Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Zwei Ereignisse der letzten Tage haben uns erschreckt und mit Trauer erfüllt. Mit großer Bestürzung und tiefer Erschütterung vernahmen wir am Montagmorgen die Nachricht, daß der stellvertretende hessische Ministerpräsident und Minister für Wirtschaft und Technik, Heinz-Herbert Karry, in den frühen Morgenstunden Opfer eines brutalen und feigen Mordanschlages geworden ist.Gestern abend erhielten die Menschen in aller Welt die Nachricht aus Rom, daß Schüsse auf Seine Heiligkeit Papst Johannes Paul II. abgegeben wurden und den Papst schwer verletzt haben. Den Gebeten der Menschen um die Wiederherstellung der Gesundheit des Papstes fügen wir unsere allerherzlichsten Wünsche hinzu, daß der Heilige Vater die Folgen des Attentats schnell überwinde. Wir hoffen, daß der Papst seiner Kirche und der ganzen Menschheit noch lange dienen kann.Die Täter des Verbrechens an Heinz-Herbert Karry und ihre Motive konnten bisher noch nicht ermittelt werden. Alle Anzeichen deuten jedoch darauf hin, daß es sich in diesem Fall wieder um eine terroristische Gewalttat handelt. Damit wäre zum ersten Male in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein Mitglied einer Regierung einem Terroranschlag zum Opfer gefallen.Mit Heinz-Herbert Karry verlieren das Land Hessen und die Freie Demokratische Partei einen ihrer führenden Politiker, dessen Wirken weit über die Grenzen seines Landes hinaus große Beachtung und hohe Anerkennung gefunden hat. Er hat für die als richtig erkannten Grundsätze gestritten, weil er das Ausmaß der ihm als Minister für Wirtschaft und Technik übertragenen Aufgaben vorausschauend und verantwortungsvoll einschätzte.Er war ein Mann der ersten Stunde, der mitgeholfen hat, aus den Trümmern der Nachkriegszeit ein demokratisches Gemeinwesen aufzubauen, erfüllt von dem leidenschaftlichen Willen, persönliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit für alle Bürger zu verwirklichen.Heinz-Herbert Karry hat in seinem Leben manche schlimmen Erfahrungen sammeln und mancheNiederlage hinnehmen müssen. Dennoch hat er nie den Glauben an das Gute im Menschen und an die Möglichkeit eines humanen Zusammenlebens verloren.Ihm, dem überzeugten Liberalen, der seine Überzeugung mit Mut und Offenheit vertrat, wurde auch von Andersdenkenden Vertrauen und Wertschätzung entgegengebracht, zumal er Festigkeit in Sachfragen stets auch mit Humor und Charme zu verbinden wußte.Man hat von Heinz-Herbert Karry immer gesagt, daß er zwar politische Gegner, aber keine Feinde besaß. Um so betroffener sind wir darüber, daß sein Leben durch eine feige Tat der Gewalt ausgelöscht wurde, eine Tat, die uns mit tiefstem Abscheu erfüllt.Wir alle sind zutiefst betroffen. Mitbetroffen ist unser freiheitlicher sozialer Rechtsstaat.Die Tat gemahnt uns, mit Entschlossenheit für den inneren Frieden und die Wahrung des Rechts einzutreten. Wir sind aufgerufen, weiterhin alles zu tun, daß Bürger und Staat geschützt sind und Gewalt bei uns nicht gedeihen kann.Wir trauern um Heinz-Herbert Karry und werden ihm stets ein ehrendes Gedenken bewahren.Sie haben sich zu Ehren des Toten von den Plätzen erhoben; ich danke Ihnen.Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich noch bekanntzugeben: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung ergänzt werden um die Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP betreffend Ergänzung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages — Drucksache 9/420 —. Der Antrag soll in Verbindung mit Punkt 3 der Tagesordnung beraten werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Der Ältestenrat hat in seiner Sitzung am 7. Mai 1981 vereinbart, in der verkürzten Tagungswoche vom 25. Mai 1981 am Dienstag, dem 26. Mai, und Mittwoch, dem 27. Mai, Fragestunden durchzuführen. Da die erste Fragestunde demnach in Abweichung von der Regel schon dienstags statt mittwochs durchgeführt wird, schlägt der Ältestenrat
Metadaten/Kopzeile:
1864 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Präsident Stücklenvor, den Annahmeschlußtermin für die Fragen der nächsten Tagungswoche von Freitag auf Donnerstag, den 21. Mai 1981, 11 Uhr vorzuverlegen.Diese Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde muß nach § 126 unserer Geschäftsordnung vom Plenum beschlossen werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich habe noch einen Glückwunsch auszusprechen. Gestern hat der Abgeordnete Müller seinen 65. Geburtstag gefeiert. Ich spreche ihm die herzlichsten Glückwünsche des Hauses aus.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts des Wehrbeauftragten des Bundestages— Drucksache 9/240 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: VerteidigungsausschußDer Ältestenrat hat für die Aussprache zwei Runden vorgesehen. — Ich höre keinen Widerspruch; das Haus ist damit also einverstanden.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weiskirch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Meldungen und die Kommentare, die den Bericht 1980 des Wehrbeauftragten nach seiner Veröffentlichung vor einem Monat begleitet haben, mußten zwangsläufig den Eindruck erwecken, als gäbe es in diesem Bericht nur ein Thema, nämlich Gewalttätigkeiten und Mißhandlungen von und unter Mannschaftsdienstgraden in der Truppe. Die vom Wehrbeauftragten genannten Beispiele wurden gewissermaßen als Beweis für die Existenz einer Art Subkultur unter den Soldaten herangezogen und ohne weiteres auch verallgemeinert.Lassen Sie mich dazu folgendes sagen. Die Fälle von Gewalttätigkeiten und von menschlichem Versagen beim Umgang mit Kameraden, von Eingriffen in die Würde des Menschen und von Verstößen gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit kann man sicherlich nicht entschuldigen. Sie müssen Fall für Fall geahndet werden. Aber man sollte sich davor hüten, über eine Armee von 500 000 Soldaten den Stab zu brechen, wenn in ihren Reihen ab und an Dinge passieren, die verwerflich und die strafwürdig sind. Ich zweifle nicht daran, daß durch die Anmahnungen des Wehrbeauftragten den Rowdies und auch den potentiellen Rowdies in den Kasernen das Operationsfeld bereits jetzt erheblich eingeengt und daß den möglichen Opfern, die der Wehrbeauftragte vor allem unter den etwas hilfloseren Soldaten ausgemacht hat, der Rücken gestärkt worden ist.Aber die festgestellten Schikanen, Mißhandlungen und Drangsalierungen unter Mannschaftsdienstgraden waren nicht das Thema des Wehrbeauftragten 1980. Das Thema war die Verankerung unserer Streitkräfte in unserer demokratischen Gesellschaft, wenn Sie so wollen: die Frage nach dem Stellenwert unserer Soldaten. Der Wehrbeauftragte hat die Vorbemerkungen zu seinem Bericht ausschließlich dieser Frage gewidmet und dabei eine Feststellung getroffen, die alle Verantwortlichen — ich denke da in erster Linie an den Bundesminister der Verteidigung — nachdenklich stimmen und zur Gewissenserforschung ermahnen muß. Diese Feststellung des Wehrbeauftragten lautet — ich zitiere —:Der in den Streitkräften nie ganz verschwundene Zweifel, ob die Gesellschaft sie tatsächlich angenommen habe, hat neue Nahrung erhalten.Der Wehrbeauftragte hat diesen Satz vor dem Hintergrund der Vorkommnisse im Zusammenhang mit den feierlichen Gelöbnissen von Soldaten in der Öffentlichkeit geschrieben. Ich glaube, hier liegt der Kernpunkt im Bericht des Wehrbeauftragten 1980. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat am 9. April 1981 folgendes dazu vermerkt:Die Krawalle bei den Gelöbnissen im vergangenen Jahr wären als die Sache gewalttätiger Minderheiten und sonst nichts zu bewerten, wenn im übrigen eine kräftige Überzeugung der Bevölkerung zu spüren wäre, daß der Dienst in der Bundeswehr von ihr als der wertvollste und wichtigste und geschätzteste öffentliche Dienst bewertet wird, den ein Bürger seinen Mitbürgern erweisen kann.Aber, meine Damen und Herren, kann sich der Soldat, zumal der junge Soldat, so eingeschätzt und so gewürdigt fühlen? Wird die Bundeswehr — diese Frage aufgeworfen zu haben, rechne ich dem Wehrbeauftragten hoch an — von allen Teilen der Bevölkerung heute so gesehen und so respektiert? Ich habe im Weißbuch 1970 einen bemerkenswerten Satz des damaligen Bundesverteidigungsministers und heutigen Bundeskanzlers Helmut Schmidt gefunden. Dieser Satz lautet:Der Soldat ist Bürger unter Bürgern. Deshalb ist die ständige Wiederholung von Bekenntnissen zur Bundeswehr genauso überflüssig wie die ständige Wiederholung von Bekenntnissen der Soldaten zur demokratischen Gesellschaft.Der heutige Verteidigungsminister Hans Apel hat diese Sätze im November 1978 in einem Artikel im „Vorwärts" durch folgende Passage parteipolitisch — wenn ich das so sagen darf — ausgedeutet.Die Einordnung der Bundeswehr in den demokratischen Staat wurde mit Unterstützung der damals oppositionellen SPD oft genug gegen konservative Widerstände durchgesetzt.Ich will es mir verkneifen, dazu Stellung zu nehmen; denn nun lesen wir im Bericht des Wehrbeauftragten 1980 etwas ganz anderes. Wir lesen — wir haben immerhin seit nun 111/2 Jahren sozialdemokratische Verteidigungsminister, Herr Möllemann —, daß es Zweifel in der Bundeswehr gibt, ob unsere Gesellschaft sie tatsächlich angenommen hat. An
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1865
Weiskirch
wem aber, meine Damen und Herren, zweifeln denn die Soldaten? An der CDU/CSU?
Doch wohl kaum! Die Unionsparteien haben, was die Verteidigungsaufgabe und was die Einbindung der Streitkräfte in die demokratische Gesellschaft angeht, nie die geringsten Schwierigkeiten gehabt. Wir stehen zum Auftrag und zur Verankerung der Bundeswehr in unserem Gemeinwesen. Aber die Frage muß ja wohl erlaubt sein, ob auch andere dazu stehen. Nach den Krawallen des letzten Jahres sind sicherlich Zweifel angebracht.Im Bericht des Wehrbeauftragten findet sich — das ist ein zweiter Aspekt, den ich behandeln möchte —, ein Hinweis auf die dringende Notwendigkeit, den Soldaten und dabei vor allem den wehrpflichtigen Soldaten den Sinn — ich sage es mit den Worten des Wehrbeauftragten selbst — nicht nur einzelner Dienste, sondern des Grundwehrdienstes überhaupt klarzumachen.Der Bundespräsident hat, wie Sie wissen, vorgestern vor Marinesoldaten die gleiche Sorge geäußert und bedauert, daß mancher Wehrpflichtige auch nach 15 Monaten Dienst noch nicht wisse, welchen Sinn dieser Dienst gehabt habe. Wenn aber in der Bundeswehr dieser Sinn nicht begriffen wird, dann darf man sich nicht wundern, meine Damen und Herren, wenn Schlagworte wie Frust und Gammeln tatsächlich eine Bedeutung erlangen, die bis in die Gemeinden und in die Elternhäuser der jungen Soldaten hineinwirkt und letztlich Stimmung gegen die Bundeswehr, ja gegen die Verteidigungsbereitschaft überhaupt macht. Der Wehrbeauftragte hat meiner Meinung nach zu Recht darauf hingewiesen, daß mit der zu erwartenden Personalknappheit in den späten 80er Jahren und in dem nicht zu verkennenden Anwachsen der Zahl der Kriegsdienstverweigerer ein Augenblick kommen kann, wo es für unsere Streitkräfte von existentieller Bedeutung sein wird, ob die wehrpflichtigen Jugendlichen den Sinn des Wehrdienstes begriffen haben oder nicht.Damit bin ich bei einem dritten Aspekt des Berichts des Wehrbeauftragten. Der Wehrbeauftragte hat darauf hingewiesen, daß beinahe alle Mängel und Schwierigkeiten, die er in der Truppe festgestellt hat, auf chronische Personalnöte zurückzuführen sind und damit ein Thema berühren, das der Bundesverteidigungsminister selbst angesprochen hat, als er vor einiger Zeit erklärte, der Mensch müsse im Mittelpunkt aller Überlegungen und Planungen im Verteidigungsbereich stehen.
Steht er im Mittelpunkt? Fühlen sich die Wehrpflichtigen und die Zeit- und Berufssoldaten so behandelt und so motiviert, daß sich zwischen dem Auftrag und der Bereitschaft, diesen Auftrag zu erfüllen, keine Kluft auftun kann? Haben die vielen konkreten Anforderungen — z. B. im sogenannten De-Maizière-Bericht, aber auch durch den Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages — Früchte getragen und dazu geführt, daß die Streitkräfte einerseits vom Ballast eines schier unerträglichen Bürokratismus befreit und andererseits sinnvoll und gerecht und damit effizient eingesetzt werden?Ich halte es für ganz wichtig, daß nach der langen öffentlichen und sehr nötigen Diskussion um die finanziellen Mittel zur Sicherung unserer Verteidigungsfähigkeit — diese Diskussion hat ja gerade in diesen Tagen einen besonderen Höhepunkt erreicht — durch den Wehrbeauftragten auch die andere, die menschliche Seite wieder einmal ins Blickfeld gerückt worden ist.Noch einmal: Der Wehrbeauftragte hat darauf hingewiesen, daß beinahe alle Mängel und Schwierigkeiten, die er in der Truppe festgestellt hat — die erwähnten Gewalttätigkeiten eingeschlossen —, auf chronische Personalnöte zurückzuführen sind. Bei den Kampftruppen fehlen rund 40 % der benötigten Ausbilder, vor allem Unteroffiziere. Damit fehlt es nicht nur an der Dienstaufsicht. Es fehlt auch und vor allem an der Bereitschaft des Führungspersonals, sich außerhalb des Dienstes um die Soldaten zu kümmern und für sie dazusein. Für sie dazusein, meine Damen und Herren, das heißt, sich auch nach Dienstschluß in der Kaserne verfügbar zu halten.Der Wehrbeauftragte weist mit einem sehr einleuchtenden Beispiel nach, daß diese Verfügbarkeit in der Regel bereits am Geld scheitert; denn ein zum Wohnen in der Gemeinschaftsunterkunft verpflichteter lediger 24 Jahre alter Stabsunteroffizier — das ist das Beispiel des Wehrbeauftragten — hat im Vergleich zu einem von dieser Verpflichtung befreiten Kameraden monatlich 110 DM netto weniger. Wer will es ihm da verübeln, wenn er ebenfalls aus der Kaserne herausstrebt?
Ich will es mir versagen, im Zusammenhang mit den Personal- und Führungsproblemen die leidige nach wie vor ungelöste Frage des Verwendungs- und Beförderungsstaus in den Details anzusprechen. Ich will nur darauf hinweisen, daß hier Aufgaben vor der Bundeswehr hergeschoben werden, die sich, wenn man sie nicht endlich anpackt und löst, in tiefgreifenden Aushöhlungen des Prinzips der Inneren Führung auswirken müssen. Hier hat die Bundesregierung schon deshalb Schuld auf sich geladen — und zwar große Schuld auf sich geladen —, weil sie den Soldatenberuf jeder Attraktivität beraubt hat.
Der Wehrbeauftrage hat dankenswerterweise auf die immer noch zu hohe Dienstzeitbelastung der Soldaten hingewiesen. Das ist zum erheblichen Teil eine Folge des Fehls an Unteroffizieren, des Fehls, das sich durch die neue Heeresstruktur noch stärker als früher auswirkt. Wenn aber Soldaten bis zu 60 und mehr Stunden pro Woche Dienst tun müssen, trägt das sicherlich nicht zur größeren Verteidigungsbereitschaft bei und ist das vor allem in der Relation zwischen den Wehrpflichtigen und ihren nicht dienenden Altersgenossen ein Akt grober Wehrungerechtigkeit.
Metadaten/Kopzeile:
1866 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Weiskirch
Die nach wie vor ungelösten Probleme wie die Anhebung des A-9-Stellen-Anteils auf 30 %, die Einführung eines Spitzendienstgrades für Unteroffiziere oder die seit langem geforderte, zwar immer wieder zugesagte, aber nie verwirklichte Herabsetzung der Kantinenpreise will ich nur der Ordnung halber erwähnen, obwohl damit vielen tausend Soldaten erheblicher Schaden entsteht.Ich fasse zusammen: Der Bericht des Wehrbeauftragten 1980 enthüllt eine Reihe gravierender, schwerwiegender Mängel in den Streitkräften, Mängel, die vor allem den menschlichen Bereich berühren und die Motivation der Soldaten und ihre Verteidigungsbereitschaft und damit die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr direkt beeinflussen. Es liegt allein am Bundesminister der Verteidigung und seinem Hause, ob wir uns im kommenden Jahr erneut mit solchen Mängeln zu beschäftigen haben werden. Ich würde das bedauern und gegenüber den Soldaten für unverantwortlich halten.Die CDU/CSU dankt dem Herrn Wehrbeauftragten für seine Arbeit und für den von ihm vorgelegten Bericht und bittet Sie, Herr Präsident, ihm nachher hier im Hause das Wort zu erteilen.Wir fordern den Bundesminister der Verteidigung auf, in seinen leider noch nicht vorliegenden Anmerkungen zu diesem Bericht klar zu sagen, wie er die vom Wehrbeauftragen festgestellten Mängel wirkungsvoll und rasch zu beheben gedenkt. — Danke schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Wehrbeauftragte leitet seinen Bericht auch diesmal mit dem Kapitel Schutz der Grundrechte und Mißhandlungen ein. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß dies kein allgemeines Problem in der Bundeswehr ist. So hat es auch der Wehrbeauftragte nicht dargestellt. Allerdings ist jeder sogenannte Einzelfall wichtig, weil dies zugleich Grundrechtsverletzungen gegenüber dem einzelnen Menschen sind.Ich habe dem, was der Kollege Weiskirch hier ausgeführt hat, nur noch hinzuzufügen, daß wir auch als Abgeordnete insofern in die Pflicht genommen sind, daß wir über Befragungen hinaus, die dankenswerterweise durch die Inspekteure vorgenommen wurden, auch die Soldaten zur Zivilcourage ermutigen sollten, daß sie dies nicht hinnehmen.Der Wehrbeauftragte leitet seinen Bericht mit Vorbemerkungen über das öffentliche Gelöbnis und, damit verbunden, über den Großen Zapfenstreich ein. Die Neubelebung der Traditionsdebatte, die sich auf das öffentliche Gelöbnis zentriert, brachte bedauerlicherweise keine neue inhaltliche Vertiefung. Beide Seiten, Befürworter und Ablehnende, blieben dabei weithin an äußeren Formen hängen. Obwohl in einem demokratischen Staat das Gelöbnis die Sache aller Bürger ist, wäre eine Beteiligung der Bundeswehr bei der Diskussion — etwa über die Vertrauensleute — besonders wünschenswert gewesen. Die Krawalle und die Aufregungen konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Resonanz gerade aus den Reihen der Bundeswehr sehr gering war. Bei aller Anerkennung des Bemühens des Verteidigungsministeriums, mittels einer Klausurtagung von Fachleuten und Politikern zur Klärung beizutragen, muß man doch den Impuls vermissen, der vor zehn Jahren die Bundeswehr beherrschte. Ich weise in diesem Zusammenhang nur auf die Initiative der „Leutnant 70" oder der Hauptleute von Unna hin. Wenn es auch unterschiedliche Aussagen und auch unterschiedliche Motive waren, von denen die Soldaten getragen wurden, so kann man doch, auf eine vereinfachte Form gebracht, sagen: die Soldaten waren motiviert; sie setzten sich selbst sehr stark mit Vorgängen in unserer Gesellschaft und auch in der Bundeswehr auseinander. Vom Hintergrund her ist es zweifellos verständlich, daß die Demonstranten Krawalle verursachten; aber eine souveräne intellektuelle Herausforderung, die zu Auseinandersetzungen zwingt, ließen die Kritiker des öffentlichen Gelöbnisses weithin vermissen.Zu Recht weist der Wehrbeauftragte — in erster Linie an die Adresse der Politiker und Pädagogen gerichtet — darauf hin, daß es offensichtlich nicht gelungen ist, vor allem der jungen Generation sichtbar zu machen, daß die Bundeswehr im Bündnis ein Instrument zur Erhaltung und Sicherung des Friedens ist. Hier gibt es ein Problem der Vermittlung besonders gegenüber der jungen Generation.Der Bericht des Wehrbeauftragten muß Anlaß geben, auch über aktuelle Probleme, die nicht dargestellt wurden, weil sie nicht in das Berichtsjahr fallen, zu diskutieren. Die Auseinandersetzungen um das öffentliche Gelöbnis waren gewissermaßen der politische Vorlauf für eine viel stärkere Bewegung, mit der wir es jetzt in der Bundesrepublik und in anderen Ländern Westeuropas zu tun haben. Es handelt sich dabei um den Protest — meist junger Menschen — gegen den Nato-Doppelbeschluß und dabei gegen die mögliche zusätzliche Stationierung von Mittelstreckenwaffen in Westeuropa. Meine sehr verehrten Damen und Herren, allein in diesem Jahr werden etwa 1 000 sogenannte Friedenswochen und -tagungen in der Bundesrepublik durchgeführt. Initiatoren sind dabei vornehmlich Jugendverbände der Kirchen, der Gewerkschaften, der politischen Parteien und anderer Gruppierungen.In dieser wichtigen Auseinandersetzung, in der es ganz entscheidend um das Problem „Bundeswehr und Gesellschaft" geht, müssen alle demokratischen politischen Parteien einsehen, daß ihre Glaubwürdigkeit auf dem Spiel steht. Seit mehr als 20 Jahren wurde keine politische Grundsatzdebatte über Verteidigungs- und Sicherheitspolitik mehr geführt, und eine neue Generation stellt — quer durch alle Parteien — die Frage nach dem Warum und dem Wie.Ich glaube, Herr Kollege Weiskirch verschiebt das Problem, wenn er dies allein der Bundesregierung anlastet und zuschiebt. Hier müssen wir alle einsetzen; hier können wir keine Polarisierung betreiben. Aber selbstverständlich müssen wir den Soldaten im Spannungsfeld unserer Gesellschaft sehen und ihn auch von dort her verstehen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1867
HornDie Breite der Diskussion von den Kirchen über die Gewerkschaften bis zu den Jugendorganisationen der politischen Parteien zeigt, daß dies eine ganz wichtige gesellschaftspolitische Frage ist, der wir als demokratische Parteien allesamt nicht ausweichen dürfen. Dabei geht es nicht um Anpassung oder Anbiederung an die junge Generation, aber wir müssen uns hier im Gespräch stellen.Führen heißt in der Demokratie überzeugen. Diese Überzeugungsarbeit müssen wir leisten. Dabei ist es müßig, hämisch auf die Schwierigkeiten der einen oder der anderen politischen Partei in dieser Auseinandersetzung zu verweisen. Ich bedaure in diesem Zusammenhang einige Äußerungen aus dem Lager der Union, weil sie sich gerade dieser Auseinandersetzung schlichtweg versagen, weil sie in dieser Frage zum Teil dialogunfähig geworden sind, weil sie das Problem von sich auf andere Parteien — gerade den Sozialdemokraten und den Freien Demokraten gegenüber — abweisen.
Ich kann dabei die geistige Haltung derer nicht nachvollziehen, die möglichst stramm und ohne Bereitschaft zum Dialog mit der jungen Generation den Nachvollzug politischer Entscheidungen verlangen. Es ist die Aufgabe der politischen Parteien, die in der Gesellschaft vorhandenen Spannungen zu diskutieren, auszutragen und durchzustehen. Wenn sich die politischen Parteien dieser Aufgabe entziehen, muß der Staat diese Spannungen durchleiden, und er kann — wie das Beispiel der Weimarer Republik zeigt — daran zerbrechen.Wir Sozialdemokraten werden uns jedenfalls dieser harten und schwierigen Pflicht unterziehen. Wir haben uns zu rechtfertigen, wir haben auch unsere Skrupel darzulegen, und vor allem müssen wir die Bevölkerung davon überzeugen, daß gegebenenfalls eine Nachrüstung notwendig sein kann. Annäherndes militärisches Gleichgewicht und der politische Wille zur Entspannung, zur Rüstungskontrolle und Abrüstung sind für uns Grundlagen einer Politik, von der wir glauben und hoffen, daß sie den Frieden erhält.In gleicher Weise ist aber auch derjenige rechenschaftspflichtig, der unter dem Schlagwort „Frieden schaffen ohne Waffen" politische Forderungen erhebt. Auch er muß sich dem Zweifel stellen, ob seine Politik nicht möglicherweise unser Volk politischer Erpressung und militärischer Bedrohung aussetzt, um mit Gustav Heinemann zu sprechen.Mein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, der in seiner jüngsten Verlautbarung vor dem Hintergrund der in diesen Tagen mit reger kirchlicher Beteiligung geführten Pazifismus-Debatte für mehr Toleranz plädierte. Die EKD-Rats-Sitzung bemerkte mit Sorge, daß — ich darf mit Einverständnis des Herrn Präsidenten zitieren — „vereinzelt Politikern angesichts bestehender Meinungsverschiedenheiten in Sachfragen die Glaubwürdigkeit ihres christlichen Zeugnisses bestritten wird. Die Bemühungen der gewählten Politiker, den Frieden zu sichern und unser Land vor Schaden zu bewahren, sollten ungeachtet des jeweiligen politischen Standortes ernst genommen werden."
Ich war gestern abend mit dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion in einer Aussprache mit Vertretern der Katholischen Jugend Deutschlands, und ich kann sagen, daß hier eine völlige inhaltliche Übereinstimmung vorlag. Wenn — und darauf müssen wir auch hinweisen — dem waffenlosen Friedensdienst eine höhere Qualität zugeschrieben wird als dem Dienst der bewaffneten Friedenssicherung, wie dies manchmal — und deshalb die besorgten Ausführungen der Kirchen — in Erklärungen von Vertretern der Kirchen, der Gewerkschaften und der politischen Parteien der Fall ist —, dann wird allerdings die Entscheidung des jungen Bürgers für den Dienst in der Bundeswehr herabgesetzt.
Es wird außerdem damit die Bedeutung der Landesverteidigung gemindert und das Recht auf kollektive Verteidigung in Frage gestellt. In dieser Wertauseinandersetzung geraten die Soldaten der Bundeswehr in ein Spannungsverhältnis.Das muß keineswegs negativ bewertet werden. Wer jedoch das Recht der kollektiven Selbstverteidigung leugnet, muß sein Gewissen auch danach überprüfen, ob es verantwortbar ist, daß durch seine Entscheidung möglicherweise die größte Katastrophe verursacht wird, die unser Volk und Europa betrifft. Dieser Frage können vor allem Kirchen, Gewerkschaften und die politischen Parteien nicht ausweichen.
Ich darf auf ein anderes wichtiges Problem hinweisen, da die Fragen der Sozialpolitik, die Fragen der Stellung der Bundeswehrsoldaten hier von meinem Freund Heistermann dargestellt werden. Die kritischen Hinweise des Wehrbeauftragten zu den Auswirkungen der Heeresstruktur IV müssen das Parlament veranlassen, darüber zu wachen, daß die Ziele dieser Reform auch eingehalten werden. Die Verkleinerung der Verbände sollte die Personaldichte der Unterführer verbessern. Der Wehrbeauftragte sieht nach wie vor ein erhebliches Fehl an Unteroffizieren. Zwar ist dies ein allgemeines Problem. Aber die enge Personaldecke bei den umstrukturierten Verbänden wirkt sich deshalb besonders negativ aus, weil die Zahl der Aufgaben gestiegen ist und eine erhöhte Dienstzeitbelastung vorliegt. Wir haben inzwischen, zwischen der Anfertigung des Berichtes und dem heutigen Datum, eine neue Tendenz. Sie geht dahin, daß wir mehr Längerverpflichtungen zu erwarten haben. Das heißt: der Dienst in der Bundeswehr ist gar nicht so unattraktiv, wie hier dargestellt wurde. Wenn man das gesamte Spektrum der Ausbildungsbedingungen, wenn man das gesamte Spektrum der Sozialleistungen zusammenzählt — die Sozialdemokraten haben es in zwei Tagungen unternommen, das einmal aufzuarbeiten —, kann man bestimmt nicht wie der Kollege Weiskirch — ich sage das ohne Polemik — davon reden, daß der Soldat gegenüber anderen gesellschaftspolitischen Gruppen sozial abgehängt worden sei. Das
Metadaten/Kopzeile:
1868 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
HornGegenteil ist der Fall. Wir können eine stolze Bilanz vorweisen.
Ich bin in diesem Zusammenhang auch dankbar und halte es für vernünftig, daß nunmehr im Haushalt weitere 50 Millionen DM zur Verfügung gestellt wurden, um gerade Weiterverpflichtungen für Zeitsoldaten finanziell abzusichern.In gleicher Weise ist dem Wehrbeauftragten zuzustimmen, daß die Informationslücke zwischen dem Verteidigungsministerium, den Führungsstäben und der Basis, d. h. den Soldaten, geschlossen werden muß. Oft weiß die örtliche Presse über Umgliederungen eher Bescheid als die Soldaten selbst. Dies trägt Unruhe unter die Soldaten und deren Familien. Wenn sich Umgliederungen als notwendig erweisen, dann können die Soldaten frühzeitige und verläßliche Informationen des Ministeriums erwarten, damit keine Vertrauenslücke entsteht. Wenn Befehle von oben nach unten verlustlos ankommen sollen, dann muß dies auch für den sozialen Bereich gelten. Das ist für den Soldaten und seine Familie wichtig.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dankt dem Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeitern für die Vorlage dieses informativen Berichts, der dem Parlament und der Regierung Impulse vermittelt, um den Soldaten besser helfen zu können und unsere Landesverteidigung zu sichern.Ich bitte, dem Wehrbeauftragten in dieser Debatte das Wort zu erteilen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möllemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion dankt anläßlich der Lesung des Berichts des Wehrbeauftragten Herrn Berkhan für diesen Bericht und die von ihm geleistete Arbeit. Wir empfinden den Wehrbeauftragten als einen überzeugenden Anwalt der Soldaten und als einen überzeugenden Anwalt einer menschlichen Sicherheitspolitik und danken ihm dafür ausdrücklich.
Wir stimmen nicht nur deshalb, aber eben auch deshalb der Empfehlung der beiden Kollegen Weiskirch und Horn zu, dem Wehrbeauftragten im Parlament das Wort zu erteilen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist, glaube ich, nicht ohne Grund so, daß sowohl Herr Weiskirch als auch Herr Horn sich intensiv mit einem Thema beschäftigt haben, das der Wehrbeauftragte an den Anfang seines Berichts gestellt hat, nämlich mit der Frage des Verhältnisses der Bürger zu unserer Bundeswehr und zur Sicherheitspolitik, also der Bereitschaft der Bürger, und zwar nicht nur der jungen Bürger im Wehrdienst, etwas für die Sicherheitspolitik zu tun.Ich denke, hier haben wir alle Grund, darüber nachzudenken, wie wir die vorhandenen Defizite anInformation und Argumentation in regelmäßiger und systematischer öffentlicher Diskussion abbauen können. Wir haben hier bereits wiederholt festgestellt, daß es über unsere Sicherheitspolitik, über Zahlen, Daten und Fakten, einfach eine zu geringe Information in unserer Bevölkerung gibt.
— Vielleicht auch im Parlament; das weiß ich nicht. Die Kollegen, die Sie meinen, müßten Sie, Herr Kollege Würzbach, dann gemeinsam mit den übrigen Sachkundigen zu informieren und zu überzeugen versuchen.
Was zutrifft, ist die Tatsache, daß unser Konzept der Sicherheitspolitik, das sich aus Verteidigungsbemühungen und dem gleichzeitigen Versuch, durch Entspannungspolitik den Frieden zu erhalten, zusammensetzt, bislang nicht vollinhaltlich akzeptiert worden ist. Diese geringe Kenntnis, aber auch die zu geringe Annahme dieses Konzepts bewirken zum einen eine negative bis gleichgültige Einstellung der Wehrpflichtigen. Wenn man einmal von den staatstragenden Dankesreden absieht, die man bei allen möglichen Besuchen sozusagen zwangsläufig von sich gibt, wird man bei einer ehrlichen Bestandsaufnahme bei Gesprächen mit Wehrpflichtigen konstatieren müssen, daß die absolute Mehrheit derselben ihren Dienst nach dem Motto erfüllt, daß es wohl sein muß, aber von der Sache doch nicht sehr überzeugt ist und daß ein geringer Teil ausgesprochen skeptisch ist, ob der Sinn des Dienens überhaupt gegeben ist.Uns hat die Analyse des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr alarmiert, die ergeben hat, daß die Zahl von Wehrpflichtigen, die Zweifel am Sinn des Dienstes haben, beim Verlassen der Bundeswehr größer ist, als dies beim Antritt des Dienstes der Fall war. Hier liegt eine der Herausforderungen, auf die ich gleich noch zu sprechen kommen werde. Davon hängt natürlich eine zunehmende Menge von Schwierigkeiten für die Berufs- und Zeitsoldaten ab, die diese Wehrpflichtigen zu führen haben.Andererseits konstatieren wir gerade in diesen Tagen und Wochen parallel dazu — das hat natürlich Auswirkungen auf das, was ich vorhin sagte — eine durchaus abnehmende Bereitschaft der Bevölkerung, für die Erfordernisse der Verteidigung in bestimmten Bereichen konkret Verständnis zu haben. Das erleben wir jetzt in der öffentlichen Diskussion über den Verteidigungshaushalt und über den NATO-Doppelbeschluß.Deswegen wäre es eigentlich eine der herausragenden Schlußfolgerungen auch aus dem Jahresbericht des Wehrbeauftragten, daß dieses Parlament und alle im Parlament vertretenen Parteien eine Offensive der Argumentation für unsere Sicherheitspolitik, wie wir sie betreiben, starten. Es reicht nicht aus, immer wieder nur die Schwachstellen zu markieren, die es natürlich auch gibt, sondern es ist wichtig, daß dieses Parlament und natürlich auch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1869
Möllemanndie Regierung mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln und Möglichkeiten eine solche Offensive der Argumentation für unsere Sicherheitspolitik in Angriff nehmen.
— Herr Kollege Wörner, ich glaube, es wäre für Sie kein Problem, Ihre Auffassung zu dem, was ich hier anrege, vom Rednerpult aus mitzuteilen.
— Das ist mir bekannt. Weil auch die Zuhörer hier im Saal und vielleicht auch draußen hören möchten, was Sie angeregt haben, möchte ich das sagen. Sie haben gefragt, wie eine solche Offensive der Argumentation in den Koalitionsparteien aussähe.Ich spreche hier für die FDP und kann Ihnen sagen, daß die Sicherheitspolitik der Bundesregierung, die Kooperation in diesem Bereich des Bundesministers des Auswärtigen und des Bundesministers der Verteidigung die volle Unterstützung der FDP-Fraktion haben.
Daran kann es keinen Zweifel geben. Daher haben wir mit einer solchen Offensive der Argumentation auch nicht die geringsten Schwierigkeiten. Sie heben wahrscheinlich auf die derzeit laufende Diskussion, soweit Sie meine Partei meinen, unserer Jugendorganisation ab. Es hat überhaupt keinen Zweck, einen Vorschlag wie den von mir gemachten dadurch zu diskreditieren, daß man auf kleine Gruppen verweist, die offenbar bestimmte Zusammenhänge noch nicht begriffen oder akzeptiert haben. Das ist für mich eine Herausforderung mehr, diese Offensive hier ausdrücklich anzuregen.Wir erneuern daher unsere Forderungen. Da ist erstens die an die Kultusministerkonferenz gerichtete Forderung, nun endlich dafür Sorge zu tragen, daß in den Bildungseinrichtungen unseres Staates die Friedenserziehung zum obligatorischen Gegenstand des Unterrichts wird. Es ist ein Unding — ich bleibe bei dieser hier schon mehrfach getroffenen Feststellung —, daß dieser Staat seinen jungen Bürgern eine Dienstpflicht, den Wehrdienst, abverlangt — bei denen, die Gewissensgründe haben, ist es der Zivildienst —, daß er allen Steuerzahlern Jahr für Jahr Milliardenbeträge für unsere Sicherheit abverlangt und daß er sich nicht hinreichende Mühe macht, in den Bildungseinrichtungen über den Sinn und die Begründung unserer Friedens- und Sicherheitspolitik zu informieren. Dies ist — ich wiederhole das — kein Spezialproblem einer Partei; es gibt da unterschiedliche Akzente. Bisher haben die Kultusminister diese Problematik in unakzeptabler Weise vor sich hergeschoben. Ich bin ein bißchen enttäuscht darüber, daß diese Aufgabe trotz der Aussprache vor immerhin fast einem Jahr im Verteidigungsausschuß, wo man uns von seiten der Kultusministerkonferenz Ankündigungen gemacht hat, immer noch nicht bewältigt worden ist.Zweitens. Wir möchten, daß die Bundesregierung nicht so sehr, wie das in den letzten Wochen nach meinem Eindruck geschieht, die sicherheitspolitische Diskussion reaktiv, defensiv führt, sondern die Grundelemente unserer Sicherheitspolitik in der vor mir angeregten großen Offensive einmal von sich aus darstellt. Das ist überzeugender, als im Grunde immer nur mit Abwehrargumenten und defensiven Argumenten zu kommen.
— Nein, Herr Kollege Würzbach, ich spreche von der aktuellen Situation, in der wir im Moment sind, und habe im Hinblick darauf eine Empfehlung ausgesprochen. Ich glaube wirklich, Herr Kollege Würzbach, daß es nichts bringt, daß wir uns in dieser Frage gegenseitig Vorwürfe machen. Die angesprochene Aufgabe können wir nur gemeinsam bewältigen.
Ich möchte dabei einen Spezialgesichtspunkt ansprechen, Herr Bundesminister der Verteidigung. Wir müssen uns wirklich noch einmal Gedanken darüber machen, wie wir die Argumente darstellen. Ein Kollege der Union hat hier vor einigen Wochen einmal gesagt, auch ihn erfülle es mit Zweifel, wenn die Bundeswehr selbst ihre Öffentlichkeitsarbeit mit sehr eigenartigen Klischees betreibe. Es hat gewisse Verbesserungen gegeben; damals ging es um eine Werbung der Bundeswehr, die mit dem Stichwort verbunden war: „Schweiß verbindet, und nun kommt zur Bundeswehr!" Hier wurde ein Berufsbild dargestellt, das naturgemäß bei dem mehr zivil ausgerichteten Bürger eher Antipathien als Sympathien für das weckt, was die Streitkräfte tatsächlich als Aufgabe haben. Ich glaube, hierzu gehört ein vernünftiges Konzept.Innerhalb der Bundeswehr ist die angesprochene Motivationslücke nach wie vor nicht beseitigt. Der Wehrbeauftragte hat sie wiederholt angesprochen. Hier möchte ich den Vorschlag erneuern — er geht im wesentlichen an den Bundesminister der Verteidigung —, doch einmal darüber nachzudenken — ich weiß, diese Überlegungen werden ja angestellt —, ob es nicht eine Möglichkeit gibt, auch in den Streitkräften ein größeres Ausmaß an Mitwirkung und Mitgestaltung durch die Soldaten zu ermöglichen. Ich kann mir vorstellen, daß der gleiche Effekt, den wir doch auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen mit der Mitwirkung, der Mitgestaltung erzielen, auch hier zu einer größeren Identifikation des Soldaten mit seiner Aufgabe führte, wenn er mehr Einfluß auf das hätte, was er jeden Tag zu bewältigen hat.Nun hat Herr Kollege Horn gesagt, daß es richtig sei, wenn immer wieder festgestellt werde, die Bundeswehr sei im Grundsatz in die Gesellschaft inte-
Metadaten/Kopzeile:
1870 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Möllemanngriert. Ich habe manchmal das Gefühl, daß das ganz besonders für die Einstellung der Soldaten zur Gesellschaft gilt, aber leider nicht umgekehrt für die Gesellschaft gegenüber der Bundeswehr.Hier möchte ich an eine Rede erinnern, die der seinerzeitige Bundespräsident Walter Scheel bei der Kommandeurstagung gehalten und die damals ziemlich viel Aufregung ausgelöst hat — übrigens auch kritische Kommentare von solchen, die ihr eigentlich hätten zustimmen können. Scheel hat gesagt, natürlich gebe es keinen Dissens darüber, daß die Soldaten die demokratische Ordnung akzeptiert hätten. Aber es gebe nach wie vor eine erschrekkende Distanz insbesondere — ich will das jetzt einmal ganz salopp formulieren — der Intelligenz in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Streitkräften.Meine Damen und Herren, ich glaube, wir müssen hier immer wieder deutlich machen, daß vielleicht der eine oder andere noch nicht begriffen hat, daß die vielen kritischen Diskussionen über den richtigen Weg der Landesverteidigung und der Friedenssicherung j a eben nur möglich sind, weil es die Bundeswehr gibt. Von daher meine ich, daß gerade diejenigen, die den Erhalt der Freiheit in allen anderen Bereichen propagieren, den freiheitsbewahrenden und friedenssichernden Charakter der Streitkräfte nicht diskreditieren, sondern gemeinsam mit uns herausstreichen sollten.
Nun ist hier gesagt worden, Glaubwürdigkeit der Politik sei auch ein Element, das dazu führen könnte, daß die Bürger sich mit den Institutionen des Staates und die Soldaten mit der Bundeswehr identifizierten. Man kann wohl nicht umhin — ich hatte damit gerechnet, Herr Kollege Weiskirch, daß Sie das Thema ansprechen würden, und war dann ganz enttäuscht, daß Sie es nicht taten; ich komme deswegen von mir aus auf dieses Thema — zu konstatieren, daß wir selber da doch manchmal negative Vorbilder abgeben. Ich finde, in diesem Fall, in der aktuellen Diskussion, tut das — mit Verlaub — auch die Opposition.Sie haben hier einige der vom Wehrbeauftragten angesprochenen Defizite im Bereich des Sozialwesens, der Personalmaßnahmen, des Haushaltes und anderer Fragen kritisiert, Herr Kollege Weiskirch. Ich sage hier noch einmal: Das wäre glaubwürdiger, wenn Sie bei den gestrigen Beratungen des Verteidigungsausschusses und in den Wochen davor oder bei den Beratungen des Haushaltsausschusses konkrete Anträge für auf diese Aufgaben gerichtete Mehrausgaben des Bundes gestellt und erklärt hätten, Sie träten konkret für mehr Leistungen in diesen Bereichen ein.
Solange Sie das nicht tun, wirkt das, was Sie sagen, nicht sehr überzeugend.
Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend einige kurze Bemerkungen machen. Im Zusammenhang mit dem Verteidigungshaushalt, der in den letzten Tagen stark in der Presse diskutiert worden ist, wurde auch über die Leistungsfähigkeit unserer Streitkräfte diskutiert. Ich finde, wir sollten uns allesamt davor hüten, aus taktischen Gründen die Möglichkeiten und Fähigkeiten unserer Bundeswehr falsch darzustellen. Ich stimme dem Bundeskanzler zu, der gestern erklärte, die Bundeswehr sei eine der am besten ausgerüsteten, am intensivsten ausgebildeten und damit leistungsfähigsten konventionellen Armeen, die es auf der Welt gebe. Dies war und ist nicht nur durch die politischen Vorgaben zu erreichen, die wir geben, sondern durch die Einsatz-und Leistungsbereitschaft der Berufs- und Zeitsoldaten sowie der Wehrpflichtigen. Wir möchten es bei dieser Gelegenheit nicht versäumen, den Soldaten für diese Leistungen zu danken.
Wir bitten aber auch gleichzeitig die Soldaten um Verständnis dafür, daß angesichts der angespannten Situation der öffentlichen Haushalte, derentwegen alle Berufs- und Bevölkerungsgruppen kürzer treten und auf einiges verzichten müssen, auch die Soldaten von solchen Verzichten nicht verschont bleiben können. Es ist ein Gebot der Ehrlichkeit, das hier zu sagen. Es hat keinen Zweck, immer neue Hoffnungen und Erwartungen zu wecken und dann zu konstatieren, daß wir sie nicht erfüllen können. Wir stehen doch — das wissen Sie eigentlich auch, meine verehrten Kollegen von der Opposition — nicht etwa am Anfang einer Phase, wo wir den Bürgern, egal ob in Zivil oder in Uniform, mehr versprechen können, sondern wir müssen uns in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren vermutlich sehr viel konzentrierter darüber unterhalten, was an staatlichen Leistungen nicht mehr gewährt werden kann. Das wird eine höchst unerquickliche Diskussion. Aber sie wird nicht dadurch erleichtert, daß man in Einzelbereichen mehr Leistungen verspricht.
Die FDP-Fraktion empfiehlt, den gleichzeitig eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundestages so, wie vorgelegt, in den Ausschüssen zu beraten. Wir stimmen der Grundintention dieses Gesetzes zu und glauben, daß die Tätigkeit des Wehrbeauftragten durch dieses Gesetz auf eine verbesserte Grundlage gestellt wird. — Ich danke Ihnen.
Nach § 115 der Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Wehrbeauftragten das Wort.Berkhan, Wehrbeauftragter des Bundestages: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Abgeordneten! Meine Mitarbeiter und ich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1871
Wehrbeauftragter Berkhansind Ihnen dankbar, daß Sie bereits jetzt im Plenum des Deutschen Bundestages unseren Jahresbericht 1980 behandeln, wenige Wochen nach seiner Vorlage. Wir nehmen das als Zeichen, wie wichtig Ihnen die Fragen der inneren Situation unserer Streitkräfte sind und welche Bedeutung Sie den Erkenntnissen Ihres Hilfsorgans Wehrbeauftragter in diesen Fragen zumessen.Lassen Sie mich darüber hinaus sagen, wie sehr ich mich freue, daß Sie gleich zu Beginn dieser Wahlperiode auch die Novellierung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten in Angriff nehmen wollen. Ich hoffe, dieses Mal gelingt es, die Novellierung zu einem guten Ende zu bringen.
Bei der Vorbereitung dieser Gesetzesinitiative im Verteidigungsausschuß habe ich ebenfalls schon feststellen dürfen, wie durch alle Fraktionen hindurch einmütig ohne jeden Vorbehalt der Wille besteht, die Basis für die Tätigkeit des Wehrbeauftragten und damit die Wirksamkeit parlamentarischer Kontrolle zu verbessern.
In diesem Jahresbericht stehen diesmal die Soldaten im Grundwehrdienst, ihre Schwierigkeiten und Probleme, im Mittelpunkt. Viele Wehrpflichtige hören vor ihrer Einberufung kaum etwas über den Sinn des Wehrdienstes.
Sie erfahren nicht, daß dieser Dienst für die Sicherung unserer freiheitlichen Lebensordnung unverzichtbar ist. Die Bewußtseinsbildung und die Einflußnahme des staatlichen Bildungswesens sind zwar in einer beachtlichen Einheitlichkeit auf die Anerkennung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ausgerichtet; es wird aber weithin nicht zugleich auch die Einsicht vermittelt, daß Friedensfähigkeit Verteidigungsanstrengungen und Verteidigungswillen voraussetzt.
In diesem Rahmen sehe ich auch die Behandlung der Fragen des Wehrdienstes und Zivildienstes im staatlichen Bildungs- und Erziehungswesen. Die vom Grundgesetz geforderte militärische Landesverteidigung und damit der verfassungsmäßige Bezugsrahmen für den Wehrdienst müßten verständlicher gemacht werden, ebenso die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1978, daß der Zivildienst vom Grundgesetz nicht als alternative Form der Erfüllung der Wehrpflicht gedacht,
sondern allein denjenigen Wehrpflichtigen vorbehalten ist, denen aus Gewissensgründen der Dienst mit der Waffe nicht zugemutet werden kann.
Das ist schon deshalb nötig, weil das Verhalten von Teilen der Jugend nicht mehr dieser Verfassungsaussage entspricht. Das Anwachsen der Zahl der Wehrpflichtigen, die den Zivildienst dem Grundwehrdienst vorziehen — 1978 waren es zirka 45 000, im Jahre 1980 sind es 54 000 gewesen; das sind runde Zahlen, keine genauen Zahlen —, macht diese Notwendigkeit deutlich. Wenn junge Wehrpflichtige oder die jungen Heranwachsenden in persönlichen Gesprächen dann auch noch ihre Entscheidung nicht mit einer Gewissensentscheidung, sondern mit anderen Erwägungen erklären, ist das ein eindeutiges Zeichen dafür, daß kein volles Verständnis mehr vorliegt.Ein großer Teil der Wehrpflichtigen hat vor der Einberufung im übrigen auch ein sehr verschwommenes Bild von der Ausgestaltung des Grundwehrdienstes. Da gibt es die Erwartung, über den Dienst hinaus z. B. etwas für das eigene spätere Berufsleben erlernen zu können. Daneben gibt es die Befürchtung, daß der Grundwehrdienst vertane Zeit sei. Weit verbreitet ist die Ungewißheit, wenn nicht gar Angst davor, ob das Ein- und Unterordnen in die hierarchische Struktur der Streitkräfte gelingen werde. Das ist um so verständlicher, je mehr der Wehrpflichtige frei von autoritären Ansprüchen groß geworden ist.Alles das sind Punkte, die verdeutlichen, daß die Einstellung von vielen Wehrpflichtigen zum Grundwehrdienst kritisch und auch mit Vorurteilen behaftet ist. Es sind deshalb besondere Anstrengungen erforderlich, die Notwendigkeit des Grundwehrdienstes zu verdeutlichen und über ihn zu informieren. In einer Zeit, in der Frieden und Freiheit von vielen als Selbstverständlichkeiten verstanden werden und in der die persönliche Verweigerung und Inanspruchnahme der Leistungen anderer auf zahlreichen Feldern des gesellschaftlichen Lebens höher rangieren, als selber Opfer für die Gesellschaft zu bringen, ist dies ohne Frage eine schwierige Aufgabe. Gelingt es jedoch nicht, die Notwendigkeit des Wehrdienstes den Soldaten erfahrbar zu machen, wird die Verbindlichkeit der Wehrpflicht vom jungen Heranwachsenden nicht nachvollzogen werden können.Weil der zum Grundwehrdienst einberufene Soldat einem in sein persönliches Leben tief eingreifenden Anspruch für Staat und Gesellschaft nachkommt, bedarf er der Bestätigung des Wertes seines Dienstes. Das öffentliche feierliche Gelöbnis kann eine Gelegenheit hierfür sein. Wichtig ist mir dabei vor allem, daß bei dieser Gelegenheit dem jungen Menschen die Wertschätzung seines Dienstes erfahrbar gemacht wird und er sich nicht nur verstandesmäßig, sondern auch emotional richtig angesprochen sieht. Denn die Erfahrung aus dem feierlichen Gelöbnis kann bei der Aufarbeitung dieses Aktes für den jungen Soldaten auch ein Stück politischer Bildung werden.Vielfach sind es die kleinen Dinge der täglichen Dienstgestaltung, die dem Soldaten die Wahrnehmung des Verteidigungsauftrags durch die Streitkräfte glaubwürdig machen und die seine eigene Bewertung begründen, ob sein Dienst sinnvoll ist oder nicht. Sein Urteil wird wesentlich davon bestimmt, ob er sich persönlich ganz oder überwiegend ausgelastet sieht und ob er sich als Glied einer Organisa-
Metadaten/Kopzeile:
1872 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Wehrbeauftragter Berkhantionseinheit verstehen kann, in der — auch nach seiner eigenen Vorstellung — etwas geleistet wird. Dies stellt hohe Ansprüche an die fachliche Leistung, an das Organisationsvermögen und an die pädagogischen Fähigkeiten der Vorgesetzten. Aber Innere Führung zu praktizieren war noch nie einfach: Angefangen vom Einüben praktischer Fertigkeiten bis hin zur Bewältigung geistiger und sittlicher Probleme, von der praktischen Gefechtsausbildung und den oft als unangenehm und eintönig empfundenen Wartungs- und Pflegediensten über die Wach- und Bereitschaftsdienste bis hin zu manchem politischen Unterricht.
Die Art der Dienstverrichtung und Motivation des Soldaten im Grundwehrdienst hängt ganz wesentlich auch davon ab, wie er in seiner militärischen Umwelt mit Kameraden und Vorgesetzten zurechtkommt. Das ist ein, wenn auch nicht der einzige Grund, weshalb ich in meinem letzten Jahresbericht die Darstellung meiner Erkenntnisse auf dem Gebiet des Grundrechtsschutzes auf Mißhandlungen von Mannschaftsdienstgraden untereinander beschränkt habe. In meinen Jahresberichten können auch nicht in jedem Jahr alle in die Zuständigkeit des Wehrbeauftragten fallenden Fragen erörtert werden. Die Berichterstattung an das Parlament gebietet Schwerpunkte. Das war hier auch und vor allem deshalb nötig, um meine Erkenntnisse zu der die Öffentlichkeit bewegende Frage nach dem Vorhandensein einer sogenannten Subkultur unter Mannschaftsdienstgraden nach der Hierarchie des Dienstalters in die Diskussion einzubringen.Meine Überprüfungsergebnisse aus Vorfällen, in denen Soldaten unter Androhung oder gar unter Anwendung von Gewalt die Gesundheit und körperliche Integrität, die Würde oder andere zu schützende Rechtsgüter ihrer Kameraden verletzten, erlauben nicht, auf eine in den Streitkräften generell bestehende informelle Hierarchie bei den Mannschaften zu schließen, in der sich der dienstältere Soldat Rechte gegenüber dem Dienstjüngeren anmaßt und gar versucht, diese in rechtsverletzender Weise durchzusetzen.Die Vorfälle, die mir in diesem Zusammenhang bekannt geworden sind, deuten vielmehr in die Richtung, daß zwar auch Unterschiede im Dienstalter von Opfer und Täter Bedeutung erlangen können; daneben gibt es aber auch Gründe, die davon unabhängig sind: Alkoholeinfluß, die Neigung einzelner zur Gewalttätigkeit, angebliche oder wirkliche persönliche Schwächen der Opfer und deren vermeintliche Wehrlosigkeit. Hinzu kann auch fehlerhaftes Verhalten von Vorgesetzten kommen. Die Vielschichtigkeit dieser Vorgänge läßt Erklärungsversuche nicht zu, die nur von einer Ursache ausgehen.Eine Beobachtung im Zusammenhang mit diesen Vorfällen gibt mir besonders zu denken. Es gibt junge Soldaten, die aus Furcht solches Unrecht schweigend ertragen oder von vornherein versuchen, durch Willfährigkeit Drangsalierungen zu entgehen und sich nicht des Beistands der Vorgesetzten — auch nicht des Schutzes ihres Vertrauensmannes — versichern. Deshalb ist auf eine schwer feststellbare Dunkelziffer in diesen Fällen zu schließen.Zur Vermeidung von derartigen Mißhandlungen und anderen Übergriffen gegenüber Kameraden ist wichtig, daß die Vorgesetzten mehr über die Beziehungen der ihnen unterstellten Mannschaften untereinander wissen. Vorgesetzte aller Ebenen werden sich deshalb vermehrt in den Kommunikationsprozeß des ihnen unterstellten Verantwortungsbereichs einschalten müssen. Hierbei muß das besondere Augenmerk den sogenannten Außenseitern gelten.Meine Erkenntnisse aus Vorfällen der Nötigung und Mißhandlung auf der Kameradenebene der Mannschaften weisen ferner darauf hin, daß dort, wo verantwortungsvolle Vorgesetzte die Hand am Puls ihrer Soldaten hatten, Mißstände der geschilderten Art bereits im Keim erstickt und weiterer Schaden abgewendet werden konnten. Vorgesetzte aller Ebenen, so scheint es mir, sind sich des Problems und seiner Bedeutung weitgehend bewußt. Völlig unangemessen sind allerdings die Verharmlosung und der Hinweis darauf, daß z. B. das sogenannte „Duschen" von Neulingen nur ein Spaß sei und es Derartiges schon immer gegeben habe und es auch in anderen Berufszweigen Parallelen dazu gebe. Der zum Grundwehrdienst einberufene Soldat erfüllt seine gesetzliche Wehrpflicht nicht zum Spaß anderer. Aus solchen „Späßen" werden darüber hinaus sehr schnell ernst zu nehmendes Unrecht am Kameraden und eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Zusammenhalts sowie der Vertrauensbasis in der Truppe.Kameradschaft leidet aber auch aus anderen Gründen Not. Einer davon ist, daß sich nach Dienst einige Kasernen weitgehend leeren und ein sehr großer Teil der Soldaten bis zum nächsten Morgen in den privaten Bereich zurückkehrt. Der in der Kaserne verbleibende — meist heimatfern einberufene — Soldat erfährt dabei vor allem das Gefühl der Isolierung. Die Gemeinschaft während des Dienstes findet ihre Fortsetzung nicht nach Dienst. Wichtige Voraussetzungen für das Entstehen und Wachsen von Kameradschaft fehlen damit.Die Verpflichtung zum Wohnen in der Gemeinschaftsunterkunft, die für den Soldaten im Grundwehrdienst, aber auch für den Soldaten auf Zeit während der ersten 15 Monate seiner Dienstzeit und darüber hinaus für den unverheirateten Soldaten bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres regelmäßig besteht, ist durch eine großzügige Nachtausgangsregelung in ihrer Bedeutung weitgehend eingeschränkt.Vielfach ist gerade von Soldaten im Grundwehrdienst die Klage zu hören, daß in der Bundeswehr gegammelt werde. Dahinter steht oft — aber nicht nur — Unverständnis für die Notwendigkeit von Routinediensten. Die Streitkräfte verdienen diese Etikettierung nicht. Sie müssen aber durch die Art der Dienstgestaltung und durch Überzeugungsarbeit diesem weitverbreiteten Vorurteil wirksamer als bisher begegnen, zumal derartige Werturteile sehr schnell über den jeweiligen Einzelfall hinaus
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1873
Wehrbeauftragter Berkhanzur Charakterisierung des Dienstes in der Bundeswehr überhaupt herangezogen werden.
— Herr Abgeordneter Würzbach, Sie werden nicht erwarten, daß der Beauftragte des Parlaments auf Zwischenrufe eingeht, die Dinge zum Inhalt haben, die zwischen den politischen Gruppierungen dieses Hauses in Streit sind.
Ich täte es natürlich gerne, Herr Abgeordneter Würzbach,
aber ich bitte Sie um Verständnis: Wir müssen unsere Debatten im Ausschuß austragen. Sie wissen, daß ich bereit bin einzustecken; aber ich kann auch austeilen, wenn es notwendig ist.
Der Präsident würde es mir sehr verübeln, wenn ich so etwas in dieser Debatte täte. — Herr Abgeordneter Dr. Barzel, ich bin ganz stolz, daß Sie mich noch mit „Kollege" anreden. Ich bin nur zu einem fünfhundertachtzehnten Teil Ihr Zuarbeiter, und ich habe Ihnen gegenüber meine Pflicht zu tun. Und ich gebe mir Mühe.
Ich fahre in meinen Ausführungen fort. Im letzten Jahr gerieten die Bundeswehr und die Wirksamkeit der Inneren Führung ins Kreuzfeuer der Kritik. Diese Diskussion setzte sich, wenn auch weniger spektakulär, fort. Die Vorkommnisse im Zusammenhang mit feierlichen Gelöbnissen von Soldaten in der Öffentlichkeit führten u. a. dazu, über den Erfolg der Integrationsbemühungen der Bundeswehr erneut nachzudenken. Mit diesem Thema kam zugleich wieder ein Aspekt aus dem Bereich der Inneren Führung in die Diskussion, der vielen schon als befriedigend gelöst galt. Der in den Streitkräften nie ganz verschwundene Zweifel, ob die Gesellschaft sie tatsächlich angenommen und verstanden habe, erhielt dadurch eine neue Nahrung.Ich habe mich zu dieser Problematik in den Vorbemerkungen meines schriftlichen Berichts im einzelnen geäußert und will das hier nicht weiter ausführen. Die Diskussion ist seit Veröffentlichung meines schriftlichen Berichts weitergegangen und in eine allgemeine Debatte zur Traditionspflege in der Bundeswehr eingemündet.In diesem Zusammenhang greife ich auf, wozu ich bereits in dem schriftlichen Bericht aufgefordert habe. Es müssen zu diesem Thema vor allem auch diejenigen gehört werden, die in den Streitkräften damit leben.Seit der Veröffentlichung meines Jahresberichts ist über Tradition viel diskutiert und geschrieben worden. Aus den Meinungsäußerungen möchte ich eine herausgreifen und Ihnen vortragen, weil sie meines Erachtens etwas zum Ausdruck bringt, was ich für die Traditionsfindung und -pflege in den Streitkräften für ganz besonders beherzigenswert halte. Ich zitiere:Über das, was Tradition ist, haben zunächst jeweils die Betroffenen selbst zu befinden. Denn Tradition läßt sich nicht oktroyieren. Wenn sie lebendig wirkend sein soll, muß sie aus echtem Betroffensein und Aufnahmebereitschaft der Beteiligten erwachsen, von ihnen verinnerlicht werden. Erst auf einer zweiten Stufe der Traditionsentwicklung kann und muß sich demokratische Öffentlichkeit mit Inhalten und Formen militärischer Tradition auseinandersetzen. Sie muß dann auswählen, welche Elemente sie integrieren will, welche sie bloß tolerieren kann und welche sie strikt ablehnen muß.So weit das Zitat, das ich für beherzigenswert halte.
