Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen die Punkte 2 und 7 der Tagesordnung abgesetzt werden. Ist das Haus mit dieser Änderung der Tagesordnung einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Amtliche Mitteilungen ohne VerlesungDer Bundesrat hat in seiner Sitzung am 8. Februar 1980 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 oder 3 nicht gestellt:Gesetz zur Änderung des Wohnungsbindungsgesetzes und des Zweiten Wohnungsbaugesetzes
Elftes Gesetz zur Änderung des Viehseuchengesetzes Gesetz zur Änderung der GewerbeordnungGesetz über die Statistik für Bundeszwecke
Gesetz zur Änderung und Ergänzung beurkundungsrechtlicher VorschriftenZweites Gesetz zur Änderung der Bundes-TierärzteordnungAchtes Gesetz zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes
Gesetz zu der Vereinbarung vom 20. November 1978 zur Durchführung des Abkommens vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale SicherheitGesetz zur Änderung des Gesetzes über PersonalausweiseErstes Gesetz zur Änderung statistischer Rechtsvorschriften
Zu den beiden letztgenannten Gesetzen hat der Bundesrat Entschließungen gefaßt, die als Anlagen 2 und 3 diesem Protokoll beigefügt sind.Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 8. Februar 1980 ferner beschlossen, dem Gesetz über eine Volks-, Berufs- und Arbeitsstättenzählung nicht zuzustimmen. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/3653 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 4. Februar 1980 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pfeifer, Rühe, Frau Benedix-Engler, Daweke, Dr. Hornhues, Frau Krone-Appuhn, Dr. Müller, Voigt , Berger (Lahnstein), Frau Dr. Wilms, Frau Dr. Wisniewski und der Fraktion der CDU/CSU betr. Erhöhung von Studiengebühren in England für ausländische Studenten — Drucksache 8/3560 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/3640 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 7. Februar 1980 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Mertes , Schwarz, Volmer, Dr. Laufs, Dr. Riesenhuber, Biehle, Dr. Langguth, Dr. Jentsch (Wiesbaden), Feinendegen, Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Lenzer, Spranger, Weiskirch (Olpe), de Terra, Ernesti, Dr. Jenninger, Erhard (Bad Schwalbach) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Bekämpfung des Fluglärms — Drucksache 8/3545 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/3643 verteilt.Der Bundesminister für Verkehr hat mit Schreiben vom 7. Februar 1980 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Jobst, Dr. Riedl , Dr. Warnke, Lemmrich, Röhner, Biehle, Engelsberger, Niegel, Dr. Althammer, Dr. Waigel, Lintner, Dr. Bötsch, Höffkes, Regenspurger, Frau Krone-Appuhn, Spranger, Graf Huyn, Glos und Genossen betr. Tarife von Bundesbahn und Bundespost für Schülerzeitfahrkarten in Bayern Drucksache 8/3619 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/3649 verteiltDer Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 5. Februar 1980 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Susset, Sauter , Frau Dr. Riede (Oeffingen), Kolb, Dr. Stark (Nürtingen), Kiechle, Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dr. Früh, Jäger (Wangen), Dr. Ritz, Spranger, Dr. Probst, Kraus, Graf Huyn, Dr. Kunz (Weiden), Niegel, Bayha, Bühler (Bruchsal), Dr. Friedmann, Dr. Jenninger und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Verhältnisse am europäischen und deutschen Apfelmarkt — Drucksache 8/3600 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/3651 verteiltDie in Drucksache 8/3339 unter Nr. 4 aufgeführte EG-VorlageVorschlag einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 459/68 über den Schutz gegen Praktiken von Dumping, Prämien oder Subventionen aus nicht zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gehörenden Ländernist als Drucksache 8/3504 verteiltDie in Drucksache 8/3567 unter Nr. 4 aufgeführte EG-VorlageVorschlag einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 726/79 hinsichtlich der finanziellen Unterstützung für Vorhaben zur Nutzung alternativer Energiequellenwird als Drucksache 8/3637 verteilt.Die in Drucksache 8/3567 unter Nr. 6 aufgeführte EG-VorlageVorschlag einer Verordnung des Rates betreffend den Abschluß eines Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Mitgliedsländern des Verbandes Südostasiatischer Nationen — Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur und Thailandwird als Drucksache 8/3638 verteilt.Die in Drucksache 8/3567 unter Nr. 9 aufgeführte EG-VorlageVorschlag einer Entscheidung des Rates zur Einführung eines gemeinschaftlichen Systems zum raschen Austausch von Informationen über die Gefahren bei der Verwendung von Konsumgüternwird als Drucksache 8/3639 verteiltDer Vorsitzende des Innenausschusses hat mit Schreiben vom 24. Januar 1980 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehende EG-Vorlage zur Kenntnis genommen hat:Vorschlag eines Beschlusses des Rates über den Abschluß des Übereinkommens über weiträumige grenzüberschreitende Luftverschmutzung
Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mit Schreiben vom 23. Januar 1980 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen hat:Vorschlag einer fünften Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Regelung über die Umsatzsteuern und Sonderverbrauchsteuern im grenzüberschreitenden Reiseverkehr
Vorschlag einer Verordnung des Rates zur zweiten Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 222/77 über das gemeinschaftliche Versandverfahren (Drucksache 8/3260 Nr. 19)Vorschlag einer Verordnung des Rates über den Zollwert der Waren (Drucksache 8/3452 Nr. 20)Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 11. Februar 1980 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1980 nebst Anlagenband, den Stellenplan der Deutschen Bundesbahn für das Ge-
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16004 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980
Vizepräsident Dr. von Weizsäckerschäftsjahr 1980 und den Nachtrag zum Wirtschaftsplan für das Geschäftsjahr 1979 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Wirtschaftsplan 1980, der Stellenplan und der Nachtrag 1979 liegen im Archiv zur Einsicht aus.Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 24. Januar 1980 den von den Abgeordneten Lemmrich. Dr. George, Schröder , Frau Hürland, Dreyer, Sick. Dr. Jobst, Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Frau Hoffmann (Hoya), Hanz, Tillmann, Dr. Waffenschmidt, Pfeffermann, Dr. Unland, Breidbach, Gerster (Mainz), Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Glos, Dr. Friedmann, Dr. Bötsch, Dr. Hennig, Dr. Hornhues, Dr. Köhler (Wolfsburg), Kiechle, Würzbach, Dr. Evers, Susset, Sauter (Epfendorf). Sauer (Salzgitter), Horstmeier, Spilker, Dr. Jenninger und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr — Drucksache 8/3442 — zurückgezogen.Der Präsident des Deutschen Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember 1977 die in der Zeit vom 23. Januar bis 11. Februar 1980 eingegangenen EG-Vorlagen an die aus Drucksache 8/3670 ersichtlichen Ausschüsse überwiesen.Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Aufhebbare Einundvierzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste— Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung — Drucksache 8/3645 —Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum rechtzeitig zum 22. Mai 1980 vorzulegenAufhebbare Fünfundsiebzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste— Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz — Drucksache 8/3646 —Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum rechtzeitig zum 22. Mai 1980 vorzulegenAufhebbare Fünfundvierzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum rechtzeitig zum 22. Mai 1980 vorzulegenIch rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksache 8/3644 —Zunächst kommen wir zur Beantwortung von Dringlichen Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Böhme zur Verfügung.Ich rufe die Dringliche Frage 1 des Abgeordneten Josten auf:Welche Sofortmaßnahmen hat die Bundesregierung für die in der Bundesrepublik Deutschland durch die Hochwasserschäden schwer betroffenen Bürger veranlaßt?Bitte, Herr Staatssekretär.
