Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich unserem Kollegen Herrn Abgeordneten Baack zu seinem 60. Geburtstag, den er am 3. Februar 1981 begehen konnte, meine herzlichsten Glückwünsche sagen.
Die Abgeordneten Dr. Brunner, Ueberhorst, Porzner und Dr. Vogel haben mit Wirkung vom 23. Januar 1981 auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Der Abgeordnete Diepgen hat mit Wirkung vom 3. Februar 1981 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet.
Neu eingetreten sind für den Abgeordneten Dr. Brunner der Abgeordnete Dr. Feldmann am 29. Januar 1981, für den Abgeordneten Ueberhorst die Abgeordnete Frau Blunck am 30. Januar 1981, für den Abgeordneten Porzner der Abgeordnete Dr. Ueberschär am 2. Februar 1981, für den Abgeordneten Dr. Vogel der Abgeordnete Bamberg am 2. Februar 1981 und für den Abgeordneten Diepgen der Abgeordnete Schulze (Berlin) am 4. Februar 1981. Ich begrüße die neuen Kollegen im Deutschen Bundestag und wünsche ihnen eine gute kollegiale Zusammenarbeit hier im Hause.
Die Fraktion der SPD schlägt für den aus dem Deutschen Bundestag ausgeschiedenen Abgeordneten Porzner den Abgeordneten Dr. Linde als ordentliches Mitglied für den Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes und als Stellvertreter des Abgeordneten Jahn im Vermittlungsausschuß vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keine gegenteilige Meinung. Damit ist der Abgeordnete Dr. Linde als ordentliches Mitglied im Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes und als Stellvertreter im Vermittlungsausschuß bestimmt.
Die Fraktion der SPD schlägt für den aus dem Deutschen Bundestag ausgeschiedenen Abgeordneten Porzner den Abgeordneten Walther als ordentliches Mitglied des Verwaltungsrates der Deutschen Bundespost vor. Als stellvertretendes Mitglied wird der Abgeordnete Bernrath vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keine gegenteilige Meinung und keinen Widerspruch. Damit sind der Abgeordnete Walther als ordentliches Mitglied und der Abgeordnete Bernrath als stellvertretendes Mitglied in den Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost gewählt.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Staatshaftungsgesetzes
— Drucksache 9/25 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 9/152 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Soell, Gerster
b) Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses
— Drucksache 9/130 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin,
Dr. Klein
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart. — Widerspruch erhebt sich nicht. Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist.
Wird das Wort von den Berichterstattern gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann treten wir in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Klein .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/ CSU-Fraktion hat, wie alle Fraktionen in diesem Hause, schon mehrfach Gelegenheit gehabt, ihre Auffassungen zu diesem Gesetzentwurf hier vorzutragen.Wir wiederholen heute, daß das Staatshaftungsrecht in der Tat reformbedürftig ist, und zwar des-
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Dr. Klein
halb, weil das aus dem 19. Jahrhundert stammende Verschuldensprinzip durch eine Staatsunrechtshaftung ersetzt werden muß, wie sie modernem rechtsstaatlichem Verständnis entspricht. Wir ziehen daraus die Konsequenz — weil der vorliegende Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen diesen entscheidenden Reformschritt nicht tut —, Ihnen heute einen Änderungsantrag vorzulegen, der in § 2 den Satz 2 des Absatzes 1 sowie den Absatz 2 im vorliegenden Gesetzentwurf ersatzlos zu streichen vorschlägt. Wir wollen damit diesen entscheidenden Schritt zur Ersetzung der Verschuldenshaftung durch die Staatsunrechtshaftung tun.Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser entscheidende Mangel, den der vorliegende Entwurf bisher aufweist, wird noch um vieles deutlicher, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß der Deutsche Bundestag erst im Rahmen der Steuergesetzgebung des vergangenen Jahres für die Finanzverwaltung, für die Abgabenverwaltung eine staatshaftungsrechtliche Regelung beschlossen hat, deren Fortbestand der von den Koalitionsfraktionen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf angeblich verfolgten Absicht geradezu ins Gesicht schlägt. Diese Regelung der Abgabenordnung sieht nämlich bis zum heutigen Tage vor — und sie ist im Rahmen des jetzt laufenden Gesetzgebungsverfahrens von den Koalitionsfraktionen nicht einmal ansatzweise in Frage gestellt worden —, daß im Rahmen der Finanz- und Abgabenverwaltungen nur für nachweisbare vorsätzliche Pflichtverletzungen gehaftet wird.
Dazu ist uns dieser Tage eine Eingabe der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer zugegangen, aus der ich mir einige wenige aufschlußreiche Passagen zu zitieren erlaube. Es heißt da:Die Bundesregierung begründet die Vorlage des jetzigen Gesetzentwurfes damit, daß das geltende Staatshaftungsrecht nicht mehr dem modernen Verfassungsverständnis entspricht und der Schutz des Bürgers vor den Folgen fehlerhaft ausgeübter Staatsgewalt nicht mehr angemessen gewährleistet erscheint. Es ist für den Bürger sicher nicht verständlich, warum dieser Grundsatz bei der Erhebung von Steuern nicht gelten soll.
Und dann heißt es weiter:Die Begründung der Bundesregierung für die Einschränkung der Staatshaftung in Abgabenangelegenheiten, nämlich der Hinweis darauf, daß das steuerliche Veranlagungsverfahren ein Massenverfahren ist, bei dem Fehler nicht ausgeschlossen werden können, kann nicht überzeugen.Ich füge hinzu: Schon deshalb, weil es nämlich keineswegs in allen Fällen ein Massenverfahren ist.Die Eingabe fährt fort:Der vom Arbeitgeber vorzunehmende Lohnsteuerabzug ist ebenso ein Massenverfahren,ohne daß der Arbeitgeber in gleichem Umfang von der Haftung befreit wäre wie die Finanzverwaltung.
Der Arbeitgeber haftet vielmehr auch ohne Verschulden für alle Irrtümer, die ihm bei der Berechnung und Abführung der Lohnsteuer unterlaufen. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß die Berechnung der Arbeitslöhne, der Lohnsteuer und der Sozialabgaben arbeitsrechtlich, sozialrechtlich und steuerlich strengen Fristen unterliegt, so daß diese Arbeiten auch noch permanent unter Zeitdruck stehen. Die Finanzverwaltung hingegen kann sich bei der Veranlagung Zeit lassen.
Die Lage ist geradezu grotesk, meine Damen und Herren: An Private werden schärfste Anforderungen gestellt, der Staat privilegiert sich selbst, wobei die Koalition dann noch so tut, als erweise sie dem Bürger mit dem vorliegenden Gesetzentwurf über die Staatshaftung eine neue gewaltige Wohltat.Und noch ein Zitat. In der neuesten Ausgabe der „Zeitschrift für Parlamentsfragen" wird die Entstehungsgeschichte dieses Gesetzentwurfs geradezu als ein Musterbeispiel für den Einfluß bürokratischer Interessen in der Gesetzgebung dargestellt. Da heißt es:Mit dieser Regelung der Abgabenordnung wird die öffentliche Hand begünstigt und von Ersatzleistungen freigesprochen, zu denen sie eigentlich nach den Grundsätzen rechtsstaatlicher Verwaltung verpflichtet wäre. Das muß vor allem für den Ersatz notwendiger Aufwendungen für die Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung gelten. In diesem Punkt fallen die Reformvorstellungen— damals noch vor dem Inkrafttreten dieser Vorschrift des Abgabengesetzes —sogar hinter den geltenden Rechtszustand zurück. Es ist sicherlich nicht das einzige Beispiel dafür, daß in der allgemeinen Reformeuphorie Anfang der 70er Jahre entstandene Reformvorstellungen im Verlauf der folgenden Jahre partiell in ihr Gegenteil verkehrt wurden.Der politische Hintergrund besteht in der normativen Zielsetzung, den Amtsträgern in der Finanzbürokratie die Bedingungen für einen weitgehend sanktionsfreien Handlungsraum zu sichern.Das, meine Damen und Herren, ist der sachliche Zusammenhang, in dem dieser Gesetzentwurf zu betrachten ist.
Herr Kollege Kleinert hat in der ersten Lesung dieses Entwurfs vor wenigen Wochen die Zielsetzung des Gesetzentwurfs überaus bescheiden be-
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Dr. Klein
schrieben. Er hat nämlich zehn Minuten fast ausschließlich über die Umkehr der Beweislast gesprochen. Meine Damen und Herren, wenn es darum ginge, dann wäre das mit der Änderung einiger Worte — nicht einmal von Sätzen — im geltenden Recht zu machen gewesen.
Einen neuen Gesetzentwurf, ein neues Gesetz hätten wir dafür nicht gebraucht. Die Union steht zwar dazu, daß die wenigen Verbesserungen, die der Gesetzentwurf enthält, von uns bejaht werden, aber sie hätten in einem sehr viel bescheideneren Rahmen verwirklicht werden können.Noch einige Worte zum zweiten Teil unseres Antrags, der auf die Wiederherstellung des — wohlgemerkt: in einem Antrag der Koalitionsfraktionen enthaltenen — § 21 des Gesetzentwurfs zielt. Dieser § 21 betrifft die Aktenvorlage und Auskunftspflicht der Behörden, die fehlerhaft gehandelt haben sollen, in einem Staatshaftungsprozeß. Die Ursache für die in den Beratungen des Ausschusses vorgenommene Streichung dieses Paragraphen liegt darin, daß die Koalitionsfraktionen fürchten, und zwar vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausbildungsförderungsgesetz, dieser § 21 könne die Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes auslösen. Von der Sache her — das wurde gar nicht bestritten — hat § 21 im Rahmen des Gesetzentwurfs seinen guten Sinn. Die Begründung zum in der 8. Legislaturperiode eingebrachten Entwurf — damals war es ein Regierungsentwurf — sagt ausdrücklich:Die Vorschrift enthält die fehlenden— d. h. bisher nur in den Prozeßordnungen für die Verwaltungsgerichte und die Sozialgerichte enthaltenen —Regelungen für die übrigen gerichtlichen Verfahrensordnungen— insbesondere also für die ordentliche Gerichtsbarkeit.Meine Damen und Herren, hier wird aus durchsichtigen taktischen Überlegungen eine Vorschrift aus dem Gesetzentwurf gestrichen, deren sachliche Notwendigkeit nicht in Frage gestellt werden kann. Auch an einer solchen Manipulation wollen wir uns nicht beteiligen. — Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir zu Beginn der letzten Legislaturperiode in diesem Hause anfingen, konkret über die Reform der Staatshaftung zu debattieren, da war uns schon im Hinblick auf die mehr als 100 Jahre alte Reformforderung und die Arbeiten der Staatshaftungsrechtskommission bekannt, daß dies ein schwerer Weg werden würde. Man kann an den vielen Malen, die wir jetzt schon dazu debattiert haben, und auch an den Äußerungen von Herrn Professor Klein heute erkennen, daß das tatsächlich zutrifft.Der Gesetzentwurf hat sich im Laufe unserer Diskussion stark verändert. Der Zwang zur Veränderung hängt damit zusammen, daß wir mit unserem Gesetzesvorschlag nicht „nur" die Frage zu beantworten hatten, unter welchen Bedingungen, in welcher Form, in welchem Umfang und auf welchem Weg ein Bürger Schadensersatz erhalten soll, wenn er durch den Staat und dessen Bedienstete einen Schaden erlitten hat. Ich sage „nur", obwohl jeder, der die Materie kennt, weiß, daß bereits die Regelung dieser Fragen eine ganze Menge von Streitstoff in sich birgt. Und ich sage: Wir haben diese Fragen mit unserem Gesetzentwurf, der heute vorliegt, zufriedenstellend gelöst, obwohl — das ist jedem hier im Hause zuzugeben — die eine oder andere Einzelfrage vertretbar anders hätte beantwortet werden können.Uns geht es mit diesem Gesetzentwurf auch um ein Stück grundsätzlicher Rechtspolitik, obwohl das bei dem, was Sie heute sagten, Herr Klein, und auch bei unseren Einzelberatungen im Ausschuß diese Dimension nur an ganz kleinen Zipfeln aufgeblitzt ist. Unser ehemaliger Justizminister Vogel hat das einmal so umschrieben: Es gehe um eine Verwirklichung des Rechtsstaatsprinzips, um eine rechtsstaatliche Befreiung der Amtshaftung aus ihrer zivilrechtlichen Verstrickung.Sie kennen diese Dimension nicht, Herr Klein. Ich habe den Eindruck, daß das eine typische Schwäche Ihrer Art, Rechtspolitik zu machen, aufzeigt, nämlich die Schwäche, grundsätzliche gesellschaftspolitische und rechtspolitische Positionen nicht mehr miteinander zu verbinden.Es geht doch um folgendes: Früher sah man den Staat, die öffentlich Bediensteten als Beamte und die Bürger auf drei Ebenen. Ihre Zuordnung läßt sich durch Begriffe wie „besonderes Gewaltverhältnis", Obrigkeitsstaat, Untertan kennzeichnen. Auf der haftungsrechtlichen Gegenseite bedeutet das Regelungen, nach denen sich der Staat hinter der deliktischen persönlichen Haftung des Beamten versteckte und der einzelne Bürger, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt und subsidiär Ersatz für Schäden erhalten konnte. Im gesellschaftlichen Bewußtsein und in der Rechtswirklichkeit hat sich seitdem viel geändert. Und, davon abhängig, auch auf der haftungsrechtlichen Seite. Das zeigt sich nicht zuletzt an den von der Rechtsprechung an Hand von Einzelfällen entwickelten richterrechtlichen Institutionen. Und ich sage hier deutlich: Wenn der Gesetzentwurf nur das eine geschafft hätte, dieses „Chaos verstreuter Kasuistik" aufzugreifen, in Gesetzesform zu bringen und damit allgemein verfügbar zu machen, zu verallgemeinern und damit die Rechtsdurchsetzung für den Bürger zu erleichtern, schon dann könnte man ihm zustimmen.Aber unser Gesetzentwurf bringt — das wissen Sie sehr wohl — daneben erheblich mehr. Er bringt zusätzliche haftungsrechtliche Anspruchsgrundlagen. Er bringt beispielsweise eine Haftung beim Ausfallen selbst-gesteuerter technischer Anlagen, er bringt die Verschärfung der Haftung von Sonderver-
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Frau Dr. Däubler-Gmelinmögen der öffentlichen Hand und von Massenverwaltungen.Was Sie, Herr Klein, jetzt an Entrüstung vor uns ausbreiten, kann nur taktisch gemeint sein, weil Sie damals, als im Finanzausschuß diese Regelung beschlossen wurde, und auch in der vorigen Woche, als sie zur Sprache kam, diese Einwände eben nicht vorgebracht haben.
— Natürlich. Es waren Ihre Fraktionskollegen im Finanzausschuß.Lassen Sie mich betonen: Es gäbe nicht einmal diese Verschärfungen der Haftung in diesen Massenverwaltungen, wenn wir dieses Gesetz nicht durchsetzen würden. Wir verschärfen jetzt die Haftung bei den Massenverwaltungen. Wir schaffen bei der Umkehr der Beweislast den Durchbruch. Nicht mehr der Bürger muß nachweisen, daß jemand und wer in der öffentlichen Verwaltung den Schaden verschuldet hat, sondern der Staat muß sich entlasten, muß darlegen, daß er auch nach dem Maßstab der „nach den Umständen gebotenen Sorgfalt" den Schaden nicht vermeiden konnte.Jetzt komme ich zu Ihrem Antrag, den § 2 Abs. 2 zu streichen. Übrigens liegt dieser Antrag auch mir nicht vor. Das ist aufschlußreich für die Ernsthaftigkeit Ihres Antrags.
Was heißt: Reine Technik? Wir beraten dieses Gesetz seit etwa vier Jahren. Da kann man doch erwarten, daß man einen ernstgemeinten Änderungsantrag in der zweiten und dritten Lesung vorliegen hat.
Ich bin der Auffassung, daß auch dieser Antrag nur Taktik entspringt.
Sie wissen doch, daß ich zu jenen gehöre, die sehr gern weitere Haftungsverschärfungen durchgesetzt hätten und die der Meinung sind, daß auch in bezug auf die mit Sorge zur Warnung vorgetragenen Kostenschätzungen durchaus Zweifel anzumelden sind. Nur, Herr Klein, eines will ich und wollen auch wir nicht länger hinnehmen: daß wir auf unsere Frage „Wie machen wir es denn nun mit der Verwirklichung dieses Vorhabens, das wir eigentlich alle wollen?" immer nur den Hinweis auf einen sich ständig wiederholenden Circulus vitiosus bekommen. Der sieht dann etwa so aus: Unsere Zustimmung erhaltet ihr nur beispielsweise bei der Grundgesetzänderung, die Grundgesetzänderung machen wir nur mit, wenn beispielsweise der Haftungsmaßstab verschärft wird, wenn der Haftungsmaßstab verschärft wird, steigt das Kostenrisiko, und weil das Kostenrisiko steigt, gibt es keine Staatshaftung. All das mit dem Hinweis „es geht eben nicht" habenwir jetzt so lange gehört, das machen wir jetzt nicht mehr mit.
Wir wollen deshalb da einsteigen, wo wir das jetzt können. Wir können das mit dem Gesetzentwurf, den wir jetzt vorgelegt haben.Die von Ihnen angemeldeten Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes halte ich nach reiflicher Überlegung nicht für akzeptabel. Denn diese Zweifel müßten sich ja auch gegen die vergleichbaren Regelungen wenden, die Sie selber vorschlagen. Sie rügen, daß wir im Ausschuß § 21 gestrichen haben. Sie sagen, die Streichung des § 21 sei dem Gesetz erstens abträglich und zeige zweitens — weil es nur um die Vermeidung der Zustimmungsbedürftigkeit gehe —, wie taktisch wir vorgingen. Da lassen Sie sich doch bitte entgegenhalten, daß dies nur teilweise stimmt. Sie können dem Bericht, den wir beide gemeinsam vorgelegt haben, entnehmen, daß der Inhalt des § 21, nämlich die Verpflichtung der Gerichte, Akten vorzulegen, aus anderen Gesetzen folgt und hergeleitet werden kann, für das Staatshaftungsgesetz also entbehrlich ist. Aber, Herr Klein, ich bin nicht mehr bereit, die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit weiter als vernachlässigenswert zu behandeln. Da kommen wir über das Kostenargument zu schnell in den von mir eben geschilderten Teufelskreis. Ich möchte nicht mehr die Handhabe geben, daß Sie über die Zustimmungsbedürftigkeit dieses Gesetz doch noch kippen. Ich bin auch der Meinung, daß die Möglichkeit, zu einer einverständlichen Regelung zu kommen, von unserer Seite voll ausgelotet wurde und zunächst ausgeschöpft ist. Im übrigen ist der Vorgang j a auch noch nicht abgeschlossen: Ich bin sicher, wir werden uns in den nächsten Jahren auch weiter über die Wirkung, über den Vollzug und über den Ausbau dieses Gesetzes unterhalten; denn unser Gesetz ist ausbaufähig.Lassen Sie mich einen letzten Gedanken anfügen, aus dem heraus ich Sie ebenfalls bitte, das weitere Schicksal des Gesetzes zu verfolgen und nicht zu sagen: „Es ist jetzt ein gutes Gesetz, jetzt, Bürger, schau, was Du damit machst!" Ich bin der Auffassung, daß wir — später — eine zusätzliche Regelung treffen müssen. Wir hätten schon jetzt gerne die Rechtswegekonzentration in Angriff genommen. Das ging nicht. Wir werden die Rechtswegekonzentration also in Zukunft in Angriff nehmen müssen. Um Herrn Kleinert zu beruhigen: auf die eine oder die andere Art und Weise. Wir brauchen die Rechtswegekonzentration nicht nur, weil es dem Bürger nicht zuzumuten ist, zwar ein gutes Gesetz zu haben, ein übersichtliches Gesetz zu haben, aber dann in mehreren Verfahren, in Doppelverfahren sein Recht suchen zu müssen, sondern auch deshalb, weil jeder von uns weiß, daß die Zahl der Gerichtsverfahren in nahezu allen Bereichen steigt und daß wir auch deshalb überall dafür sorgen müssen, daß wir die Zahl der Gerichtsverfahren möglichst verringern, ohne — und darauf kommt es mir entscheidend an — den Rechtsschutz des einzelnen Bürgers zu dezimieren.
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Frau Dr. Däubler-GmelinIch bin der Auffassung, daß auch dies in den kommenden Jahren aufgrund unseres Gesetzes möglich sein wird, und ich bitte Sie, dies im Auge zu behalten.Für heute bitte ich Sie, diesem Gesetz zuzustimmen. Die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses wird das tun. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich gehe gar nicht so weit, daß ich sage, die Union habe ihre Aufgabe total verfehlt. Dazu haben wir über dieses Thema zu anständig miteinander gesprochen. Dazu haben wir viel zu oft darüber nachgedacht und uns Mühe gemacht. Aber es ist j a auch schwer, Opposition zu sein, wenn die Regierungsfraktionen immer noch so gut funktionieren
entgegen allem äußeren Anschein,
wie sie das tatsächlich tun. Denn anders kann ich mir das doch gar nicht erklären.
Herr Professor Klein, mit Recht sagen Sie: Das ist eine ganz wichtige Sache. Mit Recht sagen Sie: Hier gilt es, etwas zu reformieren, was dem Verständnis des vergangenen Jahrhunderts entspricht, und wir sind inzwischen ja auch schon wieder beim Jahre 1981 angelangt. Wenn das aber so ist, dann muß man doch als Politiker — ich verstehe Sie auch als solche; da bin ich ganz locker —
hergehen und das Mögliche zu bewirken versuchen. Wir haben eine grundsätzliche Änderung des Anknüpfungstatbestandes vorgenommen. Wir gehen mit einem völlig neuen Blickwinkel an die Sache heran: Der Bürger steht in unserem Blickfeld vorne; er soll in seinem Verhältnis zur Regierung ganz nachhaltig gestärkt werden. Wenn ich eine solche Reform durchzuführen habe, dann muß ich nach allen Erfahrungen in diesem Hause zunächst einmal prüfen: Wer wird dagegen sein, aus welchen Gründen wird er dagegen sein, und wie komme ich mit meinem grundsätzlichen Anliegen erst einmal so an die Sache heran, daß ich etwa notwendige — ich bestreite überhaupt nicht, daß es solche gibt — Verschönerungsarbeiten anschließend vornehmen kann, wenn der erste Schreck der öffentlichen Verwaltung hinsichtlich dessen, was wir hier völlig anders sehen, als es 100 Jahre und noch viel länger gesehen worden ist, überstanden ist?
Herr Kollege Erhard, Sie mögen ja sagen, ich hätte damals in der ersten Lesung hier im Hause den Mund zu voll genommen. Ich bedauere sehr, daß aus meiner hier erklärten Gesprächsbereitschaft zu einigen dieser nachbesserungsbedürftigen Fragen nichts Praktisches geworden ist, aber ich sage Ihnen auch ganz genau, Herr Erhard, warum das so ist. Ich möchte nicht, daß die Gewichte hier im Hause ungleichmäßig verteilt werden und Sie demnächst vielleicht noch als die großen Reformer herauskommen, nur weil Sie einen Änderungsantrag zu einem Nebenpunkt gestellt haben,
statt sich einmal zu überlegen, daß es diese Koalition gewesen ist, die die Reform als Ganzes angepackt, gewollt und dann auch durchgesetzt hat.
Herr Abgeordneter Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Erhard?
Bitte schön, Herr Kollege Erhard.
Herr Kollege Kleinert, könnten Sie mir und dem Hause bestätigen, daß Sie zwar hier im Plenum Ihre Bereitschaft erklärt haben, für die Zukunft keine Exkulpationsmöglichkeit vorzusehen, und daß Sie im Rechtsausschuß zunächst bestätigt haben, daß Sie das mittragen wollten, in der darauffolgenden Sitzung aber gesagt haben: Ich kann nicht bei meinem Wort bleiben?
Versuchen Sie es nur mit beleidigenden Äußerungen statt mit sachlicher Auseinandersetzung; dann werden Sie schon sehen, was Sie davon haben!
Die Koalition braucht solche Äußerungen von Ihnen immer wieder; sie braucht sie ständig.Herr Kollege Erhard, ich habe im Rechtsausschuß die Gesprächsbereitschaft, die ich hier angedeutet habe, nie in der Form wiederholt, wie Sie es soeben dargestellt haben, sondern ich habe in der entsprechenden Sitzung gesagt: Leider bin ich nicht in der Lage, in dieser Weise auf Sie zuzugehen. — Ich bin die ganze Zeit dabei, Ihnen und damit auch einigen anderen — hoffe ich —, die an diesem Gesetz interessiert sind, zu erklären, warum das so ist. Das ist nämlich so — Herr Klein, Sie wissen das ganz genau; deshalb wundere ich mich ein wenig, daß Sie sich, so möchte ich fast sagen, an einem Restmangel dieses Gesetzes festhalten, um wenigstens eine abweichende Ansicht zum Besten geben zu können —:
Die Länderfinanzminister, die mehrheitlich von der Union gestellt werden, sind diejenigen gewesen, die uns schon in der letzten Legislaturperiode veranlaßt haben, hier einzulenken in der Hoffnung, daß wir das Gesetz dann wenigstens erst einmal durchbekommen.Ich gebe zu, daß auch der Bundesfinanzminister seine Bedenken hat, und ich gebe zu, daß ich u. a. auch darauf Rücksicht zu nehmen habe. Wenn ich
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Kleinertaber vor die Frage gestellt werde, ob ich eine ganz grundsätzliche Veränderung im Verhältnis des Bürgers zum Staat, in der Staatshaftung will, und den Bürger in den Mittelpunkt rücke, statt die Verwaltung in Anlehnung an diesen englischen Spruch, der schon einmal zitiert worden ist: „The King can do no wrong", für sakrosankt zu halten, dann muß ich auch bereit sein, mich in praktischer politischer Verantwortung auf die finanziellen Bedenken einzustellen, die bestehen, damit ich nicht wieder mit dem grundsätzlichen Ansatz scheitere.Ich habe hier den Bericht des Haushaltsausschusses. Es ist wirklich sehr interessant, und es wundert mich, daß bei diesen Millionen hinten immer Nullen stehen.
Ich hätte mir gedacht, 28 Pfennig hätte man in diesem Zusammenhang am Schluß auch noch schätzen können. Ich bin ganz sicher, daß die Zahlen vorne schon falsch sind.
Darum frage ich mich, warum man nicht gleich auch noch die Pfennige zur besseren und kompletteren Täuschung dieses Hauses und der Bürger im Lande ausweist. Kein Mensch kann schätzen, was dieses Gesetz für Kosten verursacht. Weil das so ist, sollten wir uns an etwas ganz Vernünftiges halten, wir sollten uns an die empirische Methode halten. Die hat sich in den meisten Fällen bedeutend besser bewährt als die akademische Methode. Ausprobieren!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Kleinert, sollen wir Sie so verstehen bei diesem Zahlenwerk, daß Sie der Meinung sind, die Zahl hinter der Null sei wichtiger als die Zahl vor der Null?
Bitte keinen Streit. Es steht unbestritten fest, daß die Millionen die Nullen hinter sich einfach erforderlich machen.
Nullen vor dem Komma sind ganz schlecht. — Herr Erhard, wären Sie darauf gekommen, daß es sich beim Bund um 3,5 Millionen und bei der Post um 5 Millionen DM handelt, die hier in Rede stehen? Ich halte das für ungewöhnlich verwegen. Ich bewundere die Kollegen, die dieses Zahlenwerk zustande gebracht haben. Denn kein Mensch weiß, was hier tatsächlich an Verpflichtungen auf die einzelnen Beteiligten zukommen wird. Weil das so ist und weil die Finanzminister, und zwar insbesondere die der Union, mit denen wir, wie ich fürchte, im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß noch über diese Sache zu sprechen haben werden, wie ich das so sehe, pflichtgemäß Angst haben, es würde zu teuer, haben wir gesagt: Dann wollen wir sie nicht mit einem zusätzlichen Risiko ängstigen, nämlich dem, das in Ihrem Änderungsantrag enthalten ist, den ich sachlich und rechtlich für völlig gerechtfertigt halte — da besteht überhaupt kein Zweifel —, sondern dann wollen wir erst einmal den Einstieg machen und wollen uns in zwei oder drei Jahren berichten lassen, wie sich das mit diesen geschätzten Zahlen verhält. Dann werden wir auf Ihren Antrag zurückkommen. Das halte ich für den sachgerechten Einstieg in dieses Problem. Nur deshalb haben wir auf das Wünschenswerte — was Sie hier heute wünschen, ist Ihr gutes Recht als Opposition — verzichtet, damit wir erst einmal den Kern des Anliegens in die Rechtswirklichkeit bekommen und uns nicht aus lauter Perfektionismus in den eigenen Beinen verstolpern und dem Bürger gar nichts geben. Das ist unser Problem in der praktischen Politik gewesen. Daß Sie das jetzt zum Anlaß nehmen, hinzugehen und zu sagen, das sei alles gar nichts, ist bei der tiefen Einsicht, die z. B. Herr Klein in das hat, was tatsächlich mit und ohne Ihren Änderungsantrag verändert wird, bedauerlich.
Hier ist vorhin die „Zeitschrift für Parlamentsfragen" erwähnt worden. Ich kenne unglaublich viele Einflüsse der Bürokratie auf laufende Gesetzgebungsverfahren. Das gegebene Beispiel halte ich für verhältnismäßig ungeeignet. Es befaßt sich mit einem Nebenpunkt.
— Ich komme sofort zum Ende, Herr Präsident — Ich möchte nur vor dem Gedanken warnen, wir hätten uns nicht mit dem Problem der Kosten im Bereich der Steuern und dem der Chancengleichheit vor der Finanzverwaltung auseinandergesetzt. Wir haben die Sache sehr sorgfältig erwogen. Ich bin nun einmal der Meinung, daß es dann, wenn in einem Einspruchsverfahren vor dem Finanzamt etwa die Hälfte der Bürger unterliegt und die andere Hälfte obsiegt, klug und weise ist, daß wir über die Kosten dieses Verfahrens nicht reden.
Herr Abgeordneter Kleinert, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Denn wir würden sonst viele Bürger davon abhalten, ihr Recht gegen die Finanzverwaltung zu suchen, weil sie nämlich im Unterliegensfalle mit den Kosten der Gegenseite, die ihnen dann selbstverständlich auferlegt werden müßten, rechnen müßten. Deshalb bin ich der Meinung, man sollte in einem Akt der Solidarität gegenüber denen, die hier um ihr Recht nachsuchen, beiden Seiten diese Kosten ersparen, damit der Bürger den Mut hat, dieses Einspruchsverfahren zu wählen. Das ist die Überlegung, die wir angestellt haben; wie haben das Problem keineswegs übersehen.Was die Zinsen angeht, haben wir einen Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung geleistet und weiter gar nichts; denn für die Zinsen der ersten drei Monate — mehr ist ja gar nicht gesagt — sollte man nicht den Apparat der Errechnung, der Beantra-
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Kleinertgung, der Beanspruchung usw. in Gang setzen. — Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich möchte darauf aufmerksam machen: Wenn im Ältestenrat mit Zustimmung aller Fraktionen eine Kurzdebatte vereinbart worden ist, dann bedeutet dies eine strenge Handhabung der zugeteilten Redezeiten. Das sind eben 10 Minuten und nicht 12 oder 13 Minuten. Ich bitte also darum, dies künftig so zu handhaben und sich der selbstauferlegten Beschränkung auch zu befleißigen.
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Regierungsklärung zu Beginn dieser Wahlperiode hat der Bundeskanzler — wie schon 1976 — die Reform des Staatshaftungsrechts als ein wichtiges rechtspolitisches Ziel bezeichnet. Im vergangenen Jahr konnte das Gesetzgebungsvorhaben nach dem Einspruch des Bundesrates wegen des Endes der 8. Legislaturperiode nicht mehr abgeschlossen werden. Die Bundesregierung begrüßt es daher, daß die Koalitionsfraktionen den Entwurf eines Staatshaftungsgesetzes erneut eingebracht haben.Mein Amtsvorgänger Hans-Jochen Vogel hat sich vor dem Bundestag und bei anderen Gelegenheiten wiederholt für die Neuordnung des Staatshaftungsrechts eingesetzt. Ich mache mir diese Haltung voll zu eigen.Die Reform des Staatshaftungsrechts ist ein wichtiges Vorhaben für Bürger und Staat zugleich. Dabei geht es letztlich um das grundsätzliche Verständnis des Staates: Ist der Staat für den Bürger oder ist der Bürger für den Staat da? Der demokratische Rechtsstaat muß bereit sein, den einem Bürger durch hoheitliches Unrecht zugefügten Schaden wiedergutzumachen. Nur so wird die Rechtsstaatsidee in unserem demokratischen und sozialen Rechtsstaat voll verwirklicht, und zwar in dem wichtigen Bereich des Rechtsschutzes bei der Wiedergutmachung staatlichen Unrechts.Die erste — noch höchst vorläufige — Antwort auf diese Frage hat der Gesetzgeber bereits vor der Jahrhundertwende gegeben. Auch das geltende Recht der Staatshaftung ist noch wesentlich vom Amtshaftungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches geprägt. Diese ursprüngliche zivilrechtliche, den handelnden Beamten zugleich schützende Haftungsregelung ist später durch Beamtenhaftungsgesetze sowie durch Art. 131 der Weimarer Verfassung und Art. 34 des Grundgesetzes öffentlich-rechtlich überlagert worden. Die Bedeutung des Schutzes des handelnden Beamten trat gegenüber dem allein wesentlichen Schutz des Bürgers stark zurück.Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Staatshaftungsrechts nach Voraussetzungen, Inhalt und Umfang ist aber im Rechtszustand des Bürgerlichen Gesetzbuches verblieben. Das geltende Staatshaftungsrecht ist zudem in den von § 839 BGB nicht erfaßten Bereichen entweder gar nicht oder nur teilweise geregelt, zersplittert und in sich uneinheitlich.Es ist im übrigen weitgehend durch Richterrecht geprägt.Wichtiges Ziel der Neuordnung des Staatshaftungsrechts ist daher zunächst die Beseitigung von Unübersichtlichkeit und Zersplitterung.Im Interesse der Bürger und Behörden soll das Staatshaftungsrecht auf eine einheitliche, dem heutigen Verfassungsverständnis entsprechende, klare Rechtsgrundlage gestellt werden. Schon diese Zusammenfassung und Vereinheitlichung der Rechtsgrundlagen, meine Damen und Herren, ist eine wichtige rechtspolitische Aufgabe. Zugleich wird dadurch die Durchschaubarkeit des Rechts gefördert und die rechtsstaatliche Zielsetzung verdeutlicht. Nicht zuletzt aber wird die Rechtsposition des geschädigten Bürgers gegenüber fehlerhaft ausgeübter Staatsgewalt wesentlich verbessert.Im Verlauf der intensiven parlamentarischen Beratung hat sich gezeigt, daß manche rechtspolitisch sinnvolle oder erwünschte Regelung nicht durchsetzbar ist. Hier bleibt noch eine Aufgabe für den späteren Gesetzgeber.Entscheidend im heute zur Beratung und Abstimmung vorliegenden Gesetzentwurf sind einige wesentliche Verbesserungen, die sich für den Bürger positiv auswirken werden. Ich nenne vor allem folgende Punkte:Die Einführung der unmittelbaren und ausschließlichen Staatshaftung bringt die Verantwortlichkeit des Staates selbst für rechtswidriges hoheitliches Handeln eindeutig zum Ausdruck.Dann: Die Regelung der Haftung für technische Einrichtungen schließt eine empfindliche Lücke. Dies ist im Zuge der fortschreitenden Technisierung auch der öffentlichen Verwaltung notwendig.Und: Die Umkehrung der Beweislast für die Beachtung der gebotenen Sorgfalt entlastet den Bürger in dem für ihn ja nicht einsehbaren Bereich staatlicher Interna.Die besondere Bedeutung der Grundrechte wird durch die Einführung der verschuldensunabhängigen Grundrechtseingriffshaftung ausdrücklich betont. Geldersatz und Folgenbeseitigung sind gleichrangige Haftungsarten. Ihr Verhältnis zueinander wird klar geregelt, und das Prinzip „dulde und liquidiere" hat damit seine Geltung verloren.Die von der Bundesregierung ursprünglich vorgelegte Rechtswegkonzentration für den Rechtsschutz der Rechtmäßigkeitskontrolle einerseits und den Rechtsschutz der Wiedergutmachung andererseits setzt eine Grundgesetzänderung voraus. Da die Opposition nach vorübergehender Zustimmung dazu nicht bereit ist, kann diese Lösung nicht weiter verfolgt werden. Auch hier bleibt eine Aufgabe für den späteren Gesetzgeber.Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, ist nach wie vor der Auffassung, daß der Bund für die vorgeschlagenen Regelungen die notwendige Gesetzgebungskompetenz besitzt. Ein Anlaß zur Änderung dieser Rechtsauffassung besteht nicht. Würde die Kompetenzfrage anders beurteilt, so würde dies den Zerfall des geltenden und des zu-
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Bundesminister Dr. Schmudekünftigen Staatshaftungsrechts in ein Recht des Bundes und elf Länderrechte zur Folge haben. Einen solchen Rückfall um Jahrzehnte kann doch niemand ernstlich wünschen.Durch das neue Staatshaftungsrecht werden die öffentlichen Hauhalte von Bund, Ländern und Gemeinden — absolut gesehen — nur geringfügig belastet. Die Mehrkosten halten sich in engen und — wie ich meine — in vertretbaren Grenzen. Sie sind rechtspolitisch notwendig und auch bei unserer angespannten Haushaltslage zu rechtfertigen.Die Neuregelung des Rechts der Staatshaftung ist nach der jahrelangen gründlichen Vorbereitung und der intensiven parlamentarischen Beratung entscheidungsbedürftig und entscheidungsreif. Ich bitte, meine Damen und Herren, insbesondere die Opposition, Ihre Haltung zu dem wichtigen Gesetzgebungsvorhaben nochmals zu überdenken. Es leuchtet nicht ein, wenn Sie auf der einen Seite eine strengere Staatshaftung fordern, die weniger strenge Haftung aber insgesamt ablehnen. Herr Kollege Klein, das Gepäck, das Sie mit Ihrem Änderungsantrag heute dem Gesetzentwurf zudenken, nämlich die Zustimmungsbedürftigkeit herzustellen und die Folgekosten zu erhöhen, ist wahrlich keine gute Voraussetzung für ein Passieren im Bundesrat. Nach den Erfahrungen muß mit dem Gegenteil gerechnet werden.
Namens der Bundesregierung bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zu diesem bedeutenden Gesetzgebungsvorhaben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Dr. Klein .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister der Justiz, Sie haben von der Schaffung klarer Rechtsgrundlagen gesprochen, Sie haben von wesentlichen Verbesserungen der geltenden Rechtslage gesprochen und einige Beispiele dafür genannt, Sie haben auf die Einführung der unmittelbaren Staatshaftung hingewiesen. Gewiß, dies ist ein rechtsdogmatisches Postulat der Rechtswissenschaft seit geraumer Zeit, aber sagen Sie mir, in welchem Punkte es die Rechtsstellung des Bürgers verbessert!
Der Kollege Kleinert hat in diesem Zusammenhang davon geredet, der Bürger werde nun in den Mittelpunkt gestellt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, vielleicht ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß in diesem Sinne spätestens seit dem Jahre 1909 der Bürger im Mittelpunkt des Staatshaftungsrechts steht und daß bereits die Weimarer Reichsverfassung seinen Anspruch gegen den Staat
oder, genauer gesagt, die Haftungsübernahme durch den Staat auf die Verfassungsebene gehoben hat.
Wenn wir uns dagegen zur Wehr setzen, daß hier den Bürgern falsche Tatsachen vorgespiegelt werden, dann ist das, Frau Kollegin Däubler-Gmelin, kein Circulus vitiosus. Ich habe vielmehr den Eindruck gewonnen, daß das, was Sie hier vorgetragen haben, so vitiosus war, daß es schwer war, dem zu folgen.