Neben den bereits angesprochenen Themen müssen im Beziehungsgeflecht der Inneren Führung auch Fragen des Wehrdisziplinarwesens, der Personalführung und von Fürsorge und Betreuung besondere Beachtung geschenkt werden.Für mich ist keine uninteressante Beobachtung, daß Soldaten, die einer starken dienstlichen Belastung, z. B. in Manövern, auf Truppenübungsplätzen oder im Einsatz auf See, ausgesetzt sind, deutlich seltener disziplinar gemaßregelt werden müssen; vermehrt treten hingegen Disziplinarverstöße bei geringer dienstlicher Inanspruchnahme auf. Diese Beobachtung bitte ich auch im Zusammenhang mit meinen Ausführungen über den Grundwehrdienst zu sehen.Auch im Personalwesen sind wir nach wie vor mit den drückenden Problemen der unausgewogenen Personalstruktur konfrontiert. Nachdem ich in den beiden vergangenen Jahresberichten jeweils zu dieser Frage Stellung genommen habe, habe ich sie diesmal nicht ausdrücklich angesprochen. Neue Probleme auf dem Gebiet der Personalführung sind im letzten Jahr vor allem beim Heer durch die Umgliederung in die neue Heeresstruktur entstanden. Diese Fragen werden uns auch noch eine ganze Zeit begleiten. Es müssen Wege gesucht und gefunden werden, die die hiermit verbundenen empfindlichen Belastungen für die von der Umgliederung betroffenen Einheiten und Soldaten abbauen oder zumindest erträglich machen.In erster Linie denke ich hierbei an die personelle Entwicklung, insbesondere bei den Unteroffizieren, und an die dünne Personaldecke in den umgegliederten Einheiten und Verbänden.Herr Abgeordneter Weiskirch, Sie haben aus meinem Bericht zitiert. Wenn Sie aber die Seite 21 aufschlagen, sehen Sie, daß sich das Minus von 40 % auf ein Bataillon bezieht. Gottlob ist der Zustand nicht überall so schrecklich. Wenn aber das Minus an
Metadaten/Kopzeile:
1874 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Wehrbeauftragter BerkhanUnteroffizieren 20 700 beträgt — immerhin ein Anteil, der 13 bis 14 % ausmacht —, muß das zwangsläufig dazu führen, daß für diejenigen, die in den Streitkräften Dienst tun — bei unverändertem Auftrag und gleichbleibender Anzahl von Wach- und Bereitschaftsdiensten — die Dienstbelastung steigt, weil alle Soldaten der entsprechenden Einheit oder des Verbandes häufiger als früher zu derartigen Diensten herangezogen werden müssen. Dies alles kann nicht ohne Auswirkung auf die Verpflichtungsbereitschaft des potentiellen Unteroffiziersnachwuchses bleiben.Besteht darüber hinaus noch Ungewißheit über geplante Umgliederungsmaßnahmen, die etwa eine Verlegung der Truppenteile an einen anderen Ort nach sich ziehen, so schafft das zusätzlich in beträchlichem Maße Unruhe unter den längerdienenden Soldaten. Rechtzeitige und verbindliche Information durch die direkten Vorgesetzten — nicht durch Zeitungen oder Rundfunk oder irgendwelche Institutionen, die ausschließlich dem Ministerium verantwortlich sind — über geplante Organisationsmaßnahmen und die damit verbundenen Konsequenzen wäre ein wirkungsvoller Beitrag einer praktizierten Inneren Führung.Unabhängig hiervon möchte ich auch betonen, daß rechtzeitige und möglichst weitgehende Information als Führungsmittel auf dem Gebiet der Inneren Führung nicht immer in genügendem Ausmaß genutzt wird. In meinem Jahresbericht brachte ich als Beispiel hierfür, daß Offiziere der Dienstbereiche Luftwaffendienst und Sicherungsdienst nicht hinreichend über eine Neuregelung bei der Übernahme zum Berufsoffizier unterrichtet wurden. Ein anderes Beispiel ist, daß die Truppe auf Bestimmungen über den finanziellen Ausgleich für Spitzendienstzeiten nicht genügend vorbereitet war; der positive Ansatz der bestehenden Regelung hätte durch geeignete Information deutlicher herausgestellt werden können, und die Kritik wäre womöglich nicht in einem solchen Ausmaße erfolgt.Lassen Sie mich abschließend noch auf eines hinweisen: Im letzten Jahr konnten wir auf ein Vierteljahrhundert unserer Streitkräfte zurückblicken. Ich glaube, daß die vergangenen 25 Jahre Bundeswehr einen Zeitraum darstellen, der erlaubt, mit einiger Zuverlässigkeit über die Bedeutung des Konzepts der Inneren Führung in den Streitkräften Aussagen zu machen. Schon einmal, im Jahresbericht 1978, hatte ich gegenüber dem Deutschen Bundestag zum Ausdruck gebracht, daß die Innere Führung von den Soldaten im wesentlichen angenommen sei. Heute möchte ich von dieser Stelle gegenüber dem Hohen Hause hervorheben, daß auch die Anstrengungen zur Verwirklichung dieses Reformkonzepts nie erlahmt sind und daß es stets als verpflichtendes Prinzip anerkannt und fortentwickelt worden ist. Diese Aussagen können auch nicht dadurch entkräftet werden, daß es in den Streitkräften immer wieder zu Vorfällen und Entwicklungen kommt, die das Konzept der Inneren Führung gerade verhindern will.Auch wenn die Erwartungen an die Handhabung der Inneren Führung nicht selten über das hinausgehen, was in der Tagesarbeit tatsächlich geleistet wird, ist das Bemühen um eine Annäherung an den Anspruch beachtlich. Nebenbei, der Diskrepanz zwischen Zielvorstellung und Wirklichkeit begegnen wir auch in anderen, eigentlich allen Bereichen
und Gebieten unseres staatlichen und menschlichen Lebens. Das ist nicht auf die Streitkräfte beschränkt. Bedenken Sie, daß die Streitkräfte eine Organisation sind, in die jährlich über 100 000 junge Menschen einfließen und aus der am anderen Ende 100 000 wieder ausscheiden, eine Organisation, in der der eine immer damit beschäftigt ist, den anderen auszubilden; wenn diese mühselige Arbeit gerade vollzogen ist, dann geht der eine oder der andere, zum Teil gehen sie beide, und das macht die Sache natürlich nicht leichter.Das alles kann uns zwar nicht in dem Sinne beruhigen, daß wir Fragwürdiges und Mißstände in der Truppe schicksalhaft hinnehmen, wir alle sollten vielmehr darüber nachdenken, welche konkreten Wege beschritten werden können, um sachgerechte Lösungen für offene Fragen zu erarbeiten. Wir alle, die Bürger in Zivil und die Bürger in Uniform, auch Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten des Deutschen Bundestages, sollten jedoch nicht vergessen, daß an die Innere Führung manchmal Forderungen gestellt werden, die mit anderen wichtigen Anliegen so konkurrieren, daß beides nicht gleichzeitig im an sich wünschenswerten Umfang erfüllbar ist. Beispiele hierfür finden Sie in fast allen Jahresberichten meiner Vorgänger und von mir. Der Vollzug von Innerer Führung wird aber auch zunehmend von enger werdenden finanziellen Handlungsräumen berührt, so daß manche Probleme nur mühsam und sicher auch nur langfristig zu lösen sind.Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem Punkte, denke ich, sind sich die Sprecher aller Fraktionen mit dem Herrn Wehrbeauftragten einig, daß in einer Bundeswehr mit über 500 000 Menschen auch schlimme Dinge passieren können. Aber wir sind uns auch darüber einig, daß sie nicht als Kavaliersdelikte abgetan werden können, daß sie die Rechte des Individuums verletzen, insbesondere aber dem Ansehen der Bundeswehr schaden.Wenn wir in unseren Streikräften solche Vorfälle sicherlich nur begrenzt haben, dann auch deshalb, weil die Institution des Wehrbeauftragten, insbesondere aber der jetzige Amtsinhaber, in einem hohen Maße das Vertrauen aller Soldaten hat und in einem hohen Maße bereit ist zuzuhören, uns zu helfen, uns auch zu kritisieren. Dafür, Herr Wehrbeauftragter, möchten wir Ihnen hier im Deutschen Bundestag erneut sehr herzlich danken.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1875
Bundesminister Dr. ApelSie, Herr Weiskirch, haben zum Thema Gesellschaft und Soldat, Soldat und Gesellschaft sowie Integration der Bundeswehr Bemerkungen gemacht. Ich kann mit mancher Ihrer Bemerkungen sehr wohl einverstanden sein, obwohl ich das Bild, das Sie malen, nicht so rosig sehe. Ich möchte diese Debatte bewußt nicht parteipolitisch führen, weil sie parteipolitisch keinen Sinn macht, wenigstens nicht in der Debatte zum Thema Wehrbeauftragter. Wir werden sicherlich bei der Haushaltsdebatte darauf zurückkommen. Aber man muß wohl sehen, daß es doch eine ganze Reihe von Widersprüchlichkeiten zwischen unserer Gesellschaft und der Bundeswehr, zwischen der Bundeswehr und unserer Gesellschaft gibt.Diejenigen, die mit mir zusammen die zweitägige Tagung auf der Hardthöhe erlebt haben — es war ja auch ein Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion anwesend —, haben das auch gespürt. Wir sind am Ende zu Ergebnissen gekommen. Ich will Ihnen nur wenige Sätze vorlesen, die, glaube ich, das Problem umreißen, und ich denke, Sie können weitgehend zustimmen. Ich habe da am Ende in meiner Schlußbemerkung — ich zitiere — gesagt:Über die Bundeswehr sollte nicht nur dann geredet werden, wenn etwas schiefgelaufen ist. Die Streitkräfte besitzen eine solide, demokratische Fundierung. Die verfassungsmäßigen Grundlagen sind intakt und unbestritten. Die Bundeswehr bejaht und praktiziert die Grundsätze der Inneren Führung. Das ist nicht in Zweifel gezogen worden.Aber dennoch wurde deutlich, daß wir der jungen Generation immer wieder den Verfassungsauftrag, den grundgesetzlichen Auftrag der Bundeswehr klarmachen müssen, wie wir unsererseits den Soldaten sagen müssen, daß es für sie keinen sozialen Schonraum gibt. Die Bundeswehr ist Teil unserer Gesellschaft; sie genießt keine besonderen Rechte. Sie soll an der Pluralität unserer Gesellschaft mit allen ihren Stärken und Schwächen aktiv Anteil nehmen.Das Problem, das hier in dieser Debatte eine Rolle spielt — der Herr Wehrbeauftragte hat darauf hingewiesen —, wird auch in einem Bericht sichtbar, den der Beauftragte für Erziehung und Ausbildung des Generalinspekteurs vorgelegt hat und der in diesen Tagen in der „Bild"-Zeitung ja auch auszugsweise eine Rolle gespielt hat. Ich will daraus wenige Punkte in die Debatte einführen, um deutlich zu machen, wo für viele Wehrpflichtige das Problem liegt. Das, was der Herr General Schild hier ermittelt hat, gründet sich auf 1 560 Gesprächspartner in 139 Gesprächsrunden. Er sagt, dies sei ein repräsentatives Ergebnis, und meint, die Motivation der Wehrpflichtigen sei auch deshalb ein Problem, weil sie nach übereinstimmenden Aussagen der Vorgesetzten und der Wehrpflichtigen keine oder nur unzureichende Information und Kenntnisse über die Bundeswehr, über ihren Auftrag, vor Dienstantritt haben.Hier schließe ich mich den Bemerkungen an, die in der Debatte vorgetragen worden sind, daß hier in der Tat die Schule eine besondere Aufgabe hat, nicht in dem Sinne, daß wir einen Wehrkundeunterricht einführen wollen — ich bin ja verdächtigt worden, dies zu wollen, nachdem ich mit der Kultusministerkonferenz geredet habe; davon kann überhaupt nicht die Rede sein —,
sondern es geht darum, daß die Bedingungen der Friedenssicherung in unserer Republik, in unserer geographischen, politischen, militärischen Lage gründlich erörtert werden, daß dazu natürlich auch Fragen des Zivildienstes gehören, aber eben auch Fragen der Bundeswehr und ihrer inneren Struktur.Ich weiß nicht, ob wir den Kultusministern Vorwürfe machen sollten. Dann, wenn man sich das Unterrichtsmaterial, das vorhanden ist, anschaut, wenn wir uns das anschauen, was an Möglichkeiten gegeben ist, stellen wir fest, daß die Probleme wohl eher woanders liegen: bei der Stoffülle, die die Schule bewältigen muß. Wir sollten deswegen auch und insbesondere die Debatte mit den Pädagogen suchen; denn auch dies scheint mir wichtig zu sein.Zum zweiten kommt diese Untersuchung zu einem wichtigen Punkt, den man auch im Bericht des Herrn Wehrbeauftragten wiederfindet. Der Bericht des Beauftragten für Erziehung und Ausbildung sagt — ich zitiere —:Für die meisten Grundwehrdienstleistenden ist die Person des Vorgesetzten ausschlaggebend dafür, in welcher Richtung sich ihre Einstellung zum Wehrdienst entwickelt. Sie erwarten von ihrem Vorgesetzten, daß er die Untergebenen gerecht und menschlich behandelt, daß er Verständnis für ihre Probleme aufbringt.Nun kommt aber ein Satz, der auch selbstkritisch zu nehmen ist:Es geben viele Mannschaften zu verstehen, daß sie einem so gearteten unmittelbaren Vorgesetzten nicht begegnet sind.
Dann müssen wir natürlich in der Tat unsere Bemühungen um Innere Führung verstärken, und sicherlich, Herr Weiskirch, hat das auch etwas mit Dienstzeitbelastung zu tun — sicherlich, und ich werde dazu auch noch Bemerkungen machen —, aber es hat, wie ich glaube, nicht allein damit etwas zu tun.
Es hat auch etwas damit zu tun, Herr Wehrbeauftragter, daß sich die Kaserne abends entleert, und zwar nicht nur von den Heimschläfern, sondern natürlich auch von den Unteroffizieren und Offizieren. Eigentlich ist dies in einer Gesellschaft, die Freizeit in den Mittelpunkt ihres eigenen Wertverständnisses stellt, eine normale Tendenz.Dann kommt ein weiterer Punkt, den ich eben schon angesprochen habe: Heimatnahe Einberufung hat zentrale Bedeutung; ein ganz besonderer Anspruch auf Freizeit; deswegen auch Anpassungs-
Metadaten/Kopzeile:
1876 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Bundesminister Dr. Apelverhalten, um nicht durch Strafen am Wochenende Wachdienst zu bekommen. Auch dies führt zu Problemen, die man sehen muß und die wir sicherlich nicht so ohne weiteres überwinden können.Der nächste Punkt in diesem Bericht ist, daß General Schild auf Grund seiner Untersuchungen zu dem Ergebnis kommt, daß — auch der Wehrbeauftragte hat darauf hingewiesen — insbesondere diejenigen Soldaten mit einem unguten Eindruck von der Bundeswehr weggehen, die während des Dienstbetriebes nicht gefordert worden sind. Die Soldaten wollen die Überzeugung haben, daß sie gebraucht werden; sie wollen als junge Menschen ihre Kraft erproben. — Herr Abgeordneter Würzbach, Sie haben einen Zwischenruf gemacht, und wir werden darauf sicher bei den Haushaltsberatungen oder schon heute Nachmittag in der Aktuellen Stunde zurückkommen. Nachdem jetzt der Verteidigungsetat von 1980 auf 1981 um 3,2 Milliarden DM steigt, sollten wir uns vor dem Pauschalurteil, die Bundeswehr sei nun nicht mehr aktionsfähig, sehr hüten. Ich berufe mich auf die Bemerkungen, die Herr Möllemann gemacht hat, aber wir werden diese Fragen sicherlich bei anderer Gelegenheit zu debattieren haben.Ich schließe meine Zitierung aus diesem Bericht ab, aber ich denke, wir müssen uns die Fragen, die hier angesprochen sind, noch sehr ernsthaft vornehmen, insbesondere deswegen, weil hier Grundströmungen sichtbar werden, mit denen wir so ohne weiteres nicht fertig werden. Herr Wehrbeauftragter, ich verstehe sehr gut, daß Sie beklagen, daß auch Wehrpflichtige — nämlich wenn sie Heimschläfer sind — aus den Kasernen herausgehen. Aber hier liegt natürlich ein dickes Problem. Der Zivildienstleistende ist grundsätzlich oder fast immer jeden Abend zu Hause. Je stärker wir hier in eine bestimmte Richtung gehen, um so mehr verstärken wir die Gefühle derer, die Wehrpflicht leisten, sie seien eigentlich minderen Ranges, so daß ich in der Tat der Meinung bin, daß das Thema „Dienst junger Menschen" insgesamt betrachtet werden muß.Zu den Personalfragen sind, Herr Weiskirch, schon Bemerkungen gemacht worden. Die 50 Millionen DM, die nachgeschoben werden mußten, zeigen, daß die Bundeswehr eine Chance hat, ihr Personalfehl zu überwinden. In jedem Fall ist sie attraktiv. Das will ich nicht allein auf die Attraktivität des Dienstes für die Bundeswehr zurückführen; hier spielt natürlich auch der Arbeitsmarkt eine Rolle. Aber wir sollten die Dinge auch hier nicht schwarzweißmalen, sondern uns an das erinnern, was der Wehrbeauftragte im letzten Bericht und in den Berichten davor gesagt hat, nämlich daß sich das soziale Niveau der Zeit- und der Berufssoldaten in der Bundeswehr sehen lassen kann, daß man von hierher die Probleme nicht betrachten muß. Dienstzeitbelastung ist sicherlich ein schwerwiegendes Problem. Die Bemerkungen des Herrn Wehrbeauftragten zum finanziellen Dienstzeitausgleich werden uns veranlassen, Stellung zu nehmen und auch Weiterentwicklungen anzupeilen.Ich bin sehr einverstanden mit meinem Fraktionskollegen Horn: wir alle müssen die sicherheitspolitische Debatte führen, auch die Bundeswehr. Aber eines geht natürlich überhaupt nicht: daß, wenn Angehörige der Bundeswehr — ich habe dies neulich aus dem kirchlichen Bereich gehört — zu einer Veranstaltung gehen, um dort den Friedensdienst, den die Bundeswehr leistet, zu erklären und in der Debatte ihren Mann zu stehen, an einigen Orten diesen jungen Männern, die bereit sind, für uns und mit uns zusammen diese politische Auseinandersetzung zu führen, eine Stimmung entgegenschlägt, die feindlich ist. Dieses können wir in der Tat vom jungen Soldaten, vom Soldaten nicht verlangen. Ich muß deswegen an alle appellieren, die Friedenswochen veranstalten, die sich um die Friedenssicherung Sorgen machen, die mit mir zusammen die große Debatte wollen — ich will sie —, daß diese Debatte von dem festen Willen getragen sein muß, einander zu verstehen, einander zu achten und auch bei grundsätzlicher Meinungsverschiedenheit Haß und Gegnerschaft nicht zur Geltung kommen zu lassen.
Wenn es anders wäre, könnte ich nicht verlangen, daß sich die jungen Soldaten der Bundeswehr neben ihrem schweren Dienst auch noch der politischen Debatte stellen.Ich habe damit auch schon Bemerkungen zu Herrn Möllemann gemacht. Wir wollen uns sicherlich bemühen, die Öffentlichkeitsarbeit zu verbessern. Daß das seine Grenzen hat, will ich zugeben.Aber eines will ich hier einfügen: Die Damen und Herren des Verteidigungsausschusses wissen, daß wir die Rolle der Vertrauensleute der Mannschaften, der Unteroffiziere und der Offiziere stärken werden. Wir kommen zu dem Ergebnis, daß das im Rahmen der geltenden Regelung nicht möglich ist. Wir werden Ihnen also auch Gesetzesänderungen vorschlagen müssen. Deswegen werden wir auch andere Zeithorizonte setzen müssen, bis wir das vorlegen können.Nur eines muß, glaube ich, deutlich werden: Die Bundeswehr ist nicht irgendein Produktionsbetrieb oder gar eine Universität. In der Bundeswehr gilt es, den Auftrag zu erfüllen. Das heißt, Befehl und Gehorsam müssen gelten. Hier finden dann auch die erweiterten Rechte der Vertrauensleute zwangsläufig, glaube ich, ihre Grenzen. Dennoch werden wir im Dialog mit Ihnen, meine Damen und meine Herren, diese Grenzen ausloten, weil ich in einem Punkt ausdrücklich Herrn Möllemann zustimmen möchte — das ist wohl auch Erfahrung der Koalition insgesamt —, daß mehr Partizipation, mehr Mitwirkung auch in Fragen des Wachdienstes, auch in Fragen des Dienstes am Wochenende, auch in Fragen der Dienstzeitgestaltung für alle Beteiligten das Zusammenleben nicht nur erträglicher macht, sondern die Einsatzbereitschaft und die Leistungsbereitschaft erhöht. Die Philosophie der Mitbestimmung ist ja eben diese: daß sie nicht nur die Demokratie dort einführt, wo sie hingehört, sondern gleichzeitig Selbstverwirklichung der Menschen und damit ein höheres Maß an Leistungsbereitschaft erzeugt. Diese Erfahrung müssen wir und wollen wir uns auch in der Bundeswehr zunutze machen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1877
Bundesminister Dr. ApelHerr Wehrbeauftragter, nur wenige Bemerkungen zu Ihrem mündlichen Vortrag. Wir werden ja in unserer Stellungnahme darauf zurückkommen. Ich möchte Ihnen ausdrücklich in dem zustimmen, was Sie zum feierlichen Gelöbnis und zur Tradition generell gesagt haben. Insbesondere wollen wir — der Herr Generalinspekteur wird heute einen Erlaß herausgeben — beim feierlichen Gelöbnis in der Kaserne oder auch außerhalb der Kaserne noch stärker als bisher denjenigen, der das Gelöbnis spricht, in den Mittelpunkt der Veranstaltung stellen.
Er darf nicht Staffage sein, es darf nicht sein, daß er stundenlang für eine Veranstaltung steht, die ihm nicht das Gefühl gibt, daß es sein Gelöbnis ist.Ich denke, wir sollten auch neue Formen suchen. Wir haben z. B. bei dieser zweitätigen Tagung darüber gesprochen — und ich finde diese Idee gut —, daß es auch möglich sein muß, ein öffentliches Gelöbnis einmal in einem Produktionsbetrieb durchzuführen, einfach um zu zeigen, daß hier Verbindungen sind. Viele der Wehrpflichtigen kommen j a aus diesen Produktionsbetrieben, sind Mitglieder der Industriegewerkschaften, bleiben Mitglieder der Industriegewerkschaften, gehen zurück in ihren Betrieb. Wir sollten auch hier Verbindungen nutzen, die da sind und die gut sind.Ich stimme Ihnen zu, Herr Wehrbeauftragter, daß es ohne Kameradschaft nicht geht und daß das im Mittelpunkt steht, aber daß Kameradschaft gewisse Rahmenbedingungen erfordert, die schwer herzustellen sind. Dennoch wollen wir uns zusammen bemühen. Und wenn wir erreichen, daß wir aus der notwendigen politischen Auseinandersetzung über Sicherheitspolitik, über Finanzen, über viele Dinge, die zwischen den Fraktionen des Deutschen Bundestages sicher strittig sind, die Bundeswehr heraushalten können und uns in unserer Kritik auf die konzentrieren, die Kritik verdient haben, die sie akzeptieren müssen und die sich auch wehren können — z. B. ich —, dann sind wir sicher ein ganzes Stück in der politischen Debatte weiter. — Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Würzbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bewußt in Übereinstimmung mit dem Dank des Kollegen Horn von der SPD-Fraktion möchte ich mit seinen Worten eingangs Übereinstimmung in Richtung des Wehrbeauftragten ausdrücken. Der Kollege Horn sagte, er dankt für den informativen Bericht. Dem schließen wir uns an. Dann stellte er fest, daß dieser Bericht sowohl der Regierung wie uns, dem Parlament, Impulse vermittelt — so war seine Formulierung —, um den Soldaten zu helfen, ihren Auftrag für die Landesverteidigung besser ausführen zu können. Ich komme auf diese Impulse und die Wirkung dieser Impulse besonders bei der Regierung an einigen Stellen zurück.Ich möchte zunächst sagen, vor welchem Hintergrund wir heute diese Debatte über den Bericht des Wehrbeauftragten, in dem der Mensch, der Soldat als Mensch im Mittelpunkt steht, leider führen müssen, nämlich vor dem Hintergrund einer, was den finanziellen Bereich angeht, aus den Angeln gehobenen Bundeswehr mit Eingriffen tief in die Einsatzfähigkeit und die Zuverlässigkeit unserer Streitkräfte.
Dies hat direkte, und zwar ungefilterte Auswirkungen auf den Soldaten als Menschen in den Streitkräften. Hierfür werde ich Ihnen gleich einige Beispiele geben.
Ich möchte zunächst einen weiteren Gedanken sowohl von dem Kollegen von der SPD wie vom Minister aufnehmen. Die Darstellung nach draußen — und zwar nicht nur hier mal, wenn wir dran sind, sondern ständig und in allen Gliederungen und Ortsverbänden und vor allen Organisationen —, dessen, daß die Bundeswehr ein Instrument des Friedens ist, daß der Soldat Dienst für den Frieden, für uns alle tut, haben wir nur selten, haben wir zögerlich, haben wir zu wenig gegeben. Und wenn es noch einer Bestätigung bedurfte, dann ist sie hier vorhin von unserem Kollegen Möllemann gegeben worden, der sagte: Wir müssen zum Thema „Frieden ohne Waffen; Pazifismus; weg von der Idee, unsere freiheitliche Demokratie zu verteidigen" — so war seine Formulierung — mehr in die Offensive gehen. Wie kommt es, daß auf einmal Vertreter der Regierungsparteien nach elf Jahren fordern, vor diesem Hintergrund in die Offensive zu gehen? Dies ist doch das Eingeständnis dessen, daß man sich bisher verkrochen und sich nicht dieser Aufgabe gestellt hat.
Sie haben uns bei diesem Bemühen immer an der Seite gehabt. Das gilt für heute ganz genauso.
Herr Minister, Sie haben vorhin hier gesagt, Sie würden verdächtigt, daß Sie in den Schulen mehr Information über das eben von mir skizzierte Thema, ja sogar Wehrkunde haben wollen. Ich will Ihnen sagen: In diesem Fall werden Sie völlig zu Unrecht verdächtigt.Die Kriegsdienstverweigerung wurde angesprochen, und es wurde unterlassen, darauf hinzuweisen — dies greift ineinander —, daß im letzten Jahr erstmals mehr als die Hälfte der Abiturienten eines Jahrgangs quer durch die Bundesrepublik Kriegsdienstverweigerer sind. Kollege Möllemann sprach über die Intelligenz und die Distanz zu den Streitkräften. Dies ist ein wichtiges Gebiet, und ich muß fragen: Wo ist, wie in der Regierungserklärung ange-
Metadaten/Kopzeile:
1878 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Würzbachkündigt, eine Vorlage der Regierungsparteien zu dieser großen Problematik?
Wo ist die Diskussion über dieses Feld? Nichts ist hier zu sehen.
Auch dies hat Auswirkungen direkt auf den Soldaten, auf den Menschen in diesen Streitkräften.
— Sie machen den Redner, durch welche Zwischenrufe auch immer, jedenfalls nicht verrückt.Ich komme auf eine Angelegenheit zu sprechen, die in vielen, vielen Berichten des Wehrbeauftragten der zurückliegenden Jahre stand. Es ist das Problem der Stundenbelastung, das hier arg verniedlicht wurde. Dies setze ich mit der Forderung in Verbindung, daß sich die Vorgesetzten mehr um den Soldaten kümmern. Ich stimme dem Minister zu, der sagt, das sei ein Problem der Freizeitgesellschaft. Wir fordern die Soldaten 60, 70 und manche noch mehr Stunden. Da kann dies nicht miteinander verbunden werden. Herr Minister, Sie schaden dem inneren Gefüge, der Inneren Führung, der Motivation, dem täglichen Dienstablauf,
wenn Sie dieses Problem der Dienstzeitbelastung weiter vor sich herschieben.Damit hängt die Frage des Verwendungsstaus zusammen, wobei die Fachleute wissen, was sich dahinter verbirgt. Ich will es hier nicht skizzieren, aber darauf aufmerksam machen, daß dieses Problem nicht neu ist. Es handelt sich um ein altes Problem. Der Kollege Möllemann mahnte bereits im August 1977, dieses dringend zu ändern. Der Minister sagte im April 1980, der Verwendungs- und Beförderungsstau bei den Offizieren der Bundeswehr sei geeignet, die Einsatzbereitschaft der deutschen Streitkräfte zu beeinträchtigen.
Dem stimmen wir zu und fragen, was getan worden ist. Trotz der Mahnungen in jedem Bericht des Wehrbeauftragten ist nichts geschehen.
Der Minister sagte im Dezember 1979, es müsse jetzt dringend etwas unternommen werden, damit die Bundeswehr funktionsfähig gehalten werden könne. Seitdem ist nichts geschehen. Der Minister sagte an der gleichen Stelle im Dezember 1979: Wir fangen jetzt eine sehr intensive Debatte an — nun muß manzuhören —, damit wir im Haushalt 1981 die Möglichkeit haben, einen Einstieg in dieses Problem zu finden.
Wo ist im Haushalt 1981 etwas für diese wichtige und auch nach Ihren Worten die Einsatzfähigkeit beeinträchtigende Problematik getan worden? Da ist nichts.
— Ich bedanke mich für Ihren Zuruf, wo denn unsere Anträge seien. Gestern beantragte die CDU/ CSU-Fraktion im Verteidigungsausschuß, da wir sehen, daß 1981 wieder nichts getan wird, daß wenigstens im Rahmen der Haushaltsdebatte ein gemeinsamer Beschluß verabschiedet wird, besonders die Probleme des Verwendungsstaus usw. beim Auf stellen der nächsten Haushalte und schon jetzt mit hoher Priorität zu berücksichtigen.
Die Abstimmung im Ausschuß — das darf ich hier sagen — hatte das Ergebnis: SPD und FDP waren dagegen, und es wird wieder nichts getan.Herr Minister, ich komme zu Anspruch und Wirklichkeit. Meine Ausführungen darüber, was man sich draußen erzählt, wie es in den Streitkräften aussieht und wie es wirklich in der Praxis ist, möchte ich mit einer Ihrer Aussagen aus dem Jahre 1978 vor Ihrer Partei einleiten: „Über allem Materiellen, was zur Verteidigungsfähigkeit nötig ist, darf der Mensch nicht vergessen werden, der Soldat, der allein und im Zusammenspiel mit Kameraden und innerhalb der Kommandohierarchie erst die Fähigkeiten, die in den Waffen stecken, realisiert und dabei verantwortlich, gewissenhaft, loyal ... handeln muß." Wie es in den Streitkräften aussieht, schildert der von Ihnen hierfür eingesetzte General im Ministerium, der gestern über dpa informierte — ich zitiere diese Meldung —: Die Stimmung der Bundeswehroffiziere steuert nach dem Eindruck dieses Generals aus dem Verteidigungsministerium auf einen bedenklichen Tiefpunkt zu.
Ich erspare es mir, diesen Bericht weiter zu zitieren, und empfehle dringend, daß Sie diesen Bericht, der nicht 48 Seiten lang ist, wirklich lesen.
Ich möchte Ihnen ein weiteres Beispiel aus der Truppe nennen, das zeigt, wie sich die Situation bereits heute nach einschneidenden Sparbeschlüssen darstellt. Bataillone, die ihre Fahrzeuge und Panzer betriebsbereit haben wollen, bekommen teilweise Ersatzteile von Firmen der zivilen Industrie zugeliefert. Diese Ersatzteile werden per Post geschickt. Nun gibt es inzwischen einen klaren Stopp für jegliche Ausgaben im Porto-Bereich. Dies hat die praktische Folge — ich schildere einmal ein solches Beispiel —, daß, wenn ein Ersatzteil per Post an die Ka-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1879
Würzbachserne geliefert wird, der Kommandeur es nicht annehmen kann, die Annahme verweigern muß, das Ersatzteil zurückgeschickt wird und das Fahrzeug nicht instand gesetzt wird.
Wenn Sie fragen, was das mit unserem Thema zu tun hat, dann versetzen Sie sich einmal in die Lage des Kommandeurs, des Chefs, des Technischen Offiziers, des Wartungstruppführers, des Mechanikers am Fahrzeug, der weiß, daß es an diesem kleinen Teil fehlt, das bestellt ist; wegen 20 DM Porto kann er die Reparatur nicht ausführen. Das Fahrzeug steht.
Was passiert dann — das war mein Zwischenruf; ich greife einmal das Wort auf: — Dann wird gegammelt. Dann ist man verzweifelt, man fühlt sich nicht gefordert, man ist mit all den Dingen unzufrieden, die sich daraus ergeben. Dies ist die Praxis.
Ich führe ein weiteres Beispiel vor. Es bekümmert jeden in der Union, daß wir solche Dinge über unsere Streitkräfte feststellen und aussprechen müssen; aber wir würden unserer Pflicht und Aufgabe gegenüber diesen Verhaltensweisen nicht gerecht, wenn wir schwiegen, wenn wir diese Dinge nicht ansprächen und nicht darauf drängten, daß sie erkannt und geändert werden. — Ein Unteroffiziersanwärter schreibt:Hinzufügen möche ich noch, daß es so ziemlich an allem feht, was für eine akzeptable Ausbildung sowohl der Rekruten als auch für die Soldaten während der Vollausbildung nötig wäre, zum Beispiel an Übungsmunition . MG-Feuer wird durch Trommeln auf einem Blecheimer dargestellt.
Es fehlt an Übungshandgranaten.
Ein Bericht aus diesen Tagen! Ich will Ihnen sagen, ähnliche Zuschriften haben alle unsere Kollegen — nicht nur einen, sondern mehrere, Herr Minister — erhalten; das ist die Wirklichkeit.
Dazu kommt das Fehl bei den Unterführern — ein Thema, das seit vielen Jahren, Herr Wehrbeauftragter, in Ihren Berichten steht, das verniedlicht wird. Die eingesetzten 50 Millionen DM sind hier ein zu kleiner Anfang. Heute ist die Lage so — auch dies trifft den Menschen in der Truppe —: Ein Soldat macht ordentlich seinen Dienst und fällt dem Unteroffizier, dem Zugführer, dem Chef angenehm auf. Trotz der widrigen Dinge entschließt sich dann dieser Mann, Zeitsoldat auf vier oder acht Jahre zu werden. Heute ist der Kommandeur nicht in der Lage, diesen Mann erstzuverpflichten, weil der Topf leer ist und er Verbot hat. Dies ist der Zustand. Wie sich dies auf die Motivation dieses Mannes und darüber hinaus auf die der Soldaten auswirkt, das kann sich jeder selbst überlegen.Herr Kollege Weiskirch sprach die Anzahl der stillgelegten Züge an. Sie haben uns im Ausschuß berichten lassen, daß wir hier eine falsche Behauptung aufstellten, und haben gesagt, es seien keine Züge stillgelegt, sondern es seien Züge zusammengelegt worden, weil Unterführer fehlten. Ich überlasse jedem selbst, wie er mit dieser Wortspielerei oder -klauberei oder -akrobatik dem Ernst der Sache gerecht werden will.
Noch immer ist es nicht gelungen, Form, Anzahl und Häufigkeit der Versetzungen, die nicht allein den Soldaten betreffen, sondern auch Auswirkungen auf die Familie, auf die Ehefrau, auf das soziale Umfeld, auf berufliche Tätigkeit haben, in einer vernünftigen Weise zu regeln.Der Wehrbeauftragte hat im letzten und vorletzten Bericht mahnend geschrieben, daß wir die Ausbildung mehr an der Praxis ausrichten müßten, daß wir nicht, was auch schön wäre, theoretische, fremde, nicht in den Beruf umsetzbare Ausbildung mit einer gewissen Zahl an Stunden, ja an Jahren, in den Vordergrund stellen und die Praxis vernachlässigen. Dies muß geändert werden, und zwar für den Menschen, für den Soldaten, um ihm die Motivation und die Fähigkeit, seinen Auftrag zu erfüllen, zu geben.Welche Auswirkungen es haben wird, Herr Minister, daß die Reform der Heeresstruktur, die ebenfalls angesprochen wurde, nicht, wie Sie damals entschieden haben, in etwa drei Jahren abgewickelt ist, sondern wegen der Situation auf das doppelte, auf sechs Jahre, verlängert wird — mit all dem, was nun an Verzögerungen, an personellen Unsicherheiten und Ungewißheiten dazukommt — weiß ein jeder Fachmann.Oft haben wir — Herr Kollege Biehle ist der, der das von unserer Fraktion am häufigsten tat — über die Situation im Sanitätswesen, in der Sanitätsversorgung gesprochen. Auch dies ist ein Punkt, der sich direkt auf den Menschen, auf den Soldaten und auf dessen Motivation auswirkt.Ich will ein Wort zur Infrastruktur sagen. Das war die große Überschrift in einem anderen Bericht des Wehrbeauftragten. Da wurden plastische Beispiele gegeben, wie es in den Kasernen unserer Soldaten aussieht. Ich will das nicht wiederholen. Jeder, der damals an der Debatte teilnahm, hat noch fürchterliche Überschriften im Kopf. Geändert, Herr Minister, hat sich nichts, auf alle Fälle nichts zum Besseren. Im Gegenteil, die Mittel sind beschnitten worden. Alte Kasernen, die damals so beschrieben wurden, läßt man so vor sich hin weiter verkommen.
Der Zustand ist furchtbar. Sie wie wir haben Briefe von aktiven Kommandeuren, auch von Wehrpflichtigen, die plastische Beispiele geben, die vor allen Dingen, Herr Minister — das ist das besonders Schlimme —, Sie beim Wort nehmen und sagen, dies sei in dem Weißbuch, in jenem Weißbuch geschrieben worden, dies sei hier erklärt worden, dies sei
Metadaten/Kopzeile:
1880 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Würzbachdort gesagt worden, und das sehe so aus. Aber die Praxis ist genau wieder das Gegenteil. Es ist ein Stück Innere Führung, es ist ein Stück Beispiel, wenn man dieses sagt und etwas anderes tut und wenn man obwohl man die Mängel kennt, nichts tut, sondern vertröstet und das Problem vor sich hinschiebt.Zu einem anderen Punkt spricht der Wehrbeauftragte ebenfalls eine klare Sprache, nämlich zur Bürokratisierung, zur Schematisierung. Das heißt, umgedreht ausgedrückt, eine Abkehr von dem, was wir Auftragstaktik nennen, also sich in eine Lage einzufühlen, einzudenken, zu entscheiden und dann einen Befehl zu geben und auch die Verantwortung zu übernehmen. Dies haben Sie durch eine Vielzahl von hoch nach oben gezogenen zentralisierten Vorschriften in eine Form geändert, die unseren Streitkräften weh tut, die den einzelnen Mann trifft und die nicht mehr die Auftragstaktik zum Mittelpunkt hat,
sondern die in einem ganz gefährlichen Maße dazu geführt hat, daß man vor Erteilung eines Befehls erst einmal schaut, wie man sich den Rücken decken kann. Das führt dann ganz schnell zu einer Rückversicherung, zu einem opportunistischen Verhalten. Dies ist für einen Bereich wie den unserer Bundeswehr — und zwar nicht nur für die Ausbildung im Manöver draußen, sondern auch für den täglichen Dienst, wo auch immer — eine schädliche, eine schlechte Angelegenheit.Herr Minister, ich will nur fragen, ob Sie glauben, daß die Abhaltung von Diskussionen um die Vorschrift über den Vertrauensmann, an der Sie arbeiten, daß die Veranstaltung der mehrtägigen Debatte um die Tradition glaubwürdig sind, wenn augenscheinlich — ich nehme nur diese beiden Beispiele — bestimmte Punkte vorher längst fertig sind, die Vorschrift in der Schublade liegt und nachher ein Mehrpunkteprogramm aus der Tasche gezogen wird, das wohl kaum Ergebnis dieser Diskussionen ist.Herr Minister, ich möchte Sie nicht nur im Interesse der Soldaten in den Streitkräften, sondern in unser aller Interesse und im Interesse unserer Sicherheit nicht nur bitten, sondern auffordern: Gehen Sie mehr in die Truppe! Sehen Sie sich den Alltag an! Sprechen Sie mit den Soldaten und den Unteroffizieren! Hören Sie sich die Sorgen dort hauteng an. Sie werden sehen, daß nicht ein Deut von uns übertrieben wurde.
Bedenken Sie, daß auch und gerade Ihr Verhalten an der Spitze unseres Ministeriums als Beispiel für Innere Führung wirkt, für Fürsorge.Ich ende mit einem Satz von Ihnen, in dem ich Ihnen zustimme. Das ist ja selten. Sie haben gesagt, es genüge nicht, die Wahrheit zu kennen, sondern sie müsse auch gesagt werden. Ich füge hinzu: Danach muß auch gehandelt werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Popp.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, zum Haushalt zu sprechen, und schon gar nicht in einer vorgezogenen Haushaltsdebatte für das Jahr 1982.
Ich möchte zu dem Bericht des Wehrbeauftragten sprechen, der in eine Zeit fällt, da viel über Tradition und Traditionspflege in der Bundeswehr diskutiert wird. Die heutige Debatte führen wir auch vor dem Hintergrund der Krawalle und der öffentlichen Gelöbnisse und der davon mit initiierten Traditionsdebatte auf der Hardthöhe vor drei Wochen.Der Wehrbeauftragte hat in seinem Bericht auch zu der Diskussion über die Tradition Stellung genommen. Das begrüße ich, weil zu diesem die Öffentlichkeit so bewegenden Thema die Meinung des Wehrbeauftragten ihr Gewicht hat. Ich stimme mit seiner Auffassung von Tradition und Traditionspflege voll überein. Auch mit seiner Aussage: „Die Bewertung der Tradition in der Bundeswehr wird zeitkritisch und geschichtsorientiert erfolgen müssen." Ja, man wird bei der Beurteilung dessen, was traditionswürdig ist, auswählen müssen. Aber gerade dieses Auswählen zwingt zum Abwägen, Beurteilen und Werten. Darin sehe ich einen hohen ethischen Wert der Traditionspflege. Dieses Auswählen wäre nicht erforderlich, würde man blind übernehmen oder pauschal ablehnen. In beiden Fällen aber gingen ethische Aufgaben von hohem Wert verloren.Das öffentliche feierliche Gelöbnis ist ein Stück eigenständiger Tradition unserer Bundeswehr als einer im demokratischen Staat integrierten Wehrpflichtarmee. Die Bundeswehr ist in die demokratische Gesellschaft eingebunden. Zu diesem Eingebundensein gehört auch, daß sie in der Gesellschaft lebt, daß sie sich zeigt und in Erscheinung tritt. Die Wehrpflichtigen opfern 15 Monate, um sich in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Sie müssen im Konfliktfall diese Gesellschaft verteidigen und, wenn es sein muß, ihr Leben opfern. Sie geloben dies bei den Gelöbnissen. Das sollte diese Gesellschaft nicht zur Kenntnis nehmen wollen? Gerade für eine Wehrpflichtarmee dürfen öffentliche Gelöbnisse nicht nur geduldet werden, sie sollten eine Selbstverständlichkeit sein.
Die vom Bundesminister zum Abschluß der Diskussion in der Veranstaltung „Soldat und Gesellschaft" am 24. April vorgelegten zwölf Punkte — die übrigens unsere Zustimmung finden — kommen dem entgegen. Ich hoffe allerdings, daß wenn man die feierlichen Gelöbnisse in der Öffentlichkeit — auch in einer neuen Form — als Ausnahme betrachtet, dies nicht zu restriktiv gehandhabt wird.Es wird darauf ankommen — hier verstehe ich Ihre Kritik, Herr Würzbach, an unserem Kollegen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1881
PoppMöllemann überhaupt nicht —, der Öffentlichkeit und vor allem der Jugend in unserem Lande verständlich zu machen, was Inhalt und Ziel des Verteidigungsauftrags und was der Zweck der Bundeswehr ist, nämlich: mit dem Bündnis den Frieden zu wahren, einen Krieg zu verhindern und im Konfliktfall den Frieden so schnell wie möglich wiederherzustellen. Das heißt, der Dienst in der Bundeswehr ist Dienst für den Frieden.In diesem Zusammenhang bin ich auch dankbar für die Ausführungen des Wehrbeauftragten zum Zivildienst. Ich zitiere: „Zivildienst ist vom Grundgesetz nicht als alternative Form der Erfüllung der Wehrpflicht gedacht." Es gibt das vom Grundgesetz garantierte und von niemandem angezwiefelte individuelle Recht der Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe aus Gewissensgründen. Dafür wurde aus Gründen der Gerechtigkeit ein Ersatzdienst geschaffen. Der Zivildienst ist kein ethisch höherwertiger Friedensdienst als der Wehrdienst.Ich möchte hier nicht auf die Frage eingehen, ob Grundwehrdienst und Zivildienst die gleiche Belastung für den jungen Menschen darstellen. Aber eines ist sicher: Der Grundwehrdienstleistende kommt in eine für ihn völlig fremde Umgebung, während der Ersatzdienstleistende eine dem Zivilleben entsprechende Arbeit leistet. Für den Wehrpflichtigen bedeutet der Übergang vom zivilen in das militärische Leben eine erhebliche Umstellung und bringt in vielen Fällen nicht unbedeutende Umstellungsschwierigkeiten mit sich. Wir unterstützen deshalb die Forderung, die ersten Tage für den Wehrpflichtigen zu erleichtern. Wir begrüßen deshalb auch die Ankündigung des Ministers, den sogenannten Umstellungsschock zum Beginn des Grundwehrdienstes durch eine entsprechend ausgestaltete Einführungswoche abzubauen.
Bei der Erleichterung des Eingewöhnens sind natürlich die Vorgesetzten gefordert. Es ist richtig, wenn der Wehrbeauftragte schreibt, das vielfach die Vorgesetzten durch lauten und derben Kasernenhofton ohne Not den Vertrauensvorschuß ihrer Untergebenen verspielen.Vorgesetzte müssen sich um das Vertrauen ihrer Untergebenen bemühen. Es darf einfach nicht passieren, daß sich mißhandelte oder drangsalierte Soldaten von ihren Vorgesetzten im Stich gelassen sehen, wie es in einigen Beispielen im Bericht dargestellt wird. Der militärische Vorgesetzte muß eine Hauptaufgabe seines Dienstes in der Menschenführung erkennen. An die Vorgesetzten selbst müssen wir deshalb hohe Anforderungen hinsichtlich ihrer erzieherischen und menschlichen Verantwortung stellen. Der Bundesminister für Verteidigung trägt dem Rechnung, wenn er verlangt, daß sich die Vorgesetzten mehr Zeit für ihre Untergebenen nehmen müssen. Dann müssen aber auch die Vorgesetzten von übermäßiger Bürokratie entlastet werden. Der Minister hat angekündigt, daß er noch vor der Sommerpause einen umfassenden Gesamtbericht über die Folgerungen aus den Empfehlungen der de-Maizère-Kommission vorlegen wird.Ein zeitgemäßer Führungsstil, meine Damen und Herren, verbunden mit dem Bestreben, das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Soldaten zu stärken, kann viele heute vom Wehrbeauftragten angeführten Mißstände mildern. Ganz beseitigen wird man sie wohl nie können, wenn dies auch das ständige Ziel sein muß.Damit komme ich zu den im Bericht des Wehrbeauftragten besonders herausgestellten Kameradenmißhandlungen. Die beschriebenen Beispiele sind so gravierend, daß sie zu Recht besonders herausgestellt werden. Wir müssen an alle Verantwortlichen in den Streitkräften, vom Zugführer bis zu den Inspekteuren, appellieren, alles daranzusetzen, derartige Vorfälle zu unterbinden und gegebenenfalls strengstens zu ahnden. Kameradschaft ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Betriebsklimas einer Armee. Die Achtung vor der Ehre, dem Recht und der körperlichen Unversehrtheit des Mitmenschen ist Grundlage menschlichen Zusammenlebens. Zu Kameradschaft und Achtung des Mitmenschen gehört aber auch und besonders das Akzeptieren menschlicher Schwächen beim anderen. Die Dunkelziffer bei den Kameradenmißhandlungen scheint hoch zu sein. Nach einer Umfrage, die der Inspekteur des Heeres veranlaßt hat, soll es in 30 bis 50 % der Einheiten zu ähnlichen Vorfällen unterschiedlichen Gewichtes gekommen sein. Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß jeder Fall von Kameradenmißhandlung ein Fall zuviel ist. Aber ich möchte auch darum bitten, diese Erscheinungen nicht aufzubauschen und als für unsere Bundeswehr typisch darzustellen.Der Wehrbeauftragte stellt ausdrücklich fest, daß man auch nicht generell von in den Streitkräften bestehenden informellen Hierarchien sprechen dürfe, wenngleich nach meinen Informationen derartige Erscheinungen nicht allzu selten sind. Sie werden begünstigt durch die sogenannte Verwürfelung. Die Vorgesetzten sollten alles tun, daß sich solche Hierarchien nicht entwickeln können.Aber, meine Damen und Herren, die Neigung einzelner zur Unterdrückung anderer, zu Gewalttätigkeit, zu Übermaß an Alkoholgenuß und daraus resultierende Auswüchse sind j a keine auf die Streitkräfte beschränkten Erscheinungen.
Wehrpflichtige werden schließlich auch nicht nach ihrem sittlichen Verhalten aussortiert. Auch hier ist die Bundeswehr ein Spiegelbild der Gesellschaft.
Der Wehrbeauftragte fragt mit Recht, ob und wie auf einschlägig Vorbestrafte aufmerksam gemacht werden könnte. So verabscheuungswürdig die einzelnen Vorfälle sind, so erachte ich die Fälle als die noch bedenklicheren, wo Vorgesetzte nicht im gebotenen Maß eingeschritten sind, ja in Einzelfällen sogar passiv oder sogar aktiv mitgewirkt haben. Das öffentliche Echo auf den Bericht des Wehrbeauftragten hat sich verständlicherweise auf diese Mißhandlungen konzentriert. Man täte aber den vielen korrekten, sich an den Grundsätzen der Inneren Füh-
Metadaten/Kopzeile:
1882 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Popprung orientierenden Vorgesetzten Unrecht, wollte man diese Vorfälle verallgemeinern.Bei der schon erwähnten Diskussion „Soldat und Gesellschaft" wurde seitens des Ministers die Feststellung getroffen, daß die Bundeswehr die informierte Öffentlichkeit braucht. Ich meine, daß die im Aufgabenverbund „Innere Führung" zusammengefaßten Institutionen, insbesondere das Sozialwissenschaftliche Institut, dazu einen wichtigen Beitrag leisten können. Mit Freude habe ich übrigens dem Bericht des Wehrbeauftragten entnommen, daß sich das Sozialwissenschaftliche Institut sogar dazu herbeiläßt, seine Erkenntnisse in allgemeinverständlichem Deutsch zu veröffentlichen, was bei Soziologen nicht hoch genug einzuschätzen ist. Es bleibt zu hoffen, daß auch kritische Erkenntnisse über die Bundeswehr selbst von dieser akzeptiert und angenommen werden.Ob die unterschiedliche Bewertung von Studiengängen an den Bundeswehrhochschulen wirklich eine Ungerechtigkeit darstellt, wie das im Bericht dargelegt wird, möchte ich allerdings bezweifeln, zumindest so lange, wie die Studenten nicht alle ganz freiwillig Ingenieurwissenschaften und Informatik studieren. Brauchen wir wirklich ein Offizierskorps von Ingenieuren? Ich meine, daß neben den bereits gegebenen Studienmöglichkeiten auch andere Disziplinen dem Offiziersberuf förderlich sein könnten. Ich denke dabei an Geographie, Geschichte, Soziologie, Publizistik und ähnliches. Ein größers Spektrum an Studienmöglichkeiten wäre der Studierfreudigkeit sicherlich dienlich.Zur besseren Ausnutzung der Studienkapazitäten und als Beitrag zur Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft tritt die FDP für eine Öffnung der Bundeswehrhochschulen für Zivilstudenten ein.Über die Fortbildungsstufe A wurde schon viel diskutiert. Die bereits im Bericht des Wehrbeauftragten 1979 vom Bundesverteidigungsminister angekündigte Überprüfung der Fortbildungsstufe A halte ich für überfällig. Es sollte ernsthaft überlegt werden, ob für die Beförderung zum Feldwebel diese Fortbildungsstufe wirklich obligatorisch bleiben muß und ob nicht wenigstens für Soldaten der Kampftruppen, die mit Lehrgängen wie „Organisator" in der Truppe überhaupt nichts anzufangen wissen, diese Lehrgänge nicht an das Ende ihrer Dienstzeit gelegt werden können, wenn sie schon für den späteren Zivilberuf für nützlich gehalten werden, was gelegentlich auch angezweifelt werden kann.
Wenn dem Bericht des Wehrbeauftragten zu entnehmen ist, daß der Bundesminister der Verteidigung bereits am 21. Januar 1981 einen Erlaß zur Verbesserung der Situation für wohnungssuchende Soldaten und deren Familien herausgegeben hat, so wäre es an der Zeit, daß dieser nach vier Monaten auch bis zur Truppe vordringt.Lassen Sie mich abschließend dem Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeitern für die engagierte Wahrnehmung ihres Amtes und die sorgfältige Erstellung des Berichtes danken. Wir wünschen, daß der Wehrbeauftragte stets das Vertrauen der Soldaten genießt, daß die militärische Führung seine Arbeit nicht mit Argwohn begleitet, sondern sie als wertvolle Hilfe ihrer eigenen Arbeit akzeptiert und daß der Bundesminister der Verteidigung die Anregungen des Wehrbeauftragten aufgreift.Die FDP unterstützt die Arbeit des Wehrbeauftragten nachdrücklich. — Danke.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Krone-Appuhn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wäre recht verlockend, angesichts dieses Wehrbeauftragtenberichtes über die Akzeptanzkrise bei der Truppe zu sprechen.
Es wäre auch sehr lustig, darüber zu reden, daß es im Bundesverteidigungsministerium eine Verständniskrise gegenüber den Ausarbeitungen des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr gibt. Es ist interessant: Man schafft sich ein Institut als Hilfsinstrument, und nachher muß dieses Institut die eigenen Arbeiten übersetzen, damit sie den Soldaten verständlich sind.Das alles aber tangiert den Soldaten draußen nicht. Fragt man heute einen Truppenoffizier, was ihn bewegt, dann sagt er: Das ist so viel, daß ich damit in einem Tag nicht fertig werde, wenn ich das alles aufzähle. Immer weniger Personal soll immer mehr schaffen. Die falschen Männer sind am angeblich richtigen Platz, was nicht nur zur Überbelastung der richtigen Männer am richtigen Platz, sondern auch zur Frustration der Verantwortlichen führt. In der Tagesstärke fehlen allein 30 % Unteroffiziere bei den Kampftruppen. Waffensysteme sind zum Teil veraltet oder werden nicht ausgeliefert. Heute sagen uns Offiziere, die zu Beginn der 60er Jahre als begeisterte Freiwillige in die Truppe eingetreten sind: Ich würde nie mehr Offizier werden.
Das ist nicht nur ein Armutszeugnis für diese Führung des Verteidigungsministeriums, das ist auch eine Gefährdung unserer Sicherheit, meine Damen und Herren.
Die permanente Überbelastung von Offizieren und Unterführern wird offen zugegeben. Es fehlt bei der Instandsetzung. Es mangelt sogar an Ärzten und an Sanitätsoffizieren; schon jetzt fehlen uns 45%.Die Heeresreform bringt ebenfalls zusätzliche Probleme. Die Umgliederung des Heeres bereitet der Bundeswehr vor allem bei der Infrastruktur und bei Personal Schwierigkeiten. Man benötigt mehr Unterkünfte, mehr technische Bereiche, mehr Ausbildungseinrichtungen. Dennoch sind die Mittel für Infrastruktur und für Baumaßnahmen bereits im letzten Jahr einschneidend gekürzt worden. Im Zuge der Umgliederung muß bereits jetzt und bis in die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1883
Frau Krone-Appuhnnächsten Jahre hinein qualifiziertes Personal in Führer- und Funktionsverwendungen umgeschult bzw. auf andere Stellen versetzt werden. Das hat zur Folge, daß ein Absinken der personellen Einsatzbereitschaft nicht mehr zu vermeiden sein wird.Die Überprüfung der Tagesdienststärke in einem Korps an einem willkürlich gewählten Tag ergab, daß von den Kompaniechefs 20 % und von den Zugführern 30 % nicht bei ihrer Einheit waren. Man soll als Offizier führen gemäß den alten Grundsätzen; in Wirklichkeit klagen die Offiziere darüber, daß sie verwalten müssen und das mit unzureichenden Mitteln. Der Kollege Würzbach hat vorhin das schöne Beispiel mit dem Blecheimer gebracht, der ein MG darstellen soll. So geht das nicht. Es entmutigt die Soldaten, wenn sie mit solchen Dingen konfrontiert werden.Dies sind alles Ursachen dafür, daß sich die Schere zwischen Auftrag und den zur Verfügung gestellten Mitteln immer weiter öffnet. Nun werden Sie, Herr Bundesminister der Verteidigung, sagen, man habe doch so fabelhafte Mittel wie den Gesamtausbildungsplan erdacht. Dieser enthebt den Offizier und auch den Unteroffizier des eigenen Denkens, was man mit den Soldaten in den 15 Monaten Wehrdienst nun machen kann. Die alte bewährte Auftragstaktik, meine Damen und Herren, die ein Charakteristikum der deutschen Armee war, wird damit langsam getötet. Wissen Sie, Herr Minister, eigentlich, daß diese Richtlinien von den Soldaten als Einengung empfunden werden, daß sich die Kompaniechefs wie total verplante Roboter vorkommen, die noch dazu im Papierkram ertrinken, obwohl man nicht nur bei der politischen, sondern auch bei der militärischen Führung vorgibt, daß der Gesamtausbildungsplan als ein Hilfsmittel zu betrachten sei?In der Regel nimmt man in unserer Gesellschaft auch an, daß mit dem Eintritt der Söhne in die Bundeswehr die Erziehung zum Korpsgeist, zur Kameradschaft oder zur heute so viel gerühmten Solidarität verbunden ist. Wie aber sieht die Wirklichkeit aus? Wir alle haben uns dafür eingesetzt, daß die Soldaten heimatnah einberufen werden. Das ist in sehr vielen Fällen auch gelungen. Welches aber ist der Erfolg? Abends fahren fast alle Soldaten nach Hause oder zu ihren Freundinnen, wogegen nichts einzuwenden ist. Was geschieht aber nun mit den heimatfern einberufenen Soldaten? Sie bleiben vereinsamt in den Kasernen zurück, wie es auch der Herr Wehrbeauftragte vorgetragen hat. Von Kameradschaft spricht man da nicht mehr. Man macht zwar Modellversuche zur Betreuung der „Hinterbliebenen", wie aus dem Bericht des Wehrbeauftragten hervorgeht, und diese Versuche bringen natürlich auch hervorragende Ergebnisse, wie dies bei Modellversuchen so üblich zu sein hat.Daß gelegentlich aber auch Grundrechtsverletzungen vorkommen, wie es im ersten Teil des Berichts des Wehrbeauftragten nachzulesen ist, ist eine schlimme Sache. Wir müssen uns fragen, woher das kommt. Die Aufgaben eines Zugführers, eines Kompaniechefs oder eines Feldwebels müssen als Beruf betrachtet werden und nicht als Job, den man zwischen 7.30 Uhr und 16.30 Uhr ausübt, um sich dann seinen Hobbys oder seiner Familie zuzuwenden.
Ein guter Soldat, egal welchen Dienstgrades, schaut auch nachts noch einmal in die Kaserne, selbst auf die Gefahr hin, damit den Unmut seiner Ehefrau zu erregen, um sich zu vergewissern, daß die Wehrpflichtigen nicht älteren Kameraden schutzlos ausgeliefert sind. Aber so etwas steht natürlich nicht im Gesamtausbildungsplan. Früher war es eine Selbstverständlichkeit, daß ein Kompaniechef auch unerwartet nachts in der Kaserne erschien, um zu gewährleisten, daß niemand Schikanen ausgesetzt war und der ungestörte Schlaf der Wehrpflichtigen gesichert war. Heute in unserer überorganisierten Bundeswehr steht das nicht mehr auf dem Dienstplan, kann nicht nach Gesamtausbildungsplanmethode abgehakt werden und wird deswegen auch nicht mehr praktiziert. Dadurch entsteht die unerfreuliche Hackordnung in der Bundeswehr, die vom Herrn Wehrbeauftragten zitiert wurde.Von dem allgemeinen Trend sind auch die Bataillonskommandeure nicht verschont, die langsam dazu erzogen werden, in bestimmten Besoldungskategorien zu denken. In seinem Bataillon, sagte ein Kommandeur, gebe es keine besonderen Vorkommnisse, die seiner Beförderung im Wege stehen könnten.In der Debatte, die wir im Verteidigungsministerium über die Tradition geführt haben, ist nach meinem Dafürhalten viel zuviel von Dialog und Partizipation geredet worden und viel zuwenig von den alten preußischen Tugenden, an die wir uns mal wieder erinnern sollten,
nämlich von Pflichterfüllung, Gehorsam und Dienstbereitschaft.
Es steht einem Soldaten immer noch gut an, wenn er sich darauf besinnt. In einer Friedensarmee hat das Versorgungsdenken — und das ist eine allgemeine Krankheit — den Vorrang gewonnen. Die Beförderung ist wichtig und alles andere zweitrangig, und so darf das halt nicht sein.Aber auch eines muß man sagen: Aus der Armee der Hoffnung, von der wir noch vor zwei Jahren bei der Debatte über den Bericht des Wehrbeauftragten hier gesprochen haben, ist inzwischen eine Armee der Enttäuschung geworden.