Der Bundesfinanzminister hat schon im Jahre 1977 einen umfangreichen Katalog für steuerliche Sofortmaßnahmen bei Naturkatastrophen ausgearbeitet und seine Zustimmung allgemein zu den Maßnahmen erteilt, die die Landesfinanzbehörden der vom Hochwasser betroffenen Länder in diesem Rahmen im einzelnen für erforderlich halten. In Betracht kommen insbesondere Steuerstundungen, Verzicht auf Vollstreckungsmaßnahmen, Sonderabschreibungen bei der Ersatzbeschaffung und Wiederherstellung beschädigter Wirtschaftsgüter und Lohnsteuerfreiheit bei Unterstützungen von privaten Arbeitgebern an unwettergeschädigte Arbeitnehmer bis zum Betrag von 1500 DM. Im Einzelfall können weitere Billigkeitsmaßnahmen getroffen werden, soweit eine besondere Notlage vorliegt.
Die zuständigen Landesbehörden werden auf diese Hilfsmaßnahmen in geeigneter Form hinweisen. Die Länder sind aufgefordert, dem Bundesminister der Finanzen mitzuteilen, welche Maßnahmen sie im einzelnen vorsehen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Josten.
Herr Staatssekretär, angesichts der großen Hochwasserschäden an Rhein, Mosel, Main, Donau und anderen Flüssen möchte ich Sie fragen: Sieht die Bundesregierung keine Möglichkeiten, durch Sofortmaßnahmen in besonderen Notfällen schneller zu helfen, wie wir das auch gegenüber anderen Ländern in dieser Welt tun?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Diese Zusatzfrage leitet zu Ihrer nächsten Frage über, die zum Gegenstand hat, in welchen Fällen der Bund Möglichkeiten der direkten Finanzierung hat. Ich werde bei der Beantwortung dieser zweiten Frage darauf hinweisen können, daß in Katastrophenfällen eine Mitfinanzierung durch den Bund nur ausnahmsweise möglich ist, nämlich unter dem Gesichtspunkt der gesamtstaatlichen Repräsentation. Dazu ist erforderlich, daß eine nationale Katastrophe stattgefunden hat. Eine solche kann im bisherigen Stadium von der Bundesregierung nicht erkannt werden.
Möchten Sie eine weitere Zusatzfrage stellen?
Herr Präsident, wenn ich davon ausgehen muß, daß meine zweite Frage jetzt schon mitbeantwortet ist, dann bitte ich, noch drei Zusatzfragen stellen zu dürfen.
Herr Staatssekretär, werden Sie die zweite Frage des Abgeordneten Josten noch gesondert. beantworten?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ja.
Dann rufe ich jetzt die Dringliche Frage 2 des Abgeordneten Josten auf:Wie weit hat bzw. wird die Bundesregierung mit den betroffenen Ländern gemeinsam Hilfsmaßnahmen vereinbaren?Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Für Hilfsmaßnahmen aus Haushaltsmitteln in Katastrophenfällen sind in erster Linie die Länder zuständig. Eine Mitfinanzierung durch den Bund kann nur ausnahmsweise aus dem Gesichtspunkt der gesamtstaatlichen Repräsentation in Betracht kommen. Dies setzt jedoch voraus, daß die eingetretenen Schäden so groß sind, daß von einer Katastrophe nationalen Ausmaßes gesprochen werden muß. Die Höhe der Hochwasserschäden kann nur von den betreffenden Landesregierungen festgestellt werden. Diese haben sich bisher noch nicht an die Bundesregierung gewandt. Nach den Erkenntnissen der Bundesregierung selbst haben die Schäden nicht das Ausmaß einer nationalen Katastrophe erreicht, so daß die Voraussetzungen für eine Mitfinanzierung durch den Bund nicht vorliegen.
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Bitte, Herr Abgeordneter, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die Schäden, z. B. gerade bei Hochwasser auf unseren Flüssen, durch zu frühe Freigabe der Schiffahrt noch größer werden, und sollte die Bundesregierung daher nicht auch darauf hinweisen, daß dieses geändert werden sollte, um die Hochwasserschäden zu verringern?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich gehe der Frage gern nach; Herr Kollege. Ich möchte aber noch einmal darauf hinweisen, daß auch dies zentral in die Zuständigkeit der Landesregierungen fällt, die auch die Pflicht und die Aufgabe haben, die Höhe von derartigen Hochwasserschäden festzustellen und diese dann gegebenenfalls zur Mitfinanzierung, zur Beseitigung der Schäden bei der Bundesregierung anzumelden. Dies ist bisher nicht geschehen. Weder erfolgte eine Schadensmeldung noch die Bitte um Mitfinanzierung.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, vielleicht darauf hinzuwirken, daß für zukünftige Hochwasserschäden über deutsche Versicherungen Schutz für die Uferanlieger angeboten würde?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Diese Frage hat die Versicherungswirtschaft selbst zu beantworten, die in der Bundesrepublik überwiegend privat organisiert ist. Ich bin gern bereit, dieses Problem bei den laufenden Gesprächen mit den Vertretern der Versicherungswirtschaft anzusprechen und zur Diskussion zu stellen.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Josten.