Wir haben immer eingeräumt, daß dieser Gesetzentwurf einige wenige Verbesserungen enthält: die Klarstellung der Haftung für das Versagen technischer Einrichtungen, die normative Festschreibung der Umkehrung der Beweislast — die im übrigen von den Gerichten schon bisher weitgehend so praktiziert wird —, die Frage der Haftungsabgrenzung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht. Nur sind wir eben der Meinung, daß es dazu keines neuen Gesetzes bedarf, zumal nicht eines Gesetzes, das den neuen Einstieg, den uns Herr Kollege Kleinert angepriesen hat, nicht bringt. Ich finde es bezeichnend, daß Sie in dem Augenblick, in dem Sie die Reformtat dieses Gesetzes rühmen, schon wieder von nachträglichen Verschönerungen und Nachbesserungen sprechen. Das ist genau das, wogegen wir uns — ich meine, mich richtig zu erinnern — übereinstimmend zu Beginn dieser Wahlperiode im Rechtsausschuß verschworen haben. Wir wollen keine Gesetze machen, von denen wir in dem Augenblick, in dem wir sie verabschieden, schon wieder wissen, daß sie demnächst geändert werden müsen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dulde und liquidiere! Verzeihen Sie vielmals, aber seit 30 Jahren ist der Folgenbeseitigungsanspruch ein anerkannter Bestandteil unserer Rechtsordnung. Seit der unmittelbaren Nachkriegszeit gilt dieser Satz also nicht mehr, und es bedarf nicht dieses Gesetzes, um ihn zu beseitigen.Ich fasse noch einmal zusammen. Die Union ist, wie ihr Änderungsantrag belegt, zu einem Gesetz bereit, das eine wirkliche Reform der Staatshaftung bringt. Die Ersetzung der Verschuldenshaftung durch die Staatsunrechtshaftung, Herr Kollege Kleinert, ist nicht etwa die Beseitigung eines Restmangels, wie Sie es verharmlosend dargestellt haben, sondern das ist der entscheidende Punkt bei der Staatshaftungsreform überhaupt. Wir sind auch bereit, die hier von mir soeben noch einmal anerkannten Verbesserungen des geltenden Rechts im Rahmen dieses geltenden Rechts ohne großen Aufwand zu realisieren, aber wir sind nicht bereit, ein Gesetz zu machen, von dem Sie im Augenblick seiner Ver-
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Dr. Klein
abschiedung sagen: Es muß demnächst geändert werden. — Vielen Dank.
Das- Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es schon sein soll, daß wir unsere Diskussion hier fortsetzen, dann tun wir das auch, Herr Klein.
Es kann wohl keine Rede davon sein, daß wir hier ein Gesetz zur Annahme empfehlen, das wir morgen wieder ändern wollen. Ich habe vorher lange und breit ausgeführt, daß wir dieses Gesetz wollen, weil es nicht nur das präzisiert, systematisiert und festschreibt, was doch jetzt gerade wieder in einem neueren fachwissenschaftlichen Aufsatz als das „Chaos der Kasuistik im Bereich der Amtshaftung" bezeichnet wurde, sondern weil dieses Gesetz die Rechtsstellung des Bürgers im Rahmen unserer Möglichkeiten tatsächlich schrittweise verbessert.
Damit in der Öffentlichkeit kein falscher Eindruck entsteht, darf ich jetzt nochmals einige Punkte aufführen: Da ist der Schadensersatz beim Ausfallen selbstgesteuerter technischer Anlagen. Da ist tatsächlich die Umkehr der Beweislast, die Sie jetzt so klein klein herabsetzen wollen. Da ist die Verbesserung der Rechtsstellung des Bürgers im Zusammenhang mit der Abgrenzung zwischen Privatrecht und Staatshaftungsrecht. Und Sie wissen doch ganz genau, daß zu diesen drei Punkten eine ganze Reihe zusätzlicher Punkte kommt. Dafür haben Sie sich im Rechtsausschuß doch genauso eingesetzt wie ich.
Lassen Sie mich noch einmal sagen, weshalb ich Ihren ablehnenden Standpunkt nicht verstehe und auch nicht glaube, daß man durch nochmaliges Reden eine schlechte Sache besser macht.
— Ich weiß, Sie sehen immer nur den Splitter im Auge des anderen, aber nie den Balken in Ihrem eigenen.
Deshalb lassen Sie mich jetzt noch einmal ganz deutlich an Sie gerichtet sagen: Ich habe Ihnen vorher schon konzediert, daß das eine oder andere Detail selbstverständlich durchaus vertretbar so oder anders geregelt werden kann. Der Weg jedoch, den Herr Klein, wenn überhaupt einen, als Alternative meinte anbieten zu sollen, hat einen ganz entscheidenden Nachteil, nämlich den, daß er hinsichtlich der Rechtsstellung des einzelnen Bürgers kaum etwas bringt und eben nicht erweiterungsfähig, nicht verbesserbar ist, wenn Sie die Fesseln des BGB-Systems nicht doch verlassen wollen.
Und wenn Sie hier erzählen, was es im Richterrecht an Einzelfallgestaltung im Bereich der Amtshaftung seit wie vielen Jahren gibt, so ist das ja etwas, worüber überhaupt kein Zweifel besteht. Nur, es kommt eben darauf an, Herr Klein, daß wir uns jetzt hinsichtlich der Systematik auf einen Weg begeben, der uns weiterführen kann. Und das alles soll eben nicht nur im Einzelfall ermöglicht werden, sondern dem Bürger soll tatsächlich sein Rechtsschutz gewährt werden. Deswegen bitte ich Sie nochmals, meine Damen und Herren, diesen Gesetzentwurf anzunehmen. — Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das kommt bei dieser Kurzdebatte heraus. Machen wir es zweimal! Zweimal zehn ist auch zwanzig.
Ich habe versucht, Ihnen klarzumachen: Sie müssen doch einmal beweisen, daß Sie in der Lage sind, die Bundesregierung irgendwann in später Zukunft abzulösen und richtig zu regieren. Um das zu erreichen, müssen Sie anfangen, politisch zu denken.
Dann müssen Sie richtig überlegen, wie man so etwas macht.
Wenn Sie eine geschlossene Crew von Finanzministern gegen sich haben — nach all den schmerzlichen Erfahrungen der Rechtspolitiker — —
— Ich habe gelernt, daß nichts mehr abgezogen wird. Deshalb: Leider.
Herr Abgeordneter Kleinert, abgezogen wird es nicht, nur nicht dazugezählt. Das ist der Unterschied.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? Sie brauchen ja nur nein zu sagen.
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Kleinert.
Darf ich daraus entnehmen, daß Sie uns den Rat geben, das Gesetz, das jetzt so unvollkommen verabschiedet wird, dann gleich in Ordnung zu bringen, wenn wir in die Regierung eintreten?
Ich gebe Ihnen den guten Rat, einem Gesetz, das, wie wir heute gehört haben, seit gut 100 Jahren überfällig ist, zunächst einmal in der Form zuzustimmen, in der Sie es gegen Ihre eigenen Finanzminister durchsetzen können. Wenn man mir glaubwürdig versichert, wir kriegen nur das, was heute auf dem Tisch liegt, bzw. wir laufen im Bundesrat auf Grund und haben dann gar nichts, gibt es für mich nur eine Möglichkeit, nämlich den grundsätzlichen Einstieg in eine weit vernünftigere Rege-
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Kleinertlung als die bisherige und die Nachbesserung bei nächster Gelegenheit.So nett es sich sagt, daß man kein Gesetz macht, wenn man gleichzeitig schon eine Nachbesserung plant: Sehen Sie es bitte einmal andersherum. Ich versuche, Ihnen klarzumachen, daß das alles zur Politik gehört. Es ist schwierig; die Leute sehen das nicht immer so ein, die Finanzminister sehen es nicht so ein. Trotzdem wollen Sie etwas Gescheites machen.Insbesondere auf dem Gebiet der Rechtspolitik ist das sehr schwierig, weil die wenigsten Leute die notwendige Phantasie mitbringen, um sich für dieses angeblich trockene Gebiet zu engagieren. Wenn ich aber weiß „Ich bekomme entweder dies oder gar nichts", dann wäre es der Gipfel des unpolitischen Verhaltens, wenn ich lieber gar nichts nähme, als einen grundsätzlichen und wichtigen Einstieg in eine neue Regelung dieses Teils des Verhältnisses des Bürgers zum Staat zu beginnen.
Ich muß Ihnen leider sagen: Sie sind eben unpolitisch, wenn Sie jetzt nicht zustimmen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe § 1 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen?
Darf ich die Frage wiederholen: Wer dagegen ist, den
bitte ich um ein Handzeichen. — Wer enthält sich? —
§ 1 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 9/155 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer § 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese aufgerufene Vorschrift ist in der Ausschußfassung mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe §§ 3 bis 20 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Drucksache 9/155 Ziffer 2 auf, nach § 20 den § 21 in der Fassung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 9/25 wieder einzufügen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe §§ 22 bis 39, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Lesung mit Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wünscht jemand das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Gegenprobe! — Danke. Enthaltungen?
— Dieses Gesetz ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zwanzigsten Strafrechtsänderungsgesetzes
— Drucksache 9/23 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 9/135 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Linde Dr. Götz
Bergerowski
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist. Ich hoffe, daß das Haus nicht nur einverstanden ist, sondern sich auch selbst in die Disziplin nimmt, die Vereinbarungen durchzuhalten.
Wird das Wort von einem der Berichterstatter gewünscht? — Dies ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Götz.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich habe das Vergnügen, das zweite Mal nach dem Herrn Abgeordneten Kleinert von der FDP zu sprechen, wenn auch zu einem anderen Tagesordnungspunkt. Es ist deshalb ein Vergnügen, weil es dem Herrn Abgeordneten Kleiner in diesem Hause immer wieder gelingt, auch über die traurigsten Dinge so zu sprechen, daß alle anderen lachen. Herr Kleinert, ich würde Ihnen empfehlen, das nächste Mal über den Bundeshaushalt zu sprechen. Vielleicht wird es dann auch noch lustig.
Der Tagesordnungspunkt, zu dem ich jetzt spreche, ist zwangsläufig mit etwas weniger Heiterkeit behaftet, vor allem deshalb, weil ich gestern abend eine Sendung des Zweiten Deutschen Fernsehens miterlebt habe, die sich mit einer — vielleicht vermeintlichen — sogenannten weiteren Jugendrevolte beschäftigt hat. Wer über die Streichung der §§ 88 a oder 130 a StGB diskutiert, wird nicht darum herumkommen, auch den Hintergrund der Sicherheitslage
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Dr. Götzin unserem Staat zum heutigen Zeitpunkt mit in seine Erwägungen einzubeziehen. Er wird insbesondere auch die Sendung von gestern abend, so er sie gesehen hat, zum Hintergrund seiner Betrachtungen machen müssen. Was wir dort erlebt haben, war schlichtweg erschütternd.
— Herr Lambinus, ich wollte gerade — bei mir und auch meiner Fraktion gibt es nämlich auch das, daß dem Gegner Komplimente gemacht werden — eines vorausschicken: Ein erfreulicher Aspekt bei dieser Sendung war, daß die drei anwesenden Generalsekretäre in einer hervorragenden Art und Weise dort aufgetreten sind, mit einer Geduld, die ihresgleichen sucht, mit einer Toleranz, mit einem Liberalismus und einer überzeugenden Idee der Freiheit in unserem Staat. Dafür kann man allen dreien nur Dank sagen.
Meine Damen und Herren, der negative Aspekt war natürlich auch unübersehbar: Es war völlig aussichtslos, mit Geduld, mit Toleranz, mit Liberalismus und mit der Idee der Freiheit diejenigen zu überzeugen, die auf der Gegenseite saßen. Was dort an Intoleranz, an Unverständnis, an Nicht-mehrWollen ins Spiel gebracht wurde, überschritt schon die Grenzen dessen, was man im Fernsehen darstellen sollte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Emmerlich?
Herr Präsident, ich bitte um Verständnis, wenn ich es nicht tue. Ich habe gehört, daß mir nur zehn Minuten Redezeit zur Verfügung stehen. Da ich etwas weiter ausgeholt habe, möchte ich diese zehn Minuten voll in Anspruch nehmen.
Ich bin der Meinung, daß die Diskussion und das Gespräch etwas sehr Sinnvolles und unbedingt Notwendiges in unserer Demokratie sind. Deshalb pflegen wir Gespräch und Diskussion. Gespräch und Diskussion können aber auch ihre Grenzen haben. Ich bin nicht der Meinung, daß es für Vertreter und die Repräsentanten unserer Parteien notwendig ist, sich in derart massiver Form beleidigen zu lassen.
Ich bin auch der Meinung, daß wir nicht mit tantenhaftem Getue in die Diskussion um Gesetzgebungsvorhaben oder in die Diskussion um die Streichung von Gesetzen einsteigen sollten, tantenhaftem Getue in der Form, daß wir sagen: Das Kind war zwar böse, aber wir loben das Kind dennoch. Ich sage das deshalb, weil in den Beratungen über die Streichung der §§ 88 a und 130 a StGB im Rechtsausschuß wieder die übliche Formulierung zu hören war, es sei viel notwendiger, ins politische Gespräch mit unseren Gegnern, mit den Gegnern unseres Staates einzutreten, als hier Gesetze bestehen zu lassen.
Gespräche — ja, aber — ich habe das gerade gesagt — das Gespräch muß auch irgendwo sein Ende haben. Wir müssen ganz klar sagen: Meine Damen und Herren, die ihr diesen Staat zerstören wollt, bis hierhin und nicht weiter.
Ich meine, dieser Punkt ist in den Bereichen, die von den §§ 88 a und 130 a StGB abgedeckt werden sollten, erreicht. Es ist ja ein Phänomen, daß man in diesem Parlament — ich bin noch nicht lange hier, aber ich kann es ja auch aus vergangenen Zeiten nachlesen — innerhalb relativ kurzer Zeit, ohne daß neue Erkenntnisse gekommen sind, seine Meinung total ändern kann. Frau Däubler-Gmelin sagte vorher, man wolle hier kein Gesetz machen, das man in vier Jahren wieder aufhebt. So neu wäre das j a nicht. Sie haben j a erst — zwar nicht vor vier Jahren, aber nur wenig davor — zwei Gesetze betreffend § 88 a bzw. § 130 a gemacht, und diese Paragraphen wollen Sie heute auch wieder streichen. Wenn nun neue Erkenntnisse da wären, dann würde ich sagen: ja. Dann wäre das sinnvoll. Man soll dazulernen. Aber leider sind keine neuen Erkenntnisse da.Sie mußten bei den Beratungen im Rechtsausschuß und bei der Anhörung der Experten, zu Ihrer eigenen Unbill, wie ich feststellen konnte, zur Kenntnis nehmen, daß es zu keinen neuen Erkenntnissen gekommen ist. Es war geradezu peinlich — es tat mir fast leid um die Kollegen —, zusehen zu müssen, wie Sie den Ausführungen der Vertreter des Bundesinnenministeriums und des Bundesjustizministeriums gefolgt sind. Von beiden Vertretern wurde klipp und klar gesagt: Bei Streichung des § 130 a tritt die alte Gesetzeslücke wieder auf, die es ermöglicht, daß Schriftstücke, die zur Begehung bestimmter Straftaten anleiten, zukünftig wieder straffrei sind.Das wollte man damals mit dem Gesetz verhindern. Es gab den Herrn Bundesjustizminister Vogel, dem sich unser neuer Bundesjustizminister, wie er heute gesagt hat, vollinhaltlich anschließt — also hat er hierzu offensichtlich die gleiche Meinung —, der sagte, dieses Gesetz sei außerordentlich sinnvoll, weil es mit seiner Abschreckungswirkung eben genau diese Schriften, diese Anleitungen zu Gewalttaten, unterbinden würde.Dann geht es chronologisch so weiter — ich habe mir das nur einmal in aller Kürze notiert —: Bestätigt wurde diese Auffassung des Herrn Bundesjustizministers 1979 vom Herrn Generalbundesanwalt, der fast mit Begeisterung — kann man sagen — ausführte, daß dièses Gesetz noch viel zuwenig abdecke, daß man es erweitern müsse, daß die abschreckende Wirkung noch nicht ausreichend sei.Am 9. Mai 1979 sagte der Staatssekretär im Bundesjustizministerium, die Abschreckungswirkung der §§ 130 a und 88 a — auf den speziell war es ge-
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Dr. Götzmünzt — sei so wichtig, daß an eine Streichung überhaupt nicht zu denken sei.
Im Januar 1980 — das ist etwas mehr als ein Jahr her — wurde diese Ansicht vom Vertreter des Bundesjustizministeriums mit fast derselben Formulierung bestätigt: keine Streichung der beiden Paragraphen.Der Herr Kollege Emmerlich ist im Saal. Das ist sehr angenehm. Herr Kollege Emmerlich, ich wollte nicht alles das wiederholen, was in den vergangenen Jahren von Ihrer Seite hierzu Positives gekommen ist mit dem Tenor: keine Streichung. Aber Ihr Zitat muß ich doch noch einmal bringen, weil es einfach großartig ist, einmal deswegen, weil es inhaltlich richtig ist, und zum zweiten, weil es diesem Hohen Hause einmal mehr beweist, was Umfallen in der Politik bedeutet.
Meine Herren von der FDP, Sie brauchen sich mit dem Umfallen heute nicht mehr so allein zu fühlen. Sie sind hier von der linken Seite des Hauses voll abgedeckt — eine echte Koalition würde ich sagen.Herr Kollege Emmerlich sagte am 27. März 1980 in einer Presseerklärung:Für eine Streichung des § 130 a besteht überhaupt keine Veranlassung. Es ist und bleibt unerträglich, daß jemand öffentlich in Schrift, Bild und Ton anderen straflos Anleitungen zur Begehung schwerster Straftaten geben kann.Herr Emmerlich, ich bedanke mich für diese hervorragenden Ausführungen.
— Ich bin eigentlich auch gespannt, wie er heute abstimmt. Aber ich kenne die Disziplin dieser Partei.
Da muß man manchmal was dürfen, was — —
Ich darf zum Ende kommen, damit nicht auch ich zwölf Minuten in Anspruch nehmen muß. Vielleicht kommt noch einmal eine Runde.Meine Damen und Herren, die Voraussetzungen, die zu einer Streichung der beiden Paragraphen führen könnten, liegen nicht vor. Die Sicherheitslage in unserem Staat hat sich, wie alle Anzeichen und auch die Erkenntnisse unserer Sicherheitsbehörden beweisen, nicht verbessert. Darüber bestand auch in den Ausschüssen kein Zweifel.Zweitens. Die Abschaffung der §§ 88 a und 130 a hätte nicht nur die Abschaffung der Strafbarkeit zur Folge, sondern — was wichtig ist — auch die Abschaffung des sogenannten objektiven Verfahrens. Wir wären nicht mehr in der Lage, im Rahmen des objektiven Verfahrens solche Schriften, über deren Existenz wir auf keinen Fall froh sein können, einzuziehen. Auch deshalb, meine ich, ist es erforderlich, daß wir diesem Streichungsgedanken absagen.Meine Damen und Herren, einem Argument, das immer wieder gebracht wird, diese beiden Paragraphen gehörten abgeschafft, weil sie die Rede- und Meinungsfreiheit, allgemein die Freiheitsrechte in unserem Staat beeinträchtigen könnten, kann ich nun gar nicht folgen. Das möchte ich zum Schluß meiner Ausführungen sagen. Wer sagt denn, daß die gestalterische Freiheit des Künstlers, des Redners oder des Schriftstellers es erforderte, ausgerechnet die Anleitung zu Gewalttaten in den Mittelpunkt des künstlerischen Werkes zu stellen? Ist denn das ein Rechtsgut, genau dieses herauszunehmen und zum Kernpunkt eines Kunstwerkes zu machen? Gibt es denn nicht noch andere Bereiche, in denen ich mich geistig, rednerisch oder künstlerisch betätigen kann?Ich bin der Meinung, daß diese beiden Paragraphen unsere Freiheitsrechte nicht beeinträchtigen, meine Damen und Herren, sondern ich bin der Meinung, daß sie unsere Freiheitsrechte schützen.
Es ist doch gar keine Frage, daß diejenigen, die hier gegen diese Paragraphen sind, es darauf angelegt haben, Redefreiheit, Meinungsfreiheit und künstlerische Freiheit zu beeinträchtigen. Dem müssen wir vorbeugen. Deswegen bitte ich ganz besonders diejenigen in der SPD, die dem Gesetzentwurf nur mit Zähneknirschen — man hat es im Ausschuß ja fast hören können — zugestimmt haben, sich hier doch noch einmal zu prüfen. Bei Ihnen, Herr Emmerlich, passe ich ganz besonders auf: Stimmen Sie doch so wie in der letzten Legislaturperiode, nämlich nach Ihrem Gewissen,
und stimmen Sie gegen die Streichung dieser Paragraphen. Ich würde mich dafür sehr herzlich bedanken. — Bei Ihnen bedanke ich mich fürs Zuhören.
Das Wort hat der Abgeordnete Gnädinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses, die heute zur Debatte und Abstimmung steht, geht es um die Streichung von zwei Bestimmungen aus dem Strafgesetzbuch: um den § 88 a, der die Überschrift „Verfassungsfeindliche Befürwortung von Straftaten", und den § 130 a, der die Überschrift „Anleitung zu Straftaten" trägt. Es geht hier also nicht, Herr Dr. Götz, um die Frage der Beleidigung.Diese beiden Bestimmungen sind im Rahmen der Antiterrorgesetze der vergangenen Jahre, zusammen mit einer Vielzahl anderer Bestimmungen, in das Strafgesetzbuch eingeführt worden. Diese Bestimmungen reichen von der Schaffung des Tatbestandes der terroristischen Vereinigung bis hin zur Schaffung neuer prozessualer Vorschriften. Während man von fast allen diesen neuen Bestimmun-
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Gnädingergen sagen kann, daß sie sich bewährt haben, kann man das von den §§ 88 a und 130 a nicht sagen.Das gemeinsame Anliegen aller Fraktionen und unsere gemeinsame Einsicht, daß Gewalt und Terror auch durch neue Straftatbestände zu bekämpfen sind, werden von der heutigen Gesetzesberatung nicht berührt.
Es geht nämlich ausschließlich um die Frage der Wirksamkeit einzelner Straftatbestände, es geht um den Nutzen und den Schaden, den einzelne Straftatbestände stiften. Nur das, was sich in der Praxis bewährt hat, darf Bestand haben. Es geht um die Auswertung der bisherigen Erfahrungen. Insofern ist es unangebracht, dem Kollegen Dr. Emmerlich zu verwehren, Erfahrungen zu verwerten, und die Debatte mit Zitaten von gestern und von vorgestern zu führen.
— Er freut sich über Ihre Anwesenheit und Ihre Bemerkungen.
Die Vorstellung der CDU/CSU, alles nur Denkbare müsse in jedem Fall mit möglichst hoher Strafdrohung verfolgt werden,
ist zu einfach, um den sich wandelnden und schwierigen Bedingungen einer Industriegesellschaft gerecht zu werden.In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß auch die Bundesregierung — sie hat diesen Gesetzentwurf j a nicht eingebracht, sondern die Koalitionsfraktionen haben das getan — die beiden Vorschriften für eine wirksame Bekämpfung der Gewaltkriminalität für überflüssig hält. Und in der Tat: Der Nutzen einer Vorschrift wie der des § 88 a ist gering, wenn von 111 eingeleiteten Strafverfahren nur eines zum Erfolg führt. Der staatliche Anspruch, zu mißbilligendes Verhalten nach bestimmten Vorschriften auch zu bestrafen, gerät daher in ein schiefes Licht.Dies, meine Damen und Herren, darf nicht mit der Notwendigkeit von Strafnormen verwechselt werden, die nur deshalb nicht angewandt werden, weil niemand in den Verdacht gerät, dagegen verstoßen zu haben, das muß man im Hinblick auf Ihre Argumentation hinsichtlich des Völkermordes einmal sagen.Herr Dr. Götz hat zur Sicherheitslage einige Bemerkungen gemacht. Ich betone in diesem Zusammenhang, daß die Aufhebung der beiden in Frage stehenden Vorschriften die strafrechtliche Bekämpfung von Gewaltkriminalität nicht behindern wird, weil dafür zahlreiche andere Vorschriften bestehen. Sie sind so zahlreich, daß sie im Rahmen dieses Beitrags nicht umfassend aufgezählt werden können. Erinnert sei an die Strafbestimmungen der Störung des öffentlichen Friedens, der Verherrlichung von Gewalt, die öffentliche Aufforderung zu Straftaten, den Landfriedensbruch und die Bestimmungen über das Waffengesetz. Abwägend müssen demgegenüber die Schäden gesehen werden, die durch diese beiden Vorschriften aufgetreten sind.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Götz?
Gern.
Herr Kollege Gnädinger, sind Sie bereit, zuzugeben, daß in den Beratungen des Rechtsausschusses auf Frage eines Kollegen aus Ihrer Fraktion vom Vertreter des Bundesjustizministeriums klar geäußert wurde, daß die von Ihnen nun zitierten Paragraphen keinesfalls ausreichend seien, um den von § 130 a erfaßten Tatbestand abzudecken?
Herr Dr. Götz, ich bin nur bereit, zuzugeben, daß es darüber unterschiedliche Auffassungen gibt.
Ich sage noch einmal: Wir sind der Meinung, daß ein nicht abgedecktes Verhalten, das strafwürdig ist, nicht festgestellt werden kann.
— Herr Präsident, eine zweite Zusatzfrage kann ich wegen der beschränkten Zeit nicht zulassen.
Ich wollte eigentlich sagen: Wir sind der Meinung, daß diese Gesetzgebung letztlich zu einer Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit geführt hat und daß es besonders ärgerlich war, die auf § 88a gestützten Durchsuchungen von Buchläden zu sehen. Andererseits haben die Ermittlungsverfahren mit ihren Vernehmungen, Vorführungen, Durchsuchungen und Beschlagnahmen die in Verdacht geratenen Bürger erheblich belastet und auch bei Nichtbetroffenen eine große Unsicherheit vor allem im Bereich der Kunst, der Presse und der Wissenschaft hervorgerufen.
Aus all dem ziehen wir nach Prüfung der tatsächlichen Entwicklung den Schluß, daß diese beiden Bestimmungen sich als uneffektiv und in ihrer kriminalpolitischen Auswirkung verfehlt erwiesen haben. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten hat sich für uns Sozialdemokraten die Notwendigkeit ergeben, Vorschriften aufzuheben, die mehr Schaden als Nutzen bringen.
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GnädingerDie letzte Bemerkung, auch weil Herr Kollege Dr. Götz von dem Gespräch hier berichtet hat. Der Herr Kollege Bergerowski hat in der ersten Lesung darauf hingewiesen, daß derartige Gesetze den Dialog mit weiten Teilen der jungen Generation behindern. Ob es sich hier um große Teile der jungen Generation handelt, mag bezweifelt werden. Richtiger ist wohl, daß es sich um eine Minderheit handelt, die allerdings zur Mehrheit werden könnte und die mit der von uns hart erarbeiteten und mühsam gestalteten Ordnung der Bundesrepublik Deutschland nichts anfangen kann. Ihr soll gezeigt werden, daß auch wir nicht bereit sind, an Fragwürdigem festzuhalten, und daß wir in der Lage sind, notwendige Korrekturen vorzunehmen. Dies stärkt unseren Anspruch, eine gerechte Würdigung der politischen Verhältnisse in unserem Land bei dem kritischen Teil der jungen Generation anzumahnen.Der heutige Gesetzesbeschluß wird zu mehr Rechtssicherheit in unserem Land beitragen. Deshalb werden die Sozialdemokraten ihm zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bergerowski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Wir sind der Meinung, daß die Erwartungen, die man in diese Strafnormen, um die es heute geht, gesetzt hat, sich nicht erfüllt haben
und daß sie keinen Beitrag zu einer Terroristenbekämpfung über das hinaus haben leisten können, was sonst im Strafrecht vorhanden ist. Das ist es, was jedenfalls zuletzt die Bundesregierung berichtet hat: Für die Strafverfolgung hätten sich diese neuen Vorschriften nicht nennenswert ausgewirkt; sie hätten für die Bekämpfung der Gewaltkriminalität keine Bedeutung erlangt.Ich sage dazu: Nach unserer Auffassung hat sich gezeigt, daß in der Praxis — ich sage ausdrücklich: in der Praxis — die vom Gesetzgeber angenommene strafrechtliche Lücke, die ja der Grund für die gesetzliche Regelung war, offensichtlich so nicht besteht. Herr Gnädinger hat die Zahlen erwähnt, die man hier einfach nennen muß: Von 111 Ermittlungsverfahren nach § 88a StGB sind 90 % zusammen mit anderen Straftaten in die Verfolgung gegangen; nur in 10 % dieser Verfahren kam es zur Anklage, und nur in ganz wenigen zu einer Verurteilung. Nicht anders sieht es bei § 130 StGB aus. Er hat für die Praxis keine Rolle gespielt, und er wird nach dem, was wir bis jetzt wissen, für die Praxis keine Rolle spielen. Auch hier hat sich gezeigt, daß in diesen Fällen regelmäßig eine Verurteilung nach Gesetzesvorschriften aus dem Waffen- und Sprengstoffrecht möglich gewesen wäre.Ich muß noch einmal mit aller Deutlichkeit sagen — das hat Herr Gnädinger schon angeschnitten —: Wenn es heute darum geht, diese beiden Paragraphen abzuschaffen, darf nicht ein Zustand entstehen, in dem wesentliche Taten nicht verfolgt werden können. Eine Vielzahl anderer Strafvorschriften deckt wesentliche Teile des Anwendungsbereiches ab. Das ist auch die Antwort auf das, was Herr Götz vorhin gesagt hat. Herr Gnädinger und Herr Linde haben ja im Detail dargestellt — Herr Linde in der letzten Sitzung, Herr Gnädinger heute —, wie das zusammenhängt.Ich will nur ein Beispiel herausnehmen. Die Anleitung zur Herstellung von Molotow-Cocktails — ein Schulbeispiel für § 130 a — ist durch das Waffenrecht bereits unter Strafe gestellt. § 111 StGB betrifft die öffentliche Aufforderung zu Straftaten. Er hat in diesem Zusammenhang eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Die technische Beschreibung zur Herstellung von Sprengstoffen ohne die nachgewiesene Absicht, seine Verwendung zur Begehung schwerer Straftaten zu fördern, ist aber bereits heute straflos. Da hat Herr Kollege Schöfberger im Ausschuß deutlich gemacht, wie man bei einem bestimmten Amt an die Unterlagen zur Herstellung einschlägiger Waffen herankommt.§ 130a hat also weder den Sinn, eine Verbreitung des für die Begehung von Anschlägen erforderlichen Know-how zu verhindern — denn die ist und bleibt straflos —, noch ist diese Vorschrift erforderlich, um diejenigen zu bestrafen, die mit entsprechenden Anleitungen zur Begehung von Straftaten auffordern. Dies ist und bleibt im Rahmen von § 111 oder unter anderen Voraussetzungen strafbar.Der originäre Anwendungsbereich des § 130 a sind damit lediglich Fälle, in denen dem Anleitenden nicht nachgewiesen werden kann, daß er mit seiner Anleitung dazu auffordert, sie in die Praxis umzusetzen, in denen ihm aber noch nachgewiesen werden kann, daß er die Bereitschaft anderer fördern will, solche Taten zu begehen.Da stellt sich heraus, daß eben der Unterschied darin besteht, daß der Täter nicht unverhüllt zur Begehung von strafbaren Taten auffordert, aber auf indirekte Weise Motive zur Nachahmung erweckt. Da zeigt sich das Problem der Beweisführung. Ich meine, das ist eine Frage, über die sich Rechtsdogmatiker Gedanken machen können. Aber die Praxis hat gezeigt, daß die Vorschrift in der Anwendung keinen Sinn gibt. Gerade in der Praxis sind deshalb schon beträchtliche Schwierigkeiten bei der Beweisführung aufgetreten.Uns scheint es heute auch rechtspolitisch verfehlt, die Strafbarkeit über den Bereich des Aufforderns hinaus auszudehnen. Denn soweit sich eine Strafvorschrift von der eigentlichen Rechtsgutverletzung entfernt, wird sie schwammig, wird sie umständlich. Sie wird unverständlich für den Bürger. Es passiert, daß dann Verfahren in Gang gesetzt werden, die am Ende nicht zu einer Anklage und nicht zu einer Verurteilung führen.
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BergerowskiImmer wieder wird gesagt, daß die Aufhebung der beiden §§ 88 a und 130 a deshalb sinnlos sei, weil es eine präventive Wirkung dieser Vorschrift gebe. Nun ist sehr schwer zu sagen, welche präventive Wirkung von einer Strafvorschrift ausgeht. Wenn man aber den Täterkreis im Auge hat, dessentwegen diese Strafvorschrift eingeführt wurde, dann stimmt das, was ein Vertreter des Ministeriums im Ausschuß gesagt hat: daß in der Regel die Täter des § 130 a auf Grund ihrer besonderen kriminellen Energie weitere und schwerere Straftatbestände verwirklichen. Das können wir auch wieder aus den Unterlagen, die wir vom Ministerium haben, darstellen. Wir haben es bei diesem Täterkreis eben mit Überzeugungstätern zu tun, die sich von der Existenz von Strafvorschriften in ihrem Verhalten überhaupt nicht wesentlich beeinflussen lassen.
— Das sind aber jedenfalls nicht die Fälle, die uns hier beschäftigt haben. Da gibt es diesen Bereich wirklich nicht. Lesen Sie mal die Schriften nach, über die wir uns unterhalten haben, die beiden Schriften „Der böse Wolf" oder die „Stadtguerilla" mit der Cocktail-Herstellung! Überall finden Sie die Ansätze, die weit darüber hinausgehen, nur zu beschreiben, wie die Herstellung einer Waffe technisch möglich ist. Dort sind die Intentionen sichtbar, die ein solcher Täter eben haben will und auch haben muß. Er ist j a nicht einer, der die Welt mit Schriften beglückt, sondern einer, der natürlich mehr tut: Er will Entwicklungen anregen. Das ist die Wirklichkeit im Bereich der Terrorismusdiskussion.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Erhard?
Ja, bitte.
Herr Kollege, könnten Sie uns bestätigen, daß der Autor der soeben von Ihnen genannten Schrift bis heute unbekannt ist,
daß aber das Verbreiten und das Einführen solcher Schriften aus dem Ausland usw. unter Strafe gestellt und damit verboten war? Dann konnte man es auch beschlagnahmen. Sind Sie der Meinung, daß man so etwas künftig verbreiten darf, ohne den Autor zu nennen?
Ich bin der Meinung — ich glaube, darüber sind wir uns auch im Ausschuß einig gewesen —, daß hier einschlägige Vorschriften des Waffen- und Sprengstoffrechts zur Verfügung stehen. Das hat das Ministerium bestätigt.
Ich meine, wenn Sie die Einleitung zu dieser Schrift
lesen, dann müssen Sie zu der Überzeugung kommen, daß hier mehr ist als nur das ganz verdeckte Motivieren zur Nachahmung.
— 'Entschuldigen Sie, ich bin gerne bereit, das zu korrigieren. Ich meine aber, daß das Ministerium unter Hinweis auf das Waffen- und Sprengstoffrecht die Erwägung angestellt hat, daß hier eine Strafbarkeit — —
— Nein, ich kann es leider nicht nachweisen. Ich bin gerne bereit, mich dafür zu entschuldigen, wenn ich hier einen Vorgang falsch aufgenommen habe.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stark?
Ich kann diese Zwischenfrage leider nicht mehr zulassen, weil ich zum Schluß kommen möchte. Ich will nur noch eine Erwägung anstellen.Letztlich gaben die beträchtlichen Schwierigkeiten in der Praxis den Ausschlag dafür, daß wir für die Abschaffung dieser Vorschrift eintreten. Ich habe vorhin auf die Beweisschwierigkeiten hingewiesen, ich will aber noch einen Gesichtspunkt herausarbeiten.Es hat eine unverhältnismäßig große Anzahl von Ermittlungsverfahren gegeben, die mit Einstellungen geendet haben. Aber weil im Rahmen dieser Ermittlungsverfahren auch zahlreiche Durchsuchungen — um nur ein Beispiel zu nennen — bei Buchhandlungen angeordnet worden sind, haben sie bei den Betroffenen, die oft nicht im geringsten der Terrorismusszene zuzurechnen waren, zu beträchtlicher Unruhe geführt. Vorhin war von den Journalisten, den Schriftstellern, den Verlegern und den Buchhändlern die Rede; ich glaube, daß es hier in der Tat zu einer Reihe von Mißgriffen kam, die insbesondere bei der Anwendung des § 88 a StGB zu beobachten waren. Aber nicht nur diese Betroffenen waren irritiert, sondern es wurde auch ein Teil der jungen Generation, der mit Gewalttaten überhaupt nichts im Sinne hatte, gegen diesen Staat solidarisiert.
Die FDP hat es mit Sorge verfolgt, daß sich durch eine überzogene und von den praktischen Bedürfnissen kaum zu rechtfertigende Ausdehnung strafrechtlicher oder strafverfahrensrechtlicher Eingriffe eine Verschlechterung des geistigen Klimas ergeben hat.
Das Vertrauen vieler Bürger in den Rechtsstaat wurde erschüttert. Es hat sich eine Vorstellung ausgebreitet, Organe dieses Staates wollten die freie Meinungsäußerung behindern und der kritischen
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896 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981
BergerowskiAuseinandersetzung entgegentreten. Auch wenn diese Besorgnis unbegründet ist: Das Phänomen muß uns beschäftigen, und es muß uns, wie ich meine, beunruhigen. Gerade in einer Zeit, in der das Gespräch mit Teilen unserer Jugend immer schwieriger wird, sollten wir, wenn das irgendwie vertretbar ist, Barrieren, die diesem Gespräch entgegenstehen könnten, abbauen. So sehe auch ich — anders, als Sie es vorhin aufgegriffen haben, Herr Götz — dieses Thema.Wenn es strafrechtlich diese geringe Relevanz hat, von der ich ausgehe und von der wir nach den Darstellungen im Ausschuß ausgehen müssen, dann gibt es eine Erwägung, ob nicht durch die Abschaffung der Vorschrift klimatisch in diesem Lande etwas verbessert werden kann.
Da können Sie nicht klagen, wir sprächen ja nicht mehr. Wir sprechen nicht mit den Kriminellen, sondern wir haben es hier auch mit dem Umfeld zu tun; wir müssen das Gespräch — das sehen Sie an den Beispielen in Berlin — auch mit jenen führen, die nicht kriminell geworden sind,
weil es Sympathien gibt, weil damit Fronten aufgebaut werden und schließlich, weil wir vor dem Problem stehen, nicht im Gespräch mit der Jugend zu sein. Dieses Gespräch brauchen wir. Ich glaube, das ist eine Aufgabe, der wir uns — das zeigen auch Vorkommnisse in diesem Staat in den letzten Wochen und Monaten — immer mehr werden stellen müssen. In diesem Sinne haben wir abgewogen,
und in diesem Sinne sind wir dann zu dem Ergebnis gekommen, daß der Nutzen einer Aufhebung dieser Vorschrift größer ist als die schädlichen Folgen, die von dieser Vorschrift für das kulturelle, geistige und gesellschaftliche Leben in diesem Staat ausgehen. Deshalb sind wir für die Aufhebung dieser Vorschrift.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen sieht die Aufhebung zweier Strafvorschriften vor, die, einem Vorschlag der Innenministerkonferenz folgend, durch das 14. Strafrechtsänderungsgesetz im Frühjahr 1976 in das Strafgesetzbuch eingefügt worden ist. Strafvorschriften ist im allgemeinen eine längere Lebensdauer beschieden. Andererseits — und der damalige Bundesjustizminister hat darauf im Januar 1976 während der Beratung des 14. Strafrechtsänderungsgesetzes hingewiesen — kann eine Rechtsordnung nichts Starres, nichts Unabänderliches sein, sondern bedarf der steten Überprüfung.
Diese Überprüfung hat im Fall der §§ 88a und 130a des Strafgesetzbuches ergeben, daß die Vorschriften ihr rechtspolitisches Ziel, die Bekämpfung des Terrorismus bereits im Vorfeld der eigentlichen terroristischen Kriminalität zu verbessern, in der Praxis nicht erreicht haben.