1956 gab es noch nicht so viele Vorschriften, die zum Teil auch aus Mißtrauen gegenüber den gutwilligen Soldaten erlassen wurden. Heute haben wir eine überorganisierte Armee, und die Stimmung ist im Gegensatz zu 1956 auf einem Nullpunkt. In zunehmendem Maße glauben Institutionen und Organisationen das Recht zur Mitsprache zu haben, was sich z. B. in den zwölf Punkten des Herrn Bundesministers der Verteidigung am Ende der Traditionsdebatte niederschlägt, wobei sich immer weniger finden, die Verantwortung übernehmen wollen. Ich
Metadaten/Kopzeile:
1884 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Frau Krone-Appuhnkann mir gut vorstellen, daß die Motivation unserer Soldaten, egal welcher Dienstgrade, auf einen Tiefstand gesunken ist. Wir brauchen uns gar nicht zu fragen, warum, einfach weil wir sehen, daß überall gespart wird, daß überall eingeengt wird. Herr Würzbach hat dafür ja gute Beispiele gebracht.Eine Armee, in der es kaum Beförderungschancen gibt und die von arbeitspsychologisch und arbeitsphysiologisch unverantwortbarer Dienstzeitbelastung betroffen ist, ist nicht konditioniert und kann auch Streßsituationen nicht gewachsen sein. Das geht aus einer Auswertung des Symposiums der NATO-Forschungsabteilung in Brüssel 1980 hervor. Der emotionale Gesundheitszustand vor allen Dingen der Soldaten im Schichtdienst ist erheblich beeinträchtigt. Ich kann Ihnen, Herr Bundesminister der Verteidigung, nur empfehlen, einmal ein FlaRak-Bataillon zu besuchen. Ihr Haus hat zwar im Herbst versprochen, hier die Arbeitszeitbelastung durch die Schaffung einer vierten Batterie zu verringern, aber geschehen ist noch nichts. Die Belastung der Soldaten bleibt. Das ist nicht nur eine Belastung der Soldaten, sondern eine Belastung der ganzen Soldatenfamilie. Ich habe selten so nervöse und überarbeitete Soldaten gesehen wie gerade bei den FlaRak-Bataillonen. Das kann man nicht verantworten. Da steht dann nämlich nicht mehr der Mensch im Mittelpunkt, sondern da werden die Nerven unserer Soldaten ruiniert.
Wir alle bemühen uns, den Menschen im Mittelpunkt der Streitkräfte hervorzuheben. Wir wissen, daß die Motivation des Soldaten mindestens ebenso wichtig ist wie die Qualität und die Quantität der Waffen. Wir alle, ob Regierung, Regierungsparteien oder Opposition, machen uns schuldig, wenn wir nicht lernen, daß ohne die Motivation des Soldaten unsere Armee ihrem Verteidigungsauftrag nicht gerecht werden kann. Überorganisation, Versetzungshäufigkeit, miserable Wohnungssituation, mangelnde Aufstiegschanchen und falsche Ausbildung sind sicher nicht dazu angetan, die Stimmung unserer Soldaten und Offiziere zu verbessern. Wir müssen, um den Auftrag unserer Bundeswehr nicht zu gefährden, die immer größer werdende Diskrepanz zwischen Auftrag und zur Verfügung stehenden Mitteln beseitigen. Gelingt uns das nicht, sind wir alle schuld daran, wenn Europa-Mitte nicht angemessen verteidigt werden kann und unsere Bundeswehr mehr und mehr dazu neigt, sich selbst in Frage zu stellen.
Das Wort hat der Abgeordnete Heistermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer in der Öffentlichkeit die Schlagzeilen der letzten Zeit verfolgt hat, mußte unweigerlich den Eindruck gewinnen, daß sich bestimmte Politiker dieses Hauses auf militärische Sandkastenspiele spezialisiert haben. Wer aber die letzte Zeit dazu benutzt hat, in die Standorte zu gehen, um mit Soldaten über deren Sorgen und Anliegen zu sprechen, der weiß, daß die Probleme der Bundeswehr nicht durch ein parteipolitisch werbewirksames Zählen von Patronen, Panzern und Flugzeugen gelöst werden können. Die Soldaten haben andere Probleme.
Ich möchte, Herr Kollege Würzbach, gerade auf Ihren Beitrag zurückkommen. Genau in diese Richtung haben Sie hier Ausführungen gemacht. Ihre Bemerkung, Ihre Beispiele seien keinen Deut übertrieben, möchte ich aufgreifen. Ihre Rede war die Spitze der Übertreibung.
Sie wollen hier nämlich Fronten schaffen und nicht Lösungen herbeiführen. Sie wollen hier zerreden, aber nicht den Soldaten helfen. Das unterscheidet uns sehr wesentlich von Ihnen.
Ihr Versuch, hier Horrorbilder in die Öffentlichkeit zu setzen, scheitert allein schon daran, daß wir im Ausschuß erlebt haben, wo Ihre Anträge geblieben sind. Es gab von Ihnen keinen einzigen Antrag zu dem Problembereich, den Sie hier angesprochen haben.
Das ist da, was uns auch in der Methode der Arbeit unterscheidet. Wenn Sie Ihre Arbeit im Ausschuß genauso konsequent mit Anträgen, wie sich das parlamentarisch gehört, täten, wie Sie es hier vor der Öffentlichkeit tun, wären wir uns über einige Probleme vielleicht schneller einig geworden.
Aber es geht Ihnen hier nicht um Lösungen, sondern um die Vermittlung von Eindrücken.
Ich möchte den Bericht des Wehrbeauftragten abschließend noch einmal einer Bewertung unterziehen; denn sein Bericht lenkt den Blick auf das wesentliche, nämlich auf die Probleme der Menschen, die in der Bundeswehr tagtäglich ihren Dienst leisten.
Der Bericht ist aber auch ein Appell an uns,
nicht über materiellen Fragen die Menschen zu vergessen, für deren Wohl wir in besonderem Maße Verantwortung tragen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1885
HeistermannDer innere Zustand der Bundeswehr ist nicht statisch, nein, er ist dynamisch und muß daher einer ständigen Überprüfung und Kontrolle unterliegen.
Wir brauchen daher jemanden wie den Wehrbeauftragten, der ständig den Finger in die Wunden legt und uns als Parlamentarier in die Pflicht nimmt, die angezeigten Mißstände abzustellen und unserer Fürsorgepflicht gegenüber den Soldaten nachzukommen.
Dies bedeutet zunächst die Verpflichtung des Staates, die Angehörigen der Bundeswehr an der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung unseres Landes teilhaben zu lassen. In diesem Bereich ist, was der Bericht des Wehrbeauftragten deutlich erkennen läßt, einiges erreicht worden.Ich will hier noch einige Bemerkungen anfügen. Erfreulich ist die sich abzeichnende Bereitschaft junger Wehrdienstleistender zu längerfristiger Verpflichtung, die dazu beitragen wird, das Fehl an Unteroffizieren abzubauen. Dies ist aber auch nicht zuletzt ein direkter Erfolg der qualifizierter gestalteten Ausbildung und der wesentlich verbesserten Möglichkeit der beruflichen Weiterbildung, die sich allerdings — das sage ich einschränkend — angesichts knapper Finanzmittel im Rahmen des Vertretbaren und auch des Notwendigen bewegen muß.Nachdem hier sehr viel Negatives dargestellt worden ist, möchte ich auf einige Dinge zu sprechen kommen, die hier erwähnt werden müssen. Zunächst will ich in diesem Zusammenhang auf die zum 1. Juli dieses Jahres vorgesehene Wehrsolderhöhung hinweisen,
die für rund 234 000 Wehrpflichtige eine Erhöhung des Wehrsoldes um 30 bzw. 45 DM pro Monat bringt. Hinzu kommt noch die Erhöhung des Weihnachts- und des Entlassungsgeldes. Wir stellen mit Zufriedenheit fest, daß mit den beabsichtigten Erhöhungen und den bereits durchgesetzten kostenlosen Heimfahrten die soziale Situation der Wehrpflichtigen weiter verbessert wird bzw. wurde.
Ein anderes wichtiges Problem — die heimatnahe Einberufung von Wehrpflichtigen — kann — da darf man sich meiner Meinung nach nichts vormachen — nicht für alle Wehrpflichtigen und Betroffenen zufriedenstellend gelöst werden. Dies trifft besonders für die Wehrpflichtigen des Landes Nordrhein-Westfalen zu, aber auch für die anderer Länder, in denen wegen einer geringen Anzahl von Bundeswehrstandorten eine heimatfernere Verwendung notwendig ist. Ich sage hier ausdrücklich: Wir bitten dafür sowohl bei den Wehrpflichtigen als auch bei den betroffenen Eltern um Verständnis.
Wir unterstützen deshalb alle Bemühungen, die Einberufungspraxis weiter zu verbessern, um eine heimatnahe Einberufung zum Regelfall werden zu lassen, soweit das in unseren Kräften steht.Nach wie vor bedrücken uns auch — das will ich noch einmal aufgreifen — die Feststellungen des Wehrbeauftragten über aufgetretene Fälle von entwürdigender Behandlung einzelner Soldaten durch Schikanen und Mißhandlungen übelster Art. Dies ist nicht allein der Institution Bundeswehr anzulasten, es ist auch ein Problem unserer Gesellschaft. Aber diese menschenunwürdigen Übergriffe müssen gerade in der Bundeswehr das Bewußtsein für ein menschenwürdiges Miteinander stärken, und die Soldaten müssen ermutigt werden, alle derartigen Übergriffe schonungslos aufzudecken.
Ein falsches Verständnis von Kameradschaft darf — das ist meine feste Überzeugung — nicht dazu führen, derartige Vorfälle zu unterdrücken. Solche Vorfälle verlangen das entschiedene Einschreiten aller Vorgesetzten und der gewählten Vertrauensleute.
In der Gesundheitsvorsorge gibt es — das will ich nur kurz ansprechen — einige Probleme beim Einsatz von eingeschränkt verwendungsfähigen Soldaten. Dieses Problem muß aufgearbeitet werden, denn die Berichte aus der Truppe besagen, daß man besonders viele dieser eingeschränkt verwendungsfähigen Soldaten bekommt.Die geltende Regelung, wonach der untersuchende Truppenarzt eine Empfehlung an den Disziplinarvorgesetzten abzugeben hat, von der dieser nur in Ausnahmefällen abweichen darf, war — das hat der Bericht des Wehrbeauftragten festgestellt — oft nicht ausreichend, um den grundrechtlich geschützten Bereich der körperlichen Integrität unangetastet zu lassen. Innendienstkranke oder eingeschränkt außendienstfähige Soldaten wurden zum Wach- und Bereitschaftsdienst eingeteilt. Stubenkrank geschriebene Soldaten wurden im Innendienst voll eingesetzt. Die Verwendungseinschränkungen, die vom Truppenarzt festgestellt worden waren, wurden sogar manchmal überhaupt nicht beachtet.Die Ausführungen des Wehrbeauftragten zu diesem Problemkreis machen deutlich, daß die diesbezüglichen Dienstvorschriften hinsichtlich ihrer Kriterien überprüft und teilweise präzisiert werden müssen, so daß sie denjenigen, die damit in der Praxis umgehen, eine wirkliche Entscheidungshilfe sind.Ich möchte hier noch ein Problem ansprechen, das uns sorgenvoll stimmt: die über 300 vorwiegend jungen Soldaten, die z. B. bei Heimfahrten Opfer tödlicher Verkehrsunfälle wurden. Die diesbezüglichen Anregungen des Wehrbeauftragten sollten aufgegriffen werden. Sie werden jedenfalls von uns unterstützt.Die Umgliederung des Heeres in die neue Heeresstruktur hat zweifelsohne einige menschliche Belastungen mit sich gebracht. Vornehmlich Versetzungen mit Ortswechsel sind eine Härte für die betroffe-
Metadaten/Kopzeile:
1886 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Heistermannnen Soldaten und deren Familienangehörige. Es ist ausdrücklich unser Wunsch, bei Versetzungsentscheidungen die sozialen Verhältnisse des einzelnen stärker zu berücksichtigen, weil die Probleme, die sich im familiären Bereich dort auftun, auf Dauer so nicht akzeptiert werden können. Dies ist ein wichtiges Problem. Ich glaube, daß es deshalb gut ist, daß mit Reformen in diesem Bereich vorsichtiger umgegangen werden sollte, abgesehen davon, daß hierdurch auch Kameradschaften zerrissen werden.Das Problem des Ausgleichs für Spitzendienstzeiten ist nach wie vor ein besonderer Streitpunkt in der Truppe. Die SPD-Fraktion erwartet und bittet den Bundesminister der Verteidigung, daß nach Vorlage des Berichts über die tatsächlichen Dienstzeitbelastungen in den einzelnen Truppenteilen und Dienststellen eine Änderung der bisherigen Regelung veranlaßt wird, die die bestehenden Ungleichgewichtigkeiten und Ungereimtheiten auflöst. Ich glaube, daß das eine wichtige Aufgabe ist, obwohl ich mir durchaus vorstellen kann, daß eine neue Regelung auch neue Probleme und Diskussionen auslösen kann.
Wir freuen uns darüber, daß sich die Fürsorge- und Sozialarbeit in den Streitkräften bewährt hat. Insbesondere bei den typischen, mit dem Soldatsein verbundenen Schwierigkeiten haben die 117 Sozialarbeiter an 100 Standorten wertvolle Hilfe geleistet. Das gilt gleichermaßen für Versetzungsangelegenheiten wie für sonstige Probleme persönlicher und familiärer Art. Als besonders nützlich hat sich die Fürsorgearbeit auch bei den jungen Wehrpflichtigen erwiesen, für die die Trennung von der Familie, der Bruch mit den gewohnten Lebensumständen sowie die Eingliederung in den militärischen Alltag schwer zu bewältigen sind. Der hier beschrittene Weg der Sozialarbeit soll nach unserer Auffassung ausgebaut werden.Das Problem der Wohnungsfürsorge weist insgesamt keine gravierenden Schwierigkeiten auf, obwohl auch hier neben anderen Problemen eine Anpassung an familiengerechte Bedürfnisse geboten ist, da der alte Wohnungsbestand zu Zeiten gebaut worden ist, wo insbesondere die Raumbedürfnisse nicht so hoch angesetzt waren, wie sie heute feststellbar sind. Hier wird Modernisierung und Altbausanierung eine vordringliche Aufgabe sein.
Die Integration der Soldaten in die allgemeinen Wohngebiete des Standortes ist durchaus zu begrüßen. Die Isolierung in Bundeswehrsiedlungen entspricht in vielen Fällen nicht mehr den Wünschen der Soldaten, was durch die Anmietung privat bereitgestellten Wohnraums deutlich wird.Wie der Wehrbeauftragte wissen wir aber auch insbesondere um die unzureichenden Möglichkeiten der Freizeitgestaltung an Einödstandorten. Wir sehen allerdings auch, daß es in diesem Bereich keine Patentrezepte gibt, die jedes Problem individuell lösen. Dies wird eine besondere Aufgabe sein, der sich auch der Verteidigungsausschuß widmen sollte.
Ich konnte in meinen Ausführungen nur einige Aspekte des Berichts des Wehrbeauftragten summarisch ansprechen. Übereinstimmung sollte darüber herrschen, daß die weitere Beratung ohne parteipolitische Polemik geführt werden muß. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bietet der Opposition an, nunmehr in eine sachliche Auseinandersetzung einzutreten. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, wenn ich einige Äußerungen des Kollegen Würzbach zugrunde lege.
Dabei steht leider nicht immer die Sorge um die Belange der Bundeswehr — aus Ihren Ausführungen habe ich das entnommen — im Vordergrund.
Ich will zum Schluß kommen. Was jeder einzelne Abgeordnete dieses Hauses aus dem vorliegenden Bericht für sich mitnehmen sollte — das sage ich auch als „junger" Abgeordneter —, ist dies: Wir sollten mehr als bisher in die Standorte gehen, um uns persönlich vor Ort über die Sorgen der Soldaten zu informieren
und direkt zu helfen.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dankt dem Wehrbeauftragten für seine Arbeit und sein Engagement im Dienst der Soldaten.
Wir danken den Soldaten, die ihren Dienst vorbildlich erfüllen. Wir danken in diesem Zusammenhang auch den Zivilbediensteten, obwohl der Wehrbeauftragte für sie nicht zuständig ist; sie verdienen es, hier erwähnt zu werden. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung.Der Ältestenrat schlägt vor, den Bericht des Wehrbeauftragten des Bundestages auf Drucksache 9/240 an den Verteidigungsausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dies ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundestages— Drucksache 9/419 —
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1887
Vizepräsident WindelenÜberweisungsvorschlag des Ältestenrates:Verteidigungsausschuß Rechtsausschußb) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Ergänzung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages— Drucksache 9/420 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und GeschäftsordnungDas Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 9/419 zur federführenden Beratung an den Verteidigungsausschuß und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß sowie zur Beratung gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Oberweisungen einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dies ist so beschlossen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird weiter vorgeschlagen, den Antrag auf Ergänzung der Geschäftsordnung auf Drucksache 9/420 an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu überweisen. Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dies ist so beschlossen.Ich rufe den Punkt 4 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes— Drucksache 9/410 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Bildung und Wissenschaft FinanzausschußAusschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß gemäß § 96 GODas Wort zur Einbringung hat Herr Bundesminister Engholm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von 1977 bis 1980 sind die Ausgaben nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz um ca. 1 Milliarde DM gestiegen. Hinter dieser immensen Ausgabensteigerung stehen einige für jeden begreifbare Sachverhalte. Ich nenne die wichtigsten: Die geburtenstarken Jahrgänge sind in die Oberstufe unseres Bildungswesens und in die Hochschulen eingetreten. Wir haben die beruflichen Schulen einvernehmlich in die Förderung nach dem BAföG einbezogen: Berufsfachschüler, Berufsgrundschüler und Jugendliche, die ein Berufsvorbereitungsjahr im 10. Jahr besuchen. Das Kostenbewußtsein der Eltern ist wesentlich gestiegen. Jeder versucht heute, jede Mark aus diesem Gesetz zu bekommen — was früher in diesem Umfang nicht der Fall war. Auch die Rechtsprechung hat dazu beigetragen, daß die elternunabhängige Förderung bei uns sehr stark ausgeweitet werden mußte. Es war eine Ausgabensteigerung von einer Milliarde DM in drei Jahren, und niemand kann übersehen, welche Konsequenzen das hat. Allein von 1979 bis 1980 haben Bund und Länder rund 600 Millionen DM zusätzlich ausgeben müssen. Wir sind inzwischen bei einer Ausgabengrößenordnung von 3,7 Milliarden DM pro Jahr.Diese Ausgabenexplosion beim Bundesausbildungsförderungsgesetz trifft, wie jedermann weiß, auf eine weltwirtschaftliche Flautensituation, die auch in der Bundesrepublik in großem Ausmaße ein Defizit der öffentlichen Ausgabefähigkeiten produziert hat. Die Schere zwischen dem, was wünschbar wäre, und dem, was machbar ist, klafft weit auseinander. Das gilt mit Sicherheit auch für das BAföG, aber es gilt mit ebensolcher Sicherheit nicht nur für den Bereich der Ausbildungsförderung für Schüler und Studenten allein, sondern auch für weite andere Bereiche.Deshalb haben die Koalitionsparteien bei ihrer Koalitionsvereinbarung, das Bundeskabinett und auch der Haushaltsausschuß beschlossen, die Ausgabengrenze für das BAföG für dieses Jahr und für die kommenden Jahre auf 2,4 Milliarden DM festzusetzen. Hier muß man ganz nüchtern sagen: Wenn die politischen Gremien dies so festsetzen, dann ist das praktisch ein unverrückbares Datum für den davon betroffenen Fachminister, in diesem Fall für mich. Ich mußte deshalb in einer ganz schwierigen Zeit kurzfristig einerseits für eine notwendige Anhebung der Fördersätze und der Freibeträge für Eltern sorgen, auf der anderen Seite nach notwendigen Einsparungen im Ausbildungsförderungsgesetz suchen, um die Finanzierbarkeit zu garantieren und die Ausgabengrenze von 2,4 Milliarden DM nicht zu überschreiten. Ich habe mit der Ihnen vorliegenden siebenten Novelle versucht, einen gangbaren Weg zu finden. Wir werden in der Aussprache darüber sehen, wie weit ein Konsens über die Gangbarkeit dieses Weges herzustellen ist. Lassen Sie mich an wenigen Einzelpunkten deutlich machen, worum es bei dieser Novelle geht und was die Geförderten von dieser Novelle, Positives wie Negatives, zu erwarten haben.Erstens. Die Elternfreibeträge sollen von 1 270 DM auf 1 400 DM angehoben werden. Das ist eine Anhebung der Elternfreibeträge in Höhe von etwa 10 %. Wir decken in diesem Bereich die zwischenzeitlich eingetretenen Kostensteigerungen voll ab. Ich glaube, das ist ein erfreulicher Tatbestand.Zweitens. Die Bedarfssätze für Schüler und Studenten sollen zwischen 5,5 % und 6,5 % erhöht werden. Das bedeutet für den voll geförderten, auswärts wohnenden Stundenten eine Steigerung von 620 auf 660 DM. Ich will hier ganz deutlich sagen, daß diese Anhebung nicht die Kostensteigerungen auffängt, die für die geförderten Schüler und Studenten inzwischen eingetreten sind. Beide Maßnahmen sind aus rein finanziellen Gründen erst mit einer halbjährlichen Verschiebung zum 1. April 1982 herstellbar, d. h. Schüler und Studenten werden auf die notwendige Anhebung der Fördersätze ein halbes Jahr länger warten müssen, als es ihnen und uns als Bil-
Metadaten/Kopzeile:
1888 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Bundesminister Engholmdungspolitikern lieb ist. Aber eine frühere Finanzierung scheidet praktisch aus.Drittens. Wir werden künftig versuchen — wir kommen damit Forderungen nach, die in einer sehr intensiven Debatte in der Öffentlichkeit erhoben worden sind —, die Einkommen schärfer und präziser zu erfassen. Dies heißt konkret, daß wir in unserer Novelle versucht haben, Manipulationen, die mit dem Einkommen möglich sind, künftig auszuschalten.
Jemand, der in der Vergangenheit über Verlustausgleichsgeschäfte, über Abschreibungsmanipulationen trotz eines erklecklichen Einkommens in den Genuß von BAföG für seine Kinder gekommen ist, soll diese Chance künftig nicht mehr erhalten. Mißbräuche und Mitnehmereffekte sollen ausgeschaltet werden. Damit Sie eine Vorstellung davon bekommen, wie groß die finanzielle Dimension dieses Schnittes ist, sage ich Ihnen, daß wir damit Einsparungen in der Größenordnung von etwa 100 Millionen DM erwarten. Ich bin sicher, daß wir dafür leider deshalb wenig Beifall bekommen, weil an anderen Stellen auch unangenehme Regelungen getroffen werden müssen, aber wir sollten der Öffentlichkeit deutlich sagen, daß wir hier erstmalig und mit großem Nachdruck Mißbrauchstatbeständen begegnen.Viertens. Wir werden künftig die Einkommen auch schärfer anrechnen müssen. Das gilt insbesondere für die Möglichkeiten, die bisher auch einkommensstarke Familien bei den relativen Freibeträgen für ihre Kinder gehabt haben. Dort sind — allerdings nicht in einer großen Zahl von Fällen, aber doch in unangenehmen Fällen — Kumulationen möglich, die einkommens- und vermögensstarken Familien BAföG zugestehen, obwohl es sozial nicht gerechtfertigt ist. Wir wollen auch diese Möglichkeiten künftig ausschalten.Fünftens. Ich sage folgendes mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Es wird künftig keine rückwirkenden Leistungen mehr geben. Das heißt — ich gebe es offen und fair zu —: Indem wir früh ankündigen, daß wir wie bei allen anderen sozialen Leistungsgesetzen erst mit dem Tag der Antragstellung und dem tatsächlichen Ausbildungsbeginn zahlen werden, verringern wir gleichzeitig die möglichen Einsparungen, die durch diesen Paragraphen gewonnen werden könnten. Aber ich will Schüler und Studenten darauf hinweisen, daß es künftig nicht mehr reichen wird, drei Monate nach Studienbeginn oder Ausbildungsbeginn einen Antrag zu stellen und das Geld rückwirkend in voller Höhe zu erhalten.Sechstens. Wir haben, damit die notwendigen Finanzen bewegt werden, auch eine intensive Überprüfung der Förderungstatbestände einleiten müssen. Konkret: Zweit- und Zusatzausbildung in § 7 Abs. 2 sollen neu eingegrenzt werden. Dies ist gewiß ein bildungspolitisch schwerer Schritt, den wir da gehen. Aber er ist aus finanziellen und anderen Gründen nötig. Als wir anfingen, mit dem BAföG zu arbeiten, gab es neun Zusatzausbildungen, die jemand gefördert bekommen konnte. Heute sind es weit über 60, und die Zahl wird weiter anwachsen. Was früher die Ausnahme war, beginnt bei uns die Regel zu werden. Es beginnt auch bei uns die Regel zu werden, daß ein Hochschulabsolvent erst dann ein guter Hochschulabsolvent ist, wenn er zwei Abschlüsse hat. Dies können wir so schwerlich weiterfinanzieren. Künftig wird die Regel gelten, daß jeder Förderungsberechtigte einen berufsqualifizierenden Abschluß finanziert bekommt, den er in einem zügigen und planvoll angelegten Studium erreicht. Wir werden also die Möglichkeiten, oben vieles draufzusatteln, beschränken. Das hat die Konsequenz, daß künftig nur noch vertiefende Ausbildungsgänge mit einer Maximaldauer von zwei Jahren zusätzlich gefördert werden können, und vor allem — —
— Machen Sie es trotzdem bitte friedlich!
Herr Minister, fahren Sie bitte fort.
Ich will an dieser Stelle gerne ein Wort einfügen. „Dialog mit der Jugend" kann natürlich nicht nur bedeuten, mehr Geld für die Jugend auszugeben. Ein Dialog muß auch auf anderer Basis möglich sein.
Auf der anderen Seite will ich auch um Verständnis dafür werben, daß Studenten und Schüler gegen eine Maßnahme wie diese, die wir uns nicht aus Spaß, Jux und Tollerei ausgedacht haben, protestieren. Ich meine, wir sollten Verständnis dafür haben, daß Jugendliche ihrem Protest Ausdruck verleihen.
— Daß das hier im Hause nicht üblich ist, muß man Ihnen sagen. Wir sollten hier auch Sitten in dieser Form nicht einreißen lassen. Für Diskussionen außerhalb des Hauses stehen die Politiker zur Verfügung.
Lassen Sie mich zur weiteren Einschränkung der Förderungstatbestände in § 7 Abs. 2 sagen, daß es bereits im Bundesrat einige kritische Anmerkungen gegeben hat. Ich bin sicher, daß die Frage der zusätzlichen Förderung von Zusatz- und Zweitausbildungen auch im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft sorgfältig debattiert wird, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, ob damit Möglichkeiten von Studierenden des zweiten Bildungsweges in einem Maße eingeengt werden, der nicht vertretbar ist. Ich bin anderen Vorschlägen, die zu dieser Novelle zum BAföG gemacht worden sind, mit Skepsis begegnet
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1889
Bundesminister Engholmund ihnen nicht gefolgt. Ich möchte auch einige dieser Beispiele noch andeuten.Im Bundesrat ist vorgeschlagen worden, das Grunddarlehen wesentlich weiter anzuheben. Ich habe im Bundesrat dazu gesagt, daß eine zusätzliche Anhebung der Grunddarlehen nicht vertretbar wäre, weil damit zu viele Erschwernisse auf die Geförderten zukämen. Was wir den Geförderten mit diesem Gesetz zumuten, reicht wirklich aus. Eine weitere Verschlechterung der Darlehenssituation wäre nicht vertretbar.In den Vorberatungen zur Novelle ist auch diskutiert worden, ob die Härteverordnung zum BAföG abgeschafft werden soll. Ich habe mich gegen die Abschaffung der Härtenovelle gewehrt, weil darin notwendige Möglichkeiten zur Verbesserung der Finanzierung z. B. von studentischem Wohnraum enthalten sind, die wir nicht ohne Not abschaffen sollten.Ich begrüße insgesamt, daß der Bundesrat am letzten Freitag im Grundsatz der BAföG-Novelle zugestimmt hat. Ich bedaure auf der anderen Seite, daß es der Bundesrat bei einer pauschalen Stellungnahme zu unserem Gesetzentwurf hat bewenden lassen.
Mehr detaillierte Vorschläge hätten der Arbeit in beiden Häusern mehr geholfen.Meine Damen und Herren, vor zehn Jahren ist das Bundesausbildungsförderungsgesetz geschaffen worden. Es hat in diesen zehn Jahren wesentlich zur Gewährung von Chancengleichheit im Bildungswesen beigetragen. Das zeigt insbesondere ein Blick auf die Struktur der Geförderten. Von 100 Arbeiterkindern, die in einer förderungsfähigen wissenschaftlichen Ausbildung sind, werden heute über 60 % gefördert. Die Quote der geförderten Arbeiterkinder ist damit fast doppelt so hoch wie die anderer Kinder aus anderen Haushalten.
Wir wollen dieses System erhalten und dafür sorgen, daß trotz der Einschränkungen, die mit der Gesetzesvorlage notwendig werden, der soziale Kern des Bundesausbildungsförderungsgesetzes nicht tangiert wird.Ich habe zwei Bitten an das Parlament und an den zuständigen Ausschuß. Wir sollten versuchen, zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Zum anderen sollten wir versuchen, die Beratungen so zügig durchzuführen, daß das Gesetz zum Herbst wirksam wird. Sonst werden finanzpolitisch andere Konsequenzen eintreten, die uns viel unwohler machen als uns heute schon ist.Ich will nicht verschweigen, daß dieses Gesetz bildungs- und sozialpolitisch für Bildungspolitiker und für den Bildungsminister selbst ein schwieriger Schritt ist. Das muß jeder draußen wissen. Wir können diesen Gesetzentwurf nur deshalb guten Gewissens vorlegen, weil es finanzpolitisch in der heutigen Situation dazu — leider, muß man sagen — keine Alternativen gibt.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Redezeit von 90 Minuten vereinbart worden. Ich würde es nicht für zweckmäßig halten, wenn wir diese Debatte durch die Mittagspause unterbrächen. Ich gehe davon aus, daß wir in der Zeit bleiben. Ich werde also den Beginn der Mittagspause entsprechend später ansetzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Graf von Waldburg-Zeil.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat, mit dem ihm eigenen Charme, das Problem der Einbringung der 7. BAföG-Novelle so ein bißchen auf den Status außenwirtschaftlicher Probleme gebracht. Ich frage mich manchmal, wofür diese außenwirtschaftlichen Probleme nicht noch alles herhalten sollen. Wir lassen nun aus dem, was an Luft noch im BAföG steckt, etwas ab, und dann wird die Sache schon wieder einigermaßen in Ordnung kommen.Man sollte im Zusammenhang mit dieser Novelle einige grundlegende Fragen stellen.Erstens. Stoßen wir, wie schon verschiedene andere Industrienationen vor uns an Grenzen, die eine konsequente Fortentwicklung der individuellen Ausbildungsförderung erschweren oder gar unmöglich machen? Zweitens. Welche Prioritäten sollten in beengter Situation gesetzt werden? Drittens. Welche langfristigen Überlegungen müssen angestellt werden, um den Rechtsanspruch auf Ausbildungsförderung nach Neigung, Eignung und Leistung weiterführen zu können?Die erste Frage nach den Grenzen beantwortet sich durch den vorgelegten Regierungsentwurf von selbst. Das Einfrieren des Bundesanteils von 1981 bis 1984 auf 2,4 Milliarden DM bedeutet automatisch eine erhebliche Leistungsminderung für die Begünstigten. Die Bundesregierung nennt selbst im allgemeinen Teil der Begründung des Gesetzes die Probleme beim Namen: Als Folge des durchschnittlichen Anstiegs des Elterneinkommens müssen bei gleichbleibenden Begrenzungen bisher Geförderte aus dem Kreis der Berechtigten herausfallen. Durch Anstieg der Lebenshaltungskosten würden die realen Leistungswerte für die Begünstigten ohne die Erhöhung absinken.Darüber hinaus ist aber zu beachten, daß noch immer die geburtenstarken Jahrgänge — sogar die stärksten — zwischen heute und 1985 durch die Sekundarstufe II und durch den tertiären Bereich bis zum Jahre 1990 wandern, also durch die Jahre, auf die die Ausbildungsförderung sich konzentriert.Schließlich ist, nicht ganz unbeeinflußt vom BAföG, aber auch wegen der Schwierigkeiten mit dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt — ich meine jetzt hinsichtlich der angestrebten Ausbildungs- und Berufsziele —, der Wille zu ergänzender Weiterbildung zur Höherqualifikation, zum lebenslangen Lernen ständig weiter gewachsen, was ja auch mit ein Ziel dieses Gesetzes gewesen ist.
Metadaten/Kopzeile:
1890 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Graf von Waldburg-ZeilDer Vollständigkeit halber ist hinzuzufügen, daß eine Förderung, die nicht nur Eignung und Leistung, sondern auch ganz bewußt Neigung als Kriterium der Unterstützung wählt — trotz der Einschränkung durch § 1, daß nur gefördert werden muß, wenn die erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen —, so lange als ungerecht empfunden wird und werden muß, als es eben Grenzen gibt, oberhalb derer nun nicht mehr gefördert wird, und so lange es „BAföG-Emanzipierte" gibt, auf die andere mit Neid blicken, weil sie ihren Monatswechsel noch vom Vater und nicht vom Vater Staat beziehen.Deshalb hat ja z. B. Norwegen für Studenten über 20 Jahre 1972 die Bedürftigkeitüberprüfung hinsichtlich des Eltern- und Ehepartnereinkommens abgeschafft und nur noch auf das eigene Einkommen des Studenten abgestellt. Nimmt man das lebenslange Lernen auch in dem Sinne ernst, daß solches dem Geneigten nicht verwehrt werden darf, wird auch jede zeitliche Begrenzung von der Begünstigtenseite her auf die Dauer auf Kritik stoßen. An „Lernen als Beruf" kann man sich auch gewöhnen. In letzter Konsequenz müßte BAföG also irgendwann einmal an die Grenze der Utopie stoßen. Die Grenze, an die es aber derzeit stößt, ist ernst genug: Staatsverschuldung, Außenhandelsdefizit, kurzum eine Haushaltssituation, an der die Opposition zweifellos keine Schuld trägt, aber die sie zwingt, aus Verantwortung für das Ganze — ebenso wie es auch schon der Bundesrat getan hat — dem Nichtausweiten der Förderungsmittel zuzustimmen.Die zweite Frage, wie in einer solchen Situation Prioritäten gesetzt werden sollten, führt nun mitten in die Einzelprobleme der siebten Novelle, die natürlich hier nicht im einzelnen ausgebreitet werden können, sondern im Ausschuß behandelt werden müssen. Unter dem Druck berechtigter Forderungen — ich meine nun nicht nur die utopischen Forderungen auf der einen Seite und die eingefrorene Höchstgrenze der Mittel auf der anderen Seite — kann im Grunde kein Vorschlag befriedigen. Dennoch müssen die Ausschußberatungen sich darauf konzentrieren, ungerechtfertigte Härten zu vermeiden und Einsparungen an solchen Stellen vorzunehmen, die bisher Gegenstand des Ärgernisses und Anstoßes in der Öffentlichkeit waren.So war es z. B. richtig, für Zweitstudien Begrenzungen vorzunehmen, um, wenn auch unzureichend, die Bedarfssätze für die Lebenshaltungs- und Ausbildungskosten anheben zu können. Aber der Teufel steckt hier im Detail. Dadurch, daß praktisch durch die Neuregelung des § 7 Abs. 2 der Übergang von Fachhochschulabsolventen an wissenschaftliche Hochschulen blockiert wird, tritt ein sicherlich ungewollter Nebeneffekt ein. Wenn der zweite Bildungsweg verstopft wird, verstärkt sich der ungesunde Trend, vorsichtshalber einmal Gymnasium und Hochschule zu absolvieren, während echte Neigungen und Eignungen für berufliche Bildungswege aus Sackgassenangst gemieden werden.
Darüber muß im Ausschuß sicher noch gesprochen werden.Ebenso muß überlegt werden, ob bei § 25 Abs. 4 die Neuregelung nicht unzumutbare Benachteiligungen für die selten gewordenen Mehrkinderfamilien mit sich bringt oder ob nach der eben erst geänderten Landwirtebesteuerung mit den nach § 13 a versteuerten Landwirten nicht gerade die Gruppe der Kleinen geprügelt wird, die schon mit der Förderschwelle ihre liebe Not hat, ganz abgesehen von steuerrechtlichen und verwaltungstechnischen Bedenken.
Indes sollte hier nicht nur Gekürztes in Frage gestellt werden. Es gibt auch Bereiche, die, obwohl bei der Bevölkerung in dem Geruche stehend, den eben die Stinkbomben erzeugt haben, nicht angegangen worden sind. Wenn z. B. 1978 8% der voll geförderten Gymnasiasten nicht bei ihren Eltern wohnten, so weiß ich aus zahlreicher Elternkorrespondenz, daß, von den notwendigen Fällen abgesehen, oft folgender Vorgang dahintersteckt: Emanzipationsbeflissene Lehrer belehren ihre Schüler über deren Volljährigkeitsrechte, und am 18. Geburtstag zieht der gelehrige Schüler aus dem Elternhause aus, um dann oft wesentlich weiter von seiner Schule entfernt als bisher — allein oder in angenehmer Gesellschaft — zu wohnen, wobei die Hauptannehmlichkeit in der Freiheit vor elterlicher Schulbesuchsermahnung besteht. Verständlich! Aber ist es wirklich Aufgabe des Staates, die Lösung vom Elternhaus finanziell zu fördern, nachdem unsere Gerichte das Verweilen in der angebotenen elterlichen Wohnung für durchaus zumutbar halten und ja auch die Mittelrückforderung von den Eltern als nicht rechtens erklärt haben, wenn der Auszug nicht ausbildungsrelevant war?Besonders fragwürdig wird das Ganze, wenn Studenten deshalb keine Bude finden, weil andere, die im gleichen Studienort prächtige Zimmer im Elternhause zur Verfügung haben, diesen Studenten Zimmer wegnehmen. Hier wären Einsparungen sicher angebracht.
Da ich schon bei Mißbräuchen bin: Daß Abschreibungsmanipulationen zur künstlichen Bedürftigkeitserzeugung unmöglich gemacht werden sollen, ist zu begrüßen. Bereinigt werden sollte aber auch ein anderer, schon lange schwelender Mißstand: daß beim Todesfall des verdienenden Elternteils und erheblich gesunkenem Familieneinkommen bisher gezahlte Ausbildungsförderung oft entfällt oder stark reduziert wird. Natürlich ist es so, daß die als Einkommen gerechnete Waisenrente für die Ausbildung da ist. Aber man kann doch nicht die Realität verkennen, wie sie sich für eine verzweifelte Witwe und Mutter von drei Kindern darstellt, wenn das Einkommen wesentlich abgesunken ist und plötzlich die Förderungshilfe für die Kinder entfällt. Die bisherige Freibetragsregelung jedenfalls — sie wurde schon das letztemal von 120 auf 180 DM aufgestockt — hat nicht genügt, diesen Mißstand zu beseitigen.Woher allerdings entsprechende Einsparungen? Ein völlig unbejagtes Revier stellt hier noch die ernsthafte Absicherung des dritten BAföG-Krite-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1891
Graf von Waldburg-Zeilriums, der Leistungskontrolle, dar, schon in der Schule — ich denke an die Dauerschwänzer — und erst recht in den höheren Semestern der Universität. Man kann immer wieder an den Universitäten Gespräche führen; es wird geklagt — mit Recht geklagt — über Studenten, die zwar eingeschrieben, aber überhaupt nicht vorhanden sind.Damit bin ich aber bei meiner dritten und letzten Frage, wie der Rechtsanspruch auf individuelle Ausbildungsförderung nach „Neigung, Eignung und Leistung" auf Dauer gesichert werden kann. Dieser Anspruch ist ein wesentlicher Teil des sozialen Rechtsstaats, aber auch der sozialen Marktwirtschaft — nicht umsonst trug übrigens, Herr Minister, das erste Ausbildungsförderungsgesetz vom 19. September 1969 die Unterschriften von Kurt Georg Kiesinger, Franz Josef Strauß und Hans Katzer —, weil Chancengleichheit im Bildungswesen dazu gehört,
um die Begabungsreserven zu erschließen, deren Staat, Gesellschaft und Wirtschaft bedürfen.Aber es besteht die Gefahr, daß ein wenig Marxsche Utopie daraus wird, wenn der Gleichklang der Förderungskriterien nicht gewahrt wird. Karl Marx unterscheidet zwischen der Phase des Sozialismus, in der noch „Jedem nach seiner Fähigkeit, jedem nach seiner Leistung" gilt, und der des Kommunismus, der eigentlichen Zukunftsvision also, in der es heißen muß: „Jedem nach seiner Fähigkeit, jedem nach seinen Bedürfnissen." Die politische Kunst dieser unserer Republik muß es sein, die Utopie in der Realität zu beheimaten.Als kürzlich der stellvertretende kanadische Kultusminister Mr. Wright den Bundestag besuchte und ich für den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft an dem Gespräch teilnahm, stellte dieser die Frage: Was sagt denn der deutsche Steuerzahler zu BAföG? — Ich konnte nur erwidern: Er sagt nichts, er zahlt.
Aber ich fürchte, daß dies nicht so bleiben wird.Da sind nämlich diejenigen, die nach der Hauptschule ihre Ausbildung gemacht und einen Beruf ergriffen haben. Mit ihren Steuern zahlen sie die Weiterbildung derjenigen, deren Ansprüche in unserem Berechtigungswesen auf höhere Entgelte sich darauf stützen, daß sie früher in der Weiterbildungszeit verdienstlos ihr Studium vorfinanzieren mußten. Aber das ist ja heute nicht mehr so. Heute finanziert der steuerzahlende Arbeitnehmer vor, nicht der spätere Akademiker.Da wohl seriöserweise niemand als Ausweg vorschlagen wird, daß ja alle die längstmögliche Neigungsbildung herausschlagen könnten, bleibt nur übrig, entweder eben Eignung und Leistung stärker zu kontrollieren oder aber Höherqualifikation dann, wenn sie nur als Höherverdienstinvestition gesehen wird, auch als solche zu behandeln. Das hieße dann, den Darlehensanteil zu verstärken und an, wenn auch stabilisierte, Zinsen zu denken, wie es die meisten anderen Industriestaaten auch tun.
Übrigens scheint mir die kanadische Rückzahlungsversion gar nicht so übel zu sein: ein prozentualer Einkommensteuerzuschlag, mit dem der gut Verdienende rasch, der nicht so gut Verdienende langsamer und der schlecht Verdienende zunächst eben nichts zurückzahlt, ohne daß wie bei uns die Verwaltungskosten die ganz schmalen Rücklaufrinnsale wieder auffressen.Ich darf zusammenfassen. Bei der siebten Novelle geht es nicht nur um kleine Korrekturen. Es geht darum, das wichtige und richtige Grundanliegen der individuellen Ausbildungsförderung — ich betone nochmals — nach Eignung, Neigung und Leistung durch Beschneidung von Wildwuchs für die Zukunft zu sichern. Die Opposition ist bereit, an dieser Aufgabe mitzuwirken. Hätte die Regierung allerdings schon bei früheren Novellierungen auf ihre Vorschläge gehört, stünde man jetzt vor weniger schmerzhaften Entscheidungen.
Das Wort hat der Abgeordnete Purps.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der engen finanzpolitischen Rahmenbedingungen ist der vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft vorgelegte Gesetzentwurf zum siebten BAföG-Anderungsgesetz im Grundsatz zu begrüßen.Die Ausbildungsförderung nimmt unter den öffentlichen Sozialleistungen genauso wie die Rentenversicherung oder die Sozialhilfe bei uns ihren festen Platz ein. Die staatliche Verpflichtung, die Möglichkeit einer qualifizierten Ausbildung für alle gesellschaftlichen Gruppen wirtschaftlich abzusichern und finanzielle Benachteiligungen somit aufzufangen, ist das Grundelement des Sozialstaatsprinzips.Betrachtet man die Eckdaten in der Entwicklung der Ausbildungsförderung, so wird auch für den Laien ersichtlich, daß die Förderung nicht nur eine wünschenswerte Verbesserung der sozialen Zusammensetzung der Studenten bewirkt hat, sondern daß auch viele Schüler durch diese Förderung erst die Möglichkeit erhalten haben, Fachoberschulen oder die Oberstufe des Gymnasiums zu besuchen.Insgesamt haben Bund und Länder von 1972 bis 1980 rund 24,5 Milliarden DM, die der eben erwähnte deutsche Steuerzahler aufgebracht hat, für die Ausbildungsförderung eingesetzt. Ich glaube, daß diese beachtliche Summe einmal erwähnt werden sollte.Die Diskussion über die Höhe der BAföG-Anpassung und über den Zeitpunkt dieser Anpassung kann nur im Rahmen der sozialpolitischen und verteilungspolitischen Realitäten der Bundesrepublik Deutschland gesehen und geführt werden. Zu diesen Realitäten gehört auch — das sage ich ganz deutlich —, daß manche Witwenrente unterhalb des vollen BAföG-Satzes liegt. Ich halte es deshalb für
Metadaten/Kopzeile:
1892 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Purpsnötig, diese Feststellung zu treffen, um den Dialog oder die Auseinandersetzung um Höhe und Zeitpunkt der BAföG-Anpassung nicht im luftleeren Raum stattfinden zu lassen.
Durch die Koalitionsvereinbarung ist eine Ausgabenobergrenze für die Ausbildungsförderung 1981 bis 1984 von 2,4 Milliarden DM jährlich festgelegt worden. Mit einstimmigem Beschluß hat der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages sie bestätigt, und auch der Bundesrat hat sich für diese Obergrenze ausgesprochen. Die Betroffenen mögen das beklagen, aber niemand in diesem Hause kann an der Tatsache vorbeigehen, daß unter den geänderten weltwirtschaftlichen Bedingungen — sie sind nicht von der Hand zu weisen — Wachstumsraten wie in den vergangenen Jahren auch im Bereich der Bildungspolitik nicht mehr verkraftbar sind.In der folgenden Diskussion darf nämlich nicht vergessen werden, daß der Bund, der eben zwei Drittel der Ausgaben trägt, seine vorgesehenen Aufwendungen für 1980 um über 300 Millionen DM zusätzlich aufgestockt hat. Die sozial- und bildungspolitisch gewollte und notwendige Breite der Förderung hat zu diesem starken Mittelanstieg geführt.Unter den soeben von mir vorgestellten Bedingungen mußte mit dem Siebenten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes eine schwierige Aufgabe bewältigt werden. Es gilt, den sozialen Kernbestand des Gesetzes zu sichern und zugleich vertretbare Einsparungsmöglichkeiten zu finden, um die Anhebung der Freibeträge und Bedarfssätze möglich zu machen.Es ist — ich gebe das zu — an der Tatsache nicht herumzudeuteln, daß die vorgesehene Erhöhung der Bedarfssätze keinen vollen Ausgleich für gestiegene Lebenshaltungskosten mit sich bringt. Genauso richtig ist aber, daß die Anhebung der Freibeträge dies bewirkt. Und für alle Betroffenen wird sich durch die Verschiebung des Anpassungstermins auf den 1. April 1982 eine gewisse finanzielle Belastung, die in der Durchschnittsförderung zirka 130 DM bedeutet — was man manchmal durch Jobben an zwei Tagen verdienen kann, möchte ich hinzufügen —, nicht vermeiden lassen.Wenn aber von seiten der CDU behauptet wird, meine Damen und Herren, daß den Schülern und Studenten ein „Steckrübenwinter" bevorstünde, dann ist das nicht nur sachlich verkehrt, sondern darüber hinaus — ich will es so sagen — sogar ein peinlicher Vergleich.
Selbst wenn man die Tatsache berücksichtigt, daß nicht alle Vergleiche im politischen Tagesgeschehen auf die so berühmte Goldwaage gelegt werden müssen, ist dies eine Entgleisung insbesonders gegenüber denjenigen Bürgern und Bürgerinnen, die den Hunger des berühmten Steckrübenwinters 1917 erlebt und erlitten haben.Wer die Diskussion über das BAföG in der Öffentlichkeit, insbesondere in der letzten Zeit, verfolgt hat, wird auf zwei Argumentationen treffen. Auf der einen Seite geht es um die Höhe der Zuwendungen, die als viel zu niedrig kritisiert wird. Zum anderen äußert sich immer lauter der Unmut darüber, daß es bei der BAföG-Zuwendung zu Verteilungsungerechtigkeiten kommt. Betroffene, sowohl BAföG-Empfänger wie deren Eltern, weisen zunehmend darauf hin, daß es innerhalb der Bewilligungsrichtlinien des BAföG solche Ungereimtheiten gibt. Jeder von uns kennt j a den typischen Fall, daß der Sohn oder die Tochter eines gutverdienenden Selbständigen z. B. volles BAföG beziehen kann, während der Sohn oder die Tochter des Facharbeiters — Leute mit gläsernen Taschen — nicht den vollen BAföG-Betrag bekommt, sondern unter Umständen sogar aus der BAföG-Förderung herausfällt.
Und dieser Unmut nimmt in der öffentlichen Diskussion einen sehr breiten Rahmen ein. Lassen Sie mich persönlich hinzufügen, daß in allen Gesprächen, die ich mit Betroffenen, insbesondere mit Eltern geführt habe, dieser Sachverhalt weitaus häufiger erwähnt wurde als die relative Höhe dessen, was wir den Studenten zur Verfügung stellen können.Genau an diesem Punkt, setzt die siebte BAföG-Novelle an. Innerhalb des vorgegebenen Finanzrahmens hat sich die Regierung — dafür ist ihr zu danken — bemüht, jene Mitnehmereffekte, abzuschaffen oder zumindest weitgehend in den Griff zu bekommen, die zu dem berechtigten Unmut geführt haben. Nicht das Gießkannenprinzip kann bei enger werdender Verteilungsmasse greifen, sondern nur die Besinnung darauf, daß zuerst dem geholfen werden muß, der der Zuwendung besonders bedürftig ist. So wird es in Zukunft denjenigen, die ein hohes Einkommen haben und über Verlustzuweisungen ihr zu versteuerndes Einkommen senken können, nicht mehr möglich sein, in den Kreis der BAföG-Berechtigten zu gelangen.
Die erhöhte Absetzung nach § 7 b Einkommensteuergesetz bleibt hiervon unberührt, soweit sie für eigengenutzte Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen geltend gemacht wird. Dies ist aus sozialpolitischen Gründen nur zu begrüßen.Ich bin ganz sicher, daß niemand in diesem Hause dem vorgesehenen Abbau und der Begrenzung von Mitnehmereffekten die Zustimmung versagen wird. Das Parlament wird darüber befinden, ob in dem vorgelegten Gesetzentwurf diesen Notwendigkeiten genügend Rechnung getragen wird.Andererseits müssen einige Vorschläge auf ihre Auswirkungen hin sehr genau geprüft werden. Dies gilt z. B. für die Begrenzung des relativen Freibetrags für Kinder ebenso wie für die Förderung von Zusatzausbildungen.Zum ersten: Die Abschaffung des Tatbestandes, daß ein kinderreicher Großverdiener über diese Regelung für seine Kinder ein sicherlich nicht benötigtes BAföG-Taschengeld beziehen konnte, dürfte meiner Meinung nach unumstritten sein. Allerdings muß sorgfälltig nachgerechnet werden, ob die im Ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1893
Purpssetz vorgesehene Änderung nicht zu tief einschneidet.Zum zweiten. Die einschränkenden Bestimmungen bezüglich der Förderungen von Zusatzausbildungen bedürfen einer genauso eindringlichen Untersuchung. Bisher bildungspolitisch gewünschte und geförderte Wege dürfen nicht verlegt werden. Es wäre nämlich wenig sinnvoll, wenn durch diese Maßnahme an unseren Berufsschulen, die bekanntlich personell bei weitem noch nicht ausreichend besetzt sind, der Lehrermangel noch verschärft würde.Diese und andere Punkte wird der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft bei der folgenden Beratung des Gesetzentwurfs im Auge behalten müssen, denn die notwendige Entfernung von Wucherungen darf natürlich nicht zu einer Amputation führen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch auf zwei weitere in die Diskussion eingebrachte Vorschläge kurz eingehen. Den Vorschlag, die Einnahmeseite zu verbessern, indem man den Darlehensanteil erhöht, halte ich nicht für tragbar. Dies könnte gerade für die Bezieher mittlerer und kleinerer Einkommen einen regelrechten Abschreckungseffekt haben, der unseren bildungs- und sozialpolitischen Intentionen in jedem Fall entgegenstünde. Auch eine Einführung von Zusatzprüfungen und Leistungsnachweisen kann hier nicht in Betracht kommen.
Meine Damen und Herren, das Bundesausbildungsförderungsgesetz hat seit seinem Inkrafttreten entscheidend dazu beigetragen, die Ausbildungschancen der Jugend zu verbessern, insbesondere denen eine gute Chance zu geben, die es aus materiellen Gründen viel schwerer haben, höher qualifizierende Bildungsangebote wahrzunehmen. Dieser sozialpolitisch wichtige Tatbestand bleibt in vollem Umfang erhalten und wird durch den stetigen Anstieg von Studenten und Gymnasiasten aus Arbeiterfamilien belegt. Auch in der Quote der geförderten Schüler und Studenten, die sich von 1979 bis 1980 noch einmal von 33,9 auf 34,7 % erhöht hat, nimmt die Bundesrepublik Deutschland unter den vergleichbaren europäischen und außereuropäischen Industrienationen einen hervorragenden Platz ein. Man muß auch einmal das Positive vergleichen und nicht immer darauf sehen, wie man die Dinge auf der Einnahmenseite verbessern könnte.
Die 7. BAföG-Novelle stellt unter den ungünstiger gewordenen finanziellen Rahmenbedingungen eine durchaus vertretbare und meines Erachtens auch von den Betroffenen akzeptierbare Lösung dar. Sicherlich, es bleiben Forderungen und Wünsche unerfüllt, aber auch das Wünschenswerte hat sich am finanzpolitisch Machbaren zu orientieren und den Prioritäten des Lebensnotwendigen unterzuordnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.
Herr Präsident! Meine sehr ver- ehrten Damen und Herren! Bei dem heute vorliegenden Regierungsentwurf für ein 7. Änderungsgesetz zum Bundesausbildungsförderungsgesetz geht es darum — und wir müssen das ehrlich sagen —, die bildungs- und sozialpolitische Substanz im Rahmen der finanziell-wirtschaftlichen Möglichkeiten abzusichern. Es bedarf eigentlich keiner besonderen Erwähnung: Niemand, der sich mit der Bedeutung der Ausbildungsförderung für die Entwicklung unseres Bildungswesens im vergangenen Jahrzehnt beschäftigt und befaßt hat, kann sich darüber freuen, daß sich die vielberufenen Grenzen des Wachstums auch bei diesem Gesetz bemerkbar machen. Im Gegensatz zu früheren Novellen dient das vorliegende Änderungsgesetz ebenso zur Einsparung wie zur effektiven Verteilung der begrenzten Mittel und ist insoweit ein wesentlicher Beitrag zur Konsolidierung der Haushalte in Bund und Ländern.Die finanzwirtschaftliche Situation hat dazu geführt, daß der Haushaltsansatz für die Ausbildungsförderung auf 2,4 Milliarden DM Bundesanteil festgeschrieben wurde. Dieser Entscheidung — das wurde wiederholt gesagt — hat die Opposition im Haushaltsausschuß und hat auch der Bundesrat zugestimmt.Im vergangenen Jahr mußte der Bund, der 65 der Ausgaben trägt, seine Aufwendungen um 20 % auf knapp 2,4 Milliarden DM aufstocken, d. h. insgesamt wurden 3,6 Milliarden DM für die individuelle Förderung von 490 000 Schülern und 345 000 Studenten geleistet. Es wurde wiederholt erwähnt: der entstandene Mehrbedarf ist vor allem darauf zurückzuführen, daß mit der 5. Novelle zum BAföG auch Schüler in berufsbildenden Einrichtungen ab Klasse 10 gefördert wurden. Gerade diese Förderung hat dazu beigetragen, daß die Zahl der jungen ungelernten Arbeiter reduziert werden konnte und daß wir trotz der geburtenstarken Jahrgänge und der Probleme auf dem Ausbildungsstellenmarkt der Zielsetzung „Berufsbildung für alle" auch durch dieses Gesetz ein Stück nähergekommen sind.Meine Damen und Herren, die Öffnung des Bildungswesens auch unter sozialen Gesichtspunkten hat nicht nur für mehr junge Menschen bessere Bildungsmöglichkeiten geschaffen, sondern auch dazu beigetragen, daß das Problem der geburtenstarken Jahrgänge durch Nutzung aller Ausbildungskapazitäten in Schulen, Berufsschulen und Hochschulen einigermaßen gelöst und die Lage entscheidend verbessert werden konnte.Diese Öffnung des Bildungssystems auch unter sozialen Gesichtspunkten hat nicht nur zur besseren Qualifikation des einzelnen beigetragen, sondern hatte natürlich auch eine erhebliche Entlastungsfunktion für den Arbeitsmarkt. Heute gäbe es auf dem Arbeitsmarkt eine zusätzliche Mehrbelastung mit jüngeren Erwerbssuchenden von 1 bis 1,5 Millionen, wenn das Bildungssystem nicht so ausgebaut worden wäre, wie dies geschehen ist
Metadaten/Kopzeile:
1894 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Neuhausen— doch, Herr Daweke —, oder wenn die Bildungsbeteiligungsquoten auf dem Stande Mitte der 60er Jahre festgehalten worden wären.Mir erscheint es deshalb sehr wichtig, hier zu betonen, daß die finanzwirtschaftlichen Begrenzungen, die wir an diesem Gesetzentwurf spüren, nicht im Sinne einer Kurskorrektur in der Bildungspolitik mißverstanden werden dürfen.
Es darf von den Schülern, Auszubildenden und Studenten kein Sonderopfer gefordert werden; es muß vielmehr deutlich gemacht werden, daß alle Bevölkerungsgruppen im Interesse der Haushaltskonsolidierung Einsparung hinnehmen müssen. Das kürzlich verabschiedete Subventionsabbaugesetz hat dies auch deutlich gemacht.Die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen Anhebungen der Freibeträge und der Bedarfssätze sind vor allem auch wegen der zeitlichen Verschiebung aus der Sicht der Betroffenen sicher nicht befriedigend; sie können aber dazu beitragen, die soziale und bildungspolitische Substanz der Förderung aufrechtzuerhalten. Hier müssen wir die Betroffenen ganz einfach um Verständnis dafür bitten, daß wir aus den gesamtwirtschaftlichen Gründen keine Möglichkeit sehen, aus dieser Sicht wünschenswerte und an sich betrachtet, auch berechtigte höhere Förderungssätze zu beschließen. Ich bin sicher, daß wir dieses Verständnis, wenn auch ein kritisches Verständnis, bei denen unter den Betroffenen erreichen, denen soziale und gesellschaftliche Verantwortung und Mitverantwortung keine bloß rhetorischen Leerformeln sind.Meine Damen und Herren, wir sprechen über dieses Thema heute nicht im luftleeren Raum, und ich beziehe mich ausdrücklich nicht auf den Vorfall von vorhin. Kürzlich ist hier in diesem Hause über das weitverbreitete Unbehagen bei der Jugend gesprochen worden. Ich verkenne nicht, daß auch im Zusammenhang mit dem Gegenstand unserer Beratung ein solches Unbehagen entstehen oder verstärkt werden kann; aber wir sind gehalten, uns offen und ehrlich dieser Diskussion zu stellen. Sie wird sicherlich auch Einzelheiten des Entwurfs betreffen, die auch Gegenstand der Ausschußberatungen sein werden; denn auch die Kosten für die vorgesehenen Anpassungen müssen j a durch gezielte Einsparungen aufgefangen werden.Es ist ausdrücklich zu begrüßen, daß endlich die Frage einer effektiveren Einkommenserfassung aufgegriffen wird. In diesem Bereich gibt es — es wurde gesagt — in der Tat Mißbrauchsmöglichkeiten, die aber nicht dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, sondern vor allem dem Steuerrecht anzulasten sind. Aus verwaltungsökonomischen Gründen werden ja bei der Berechnung nach dem BAföG die Feststellungen der Finanzämter über die zu versteuernden Einkommen berücksichtigt, und die mitunter bedenklichen steuerlichen Möglichkeiten, durch Verlustzuweisungen zu einer Verminderung des zu versteuernden Einkommens zu gelangen, schlagen damit auf das BAföG durch. Es ist zu hoffen, daß dies auch mit Hilfe der Opposition und des Bundesrates korrigiert werden kann.Auch die stärkere Anrechnung der Elterneinkommen ist eine notwendige Maßnahme; denn nach § 25 Abs. 4 des geltenden Rechts können bei mehreren Kindern auch die Bezieher — und wir haben viele Beispiele vorliegen — sehr hoher Einkommen BAföG-Leistungen erhalten.Aber, meine Damen und Herren, dagegen muß die Frage der Neueingrenzung förderungsfähiger Zweitausbildungen sehr eingehend überprüft werden. Auch wenn der allgemeine Grundsatz gelten soll, daß bei jedem nur ein berufsqualifizierender Abschluß zu fördern ist, erscheint es mir doch problematisch, einen Großteil der Zweit-, Zusatz-, Ergänzungs- und Aufbaustudien von der Förderung auszunehmen. Darauf haben auch die Ausschüsse des Bundesrates hingewiesen.Bei dem Vorhaben, Leistungen rückwirkend wegfallen zu lassen, ist mir vielleicht das Bedenken erlaubt, ob nicht durch eine unverhältnismäßige Erschwerung des Verwaltungsverfahrens weitere Schwierigkeiten eintreten können.Meine Damen und Herren, die Forderung des Bundesrates, den Grunddarlehensanteil merklich zu erhöhen, erscheint uns im Hinblick auf die Erfahrungen, die wir mit dem Grunddarlehen gemacht haben, wenig sinnvoll.