Herr Staatssekretär, werden von seiten der Bundesregierung die in vergangenen Jahren in der Diskussion stehenden Zukunftspläne, z. B. beim Rhein, verfolgt, durch den Bau von Talsperren Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß nicht nur das Hochwasser reduziert wird, sondern auch die Wassermassen für Energie genutzt werden?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Überlegungen und Pläne der Bundesregierung sind insbesondere für den Rhein sehr umfangreich. Sie erinnern sich sicher daran, daß wir im Zukunftsinvestitionsprogramm erhebliche Mittel für das Rhein-Bodensee-Programm bereitgestellt haben. Zusätzlich nehmen die zuständigen Verwaltungen alle Möglichkeiten wahr, auch Ihren Vorschlag zu realisieren, die natürlichen Wasserkräfte möglichst umfassend zur Energiegewinnung zu nutzen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich rufe die nächste Dringlichkeitsfrage des Herrn Abgeordneten Schmöle auf, die in den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen fällt:
Was wird die Bundesregierung unternehmen, um bis zum Besuch des amerikanischen Außenministers Vance in Bonn das Zustandekommen einer klaren und einheitlichen Haltung des Westens gegenüber der UdSSR herzustellen?
Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister von Dohnanyi zur Verfügung. Bitte, zur Dringlichkeitsfrage des Herrn Abgeordneten Schmöle, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, es ist das Ziel der Bundesregierung, insbesondere zusammen mit ihren Bündnispartnern den Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan zu bewirken, die Freiheit und Sicherheit Europas auch für die Zukunft zu garantieren und die Voraussetzung für die Fortführung unserer realistischen Entspannungspolitik zu erhalten, die gegenwärtige Krise zu überwinden und den Staaten der Dritten Welt, die ihre Unabhängigkeit behaupten wollen, zu helfen.
Um die Verwirklichung dieser Ziele ist die Bundesregierung zusammen mit ihren europäischen Partnern und atlantischen Verbündeten bemüht. Sowohl das bevorstehende Treffen der neun europäischen Außenminister am 19. Februar 1980 in Rom als auch der Besuch des Außenministers der Vereinigten Staaten von Amerika, Cyrus Vance, am 19. und 20. Februar 1980 in Bonn dienen diesem Ziel.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmöle.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß im Bereich des Persischen Golfs und in den Ölfeldern der dortigen Regionen insbesondere lebenswichtige Interessen der Westeuropäer auf dem Spielstehen und daß es deshalb vor allen Dingen im Interesse der Europäer selbst liegt, daß eine solidarische Handlung des westlichen Bündnisses zustande kommt und daß das nicht durch irgendwelche Irritationen, gleich welcher Art, verhindert wird?
. Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe das soeben durch die Antwort auf Ihre Frage deutlich gemacht, und ich unterstreiche selbstverständlich die Bedeutung des Persischen Golfs, auf die Sie hingewiesen haben.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmöle.
Herr Staatssekretär, welche Haltung würde die Bundesregierung bei Unterstellung der in der TASS von Herrn Portugalow vertretenen Auffassung, Solidarität zu den Vereinigten Staaten und Entspannung in Europa seien miteinander unvereinbar, als offizielle Auffassung zu diesem Komplex einnehmen?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es ist doch ganz selbstverständlich, daß wir die Entspannungspolitik in Europa gemeinsam mit den Vereinigten Staaten betrieben haben und auf der
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Staatsminister Dr. von DohnanyiGrundlage des Bündnisses in Zukunft fortsetzen werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, was hat die Bundesregierung getan oder wird sie in den nächsten Tagen noch tun, um zu erreichen, daß an den Gesprächen, die der amerikanische Außenminister hier in Bonn führen wird, auch andere Außenminister, insbesondere der des mit uns besonders eng befreundeten Frankreichs, teilnehmen werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung ist daran interessiert, daß der Konsultationsmechanismus im westlichen Bündnis funktioniert. Auf welche Weise und an welcher Stelle dies jeweils geschieht, muß allen jeweils Beteiligten überlassen bleiben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Herr Staatsminister, könnten Sie dem Hohen Haus erklären, was Sie angesichts der jüngsten weltpolitischen Ereignisse unter der Fortsetzung der bisherigen Entspannungspolitik verstehen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Sie wissen, daß die Bundesregierung in den vergangenen Wochen unterstrichen hat, welchen Einschnitt auf der einen Seite das Ereignis in Afghanistan bedeutet und welches Gewicht wir auf der anderen Seite nicht nur in der Bundesrepublik darauf legen müssen, daß der Frieden in der Welt erhalten bleibt. Hierzu ist die Fortsetzung der Entspannungspolitik erforderlich.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatsminister, will die Bundesregierung ihre bisherige Entspannungspolitik im nachhinein dadurch für realistisch erklären, daß sie ihr neuerdings das Epitheton ornans „realistisch" hinzufügt?