Zunächst zu § 88 a des Strafgesetzbuchs. Bekanntlich ist bisher nur eine rechtskräftige Verurteilung nach § 88a Strafgesetzbuch erfolgt. In weniger als 10 % aller einschlägigen Ermittlungsverfahren stützte sich der Verdacht einer strafbaren Handlung allein auf § 88 a, während über 90 % der Verfahren auch den Verdacht anderer Straftaten zum Gegenstand hatten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte sehr.
Herr Bundesminister, würden Sie einräumen, daß Strafgesetze auch im Rechtsbewußtsein der Bevölkerung einen Sinn haben, und was, glauben Sie, macht es z. B. für einen Eindruck auf Eltern in diesem Lande, wenn in Zukunft die Anleitung zu einer erfolgreichen Kindesentführung straffrei bleibt?
Herr Kollege Graf Waldburg-Zeil, sicherlich haben Strafgesetze über die Anwendung im Einzelfall hinaus eine prägende Wirkung auf die Normvorstellungen der Gesellschaft. Wenn wir aber eine Strafvorschrift wie hier vor fünf Jahren geschaffen haben, um damit einen bestimmten Sachverhalt in den Griff zu bekommen, herausgefordert durch bestimmte Vorgänge, und wenn wir dann nach einiger Zeit feststellen müssen, daß wir diesen Sachverhalt damit überhaupt nicht erfassen können, daß statt dessen eine Reihe von Mißverständnissen über die Strafvorschrift und ihren Anwendungsbereich entstanden ist, dann ist doch wohl die Prüfung angezeigt, die wir vorgenommen haben, und dann liegt die Konsequenz nahe, die heute hier gezogen werden soll.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Herr Abgeordneter Dr. Götz, bitte sehr.
Herr Bundesminister, wie beurteilen Sie die Stellungnahme Ihres derzeitigen Staatssekretärs aus dem Jahre 1979, der auf eine Anfrage der FDP geantwortet hat, die besondere Wirkung des § 88 a beruhe auf seiner präventiven Wirkung?
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981 897
Ich kann das Zitat, das Sie mir jetzt vorhalten, natürlich nicht im einzelnen bestätigen.
Dies ändert aber nichts daran, daß wir die präventive Wirkung auf der einen Seite abwägen müssen gegen Turbulenzen und Mißverständnisse, die durch eine solche Vorschrift entstanden sind, die, wie ich Ihnen sagte, in der Praxis ein einziges Mal zu einer Verurteilung geführt hat. Die Abwägung wird heute hier vorgenommen. Die Konsequenz daraus soll heute hier gezogen werden.
Die mit dieser Vorschrift gemachten Erfahrungen zeigen weiterhin, daß ihr eine nennenswerte präventive Wirkung nicht zukommt. Danach handelt es sich um eine Vorschrift, die im Vorfeld der Gewalt weder nennenswerte repressive noch eine meßbare präventive Wirkung entfaltet hat. Sie wirkt vielmehr, wie ich sagte, sogar psychologisch negativ gerade auf engagierte Teile der jungen Generation, die selbst keineswegs die Anwendung von Gewalt gutheißen, aber eine gefährliche Einschränkung der Meinungs- und Redefreiheit befürchten.
Bei § 130 a des Strafgesetzbuchs blieb die erwartete Wirkung ebenfalls aus. Das zeigt schon der Umstand, daß der Bundesregierung bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage der Koalitionsfraktionen vom 17. Januar 1980 keine Strafverfahren und Verurteilungen nach § 130 a bekanntgeworden waren. Die Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes enthält für die Jahre 1977 und 1978 keine Verurteilungen. Die erst seit Ende November 1980 vorliegende Strafverfolgungsstatistik für das Jahr 1979 enthält zwar 4 Verurteilungen nach § 130 a; die Überprüfung dieser Fälle hat jedoch zu der Feststellung geführt, daß die in der Statistik für 1979 genannten Zahlen falsch sind. 1979 erging lediglich ein Urteil nach dieser Strafvorschrift, und ein weiteres Urteil hat meines Wissens im Jahre 1980 ein Bezirksjugendschöffengericht in Baden-Württemberg gefällt. Auch § 130 a des Strafgesetzbuchs hat demnach nicht zu einer wirksameren Bekämpfung kriminellen Unrechts geführt.
Mehrfach ist in dieser Debatte schon von Einstellungen und Freisprüchen gesprochen worden. Meine Damen und Herren, wenn die Anwendung einer Vorschrift im konkreten Fall auf Zweifel trifft, auf Schwierigkeiten trifft und das Verfahren mit Einstellung oder Freispruch endet, so bitte ich Sie, auch die Wirkung eines solchen Ausgangs des Verfahrens zu beurteilen. Juristen wissen, daß eine solche Beendigung des Verfahrens keine staatliche Billigung der Schrift und des Vorgangs, um den es da geht, enthält; der Bürger aber, der das Recht so genau nicht kennt, versteht das meistens als ein Freigeben, wenn nicht sogar als eine Billigung, als eine Bestätigung, daß es im Rahmen der Rechte des Bürgers liegt, so etwas zu verbreiten. Diese Wirkung gilt es zu bedenken.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter Erhard.
Herr Bundesminister, würden Sie mir bestätigen, daß ein Angeklagter oder Beschuldigter, der z. B. im Handel tätig war, in dessen Auslagen das Buch gefunden wurde und der es nicht gekannt hat, wenn er in dem Verfahren, nachdem das Buch eingezogen worden war, nicht verurteilt wird, sondern aus subjektiven Gründen freigesprochen wird — bzw. das Verfahren eingestellt wird —, das Buch aber eingezogen ist, der Meinung ist, er hätte das Buch weiter verkaufen dürfen, weil er freigesprochen wurde?
Das ist in einem solchen Fall sicherlich nicht so, Herr Kollege Erhard. Diese Fälle habe ich aber auch nicht gemeint.Die durch den Gesetzentwurf vorgesehene Aufhebung der §§ 88 a und 130 a bedeutet keineswegs, daß künftig alle zu mißbilligenden Formen der Propagierung von Gewalt straflos möglich würden. Das übrige Strafrecht garantiert nach wie vor eine fast lückenlose Bekämpfung des Vorfeldes der Gewalt. Es mißbilligt nicht nur wirklich gefährliche, Leib und Leben von Menschen bedrohende Aktivitäten radikaler Minderheiten, sondern auch die verbale oder schriftliche Vorbereitung und Begünstigung der Gewaltanwendung. Ich will das einmal kurz im einzelnen darlegen, damit es hier festgehalten ist.Bei der Anstiftung bestimmter Personen zu bestimmten Gewalttaten greift § 26 des Strafgesetzbuches ein. Die versuchte Anstiftung zu einem Gewaltverbrechen ist nach § 30 strafbar. Die öffentliche Aufforderung zu Straftaten wird von § 111 des Strafgesetzbuchs erfaßt. Die Aufforderung oder Anleitung zur Herstellung von Molotow-Cocktails ist nach § 53 des Waffengesetzes strafbar. Wegen Landfriedensbruchs wird auch derjenige bestraft, der auf eine Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu Gewalttätigkeiten zu fördern. § 126 des Strafgesetzbuches bedroht den mit Strafe, der in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, bestimmte gemeingefährliche Straftaten androht. Die Belohnung oder öffentliche Billigung zahlreicher in § 138 und in § 126 des Strafgesetzbuchs bezeichneter schwerer Straftaten ist nach § 140 strafbar. Im weiteren Vorfeld der Gewaltanwendung enthält § 131 des Strafgesetzbuchs ein allgemeines Verbreitungsverbot für solche Schriften, die Gewalttätigkeiten gegen Menschen in grausamer oder sonst unmenschlicher Weise schildern und dadurch eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrücken. Nach § 130 des Strafgesetzbuches ist wegen Volksverhetzung mit Strafe bedroht, wer zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert. Ergänzend fallen jugendgefährdende Schriften, die zu Gewalttätigkeiten anreizen, unter die Beschränkungen des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften.
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898 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981
Bundesminister Dr. SchmudeAus diesen Feststellungen nach gewissenhafter Abwägung aller rechtsstaatlichen Argumente die gesetzgeberische Konsequenz zu ziehen, bedeutet kein Zurückweichen vor dem Terrorismus, keinen Abbau des notwendigen strafrechtlichen Schutzes. Vielmehr beweist sich darin eine Fähigkeit, die Fähigkeit nämlich, aus praktischen Erfahrungen zu lernen und sie zu verarbeiten.
Nun, Herr Kollege Götz, gestatten Sie mir doch noch ein Wort zu Ihren Eingangsbemerkungen. Auch ich habe die gestrige Fernsehsendung gesehen, auch ich habe an vielen Stellen Anstoß genommen. Aber wenn Sie auf der einen Seite die Geduld der Generalsekretäre und ihre Gesprächsbereitschaft loben, so muß das doch wohl heißen, daß wir uns alle ein Beispiel daran nehmen müssen und trotz der Ärgernisse, die uns entgegengesetzt werden, mit gleicher Geduld und Gesprächsbereitschaft diesen jungen Menschen, wo immer wir können, entgegenzutreten haben.
Das könnten wir an anderer Stelle ausführlich diskutieren. Wenn Sie es aber heute hier in die Debatte darüber einführen, ob Strafvorschriften bestehenbleiben oder aufgehoben werden sollen, dann heißt das, heute morgen hier im Bundestag eine strafrechtliche Antwort auf das anzustreben, was gestern abend im Fernsehen in einer zum Teil ärgerlichen Diskussion gelaufen ist. Und ich sage Ihnen: Das ist genau die falsche Antwort.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Stark.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hier wird der Versuch gemacht, zwei Strafvorschriften, die kaum fünf Jahre bestehen und die damals mit allen Stimmen dieses Parlaments nach zweijähriger Beratung verabschiedet wurden, wieder abzuschaffen — und das mit einer falschen Begründung. Das muß ganz deutlich gesagt werden.
Worum geht es? Im Jahre 1976 wurden hier einstimmig zwei Strafvorschriften, § 88 a und § 130 a StGB, geschaffen, die überhaupt nichts mit Diskussionen mit Jugendlichen — was hier gesagt wird — zu tun haben. Ich wundere mich, mit welch vernebelnder Argumentation hier versucht wird, etwas zu decken, was von den Kollegen der SPD in der Sache gar nicht mitgetragen wird. Es wird doch nur deshalb mitgetragen, weil irgendeiner in der linken Ecke der FDP verlangt hat, § 130 a müsse wieder abgeschafft werden, da irgendwo in der linkesten Ecke des Untergrundes — bei einigen linken Verlagen — Unruhe darüber herrscht,
weil sie, wenn § 130 a nicht wegfällt, nicht mehr beschreiben können, wie man z. B. dieses Parlament schachmatt setzen könnte.
Bei Wegfall dieser Vorschriften könnte in Zukunft straflos geschrieben werden: man muß dort und dort die Bombe legen; die Abgeordneten, die mit dem Flugzeug kommen, muß man dort und dort abholen. Werden die beiden Paragraphen aufgehoben, kann das alles verbreitet werden; es kann sogar an den Schulen als Anleitung verteilt werden. Darum geht es doch, meine Damen und Herren, und nicht um Diskussion mit der jungen Generation.
Sehr verehrter Herr Minister, Sie waren j a gestern bei uns im Rechtsausschuß, und wir hatten ein gutes Gespäch mit Ihnen. Da haben Sie volle Kontinuität mit Ihrem Vorgänger, dem jetzt noch amtierenden Regierenden Bürgermeister von Berlin, bekundet.
Herr Vogel, Ihr Vorgänger, hat im Jahre 1976 zur Begründung der Notwendigkeit dieser Vorschriften, die Sie jetzt abschaffen wollen, gesagt:
Zum zweiten geht es um die Eindämmung der Gewalt, und zwar auch der verbalen Vorbereitung und Begünstigung der Gewaltanwendung in der politischen Auseinandersetzung. Die Gewaltlosigkeit im politischen Kampf ist ein wesentliches Element des demokratischen und freiheitlichen Rechtsstaats. Wer auch nur verbal an dieser Grundübereinkunft unserer Gemeinschaft rüttelt, stellt einen der größten Fortschritte unserer politischen Kultur in Frage und will uns auf das Niveau des politischen Faustrechts zurückwerfen.
So sagte Bundesminister Vogel zur Begründung des § 130 a, den Sie jetzt wieder abschaffen wollen. Ihr Vorgänger hat dazu damals eine Drucksache vorgelegt, in der auf sieben Seiten sehr sachlich begründet wird, warum diese Vorschriften notwendig sind. Da wird ganz klar gesagt, daß alle Vorschriften, die Sie erwähnt haben, nicht ausreichten und daß die anderen Straftatbestände einen straffreien Raum ließen, der sich empfindlich bemerkbar mache.
Ferner wurde in der damaligen Begründung gesagt, daß auch die Wirkung von Druckschriften, die mit präzisen Anleitungen für Gewalt- und Terrorakte den Boden für solche Taten bereiten könnten, nicht unterschätzt werden dürfe.
Heute wird gesagt: das muß wieder weg.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Matthäus-Maier?
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981 899
Nein, im Augenblick nicht.
Heute also wird gesagt: das muß wieder weg!, und das kaum fünf Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes. Ich frage mich, was die deutsche Öffentlichkeit über einen Gesetzgeber, eine Regierung und Parteien denken soll, die die Gesetzgebung so machen, wie Sie das im Augenblick tun. Vor fünf Jahren wurden Straftatbestände mit richtiger Begründung einvernehmlich geschaffen. Der tiefere Grund für die neuerliche Änderung liegt bei irgend jemandem in der FDP. Ich muß die SPD hier einmal ausnahmsweise in Schutz nehmen.
Ich kenne die Kollegen, und sie wissen ganz genau, daß sie hier einen Blödsinn mitmachen müssen.
Aber man hat im Rahmen der Koalitionsvereinbarungen — dem Herrn Baum zuliebe, da man progressiv sein will — beschlossen, daß man es mitmachen muß. Es tut mir furchtbar leid, daß Rechtspolitiker mit diesen Begründungen so etwas mitmachen. Sie werden von uns für dieses Unternehmen, das sowohl von der Sache als auch vom Verfahren her zu geißeln ist, keine Stimme bekommen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gnädinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß dem Abgeordneten und Kollegen Stark, mit dem ich nun seit mehreren Legislaturperioden gemeinsam in diesem Parlament sitze, heute morgen sagen, daß seine Argumentation in diesem Hause skandalös war.
Ich gebe gern zu, daß man zu diesen Fragen unterschiedliche Auffassungen haben kann, und ich gebe auch gern zu, daß man die Erfahrungen, die wir mit diesen Vorschriften gemacht haben, unterschiedlich werten kann. Aber, Herr Kollege Stark, es geht nicht an, denjenigen, die zu anderen Ergebnissen kommen, Motive zu unterstellen, die so nicht hingenommen werden können.
Uns geht es nicht darum, irgendwelchen obskuren Verlagen gefällig zu sein, sondern uns geht es darum, aus der Kriminalstatistik die richtigen Schlüsse zu ziehen und zu schauen, welchen Nutzen diese Vorschriften gebracht haben, nämlich fast keinen, und welchen Schaden sie angerichtet haben, nämlich einen großen. Dies muß gegeneinander abgewogen werden, und es muß erlaubt sein, solche Abwägungen vorzunehmen.
Ich meine, deshalb müssen wir das vorliegende Gesetz beschließen. Ihre Ausführungen waren keine Argumentation, sondern eine Vergiftung der Diskussion, und das wollen wir hier nicht haben. Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist offenbar eine sehr konservative Eigenart, lieber Herr Stark, daß man sagt: Was wir vor fünf Jahren beschlossen haben, können wir im Interesse der Bevölkerung, des Ansehens der Bundesregierung und des Parlaments nach fünf Jahren nicht ändern.
Wo kämen wir denn dann hin? Ich habe soeben schon einmal versucht, Sie darauf hinzuweisen, daß Sie für eine Partei, die irgendwann wieder verantwortlich tätig werden will, ungewöhnlich unbeweglich sind. Jetzt kommen Sie schon wieder mit so einem Beispiel.
Herr Abgeordneter Kleinert, ich muß Sie aus zwei Gründen unterbrechen.
Ich möchte die Tribünenbesucher bitten, von jeder Beifalls- oder Mißfallenskundgebung abzusehen. — Ist erkannt!
Herr Abgeordneter Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege Kleinert, wenn Sie sagen, daß das, was die Bundesregierung und wir alle mit ihr zusammen vor fünf Jahren vertreten haben, falsch gewesen ist: Welche Gewähr haben wir denn dafür, daß das, was Sie heute im Gegensatz zu damals vertreten, richtig ist?
Das ist eben Ihr eigentümlich konservatives Sicherheitsstreben: daß Sie genau wissen wollen, was richtig ist, während wir an Hand der praktischen Erfahrungen prüfen, was wahrscheinlich richtig ist. Und die Erfahrungen der letzten fünf Jahre haben gezeigt, daß niemand wegen § 130a berechtigterweise bestraft worden ist, daß aber die zuständigen Behörden in einigen Fällen unter Benutzung dieser Bestimmung sehr wohl über das von uns gedachte Ziel hinausgeschossen sind. Das sind Beobachtungen, die wir anstellen, und wir bemühen uns, aus solchen Beobachtungen zu lernen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Weil Sie mich noch einmal fragen,
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900 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981
Herr Abgeordneter Kleinert, ich bitte doch, den Präsidenten, wenn er sich einzuschalten wünscht, nicht zu verleiten, Ihre Stimme abzustellen. Das will er j a gar nicht.
Ist eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf von Waldburg-Zeil erlaubt?
Bitte schön.
Herr Abgeordneter, meinen Sie nicht, daß man sagen könnte, wenn niemand mehr wegen Geschwindigkeitsübertretungen innerhalb einer Ortschaft bestraft würde, wäre das Gesetz erfolgreich gewesen?
Sie sind mir vorhin schon durch so eine Art Frage aufgefallen.
Wenn Sie meinen, daß unsere Presse gehindert sei, Nachrichten über eine Entführung zu verbreiten, dann verkennen Sie das Land, in dem wir leben, und das Maß an Pressefreiheit, das hier existiert. Das war Ihre Frage von vorhin.
Sie haben überhaupt einen ganz falschen Denkansatz. Deshalb führen auch Ihre Straßenverkehrsbetrachtungen nicht weiter, wenn es sich um die Frage handelt, in welchem Maße wir ein Risiko eingehen, daß der Staat in seinem Einschreiten mißverstanden wird, ohne daß dabei irgendein Nutzen entsteht. Genau diesen Zustand haben wir im Bereich der Bestimmungen der §§ 88 a und 130 a erreicht.
Deshalb sind wir zusammen mit unserem Koalitionspartner nach sorgfältiger Beobachtung zu der Erkenntnis gekommen — es ist immer nützlich, sich die Tatsachen vor Augen zu halten —, daß wir das ändern müssen. Das werden wir jetzt tun.
Ich bedaure zutiefst — in anderen Fragen können wir besser miteinander reden —, daß man über die wirklich grundsätzlichen Fragen der weitgehenden persönlichen Freiheit gegenüber dem Staat mit Ihnen nur sehr erschwert und mit einigen von Ihnen offenbar gar nicht reden kann. Deshalb werden wir jetzt abstimmen müssen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. — Ich schließe damit die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung.
— Aber, meine Damen und Herren, nicht deshalb, weil Herr Abgeordneter Kleinert das Signal dazu gegeben hat, sondern weil das nach der Geschäftsordnung so vorgesehen ist.Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.Wir treten in diedritte Beratung ein. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Gegenprobe! — Danke. Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Protokoll vom 24. Oktober 1979 zu dem Abkommen vom 18. Dezember 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen— Drucksache 9/15 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 9/134 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schäuble
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.Wir kommen daher zur Einzelberatung und Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Gegenprobe! — Wollen die Damen und Herren Kollegen des Hauses, die noch stehen, eine Gegenstimme oder eine Enthaltung bekunden?
— Nein. In der Schlußabstimmung ist dieses Gesetz einstimmig angenommen worden.Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für den DatenschutzDritter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes
— Drucksache 9/93 -Überweisungsvorschlag des Ältestensrates:Innenausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Forschung und TechnologieMeine Damen und Herren, interfraktionell ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu 15 Minuten für jede Fraktion vereinbart. — Ich sehe keinen Widerspruch; das Haus ist also damit einverstanden. Es wird so verfahren.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981 901
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat am 9. Januar seinen dritten Tätigkeitsbericht dem Deutschen Bundestag vorgelegt. Es ist eine bemerkenswert sachkundige, fleißige und umfangreiche Arbeit. Die Zahl der durch seine Kontrolltätigkeit bewußt gewordenen Problemfälle ist eindrucksvoll. Der vorliegende Bericht ist ein wertvolles Hilfsmittel für die parlamentarische Kontrolle der Bundesregierung. Dafür möchte ich Herrn Professor Bull unseren Dank sagen.Der Bericht enthält im Gegensatz zu seinen Vorgängern ausschließlich Ergebnisse und Beobachtungen aus der Datenverarbeitung der Bundesbehörden und sonstigen staatlichen Stellen. Die bisherigen Erfahrungen stützen die Vermutung, daß Datenschutzprobleme in staatlichen Verwaltungen wahrscheinlicher und häufiger sind als in Industrie und Handel. Dieser neue Bericht bestätigt dies.Die Bundesverwaltung betreibt rund 1 000 automatisierte Dateien, in denen Bürgerdaten gespeichert sind. Bei der Kontrolle durch den Bundesbeauftragten kam im Berichtsjahr 1980 eine bedrükkend vielfältige Sammlung von Mißständen, Fehleinschätzungen und Unzulänglichkeiten beim Datenschutz bei den Bundesbehörden zusammen. Im Bericht ist die Rede von unzulänglicher Pflichterfüllung bei der Aufklärung der betroffenen Bürger über ihre Rechte, von einer zu geringen Einschätzung dieser Bürgerrechte bei Systemplanungen und unerträglichen Zuständen bei der Informationsverarbeitung im Sicherheitsbereich.Der Bundesbeauftragte beklagt Verzögerungen und Versäumnisse bei der Beseitigung rechtlich nicht mehr zulässiger Praktiken und insbesondere die restriktive, wenig bürgerfreundliche Eingrenzung des Datenschutzbereichs durch die geplanten Verwaltungsvorschriften des Bundes.Es gibt Kontroversen über die Amtshilfeproblematik und eine unbereinigte Auseinandersetzung des Bundesbeauftragten mit der Bundesregierung über seine eigenen Prüfungskompetenzen. Um es vorweg zu sagen: In den meisten Fällen rügt der Bundesbeauftragte die Bundesregierung zu Recht. Auch wenn nur wenige eindeutige Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen registriert wurden, so kann die gefällige Formel von einem relativ günstigen Gesamtergebnis des Berichts nicht darüber hinwegtäuschen, daß bei der Umsetzung der Datenschutzerkenntnisse in die Verwaltungswirklichkeit tiefgreifende Gegensätze zwischen der Bundesregierung und dem Bundesbeauftragten bestehen. Wer die Äußerungen Professor Bulls in der Presse und auf Fachtagungen verfolgte, hatte oft den Eindruck, daß er sich immer wieder an die Öffentlichkeit wenden muß, weil er die Probleme im Innenverhältnis nicht klären und seine Vorstellungen nicht durchsetzen kann.
Es erscheint fraglich, ob sich ein besserer Datenschutz mit öffentlichen Auftritten erreichen läßt. Öffentliche Aufmerksamkeit ist nur mit holzschnittartigen Darstellungen zu erzielen, deren Wirkungzwangsläufig ist, daß sich die betroffenen Behörden abzuschotten versuchen. Aus der Bemerkung des Bundesbeauftragten müssen wir genau dies entnehmen: Bei einigen Stellen wurde inzwischen die Tendenz erkennbar, die Befugnisse seines Amtes einengend auszulegen und die Beantwortung seiner Fragen zu lange aufzuschieben. Gute Dienste sind dem Datenschutz auf diese Weise nicht zu leisten, wenn es an der energischen kooperativen Amtsführung der Bundesregierung fehlt.
Die Härte der Formulierungen, die im Vergleich mit den Datenschutzberichten aus den Bundesländern ohne Beispiel ist, zeigt ebenfalls das Ausmaß der Meinungsverschiedenheiten und Spannungen an. Wie auch immer, wir können uns nicht mit der resignierenden Feststellung des Berichts zufriedengegen, daß Datenschutz, wenn er keinen unmittelbar erkennbaren Rationalisierungsvorteil verspricht, gegen das Argument des knappen Geldes in der Bundesverwaltung oft nicht durchsetzbar ist. Hier müssen Roß und Reiter genannt und konkrete Forderungen auf den Tisch gelegt werden.
Bei den Beratungen im Innenausschuß wird Gelegenheit dazu sein.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Worte zur Prüfungskompetenz des Bundesbeauftragten sagen. Zunächst vermissen wir eine Äußerung zur Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen dem Bundesbeauftragten und den Landesbeauftragten für den Datenschutz. Dieses Verhältnis scheint nicht ohne Spannungen zu sein, was in der Natur der Sache liegt, da sich bei den Tätigkeiten von Bundes- und Landesbehörden Überschneidungen ergeben. Dies wird z. B. beim Verband Deutscher Rentenversicherungsträger deutlich, der mit 45 Millionen Datensätzen die größte Sammlung personenbezogener Daten im öffentlichen Bereich unterhält. Ihm gehören vor allem die unter Landesaufsicht stehenden Landesversicherungsanstalten an. Ungeklärt ist, ob insoweit der Bundesbeauftragte oder die Landesbeauftragten Prüfungskompetenz haben. Als umstritten hat sich auch die Kompetenzverteilung bei Verbunddateien herausgestellt, die bei einem Bundesamt eingerichtet sind, deren Daten aber von Dienststellen der Länder eingespeichert, verändert und gelöscht werden. Wir erwarten von der Ständigen Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sachdienliche Lösungsvorschläge bei der Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche. Auch der Datenschutz ist in den Föderalismus eingebunden, der dem Bundesbeauftragten keine Freiräume für Kontrolltätigkeiten auf Landesebene zuweist.Meine Damen und Herren, ich möchte Ihre Aufmerksamkeit noch auf eine andere Frage lenken. Die Bundesminister des Innern und der Finanzen legen die gesetzlichen Bestimmungen über die Nachprüfungsbefugnisse des Bundesbeauftragten restriktiv aus und wollen seine Zuständigkeit auf Daten eingeschränkt wissen, die ausschließlich in Dateien verarbeitet werden. Der Bundesbeauftragte
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902 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981
Dr. Laufssetzt sich dagegen zur Wehr — mit vollem Recht, wie wir meinen. In die einschlägigen Paragraphen des Bundesdatenschutzgesetzes läßt sich dieser Dateibezug nicht hineininterpretieren. Dem Bürger ist im übrigen auch nicht verständlich zu machen, daß Datenschutzkontrollen in öffentlichen Verwaltungen davon abhängen sollen, ob Datenverarbeitung in Dateien oder auf andere Weise stattfindet. Hier zeigt sich wieder die Schwäche des Dateibegriffes.Es versteht sich, daß den zu kontrollierenden Behörden eine umfassende Prüfungskompetenz nicht erwünscht ist. Aber gerade das macht den Sinn der Kontrolle aus. Der Bundesminister des Innern hat den Bundesbeauftragten für den Datenschutz organisatorisch von Anfang an nicht gewollt. Das Wächteramt des Bundesbeauftragten ist in der heutigen Form erst während der parlamentarischen Beratungen im Bundesdatenschutzgesetz verankert worden. Wir können es nicht hinnehmen, wenn die Bundesregierung mit einer praxisfremden und fragwürdigen Interpretation des Gesetzes die Kontrolltätigkeit des Bundesbeauftragten nunmehr einschränken will.Eine Ausnahme ist zu machen. Es muß sorgfältig geprüft werden, ob die vom Bundesbeauftragten beanspruchte Zuständigkeit im G-10-Bereich sinnvoll und notwendig ist. Bei den dort bestehenden komplizierten Kontrollmechanismen ist, von der Sache her betrachtet, eine Prüfungstätigkeit des Datenschutzbeauftragten nicht zu befürworten. Der Bundesbeauftragte kritisiert freilich, daß ihm eine Prüfungskompetenz bei G-10-Maßnahmen offenbar generell bestritten wird, obwohl er gewichtige juristische Gründe für dieses Recht anführen kann.Nachdem ihm zunächst die Prüfung im gewünschten Umfang gestattet wurde, verwehrte ihm der Bundesnachrichtendienst beim zweiten Prüfungsbesuch den Zutritt. Eine solche Konfliktsituation ist unerträglich. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie eindeutige und klare Arbeitsgrundlagen für beide Seiten, gegebenenfalls im Rahmen der angekündigten Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes, schafft.Bei der Zusammenarbeit in der Informationsverarbeitung der Sicherheitsbehörden ist insgesamt große Verwirrung und Unsicherheit entstanden. Die aufgetretenen rechtlichen und praktischen Schwierigkeiten hat der Bundesminister des Innern zum großen Teil durch einseitige Stellungnahmen selbst verursacht. Die erneute Ankündigung der Bundesregierung, drei Jahre nach erregten öffentlichen Diskussionen und wiederholt nicht eingehaltenen Versprechungen, die Amtshilfebeziehungen zwischen Bundesgrenzschutz und Diensten gesetzlich zu vertiefen, begrüßen wir ebenfalls aufs neue. Wie in der Zeitung jüngst zu lesen war, soll sich das Vorhaben des Bundesinnenministers im akuten Stadium der Realisierung befinden. Bis verläßliche Informationen über seine Absichten so nach und nach in den Innenausschuß vordringen, ist es natürlich schwierig, über die Vollständigkeit und Zuverlässigkeit der Pressemeldungen zu spekulieren.Die grundsätzlichen Überlegungen des Bundesbeauftragten jedenfalls über den Datenschutz im Sicherheitsbereich müssen als wichtiger Beitrag in die anstehenden Beratungen einbezogen werden, auch wenn wir sie in ihrer Allgemeinheit nicht teilen können. Wenn der Bundesbeauftragte meint, daß praktisch jede Informationsverarbeitung durch Sicherheitsbehörden eine Belastung des Betroffenen und damit einen Eingriff in eine grundrechtlich geschützte Position darstelle, dann trifft das so nicht zu. Auch seine Feststellung, schon die Registrierung von Handlungen und Äußerungen durch staatliche Behörden könne einen Einschüchterungseffekt haben und Grundrechte beeinträchtigen, klingt reichlich überzogen. Datenschutz ist wichtig, aber nicht die allerwichtigste. Sache. Die Funktions- und Leistungsfähigkeit unserer Sicherheitsbehörden darf durch überzogene Forderungen des Datenschutzes nicht in Frage gestellt werden. Wir sehen die Gefahr, daß eine Amtshilfe in der möglicherweise vorgesehenen restriktiven Form der ministeriellen Einzelfallentscheidung die Arbeit des Verfassungsschutzes, insbesondere bei der Spionageabwehr, praktisch unmöglich machen kann.Neben den datenschutzrechtlichen Erörterungen im Sicherheitsbereich hat die Diskussion um die Eintragungen in amtliche Fernsprechbücher öffentliches Interesse gefunden. Bei der derzeitigen Verwaltungspraxis der Bundespost ist es in der Tat außerordentlich schwierig, zu erreichen, daß ein Fernsprechanschluß im amtlichen Fernsprechbuch nicht verzeichnet wird. Eine liberalere Handhabung der Fernmeldeordnung zugunsten eines Antragstellers durch eine entsprechende Verwaltungsanweisung der Bundespost würden wir gutheißen, auch wenn wir nicht so weit gehen möchten, die Eintragung von der ausdrücklichen Zustimmung des Anschlußinhabers abhängig zu machen.In diesem Zusammenhang ist übrigens interessant, daß die kommerzielle Veröffentlichung von örtlichen Fernsprechbüchern, die neben den Mindesteinträgen erweiterte Angaben und zusätzliche personenbezogene Hinweise enthalten, laut Beschluß des Oberlandesgerichts Saarbrücken nicht in den Schutzbereich des Bundesdatenschutzgesetzes, sondern unter das Medienprivileg fällt. Dem Bürger ist gewiß nicht plausibel zu machen, daß bei amtlichen Fernsprechbüchern Datenschutzprobleme vorhanden sind, während Telefonbuchverlage mit ihren auf eigener, umfangreicher Datenermittlung beruhenden Verzeichnissen presserechtlich geschützt sind und ihr Verhalten datenschutzrechtlich unbedenklich ist. Auch hier zeigt sich, wie konfliktbeladen das Medienprivileg des Datenschutzgesetzes ist. Bei der enormen Bedeutung der modernen Informationstechniken, gerade auch der sogenannten neuen Medien, erscheint es vordringlich, Fragen des Datenschutzes im Bereich der Presse, des Rundfunks und des Films in die angekündigte Datenschutznovelle mit einzubeziehen. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie konkrete Vorschläge dazu erarbeitet.Zum Abschluß möchte ich zum Dritten Tätigkeitsbericht noch folgendes anmerken: Er enthält einige Stellen, an denen der Bundesbeauftragte über den Zaun steigt und in politische Auseinandersetzungen datenschutzrechtliche Aspekte hineinträgt, die dortDeutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn,. Donnerstag, den 12. Februar 1981 903Dr. Laufsnicht vorrangig hingehören. Wenn er sich z. B. in die Probleme von Veränderungen in der Arbeitswelt oder der Gewissensentscheidung von Kriegsdienstverweigerern vertieft, dann sind seine allgemeinpolitischen Wertungen ohne direkten Bezug zum Datenschutz in seinem Bericht fehl am Platze.
Bei der großen Fülle des aufgegriffenen Materials möchte man ohnehin empfehlen, künftig weniger und nur die gewichtigsten Fragen des Datenschutzes darzustellen; der Tätigkeitsbericht soll nicht zum reinen Arbeitsbericht werden.
Lassen Sie mich abschließend noch eine Anregung geben: Der Datenschutz hat mit seinen Geboten und Einschränkungen auch vieles für den Bürger komplizierter gemacht. Noch sind sein Datenbewußtsein und die Einsicht in die Notwendigkeit dieser Form des Persönlichkeitsschutzes schwach entwickelt. Der Bürger hat in der Regel ein vorrangiges Interesse an schnellen und sachgemäßen Dienstleistungen. Bei einem überbürokratischen Datenschutz können diese Belange verletzt werden. So geht es sicherlich zu weit, wenn einem Abholer am Flughafen mit dem Hinweis auf den Datenschutz die Auskunft verweigert wird, ob sich der erwartete Fluggast auf der Passagierliste der nächsten Maschine befindet. Oder: Wer Ahnenforschung betreibt, muß nach dem Personenstandsgesetz für Auskünfte aus den Personenstandsbüchern ein rechtliches und nicht nur ein berechtigtes Interesse nachweisen. Da kann man es nur resignierend aufgeben, Ahnenfolgen aufzuspüren. Es wäre schön, der Bundesbeauftragte könnte ein Kapitel über den Datenschutz, so wie ihn der Bürger praktisch erlebt, in seinen nächsten Bericht aufnehmen. Bei den Bundesbehörden jedenfalls — das zeigt der Dritte Tätigkeitsbericht — wächst allmählich die Erkenntnis, daß Datenschutz nunmehr zum Büroalltag gehört. — Ich danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wernitz.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wie schon in den beiden Vorjahren ist auch der Dritte Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz dem Parlament erfreulicherweise pünktlich zum Jahresbeginn zugeleitet worden. Professor Bull und seinen Mitarbeitern gebührt für diese sorgfältige und inhaltsreiche Dokumentation zu aktuellen und grundsätzlichen Fragen des Datenschutzes auch der Dank der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.Für das Berichtsjahr 1980 läßt sich insgesamt folgendes festhalten: Erstens. Eindeutige Verstöße gegen klare, nicht weiter auslegungsbedürftige Datenschutzbestimmungen sind alles in allem selten.Zweitens. Zu beanstanden waren einige Komplexe unzulässiger oder zumindest bedenklicher Speicherung oder Übermittlung und Mängel in derDatensicherung bestimmter Bundesbehörden. Außerdem wurde die Pflicht zur Aufklärung der Betroffenen über die vorgesehenen und praktizierten Formen von Datenverarbeitung und über die Rechtsgrundlagen häufig nur sehr unzulänglich erfüllt.Drittens. Die Ursache von Fehlentscheidungen war in der Regel nicht die vorsätzliche Mißachtung von Bürgerrechten durch die in der Datenverarbeitung beschäftigten Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung, sondern die zu geringe Einschätzung dieser Rechte.Viertens. Ungeachtet der vom Datenschutzbeauftragten aufgezeigten Fälle unzulässiger oder wenigstens bedenklicher Handhabung des Datenschutzrechts durch bestimmte Bundesbehörden weist der Bericht insgesamt eine anhaltende Verbesserung des Bewußtseins der Bürger und der Sensibilität in den Verwaltungen für die Belange eines effektiven Datenschutzes aus.Schon diese kurze Übersicht, dieses Fazit des Tätigkeitsberichts unterstreicht die Notwendigkeit und die Zweckmäßigkeit der Einführung der Institution eines unabhängigen Bundesbeauftragten für den Datenschutz, wie sie der Bundestag bei der Verabschiedung dieses Gesetzes über den Regierungsentwurf hinaus für erforderlich gehalten und durchgesetzt hat. Die Kontroll-, Beratungs- und Informationstätigkeit des Datenschutzbeauftragten im Sinne des Gesetzes dient nicht nur dem betroffenen Bürger — ihm freilich zuallererst —, sondern auch den Behörden und ihren Mitarbeitern sowie uns, meine Damen und Herren, die wir im Parlament an der einschlägigen Gesetzgebung arbeiten und parlamentarische Kontrolltätigkeit ausüben. Dies sei denen entgegengehalten, die nach wie vor die Institution und die Tätigkeit des Bundesbeauftragten für den Datenschutz mit Ablehnung, Skepsis und Mißtrauen begleiten.In seinem jüngsten Tätigkeitsbericht grenzt sich der Datenschutzbeauftragte zu Recht von denen ab, die von ihm gleichsam die regelmäßige Aufdeckung und Anprangerung sogenannter Datenskandale erwarten. Bemerkenswert und als positiv zu registrieren ist auch seine klare und eindeutige Absage an den Aufbau einer, wie es dort heißt, umfassenden Datenschutzbürokratie. Dies muß sehr ernst genommen werden, weil hier auf Dauer besondere Vorbehalte und Probleme auch psychologischer, nicht nur tatsächlicher Art stecken. Beide Feststellungen sind geeignet, die Akzeptanz dieser Institution zu steigern bzw. Mißverständnisse und Konflikte im konkreten Fall in rationaler und besonnener Atmosphäre austragen zu lassen. Daß es an solchen Konfliksituationen und Konfliktfeldern auch in Zukunft nicht fehlen wird, belegt der Tätigkeitsbericht an mehreren Stellen.Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Institution und der Arbeit des Datenschutzbeauftragten einige Bemerkungen, Schwerpunkte und Aspekte des Berichts herausarbeiten. Hier gilt es zunächst einmal auf die Feststellungen im Tätigkeitsbericht hinzuweisen, wonach jedermann, auch die Angehörigen des öffentlichen Dienstes, das Recht hat, Eingaben an den Datenschutzbeauftragten zu richten.