Bekanntlich ist der Verwaltungsaufwand in diesem Bereich sehr hoch. Die Frage, ob die Rückflüsse überhaupt finanzwirtschaftlich wirksam sind, war Gegenstand einer Debatte Anfang dieses Jahres. Ich wiederhole: Eine Anhebung des Darlehensanteils würde auch den Abschreckungseffekt gerade gegenüber Studienbewerbern aus finanziell schwächeren Familien erhöhen; dies aber widerspricht der Zielsetzung der individuellen Ausbildungsförderung.Deshalb vertrete ich weiterhin den Gedanken, das Grunddarlehen abzuschaffen.
— Nicht nur die wiederholt vorgetragenen grundsätzlichen Erwägungen zu diesem Thema, Herr Daweke, sondern auch die Tatsache, daß der bürokratische Aufwand, auch für die Betroffenen, ganz einfach zu hoch ist, scheinen mir bisher noch nicht gebührend berücksichtigt worden zu sein.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Wie manches, was wir in diesen Wochen zu beraten haben, ist ja auch der vorliegende Gesetzentwurf kein Gegenstand reiner Freude und Befriedigung. Ich hoffe aber, daß es gelingt, der jungen Generation deutlich zu machen, daß ihre Anliegen und Interessen auch in der gegebenen schwierigen Lage so ernsthaft in die zu treffenden Entscheidungen einbezogen werden, wie andererseits auch an ihr und ihrer Eltern Verständnis appelliert werden muß. Es darf nicht der Eindruck entstehen, daß wir auf gesellschaftliche Probleme nur dann reagieren, wenn Massen demonstrieren und Scheiben klirren. Deshalb ist es wichtig, auf die Notwendigkeit einer solidarischen und an sozialen Kriterien orientierten Verantwortung hinzuweisen. Dies, meine Damen und Herren, ist meiner Meinung nach die Aufgabe
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1895
Neuhausenaller Parteien, auch wenn sie in Einzelfragen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen mögen. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daweke. Er wird heute 38 Jahre alt. Dazu möchte ich ihm herzlich gratulieren.
Schönen Dank, Herr Präsident! — Ich glaube, das ist das einzige Mal, daß ich von Ihnen allen Beifall bekomme.
Ich weiß das zu schätzen.Meine Damen und Herren, als der Bundeskanzler kürzlich in Aachen war und zu den Vertretern der deutschen Hochschulen sprach, hat er, als er zur Finanzlage des Bundes und zur Bildungspolitik Stellung nahm, gesagt: scarcity is the mother of Invention. — Ich habe versucht, das Zitat in ebenso gutem Englisch, wie er es spricht, zu wiederholen.Jedermann weiß, daß leere Kassen nicht unbedingt auch bedeuten müssen, daß man leere Köpfe hat, aber das, was sich hier heute morgen abspielt, ist für uns schon eine interessante Erfahrung. Die Freundlichkeit, mit der Sie uns ansprechen, die flehentlichen Gesten, mit denen Sie bei der Opposition Hilfe suchen, sind doch offensichtlich ein Zeichen dafür, daß Ihnen das Wasser bis zum Halse steht. Sie wissen ganz genau: Das, was Sie hier an unpopulärem zu verkaufen haben, werden Sie dann, wenn Sie ähnliche Vorfälle wie den von eben vermeiden wollen, in der Öffentlichkeit überhaupt nur klarmachen können, wenn Sie die Unterstützung der Opposition be kommen.Ich sage, Sie bekommen sie. Das fällt uns nicht ganz leicht, aber wir werden Sie unterstützen, und wir werden dabei bis an die Grenze des Verleugnens der Aufgabe einer Opposition gehen müssen, wenn wir das konsequent durchhalten wollen. Aber wir werden es tun.Als der Bundesbildungsminister am 15. April diesen Entwurf vorgelegt hat, hat er gesagt, das Leitthema dieses Gesetzentwurfes sei es, den sozialen Kern der Ausbildungsförderung zu sichern. Herr Engholm, darf ich Sie einmal fragen: Haben Sie denn, wenn dies der soziale Kern ist, vorher etwas anderes gefördert, haben Sie denn zusätzlich etwas geleistet, was Sie eigentlich gar nicht als den sozialen Kern des Gedankens der Ausbildungsförderung bezeichnen würden, oder wie kann man diese Art von Überschrift anläßlich einer Pressekonferenz erklären?Das Presseecho, das Sie hatten, war nicht sehr gut. Es entsprach wohl dem, was heute morgen auch hier geschah. Die „Kölnische Rundschau" z. B. schrieb: „Arme Studenten." — „Heißer Sommer; Zündstoff frei Haus; vor allem Kosmetik", — waren andere Kommentare. — Das hörte sich wirklich so an, als bräche hier jetzt ein großes Unglück aus. In Wahrheit hat der Bundesbildungsminister sehr vorsichtige Schritte in eine Richtung gemacht, in der wir ihn stärken wollen. Aber das Echo war vernichtend.Ich will Ihnen sagen, was der Kommentator im Deutschen Fernsehen am 15. April abends sagte: „Anstatt eine grundlegende Neugestaltung des Gesetzes vorzunehmen und dies mit Studienreformvorhaben abzustimmen, verfiel der Bundesbildungsminister auf die weitgehende Streichung von Zweit- und Zusatzstudium aus dem Förderungskatalog." Im Zweiten Deutschen Fernsehen: „Die bislang aber großzügig zur Förderung ausgestreckte Hand des Staates knickt ab."Die Wirkung in der Öffentlichkeit muß so sein, daß Sie in einem Bereich, der sehr sensibel ist, mit der Haushaltskonsolidierung beginnen. Im Grunde genommen wird deutlich, daß Sie die Folgen von Verschuldung, die Folgen von Leistungsbilanzdefizit, die Folgen der Wirtschafts- und Finanzpolitik der letzten Jahre — wenn Sie nun mal Ihren Haushalt durchforsten, neben Hochschulbau, Studentenwohnraumbau jetzt auch dieses Gesetz, eigentlich der einzige wirklich große Posten in Ihrem Haushalt — zuerst sichtbar für alle auf dem Rücken der jungen Generation austragen.
Wir haben im letzten Jahr versucht, das den Leuten deutlich zu machen. Die haben es nicht geglaubt, das muß man wohl zugeben. Aber ich glaube, daß jetzt ein Nachdenken darüber einsetzt, und Sie werden erklären müssen, weshalb Sie im letzten Jahr die Situation ganz anders eingeschätzt haben. Sie werden auch erklären müssen, weshalb Sie denn eigentlich Vorschläge, um dies zu vermeiden, die wir in den letzten Novellen, die hier beraten worden sind, gemacht haben, allein in der Zeit, in der ich daran mitwirken durfte, ständig abgelehnt haben. Der Schnitt — das hat Graf Waldburg vorhin schon gesagt — wäre für diesen Fall viel weniger schmerzvoll gewesen.Das BAföG ist während der gesamten Zeit, in der es existiert, nie ein populäres Gesetz gewesen. Man muß sich doch fragen, wieso ein solches Leistungsgesetz im Gegensatz etwa zum Kindergeldgesetz, wo es Fragen um die Ausgestaltung gab, wo es aber nie prinzipielle Fragen gab, so viel Widerstand und so viel Fragen hervorruft. Unsere Auffassung hierzu ist, daß das insbesondere damit zusammenhängt, daß viele Leute erkennen, daß man dieses Gesetz leicht mißbrauchen kann. Immer, als wir sagten, laßt uns doch diese Mißbrauchsmöglichkeiten reduzieren, wohl wissend, daß es nicht total geht — wenn einer betrügen will, kann er jedes Gesetz umgehen, jeden Mißbrauch begehen —, und als wir fragten, weshalb dies nicht geschieht, haben Sie stets geantwortet, das geht nicht. Jetzt erfinden Sie, so wie ich das sehe, einen neuen Begriff. Sie wollen den Mitnehmereffekt in vielen Einzelvorschriften verhindern. Ja, das ist doch nichts anderes als Mißbrauch, den wir seit Jahren hier anprangern.
Metadaten/Kopzeile:
1896 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
DawekeSie erfinden zwar einen neuen Begriff, aber in Wahrheit sprechen Sie ein altbekanntes Problem an, den Mitnehmereffekt. Klaut da einer im Kaufhaus oder was? Nein, nein, der nimmt seine Rechte wahr, aber Rechte, von denen wir glauben, daß er sie nicht haben sollte. Das ist doch der Mitnehmereffekt, den Sie ansprechen.Das Mißtrauen gegen dieses Gesetz schüren Sie selbst noch einmal, wenn Sie in Ihrer Begründung zum Gesetz, Herr Minister, dem Bundesrat und dem Bundestag folgendes mitteilen: „Es ist zunehmend die Beschränkung auf das Notwendige erforderlich." Was soll das denn heißen? Sie beginnen jetzt damit, sich auf das Notwendige zu beschränken. Zunehmend wird das erforderlich. Also haben Sie sich bis jetzt nicht auf das Erforderliche konzentriert. Sie haben bis jetzt da geleistet, wo Sie nicht zu leisten brauchten, wenn Sie sich auf das Notwendige konzentriert hätten. Weshalb sagen Sie das denn jetzt erst, weshalb haben Sie denn nicht vorher zugestimmt, als wir sagten: Laßt uns das, was nicht notwendig ist, laßt uns da, wo Leistungen bewirkt werden, die wir für nicht wesentlich halten, um den sozialen Kern der Ausbildungsförderung zu sicher, streichen? Da haben Sie gesagt: Ihr wollt die Leute disziplinieren, Ihr wollt Strafrecht ins BAföG einführen, und all so etwas Schlimmes.Das ist genauso wie mit dem, was Sie heute morgen über ein paar Gedanken gesagt haben, die wir bis jetzt schon öffentlich zu weiteren Einsparungsmöglichkeiten geäußert haben. Das wird sofort abgewimmelt. Ich garantiere Ihnen, in einem Jahr bringen Sie das alles wieder vor und werden dafür dann neue Begriffe erfinden.
Da wird wieder mitgenommen. Es wäre wesentlich einfacher und würde, ich glaube, der Sachlichkeit der Diskussion dienen, wenn Sie auf diese Vorschläge anders eingehen könnten.Da muß ich mich doch noch mit Ihnen, Herr Neuhausen, befassen, weil ich glaube, daß Ihre Haltung in diesen ganzen Wochen besonders dazu beiträgt, daß es schwer wird, das seriös zu behandeln.Schauen Sie, Sie spielen hier doch immer auf zwei Fußballfeldern. Hier laufen Sie, auch heute morgen wieder, als bildungspolitischer Libero herum — Sie taten dies übrigens am 15. April auch in einer Presseerklärung — und sagen: Bei den parlamentarischen Beratungen muß auch über die Forderung der FDP nach Abschaffung der Grunddarlehensregelung gesprochen werden.Dazu folgendes: Dies ist keine FDP-Forderung. Sie wissen ganz genau, daß die Koalitionsvereinbarungen dies gar nicht vorsehen. Dies ist Ihre Forderung. Das ist eine bildungspolitische Forderung von einigen Solotänzern. Der Graf Lambsdorff — das kann man überall nachlesen — denkt, daß der Darlehensanteil viel zu gering ist.
Ich empfehle Ihnen: Gehen Sie doch erst mal in Ihreeigene Fraktion, kriegen Sie da eine Mehrheit, unddann erklären Sie etwas für die FDP! Sie könnennicht privat im Bundestag Erklärungen abgeben — das erklären Sie auch an allen Hochschulen draußen —, während Sie, wenn es zum Schwur kommt, gar nicht da sind. Wir werden Sie vorführen. Wir werden einen Antrag stellen, nur damit man mal sieht, welches Spiel Sie hier treiben. Ich finde das nicht sehr fair, während wir Ihnen doch anbieten, daß wir Sie bei dem unterstützen, was auch wir als unpopulär erkennen. Dabei müssen Sie mindestens seriös bleiben.
Ich komme auf den Bundeskanzler und seinen Satz zurück, „scarcity" sei die Mutter von Erfindungen. Also das ist ein Mütterchen, was wir da sehen.
Not macht vielleicht erfinderisch. Erfindungen hat es nicht gegeben; die Not aber haben Sie immer noch. Tricksereien hat es gegeben; na gut; z. B. Aufrunden, Abrunden. Da kriegen Sie 10 Millionen. Angeblich. Es wird also der Betrag von 110,99 DM demnächst 110 und nicht 111 DM sein. Einverstanden. Abgehakt.Ein Beispiel, wo man ganz gut klarmachen kann, wie Sie arbeiten, ist dieses: Da wird gesagt: Wenn wir den Studenten nicht mehr die rückwirkende Antragsmöglichkeit eröffnen, d. h. daß jemand im Lauf des Semesters den Antrag auf Ausbildungsförderung stellt, sondern daß es die Auszahlung nur noch ab dem Monat der Antragstellung geben soll, dann sparen wir zwischen 40 und 80 Millionen ein. Wissen Sie, womit Sie da arbeiten? Mit der vermuteten Dummheit von Studenten, mit der vermuteten Schlampigkeit von Leuten, die am Anfang des Semesters unheimlich viel mit Wohnungssuche — weil Sie ja auch keinen Wohnraumbau mehr finanzieren — und mit dem Ausfüllen von irrsinnig vielen Formularen zu tun haben. Sie sagen: Die sind zu dumm dazu, das zu begreifen. Dieses Spiel möchten wir Ihnen ganz gern kaputtmachen, indem wir die Studenten schon jetzt darauf hinweisen, daß sie bitte mit dem Tag ihrer Immatrikulation dringend den Antrag abgeben müssen, weil sie sonst wirklich so wären, wie Sie sie gern hätten: dumm, schlampig und nicht nachdenkend. Das sind die nicht. Nur: Wenn Ihr ganzes Finanzkonzept darauf aufbaut, daß Leute dumm sind, dann muß man Sie doch fragen: Wie solide ist denn Ihr Finanzkonzept? Wenn Sie 80 Millionen mit der Dummheit von sich nicht orientierenden Studenten einsparen wollen, dann muß man doch fragen: Lieber Herr Matthöfer, glaubst du das, was der Herr Engholm dir da erzählt, oder wird das nicht so sein, daß er im Dezember ankommt und sagt: Die haben das alle gemerkt; Trick 17 hat in § 15 nicht gezogen; bitte nachfinanzieren!?
Unglaublich! Wenn ein Gesetz so finanziert werden soll, möchten wir Sie bitten, daß Sie, Herr Minister, mit dem Finanzminister in den Ausschuß kommen und uns Position für Position durchrechnen. Wir werden dann mit Ihnen Position für Position unsere zusätzlichen Einsparungsmöglichkeiten durchrech-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1897
Dawekenen, übrigens mit dem Ziel, den Anpassungstermin vorzuziehen.Lassen Sie mich doch noch eines sagen. Der Vergleich mit dem Steckrübenwinter ist, wenn Sie ihn auf die Kriegsjahre beziehen, sicher nicht gut. Aber Sie machen doch im Grund genommen folgendes. Sie nehmen allen Geförderten Geld weg, um ihnen die gleiche Summe oder eine geringere Summe, je nach Entwicklung des Elterneinkommens, ein halbes Jahr später zu geben. Sie kriegen einen Riesenärger mit der Folge, daß eine wirklich heiße Diskussion in dem kommenden Wintersemester stattfinden muß. Wir meinen, wir sollten Ihnen das Angebot machen, bei einigen Paragraphen, die Sie für nicht antastbar halten, noch einmal nach Einsparungsmöglichkeiten zu suchen, um eine vorgezogene Regelung der Elternfreibeträge und der Grundbeträge im vorgeschlagenen Rahmen zu erreichen. Insofern könnten wir diesen Steckrübenwinter, so verstanden, in der Tat vermeiden.Wenn die Not erfinderisch macht, wenn „scarcity mother of invention" ist, dann lassen Sie uns gemeinsam nachdenken. Ich habe genauso wie mein Vorredner dieses Angebot für die Opposition gemacht. Sie können nicht mehr von uns erwarten; denn das ist das Äußerste, was eine Opposition einer Regierung, die im Schlamassel steckt, anbieten kann. Wir halten dies aber durch, weil wir meinen, daß sich Ehrlichkeit auszahlt und daß wir, wenn wir regieren, diese Ehrlichkeit gut gebrauchen können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogelsang.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir kommt es darauf an, am Beginn meiner Ausführungen noch einmal zu zitieren, was in dem Vorblatt des Gesetzentwurfs der Bundesregierung steht, nämlich daß die Leistungsverbesserungen nur finanzierbar sind, wenn an anderer Stelle finanzwirksame Eingriffe in Regelungen des BAföG vorgenommen werden, die den Kernbereich dieser Sozialleistungen aber nicht berühren dürfen.Herr Daweke, zu Ihnen darf ich folgendes sagen: Natürlich nehmen wir, wie Sie gesagt haben, das Angebot der Opposition an, allerdings wollen wir Sie nicht überfordern. Denn so, wie Sie es dargestellt haben, würde es reizen, sogar in diesem Zusammenhang einmal darüber nachzudenken, was Aufgabe einer Opposition ist. Da Sie mit vielen sophistischen Spitzfindigkeiten operiert haben, müssen Sie damit rechnen, daß andere gleichermaßen damit beginnen. Ich bin versucht, all das, was ich mir sorgsam notiert habe, was Herr von Waldburg-Zeil als Ihre Vorschläge vorgetragen hat, sozusagen gegenzurechnen. Denn dabei sind nicht nur Vorschläge, die zu Einsparungen führen, sondern auch kostenträchtige Vorschläge. Ich will Ihnen aber gar keine Vorschriften machen; Sie würden solche Vorschriften von mir auch nicht hinnehmen, wie ich Sie kenne.
— Ich könnte das schon, aber er würde diese Vorschriften nicht annehmen. Das ist das Problem. Ich meine, wenn man sich als Opposition — das ist frei von einem Vorwurf — mit in die Notwendigkeit begibt, daß die Gesamtleistungen nicht erhöht werden können, weil unisono von Bundesregierung und Bundesrat gesagt worden ist, daß die Summe von 2,4 Milliarden DM bei den Bundesmitteln nicht überschritten werden dürfe — aus der Sicht der Bundesländer dürfte also die Summe von ca. 1,2 Milliarden DM nicht überschritten werden —, dann lassen Sie es doch dabei bewenden, daß wir uns in der Tat mühevoll den Kopf zerbrechen, welche finanzwirksamen Eingriffe wir machen, um diese Erhöhungen, die wir leider erst zum 1. April 1982 vornehmen können, dann auch wirklich realisieren können.Ich will hier nicht reden, als wenn ich zu niemandem spräche; aber diejenigen, zu denen ich spreche, werden es sicherlich merken, daß ich einen nicht lösbaren Zusammenhang zwischen den finanzwirksamen Eingriffen, wie sie auch immer aussehen mögen, die wir jetzt machen, und dem Datum und der Höhe der Anpassungen sehe, die für den 1. April 1982 vorgesehen werden. Für mich ist es wichtig, heute morgen hier noch einmal im Interesse der SPD-Fraktion zu unterstreichen, was in diesem Vorblatt der Bundesregierung steht.
Herr Neuhausen, ich stimme Ihnen gern zu, daß von niemandem, auch nicht von den Schülern und Studenten, ein Sonderopfer verlangt werden soll. Da sollte es keine Ausnahme geben. Aber es wäre auch falsch, Herr Daweke, wie Sie es formuliert haben, wenn man nun glauben müßte, die Haushaltskonsolidierung könne mehr oder weniger allein auf dem Rücken der jüngeren Menschen stattfinden. Das sei nochmals als Unterstreichung dessen gesagt, was Sie erwähnt haben: daß man diesen unlösbaren Zusammenhang zu sehen hat.Ich möchte mich auch ein bißchen an diejenigen wenden, die von dem Gesetz als Empfänger betroffen sind, nämlich an die Schüler und Studenten. Herr Daweke hat darauf hingewiesen, daß in der Öffentlichkeit überwiegend der Eindruck entstanden sei, hier würde etwas eingespart. Dieser Eindruck, der da vermittelt worden ist, ist nicht richtig. Wir hier im Hause wissen, daß wir diese Einsparungen nur vornehmen, um den uns auch vorgegebenen Level nicht zu überschreiten, sondern daß wir das im gleichen Maße an einer anderen Stelle wieder ausgeben wollen. Ich möchte mich also deshalb mit allem Nachdruck dagegen wehren, daß hier nach wie vor ein Gesetz unter dem Gesichtspunkt der Einsparungen beraten werde.Ein zweiter Punkt, der uns ja auch in der Öffentlichkeit vorgehalten wird, ist: Wie stellt ihr euch den Dialog mit der Jugend vor, wenn ihr hier ein Gesetz verabschieden wollt, das nicht wie vorher eine Anpassung der Leistungen vorsieht? Aber da muß ich
Metadaten/Kopzeile:
1898 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Vogelsangauch auf folgendes hinweisen. Die Jugend selbst — wie alle anderen auch — kann sich den Dialog mit der Jugend doch wohl nicht so vorstellen, daß wir sagten: Wie sollen wir euch denn subventionieren, wie hättet ihr es denn gerne? Abgesehen davon würden wir ja auch den Kern derer, die sich Aussteiger, Alternative oder sonstwie nennen, ja gar nicht treffen; denn ein wesentliches Motiv ihres Aussteigens ist ja meistens ein wirtschaftlich gut fundiertes Elternhaus, und sie sind es leid, von ihren Eltern in diesem Maße sozusagen unterhalten und ausgehalten zu werden. Es besteht kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Höhe — —
— Lassen Sie mich das ein bißchen begründen. Es besteht hier kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem, was man der Jugend zusätzlich zukommen läßt, und diesem Kreis, um den wir uns auch bemühen sollten. Zu Ihrem Einwand, dies sei eine unzulässige, primitive Verallgemeinerung, möchte ich Ihnen nur insoweit widersprechen, als daß sicherlich nicht alle Gesichtspunkte, die mit dem Dialog der Jugend, insbesondere mit der protestierenden Jugend, zu tun haben, hier erfaßt werden. Ich wollte aber nur darstellen, daß es auch nicht so einfach geht zu sagen: Nun haut mal aufs BAföG noch eine Milliarde drauf, und damit ist das Problem der protestierenden Jugend gelöst! Das wäre doch auch eine unzulässige Verallgemeinerung.
Lassen Sie mich heute vormittag nicht nur zu den Schülern und Studenten, sondern auch noch zu denen etwas sagen, denen wir bis jetzt zugemutet haben, das alles zu bezahlen, nämlich den Steuerzahlern. Ich möchte daran erinnern, daß während des zehnjährigen Bestehens dieses Gesetzes der deutsche Steuerzahler immerhin bereit gewesen ist — ich unterstelle diesen Konsens; Sie haben eben gesagt, er protestiere nicht, er zahle; Herr von Waldburg-Zeil, so haben Sie das formuliert —,
mehr als 24 Milliarden DM für diesen Bereich aufzubringen. Bei der Regelung, 2,4 Milliarden DM pro Jahr dafür auszugeben, wird diese Summe bis 1984 auf mehr als 36 Milliarden DM steigen. Das ist eine beachtenswerte Leistung. Wir als Politiker bilden uns ja nicht ein, daß wir das Geld machten, was ja auch eine schlimme Sache wäre,
sondern daß in einem sozialen Leistungsgesetz ein erheblicher und gewollter Umverteilungseffekt liegt, der nur dann zum Konsens führt, wenn man sowohl die Zustimmung derjenigen bekommt, die empfangen, als auch derjenigen, die das aufbringen müssen.
Ich meine, zu dieser gesetzlichen Situation könnenwir stehen. Bei den Beratungen dieses Gesetzes sollten wir aber auch nicht denjenigen vergessen, dem hier die Leistungen abverlangt werden.Meine Damen und Herren, ich habe mich darüber gefreut — das darf ich in meiner anderen Funktion sagen —, daß alle hier erklärt haben, daß sie mit einer intensiven, zügigen Beratung einverstanden sind. Wir dürfen daher wohl davon ausgehen, daß wir in diesem Bundestag noch vor der Sommerpause die Siebente Novelle verabschieden können.
Das Wort hat die Abgeordnete von Braun-Stützer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Daweke, das war eine munter-flockige Rede. Wo ist er?
— Das hört sich gut an, Herr Daweke. Die Rede war durchaus würdig eines Mitglieds einer Oppositionsfraktion. Das Problem dieses Hauses ist nur — ich würde sagen, dieses ganzen Staates —, daß Ihre Partei diese Rolle in einer Art und Weise wahrnimmt, die man nur mit einem außerordentlich schlabbrigen, weichen P für das Wort „Opposition" bezeichnen kann.
— Nein, das nicht. Aber ein Hauptproblem ist zur Zeit — auch in diesem Hause —, daß Sie als Fraktion Ihre Oppositionsrolle nicht wirklich wahrnehmen. Eben deshalb hat mich Ihre Rede so gefreut.
Ein Staat besteht aus verschiedenen Gewalten, die sich gegenseitig kontrollieren sollen. Da hat jeder seine Funktion. Eine Oppositionsfraktion hat in diesem Zusammenhang ebenfalls ihre Rolle. Ich behaupte, daß Sie sie nicht wahrnehmen.
Meine Damen und Herren, das Siebente Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ist ein Spiegelbild der Verteilungskämpfe, mit denen sich alle Parteien und Fraktionen in der Bundesrepublik derzeit herumschlagen, vom Bund bis zu den Gemeinden. Zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik geht es beim Sparen ernsthaft ans Eingemachte, an den Abbau von liebgewordenen Gewohnheiten, Ansprüchen und Privilegien. Wir alle tun uns sehr schwer damit. Das wird wohl keiner in diesem Hause bestreiten; das sollten auch Sie nicht tun, Herr Daweke.Deshalb sehen auch die Bildungspolitiker der FDP-Bundestagsfraktion ein, daß wir beim Sparen nicht nach dem Floriansprinzip verfahren dürfen: Bei allen sparen, nur nicht bei mir. Wir wissen um die Probleme, die bei vielen BAföG-Empfängern und in vielen Familien entstehen werden, weil die Novelle
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1899
Frau von Braun-Stützerzum Bundesausbildungsförderungsgesetz nicht die gestiegenen Lebenshaltungskosten berücksichtigt, auch nicht den schwierigen Arbeitsmarkt, der Zusatzverdienst in wenigen zusätzlichen Wochenstunden oder in den Semesterferien nicht genügend anbietet.Wir nehmen diese Probleme sehr ernst. Deshalb haben wir uns auch schwer damit getan, den starren Finanzrahmen von 2,4 Milliarden DM für sämtliche BAföG-Berechtigte hinzunehmen. Wir wissen, daß die Studentenzahlen bis 1988 vermutlich auf 1,3 Millionen steigen werden, damit auch die Zahl der BAföG-Berechtigten. Wir haben jedoch akzeptiert, daß der Haushaltsrahmen für 1981 und vermutlich auch der für 1982 keinen Finanzierungsspielraum zuläßt.Unter diesen Umständen muß es vorrangig darum gehen, den sozialen Kern — jetzt wiederhole ich es, Herr Daweke — des BAföG zu retten. Selbstverständlich kann man zwischen Maßnahmen unterscheiden, die notwendig sind, und solchen, die noch notwendiger sind. Wir alle werden diese Art von Leistungen in den nächsten Jahren zu erbringen haben. Sie können mir nicht erzählen, daß Sie nicht genau gewußt hätten, worum es bei dieser Formulierung ging.
Es geht also darum, möglichst viele Berechtigte aus einkommensschwächeren Familien finanzieren zu können, statt weniger Berechtigte mit einem höheren Betrag ausstatten zu können. Das war eine Wahl zwischen Pest und Masern. Wir haben uns für die Masern entschieden. Masern können Folgekrankheiten haben. In diesem Fall sehen die Folgekrankheiten so aus, daß wir bei Akzeptieren des starren Finanzrahmens von 2,4 Milliarden DM bestimmte Berechtigungen ändern und bestimmte Prioritäten innerhalb dieses Finanzrahmens setzen müssen, ob uns das paßt oder nicht.Manche der vorgeschlagenen Änderungen werden in den Ausschußberatungen noch sorgfältig auf ihre bildungspolitischen und vor allen Dingen langfristigen Auswirkungen geprüft werden müssen. Da gebe ich Ihnen völlig recht. Über ein paar Punkte müssen wir uns sehr ernsthaft unterhalten. Darüber waren wir ja auch im Ausschuß ganz friedlich einer Meinung. Vor allen Dingen muß die Neueingrenzung förderungsfähiger Zweitausbildungen diskutiert werden.Auch beim Darlehensanteil, Herr Daweke, haben wir abgewogen. Sie können sich hoffentlich genau an das erinnern, was wir gesagt haben. Unter den gegebenen Verhältnissen — ein geringer Rückfluß, hoher Verwaltungsaufwand — scheinen uns die bildungspolitischen Auswirkungen zu überwiegen. Unter diesen Umständen treten wir für die Streichung des Grunddarlehensanteils ein. Das ist etwas anderes als das, was Sie eben dargestellt haben. Deshalb bitte ich doch um sehr sorgfältige Darstellung dessen, was wir gesagt haben.Wir wissen auch, daß es am Rande vieler dieser neuen verschärften Berechtigungsbestimmungen zu zahlreichen Härtefällen kommen wird. Viele dieser Fälle könnten theoretisch und im Einzelfall mit einer gewissen Großzügigkeit behandelt werden. Aber die Gesamtsumme dieser Einzelfälle würde eine Gefährdung der Linie bedeuten, die ich eingangs als Wahl zwischen Pest und Masern beschrieben habe. Aus sozialen und bildungspolitischen Gründen erscheint es uns sinnvoller, mehr Berechtigte mit einer geringeren Summe fördern zu können als weniger Berechtigte mit einer höheren Summe.Diese Art von unangenehmer Entscheidung verlangt von unseren betroffenen Jugendlichen — dafür haben wir heute ein Beispiel gesehen — sehr viel Verständnis und Aufgeschlossenheit, und manche sind inzwischen vielleicht wirklich überfordert. Viele von ihnen sind jedoch bereit, diese einschneidenden Maßnahmen hinzunehmen, vorausgesetzt sie müssen nicht den Hauptanteil an dieser Solidaritätsverpflichtung tragen.Wie aber stellen sich die Tatsachen für unsere Jugendlichen in Wirklichkeit dar? Das sind so die Sachen, die hätten Sie sagen müssen, Herr Daweke, statt die Presse zu zitieren. Unseren Jugendlichen werden Zahlen, Abhängigkeiten und Strukturen unserer öffentlichen Haushalte erläutert und vorgelegt, die wie beim Verteidigungshaushalt aus ihrer augenblicklichen und geschichtlichen Entwicklung heraus jeweils begründet und berechtigt sein mögen. Die Gesamtsumme all dieser berechtigten und — jetzt sage ich es in Anführungszeichen — „vernünftigen" Entwicklungen aber ergibt ein Bild, das in sich für die Jugendlichen völlig unvernünftig und unverständlich ist, nämlich das fatale Bild einer reichen Gesellschaft, die an ihrer Jugend und an ihrer eigenen Zukunft spart. Wer sich in den letzten Wochen und Monaten viel mit den Jugendlichen in unseren Schulen und Universitäten unterhalten hat, der weiß, daß das Wort „Tornado" inzwischen zu einer anderen Art von Programm geworden ist, dem kein wirklich stichhaltiges Argument entgegengehalten werden kann. Darauf sind auch die Reaktionen zurückzuführen, die wir eben erlebt haben.Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn sich große Teile der Gesellschaft immer mehr ins Privatisieren und in Protesthaltung zurückziehen, wenn wir noch nicht einmal erkennen lassen, daß wir in den öffentlichen Haushalten wenigstens langfristig etwas ändern wollen. 1981/1982, das wissen wir selber, wird sich nicht mehr viel bewegen. Aber langfristig müssen wir doch wenigstens andeuten — insofern kann ich nur aufgreifen, was Graf Waldburg gesagt hat —, langfristig müssen wir doch wenigstens einiges andeuten. An einigen Prioritäten in den öffentlichen Haushalten können wir nur wenig ändern, an einigen Strukturen gar nichts. Aber wie oft lassen sich Prioritäten und Strukturen plötzlich entscheidend verändern, wenn erst Steine fliegen und der öffentliche Druck massiv wird! Die Frage ist, ob wir das wirklich erst abwarten müssen.Protestreaktionen gegen die verschärften Berechtigungsbestimmungen beim BAföG haben deshalb so viel Zulauf, weil die Betroffenen das Gefühl haben, daß sie bei der Solidaritätsverpflichtung Sparen unverhältnismäßig stark beteiligt werden, und vor
Metadaten/Kopzeile:
1900 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Frau von Braun-Stützerallen Dingen deshalb, weil sie annehmen müssen, daß sich an dieser Prioritätensetzung in den öffentlichen Haushalten langfristig nichts ändern wird. Die meisten Bürger unseres Staates sind viel weniger egoistisch, als es allgemein dargestellt wird. Die allermeisten wissen, daß wir Opfer zu bringen haben, wenn die bisherigen Leistungen im bildungs- und sozialpolitischen Bereich aufrechterhalten werden sollen. Das ist die Art von Abwägen, Herr Daweke, die gemeint ist.Was unsere Bürger nicht akzeptieren, ist eine Verteilung der Opfer, die langfristig auch noch unsachgerecht ist. Das Sparen am falschen Ort kostet die Gesellschaft langfristig mehr; denn sie wird ein Vielfaches der falsch eingesparten Summen für die Bewältigung sozialer Konflikte ausgegeben müssen.
Was viele Bürger ebenfalls nicht akzeptieren und immer heftiger kritisieren, sind Mißbrauchsmöglichkeiten. Da gebe ich Ihnen völlig recht, Herr Daweke; über die müssen wir uns ernsthaft unterhalten. Denn diese Mißbrauchsmöglichkeiten stellen den ganzen Sinn sozialer und bildungspolitischer Leistungsgesetze in Frage. Deshalb ist es nur zu begrüßen, wenn wir dem auch in den Umstrukturierungsmaßnahmen beim BAföG Rechnung tragen. Allerdings wird es auch hier im Grenzbereich zu Härtefällen kommen. Deshalb haben wir uns in den letzten Jahren sehr schwer damit getan, über diese Härtefälle zu diskutieren, Herr Daweke, solange noch mit Zuwachs zu rechnen war. Aber wenn wir verhindern wollen, daß der Mißmut über die Mißbrauchsmöglichkeiten in unseren Leistungsgesetzen schließlich so weit überhand nimmt, daß die Leistungsgesetze selber in Frage gestellt werden, dann müssen wir so vorgehen.Diese Art von Maßnahmen sollten wir aber nicht nur unseren Bürgern zumuten. Wir sollten auch prüfen, ob die Strukturen der öffentlichen Haushalte und der Kompetenzzuschnitt im Kabinett langfristig nicht verändert werden müssen. Beispielsweise sind die ohnehin geringen Kompetenzen des Bundes in der Bildungs- und Kulturpolitik auch noch verzweifelt verzettelt angelegt. Wenn wir also erreichen wollen, daß der Mitteleinsatz für die Bildungs- und Kulturpolitik des Bundes möglichst effektiv erfolgen soll, dann ist diese Verzettelung der Kompetenzen sicherlich nicht besonders hilfreich und sollte neu überdacht werden.
Hier ein Appell an alle drei Parteien, die sogenannten „etablierten".
— Gut, gestehe ich zu. — Wenn wir beweisen wollen, daß die Parteien und die Parlamente in der Lage sind, Fehlentwicklungen und überholte Strukturen in unseren öffentlichen Haushalten wenigstens langfristig abzubauen, dann müssen wir bereits heute signalisieren, daß wir diese Probleme zumindest erkannt haben. Nur dann, wenn wir diese Fehlentwicklungen und die Möglichkeiten ihrer Verbesserung in aller Öffentlichkeit diskutieren, werdenwir erreichen können, daß die einschneidenden Einsparmaßnahmen, die wir beim BAföG und in vielen anderen Politikbereichen zur Zeit beschließen, von unserer Bevölkerung wenigstens halbwegs mit Verständnis begleitet werden. — Ich danke Ihnen.
Das Wort zu einer kurzen abschließenden Erklärung hat Herr Bundesminister Engholm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich auf wenige Bemerkungen beschränken, insbesondere auf eine Antwort auf den Einwand von Herrn Daweke, ich sei darum bemüht, flehentlich um Zustimmung bei den Unionsparteien zu werben. Nun wissen Sie, daß ich — dies sage ich im Ernst — immer, solange ich mit Ihnen zusammengearbeitet habe, auf Konsens großen Wert gelegt habe. Das tue ich auch diesmal. Das ist die Fortsetzung meiner Prinzipien.Etwas fröhlicher will ich Ihnen sagen: Das Prinzip des Flehens gibt es im Augenblick für den Bildungsminister nur an einer Stelle, und das ist weniger hier im Hause als mehr beim Finanzminister und bei den Haushaltspolitikern. Ich flehe also nicht am Busen der Union; wenn ich überhaupt flehe, dann bei den Finanzgewaltigen vor der Haustür;
allerdings auch dort nicht immer mit dem größten Erfolg.Sie haben bei den wenigen konkreten Punkten, die Sie zur Beratung der Novelle eingebracht haben, auf drei Dinge verwiesen, von denen ich nicht glaube, daß sie wirklich wegweisend sind.Sie haben gesagt, das Darlehen soll angehoben werden. Auch der Gedanke einer Verzinsung des Darlehens ist eingebracht worden. Ich finde es eigenartig, daß Sie uns vorwerfen, wir muteten Schülern und Studenten einen „Steckrübenwinter" zu. Was Sie ihnen jetzt zumuten, sind Steckrüben auf Kredit. Da muß man irgendwo auch fair bleiben. Bei dieser gewiß nicht leicht zu tragenden Novelle noch eine zusätzliche Belastung obendrauf zu tun, das bitte ich sehr zu überlegen.In bezug auf den Gedanken der Leistungskontrolle bin ich immer skeptisch gewesen. Das wird auch diesmal so sein. Leistungskontrollen bringen auch finanziell nicht die Einsparung die wir brauchen; denn wir wissen, daß die, die mit BAföG studieren, diejenigen sind, die am schnellsten und am erfolgreichsten durch das Studium kommen.
Gerade denen — ich sage das ernsthaft — noch eine zusätzliche Belastung aufzudrücken, während jene aus reichen Haushalten bis in die Puppen studieren und Studienplätze belegen können, hielte ich nicht für eine adäquate Antwort.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1901
Bundesminister EngholmHerr Daweke, Sie haben eine fröhliche Rede gehalten. Das war ein nettes Geschenk, das Sie uns als Geburtstagskind gemacht haben. Manches daran war allerdings ein bißchen kokett. Koketterie endet immer damit, daß man feststellt: Es wird mehr versprochen als wirklich gehalten.Ich hoffe, daß wir im Ausschuß konkreter zur Sache kommen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 9/410 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und zur Mitberatung an den Finanzausschuß und den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sowie zur Beratung gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen.
Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort.
Wir treten in die Fragestunde — Drucksache 9/407 —
ein.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Penner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 13 der Frau Abgeordneten Steinhauer auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das bildungspolitische Ziel, Berufe für weibliche Jugendliche zu öffnen, die bisher in der Praxis im wesentlichen Männern vorbehalten werden, im Bereich der Bundeswehr immer wieder auf praktische Hindernisse stößt und Bewerbungen weiblicher Jugendlicher zur Ausbildung in gewerblich-technischen Berufen, z. B. als Flugzeugmechaniker, mit dem Hinweis auf fehlende Dusche, Umkleideraum und Toiletten zurückgewiesen werden?
Bitte Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Steinhauer, der Bundesregierung ist bisher nur ein Einzelfall im Bereich der Bundeswehr bekannt. Anfang des Jahres 1981 hatte sich eine weibliche Jugendliche für eine Ausbildung als Flugzeugmechanikerin bei der Ausbildungswerkstatt in Büchel beworben. Sie erhielt zunächst eine Ablehnung mit dem Hinweis auf fehlende sanitäre Einrichtungen. Nach Überprüfung wurde diese Ablehnung inzwischen zurückgenommen. In Büchel können jetzt auch Bewerberinnen berücksichtigt und — bei einem positiven Ergebnis im Auswahlverfahren — eingestellt werden.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Steinhauer.
Herr Staatssekretär, kann ich dann auch davon ausgehen, daß die Ausführungen, die auf der Tagung der technischen Ausbildungsleiter der Bundeswehrverwaltung am 20. Juni 1980 gemacht worden sind, daß man nämlich die Einstellung von weiblichen Auszubildenden in dieser Zeit nicht völlig ausschalten möge, nun nicht mehr aufrechterhalten werden und daß Mädchen die gleichen Ausbildungschancen wie Jungen bekommen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist bemüht, im Rahmen ihres speziellen Auftrags auch den Ausbildungsbedürfnissen der weiblichen Jugend Rechnung zu tragen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordneten Steinhauer, bitte.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß Sie die Ausbildungsleiter gleichwohl weiter aufklären müssen und daß hier noch viele Vorurteile zu beseitigen sind, damit auch Mädchen eingestellt werden?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Sicherlich ist die in dieser Fragestunde von Ihnen gegebene Anregung ein gutes Beispiel dafür, daß so etwas geschehen kann.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Francke .
Herr Staatssekretär, in welchen einzelnen Bereichen besteht denn bereits jetzt eine Ausbildungsmöglichkeit für Mädchen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Das ergibt sich aus der Antwort auf die Frage 14.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 14 der Frau Abgeordneten Steinhauer auf:Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu treffen, um Chancengleichheit zwischen grundsätzlich geeigneten männlichen und weiblichen Bewerbern für einen Ausbildungsplatz im Bereich der Bundeswehr sicherzustellen?Bitte, Herr Staatssekretär.Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Steinhauer, die Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz erfolgt im Bereich der Bundeswehr vornehmlich mit der Zielsetzung, militärische Unterführer in technischer Verwendung für Metall- und Elektroberufe zu gewinnen. Diese Zielsetzung engt die Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen in den gewerblich-technischen Ausbildungsberufen bei der Bundeswehr ein. Einer Vergrößerung des Anteils der weiblichen Auszubildenden in der gewerblich-technischen Berufsausbildung steht aber in erster Linie das geringe Interesse weiblicher Bewerber entgegen.1980 waren 881 Ausbildungsplätze neu zu besetzen. Es bewarben sich insgesamt 4 301 Jugendliche;
Metadaten/Kopzeile:
1902 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Parl. Staatssekretär Dr. Pennerdarunter waren 190 Mädchen. Bewerbungen von Mädchen gingen nur bei 19 von insgesamt 33 Ausbildungsstätten ein; eingestellt wurden 41 Mädchen. Den Bewerbungen entsprechend lag der Schwerpunkt der Einstellung von Mädchen bei vier Ausbildungsstätten, in denen Krankenschwestern, technische Zeichner, Chemielaboranten und Photolaboranten ausgebildet werden. Die Ausbildungskapazität in diesen Berufen beträgt 102 Plätze. 91 Plätze konnten bisher mit Mädchen besetzt werden. Zur Zeit befinden sich insgesamt 2 927 Auszubildende in der Ausbildung, darunter 113 Mädchen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.
Herr Staatssekretär, darf ich in bezug auf die Antworten zu der vorigen Frage davon ausgehen, daß aus Gründen nicht vorhandener sanitärer Einrichtungen Ablehnungen nicht mehr erfolgen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Davon können Sie ausgehen. Ich habe diese Frage, glaube ich, auch schon vorhin beantwortet.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Francke.
Herr Staatssekretär, wenn Sie im wesentlichen auf das mangelnde Interesse abheben, dann darf ich Sie fragen, was die Bundesregierung zu tun gedenkt, um bei den Mädchen ein stärkeres Interesse für einen derartigen Berufsgang zu wecken, als es offensichtlich besteht?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Ich habe vorhin schon erwähnt, Kollege Francke, daß die gewerblichtechnische Berufsausbildung im wesentlichen auch auf die Bedürfnisse der Bundeswehr zugeschnitten sein muß. Das schließt nicht aus, daß weibliche Bewerber willkommen sind. Aber die Zweckbindung muß aus der Sicht des Bundesverteidigungsministeriums berücksichtigt werden.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dallmeyer.
Herr Staatssekretär, im Bereich der Bundeswehrverwaltung gibt es eine Fülle von gewerblich-technischen Arbeitsplätzen, die insoweit auch in Frage kämen. Denken Sie daran, daß wenigstens für diesen Bereich die Ausbildungsmöglichkeit für weibliche Arbeitnehmer erweitert wird?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Wir wollen alles tun, um den Eindruck zu vermeiden, als sei die Bundeswehr grundsätzlich gegen Frauen eingestellt und das auch im beruflichen Bereich.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Ich rufe Frage 15 des Abgeordneten Dallmeyer auf:
Welche Absichten verfolgt die Bundesregierung, um den Verwendungsstau im Bereich der Offiziere und Unteroffiziere abzubauen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dallmeyer, der zeitliche Ablauf des Verwendungsstaus ist durch die Altersstruktur der Berufssoldaten vorgegeben und erfordert ein schrittweises Vorgehen beim Einleiten erforderlicher Maßnahmen, die jedoch nicht losgelöst von der Situation im gesamten öffentlichen Dienst betrachtet werden dürfen. Als erster Schritt kann der im Haushaltsentwurf für das Jahr 1981 enthaltene Ansatz von fast 300 Planstellen für Offiziere und Unteroffiziere betrachtet werden, die für die Realisierung der Heeresstruktur 4 vorgesehen sind. Die Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung 1980 herausgestellt, daß sie sich der Probleme der Altersstruktur der Berufssoldaten bewußt ist. Sie wird auch künftig ihre Bemühungen fortsetzen, diese Probleme zu lösen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dallmeyer.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, dem Hohen Hause mitzuteilen, wie viele Offiziere und Unteroffiziere zur Zeit vom Verwendungsstau betroffen sind?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dallmeyer, ich habe vorhin ausgeführt, daß sich die Bundesregierung dieses Problems durchaus bewußt ist und daß sie bemüht ist, diesem Problem Rechnung zu tragen. Ich sehe mich im Moment außerstande, Ihnen ganz präzise Zahlen zu nennen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie dann wenigstens die Auffassung, daß die Belastung der gesamten Bundeswehr durch dieses Problem inzwischen so groß geworden ist, daß es auch für die Regierung ein Problem allererster Ordnung ist, und daß die Notwendigkeit besteht, dieses Problem wenigstens in größerem Umfang, als es jetzt geplant ist, zu lösen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist der Auffassung, das Problem in seinem vollem Umfang erkannt zu haben. Wir sind der Meinung, daß die Bundeswehr nicht nur aus waffentechnischen Einrichtungen besteht, sondern daß der Mensch dazugehört, um die Bundeswehr als eine schlagkräftige Institution zu erhalten. Deshalb ist besonders der Bundesminister der Verteidigung ständig bemüht gewesen, dieser Not, diesem Mangel abzuhelfen. Daß das bisher noch nicht in vollem Umfang gelungen ist, liegt daran, daß die Finanzen eine eigene Sprache sprechen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Weiskirch.
Herr Staatssekretär, ich darf eine konkrete Frage anfügen. Am 17. Dezember 1979 hat Bundesverteidigungsminister Apel im Mittagsjournal des Westdeutschen Rundfunks zum Beförderungs- und Verwendungsstau in der Bundeswehr folgendes ausgeführt: „Wir fangen jetzt eine sehr intensive Debatte an, damit wir im Haushalt 1981 die Möglichkeit haben, einen Einstieg zu finden in dieses Problem."
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1903
Herr Abgeordneter, ich bitte, eine Frage zu stellen.
Die Frage kommt jetzt. Welches Ergebnis hatte die von Minister Apel angekündigte intensive Debatte, und wie sieht im Haushalt 1981 der Einstieg zur Lösung dieses Problems aus?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Weiskirch, ich habe vorhin in meiner Antwort anklingen lassen, daß sich der Verteidigungsminister dieser Problematik durchaus bewußt ist und daß er auch versucht hat, eine Lösung im Rahmen des Gesamtkonzepts durchzusetzen. Ich habe aber ebenso klar ausgeführt, daß die Frage des Verwendungsstaus nicht isoliert gesehen werden darf, sondern im Zusammenhang mit der Problematik des öffentlichen Dienstes ingesamt diskutiert werden muß.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Francke .
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um noch in diesem Jahr durch die Einrichtung weiterer Planstellen im integrierten Bereich der NATO und im deutschen militärischen Anteil von AWACS Erleichterungen beim Verwendungsstau zu schaffen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Francke, ich habe vorhin gesagt, daß die Bundesregierung bemüht war, den besonderen Problematiken des Verwendungsstaus Rechnung zu tragen. Daß diese Problematik nicht voll gelöst werden konnte, habe ich ebenfalls gesagt.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Lowack.
Am 10. Januar 1980 hat der sozialdemokratische PPP unter der Überschrift „Bundeswehr vor großen Personalproblemen" folgende Warnung ausgesprochen:
Wird das Programm zur Überwindung des Verwendungsstaus nicht 1981 eingeleitet, dann droht eine Überalterung des Offizierskorps, die den Aufgaben der Truppe nicht entspricht.
Meine Frage: Mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung dieser Überalterung entgegenwirken? Was ist bisher eingeleitet worden und — das ist von Ihnen offengelassen worden — welche weiteren Schritte haben Sie in diesem Zusammenhang vorgesehen?
Verzeihen Sie, Herr Staatssekretär, einen Moment. Meine Damen und Herren, ich bitte, das Zitieren zu unterlassen. Sie müssen hier Fragen stellen und dürfen die Fragestunde
nicht zum Anbringen von Zitaten verwenden. Das ist nicht zulässig.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Ich kann mich nur wiederholen, Herr Abgeordneter. Die Bundesregierung kennt das Problem. Der Bundesverteidungsminister war bemüht, auch dieses Problem im Rahmen des Möglichen lösen zu helfen. Das Ergebnis ist leider nicht so, daß wir sagen könnten, das Problem sei gelöst.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Krone-Appuhn.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung Äußerungen des Generalinspekteurs auf der Kommandeurtagung in Trier vom 28. April bekannt, die besagen, daß die Finanzprobleme zu einer besonderen Herausforderung für die militärische Führung werden würden und der Verwendungs- und Beförderungsstau bei den Offizieren der Bundeswehr geeignet sei, die Einsatzbereitschaft der deutschen Streitkräfte zu beeinträchtigen? Wann hat die Bundesregierung von dieser Äußerung des Generalinspekteurs Kenntnis erhalten, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus.
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete, ich verweise auf meine Antworten zu den vorhergegangenen einschlägigen Fragen; dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Würtz.
Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie die 488 neuen Stellen für die Heeresstruktur im Zusammenhang mit dem Abbau des Verwendungsstaus, und ist Ihnen in diesem Zusammenhang ein ähnlich hoher Anteil neuer Stellen im Bundeshaushalt sonst bekannt?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Staatssekretär — —
— Herr Kollege Würtz, den zweiten Teil Ihrer Frage kann ich verneinen. Zum ersten Teil Ihrer Frage würde ich sagen, daß es genau das ist, was man einen Einstieg nennt. Aber ich bleibe dabei, daß das Problem damit noch nicht voll befriedigend gelöst ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Würzbach.
Metadaten/Kopzeile:
1904 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung angesichts der eigenen Erkenntnis, daß der Verwendungsstau bei den Offizieren der Bundeswehr geeignet ist, die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr erheblich zu beeinträchtigen, die bisher eingeleiteten Schritte bezüglich der Einsatzbereitschaft für ausreichend?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Würzbach, ich kann nur immer wieder betonen, daß sich der Bundesminister der Verteidigung und auch die Bundesregierung der Bedeutung dieses Problems bewußt sind, daß aber ebenso einzuräumen ist, daß die Lösung bisher noch nicht voll geglückt ist.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Marx.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die von dem Kollegen Würtz vorhin genannten 488 Stellen nur die Hälfte der ursprünglich geplanten 1000 pro Jahr sind?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Marx, ich habe vorhin gesagt, daß die 488 Stellen ein Einstieg sind, um dieses Problem lösen zu helfen. Ich habe nicht gesagt, daß das die Lösung insgesamt gebracht habe.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Würzbach auf:
Hält die Bundesregierung die aus der Sicht des Bundesverteidigungsministeriums veranschlagte Summe von 1,175 Milliarden DM zur Erhöhung des Verteidigungshaushalts im Jahr 1981 für ausreichend, um die laufenden Vorhaben und die unabweislichen Kosten vollständig abzudecken?
Hierzu teilt der Fragesteller mit, daß in der in Drucksache 9/407 ausgedruckten Fassung der Frage infolge eines Büroversehens eine falsche Summe angegeben sei; es müsse richtig heißen 1,175 Milliarden statt 1,75 Millionen DM.
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Würzbach, Sie können davon ausgehen, daß wir die Angaben in Ihrer Frage schon richtig verstanden haben.
Meine Antwort auf die Frage lautet: Die Bundesregierung hat am 13. Mai 1981 empfohlen, den Verteidigungshaushalt um 850 Millionen DM aufzustokken. Dabei geht sie davon aus, daß bei sparsamer Bewirtschaftung in allen Bereichen der Verteidigungshaushalt des Jahres 1981 dem Bedarf gerecht werden kann.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Würzbach.
Herr Staatssekretär, können Sie Auskunft darüber geben, welche Beträge heute bereits wissentlich aus dem Jahre 1981 — wir nennen das Bugwelle — in das Haushaltsjahr 1982 hinübergeschoben werden?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Würzbach, die Bundesregierung geht nach sorgfältiger Prüfung davon aus, daß diese erneute Aufstokkung ausreichen muß, den Bedürfnissen des Einzelplans 14 gerecht zu werden.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Würzbach.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit und in der Lage, mir darüber Auskunft zu geben, ob in den vom Verteidigungsminister zunächst eingeräumten Fehlbeträgen von 1,175 Milliarden auch Teile — und wenn j a, welche Beträge — der vom Kollegen Würtz bis 1985 bezifferten Fehlbeträge von 10 Milliarden und von dem Kollegen Jung bis 1984 bezifferten Fehlbeträge von 15 Milliarden enthalten sind?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Würzbach, Sie geben mir Gelegenheit, zu einer Serie von Überlegungen, die auch von Ihnen her kommen, Ausführungen zu machen. Wir haben es jetzt mit Haushaltsproblemen des Jahres 1981 zu tun. Mittelfristige Problematiken stehen im Rahmen des Haushalts 1981 nicht zur Diskussion. Insbesondere durch Ihre Einlassungen vom vergangenen Wochenende ist der falsche Eindruck entstanden, als ob die Summe, die damals von Ihnen genannt worden ist, für das Jahr 1981 maßgebend wäre. Das ist erwiesenermaßen nicht der Fall.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Friedmann.
Herr Staatssekretär, nachdem geradezu stündlich von Ihrem Haus und von Ihrem Minister neue Zahlen über den Finanzbedarf der Bundeswehr genannt werden, möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht auch der Meinung sind, daß es angebracht wäre, daß die Regierung zum laufenden Haushalt einen Ergänzungshaushalt vorlegt, damit das Parlament geordnete Beratungsunterlagen hätte?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Ich bin der Meinung, daß die Beratung durch die Überlegungen der Bundesregierung vom gestrigen Tage nicht behindert werden und daß eine ordnungsgemäße Beratung des Haushalts sichergestellt ist.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Es geht ja an sich um die Frage 16 des Abgeordneten Würzbach. Herr Staatssekretär, darf ich die Bundesregierung fragen, ob sie der Meinung ist, daß die in der Frage des Abgeordneten Würzbach enthaltene Schlußfolgerung, daß durch diesen Betrag die unabweisbaren Kosten und die laufenden Vorhaben womöglich nicht gedeckt sind, nicht zutrifft, sondern durch die Beträge, die angesetzt sind, die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr auch weiterhin in dem Umfang, wie wir ihn für die NATO wollen, gewährleistet ist?Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klejdzinki, die Entscheidung der Bundesregierung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1905
Parl. Staatssekretär Dr. Pennerist auf Grund sorgfältiger Beratungen zustande gekommen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß durch Aufstockung um 850 Millionen DM den Bedürfnissen des Einzelplans 14 zureichend Rechnung getragen ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Francke .
Herr Staatssekretär, welche Leistungen hat die Bundesregierung im Rahmen des Langfristprogramms der NATO für 1981 zu erbringen, wie hoch ist gegebenenfalls dieser Betrag, und ist er in der Summe von 1,175 Milliarden DM für 1981 enthalten?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie gehen auf das Langfristprogramm ein. Dies ist eine Frage der mittel- und langfristigen Finanzplanung und steht beim Haushalt 1981 weniger zur Debatte.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dallmeyer.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, zu erklären, woher es kommt, daß der Herr Verteidigungsminister vor gut einer Woche eine Summe von 1,175 Milliarden DM als unabweislich bezeichnet hat, nunmehr — in dieser Woche — aber betont, 850 Millionen seien ausreichend, um den Bedarf der Bundeswehr zu decken?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Der Bundesverteidigungsminister hat aus seiner besonderen Verantwortung die Summe von 1,175 Milliarden DM genannt. Das Bundeskabinett insgesamt, das ja für diese Frage eine Gesamtverantwortung zu tragen hat, hat es nach ausführlicher Beratung für richtig gehalten, 850 Millionen DM für zureichend zu halten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Würtz.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß ich in dem vom Kollegen Würzbach angesprochenen Artikel davon gesprochen habe, es komme darauf an, bei Beschaffungsvorhaben neue Wege zu gehen, um dadurch Kosten einzusparen, und daß in diesem Zusammenhang der Abgeordnete Würtz nicht als Kronzeuge gegen Ihre Aussagen herangezogen werden kann?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Würtz, ich bin nie davon ausgegangen, daß Sie als Kronzeuge gegen meine Aussagen herangezogen werden können. Ich weiß aber — und das Hohe Haus weiß es auch —, daß Sie als Haushaltspolitiker besonders daran interessiert sind, daß die Gesetze der Sparsamkeit in allen Bereichen — also auch beim Einzelplan 14 — eingehalten werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stavenhagen.
Herr Staatssekretär, wie bringen Sie die von Ihnen gemachte Aussage, mittelfristige Probleme stünden jetzt nicht an, mit § 10 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in Einklang, wonach die Bundesregierung verpflichtet ist, Bundestag und Bundesrat nicht nur über erhebliche Änderungen der Haushaltsentwicklung, sondern auch über deren Auswirkungen auf die Finanzplanung zu unterrichten?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Ich habe vorhin zum Ausdruck gebracht, daß beim Bundeshaushalt 1981 in erster Linie die Fragen des Jahres 1981 abzuhandeln sind. Daß wir natürlich in einer Gesamtentwicklung stehen, die mit dem Jahr 1982 nicht bei der Stunde Null beginnt, ist ebenso unbestritten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jungmann.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob sich die vom Kollegen Würzbach hier artikulierten Bedenken hinsichtlich der Finanzierbarkeit der Verteidigungsausgaben bei den Haushaltsberatungen im Verteidigungsausschuß in konkreten Anträgen der Opposition niedergeschlagen haben?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Nein, solche Anträge sind uns nicht bekannt. Es ist noch nicht einmal bekannt geworden, daß eine globale Erhöhung und eine entsprechende globale Minderausgabe bei anderen Titeln angeregt worden wären.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Lowack.
Herr Staatssekretär, wo sollen im Haushalt 1981 die der NATO für infrastrukturelle Maßnahmen für 1981 zugesagten 500 Millionen DM, wo sollen die Mehrmittel für AWACS in Höhe von ca. 190 Millionen DM, die 1981 benötigt werden, und wo sollen von der Industrie bereits angemeldete ca. 260 Millionen DM — noch über den bereits veranschlagten Betrag von 265 Millionen DM hinaus — Mehrbedarf an Tornado untergebracht werden?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Gerade was die letzte Summe betreffend Tornado angeht, so kann ich nur sagen, daß Sie sich da auf sehr vagem Boden bewegen. Bündige Aussagen zu diesem Problem können nicht gemacht werden. Im übrigen kann gar nicht bestritten werden, daß die Festlegung des Haushaltsvolumens auch normativ wirken muß. Das heißt, mit der Summe, die dann vom Plenum des Deutschen Bundestages beschlossen wird, muß ausgekommen werden.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Riedl.
Herr Staatssekretär, nachdem ja gegenüber der ursprünglichen Forderung des Herrn Verteidigungsministers bei der vom Kabinett ausgehandelten oder diskutierten Summe 325 Millionen DM weniger für den Verteidigungsetat zur Verfügung stehen, hätte ich die Frage an Sie: Wie wollen Sie diesen angemeldeten Bedarf von 325 Millionen DM decken, und wie sieht Ihr Dekkungsvorschlag für den Haushalt 1982, der ja zur
Metadaten/Kopzeile:
1906 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Dr. Riedl
Zeit mit dem Finanzministerium verhandelt wird, in diesem Bereich aus?Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Es ist keine Frage, daß uns das Weniger von rund 300 Millionen DM erheblich schmerzen wird. Aber wir sind davon überzeugt, daß wir, wenn wir den Haushalt richtig fahren, auch über die Runden kommen werden.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Marx.
Herr Staatssekretär, können Sie uns bitte mitteilen, in welcher Weise gestern im Kabinett die 850 Millionen DM fixiert worden sind? Handelt es sich um einen förmlichen Beschluß des Kabinetts?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Marx, ich war selber in der Kabinettsitzung nicht dabei. Deshalb kann ich aus eigener Kenntnis nicht berichten.