Augenblick bitte! Darf ich bei den Zusatzfragen bitten, darauf zu achten, daß sie in einem Zusammenhang mit der Fragestellung bleiben, die sich auf das westliche Bündnis bezieht. Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat die Entspannungspolitik in der Vergangenheit als realistisch bezeichnet und wird dies weiterhin tun.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Umfassen die von Ihnen in der Antwort auf die Frage umrissene realistische Außenpolitik und das Gespräch mit Außenminister Vance auch neue Ebenen der Abrüstungsgespräche, beispielsweise in Warschau?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, bei der gegenwärtigen Lage wird man keinen Aspekt in den Beratungen auslassen, um den Frieden in der Welt zu erhalten. Die Bundesregierung sieht hier ihre vorrangige Aufgabe.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, ist durch die abgesagte Konferenz einiger Außenminister nicht eine Verzögerung oder auch eine Beeinflussung im negativen Sinn für den von Ihnen angesprochenen Konsultativmechanismus eingetreten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich wiederhole, was ich soeben sagte. Die Bundesregierung ist darum bemüht, den Konsultationsmechanismus mit allen Partnern in Gang zu halten und voranzutreiben. Wir werden uns weiterhin bemühen, diese Konsultationen z. B. in der Vorbereitung für das Treffen der europäischen Außenminister in Rom mit unseren Beiträgen zu versehen. Aber — wenn ich das hinzufügen darf, Herr Kollege — die Europäische Gemeinschaft besteht aus neun Mitgliedern.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. Wir haben damit die Dringlichkeitsfragen behandelt. Wir kommen auf Ihren Geschäftsbereich gleich zurück.
Ich rufe jetzt die Fragen in der Reihenfolge, in der sie hier abgedruckt sind, auf.
Die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Gerlach zum Geschäftsbereich des Ministeriums für innerdeutsche Beziehungen soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Schriftlich beantwortet werden auch die Frage 2 der Abgeordneten Frau Benedix-Engler und die Frage 3 des Herrn Abgeordneten Daweke zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und politische Bildung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Zander zur Verfügung.
Zunächst rufe ich die Frage 96 des Herrn Abgeordneten Weisskirchen auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, in geeigneter Form die Modellvorhaben zur besseren Versorgung psychisch Kranker zu verwirklichen, nachdem die Finanzminister der Länder sich darüber nicht einigen konnten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung vertritt entgegen der
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Parl. Staatssekretär ZanderMehrheit der Finanzminister der Länder die Auffassung, daß 'die Förderung des vorgesehenen Modellprogramms zur Erprobung der gemeindenahen, bedarfsgerechten und koordinierten Gesamtversorgung psychisch Kranker und Behinderter in ausgewählten Versorgungsgebieten durch den Bund verfassungsrechtlich zulässig ist. Es gehört zu den ungeschriebenen Zuständigkeiten des Bundes, auf Gebieten seiner Gesetzgebungszuständigkeit Untersuchungen anstellen und Modellvorhaben durchführen zu können, um daraus Erkenntnisse für die eventuelle Notwendigkeit von Gesetzgebungsmaßnahmen zu gewinnen.Dabei ist sich die Bundesregierung der Grenzen ihrer Zuständigkeiten bewußt und wird Vorstellungen der Länder bei der Ausgestaltung und Durchführung des Programms einbeziehen. Voraussetzung für das Gelingen ist eine Kooperation mit den Ländern.Die Bundesregierung hofft, daß sich die Ministerpräsidenten der Mehrheit der Länder dem Beschluß ihrer Finanzminister nicht anschließen werden, zumal die Konferenz der für das Gesundheitswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder dem Modellprogramm zur Erprobung einer koordinierten Gesamtversorgung mit Schwerpunkt im ambulanten, komplementären und rehabilitativen Bereich im Grundsatz zugestimmt hat. Die Zustimmung der Fachressorts drückt sich auch darin aus, daß sie inzwischen konkrete Voranträge auf Förderung aus den Modellmitteln beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit eingereicht haben. Dem entspricht das positive Echo, das das Modellprogramm in der gesamten Fachwelt erfahren hat.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Weisskirchen.
Durch die Initiative von Herrn Finanzminister Gleichauf aus BadenWürttemberg ist diese ganze Angelegenheit in Schwierigkeiten geraten. Ich habe in diesem Zusammenhang eine Frage: Wie hat sich denn das Land Baden-Württemberg im Blick auf die Anmeldung von Projekten verhalten? Sie haben soeben davon gesprochen, daß einige Länder bereits Projekte angemeldet haben.
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, uns liegen Voranträge unter anderem auch des Arbeits- und Gesundheitsministers des Landes Baden-Württemberg vor.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Weisskirchen.
Wie schätzen Sie denn die Chancen — ich frage dies mit dem Blick auf den Ministerpräsidenten — der Verwirklichung dieses dringend notwendigen Programms ein? Sehen Sie eine Chance, daß die Bundesregierung in diesem Punkt initiativ werden kann?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Finanzminister sprechen natürlich ein sehr gewichtiges Wort in dieser Frage, aber hoffentlich nicht das letzte Wort. Ich hoffe sehr, daß die Reaktion auch in der Fachöffentlichkeit, die dieser Mehrheitsbeschluß der Finanzministerkonferenz gefunden hat, dahin gehend wirken kann, daß die Entscheidung der Ministerpräsidenten insgesamt positiv sein wird, damit endlich der Weg dafür frei wird, einige der Vorschläge zu realisieren, die uns die Psychiatrie-Enquete unterbreitet hat.
Ich rufe Frage 97 des Abgeordneten Kiechle auf:
Welche Schlußfolgerungen im Hinblick auf die Auslegung geltenden
Rechts und eine zukünftige Rechtsetzung zieht die Bundesregierung aus der Bekanntmachung der Bundesärztekammer vom 10. Januar 1980 zum Thema „Risikofaktoren, Nahrungsfette und degenerative Herz- und Gefäßerkrankungen", die die bisherige Auffassung des wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer widerruft und nunmehr zu dem Ergebnis gelangt, daß die an die Gesamtbevölkerung gerichteten Empfehlungen des Ersatzes gesättigter durch ungesättigte (pflanzliche) Fette aus dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht abzuleiten sind?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die ergänzende Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer vom 10. Januar 1980 „Risikofaktoren, Nahrungsfette und degenerative Herz- und Gefäßerkrankungen" zeigt erneut, daß die ernährungsphysiologische Bewertung der Nahrungsfette wissenschaftlich noch umstritten ist. An entsprechende Werbeaussagen für Nahrungsfette sollten daher unter den Gesichtspunkten des § 17 Abs. 1 Nr. 5 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes strenge Maßstäbe gelegt werden. Das gilt in erster Linie für die werbende Wirtschaft selbst. Soweit bestimmte Nahrungsfette mit einem hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren als diätetische Lebensmittel zu bewerten sind, soll künftig für diese eine krankheitsbezogene Werbung, z. B. über die diätetische Beeinflussung der Hypercholesterinämie, nicht mehr zulässig sein. Eine entsprechende Regelung ist im Entwurf der 6. Verordnung zur Änderung der Diät-Verordnung vorgesehen.