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Dr. WernitzSicher gibt es hier Kritik nur in Einzelfällen anzumerken. Aber ich möchte bereits in diesem frühen Stadium auf dieses uneingeschränkte Recht des Bürgers, auch innerhalb des öffentlichen Dienstes, hingewiesen haben.Mit Befriedigung kann man registrieren, daß sich im Berichtszeitraum die Zusammenarbeit mit anderen Datenschutzinstanzen weiterhin gut entwickelt und bewährt hat. Kollege Laufs hat hier auf Problembereiche und Kompetenzschwierigkeiten hingewiesen. Ihnen wird man in der Aussprache im Innenausschuß und auch in anderen Ausschüssen des Parlamentes nachgehen müssen. Daß diese Kooperation von großer Bedeutung ist — auch für die einheitliche Auslegung und Anwendung des Datenschutzrechtes —, darf nicht übersehen werden; es muß vielmehr unterstrichen werden.Eine kontroverse Diskussion hat sich inzwischen über den Umfang der Prüf- und Kontrollzuständigkeit des Bundesbeauftragten entwickelt. Auch hierauf wurde vorhin schon Bezug genommen. Der Bundesinnenminister vertritt hierzu laut dem Tätigkeitsbericht den Standpunkt, das Datenschutzgesetz schütze nur die personenbezogenen Daten, die in Dateien gespeichert, verändert, gelöscht oder aus Dateien übermittelt werden. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat sich im Bericht nachdrücklich und detailliert gegen eine derart restriktive Auslegung der Prüfungskompetenz ausgesprochen.Neben diesem allgemeinen Auslegungsstreit hat sich als besonderes Problem die Frage nach der Kontrollkompetenz des Bundesbeauftragten im G- 10-Bereich ergeben. Während der Datenschutzbeauftragte den Standpunkt vertritt, die Kontrolle beziehe sich auf die Einhaltung des Bundesdatenschutzgesetzes und anderer Vorschriften über den Datenschutz und damit auch auf die Bestimmungen des Gesetzes zu Art. 10 GG, wird die Kontrollkompetenz von anderer Seite, so z. B. von der G-10-Kommission und auch von einzelnen Diensten selber bestritten.Inzwischen hat laut Tätigkeitsbericht auch der Bundesminister des Innern Zweifel an der Kontrollkompetenz geäußert und — was nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig ist — eine gemeinsame Klärung dieser Streit- und Rechtsfrage angeregt. Wir werden diese Kompetenzabklärung aus dem Parlament heraus aufmerksam verfolgen und begleiten und hierauf gegebenenfalls bei der Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes zurückkommen müssen. Mehr kann man im Augenblick zu dieser sensiblen und komplizierten Frage, glaube ich, nicht sagen.Auch der Dritte Tätigkeitsbericht mit seinen Hinweisen auf Schwachstellen und Lücken im Datenschutzrecht bestärkt die SPD-Bundestagsfraktion in ihrem Vorhaben, das Bundesdatenschutzgesetz in dieser Legislaturperiode grundlegend zu novellieren und den spezifischen Datenschutz in einzelnen Lebensbereichen weiter zu entwickeln, und zwar im Sinne einer konstruktiven Verbesserung.Mit Professor Bull gehe ich davon aus, daß die in der Anhörung zu den Gesetzentwürfen in der vorigen Legislaturperiode gewonnenen Erkenntnisse in der von der Bundesregierung angekündigten Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes ihren Niederschlag finden. Entsprechendes sollte für die vom SPD-Parteivorstand am 30. Juni 1980 verabschiedeten „Grundsätze für einen besseren Datenschutz" gelten.Unter der Federführung des Bundesministers des Innern und unter Beteiligung verschiedener Ressorts entwirft derzeit eine Arbeitsgruppe Verwaltungsvorschriften zum Datenschutzgesetz für den Bereich der Bundesverwaltung. Damit sollen, wie es heißt, Schwierigkeiten und Zweifelsfragen bei der Anwendung des Datenschutzgesetzes in den Behörden generell geklärt bzw. vermieden werden. Nachdem der Datenschutzbeauftragte diese Verwaltungsvorschriften zum Teil als wenig bürgerfreundliche Gesetzesauslegung — bis hin zur „Verkürzung des Datenschutzes" — charakterisiert hat, sollte der Bundesminister des Innern sich hierzu einmal näher äußern. Jedenfalls muß auf allen Seiten unbestritten sein, daß Verwaltungsvorschriften kein Instrument sind, um den Schutzzweck dieses Gesetzes auch nur in einem Punkt zu unterlaufen. Dies sei hier von vornherein sehr klar und eindeutig gesagt.Der Tätigkeitsbericht verdient gerade in seinem Kapitel über den Stand des Datenschutzes in ausgewählten Bereichen seitens des Parlaments besondere Aufmerksamkeit und sorgfältige Prüfung. Dies kann im einzelnen naturgemäß nur in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages geschehen. Im Interesse der parlamentarischen Kontroll- und Gesetzgebungsarbeit sollte diese Anregung wirklich aufgegriffen werden. Die Schwerpunkte der Tätigkeit im Berichtsjahr 1980 lagen in den Bereichen der Post, der Sicherheitsbehörden, des Verkehrswesens, der Sozialverwaltung, im Gesundheitsbereich, im Personalwesen, im Justizbereich und auch auf dem Verteidigungssektor. Es sind etwa acht bis zehn Ausschüsse des Parlaments, die hiervon betroffen sind, weit über die fünf Ausschüsse hinaus, die in der Tagesordnung dieser Woche angesprochen sind. Ich möchte mit großem Nachdruck die Bitte aussprechen, daß sich alle irgendwie hier angesprochenen beteiligten, betroffenen Ausschüsse, im Rahmen ihrer parlamentarischen Kontrolltätigkeit hiermit befaßten Ausschüsse ernsthaft damit beschäftigen. Das ist eine ganz, ganz wichtige Frage.Bezüglich des Bereichs der Deutschen Bundespost sei hier noch einmal an den inzwischen beendeten und datenschutzrechtlich bedenklichen Versuch erinnert, im Rahmen des elektronischen Wählsystems die geführten Telefongespräche auch mit den Nummern der Angerufenen aufzuzeichnen. Die weitere Behandlung ist erfreulicherweise zwischen Post, Datenschutz und Postausschuß auf Antrag der Koalitonsfraktionen abgestimmt. Das ist sehr zu begrüßen.Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Ausführungen des Berichts zu Datenschutzproblemen bei neuen Medien. Hier geht es um die brisante Frage, wie z. B. bei den Pilotprojekten „Bildschirmtext" und „Kabelfernsehen" von Anfang an die spezifi-
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Dr. Wernitzschen datenschutzrechtlichen Aspekte erkannt, eingebracht und, was das Wichtigste ist, berücksichtigt, auch gesetzgeberisch umgesetzt werden. Die Landesbeauftragten und der Bundesbeauftragte für den Datenschutz haben zur Datenschutzproblematik der neuen Medien ein Thesenpapier erarbeitet, das im Anhang des Dritten Tätigkeitsberichts nachzulesen ist. Auch dies sollte sich der interessierte Kollege oder die interessierte Kollegin zu Gemüte führen.Wichtig ist auch, daß nicht untergeht, was zum Thema Datensicherung gesagt und geschrieben wird, und zwar eben nicht nur unter den Aspekten der Technik, sondern auch der Organisation. Hier bitte ich, auch das Engagement des Bundesministers für Forschung und Technologie noch ein bißchen stärker zu akzentuieren als das bisher der Fall war.Wie in den vergangenen Jahren nimmt der Datenschutz im Sicherheitsbereich auch in diesem Tätigkeitsbericht breiten Raum ein. Besonderer Wert wird dabei auf die Herausarbeitung der Grenzen der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden gelegt. Die bekannten Stichworte lauten: Polizei, Nachrichtendienste, Amtshilfe. Dies ist der Dreiklang, der dann in der Praxis die großen Schwierigkeiten macht, wobei gesehen werden muß, daß es hier um ein Ausbalancieren, um ein ungefähres Gleichgewicht von Bürgerrecht und Staatsmacht geht. Das ist ein schwieriges Kapitel. Ich kann nur unterstreichen, was hier im Datenschutzbericht steht: daß die Frage der Amtshilfe einer weiteren rechtlichen Durchdringung bedarf. In der Bundesregierung sind die Arbeiten hierzu auf diesem sehr schwierigen Sektor vorangebracht worden. Wir werden ja Gelegenheit haben — u. a. auch im Innenausschuß —, uns den aktuellen Stand in den verschiedenen Verästelungen dieser Problematik zu Gemüte zu führen.Meine Damen und Herren, hier wäre auch über weitere Einzelheiten im Bereich der Sicherheitsbehörden bis hin zu dem Thema Kriminalaktennachweis zu sprechen. Ich will hier dieses Stichwort nur genannt haben. Ich möchte dabei aber auch unterstreichen, daß Chancen und Risiken — beides sind Aspekte dieses Projekts — in absehbarer Zeit endlich ausdiskutiert und dann die fälligen Entscheidungen getroffen werden müssen. Auch hierzu wäre ein klärendes Wort des Bundesinnenministers sicher hilfreich. Der Innenausschuß des Bundestages wird sicher alsbald Zeit und Gelegenheit haben, die im Bericht aufgeworfenen einzelnen Fragen des bereichsspezifischen Datenschutzes bei den Sicherheitsbehörden detailliert durchzuarbeiten. Wie in der Vergangenheit wird er dabei darauf zu achten haben, daß die Belange des Datenschutzes und der Sicherheitspolitik auf einen gemeinsamen Nenner kommen, so schwierig dies im konkreten Einzelfall auch sein mag.Nicht unter den Tisch fallen sollte bei dieser Debatte die Feststellung im Tätigkeitsbericht, daß die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich der Datenschutzpraxis und bei der Verwirklichung des Datenschutzes eine allgemein anerkannte und hervorgehobene Stellung einnimmt. Zu Recht weist Professor Bull auf die Bedeutung der von der Öffentlichkeit zumeist kaum wahrgenommenen internationalen Übereinkommen für einen wirksameren Datenschutz hin. Ich nenne hier nur die beiden Konventionen oder Leitlinien: die Europarats-Konvention und die Leitlinien der OECD. Hier könnte erreicht werden, daß die gesetzliche Absicherung des grenzüberschreitenden Datenverkehrs durch die Umsetzung dieser Abkommen in die Praxis erleichtert oder überflüssig wird. Das ist eine optimistische Komponente im Datenschutzbericht, Herr Bull; aber, so glaube ich, man sollte sie ernst nehmen.In jedem Fall, meine Damen und Herren, sollten wir in diesem Hause die vom Bundesbeauftragten betriebene intensive internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Datenschutzes begrüßen und mit unterstützen. Mittel- und langfristig trägt dies mit zur weiteren Ausformung eines bürgerfreundlichen Datenschutzes über die Landesgrenzen hinaus bei.Meine Damen und Herren, auch der Dritte Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten verdient es, von möglichst vielen innerhalb und außerhalb des Parlaments ernsthaft beachtet und gründlich verarbeitet zu werden. Gehen wir miteinander in den Ausschüssen dieses Parlaments an die Arbeit! — Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir uns hier vor qualifiziert zusammengesetztem Haus Rechenschaft über die Datenverarbeitung und den Datenschutz im Bund verschaffen wollen, muß man sich die Datenschutzberichte von Bund und Ländern ansehen. Dann stellt man fest, Herr Kollege Laufs, daß die Meinungsverschiedenheiten, die Sie dargestellt haben, zwischen Bundesbeauftragtem und Bundesverwaltung in gar keiner Weise größer sind als die Differenzen, die wir aus den Landesdatenschutzberichten kennen. Ich denke z. B. an den der sehr verehrten Frau Dr. Leuze in Baden-Württemberg. Da stellen wir also fest, daß es auf der einen Seite einen natürlichen Gegensatz gibt und auf der anderen Seite eine wachsende Sensibilität der Verwaltung von Bund und Ländern für den Bereich des Datenschutzes. Ich finde, daß das eine Wirkung dieser Datenschutzberichte ist, also eine Wirkung der Arbeit der Datenschutzbeauftragten, für die wir in der Tat zu danken haben.Es ist schon ein wichtiger Punkt, daß man sicher sein kann, daß der Staat trotz der beeindruckenden Möglichkeiten moderner Datenverarbeitung die Grenzen der Persönlichkeitssphäre in dem Maße achtet, wie das nach der Verfassung und nach den verfassungsgerichtlichen Entscheidungen erwartet werden kann, und daß der Staat auch den notwendigen Schutz gewährt, daß nicht private wirtschaftliche Interessen in das Privatleben der Bürger einbre-
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Dr. Hirschchen. Für beide Fälle gibt es in den Berichten der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder eindrucksvolle Beispiele, so bestand z. B. bis vor kurzem beim sogenannten Mikrozensus der gesetzliche Zwang, Fragen über Erkrankungen selbst im intimen Bereich zu beantworten, wenn Behörden Daten erheben, die sie bei verständiger Würdigung ihrer Tätigkeit nicht brauchen, und sie an Nachfrager weitergeben, wenn die Datenverarbeitung der Polizei eines Landes keine technische Möglichkeit hat, Daten zu sperren — ein ganz erstaunlicher Vorgang —, oder wenn Bewerber um einen Arbeitsplatz im privaten Bereich immer wieder Absagen bekommen, bis sie merken, daß sie in einer privaten Datei mit unzutreffenden Bewertungen geführt werden, ohne das zu wissen. Es gibt dafür beliebig vermehrbare Beispiele, um zu belegen, daß der Datenschutz in der Tat kein Luxus ist.Manchmal wird die Formel vom „gläsernen Menschen" belächelt. Macht man sich aber mit den tatsächlichen Möglichkeiten der Datenverarbeitung und der neuen Informationstechniken vertraut, bekommt man doch eine ziemliche Hochachtung vor den Maschinen, die nichts vergessen, auch nicht die Fehler, die man in sie einprogrammiert, und die im Datenverbund eine ungeheure Fülle von Einzelinformationen ohne menschliche Kontrolle abrufen, überblicken und zusammenführen können, und das zu jedem beliebigen Zweck.Ich finde, es ist ein großes Verdienst des Rechtsausschusses dieses Hauses, daß er vor Jahren die Einführung eines einheitlichen Personenkennzeichens abgelehnt hat. Die Datenschutzbeauftragten müssen sehr darauf achten, daß das nicht durch Ersatzmechanismen umgangen wird, z. B. durch die Einführung steuerlicher Koordinierungszeichen oder andere Systeme der Durchnumerierung. Der Bericht des Datenschutzbeauftragten zeigt, daß wir in manchen Bereichen noch ohne überzeugende Lösungen bestehender Probleme sind. Das gilt für den Bereich des Personalwesens, insbesondere für die Führung der Personalakten. Das gibt es auch im gewerblichen Bereich. Mir liegt der Entwurf einer Betriebsvereinbarung vor, in der der Betriebsrat eines Unternehmens nicht nur einen Überblick über die gesamte Datenverarbeitung des Unternehmens im Personalbereich haben will — das ist in Ordnung —, sondern wo der Betriebsrat darüber hinaus die Möglichkeit haben will, alle Personaldaten nach eigenem Belieben auszuwerten, ohne der Aufsicht des Datenschutzbeauftragten unterworfen oder auf das Datengeheimnis verpflichtet zu sein. Das genau ist nicht in Ordnung. Hier brauchen wir arbeitsrechtliche Regelungen.Ein besonderes Problem ist das Verhältnis von Datenschutz und Sicherheitsbehörden, insbesondere der Polizei, ein Bereich, in dem die Sensibilität der Öffentlichkeit sehr stark ist. Es ist vollkommen klar und sicherlich unstreitig, daß es eine moderne Kriminalitätsbekämpfung ohne Datenverarbeitung nicht geben kann. Man muß dabei aber sehen, daß es wichtig ist, daß der Bürger sicher sein kann, demokratische Rechte ausüben zu können, ohne Nachteile befürchten zu müssen. In diesem Zusammenhang, gerade im Zusammenhang mit Demonstrationen, ist die Polizei immer wieder dem Verdacht ausgesetzt, daß, wie es so schön heißt, Demonstranten auf unabsehbare Zeit „in den Computer kommen". Wir haben das nicht gemacht, weil es in der Tat politisch verheerend wäre, wenn der Verdacht geäußert werden könnte, die Ausübung eines demokratischen Rechtes sei mit fortwirkenden Nachteilen verbunden. Darum ist vor Jahren die — wie es hieß — Datei gewalttätiger Demonstranten aufgelöst worden.Ich habe keine Bedenken, wenn in einer solchen Datei Straftäter erfaßt werden, die wegen Landfriedensbruchs verurteilt worden sind, oder wenn das geschieht, solange ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren anhängig ist. Aber jede darüber hinausgehende Verdachtsregistrierung ist nicht nur schutzpolizeilich ziemlich sinnlos, sondern wird auch dafür sorgen, daß sich jeder Demonstrant als beobachtet, registriert und damit kriminalisiert betrachtet. Das verringert nicht die Zahl der Demonstrationen, sondern wird deren Emotionalisierung verstärken.
Ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich sage, daß man an die Länder appellieren muß, in dieser Frage den Vorstellungen bestimmter Arbeitskreise nicht zu folgen oder die Grenzen einer solchen Datei in aller Öffentlichkeit einer offenen Diskussion zu unterwerfen.Einzelnen Ausführungen des Datenschutzbeauftragten kann ich nicht zustimmen, so z. B. den kritischen Bemerkungen zum Kriminalaktennachweis. Man kann darüber streiten, wie lange Kriminalakten aufbewahrt werden müssen und was in ihnen enthalten sein muß. Aber es muß eigentlich einer Polizeibehörde möglich sein, vorhandene Kriminalakten festzustellen und bei der anderen, sie führenden Behörde zu fragen, ob man sie einsehen kann. Die Vorstellung des Datenschutzbeauftragten, die Schutzpolizei dürfe grundsätzlich nicht an solche Akten herankommen, ist sicherlich falsch, weil sie verkennt, daß die Schutzpolizei in erheblichem Umfange an der Bekämpfung kleinerer und mittlerer krimineller Delikte beteiligt ist. Das alles kann man im Ausschuß im einzelnen behandeln.Zur Novellierung des Datenschutzrechts: Ich denke, daß mehrere Positionen wirklich elementar sind. Da ist einmal die Einführung des Schadenersatzanspruchs ohne Verschuldensvoraussetzung, da ist zweitens das gebührenfreie Auskunftsrecht, da ist drittens die größere Transparenz der tatsächlichen Datenverarbeitung, also insbesondere die Verbesserung des Registers, und da sind schließlich bereichsspezifische Regelungen. Wir sollten uns dabei davor hüten, in unübersehbare Einzelfallregelungen hineinzugeraten, und wir sollten bei allen einzelnen Regelungen nicht vergessen, daß wir nicht die Datenverarbeitung verbieten, sondern den Kernbereich von Persönlichkeitsrechten schützen wollen.
Ich glaube, daß die Datenverarbeitung in der Tat unverzichtbar ist. Man kann sie — selbst wenn man ein Heer neuer Mitarbeiter dafür einstellte — nicht
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Dr. Hirschzurückdrehen. Das ist vorbei, .das ist nicht möglich. Es kommt also nicht darauf an, etwa die Datenverarbeitung als solche zu behindern oder abzuschaffen, sondern darauf, dafür zu sorgen, daß sie nicht stärker, als es zu verantworten ist, in die Persönlichkeitssphäre des einzelnen eindringt. Das ist deswegen notwendig, weil die moderne Datenverarbeitung unsere Gesellschaft stärker verändern wird als viele andere Vorgänge der Technologie. Wir sind gut beraten, für die Akzeptanz dieser Technologie zu sorgen, bevor es zu solchen Eruptionen wie auf anderen Gebieten der modernen Technik kommt. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Im Zeitalter der automatischen Datenverarbeitung ist Datenschutz ein unverzichtbarer Bestandteil einer Politik der Vorsorge zum Schutz der persönlichen Freiheit aller Bürger. Ich glaube, darüber gibt es in diesem Hause keinen Dissens. Wer die Möglichkeiten der automatischen .Datenverarbeitung kennt, der kennt auch die Gefahren und die Chancen. Jedenfalls zweifelt er nicht an der Notwendigkeit eines wirksamen Datenschutzes. Unter Kennern der Materie gibt es heute kaum noch jemanden, der Datenschutz als Spielzeug oder Datenschutzpolitik als Selbstzweck verkennt, wie das in diesen Tagen wieder zu lesen war.Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat durch seine bisherige Tätigkeit ganz ohne Frage viel für die Entwicklung des Datenschutzbewußtseins in der Bevölkerung getan. Er hat kritische Punkte offengelegt, auf Gefahren hingewiesen, Lösungen angeregt und an der Entwicklung wirksamer Maßnahmen mitgearbeitet.Schon bei der Verabschiedung des Bundesdatenschutzgesetzes war klar, daß dessen Bestimmungen als Grundnormen gedacht waren — als Grundnormen, die in einigen Bereichen einer fachspezifischen Präzisierung und Ergänzung bedürfen.Gerade das vergangene Jahr hat uns ganz wesentliche Fortschritte im bereichsspezifischen Datenschutz gebracht. Hier konnten insgesamt vier wichtige Gesetzesvorhaben realisiert werden: erstens das Bundesstatistikgesetz mit der Neuregelung des Statistikgeheimnisses, zweitens die Novelle zum Personalausweisgesetz mit wirksamen datenschutzrechtlichen Absicherungen, drittens das Melderechtsrahmengesetz mit bereichsspezifischen Datenschutzbestimmungen im Meldewesen und viertens das Sozialgesetzbuch mit der Verstärkung des Sozialgeheimnisses sowie besonderen Schutzbestimmungen bei der Verarbeitung von Sozialdaten.Der jetzt vorliegende Dritte Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz bestätigt der Bundesregierung, daß sie in ihrer Datenschutzpolitik die richtige Strategie verfolgt. Für die Behörden des Bundes kommt der Bericht zu einem relativ günstigen Gesamtergebnis. Gleichwohl enthält er eine Reihe von Beanstandungen, kritischen Bemerkungen, aber auch interessanten Beiträgen zur Fortentwicklung des Datenschutzrechts, die nicht nur bei den anstehenden Beratungen in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages eine Rolle spielen werden, sondern denen die Bundesregierung — jeweils die betroffenen Ressorts in ihrem Verantwortungsbereich — selbstverständlich nachgehen wird.Der Bundesbeauftragte unterstreicht, daß er eine Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes für erforderlich hält. Dies entspricht der Absicht der Bundesregierung. Die Bundesregierung wird einen Gesetzentwurf einbringen, der den neuesten Stand der Diskussion aus Praxis und Wissenschaft berücksichtigt. Deshalb werden wir bereits bei der Vorbereitung des Entwurfs sowohl den Bundesbeauftragten als auch weitere Datenschutzexperten zu Rate ziehen. Zahlreiche Vorschläge zur Verbesserung des Bundesdatenschutzgesetzes liegen bereits auf dem Tisch. Dazu gehören die von Herrn Kollegen Hirsch schon in die Debatte eingeführten Beispiele des verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruchs, der kostenlosen Auskunft oder Vorschläge zur Stärkung der Position des Bundesbeauftragten sowie der betrieblichen Datenschutzbeauftragten.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf eine Frage eingehen, die insbesondere bei Ihnen, Herr Kollege Laufs, und bei Ihnen, Herr Kollege Dr. Wernitz, eine Rolle gespielt hat, nämlich die Frage: Wie weit geht nach geltendem Recht die Prüfungszuständigkeit des Bundesbeauftragten für den Datenschutz? Eng damit verknüpft ist die Frage: Wie weit soll diese Prüfungszuständigkeit im Rahmen einer Novellierung gezogen werden, unter Umständen abweichend vom geltenden Rechtszustand?Herr Kollege Laufs, Sie haben in diesem Zusammenhang das in dem Bericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz erwähnte Beispiel des Bereichs der G-10-Kontrolle gebracht. Ich stimme Ihnen zu, daß diese Frage in den Ausschüssen erörtert werden muß und erörtert werden wird. Auch die Bundesregierung wird sich selbstverständlich an Hand des Berichts noch einmal mit dieser Frage beschäftigen. Sie haben auf die Probleme hingewiesen. Ich brauche das nicht zu wiederholen.Eine größere Rolle hat in Ihren Ausführungen, Herr Kollege Laufs, die Frage eingenommen, wie denn die Prüfungszuständigkeit des Bundesbeauftragten für den Datenschutz im Rahmen des § 19 des Bundesdatenschutzgesetzes zu sehen ist. Sie haben sich hier voll die Position des Bundesbeauftragten für den Datenschutz zu eigen gemacht und dabei den Eindruck erweckt, als handele es sich um eine in der Praxis gegenwärtig außerordentlich bedeutsame Streitfrage. Dies ist keineswegs der Fall. Es gibt keinen einzigen Fall, in dem diese zweifellos vorhandene theoretische Streitfrage zu praktisch unterschiedlichen Ergebnissen 'in der Beurteilung zwischen dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und der Bundesregierung geführt hätte, etwa in der Frage, ob er eine bestimmte Sache kontrollieren darf oder nicht. Mir liegt nur daran, daß wir diese Debatte richtig einordnen. In der Rechtsfrage
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Parl. Staatssekretär von Schoelergibt es einen Meinungsunterschied, der aber in der Praxis bisher zu keinerlei Meinungsverschiedenheiten geführt hat. Das heißt nicht, daß die Rechtsfrage unerörtert bleiben könnte; sie muß diskutiert und geprüft werden, wozu wir gern bereit sind. Ich will bei dieser Gelegenheit nur darauf hinweisen, daß die Kontrollmöglichkeiten des Datenschutzbeauftragten in der Praxis durch die Bundesregierung in keiner Weise beeinträchtigt worden sind, was diese Frage des § 19 des Bundesdatenschutzgesetzes und seiner Auslegung betrifft.Herr Kollege Dr. Wernitz, Sie haben in diesem Zusammenhang auch die Verwaltungsvorschriften zum Bundesdatenschutzgesetz angesprochen. Auch da spielt diese Frage wiederum eine Rolle. Es handelt sich um einen Entwurf, der in der Abstimmung ist und erörtert werden muß. Ich glaube, es hat keinen Sinn, zu einem Zeitpunkt, zu dem der Entwurf noch nicht auf dem Tisch liegt, hier in eine detaillierte Erörterung einzutreten. Ich möchte das hervorheben, was Sie gesagt haben und dem ausdrücklich zustimmen: Selbstverständlich — das ist die Absicht der Bundesregierung bei dem Entwurf — können der Kontrollbereich und der Schutzzweck des Bundesdatenschutzgesetzes nicht auf dem Wege der Verwaltungsvorschriften in irgendeiner Weise unterlaufen, ausgehöhlt, eingeschränkt oder wie auch immer beeinträchtigt werden. In diesem Prinzip gibt es zwischen uns keine Meinungsverschiedenheit.Der jetzt vorliegende Bericht beschäftigt sich wiederum umfassend mit der Datenverarbeitung bei den Sicherheitsbehörden. Der Bundesbeauftragte hebt ausdrücklich hervor, daß gerade hier deutliche datenschutzrechtliche Fortschritte erzielt worden sind. Er weist zugleich zu Recht darauf hin, daß es hier um schwierige rechtliche und tatsächliche Probleme geht, die nicht von heute auf morgen ein für allemal gültig gelöst werden können. In der Tat birgt die Gratwanderung zwischen bestmöglichem Datenschutz und berechtigten Informationsbedürfnissen der Sicherheitsbehörden ganz besonders komplizierte Probleme. Das gilt für die Datenverarbeitung in den Sicherheitsbehörden ebenso wie für die Amtshilfe zwischen Bundesgrenzschutz und den Nachrichtendiensten. Aber wir haben hier keinen Grund, uns irritieren zu lassen, auch nicht durch eigentlich recht amüsante, hartnäckige Versuche einer bestimmten Zeitung unter dem falschen Motto „Erleichterung für DDR-Funktionäre" uns zu irgendwelchen falschen Entscheidungen verleiten zu lassen.Zu der konkreten Frage der Amtshilfe haben wir einen Vorschlag auf dem Tisch liegen, auf den ich nachher noch eingehen werde. Dieser Vorschlag ist von dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesministerium des Innern gemeinsam erarbeitet worden, und er wird zur Zeit mit den Ländern erörtert. Herr Kollege Laufs, dies wollten Sie wohl nicht kritisieren. Ich bin froh, daß Sie das bestätigen. Ich erinnere mich noch gut an frühere Debatten über solche Fragen, wo kritisiert wurde, daß wir das hätten erörtern sollen. Wir erörtern das — darauf können Sie sich verlassen —, und wir werden dann entscheiden.Wir haben für diese Fragen ein Konzept, das wir sorgfältig und ohne Hast, aber zügig verwirklichen werden. Dieses Konzept basiert auf dem Prinzip der kooperativen Auseinandersetzung mit Datenschutzexperten und Sicherheitsexperten. Dabei gehen wir in zwei Etappen vor. Was ich jetzt sage, bezieht sich nicht nur auf die Amtshilfe, sondern auch auf die anderen Fragen des Datenschutzes im Sicherheitsbereich. In der ersten Etappe werden unterhalb der Gesetzesebene Vorschriften erarbeitet, damit wesentliche Verbesserungen bereits frühzeitig eingreifen können. Auf diesem Fundament werden wir, wo immer es nötig ist, rechtliche Verfestigungen in Form gesetzlicher Regelungen anstreben.So halten wir es auch bei der neuen Regelung der Amtshilfe zwischen dem Bundesgrenzschutz und den Nachrichtendiensten. Wir haben, wie Sie wissen, die Amtshilfeproblematik von namhaften Wissenschaftlern begutachten lassen. Auf der Grundlage dieser wissenschaftlichen Ergebnisse wird seit längerer Zeit intensiv an der Formulierung konkreter Amtshilfeersuchen gearbeitet, die die sogenannte Sonderanweisung Grenzkontrolle ablösen werden. Inzwischen ist ein Vorschlag für dieses Amtshilfeersuchen des Bundesamtes für Verfassungsschutz an den Grenzschutz erarbeitet worden, und — das habe ich erwähnt — wir sprechen darüber auch mit den Ländern. Diese Amtshilfeersuchen werden die zukünftige Praxis der Informationsübermittlung von der Grenze an den Verfassungsschutz auf eine rechtsstaatlich einwandfreie Grundlage stellen. Zugleich gewährleisten sie, daß die Behörden für Verfassungsschutz ihre vom Gesetzgeber übertragenen Aufgaben im Interesse unserer Sicherheit effektiv wahrnehmen können.Ich bin mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz einer Meinung, daß die Amtshilfe des Bundesgrenzschutzes für das Bundesamt für Verfassungsschutz letztlich einer gesetzlichen Regelung bedarf. Die Bundesregierung wird dem Deutschen Bundestag entsprechende Gesetzesvorschläge so rechtzeitig vorlegen, daß eine gründliche Beratung und eine Verabschiedung noch in dieser Legislaturperiode möglich sein werden.Beim Ausbau des Datenschutzes im polizeilichen Informationswesen sind in der letzten Zeit einige Schritte möglich gewesen. Im März des vergangenen Jahres hat der Bundesinnenminister seinen zweiten Dateienbericht vorgelegt. Er enthielt Vorschläge für die bereichsspezifische Datenschutzregelung im Polizeibereich, die das Bundesdatenschutzgesetz konkretisieren, ergänzen und in einigen Schritten auch darüber hinausgehen sollten. Nunmehr ist die Abstimmung mit den Ländern über diesen zweiten Dateienbericht und die darin vorgeschlagenen Regelungen abgeschlossen. Am 23. Januar dieses Jahres haben die Innenminister von Bund und Ländern einvernehmlich den Dateienrichtlinien für Dateien beim Bundeskriminalamt zugestimmt und eine Neufassung der Richtlinien für die Führung kriminalpolizeilicher Sammlungen, die sogenannten KPS-Richtlinien, verabschiedet. Sie werden jetzt in Kraft gesetzt. Wir werden wohl in der nächsten Sitzungswoche im Innenausschuß Gele-
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Parl. Staatssekretär von Schoelergenheit haben, darüber im Detail auch noch einmal ausführlicher zu sprechen.Wir werden dann die Erfahrungen mit diesen Richtlinien in der Praxis sammeln und prüfen, ob und wo noch Korrekturen erforderlich sind. Wir werden uns auch — in Zusammenarbeit mit dem Bundesminister der Justiz — der Frage stellen, wo rechtliche Verfestigungen dieser Verwaltungsrichtlinien erforderlich sind.Ich möchte an dieser Stelle allen, die an der Erarbeitung dieser Richtlinien beteiligt waren, für ihr außerordentlich großes Maß an Kooperationsbereitschaft danken. Dieser Dank gilt sowohl den Arbeitsgremien der Innenministerkonferenz als auch dem Justizminister und ebenfalls den Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder. In einem nicht immer einfachen Abstimmungsprozeß ist es gelungen — das ist für die Praxis ganz wesentlich —, einheitliche Regelungen für Bund und Länder zu schaffen. Es ist gelungen, in dem Spannungsverhältnis zwischen Bürgerbelangen und Sicherheitsinteressen Lösungen zu finden, die die Rechte des Bürgers wesentlich stärken und gleichwohl die Effizienz polizeilicher Aufgabenerfüllung voll wahren.Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einige Worte zu einer Frage sagen. die im Bericht angesprochen ist und die auch Herr Kollege Hirsch erwähnt hat, nämlich zur Frage des zentralen Kriminalaktennachweises beim Bundeskriminalamt. In dieser Frage hat es eine enge und offene Beratung mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz gegeben, und zwar von Anfang an. In seinem Dritten Tätigkeitsbericht, Herr Kollege Hirsch, konnte sich der Beauftragte für den Datenschutz nur auf die ersten Entwürfe beziehen. Das jetzt beschlossene Konzept wurde nach Drucklegung des Dritten Tätigkeitsberichts dem Bundesbeautragten zugeleitet. Das vielleicht als Hintergrund zum Verständnis für die Bemerkungen im Dritten Tätigkeitsbericht.In seiner Presseerklärung am 21. Januar 1981 hat der Bundesbeauftragte das jetzige Konzept ausdrücklich als datenschutzgerechte Lösung bezeichnet. Der Kriminalaktennachweis ist nach dieser neuen, nunmehr erarbeiteten Konzeption ausschließlich ein Aktenhinweissystem und kein Auskunftssystem, das weiterführende Angaben wie etwa Straftaten oder Freiheitsentziehungen enthält. Von daher, glaube ich, ist der Dissens, der sich zwischen den Ausführungen von Ihnen, Herr Kollege Hirsch, in der Debatte und dem Bericht von Herrn Professor Bull ergeben hat, durch die zwischenzeitlich eingetretenen Entwicklungen vielleicht schon wieder überwunden. Im Kriminalaktennachweis werden jedenfalls keine Anzeigenden oder Zeugen, sondern nur Verdächtige und Beschuldigte gespeichert. Eine zentrale Speicherung beim Bundeskriminalamt kommt nur bei einer überregionalen Bedeutung des Täters oder der Tat in Betracht. Auch hier haben wir mit Unterstützung des Bundesbeauftragten für -den Datenschutz eine Lösung gefunden, die sowohl die Rechte des einzelnen schützt als auch den Belangen der Sicherheitsbehörden gerecht wird.Datenschutz ist auch ein internationales Problem. Unser Datenschutzniveau kann sich international sehen lassen. Um so größer muß unser Interesse sein, daß dieses Niveau auch zum internationalen Standard wird. Ohne ungehinderten Datenfluß gibt es keinen internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr. Daran wollen und müssen wir festhalten.Um so mehr müssen wir aber auch dafür Sorge tragen, daß der Bürger nicht schutzlos wird, wenn seine Daten im Ausland verarbeitet werden. Deshalb arbeiten wir seit längerer Zeit auf internationaler Ebene mit Hochdruck an Leitlinien und Abkommen zum Schutz des grenzüberschreitenden Datenverkehrs. Am 28. Januar dieses Jahres hat der Bundesinnenminister beim Europarat das Übereinkommen zum Schutz der Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten unterzeichnet, gemeinsam mit sechs anderen Ländern. Diese sogenannte Europäische Datenschutzkonvention wurde in mehrjährigen Vorbereitungen geschaffen. An ihrem Zustandekommen war die Bundesregierung maßgebend beteiligt. Die Europäische Datenschutzkonvention hat Pilotfunktion für die Entwicklung des internationalen Datenschutzes. Hauptzweck des Übereinkommens ist die Harmonisierung des Datenschuztes in den Vertragsstaaten, d. h., die Vertragsstaaten verpflichen sich zur Einführung eines gewissen Mindestmaßes an gemeinsamen Datenschutzregeln. Nach der Ratifikation durch alle Mitgliedsländer wird es in Westeuropa keine „Datenparadiese" mehr geben.Die Europäische Datenschutzkonvention wird auf unser nationales Datenschutzrecht keinen Einfluß haben. Wir haben die Regeln der Konvention bereits in der Gesetzgebung verwirklicht.Damit wird zugleich der internationale Standard des deutschen Datenschutzes eindrucksvoll bestätigt. Dennoch — ich glaube, das zeigen sowohl der Bericht als auch die Debatte —: Wir haben keinen Anlaß, die Hände in den Schoß zu legen. Einige Probleme sind im Laufe der Debatte genannt worden. Der uns vorliegende Tätigkeitsbericht enthält eine Reihe weiterer Fragen und Anregungen. Die Bundesregierung wird sorgfältig prüfen, wo Verbesserungen nötig sind und welche Maßnahmen gegebenenfalls erforderlich sein werden. Sie setzt dabei weiterhin auf die kritische Unterstützung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz, dem ich für seine Arbeit auch im Namen der Bundesregierung danken möchte.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung. Erhebt sich gegen die vorgesehene Überweisung Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir ein Wort zur Geschäftslage. Wir gingen ursprünglich davon aus, daß wir um 13 Uhr in die Mittagspause eintreten können. Nach den vorliegenden Wortmeldun-
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Vizepräsident Frau Rengergen nehme ich an, daß wir noch etwa zwei Stunden zu beraten haben. Wir werden also wahrscheinlich bis zum Beginn der Fragestunde Weitertagen müssen. Ist das Haus damit einverstanden? — Danke schön.Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sozialgesetzbuchs — Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten —— Drucksache 9/95 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung InnenausschußAusschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Bildung und WissenschaftDas Wort hat Frau Staatssekretär Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Arbeit am Sozialgesetzbuch hatte von Beginn an das Ziel, das wegen seiner rechtlichen Zersplitterung unübersichtlich gewordene Sozialrecht nach einheitlichen Grundsätzen neu zu ordnen. Dieses Ziel hat in den vergangenen Jahren auch im Deutschen Bundestag breite Unterstützung gefunden. Auf Grund der intensiven Mitarbeit, die gerade auch von seiten dieses Hauses gekommen ist, konnten in den letzten Jahren die ersten drei Teile des Gesetzgebungswerks bereits in Kraft treten.Heute liegt Ihnen der Entwurf zum vierten Teil des Sozialgesetzbuchs vor. Er soll die Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten neu regeln, und zwar übergreifend für alle Sozialleistungsbereiche. Ein derartiges Vorhaben dient sowohl dem Bürger als auch der Verwaltung.Auf der einen Seite steht der Kampf gegen die allseits beklagte Flut von Normen. Zwar enthält auch der neue Gesetzentwurf 40 neue Vorschriften; sie ermöglichen es aber, 55 Vorschriften aus bestehenden Gesetzen ganz oder teilweise herauszulösen und die geltenden Regelungen für alle Leistungsbereiche in übersichtlicher und sachlich angemessener Form neu zu ordnen.Es hilft nicht, über ein Zuviel und über die Kompliziertheit von Gesetzen nur zu reden. Wir müssen handeln, und dies tun wir mit Geseztentwürfen wie dem vorliegenden. Zum anderen ist in Fragen, die der Gesetzentwurf behandelt, in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen Streit entstanden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen die Grundlagen für die Arbeit unserer Sozialverwaltung verbessert werden. Die Arbeit der Leistungsträger selbst und ihre Zusammenarbeit — z. B. zwischen Rentenversicherung und Krankenversicherung — wird erleichtert. Zugleich kommen diese Veränderungen auch dem Bürger zugute.Lassen Sie mich beispielhaft fünf Komplexe herausgreifen und dabei mit den Regelungen beginnen, die für den Bürger unmittelbar positive Auswirkungen haben werden.In der Vergangenheit sind häufig Nachzahlungen von Sozialleistungen, z. B. bei rückwirkender Rentenfestsetzung, im Hinblick auf mögliche Ansprüche anderer Leistungsträger gegen den Leistungsberechtigten mehrere Monate lang nicht ausgezahlt worden. Einzelne Bürger haben sich in solchen Fällen mit der Bitte um Hilfe an den Petitionsausschuß des Bundestages gewandt. Der Ausschuß hat im Einzelfall oft helfen können. Er hat jedoch auf eine gesetzliche Regelung gedrungen, damit die Verwaltung künftig von vornherein in der richtigen Weise handelt. § 88 des Entwurfs bringt in dieser Frage nunmehr einen sachgerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Verwaltung und den Interessen des einzelnen.Als zweite Regelung, die dem Bürger unmittelbar helfen wird, möchte ich § 112 nennen. Diese Vorschrift betrifft u. a. die ärztliche Untersuchung durch die Leistungsträger. Es ist von den Bürgern in der Vergangenheit darüber geklagt worden, daß bei den Leistungsträgern gleiche oder doch sehr ähnliche ärztliche Untersuchungen wiederholt werden mußten, obwohl dazu kein ausreichender Anlaß bestand. Am 5. Mai 1980 hat die Bundesanstalt für Arbeit mit dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger eine Verwaltungsvereinbarung abgeschlossen, die ein erster Schritt ist, um unterschiedliche Beurteilungen der Leistungsfähigkeit eines Versicherten und unnötige Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Der Gesetzentwurf geht über diese Vereinbarung hinaus. Veranlaßt ein Leistungsträger eine ärztliche Untersuchungsmaßnahme, um festzustellen, ob die Voraussetzungen für eine Sozialleistung vorliegen, so sollen die Untersuchungen in der Art und Weise vorgenommen und deren Ergebnisse so festgehalten werden, daß sie auch bei der Prüfung der Voraussetzungen anderer Sozialleistungen verwendet werden können. So sollen insbesondere die Untersuchungsbefunde — z. B. Blutbilder und Röntgenbilder — von den anderen Leistungsträgern verwertet werden.Für die Bürger von Interesse ist ebenfalls die Neuordnung des sogenannten Quotenvorrechts der Sozialversicherungsträger. Während bisher bei Beschränkung des Schadenersatzanspruchs eines Versicherten gegen einen Schädiger dem Sozialversicherungsträger der erste Zugriff zustand, werden künftig der Versicherte und der Sozialversicherungsträger in einem unter dem Gesichtspunkt ihrer Interessenlage ausgewogenen Verhältnis beteiligt.Aber auch die Vorschriften, die vordergründig nur die Rechtsverhältnisse zwischen den einzelnen Leistungsträgern betreffen, haben für jeden einzelnen Bürger große Bedeutung. Sich hieran zu erinnern, gibt nicht zuletzt das Internationale Jahr der Behinderten Gelegenheit. Die Zusammenarbeit der Leistungsträger, besser gesagt: ihr reibungsloses Zusammenspiel ist bei der Rehabilitation und den sonstigen Sozialleistungen, die Behinderten zustehen, unumgänglich. Die Arbeit, die mit dem Rehabilitations-Angleichungsgesetz vor einigen Jahren begonnen wurde, wird nunmehr im Sozialgesetzbuch auf breiterer Basis fortgeführt und inhaltlich vertieft.
