschaffen wird, individuell zu sparen, weil sich das für den einzelnen finanziell lohnt. Die größte Ungerechtigkeit liegt darin, daß durch das Fehlen einer verbrauchsabhängigen Abrechnung das Sparen, das der einzelne praktiziert, sich für ihn nicht lohnt, sondern er die Heizkosten der anderen mitfinanziert.
Danke schön.
Ich rufe die Frage 100 des Herrn Abgeordneten Dr. Lammert auf:
Hält die Bundesregierung an ihrer Auffassung vom 13. Mai dieses Jahres fest, daß sie von der Gründung einer RuhrstahlAG „nichts halte, da diese die Lösung der Stahlprobleme nicht erleichtern würde", und stimmt das Bundesfinanzministerium mit Hinblick auf die gegenwärtig erwogene Kooperation zwischen den Stahlunternehmen Krupp und Hoesch und gegebenenfalls dem bundeseigenen Salzgitter-Konzern mit dieser Auffassung überein?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hält nach wie vor nichts von einer die deutsche Stahlindustrie umfassenden „Deutschen Stahl AG" oder einer Stahl-Einheitsgesellschaft, etwa in Anlehnung an die Ruhrkohle AG. Eine umfassende „Deutsche Stahl AG" läge — wie die Bundesregierung bereits am 30. Juli 1981 erklärt hat — nicht im Interesse der öffentlichen Hand und der Stahlverbraucher.
Angesichts der Notwendigkeit, daß sich die deutschen Stahlunternehmen an die weltweit veränderten Marktverhältnisse anpassen, befürwortet sie jedoch unternehmensübergreifende Maßnahmen, die geeignet sind, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu erhöhen und den Aufbau neuer Kapazitäten durch Parallelinvestitionen in gleichartigen Anlagen zu vermeiden. Wenn sich hierbei eine Zusammenarbeit einzelner Stahlunternehmen als betriebswirtschaftlich und technisch sinnvoll herausstellen sollte und sie mit den gesetzlichen Vorschriften vereinbar ist, wird die Bundesregierung eine solche Zusammenarbeit nicht verhindern. Dabei spielt der Name einer eventuell entstehenden neuen Gesellschaft keine Rolle. Ob eventuell auch die Stahlwerke Peine-Salzgitter in eine Zusammenarbeit von Krupp und Hoesch einbezogen werden, wird von den Unternehmen zur Zeit in eigener Verantwortung geprüft.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1981 3445
Wie erklärt bzw. rechtfertigt gegebenenfalls die Bundesregierung den unerträglichen Umstand, Herr Staatssekretär, daß bei diversen Nachfragen über den Stand der Beratungen die Beteiligung der Bundesregierung an den hier zur Diskussion stehenden Beratungen in den Antworten der Bundesregierung der Eindruck erweckt wird, als habe sie selber mit diesen Verhandlungen nichts zu tun, während die betroffenen Unternehmen gleichzeitig ausdrücklich und eindeutig darauf verweisen, daß solche Gespräche — insbesondere, was die Einbeziehung des Salzgitter-Konzerns in Fusionsabsichten betrifft — auf den ausdrücklichen Wunsch der Bundesregierung hin erfolgten, und in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich sowohl auf den Staatssekretär im Finanzministerium als auch auf das Wirtschaftsministerium im ganzen verwiesen wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat nie den Eindruck erweckt, als ob sie mit den Zusammenschlußproblemen und Rationalisierungsproblemen der Stahlindustrie nichts zu tun hätte, denn es sind ihr ja sehr massive Wünsche nach Subventionen von seiten der beteiligten Unternehmen vorgelegt worden. Sie hat aber immer ebenso klar deutlich gemacht, daß Voraussetzung für Hilfe ein betriebswirtschaftlich und technisch sinnvolles Konzept der Unternehmen ist, die zusammenarbeiten wollen. Sie hat es allerdings für wünschenswert gehalten, daß in ein solches unternehmensübergreifendes Konzept, von dem die Bundesregierung nicht weiß, ob es zustande kommen wird, ob es betriebswirtschaftlich wirklich sinnvoll ist, alle daran interessierten Firmen einbezogen werden, d. h. also auch die Firma Peine-Salzgitter. Damit ist in keiner Weise etwa ein Ergebnis vorweggenommen, daß zwischen den Unternehmen auf Grund eingehender Untersuchungen erst einmal betriebswirtschaftlich durchleuchtet werden muß.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Sachverhalte haben sich seit der Auskunft der Bundesregierung vom Mai dieses Jahres, nach der sie von der Gründung einer Ruhrstahl-AG nichts halte — ich zitiere —, geändert, die sie heute veranlassen, dies unter bestimmten Voraussetzungen eben doch für wünschenswert zu halten, und stimmen Sie meiner Auffassung zu, daß die sich abzeichnenden Zusammenschlüsse und Fusionen mit den nachteiligen Wettbewerbsfolgen, die das im eigenen Bereich nach sich zieht, hätten vermieden werden können, wenn die Bundesregierung rechtzeitig und wirkungsvoll in die verheerende europäische Entwicklung auf dem Stahlmarkt eingegriffen hätte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, neu ist der Sachverhalt, daß die Unternehmen Krupp und Hoesch ganz offiziell eine Zusammenarbeit als wünschenswert bezeichnet haben und der Bundesregierung ein entsprechendes Rohkonzept für eine solche Zusammenarbeit vorgelegt haben, wie j a auch öffentlich bekannt ist. Neu ist, daß die Einbeziehung von Peine-Salzgitter in ein solches Konzept für wünschenswert gehalten wird, und zwar mit unterschiedlicher Begründung, ohne daß darüber Übereinstimmung besteht, ob sich das wirklich rechnen wird. Nichts hat sich daran geändert, daß dieses Konzept betriebswirtschaftlich nicht ausreichend durchleuchtet ist und die Bundesregierung deshalb bisher nicht in der Lage gewesen ist, mit dem Sachverstand, den sie sich in einer solchen Frage zur Verfügung halten kann, zu prüfen, ob hier eine unterstützungswürdige Konzeption vorgelegt wird.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Die Frage 111 des Herrn Abgeordneten Kirschner und die Frage 116 des Herrn Abgeordneten Lenzer sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die übrigen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 23. Oktober, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.