Bitte, eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kiechle.
Herr Staatssekretär, wann ist damit zu rechnen, daß die ohnehin seit langem in der Diskussion befindliche Umsetzung der EG-Richtlinie in eine nationale Verordnung, bezogen auf die von Ihnen soeben angesprochene Problematik, erfolgt?
Zander, Parl. Staatssekretär: Der Entwurf liegt ja bereits vor. Ich hoffe sehr, daß es möglich sein wird, ihn zügig zu verabschieden. Ich kann Ihnen aber keinen Termin nennen, Herr Kollege Kiechle.
Eine weitere Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kann ich davon ausgehen, daß nach der Umsetzung in nationales Recht die mittlerweile zumindest sehr stark umstrittene, zum Teil krankheits-, zum Teil gesundheitsbezogenen Werbemethoden, die die Verwendung ungesättigter Fettsäuren zu einer Besserung von Kreislaufbe-
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Kiechleschwerden in Bezug setzen, nicht mehr möglich sind?Zander, Parl. Staatssekretär: Ich hoffe es. Es ist ja das eigentliche Ziel, den Verbraucher vor solchen irreführenden Angaben zu schützen. Im übrigen wäre mir sehr viel wohler, wenn in der öffentlichen Diskussion deutlich gemacht würde, daß es nicht so sehr um die Frage der einzelnen Fettarten geht, sondern daß es gesundheitlich erfreulicher wäre, wenn der Fettverbrauch insgesamt reduziert werden könnte.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Dr. Schüler zur Verfügung.
Ich rufe Frage 10 des Abgeordneten Dr. Hennig auf:
Kann die Bundesregierung die Mitteilungen von Dr. Kürt Birrenbach, der seinerzeit mit Zustimmung des Bundestags als einziger Abgeordneter die gesamten Verhandlungsprotokolle zum Moskauer und Warschauer Vertrag durchzusehen hatte, im NDR-III-Interview vom 27. Dezember 1979 bestätigen oder dementieren, daß für eine Verhandlungsphase beim Moskauer Vertrag keine Akte existiere, weil der damalige Staatssekretär Bahr ohne Instruktionen des Kabinetts allein verhandelt habe, und daß Bahr nach Rücksprache mit dem damaligen Bundeskanzler Brandt vorgeschlagen habe, .Hören Sie mal, wir vernichten die ganzen Akten!”
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Behauptung, Herr Abgeordneter, daß für eine Verhandlungsphase zu dem Moskauer Vertrag keine Akte existiere, ist falsch. Es gibt für alle Verhandlungsphasen die entsprechenden Akten.
Eine Zusatzfrage des Herr Abgeordneten Hennig.
Herr Staatssekretär, wären Sie dann auch bereit, den zweiten Teil meiner Frage zu beantworten, wonach nach der Erinnerung des glaubwürdigen alten Kollegen Birrenbach Herr Bahr nach Rücksprache mit dem Bundeskanzler vorgeschlagen haben soll: „Hören Sie mal, wir vernichten die ganzen Akten!"?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, diese Frage müßten Sie eigentlich an Herrn Abgeordneten Bahr richten.
Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten würde ich allerdings gerne aus einem Brief zitieren, den Herr Bahr am 6. Februar dieses Jahres an Herrn Birrenbach gerichtet hat. Darin heißt es:
Ich habe zu keinem Zeitpunkt den Vorschlag gemacht oder gar nur erwogen, Akten zu vernichten. Abgesehen von der offensichtlichen Unmöglichkeit, etwas vernichten zu wollen, was, wie Sie und ich wissen, bei uns in mehreren Exemplaren, aber vor allen Dingen auch in Moskau sicher in mehreren Exemplaren existiert, hätte ein derartiger Vorschlag — von wem immer er kommt — Sie und mich gleichermaßen empört. Gegen einen Beamten, der dies vorschlägt, müßte sofort disziplinarisch vorgegangen werden.
Herr Abgeordneter, ich habe dieser Feststellung des ehemaligen Staatssekretärs im Bundeskanzleramt nichts hinzuzufügen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Hennig.
Darf ich es dennoch versuchen, Herr Staatssekretär, und Sie fragen, ob Sie vielleicht doch noch etwas hinzuzufügen haben? Sie sagten, ich hätte eigentlich eher Herrn Bahr als Kollegen danach fragen sollen: Ist es nicht Aufgabe der Bundesregierung, Auskunft zu geben, wenn Herr Bahr als Staatssekretär seinerzeit im Kanzleramt eine bestimmte Auskunft gegeben haben soll? Muß das nicht sehr viel eher die Bundesregierung als Herr Bahr als heutiger Kollege klarstellen?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Das habe ich heute in vollem Umfange getan, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß der Kollege Bahr offenbar zwar nicht das Wort „vernichten" gebraucht hat, aber wohl das Wort „eliminieren"?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Das kann ich nicht bestätigen. Ich weiß nicht, auf welche Quelle Sie sich beziehen, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Besch.
Herr Staatssekretär, sind Ihre Antworten so zu verstehen, daß die Bundesregierung als ehemaliger Dienstherr des damaligen Staatssekretärs Bahr diesen nach Bekanntwerden so schwerwiegender Vorwürfe aufgefordert hat, sich dienstlich in der Sache zu äußern? Wenn ja: mit welchem Ergebnis, wenn nein: Warum ist das unterblieben?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Feststellung von Herrn Bahr ist eindeutig. Das, was ich hier gesagt habe, sind Feststellungen der zuständigen Beamten des Auswärtigen Amtes und des Bundeskanzleramtes. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, welches war denn die Phase der Gespräche, von der Sie eben sprachen, wo nach Herrn Birrenbach der Haken sitzt - wie es wörtlich heißt —, der Grunddissens lag und das Offensein der deutschen Frage gefährdet war?Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich darf meine Antwort in Erinnerung rufen. Ich habe gesagt: Es gibt für alle Verhandlungsphasen die entsprechenden Akten.