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Part. Staatssekretär Frau FuchsEin Beispiel hierfür bilden die vorgesehenen Regelungen über die Arbeitsgemeinschaften. In der Praxis hat sich die Notwendigkeit für eine Zusammenarbeit der Leistungsträger gezeigt, die über eine gegenseitige Abstimmung bei der Wahrnehmung der Aufgaben hinausgeht und eine festere Struktur erforderlich macht. In Arbeitsgemeinschaften, die auf örtlicher, regionaler oder überregionaler Ebene errichtet werden können, haben die Leistungsträger die Möglichkeit, ihre Aufgaben gemeinsam — und damit besser — wahrzunehmen. Das gilt nicht nur für die Erbringung der eigentlichen Sozialleistungen, sondern insbesondere auch für die wichtigen Aufgaben der Aufklärung, der Auskunft und der Beratung nach dem Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuchs. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme eine generelle Streichung der Vorschriften über die Arbeitsgemeinschaften vorgeschlagen. Ich möchte Sie bitten, dem nicht zu folgen. Es gibt bereits heute in bestimmten Bereichen vielfältige Arbeitsgemeinschaften. Für ihre Tätigkeit muß eine rechtliche Mindestbasis geschaffen werden, um die Aufgabenerfüllung zu erleichtern und für Bürger und Leistungsträger übersichtliche Verhältnisse zu schaffen.Als letztes Beispiel für die notwendigen rechtlichen Verbesserungen möchte ich die Neuregelung der Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander nennen. Im geltenden Recht sind diese Erstattungsansprüche sehr unterschiedlich geregelt. Dieser Mangel an Einheitlichkeit beruht vor allem auf der ständigen Weiterentwicklung unseres gegliederten Sozialleistungssystems, in dem die Erweiterung des Leistungsspektrums immer größere Probleme für die Überschaubarkeit des Rechts schafft.Der vorliegende Entwurf legt nun zum erstenmal eine geschlossene Lösung für die schwierigen Fragen vor, welche Erstattungsansprüche bestehen und in welcher Rangfolge sie zu befriedigen sind. Bei der Neuordnung der Erstattungsansprüche ist darauf geachtet worden, daß hinsichtlich der sachlichen Auswirkungen keine wesentlichen Änderungen gegenüber den bisherigen Regelungen eintreten.Meine Damen und Herren, die weiteren Arbeiten an der Einordnung des Rechts der einzelnen Leistungsbereiche in das Sozialgesetzbuch setzen die Verabschiedung der neuen Vorschriften voraus, die Ihnen heute vorliegen. An dieser Einordnung wird bereits zügig gearbeitet, so daß in absehbarer Zeit mit weiteren Gesetzentwürfen zum Sozialgesetzbuch zu rechnen ist. Dabei wird zunächst die Sozialversicherung im Vordergrund stehen.Ich möchte Sie abschließend bitten, den vorliegenden Entwurf — ebenso wie die vorangegangenen Entwürfe zum Sozialgesetzbuch — zügig zu beraten und zu verabschieden und damit die Bereinigung und Neuordnung des Sozialrechts weiter voranzubringen.
Meine Damen und Herren, das Wort in der Aussprache hat der Herr Abgeordnete Seehofer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wir von der CDU/CSU stehen dem Vorhaben, das Sozialrecht zusammenzufassen, überschaubarer zu machen, zu vereinfachen, grundsätzlich positiv gegenüber.
Ich möchte aber an dieser Stelle einmal darauf hinweisen, daß der Gedanke einer Kodifikation des Sozialrechts nicht erst seit einigen Jahren diskutiert und verwirklicht wird, sondern daß bereits 1955 in der Rothenfelser Denkschrift, die auf Veranlassung des damaligen Bundeskanzlers Adenauer entstanden ist, dieser Gedanke skizziert wurde.
Meines Wissens sind auch die ersten Vorüberlegungen, die ersten Vorarbeiten zum Sozialgesetzbuch noch während der Regierungszeit von CDU und CSU veranlaßt worden.
— So beschlossen. Vielen Dank.Inzwischen sind nun der Allgemeine Teil des Sozialgesetzbuches, das Buch I, die Gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung, das Buch IV, sowie das Erste und Zweite Kapitel des Buches X des Sozialgesetzbuches in Kraft getreten.Das Erste Kapitel des Buches X des Sozialgesetzbuches behandelt das Verwaltungsverfahren, während das zweite den Schutz der Sozialdaten beinhaltet.Heute liegt uns nun das Dritte Kapitel des Buches X des Sozialgesetzbuches vor, das die Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten regeln soll — gewiß kein schlagzeilenträchtiger Gesetzentwurf, aber deshalb nicht minder wichtig.Ziel dieses Gesetzentwurfes ist es, das Handeln der Leistungsträger untereinander schneller, reibungsloser und systematischer zu gestalten. Damit ist auch bezweckt, die Stellung des Leistungsempfängers zu stärken.Wer sich nun die bisherigen Teile des Sozialgesetzbuches und den heute hier vorliegenden Gesetzentwurf anschaut, der muß den Eindruck gewinnen, daß zwischen der Zielsetzung der Gesetzgebung und deren Verwirklichung doch eine erhebliche Diskrepanz besteht — nimmt man einmal das Buch I des Sozialgesetzbuches, das man in gewisser Weise als bürgernah bezeichnen kann, davon aus.Nach meiner Auffassung wird durch dieses Dritte Kapitel des Buches X des Sozialgesetzbuches weder die Stellung des Leistungsempfängers merklich gestärkt noch das Sozialrecht insgesamt überschaubarer gemacht und vereinfacht. Im Gegenteil, das Sozialrecht wird noch komplizierter, als es ohnehin schon ist. Der Dschungel von Sozialvorschriften wird noch dichter. Ich stelle draußen in der Diskussion fest, daß der Bürger, der Leistungsempfänger, für den das Sozialgesetzbuch ja gedacht ist, praktisch keinen Bezug zu diesem Sozialgesetzbuch hat,
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Seehoferja daß der Bezug zum neuen Sozialgesetzbuch geringer ist als zu der alten Reichsversicherungsordnung, die seit eh und je als für den Bürger nicht verständlich angesehen wird. Das Sozialgesetzbuch — dies kann man ohne Einschränkungen feststellen — hat im Bewußtsein der Öffentlichkeit heute noch keinen Stellenwert.
Das Ziel, die Entfremdung zwischen dem Bürger und seinem Recht — hier: dem Sozialrecht — abzubauen, wird durch dieses Sozialgesetzbuch, jedenfalls durch die Teile, die bisher vorliegen, meines Erachtens nicht erreicht. Damit ist auch der Ausgangspunkt dieser Novellierung des Sozialgesetzbuches in Frage gestellt, nämlich der Ausgangspunkt, das Sozialrecht mit dem Ziel einer größeren Verständlichkeit, Klarheit und Transparenz zusammenzufassen. Das Sozialrecht ist für den Bürger bisher nicht sozialer gestaltet worden.Nun wird seitens der Bundesregierung — Frau Staatssekretär Fuchs hat dieses Argument heute wieder gebracht — darauf hingewiesen, daß durch den vorliegenden Entwurf eine große Zahl von Vorschriften gestrichen werden konnte. Ich bin Ihnen dankbar, Frau Fuchs, daß Sie heute die richtige Zahl genannt haben. Noch in der Sitzung des Bundesrates am 21. November haben Sie davon gesprochen, daß mehrere hundert Vorschriften ganz oder teilweise gestrichen werden konnten. Heute nun haben Sie diesem Hohen Haus die richtige Zahl, die auch Ihr Haus verbreitet, mitgeteilt; es sind 55. Es ist zwar richtig, daß diese Zahl von Vorschriften ganz oder teilweise gestrichen werden konnte — ich möchte dies im Ergebnis, weil das natürlich zu einer Straffung führt, auch nicht kritisieren —, nur, meine Damen und Herren, ist dies kein Argument dafür, daß wir jetzt nach dieser Streichung verschiedener Paragraphen weniger Gesetzesflut und weniger Bürokratie hätten. Denn die Zahl der insgesamt anzuwendenden Vorschriften bleibt nach wie vor die gleiche.Ich möchte dies einmal an einem Beispiel verdeutlichen, am Beispiel der Sozialhilfeverwaltung. Der Sachbearbeiter in der Sozialhilfeverwaltung prüft die Frage der Verjährung eines Erstattungsanspruchs künftig nicht an Hand einer Vorschrift im BSHG, sondern eben an Hand der neuen Vorschrift im Dritten Kapitel des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch. Dies heißt im Klartext, daß für ihn im Bundessozialhilfegesetz zwar eine Vorschrift gestrichen wurde, aber nicht ersatzlos weggefallen ist. Diese Vorschrift ist nur vom BSHG in das Dritte Kapitel des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch verlagert worden. Das heißt: Wenn wir nur den Mut haben, Paragraphen von einem Gesetz ins andere zu verlagern, nicht aber den Mut aufbringen, unter dem Strich Paragraphen zu streichen, können wir doch nicht von weniger Bürokratie sprechen. Denn dies bedeutet in der Praxis doch nicht weniger Bürokratie.
Wir als CDU/CSU haben — ähnlich wie die Länder — gegen eine ganze Reihe von vorgesehenen Regelungen Vorbehalte, zum Teil auch schwerwiegende Bedenken. Es ist hier jetzt zwar nicht die Zeit, Einzelheiten dieses Gesetzentwurfs zu diskutieren — dies wird im federführenden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung geschehen —, aber ich will ein Beispiel herausgreifen, nämlich die vorgesehene Regelung über die Arbeitsgemeinschaften in den §§ 95 mit 100. Hier ist vorgesehen, Verwaltungshandeln und Bildung von Arbeitsgemeinschaften auf örtlicher, regionaler und überregionaler Ebene zu regeln. Diese Regelungen erscheinen uns aus verschiedenen Gründen, insbesondere aber aus sozialpolitischen, organisatorischen und auch verfassungsrechtlichen Gründen, außerordentlich problematisch. Ich kann hier nur die allerwichtigsten Gründe nennen.Erstens. Das Handeln und die Bildung von Arbeitsgemeinschaften ist bisher gesetzlich nicht geregelt. Wir sehen für eine derartige Regelung auch in der Zukunft keine Notwendigkeit. Wir kennen aus der Praxis kein sachbezogenes und kein konkretes Verwaltungsbedürfnis, diese Regelungen in das Dritte Kapitel des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs aufzunehmen. Auch die Begründung des Gesetzentwurfs schweigt dazu. Es reicht nicht aus, wenn es darin heißt:Mit Hilfe der Arbeitsgemeinschaft ist eine bessere Vorbereitung, Koordinierung und Durchführung der Aufgaben denkbar.Wir halten es für unbedingt erforderlich, etwaige Verwaltungsbedürfnisse konkret und fallbezogen zu beschreiben. Wenn dies unterbleibt, ist eine gesetzliche Festlegung überflüssig.Es besteht auch überhaupt kein Grund, einseitig eine bestimmte Möglichkeit der Zusammenarbeit von Leistungsträgern im Gesetz vorzugeben. Dadurch werden eigentlich nur der Gestaltungsspielraum und die Flexibilität der Sozialverwaltung bei den Leistungsträgern eingeengt.Zweitens haben wir Bedenken, weil die angestrebten Vorschriften letztlich ein Einstieg zur schrittweisen Vereinheitlichung und Beseitigung des bewährten gegliederten und dezentralen Sozialleistungssystems sind — mit der Folge: Verlust an Bürgernähe, Ausweitung der Bürokratie, Konkurrenz der Arbeitsgemeinschaften zu den Verbänden der Leistungsträger, Schaffung neuer Verwaltungsebenen und Überkörperschaften sowie Rechtsunsicherheit.Wir sollten uns gerade hier auf den Grundsatz der Subsidiarität besinnen, wonach niemals einer größeren Einheit eine Zuständigkeit übertragen werden soll, die die kleinere Einheit genausogut wahrnehmen kann. An diesen Grundsatz sollten wir uns mit aller Konsequenz halten.
Dieser Grundsatz gilt gerade für die Solidargemeinschaft. Ich bitte um eine nochmalige sorgfältige Prüfung gerade vom Grundsatz der Subsidiarität her.Drittens. Mit der Aufnahme Dritter, also nicht nur von Leistungsträgern und Verbänden, in die Arbeitsgemeinschaften besteht die Gefahr der Aushöhlung oder zumindest der Schwächung der paritätischen
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SeehoferSelbstverwaltung. Denn diese Dritten haben natürlich Mitspracherecht. Sie werden allerdings nicht gewählt und unterliegen damit auch nicht der Verantwortung der gewählten Arbeitgeber und der Versicherten. Hier sehen wir, ohne daß man Gesetzesvorschriften ändern müßte, die wirkliche Gefahr, daß die paritätische Selbstverwaltung ausgehöhlt bzw. geschwächt wird.
Am Rande weise ich auch auf das verfassungsrechtliche Problem hin, daß durch diese Bestimmungen überregionale, länderübergreifende Institutionen möglich sind und damit das verfassungsrechtliche Verbot einer Mischverwaltung zwischen Bund und Ländern tangiert wird. Gerade diese Frage sollte im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit nochmals eingehend durchleuchtet werden.Im Gegensatz zur Bundesregierung und zu der von ihr angestrebten Rechtssicherheit sehen wir in den Vorschriften der §§ 95 mit 100 eher einen deutlichen Überhang neuer tiefgreifender Probleme, die sich aus diesem Teil des Gesetzentwurfs ergeben.Ich konnte hier nur diesen einen exemplarischen Fall ansprechen. Der Gesetzentwurf läßt eine Reihe weiterer Wünsche offen.Gleichwohl verkennen wir nicht einige positive Ansätze, beispielsweise die Beschleunigung der Zusammenarbeit der Leistungsträger für die Erbringung von Nachzahlungen oder die Maßnahmen zur Vermeidung von ärztlichen Doppeluntersuchungen, wenngleich diese Frage im Hinblick auf den Datenschutz noch einer besonderen Prüfung bedarf.Die vielen Änderungswünsche und Einwendungen des Bundesrates, denen wir uns als CDU/CSU weitgehend anschließen, sind bisher bereits zu einem großen Teil von der Bundesregierung akzeptiert worden oder die Bundesregierung hat eine Prüfung zugesagt. Es ist zu hoffen, daß strittige Punkte und Änderungswünsche der Union in den Ausschüssen ernsthaft diskutiert und beraten werden. Wir erhoffen uns vor allem mehr Mut zu weniger Paragraphen.
Ich meine, dieser Gesetzentwurf verträgt eine Abmagerungskur. Wir benötigen kein Gesetzeswerk für Spezialisten, sondern wir brauchen ein im Alltag jederzeit und für jedermann anwendbares Sozialgesetzbuch. Nur wenn wir diesen Anspruch erfüllen, wird das Sozialgesetzbuch auch in der Praxis — und darauf kommt es ja an — die Bibel des Sozialrechts werden. Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Noth.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die sozialliberale Koalition hatte sich zur Aufgabe gesetzt, durch die Kodifikation eines Sozialgesetzbuches das gesamte Sozialrecht, das aus einer Fülle von Gesetzen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Rechtstechnik besteht, grundlegend zu vereinfachen und damit insbesondere für den Bürger überschaubarer und verständlicher zu machen.Dieser Zielsetzung entsprechend wurden bisher folgende Teile verwirklicht: der allgemeine Teil des Sozialgesetzbuches — in Kraft getreten am 1. Januar 1976 —, gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung — in Kraft getreten am 1. Juli 1977 — und als weiterer Schritt der Einbau der sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrensvorschriften sowie die neuen Vorschriften über den Schutz der Sozialdaten durch das Erste bzw. Zweite Kapitel des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches, verkündet am 26. August 1980.Mit dem heute zur Beratung anstehenden Entwurf des Dritten und damit letzten Kapitels, das die Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritteln regelt und das mit den beiden vorangegangenen Kapiteln in engem sachlichem Zusammenhang steht, wird die Kontinuität der Arbeiten am Sozialgesetzbuch erneut unterstrichen. Dieser Entwurf regelt, wie Frau Staatssekretär Fuchs zum Teil auch schon ausgeführt hat, die Beschleunigung der Zusammenarbeit der Leistungsträger für die Erbringung von Nachzahlungen, Maßnahmen zur Vermeidung von Doppeluntersuchungen durch verschiedene Ärzte, die Erstattungen zwischen den Leistungsträgern durch Schaffung einfacher und übersichtlicher Normen, in Weiterentwicklung von § 1542 RVO den Übergang von Schadenersatzansprüchen der Versicherten auf den Versicherungsträger, das Recht der Auftragserteilung unter den Leistungsträgern sowie die Bildung von Arbeitsgemeinschaften.Verwaltungsvereinfachung und Entbürokratisierung sind eine ständige Aufgabe liberaler Politik. Deshalb begrüßen wir es, wenn mit dem vorliegenden Entwurf das geltende Verfahrensrecht weiter bereinigt, modernisiert, vereinfacht und, soweit möglich, vereinheitlicht wird, was durch Art. II des Entwurfs sichtbar zum Ausdruck kommt.Der FDP geht es darum, zu einem besseren Rechtsverständnis des Bürgers beizutragen, seine Rechtsstellung zu stärken, die Rechtsanwendung durch Verwaltung und Rechtsprechung zu erleichtern und die Rechtssicherheit zu fördern. Die FDP- Fraktion wird sich dieser Aufgabe auch bei den weiteren Beratungen dieses Teils des Sozialgesetzbuches stellen. Dabei werden wir insbesondere im Hinblick auf die vorgesehenen Regelungen über die Arbeitsgemeinschaften prüfen müssen — damit gehe ich direkt auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Seehofer ein —, inwieweit zu einer sinnvollen Koordinierung ein Bedürfnis zur Normierung besteht. Wir Freien Demokraten werden bei den Beratungen sehr exakt darauf achten, daß keine neue vermeidbare Bürokratisierung verursacht wird und durch perfektionistische Regelungen die Kompetenzen der einzelnen Selbstverwaltungen eingeschränkt werden. Dies wollen wir nicht.
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Frau NothAuch die Auswirkungen der vorgesehenen Regelungen auf bereits bestehende Arbeitsgemeinschaften sind noch zu klären.Wir Freien Demokraten gehen davon aus, daß es bei den Ausschußberatungen gelingt, hier vernünftige, sachbezogene Lösungen zu finden. Wir werden uns auch für eine zügige Beratung und baldige Verabschiedung einsetzen, damit ein weiteres Kapitel Sozialpolitik im Interesse der Bürger und einer besseren Zusammenarbeit der Leistungsträger schon bald praktikabler und überschaubarer wird.Meine Damen und Herren, ich darf zum Abschluß noch einen Antrag meiner Fraktion einbringen. Die FDP-Fraktion beantragt, daß in dem Beratungsverfahren auch der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages beteiligt wird. Ich darf Sie bitten, diesem Antrag zuzustimmen. — Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich wollte ich es kurz und schmerzlos machen, denn bei Sozialgesetzen sind im Prinzip ja ohnehin alle dafür. Nur, die einen meinen, sie würden immer noch bessere Alternativen haben, und die anderen wollen sich oft an den finanziellen Lasten vorbeimogeln. Beides kann bei diesem Gesetz nicht gelten, denn wer das Deckblatt sorgfältig gelesen hat, wird festgestellt haben, daß dort steht: Alternativen: keine; Kosten: keine. Da aber der Kollege Seehofer auf die Geschichte eingegangen ist, muß ich ihm kurz entgegnen.Sie haben eine ganz interessante Nuance in die Debatte hineingebracht, indem Sie gesagt haben: Das Sozialgesetzbuch ist doch ein ziemlich bürokratisches und unbrauchbares Vorhaben geworden. Sie haben es sozusagen miesgemacht, aber Sie haben gleichzeitig für den Fall, daß es doch irgendwo gut ankommen könnte, darauf aufmerksam gemacht, daß es schon in der Rothenfelser Denkschrift von Ihnen gefordert worden sei. Ich möchte darauf hinweisen: Diese Denkschrift stammt, wenn ich mich recht erinnere, aus dem Jahr 1955. Im Jahre 1959 fand der Godesberger Parteitag statt. Dort wurde — wie mir der verehrenswürdige Walter Auerbach noch erzählt hat: auf Antrag eines lauenburgischen Ortsvereins — die Aufnahme der Forderung nach einem Sozialgesetzbuch in das Godesberger Programm beschlossen. Zehn Jahre später — 1969, als wir das erste Mal die Regierungsverantwortung hatten — wurde dies in die Wirklichkeit umgesetzt. Das ist der Unterschied: Sie haben eine Denkschrift, und 15 Jahre ist nichts passiert; wir haben ein Programm, und zehn Jahre danach geht es auch los. Das gilt hoffentlich auch für andere Programme.
Nun haben Sie bedauert, daß dieses Gesetzbuch nicht die „Bibel des Sozialrechts" zu sein scheint. Das ist richtig. Für eine Bibel braucht man entweder göttliche Eingebung oder doch immerhin das literarische Format eines Ketzers Luther. Beide sind imBundestag selten vertreten, und wir müssen versuchen, mit Bordmitteln auszukommen.
Ohnehin sind solche Einschätzungen sehr relativ. Sie haben gesagt, der Dschungel des Sozialrechts sei noch verdichtet worden. Es kommt darauf an, wo man herkommt. Wenn man aus der Wüste kommt, hält man einen Wald manchmal schon für Dschungel; wenn man aus dem Dschungel kommt, hält man den Wald schon für Lichtung. Sie werden bei Ihrer konkreten Arbeit sicher auch noch feststellen, daß hier eine ganze Menge gelichtet worden ist.Es ist richtig: Es ist nicht der große Wurf, den wir alle gerne hätten: das Sozialgesetzbuch, das jeder Antragsteller lesen kann. Wir haben aber von vornherein gewußt, daß wir dieses nicht auf Anhieb würden leisten können. Die ungeheuer komplizierte Materie des deutschen Sozialrechts erst einmal zu ordnen, übersichtlich zu machen, zu vereinheitlichen, zu harmonisieren, wo es geht, zu vereinfachen und hier und dort auch zu streichen, ist eine Etappe auf dem Weg zu einer umfassenden Sozialrechtsreform und zu einem allgemein verständlichen Sozialgesetzbuch. Wir machen den ersten Schritt. Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Kollege von der Union, wir sind hier im Bundestag zusammen mit dem Bundesrat bisher der Auffassung gewesen, daß das, was wir geleistet haben, besser ist als die Reichsversicherungsordnung, und deshalb haben wir fast alle Beschlüsse einstimmig gefaßt.Sie haben auf zwei Beispiele hingewiesen. Das Beispiel mit dem Bundessozialhilfegesetz: Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, ob es nicht sinnvoll ist, daß der Sachbearbeiter im Sozialamt mit einem Gesetz arbeiten muß, das gleichzeitig das Recht der Sozialversicherung, des Wohngeldes, der Ausbildungsförderung usw. enthält, denn das alles sind Probleme, mit denen er eigentlich täglich zu tun hat. Der' Bürger kommt ja nicht als der klassifizierte Sozialhilfeempfänger zu ihm hin, sondern als jemand, der Probleme hat. Deshalb ist es sinnvoll, ein Gesetz mit einem allgemeinen Teil mit gemeinsamen Vorschriften zu haben. Ich bin sicher, alle werden davon Nutzen haben.Sie haben weiter die Arbeitsgemeinschaften kritisiert. Der Bundesrat hat eine Menge verfassungsrechtlicher Bedenken vorgetragen, die man prüfen muß. Sie haben einige materielle Bedenken hinzugebracht. Darüber muß man reden. Man muß aber sehen, es gibt diese Arbeitsgemeinschaften nicht nur im Bereich der Rehabilitation, sondern auch der gemeindlichen Unfallversicherung und der Krankenversicherung. Es ist auch eine gärtnerische Aufgabe, wenn man den Dschungel schon nicht beseitigen kann, ihn wenigstens zu ordnen: d. h., wir müssen bereit sein, bei der Reform des Sozialrechts auch dort Regelungen zu treffen,
wo es bisher nur wilde Wucherungen gibt.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981 915
GanselMeine Damen und Herren, zu dem Inhalt brauche ich nichts weiter zu sagen. Das hat die Staatssekretärin getan, auch die Kollegin Noth.Ich möchte nur auf eines hinweisen: Ein Punkt ist immer ein großes Ärgernis gewesen — wir haben dem Petitionsausschuß versprochen, das in Ordnung zu bringen —, daß jemand den Antrag auf Rente stellt, aber noch Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe bekommt, z. B. kurz nach Auslaufen seiner Arbeitslosenunterstützung und vor der ersten Rentenzahlung. Und dann bekommt er die Rentenzahlung, nach längerer Bearbeitungszeit, und es wird ihm eine Nachzahlung von ein paar tausend Mark bewilligt, auf die er aber manchmal sechs oder acht Monate warten muß, weil Arbeitsamt oder Sozialamt noch für ein paar Tage die Kosten der Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe erstattet haben wollen. Dies wird es in Zukunft nicht mehr geben. Nach zwei Monaten muß gezahlt werden. Man soll überprüfen, ob man das nicht noch verkürzen kann, denn auch das ist eine lange Zeit.Aber schon jetzt — Fortschritt des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuches — gibt es den Trick, auf den ich hinweisen möchte, die Verwaltung dadurch auf Trab zu bringen, daß man einen Antrag auf Vorschuß und auf Verzinsung stellt. Das versetzt die Verwaltung meist in so viel Aufregung, daß sie bereit ist, sofort großzügig zu sein und zu zahlen. — Alles weitere wird im zuständigen Ausschuß beraten werden.
Erlauben Sie mir zum Schluß noch ein paar Worte, nachdem ich acht Jahre lang das Sozialgesetzbuch als Berichterstatter des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung betreut habe und geholfen habe, die ersten drei Gesetze hier über die Hürden zu bringen. Auch zu diesem Gesetzentwurf gibt es 49 Änderungsanträge des Bundesrates. Bei 19 hat die Bundesregierung sofort gesagt, sie stimme ihnen zu, bei den anderen will sie erst prüfen. Das zeigt, daß man nicht gegeneinander marschiert, sondern aufeinander zugeht. Wir wissen, wir bedürfen zu dieser Kodifikation der Zustimmung des Bundesrates. Es wird nur funktionieren, wenn alle am Gesetzgebungsprozeß Beteiligten bereit sind, den Kompromiß in der Sache um der Sache wegen zu finden. Dies ist in der Vergangenheit der Fall gewesen. Wir haben insbesondere bei der Regelung des bereichsspezifischen Datenschutzes im Sozialleistungsbereich die Fähigkeit zum schöpferischen Kompromiß bewiesen und eine gesetzliche Regelung geschaffen, die nicht nur die Zustimmung der kritischen Offentlichkeit, sondern auch die des nach seinem Amt zu nicht weniger Kritik verpflichteten Bundesdatenschutzbeauftragten gefunden hat.Eine solche schöpferische Kompromißfähigkeit wünsche ich für das Sozialgesetzbuch auch in den kommenden Jahren. Den Kollegen von der FDP und von der CDU/CSU, dem Kollegen Hölscher, aber auch noch einmal Herr Johannes Müller und Herrn Pohlmann, sowie aus dem zuständigen Ministerium vor allem Herrn Pappai und Herrn André möchte ich für die gute Zusammenarbeit danken. Ich wünsche diese gute Zusammenarbeit auch dem nachfolgenden Berichterstatter.Dem Sozialgesetzbuch wünsche ich weiterhin ein gutes Gelingen. Wir alle rechnen dabei mit Ihrer Bereitschaft zur Mitarbeit, mit frischer Kritik, aber gewiß auch mit Ideen, um die notwendigen Kompromisse zu finden.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 9/95 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zu überweisen. Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei hat darum gebeten, die Vorlage zusätzlich an den Rechtsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich rufe nun die Punkte 7 bis 14 der Tagesordnung auf:7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 24. November 1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland und zu dem Europäischen Übereinkommen vom 15. März 1978 über die Erlangung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland— Drucksache 9/68 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß Rechtsausschuß8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Europäischen Übereinkommens vom 24. November 1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland und des Europäischen Übereinkommens vom 15. März 1978 über die Erlangung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland— Drucksache 9/69 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß Rechtsausschuß9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. März 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über die gegen-
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Vizepräsident Leberseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen— Drucksache 9/71 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Wiener Abkommen vom 12. Juni 1973 über den Schutz typographischer Schriftzeichen und ihre internationale Hinterlegung
— Drucksache 9/65 —Übesrweisungsvorschlag des Ältestenrates:Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 17. Juni 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen— Drucksache 9/66 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Vertrages vom 17. Juni 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen— Drucksache 9/67 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der in Genf am 13. Mai 1977 unterzeichneten Fassung des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken— Drucksache 9/70 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs einer Gebührenordnung für Patentanwälte— Drucksache 9/98 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Rechtsausschuß Ausschuß für WirtschaftWird das Wort dazu gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt vor, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 9/68, 9/69, 9/71, 9/65, 9/66, 9/67, 9/70 und 9/98 an die Ausschüsse zu überweisen. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Ist das Haus mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:Beratung der Unterrichtung durch den BundesrechnungshofBemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Bundeshaushaltsrechnung für das Haushaltsjahr 1978— Drucksache 9/38 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: HaushaltsausschußIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Friedmann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dem Deutschen Bundestag liegt der Prüfbericht des Bundesrechnungshofes zum Haushaltsjahr 1978 vor. Ich darf daran erinnern, daß all dies, was in diesen Erinnerungen zusammengefaßt ist, zuerst noch durch das Parlament, und zwar durch den Rechnungsprüfungsausschuß, im Detail beraten und geprüft werden muß. Trotzdem glaube ich aus diesem Bericht gewisse Entwicklungstendenzen herauslesen zu können, die hier besprochen werden sollten, und ich meine, daß wir dazu auch berechtigt sind, denn in der zurükliegenden Zeit bekam der Rechnungshof immer wieder — immerhin in 90 % der Fälle — recht.Zum ersten fällt einem auf, daß in diesem Prüfbericht immer wieder von mangelnder Sorgfalt die Rede ist. Damit ist gemeint, daß Beamte des Bundes dem Bund — und damit dem Steuerzahler — Schaden zufügen, indem sie mit dem ihnen anvertrauten Geld nicht gewissenhaft umgehen. Nun ist natürlich eine Verwaltung wie die des Bundes ein Riesenapparat, und wo gehobelt wird, fallen Späne; da kann immer wieder etwas vorkommen.Nur muß man eines auch sehen: daß nämlich all die Fehler im einzelnen irgendwo mit dem politischen Umfeld zusammenhängen. Dann, wenn eben die Minister jedes Jahr größere Dienstwagen fahren wollen, wenn hier über Haushaltsvorlagen beraten wird, bei denen man den Eindruck hat, daß Geld keine Rolle mehr spielt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn bei einzelnen Bediensteten der Eindruck „Na ja, so genau kommt es nicht darauf an" aufkommt und wenn die Grundeinstellung „Ganz so gewissenhaft brauchen wir es nicht zu machen" entsteht. Insoweit gibt es durchaus einen direkten Zusammenhang zwischen den Fehlern des einzelnen und dem, was die politische Landschaft heute ausmacht.Sehr schnell wundert es einen z. B. nicht mehr, daß die Tornado-Affäre passieren konnte, wenn im Bereich des gleichen Verteidigungsministers Dinge geschehen, bei denen einem die Haare zu Berge ste-
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Dr. Friedmannhen müßten. Wenn man da liest, daß in Koblenz beim Bundeswehrbeschaffungsamt seit Jahren Gerät an auftragnehmende Firmen ausgeliehen wird, ohne daß diese dafür etwas bezahlen müssen, ohne daß es Verträge über die Rückgabe gibt, ja ohne daß man die Geräte jemals zurückverlangt, braucht man sich doch nicht zu wundern, daß hier eine Mentalität entsteht, die dem Steuerzahler Schaden zufügt. In einem Fall wurde einem einzigen Unternehmen Gerät im Werte von 45 Millionen DM überlassen, ohne daß dieses Gerät jemals zurückverlangt wurde. Das ist nicht in Ordnung. Solche Fälle verdienen unser aller Kritik. — Ich sehe Zustimmung auch in den Reihen der SPD.Eine zweite Tendenz, die aus diesem Bericht erkennbar ist, ist das Entstehen einer Grauzone zwischen Staat und Wirtschaft. Der Bund ist an einer Reihe von Unternehmen beteiligt. Es gibt eine dikkes Buch über die Beteiligungen des Bundes; in ihm sind etwa 1 000 erwerbswirtschaftliche Unternehmen — und das sind beileibe nicht alle — aufgeführt, an denen der Bund beteiligt ist. In aller Regel sitzen in den Aufsichtsratsgremien dieser Unternehmen Bundesbedienstete. Ich möchte ihnen nicht einmal im einzelnen einen Vorwurf machen. Nur liegt es doch in der Natur der Sache, daß diesen Herren die Möglichkeit des Vergleichs mit der sonstigen Wirtschaft fehlt. Andererseits hat das Wort der Bundesbediensteten in diesen Unternehmen ein viel zu großes Gewicht, weil man dahinter eben den mächtigen Staat sieht. So entsteht eine Grauzone zwischen Staat und Wirtschaft, in der vieles, allzu vieles passieren kann. Typische Beispiele dafür sind z. B. die verunglückte Bürgschaftsaktion bei Beton- und Monierbau, wo es um 50 Millionen DM ging, und auch der Garski-Skandal in Berlin.In diesen Bereich möchte ich auch die Praxis der Forschungsförderung hineinrücken. Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn sich Auftragnehmer mit ihrem eigenen Geld an Forschungsaufträgen beteiligen. Aber der Rechnungshof hat recht, wenn er auf die Problematik hinweist, die dann entsteht, wenn einzelne Auftragnehmer ihre ganze Kapazität dem Staat angeblich zur Forschung anbieten und sich dafür dann voll bezahlen lassen. Hier besteht einfach die Gefahr, daß wegen der nicht ausgelasteten Kapazitäten Forschungen zu Lasten des Steuerzahlers angepackt werden, für die beim Staat überhaupt und vom Markt her kein Bedürfnis besteht.Diese Grauzone zwischen Staat und Wirtschaft muß durchforstet werden. Ich bin der Meinung, der Bund sollte sehr energisch prüfen, ob er alle Beteiligungen beibehalten muß, die er heute in der deutschen Wirtschaft hat. Ich sehe nicht ein, daß der Bund meinetwegen an einem Steinbruch, an einem Hotel, an Werbegesellschaften oder an Reisebüros beteiligt ist. Hier ist weder eine ordnungspolitische Notwendigkeit, noch eine Notwendigkeit unter Renditegesichtspunkten gegeben. Verehrter Herr Staatssekretär Haehser, da wäre eine dankbare Aufgabe.
Ein dritter Punkt in diesem Prüfungsbericht, der einen sehr nachdenklich stimmt, betrifft das Gebiet der Gemeinschaftsaufgaben und der Mischfinanzierung zwischen Bund und Ländern. Der Rechnungshof greift hier das Beispiel des Hochschulbaus auf, wo der Bund Hunderte von Millionen DM bezahlt hat, ohne daß dafür eine gesetzliche Grundlage besteht. Wie funktioniert denn das? Der Bund sichert sich gegen die Bezahlung von Geld ein ihm im Grunde oft nicht zustehendes Mitspracherecht bei den Ländern,
und die Länder ihrerseits lassen sich vom Bund verführen, denn sie bekommen ja Geld, und unternehmen damit Dinge, denen aus Landessicht nicht die entsprechende Priorität beizumessen ist. Der Bund feuert sein Geld raus, die Länder feuern ihr Geld raus, und am Schluß wird etwas unternommen, was gar nicht so nötig war wie etwas anderes, was nicht unternommen wird, weil es dafür keine Zuschüsse gibt.
Jetzt, da die öffentlichen Kassen leerer werden, muß auch hier nachgefaßt werden, verehrter Herr Staatssekretär Haehser. Ich glaube, das ist eine dankbare Aufgabe, wo man wahrscheinlich noch einiges zugunsten des Bundes und der Länder sparen kann.Die Deutsche Bundesbahn ist ein Problem für sich. Ich verfolge die Besprechung der Prüfungserinnerungen der Deutschen Bundesbahn seit Jahren, und ich muß Ihnen ehrlich sagen, daß ich den Eindruck nicht los werde, daß die Spitze der Bundesbahn nicht richtig mit dem Geld umgehen kann. Hier wurden z.. B. 350 Millionen DM für die Ausstattung von Waggons mit einer automatischen Kupplung ausgegeben. Es steht aber fest, daß diese Kupplung erst im Jahre 2000 zum Tragen kommen wird. Bis dann sind die Wagen längst verrottet, aber das Geld ist schon jetzt fort.Da hat die Deutsche Bundesbahn die Erkenntnis zutage gefördert, daß sie eine zentrale Verkaufsleitung brauche, und sie hat diese in Frankfurt neben der Hauptverwaltung der Bundesbahn eingerichtet. Dann hat sie festgestellt, es würde die Autorität dieser Mittelinstanz fördern, wenn diese von Frankfurt nach Mainz verlagert würde. Also verhandelte die Bundesbahn über die Anmietung eines Hochhauses in Mainz, von dem sie von vornherein wußte, daß sie es gar nicht ganz brauchte. Während der Verhandlungen stellte sie fest, daß das Hochhaus daneben besser wäre. Dann schloß sie einen Vertrag in der Meinung ab, es ginge um das neue Hochhaus und stellte schließlich fest, daß sie versehentlich doch das alte Hochhaus angemietet hat.