— Ja, das ist so. Ich gehe allerdings davon aus, daß das Kabinett nach Beratung insgesamt die Summe von 850 Millionen DM zusätzlich empfohlen hat.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Hirsch.
Herr Staatssekretär, muß man nicht zu allen diesen Fragen sagen, daß der Haushalt nicht von der Bundesregierung festgestellt wird, sondern daß es Sache des Parlaments ist, die Anmeldungen auf ihre Angemessenheit hin zu prüfen, gegebenenfalls andere Zahlen zu entscheiden und dafür andere Deckungen zu finden?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, Ihre Frage kann ich nur bejahen. Die Antwort gewinnt dadurch an besonderem Gewicht, daß Sie beide Seiten kennen, nämlich einmal die Administration und zum zweiten die parlamentarische Verantwortung.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Glos.
Herr Staatssekretär, wie vereinbart sich die Tatsache, daß das Kabinett gestern die Vorlage eines ordnungsgemäßen Papiers an den Haushaltsausschuß verweigert hat, damit, daß Sie vorhin gesagt haben, das Kabinett habe in dieser Frage eine besondere Verantwortung? Und würden Sie die besondere Verantwortung in dieser Frage dahin gehend auslegen, daß diese am besten dadurch wahrgenommen wird, daß dem Parlament ein ordnungsgemäßer Ergänzungshaushalt vorgelegt wird?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Glos, ich habe zum Ausdruck gebracht, daß der Begriff „besondere Verantwortung" für den Gesamthaushalt gilt. Nur so war meine Einlassung zu verstehen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Neumann .
Herr Staatssekretär, würden Sie so nett sein, den Kollegen der CDU mitzuteilen, daß der Verteidigungsausschuß gestern auf Antrag der Berichterstatter die Ansätze der Regierungsvorlage erhöht hat und dies als Stellungnahme dem Haushaltsausschuß zugestellt hat.
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Neumann, ich bemühe mich immer, nett zu sein. In diesem Fall bemühe ich mich, besonders nett zu sein.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Gerster .
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das Bundesverteidigungsministerium und die Bundesregierung einen neuen Bedarf für den Verteidigungsetat festgestellt haben? Und würden Sie mir dann zustimmen, daß es selbstverständlich Aufgabe der Bundesregierung ist, auch sicherzustellen, daß die entsprechende Mitteldeckung erfolgt?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist bei ihren Überlegungen von der Verantwortung getragen gewesen, zum einen den Bedürfnissen der Landesverteidigung und zum andern den Notwendigkeiten der Finanzpolitik Rechnung zu tragen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Carstens .
Herr Staatssekretär, der Bundesfinanzminister hat gestern in Anwesenheit des Verteidigungsministers im Haushaltsausschuß vorgetragen, durch welche Beträge die Mehranforderungen des Verteidigungsministers gedeckt werden sollen. Wie beurteilen Sie die Tatsache, daß es zwischen den Beträgen, die uns gestern mündlich vorgetragen wurden, und den Beträgen, die wir heute in einer schriftlichen Vorlage gefunden haben, einen erheblichen Unterschied gibt?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weiß nicht, was Sie konkret ansprechen. Aber Sie können davon ausgehen, daß die Entscheidung des Bundeskabinetts vom gestrigen Tage von hohem Verantwortungsbewußtsein getragen war.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Heistermann.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß während der Beratungen des Verteidigungsausschusses kein Antrag auf einen Ergänzungshaushalt gestellt worden ist?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1907
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Ich kann das nicht nur in dieser Hinsicht bestätigen; nach den Informationen, die mir vorliegen, hat die Opposition, mit unterschiedlichen Zahlen operierend, auch im zuständigen Fachausschuß, d. h. im Verteidigungsausschuß, darauf verzichtet, irgendwelche Anträge zu stellen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Metz.
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß Sie soeben im Hinblick auf die 850 Millionen DM erneut von einer Entscheidung des Kabinetts gesprochen haben, frage ich noch einmal: War es nun eine Kabinettsentscheidung, oder war es etwas anderes?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Das Kabinett hat über diese Summe befunden.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hackel.
Herr Staatssekretär, könnten Sie den Versuch unternehmen, diesem Hause zu sagen, wie Sie den Begriff „befunden" definieren?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Entschuldigen Sie bitte! Ich habe das gerade nicht gehört. Ich bin hier gerade gestört worden. Können Sie bitte die Frage wiederholen?
Herr Staatssekretär, würden Sie den Versuch unternehmen, diesem Hause eine Definition für das Wort „befunden" zu geben?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin so höflich, davon auszugehen, daß Sie verstehen, was „befinden" heißt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, da Sie über die Summe, wie Sie soeben sagten, „befunden" haben, darf ich fragen: Hat der Finanzminister die Summe bereits gefunden?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Ich habe das akustisch nicht verstanden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe, Herr Staatssekretär, unter Hinweis darauf, daß die Regierung über die Summe „befunden" habe, gefragt, ob der Finanzminister die Summe bereits gefunden habe.
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Die Schwierigkeiten des Finanzministers sollen nicht geleugnet werden. Aber wir gehen davon aus, daß wir auch in einer schwierigen Lage Lösungen finden können. Wir werden den Finanzminister bei diesen Bemühungen nicht alleinlassen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Ehmke.
Herr Staatssekretär, können Sie die Kollegen von der Opposition darüber aufklären, daß wir uns in einem Stadium der Haushaltsberatung befinden, in dem der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages und nicht die Bundesregierung zunächst Herr des Verfahrens ist, so daß Ihr Ausdruck, daß die Regierung „befunden" hat, genau trifft, weil es nicht um einen Haushaltsbeschluß der Bundesregierung geht, sondern um eine Stellungnahme im Verfahren des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Ehmke, es fällt mir schwer, mich selbst als richtig zu bestätigen.
Aber in diesem Fall muß ich das wohl tun. Im übrigen bitte ich Sie, Herr Kollege Ehmke, um Verständnis dafür, daß die Opposition sich bemüht, an Hand dieser Frage die Notwendigkeit der Aktuellen Stunde zu begründen. Ich habe dafür volles Verständnis.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Ich rufe die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Weiskirch auf:
Wie viele Offiziere und Offizieranwärter, die an den Bundeswehrhochschulen studieren, haben im ersten Quartal 1981 die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer nach Artikel 4 Abs. 3 des Grundgesetzes beantragt?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollge Weiskirch, im ersten Quartal 1981 haben vier Offiziere und ein Offizieranwärter einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt. Ein Offizier wurde bislang als Kriegsdienstverweigerer anerkannt. Der Antrag eines weiteren Offiziers wurde in erster Instanz am 29. April 1981 abgelehnt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Weiskirch.
Herr Staatssekretär, haben Sie die Zahl aller Offizierstudenten präsent,
Metadaten/Kopzeile:
1908 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Weiskirch
die bisher ihre Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer beantragt haben?Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Seit 1976 sind dies 52.
Eine weitere Zustzfrage.
Herr Staatssekretär, müssen die anerkannten Kriegsdienstverweigerer dieser Art, die auf Staatskosten für die Verwendung in der Bundeswehr studiert haben, Studienkosten ganz oder teilweise — und wenn ja, in welcher Höhe — zurückzahlen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weiskirch, das ist nicht bei allen der Fall. Bei Sanitätsoffizieren gibt es schon eine gesetzliche Regelung, in anderen Bereichen nicht. Wir sind bemüht, die gesetzlichen Schlupflöcher zu schließen. Eine entsprechende gesetzliche Novellierung befindet sich im Abstimmungsverfahren.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Francke .
Herr Staatssekretär, welche wesentlichen Begründungen für die seit 1980 steigende Zahl von Kriegsdienstverweigerern hat die Bundesregierung aus den Anträgen erkennen können?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Die Gründe für ein Ansteigen der Zahl der Kriegsdienstverweigerer sind sicherlich vielfältiger Natur. Wir sind bemüht, die Probleme genau zu sichten. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß das Aufkommen von Sa-Z 2-Soldaten im ersten Quartal des Jahres 1981 wesentlich höher als im vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres gewesen ist, was das Bild immerhin etwas anders gestalten kann.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dallmeyer.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, dem Haus mitzuteilen, ob es bei der Verteilung des Aufkommens eine erkennbare Schwerpunktbildung zwischen den beiden Hochschulen in Hamburg und München gibt?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Das kann ich im Moment nicht tun; aber ich bin gern bereit, Ihnen diese Differenzierung schriftlich mitzuteilen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Würzbach.
Herr Staatssekretär, seit wann ist der Bundesregierung bekannt, daß immer mehr studierende Offiziere — ich benutze Ihre Formulierung — das Schlupfloch der Kriegsdienstverweigerung gegen Ende ihrer Studienzeit wählen, und wann hat man damit begonnen, welche Schritte zum Stopfen zu unternehmen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Würzbach, angesichts der uns vorliegenden Zahlen möchte ich nicht von einem Ansteigen reden. Von 1975 bis 1978 wurden insgesamt sieben Anträge gestellt. 1979 gab es einen Sprung mit 22 Anträgen, 1980 waren es 18 Anträge, und im ersten Quartal des Jahres 1981 liegen in diesem Bereich fünf Anträge vor. Ich meine, daß diese Entwicklung die Qualifikation „sprunghaftes Ansteigen" nicht verdient. Was die Bezeichnung „Schlupfloch" angeht, so muß sichergestellt sein, daß diejenigen, die sich nachher zu Recht auf das Recht der Kriegsdienstverweigerung berufen, dem auch dadurch Rechnung tragen, daß dann die übrigen Voraussetzungen entfallen.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht.
Die Frage 18 der Frau Abgeordneten Krone-Appuhn wird nach Ziffer I.2. Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet, weil der Inhalt dieser Frage bereits heute morgen Gegenstand einer Diskussion war.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Dr. Olderog auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß Besatzungsangehörige zivilbesetzter Schiffe der Bundesmarine bis zum 65. Lebensjahr Dienst machen müssen und daß im Gegensatz dazu Angehörige der Handelsmarine bereits mit Erreichung des 55. Lebensjahrs in den Ruhestand gehen können, obwohl beide Personengruppen über die gleichen zivilen Patente verfügen und die Besatzungsangehörigen zivilbesetzter Schiffe der Bundesmarine oft weitaus größeren Belastungen ausgesetzt sind ?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Olderog, gestatten Sie, daß ich beide Fragen im Zusammenhang beantworte?
Ja, bitte schön.
Dann rufe ich auch die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Dr. Olderog auf:Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß älteren Besatzungsangehörigen zivilbesetzter Schiffe häufig aus gesundheitlichen Gründen die Borddienstverwendungsfähigkeit aberkannt werden muß und daß sie sodann eine Tätigkeit an Land annehmen müssen, mit der auf jeden Fall eine erhebliche finanzielle Einbuße und somit ein sozialer Rückschritt verbunden sind und die heute übliche Wahrung des erreichten Besitzstands also nicht gegeben ist?Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Erstens. Die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer als Besatzungsmitglieder auf zivilbesetzten Hilfsschiffen der Bundeswehr enden nach den tariflichen Bestimmungen — § 63 Manteltarifvertrag B II, § 60 BAT — mit Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer das 65. Lebensjahr vollendet. Vor diesem Zeitpunkt scheiden Arbeitnehmer aus den Arbeitsverhältnissen in aller Regel nur dann aus, wenn sie die Voraussetzungen zum Bezug des vorgezogenen Altersruhegeldes nach § 25 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes oder § 1248 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung erfüllen bzw. berufs- oder erwerbsunfähig geworden sind.Die Einführung einer vorgezogenen Altersgrenze z. B. von 55 Jahren für die zivilen Besatzungsmitglieder auf Schiffen der Bundeswehr wäre nur durch Abschluß eines entsprechenden Tarifvertrages möglich. Eine solche Regelung hätte jedoch präjudizierende Wirkung für eine größere Anzahl von Arbeit-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1909
Parl. Staatssekretär Dr. Pennernehmern in anderen Arbeitsbereichen wie z. B. Feuerwehr- und Wachpersonal sowie Kraftfahrer. Wegen der sich daraus ergebenden Kosten und mit Rücksicht auf die bekannte Haushaltslage ist eine solche Regelung zur Zeit leider nicht zu verwirklichen.Zweitens. Bei dieser Frage handelt es sich um das grundsätzliche Problem der Wahrung des Lohnbesitzstandes in den Fällen, in denen Arbeitnehmern aus gesundheitlichen Gründen zur Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses andere, geringer vergütete Tätigkeiten übertragen werden. Eine über die bereits geltenden tariflichen Bestimmungen hinausgehende Lohnbesitzstandsregelung kann nur durch eine tarifvertragliche Regelung herbeigeführt werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Olderog.
Herr Staatssekretär, empfinden Sie es nicht als eine grobe Ungerechtigkeit, daß für die Besatzungen der Handelsmarine, die dieselbe Tätigkeit ausüben wie die Zivilbesatzungen auf den Schiffen der Marine, eine andere soziale Regelung gilt, und besteht nicht insbesondere auch im Hinblick darauf eine grobe Ungerechtigkeit, daß auf Schiffen der Marine militärisches Personal allenfalls bis zum 55. Lebensjahr eine entsprechende Tätigkeit verrichtet?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Olderog, das Spannungsfeld in diesem Bereich ist der Bundesregierung bekannt. Das ergab sich auch schon — aus meiner Sicht jedenfalls — aus meiner Antwort. Ich habe vorhin auch ausgeführt, daß dem Abbau dieses Spannungsfeldes wegen der bekannten Problematiken Grenzen gesetzt sind.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, plant die Bundesregierung konkrete Schritte, um die auch von Ihnen anerkannte Ungerechtigkeit oder dieses Spannungsfeld abzubauen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Olderog, im Vorfeld einer Aktuellen Stunde, in der es auch um Finanzproblematiken geht, sollten Sie anerkennen, daß es sich hier um Hindernisse handelt, die nicht ohne weiteres zu beseitigen sind.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich daraus entnehmen, daß Sie den Verstoß gegen den Grundsatz der Gerechtigkeit hier als nicht sehr erheblich ansehen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Olderog, die Bundesregierung ist bemüht, gerade Gleichheit und Gerechtigkeit als Prinzipien des Handelns zu bewahren, beizubehalten und auszubauen.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir aus dem Bereich des Bundes eine andere Gruppe des öffentlichen Dienstes nennen, die in gleicher Weise damit rechnen muß, daß sie im vorgerückten Alter ihren sozialen Besitzstand verliert?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Olderog, das Gebiet des öffentlichen Dienstes ist so weit verzweigt, daß ich davon ausgehe, daß dies keine singuläre Regelung ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dallmeyer.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß eine ähnliche Problematik, wie sie in der Frage von Dr. Olderog zum Ausdruck kommt, auch bei den Besatzungen der Rheinbrücken in der Pioniertruppe — das sind auch zivile Mitarbeiter hier am Rhein — besteht?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Ich nehme diese Problematik zur Kenntnis.
Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß mit zunehmenden gesundheitlich bedingten Ausfällen bei diesen Besatzungen eines Tages unter Umständen die dann zu treffenden Regelungen teurer als die bis jetzt geübte Praxis werden?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Wir sind der Meinung, daß die Einsatzbereitschaft gerade dieser Personengruppe nicht geringgeschätzt werden kann.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Würzbach.
Herr Staatssekretär, wie schätzen Sie — auch vor dem Hintergrund der Debatte von heute morgen — die Wirkung auf eine solche Mannschaft an Bord, auf den Menschen, auf den Soldaten und auf das Team ein?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Würzbach, es ist ja unbestritten, daß es manche Politikfelder gibt, bei denen nicht nur die Sozialdemokraten, bei denen nicht nur die Freien Demokraten und die Christdemokraten Verbesserungen wünschen. Aber es ist ebenso unstrittig, daß es Grenzen gibt, gerade im finanziellen Bereich, die auch zu beachten sind.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Dr. Voss auf:In welcher Höhe ist der Bundesrepublik Deutschland Schaden z. B. durch Körperverletzungen von Soldaten und Beschädigungen an Sachmitteln der Bundeswehr bei den Bremer Ausschreitungen entstanden, und was ist bisher geschehen, um zivilrechtliche Schadensersatzforderungen durchzusetzen?Herr Staatssekretär, bitte.
Metadaten/Kopzeile:
1910 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Voss, bei der Demonstration am 6. Mai 1980 in Bremen sind Sachschäden an Bundeswehreigentum in Höhe von 72 677,38 DM entstanden. Weitere 1 343,14 DM sind an Bundeswehrangehörige gezahlt worden, deren persönliche Kleidung beschädigt worden war. An Heilbehandlungskosten sind 11 604,18 DM und an Bruttobezügen für die Zeit der Dienstunfähigkeit einzelner Soldaten 21 368,34 DM geleistet worden. Insgesamt beträgt demnach der Schaden der Bundesrepublik Deutschland in diesem Bereich bisher 106 993,04 DM.Die Ermittlungen der Bundeswehr reichen erfahrungsgemäß nicht aus, um mit prozeßbeständiger Sicherheit die Ersatzansprüche der Bundesrepublik Deutschland durchzusetzen. Aus diesem Grund werden die Ansprüche erst nach Abschluß der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und nach Anklageerhebung gegen die einzelnen Täter geltend gemacht. Im vorliegenden Fall werden zwei Schädiger als Gesamtschuldner in Anspruch genommen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Voss.
Herr Staatssekretär, sind die Schadensfeststellungen in diesem Falle nach derselben Art und Weise vorgenommen worden wie im Falle sonstiger Schäden oder hat man hier einen günstigeren, um nicht zu sagen, etwas nachlässigeren Maßstab angelegt, um die Bremer Krawalle im öffentlichen Bewußtsein etwas herunterzuspielen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Voss, ich gehe davon aus, daß diese Schadenssumme unter den Bedingungen, die in Ihrer Frage geschildert worden sind, sorgfältig und sehr genau ermittelt worden ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß bei der vorliegenden miserablen Finanzlage im Verteidigungsbereich das Ressort keinerlei Anlaß hätte, großzügig auf bestehende Ansprüche zu verzichten?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Der Bundesminister der Verteidigung ist bemüht, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, sobald dies möglich ist.
Ich bedanke mich, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Dr. Fröhlich zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 61 des Abgeordneten Engelsberger auf:
Wie viele Angehörige der Deutschen Kommunistischen Partei sind in den beiden letzten Jahren bei welchen Dienststellen des Bundes als Beamte entlassen und sofort wieder als Angestellte übernommen worden, und bedeutet ein solches Vorgehen nicht eine bewußte Umgehung des Grundsatzes, daß Verfassungsfeinde dem öffentlichen Dienst nicht angehören dürfen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wie in der Antwort der Bundesregierung vom 29. April dieses Jahres auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion bereits mitgeteilt worden ist, sind bisher sechs Beamte aus dem Bereich der Deutschen Bundesbahn aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden und sofort in das Arbeitnehmerverhältnis übernommen worden. Diese Zahl hat sich seither nicht erhöht.
Dienstrechtliche Grundsätze im Sinne Ihrer Fragestellung sind nicht berührt, weil auch Arbeitnehmer zur Loyalität gegenüber dem Staat und seiner Verfassungsordnung verpflichtet sind. Bei ihnen ist jedoch im Gegensatz zu den Beamten eine Differenzierung nach Funktionen möglich.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Engelsberger, bitte.
Herr Staatssekretär, muß ein solches Vorgehen nicht als eine rechtlich fragwürdige und politisch unverantwortliche Manipulation betrachtet werden, nachdem die Gerichte in einer aktiven Betätigung von Beamten in einer verfassungsfeindlichen Partei eine schwere Dienstpflichtverletzung sehen?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich darf auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in dem Beschluß vom 2. Mai 1975 Bezug nehmen, daß auch Angestellte und Arbeiter der Verfassungsloyalität unterliegen und daß auch in diesen Fällen Pflichtverstöße zu einer fristlosen Entlassung führen können, so daß insoweit nach Auffassung der Bundesregierung die rechtlichen Grundsätze, von denen Sie sprechen, gewahrt sind.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, sind diese vormaligen Beamten auf Grund ihrer entsprechend langen Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst auch als Angestellte bereits unkündbar, und wenn ja, muß dann dieses Vorgehen nicht als eine bewußte formale Umgehung des Grundsatzes angesehen werden, daß die aktive Betätigung von Verfassungsfeinden im öffentlichen Dienst eine schwere Dienstpflichtverletzung darstellt?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich habe bereits ausgeführt, daß der zuständige Dienstherr sich offenbar überzeugt hat, daß er es nicht mit aktiv tätigen Verfassungsfeinden zu tun hat. Denn er hätte sonst die Übernahme in das Arbeitnehmerverhältnis nach den Grundsätzen, die das Verfassungsgericht aufgezeigt hat, nicht vorgenommen.
Graf Stauffenberg, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hohen Hause darstellen, wie diese offenbare Überzeugung des Dienstherrn zustande gekommen ist, von der Sie gerade gesprochen haben?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1911
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, es handelt sich hier um Bedienstete, die j a bereits langfristig bei der Bundesbahn tätig waren. Ich bin sicher, daß im Zuge der langjährigen Beobachtung der Tätigkeit der Bediensteten im dienstlichen und im außerdienstlichen Bereich diese Überzeugung pflichtgemäß gebildet worden ist.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Der Fragesteller der Frage 67, Herr Abgeordneter Kübler, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Das gleiche gilt für die nächste Frage, die Frage 68 des Herr Abgeordneten Löffler. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
— Herr Abgeordneter Löffler, es wurde mir signalisiert, daß Sie um schriftliche Beantwortung gebeten haben.
— Gut, wenn Sie es anders wünschen, bitte sehr! Es wurde mir hier von der Verwaltung so gesagt. Aber bitte, Sie haben die Möglichkeit. — Herr Staatssekretär, hier ist eine Panne passiert. Ich bitte um Entschuldigung. Es ist eine Panne der Verwaltung. Mir wurde mitgeteilt, daß der Herr Abgeordneter Löffler um schriftliche Beantwortung gebeten habe. Hier ist ein Fehler passiert.
Ich rufe also die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Löffler auf:
Wie prüft die Bundesregierung die Praktikabilität ihrer Gesetzesvorschläge, und wonach bemißt sie das Verhältnis zwischen Verwaltungsaufwand und gesellschaftlichem Nutzen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, als Hilfe für die Prüfung der Praktikabilität und des Verwaltungsaufwandes wird den federführenden Ressorts in § 24 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien — Besonderer Teil — die Heranziehung des Sachverstandes beteiligter Fachkreise und Verbände nahegelegt. Darüber hinaus ist die Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände in § 23 und der Länder in § 26 vorgesehen.
In geeigneten Fällen kann die Abschätzung der Praktikabilität und des Verwaltungsaufwandes durch Planspiele verbessert werden. Die Möglichkeit hierfür ist jedoch angesichts des damit verbundenen Verwaltungs- und finanziellen Aufwandes begrenzt. In diesem Zusammenhang darf ich auf die Veranstaltungen der Bundesakademie für die öffentliche Verwaltung für Mitglieder von Gesetzgebungsreferaten verweisen, in denen Planspielen besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Darüber hinaus prüft der Bundesminister des Innern die ihm zugeleiteten Entwürfe anderer Ressorts wie auch die eigenen Entwürfe in einer sogenannten Verwaltungsförmigkeitsprüfung auf ihre Eignung für einfachen und bürgernahen Vollzug. Dabei hat sich die Notwendigkeit gezeigt, durch Entwicklung von Kriterien eine breitere Basis für diese Prüfung zu schaffen. Diesem Ziel dienen u. a. auch die Bemühungen einer interministeriellen Arbeitsgruppe, die sich unter wechselndem Vorsitz des Bundesministers des Innern und des Bundesministers der Justiz zur Zeit mit Vorschlägen zur Verbesserung des Gesetzgebungsprozesses befaßt.
Der Bundesminister des Innern hat bereits im Jahre 1980 eine Anhörung von Vertretern der Verwaltungspraxis und der Verwaltungswissenschaft u. a. zum Problem der Vollzugseignung von Gesetzen durchgeführt. Der Abschluß der Arbeiten setzt jedoch ein weiteres intensives Zusammenwirken von Vertretern der Verwaltungswissenschaft und der Verwaltungspraxis voraus. Da sich angesichts des beengten Haushaltes eine Kürzung der Mittel für gutachtliche Untersuchungen abzeichnet, können Ergebnisse allenfalls mittel- bis längerfristig erwartet werden.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage, Herr Abgeordneter, verweise ich auf § 40 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, wonach die Ressorts sowohl in der Begründung von Gesetzesvorlagen als auch im Vorblatt auf die voraussichtlich entstehenden Kosten eingehen müssen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Löffler.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß neben Planspielen, Gutachten, wissenschaftlichen Untersuchungen und Anhörungen vielleicht auch etwas gesunder Menschenverstand helfen würde, um Gesetze etwas praktikabler zu gestalten?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Ich würde das nicht ausschließen, Herr Abgeordneter.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie gerade schon von Planspielen gesprochen haben: Hat es schon einmal ein Planspiel von seiten der Bundesregierung gegeben, in dem ermittelt wurde, ob ein Gesetzestext, der zu 40 % aus Paragraphen und Absatznummern besteht, von den Beamten auch tatsächlich verstanden und angewandt werden kann?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Es haben in der letzten Zeit Planspiele stattgefunden, z. B. über das Jugendhilfegesetz im Jahre 1977 — durchgeführt vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit — und über das Gesetz zur Regelung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen — vom Bundesminister der Justiz veranstaltet. Die Ergebnisse waren, wie mir gesagt worden ist, positiv.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, fühlt sich die Bundesregierung dadurch innerlich getroffen, daß ausgerechnet ein Mitglied der SPD-Fraktion sie zur Anwendung des gesunden Menschenverstands auffordert?
Metadaten/Kopzeile:
1912 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Ich bin sicher, daß das ein gemeinsames Anliegen des gesamten Hohen Hauses ist, Herr Abgeordneter.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Die Frage 30 des Abgeordneten Jäger wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. von Dohnanyi zur Verfügung. Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Czaja auf:
Welche politischen und rechtlichen Vorstellungen hat die Bundesregierung im Anschluß an die Stuttgarter Rede des Bundesministers des Auswärtigen am B. Januar 1981 entwickelt, um das Europäische Rahmenwerk mit dem Ziel der Herbeiführung einer Europäischen Union zu fördern und auszubauen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, die Europäische Union ist ein Ziel, das die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit diesem Begriff seit 1972 verfolgen. Der Bundesaußenminister hat an dieses Ziel am 6. Januar 1981 erinnert und deutlich gemacht, daß sich die Aufgabe „Europa" nicht in der Lösung wirtschaftlicher Einzelfragen erschöpfen darf.
Diese grundsätzliche Anregung, den Gedanken der Europäischen Union erneut zu beleben, ist bei unseren europäischen Partnern weitgehend positiv aufgenommen worden. Die Gespräche, die geführt worden sind, dienen dazu, die Überlegungen und Vorschläge der Bundesregierung zu konkretisieren.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Czaja.
Herr Staatsminister, können Sie nicht sagen, welche politischen und rechtlichen Vorstellungen die Bundesregierung in diesen fünf Monaten seit der Ankündigung des Bundesaußenministers entwickelt hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich würde das gern auf eine andere Weise als von diesem Platz aus tun. Wenn ich jetzt beginnen würde, Einzelheiten zu konkretisieren, würde der Phase der Überlegungen, in der wir uns noch befinden, ein Charakter gegeben, der es uns am Ende nicht erlauben würde, mit unseren Vorschlägen vielleicht den breiten Konsens in der Gemeinschaft zu finden, den wir finden wollen.
Ich wäre deswegen dankbar, wenn mir eine andere Möglichkeit der Information über die Zwischenphasen der Überlegungen, die gegenwärtig in der Bundesregierung angestellt werden, gegeben würde.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Czaja.
Herr Staatsminister, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß die Öffentlichkeit eigentlich einen Anspruch darauf hätte, darüber informiert zu werden, welche Vorstellungen der Herr Bundesaußenminister im Ergebnis und in der Folge einer öffentlichen Rede am 6. Januar 1981 in den seither vergangenen fünf Monaten entwickelt hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, der Bundesaußenminister hat ja bestimmte Richtungen aufgezeigt, z. B. daß Sicherheitsfragen mit in die Überlegungen einzubeziehen sind.
Aber erlauben Sie mir, noch einmal darauf hinzuweisen, daß es in unserem gemeinsamen Interesse, in Ihrem Interesse und im Interesse der Bundesregierung liegt, daß wir Zwischenphasen von Überlegungen in der Bundesregierung nicht frühzeitig von der Regierungsbank her öffentlich machen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stercken.
Herr Staatsminister, könnte der Konsens mit anderen europäischen Regierungen, auf den Sie sich in dieser Frage berufen, bedeuten, daß diese Regierungen die Absicht haben, die den europäischen Regierungen schon seit vielen Jahren vorliegenden Vorschläge des vormaligen belgischen Ministerpräsidenten Tindemans wieder zur Erörterung zu stellen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich glaube nicht, daß das so gesagt werden kann. Der Bericht von Herrn Tindemans war sicherlich verdienstvoll, aber in vieler Beziehung vielleicht nicht konkret genug. Ich glaube, wir haben in der Europäischen Gemeinschaft und in der europäischen Zusammenarbeit eine Vielzahl von Berichten erarbeitet, die wegen ihres etwas zu allgemeinen Charakters dann nicht so konkret realisiert werden konnten, wie dies der Fall sein müßte. Ich hoffe, daß die Vorschläge der Bundesregierung einen konkreteren Charakter haben werden.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Hupka auf:Hat die Bundesregierung die Absicht, in absehbarer Zeit diplomatische Beziehungen zu Nordkorea aufzunehmen, oder plant sie, Handels- und Kulturbeziehungen entsprechend den Wünschen der nordkoreanischen Regierung zu eröffnen?Bitte, Herr Staatsminister.Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Nordkorea steht nicht zur Diskussion. Eine amtliche kulturelle Zusammenarbeit mit Nordkorea besteht nicht. Der Bundesregierung ist auch nicht bekannt, daß die nordkoreanische Regierung an einer solchen Zusammenarbeit interessiert wäre.Handelsbeziehungen mit Nordkorea bestehen seit vielen Jahren. Der Warenaustausch betrug 1980 rund 400 Millionen DM, wovon 340 Millionen DM auf
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1913
Staatsminister Dr. von DohnanyiEinfuhren aus Nordkorea und 60 Millionen DM auf Ausfuhren nach Nordkorea entfielen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hupka.
Herr Staatsminister, ist es richtig, daß dem Bundesaußenminister — laut „Frankfurter Allgemeine Zeitung" — vom Kollegen Möllemann empfohlen worden ist, das Angebot, mit Nordkorea Kontakte aufzunehmen, aufzugreifen, und um welches Angebot zur Kontaktaufnahme handelt es sich dabei?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich glaube, es gibt einen kürzeren Weg für Sie, zu ermitteln, was der Kollege Möllemann dem Bundesaußenminister vorgeschlagen hat. Ich würde Sie bitten, den Kollegen Möllemann direkt zu fragen.
Weitere Zusatzfrage.
Kann man davon ausgehen, daß die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Nordkorea einvernehmlich mit der EG, den USA und Südkorea geschehen würde?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich bin ganz sicher, daß wir einen solchen Schritt nicht ohne Konsultationen mit unseren Partnern vornehmen würden.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Sielaff auf:
Ist es richtig, daß auf der Frühjahrstagung der Außenminister des Nordatlantikpakts in Rom kritisiert wurde, in einigen Mitgliedstaaten seien die Sozialausgaben siebenmal höher als der Verteidigungsetat, während sie in den USA nur dreimal so hoch sind, und es alle Verbündeten begrüßt hätten, daß sich dieses Verhältnis auch in den anderen NATO-Staaten zugunsten der Verteidigungsausgaben ändere (s. Süddeutsche Zeitung vom 6. Mai), und heißt das, daß auch die Bundesregierung in Kürze den Sozialhaushalt zugunsten des Verteidigungsetats kürzen wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Sielaff, die Antwort auf Ihre Frage lautet nein. In dieser Form hat es weder Forderungen noch Vorwürfe gegeben.
Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatsminister, mir geht es eigentlich nicht so sehr um die Forderung als solche, sondern darum, ob die Bundesregierung, wie es in der „Süddeutschen Zeitung" steht, es zustimmend zur Kenntnis genommen hat, daß der Sozialetat zugunsten des Verteidigungsetats gekürzt werden sollte.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, mir ist von solchen Forderungen nichts bekannt.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Francke .
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bei der Festsetzung des Verteidigungshaushalts von dem ständig steigenden Bedrohungspotential der Warschauer-Pakt-Staaten ausgegangen, oder welche Kriterien haben zu dem vorhandenen Verhältnis zwischen Sozialhaushalt und Verteidigungshaushalt geführt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, weder die Bundesregierung noch dieses Haus stellen eine unmittelbare Relation zwischen Sozialhaushalt und Verteidigungshaushalt her. Der Verteidigungshaushalt richtet sich nach der Sicherheitslage und den Sicherheitsbedürfnissen der Bundesrepublik Deutschland. Selbstverständlich wird dabei auf die Gesichtspunkte Bezug genommen, die Sie vorgetragen haben, also auch auf eine Bedrohungsanalyse.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Hansen.
Herr Staatsminister, ausgehend davon, daß Sie den ersten Teil der Frage des Kollegen Sielaff — gewiß aus Versehen — nicht beantwortet haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie denn bestätigen können, was in der „Süddeutschen" dargestellt wurde, daß nämlich die Sozialausgaben in einigen Mitgliedstaaten siebenmal größer als die Mittel des Verteidigungsetats seien, und ist dies auf der NATO-Tagung kritisiert worden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: So, Herr Kollege Hansen, ist dies nicht gesagt worden. Die Zahlen würden sich in dieser Weise auch in keinem Mitgliedstaat ergeben.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Sielaff.
Herr Staatsminister, darf ich dann fragen, ob dies kritisiert worden ist, oder entspricht es nicht den Tatsachen, was in der „Süddeutschen Zeitung" vom 6. Mai 1981 zu lesen ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe versucht, Ihre Frage unter Bezugnahme auf die „Süddeutsche Zeitung" zu beantworten. Ich muß offen gestehen, daß ich die „Süddeutsche Zeitung" im ganzen jetzt nicht vorliegen habe und daher nicht zu jedem einzelnen Wort, das in dem von Ihnen herangezogenen Artikel gedruckt worden ist, Stellung nehmen kann. Sicher ist — ich will das noch einmal wiederholen —, es hat weder in der hier implizierten Form Vorwürfe gegeben, noch sind derartige Zahlenverhältnisse genannt worden. Es handelt sich wahrscheinlich um eine Verwirrung hinsichtlich der Zuwachsraten, die in verschiedenen Mitgliedstaaten für den Verteidigungshaushalt real ins Auge gefaßt sind.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dallmeyer.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es sich bei den beiden Haushalten, die in Rede stehen, nicht um
Metadaten/Kopzeile:
1914 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Dallmeyereinen Gegensatz handeln kann, sondern daß der eine Haushalt den anderen bedingt?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, das ist richtig. Ich habe das schon vorhin gesagt. Die beiden werden nicht zueinander ins Verhältnis gesetzt. Der Verteidigungshaushalt hat seine Aufgaben zu erfüllen und der Sozialhaushalt die seinen. Beide müssen natürlich unter dem Gesichtspunkt von Prioritäten und den Möglichkeiten der gesamtstaatlichen Finanzen gesehen werden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 34 und 35 des Abgeordneten Milz wurden vom Fragesteller zurückgezogen.
Ich rufe Frage 36 der Frau Abgeordneten Hoffmann auf:
Welche Information hat die Bundesregierung über den Zeitpunkt, zu dem von der regierenden Junta frühestens Wahlen in Nicaragua beabsichtigt sind, und welche einschränkenden Interpretationen sind ihr über den beabsichtigten Charakter und die Umstände solcher Wahlen bekannt geworden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, der Verteidigungsminister Humberto Ortega hat Ende August 1980 ein offizielles Kommuniqué des nationalen Direktoriums des FSLN bekanntgegeben, wonach das Volk von Nicaragua 1985 das Regierungsprogramm und die besten Persönlichkeiten des Landes wählen wird, die in ihrem Regierungsamt die Aufgaben der Revolution weiter vorantreiben sollen. Das Kommuniqué, auf das ich Bezug genommen habe, stellt weiter fest, daß die Sandinistische Befreiungsfront die authentische Avantgarde des nicaraguanischen Volkes sei, die die Macht am 19. Juli 1979 an der Spitze des nicaraguanischen Volkes ergriffen hat. Detaillierte Vorstellungen der Regierung von Nicaragua über die in vier Jahren abzuhaltenden Wahlen sind bisher nicht vorgelegt worden.
Zusatzfrage? — Bitte, Frau Abgeordnete.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß optimistische politische Lagebeurteilungen hinsichtlich demokratischer Wahlen in Nicaragua schon dadurch eingeschränkt werden, daß mit der sandistischen Parteiorganisation FSLN eine ideologisch marxistisch-leninistisch fixierte Gruppierung das gesamte System der Staatsorganisation beherrscht?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, ich halte das für eine sehr einseitige Betrachtung der Lage in Nicaragua.
Nach allen Gesprächen, die wir immer wieder mit Vertretern der nicaraguanischen Regierung geführt haben, charakterisiert dies die Absichten dieser Regierung nicht richtig. Wir sind dennoch besorgt über einige Entwicklungen in Nicaragua.
Zweite Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bereits bei Ankündigung eines Wahltermins für das Jahr 1985 in Nicaragua eine dahin gehende Einschränkung gemacht wurde, daß zwar Wahlen vorgesehen seien, allerdings nicht im Sinne eines, wie man dort sagt, „bürgerlichen Lotteriespiels"?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, solche Bemerkungen sind uns bekannt. Man muß bei der Beurteilung solcher Äußerungen und Vorstellungen berücksichtigen, wie schwierig es ist, in einem Lande mit der Geschichte Nicaraguas und mit dem heutigen Stand von Einkommen und wirtschaftlicher Produktivität ein demokratisches System nach unserer Erfahrung aufzubauen. Ich will noch einmal sagen: Ich habe weiterhin Vertrauen, daß die Regierung in Nicaragua den Versuch macht, Nicaragua aus der Revolution voran in eine demokratische Gesellschaft zu führen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Luuk.
Herr Staatsminister, ist nach 40jähriger Diktatur und weitgehender Zerstörung der politischen und wirtschaftlichen Infrastrukturen in Nicaragua eine so rasche Institutionalisierung der Demokratie, wie sie von der Opposition gefordert wird, überhaupt denkbar?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, ich glaube, daß Sie einen kritischen Punkt der Schwierigkeiten in Nicaragua berührt haben. Aber auf der anderen Seite möchte ich sagen, daß es niemandem — weder dem Hohen Haus auf der einen Seite, noch der Regierung auf der anderen Seite — möglich wäre, hierüber gewissermaßen aus der Hand ein Urteil zu fällen. Ich wiederhole: Ich habe Vertrauen, daß die Regierung in Nicaragua versucht, den Weg in die Demokratie zu gehen, auch unter den schwierigen Umständen, die Sie beschrieben haben.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Hennig.
Herr Staatsminister, wie würden Sie einen vergleichbaren Sachverhalt kommentieren, wenn im Nachbarstaat El Salvador sechs Jahre nicht gewählt werden dürfte?Dr. von Dohnanyi, Staatsminster: Herr Kollege, wenn im Staate El Salvador die Voraussetzungen für eine breite soziale Reform und für die Berücksichtigung der Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung ohne den Widerstand insbesondere rechter Militärkreise so erfolgreich vorangetrieben worden wären, wie dies heute bereits in Nicaragua der Fall ist, dann gäbe es nach meiner Meinung keine Schwierigkeiten, unmittelbar Wahlen abzuhalten.
Unsere Kritik an der Lage in El Salvador geht dahin, daß immer noch in unerträglichem Umfange terroristische Gewalt ausgeübt wird und daß — wie wir aus vielen Stellungnahmen wissen und auch aus Ent-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1915
Staatsminster Dr. von Dohnanyischeidungen, die der amerikanische Senat in dieser Frage erst vor wenigen Stunden getroffen hat — ein erheblicher Teil der Schuld unkontrollierbaren rechten Militärkreisen zuzuschreiben ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Thüsing.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß die Regierung von Nicaragua lediglich die Wahlkampfzeit eingeschränkt und bisher nur festgelegt hat, daß diese Wahlkampfzeit erst 1984, also ein Jahr vor den Wahlen, beginnen darf und daß ansonsten bisher kein Wahlmodus festgelegt wurde?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich sagte das vorhin bereits, Herr Kollege.
Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Hansen.
Herr Staatsminister, können Sie zur Unterrichtung der Kollegen der Opposition meiner Bewertung zustimmen, daß der Demokratisierungsprozeß in Nicaragua heute auch wesentlich dadurch gehemmt wird, daß in den USA und mit Hilfe der USA in anderen lateinamerikanischen Staaten Exil-Nicaraguaner zum Einsatz gegen den nicaraguanischen Staat militärisch ausgebildet werden und daß einer der Anwälte erst kürzlich im Fernsehen erklärt hat, der dritte Weltkrieg haben bereits begonnen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir haben nach diesen Berichten selbstverständlich unsere amerikanischen Partner auf diesen Sachverhalt hin befragt. Uns ist von seiten der amerikanischen Regierung versichert worden, daß nicht nur diese Ausbildungen, die in Amerika stattfinden, nicht gefördert werden, sondern daß man sogar versucht, dem von staatlicher Seite entgegenzuwirken. Richtig ist allerdings, daß aus nicaraguanischer Sicht die Unsicherheit in Zentralamerika dazu beitragen, den Demokratisierungsprozeß zu erschweren.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Francke .
Herr Staatsminister, akzeptiert die Bundesregierung den ausgesprochenen Gedanken der Kollegin Luuk, daß bei schwierigen sozialen und politischen Verhältnissen die Diktatur einer Partei und damit die Verletzung demokratischer Verhaltensregeln hingenommen werden muß?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich habe vorhin zu erläutern versucht — so habe ich auch die Kollegin verstanden — daß auch aus unserer Sicht und aus der gemeinsamen Erfahrung, die wir alle mit und in Entwicklungsländern gemacht haben, die Einführung demokratischer Spielregeln, wie sie in den hochentwickelten Industriestaaten funktionieren, mit großen Schwierigkeiten verbunden ist. Ich glaube, nur das wollte die Kollegin vorhin sagen. Sie ist ja nicht gegen demokratische Regeln aufgetreten.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Ich rufe die Frage 37 der Frau Abgeordneten Hoffmann auf:
Kann die Bundesregierung Informationen bestätigen, daß die Streitkräfte Nicaraguas unter Somoza 15 000 Mann umfaßten und nach der Revolution wesentlich aufgestockt worden sind, und wie bewertet die Bundesregierung diese Militarisierung eines notleidenden Landes?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Der Bundesregierung liegen derartige Informationen vor. Ein Grund für diese Entwicklung besteht vermutlich in der politischen Instabilität, von der ich schon sprach, die heute in Zentralamerika gegeben ist. Die Bundesregierung hat diese Frage gegenüber nicaraguanischen Gesprächspartnern aufgeworfen.
Zusatzfrage, bitte Frau Abgeordnete.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung angesichts der gegenwärtigen Stärke der Armee Nicaraguas, die zur Zeit mehr Soldaten umfaßt als die Armeen der Staaten Guatemala, Honduras, Panama und El Salvador zusammen, die Besorgnis, daß diese Streitmacht eine Bedrohung des Gleichgewichts in Zentralamerika und insbesondere für solche Staaten darstellt, die wie z. B. Costa Rica keine Armee unterhalten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, wir haben über diese Fragen auch mit den uns besuchenden Gästen aus Costa Rica oder Honduras gesprochen. Es war nicht mein Eindruck, daß dort eine solche Befürchtung gesehen wird, sondern mein Eindruck war, daß auch dort eher die Erklärung akzeptiert wird, die ich eben vorgetragen habe.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß vor dem Hintergrund dieser Aufrüstung der Kommandeur der Miliz in Nicaragua Eden Pastora von Costa Rica die Abtretung der costaricanischen Provinz Guanacaste an Nicaragua gefordert hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, dies ist mir in dieser Form nicht bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Thüsing.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß Nicaragua ständig von außen bedroht wird, vor allem aus solchen Staaten, in denen jetzt Mitglieder der Armee des früheren nicaraguanischen Diktators Somoza operieren und dort sogar Teil der jeweiligen Landesstreitkräfte geworden sind, und daß dies vor allem für Honduras zutrifft, wo allein 6 000 Angehörige der ehemaligen
Metadaten/Kopzeile:
1916 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
ThüsingStreitkräfte Somozas durch ständige Grenzüberfälle Nicaragua bedrohen?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Sie wissen, Herr Kollege, daß gerade in der allerletzten Zeit zwischen Honduras und Nicaragua über diese Frage gesprochen worden ist und daß die Regierung in Honduras den Versuch macht, die hier von Ihnen beschriebenen Probleme zu mildern. Aber richtig ist gewiß, daß die Regierung in Nicaragua angesichts der allgemeinen Instabilität in der Region — ich sage das noch einmal — offenbar der Überzeugung ist, daß sie für die eigene Sicherheit eine stärkere Militärmacht braucht.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Luuk.
Herr Staatsminister, könnte die Aufstockung der nicaraguanischen Streitkräfte auch darin begründet sein, daß seit dem Sturz Somozas die Bedrohung von außen erheblich gewachsen ist, weil sich die Streitkräfte Somozas hauptsächlich mit den innenpolitischen Gegnern beschäftigt haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, ich glaube, ich habe die Frage eben schon beantwortet. Dies ist ein Teil der Instabilität, von der hier gesprochen wurde, und sicherlich ein wichtiges Motiv für diese Aufstockung der Armee in Nicaragua.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Hennig.
Herr Staatsminister, nachdem Sie mehrfach betont haben, dies sei ein Motiv, frage ich: Welche sonstigen Motive sieht die Bundesregierung für diese Militarisierung?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich glaube, daß man die Lage in Nicaragua nur von innen her beurteilen kann. Die gesamte Entwicklung des Landes war von einer, wie Sie wissen, breit akzeptierten Revolution getragen. Der Austausch von Kräften in diesem Lande führte sicherlich — oder mindestens zu einem Teil — über die sandinistische Armee. Ich glaube, man muß diesen Gesichtspunkt auch sehen.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Broll.
Herr Staatsminister, indem ich Ihrer Aussage zustimme, daß die Entwicklung dort weitgehend vom Innern her beurteilt werden müsse, frage ich Sie: Ist es nicht eine allgemeine Erfahrung mit autoritären, totalitären Systemen, daß sie die Notwendigkeit großer Armeen immer mit der Bedrohung von außen begründen, während sie sie doch nach innen einzusetzen pflegen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, das ist sicher richtig. Da die Regierung in Nicaragua keine totalitäre ist, da sie vielmehr eine totalitäre durch Revolution beseitigt hat,
hat Ihr Argument in diesem Zusammenhang wenig Gewicht.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Köhler auf:
Hat die Bundesregierung verläßliche Informationen darüber, daß in Nicaragua alsbald Wahlen stattfinden werden, die als allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim bezeichnet werden können?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, nach den der Bundesregierung vorliegenden Informationen hat die Regierung von Nicaragua Wahlen für 1985 angekündigt. Ein Wahlgesetz und ein Verfassungsentwurf, mit deren Ausarbeitung der Staatsrat beauftragt wurde, liegen — wir sprachen bereits davon — noch nicht vor. Erst auf Grund dieser gesetzlichen Regelungen — und dann selbstverständlich auf Grund ihrer Durchführung — wird sich beurteilen lassen, ob die Wahlen im demokratischen Sinne als frei bezeichnet werden können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, abgesehen von einer gewissen akustischen Schwierigkeit habe ich Sie so verstanden — und bitte Sie, mir das noch einmal zu bestätigen —, daß also für einen Zeitraum von nahezu fünf Jahren Wahlen, die in unserem Sinne als allgemein, frei, gleich und geheim zu betrachten sind, nicht in Sicht sind.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ja, das ist die gegenwärtige Lage.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung — auch angesichts unserer Vergabe von recht beträchtlichen Entwicklungshilfemitteln nach Nicaragua — bereit, in diesem Zusammenhang auf eine Beschleunigung des Demokratisierungsprozesses zu drängen, wie sie das gegenüber vielen anderen Ländern tut?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir drängen in Nicaragua auf eine Stabilisierung der Demokratie. Es ist wirklich von außen her nicht zu entscheiden, ob ein Land, das 50 Jahre diktatorisch regiert wurde,
innerhalb einer so kurzen Zeit die Regeln der parlamentarischen Demokratie voll einführen kann. Hier muß man Spielraum für Entscheidungen lassen.Wichtig ist, daß im übrigen die demokratischen Verhältnisse vorangetrieben werden und daß die persönliche Freiheit, die Meinungsfreiheit, erhalten bleiben. Das sind Gesichtspunkte, die bei uns hinsichtlich der Vergabe von Mitteln für Entwicklungshilfe sicherlich im Vordergrund stehen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1917
.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Simonis.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung überhaupt bekannt, in welchen Ländern dieser Welt freie, geheime und — wie das hier so schön heißt — unmittelbare und allgemeine Wahlen stattfinden, und ist es nicht vielmehr Aufgabe der deutschen Entwicklungshilfe, wie sie auch von den politischen Stiftungen, z. B. von der KonradAdenauer-Stiftung, durchgeführt wird, diese freien, geheimen, gleichen und allgemeinen Wahlen in den Ländern, von denen hier die Rede ist, zu ermöglichen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Das ist richtig, Frau Kollegin. Die Bundesregierung versucht im Rahmen ihrer Möglichkeiten und unter Berücksichtigung der Nichteinmischung in die Entwicklung anderer Staaten, auch die Abhaltung freier Wahlen zu fördern, weil diese eine Voraussetzung für die Entwicklung einer wirklichen Demokratie sind.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 39 des Abgeordneten Köhler auf:
Ist die Bundesregierung darüber unterrichtet, daß der nicaraguanische Verteidigungsminister Humberto Ortega am 23. August 1980 in Gegenwart des costaricanischen Präsidenten Carazo verkündet hat, Wahlen sollten nur stattfinden, um die Auswahl der für den revolutionären Prozeß Verantwortlichen zu verbessern, der schon in den Händen des Volkes sei, das durch seine Vorhut, die FSLN, repräsentiert werde, also gewissermaßen nur eine innerparteiliche Wahl ankündigte, und wie bewertet die Bundesregierung eine solche „Wahl", die den pluralistischen Kräften keinen Raum mehr ließe?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, der Bundesregierung sind die Äußerungen des nicaraguanischen Verteidigungsministers Ortega bekannt. Der Aufbau einer sozialen demokratischen Ordnung in einem Entwicklungsland ist nicht mit den Maßstäben einer Industrienation zu messen. Wenn Nicaragua heute — im Vergleich zur Diktatur Somozas — auf dem Wege zu einem sozialen Rechtsstaat Fortschritte machen kann, verdankt es dies allein der vom ganzen Volk getragenen sandinistischen Revolution gegen Somoza.
Eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatsminister, da wir uns nun schon die ganze Zeit darüber unterhalten, was in einem Entwicklungsland an Demokratie möglich ist, möchte ich von Ihnen doch gern wissen, warum eigentlich in Simbabwe Wahlen und Demokratie in einem Maße möglich gewesen sind, das Sie offenbar für Nicaragua völlig ausschließen.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe es ja nicht ausgeschlossen. Ich habe darauf hingewiesen, daß man in jedem Land die besondere Entwicklung berücksichtigen muß. Der Übergang von Rhodesien in Simbabwe geschah unter anderen Umständen und war anderer Art als der, der durch die sandinistische Revolution in Nicaragua erfolgte.
Ich bitte wirklich darum, die Bundesregierung hier nicht zum Schiedsrichter darüber zu machen, zu welchem Zeitpunkt in welchem Staat Wahlen durchgeführt werden können.
Wir teilen mit Ihnen die Sorgen und das Interesse, daß in dem hier zur Diskussion stehenden Land, in Nicaragua, Fortschritte in Richtung Demokratie gemacht werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Köhler.
Herr Staatsminister, nachdem Sie jetzt in dieser Frage Kriterien entwickelt haben, die die Möglichkeit von Wahlen und Demokratie betreffen, möchte ich von Ihnen gern wissen, ob Sie bereit sind, diese Kriterien in gleicher Weise auch auf andere Länder wie z. B. die Türkei und Chile anzuwenden.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Aber, Herr Kollege, ganz gewiß. Sie wissen ja, daß die Bundesregierung Verständnis für die Entscheidungen gezeigt hat, die in der Türkei unter den gegebenen Bedingungen gefallen sind. Allerdings wird auf Grund der dort bestehenden demokratischen Tradition auch erwartet, daß zu einem möglichst frühen Zeitpunkt auf diese Tradition zurückgegriffen wird. Das ist ein anderer Fall als der in Nicaragua, und zwar weil die Diktatur in Nicaragua über so viele Jahrzehnte bestanden hat.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Hennig.
Herr Staatsminister, gibt es Verbündete und Partner der Bundesrepublik Deutschland, die Ihre soeben gegebene Analyse teilen, daß sich Nicaragua in der gegenwärtigen Situation auf dem Wege zum sozialen Rechtsstaat befindet?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ja, Herr Kollege, das ist richtig, es gibt solche. Die Lage wird zwar mit Schattierungen unterschiedlich beurteilt. Das ist ja auch durchaus in Ordnung. Aber wir stehen mit unserer Auffassung über die Möglichkeiten, die in der Entwicklung in Nicaragua enthalten sind, nicht allein.
Eine weitere Frage des Abgeordneten Thüsing.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß die in der Frage inhaltlich erhobene Forderung, den pluralistischen Kräften mehr Raum zu geben, einen entscheidenden und zentralen Stellenwert im Konzept des nordamerikanischen CIA gerade zur Verhinderung demokratischer Entwicklungen und zur Wiedereinsetzung von Diktaturen hat?
Metadaten/Kopzeile:
1918 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe Sie im Augenblick akustisch nicht verstehen können; es tut mit leid.
Einen Augenblick, meine Damen und Herren. Ich bitte doch, Platz zu nehmen. Es ist für die Fragebeantworter kaum möglich, die Fragen akustisch zu verstehen. Ich kann auch nicht übersehen, wer sich noch zu einer Frage meldet.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß die in der Fragestellung enthaltene Forderung, den pluralistischen Kräften mehr Raum zu geben, im Konzept des CIA zur Verhinderung demokratischer Entwicklungen und zur Wiedereinsetzung von Diktaturen einen entscheidenden strategischen Stellenwert hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, so würde ich das nicht sehen. Ich glaube, daß hier die Entwicklung in Nicaragua zur Debatte steht. Ich wiederhole, wir haben Anhaltspunkte dafür, daß dort die Entwicklung in Richtung auf demokratische Verhältnisse, gestützt auf die Ergebnisse der Revolution, voranschreitet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ehmke.
Herr Staatsminister, könnten Sie mir zustimmen, daß die Politik der Bundesregierung gegenüber Nicaragua von dem Bemühen bestimmt ist, Fehler zu vermeiden, mit denen in den fünfziger Jahren die amerikanische Politik dazu beigetragen hat, die kubanische Revolution in die Hände der Sowjetunion zu treiben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, das ist sicherlich richtig. Die Tatsache, daß die Entwicklung in Nicaragua mit der sandinistischen Revolution pluralistisch begonnen hat, gibt uns eine große Hoffnung und läßt uns die Unterstützung für Nicaragua fortsetzen.
Eine weitere Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Simonis.
Herr Staatsminister, würden Sie mit mir übereinstimmen, daß die Bundesregierung gezwungen wäre, eine Bewertung aller Wahlen in der Welt, wie z. B. der kürzlich in der Südafrikanischen Union abgehaltenen, auf Freiheit, Gleichheit, Allgemeinheit vorzunehmen, wenn dieses, wie in diesem Fall gewünscht, der Sündenfall wäre?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich wiederhole, Frau Kollegin, daß man die Lage unter den jeweils bestehenden Bedingungen des Landes betrachten muß.
Meine Damen und Herren, wir sind nunmehr am Ende der Fragestunde. Die Fragen 53 der Abgeordneten Frau Roitzsch, 115 und 116 der Abgeordneten Frau Terborg, 117 und 118 des
Abgeordneten Reuter, 119 und 120 des Abgeordneten Börnsen, 121 und 122 des Abgeordneten Fischer sowie 123 und 124 des Abgeordneten Auch sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die übrigen nicht erledigten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Frau Abgeordnete Wilms.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich beantrage namens der CDU/CSU-Fraktion eine Aktuelle Stunde, weil die Beantwortung unserer Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung, insbesondere zu dem ganzen Komplex der Finanzierung seines Haushaltes, für uns mehr als unbefriedigend war
und weil im Gegenteil dadurch sogar neue Fragen aufgeworfen worden sind, die im Rahmen der Fragestunde nicht weiter differenziert und schon gar nicht mehr beantwortet werden konnten.
Wir bitten um die Aktuelle Stunde.
Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU hat gemäß Nr. 1 Buchstabe b der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu der Antwort der Bundesregierung auf die Frage Nr. 16 des Abgeordneten Würzbach verlangt. Die Aussprache muß nach Nr. 2 Buchstabe a dieser Anlage 5 unmittelbar nach Schluß der Fragestunde durchgeführt werden.
Wir treten in die
Aktuelle Stunde
ein.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wörner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Antworten der Bundesregierung haben all jene Eindrücke bestätigt, die jeder Beobachter des Durcheinanders gewinnen mußte, das in den letzten Wochen und Monaten die Finanzplanung der Bundesregierung beherrscht hat.Lassen Sie mich die Schlußfolgerungen für die CDU/CSU in vier Punkten zusammenfassen.Erstens. Die Finanzplanung und das Haushaltsgebaren der Bundesregierung sind abenteuerlich. Sie können wirklich nur noch mit den Worten „unseriös" und „abenteuerlich" gekennzeichnet werden.
Was Sie hier treiben, gleicht weit eher einem Verwirrspiel als einer seriösen Haushaltsberatung,
die dieses Parlament beanspruchen kann. (Beifall bei der CDU/CSU)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1919
Dr. WörnerNiemand hat mehr den Durchblick, weder der Finanzminister noch der Verteidigungsminister.
Nur zwei Beispiele aus dem Bereich der Verteidigung. Der Verteidigungsminister legte gestern im Verteidigungsausschuß eine Liste vor, laut der für den Treibstoffbedarf 155 Millionen bewilligt werden. Am 6. Mai 1981 hat derselbe Verteidigungsminister vor dem Verteidigungsausschuß folgendes erklärt — ich zitiere wörtlich —:Nach heutigem Preisstand bedeutet das Mehraufwendungen in Höhe von 155 Millionen. Dieses reicht aber inklusive Heizöl nicht aus. Daher werden für Betriebstoff rund 250 Millionen zu fordern sein.Heute aber sagt er: 155 Millionen sind genug.Herr Apel, wann hören wir eigentlich endlich einmal die volle Wahrheit über die Haushaltslage von Ihnen?
Zweitens. Auch der Umgang, den die Bundesregierung mit diesem Parlament inzwischen treibt, kann nur noch als skandalös bezeichnet werden.
So etwas hat es in diesem Haus überhaupt noch nie gegeben!
Herr Matthöfer, Sie legen einen Haushalt vor, von dem jeder — Sie eingeschlossen — weiß: Er ist nicht seriös; er ist nicht realistisch. Dann kommen wochenlang jeden Tag neue Zahlen auf den Tisch: von Ihnen, vom Verteidigungsminister.
Die Meldungen widersprechen einander.
Gestern morgen im Kabinett faßten Sie eilige Entscheidungen, die Sie gar nicht als Entscheidungen deklarieren. Sie weichen vor Ihrer Verantwortung wieder einmal aus. Sie schieben wieder einmal die Verantwortung dem Parlament zu. Sie fliehen vor Ihrer Verantwortung. So kann eine Bundesregierung nicht handeln, die sich ihrer Verantwortung für das Wohl der Bundesrepublik Deutschland bewußt ist.
Und am Nachmittag dieses Tages trifft der Verteidigungsausschuß mit der Mehrheit der Stimmen der Koalition eine Entscheidung, obwohl feststeht: Es gibt weder eine gültige Fünfjahresplanung der Bundeswehr noch fortgeschriebene geheime Erläuterungen.
Es gibt lediglich eine pauschale Aufstellung, aus der niemand erkennen kann, das wirklich gekürzt, was nicht gekürzt, was zusätzlich bewilligt ist.
Ich kann nur sagen: Auf dieser Grundlage kann der Deutsche Bundestag seiner Kontrollaufgabe vor dem deutschen Volk nicht gerecht werden.
Drittens. Die Bundeswehr ist auf Grund dieser Situation nicht mehr in der Lage, ihren Auftrag voll zu erfüllen. Jeder, der das Gegenteil behauptet — das gilt auch für den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland — kennt entweder die Wirklichkeit der Truppe nicht oder aber schönt diese Wirklichkeit ganz bewußt und täuscht die Bürger der Bundesrepublik Deutschland über die Wirklichkeit.1979 hat die de Maizière-Kommission, die von Ihnen eingerichtet wurde, schon festgestellt: Auftrag und Mittel decken sich nicht mehr. Jetzt haben Sie wieder gekürzt, Sie haben gestrichen, Sie haben gestreckt. Dann hat es in Ihrem eigenen Haus, Herr Apel, Berechnungen gegeben, daß allein im Beschaffungssektor gegenüber den verbindlichen Zusagen Ihres Hauses 1,47 Milliarden DM fehlen. Sie selbst sind mit einem Fehlbetrag von 1,1 Milliarden DM vor das Kabinett getreten. Jetzt haben Sie 850 Millionen DM bekommen. Niemand weiß, woher der Restbedarf kommen kann. Ich kann nur sagen: wer jetzt noch behauptet, die Bundeswehr könne ihren Auftrag erfüllen, der muß sich vor dem die Augen zuhalten, was in dieser Truppe wirklich passiert.