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Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Professor Ehmke.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß es im Interesse des geschätzten Kollegen Birrenbach wäre, die Peinlichkeiten über diese Frage nicht noch größer zu machen, als er sie selbst schon gemacht hat?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich meine, daß es keinen sonderlichen Sinn macht, die Diskussion darüber fortzusetzen. Das sind Vorgänge, die acht oder mehr Jahre zurückliegen. Da kann man auch Erinnerungslücken in der einen oder anderen Weise nicht ausschließen. Ich kann nicht mehr sagen, als ich hier vorgetragen habe.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schmöle.
Herr Staatssekretär, teilen Sie dann nicht die Auffassung, daß es gerade wegen der möglichen Erinnerungslücken seitens der Bundesregierung notwendig gewesen wäre, Herrn Bahr, den früheren Staatssekretär, zu dieser Frage dienstlich zu hören?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich halte diese Behauptung bzw. diesen Vorwurf für so abstrus, daß ich allein auf der Grundlage dieser Behauptung keinen Anlaß dazu erkennen kann. Wir haben die Frage aus Anlaß dieser Fragestunde mit dem Ergebnis geprüft, das ich vorgetragen habe.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, wollen Sie diese Erinnerungslücken auch bei dem ehemaligen Staatssekretär Bahr nicht ausschließen, oder beziehen Sie die Bemerkung, die Sie eben gemacht haben, nur auf andere Personen?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich beziehe sie im Prinzip auf alle Beteiligten. Herr Bahr hat seine Haltung zu dieser Frage inzwischen in dem Brief deutlich gemacht, aus dem ich zitiert habe.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Becker.
Herr Staatssekretär, können Sie noch einmal bestätigen, daß alle Akten aus der fraglichen Zeit vorhanden sind?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Das ist das Ergebnis der Untersuchungen der zuständigen Beamten der beiden Ämter, die ich genannt habe.
Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Graf Huyn auf:
Trifft es zu, daß der damalige Staatssekretär und heutige Bundesgeschäftsführer der SPD, Bahr, dem früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Birrenbach im Zusammenhang mit den Ostverträgen seinerzeit nach Absprache mit dem damaligen Bundeskanzler und heutigen SPD-Vorsitzenden Brandt den Vorschlag gemacht hat, Materialien zu den Ostverträgen — etwa 12 oder 14 Aktenordner — zu vernichten, sieht die
Bundesregierung gegebenenfalls in diesem Verhalten von Brandt und Bahr ein rechtlich und politisch einwandfreies Verfahren in der Behandlung von amtlichem Schriftgut, und sind die Materialien inzwischen ganz oder teilweise vernichtet worden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich darf auf meine Antwort auf die vorige Frage verweisen.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der frühere Kollege Dr. Birrenbach erklärt hat, die von Ihnen soeben zitierte Antwort, die ihm von Herrn Bahr zuteil geworden sei, sei völlig unbefriedigend, und daß er hierauf seinerseits antworten werde?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich nehme das zur Kenntnis, Herr Abgeordneter.
Bitte, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben erklärt, daß die entsprechenden Akten — ich zitiere wörtlich — noch vorhanden seien. Meine Frage ist nicht beantwortet; denn ich hatte gefragt, ob die etwa 12 bis 14 Aktenordner des Auswärtigen Amtes, die seinerzeit Herrn Dr. Birrenbach zur Einsicht bzw. zur Vorlesung gebracht worden sind, noch vorhanden sind.
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich darf noch einmal das präzisieren, was ich schon ausgeführt habe. Ich habe die Frage, ob Akten vernichtet worden sind, im Bundeskanzleramt prüfen lassen. Die Prüfung hat keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß Materialien zu den Verträgen ganz oder teilweise vernichtet wurden. Das muß sich auch auf die von Ihnen genannten Aktenbände beziehen. Auch das Auswärtige Amt hat mir mitgeteilt, daß dort keine Akten zu den Ostverträgen vernichtet worden seien.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten. Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie wiederholt von einer Überprüfung der Vollständigkeit der Akten gesprochen haben, darf ich Sie fragen, ob im Rahmen dieser Überprüfung auch der ehemalige Kollege Birrenbach befragt worden ist.
Dr. Schüler, Staatssekretär: Nein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Besch.
Herr Staatssekretär, um die Sache zu vereinfachen: 'Wäre es möglich, da das Bundeskanzleramt über eine sehr gute Registratur verfügt, daß Sie mir — sicherlich schriftlich — die Zahl der in dieser Registratur registrierten, klassifizierten Vorgänge im weitesten Sinne mitteilen, und zwar zum Zeitpunkt der Unterredung, kurz danach
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Beschund heute? Das ist zwar lange her, Herr Staatssekretär, aber eine gute Registratur bewahrt diese Unterlagen auf.
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich werde diese Frage prüfen, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hennig.
Herr Staatssekretär, woher weiß die Bundesregierung eigentlich, was wirklich abgelaufen ist, wenn sie es unterläßt, die beiden einzigen Augenzeugen dieser Unterredung dazu zu hören, und warum übt sie ein anderes Verfahren als bei anderen Staatssekretären des Bundeskanzleramts, die vorher betroffen waren?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Ich kann, wenn ich von dieser Frage und dem ihr zugrunde liegenden Gegenstand ausgehe, in der Behandlung keinen Unterschied erkennen, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, wenn alle entsprechenden Akten vorhanden sind, die nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung als Protokollnotizen an jedem Tag anzufertigen waren: Können diese -- gegebenenfalls: unter welchen Voraussetzungen — zur Erfüllung des Informationsanspruchs des Abgeordneten eingesehen werden, nachdem ein offener Dissens in der Auslegung des Warschauer Vertrages besteht und Frau Berger und Frau Garbe alle diese Akten bereits anderen Regierungen zugänglich gemacht haben?