Dann zahlte sie noch 21 000 DM Notariatsgebühren für ein Vorkaufsrecht, das, wie sich hinterher herausstellte, gar nicht existiert. Das Ganze kostet schließlich jedes Jahr 2 Millionen DM mehr, und nun stellt die Bundesbahn fest, es sei besser, wieder nach Frankfurt zurückzugehen.Diese Beispiele geben einem natürlich zu denken. Ich bin der ehrlichen Meinung, daß in der Spitze der
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Dr. FriedmannBundesbahn sorgfältiger mit dem Geld umgegangen werden muß.Allerdings habe ich auch den Eindruck, daß die Unsicherheit in der Spitze der Bundesbahn mit der Unstetigkeit der Verkehrspolitik zusammenhängt. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie der Vorstandsvorsitzende der Bundesbahn vor einiger Zeit in einer gemeinsamen Sitzung des Haushalts- und Verkehrsausschusses gesagt hat, er könne in seinem Unternehmen keine stetige Bundesbahnpolitik machen, da er nicht richtig wisse, was der Verkehrsminister eigentlich wolle. Hier ist ein Zusammenhang gegeben; die Unsicherheit der Verkehrspolitik schlägt sich bei der Bundesbahn nieder.Von anderem Zuschnitt sind die Erinnerungen des Rechnungshofes bei der Bundespost. Der Gesamteindruck ist dort, daß es bei der Post eine ganze Menge Rationalisierungsreserven gibt, die noch ausgenutzt werden müssen. Ganz gleich, ob es um den Einsatz nicht zweckmäßiger Kraftfahrzeuge, um eine zu großzügige Personalbemessung, um Falschplanungen im Fernmeldewesen geht,
überall kann eine Menge Geld eingespart werden. Meine persönliche Meinung ist, daß die Bundespost Rationalisierungen durchführen kann, die ihr Jahr für Jahr eine halbe Milliarde DM — ich wiederhole. es: eine halbe Milliarde DM — an Kosten einsparen, und die Führungsspitze weiß das.
Aber die Führungsspitze kann sich intern nicht immer durchsetzen. Sie steht einer sehr starken Personalvertretung gegenüber, und da klappt manches nicht, was sachlich notwendig wäre. Ich verkenne nicht, daß Rationalisierungsmaßnahmen zum Wohle des Personals abgestimmt werden müssen; aber irgendwo muß die Spitze dann auch führen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Beamte dürfen nicht streiken. Prompt hat die Deutsche Postgewerkschaft in einem großen Artikel nachgewiesen, daß der Staatssekretär irrt, daß also der Streik von Beamten rechtlich zulässig sei, und man würde es bedauern, daß der Staatssekretär mir eine falsche Antwort gegeben habe, der doch einer der Ihrigen sei. Hier werden Zusammenhänge erkennbar, die ein Klima erzeugen, in dem manches nicht zum Tragen kommt, was wirtschaftlich nötig wäre. Ich habe dies etwas vorsichtig ausgedrückt; aber das Wesentliche ist, daß bei der Post noch viel, viel Geld gespart werden kann.
— Ich habe gesagt, bei der Post sind Rationalisierungsreserven in großem Umfang vorhanden. Dazu stehe ich. Nur, Sie stellen die Regierung. Dann ist es doch Ihre Aufgabe, das aufzugreifen. Sie brauchen ja nur den Bericht des Rechnungshofes nachzulesen und ihn in die Tat umzusetzen.
Nun hat der Bund der Steuerzahler vorgeschlagen, man solle das Instrument eines Amtsanklägers einsetzen und auch einen neuen Straftatbestand schaffen: Verschwendung von Steuergeldern. Dahinter steckt das verständliche Unbehagen des Bundesrechnungshofes, daß Schuldige oft nicht zum Schadenersatz herangezogen werden. Darin hat der Rechnungshof mit Sicherheit recht.
Meine Fraktion ist der Meinung, daß man keine neue Institution wie die des Amtsanklägers zu schaffen braucht. Wir brauchen keine neue Behörde; das kann mit den bestehenden Institutionen bewältigt werden. Wir brauchen auch keinen neuen Straftatbestand. Das Beamtenrechtsrahmengesetz, das Bundesbeamtengesetz, das Strafgesetzbuch enthalten genug Straftatbestände, mit denen die Verschwendung von Steuergeldern erfaßt werden kann.
Nötig erscheint mir etwas anderes. Wir sollten darauf hinwirken, daß die Stellung des Bundesrechnungshofes gestärkt wird. Das beginnt bereits mit der Benennung des Präsidenten des Bundesrechnungshofes.
Im Augenblick wird er allein von der Regierung ernannt, d. h., die zu Prüfende ernennt ihren eigenen Prüfer.
Wie das läuft, weiß man ja.
— Zu dem Hinweis auf Unternehmen möchte ich doch sagen: Der Aufsichtsrat, also das Aufsichtsgremium — das wären wir, das Parlament — beschließt, und die Geschäftsführung, der Vorstand, führt nur aus, indem sie den Brief an die Prüfgesellschaft schreibt.
Zum zweiten wäre es wirkungsvoll, wenn der Präsident des Rechnungshofes das Recht bekäme, an diesem Pult bei der Einbringung seiner Prüfbemerkungen zu sprechen. Seine Position und die des Rechnungshofs insgesamt würde gestärkt, wenn die Vertreter des Rechnungshofs an allen Ausschußsitzungen des Parlaments auch offiziell teilnehmen dürften.
Zusammenfassend möchte ich für meine Fraktion feststellen: Wir werden selbstverständlich wie bisher die Beanstandungen des Rechnungshofes konstruktiv und kritisch mitberaten. Wir haben allen Anlaß, dem Bundesrechnungshof für seine Arbeit zu danken. Wir setzen darauf. daß die Bundesregierung die Kraft aufbringt, das, was beanstandenswert ist, hinterher auch abzuschaffen.
Ich danke ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächster Redner hat der Abgeordnete Esters das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zunächst auf einige Punkte einge-
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Estershen, die der Kollege Friedmann in seinem Beitrag angesprochen hat.So sehr wir bedauern, daß die verschiedenen Umzugsmechanismen im Bereich der Deutschen Bundesbahn und die verschiedenen Investitionen dort völlig falsch gelaufen sind, so sehr befindet sich die Deutsche Bundesbahn leider in guter Gesellschaft. Der Deutsche Bundestag hat hier vor Jahren einmal eine Abstimmungsanlage einbauen lassen. Nachdem uns vorher im Haushaltsausschuß erklärt worden war, welch technische Meisterleistung wir im Parlament vorfinden würden, ist die Anlage nach kurzer Zeit, ohne daß von ihr — mit Ausnahme einzelner kleiner Spielzüge — Gebrauch gemacht worden ist, wieder ausgebaut worden. Dazu allerdings, lieber Herr Kollege Friedmann, habe ich leider nie eine Bemerkung des Bundesrechnungshofes gefunden. Auch derartige Dinge müßten aufgedeckt werden, auch wenn wir das alle gemeinsam zu einer bestimmten Zeit beschlossen haben.Ich will noch kurz einen anderen Bereich anreißen, nämlich den, daß die Stellung des Bundesrechnungshofes gestärkt werden müßte. Sie haben gesagt, dies könnte dadurch geschehen, daß der Präsident des Bundesrechnungshofs vom Deutschen Bundestag gewählt werde, daß die Mitglieder des Bundesrechnungshofs die Möglichkeit hätten, an den Ausschußsitzungen teilzunehmen, und daß der Präsident das Rederecht habe. Wie Sie wissen, habe ich in der vergangenen Legislaturperiode im Rechnungsprüfungsausschuß gesagt: Wenn der Präsident des Bundesrechnungshofs die Bemerkungen präsentiert, dann hätte er in der deutschen Journalistik ein wesentlich größeres und inhaltsreicheres Echo, wenn dies nicht bei den weniger sachkundigen Journalisten in Frankfurt, sondern hier in Bonn in der Bundespressekonferenz passierte. Herr Kollege Friedmann, Sie werden mir doch zustimmen: Wenn der Präsident von dieser Möglichkeit, die wir ihm gemeinsam empfohlen haben, Gebrauch machte, wäre die Resonanz sicherlich wesentlich größer, als wenn er uns das hier im Plenum des Deutschen Bundestags erzählte. Die Möglichkeit besteht ja.Der Bundesrechnungshof kann natürlich jederzeit an den Sitzungen der Ausschüsse teilnehmen. Dort, wo es um die Finanzkontrolle geht, nämlich im Haushaltsausschuß und im Rechnungsprüfungsausschuß, ist der Bundesrechnungshof ständig anwesend. Er wird sehr oft gefragt, er gibt uns sehr oft Hinweise, auch im laufenden Beratungsverfahren, wo er bei seinen Prüfungen auf Schwachstellen gestoßen ist. Er nimmt auch an den ausführlichen Berichterstattergesprächen für die Einzelpläne teil. Auch dort bekommen wir Hinweise auf Schwachstellen in der Verwaltung. Wir sind daraufhin meistens schon im Zuge der Haushaltsberatungen in der Lage, diese Schwachstellen auszumerzen, so daß vieles schon überhaupt nicht mehr in den Bemerkungen des Bundesrechnungshofs erscheint.Wir sind uns darin einig gewesen, Herr Kollege Friedmann, daß dort, wo der Bundesrechnungshof in der Verwaltung Schwachstellen aufdeckt, alles getan werden muß, um sie zu beseitigen. Das ist auch geschehen. Wir haben das System, um dieses Ziel zu erreichen und der Regierung dabei Dampf zu machen, im Laufe der letzten vier Jahre erheblich verbessert. Wir haben meiner Meinung nach sehr vieles erreicht.Wir müssen allerdings auch immer bedenken: Dort, wo Menschen tätig sind, die etwas leisten, werden zwangsläufig immer wieder Fehler gemacht werden müssen. Wir wirken nach besten Kräften mit, dies abzustellen.Allerdings möchte ich auch folgendes erwähnen, Herr Kollege Friedmann. Sie haben soeben wieder einen Punkt angeschnitten — das will ich hier auch sagen —, der mich persönlich ärgert. Dies ist der Punkt „Beton- und Monierbau". Ihre Fraktion hat im vergangenen Jahr eine Sondersitzung des Rechnungsprüfungsausschusses zur Aufklärung des Falles „Beton- und Monierbau" beantragt. Ich habe sofort meine persönliche Bereitschaft und die Bereitschaft meiner Fraktion erklärt — bei der FDP war es dasselbe —, diese Sondersitzung schnellstmöglich einzuberufen. Wir haben insgesamt rund 20 Stunden diesen einen Punkt beraten.Nur, Herr Kollege Friedmann: Wenn man an der Aufklärung dieser Punkte so stark interessiert ist, wie die Vorankündigungen in der Presse es uns glauben machten, muß man wenigstens — auch aus Achtung vor den anderen Kollegen — an den Sitzungen teilnehmen. Ich meine nicht Sie persönlich. Ihre Fraktion war stundenlang nur durch einen Mann vertreten, während die Koalitionskollegen im Rechnungsprüfungsausschuß komplett anwesend waren. Wir haben diesen Fall ja auch gemeinsam bereinigt. Wir haben in diesem Fall aber auch ein anderes getan: Wir haben Instrumente eingebaut, damit in zukünftigen Fällen etwas Derartiges nicht mehr passieren kann.Soweit die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zu berechtigter Kritik Anlaß geben, werden wir alles tun, um Schlampereien abzustellen. Ich nenne als Beispiel das, was im Bereich des Bundeswehrbeschaffungsamtes in Koblenz geschehen ist. Das ist ein Skandal. Das sehe ich genauso wie Sie. Bevor wir dies alles machen, gehen bei uns aber stundenlange Beratungen im Detail voraus. Wir jedenfalls werden alles tun, um das, was Gegenstand berechtigter Kritik ist, abzustellen. Wir sind dem Bundesrechnungshof dafür dankbar, daß er uns immer wieder auf zwangsläufig vorkommende Schlampereien innerhalb der Verwaltung aufmerksam macht. Dies wird er sicherlich auch in Zukunft tun. Angesichts der Vorschläge, die Sie zur Stärkung und zur besseren Imagepflege des Bundesrechnungshofes gemacht haben, wäre ich dankbar, wenn das, was ins Auge gefaßt wird, in der Weise angegangen würde, wie ich es eben dargestellt habe und wie wir es dem Präsidenten in der vergangenen Legislaturperiode gemeinsam empfohlen haben. Der Rechnungshof weiß natürlich auch, daß er dann, wenn die Bemerkungen einige Tage früher in den Händen der Journalisten sind, in der Bundespressekonferenz ganz anderen kritischen Fragen ausgesetzt sein
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Esterswird, als dies zur Zeit im Frankfurter Raum der Fall ist. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Kollege Dr. Zumpfort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Je mehr der Staat und die Gesellschaft ihre Ansprüche an das Sozialprodukt überziehen und je mehr insbesondere der Staat seine Ansprüche an das Sozialprodukt erhöht, um es dann wieder zu verteilen, desto sinnvoller wird es für eine große Zahl von Bürgern, primär nicht an der Erstellung, sondern an der Verteilung des Sozialprodukts beteiligt zu sein.
Pareto, ein Ökonom des vorigen Jahrhunderts, hat diesen Zustand vorausgesehen und mit den Worten beschrieben, daß das Regiment der Löwen, welche den Staat und die Wirtschaft zum Wohlfahrtsstaat aufbauen, durch das Regiment der Füchse abgelöst wird, die mit ihrer Intelligenz das Geschaffene nur verwalten bzw. die Leistungen anderer ausnutzen.Der Bericht des Bundesrechnungshofes zur Bundeshaushaltsrechnung für das Jahr 1978 belegt meines Erachtens das Wirken solcher Füchse. So hat sich z. B. ein Behördenleiter im Geschäftsbereich des Justizministers für sein Geschäftszimmer selber 54 000 DM bewilligt, obwohl der Minister einen Rahmen von 8 000 DM festgelegt hatte. So haben die Länder — auch das sind Füchse — dem Bund im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Ausbau und .Neubau von Hochschulen" Personal- und Sachkosten ihrer Bauämter in Höhe von über 300 Millionen DM zur Mitfinanzierung in Rechnung gestellt, obwohl sie nach den gesetzlichen Vorschriften nicht erstattungsfähig sind. So haben es private Unternehmen verstanden, sich Sachgüter, die eigentlich zur normalen Betriebsausstattung eines Unternehmens gehören — wie z. B. Gabelstapler, Lastwagen oder sogar Werkzeugmaschinen —, von der Bundeswehr auszuleihen, ohne daß die Maßnahme auf Wirtschaftlichkeit überprüft und ohne daß in einigen Fällen sogar Entgelt verlangt worden ist.Neben dem Phänomen, daß die Ansprüche an den Staat gestellt und durchgesetzt werden, existiert das vom Bundesrechnungshof ebenfalls aufgezeigte Problem, daß mit öffentlichen Geldern schlampig umgegangen wird. Aus meiner Sicht hat sich einer der skandalösesten Fälle öffentlicher Mißwirtschaft bei der Deutschen Bundesbahn ereignet. Sie ließ einen großen Teil der vorhandenen Fahrzeuge für die spätere Einführung einer automatischen Kupplung vorbereiten, obwohl abzusehen war, daß vor dem Jahr 2 000 dieses System in Europa nicht mehr eingeführt würde, und obwohl darüber hinaus abzusehen war, daß die so ausgerüsteten Waggons dieses Datum gar nicht mehr erleben würden, weil sie dann schon ausgemustert sein werden. Dies allein hat nach den Ermittlungen des Bundesrechnungshofs schon einen Schaden von 350 Millionen DM verursacht.Meine Damen und Herren — wir sind leider nicht mehr viele —, lassen Sie mich hier sagen: Von den Empfängern solcher Gelder kann man nicht verlangen, daß sie sich gegen solche Zuwendungen stellen, jedoch vom Absender dieser Zahlungen, konkret: von den die Haushaltsmittel verausgabenden Ministerien und ihren Mitarbeitern, muß man erwarten können, daß sie sich gegen Schlendrian und Geldschnorrerei von selbst wappnen.Leider gilt im öffentlichen Dienst zuwenig — Sie haben darauf hingewiesen, Herr Friedmann — das Prinzip der persönlichen Verantwortung und der persönlichen Haftung, aus dem Sanktionen für Fehlverhalten abgeleitet werden können. Vielmehr werden abstrakte Ziele wie Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Gemeinwohl propagiert. Jedoch ist in Wissenschaft und Praxis allgemein unbestritten — ich möchte das auch hier wiederholen —, daß solche allgemeinen Interessen in unserer pluralistischen Demokratie nur eine mangelhafte Durchsetzungskraft besitzen. Kenner der Materie wissen, daß oft Gebende und Nehmende miteinander in einem Boot sitzen.Wenn aber die Interessen unserer Mitbürger im Einzelfall so wenig beachtet werden, dann müssen diese gesellschaftlichen Interessen institutionalisiert werden. Eine solche Institution zur Durchsetzung öffentlicher Interessen ist der Bundesrechnungshof im Bereich der Exekutive und ist der Rechnungsprüfungsausschuß im Bereich der Legislative. Beide üben in ihren Bereichen das Finanzkontrollverfahren aus. Nach Auffassung vieler unserer Mitbürger fristet jedoch insbesondere das parlamentarische Finanzkontrollverfahren als Voraussetzung für die Entlastung der Bundesregierung im Gegensatz zur Beteiligung des Parlaments an der Haushaltsplanung und -bewilligung nur ein Schattendasein und wird faktisch — das sieht man auch jetzt wieder hier — nur als traditionelle Pflicht empfunden.
Dies steht in bedauerlichem Widerspruch dazu, daß die Haushaltsüberwachung der Exekutive zu den originären parlamentarischen Aufgaben gehört und einen unentbehrlichen Faktor unseres Verfassungslebens darstellt.Die Kritik setzt praktisch an allen Phasen des Finanzkontrollverfahrens an. Sie geht von der richtigen Erkenntnis aus, daß z. B. die parlamentarische Kontrolle um so wirkungsvoller ist, je weniger sie zeitlich von dem Jahr entfernt ist, für das Rechnung gelegt wird und für das politische Entlastung erteilt werden soll. Gerade an dieser zeitnahen Rechnungsprüfung und Entlastung hat es in der Vergangenheit gemangelt. Aufstellungen der Jahresrechnungen durch den Finanzminister, das Prüfverfahren durch den Bundesrechnungshof und auch der Abschluß der Beratungen durch den Rechnungsprüfungsausschuß dauern zu lange und erfolgen zu spät.Selbstkritisch an die eigene Adresse gerichtet: Wegen der Doppelmitgliedschaft der Mitglieder des
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Dr. ZumpfortRechnungsprüfungsausschusses im Haushaltsausschuß — der Rechnungsprüfungsausschuß ist ein Unterausschuß des Haushaltsausschusses — und wegen des ungeheuer umfangreichen Stoffes, der zu bearbeiten ist, hat der Rechnungsprüfungsausschuß Schwierigkeiten, die ihm übertragenen Aufgaben zu bewältigen. Während der Haushaltsberatungen kann er praktisch nicht tagen, so daß für die Rechnungsprüfung faktisch allein die Zeit zwischen der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes und der Einbringung des neuen Entwurfs durch die Bundesregierung offensteht.Aus diesem Grunde ist es auch nicht weiter erstaunlich, wenn als Ergebnis der Rechnungsprüfungsausschußberatungen nur in ganz seltenen Fällen Forderungen nach Konsequenzen und Sanktionen erhoben werden. Meist wird der Bundesrechnungshof nur gebeten, bei gegebener Veranlassung erneut zu berichten, sowie ein zurückhaltendes Ersuchen an die zuständigen Stellen gerichtet, ohne jedoch eine konkrete Erfolgserwartung daran zu knüpfen. Selbst die Abgeordneten der Opposition verlangen nur in den seltensten Fällen Entlastungsvorbehalte oder Konsequenzen.Der Haushaltsausschuß hat sich, von wenigen spektakulären Ausnahmen abgesehen, auf die bloße Kenntnisnahme des Rechnungsprüfungsberichtes und des Berichts des Rechnungsprüfungsausschusses beschränkt. Der äußerst knappe Bericht des Ausschusses mit dem Entlastungsantrag und den immer wiederkehrenden Ersuchen an die Bundesregierung bzw. die zuständigen Bundesminister, den Feststellungen und Bemerkungen des Haushaltsausschusses Rechnung zu tragen, bilden den Abschluß des Finanzkontrollverfahrens, das durch den Entlastungsbeschluß des Bundestages abgerundet wird.Diese Entlastung, meine Damen und Herren — das stelle ich wiederum selbstkritisch fest —, droht zu einem bloßen Zeremoniell abzusinken. Mir scheint offensichtlich zu sein, daß gerade zwischen der parlamentarischen Mitgestaltung bei der Haushaltsfeststellung und der nachfolgenden Kontrolle des Haushaltsvollzugs ein großes Mißverhältnis besteht, das der Bedeutung der parlamentarischen Finanzkontrolle nicht gerecht wird.Um diese negative Bilanz zu verbessern, möchte auch ich — neben Ihnen, Herr Friedmann — an dieser Stelle einige Vorschläge machen. Dies tue ich nicht, weil ich neuer Abgeordneter im Rechnungsprüfungsausschuß bin, der sich die Hörner noch abstoßen muß oder will, sondern weil ich der Meinung bin — darauf kommt es an —, daß wir Abgeordnete angesichts der knappen Kassen in unserem Haushalt an allen Stellen deutlich machen müssen, daß wir mit den uns vom Bürger anvertrauten Geldern nicht nur bei der Vergabe der Mittel, sondern auch bei der Kontrolle der Verausgabung sorgfältig umgehen, um zukünftigen Fällen vorzubeugen.Ich möchte einige neue Gedanken zur Finanzkontrolle in die Diskussion bringen und weise darauf hin, daß sie auch Gegenstand der Beratungen in meiner Fraktion sein werden.Erstens. Trotz Reform des Bundesrechnungswesens im Zuge der Haushaltsreform von 1969 ist man mit der Beschleunigung des Prüfungsverfahrens nicht richtig vorangekommen. Meiner Meinung nach ist zu prüfen, ob man den Bundesrechnungshof nicht in seinem Unterbau verbessern, ob man die Vorprüfungsstellen nicht zu Außenstellen des Bundesrechnungshofes machen und ob man nicht generell mehr Prüfungsstellen einrichten sollte, wobei für meine Partei auch die Einschaltung von privaten Wirtschaftsprüfern in Frage kommt. Erwägenswert ist auch, ob man den Prüfungsbericht nicht in Teilberichte untergliedert und die fertigen Teile an die zuständigen Gremien vorab weiterleitet. Schließlich müßte man versuchen, den Zeitpunkt der Entlastung der Exekutive mit der Beschlußfassung über den neuen Haushaltsplan zu verbinden, um Konsequenzen so schnell wie möglich wirksam werden zu lassen.Zweitens. Um die Zusammenarbeit zwischen dem Parlament und dem Bundesrechnungshof zu verbessern, sollte man meines Erachtens auch überlegen — den Vorschlag haben Sie gemacht, Herr Kollege Friedmann —, ob es nicht zweckmäßig wäre, daß der Präsident nicht mehr — wie bisher — auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten ernannt, sondern vom Parlament gewählt wird oder daß alle drei Ebenen — Bundesregierung, Bundesrat und Parlament — bei der Bestellung des Präsidenten mitwirken.Für überlegenswert halte ich auch den Vorschlag, dem Präsidenten bei der Behandlung des Rechnungsprüfungsberichts im Plenum des Bundestages das Rederecht zu erteilen. Erörtert werden sollte meiner Meinung nach aber auch, ob dem Parlament die Befugnis eingeräumt werden sollte, Prüfungsersuchen an den Bundesrechnungshof zu richten oder gar regelrechte Prüfungsaufträge zu erteilen. Im Rahmen dieses Vorschlags ist zu überlegen, ob nicht parlamentarische Minderheitenrechte dadurch erweitert werden können, daß eine qualifizierte Minderheit des Bundestages das Recht erhält, eine bestimmte Prüfung oder Beratung beim Bundesrechnungshof zu beantragen.Drittens. Von Kritikern wird als Hauptursache der mangelnden Effizienz der Finanzkontrolle das parlamentarische Desinteresse an diesem Bereich hervorgehoben. Dieses parlamentarische Desinteresse zeigt sich auch heute wieder. Ich habe das zwar schon mehrmals festgestellt, aber ich habe es heute nun zum erstenmal selber erfahren. Es gibt da die Aussage von Professoren, die diesen Bereich analysiert haben. Ich zitiere:Parlament und öffentliche Meinung überlassen der Rechnungsprüfungsbehörde die Wegräumung der Budget-Leiche. Die Rechnungsprüfungsbehörde — allein auf weiter Flur — wirkt mit ihrer unangenehmen Arbeit und ihrer späten Berichterstattung denn etwa wie ein Abdekker, der einen Kadaver in seine Einzelteile auflöst.Ich kann diesem Zitat nichts hinzufügen; ich glaube, es ist richtig.
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922 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981
Dr. ZumpfortDeswegen sollten meines Erachtens nicht nur indirekte, sondern auch direkte Stellungnahmen der Bundesregierung zu den Gutachten und Berichten des Bundesrechnungshofes gefordert werden. Eine solche öffentliche Auseinandersetzung müßte die Regierung zur Darlegung ihrer Beurteilung der gegenwärtigen Situation der öffentlichen Finanzwirtschaft und ihrer Vorstellung veranlassen, wie vom Rechnungshof gerügte Mißstände beseitigt und dessen gutachterliche Vorschläge verwirklicht werden können.Man müßte meiner Meinung nach auch den Rechnungsprüfungsausschuß aufwerten. Nun bin ich neu im Rechnungsprüfungsausschuß, und es ist daher wahrscheinlich sehr vermessen, was ich hier sage, aber ich sage es trotzdem: Um die bisherige Arbeitsüberlastung des eigentlichen Trägers der parlamentarischen Finanzkontrolle abzubauen und die Kontrollkapazität zu erhöhen, müßte erwogen werden, dem Rechnungsprüfungsausschuß mehr Selbständigkeit zuzugestehen und ihn nicht nur mit Mitgliedern zu besetzen, die auch im Haushaltsausschuß sind. Nach dem Motto „Wer kontrolliert die Kontrolleure?" sollten wir auch Fachfremde dort reinsetzen. Auch in der Wirtschaft und in der Praxis gilt ja das Motto: Man sollte niemals bloß Fachleute über die eigene Branche entscheiden lassen. Mit anderen Worten: Vielleicht können wir den Rechnungsprüfungsausschuß aufwerten und erweitern. In die Debatte wird auch der Vorschlag eingebracht, den Rechnungsprüfungsausschuß jederzeit als Untersuchungsausschuß tätig werden lassen zu können.Eine deutliche Effizienzsteigerung kann dadurch erreicht werden. Sie ist aber letztlich nur dann möglich, wenn das Parlament insgesamt die politische Aufgabe der parlamentarischen Finanzkontrolle höher als bisher einstuft. Der Bundesrechnungshof wird immer ein „Ritter ohne Schwert" genannt. Seien doch wir als Abgeordnete die scharfe Klinge, die vom Bundesrechnungshof geführt werden kann!Es kommt darauf an — das ist der letzte, aber wohl auch der wichtigste Vorschlag, den ich unterbreite —, daß wir als Abgeordnete selber die Konsequenzen aus den Berichten des Bundesrechnungshofs ziehen. Andernfalls leisten wir uns mit dieser Institution einen teuren bürokratischen Aufwand, der nicht gerechtfertigt ist.Damit komme ich zu den eingangs erwähnten schlechten Beispielen zurück. Ich habe von Füchsen gesprochen, die beim Staat Geld schnorren. Gehen wir doch einmal auf Fuchsjagd!Ich münze das direkt in Vorschläge um:Erstens. Im Wert des zuviel angeschafften Mobiliars muß der Haushaltsansatz des betreffenden Ministeriums gekürzt werden.Zweitens. Die Länder müssen aufgefordert werden, bevor sie über die Kürzung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Ausbau und Neubau von Hochschulen" um 20 % lamentieren, erst ihren fälligen Beitrag von 300 Millionen DM an den Bund zu erstatten.Drittens. Die Bundeswehr muß den Schaden feststellen, der durch das kostenlose Verleihen des Geräts entstanden ist, und ihn einfordern. In der gleichen Höhe wird ihr Haushaltsansatz gekürzt.Nehmen wir uns Abgeordnete beim Wort! Wir sind abgeordnet, der öffentlichen Vergeudung Einhalt zu gebieten. Ich sage: Packen wir es an!
Meine Fraktion will auf diesem Weg vorangehen. Ich glaube, auch Sie alle hier sind dazu bereit. Schließen wir uns dieser Aufforderung an, meine Damen und Herren von der Opposition und der Koalition! — Ich bedanke mich für Ihr Interesse.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung.Der Ältestenrat schlägt vor, die Bemerkungen des Bundesrechnungshofs für das Haushaltsjahr 1978 auf Drucksache 9/38 an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit diesem Vorschlag einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe den Punkt 16 der Tagesordnung auf:a) Beratung der Sammelübersicht 3 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 9/103 —b) Beratung der Sammelübersicht 4 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 9/104 —Das Wort wird dazu nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung.Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 9/103 und 9/104, die in den Sammelübersichten 3 und 4 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses sind angenommen.Ich rufe die Punkte 17 bis 19 der Tagesordnung auf:17. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksachen 8/4498, 9/118 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Ahrens18. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Fünfundvierzigste Verordnung
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981 923
Vizepräsident Leberzur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung —— Drucksachen 9/8, 9/119 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Ahrens19. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu den Verordnungen der BundesregierungZustimmungsbedürftige Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
Zustimmungsbedürftige Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksachen 9/30, 9/31, 9/106 — Berichterstatter: Abgeordneter EchternachEs handelt sich um Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft zu zwei aufhebbaren und zwei zustimmungsbedürftigen Verordnungen der Bundesregierung.Das Wort wird nicht gewünscht.Ich lasse über die Vorlagen gemeinsam abstimmen. Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft auf den Drucksachen 9/118, 9/119 und 9/106 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Die Beschlußempfehlungen sind angenommen.Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Bundesministers der FinanzenReichseigenes Grundstück Berlin 52 , Ollenhauerstraße 97/99;hier: Verkauf an das Land Berlin— Drucksache 9/101 —Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Ich sehe, das ist nicht der Fall. Das Wort wird auch anderweitig nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag des Bundesministers der Finanzen auf Drucksache 9/101 an den Haushaltsausschuß zu überweisen.Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 21 bis 28 der Tagesordnung auf:21. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der FinanzenÜberplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 02 Titel 656 55 — Krankenversicherung der Landwirte — im Haushaltsjahr 1980— Drucksachen 9/7, 9/110 —Berichterstatter: Abgeordneter Schmitz
22. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 09 02 Titel 818 21 „Rohölbevorratung durch den Bund"— Drucksachen 8/4481, 9/111 — Berichterstatter: Abgeordneter Glos23. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der FinanzenÜberplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1980 bei Kapitel 14 12 Titel 698 02 — Entschädigungen auf Grund des Fluglärmgesetzes —— Drucksachen 9/5, 9/112. —Berichterstatter: Abgeordneter Haase
24. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der FinanzenÜberplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 3103 Titelgruppe 01— Bundesausbildungsförderungsgesetz —— Drucksachen 9/6, 9/113 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Stavenhagen25. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der FinanzenÜberplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 32 05 Titel 575 02— Zinsen für Bundesschatzbriefe —— Drucksachen 9/13, 9/114 — Berichterstatter: Abgeordneter Kühbacher26. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der FinanzenÜberplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 32 08 Titel 870 01— Ausgaben für Gewährleistungen —— Drucksachen 9/18, 9/115 — Berichterstatter: Abgeordneter Kühbacher27. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der FinanzenÜberplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 3511 Titel 698 02— Abgeltung von Schäden —— Drucksachen 9/14, 9/116 —Berichterstatter: Abgeordneter Nehm
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924 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981
Vizepräsident Leber28. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der FinanzenÜberplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 60 04 Titel 646 21— Nachversicherung nach § 99 AKG —— Drucksachen 9/19, 9/117 — Berichterstatter: Abgeordneter KühbacherEs handelt sich um Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses zu überplanmäßigen Ausgaben.Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Ich sehe, das ist nicht der Fall. Das Wort wird auch anderweitig nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung.Der Ausschuß empfiehlt auf den Drucksachen 9/110, 9/111, 9/112, 9/113, 9/114, 9/115, 9/116 und 9/117, von der Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen auf den Drucksachen 9/7, 8/4481, 9/5, 9/6, 9/13, 9/18, 9/14 und 9/19 Kenntnis zu nehmen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das Haus ist einverstanden. Es ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:Beratung des Antrags des Bundesministers der FinanzenEntlastung der Bundesregierung wegen der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1979
— Drucksache 9/82 —Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Das Wort wird auch anderweitig nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag des Bundesministers der Finanzen auf Drucksache 9/82 an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? — Das ist so; es ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Richtlinie des Rates zur Festlegung des Anwendungsbereichs von Artikel 14 Abs. 1 Buchstabe d der Richtlinie 77/388/ EWG hinsichtlich der Mehrwertsteuerbefreiung bestimmter endgültiger Einfuhren von Gegenständen— Drucksachen 9/37 Nr. 148, 9/120 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Diederich
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Ich sehe, das ist nicht der Fall. Das Wort wird auch anderweitig nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 9/120 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.Wir sind damit am Ende der Beratung der für die Vormittagsitzung vorgesehenen Punkte angelangt.Nach einer Vereinbarung zwischen den Fraktionen ist eine Mittagspause vorgesehen. Der Bundestag tritt um 14 Uhr zur Fragestunde wieder zusammen.Ich unterbreche die Sitzung.
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 9/139 —
Wir fahren mit der Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft fort. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe Frage 33 des Herrn Abgeordneten Riesenhuber auf:
Wie will die Bundesregierung die in einem Schreiben des Bundeskanzlers vom März 1980 an den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten ausgedrückte Auffassung, der Bau des Kernkraftwerks Brokdorf stehe mit der energiepolitischen Zielsetzung des Energieprogramms der Bundesregierung im Einklang, sowie die Erklärung des Bundeswirt-
schaftsministers in der Bundestagsdebatte vom 29. Januar 1981, die Bundesregierung unterstütze die Entscheidung und Politik des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten betreffend Kernkraftwerk Brokdorf, angesichts der Beschlüsse der Hamburger SPD und der schleswig-holsteinischen FDP konkret verwirklichen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, nach der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern ist es nicht Sache der Bundesregierung, den Bau eines bestimmten Kraftwerks konkret zu sichern. Die Bundesregierung sieht im Weiterbau von Brokdorf eine Bestätigung ihrer Überzeugung, daß der weitere begrenzte Ausbau der Kernenergie unerläßlich und auch sicherheitstechnisch vertretbar ist. Dies hat sie mit Deutlichkeit klargestellt. Konkrete Projekte und Standortentscheidungen sind und bleiben Sache der investierenden Unternehmen sowie der Bundesländer.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die dreijährige Verzögerung des Weiterbaus des Kernkraftwerks Brokdorf, wie sie vom Hamburger Senat empfohlen worden ist, mit dem Energieprogramm der Bundesregierung vereinbar ist, oder ist die Bundesregierung nicht vielmehr der Auffassung, daß der umgehende Bau des Kernkraftwerks Brokdorf notwendig ist, um das Energieprogramm der Bundesregierung zu erfüllen, und daß er insofern vordringlich ist?
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981 925
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir halten den Bau von Kernkraftwerken für notwendig, bleiben aber dabei, daß die konkrete Entscheidung Sache der zuständigen Länder ist, soweit es sich etwa um die Frage der Erteilung der hier in Rede stehenden Genehmigung zum Weiterbau handelt. Ich möchte deshalb den Gesprächen, die Bürgermeister Klose mit Ministerpräsident Stoltenberg zu führen gedenkt, hier nicht vorgreifen. Unabhängig davon, wie diese Gespräche ausgehen, bleibt es dabei, daß wir den Ausbau der Kernenergie in dem von uns immer wieder dargestellten begrenzten Umfang für notwendig halten. Das ist nicht mit der konkreten Aussage für diesen oder jenen Standort verbunden, sondern mit der Generalausrichtung unserer Politik, die über regionale Fragen hinausgeht.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Riesenhuber.
Herr Staatssekretär, ist denn die Bundesregierung der Ansicht, daß sich gegenüber dem zwischen Bundeskanzler und Ministerpräsidenten vereinbarten Entsorgungskonzept für die Kernenergie neue Gesichtspunkte ergeben haben, die es, wie Bürgermeister Klose ausgeführt hat, rechtfertigen, daß der Aufbau des Kernkraftwerks Brokdorf aus Gründen der Überprüfung des Entsorgungskonzepts um drei Jahre verzögert werden soll?
Grüner,. Parl. Staatssekretär: Nein, wir sind nicht der Meinung, daß sich neue Gesichtspunkte ergeben haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Laufs, bitte.
Herr Staatssekretär, kann man davon ausgehen, daß die Bundesregierung im Lande Schleswig-Holstein — wie es aus Anlaß des Vorhabens in Gorleben im Lande Niedersachsen geplant war — gegebenenfalls mit Sicherheitseinheiten des Bundes dazu beitragen wird, daß der Bau des Kernkraftwerks Brokdorf abgesichert vonstatten gehen kann?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Dies gehört weder in meine Zuständigkeit noch sehe ich einen Anlaß, hier zu einer solchen hypothetischen Frage Stellung zu nehmen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Voigt, bitte.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß es aus der Sicht der Bundesregierung Sache der beteiligten Länder ist, darüber zu entscheiden, ob der dort notwendige Energiebedarf durch Kernenergie oder mit Hilfe von Kohle befriedigt wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ja, das ist richtig; das ist eine Entscheidung, die die Länder zu treffen haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hirsch.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß man den Wohlstand der Nation auch dann auf Anlagen stützen kann, wenn man diese Anlagen wie mittelalterliche Festungen schützen -muß?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat immer wieder deutlich gemacht, daß sie davon ausgeht, daß eine technische Entwicklung wie die der Kernenergie ohne eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung nicht möglich ist. Sie bemüht sich intensiv darum, diese Akzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen.
Als Nichtfragesteller haben Sie nur eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Ich rufe Frage 34 des Herrn Abgeordneten Dr. Riesenhuber auf:
Hat die Bundesregierung nach ihrer Auffassung genug getan, wenn sie der PREAG, wie in der Bundestagsdebatte vom 29. Januar 1981 vom Bundeswirtschaftsminister angedeutet, eine „politische Ermunterung" gibt, gegebenenfalls an Stelle von HEW in die Betreibergesellschaft einzutreten, um damit den Bau des Kernkraftwerks Brokdorf zu sichern?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatsssekretär: Die wirtschaftliche Investitionsverantwortung für ein Kraftwerksprojekt liegt bei den Elektrizitätsversorgungsunternehmen. Dies gilt in vollem Umfange auch für Bundesunternehmen. Es kann daher in der Tat nicht mehr als eine politische Ermunterung für unternehmerische Entscheidungen zu einem konkreten Kraftwerksprojekt geben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Riesenhuber, bitte.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Ansicht, daß die seit einiger Zeit propagierte weitgehende Regionalisierung der energiepolitischen Verantwortung, die der Abgeordnete Voigt soeben auch in seiner Frage angesprochen hat, sich im Falle Hamburg als hilfreiches politisches Instrument erwiesen hat, oder ist die Bundesregierung nicht vielmehr der Ansicht, daß sie unbeschadet der tatsächlich und eindeutig rechtlich abgesicherten Zuständigkeiten der einzelnen Bundesländer im Sinne ihrer eigenen Energieprogramme auch eine weitgehende Verantwortung für die Durchführung der Energieprogramme einschließlich der Kernkraftwerke in Deutschland hat?Grüner, Parl. Staatssekretär: Diese Verantwortung der Bundesregierung besteht. Sie kann sie aber nur im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Möglichkeiten wahrnehmen, d. h. also in einer sehr engen Kooperation mit den Ländern in dieser Frage, und sie kann unter keinen Umständen bei der gegebenen Verfassungslage in die Rechte und Möglichkeiten der Länder in diesem Bereich eingreifen.
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926 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Riesenhuber.