Ich komme zu einem letzten Punkt. Herr Apel, vor drei Tagen haben Sie für die Bundesregierung im Bündnis bei der Tagung der Verteidigungsminister 500 Millionen DM für Infrastrukturvorhaben versprochen. Sie haben wieder ein Kommuniqué unterschrieben, wonach Sie Ihre Verteidigungsaufwendungen steigern werden. Im Haushaltsplanentwurf, auch im korrigierten, findet sich nicht ein einziger Pfennig der Zusagen, die Sie in Brüssel gegeben haben.
Da kann ich nur sagen: So verspielt man sich seine Glaubwürdigkeit auch im internationalen Bereich, so untergräbt man die Zuverlässigkeit der deutschen Politik, so darf es mit dieser Bundesregierung nicht weitergehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Würtz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Wörner,
Metadaten/Kopzeile:
1920 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
WürtzSie versuchen, die Finanzen der Bundeswehr krankzureden.
In Teilbereichen scheint Ihnen das auch gelungen zu sein.
Ich will gleich auf das eingehen, was Sie zum Treibstoff gesagt haben. Mit der Erhöhung, die uns jetzt vorgeschlagen worden ist, können wir nahezu die gleiche Menge Treibstoff wie im Vorjahr kaufen.
— Herr Kollege Dr. Barzel, es fehlen etwa 5 %.
Überall in dieser Republik wird Treibstoff gespart, und dies wird auch die Bundeswehr tun.
Ich sage Ihnen aber ganz deutlich: Wenn es so schlimm wäre, Herr Kollege Dr. Wörner, wie Sie es der Öffentlichkeit weismachen wollen, so sollten wir einmal annehmen, wir seien in dieser Notsituation die Ärzte.
Wir sind diejenigen, die versuchen wollen, die schwierige Situation bei der Bundeswehr zu lösen. Wir sind inzwischen schon bei der Apotheke gewesen; wir haben die Spritze aufgezogen.
Ich habe das Empfinden, als wenn uns Dr. Wörner nun nicht in das Zimmer hineinlassen will, um dem Patienten die Spritze zu verpassen, die notwendig ist.
Dr. Wörner, sehen Sie sich vor, daß Ihnen zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht der Vorwurf gemacht wird, Sie hätten sich der Unterlassung einer Hilfeleistung schuldig gemacht.Wir haben volles Verständnis dafür, daß die Öffentlichkeit dem Thema, wie es mit den Finanzen bei der Bundeswehr aussieht, großes Interesse entgegenbringt. Da ist natürlich sofort die Frage zu stellen, ob die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes durch die Bundeswehr im Rahmen des Bündnisses noch gewährleistet ist. Dann wird sofort die Frage gestellt, ob die Bundeswehr auf Grund der für den Betriebsstoff fehlenden Mittel ab Oktober etwa stillstehen muß. Weiter wird sofort die Frage gestellt, ob in der Bundeswehr überhaupt noch ausgebildet werden kann. Es wird auch gefragt, ob die Munition noch ausreicht. Als einer der Berichterstatter im Haushaltsausschuß sage ich Ihnen: Jede Frage kann mit Ja beantwortet werden.
Ich gebe aber zu, daß wir die 850 Millionen DM zulegen müssen. Ich kann die Erregung und Aufregung der Opposition in diesem Bereich nicht verstehen, zumal wir im Augenblick im Haushaltsausschuß Haushaltsberatungen haben und versuchen, die Aktualisierung der Titel und Kapitel vorzunehmen. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß in diesem Zusammenhang Bundesregierung und Koalitionsfraktionen einen abgestimmten Vorschlag erarbeitet haben, der die Erhöhung des Verteidigungshaushaltes um 850 Millionen DM vorsieht. Der Verteidigungsausschuß hat gestern darüber beraten. Wir werden als Haushaltsausschuß mit den Beratungen zügig beginnen. Das Parlament ist für mich jedenfalls Herr der Situation.Aber dann muß man auch einmal die Frage stellen, wie es denn überhaupt zu diesem Problem gekommen ist.
Sie wissen wie ich, daß das vorgezogene Programm beim Tornado uns im vorigen Jahr die 1,3 Milliarden DM — —
— Sie wissen das doch viel besser, Herr Kollege Würzbach, als ich.
Weil Sie immer im Verteidigungsausschuß waren, wo Ihnen sorgfältig vorgetragen worden ist, wie es sich entwickelt hat, wissen Sie doch besser als ich, daß im Dezember 1980 1,3 Milliarden DM fehlten. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß noch 265 Millionen DM mehr fehlen. Nun muß man sich einmal anschauen, wie wir das gelöst haben!
700 Millionen DM sind im Dezember vom Kabinett draufgelegt worden. In einer schwierigen Situation, in der wir uns befinden, wenn man den Gesamthaushalt betrachtet, sind jetzt 850 Millionen DM vorgesehen. Im Haushaltsausschuß werden wir sehr sorgfältig nachschauen, ob die 850 Millionen DM auch wirklich gebraucht werden.
Ich füge hinzu: Für mich ist mit dieser Summe von 850 Millionen DM der Bundesverteidigungsminister in der Lage, die Aufgaben zu erfüllen. Der Verteidigungshaushalt 1981 wird, wenn wir ihn so verabschieden, eng sein, er wird auch die Bundeswehr zu Sparsamkeit zwingen; aber er ist bedarfsgerecht,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1921
Würtzund die Bundeswehr wird ihren Auftrag zukünftig erfüllen können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Verteidigungsetat im Haushaltsausschuß nicht zu beraten, aber hier so zu tun, als könne man ihn beraten, ist ja auch schon ein Kunststück!
Die Erhöhung des Bundeshaushalts um über 6,5 Milliarden DM
und die Ausweitung des Nettokreditbedarfs ebenfalls um mehr als 6 Milliarden DM
sind Veränderungen von Gewicht.
Darüber muß man reden. Sie geben Anlaß zur politischen Auseinandersetzung. Dazu braucht man sich aber nicht künstlich aufzuregen.
Meine Damen und Herren, der Bundesfinanzminister
hat nach Absprache mit dem Bundeskabinett heute morgen mit seiner Vorlage die Voraussetzung dafür geschaffen, daß wir in die sachlichen Beratungen eintreten können. Das Material dazu liegt auf dem Tisch. Es ist umfassend und erschöpfend.
Wenn wir, wie vorgesehen, am 25. und 26. Mai die abschließenden Beratungen im Haushaltsausschuß durchführen, dann haben wir auch ausreichend Zeit für die kritische Prüfung des Materials und für die Beratung in den Fraktionen.
Meine Damen und Herren. Die Opposition fordert in dieser Lage einen Ergänzungshaushalt; damit vergeudet sie Zeit und Papier. Im übrigen waren wir darauf vorbereitet, daß wegen der konjunkturellen Entwicklung der Haushalt auf der Einnahme- und Ausgabeseite entscheidende Veränderungen erfahren wird. Wenn wir darüber hinaus den Verteidigungsetat so etatisieren und finanzieren, daß der Bedarf dieses Jahres gedeckt werden kann, dann erfüllen wir damit auch die Forderung und Erwartung der Opposition.Gestern nach der Sitzung der CDU/CSU-Fraktion und heute soeben am Pult haben die Kollegen Kiepund Wörner vom „Finanzskandal" gesprochen. Das ist schon eine babylonische Sprachverwirrung.
Meine Damen und Herren, wir brauchen keinen Ergänzungshaushalt,
sondern wir brauchen jetzt den Willen und die Bereitschaft, den Etat so zu ergänzen
und den Haushalt so zu verabschieden, daß die Finanzwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland auf eine gesicherte Grundlage gestellt wird.
Deshalb müssen wir schnell
aus der vorläufigen Haushaltswirtschaft heraus. Jede Verzögerung vermehrt das Übel.
Bei aller Kritik und dem Ihnen zuzubilligenden Unmut mit Oppositionsaufschlag, den Sie am Finanzminister haben, meine Damen und Herren, müssen Sie ihm doch wohl dankbar sein, daß er versucht,
in dieser schwierigen Situation den Nettokreditbedarf nicht über das anwachsen zu lassen, was uns aus konjunkturellen Gründen sowieso schon unabweisbar aufgezwungen wird.
Ich sage Ihnen, es muß einen Haushaltspolitiker schon schütteln, wenn er hört, daß der Kollege Haase heute im Deutschlandfunk gemeint hat, die Mehrausgaben für die Bundeswehr könnten wir auch über mehr Schulden anstatt durch Einsparungen finanzieren.
Meine Damen und Herren, wer hier meint „Kommt man über den Hund, kommt man auch über den Schwanz",
wer das zum Handlungsprinzip macht, dem wird die Konsolidierung der Staatsfinanzen niemals gelingen. Nein, wer sich in die Resignation fügt, daß es gleichgültig sei, ob man einen oder zehn Meter unter der Wasseroberfläche ertrinkt, meine Damen und Herren, der wird die Handlungsspielräume für die Finanzpolitik nicht zurückgewinnen.
Metadaten/Kopzeile:
1922 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muß mich schon sehr wundern, wenn ein langgedientes Mitglied dieses Hauses, der Abgeordnete Dr. Wörner, ganz augenscheinlich absichtlich die Unwahrheit sagt.
Ich will das, meine sehr geehrten Damen und Herren, begründen.
Herr Bundesminister, einen Augenblick! Ich bitte doch um Ruhe.
Ich will das begründen. Der Abgeordnete Dr. Wörner hat gesagt, wir hätten für die NATO-Infrastruktur eine Summe zugesagt, die zu 26 % aus unserem Etat zu finanzieren sei; es sei keine Mark im Haushalt 1981 eingestellt. Sie wissen ganz genau wie ich, daß die Beträge, die für die NATO-Infrastruktur in diesem Jahre eingesetzt werden, erst in einigen Jahren zur Kasse drängen, weil mit dem Beschluß von dieser Woche Aufträge für Bauten, für Tief- und Hochbau, vergeben werden dürfen. Das ist erst dann zu finanzieren, wenn diese Aufträge in einigen Jahren abgewickelt sind. Ich weise deswegen diese Bemerkung als Polemik zurück.
Zweitens. Sie haben gesagt, wir hätten uns erneut verpflichtet, die Verteidigungsausgaben real um einen Prozentsatz in der Nähe von 3 % zu steigern. Sie wissen, Herr Abgeordneter Dr. Wörner, wenn Sie die Zahlen zusammenrechnen, daß der Verteidigungsetat im Jahr 1981 nach dem Willen der sozialliberalen Koalition um mehr als 3 Milliarden DM steigt. Wenn Sie dann die Preissteigerungsrate mit einrechnen, werden wir wohl in diesem Jahre eines der wenigen NATO-Länder sein, das das Versprechen, das wieder in Brüssel gegeben worden ist, in etwa erfüllen wird. Ich bin darauf keineswegs übermäßig stolz; denn ich weiß auch, wie viele Bürger in diesem Lande fragen, wieso denn eigentlich in einer finanziell so schwierigen Zeit die Verteidigungsausgaben überproportional steigen sollen.
Aber hier jetzt einen Vorwurf zu konstruieren, wir erfüllten nicht unsere Verpflichtungen, das ist ungerecht und absichtlich eine Aussage, von der Sie wissen, daß sie nicht stimmt. Zum zweiten Mal habenSie also bewußt polemisiert und nicht die Wahrheit dargestellt.
Zum dritten! Sie haben gesagt, im Verteidigungsausschuß sei es gestern nicht möglich gewesen, Klarheit darüber zu bekommen, welche Etatansätze nun auf Grund der Empfehlungen des Bundeskabinetts erhöht worden sind. Ich kann nichts dafür, daß Sie an den Sitzungen regelmäßig nicht teilnehmen.
Aber Tatsache ist, lieber Herr Abgeordneter Dr. Wörner, daß wir diese Tischvorlage verteilt haben,
in der bis ins einzelne mit Titelangabe und Betrag deutlich wird, wo Ansatzerhöhungen möglich sind.
Ich muß diese drei Vorwürfe also zurückweisen. Wenn hier ein Durcheinander erzeugt wird, dann durch absichtliche Fehl- und Falschinformationen der Opposition.
Auch das will ich begründen. Sie, Herr Abgeordneter Würzbach, haben am letzten Wochenende behauptet — und ich denke: wider besseres Wissen —, daß der Bundeswehr 3,4 Milliarden DM fehlen. Wie können Sie eigentlich als erfahrener Parlamentarier 500 Millionen DM, die als Personalverstärkungsmittel, für die Besoldungserhöhung bei der Bundeswehr, einzusetzen sind und die in einem anderen Einzelplan finanziert sind, in dieser demagogischen Weise in die Rechnung mit einbeziehen?
Sie wissen ganz genau, Herr Abgeordneter Würzbach, daß die eine Milliarde, die Sie aus der Rüstungsklausur herangezogen haben, erst ab 1982 gilt, weil die Ergebnisse der Rüstungsklausur für dieses Jahr nicht gelten. So können wir Ihnen Position für Position nachweisen, daß Sie absichtlich fälschen, um Durcheinander zu schaffen.
Nur: dies kann uns überhaupt nicht beeindrucken. Tatsache ist, daß die Verteidigungsausgaben um 3,2 Milliarden DM in diesem Jahre steigen und daß dies möglich war dank der Solidarität der Koalition, insbesondere der Haushaltsgruppe.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1923
Bundesminister Dr. ApelIch möchte ein Zweites sagen.
Wir werden mit den 155 Millionen DM mehr für Treibstoffe die Kubikmeter kaufen können, die ursprünglich im Haushaltsansatz darin waren. Die Bundeswehr wird fliegen können, die Bundeswehr wird üben können. Natürlich gilt das, was der Abgeordnete Würtz gesagt hat: auch bei der Bundeswehr muß im Bereich der Treibstoffe gespart werden.
Herr Minister, darf ich darauf hinweisen, daß die fünf Minuten herum sind.
Herr Präsident, ich dachte, Regierungsmitglieder hätten zehn Minuten.
Ich wollte nur den Hinweis geben. Sie können so lange reden, wie Sie wollen.
Meine Damen und Herren, ich schließe damit ab. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß die verbleibenden 350 Millionen DM, die in der Tat unter unseren Anforderungen liegen, bei Sparsamkeit eingebracht werden können. Es ist falsch, wenn der Eindruck erweckt wird, als sei diese Bundeswehr nicht verteidigungsbereit. Jedermann im Bündnis weiß, daß die Bundeswehr das Rückgrat der westlichen Verteidigung hier in Zentraleuropa ist. Der Friede bleibt sicher, weil wir die Bundeswehr haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Riedl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Darf ich zunächst ein Wort an den Herrn Bundesverteidigungsminister sagen. Vor 14 Tagen war der Haushalt des Verteidigungsministers in Ordnung. Vor acht Tagen hat der Minister 1,1 Milliarden DM mehr gefordert. Er hat gesagt, er habe sorgfältig geprüft und diese Mehranforderung sei in Ordnung. Jetzt soll er nach den Gesprächen im Kabinett 850 Millionen DM mehr bekommen, und er sagt, dies sei in Ordnung. Herr Minister, wie halten Sie es eigentlich mit der Wahrheit?
Herr Bundesverteidigungsminister Apel, es wäre Ihre Aufgabe, statt hier in diesem Parlament zu polemisieren und zu beleidigen, die Fakten auf den Tisch zu legen, die Zahlen zu nennen und uns endlich zu sagen, was im Bundeshaushalt für die Verteidigung endgültig ausgegeben werden soll.
Das, was sich in diesen Tagen — deshalb sitzen wir hier beieinander — auf dem Gebiet des Haushalts und der Finanzen in Bonn abspielt, ist ein einmaliger Skandal
in der Finanzgeschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Herr Kollege Wehner, die Bundesregierung verändert den Entwurf des Bundeshaushalts 1981, den sie erst Anfang dieses Jahres dem Deutschen Bundestag vorgelegt hat, und der im Haushaltsausschuß in den letzten Wochen und Monaten in sehr sorgfältiger und mühsamer Arbeit weitgehend durchgeprüft worden ist.
— Herr Kollege Wehner, die Bundesregierung verändert den Entwurf so elementar, daß Entwurf und voraussichtliches Endergebnis des Bundeshaushalts 1981 fast nichts mehr miteinander zu tun haben.
Da steigt die Nettoneuverschuldung von bisher 27,4 Milliarden DM auf — wir wissen es noch gar nicht genau — jetzt mindestens 34 Milliarden DM, und Sie, Herr Wehner, setzen sich her und tun so, als ob dies überhaupt nichts sei.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, solche Veränderungen eines Bundeshaushalts in Milliardenhöhe innerhalb weniger Wochen — man muß ja schon sagen: innerhalb weniger Tage und Stunden —, sind ein klares Zeichen dafür, daß die Finanzpolitik dieser Bundesregierung völlig außer Kontrolle geraten ist.
Der finanzpolitische Kollaps ist eingetreten, und die Bundesregierung hat offensichtlich jedwedes politische Handeln verloren.
„Warum bekommen wir denn nicht etwas Schriftliches?" — Da sagte mir der Staatssekretär: „Ich weiß ja noch nicht, was der Minister vorträgt; warten Sie doch erst einmal ab, dann kann ich Ihnen etwas Schriftliches geben."
Heute morgen bekommen wir mit der Ausschußdrucksache 228 etwas Schriftliches. Da steht, daß nach den Vorstellungen des Bundeskabinetts zur Deckung des Einzelplans 14 beispielsweise bei den Sparprämien 220 Millionen DM eingespart werden sollen. Der Minister hat gestern nachmittag im
Metadaten/Kopzeile:
1924 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Dr. Riedl
Haushaltsausschuß diese Summe nicht mit 220 Millionen DM, sondern mit 150 Millionen DM beziffert.
Der Herr Minister hat bei der Position „Kokskohle" gesagt: Da wollen wir 80 Millionen DM sparen. — In der Vorlage von heute morgen stehen 124 Millionen DM.Diese Beispiele stammen von einer einzigen Seite, Herr Minister; ich schlage die anderen Seiten gar nicht nach.Herr Finanzminister, Sie haben uns vorgerechnet, die Verwaltungseinnahmen sollten um 265 Millionen DM erhöht werden, wobei Sie ganz genau wissen, daß das nicht geht. Sie haben nämlich auf unsere Frage „Wie wollen Sie das denn machen?" Beantworte: „Dann müssen wir halt schauen, ob wir irgend etwas verkaufen können!"
Dann haben Sie die Summe in dieser Ausschußdrucksache auf 212 Millionen DM beziffert. Das ist von gestern auf heute die Wahrheit, über die der Herr Verteidigungsminister heute so große Ansprüche an dieses Parlament gestellt hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese sozialliberale Koalition hat 1970 hier in diesem Hause einen Ergänzungshaushalt vorgelegt, obwohl das Haushaltsvolumen damals überhaupt nicht verändert zu werden brauchte. Alex Möller hat damals in diesem Hause gesagt, dies sei im Interesse der Haushaltsklarheit, der Haushaltswahrheit und der Ehrlichkeit seiner Regierung notwendig. Die Bundesregierung heute dagegen weigert sich — angesichts dieser Veränderung im Volumen, wie sie hier innerhalb weniger Wochen beim Haushalt 1981 festgestellt worden ist —, überhaupt nur daran zu denken, einen Ergänzungshaushalt aufzustellen.
— Herr Wehner, wir wissen schon:
Wenn Sie heute einen Ergänzungshaushalt machen, dann gilt er morgen nicht mehr. Deshalb lehnen Sie es ab, die Fakten hier konkret auf den Tisch zu legen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ziehen Sie sich in Ihre Fraktion zurück und denken Sie darüber nach,
wie Sie dem deutschen Volk die Finanzmisere, dieSie uns eingebrockt haben, erklären. Oder, noch besser, Herr Wehner: Treten Sie mit Ihrer gesamten Fraktion und Regierung zurück!
Das Wort hat der Abgeordnete Walther.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die beiden Beiträge, die wir soeben gehört haben,
waren in der Hinsicht, Herr Kollege Zwischenrufer, gut, als Sie bewiesen haben, daß es Ihnen um Spektakel und nicht um Sachaufklärung geht,
die für sie angeblich der Grund war, die Aktuelle Stunde zu beantragen.
— Herr Kollege Dr. Dregger, ich habe nicht den Eindruck, als ob der Kollege Wehner hier geredet hätte.
Herr Kollege Wörner, Sie haben hier vom Verwirrspiel bei den Finanzen des Verteidigungsministers geredet. Ich frage Sie: Warum waren Sie gestern nicht im Verteidigungsausschuß? Warum haben Sie dort nicht gefragt? Warum haben Sie sich dort die Aufklärung nicht geben lassen, die Sie heute an diesem Pult fordern?
Ich sage Ihnen mit aller Zurückhaltung, Herr Kollege Wörner, Herr Kollege Würzbach: Das, was Sie durch Bekanntgabe phantastischer Zahlen über angebliche Löcher im Verteidigungshaushalt in den letzten Wochen an Verwirrspiel getrieben haben
— Sie haben von 3,6 Milliarden DM gesprochen, Herr Kollege Würzbach —, grenzt fast an Zersetzung der Bundeswehr, meine Damen und Herren.
Herr Kollege Wörner, da Sie hier ständig von Kürzen reden, kann ich Sie nur fragen, ob Sie nicht aufgepaßt haben. Wir legen hier mit dem, was die Koalition im Haushaltsausschuß auf Vorschlag der Bundesregierung beschlossen hat, mehr als 3,2 Milliarden DM im Verteidigungshaushalt zu. Und da reden Sie vom Kürzen, meine Damen und Herren.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1925
WaltherIch sage Ihnen mit allem Freimut: So geht es nun wirklich nicht, daß irgendein Referent auf der Hardthöhe Ihnen ein Papier zuspielt und Sie dann alle möglichen Fehlbeträge herausrechnen. Würden wir uns, meine Damen und Herren, in allen Ministerien so verhalten, wie Sie, Herr Würzbach, das bei Ihren Verbindungen zur Hardthöhe offenbar tun, dann bringe ich Ihnen von allen Referenten der Bundesregierung so viele Wünsche, daß im Nu 50 Milliarden DM in einem Jahr herauskämen. So kann das doch nicht gehen, meine Damen und Herren,
daß sich irgend jemand in irgendeinem Ministerium etwas ausdenkt und meint, das Parlament habe das gefälligst zu bewilligen.
Meine Damen und Herren, die Budgethoheit liegt bei diesem Parlament und nicht bei denen, die Wünsche bei Ihnen oder bei anderen anmelden.
Ich sage Ihnen mit aller Offenheit, Sie würden sich auch ein Verdienst erwerben, wenn Sie sich Mühe gäben, auch einmal zu gucken, wo in der riesigen Maschinerie Bundeswehr gespart werden kann.
Der Herr Bundesverteidigungsminister wird es mir nicht verübeln, wenn ich sage, daß seine Maximalanforderungen — —
— Lieber Herr Kollege Würzbach, der Verteidigungsminister hat nach meiner Überzeugung eine Liste vorgelegt, die alle nur denkbaren Notwendigkeiten abdeckt, nicht das Wünschbare.
Wir haben bewußt weniger bewilligt, weil wir auch das Kostenbewußtsein bei denen wecken wollen, die in der Vergangenheit mit dem Geld des Steuerzahlers, wie ich fest überzeugt bin, ein bißchen zu großzügig umgegangen sind.
Ich sage Ihnen, uns Sozialdemokraten ist es sehr schwergefallen, die Kürzungen, die notwendig sind, vorzunehmen, um die Erhöhungen im Verteidigungshaushalt mitbezahlen zu können. Es ist uns verdammt schwergefallen! Wir machen es uns — Herr Kollege Hoppe hat es gesagt — nicht so einfach wie der Kollege Haase, der sagt: Na ja, dann erhöhen wir halt einmal die Schulden. So einfach machen wir uns dies nicht.
Wenn Sie, Herr Kollege Dr. Riedl, fragen, wann sagen Sie uns die Wahrheit, dann frage ich Sie: Wann kommen Sie eigentlich an diesem Tisch zur Seriosität zurück, meine Damen und Herren?
Eine allerletzte Bemerkung. Wir brauchen keinen Ergänzungshaushalt. Alles, was zur Schlußberatung des Bundeshaushaltes 1981 erforderlich ist, liegt auf den Tischen sämtlicher Mitglieder des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages.
Wenn Sie hätten beraten wollen, hätten Sie beraten können. Aber Sie sind ja von Ihrer Fraktionsspitze zurückgepfiffen worden, damit heute dieses Spektakel veranstaltet werden kann.
Deshalb bitte ich die verehrten Kolleginnen und Kollegen der Union im Haushaltsausschuß, die in der Vergangenheit loyal mitgearbeitet haben — das lobe ich sehr —, sich nun in Zukunft von ihrer Fraktionsspitze nicht mehr auf die hohen Bäume jagen zu lassen, sondern so wie in der Vergangenheit mit uns gemeinsam dazu beizutragen, daß wir in der ersten Juni-Woche einen soliden Bundeshaushalt verabschieden können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Zumpfort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Haushälter bin ich schon ein bißchen verwundert, daß die Opposition am Anfang einer Aktuellen Stunde, in der es um den Haushalt geht, einen Verteidigungspolitiker nach vorne schickt, sind doch diese Herren dafür bekannt, daß sie neue Begehrlichkeiten wecken.
Im Augenblick geht es darum, daß man Begehrlichkeiten eindämmt und daß man spart. Das eine sage ich Ihnen auch: Bevor man drauflegt, muß man prüfen, ob überhaupt genug gespart worden ist. Auch bei der Bundeswehr muß gespart werden.
Nicht nur die Bundeswehr, sondern praktisch alle Haushaltsbereiche müssen in dieser Situation durchforstet werden. Einseitige Rezepte, etwa wie der Kahlschlag bei den Sozialausgaben zugunsten der Verteidigung, sind ebenso abwegig wie das Gegenteil. Das soll an dieser Stelle gesagt werden.
Derartige Vorschläge sind letztlich unpolitisch, weil sie die realen Notwendigkeiten ignorieren. Um bei dem plakativen, viel diskutierten Beispiel zu bleiben: Sowohl Verteidigungs- als auch Sozialetat — zwei dicke Brocken im Haushalt — müssen wie viele andere Ressorts erst einmal Federn lassen, bevor man etwas drauflegt.
Metadaten/Kopzeile:
1926 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Dr. ZumpfortDie Bundesregierung hat ein Verfahren gewählt — dafür sind wir Haushälter der Bundesregierung dankbar —, damit das erhöhte Anspruchsdenken der Militärs — ich sage es einmal ganz deutlich — reduziert wird und die Verteidigungsbereitschaft und Einsatzbereitschaft der Bundeswehr garantiert ist. Dies geschah auf Grund der Vorlagen der Haushaltspolitiker und nicht auf Grund ominöser Zahlen bestimmer Experten der Opposition.Ich erinnere daran, daß die Einzelberichterstattergespräche, Ende März stattfanden. Da stand das Risiko fest. Da sind wir mit unseren Vorschlägen zu den Obleuten gegangen; ich als Berichterstatter zu meinem Obmann. Darauf sind die Obleute zur Regierung gegangen und haben gesagt, da müsse etwas getan werden. Seit dieser Zeit hat die Bundesregierung gehandelt. Es sind schließlich auf den Haushalt des Einzelplan 14 — das muß man der Öffentlichkeit einmal klarmachen — insgesamt gegenüber dem Vorjahr 2,135 Milliarden DM draufgelegt worden. Das entspricht einem Zuwachs von 8,3 %. Wer etwas anderes weismachen will, der streut der Bevölkerung Sand in die Augen.
Das Handeln der Regierung von gestern zeigt: Die Regierung ist Herr der Lage. Nun ist das Parlament an der Reihe. Die Opposition sollte das Parlament nicht daran hindern, seine Arbeit zu tun.
Es ist geradezu grotesk: Sie wollen der Bundeswehr helfen und stellen einen Antrag auf einen Ergänzungshaushalt. Sie wissen genau, daß dann die vorläufige Haushaltsführung weitergeht und damit also nicht genug Geld für die Bundeswehr ausgezahlt werden kann. Was wollen Sie denn eigentlich?
Nun zum Stichwort Begehrlichkeit! Sie, Herr Wörner, als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses
— gut, als ehemaliger Vorsitzender; er ist ja noch der heimliche Vorsitzende —
haben in der vergangenen Legislaturperiode einen Antrag an den Haushaltsausschuß überwiesen bzw. dem Verteidigungsministerium aufgegeben, die Namen in die Felduniformen der Bundeswehr einzusticken.
Wir haben uns erlaubt, diesen kostenträchtigen Vorschlag dadurch zu reduzieren, daß die Namensschilder schlicht eingesteckt werden; das kostet dann nur die Hälfte.
— Ja, ja! Das ist ein Beispiel dafür, wie im Verteidigungsausschuß Begehrlichkeiten geweckt werden.
Dieses Einsticken der Namensschilder kostet insgesamt 4 Millionen DM; wenn man sie nur einfach einschiebt, kostet das 2 Millionen DM. Fragen Sie doch einmal die Bekleidungsexperten im Verteidigungsministerium.Wir Liberalen, um das abschließend festzustellen, tragen die Erhöhung, die die Regierung beschlossen hat, mit. Wir waren auch letztlich diejenigen, die gesagt haben, es muß, wenn durch Sparen im eigenen Etat nicht genug erwirtschaftet werden kann, draufgesattelt werden, um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu garantieren. Letzteres ist nach unserer Meinung durch die Beschlüsse der Regierung möglich. Aber wir fordern nun von allen Angehörigen — von allen, sage ich ganz deutlich — in dem „Hohen Hause" oben auf der Hardthöhe, sich nun auch bedingungslos hinter diese Zahlen zu stellen.
Der stellvertretende Generalinspekteur der Bundeswehr hat bei den Einzelberichterstattergesprächen gesagt: Wir müssen weg von der bedarf sorientierten Planung hin zur finanzorientierten Planung.
Wir fordern, daß sich alle Soldaten daran halten und nicht mit Zahlen in die Öffentlichkeit gehen, die an der politischen Linie vorbeigehen.
Noch eine letzte Bemerkung an die Damen und Herren der Opposition! Sie sollten Ihre Rolle nicht dadurch wahrnehmen, daß Sie neue Gerüchte in die Welt setzen, sondern dadurch, daß Sie Ihre Kontrollfunktion handhaben.
Noch immer liegt eine unbehandelte Vorlage des Bundesrechnungshofs aus dem Jahre 1978 im Haushaltsaus schuß „Kostensteigerungen bei Beschaffungsvorlagen der Bundeswehr". Sie haben es bisher nicht vermocht, hierzu eine Beschlußfassung zu veranlassen. Und das wäre Ihre Rolle und nichts anderes.
Das Wort hat nunmehr der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte versucht, in meiner Einbringungsrede im Januar dieses
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1927
Bundesminister MatthöferJahres für den vom Kabinett im Dezember verabschiedeten Haushalt zwei Dinge klarzumachen.Erstens muß dieser Haushalt eingebettet gesehen werden in die gesamtwirtschaftliche Lage, und zweitens müssen wir, wenn wir unser deutsches Volk auch in Zukunft besser als andere Völker durch diese weltweiten Schwierigkeiten bringen wollen, kurzfristig reagieren können. Dies gilt selbstverständlich auch für die Gestaltung des Haushalts. Ich habe dann den Bundestag aufgefordert und dazu meine eigene Hilfe angeboten, jeweils nach der Entwicklung der Konjunktur das zu tun, was die Beschäftigungslage erfordert.Nun haben wir fünf Monate später — fast ein halbes Jahr, nachdem wir den Haushalt beschlossen haben — neue Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit, und es tritt etwas ein, was ich ebenfalls bereits in der Einbringungsrede gesagt habe.
Ich habe damals gesagt, daß konjunkturbedingte Mindereinnahmen und Mehrausgaben nicht durch Streichungen an anderer Stelle des Haushalts kompensiert werden sollen, sondern daß sie durch eine Erhöhung der Nettokreditaufnahme gedeckt werden müssen, weil sie ja mit einem Aufschwung der Wirtschaft auch automatisch wieder zurückgehen. Alles andere wäre Brüning-Politik und würde zu Massenarbeitslosigkeit führen. Dazu sind dieser Bundesfinanzminister, der Bundeswirtschaftsminister, die Bundesbank und die Bundesregierung sowie die die Regierung tragenden Fraktionen nicht bereit.
Es geht um die 6 Milliarden DM, die durch erhöhte Aufwendungen für die Bundesanstalt für Arbeit für die Arbeitslosenhilfe und durch Steuermindereinnahmen entstanden sind. Übrigens haben wir auch unverhofft Mehreinnahmen von über 1 Milliarde DM in diesen fünf Monaten gehabt, von denen ich damals auch nichts wissen konnte; das wird ja auch in den Vorschlag eingebracht.Wir haben höhere Zinslasten. Wer hätte denn damals geglaubt, daß das Hochzinsniveau so lange anhält? Niemand hätte das geglaubt. Dies wird jetzt vorgetragen und die entsprechende Kreditaufnahme in den Haushalt eingestellt.Nun bin ich allerdings der Meinung, Herr Kollege Haase, daß es unverantwortlich ist, den Treibstoffverbrauch der Bundeswehr durch Kredite zu finanzieren.
Das ist doch eine Verlotterung parlamentarischen Haushaltsdenkens.
daß der Vorsitzende des Haushaltsausschusses vorschlägt,
die zusätzlichen Ausgaben, die für die Bundeswehr erforderlich sind, durch Kredite zu finanzieren.
Wir haben das getan, was erforderlich ist. Wir haben entweder durch Mehreinnahmen oder auch durch Streichungen in allen Haushalten diese 850 Millionen DM, die die Bundeswehr für die Verteidigung mehr bekommen soll, gedeckt. Der Verteidigungshaushalt wächst mit 8,3 %; das sind 3,2 % real. Sie können sich mal in der NATO umsehen, wo es — abgesehen von den Vereinigten Staaten — noch ein solches Land gibt — tun Sie das insbesondere mal am Ende dieses Jahres —, wo 3,2 % real mehr für die Verteidigung ausgegeben wird. Wir geben damit 42 Milliarden DM für die Verteidigung aus.Man darf bei unserem Verteidigungshaushalt nun nicht nur auf die Masse sehen, sondern muß auch auf die Struktur achten. Der Investitionsanteil ist sehr hoch. Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich sage, die Bundeswehr ist mit die konventionell am besten ausgerüstete Armee der Welt.Nun zu Ihrem Antrag. Ich möchte Sie dringend bitten, noch einmal zu überlegen, ob Sie auf einer Ergänzungsvorlage bestehen wollen. Eine solche Ergänzungsvorlage ist aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht geboten.
: Warum nicht?)
Sie ist möglich, aber nicht geboten und auch nicht zweckmäßig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind alle am Haushaltsverfahren beteiligten Verfassungsorgane verpflichtet, daran mitzuwirken, daß der Bundeshaushalt so schnell wie möglich verabschiedet wird. Eine Ergänzungsvorlage würde das Verfahren verzögern.
— Wenn ich den Bundesrat einschalte — das wissen Sie doch —, verschiebt sich das ganze Verfahren um fünf bis sechs Wochen, und dann sind wir — —
— Ich sage Ihnen, der Bundesrat muß sich damit befassen; wir müssen dann wieder Stellung dazu nehmen, müssen Ihnen das neu zuleiten. Was Sie hier tun wollen — ich hoffe, Sie tun es nicht —, ist dies: Sie verzögern die Fertigstellung des Haushalts.
— Aber bitte, doch j a — —
Sie verzögern die Fertigstellung des Haushalts, und die Ergänzungsvorlage würde praktisch zu keiner anderen Behandlung führen, als es die Unterrichtung tut, die wir heute vorgenommen haben.Die Bundesregierung vertritt daher die Ansicht, daß eine förmliche Ergänzungsvorlage haushaltsrechtlich nicht geboten ist und in Anbetracht des
Metadaten/Kopzeile:
1928 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Bundesminister Matthöferfortgeschrittenen Haushaltsjahres auch nicht vertretbar wäre.
Ich appelliere noch einmal an Ihr Verantwortungsgefühl und bitte Sie dringend, die Verabschiedung des Haushalts nicht zu verzögern, damit die Bundesregierung in den Stand gesetzt wird, das zu tun, was konjunkturpolitisch und auch für die Verteidigung unseres Landes erforderlich ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Carstens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit 1972 habe ich die Gelegenheit, die Finanzpolitik dieser Bundesregierung aus nächster Nähe zu beobachten. Für mich — das muß ich in aller Offenheit sagen — besteht überhaupt kein Zweifel daran,
daß sich die Bundesregierung heute in einem Finanzstrudel höchsten Ausmaßes befindet.
Dieses Ausmaß des Finanzstrudels ist durch den Verteidigungsetat deutlich geworden.Ich kann nur sagen, daß das Verhalten der Minister Apel und Matthöfer hier eben am Rednerpult gezeigt hat, wie nervös diese Regierung mittlerweile geworden ist.
Das ist auch verständlich; denn in wenigen Stunden werden für Verteidigungsausgaben und für sonstige Zwecke Milliardenbeträge über den Tisch geschoben. Das alles geschieht auf eine Art und Weise, die als unüberlegt, unausgegoren und unseriös bezeichnet werden muß.
Innerhalb kürzester Zeitabstände werden neue Milliardenlöcher im Bundeshaushalt offenbar. Eine Überraschung jagt die andere.
Meine Damen und Herren, das Verheerendste an den Entscheidungen in dieser Woche ist, daß die unverantwortliche Schuldenpolitik dieser Bundesregierung forciert weiter fortgesetzt wird.
Ein gutes Ende dieser Schuldenpolitik ist unter dieser Bundesregierung nicht mehr abzusehen.
Die Bundesschulden haben schon ein Ausmaß erreicht, bei dem sie insgesamt eine Summe ausmachen, die höher ist als ein ganzer Bundeshaushalt. Die Nettoneuverschuldung, die für dieses Jahr vorgesehen ist, ist die höchste, die wir in der Nachkriegszeit in unserem Lande jemals erlebt haben.Meine Damen und Herren, nun kommen wir von der Opposition und beantragen, daß Sie einen Ergänzungshaushalt vorlegen. Ich verstehe gar nicht, weswegen Sie das ablehnen.
Wenn Sie einen Ergänzungshaushalt vorlegen würden, hätten wir die Chance, ordnungsgemäß zu beraten, und wir hätten eventuell auch die Möglichkeit, unter der Federführung des Finanzministers und unter seiner Verantwortlichkeit noch einmal neu zu überprüfen, ob wir die Verschuldung des Bundes nicht etwas abmindern können; denn das ist doch heute in Deutschland das Gebot der Stunde.
Ich möchte noch in aller Ruhe — Herr Kollege Wehner — auf das eingehen, was der Herr Minister Matthöfer angesprochen hat. Wenn der Ergänzungshaushalt noch in dieser Woche eingebracht werden würde — es ist ja keine Schwierigkeit, das technisch zu lösen —, würde er einschließlich der Beratungen des Bundesrats und der zweiten und dritten Lesung des Bundeshaushalts 1981 ordnungsgemäß in der letzten Juni-Woche des Jahres 1981 verabschiedet werden können.
Es gibt also keine terminlichen Gründe, die uns dazu bringen könnten, das zu verschieben.Wir haben sogar im Haushaltsausschuß mit den Obleuten von SPD und FDP eine Vereinbarung dahin gehend erzielt, daß, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden, auch ihrerseits ein Ergänzungshaushalt oder ähnliches gefordert werden würde. Wir hatten vereinbart, daß dann, wenn neben den Mehrausgaben infolge Arbeitslosigkeit und Mindereinnahmen durch Steuerschätzungen weitere Zusatzausgaben auf uns zukommen würden, von der geplanten Beratung abgewichen werden würde. Herr Kollege Walther, Sie müssen das bestätigen!
Nun weichen Sie von dem ab, was wir schon vor Wochen und Monaten in einer Obleutebesprechung des Haushaltsausschusses einvernehmlich beschlossen hatten.
Meine Damen und Herren, nun steigt die Verschuldung auf astronomische Höhen an.
Ich bin Berichterstatter für den Einzelplan Bundesschuld. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen eines dazu sagen: Die Bundesschuldenverwaltung mußte vor 14 Tagen bei den Einzelberatungsgesprächen die Anschaffung der neuesten Computer beantragen, um die Verwaltung der Bundesschulden
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1929
Carstens
technisch überhaupt noch im Griff behalten zu können.
Für Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, stellt sich ja schon die Frage, ob Sie überhaupt noch Geld bekommen können, wo Sie Geld bekommen können, wo diese Quellen sind und zu welchen Zinssätzen Sie das Geld aufzunehmen haben.
Meine Damen und Herren, ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, daß Sie unserem Antrag nicht stattgeben. Der Haushalt ist total überholt.Zunächst sollte er nach dem Entwurf um etwa 4 % bei den Ausgaben steigen. Das werden nun etwa 8 % sein. Die schon zu hohe Nettoverschuldung von rund 27 Milliarden DM soll noch einmal um 25 % auf etwa 34 Milliarden DM gesteigert werden.Und noch einen Punkt lassen Sie mich anfügen. Sie glauben sogar, ohne einen Ergänzungshaushalt, ohne Einschaltung des Parlaments, nur einfach durch Beratungen in wenigen Stunden den Art. 115 des Grundgesetzes überschreiten zu dürfen. Dieser Artikel besagt, daß die Ausgaben des Bundes, die kreditfinanziert sind, nicht das Maß überschreiten dürfen, das an Investitionen im Haushalt ausgebracht ist. Es war bislang vorgesehen, diese Summe einzuhalten. Aber durch diese neuen Ausgaben überschreiten Sie sogar den Art. 115 des Grundgesetzes. Mir scheint das unverantwortlich zu sein.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist überschritten.
Herr Präsident, ich sehe das ein. Ich war sowieso am Ende. Schönen Dank.
Stimmen Sie bitte unserem Vorschlag zu, einen Ergänzungshaushalt einzubringen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal auf die Vorgeschichte dieser Sache zu sprechen kommen. Seit längerer Zeit, seit Tagen und Wochen füttert der Herr Kollege Würzbach die Zeitungen mit immer neuen und überraschenden Schauermärchen. Sie werden dort gedruckt. Dann kommt Herr Wörner hierher und sagt, er erlebt dauern neue Überraschungen. Dabei hat er sie selber ausgetüftelt.
Für Herrn Wörner und für Herrn Carstens: die 850 Millionen DM, die hier im Haushalt dem Einzelplan 14 zugeschlagen werden, sind innerhalb des Gesamthaushalts umgeschichtet, woanders weggenommen. Die werden nicht „über den Tisch geschoben",
wie einer soeben gesagt hat. Das ist ein Drittel Prozent des gesamten Haushaltes. Ihre Aufregung istlächerlich, absolut lächerlich bei einem Drittel Prozent.
Zweite Bemerkung zu den hier vorgetragenen Zahlen. Herr Wörner hat beanstandet die Differenz zwischen 1175 Millionen DM, die der Verteidigungsminister ursprünglich gerne zusätzlich haben wollte, und 850 Millionen DM, die er nur bekommt, eine Differenz von 325 Millionen DM. Das stimmt. Ich muß auch hier auf die Größenordnung aufmerksam machen. Dies ist ein Viertel Prozent des ganzen Verteidigungshaushalts. Dieses eine Viertel Prozent des Verteidigungshaushaltes wird wohl eingespart werden können. Die Aufregung des Herrn Wörner über ein Viertel Prozent ist lächerlich.
Dritte Bemerkung, Herr Wörner, zu Ihrer Frage, ob die drei Prozent real erhöht werden könnten oder nicht.
— Aber einer Ihrer Kollegen. Zehn Jahre lang hat die Bundesrepublik Deutschland unter Führung dieser Koalition, obgleich ein solches Ziel damals nicht gegeben war, aus der Notwendigkeit der Verteidigung heraus dieses Ziel beinahe erfüllt. Das wird sich auch 1981 keineswegs wesentlich ändern.
— Sie können das nachrechnen, Herr Wörner.
Im übrigen handelt es sich nicht darum, daß jeder in der NATO sich verpflichtet hat, drei Prozent mehr auszugeben, sondern jeder hat sich verpflichtet, sich darum zu bemühen. Das tun wir und wir erreichen sehr viel auf diesem Feld. Aber wichtiger, als Geld ausgeben, ist, daß man Männer hat, die Soldat sein wollen und die ihre Pflicht ernst nehmen.
— Ich freue mich, daß der Oppositionsführer endlich einsieht, wo die Prioritäten liegen, daß sie nicht bei seinen lächerlichen ein Viertel Prozent liegen.
Und wichtig ist, daß das in diesem Lande auf der Grundlage der Wehrpflicht geschieht. Man verteidigt sein Land nicht mit einem Viertel oder einem Drittel Prozent, sondern mit der Wehrpflicht der dazu bereiten jungen Männer.
Und wenn Sie hier Schauermärchen entrollen, daß die Bundeswehr ihrer Aufgabe nicht gerecht werden könne, muß ich Ihnen sagen: Unter den konventionellen, den nichtnuklearen Armeen der Welt ist
Metadaten/Kopzeile:
1930 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Bundeskanzler Schmidtdiese Bundeswehr eine der besten. Und das ist sie geworden in elf Jahren sozialliberaler Koalition.
Sie liefert einen entscheidenden Beitrag zum militärischen Gleichgewicht in Europa, das ohne die Bundeswehr nicht aufrechterhalten werden könnte. Sie liefert damit einen entscheidenden Beitrag zum Frieden in Europa.
Und sie ist voll bereit zur Erfüllung ihrer Verteidigungsaufgaben. Sie hat mein volles Vertrauen. Ihres in Wirklichkeit auch. Sie tun doch bloß so, um hier Propaganda auf Ihren Mühlen zu machen.
Und auch der Mann an der Spitze der Bundeswehr hat im übrigen mein volles Vertrauen — damit Sie das ganz klar verstehen, Herr Kohl.
Das hohe polemische Niveau der Oppositionssprecher kann nicht verdecken, daß wir zur Sache bisher in dieser Debatte keinen einzigen Gedanken von der Opposition gehört haben.
Vielmehr ist Herrn Bundesminister Matthöfer in allem, was er hier gesagt hat, zuzustimmen.Und wenn — was ich annehme, da Dr. Kohl ja immer das letzte Wort haben muß, wenn ich spreche — Dr. Kohl anschließend spricht und wiederum keinen eigenen Vorschlag zur Sache zu machen weiß — was ich beinahe vorhersehe, Herr Kohl —,
so wäre es aber doch schon eine ganze Menge, wenn Sie sich einigen könnten, ob die CDU mit Wörner mehr Geld ausgeben will oder mit Carstens weniger Geld ausgeben will. Nur eines von beiden kann doch richtig sein.
So lange Sie sich über diese beiden diametral entgegengesetzten Tendenzen, die Herr Carstens und Herr Wörner vorgetragen haben, nicht einig sind, ist alles, was Sie sagen, Herr Kohl, nichts als Sommertheater.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiep.
Herr Präsident, ist es möglich, den Lärm von meiner Redezeit abzuziehen?
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, ich fürchte, daß Ihre prognostischen Fähigkeiten Sie auch im Bereich der Vorhersage von Rednern der Opposition verlassen haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir haben überhaupt kein Problem mit unserem Vertrauen in die Bundeswehr. Wir haben ein Problem mit Vertrauen in die Führungskraft dieser Regierung und der sie tragenden Parteien.
Ihre Ausführungen hier zu diesem Thema wären überzeugender gewesen, wenn sie von etwas mehr Sachlichkeit und weniger Polemik getragen wären.
Und Ihre Ansprache hätte noch mehr an Überzeugungskraft gewonnen, verehrter Herr Bundeskanzler, wenn Sie nicht bis vor wenigen Monaten die Existenz einer Finanzkrise landauf, landab geleugnet hätten.
Sie sprechen von dieser Finanzkrise, als ob ein Sommergewitter über uns gekommen wäre. Sie sprechen von konjunkturellen Gründen. Ich darf Sie in aller Höflichkeit daran erinnern, daß diese Bundesregierung der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg Auflagen gemacht hat, für Ihre Planung Arbeitslosenziffern zu unterstellen, von denen die Bundesregierung wußte, daß sie nicht zutreffen können.
Herr Bundeskanzler und meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, wenn Sie uns in der Charakterisierung Ihres Dilemmas schon nicht glauben und folgen wollen und sich so schrecklich erregen, wie Sie das soeben getan haben, dann erlauben Sie mir vielleicht, Ihnen in der gebotenen Kürze einen Überblick über das zu geben, was diejenigen zu diesem Dilemma sagen, die sich beruflich dazu äußern. Ich meine die deutsche Presse von heute morgen. Ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zunächst die einzig positive Anmerkung — —
— Unsere Kreditbedürfnisse sind nicht so groß wie die der Bundesregierung, aber auch wir zitieren gelegentlich gern, Herr Wehner.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1931
KiepLassen Sie mich bitte zunächst einmal eine Zeitung zitieren, die heute als einzige Zeitung einen positiven Kommentar veröffentlicht hat: „Die Gefahr von Ministerrücktritten wurde umschifft" — „Ruhr-Nachrichten"; „Unübersehbare Finanzierungslükken" — „Ruhr-Nachrichten"; „Finanzdebakel" —„Handelsblatt"; „Tricks, Manipulationen, falsche Ansätze und Gesundbeterei" — „Frankfurter Rundschau", Herr Kollege Matthöfer;
„Gefahr der Finanzkatastrophe" — Herr Zenke in der „Kölnischen Rundschau";
„in politischem und finanziellem Gegenwind errichtetes Kartenhaus", „Schludrigkeit bei der Planung", „unsägliche Zumutung an Wähler und Steuerzahler" — „Süddeutsche Zeitung";
„politische Bankrotterklärung mit geschönten Ziffern" — „Stuttgarter Nachrichten"; „der Bundesregierung wachsen die Finanzprobleme über den Kopf" — „Neue Rhein-Zeitung".
Meine Damen und Herren, wir stellen fest:
Diese Bundesregierung hat die Kontrolle über ihre Finanzen verloren.
Wir stehen vor einem Finanzchaos, das die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland in innen- und außenpolitischen Fragen in Frage stellt.
Die Öffentlichkeit, der Haushaltsausschuß und der Deutsche Bundestag haben ein Anrecht,
von dieser Bundesregierung nach monatelangem Leugnen nun endlich klare und wahre Zahlen auf den Tisch zu bekommen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Westphal.
Meine Damen und Herren! Wenn Sie sich durch Ihr Rufen so aufregen, fühle ich mich veranlaßt, wieder einen Bezug zu dem Thema herzustellen, das für Sie der Ausgangspunkt für diese Aktuelle Stunde war.
Wissen Sie, zu der Zeit, als ich Soldat sein mußte — es war keine ganz angenehme Zeit —, gab es als Soldat auch nicht viel Gutes zu lernen. Aber eines, was ich damals mitgenommen habe, war doch gut. Wenn es einen Grund gab, sich aufzuregen, und man hatte die Absicht, dagegen zu protestieren oder sich zu beschweren, dann mußte man 24 Stunden warten, bevor man es tun durfte. Ich hätte Ihnen empfohlen, nicht gestern damit anzufangen, sich aufzuregen, hochzuspielen, eine Aktuelle Stunde zu fordern, neue Anträge für den Ergänzungshaushalt zu stellen, sondern 24 Stunden zu überlegen und sich dann nach den hier in Ihrer Mitte sitzenden eigenen, zur CDU/CSU gehörenden Haushältern zu richten. Die Haushälter stehen nämlich vor der Frage: Hat Herr Kiep recht, daß zu hohe Ausgaben vorgesehen sind, oder hat Herr Wörner recht, oder hat Herr Würzbach mit den Forderungen in Höhe von 3,6 Milliarden DM für Verteidigung recht?
Wer hat denn nun recht? Was ist die Politik der Opposition? Da liegt Ihr Problem.
Werden Sie bitte erst einmal damit fertig! Die Unterlagen — „klare und wahre Zahlen" hat Herr Kiep gefordert —, die Sie für das Beraten brauchen, liegen seit heute morgen, 8.50 Uhr, im Sekretariat des Haushaltsausschusses und sind von Ihnen, von Ihren Haushältern, alle abgeholt worden. Lassen Sie mich bitte in aller Ruhe hinzufügen: Wenn Sie dieses Spielchen hier heute nachmittag für die Öffentlichkeit nicht aufführen wollten, dann könnten alle Ihre Berichterstatter im Haushaltsausschuß längst an der Arbeit sein, sich klug fragen, sich sachkundig machen, mit den Ministerien reden,
dann in die Beratungen mit uns gehen und den Haushalt zum Abschluß bringen, und zwar mit „wahren und klaren Zahlen", die Sie, wenn Sie sie nicht glauben, selbst nachgeprüft haben könnten.Aber hier — da hat der Herr Bundeskanzler völlig recht — hat keiner von Ihren Rednern — wir haben vier oder fünf schon hinter uns — zur Sache irgendein Argument beigetragen, kein einziger!
Was ist denn nun eigentlich passiert? Im Dezember 1980 hat die Bundesregierung einen eng geschneiderten Haushalt vorgelegt. Sie hat sich dabei an das gehalten, was im Finanzplanungsrat zwischen Bund, Ländern und Gemeinden vereinbart worden ist. Bei der Einbringung dieses Haushalts hat der Finanzminister hier gesagt, wenn die neuen Daten, die sich aus konjunktureller Entwicklung ergeben könnten — die wirtschaftswissenschaftlichen Institute haben ja im Januar Schlimmeres gesagt,
Metadaten/Kopzeile:
1932 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Westphalals sie vorher gesagt haben —, es erforderten, dann würden wir das, was sich zusätzlich aus dem Konjunkturverlauf ergibt, wohl oder übel draufpacken müssen; denn es wäre nicht konjunkturgerecht, wenn wir das auch noch aus dem eng geschneiderten Haushalt herauskürzten. Im übrigen haben der Wirtschaftsminister und auch die Bundesbank dem voll zugestimmt. Dies war die Ausgangslage.Das ist nun eingetreten. Alle diejenigen, die uns früher verkünden wollten — einige bei uns waren skeptisch —, daß es in der zweiten Hälfte dieses Jahres ein Aufwärts geben werde, das uns aus der Schwächeentwicklung der Konjunktur herausholen würde, haben eben leider ihre Meinungen geändert. Wir stehen vor der Tatsache, daß die konjunkturelle Entwicklung nicht gut ist. Daraus haben wir Konsequenzen zu ziehen. Sie selbst, meine Damen und Herren von der Opposition, haben dies doch nicht seit gestern als neue Daten vor sich. Sie haben doch selbst mit Kleinen Anfragen zwischendurch schon nachgefragt und alles schriftlich vor sich, was die Konsequenzen angeht. Sie haben die Regierung doch mit Kleinen Anfragen bombardiert. Sie haben doch alles schriftlich. Sie könnten doch davon in ihren Beratungen ausgehen. Nichts ist daran neu.Nun lassen Sie mich bitte noch ein Wort zu dem Teil sagen, der den Verteidigungshaushalt betrifft. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat sich das alles nicht einfach gemacht. Sie hat es gründlich überlegt und ist, obwohl sie in besonderer Weise unter Sparkurs angetreten ist, zu dem Schluß gekommen, auch im Verteidigungshaushalt sei nach Prüfung der Situation ein Mehr notwendig. Die Tornado-Angelegenheit muß auf saubere Art und Weise jetzt und insbesondere für das Jahr 1981 klargezogen werden, und die Bundeswehr muß funktionstüchtig bleiben. Dies alles drei haben wir unter den Gesichtspunkt der äußersten Sparsamkeit gestellt. Genau das haben wir der Regierung gesagt. Wir haben gesagt, wir wollen von unserer Regierung wissen, wie sie dazu steht. Seit gestern haben wir ihre Antwort. Die Antwort der Bundesregierung liegt haarscharf auf dem Kurs, den die sozialdemokratische Bundestagsfraktion vor anderthalb Wochen in einer Willenserklärung vor der ganzen deutschen Öffentlichkeit, auch vor Ihnen, klargemacht hat. Das heißt, daß wir auch bei dieser Frage bei dem geblieben sind, was wir wollten.Ich möchte nur deutlich hinzufügen — dieser Hinweis ist ergänzend für unsere Debatte hier wichtig, weil es gestern dazu keine ganz richtigen öffentlichen Äußerungen und Meldungen in den Nachrichten gegeben hat —: Dies heißt bei uns auch, daß der andere Etat, der uns so wichtig ist und der innerhalb des Haushaltes überproportional steigt, der Entwicklungshaushalt, ungeschoren bleibt. Wenn es nach uns geht, dann wird er auch noch ein kleines bißchen aufgestockt. Das braucht er.
Dies muß in unserer Öffentlichkeit klar sein.
Ich möchte Ihnen den Rat geben, meine Damen und Herren von der Opposition. Reden Sie nicht so aufgepustet wie Herr Wörner, sondern kommen Sie mit uns in den Haushaltausschuß zurück, und lassen Sie uns die Sache aufarbeiten. Wir haben die Zahlen, wir alle haben die Unterlagen. Die Ministerien stehen zur Verfügung, um Ihre Fragen zu beantworten.
Als nächster Redner hat der Herr Abgeordneter Gärtner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kiep, bitte legen Sie den Hörer einmal aus der Hand; ich möchte mit Ihnen kurz einiges besprechen. — Herr Kollege Kiep, Ihren Beitrag hätten Sie in jeder Aktuellen Stunde halten können, nur nicht in der Aktuellen Stunde, die sich mit dem Verteidigungshaushalt beschäftigt hat, mit dem, was beantragt worden ist.
Sie haben eine Zusammenstellung von Pressemeldungen vorgetragen, wie es das „Echo des Tages" heute abend vielleicht noch besser machen könnte. So kann man das wirklich nicht machen, sich hier hinzustellen und die Pressemeldungen darzustellen und zum Sachthema keinen einzigen sachlichen Beitrag zu liefern.Haben Sie etwas zu dem Thema „850 Millionen —ja oder nein" gesagt? Bewilligen Sie das denn in der nächsten Sitzungswoche, wenn wir den Haushalt verabschieden, oder lehnen Sie das wieder ab? Sie müssen doch endlich einmal sagen, was Sie politisch wollen. Herr Kollege Carstens hat wieder einmal die Schuldentheorie überdeutlich dargestellt. Er will sparen. Sie wollen ausgeben. Herr Wörner will noch mehr ausgeben, und Herr Würzbach rechnet das alles noch falsch nach. Wissen Sie, auf die Art und Weise kann man nicht glaubwürdig sein.
Wer zur Bundesanstalt für Arbeit mehr Geld überweisen will, der muß das sagen. Der kann nicht wie andere Sozialpolitiker der Union behaupten, die Bundesanstalt brauche mehr, aber bewilligen wolle man es nicht. Diesen Zusammenhang verstehe ich nicht. Beantragen Sie doch einmal im Haushaltsausschuß oder im Plenum, was Sie politisch auf den Verteidigungshaushalt hinlegen wollen. Sie haben in den letzten Jahren den Verteidigungshaushalt in jeder Höhe abgelehnt. Sie haben keinem einzigen Erhöhungsantrag, der Ihrem oder unserem 3 %-Ziel, sage ich einmal, entgegenkäme, zugestimmt. Sie haben das Thema Verteidigungshaushalt zwar immer publizistisch groß bewertet. Sie haben es aber in der Praxis nicht nachvollzogen.Ich sage es noch einmal: Wir stehen in keiner einfachen Situation, Herr Kiep. Tun wir doch an dieser Stelle nicht so, als ob uns all das Komplizierte, das wir zu tun haben, nicht auch schwerfällt. Den Verteidigungshaushalt auf diese Art und Weise zu erhöhen ist eine Leistung, die man auch einmal sehen muß. In diesem Lande werden immer viele Sparappelle gemacht, auch von Ihnen. Nur bitte ich an dieser Stelle herzlich darum, die Polemik nicht so in den Vordergrund zu stellen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1933
GärtnerAkzeptieren wir, daß 42 Milliarden DM für den Verteidigungshaushalt eine große Summe sind. Die 850 Millionen DM, die wir zulegen wollen, finde ich für diesen Haushalt ausreichend. Das, was wünschbar ist, gibt es in jedem anderen Etat auch. Da können wir bei unserem eigenen Etat anfangen. Da können wir durch alle Etats gehen. Aber nicht alles, was politisch wünschbar ist, ist immer zu finanzieren.An der Stelle müssen wir uns entscheiden. Wir entscheiden uns. Wir legen einen Haushalt vor, der finanziert wird, der hier eine Mehrheit findet. Ich bitte Sie herzlich darum, Ihre Polemik an der Stelle einzustellen, wo wir einen ganz entscheidenden finanziellen Beitrag für die Bundeswehr leisten. Ich bitte Sie wirklich darum, auch ehrlich zu bleiben. Stimmen Sie wenigstens den 850 Millionen DM zu. Dann sind Sie nämlich auch derjenige, der behauptet, für die Bundeswehr das zu bewilligen, was sie braucht. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist noch nicht ganz abgelaufen. Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Friedmann als nächstem Redner das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Bundesregierung betreibt eine miserable Finanzpolitik.
— Sie pflegen außerdem einen schlechten Umgang mit dem Parlament.
Wir als Opposition verlangen einen Ergänzungshaushalt, weil wir saubere Beratungsunterlagen wollen. Auf Grund der Zettelwirtschaft, die Sie betreiben, geht das nicht. Sie betreiben zwar eine große Bürokratie im Umgang mit den Bürgern, sind aber nicht in der Lage, hier geordnete Beratungsunterlagen vorzulegen.