Dr. Schüler, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das richtet sich nach den einschlägigen Gesetzen und Geschäftsordnungen. Diese Frage müßte im einzelnen geprüft werden.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Dr. von Dohnanyi zur Verfügung. Ich rufe die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg auf:
Treffen nach Kenntnis der Bundesregierung Pressemeldungen zu, wonach die Sowjetstreitkräfte gegen Bevölkerung und Freiheitskämpfer in Afghanistan Nervengas einsetzen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Präsident, mir würde daran liegen, die Fragen 4 und 5 zusammen zu beantworten, wenn ich das mit Zustimmung des Fragestellers darf.
Da der Fragesteller damit einverstanden ist, rufe ich auch die
Frage 5 des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg auf:
Hält die Bundesregierung spezifische Hilfsmaßnahmen, auch medizinischer Art, bereit, um Opfern von Gasangriffen in Afghanistan wirksam Beistand leisten zu können?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung kennt die Pressemeldungen. Es gibt für sie bisher keine Bestätigungen. Damit entfällt eine Antwort auf Ihre zweite Frage.
Eine Zusatzfrage, Graf Stauffenberg.
Herr Staatsminister, ist es angesichts der kriegerischen Ereignisse und der zur Zeit vielleicht noch bestehenden Unübersichtlichkeit nicht doch notwendig, sich wenigstens im Rahmen internationaler Hilfeleistungen spezifisch um eine ärztliche Versorgung der Opfer von Gasangriffen zu sorgen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich wiederhole meine Antwort auf Ihre Frage: Es gibt keine Hinweise dafür. Insofern entfällt eigentlich eine Antwort auf diese Nachfrage.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, muß ich Ihrer Antwort entnehmen, daß nach Ihrer Meinung erst dann Anlaß zu einer Prüfung besteht, wenn konkrete Fälle vorliegen, in denen dann wegen nicht vorhandener Einrichtungen die Hilfe zu spät käme?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Nein, Herr Kollege, das dürfen Sie dem nicht entnehmen. Ich hatte auch den Eindruck, daß sich das aus meiner Antwort nicht ergab. Ich habe gesagt: Wir haben keine Hinweise. Wenn wir Hinweise hätten, träfen wir möglicherweise Vorkehrungen. Aber es gibt keine Hinweise, außer den Pressemeldungen, die sich bisher nicht bestätigt haben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, gilt für die Bundesregierung der sogenannte Menschenrechtsbericht des amerikanischen Außenministeriums, der dieser Tage vorgelegt worden ist, nicht als Hinweis, in dem es offenbar — wenn ich Pressemeldungen glauben darf — heißt, es gebe Anzeichen dafür, daß gegen die afghanischen Aufständischen chemische Kampfmittel und Brandbomben eingesetzt wurden?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es tut mir leid, aber ich muß meine Antwort wiederholen. Wir haben alle uns zugänglichen Informationen überprüft. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß sich bisher hierfür keine Bestätigungen ergeben. Daraus zieht die Bundesregierung zum heutigen Zeitpunkt ihre Schlußfolgerung.
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Eine letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Herr Staatsminister, einfach um der Klarheit willen: Wollen Sie sagen, daß dieser von mir eben angesprochene Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums gegenüber dem Kongreß keine Hinweise enthält, oder wollen Sie sagen, daß diese Hinweise nach Ihren eigenen, besseren Informationen widerlegt worden sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, nach dem Stand unserer Informationen heute haben sich entsprechende Hinweise bisher nicht erhärtet, ob sie nun in der Presse oder an anderer Stelle erschienen sind.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung diesen Menschenrechtsbericht überhaupt geprüft? Wenn ja, würde sie dann sagen, daß die dortigen Angaben falsch sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, auch Graf Stauffenberg hat eben nur von Hinweisen gesprochen. Bei der Überprüfung der uns zugänglichen Informationen sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß sich diese Hinweise bisher nicht bestätigt haben. Ich wiederhole: Zum heutigen Zeitpunkt ist daher eine Vorkehrung in diesem Bereich nicht erforderlich.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Schwencke auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Hennig auf:
Teilt die Bundesregierung meine Rechtsauffassung, daß die Sowjetunion mit ihrer Aggression gegen Afghanistan den deutsch-sowjetischen Vertrag vom 12. August 1970 verletzt hat, in dem sich die Sowjetunion völkerrechtlich bindend verpflichtet hat, „zur Festigung des Friedens in der Welt beizutragen" , „den internationalen Frieden aufrechtzuerhalten" (Artikel 1, Abs. I) und „sich in Fragen, die die internationale Sicherheit berühren, der Drohung mit Gewalt oder Anwendung von Gewalt zu enthalten" (Artikel 2)?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Der von Ihnen zitierte Art. 2 des Moskauer Vertrags bedeutet, daß für alle Probleme, die das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR betreffen, der umfassende Gewaltverzicht gilt. Ich beziehe mich da insbesondere auf den Besonderen Teil der Denkschrift. Ich glaube, daß man den Moskauer Vertrag unter diesen Umständen allzu extensiv auslegen würde, wenn man seine Bestimmungen auf das sowjetische Verhalten in Afghanistan rechtlich unmittelbar anwenden wollte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hennig.
Hat die Sowjetunion also, Herr Staatsminister, den internationalen Frieden aufrechterhalten, wozu sie sich in Art. 1 verpflichtet hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, daß es sich um eine Verletzung der Charta der Vereinigten Nationen handelt, ist unstreitig und von der Bundesregierung wiederholt unterstrichen worden. Die Frage ist ja, ob der deutsch-sowjetische Vertrag im rechtlichen Sinne — darauf nehmen Sie hier Bezug — verletzt worden ist. Ich wiederhole, daß es wohl eine sehr extensive Auslegung wäre, wenn ein Vertrag, der sich auf die bilateralen Beziehungen erstreckt, nun unmittelbare Anwendung auf einen Vorgang außerhalb bilateraler Beziehungen fände.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Hennig.