Herr Staatssekretär, können Sie mir vor diesem Hintergrund Ihrer Antwort erläutern, was dann die weitergehende Regionalisierung energiepolitischer Verantwortung bedeuten soll, wie sie von Mitgliedern der Bundesregierung in den letzten Monaten zunehmend öffentlich propagiert worden ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Betonung der Verantwortung der Länder ist in keiner Weise neu. Sie entspricht vielmehr der Verfassungswirklichkeit und auch der wirtschaftlichen Realität der vergangenen Jahrzehnte, um das einmal deutlich zu machen. Die Bundesregierung hat allerdings Anlaß, auf diese Zusammenhänge hinzuweisen, weil in der politischen Auseinandersetzung um diese Frage vielfach der Eindruck erweckt wird, als ob es nur eines kräftigen Zuspruchs aus Bonn bedürfe, um Entwicklungen in Gang zu setzen, die nicht in die Zuständigkeit der Bundesregierung fallen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, haben wir nicht eine Regionalisierung, wie eben gesagt wird, der Entscheidung und damit der Verantwortung auch dadurch, daß wir keine einheitliche staatliche Energiewirtschaft haben, sondern mehrere privatrechtlich organisierte Anbieter auf diesem Gebiet?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Auch das ist durchaus zutreffend, denn Voraussetzung für eine Entscheidung jeder Landesregierung ist, daß ein Betreiber entsprechende Anträge stellt und einen Bedarf für gegeben erklärt.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Voigt.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß im Zusammenhang mit anderen Bauvorhaben nuklearer Art der bayerische Ministerpräsident sehr vehement auf seiner Zuständigkeit und seinen Rechten beharrt hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: In der Vehemenz, mit der die Länder ihre Rechte reklamieren, kann ich keinen Unterschied feststellen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Mertes.
Herr Staatsekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß es für die parlamentarische Beratung nützlich wäre, wenn auf Sachfragen nicht mit Kompetenzantworten erwidert würde?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich teile Ihre Meinung, aber diese Sachfrage hat die Frage nach der Kompetenz der Bundesregierung eingeschlossen, und deshalb war das eine richtige Antwort.
Ich rufe Frage 35 des Abgeordneten Pfeifer auf:
Rechnet die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß die Exportfähigkeit der deutschen Kernkraftwerksindustrie weitgehend von der Möglichkeit abhängt. Leistungsfähigkeit und Sicherheit durch Betrieb der Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland demonstrieren zu können, damit, daß für die Kraftwerks- und deren Zulieferindustrie dringend benötigte Exportaufträge ausbleiben werden, wenn durch SPD-Sonderparteitage wie zu Brokdorf ein Kernkraftmoratorium beschlossen wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Demonstration der Leistungsfähigkeit im Inland ein wesentlicher Faktor für die Erhaltung von Exportchancen der deutschen Kraftwerksindustrie und deren Zulieferer ist. Bekanntlich gibt es kein imperatives Mandat, und deshalb können Parteitage auch keine Entscheidungen treffen, die nach unserer Verfassung Parlamenten und Regierungen zustehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeifer.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Ansicht, daß der Bau oder der Nichtbau des Kernkraftwerks in Brokdorf von ausschlaggebender Bedeutung für die weitere friedliche Nutzung der Kernenergie und damit auch für die weitere Zukunft der Kernkraftwerksindustrie in der Bundesrepublik Deutschland ist, und welche Perspektive bleibt eigentlich dieser Kernkraftwerksindustrie noch, wenn das vom Hamburger Senat beschlossene Moratorium Wirklichkeit werden sollte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich teile nicht Ihre Meinung, daß die Auseinandersetzung um Brokdorf etwa eine negative, die gesamte Entwicklung verändernde Politik im Bereich der Kernenergie anzeigte, sondern bin im Gegenteil der Auffassung, daß die Auseinandersetzung um Brokdorf auch angesichts der ja sehr unterschiedlichen Meinungen, die die entsprechenden Parteitage zutage gefördert haben, nichts daran ändert, daß deutlich ist, daß heute — auch bei kontrovers diskutierenden Parteitagen — ein wesentlich höheres Maß an Akzeptanz der Kernenergie vorhanden ist, als das etwa vor einem oder zwei Jahren noch der Fall gewesen ist.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, wenn Sie diese meine Meinung nicht teilen, wie beurteilen Sie dann folgende Ansicht des Bundeswirtschaftsministers Graf Lambsdorff — ich zitiere —: „Brokdorf hat auch Symbolcharakter für die friedliche Nutzung der Kernkraft, und die Kernkraftgegner werden sich durch den Hamburger SPD-Parteitagsbeschluß sicher dazu ermutigt fühlen, der Bundesregierung Schwierigkeiten zu machen, wo immer sie können"?Grüner, Parl. Staatssekretär: Das steht nicht im Gegensatz zu der von mir geäußerten Meinung. Ich finde, daß es wichtig ist, in dieser Auseinandersetzung, die natürlich durch die politische Diskussion einen hohen Stellenwert erhalten hat, deutlich zu machen, daß sich in den politischen Parteien, die über diese Frage ja seit Jahren miteinander ringen, sehr viel verändert hat. Von daher meine ich, daß es
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981 927
Parl. Staatssekretär Grünerdurchaus nachdenkenswert ist, sich die Entwicklungen zu vergegenwärtigen, die sich auch bei den aktiven Gegnern der Kernenergie in den politischen Parteien in den letzten Jahren vollzogen haben, und zwar gerade in den Regionen, in denen die Ablehnung der Kernenergie durch Parteitage besonders ausgeprägt war.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hirsch.
Herr Staatssekretär, sollten denn nach Meinung der Bundesregierung Kernkraftwerke auch dann genehmigt werden, wenn man ein Kernkraftwerk nur als Symbol oder als Demonstrationsobjekt benötigt, nicht aber zur Befriedigung eines Energiebedarfs?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ganz sicher nicht, aber, Herr Kollege Hirsch, es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß diejenigen, die dieses Kernkraftwerk für notwendig halten, sich am Symbolcharakter orientierten. Vielmehr orientieren sie sich am konkreten, in diesem Falle ja auch wirklich überzeugend nachgewiesenen Bedarf.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, können Sie mir denn bestätigen, daß die deutsche Industrie auch vor Brokdorf bereits etliche Kernkraftwerke exportiert hat und daß die deutschen Kernkraftwerke mit die sichersten Kernkraftwerke der Welt sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das kann ich Ihnen bestätigen, Herr Kollege Jens. Ich bin auch der Meinung, daß gerade die hohen Sicherheitsansprüche, die deutsche Kernkraftwerke erfüllen, auch für den Export ein Argument darstellen, das man nicht unterschätzen sollte.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Voigt.
Herr Staatssekretär, können Sie die Gefahr ausschließen, daß dann, wenn man von seiten der Befürworter den Symbolgehalt der dortigen Entscheidung unterstreicht, geradezu provoziert wird, daß auch von seiten der Kritiker der Kernenergie der Symbolgehalt des Falles Brokdorf unterstrichen wird, und daß damit eine sachliche Auseinandersetzung über die Entscheidung im Einzelfall erschwert werden könnte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Diese Gefahr ist unverkennbar. Ich teile Ihre Befürchtungen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Riesenhuber.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Ansicht, daß die von Ihnen soeben in einer Antwort genannten Beschlüsse der Parteitage die Politik der Bundesregierung festlegen können?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, ich bin nicht dieser Meinung und habe das ausdrücklich gesagt.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schlei.
Herr Staatssekretär, ist nicht im Zusammenhang mit dem Senatsbeschluß zu Brokdorf auch davon auszugehen, daß Exportgeschäfte keineswegs negativ verlaufen müssen, weil ja die Forderung impliziert ist, ein sicheres System zu wählen, wenn Brokdorf mit Zustimmung des Hamburger Senats gebaut wird? Hier geht es doch nicht nur um ein Symbol, sondern auch um eine verbesserte Sicherheitsmöglichkeit, die technologisch schon gegeben ist.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich teile Ihre Meinung, daß alles, was an zusätzlicher Sicherheit im Bereich der Kernkraftwerke getan werden kann, beim Export auch ein zusätzliches Verkaufsargument sein kann und sein wird. Auf der anderen Seite kann man natürlich nicht übersehen, daß die politischen Auseinandersetzungen, die j a auch mit Sicherheitsfragen verknüpft werden, eine psychologische Wirkung haben, die den Exportbemühungen nicht förderlich ist. Hier spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, die schwer zu quantifizieren und zu qualifizieren sind.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Leuschner.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung entsprechend dem Votum des Hamburger Senats ein Moratorium nach den neueren Bedarfsberechnungen über den künftigen Stromverbrauch im norddeutschen Raum für sachlich vertretbar?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich meine, daß die beteiligten Regierungschefs über diese Frage miteinander reden sollten. Und die sehr zurückhaltende Art, in der sich Herr Stoltenberg zu dem Vorschlag des Herrn Klose geäußert hat, legt es mir nahe, in diese Diskussion nicht vertieft einzusteigen, sondern einmal abzuwarten, was die beiden verantwortlichen Regierungschefs miteinander besprechen werden.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jung.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Kernkraftwerksbauindustrie in der Bundesrepublik Deutschland noch vor wenigen Jahren auf der Welt an der Spitze stand, daß wir aber jetzt zwischenzeitlich von Frankreich, mit der dortigen Firma Framatome, und von Japan überholt, also auf den dritten Platz verwiesen worden sind, und wie beurteilen Sie diese Entwicklung?Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich wäre natürlich froh, wenn das anders wäre. Aber ich möchte mit großem Nachdruck sagen, daß wir — die Bundesregierung, die sie tragenden politischen Parteien und schließlich auch die Ministerpräsidenten
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928 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981
Parl. Staatssekretär Grünerder Länder in ihrer Bereitschaft, in der Frage der Entsorgung mit uns zusammenzuwirken — Gründe dafür gehabt haben, von der Idee eines extensiven Ausbaus der Kernenergie auf einen begrenzten Ausbau der Kernenergie umzuschalten. Die Tatsachen, die Sie hier schildern, sind eine Folge dieser geänderten Politik.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hennig.
Herr Staatssekretär, ist es wirklich richtig, daß Sie von einer verfassungsmäßigen Zuständigkeit der Bundesländer in diesem Zusammenhang gesprochen haben, oder könnte die Bundesregierung durch eine von ihr vorzulegende Novelle zum Atomgesetz einen Teil dieser Zuständigkeiten wieder auf die Bundesebene zurückholen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist eine verfassungsrechtliche Frage, die ich nicht aus dem Stand beantworten möchte. Ich würde es aber politisch für außerordentlich unklug halten, den Versuch zu machen, in heute bestehende Rechte der Länder einzugreifen. Es würde das Gegenteil von dem erreicht werden, was in Ihrer Frage als Wunschvorstellung vielleicht anklingt.
Ich rufe die Frage 36 des Abgeordneten Pfeifer auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung ihre auf den letzten Weltwirtschaftsgipfeln gegebenen Zusagen zur Energiepolitik angesichts des Hamburger Beschlusses zu Brokdorf einzuhalten?
Grüner, Parlamentarischer Staatssekretär: Ich verweise auf die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion vom 7. November 1979, in der die Bundesregierung die Einordnung der nationalen Energiepolitik in die internationalen Verpflichtungen dargelegt hat. Die damaligen Ausführungen gelten unvermindert fort. Im übrigen möchte ich erneut darauf hinweisen, daß für die Einhaltung internationaler Verpflichtungen die Ausrichtung der gesamten Energiepolitik eines Landes entscheidend ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeifer, bitte.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß im vergangenen Jahr in Frankreich acht neue Kernkraftwerke in Betrieb genommen worden sind, bei uns aber kein einziges, und wie glaubwürdig ist die Bundesregierung eigentlich auf internationalen Konferenzen, wenn sie dort für einen verstärkten Ausbau der Kernenergie eintritt, aber die von mir soeben geschilderte Entwicklung im eigenen Land jetzt durch das vom Hamburger Senat beschlossene Moratorium noch verstärkt wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich möchte betonen, daß diese internationale Verantwortung der Bundesregierung nicht von der Frage berührt wird, ob bei uns dieses oder jenes Kernkraftwerk gebaut wird. Kernkraft ist ein Teil eines Gesamtkonzeptes. Im übrigen kann ich nur noch einmal betonen, daß die Politik, die die Bundesregierung auch international vertreten hat, die Politik eines begrenzten Ausbaus der Kernenergie und eines Vorrangs der Kohle, in diesem Hause in der Zustimmung zu dem Energieprogramm der Bundesregierung eine sehr beachtliche Mehrheit gefunden hat — übrigens auch bei der Opposition.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeifer.
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß man, wenn in der Bundesrepublik überhaupt kein Kernkraftwerk mehr gebaut oder in Betrieb genommen wird — wie z. B. im Jahre 1981 —, nicht von diesem oder jenem Kernkraftwerk sprechen kann, das gebaut oder nicht gebaut wird, und ist nicht gerade die Entwicklung, daß in Frankreich in einem Jahr acht neue Kernkraftwerke in Betrieb genommen werden und in der Bundesrepublik keines, ursächlich für die eben vom Abgeordneten Jung geschilderten Standort- und Wettbewerbsvorteile, die Frankreich inzwischen gegenüber der Bundesrepublik erworben hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Energiepolitik der Bundesregierung ist auf Streuung des Risikos ausgerichtet. Anders als Frankreich sind wir durch eigene Kohlevorräte, die wir ja mit Zustimmung dieses Hohen Hauses mit Milliardensubventionen fördern, in der Lage, im Energiebereich durch Kohle eine Risikostreuung zu erreichen, die den Franzosen nicht zur Verfügung steht. Insofern ist die Beurteilung der Frage, welche Auswirkungen für die Sicherheit der Energieversorgung diese Politik Frankreichs im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland hat, nicht losgelöst von der Frage zu sehen, wo Primärenergiereserven liegen und wo nicht.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Hirsch.
Herr Staatssekretär, ist es nicht auch nach Ansicht der Bundesregierung schlimm und nachteilig, wenn der Eindruck erweckt wird, als handle es sich bei dem Ausbau von Kernenergie um eine Art zahlenmäßigen Wettbewerb — wer wohl in welcher Zeit die meisten Kernkraftwerke baut — und nicht um die Frage, welcher Bedarf mit welcher Energiequelle am besten gedeckt wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es ist richtig, daß die Diskussion um diese Frage sehr stark von der Vorstellung geprägt ist, als wären wir in der Lage, den Bedarf der Zukunft vorauszusagen. Leider ist das in Wahrheit nicht der Fall. Alle an langfristigen und mittelfristigen Bedarfsprognosen orientierten Aussagen sind natürlich der ständigen Korrektur bedürftig, weil viele Parameter, die auf diese Entwicklung einwirken, nicht im voraus feststellbar sind — etwa der Parameter der Preisentwicklung beim Öl als einer der entscheidenden Parameter für die Frage, wie stark die Energieeinsparung vorankommt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Laufs.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981 929
Herr Staatssekretär, welche Konsequenzen wird die Bundesregierung für ihr energiepolitisches Programm ziehen, wenn aus regionalen politischen Gründen, auf die die Bundesregierung, wie sie sagt, keinen Einfluß hat, ein Kernkraftmoratorium eintritt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich betrachte das als eine hypothetische Frage. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß bei uns ein solches Moratorium eintreten würde.
Zusatzfrage des Abgeordneten Leuschner.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß es der Elektrizitätsversorgungsindustrie in diesem Lande mit der Verwirklichung der in diesem Hause gemeinsam vertretenen Politik „Priorität für die Kohle" in Wirklichkeit nicht ernst ist, wie man an der großen Anzahl ungenutzter Genehmigungen für Kohlekraftwerke sieht?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich habe keine Veranlassung für diese Vermutung. Ich darf daran erinnern, daß die Elektrizitätsversorgungsunternehmen langfristige, sie bindende Verträge über die Abnahme von Kohle zur Verstromung unterschrieben haben. Insofern möchte ich sagen, daß es keinen Anlaß zu dieser Vermutung gibt. -
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Riesenhuber.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Auffassung, daß faktisch ein Moratorium für Kernenergie insofern besteht, als seit mehr als sechs Jahren in Deutschland kein neues Kernkraftwerk mehr bestellt worden ist, und sind Sie der Auffassung, daß es eine ausreichende Streuung des von Ihnen angesprochenen Risikos darstellt, wenn die Kernenergie heute insgesamt 3,9 % des Primärenergiebedarfs der Bundesrepublik abdeckt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Eine solche Fragestellung verkennt die Tatsache, daß bei uns eine ganze Reihe von Kernkraftwerken im Bau ist, und zwar ohne Störungen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kittelmann.
Herr Staatssekretär, ist Ihr rätselhafter Optimismus im Hinblick auf die jetzige Situation dadurch zu erklären, daß Sie die Hoffnung oder die Befürchtung haben, die jetzige Regierung werde, wenn die Verhältnisse so bleiben, wie sie sind, nicht mehr allzulange die Verantwortung für die Energiepolitik tragen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich kann den sachlichen Zusammenhang dieser Frage mit der jetzigen Diskussion nicht sehen, Herr Kollege. Insofern ist mir Ihre Frage rätselhaft.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Huonker zur Verfügung..
Die Fragen 136 und 137 des Abgeordneten Hansen sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 138 des Abgeordneten Kittelmann auf:
Welchen politischen und juristischen Hinweis sieht die Bundesregierung in der Äußerung des Berliner Regierenden Bürgermeisters Dr. Vogel, daß der ehemalige Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesregierung in Ost-Berlin, Herr Gaus, seine umstrittene Äußerung, im Umgang mit der DDR den Begriff „Nation" nicht mehr zu verwenden, nicht in seiner neuen beruflichen Position als Senator für Wissenschaft und Forschung, sondern im Dienste der Bundesregierung gemacht habe?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Dr. Vogel, hat nicht gesagt, daß Senator Gaus seine Äußerungen im Dienste der Bundesregierung gemacht habe. Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat gesagt — ich nehme an, daß Sie sich auf ein Interview in der Berliner „Morgenpost" vom 1. Februar 1981 beziehen —, die Äußerungen von Herrn Gaus seien — ich zitiere — „seinem bisherigen Tätigkeitsbereich zuzuschreiben".
Wer den Inhalt des Interviews kennt, erkennt auch, daß sich Herr Gaus im Zusammenhang mit der Beendigung einer mehr als sechsjährigen Tätigkeit als Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland geäußert hat. Im übrigen, Herr Kollege, hat Senator Gaus zu Beginn seines Interviews selbst ausdrücklich klargestellt, er gebe „private, persönliche Eindrücke und Meinungen wieder, nichts sonst".
Eine Zusatzfrage.
Stimmen Sie mir zu, Herr Staatsminister, daß Herr Vogel so interpretiert werden konnte, daß er sich — nachdem das Interview von Herrn Gaus nicht nur auf Kritik der Opposition, sondern auch auf die der veröffentlichten Meinung und die des Bundeskanzlers hier im Hause und vieler anderer verantwortlicher Vertreter der Bundesregierung gestoßen ist — glücklich fühlte, daß Herr Gaus diese Äußerung nicht als Senator gemacht hat und deshalb die Bundesregierung am Zuge ist, sie zu werten und daraus Konsequenzen zu ziehen?
Huonker, Staatsminister: Diese Interpretation, diese Einschätzung vermag ich nicht zu teilen, Herr Kollege. Wer die Äußerungen des Regierenden Bürgermeisters im Wortlaut kennt, sie genau liest, der weiß, daß Ihre Interpretation in den Äußerungen von Herrn Vogel keine Grundlage findet.
Ich möchte hinzufügen, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin unmittelbar im Anschluß an den Satz, auf den Sie sich — ungenau zitierend — beziehen —, sagt: „Die Haltung des Senats zu allen Fragen der Deutschlandpolitik und auch zu dieser Frage stimmt vollständig mit der Haltung der Bundesregierung überein."
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.
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930 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981
Herr Staatsminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es in Anbetracht der Verantwortung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin durchaus angemessen wäre, meine Interpretation so gelten zu lassen, und sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Forderung von Herrn Gaus im absoluten Widerspruch zum Verfassungsgebot steht und deshalb gerade aus Berlin eine Wertung, wie ich sie in die Äußerung Herrn Vogels gelegt habe, zu erwarten gewesen wäre?
Huonker, Staatsminister: Es steht der Bundesregierung nicht zu — das gebietet der Respekt vor dem föderativen Aufbau der Bundesrepublik —, sich in Angelegenheiten von Bundesländern einzumischen. Aber ich will hinzufügen, indem ich Herrn Vogel aus dem erwähnten Interview zitiere: „Herr Gaus ist Senator für Wissenschaft. Dies ist seine Aufgabe. Die deutschlandpolitischen Probleme werden beim Regierenden Bürgermeister und in der Senatskanzlei und im Ressort des Senators für Bundesangelegenheiten behandelt."
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, habe ich Ihre letzten Äußerungen richtig verstanden, wenn ich davon ausgehe, daß die Bundesregierung die Äußerung des Regierenden Bürgermeisters von der vollen Übereinstimmung mit der Deutschlandpolitik der Bundesregierung auch als eine klare Distanzierung des Regierenden Bürgermeisters von den Auffassungen des neuen Senators Gaus betrachtet?
Huonker, Staatsminister: Es steht der Bundesregierung aus den Gründen, die ich vorhin genannt habe, nicht zu, Äußerungen des Regierenden Bürgermeisters von Berlin hier zu qualifizieren, zu zensurieren, zu interpretieren.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Lorenz.
Herr Staatsminister, wenn Sie erklären, daß Herr Gaus seine Äußerungen aus Anlaß der Beendigung seiner sechseinhalbjährigen Tätigkeit gemacht hat, sind. Sie dann nicht auch mit mir der Meinung, daß er diese Tätigkeit im Dienste der Bundesregierung ausgeübt hat und es deshalb die Pflicht der Bundesregierung wäre, sich in deutlicher Form von denjenigen Teilen seiner Äußerungen zu distanzieren, die der erklärten Politik der Bundesregierung widersprechen?
Huonker, Staatsminister: Ich habe hierzu folgendes zu sagen: Der Bundeskanzler hat im Plenum des Deutschen Bundestags am 30. Januar erklärt, daß es „bald eine Debatte zur Lage der Nation geben wird, bei welcher Gelegenheit die Bundesregierung dann übrigens nicht verschweigen wird, daß sie und warum sie am Begriff der einen deutschen Nation festhalten wird". Im Protokoll ist hier verzeichnet, „Beifall bei allen Fraktionen".
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Ich rufe die Frage 139 des Herrn Abgeordneten Kittelmann auf:
Wie will die Bundesregierung in der Öffentlichkeit dem Eindruck entgegenwirken, dad Bedienstete in ihrem Verantwortungsbereich verfassungswidrige Äußerungen vertreten dürfen, wenn nach einer Aussage, die Herr Gaus zu verantworten hat, nicht erkennbar wird, welche Konsequenzen dies dienstrechtlich hat, und der dafür Verantwortliche — mit Glückwünschen der Bundesregierung versehen — eine wesentliche neue Funktion in Berlin wahrnimmt?
Bitte, Herr Staatsminister.
Huonker, Staatsminister: Herr Kollege, wie ich schon gesagt habe, hat Senator Gaus seine Äußerungen als die Wiedergabe privater und persönlicher Eindrücke und Meinungen bezeichnet. Im übrigen teilt die Bundesregierung nicht die Auffassung, die Sie in Ihrer Frage zum Ausdruck bringen, daß die Äußerungen von Herrn Gaus, wie immer man sie politisch beurteilt, verfassungswidrig seien.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch erneut auf das hinweisen, was der Herr Bundeskanzler vor dem Plenum des Deutschen Bundestags in seiner Rede am 30. Januar gesagt hat.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, ist daraus zu schließen, daß die Bundesregierung den Inhalt des Gesamtinterviews, das u. a. ja noch Ausdrücke enthält wie — ich darf zitieren — „Hier kommt der alte Revanchist um die Ecke", nämlich wenn man bestimmte Begriffe gebrauche, und vieles andere mehr — —
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, ich bitte, eine Frage zu stellen. Sie können hier nicht ganze Passagen zitieren.
Ich habe einen halben Satz zitiert.
Ist daraus zu schließen, daß die Bundesregierung nicht bereit ist, eine klare Äußerung, die als gegen die Verfassung gerichtet auslegbar ist, dienstrechtlich so klarzustellen, daß für die Zukunft gesichert ist, daß hohe Bedienstete der Bundesregierung, bei denen in der Öffentlichkeit zwischen privaten Meinungsäußerungen und dienstrechtlichem Auftrag nicht unterschieden werden kann, etwas sauberer definieren?
Huonker, Staatsminister: Aus meinen bisherigen Äußerungen geht hervor, daß es sich hier nach Auffassung der Bundesregierung nicht um eine verfassungswidrige Äußerung handelt und daß, wie immer man diese Äußerung politisch beurteilt, die Bundesregierung sich nicht anmaßt, private Äußerungen in einem Zeitungsinterview in dieser Weise zu behandeln, wie Ihre Frage das fordert.
Auch in diesem Zusammenhang weise ich erneut auf die eindeutige Erklärung des Bundeskanzlers zu dem Problem hin.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kittelmann, bitte.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981 931
Herr Staatsminister, begeben Sie sich damit nicht in die Gefahr, daß Sie je nach Wertigkeit und je danach, wer die Äußerung macht — ich erinnere an die Maßnahmen, die Herr Franke bei Herrn Kreutzer getroffen hat —, eine Wertung vorzunehmen, die in der Öffentlichkeit so nicht verstanden wird, und unterliegen Sie nicht von daher der Gefahr, daß in Zukunft in Ihrer Bundesregierung bei privat gemeinten Äußerungen jeder singen kann wie ein Kanarienvogel nach der Devise: „Das war eine private Meinungsäußerung und nicht im Sinne des dienstrechtlichen Verhältnisses"?
Huonker, Staatsminister: Diese Zusatzfrage, Herr Kollege, beantworte ich eindeutig mit Nein.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hupka.
Herr Staatsminister, kann ich Ihre zweimalige Erwähnung der Rede des Bundeskanzlers vom 30. Januar dieses Jahres so verstehen, daß der Bundeskanzler damit die Äußerung von Herrn Gaus verurteilen wollte und er nur vergessen hat, den Namen des Autors dieser Äußerung zu nennen?
Huonker, Staatsminister: Der Bundeskanzler hat in seiner Rede gesagt, welche Bedeutung der Begriff der Nation für die Bundesregierung hat. Er hat ausgeführt, daß in der Debatte zur Lage der Nation, die in einigen Wochen hier in diesem Hause stattfinden wird, zu diesem Thema gesprochen werden wird.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatsminister, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß ein Mann, der die Bundesrepublik Deutschland jahrelang auf einer so heiklen Position wie der des Ständigen Vertreters in Ost-Berlin vertreten hat, ganz besonders verpflichtet ist — auch nach dem Ausscheiden aus diesem Amt —, seine Worte sorgfältig zu wägen, um zu vermeiden, daß Schaden eintritt, und daß dies im Falle Gaus eben nicht geschehen ist?
Huonker, Staatsminister: Wenn Sie sagen, daß, wer aus einem solchen Amt ausscheidet, seine Worte sorgfältig zu wägen hat, dann sage ich dazu ja. Im übrigen ist es aus den Gründen, die ich genannt habe, nicht Aufgabe der Bundesregierung, Zeitungsinterviews, die persönliche Meinungen eines Mannes wiedergeben, der im Zeitpunkt des Erscheinens des Interviews nicht mehr Staatssekretär der Bundesregierung war, dessen Beamtenrechte aus seiner Eigenschaft als Beamter des Bundes also ruhten, öffentlich zu qualifizieren oder zu zensurieren.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster.
Herr Staatsminister, würden Sie mir bestätigen, daß das Bekenntnis zur einen deutschen Nation, wie es der Bundeskanzler offenbar hier abgeben wollte, in jedem Fall in eklatantem Widerspruch zu der Forderung nach zwei deutschen Staatsbürgerschaften steht? Würden Sie das jedenfalls bestätigen?
Huonker, Staatsminister: Herr Kollege, die Haltung der Bundesregierung zum Thema der Staatsbürgerschaft und Staatsangehörigkeit ist völlig klar.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. von Dohnanyi zur Verfügung. Ich rufe die Frage 140 des Abgeordneten Dr. Mertes auf:
Mit welchen Gründen rechtfertigt die Sowjetunion ihre Ablehnung der deutschen, amerikanischen, britischen und französischen Bemühungen um die Entlassung des am 26. April 1981 87 Jahre alt werdenden und am 10. Mai 1981 seit 40 Jahren inhaftierten Rudolf Heß, den der Nürnberger Gerichtshof der Siegermächte von der Anklage, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, freigesprochen hat, und der seit Jahren der letzte Insasse des Alliierten Militärgefängnisses in Berlin-Spandau ist?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, die Bundesregierung hat bereits am 30. März des Jahres 1979 in der Antwort auf eine Kleine Anfrage zu diesem Thema ausführlich Stellung genommen. Sie hat damals dargelegt — daran hat sich in der Zwischenzeit nichts geändert —, daß die Sowjetunion sich der Haftentlassung von Rudolf Heß mit der Begründung widersetzt, daß es ein falsches Verständnis von Menschlichkeit sei, den Gefangenen freizulassen. Er habe bisher, so wird argumentiert, keine Reue für die von ihm begangenen Verbrechen gezeigt, sondern sich im Gegenteil bis heute zu seinen Ideen bekannt. Eine Freilassung von Rudolf Heß würde eine Ermutigung für nazistische und faschistische Kräfte sein, und diejenigen, die dem Nationalsozialismus abgeschworen hätten, würden eine solche Entscheidung nicht verstehen. Der Botschafter der UdSSR, Abrassimow, hat diese Argumentation noch vor wenigen Tagen in einem Fernsehinterview so wiederholt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mertes, bitte.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung unsere auch von Kollegen anderer Fraktionen geteilte Auffassung, daß der Einsatz für eine menschlich sinnvolle Strafbeendigung im Falle der letzten Kriegsverurteilten hierzulande von demokratischen Kräften mit besonderem Nachdruck— neben den sachlichen Gründen — auch deshalb geleistet werden sollte, damit sich nicht undemokratische politische Kräfte mit der Wahrnehmung dieses humanitären Anliegens populär machen können?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Sie wissen, daß der Herr Bundespräsident, sein Vorgänger und auch Mitglieder der Bundesregierung sich in dieser Frage eingesetzt haben. Im Prinzip teile ich das, was Sie hier eben dargestellt haben.
Eine weitere Zusatzfrage.
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932 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß im Falle Rudolf Heß und im Falle der vier letzten anderen Kriegsverurteilten — ohne die persönliche Verantwortung oder persönliche Schuld dieser Männer in Frage zu stellen — nach den rechtsstaatlichen Kriterien der Menschenwürde ein sinnvoller Strafzweck nicht mehr zu erkennen ist und daß es ein Gebot der Menschlichkeit ist, diese fünf alten Männer die letzten Tage ihres Lebens in Freiheit bei ihren schwer geprüften Familien verbringen zu lassen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, der Gesichtspunkt der Menschlichkeit, den Sie hier vorgetragen haben, war die Grundlage für Interventionen, die auch von Mitgliedern der Bundesregierung, wie Sie wissen, vorgenommen worden sind. Dabei wird nicht vergessen, wie unmenschlich sich einige der Betroffenen selbst verhalten haben.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hupka.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung trotz der jüngsten Einlassungen von Botschafter Abrassimow eine Möglichkeit, mit der Sowjetunion im Gespräch noch einmal auf die jetzt 40 Jahre währende Haft von Rudolf Heß, auf sein Alter und auf das Gebot der Menschlichkeit, ihn jetzt aus Spandau zu entlassen, hinzuweisen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Möglichkeit, Herr Kollege, wird sich sicherlich erneut ergeben.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 141 des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes auf:
Wie hoch war in den Jahren 1974, 1975, 1976, 1977, 1978. 1979 und 1980 jeweils die Summe deutscher Haushaltsaufwendungen für das Alliierte Militärgefängnis in Berlin-Spandau, nachdem sie sich laut Auskunft der Bundesregierung allein im Jahr 1973 auf 1 031 578,98 DM belaufen hatte?
Bitte, Herr Staatsminster.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, im Haushaltsjahr 1979 waren es etwa 1,67 Millionen. Die Jahresleistungen der Vorjahre entsprechen in etwa dieser Größenordnung. Ich habe es unterlassen, Ihnen diese Zahlen jetzt hier vorzulesen. Aber ich bin gerne bereit, sie Ihnen in den jährlichen Ausweisungen nachher zu überreichen.
— Sicherlich, Herr Kollege.
Dann darf ich mit dem Jahre 1974 beginnen. Zu Lasten des Berliner Besatzungskostenhaushalts gingen 679 320 DM, zu Lasten des Landeshaushalts Berlin 731 036 DM. Herr Kollege, jetzt lese ich jeweils die Jahreszahl und dann die Zahlen für diese beiden Rubriken nacheinander vor. Haushaltsjahr 1975: erste Rubrik 601 196 DM, zweite Rubrik 811 456 DM; 1976: erste Rubrik 594 958 DM, zweite Rubrik 841 996 DM; Haushaltsjahr 1977: erste Rubrik 568 229 DM, zweite Rubrik 833 233 DM; Haushaltsjahr 1978: erste Rubrik 603 055 DM, zweite Rubrik 827 661 DM. Die Summe für 1979 hatte ich Ihnen eben verlesen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mertes, bitte.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, die ich auch den drei westlichen Gewahrsamsmächten übermittelt habe, daß es sinnvoll wäre, das Spandauer Gefängnis zu schließen und die dann frei werdenden DM-Beträge Härtefällen unter den Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung zur Verfügung zu stellen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wenn Sie den Zusammenhang nehmen, in dem ich Ihre erste Frage hier heute beantwortet habe, dann können Sie schließen, daß die Bundesregierung eine solche Schließung des Gefängnisses in Spandau sicherlich begrüßen würde.
Weitere Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß es mit den Kriterien eines menschlichen und rechtsstaatlichen Verständnisses vom Zweck der Strafe völlig unvereinbar ist, einen einzelnen Menschen zum Denkmal und zum Symbol einer unmenschlichen Epoche oder eines totalitären Systems zu erniedrigen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich komme zurück: Der Gesichtspunkt der Menschlichkeit gilt sicherlich. Auf der anderen Seite muß man in diesen Fällen auch wiederum alle diejenigen verstehen, die damals unter der Unmenschlichkeit der heute Betroffenen zu leiden hatten und bei denen die Folgen dieser Unmenschlichkeit auch im heutigen Leben noch spürbar sind.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 142 des Herrn Abgeordneten Dr. Hennig auf:Finanziert die Bundesregierung direkt oder indirekt über eine Stiftung das Büro der salvadorianischen Guerilla in Bonn, und wenn nicht, hat sie Kenntnis davon, wie dieses Propagandabüro finanziert wird?Bitte, Herr Staatsminister.Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es gibt nach meiner Kenntnis in Bonn lediglich ein Büro der politischen Opposition Salvadors, das — wiederum nach meiner Kenntnis — von einem prominenten Christdemokraten, Herrn Uzquaino, geleitet wird. Dieses Büro wird von der Bundesregierung weder direkt noch indirekt finanziert. Das Auswärtige Amt verfügt auch nicht über Kenntnisse hinsichtlich der Finanzierungsmittel dieses Büros.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981 933
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, hat ein Teil der Bundesregierung oder haben Verbündete der Bundesrepublik Informationen oder Hinweise, wonach ein Mitglied dieser Vertretung der kommunistischen Terrororganisation FAPU angehören könnte?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann über solche Informationen hier im Augenblick nichts sagen; mir ist das nicht bekannt. Ich weiß auch nicht, über welche Informationen Verbündete verfügen. Aber ich bin gern bereit, dem Hinweis, den Sie hier soeben gegeben haben, nachzugehen.
Eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatsminister, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung den Ausdruck „Guerilla" zumindest für weite Teile der salvadorianischen Opposition für unangemessen hält?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, da ich Ihre Frage zwar vom Wortlaut her, nicht aber vom Inhalt her verstanden habe, möchte ich Sie bitten, Ihre Frage zu wiederholen.
Ich bitte, die Frage zu wiederholen.
Herr Staatsminister, ich hatte das Gefühl, daß Sie an dem Ausdruck „Guerilla" Anstoß genommen haben: Hält die Bundesregierung diese Bezeichnung für weite Teile der derzeitigen Opposition El Salvadors für unangemessen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe an dem Ausdruck „Guerilla" nicht Anstoß genommen.
Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Thüsing.
Herr Staatsminister, im Zusammenhang mit der Frage meines Kollegen Hennig möchte ich fragen: Ist der Bundesregierung bekannt, daß Junta-Mitglieder und Polizeioffiziere aus El Salvador auf Kosten der Konrad-Adenauer-Stiftung im letzten Jahr in der Bundesrepublik waren, um sich hier über deutsche Erfahrungen bei der Terrorismusbekämpfung zu informieren?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Mir ist das nicht bekannt, Herr Kollege. Aber wenn Sie das sagen, werden Sie schon einen Weg finden, um das bei der Konrad-Adenauer-Stiftung aufzuklären. Mir jedenfalls ist das nicht bekannt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Voigt.
Herr Staatsminister, nachdem ich selber die Gelegenheit hatte, mit dem Bonner Vertreter der FDR, dem Christdemokraten, zu sprechen, möchte ich fragen: Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß man weder aus dem Tatbestand, daß der Bonner Vertreter ein Christdemokrat ist, schließen kann, daß alle Vertreter der FDR Christdemokraten sind, noch daß man aus dem Hinweis darauf, daß einzelne anderen Gruppierungen angehören, vielleicht auch irgendwelchen terroristischen Vereinigungen — ich weiß es nicht —, schließen kann, daß alle Christdemokraten terroristischer Sympathien verdächtigt werden können?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, diese Schlußfolgerung ist sicherlich richtig. Nichts ist gefährlicher als das gelegentlich auch in diesem Hause zu hörende pauschale Urteil über Befreiungsbewegungen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mertes.
Herr Staatsminister, können Sie dem Hause bestätigen, daß die in Rede stehenden Persönlichkeiten — sechs an der Zahl — nicht mehr Christdemokraten sind und daß sie innerhalb der christlich-demokratischen Partei El Salvadors eine winzige Minderheit waren?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es gibt in christdemokratischen Parteien gelegentlich Minderheiten, hinsichtlich derer ich es von dieser Stelle aus nicht wagen würde, sie nicht mehr als Mitglieder einer christdemokratischen Partei zu bezeichnen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von der Heydt Freiherr von Massenbach.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatminister, da Sie soeben den Begriff „Freiheitskämpfer" eingeführt haben und da Sie vorhin eine kleine Diskussion über den Begriff „Guerilla" hatten: Sind Sie der Meinung, daß es sich bei der Opposition in El Salvador um Freiheitskämpfer handelt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich glaube, der Kollege Voigt wollte darauf hinweisen, daß die Motivationen unter denjenigen, die hier in kämpferische Auseinandersetzungen verwickelt sind, äußerst unterschiedlich sind. Darunter gibt es sicherlich auch solche; das ist richtig.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.Ich rufe die Frage 143 des Abgeordneten Lorenz auf:Trifft es zu, daß die Bundesregierung einen ersten Grenzberichtigungsvertrag mit den Niederlanden abschließen will, und wenn ja, wie ist sichergestellt, daß durch das vorgesehene Verfahren nicht der Grundsatz verletzt wird, wonach Grenzfragen erst in einem Friedensvertrag geregelt werden können?Bitte, Herr Staatsminister.Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat am 30. Oktober 1980 einen Grenzberichtigungsvertrag mit den Niederlanden
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934 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981
Staatsminister Dr. von Dohnanyigeschlossen. Der Vertrag steht im Einklang mit Art. 7 des Deutschlandvertrages, da es sich nicht um Grenzänderungen, sondern um Grenzberichtigungen handelt.
Eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatsminister, wird bei allen solchen Verhandlungen — auch mit anderen Staaten in Ost oder West — immer der Grundsatz beachtet, wonach Grenzfragen erst in einem Friedensvertrag geregelt werden können?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Aber ganz selbstverständlich, soweit es sich um Grenzveränderungen und nicht um Grenzberichtigungen handelt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mertes.