Seit gestern nachmittag wissen wir, daß Sie 6 Milliarden DM mehr ausgeben wollen, als ursprünglich beabsichtigt, und dies in voller Höhe zu Lasten neuer Schulden. Von diesen 6 Milliarden DM sollen 5 Milliarden DM allein in Verbindung mit dem Haushalt von Herrn Ehrenberg gesehen werden. 4,5 Milliarden DM sind nämlich für die Bundesanstalt in Nürnberg und für die Arbeitslosenhilfe bestimmt.
Ein jeder wußte bereits, als dieser Haushalt eingebracht wurde, daß wir mit mehr als 1 085 000 Arbeitslosen rechnen müssen.
Durch die Anpassung auf 1,2 Millionen Arbeitslose, die wir jetzt haben, werden nun 4,5 Milliarden DM mehr nötig.
Warum ist dies so, meine Herren? Ihnen ist das Schicksal der Arbeitslosen wurscht. Das ist der wahre Grund.
Herr Brandt hat an dieser Stelle vor einigen Wochen erklärt, die SPD sei die Partei der Arbeitslosen.
Jawohl, Sie sind das geworden: die Partei der Arbeitslosen.
Es wäre bei Gott angebracht gewesen, die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt so einzuschätzen, wie sie jeder eingesehen hat.
Man kann sich dem Ganzen jetzt nicht mehr entziehen, nachdem es so weit gekommen ist. Das ist richtig. Aber Sie treiben hier — ich muß es wiederholen — mit dem Schicksal der Arbeitslosen Schindluder.
Sie haben bewußt die Zahlen damals zu niedrig angesetzt, um das Ganze zu schönen. Hinterher müssen Sie zugeben, wie es wirklich aussieht. Über Nacht haben Sie die Ausgaben dieses Staates um volle 3 Prozentpunkte erhöht. Man muß sich das einmal vorstellen. Diese Regierung gleicht einem Reiter, dem die Zügel entglitten sind, der hilflos in seinem Sattel hängt, mit dem sein Pferd ins Chaos galoppiert.
Das ist keine Führung, meine Damen und Herren, sondern dies ist ein Galoppritt ins Finanzchaos. — Schönen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde ist beendet.Herr Abgeordneter Wehner, Sie haben dem Herrn Abgeordneten Friedmann eben zugerufen „Sie sind ein Verleumder!". Ich rufe Sie deswegen zur Ordnung.
Metadaten/Kopzeile:
1934 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Vizepräsident LeberBevor wir in der Tagesordnung fortfahren, habe ich dem Deutschen Bundestag folgendes mitzuteilen.
Der Bundestag hat heute morgen beschlossen, den Annahmeschlußtermin für die Fragen zu den Fragestunden der Sitzungswoche vom 25. Mai 1981 in Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde von Freitag auf Donnerstag, den 21. Mai 1981,11 Uhr, vorzuverlegen. Dieser Beschluß ging von der am 7. Mai 1981 im Ältestenrat getroffenen Vereinbarung aus, in der verkürzten Tagungswoche vom 25. Mai in Abweichung von der Regel schon dienstags eine Fragestunde durchzuführen. Diese Vereinbarung wurde in der heutigen Sitzung des Altestenrates aufgehoben.Die neue Vereinbarung sieht vor, in der nächsten Sitzungswoche nur mittwochs eine Fragestunde von 90 Minuten durchzuführen. Damit entfällt die Begründung für die heute morgen beschlossene Abweichung von den Richtlinien. Interfraktionell wird deshalb vorgeschlagen, den heute früh gefaßten Beschluß wieder aufzuheben. Ich frage den Bundestag, ob er mit diesem Vorschlag einverstanden ist. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
— Meine Damen und Herren, darf ich Sie um etwas Aufmerksamkeit bitten.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und b auf:a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit— Drucksache 9/192 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung RechtsausschußFinanzausschuß Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstenb) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hauser , Dr. George, Landré, Lampersbach, Stücklen, Müller (Remscheid), Franke, Zink, Dr. Blüm, Neuhaus, Pohlmann, Dr. Dollinger, Ruf, Jung (Lörrach), Hinsken, Louven, Dr. Bötsch, Milz, Kolb, Dr. Pinger, Müller (Wadern), Sick, Krey, Daweke, Schröder (Lüneburg), Feinendegen, Dr. von Geldern, Schulze (Berlin), Dr. Laufs, Frau Hoffmann (Soltau), Frau Geiger, Dr. Götz, Frau Will-Feld, Volmer, Burger, Dr. Warnke, Engelsberger, Seehofer, Spilker und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit— Drucksache 9/199 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung RechtsausschußFinanzausschuß Ausschuß für WirtschaftWird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Ich sehe, das ist nicht der Fall.Im Ältestenrat sind verbundene Debatte über die Tagesordnungspunkte 5 a und b und eine Redezeit von insgesamt 90 Minuten vereinbart worden. — Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden.Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Ich sehe, das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Abgeordnete Kolb das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gehe davon aus, daß die Beratung im 8. Deutschen Bundestag den Kolleginnen und Kollegen bekannt ist. Deshalb gehe ich nicht mehr darauf ein. Ich möchte vielmehr den Versuch unternehmen, die Ursachen der Schwarzarbeit einmal zu ergründen. Wenn ich die Geschichte betrachte, würde ich sagen, das Problem ist über 2000 Jahre alt. Übereinstimmend zitieren in der Bibel Matthäus, Markus und Lukas den Satz: Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist, und gib Gott, was Gottes ist. Nur habe ich den Eindruck, daß wir jetzt eine Situation erreicht haben, in der der Kaiser zu viel will und wir deswegen draußen eine Verweigerung bekommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man sich überlegt, daß in der westlichen Welt zwischen 5 und 35 % des Bruttosozialprodukts — je nach Land verschieden — in die Schwarzarbeit gehen, dann muß man sich fragen: Was ist daran schuld? Die Italiener behaupten, daß sie ohne ihre Economia sommersa nicht mehr leben können. Sie sagen dann glatt: Ohne Schwarzarbeit wird der Staat nicht mehr funktionieren.Die Schweden versuchen es auf einem anderen Weg, mit dem Ergebnis, daß man sich dort jetzt langsam auf den Weg der Naturalwirtschaft zurückbegibt. Der Tausch scheint dort hervorragend zu klappen.Auch bei uns in der Bundesrepublik hat die Schattenwirtschaft in der Zwischenzeit eine Größenordnung von 10 bis 15 % des Bruttosozialprodukts erreicht. Hauptbranchen sind das Baugewerbe, der Dienstleistungsbereich und der Handel.Daß eine steigende Tendenz vorliegt, zeigt sich auch am Bargeldumlauf der Bundesbank. Eigenartigerweise nimmt die Schnelligkeit des Bargeldumlaufs, vor allem in größeren Scheinen, zu. Dies ist ein sicheres Indiz dafür, daß nicht mehr ordnungsgemäß abgerechnet wird, sondern sich ein grauer Markt entwickelt.
Die Abgabenlast, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat eine Größenordnung erreicht, die die individuelle Zahlungsbereitschaft des einzelnen überfordert. Sie haben — wir waren auch daran beteiligt — eine allumfassende soziale Sicherung herbeigeführt. Sie ist akzeptiert worden. Nur: Die Leistung, um diese allumfassende soziale Sicherung zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1935
Kolbfinanzieren, wird von vielen nicht akzeptiert. Bei der Zahlung dafür wollen sie aussteigen.Lassen Sie mich ein paar Gründe nennen, die dazu geführt haben. Das ist einmal die relative und die absolute Höhe der Steuerbelastung. Es ist der progressive Charakter der Belastung. Es sind die Sozialabgaben, und es ist auch die Zurückdrängung der Privatwirtschaft. Es gibt weitere Punkte, die eigentlich eine Voraussetzung für die Schattenwirtschaft sind. Da ist einmal der Rückgang der tariflichen Wochenarbeitszeit. Es ist mehr Freizeit, die von vielen zur Verbesserung ihrer Freizeit- und Finanzgestaltung benutzt wird. Sehr viele benutzen diese Zeit dazu, ihr Einkommen zusätzlich zu verbessern, um so Einnahmen zu erzielen, die sie im Normalf all nicht erreichen.Ich will Ihnen an einem Beispiel aufzeigen, was es bedeutet, wenn jemand, der 2 800 DM brutto verdient und in der Lohnsteuerklasse I/O ist, zehn Überstunden leistet. Dafür bekommt er 202,30 DM brutto ausgewiesen. Selbst bekommt er aber nur 81,16 DM netto. Man könnte sagen: Dies kann man ja noch ertragen. Schlimm wird es aber dadurch, daß sich die lohngebundenen Nebenkosten des Betriebs heute schon auf 78,5 % gesteigert haben, so daß sich die Summe von 202,30 DM schon auf 361,11 DM erhöht. Nimmt man nur einen Gemeinkostensatz des Betriebs von 20 % an — eine sehr geringe Zahl; vor allem jede neue Statistik und ähnliches bringt eine zusätzliche Belastung der Betriebe —, ist man schon bei 433,33 DM. Will man dann noch 5 % Gewinn vor Steuern erreichen, ist man bei 455 DM. Rechnet man die Mehrwertsteuer hinzu, kommt man auf 514,20 DM.Ergebnis: Sie müssen 51,42 DM pro Stunde verrechnen. Davon erhält der Arbeitnehmer 8,16 DM, der Unternehmer erhält 2,17 DM — das sind also zusammen 10,33 DM —, und der Rest verflüchtigt sich in Abgaben und Belastungen.Dort, meine sehr verehrten Damen und Herren, liegen die Ursachen für die Schwarzarbeit, für die Grauzone, die wir heute haben.
Wissen Sie: Der Bürger empfindet dies als überzogen. Ich kann Ihnen ein Beispiel aus meiner eigenen Praxis nennen. Ich bin Geschäftsführer einer Baufirma. Ich weigere mich, für Bekannte und Freunde Arbeiten auszuführen. Wenn ich sie nämlich ausführe und abrechne, sind die Freundschaft und die Bekanntschaft im Eimer. Sie erklären nämlich, ich würde sie balbieren. Deswegen tue ich das nicht, sondern sage statt dessen: Laß es dir von der Konkurrenz machen; ich möchte, daß wir weiter gut miteinander auskommen.Ein ähnliches Problem hat heute jeder Elektrohändler. Er ist gern bereit, Ihnen auf einen Elektroherd einen großen Rabatt zu geben, wenn er nicht den Anschluß herstellen muß. Muß er aber den Anschluß herstellen, kann er praktisch keinen Rabatt mehr geben, weil seine Unkosten so hoch sind, daß sonst auch der letzte Gewinn verlorengeht.Hier zeigt sich doch, meine Damen und Herren, daß wir als Politiker die staatlichen Transfers sehr interessant gemacht — vor allem immer vor Wahlen; wir waren auch dabei, damit wir uns hier nicht falsch verstehen — und den Leuten immer etwas angeboten haben. Plötzlich jedoch ist die Situation da, daß wir dies bezahlen müssen. Die vorhergehende Aktuelle Stunde hat ja deutlich gezeigt, wohin das führt. Jetzt kommen wir und sagen: Nein, nein, mein lieber Freund, du mußt auch etwas bezahlen. Beim Verteilen haben wir geglaubt, der Bürger merke es nicht. Jetzt stehen wir vor der Situation: Was tun?Wir haben mit diesem Gesetzentwurf den Versuch unternommen, ein Stoppsignal zu setzen. Wir wissen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, daß wir das Problem damit noch nicht beseitigt haben. Wir wissen genau, daß wir die Ursachen, die ich genannt habe, entschieden ändern müssen. Wir sollten das einmal kurz von der heiteren Seite betrachten: Als „My fair Lady" in der Bundesrepublik in deutscher Sprache aufgeführt wurde, haben wir schmunzelnd die Passage zur Kenntnis genommen:Der Herrgott schuf den Männerarm wie Eisen, daß er im Schweiße schafft ohn' Rast und Ruh'. Doch mit 'nem kleenen Stückchen Glück schwitzt der andere und du kiekst zu.Sehr viele haben heute wahrgenommen, daß es möglich ist, daß andere schwitzen und sie selbst zuschauen können. Sie nehmen die Vorteile wahr, wollen aber zu dem, was erst einmal erarbeitet werden muß, nicht mehr beitragen.Nun werden Sie fragen: Was können wir denn tun? Meine Antwort: Wir brauchen die Zurückdrängung der staatlichen Wirtschaftsaktivitäten durch Privatisierung öffentlicher Produktions-, Verkehrs-, Versorgungs- und Entsorgungsunternehmen. Ich weiß, daß Sie das überhaupt nicht gern hören.
— Mein lieber Herr Kollege Lutz, ich habe gesagt, daß ich einmal versuche, die Ursachen zu analysieren. Unser Gesetzentwurf ist ein Stoppsignal, und wir alle sind aufgefordert, dann die Änderungen herbeizuführen. Auch die radikale Vereinfachung des Steuerrechts wäre hier angebracht. Wir haben Steuergesetze „für Jahrhunderte" gemacht — mit dem Ergebnis, daß sie nachher noch undurchschaubarer waren. Selbst Finanzbeamte finden da schließlich nicht mehr durch.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einmal die Schweiz als Beispiel anführen. In der Schweiz ist das Thema Schwarzarbeit weder für Handwerkskammern noch für Politiker ein Diskussionsgrund, weil es dieses Thema dort fast nicht gibt. Ich darf hier den Leiter der Eidgenössischen Finanzdirektorenkonferenz, Professor Caganiut, zitieren. Er sagte:Die Grenzen der Steuerbelastbarkeit sind erreicht, wenn eine unternehmenssichernde Verzinsung des Eigenkapitals nicht mehr gegeben ist.
Metadaten/Kopzeile:
1936 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
KolbEr sagt außerdem:Wir pflegen unsere Steuerzahler. Denn wir wollen sie nicht auspressen, sondern ihre Leistungsfähigkeit erhalten und verbessern. Diese Steigerung bringt auch mehr Steuern.Nun höre und staune man: In der Schweiz wird keine Lohnsteuer abgezogen. Dort werden auch die Sozialabgaben nicht in dem Maße, wie wir es kennen, abgezogen, sondern jeder Steuerpflichtige macht im Jahr darauf seine Steuererklärung. Die Eidgenössische Finanzverwaltung kommt mit 25% des Personals aus, das wir brauchen, mit dem Ergebnis, daß sie funktioniert. Ich glaube, meine sehr geehrten Damen und Herren, hier wäre es Zeit zum Nachdenken.Herr Hagedorn, der Vorsitzende der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, hat letzte Woche gesagt: Gebt mir 25 000 Leute mehr, und ich werde noch 10 Milliarden DM zusätzlich herausholen. Ich bezweifle nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß das möglich ist. Nur, ob ein auf diese Art und Weise vorgenommenes Auspressen der Steuerpflichtigen zu einer sicheren Steuereinnahme führt, wage ich entschieden zu bezweifeln. Ich glaube, weniger wäre hier mehr.Wir sollten uns überlegen wie wir unsere Gesetzes- und Verordnungsflut und die weithin wuchernde Bürokratie eindämmen können. Ich habe heute gelesen, daß Herr Minister Ehrenberg — er ist heute leider nicht da — bis zur Sommerpause den ganzen Sozialbereich auf Mißbräuche hin durchforsten will. Herr Staatssekretär, das Interessante an dieser Sache ist, daß die Mißbräuche schon seit Jahren bekannt sind. Nur, man hat sie nivelliert und gesagt: Nehmen wir sie nicht zur Kenntnis, ist ja gar nicht so schlimm.
— Ja, das ist es ja. Jetzt plötzlich soll hier im Eilverfahren geprüft werden, wo ein „legaler" Mißbrauch stattfindet, weil wir es sonst nicht mehr finanzieren können. Die allgemeinen Nutznießer unseres gesamten Sozialbereichs — das sind wir — haben doch nicht nur Rechte auf Leistungen, sondern wir haben auch die Pflicht, einmal zu untersuchen, wie die weitere Abgabenbelastung gestoppt werden kann.Da gibt es doch den interessanten Fall der AOK Kiel, die den Zuschuß für Prothesen von 80 auf 70 % reduziert hat mit dem Ergebnis, daß plötzlich weniger gebraucht wird. Es gibt den Fall der privaten Krankenversicherung, die Medikamente bis zu 5 DM nicht bezahlt. In diesem Bereich ist eine merkliche Kostensenkung zu verzeichnen. Wenn der Bürger nicht alles wie in einem Selbstbedienungsladen angeboten kriegt, ist er vorsichtiger.Wir müssen jetzt unsere ganze Anstrengung auf ein rationales Steuersystem ausrichten, das die Wirtschaftskraft und auch die Steuermentalität einer Gesellschaft berücksichtigt. Ich frage: Welche Kooperationsbereitschaft zeigt der Bürger eigentlich noch gegenüber seiner Finanzverwaltung? Hier die extremen Beispiele Schwedens und der Schweiz. In Schweden ist die Steuerfahndung heute berechtigt, zu jeder Tages- und Nachtzeit beim Bürger eine Hausdurchsuchung durchzuführen, um festzustellen, ob er alle seine Abgaben entrichtet hat. In der Schweiz brauchen die Steuerkommissäre selbst bei großen Firmen nicht mehr als einen halben Tag, um diese zu prüfen. Ja, sie gehen anschließend gemeinsam mit den Unternehmern auch noch zum Essen und ein Viertele trinken. Wenn so etwas bei uns nur angedeutet würde, hieße es, hier werde der Versuch der Steuerhinterziehung unternommen. Bei uns hingegen wird zwei bis drei Wochen geprüft. Das Ergebnis ist: Man kriegt 1 000 DM mehr; was es gekostet hat, danach fragt man nicht.Ich darf auch einmal darauf hinweisen, daß bei uns Ansätze vorhanden sind, diese überzogene Besteuerung und Abgabenbelastung, die nämlich die Ursache der Schwarzarbeit sind, zu korrigieren. Sie können 390 DM pro Monat zusätzlich bei einer anderen Firma mit einer Belastung von 10,8 % verdienen. Nur, wenn Sie das im eigenen Betrieb tun, werden Betrieb und Arbeitnehmer kräftig ausgepreßt. Als ob es ein Unterschied wäre, wenn der Arbeitnehmer diese 390 DM zusätzlich im eigenen Betrieb oder woanders verdienen würde!Wenn wir uns das Problem der Schwarzarbeit vor Augen halten, dann wird sehr deutlich, daß wir erstens keine Leistungsschwäche und zweitens auch keine Leistungsunlust der Arbeitnehmer zu verzeichnen haben. Es handelt sich schlichtweg um Verweigerung. Der Burger, derjenige, der zahlen soll, verhält sich wie ein störrischer Esel. Er läßt sich nicht mehr ausnutzen, er stoppt und versucht, das durch entsprechendes Verhalten zu korrigieren. Ich möchte sagen: Weniger wäre mehr, es sei denn, Sie wollten eine Kombination der Naturalwirtschaft Schwedens, der economia sommersa Italiens und des Pfuschs der Österreicher — so wird dort die Schwarzarbeit genannt. Die Verwaltung in Osterreich nimmt augenzwinkernd wahr, was an Schwarzarbeit geleistet wird. Nachdem die Fahnder Nummern bekommen haben, die bekannt sind, registriert man deren Einfahrt im Dorf, signalisiert, daß der Kontrolleur kommt — mit der Folge, daß die auf dem Bau schwarz Beschäftigten wie die Murmeltiere verschwinden. Der Fahnder stellt anschließend fest, daß gar keine Schwarzarbeit geleistet wird, fährt wieder zurück zu seiner Verwaltung und berichtet dort: von Schwarzarbeit keine Spur, alles wird legal gebaut. Jeder in Österreich weiß jedoch, daß dort ein Haus praktisch nicht mehr unter normalen Bedingungen gebaut werden kann.Lassen Sie mich abschließen. Wir haben unseren Bürgern die sichere Fahrt durchs Leben in dem Luxusomnibus eines Sozialstaates versprochen. Zur Zeit bewegt er sich sowieso nur noch stotternd. Daß der Antrieb dieses Gefährts auf der Leistungsbereitschaft der Mehrzahl der Fahrgäste beruht, wird aber gemeinhin nicht erwähnt. Um die Schwarzfahrer ausfindig zu machen, reicht es nicht, die Zahl der Kontrolleure — Finanzbeamte sind gemeint — oder die Zahl der Mechanismen — Gesetze und Verordnungen — zu ändern. Auch können den zahlenden Gästen nicht noch höhere Fahrpreise abverlangt werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1937
KolbStatt dessen ist es erforderlich, Leistung durch Prämien und humane Rahmenbedingungen attraktiv zu machen. Die Aktivierung der freiwilligen Leistungsbereitschaft aller Fahrgäste kann schließlich das Gefährt nicht nur über den vor uns liegenden Berg, sondern darüber hinaus auch wieder auf höhere Geschwindigkeit bringen. — Ich danke Ihnen.
Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich gefragt, zu welchem Gesetzentwurf der Kollege Kolb gerade geredet hat.
Ganz sicher nicht zu den beiden Entwürfen, die auf der Tagesordnung stehen. Denn er hat in seinen Schlußbemerkungen ja gesagt, daß das nicht der richtige Weg sei.
Er hat gesagt, wir müßten die Steuerbelastungen und die Sozialleistungen abbauen, dann bräuchten wir keine solches Gesetz. Da ich aber die Union für ernsthafter halte, als das aus der eben gehörten Rede hervorgeht, möchte ich mich mit den Gesetzentwürfen befassen. Diese Entwürfe sind allerdings nicht gerade neu. Der Gesetzentwurf des Bundesrates geht auf eine Initiative des Landes Hessen zurück und hat uns die ganze letzte Legislaturperiode beschäftigt.
— Ich sage Ihnen schon, Herr Dr. George warum. — Der Entwurf der CDU/CSU ist davon weitgehend abgekupfert worden und kann insofern auch nicht gerade als Novität gelten.Nichts ist gegen das Ziel zu sagen, die Schwarzarbeit wegen ihrer beträchtlichen Sozialschädlichkeit zu bekämpfen. Wir meinen allerdings — hier teilt meine Fraktion voll die Ansicht der Bundesregierung —, daß es nicht allein auf die Bekämpfung der Schwarzarbeit ankommt; denn sie umfaßt ja nur einen Teilbereich der illegalen Beschäftigung. Wir meinen, daß mit der gleichen Entschiedenheit gegen die illegale Ausländerbeschäftigung vorgegangen werden muß
und daß wir alle Formen der illegalen Arbeitnehmerüberlassung zu bekämpfen haben.
Wir Sozialdemokraten werden uns in den nun anstehenden Beratungen, vorausgesetzt, Sie meinen es mit Ihren Gesetzentwürfen wirklich ernst,
bemühen, mit Ihnen gemeinsam aus einemSchwarzarbeitsgesetz ein Gesetz zur Bekämpfungaller Formen der illegalen Beschäftigung zu machen.
Alle illegalen Beschäftigungsverhältnisse haben nämlich gemeinsam, daß der redliche Gewerbebetrieb Wettbewerbsnachteile gegenüber dem unredlichen Betrieb erlangt,
daß der unredliche Arbeitgeber Preisvorteile gegenüber dem gesetzestreuen sich erschleicht, daß der Staat um die Steuer betrogen wird und daß die Versichertengemeinschaft mitunter sogar doppelt dadurch geschädigt wird, daß ihr Sozialversicherungsbeiträge entgehen und ungerechtfertigte Leistungen in Anspruch genommen werden.Bei der illegalen Ausländerbeschäftigung und bei der gesetzeswidrigen Arbeitnehmerüberlassung kommen zu diesen gemeinsamen Übeln häufig noch die Verletzung der Menschenwürde der illegalen Arbeitnehmer und weitere Formen der Ausbeutung in den Unterkünften oder durch Handgelder und ähnliches hinzu.
— Sicher! Ich habe Ihnen doch gerade gesagt, wie wir Ihren Entwurf anreichern wollen, Herr George. Es muß uns klar sein, daß wir gut daran tun, auf allen drei Gebieten durch gesetzliche Änderungen Abhilfe zu schaffen. Es fällt allerdings auf, daß auf seiten der Wirtschaft der Beifall über eine Verschärfung des Schwarzarbeitergesetzes durchaus heftig ist, sich hingegen keine Hand rührt, wenn man sich auf den beiden anderen Feldern gegen schlimme und schlimmste Mißbräuche zur Wehr setzt.
Dieses Parlament muß nicht wie ein Interessenverband handeln. Mit unserem Vorschlag, Herr George, geben wir allen Fraktionen des Deutschen Bundestages die einmalige Chance, vor dem ganzen Volke gleich glaubwürdig in der Frage der Bekämpfung illegaler Beschäftigungsverhältnisse zu werden, glaubwürdig in jede Richtung. Es wird der Schwarzarbeiter sich nicht darauf verlassen können, daß wir seinen Mißbrauch achselzuckend dulden, es wird der Auftraggeber mit empfindlicher Strafe rechnen müssen — denn ohne die Kumpanei der beiden sind Staat und die Versichertengemeinschaft nicht zu schädigen —, es wird der illegale Arbeitnehmerüberlasser seines schändlichen Gewerbes nicht mehr froh,
ebenso nicht der Entleihbetrieb, der sich solcher Art von Dienstleistungen versichert. Und es ginge jenen besonders üblen Banditen stärker an den Kragen, die sich mit der Ausbeutung illegal Eingeschleuster aus den ärmsten Staaten der Erde derzeit noch dumm und dämlich verdienen.
Metadaten/Kopzeile:
1938 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
LutzIch höre schon den Einwand, daß das alles viel zu kompliziert sei und daß dadurch die Beratungen im Parlament ungebührlich hinausgezögert würden. Dies, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, müssen Sie nicht befürchten.Die Mißbrauchsfälle auf allen drei Ebenen sind bekannt. Auf dem Feld der Schwarzarbeit rechnet das Handwerk mit einem Jahresumsatz von 30 Milliarden DM. Im letzten Arbeitnehmerüberlassungsbericht werden ebenso eindrucksvolle Mißbrauchstatbestände aufgedeckt und ihre finanziellen Folgen belichtet. Es gibt zudem eine Fülle von Vorschlägen, was man machen müßte, um diese Sümpfe wenigstens einigermaßen trockenzulegen. Wir müßten uns das nur einmal von den Beamten des Wirtschafts- und des Arbeitsministeriums zusammentragen lassen, und schon wären wir bei intensiver Arbeit in der Lage, in dieser Legislaturperiode zum Ziel zu kommen.Dabei will ich die Schwierigkeiten, die vor uns stehen werden, gar nicht verniedlichen. Wir haben das in der letzten Legislaturperiode gemerkt, als die Kollegen vom Wirtschaftsausschuß und wir vom Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung an die kritische Prüfung der jetzt wieder zur Debatte stehenden Gesetzesmaterie gingen. Ich will das mal uns allen wieder in Erinnerung rufen:Wir merkten sehr schnell, daß uns damit noch nicht geholfen wäre, wenn wir lediglich das Tatbestandsmerkmal „aus Gewinnsucht" streichen und feststellen würden, daß Schwarzarbeit nicht mehr erst dann strafbar wird, wenn sie „in erheblichem Umfang" anfällt, sondern schon dann, wenn man ihr in „nicht unerheblichem Umfange" begegnet — eine Sprache, die die Juristen zu Freudentänzen veranlaßte, mich weniger. Sicher, die Gerichte hätten es dann leichter; aber würden wir dann nicht Gefahr laufen, die Nachbarschaftshilfe, ohne die viele Siedlungen, Herr Kolb, in Baden-Württemberg und anderswo nie entstanden wären, zu kriminalisieren? Würden wir nicht zänkischem Streit der Nachbarn ein neues Betätigungsfeld eröffnen? Würde nicht der Gesetzgeber nur Aktivität vortäuschen, statt einen tatsächlichen Beitrag zur Lösung des Problems zu liefern?Wir haben uns in der verbliebenen Beratungszeit damals nicht verständigen können; aber — und das macht uns Mut zu dem Vorschlag — wir wissen jetzt sehr viel mehr um die Fallstricke, die wir nicht übersehen dürfen.
Es ist uns jetzt sehr viel klarer, daß wir sehr viel umfassender vorgehen müssen, soll unser Bemühen einen Sinn haben.Wenn wir dann schon beim Nachdenken sind, müssen wir natürlich gemeinsam überlegen, welche dringend notwendigen Veränderungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz von uns gemeinsam anzupacken wären. Ich und viele in meiner Fraktion werden nach genauer Lektüre des letzten Berichts der Bundesregierung ein Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im Baugewerbe für unvermeidbar halten.
Hier gab und gibt es die schlimmsten Mißbräuche, die abzustellen wir gemeinsam versuchen müssen. Herr Sperner, der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bau, Steine, Erden, hat dies allen Fraktionen des Parlaments schon wiederholt vorgetragen. Es wird Zeit, die Konsequenzen daraus zu ziehen.
Wenn man sich nicht gemeinsam auf einen solchen Schritt würde verständigen können — ich frage mich allerdings, warum nicht —, wird man zumindest gegen die Umgehung der Bestimmungen des Leiharbeitsgesetzes durch den Abschluß von Scheinwerkverträgen vorgehen müssen.
Schließlich kann es uns ja gemeinsam nicht gleichgültig sein, daß clevere Geschäftsleute frech und ungeniert die Gesetze unseres Staates für sich und ihresgleichen außer Kraft setzen zu können glauben. Wenn sie das auch noch folgenlos tun können, dann, meine Damen und Herren, ist der Rechtsfrieden wirklich in Gefahr, und dies macht uns allerdings schnelles Handeln zur gebieterischen Pflicht. Solche Umgehungstatbestände wird man aber nur schwer beim Verleiher, ganz sicher jedoch dadurch ausschalten können, daß man die Kontrollen auf das entleihende Unternehmen ausdehnt.Heute wird der Aufklärungseifer der Behörden schon durch die unzulänglichen gesetzlichen Handhaben entscheidend gedämpft — und natürlich auch dadurch, daß der Staat sehr viel mehr Personen in Trab setzt, um Verkehrssündern auf der Spur zu bleiben, als Beamte, deren Aufgabe es wäre, dieser unappetitlichen Spielart der Wirtschaftskriminalität zu wehren. Dabei würde sich das zweifellos lohnen.Es wäre auch schon deswegen dringend erforderlich, weil man aus einer Untersuchung, die im Auftrage der Bundesregierung erstellt wurde und die der letzte Arbeitnehmerüberlassungsbericht teilweise wiedergibt, erfährt, daß auf diesem Sektor die Wirtschaftskriminalität mittlerweile schon in handfeste Gewaltkriminalität umgeschlagen ist.Das spricht auch dafür, den Strafrahmen entscheidend zu verschärfen.
— Ja, wir wollen in Richtung Bekämpfung jeglicher Form von illegaler Beschäftigung gehen; wir wollen dafür sorgen, daß die Gesetze dieses Staates beachtet werden, Gesetze, die Sie — falls Sie das noch in Ihrer geneigten Erinnerung haben — zum großen Teil mitgetragen haben.
— Ich will weniger einstellen, um Parksünder zu finden, und will die Aktivität der Beamten mehr auf
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1939
Lutzdiese besonders sozialschädlichen Vergehen lenken. Darum geht es doch!Das spricht also auch dafür, den Strafrahmen entscheidend zu verschärfen. Die Bußgelder, die jetzt verhängt werden — wenn sie je verhängt werden —, sind für die illegalen Arbeitnehmerverleiher ein Spottgeld, lästige Betriebsunkosten, die man noch nicht einmal auf die Verleihpreise umschlagen muß.Was für den Verleiher gilt, muß, will man das Übel an der Wurzel bekämpfen, umgekehrt auch für den Entleiher zu einem kostenträchtigen Risiko ausgebaut werden. Ich frage mich, warum diese simple Erkenntnis Ihnen und den Wirtschaftsverbänden in dieser Republik nicht einsichtig gemacht werden kann. Schließlich werden ja auch Sie kein Interesse daran haben, daß der Staat und unsere Sozialversicherung alljährlich um Milliardenbeträge geschädigt werden. Dies kann den Gesetzgeber nicht ruhen lassen, und das muß auch jeden Unternehmer auf die Palme bringen, der die Gesetze achtet und der jetzt als jemand, der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge aufbringt, im Regelfall in beiden Eigenschaften zusätzlich zur Kasse gebeten wird.Auch einen letzten Einwand, der gegen den Vorschlag meiner Fraktion vorgebracht werden könnte, möchte ich noch aufgreifen. Wenn einem nichts mehr einfällt, wird im Regelfall das Gespenst an die Wand gemalt, das sei ja eine neue übermächtige Bürokratie;
die bürokratische Maschine werde in Marsch gesetzt. — Jedermann weiß, wie unsinnig — und zudem rechtsstaatlich äußerst bedenklich — ein solcher Vorwurf wäre. Ein Staat, der nicht darauf achtet, daß die Spielregeln der Gesellschaft von seinen Bürgern beachtet werden, verliert ein Stück Glaubwürdigkeit. Diese Glaubwürdigkeit allerdings würde er sowieso verspielen, wenn seine Spielregeln einseitig zugunsten einer Schicht der Bevölkerung und zu Lasten einer anderen aufgestellt würden. Der Staat, der Rechtsstaat, ist schon von der Verfassung her zu ausgewogenem Handeln verpflichtet.
Herr Kollege Lutz, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kolb?
Aber sicher! Vizepräsident Leber: Bitte sehr.
Herr Kollege Lutz, würden Sie den Schweizer Staat nicht als einen Rechtsstaat bezeichnen, und würden Sie sich fragen, warum das dort so ausgezeichnet funktioniert?
Herr Kolb, ich würde nicht jede gesetzliche Regelung der Schweiz in unseren Rechtsstaat übertragen.
— Das ist eine Antwort, denn wenn ich meine Kollegen in der Schweiz höre, wenn ich die Sozialdemokraten in der Schweiz und die Gewerkschaften in der Schweiz höre, wird klar, daß auch diese so vorbildliche Schweiz noch der Verbesserung und der Reform durchaus zugänglich ist.
— Ja, wir können die Schweiz nicht ändern. Wir wollen unseren Staat ausbauen und dafür sorgen, daß die Regeln in unserem Staat beachtet werden.
Dieses Parlament steht in der Pflicht, darauf zu achten, daß die Gesetze beachtet werden, daß die Ausgewogenheit — —
— Ja, darauf habe ich gewartet! Wenn Sie das einführen, müßten Sie eigentlich sagen, dann dürften wir kein Schwarzarbeitsgesetz machen, dann würden wir ja auch noch sehr viel mehr Staatlichkeit exekutieren müssen. Herr Kolb hat ja vorhin gesagt, das bräuchten wir alles nicht, wenn wir dazu kämen, die Steuern und die sozialen Leistungen abzubauen.
Lassen Sie mich einen letzten vermutlichen Einwand gegen unseren Vorschlag vorwegnehmen. Es könnte ja sein, daß jemand damit argumentiert, wir machten ohnehin zu viele Gesetze und schon deshalb seien neue Bestimmungen gegen die illegale Ausländerbeschäftigung und gegen die illegale Arbeitnehmerüberlassung nicht nur überflüssig, sondern von Übel. Ich möchte schon im Vorwege vor einem solchen Argument warnen. Würde es nämlich zu Recht erhoben, würde man natürlich mit exakt der gleichen Begründung gegen eine Reform des Schwarzarbeitsgesetzes argumentieren müssen. Wer A gegen den Kampf der illegalen Beschäftigung sagt, der, so meine ich, wird sich im vorliegenden Falle sicher auch zu B und C bequemen müssen. Das steht in einem unauflösbaren Zusammenhang.
Dies Ihnen zu verdeutlichen war meine Aufgabe. Um Ihr Verständnis und um Ihre Kooperation im anstehenden Gesetzesverfahren zu werben war meine Pflicht. Denn das Ausmaß der illegalen Beschäftigungsverhältnisse ist ungleich größer, als Ihr Entwurf es uns glauben machen wollte.
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie allgemein bekannt, bedauern wir Freien Demokraten es außerordentlich, daß diese Gesetzesinitiativen heute beraten werden. Wir hätten uns gewünscht, daß dieses Kapitel in der
Metadaten/Kopzeile:
1940 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Cronenbergvergangenen Legislaturperiode erledigt worden wäre.
Wie bekannt, haben wir unsere Hausaufgaben in diesem Punkt in den vergangenen Jahren nicht erledigt. Um so mehr werden wir versuchen, die Sache diesmal zu einem guten Ende zu führen. Die Chancen hierfür scheinen mir groß zu sein. Denn wenn ich recht sehe, haben wir nicht nur die Unterstützung der Regierung — ich erinnere an die Regierungserklärung des Kanzlers —, nicht nur die Unterstützung der Opposition, sondern auch die der Koalitionsfraktion. So gesehen kann es ja nicht allzu schwierig sein, die Geschichte zu einem vernünftigen, im Interesse der Gesellschaft liegenden Abschluß zu bringen.Bevor ich im Detail auf die Fragen eingehe, hochverehrter Herr Kollege Kolb, möchte ich mir ein paar Bemerkungen zu Ihrer Analyse der Ursachen für Schwarzarbeit überhaupt erlauben. Sie sagen, die Abgabenquote, also Steuerlastquote plus Sozialversicherungsbeiträge, sei mit ursächlich für das Verhalten derjenigen, die Schwarzarbeit leisten. Das ist unbestrittenermaßen richtig. Aber bevor man sich darüber beschwert, sollte man wissen, was dabei herauskommt. Die Steuerlastquote im Lande ist nicht gestiegen. Möglicherweise gibt es Steuern an der falschen Stelle. Und Ihr Schweizer Beispiel mit den Sozialbeiträgen zieht natürlich auch nur bedingt. Denn ich möchte in Ihre Erinnerung zurückrufen, daß in der Schweiz Sozialbeiträge auf das Gesamteinkommen abzuführen sind und nicht nur auf einen Teil des Einkommens. Ich könnte mir vorstellen, daß die Kollegen von der SPD-Fraktion für solche Maßnahmen sehr viel Verständnis haben. Sie wissen, daß wir das nicht haben, und ich hoffe sehr, Herr Kollege Kolb, daß Sie in dieser Frage mehr auf unserem denn auf diesem Dampfer sind. Auf diesem Hintergrund muß man die Abgabenquote, die sich aus den Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern ergibt, anders bewerten.Die Tatsache, daß es überhaupt Schwarzarbeit gibt, beweist ja zunächst einmal, daß es mehr Arbeit gibt, als durch ordentliche Beschäftigte ausgeführt wird. Sie beweist weiterhin, daß es arbeitswillige und arbeitsfähige Bürger gibt, die bereit sind, solche Arbeiten anzunehmen und durchzuführen. Niemand kann bestreiten, daß es in erheblichem Umfang Schwarzarbeit gibt. Ich bestreite auch nicht, daß durch Schwarzarbeit volkswirtschaftlich Wertvolles erhalten und zum Teil geschaffen wird.Trotzdem ist der Schaden für die Gesellschaft unermeßlich. Wir schätzen, daß ca. 10 Milliarden DM Sozialversicherungsbeiträge und Steuern der Gesellschaft, dem Staat verlorengehen. Bei den unbestritten leeren Kassen — egal, wo man die Ursachen sucht — wären diese 10 Milliarden DM in jedem Fall ein hilfreicher Beitrag zur besseren und solideren Finanzierung unseres Staatswesens.Nicht nur wegen Steuerhinterziehung und Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge muß die Schwarzarbeit unterbunden werden, sondern auch, damit die vielen kleinen Handwerks- und Gewerbebetriebe nicht durch Schwarzarbeit kaputtgemacht werden.
Sie können ja wohl kaum gegen Schwarzarbeiter konkurrieren. Sie führen ihre Steuern ab, sie bezahlen Sozialbeiträge, sie stellen dankenswerterweise die vielen notwendigen Ausbildungsplätze, sie garantieren Sicherheit — im Kraftfahrzeughandwerk, im Installationshandwerk, im Elektrohandwerk.Darüber hinaus möchte ich gern einige Gesichtspunkte in die Debatte einführen. Das Recht auf Arbeit muß auch unter erschwerten gesamtwirtschaftlichen Bedingungen für möglichst viele Arbeitnehmer verwirklicht werden. Sie wissen, daß eine Umverteilung vorhandener Arbeitsplätze für uns kein akzeptabler Lösungsvorschlag ist. Wir sind zutiefst davon überzeugt, daß Arbeitszeitverkürzungen, gesetzlich verordnet, weit mehr schaden als nutzen.
Eine Mangelverwaltung bedeutet für uns mehr Bürokratie, weniger Wohlstand, weniger Freiheit.
Sie würde mögliches Wachstum verhindern. Jeder im Land weiß, daß wir Freien Demokraten auf die Expansionskraft dieser Marktwirtschaft vertrauen
und daß die Schaffung neuer Arbeitsplätze besser durch Wachstum und Umstrukturierung unserer Wirtschaft erfolgt.Für uns hat auch der Abbau von Beschäftigungshemmnissen eine hohe Bedeutung. Beschäftigungshemmend ist z. B. die derzeitige Ausgestaltung bestimmter Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit und anderer Sozialleistungen.Deshalb nehmen wir im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Kolb, nicht kritisch, sondern begrüßend zur Kenntnis, daß das Kabinett beschlossen hat, eine Kommission einzusetzen, die prüfen soll, welche Mißbräuche vorhanden sind, damit wir die Mißbräuche abstellen können.
— Dann seien Sie wenigstens so ehrlich, zu sagen: Später ist besser als überhaupt nicht. Insoweit hat die Regierung Lob und nicht Kritik verdient. Sie sollten dies doch unterstützen und nicht mit kritischen Bemerkungen versehen.Vor diesem Hintergrund bringe ich in Erinnerung, daß wir gemeinsam das AFG verändert, daß wir in der Novelle von 1979 den Zumutbarkeitsbegriff neu gefaßt haben und daß die notwendigen Maßnahmen von der Bundesanstalt zwar ergriffen worden sind, aber bedauerlicherweise noch DurchführungsanWeisungen mit erläuternden Hinweisen für die einzelnen Vermittler fehlen. Denn wer sich anschaut, wie dieser unser Gesetzeswille vor Ort realisiert wird, erlebt laufend Enttäuschungen. Unser Ziel war ja, Drückebergerei dort, wo sie vorhanden ist, abzu-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1941
Cronenbergstellen. Bedauerlicherweise ist der Erfolg nicht eingetreten.Wie dem auch sei — solange Schwarzarbeit so attraktiv ist und solange keine angemessenen gesetzlichen Handhaben zur Bekämpfung der Schwarzarbeit existieren, so lange verhindert Schwarzarbeit legale Beschäftigung. Wir alle wollen j a ein Höchstmaß an legaler Beschäftigung.Wie Sie also sehen, stehen die Bekämpfung von Leistungsmißbrauch u. a. bei der Bundesanstalt für Arbeit, Abbau von Beschäftigungshemmnissen, Ablehnung einer Umverteilung von Arbeitsplätzen durch Arbeitszeitverkürzung und Bekämpfung von Schwarzarbeit in einem direkten und unmittelbaren sachlichen Zusammenhang. Das gilt — ich möchte es noch einmal wiederholen — auch für die gesetzliche Arbeitszeitverkürzung. Selbstverständlich würde eine solche gesetzliche Arbeitszeitverkürzung im Ergebnis mehr Schwarzarbeit provozieren.
Die von der sozialliberalen Regierung des Landes Hessen auf Drängen des so tragisch ermordeten Wirtschaftsministers Karry vorgeschlagene Änderung des Schwarzarbeitergesetzes zielt darauf ab, Schwarzarbeit ohne zusätzliche Bürokratie wirksamer als bisher zu bekämpfen. Sie ergänzt die von der Bundesregierung vorgesehene Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes in sinnvoller Weise und wird deswegen von der FDP-Fraktion selbstverständlich positiv bewertet und unterstützt werden. Wir sind mit dem Kollegen Lutz auch darin einig, daß alle illegalen Mißbräuche im Bereich der Leiharbeit abzustellen sind.
Ich bin mit Ihnen völlig einer Meinung, daß Scheinarbeitsverhältnisse ein unerträglicher Zustand sind, und zwar, wie Sie gesagt haben, auch und gerade aus der Sicht anständiger Arbeitgeber.
Ich möchte allerdings auch darauf hinweisen, daß die wirtschaftlichen Bedürfnisse für die Arbeitnehmerüberlassungen nicht zuletzt deswegen bestehen, weil wir einen nach unserer Auffassung überzogenen Kündigungsschutz haben. Man muß natürlich sehen, daß in den Betrieben eine flexible betriebliche Personalpolitik, die diese ganze Leiharbeit überflüssig machen würde, nicht praktiziert werden kann, da Kündigungen so gut wie ausgeschlossen sind.
Wir sind bereit, diesen ganzen Fragenkomplex völlig unvoreingenommen mit Ihnen zu diskutieren, allerdings unter der Voraussetzung, daß die Ursache für den ganzen Leiharbeitsunsinn mit zur Diskussion gestellt wird.
Ich bitte alle, unsere Zusage vor diesem Hintergrundzu verstehen. Das Schlußwort des Kollegen Lutzmöchte ich ausdrücklich unterstützen. Es geht in der Tat darum, daß die Spielregeln, die wir uns selber setzen, gerecht sind, daß sie für denjenigen, der sie einhalten muß, einhaltbar sind. Wir haben im Bereich der Schwarzarbeit, im Bereich der illegal Beschäftigten, im Bereich des Kündigungsschutzes dafür zu sorgen, daß dies alles praktikabel ist.Ich füge einen letzten Hinweis für Herrn Hagedorn an, der gern 25 000 neue Finanzbeamte hätte. Ich wüßte, wie wir Herrn Hagedorn spielend leicht 4 000 neue Finanzbeamte verschaffen könnten, ohne einen einzigen neu einzustellen: Stimmen Sie der Umlage der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer zu. Dann haben Sie Ihre 4 000 Finanzbeamten, ohne einen neuen einzustellen.
Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
Das Wort hat der Abgeordnete Landré.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich möchte mit einem Dank an Sie, Herr Cronenberg, beginnen; denn Sie haben zum Thema gesprochen. Ich glaube, darum ging es heute. Wir haben erneut in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit eingebracht, weil ein solcher Entwurf, obwohl er im Jahre 1978 von uns und auch vom Bundesrat schon einmal eingebracht wurde, in der vergangenen Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden konnte.
Ich habe zwar Verständnis für die taktischen Manöver, Herr Lutz, die Sie dazu bewogen haben, hier zu einer völlig anderen Sache zu sprechen, und ich bin auch gern bereit, darauf einzugehen, wenn Sie wollen, und werde es sicherlich im Laufe meiner Rede auch tun. Nur sei es mir bitte gestattet, nun da fortzufahren, wo es nach meiner Meinung richtig ist, nämlich dort, wo Herr Cronenberg aufgehört hat. Lassen Sie mich noch einmal auf das zurückkommen, was Herr Kolb zu Anfang gesagt hat. Er hat hier dargestellt, wo die Hauptursachen für Schwarzarbeit zu suchen sind.
Herr Kollege Landré, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lutz?
Selbstverständlich.
Herr Kollege, warum ist es in Ihren Augen ein taktisches Manöver, wenn man gegen alle Formen illegaler Beschäftigung ist?
Nein, das wollte ich damit überhaupt nicht sagen, und das wissen Sie auch. Vielmehr ging es mir darum klarzustellen, daß wir hier über das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit reden. Sie haben darüber so gut wie kein Wort
Metadaten/Kopzeile:
1942 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Landréverloren, und das halte ich für ein taktisches Manöver. Das werden Sie mir doch zugestehen müssen.
Meine Damen und Herren, wenn wir hier heute über dieses Gesetz, über eine Verschärfung, über eine Verbesserung dieses Gesetzes sprechen, dann sehen wir darin eine kurzfristige Maßnahme gegenüber den langfristigen Überlegungen, auf die Herr Kolb eingegangen ist. Das ist insofern vielleicht ein bißchen Arbeitseinteilung. Es handelt sich also um eine kurzfristige Maßnahme zur Eindämmung der Ausbreitung dieser Schattenwirtschaft, wie Herr Kolb sie genannt hat. Ich pflege gewöhnlich von Subökonomie zu sprechen. Es handelt sich dabei um eine Tatsache, die sich ein intaktes Staatswesen auf Dauer nicht leisten kann, wenn es nicht Schaden nehmen will. Die Gründe sind arbeitsmarkt-, sozial- und ordnungspolitischer Natur. Der Staat als der maßgebliche Lenker der Volkswirtschaft hat es in der Hand, sich akzeptable Rahmenbedingungen zu schaffen. Schwarzarbeit von diesen Ausmaßen, wie wir sie heute erleben, ist ein Zeichen dafür, daß diese Bedingungen nicht mehr gegeben sind, daß die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen, daß das System nicht mehr stimmt, meine Damen und Herren.
Wenn wir langfristig — das sei noch einmal wiederholt — etwas tun wollen, dann müssen wir darangehen, leistungsfeindliche Staatslasten zu verringern und zu einer funktionierenden Marktwirtschaft zurückkehren. Je mehr eine Marktwirtschaft durch zahllose Gesetze und Verordnungen gegängelt wird — Herr Lutz, das empfehle ich Ihnen —, desto lebendiger blüht sie im Untergrund, ganz egal auf welcher Ebene, auch auf der von Ihnen angesprochenen. Aber darauf komme ich noch. Es ist auf die Dauer unerträglich, wenn erhebliche Teile des Sozialproduktes an der Kontrolle des Staates vorbei erwirtschaftet werden.
Bei den ungeheuren Ausmaßen, die die Subökonomie inzwischen erreicht hat, muß man sich fragen, ob das, was wir als Sozialprodukt messen, der wirtschaftlichen Realität überhaupt noch entspricht.Unser System der Sozialen Marktwirtschaft — daran sei in diesem Moment erinnert — beruht ja nicht zuletzt darauf, daß die Bürger in diesem Lande leistungsbereit sind, daß sie ihre Leistung auch anständig honoriert bekommen; es beruht auf dem Solidaritätsprinzip, auf Hilfen für die sozial Schwachen und nicht zuletzt auch auf dem Prinzip des Wettbewerbs unter gleichen Bedingungen.Das ist das Kernstück: Wettbewerb gegenüber Schwarzarbeitern ist ungleich! Hier handelt es sich um eine Wettbewerbsverzerrung. Schwarzarbeit bedeutet illegale Teilnahme am Wettbewerb.
— Schwarzarbeit ist die unberechtigte Ausführungvon Produktherstellung und Dienstleistung. Das seiIhnen in Erinnerung gerufen. — Schwarzarbeit führt zu erhöhter Arbeitslosigkeit
— ich bin bei den Auswirkungen; ich komme auf Ihre Einwände —, gefährdet die legal arbeitende Wirtschaft, vermindert deren Steuerkraft, gefährdet auch deren Arbeits- und Ausbildungsplätze, verursacht dadurch Steuerausfälle des Staates und führt nicht zuletzt zu einer erheblichen Schädigung — auch das sei Ihnen ins Stammbuch geschrieben — der Sozialversicherungsträger.
— Warten Sie doch ab. Sie ist — mit einem Wort — leistungsfeindlich und schädigt damit alle Bürger. Deshalb müssen wir nun endlich handeln. Ich bin dankbar dafür, daß das von allen Seiten des Hauses bis jetzt bekundet worden ist. Wir müssen versuchen, dieser Gefahren nun endlich Herr zu werden. Wir können nicht warten, meine Damen und Herren, bis sich die Strukturen unserer Wirtschaft völlig verändert haben und die Leistungsverweigerung der Bürger für das gemeinsame Staatswesen nicht wiedergutzumachende Schäden verursacht.
Verlorene Moral gegenüber Staat und Gesellschaft ist wohl nie wieder zurückzugewinnen.Ich möchte Ihnen etwas sagen: Professor Schmölders — er dürfte Ihnen bekannt sein — von der Forschungsstelle für empirische Sozialökonomik in Köln — sagt, die Steuermoral sinke, schon ein Drittel der Bürger halte es heute für ein Bagatelldelikt, Steuern zu hinterziehen. Das Bundesministerium für Arbeit ließ uns wissen, daß im Zeitraum von 1977 bis 1979 die Zahl der Mißbrauchsfälle für die Empfänger von Leistungen von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe um 31,6 % d. h. um fast ein Drittel, zugenommen hat. Ich stelle fest: Schwarzarbeiter sind die Trittbrettfahrer unseres Gesellschafts- und Sozialsystems. Die Schwarzarbeit hat Konjunktur wie noch nie. Sie ist vielleicht zur Zeit die bemerkenswerteste Wachstumsbranche, die wir haben, meine Damen und Herren.
Ihre Größenordnung ist immens, wenn auch naturgemäß schwer einzuschätzen. Die Zahl ist hier schon gefallen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks spricht von 10% des Gesamtumsatzes. Herr Kolb hat eine andere Zahl genannt: Ernst zu nehmende Wissenschaftler sprechen davon, daß 10% bis 15 % unseres Sozialproduktes schwarz erwirtschaftet werden.Wir wissen, daß im ländlichen Raum nahezu 70% aller Rohbauten und 90 % aller Ausbauarbeiten schwarz ausgeführt werden. In Aachen ist innerhalb
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1943
Landrévon zwei Jahren eine Siedlung mit 30 eineinhalbgeschossigen Häusern entstanden.
— Ich würde darüber nicht lachen. Vielleicht hören Sie einmal zu. Für die betroffenen Handwerker ist es schon interessant, was ich hier sage. In der Kreishandwerkerschaft Heinsberg hat man dazu gesagt, daß bei diesen 30 Häusern, die innerhalb von zwei Jahren dort errichtet worden sind, nicht ein einziger legal arbeitender Handwerker auf der Baustelle gewesen ist. Das Ganze ist ungeahndet geblieben, meine Damen und Herren. Das ist ein Skandal; er muß hier angesprochen werden.Ich möchte Ihnen noch etwas sagen. Vielleicht macht Sie das etwas ernster. Der bayerische Zentralverband des Karosseriebauerhandwerks hat uns kürzlich wissen lassen, daß von den Unfallwagen nur etwa 25 % in Fachbetrieben von Fachleuten repariert werden. Damit taucht eine andere Gefahr vor uns auf, nämlich die, daß in den Gefahrenhandwerken, wenn unsachgemäß und vielleicht mit wenig Sachkenntnis Arbeiten ausgeführt werden, auch Gefahr für Leib und Leben gegeben ist. Auch das darf in diesem Falle nicht außer acht bleiben.Noch ein letztes Beispiel: Das Emnid-Institut in Bielefeld hat kürzlich eine Umfrage gestartet und dabei erfahren, daß 8% aller Arbeiter gelegentlich oder regelmäßig schwarz arbeiten. Das ist ein Heer von zwei Millionen, meine Damen und Herren. Dazu kommen noch die Arbeitslosen. Ich frage Sie, ob das eine Bagatelle ist.Organisierte Baukolonnen ziehen durchs Land. Nun komme ich auf Ihr Thema. Sie sind mit Schwarzarbeitern und illegalen Leiharbeitern ausgestattet, die — bar jeder sozialen Absicherung — als unlautere Konkurrenz gegenüber den legal arbeitenden Betrieben arbeiten. Hier will ich gern auf Ihr Thema eingehen. Ich habe überhaupt nicht die Absicht, das zu übergehen; im Gegenteil. Nur lassen Sie mich als selbständiger Handwerksmeister auch das sagen: ich unterscheide hier sehr fein und sehr deutlich zwischen legalen und illegalen Leiharbeitern.
Wir haben von Herrn Cronenberg vorhin schon gehört — ich kann das nur unterstreichen —, daß bei einer so starren Arbeitszeitordnung, wie wir sie haben — nach ihr darf über eine bestimmte Überstundenzahl in der Woche nicht hinausgegangen werden — die Flexibilität der Betriebe überhaupt nicht mehr gegeben ist. Wenn sie einen Auftrag noch ordnungsgemäß und rechtzeitig ausführen wollen, dann bleibt ihnen manchmal nur der Leiharbeiter, natürlich der legale, natürlich derjenige, der von einer ordnungsgemäß eingetragenen Firma, der unter vernünftigen Bedingungen arbeitet, um einen Ausgleich zu schaffen. Das ist ein Puffer, auf den die Wirtschaft nicht verzichten kann.Nun noch eins, Herr Lutz. Lassen Sie mich das auch noch sagen, bevor ich Ihre Zwischenfrage zulasse. Sie sagen, daß Sie im Baugewerbe insgesamt die Leiharbeit abzuschaffen gedenken, auch die legale, wie ich daraus entnommen habe. Ich muß mich darüber allerdings sehr wundern. Fragen Sie einmal die Bauwirtschaft, was sie Ihnen dazu sagen wird.
Herr Kollege Landré, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lutz?
Aber selbstverständlich.
Nach der Arbeitszeitordnung, Herr Kollege, sind derzeit bis zu 70 Wochenarbeitsstunden möglich. Inwiefern ist das starr? Wollen Sie das noch ausweiten?
Ich habe nicht die Absicht, einen Mitarbeiter in meinem Betrieb 70 Wochenstungen arbeiten zu lassen. Aber es ist durchaus denkbar, Herr Lutz, daß es bei Spezialkräften, bei Spezialarbeiten manchmal rund um die Uhr gehen muß. Das gibt es. Ich spreche nicht wie ein Blinder von der Farbe; ich spreche von meinem eigenen Betrieb. Ich bin dann darauf angewiesen, mir in irgendeiner Form die zusätzlichen Arbeitskräfte zu beschaffen. Sie wissen selbst vom Zentralverband des Deutschen Handwerks, daß uns 200 000 Facharbeiter fehlen. Ob sie nun Schwarzarbeiter sind oder überhaupt nicht vorhanden sind, will ich jetzt einmal dahingestellt sein lassen. Aber wir brauchen in solchen Fällen eine Möglichkeit, um mit unseren Arbeiten fertig zu werden. Dazu ist ein legaler Leiharbeiter das geeignete Instrument. Aber wir werden Gelegenheit haben, im Laufe des Verfahrens darüber noch zu reden.Lassen Sie mich jetzt aber auf den Kern des Gesetzes kommen, von dem ich sage, daß es ein untaugliches ist. Ich sage auch, warum. Das Gesetz ist 1957 entstanden und 1974 novelliert worden. Es schreibt einige Dinge fest, die es sehr unpraktikabel machen. Es enthält z. B. die Formulierung, daß es Arbeit verbietet, die jemand für andere aus Gewinnsucht in erheblichem Umfange erbringt, und zwar als Dienstoder Werksleistungen. Ausdrücklich ausgenommen, Herr Lutz, sind dabei die Nachbarschaftshilfe und die Gefälligkeit. Sie werden auch von uns nicht angetastet. Das haben wir überhaupt nicht im Sinn, im Gegenteil. Selbsthilfe z. B. im Eigenheimbau ist für uns eine unumstößlich notwendige Sache, der wir nach wie vor unser Plazet geben.Wir kennen darüber hinaus flankierende Gesetze, z. B. die Gewerbeordnung, die Handwerksordnung, das Arbeitsförderungsgesetz. Sie regeln zum Teil die Ausübung selbständiger Tätigkeiten und werden dadurch auch zur Bekämpfung von Schwarzarbeit mit herangezogen.Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß nahezu 95 % aller Bußgeldverfahren durch die Anwendung der Handwerksordnung und nicht etwa durch die Anwendung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit abgewickelt werden. Das ist auch kein Wunder. Denn es läßt sich sehr viel leichter und unkomplizierter feststellen, ob jemand in die Hand-
Metadaten/Kopzeile:
1944 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Landréwerksrolle eingetragen ist, als daß man ihm beispielsweise Gewinnsucht nachweisen könnte.Nun bin ich bei diesem Wort „Gewinnsucht". Gestatten Sie mir bitte, daß ich dazu einmal die juristische Definition gebe. Gewinnsucht ist ein Verhalten, das über das bloße Streben nach Gewinn hinausgeht, die Steigerung des berechtigten Erwerbssinnes auf ein ungesundes, ungewöhnliches, sittlich anstößiges Maß. Gewinnsucht liegt vor, wenn der Täter ein besonders mißbilligtes Verhalten zeigt, wenn er von dem Verlangen nach Gewinnerzielung so beherrscht wird, daß er ihm hemmungslos unterliegt. Ich glaube, Sie werden mir recht geben, meine Damen und Herren: Einem geschickten Anwalt wird es schnell gelingen, mit dieser Definition ein mühsam und sorgfältig aufgebautes Beweisgebäude über eine Schwarzarbeiterkolonne sofort zum Einsturz zu bringen. Deswegen sagen wir: Was soll dieser Unsinn? Weg damit, ersatzlose Streichung!Die Zeit gestattet mir nicht, auf die einzelnen Änderungswünsche sonst noch einzugehen. Lassen Sie mich nur noch einen Satz zum Begriff „erheblicher Umfang" sagen, weil er hier angesprochen worden ist, Herr Lutz. Wenn das Gesetz schon „Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit" heißt, dann sollte es auch ein möglichst breites Spektrum der illegalen Arbeit abdecken; zu diesem Zweck könnte es eingesetzt werden. Darum wollen wir die Schwelle ein wenig niedriger setzen. Wir wissen, daß die Grenze fließend ist. Das wissen wir ganz genau. Was ist z. B. Nachbarschaftshilfe? Wer ist der Nachbar? Ist das der von nebenan? Selbstverständlich. Ist das der, der fünf Häuser weiter wohnt? Natürlich, der auch noch. Ist das der, der eine halbe Autostunde weg wohnt? Wohl kaum noch. — Und wem leistet man „Gefälligkeit"? Dem Bruder, der Schwester, der lieben Verwandtschaft? Selbstverständlich. Dem Arbeitskollegen, der einem selber einen Gefallen getan hat? Natürlich auch, warum nicht? Aber — ich gebe es gern zu, die Grenze ist fließend — dann wird es schon schwierig.Die Grenze ist fließend, aber es gibt sie. Deswegen müssen wir definieren: zumindest das, was wir nicht wollen. Deswegen haben wir die negative Formulierung gewählt, in der wir sagen, was Dienstleistungen aus Gefälligkeit und Nachbarschaftshilfe nicht sind. Wir bitten Sie auch, dies mit in die Beratungen einzubeziehen.Ich meine, es ist nun an der Zeit. Wir haben zwei Jahre lang, ich hätte fast gesagt: vertan. Wenn hier eben gesagt worden ist: Wir haben zwei Jahre lang intensiv an dem Gesetz gearbeitet, muß ich allerdings ein bißchen lächeln. Es hat fast zwei Jahre gedauert, bis das Gesetz nach seiner Einbringung überhaupt in die Arbeitsgruppe des Ausschusses für Wirtschaft hineingelangt ist. Dann hat man sich auf den Tag genau während drei Monaten in vier Sitzungen darüber unterhalten, hat eine Empfehlung abgegeben. Dann hieß es: Aus Zeitmangel und wegen juristischer Bedenken muß man sich auf das kleinste gemeinsame Vielfache zurückziehen, nämlich darauf, das Gesetz nicht weiter zu behandeln.Ich habe etwas Hoffnung nach Ihrem Beitrag, zumindest deshalb, weil Sie gesagt haben: Wir haben aus den Fallstricken gelernt, die wir da gesehen haben, und es wird uns gelingen, an dem Gesetz nun alles das zurechtzurücken, was wir für sinnvoll halten. Ich bitte Sie auch, da mitzuziehen. Über die illegale Leiharbeit können wir selbstverständlich auch sprechen. Ich würde nur empfehlen: Wenn es schon so dringend ist, wie Sie es dargestellt haben, dann legen Sie dazu doch ein eigenes Gesetz vor.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heyenn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich die Debattenbeiträge der Redner der Unionsparteien zusammenfasse und mir die Entwicklung der vergangenen Jahre vor Augen führe, muß ich sagen: Neues ist Ihnen leider nicht eingefallen, weder der CDU/CSU noch dem Bundesrat; den muß ich dazunehmen. Wenn wir über Schwarzarbeit reden, gestatten Sie mir eine Zwischenbemerkung heiterer Art, wie ich hoffe. Wenn dieses Plenum einen Arbeitsplatz darstellt und ich mir die jetzige Präsenz vor Augen führe, dann muß ich auch zu dem Schluß kommen, daß eine Menge unserer Kolleginnen und Kollegen zur Zeit irgendeiner illegalen Beschäftigung nachgehen und nicht am eigentlichen Arbeitsplatz sind.