Herr Staatsminister, ist nach Ihrer Auffassung die Regelung über den Mundatwald im deutsch-französischen Abkommen eine Grenzberichtigung oder eine Grenzveränderung? Nach Auffassung des Auswärtigen Ausschusses handelt es sich um eine Grenzveränderung.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, mir ist die rechtliche Zuordnung dieses einzelnen Vorgangs hier im Augenblick nicht geläufig. Ich weiß nur, daß der Vertrag, der dem Vorgang zugrunde liegt, wenn ich mich recht erinnere, im Jahre 1962 von der damaligen Regierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer abgeschlossen worden ist.
Ich rufe die Frage 144 des Herrn Abgeordneten Dr. Scheer auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß ein umfassender Atomteststoppvertrag der Kernwaffenstaaten, wie er seit Juli 1977 von den Kernwaffenstaaten USA, UdSSR und Großbritannien angestrebt wird, einen wesentlichen Schritt zur Verhinderung der horizontalen und vertikalen Proliferation darstellt, und hält sie die gegenwärtigen Bemühungen der Kernwaffenstaaten zur Erzielung eines entsprechenden internationalen Vertragswerks für ausreichend?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung teilt die von Ihnen ausgedrückte Auffassung. Die Bundesregierung unterstützt daher im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Bemühungen der Kernwaffenstaaten um einen solchen Vertrag. Diese Bemühungen sollten auch nach Auffassung der Bundesregierung verstärkt werden.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Scheer.
Sieht die Bundesregierung eventuelle Befürchtungen, daß durch neue technologische Entwicklungen auf dem Waffensektor möglicherweise neue Versuchsserien provoziert werden, und zwar von Waffen, die im Zusammenhang mit der Diskussion über die Neutronenwaffe auch mit uns zu tun haben könnten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, das ist eine sehr komplexe Frage. Ganz sicher ist niemals auszuschließen, daß neue Waffen auch neue Versuche auslösen. Aber auf den besonderen Tatbestand, auf den Sie hingewiesen haben, möchte ich hier nicht Bezug nehmen.
Eine weitere Zusatzfrage? — Nicht.
Ich rufe die Frage 145 des Herrn Abgeordneten Dr. Scheer auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, durch geeignete Initiativen im Rahmen der europäisch-politischen Zusammenarbeit, der Genfer Abrüstungskonferenz oder der Vereinten Nationen und in Kooperation mit den Nichtkernwaffenstaaten den Abschluß eines umfassenden Atomteststoppvertrags voranzutreiben'?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Der Fortschrittsbericht der drei Verhandlungspartner, also der Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritanniens und der Sowjetunion, vom 30. Juli 1980 über den Stand der Verhandlungen sagt — ich darf, Herr Präsident, mit Ihrer Genehmigung zitieren —:
Die drei verhandelnden Parteien sind in ihrem Bestreben nach einem zuverlässigen Vertrag weit vorangekommen und sind weiterhin der Ansicht, daß ihre trilateralen Verhandlungen den besten Ansatz für Fortschritte bieten. Sie sind entschlossen, ihre Anstrengungen mit der nötigen Willenskraft und Beharrlichkeit fortzusetzen, um die Verhandlungen zu einem baldigen und erfolgreichen Abschluß zu bringen.
Nach Ansicht der Bundesregierung gibt es daher zur Zeit keine Möglichkeit, andere Gremien mit den Verhandlungen zu befassen, ohne die Verhandlungen der genannten drei Kernwaffenstaaten zu stören.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Scheer.
Wie sieht die Bundesregierung die Gefahr, die sich bei der letzten Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags in Genf andeutete, daß einzelne Nichtkernwaffenstaaten auf Distanz zu diesem Vertragswerk gehen, wenn es nicht alsbald zu einem Teststoppabkommen umfassenderer Art kommt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Wenn es nicht zu einem solchen Abkommen kommt, so kann dies ein Beitrag zu der Gefahr sein, die Sie beschrieben haben. Daß diese Gefahr besteht, Herr Kollege, ist unbestreitbar. Hierauf haben zahlreiche Regierungen, u. a. die Bundesregierung, in Genf ausdrücklich hingewiesen. Auch in den Schlußfolgerungen der Präsidentschaft in Genf ist auf diese Gefahr ganz ausdrücklich verwiesen worden.
Die zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Scheer.
Aus welchem Grund ist es bei der Überprüfungskonferenz in Genf nicht zu einem formellen Abschluß mit einer gemeinsamen Erklärung gekommen und ist auch ein Vertagungsantrag,
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981 935
Dr. Scheerum solche Probleme klären zu helfen, nicht zustande gekommen?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Unter anderem, Herr Kollegen, wegen der Schwierigkeiten und Probleme, auf die Sie selber hingewiesen haben.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Mertes.
Herr Staatsminister, nach diesen beiden erfreulichen Fragen des Kollegen Scheer und Ihren Antworten möchte auch ich eine Frage zum Thema Nonproliferation stellen. Sind Sie der Auffassung, daß es für den Gedanken der Nichtverbreitung der Kernwaffen günstig wäre, wenn die Sowjetunion, so wie es die beiden anderen Erstunterzeichner dieses Vertrags, nämlich USA und England, tun, ihrerseits Kontrollen ihrer zivilen Kernenergieanlagen zustimmen würde?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Vereinbarungen in diesen Bereichen können auf die Dauer nur wirksam sein, wenn Verifikationen und Kontrollen möglich sind. Jeder, der sich Verifikationen und Kontrollen entzieht, erschwert das Schaffen vertrauenbildender Maßnahmen und den Abschluß von Verträgen, wie sie hier gewünscht werden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 146 des Herrn Abgeordneten Schreiner auf:
Ist es richtig, daß der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Obervolta sich in seinem Bericht Nr. 570/80 über die Hungerkatastrophe in der Sahel-Zone u. a. wie folgt ausgelassen hat: „Durch völliges Absehen von Eingriffen in die Natur dieser Region ... Das hieße ferner, daß sich der Viehbestand und die Bevölkerung verringern müßten, bis das Gleichgewicht des ,Besatzes` und der Ressourcen wiederhergestellt wäre. Dies könnte durch weitere Katastrophen oder durch Abwanderung an andere Stellen geschehen."?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Der Botschaftsbericht ist, wenn man das angebliche Zitat im Zusammenhang sieht, nicht so zu verstehen, Herr Kollege, wie Sie ihn hier interpretiert haben. Der Bericht macht auf Ungleichgewichte aufmerksam, die durch äußere Einwirkungen, durch menschliches Handeln entstanden sind, und verweist darauf, daß diese Ungleichgewichte beseitigt werden müssen, wenn eine dauerhafte Lösung für die Sahel-Zone gefunden werden soll.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schreiner.
Herr Staatsminister, würden Sie nicht doch mit mir annehmen, daß der Bericht des Botschafters zumindest Hungersnöte billigend in Kauf nimmt, wenn man u. a. an den Satz von ihm erinnert, der da lautet:
Es bleibt wohl nichts anderes übrig, als auf eine umfassend gelenkte Sanierung der Sahel zu verzichten und auf eine natürliche Reduzierung des „Besatzes" bei gleichzeitigen flankierenden Maßnahmen zu hoffen.
Würden Sie mir zustimmen, daß dieser Satz gar nicht anders als in dem Sinne interpretierbar ist, daß der Botschafter in seinem Bericht eine Verringerung der Bevölkerung u. a. durch Hungersnöte billigend in Kauf nehmen will?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, der Bericht des Botschafters ist so nicht zu verstehen. Ich verweise darauf noch einmal. Ich könnte Ihnen hier zahlreiche Zitate vorlesen, die deutlich machen, mit welcher Besorgnis der Botschafter die Entwicklung in der Region verfolgt.
Im übrigen bitte ich, Herr Präsident, bei der Gelegenheit eine Bemerkung machen zu dürfen. Sie müssen, Herr Kollege, einem Botschafter schon die Möglichkeit geben, generell auch kritisch seine Meinung zu bestimmten Tatbeständen vertraulich berichten zu dürfen. Wenn wir damit anfangen, Berichte von Botschaftern im Deutschen Bundestag in dieser Weise zu zitieren, dann werden wir bald von den Botschaftern nur noch Berichte haben, von denen niemand mehr etwas lesen möchte.
Denn das, was dann darin steht, Herr Kollege, haben Sie schon vorher in der Zeitung gelesen.
Noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schreiner.
Noch eine Zusatzfrage! Herr Staatsminister ist Ihnen bekannt, daß die von mir gebrachten Zitate vorher bereits in der Presse bekannt gewesen sind, so daß ich nur darauf Bezug genommen habe? Meine Frage: sind Sie mit mir der Auffassung, daß Berichte solcher Art, wenn sie an die Öffentlichkeit gelangen, geeignet sind, der Bundesrepublik Deutschland schweren Schaden zuzufügen? Und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dies in Zukunft zu verhindern?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich teile Ihre Meinung nicht. Ich bin der Auffassung, nachdem Sie die Angelegenheit jetzt hier im Hause aufgegriffen haben, daß die Möglichkeit besteht, auf den Zusammenhang hinzuweisen; ein solcher Bericht wird der Bundesrepublik Deutschland keinen Schaden zufügen. Der Botschafter war darum besorgt, für die Sahel-Zone eine Lösung zu finden, die den Menschen erlaubt, dort zu leben. Es gibt keine Stelle in diesem Bericht, die dahin gehend zitiert werden könnte, daß etwa der deutsche Botschafter eine Möglichkeit ins Auge gefaßt hätte, wie Sie sie hier aus dem Zusammenhang zitiert haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Thüsing.
Herr Staatsminister, kann ich trotz dem, was Sie erläuternd erklärt haben — und was man unterstützen kann —, davon ausgehen, daß Sie bei der Ausbildung des Personals des Auswärtigen Amtes darauf hinwirken, daß solche Berichte, wie sie hier zur Diskussion stehen, nicht — auch nicht teilweise — in Sprache und Terminologie der alten
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936 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981
ThüsingVölkerkunde abgefaßt werden, die, wie wir wissen, von rassistischen Elementen nicht frei ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es ist sicher immer gut, wenn jeder, der etwas aufschreibt oder sagt — das gilt für uns alle hier im Haus —, bei jeder Gelegenheit darauf achtet, ob er nicht eventuell durch ein Wort mißverstanden werden könnte. Das muß sich jeder vornehmen, und das gilt natürlich auch für den Botschafter.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mertes.
Herr Staatsminister, nachdem ein Bericht eines Botschafters der Bundesrepublik Deutschland in der Presse selektiv zitiert und hier wertend behandelt worden ist, frage ich: halten Sie es nicht für eine Fürsorgepflicht des Auswärtigen Amtes, jetzt diesen Bericht in voller Länge allen Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses und des Entwicklungshilfeausschusses zur Verfügung zu stellen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wenn ein Bedürfnis daran besteht, werde ich das gerne tun.
Keine Zusatzfrage mehr. Ich rufe die Frage 147 des Abgeordneten Schreiner auf:
Wenn ja, ist die Bundesregierung auch der Auffassung, daß dieses zutiefst menschenverachtende Verhalten nur die unverzügliche Entlassung des Botschafters zur Folge haben kann?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wie sich bereits aus der Antwort auf Ihre erste Frage ergibt, erlaubt das aus dem Zusammenhang genommene Zitat keinen Schluß auf ein menschenverachtendes Verhalten.
Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 148 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:
Beeinflußt die Haltung der christlich-demokratischen Parteien zu dem militärisch/zivilen Regime von Jose Napoleon Duarte in El Salvador die Politik der Bundesregierung?
Bitte.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung bezieht die Ansichten aller im Bundestag vertretenen Parteien in ihre Überlegungen ein. Ich habe z. B. die Absicht, kurz nach dem Ende dieser Fragestunde zu Herrn Geißler zu gehen und mich bei ihm über seine Eindrücke in El Salvador zu erkundigen. Es ist ganz selbstverständlich, daß wir alle Auffassungen in unsere eigene Meinungsbildung einbeziehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Thüsing.
Herr Staatsminister, weiß die Bundesregierung, daß große Teile der katholischen Kirche in El Salvador gegen die Junta kämpfen und daß beispielsweise erst vor wenigen Tagen der Leiter des juristischen Hilfsdienstes des erzbischöflichen
Ordinariats von San Salvador erklärte, daß die Duarte-Gruppe eine „aus nur neun Mitgliedern bestehende christdemokratische Partei sei, die der ermordete Erzbischof von San Salvador, Romero, als Verräter bezeichnet" habe?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, diese Tatbestände sind der Bundesregierung bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung des früheren christdemokratischen Ministerpräsidenten von El Salvador, Ruben Zamora, zu, der bei einem Besuch in der Bundesrepublik im vergangenen Jahr versicherte, die Junta seines Landes betreibe eine Politik des Völkermordes?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich glaube, daß es mir hier an dieser Stelle nicht zusteht, ein pauschales Urteil oder ein Urteil, das nur in einem Wort zusammengefaßt ist, zu übernehmen. Aber es ist ganz sicherlich so, daß die Bundesregierung weiß, in welchem Umfang massenhafte Morde in El Salvador geschehen sind und daß daran in bestimmten Fällen alle Seiten — aber eben auch die Junta — beteiligt waren.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hennig.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, dem Kollegen Thüsing das Ergebnis der gestrigen Beratungen des Auswärtigen Ausschusses, die ich hier nicht zitieren darf, weil sie der Geheimhaltungsstufe VS-Vertraulich unterliegen, insoweit zur Kenntnis zu geben, als es dort eine inhaltlich voll übereinstimmende Lageanalyse durch die Bundesregierung und durch die Opposition dieses Hauses gegeben hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, daß dies der Fall gewesen sei, ist mir so nicht berichtet worden. Das halte ich auch, wenn ich das sagen darf, für eine etwas einseitige Einvernahme der Bundesregierung.
— Herr Kollege, ich habe gesagt, was mir berichtet worden ist. Ich habe mich heute vor der Fragestunde natürlich sehr sorgfältig über die gestrige Sitzung des Auswärtigen Ausschusses informiert.
Aber, Herr Kollege, richtig ist, daß gestern im Auswärtigen Ausschuß offenbar eine sehr intensive Diskussion stattgefunden hat und daß es sicherlich nützlich wäre, wenn diejenigen, die an diesen Fragen besonders interessiert sind, sich die entsprechenden Aufzeichnungen ansehen könnten.
Zusatzfrage, Graf Stauffenberg.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981 937
Herr Staatsminister, hält die Bundesregierung an den Äußerungen und Informationen fest, die Ihre Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher noch vorgestern unserem Kollegen Linsmeier gegeben hat, mit denen sie beispielsweise darauf hinwies — ich zitiere jetzt dem Sinn nach —, daß die Tatsache, daß die Regierung Duarte noch amtiert, wesentlich darauf zurückzuführen sei, daß die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung nicht gewillt sei, sich auf die Seite der Opposition zu schlagen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, mir ist das wörtliche Zitat jetzt nicht zugänglich.
Ich bin sicher, daß sich der Zusammenhang, der in diesem Schreiben gemeint ist, darauf bezieht, daß sich an bestimmten Vorhaben der Opposition — z. B. an dem Generalstreik — nur ein kleiner Teil der Bevölkerung beteiligt hat. Welche Schlußfolgerungen man daraus zu ziehen hat, kann nur bei einer sehr sorgfältigen Analyse der Lage festgestellt werden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Voigt.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich als einer der Beteiligten an dieser Sitzung die differenzierte Einschätzung der Bundesregierung im Unterschied zu der der Opposition teile und daß man der differenzierten Diskussion im Ausschuß sehr wenig gerecht wird, wenn man sie undifferenziert im Plenum für Parteizwecke instrumentalisiert?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Voigt, ich halte das mehr für eine Art Pingpong an diese Regierungsbank und zurück an die Kollegen der Opposition. Mir steht es nicht zu, eine Bewertung dessen vorzunehmen, was gestern im Auswärtigen Ausschuß stattgefunden hat. Die Information, die ich bekommen habe, gibt auf jeden Fall ein sehr differenziertes Bild über die Einschätzung der Lage dort.
Zusatzfrage des Abgeordneten Mertes.
Herr Staatsminister, halten Sie es im Interesse einer differenzierten Diskussion über El Salvador in unserem Lande nicht für zweckmäßig, daß die politische Substanz der gestrigen Analysen und Bewertungen in der Bundesregierung nicht nur in vertraulicher Sitzung dem Auswärtigen Ausschuß, sondern der deutschen Öffentlichkeit bekanntgegeben wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir sind gegenwärtig in einem Meinungsbildungsprozeß, der gestern u. a. im Auswärtigen Ausschuß stattgefunden hat. Dieser Meinungsbildungsprozeß findet nicht nur in diesem Lande, sondern auch in den Vereinigten Staaten statt. Hierzu gibt es auch einen Meinungsaustausch, der vermutlich — ich sage das wieder differenziert — nicht in allen Punkten von Anfang an von einer übereinstimmenden Analyse ausgehen wird. Aus diesem Grunde möchte ich bitten, daß man zunächst einmal den Meinungsbildungsprozeß abwartet, ehe man Festlegungen in der Öffentlichkeit vornimmt.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von der Heydt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, darf ich Ihre Unterrichtung über den Verlauf der gestrigen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses insofern vervollständigen und Ihnen dabei helfen, ein etwas umfangreicheres Bild zu bekommen, indem ich Ihnen mitteile, daß sich die Übereinstimmung im wesentlichen zwischen der Bundesregierung und der Opposition dieses Hauses ergeben hat und daß die Differenzierungen zwischen der SPD- und der CDU/CSU-Gruppe im Auswärtigen Ausschuß zu erkennen gewesen sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann Sie nicht daran hindern, die Bundesregierung mit den optimistischen Augen der Opposition zu betrachten. Ich bin aber ganz sicher, daß die Differenzierungen der Vorgänge in El Salvador, die mir aus der Beurteilung der Bundesregierung heraus, aus den Beratungen, die wir im Kabinett und im Auswärtigen Amt über diese Frage geführt haben, bekannt sind, auf jeden Fall auch hier im Hause zu einer sehr differenzierten Auffassung führen würden und nicht notwendigerweise allein zur Übereinstimmung mit der Opposition.
Zusatzfrage des Abgeordneten Hupka.
Herr Staatsminister, macht sich die Bundesregierung die Analyse der Situation in El Salvador nicht dadurch schwer, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht durch einen eigenen Botschafter vertreten ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich glaube, das ist nicht der Fall, weil wir zahlreiche Möglichkeiten haben, uns zu informieren. Der Grund — das wurde gestern im Auswärtigen Ausschuß wohl ausdrücklich festgestellt — für die Abwesenheit des Botschafters liegt in der Sicherheitslage im Lande. So ist das auch gestern begründet und, ich nehme an, auch verstanden worden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Linsmeier.
Herr Staatsminister, teilen Sie die Auffassung Ihrer Kollegin Frau Dr. Hamm-Brücher, die mir in dem vorher zitierten Schreiben mitgeteilt hat — ich darf mit Genehmigung wörtlich zitieren —: „Die USA und Venezuela sehen in der gegenwärtigen Regierung" — gemeint ist die Regierung Duarte — „am ehesten die Chance einer gemäßigten Entwicklung mit den unerläßlichen Reformen und einer demokratisch-politischen Öffnung"?
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938 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981
LinsmeierSehen Sie das ebenso, und teilen Sie diese Auffassung, die hier in bezug auf die Vereinigten Staaten dargestellt wurde?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wenn ich den Brief, den Sie jetzt zitieren, richtig in Erinnerung habe, fährt er fort, daß z. B. aus Nicaragua oder aus Kuba heraus die Lage anders beurteilt wird. Ich möchte hinzufügen: nach meiner Kenntnis auch aus Mexiko heraus anders beurteilt wird. Es gibt also eine differenzierte Beurteilung in der Region. Es gibt gewisse Übereinstimmungen zwischen Venezuela und den Vereinigten Staaten. Mir scheint — ich habe das vorhin schon dem Kollegen Mertes gesagt —, daß der Meinungsbildungsprozeß, der gegenwärtig stattfindet, zunächst einmal abgewartet werden sollte, ehe wir ein Urteil z. B. über die Politik der Vereinigten Staaten abgeben, weil auch dort die Meinungsbildung noch in vollem Gange ist.
Keine Zusatzfragen mehr.
Ich rufe die Frage 149 des Abgeordneten Thüsing auf:
Ist die Bundesregierung bereit, auf den NATO-Partner USA einzuwirken, künftig keine Waffen und Militärberater mehr in den mittelamerikanischen Staat El Salvador zu entsenden?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung spricht mit den USA über El Salvador. Uns liegt daran, daß der Konflikt in El Salvador durch Reformen und demokratische Entscheidungen beigelegt wird.
Eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung im Zusammenhang mit der US-Militärhilfe beispielsweise die Auffassung des schwedischen Außenministers Ola Ullsten, der kürzlich bei einem Empfang für Vertreter der salvadorianischen Oppositionsbewegung FDR in Stockholm die Ansicht geäußert hat, die US-Militärhilfe sei „in keiner Weise dem Frieden förderlich", sondern führe nur zu weiteren Kämpfen, und ist die Bundesregierung bereit, mit anderen westeuropäischen Regierungen mit dem Ziel zusammenzuarbeiten, die militärische Unterstützung der Junta zu beenden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es gibt auch in der Europäischen Gemeinschaft zu diesen Fragen eine differenzierte Auffassung. Sicherlich ist richtig, daß die Bundesregierung der Auffassung ist: Waffen können nicht der vorrangige Beitrag zur Stabilisierung und Entwicklung Zentralamerikas sein.
Die Entwicklung in Nicaragua ist nicht von außen ausgelöst worden, sondern durch eine notwendige Befreiung von innen. Der Zwang zu Reformen besteht auch in El Salvador.
Darüber, wie man nun den friedlichen Weg in die Reformen finden kann, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Die Bundesregierung ist — ich wiederhole das — dabei, sich hierzu ihre Meinung auch in Zusammenarbeit mit anderen Staaten in der Europäischen Gemeinschaft und mit den Vereinigten Staaten zu bilden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing? — Bitte.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß inzwischen auch US-
Kongreßabgeordnete die militärische Unterstützung ihres Landes für El Salvador kritisieren und — wie beispielsweise die demokratische Abgeordnete Barbara Mikulski nach einer Reise nach El Salvador — davon überzeugt sind, „daß die Militärhilfe aus den Vereinigten Staaten zu dem Morden und der Folterung unschuldiger Menschen beiträgt"?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe einen umfassenden Bericht über die Reise der amerikanischen Kollegin nach El Salvador gelesen. Ich war von diesem Bericht beeindruckt. Aber das ist, wie gesagt, ein Beitrag zur Analyse der dortigen Lage. Ich kann nicht das Urteil von Kollegen über Dinge übernehmen, die ich nicht im einzelnen selbst gesehen habe.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schreiner.
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung Anhaltspunkte dafür vor, daß eine militärische Intervention der USA ernsthaft erwogen wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Nein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Herr Staatsminister, billigt die Bundesregierung, daß in der Bundesrepublik Deutschland öffentlich für Spendeneinzahlungen zum Zwecke der Beschaffung von Waffen für die kriegführende Opposition in El Salvador geworben wird, und hält die Bundesregierung diese Art von öffentlichen Aufrufen und diese Praxis, die im übrigen auch die Erteilung von Spendenquittungen in Aussicht stellt, für mit den Gesetzen der Bundesrepublik übereinstimmend?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann mich hier nur zu einem Aspekt Ihrer Frage äußern. Es steht, wie mit scheint, der Bundesregierung nicht zu, ein Urteil darüber abzugeben, wie sich einzelne Bürger im Lande in der Dritten Welt engagieren. Daß es in der Dritten Welt gelegentlich notwendig war und notwendig ist, die Freiheit mit der Waffe zu erstreiten, unterliegt wohl gar keinem Zweifel. Auch die Vereinigten Staaten von Amerika sind übrigens einmal mit der Waffe von Kolonialherrschaft befreit worden. Auch Sie persönlich, Herr Kollege,
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981 939
Staatsminister Dr. von Dohnanyihaben sicher Verständnis dafür, daß man gelegentlich für die Freiheit zur Waffe greifen muß.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hennig.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung starke Anzeichen dafür, daß es — im Vergleich zu den hier in Rede stehenden 5,7 Millionen Dollar Militärhilfe, bei denen man sich unschwer ausrechnen kann, was man dafür bekommen kann — sehr viel umfangreichere Waffenlieferungen aus Staaten des Ostblocks an die Opposition in El Salvador gibt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, darüber gibt es keine zuverlässigen Erkenntnisse, die mir vorliegen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, darf ich Ihre Anwort an den Kollegen Thüsing, daß die Bundesregierung eine Lösung der dortigen Frage u. a. durch Reformen für notwendig hält, so verstehen, daß die dort zur Zeit im Gang befindliche Agrarreform, von der wir wissen, daß sie von der Bundesregierung positiv beurteilt wird, auch die notwendige Unterstützung der Bundesregierung erfahren wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, nach meiner Kenntnis — aber ich bin selbstverständlich kein Experte für El Salvador — liegt das Problem der Agrarreform darin, daß sie zwar angefangen und proklamiert ist, aber nicht wirklich durchgeführt wird. Es gibt offenbar auch innerhalb der Junta Kräfte, die sich dieser Reform entgegenstellen. Hierin liegt, soviel ich weiß, einer der Gründe für die Fortsetzung der gewaltsamen Auseinandersetzungen. Selbstverständlich würden wir, soweit wir das können, gern dazu beitragen, daß die versprochenen Reformen auch durchgeführt werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Mertes.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung Möglichkeiten die Bemühungen um eine gerechte Agrarreform in El Salvador ohne die Entsendung von Experten dorthin zu unterstützen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich glaube, das hängt von der Gesamtbeurteilung der Lage ab. Sie haben gestern im Auswärtigen Ausschuß gehört, wie wir uns gegenwärtig zu den Vorgängen dort verhalten. Ich unterstreiche noch einmal: Hier verfolgt die Bundesregierung eine Politik, wie sie sie generell gegenüber gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Welt, insbesondere in der Dritten Welt, betreibt. Sie versucht, ihren Beitrag dazu zu leisten, daß die Ursachen der Gewalt, in diesem Fall der Mangel an Gerechtigkeit und an sozialen Reformen, beseitigt wird, um auf diese Weise die
Grundlage für eine soziale und politische Stabilität ohne Gewalt zu schaffen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Voigt.
Herr Staatsminister, nachdem die Ausgangsfrage ja auf das Verhalten der USA abzielte, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung es für nützlich hielte, wenn alle Staaten und Regierungen, die auf die Entwicklung in El Salvador eventuell Einfluß haben könnten, mit beiden am Konflikt beteiligten Parteien Gespräche führten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, dies ist — ich sage das ganz ausdrücklich — so. Wir haben uns inzwischen auch bei unseren amerikanischen Freunden für ein solches Verhalten ausdrücklich eingesetzt.
Es liegt keine Zusatzfrage mehr vor. Ich rufe die Frage 150 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Woher leitet die Bundesregierung den Anspruch ab, die Entscheidung eines Friedensvertrags über die Grenzen Deutschlands bereits vorwegzunehmen und damit zu präjudizieren, wenn Staatsminister Dr. von Dohnanyi in einem Interview erklärt, daß das Ergebnis des Friedensvertrags bereits feststeht?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, an der Haltung der Bundesregierung hat sich selbstverständlich nichts geändert. Auch in dem Interview, das ich gegeben habe, wird die Haltung der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesregierung ausdrücklich noch einmal bestätigt. Ich' kann, ehrlich gesagt, den Grund für Ihre Frage gar nicht verstehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, wenn ich Sie zunächst einmal zitieren darf. Da heißt es: Selbstverständlich wird es dann dazu kommen, beim Friedensvertrag, daß die Westgrenze Polens bestätigt wird. Steht es in Übereinstimmung mit dem Deutschlandvertrag, demzufolge erst in einem Friedensvertrag endgültig über Deutschlands Grenzen entschieden werden kann, wenn Sie solche Erklärungen abgeben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe eine politische Einschätzung der Lage zu dem Zeitpunkt abgegeben, zu dem ein Friedensvertrag geschlossen werden wird. In der Hoffnung, daß wir beide dies erleben, würde ich sagen: Es wird dann so sein, wie ich dies vorausgeschätzt habe.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hupka.
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940 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, was die Bundesregierung bei der Einbringung der Ostverträge selber erklärt hat: daß diese Verträge nicht dahin gehend ausgelegt werden dürfen, daß damit ein Präjudiz für einen künftigen Friedensvertrag ausgesprochen würde, und daß es auf keinen Fall Anerkennungsverträge seien, während Ihre Erklärung so auszulegen ist, daß der Friedensvertrag eigentlich schon vorweggenommen ist und das Ergebnis feststeht?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, meine Erklärung ist nicht so zu interpretieren, ich sage das noch einmal. Im übrigen habe ich Ihnen die Haltung der Bundesregierung zu dieser Frage in diesem Hause vermutlich schon dreißigmal bestätigt, und ich mache das jetzt zum einunddreißigstenmal.
Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, da Sie bestimmt auch schon mehr als dreißigmal in diesem Hause in der Fragestunde erklärt haben, daß sich die Bundesregierung nicht in der Lage sehe, auf hypothetische Fragen zu antworten und Spekulationen nachzugehen, möchte ich Sie fragen: Was hat Sie denn in diesem Falle veranlaßt, auf eine solche hypothetische Frage — denn im Augenblick wird j a sicher über einen solchen Friedensvertrag gar nicht verhandelt oder gesprochen — plötzlich doch inhaltlich zu antworten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe hier ein Interview in einer Zeitschrift gegeben, die sich „Auslandskurier" nennt. Es ist, wie Sie wissen, schon ein verfassungsmäßiger Unterschied, ob ich als Staatsminister der Bundesregierung von dieser Stelle aus Antwort auf eine hypothetische Frage gebe, oder ob ich in einem Interview zu wahrscheinlichen politischen Entwicklungen etwas sage. Der Unterschied, Herr Kollege, ist Ihnen sicherlich nicht nur rechtlich, sondern auch politisch so geläufig, daß ich ihn nicht weiter zu erläutern brauche.
Zusatzfrage des Abgeordneten Laufs.
Herr Staatsminister, können Sie dem Hause mitteilen, wer die Zeitschrift „Auslandskurier" finanziert und trägt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich könnte das tun; aber wenn Sie damit unterstellen wollen, daß jemand, der zahlt, deswegen auch die Inhalte bestimmt, so gilt das nicht in jedem Falle. Auch in diesem „Auslandskurier" besteht die Möglichkeit einer freien Äußerung der Presse.
Zusatzfrage des Abgeordneten Mertes.
Herr Staatsminister, habe ich Ihre eigene Qualifikation Ihrer Äußerungen im „Auslandskurier" so zu verstehen, daß Sie dennoch betonen, daß Nichtpräjudizierung sowohl formale wie materielle Nichtpräjudizierung eines Friedensvertrages zum Inhalt hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Sie verübeln es mir nicht, wenn ich sage: Zum zweiunddreißigstenmal, ja.
Zusatzfrage des Abgeordneten Hennig.
Herr Staatsminister, können Sie mir bestätigen, daß sich das Wiedervereinigungs- und Einheitswahrungsgebot des Grundgesetzes auch auf die Gebiete erstreckt, die Sie hier im Auge gehabt haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe die Haltung der Bundesregierung zu dieser Frage hier wiederholt dargestellt und ich unterstreiche noch einmal das, was ich in diesem Zusammenhang mehrfach hier gesagt habe.
Zusatzfrage des Abgeordneten Lowack.
Herr Staatsminister, halten Sie es nicht für einen Fehler, den möglichen Verhandlungsspielraum bei Friedensverhandlungen dadurch einzuengen, daß Sie bereits heute die Bundesregierung in verantwortlicher Stellung — wenn auch nur in einem nichtoffiziellen Blatt — festlegen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Antwort ist ganz klar: Nein.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers des Auswärtigen. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf.
Ich darf mitteilen, daß die Fragesteller der Fragen 45, 46 und 47 ihre Fragen zurückgenommen haben.
Zur Beantwortung steht die Frage 48 des Abgeordneten Jagoda:
Trifft es zu, daß der Beauftragte der Bundesrepublik Deutschland gegen die vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf erteilten Asylberechtigungen für türkische Burger, die wegen ihres Glaubens ihr Land verließen, Einsprüche erhoben hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, es trifft zu, daß der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten früher in einer Reihe von Fällen gegen stattgebende Entscheidungen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bezüglich Christen aus der Türkei Rechtsmittel eingelegt hat. Das beruhte vor allem darauf, daß seinerzeit der Tatbestand einer kollektiven Verfolgung verneint wurde. Ich weise in diesem Zusammenhang auch auf die Ausführungen des Vertreters der Bundesregierung in den Fragestunden des Deutschen Bundestages am 8. April und am 25. April 1980 hin. Neue Erkenntnisse über die Situation der Christen in der Türkei und im Zusammenhang damit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juli 1980 haben
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981 941
Parl. Staatssekretär von Schoeleraber diese frühere Beurteilungslage rechtlich und tatsächlich wesentlich verändert und das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge veranlaßt, vor allem seit längerem dort anhängige Verfahren von Christen aus der Türkei zu entscheiden. Im Interesse der Betroffenen sind vom Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten grundsätzlich gegen stattgebende Entscheidungen des Bundesamtes keine Rechtsmittel eingelegt worden. Mittlerweile vorliegende Äußerungen zur Situation der christlichen Türken in der Türkei haben aber zu einem Überdenken Anlaß gegeben, ob auf eine generelle Verfolgungssituation der türkischen Christen abgestellt werden kann. Da zudem vom bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu dieser Frage im März dieses Jahres eine Grundsatzentscheidung zu erwarten ist, hat das Bundesamt die Entscheidung in anhängigen Verfahren nochmals ausgesetzt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Jagoda.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, früher habe der Beauftragte das gemacht, können Sie konkretisieren, ab wann?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die ich in meiner Antwort auf Ihre Frage zitiert habe.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen; daß Bürger der türkischen Republik, die in die Bundesrepublik Deutschland kommen und aus christlichen Gründen um Asyl bitten, dieses zur Zeit und in Zukunft auch gewährt bekommen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jagoda, nur um einem Mißverständnis vorzubeugen, muß ich Sie darauf hinweisen, daß in der Bundesrepublik Deutschland nicht die Bundesregierung darüber entscheidet, ob jemand als politisch Verfolgter anerkannt wird und Asyl gewährt bekommt. Diese Entscheidung wird von dem weisungsunabhängigen Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf gefällt. Sie ist dann gerichtlich überprüfbar. In letzter Instanz entscheiden also die Gerichte über die Frage, die Sie aufgeworfen haben. Deshalb wird die Beantwortung Ihrer Frage ganz wesentlich davon abhängen, wie der bayerische Verwaltungsgerichtshof in dem ihm zur Entscheidung vorliegenden Einzelfall entscheidet. In jedem Fall kann Ihnen die Frage nicht von der Bundesregierung beantwortet werden.
Dann bedaure ich, — —
Entschuldigen Sie, Herr Abgeordneter. Sie haben nur zwei Zusatzfragen.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Die Fragen 49 und 50 des Abgeordneten Menzel, 51 und 52 des Abgeordneten Dr. Langner sowie 53 und 54 des Abgeordneten Repnik werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 55 des Abgeordneten Voigt auf:
Müssen nach Auffassung der Bundesregierung für chemische Großbetriebe und deren Umgebung Pläne für den Fall von Unfällen erstellt werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Voigt, ich wäre dankbar, wenn ich Ihre beiden Fragen zusammenfassend beantworten dürfte.
Sind Sie einverstanden, Herr Abgeordneter?
Ich möchte diesen Dank gerne einheimsen.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Voigt auf:
Sollte vorgeschrieben werden, daß Pläne für den Fall von Unfällen in chemischen Großbetrieben zumindest insofern öffentlich bekanntgemacht werden müssen, als von der Bevölkerung in der Umgebung dieser chemischen Großbetriebe bestimmte Schutzmaßnahmen und Verhaltensweisen für den Fall von chemischen Unfällen erwartet werden?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 der am 1. September 1980 in Kraft getretenen Störfallverordnung sind die Betreiber bestimmter Anlagen verpflichtet, betriebliche Alarm- und Gefahrenabwehrpläne aufzustellen, die mit der örtlichen Katastrophenschutz- und Gefahrenabwehrplanung in Einklang stehen. Diese Verpflichtung trifft auch Betreiber chemischer Großbetriebe.
Der Alarm- und Gefahrenabwehrplan dient der Begrenzung von Schadensfolgen, wenn trotz aller Vorkehrungen ein Störfall eingetreten ist.
Was Ihre zweite Frage betrifft, so sieht die Störfallverordnung vor, daß künftig bei Anlagegenehmigungen oder wesentlichen Änderungen eine Sicherheitsanalyse als Antragsunterlage vorzulegen ist. In dieser Analyse müssen auch Angaben über die Alarm- und Gefahrenabwehrplanung bei Störfällen enthalten sein. Nach den im Bundes-Immissionsschutzgesetz enthaltenen Verfahrensbestimmungen müssen grundsätzlich sämtliche Antragsunterlagen öffentlich bekanntgemacht werden. Insofern besteht kein Bedürfnis für eine Neuregelung.
Bei bestehenden genehmigungsbedürftigen Anlagen besteht nach der Störfallverordnung keine Verpflichtung zur öffentlichen Bekanntgabe von Alarm- und Gefahrenabwehrplänen. In der betrieblichen Praxis zahlreicher Unternehmen werden jedoch Pläne für Großschadensereignisse den Betroffenen bekanntgegeben und mit der Nachbarschaft diskutiert. Darüber hinaus wird zunehmend die Notwendigkeit erkannt, Übungen für den Ernstfall mit der Nachbarschaft zu planen und durchzuführen.
Die betriebliche Alarm- und Gefahrenabwehrplanung ist oftmals durch Vereinbarung mit den zuständigen örtlichen Behörden verbindlich gemacht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Voigt.
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942 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1981
Herr Staatssekretär, nachdem es bereits häufiger vorgekommen ist, daß die Polizei, die Feuerwehr und zum Teil sogar auch die im Betrieb dafür Zuständigen erst durch die Bevölkerung in der Umgebung auf eventuelle Schäden innerhalb des Werkes aufmerksam gemacht wurden, ist es dann nicht richtig, daß von den Großbetrieben sehr frühzeitig und auch bereitwillig auf eventuell mögliche Schadensentwicklungen und damit im Zusammenhang stehende Katastrophenpläne hingewiesen wird?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Voigt, das ist ein Ziel der von mir erwähnten Störfallverordnung, die auch spezielle Meldepflichten für solche Störfälle vorsieht, u. a. auch mit dem Ziel, diese Störfälle unter dem Gesichtspunkt auszuwerten, ob weitere Sicherheitsanforderungen zur Vorbeugung gegen betriebliche Schadensfälle erforderlich sind.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ist es Ihrer Meinung nach erforderlich, daß in der Umgebung von chemischen Großwerken Meßstationen errichtet werden, damit nicht nur auf Grund von Meßdaten innerhalb von Betrieben, sondern auch auf Grund von öffentlich kontrollierten Meßdaten in der Umgebung von Betrieben über Immissionsauswirkungen, aber auch in bezug auf sonstige Schadensauswirkungen frühzeitig Alarmmeldungen herausgehen können?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Voigt, ich bitte um Verständnis, daß ich Ihnen auf diese Frage, die außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Bundesregierung liegt, keine erschöpfende Auskunft geben kann.
Grundsätzlich versucht die Störfallverordnung, alles das vorzuschreiben, was notwendig ist, um einen umfassenden Überblick über mögliche betriebliche Schadensfälle zu erlangen. Darüber hinaus ist es natürlich wünschenswert, daß die örtlichen Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden alles tun, was in ihrer Macht steht, um zusätzliche Kontrollen durchzuführen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung bekannt, ob in der Umgebung von Großbetrieben z. B. der Hoechst AG, bereits solche Meßstationen eingerichtet worden sind?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Voigt, das kann ich Ihnen im Augenblick nicht sagen. Ich bin aber bereit, bei den zuständigen hessischen Behörden nachzufragen und Ihnen die Antwort zu übermitteln.
Keine Zusatzfragen mehr. Die Fragen 37 bis 44, 78, 90 bis 94, 109 bis 111 und 120 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die übrigen nicht aufgerufenen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 18. Februar 1981, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.