Ich möchte aber begründen, warum Ihnen nichts Neues eingefallen ist. Sie wissen es ja selbst, Herr Landré. Die beiden weitgehend deckungsgleichen Gesetzentwürfe, die uns jetzt vorliegen, sind nach unserer Meinung nicht geeignet, das ernste Problem der Schwarzarbeit wirksam zu bekämpfen. Der Bundesratsentwurf ist die wortgleiche Wiederholung eines Entwurfs aus der letzten Legislaturperiode. Die CDU/CSU hat sich mit einigen redaktionellen Änderungen einfach an diesen Entwurf angehängt. Das ist legitim, aber es ist kaum originell. Nun ist j a eine Opposition auch nicht zur Originalität verpflichtet. Der Entwurf ist in der letzten Legislaturperiode umfassend beraten worden. Sie haben soeben selbst darauf hingewiesen, daß der Wirtschaftsausschuß damals eine Arbeitsgruppe gebildet hat, die sich in vier Sitzungen damit beschäftigt hat; der Wirtschaftsausschuß selbst hat sich auch damit beschäftigt. Wir haben damals gemeinsam die Schwachstellen dieses Entwurfs aufgedeckt, die auch dazu geführt haben, daß wir nicht weitergekommen sind. Und nun legen Sie diesen Entwurf in unveränderter Form wieder vor. Ich hätte eigentlich von Ihnen erwartet, daß die intensiven Diskussionen aus der vergangenen Legislaturperiode zumindest bei Ihnen, die Sie uns mit einem Entwurf konfrontieren, aufgearbeitet und umgesetzt worden wären, aber das ist leider nicht geschehen. Ich glaube, meine Damen und Herren von der Opposition, dieses ernste Thema hätte etwas mehr Mühe Ihrerseits verdient. Ich will Ihnen aber nicht absprechen, daß auch Sie ein Interesse an der Bekämpfung der Schwarzarbeit haben; wir haben das auch. Wir wis-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1945
Heyennsen dabei, daß wir Schwarzarbeit nur einengen können, daß wir sie durch eine noch so umfassende gesetzliche Regelung nicht völlig unterbinden können. Wir wissen auch, daß Schwarzarbeit ein Thema ist, dessen Bedeutung parallel läuft zu den konjunkturellen Schwankungen, und wir wissen auch, daß Schwarzarbeit in Zeiten einer Hochkonjunktur geduldet und gefördert wird, ja, daß Firmen sogar das Arbeitsmaterial mitgeben, damit ihnen unbequeme Aufträge am Wochenende in Schwarzarbeit erledigt werden können. Wir sollten dafür sorgen, daß dieses Thema — unabhängig von konjunkturellen Schwankungen — ernst genommen wird.Ich will nur noch kurz auf die Vergangenheit eingehen, weil dazu schon gesprochen worden ist. Gesetzgeber und Bundesregierung haben j a in der Vergangenheit gemeinsam vieles zu diesem Thema unternommen. Herr Kollege Landré, Sie haben darauf hingewiesen, daß das Schwarzarbeitergesetz novelliert wurde. 1974 wurde die Schwarzarbeit als Ordnungswidrigkeit eingestuft. Die Vierte Novelle des AFG hat die Kontrollmöglichkeiten der Arbeitsämter verbessert. Die Aufforderung des Bundesarbeitsministers — das halte ich für sehr wesentlich — an die Ministerpräsidenten der Länder zu verstärkter Kontrolle hat ein positives, aber bei weitem nicht ausreichendes Echo gefunden. Ich möchte diejenigen, die hier auch ausgeführt haben: Wir wollen dieses Gesetz verändern, aber wir wollen weniger Kontrolle, fragen, wie sie sich denn eigentlich ein Gesetz ohne Kontrolle vorstellen oder ob es nicht vielmehr eindeutig ist, daß bei einem Weniger an Kontrolle ein Mehr an Schwarzarbeit geleistet wird. Ich bin der Überzeugung, daß die jetzigen Kontrollmöglichkeiten, die wir in den Ländern — dafür ist nicht der Bund verantwortlich — haben, bei weitem nicht ausreichen bzw. daß die gesetzlichen Möglichkeiten zur Kontrolle nur unzureichend wahrgenommen werden. Denn für die jetzige Situation können Sie das Gesetz und die Rechtsprechung nur zu einem geringen Teil verantwortlich machen, die Hauptgründe liegen in der unzureichenden Erfassung und Verfolgung von Schwarzarbeit durch die dafür zuständigen Behörden.In seiner Regierungserklärung, meine Damen und Herren, hat der Bundeskanzler ausdrücklich erklärt, er werde sich verstärkt bemühen, illegale Leiharbeit und Schwarzarbeit einzudämmen. Diese Aussage hat die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates konkretisiert. Sie führt dort aus, daß Schwarzarbeit nur einen Teilbereich der illegalen Beschäftigung bildet, daß illegale Beschäftigung auch illegale Ausländerbeschäftigung und illegale Leiharbeit umfaßt. Die Bundesregierung betont, daß illegale Beschäftigung in ihren verschiedensten Erscheinungsformen und im Gesamtzusammenhang bekämpft werden müsse. Die Zustimmung meiner Fraktion zu diesen Aussagen möchte ich mit allem Nachdruck betonen.Die Koalition hat ihre Vorbereitungen noch nicht abschließen können, weil es schwierig ist, geeignete Konzepte zu entwickeln, bei denen die Nachteile nicht die Vorteile überwiegen. Es hilft auch nicht weiter und bleibt, glaube ich, vordergründig, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Es muß weitergedacht werden, meine Damen und Herren, es darf nicht nur abgeschrieben werden. Herr Kollege Landré, wir sollten uns davor hüten, dem anderen in diesem Gesamtzusammenhang taktische Manöver vorzuwerfen. Alles andere, vordergründig zu bleiben, sich in Vorwürfen zu erschöpfen, hilft bestenfalls zu lobenswerten Erwähnungen in den einschlägigen Fachzeitschriften der Verbände, aber es hilft unserem gemeinsamen Ziel nicht weiter. Auch wir Sozialdemokraten wollen, daß illegale Arbeit wirksamer bekämpft wird. Aber wir wollen, da wir dieses Thema nun schon einmal anfassen, daß alle Tatbestände illegaler Beschäftigung zusammen geregelt werden.
Hinsichtlich Schwarzarbeit bleibt für uns unabdingbar, daß die Nachbarschaftshilfe nicht in die Nähe der Schwarzarbeit gerückt wird. Wir wollen der Denunziation nicht Vorschub leisten. Im geltenden Gesetz heißt es einleitend in § 1:Ordnungswidrig handelt, wer aus Gewinnsucht Dienst- oder Werkleistungen für andere in erheblichem Umfange erbringt, .. .Wer, meine Herren von der Opposition, die Worte „aus Gewinnsucht" streicht, so wie Sie es vorschlagen, macht eine Unterscheidung zwischen Nachbarschaftshilfe und Schwarzarbeit nahezu unmöglich.
— Gut, ich komme darauf. — Nachbarschaft hat — ich will das noch kurz ausführen —, wenn auch auf anderer Ebene wie Ehe und Familie, eine sich zwar wandelnde, aber unverzichtbare Bedeutung in jeder Gesellschaft. Nachbarschaftshilfe nur unter materiellen Gesichtspunkten zu betrachten, hieße, eine der grundlegenden Formen menschlichen Zusammenlebens selbst in Zweifel zu ziehen.Der Aussschuß für Wirtschaft des Deutschen Bundestages, meine Damen und Herren, hat in der letzten Legislaturperiode eine eigene „SchwarzarbeitsGruppe" eingesetzt und ist nach Abschluß der Beratungen zu einem einstimmigen Votum gekommen.
Herr Kollege Heyenn, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Landré?
Gerne.
Herr Kollege, würden Sie mir zugeben, daß die Fraktion der CDU/CSU mit ihrem Entwurf versucht hat, das Thema Nachbarschaftshilfe und Gefälligkeitsleistungen näher zu präzisieren, und würden Sie mir auch zustimmen, daß ich in meiner Rede darauf soeben eingegangen bin und versucht habe, deutlich zu machen, daß es sich zwar um eine fließende Grenze handelt, aber daß es eine gibt, und würden Sie die Freundlichkeit haben, in Ihrer Rede darauf einzugehen?
Metadaten/Kopzeile:
1946 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Herr Kollege Landré, Sie haben nur eine Zwischenfrage, aber Sie haben drei Zwischenfragen daraus gemacht.
Herr Kollege, diese Problematik ist in der vergangenen Legislaturperiode im Wirtschaftsausschuß umfassend erörtert worden.
Man war sich einstimmig einig, daß es neben dem Begriff „Gewinnsucht" keine vernünftige Hilfskonstruktion gibt und daß es gilt, einen juristisch haltbaren Ersatzbegriff für „Gewinnsucht" zu finden.
Das aber haben Sie mit Ihrem Entwurf nicht geschafft.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Kollege?
Gerne. Vizepräsident Leber: Bitte sehr.
Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, daß das die Meinung des Arbeitsministers bzw. des Ministeriums für Arbeit war, daß die Meinung der Länder hingegen, wie in Ihrem Entwurf deutlich wird, in dieselbe Richtung zielt wie unser Entwurf?
Herr Kollege, ich möchte mich an dieser Stelle darauf zurückziehen, daß es gemeinsame, von allen Fraktionen getragene Auffassung der Mitglieder des Wirtschaftsausschusses war, daß eine Regelung nur durch einen Ersatzbegriff für „Gewinnsucht" möglich ist. Ich sage abschließend noch einmal: Sie haben dies in Ihrem Entwurf nicht geleistet.
Ich habe von diesen Arbeiten des Wirtschaftsausschusses gesprochen und auf die übereinstimmende Meinung hingewiesen, daß Nachbarschaftshilfe auch in Zukunft gesichert bleiben müsse. Die eindeutige Abgrenzung von Tätigkeiten, die in organisierter Weise angeboten und durchgeführt werden und damit wesentliche Merkmale der Gewerbsmäßigkeit tragen, ist während dieser Arbeiten nicht gelungen. Ich will es mir aus Zeitgründen ersparen, die Vielzahl der Begriffe aufzuzählen, die im Wirtschaftsausschuß erörtert und geprüft worden sind. Der Wirtschaftsausschuß hat sich außerstande gesehen, diese Begriffe abschließend zu werten und eine Empfehlung zu geben.Noch einmal: Diese Bewertung erfolgte einstimmig. Das will ich all denjenigen noch einmal ins Auftragsbuch schreiben, denen draußen in der öffentlichen Diskussion zur Schwarzarbeit nur einfällt, daß es sich dabei um etwas handeln muß, mit dem man andere anschwärzen kann.Erwerbstätige, die schwarzarbeiten, schädigen nicht nur die Finanz- und Sozialkassen. Sie setzen sich einem erheblichen Risiko aus. Ich brauche das nicht zu vertiefen. Auch das ist ein Grund, wirksamer als bisher vorzugehen. Damit sind wir einverstanden. Wir wenden uns nur gegen eine isolierte und punktuelle Betrachtung dieses Problems. Wir sind erfreut, beim Koalitionspartner Übereinstimmung und bei der Opposition Ansätze zu einer Übereinstimmung zu finden.Nicht nur bei uns gibt es eine Tendenz zu einem grauen, schwarzen oder auch Nebenarbeitsmarkt, der um normale Beschäftigungsverhältnisse herum gruppiert ist. Gegen illegale Arbeitnehmerüberlassung muß wirksamer vorgegangen werden. Warum? Ich weise nur noch einmal auf den Arbeitnehmerüberlassungsbericht aus dem vergangenen Jahr hin. Ich muß betonen, daß das, was jetzt an legaler Arbeitnehmerüberlassung zulässig ist, auch nicht befriedigen kann. Wir sollten diese Frage in diesem Gesamtzusammenhang zumindest behandeln; denn die Gewerkschaften fordern nicht ohne Grund ein völliges Verbot der Leiharbeit.
Wir haben alle zur Kenntnis nehmen müssen, daß die größten Probleme im Baubereich liegen. Die Beschäftigung von Ausländern ohne Arbeitserlaubnis hat dort ein gefährliches Niveau erreicht. Es geht nicht an, über Schwarzarbeit zu sprechen und dabei auszuklammern, daß es insbesondere im Baugewerbe ein organisiertes Schlepperunwesen und Verleihfirmen gibt, durch die sowohl deutsche wie ausländische Arbeitnehmer ausgebeutet, Hungerlöhnen ausgeliefert werden. Das hat dann nichts mehr — das haben Sie allerdings auch nicht gesagt — mit Flexibilität zu tun.In Großstädten existieren illegale Arbeitsmärkte, wo sich schwer zu vermittelnde Arbeitslose und Ausländer sammeln. Die Schlepper oder die Verleihunternehmer suchen sich dann die besten Arbeitskräfte aus und verladen sie zum jeweiligen Bauplatz, zur Obsternte oder zu einer Putzkolonne.
Vielfach erfolgt nicht einmal mehr eine Tarnung durch Scheinwerkverträge. Dieser modernen Form von Menschenhandel muß unsere Aufmerksamkeit genauso gelten wie der Schwarzarbeit. Diese menschenunwürdigen Zustände müssen wir im Rahmen der Beratung dieses Gesetzes behandeln. Wir können nicht sagen: Die Schwarzarbeit geht vor, und das andere verschieben wir auf einen Sankt-Nimmerleins-Tag oder bis zum Ende der Legislaturperiode.
— Ich will darauf abschließend noch einmal eingehen.Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme ausgeführt — das sollten Sie, Herr Kollege George, gelesen haben —, daß sie sich mit der Gesamtproblematik befaßt und einen Entwurf vorlegen wird. Ich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1947
Heyennmöchte dazu sagen, daß eine der Gesamtproblematik gerechtwerdende Diskussion zweckmäßigerweise erst dann erfolgen kann, wenn die laufenden Arbeiten der Bundesregierung abgeschlossen sind, wenn ihre Vorschläge zu Maßnahmen zur Verhinderung der illegalen Ausländerbeschäftigung, zur Beseitigung der illegalen Leiharbeit und zur Bekämpfung der Schwarzarbeit zusammengefaßt auf unseren Tischen liegen. Diese Ergebnisse müssen in unsere Beratungen einbezogen werden; denn wir sind, glaube ich, alle zwingend verpflichtet — das hat die Diskussion sicher ergeben —, im Rahmen der Beratungen nunmehr den Gesamtzusammenhang aller Formen der illegalen Beschäftigung herzustellen.
Als nächster Redner hat der Abgeordnete Merker das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Summe der wegen Schwarzarbeit verhängten Bußgelder ist in den letzten Jahren ständig gestiegen. Erst vor kurzem ist vom Zentralverband des Deutschen Handwerks bekanntgegeben worden, daß im Jahre 1980 die von den Ordnungsbehörden verhängten Bußgelder auf eine Summe von insgesamt fast 3 Millionen DM angestiegen sind. Das ist weit mehr als das Doppelte der Bußgelder aus dem Jahre 1976. Dies bestätigt, was Sie, Kollege Landré, eben gesagt haben, daß es nämlich in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation nur eine echte Wachstumsbranche gibt, nämlich die gewaltig expandierende Branche der Schwarzarbeiter.
Dieser Anstieg der verhängten Bußgelder ist wohl nicht in erster Linie auf eine verschärfte Kontrolle der Ordnungsbehörden zurückzuführen, sondern sie signalisiert ganz deutlich das permanente Ansteigen des Anteils der Schwarzarbeit.Dabei sind diese von mir eben genannten Bußgeldzahlen eigentlich nur Kleingeld gegenüber den Milliardenumsätzen der Schwarzarbeiter.
Nach durchaus glaubwürdigen Zahlen des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks und des Internationalen Arbeitsamtes in Genf wird der Umsatz in der Schwarzarbeiterbranche auf 38 bis 40 Milliarden DM im Jahre geschätzt. Daraus ergibt sich eine Einbuße des Staates und der Sozialversicherungsträger von insgesamt 9 bis 10 Milliarden DM jährlich.
Das Internationale Arbeitsamt in Genf schätzt, daß in der Bundesrepublik 2 Millionen Bundesbürger doppelt kassieren: legal als Arbeitnehmer oder als „Mitarbeiter" des Hauses Stingl und zusätzlich illegal, indem sie als Schwarzarbeiter einer außerordentlich lukrativen Nebenbeschäftigung nachgehen, die in manchen Fällen auch zu einer Hauptbeschäftigung wird.
Meine Damen und Herren, die genannten Zahlen lassen erkennen, daß Schwarzarbeit nicht, wie manche immer noch glauben, ein Kavaliersdelikt ist. Es ist kein Kavaliersdelikt bei denen, die die Aufträge vergeben, und es ist kein Kavaliersdelikt bei denen, die die Schwarzarbeit ausführen.Lassen Sie mich ganz klar und unmißverständlich sagen:Wer schwarzarbeitet, hinterzieht Steuern.
Wer schwarzarbeitet, belastet die Solidargemeinschaft der Sozialversicherten, weil er für sein Zusatzeinkommen keine Beiträge zahlt.
Wer schwarzarbeitet, gefährdet vorhandene Arbeitsplätze, vorwiegend im handwerklichen Bereich.Wer schwarzarbeitet, reduziert die Zahl der Ausbildungsplätze.Wer schwarzarbeitet, gefährdet oft die Sicherheit seiner Auftraggeber.Die Folgen der Schwarzarbeit, meine Damen und Herren, können lebensgefährlich sein. Es wird geschätzt, daß 58 % aller tödlichen Unfälle im Haushalt auf Pfusch durch Schwarzarbeit zurückzuführen sind.Wer angesichts der vorgelegten Zahlen immer noch glaubt, dieses Problem ohne eine gesetzliche Neuregelung in den Griff zu bekommen, sei darauf verwiesen, was der Vertreter des Landes Hessen, Staatsminister Dr. Günther, anläßlich der Einbringung des Gesetzentwurfes im Deutschen Bundesrat gesagt hat: Allein in Hessen mußten 1977 von 66 Ordnungswidrigkeitsverfahren 58 eingestellt werden. Dies zeigt doch deutlich, daß die bisherige Gesetzesgrundlage, nach der immer noch das subjektive Tatbestandsmerkmal „aus Gewinnsucht" nachgewiesen werden muß, in der Praxis nicht greift und nicht mehr ausreicht.
Wir wissen doch aus der Praxis der vergangenen Jahre, daß insbesondere an dieser schwammigen Gesetzesformulierung eine angemessene Ahndung der Schwarzarbeit gescheitert ist.Ich möchte aber ausdrücklich darauf hinweisen, daß auch wir nicht vorhaben, die bewährte und in einer lebenswerten Gesellschaft auch unverzichtbare Nachbarschaftshilfe einzuschränken. Uns geht es darum, einen echten Trennungsstrich zu ziehen zwischen denen, die gelegentlich im Rahmen einer Freundschaft, Nachbarschaft oder aus humanitären Gründen Hilfe leisten, und jenen, die profihaft ein eigenständiges Gewerbe betreiben, ohne es anzumelden.
An dieser Stelle möchte ich auch ein sehr kritisches Wort an das Handwerk richten. Man kann sich nur wundern, wie in manchen Fällen auch das
Metadaten/Kopzeile:
1948 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Merkeretablierte Handwerk zu solchen Machenschaften seine Hand reicht.
Da kann man erleben, daß Handwerksfirmen ihren Mitarbeitern an Wochenenden, in den Betriebsferien Baugeräte, Baumaschinen usw. überlassen, und dies quasi zum selbstverständlichen Bestandteil des Arbeitsvertrages wird.Es gibt sicherlich viele Beispiele, mit denen nachgewiesen werden kann, wie das Handwerk selbst dazu beigetragen hat, daß die Schwarzarbeit diese Entwicklung und dieses Ausmaß angenommen hat. Das fängt an bei überhöhten Preisen für Kleinaufträge, wenn sie überhaupt ausgeführt werden, was dazu führt, daß manche Kleinreparaturen von vielen Familien eben nur noch dann in Auftrag gegeben werden können, wenn sie von einem billig arbeitenden Schwarzarbeiter ausgeführt werden können.
Und wir wissen, daß es sicherlich auch keine Einzelfälle sind, in denen Handwerksfirmen aus Gefälligkeit oder aus anderen Gründen Abnahmebescheinigungen im sicherheitsempfindlichen Bereich geben. Da wird schon mal eine Abnahmebescheinigung über eine Elektroinstallation im Hause gegeben, obwohl die Firma selbst mit der Ausführung des Auftrages nicht das geringste zu tun hatte.Ich appeliere an dieser Stelle ganz eindringlich an das Handwerk, diese Praxis, sich augenzwinkernd mit den Schwarzarbeitern zu solidarisieren, endlich aufzugeben.Meine Damen und Herren, wie unserem Vorgänger, dem 8. Deutschen Bundestag, liegen uns auch wieder zwei Gesetzentwürfe vor, einer des Bundesrates, initiiert durch das Land Hessen, und einer der CDU/CSU-Fraktion.Ich möchte an alle Mitglieder des Hauses appellieren, nicht in gleicher Weise wie unser Vorgänger die Möglichkeit zu einer vernünftigen gesetzlichen Regelung verstreichen zu lassen. Die tatsächlichen oder vermeintlichen rechtlichen Probleme sind nicht so groß, als daß sie nicht im Rahmen einer zügigen Ausschußberatung beseitigt werden könnten.Ich meine, es ist auch eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit dieses Hauses, wenn wir nicht immer nur nach außen hin einen beklagenswerten Zustand darstellen, sondern wir müssen endlich auch die erforderlichen gesetzgeberischen Schlüsse daraus ziehen.
Die FDP, meine Damen und Herren, wird ihren Beitrag dazu leisten, durch eine zügige Beratung der Gesetzentwürfe in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu einer befriedigenden Regelung eines unbefriedigenden Zustandes zu kommen. — Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die allgemeine Aussprache und komme zur Abstimmung.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Gesetzentwürfe des Bundesrates und der Abgeordneten Hauser , Dr. George, Landré, Lampersbach, Stücklen und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU auf den Drucksachen 9/192 und 9/199 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, zur Mitberatung an den Rechtsausschuß, den Finanzausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft und den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch; es ist entsprechend beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes
— Drucksache 9/409 —
Das Wort zur Einbringung hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor ziemlich genau zwei Jahren haben wir in diesem Hause die sogenannte Wartezeitenregelung für Familienangehörige ausländischer Arbeitnehmer beraten. Sie fand breite Unterstützung im Deutschen Bundestag. Vor einem Jahr standen wir vor dem Problem des ungebremsten Zustroms von Wirtschaftsasylanten. Innerhalb eines größeren Pakets von Maßnahmen ist damals auch die Wartezeit für Asylbewerber eingeführt worden.Es besteht kein Zweifel: diese Wartezeit hat ganz wesentlich dazu beigetragen, daß inzwischen die monatlichen Asylbewerberzahlen von zehntausend und mehr auf nunmehr unter 2 500 zurückgingen. Eine auch gesellschaftspolitisch sehr gefährliche Entwicklung wurde damit gestoppt.Diese Wartezeitenregelungen sind nun von einem Teil der Sozialgerichte in ihrer Rechtsverbindlichkeit bezweifelt worden. Sie beruhen auf Weisungen, die der Bundesarbeitsminister auf der Grundlage des § 19 des Arbeitsförderungsgesetzes der Bundesanstalt für Arbeit und damit den Arbeitsämtern erteilt hat. Selbstverständlich geht das Bundesarbeitsministerium davon aus, sich hierbei im Rahmen des Rechts bewegt zu haben. Zwei Landessozialgerichte stützen uns in dieser Auffassung. Andererseits ist durch die erwähnten abweichenden Entscheidungen eine erhebliche Rechtsunsicherheit für die Arbeitsverwaltung und auch für die betroffenen Ausländer entstanden. Sie muß dringend beseitigt werden.Die Bundesregierung legt daher jetzt den Entwurf eines Gesetzes vor, das die Wartezeiten rechtlich absichern soll. Für die erstmalige Erteilung der Ar-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1949
Parl. Staatssekretär Buschfortbeitserlaubnis an Familienangehörige und Asylbewerber werden in § 19 des Arbeitsförderungsgesetzes eindeutige Formulierungen aufgenommen. Die Durchführung erfolgt dann nicht mehr durch Weisung des Bundesarbeitsministers, sondern durch Rechtsverordnung.Die neue Regelung ist zunächst innerhalb der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Asylwesen beraten worden. Die breite Zustimmung auch der Länder fand ihren Ausdruck in der großen Mehrheit, mit der der Bundesrat den Gesetzentwurf gutgeheißen hat.Meine Damen und Herren, bei dem Gesetzentwurf geht es selbstverständlich nicht in erster Linie um die Klärung einer Rechtsfrage, sondern vor allem um die Sache selbst. Das Gesetz soll die Wartezeitenregelungen absichern; und die, meine Damen und Herren, sind jetzt dringlicher denn je zuvor. Lassen Sie mich die Gründe dafür noch einmal zusammenfassen.Erstens: Die Wartezeit hat sich als eine wichtige Maßnahme zur Abwehr des Wirtschaftsasylantenzustroms erwiesen. Jeder Verzicht auf die Wartezeit würde hier neue Schleusen öffnen. Allerdings kann die Arbeitsmarktpolitik nicht auf Dauer allein diesen Zustrom eindämmen; auch andere Bereiche der Politik müssen hier nachziehen.Zweitens: Alle Wartezeitenregelungen — also auch die für die Familienangehörigen — begründen sich vor allem durch die Beschäftigungslage. Ich erinnere daran, daß wir allein bis 1985 etwa eine halbe Million deutsche Erwerbspersonen zusätzlich in unseren Arbeitsmarkt eingliedern müssen; hinzu kommen etwa 300 000 Ausländerkinder, die seit längerem in Deutschland leben und hier aufgewachsen sind. Die Bundesrepublik hat für ihre reibungslose berufliche und soziale Integration eine besondere Verantwortung. Berücksichtigen wir nun noch die Arbeitslosen — darunter 150 000 ausländische Arbeitnehmer —, dann wird der Bedarf an zusätzlichen Arbeitsplätzen ersichtlich. Wir können es uns bei dieser Lage nicht leisten, auf die Wartezeitenregelung zu verzichten.Drittens: Die Wartezeit von zwei Jahren hat bei den Jugendlichen auch eine besondere integrationspolitische Bedeutung. Sie gibt in ihrer konkreten Ausgestaltung den Jugendlichen einen Anreiz, an berufsvorbereitenden Maßnahmen und Sprachkursen teilzunehmen. Bei einem Verzicht auf die Wartezeit würden diese Jugendlichen überwiegend sofort in ungelernte Beschäftigungen drängen. Das kann und wird nicht unser Ziel der Integrationspolitik gegenüber den jungen Ausländergenerationen sein.Meine Damen und Herren, noch eine letzte Bemerkung. Die Abschaffung der sozial problematischen Stichtagsregelung vor zwei Jahren hat den Familiennachzug in erheblichem Ausmaß beschleunigt. In zwei Jahren hat sich die Zahl der Ausländer um 500 000 erhöht. Darunter ist eine große Zahl von Jugendlichen. Das stellt Bund, Länder und Gemeinden ohnehin vor kaum lösbare Probleme. Ein Verzicht auf diese Wartezeitenregelungen würde die Lage noch weiter verschärfen.Schließlich noch ein Wort zu der Anregung des Bundesrats, zu prüfen, wie den Ländern und den Sozialhilfeträgern der Leistungsaufwand ersetzt werden kann, der durch die Verweigerung der Arbeitserlaubnis an Asylbewerber entsteht. Bei allem Verständnis für die Probleme vor allem mancher Gemeinden: Wenn die Wartezeitenregelung dazu beiträgt, die Zahl der neu einreisenden Asylbewerber zu vermindern, dann hilft sie auch, den Gesamtaufwand zu vermindern, der der öffentlichen Hand in diesem Bereich entsteht. Im übrigen hätte ich auch schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken, Sozialhilfekosten und vergleichbare Aufwendungen dem Beitragszahler bei der Bundesanstalt für Arbeit bzw. dem Bund anzulasten.Das Wartezeitengesetz ist bei dem gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung eilbedürftig. Alles spricht daher für eine zügige Behandlung in den Ausschüssen, wofür ich jetzt schon recht herzlich danken möchte.
Meine Damen und Herren, das Gesetz ist eingebracht. Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu 15 Minuten je Fraktion vorgesehen worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Als erster Redner hat Herr Abgeordneter Keller das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ziel des Gesetzentwurfes brauche ich nicht mehr zu wiederholen. Nach den gegenwärtig praktizierten Verwaltungsanweisungen können Asylbewerber erst ein Jahr nach der Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland eine Arbeitsgenehmigung erhalten. Kinder ausländischer Arbeitnehmer müssen zwei Jahre, Ehegatten vier Jahre warten.Für die Fraktion der CDU/CSU möchte ich deutlich machen, daß wir konstruktiv an diesem Gesetz mitwirken werden. Die Verwaltungsanweisungen für die derzeitige Praxis in den anstehenden Punkten sind bereits im Zusammenwirken von Bund und Ländern gemeinsam zustande gekommen.Der Gesetzentwurf befaßt sich aber nur mit den eng umgrenzten Teilaspekten der Gesamtproblematik der Ausländerpolitik und der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien und der arbeitsmarktpolitischen und sozialpolitischen Folgeprobleme des Asylantenzustroms. Bereits im ersten Durchgang des Gesetzes im Bundesrat am 8. Mai 1981 haben die Länder auf zusätzlichen Leistungsaufwand der Sozialhilfeträger hingewiesen, der durch die Aufwendungen für den Unterhalt von Asylbewerbern entsteht, die im ersten Jahr des Aufenthalts nicht durch eigene Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Es sind auch Bedenken gegen die erzwungene Untätigkeit großer Gruppen von Ausländern geltend gemacht worden.Die im vergangenen Jahr eingeführten restriktiven Maßnahmen hinsichtlich der Arbeitserlaubnis für Asylbewerber haben sicher — das kann man
Metadaten/Kopzeile:
1950 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Kellerfesthalten — den Zustrom von Wirtschaftsasylanten eingedämmt. Wir müssen aber auch feststellen, daß der jetzt noch vorhandene Zustrom unvertretbar hoch ist. Auch bei den heutigen Asylbewerbern handelt es sich nur zu einem kleinen Bruchteil um wirklich politisch Verfolgte. Wir sind auch heute noch mit einer großen Zahl von Wirtschaftsasylanten konfrontiert, für die selbst die Abhängigkeit von Sozialhilfe kein Hinderungsgrund ist, bei uns Asyl zu suchen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es stellt sich hier die grundsätzliche Frage, ob nicht in größerem Umfang von der Möglichkeit Gebrauch gemacht werden sollte, Sozialhilfe beanspruchende Asylbewerber gemäß den Bestimmungen des § 19 des Bundessozialhilfegesetzes für gemeinnützige Arbeiten einzusetzen. Damit könnten Gegenleistungen für die empfangenen Unterstützungen erbracht werden. Der echte politische Asylant dürfte dies in Kauf nehmen. Die Wirtschaftsasylanten würden es sich aber überlegen, ob sie unter verschärften Bedingungen weiter in so großer Zahl in die Bundesrepublik Deutschland kommen wollen. Den sogenannten Schlepperorganisationen, die sich erheblich zu Lasten vieler Asylbewerber und letztlich des Steuerzahlers bereichern, würde dann weitgehend der Boden entzogen werden. Auch die Schwarzarbeit könnte dadurch erheblich eingedämmt werden.Wir müssen in dieser Frage zu einer Lösung kommen, die vor allem die Sozialhilfeträger vor einer finanziellen Überforderung schützt. Leider — wir haben es vorhin erst gehört — ist der Bund noch nicht bereit, die Kosten der Sozialhilfe für Asylbewerber in vollem Umfang zu übernehmen.Im übrigen hat die Wartezeitregelung nur temporäre Wirkungen. Nach einem Jahr haben Asylbewerber einen Anspruch auf Arbeitserlaubnis und mindern damit die Chance arbeitsuchender In- und Ausländer. Sie beeinträchtigen auch die Bemühungen um die Integration der zweiten und dritten Ausländergeneration bei uns in Deutschland. Die Regelungen hinsichtlich der Beschäftigungsrestriktionen für Familienangehörige ausländischer Arbeitnehmer greifen angesichts der derzeitigen Rahmenbedingungen aber nur sehr begrenzt.Die Inlandkindergeldsätze, die ausländische Arbeitnehmer für ihre im Inland lebenden Kinder erhalten, veranlassen vielfach die Ausländer, ihre Kinder im Inland anzumelden, obwohl sie sich tatsächlich überwiegend im Heimatland aufhalten. Solange der höhere Kindergeldsatz nicht vom dem Nachweis abhängig gemacht wird, daß schulpflichtige Kinder laufend deutsche Schulen besuchen, kann einer umfangreichen mißbräuchlichen Inanspruchnahgme des Kindergelds nicht sinnvoll begegnet werden.Der Bezug zu der hier speziell behandelten Materie ist im übrigen auch noch dadurch gegeben, daß das Kind, das formell hier angemeldet war und zwei Jahre das Inlandkindergeld bezogen hatte, auch nach dem Hinauswachsen aus der Schule sofort arbeiten kann, auch wenn es tatsächlich nicht immer in der Bundesrepublik Deutschland gelebt hatte!Ich möchte in diesem Gesamtzusammenhang auch die Frage der Bevölkerungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland ansprechen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat am 8. Mai 1981 im Bundesrat darauf hingewiesen, daß vom September 1979 bis zum September 1980, also in einem Jahr, die Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländer um 310 000 auf 4,45 Millionen gestiegen ist und daß der Ausländerzuwachs in den letzten zwei Jahren eine halbe Million betrug. Die Gesamtbevölkerung stieg vom September 1979 bis zum September 1980 um 251 000 auf über 61 Millionen. Die deutsche Bevölkerung ist demnach in einem Jahr um 60 000 zurückgegangen, wobei die wesentlich höheren Sterbeüberschüsse bei der deutschen Bevölkerung immerhin noch teilweise durch einen Zuwanderungsüberschuß auch bei der deutschen Bevölkerung ausgeglichen_ worden sind.Wir sind also insgesamt in der Situation, daß die deutsche Bevölkerung stark rückgängig und von einem Überalterungsprozeß bedroht ist. Gleichzeitig wächst auf Grund einer starken Ausländerzuwanderung die Gesamtbevölkerung in unserem ohnehin schon sehr dicht besiedelten Land stark an. Es klafft also ein deutlicher Widerspruch zwischen der tatsächlichen Entwicklung und der von der Bundesregierung offiziell vertretenen Konzeption zur Bevölkerungsentwicklung. Das geht auch aus der Debatte des Bundestags über die Bevölkerungsentwicklung vom 6. März 1980 und aus dem ersten Teil des Berichts des Bundesinnenministeriums über die Bevölkerungsentwicklung hervor. Die Prognosen unterstellen nur eine geringfügige Zuwanderung von Ausländern.Die jetzige Entwicklung wirft besorgniserregende Probleme für unsere soziale Infrastruktur auf. Der noch unzureichend kontrollierte Zustrom von Ausländern wird nur schwer lösbare Probleme für die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik bringen. Die ohnehin schon zugespitzte Situation auf dem Wohnungsmarkt, insbesondere in den Ballungsgebieten, wird sich dadurch noch weiter verschärfen. Alle diese aufgezeigten Probleme sollten die Bundesregierung veranlassen, auch eine gesellschaftspolitische Gesamtkonzeption zu entwickeln, die die Ausländerproblematik zum Bestandteil einer Gesellschaftspolitik insgesamt mit einer sehr langfristigen Perspektive macht.
Wir müssen unsere Verantwortung vornehmlich darin sehen, auf Dauer annehmbare Lebensbedingungen für unsere eigene Bevölkerung und für die bei uns schon länger lebenden Ausländer und deren Kinder und Enkel zu sichern. Wir sind aber überfordert, wenn wir meinten, wir könnten allein durch Einwanderung die Lebensprobleme zu vieler Menschen in weiten Teilen der Welt lösen. Frauen und Männer, die in ihren Heimatländern keine vertretbaren Lebensbedingungen mehr vorzufinden glauben und unrealistischerweise meinen, die Bundesrepublik Deutschland könne ihnen unbegrenzt und unbedingt ein Leben mit gesicherten Perspektiven bieten, müssen in ihrem eigenen Interesse vor weiteren Enttäuschungen geschützt werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1951
KellerDie Union hat immer erklärt, daß die Bundesrepublik Deutschland einen Beitrag für die politisch Verfolgten außerhalb unserer Grenzen leisten muß. Wir können die menschlichen und politischen Probleme in den anstehenden Größenordnungen aber nicht allein bewältigen. Wir werden unser Bemühen mehr als bisher darauf richten müssen, daß sich überstaatliche Institutionen, die Europäische Gemeinschaft, der Europarat und die Vereinten Nationen, mit dem weltweiten Flüchtlingsproblem befassen. Dazu gehört auch, daß wir als leidgeprüfte Nation in dieser Frage immer wieder das Weltgewissen wachrütteln. Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Peter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es vorweg zu sagen: Die SPD-Fraktion begrüßt es, daß die Bundesregierung den Entwurf für ein Wartezeitengesetz vorgelegt hat. Wir werden den Entwurf in den Ausschüssen mit großer Aufgeschlossenheit prüfen, wir werden aber zugleich um eine zügige Beratung bemüht sein und freuen uns, daß das gleiche von der CDU-Fraktion signalisiert worden ist. Es handelt sich vor allen Dingen um ein zeitlich drängendes Problem.Einerseits gibt es in den letzten Monaten, wie von Staatsekretär Buschfort dargestellt, die sehr unterschiedliche Rechtsprechung zu den geltenden Wartezeitenregelungen für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis. Hier wurden die Weisungen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zu den verschiedenen Wartezeiten als rechtmäßig angesehen, dort — das sind insbesondere auch Regionen mit branchenspezifischem Arbeitskräftemangel — gibt es auch abweichende Rechtsprechung. Das Ergebnis ist eine folgenreiche Rechtzersplitterung, die schnellstens beseitigt werden muß, denn dadurch werden Löcher geöffnet, die unsere Probleme auf dem Arbeitsmarkt verschärfen.Andererseits drängen zunehmend die Familienangehörigen der bereits in der Bundesrepublik lebenden und arbeitenden Arbeitnehmer auf den Arbeitsmarkt und schaffen dort zusätzliche Probleme. Diese werden sich ohnehin durch den Beitritt Griechenlands zur EG und durch die Beschlüsse des Assoziierungsrates EG/Türkei vom letzten Jahr verschärfen, da hierdurch Erleichterungen für Griechen und Türken für eine Beschäftigungsaufnahme eintreten werden. Wenn man berücksichtigt, daß das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung allein in der Türkei mit rund einer halben Millionen zuzugsberechtigen Familienangehörigen rechnet, wird das Ausmaß des Problems überdeutlich.Weiter hat seit der zweiten Jahreshälfte 1979, besonders in den ersten Monaten des Jahres 1980, das Instrument der Wartezeiten für die Begrenzung des Asylbewerberstroms Bedeutung erlangt. Niemand kann übersehen, daß offensichtlich die Wartezeitenregelung von einem Jahr für Asylbewerber mit zur Eindämmung des Zustroms von Wirtschaftsasylanten geführt hat. Es ist ein Instrument. Gewirkt haben mehrere Instrumente. Herr Kollege Keller, ob allerdings die gemeinnützigen Arbeiten die Patentlösung darstellen, darüber müßte man sich ernsthaft unterhalten. Da kann auch immer Zwangsarbeit mitgedacht werden.Wartezeitenregelungen für die Arbeitserlaubnis nehmen ganz offensichtlich einen Teil des wirtschaftlichen Anreizes für die Einwanderung in die Bundesrepublik. Es ist allerdings klar, daß es sich nur um eine Instrument handelt. Andere müssen mit gesehen werden, in dem Zusammenhang auch die vorangegangene Debatte über das Verbot von illegaler Ausländerleiharbeit.
Aus all diesen Gründen kann auf eine rechtlich unstrittige Wartezeitenregelung nicht verzichtet werden. Sie muß auch — so leid es mir tut — restriktiv gehandhabt werden. Mein Damen und Herren, ich sage zugleich, daß uns Sozialdemokraten diese harte Linie nicht leichtfällt. Wir sehen durchaus, daß hiermit soziale Probleme für die einzelne Ausländerfamilie verbunden sind. Ich erinnere jedoch daran, daß die Regelung der Erteilung der Arbeitserlaubnis, wie sie jetzt gesetzlich festgeschrieben werden soll, 1979 als eine soziale Verbesserung gegenüber der Stichtagsregelung im Zusammenhang mit dem generellen Anwerbestopp von Ausländern aus dem Jahre 1973 im Deutschen Bundestag diskutiert worden ist. Damals betonte der Herr Kollege Höpfinger als Berichterstatter des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, daß die Stichtagsregelung, nach der allen Familienangehörigen, die nach dem 30. November 1974 in die Bundesrepublik eingereist seien, der Arbeitsmarkt verschlossen blieb, gesellschaftspolitisch nicht vertretbar sei, weil sie legal eingereisten Familienangehörigen ausländischer Arbeitnehmer auf Dauer den Weg ins Berufsleben versperre. Der Widerspruch zwischen einer Aufenthaltsregelung, die den Familiennachzug gestatte, und einer Arbeitserlaubnisregelung, die die Arbeitserlaubnis auf Dauer verweigere, sei mit familien- und jugendpolitischen Grundsätzen unvereinbar. Im gleichen Zusammenhang sagte damals der Staatssekretär Buschfort zu, daß Härtefälle immer in angemessener Weise zu regeln seien.Meine Damen und Herren, die dramatische Zunahme des Zuzugs von Familienangehörigen ausländischer Arbeitnehmer macht die Beibehaltung der Wartezeitenregelung aus einem weiteren Grund unerläßlich. Wir tragen in erster Linie eine soziale Verantwortung für die deutschen Arbeitnehmer und die ausländischen Arbeitnehmer, die bereits im deutschen Beschäftigungssystem stehen bzw. hier arbeitslos geworden sind. Ein ungehemmter Zuzug ausländischer Arbeitnehmer gefährdet die Integration derjenigen, die schon hier sind. Bundeskanzler Helmut Schmidt hat die Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien als eine der Hauptaufgaben der nächsten Jahre bezeichnet. Dazu müssen in den nächsten Jahren ungeheure Anstrengungen erfolgen. Wörtlich hat er dabei gesagt:Die Anstrengungen müssen sich ebenso auf dieLeistungen zur Eingliederung derjenigen er-
Metadaten/Kopzeile:
1952 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Peter
strecken, die in unserem Land bleiben wollen, wie auch auf die Überzeugungsarbeit im eigenen Volk, daß die Ausländer Anspruch auf Integration haben, soweit sie nicht in ihre Heimatländer zurückkehren wollen.
In diesem Zusammenhang ist sicherlich nicht hilfreich, die demographische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland in dem Sinne, wie Sie es gemacht haben, Herr Kollege Keller, zu diskutieren, weil das zu sehr dazu verleiten könnte, den zweiten Teil der Überzeugungsarbeit in unserem eigenen Volke zu erschweren.Die Maßnahmen zur Integration werden bei anhaltendem Zuzug selbst gefährdet. Die Gefahr besteht tatsächlich. Beispielsweise gerät das von uns gewollte und für viel Geld aufgebaute System der berufsvorbereitenden Maßnahmen für ausländische Jugendliche in Gefahr, eine Projektruine zu werden. Schon heute werden MBSE-Kurse — Maßnahmen zur beruflichen und sozialen Eingliederung, um das Fachchinesisch der Arbeitsmarktpolitiker für die Zuhörer zu übersetzen — zu etwa drei Viertel von Jugendlichen mit nicht ausreichenden Sprachkenntnissen besucht, was die Zielsetzung der Maßnahme, zur Ausbildungsreife zu führen, in sich gefährdet. Das Problem würde bei einer Lockerung der Wartezeiten für jugendliche Familienangehörige weiter verschärft. Deshalb kommt meine Fraktion zusammenfassend zu dem Ergebnis: Wartezeiten für die Erteilung der Arbeitserlaubnis für Asylbewerber und Familienangehörige ausländischer Arbeitnehmer sind weiterhin erforderlich. Die Regelung der Wartezeiten muß rechtlich abgesichert werden. Deshalb ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung zu begrüßen. Wir werden uns für eine zügige Beratung in den Ausschüssen einsetzen, damit das Gesetz so bald wie möglich in Kraft treten kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einer ganz besonders ernst gemeinten persönlichen Wertschätzung für den Vertreter der Bundesregierung heute abend, Herrn Staatssekretär Buschfort, feststellen, daß wir in erster Lesung einen Gesetzentwurf beraten, der auch formal ein gutes Beispiel für die in der Verfassung vorgeschriebene Aufgabenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative ist. Hier hat die Bundesregierung unter besonderer Beachtung des klassischen Parlamentarismus ohne Abstimmung mit dem Parlament — theoretisch gehört sich das auch so —, jedenfalls ohne Abstimmung mit meiner Fraktion, im Bundestag den Antrag gestellt, daß diese Probleme über die Rechtsprechung zu lösen sind.Dabei habe ich volles Verständnis für den Wunsch der Bundesregierung, § 19 des Arbeitsförderungsgesetzes zu ändern. Ich selbst und viele von Ihnen verfolgen seit Jahren eine Rechtsprechung der Sozialgerichte, die nach meiner Meinung aus recht plausiblen Gründen die Außerkraftsetzung eines ganzen Paragraphen per Erlaß beanstandet. § 19 hat sehr sinnvoll vorgesehen, daß bei der Erteilung einer Arbeitserlaubnis unter anderem die Lage des Arbeitsmarktes, seine Entwicklung und die Verhältnisse des einzelnen Falles berücksichtigt werden müssen. Zwar sieht § 19 auch vor, daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung zur Durchführung von Abs. 1 durch Rechtsverordnung Vorschriften erlassen kann. Aber nirgendwo steht geschrieben, daß er den ganzen Paragraphen kassieren darf.Ich habe hierzu in diesem Hause, aber auch im Arbeits- und Sozialausschuß in der letzten Legislaturperiode wiederholt Stellung genommen. Ich halte die Absicht der Bundesregierung, § 19 des Arbeitsförderungsgesetzes ändern zu lassen, auch im Interesse der Rechtssicherheit für verständlich. Insofern stimme ich Herrn Staatssekretär Buschfort zu.Dennoch werden wir in den Ausschußberatungen prüfen müssen, ob der von der Bundesregierung dem Parlament vorgeschlagene Weg der einzig gangbare ist. Da ist einmal der Vorschlag, daß die Erlaubnis für die erstmalige Beschäftigung davon abhängig gemacht werden kann, daß sich der Ausländer unmittelbar vor der Antragstellung eine bestimmte Zeit, die vier Jahre nicht überschreiten darf, legal im Bundesgebiet aufgehalten haben muß. Was bisher durch Erlaß geregelt wurde, soll also im Gesetz festgeschrieben werden. Betroffen sind hiervon ausschließlich die Angehörigen ausländischer Arbeitnehmer, die im Wege der Familienzusammenführung eingereist sind. Außerdem soll die Erlaubnis nicht erteilt werden, soweit die Beschäftigung durch eine ausländerrechtliche Auflage ausgeschlossen ist. Dies trifft die Asylbewerber, die bekanntlich durch einen Erlaß zur Zeit auf die Dauer eines Jahres keine Arbeitserlaubnis erhalten. Auch eine solche Regelung soll nun im Arbeitsförderungsgesetz festgeklopft werden.Für die betroffenen Angehörigen ausländischer Arbeitnehmer erinnere ich an unsere Debatte Anfang 1979. Die Bundesregierung hatte auf Initiative des Arbeits- und Sozialausschusses am 21. März 1979 die bis dahin geltende Stichtagsregelung für Familienangehörige aufgehoben. Damals gab es zum Beispiel für die Ehegatten von ausländischen Arbeitnehmern, die nach dem 30. November 1974 eingereist waren, überhaupt keine Möglichkeit der legalen Beschäftigung. Die Aufhebung der Stichtagsregelung geschah zweifellos auch auf dem Hintergrund einer Rechtsprechung der Sozialgerichte, die schon damals die Rechtmäßigkeit einer generellen Versagung der Arbeitserlaubnis bezweifelte.In der damaligen Debatte habe ich für meine Fraktion hier festgestellt, daß der Anwerbestopp von 1973 für ausländische Arbeitnehmer aus Staaten, die nicht der EG angehören, notwendig war. Diese Feststellung gilt heute um so mehr, weil wir ein noch größeres Arbeitslosenproblem haben und bei offenen Grenzen zweifellos eine hohe Zahl arbeitsloser Ausländer hinzukäme. Der Anwerbestopp dient daher nicht nur der Sicherung von Arbeitsplätzen für einheimische Arbeitnehmer, sondern verhindert auch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1953
Hölscherdas Schicksal der Arbeitslosigkeit für viele tausend Ausländer und deren Familien.In der Debatte vom Februar 1979 habe ich andererseits aber auch festgestellt, daß die Situation der engsten Familienangehörigen ausländischer Arbeitnehmer anders gesehen werden müsse, und zwar aus humanitären Gründen. Ich denke, auch dies gilt heute noch. Noch so berechtigte arbeitsmarktpolitische Argumente dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch Ausländer ein Bedürfnis haben, mit ihren Familien zusammenzuleben und ihren Kindern hier in der Bundesrepublik eine Zukunft zu sichern.1979 hat die Bundesregierung an Stelle der Stichtagsregelung eine Wartezeit eingeführt. Sie beträgt für Ehegatten ausländischer Arbeitnehmer vier Jahre und für Jugendliche zwei Jahre. Bei allem Verständnis für die Absicht, die Familienzusammenführung durch die Wartezeitregelung nicht so attraktiv zu machen, muß man doch feststellen, daß durch diese Fristen auch Zeit für die Integration verlorengeht. Zur Integration gehört nicht zuletzt auch die Beschäftigung, der Kontakt mit den Deutschen im Betrieb.Um so unverständlicher ist es dann allerdings auch für den Betroffenen, daß er zwar arbeiten will, daß es auch in vielen Gebieten und in manchen Branchen Arbeitsplätze für ihn gibt, er aber dennoch nicht arbeiten oder eine Ausbildung annehmen darf, wenn er die Voraussetzungen der Wartezeit nicht erfüllt. Die Versuchung zur illegalen Arbeitsaufnahme — und das dann noch mit der Folge des Verzichts auf Steuereinnahmen und Sozialabgaben — ist groß. Wir müssen daher fragen, ob es sinnvoll ist, diese ja nicht unproblematische Vier-Jahre-Wartefrist auch noch im Gesetz zu fixieren. Um ganz sicherzustellen, daß kein unerwünschter Ausländer einreist — wenn wir das wollen —, um hier zu arbeiten, müßten wir eigentlich die Familienzusammenführung verbieten. Dies wäre konsequent. Das aber wollen wir aus humanitären Gründen nicht tun. Wenn aber Familienangehörige, Ehegatten, Kinder einreisen dürfen, dann müssen wir uns fragen, ob die Wartezeitregelung so noch sinnvoll ist, ob sie überhaupt tauglich ist, von der Einreise abzuhalten. Vielleicht wissen wir über die Ursachen der Einreisemotive noch nicht genug.Bei den ausländischen Jugendlichen möchte ich in diesem Zusammenhang noch ein weiteres Problem ansprechen, das mein Vorredner auch schon ansprach. Für diesen Personenkreis beträgt zur Zeit die Wartezeit nur zwei Jahre. Sie kann durch eine Teilnahme an einer Maßnahme zur Berufsvorbereitung und sozialen Eingliederung verkürzt werden, im Fachchinesisch MBSE. Diese vom Bund, den Ländern und von der Bundesanstalt für Arbeit finanzierten Lehrgänge stehen seit neuestem aber nur noch solchen Jugendlichen zur Verfügung, die zumindest über einfache deutsche Sprachkenntnisse verfügen. Sogar für diesen Personenkreis reichen die vorgesehenen Mittel bei weitem nicht mehr aus. Die Jugendlichen aber, die neu einreise, werden auf die vom Bundesarbeitsministerium finanzierten Sprachkurse verwiesen. Dort sieht es in der Finanzierung noch schlechter aus. Ich hoffe allerdings, daß die Absicht, hierfür wieder mehr Geld zur Verfügung zu stellen, bei den Haushaltsentscheidungen auch tatsächlich realisiert wird. Denn haben wir eigentlich erkannt, welchen sozialen Sprengstoff wir uns hier aufladen? Mit etwas Bitterkeit habe ich im Papier des Diakonischen Werkes — einer der wesentlichen Träger für die Eingliederungsmaßnahmen ausländischer Arbeitnehmer — das Fazit gelesen: Die einen läßt man fallen, die anderen greift man wieder auf, ganz wie es der Arbeitsmarkt verlangt. Die Bundesregierung ist sich sicher bewußt, daß wir uns im Rahmen der Beratungen des von ihr eingebrachten Gesetzentwurfs wohl mit der Gesamtproblematik der Angehörigen ausländischer Arbeitnehmer beschäftigen müssen.Der zweite Komplex betrifft die Arbeitserlaubnis für die Asylbewerber. Die Versagung der Arbeitserlaubnis war — ich sage es hier ganz offen — bei den Sozialpolitikern der FDP-Fraktion umstritten. Wir befürchteten und wir befürchten auch heute noch, daß das beschäftigungslose Herumsitzen der Asylanten, obwohl zumindest in Ballungsgebieten Arbeitsplätze für sie vorhanden wären, den Sozialhilfeträgern nicht nur sehr große Kosten verursachen wird — im Bundesrat hat Hamburg bereits einen entsprechenden Antrag eingebracht —, sondern auch zu Konflikten mit der einheimischen Bevölkerung führt, die es vielleicht nicht auf Dauer einsehen wird, daß es Leute gibt, die mit unseren Steuermitteln unterhalten werden, die arbeiten wollen, aber nicht arbeiten dürfen. Ich weiß auch nicht, ob wir schon heute so deutlich sagen können, daß der zweifellos zu begrüßende Rückgang des Asylantenstroms jetzt auf die Versagung der Arbeitserlaubnis zurückzuführen ist oder möglicherweise auf die Versagung des Visums — es besteht ja Visumzwang —, möglicherweise auch auf beide Faktoren. Aber können wir heute schon sagen: Wir wissen genau, das war die Versagung der Arbeitserlaubnis? — Ich weiß es nicht. Ich befürchte eher, daß, wenn sich herumspricht, daß in Stuttgart Arbeitsplätze vorhanden sind, Einreisen erfolgen, was dann in illegale Beschäftigung einmündet. Jedenfalls bestand Übereinstimmung in meiner Fraktion und — so denke ich — eigentlich auch in der Koalition, daß man die Entwicklung sorgfältig beobachten sollte und zu gegebener Zeit auch zur Revision bereit sein muß. Aber die Fixierung dieser Regelung in § 19 des Arbeitsförderungsgesetzes macht die Revision j a wohl politisch etwas schwieriger. Ich denke, auch hierüber müssen wir uns bei den Ausschußberatungen unterhalten.Genau geprüft werden muß auch die Anregung, die aus dem Kabinett kam, Asylbewerbern aus Ostblockstaaten im Gegensatz zu Asylbewerbern aus anderen Staaten sofort eine Arbeitserlaubnis zu erteilen.
Auch wenn diese Personen bei negativem Ausgang des Asylverfahrens nicht abgeschoben werden, dürfte es schwer sein, bei anderen Asylbewerbern, die auch aus totalitären Staaten kommen und bei denen eine Abschiebung auch problematisch ist, die Arbeitserlaubnis zu versagen. Im übrigen ist wohl
Metadaten/Kopzeile:
1954 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981
Hölschernicht zu bezweifeln, daß es auch Wirtschaftsasylanten, Wirtschaftsflüchtlinge aus Ostblockstaaten gibt.Meine Damen und Herren, vergessen wir bei der Versagung der Arbeitserlaubnis für Asylanten auch nicht die Kostenfrage. Der Bundesrat hat bereits in seiner Stellungnahme gebeten, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, wie den Ländern und den Sozialhilfeträgern der Aufwand für die Unterhaltung der Asylbewerber ausgeglichen werden kann, die ja arbeiten wollen und — zumindest zeitweise — auch beschäftigt werden können.Alle diese Fragen werden wir im weiteren Gesetzgebungsverfahren gründlich beraten müssen. Gerade weil wir Sozialpolitiker volles Verständnis für den geringen parlamentarischen Entscheidungsspielraum bei den Entscheidungen der Bundesregierung hatten, wird die Bundesregierung sicher auch Verständnis für meine Feststellung haben, daß sich die parlamentarische Beratung des Wartezeitgesetzes nicht allein auf die formelle Absegnung des § 19 AFG beschränken darf. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 9/409 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — zur federführenden Beratung —, an den Innenausschuß und den Ausschuß für Wirtschaft — mitberatend — zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 7 und 8 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 30. August 1979 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung— Drucksache 9/373 —Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 30. August 1979 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen und die Erleichterung seiner Anwendung— Drucksache 9/374 —Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe an den Rechtsausschuß vor. Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Kroll-Schlüter, Breuer, Hartmann, Kalisch, Müller , Conrad (Riegelsberg) und der Fraktion der CDU/CSUNovellierung des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit— Drucksache 9/365 —Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf der Drucksache 9/365 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und zur Mitberatung an den Innenausschuß und den Rechtsausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 und 11 auf:Beratung des Antrags des Bundesministers der FinanzenBundeseigene Grundstücke in Pullach Nrn. 446/5 und 140/5 der Gemarkung Pullach;hier: Veräußerung an die Gemeinde Pullach— Drucksache 9/357 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: HaushaltsausschußBeratung des Antrags des Bundesministers der FinanzenBundeseigene Höfe in Breddewarden bei Wilhelmshaven;Veräußerung an die Stadt Wilhelmshaven— Drucksache 9/386 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: HaushaltsausschußDas Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Anträge des Bundesministers der Finanzen auf den Drucksachen 9/357 und 9/386 an den Haushaltsausschuß vor. Ist das Haus mit der Überweisung einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der FinanzenBundeseigenes Grundstück in Berlin-Kladow, Neukladower Alle 12;Verkauf an die Arbeiterwohlfahrt der Stadt Berlin e. V.
— Drucksachen 9/225, 9/329 —Berichterstatter:Abgeordnete Grobecker Carstens
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Mai 1981 1955
Vizepräsident WurbsWer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:Beratung der Ubersicht 3 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht— Drucksache 9/393 —Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung.Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/393, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in der vorgenannten Drucksache aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Ist das Haus mit dieser Regelung einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDPBericht über Bestrebungen und Leistungen der Jugendhilfe — Fünfter Jugendbericht — sowie Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Bericht— Drucksache 9/406 —Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung.Wer dem interfraktionellen Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu der Unterrichtung durch die BundesregierungZweiter Aktionsplan zur Verbesserung der Informationsübertragung zwischen den europäischen SprachenSchaffung eines europäischen automatischen Übersetzungssystems modernster Konzeption
Vorschlag eines Beschlusses des Rates zur Annahme eines Forschungs- und Entwicklungsprogramms der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für ein automatisches Übersetzungssystem modernster Konzeption— Drucksachen 9/186, 9/366 —Berichterstatter:Abgeordnete Eymer CatenhusenDr.-Ing. LaermannDas Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/366 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Die Entschließung ist angenommen.Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 26. Mai 1981, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.