Es ist nach Ihrer eigenen Darstellung, Herr Staatsminister, ein Gewaltverzichtsvertrag. Liegt es nicht auf der Hand, daß ein Vertrag, der den Vertragspartnern selbst die Androhung von Gewalt weltweit verbietet, durch Anwendung kriegerischer Gewalt verletzt sein muß?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hennig, wenn Sie danach fragen, ob z. B. die Charta der Vereinten Nationen verletzt worden ist, so gibt es darüber gar keinen Zweifel. Wenn Sie aber nach einer unmittelbaren Rechtsanwendung des deutschsowjetischen Vertrages auf diesen Vorgang fragen, dann 'wiederhole ich das, was ich gesagt habe: Die Anwendung der rechtlichen Bestimmungen in einem unmittelbaren Sinne wäre wohl eine zu extensive Auslegung des Vertrages.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatsminister, müßten Sie nicht im Gegenteil der Ansicht sein, daß das, was Sie soeben gesagt haben, eine zu einengende Auslegung des deutsch-sowjetischen Vertrages ist, da im Vertrag — ich darf Sie darauf hinweisen — nicht etwa von der Festigung des Friedens innerhalb der deutsch-sowjetischen Beziehungen, also bilateraler Festigung des Friedens, die Rede ist, sondern wörtlich gesagt wird: ,,... zur Festigung des Friedens ... in der Welt beizutragen", und — ich zitiere weiter — ,,... sich in Fragen, die die ... internationale Sicherheit berühren, ... der Drohung mit Gewalt oder Anwendung von Gewalt zu enthalten " ?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich wiederhole — ich beziehe mich dabei jetzt auch auf das, was Sie soeben gesagt haben —, daß sich der deutsch-sowjetische Vertrag als ein bilateraler Vertrag rechtlich auf einen bestimmten Tatbestand der Beziehungen der beiden Staaten zueinander bezieht. Eine unmittelbare Rechtsanwendung auf einen Vorgang in der Dritten Welt wäre wohl eine allzu extensive Auslegung des Vertrages.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die friedensstiftende Wirkung des Gewaltverzichts und die Glaubwürdigkeit einer Gewaltverzichtspolitik gerade deswegen von der internationalen und unge-
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Jäger
teilten Anwendung solcher Grundsätze abhängig sind, weil sie nur dann aufrechterhalten werden können, wenn wir davon ausgehen, daß sich ein Staat, der unser Vertragspartner ist, auch anderen Staaten gegenüber in gleicher Weise an diese Verpflichtungen gebunden fühlt?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wenn Sie danach fragen, ob das Vertrauen in bestimmte Verhaltensformen sowjetischer Politik durch die Invasion in Afghanistan erschüttert worden ist, so gibt es auch darüber keinen Zweifel. Aber ich bin hier nach der Anwendung des deutsch-sowjetischen Vertrages gefragt worden. Und da gibt es nach unserer Rechtsauffassung hier nur das zu sagen, was ich Ihnen und zuvor auch Ihren Kollegen gesagt habe.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, wenn Sie nur, wie Sie sich ausdrückten, annehmen, daß. dieser Meinung vielleicht eine extensive Auslegung zugrunde liege: Würden Sie die Angelegenheit nicht doch noch systematisch prüfen und eine deutliche Stellungnahme dazu abgeben, um so mehr, als hier Rechte und Pflichten auch der Bundesrepublik Deutschland eminent betroffen sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Sie haben hier jetzt das Wort „vielleicht" eingeschoben. Ich kann mich nicht erinnern, dieses Wort gebraucht zu haben, zumindest habe ich das in meiner unmittelbaren Antwort so nicht gesagt. Vielmehr habe ich deutlich unterstrichen, daß es sich nach unserer Auffassung um eine allzu extensive Auslegung des Vertrages handeln würde, wollte man ihn auf den hier angesprochenen Tatbestand, nämlich die Invasion in Afghanistan, rechtlich unmittelbar beziehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, können Sie mir darin zustimmen, daß es sich um dieselbe Sowjetunion handelt, die sich einmal als unser Vertragspartner im Moskauer Vertrag zum internationalen Frieden bekannt hat und die zum anderen durch ihren Überfall auf Afghanistan diesen internationalen Frieden gebrochen hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, daß dies dieselbe Sowjetunion ist, die den deutschsowjetischen Vertrag mit uns abgeschlossen hat und die auch den Einmarsch in Afghanistan bewirkt hat, ist sicherlich richtig und für das Haus sicherlich auch keine Neuigkeit.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schmöle.
Herr Staatsminister, würden Sie mir darin zustimmen, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland der Auffassung sind, daß sich aus diesem Vertragswerk auch für die Bundesrepublik Deutschland eine unmittelbare Rechtspflicht ergibt, zur Festigung des Friedens in der Welt beizutragen und den internationalen Frieden aufrechtzuerhalten, und daß eine ähnliche Maßnahme seitens der Bundesrepublik Deutschland von allen demokratischen Kräften in unserem Lande auch als eine Verletzung dieses Vertrages betrachtet werden würde? Wenn Sie dem zustimmen: Was würden Sie umgekehrt im rechtlichen Sinne zum Verhalten der Sowjetunion sagen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesrepublik Deutschland hat. sich nicht nur in der Präambel zu dem Vertrag, sondern auch im Grundgesetz und an anderer Stelle zum Gewaltverzicht bekannt. Insofern haben Sie die Lage und die Rolle der Bundesrepublik Deutschland völlig richtig beschrieben.
Eine andere Frage ist es, ob der deutsch-sowjetische Vertrag rechtlich unmittelbar auf den Vorgang in Afghanistan Anwendung finden kann. Ich bitte zu entschuldigen, wenn ich auf das zurückkomme, was ich zuvor gesagt habe: Eine solche Rechtskonstruktion ist nach Auffassung der Bundesregierung eine allzu extensive Auslegung des bilateralen Vertrages.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Besch.
Herr Staatsminister, darf ich nach diesen interessanten Mitteilungen noch einmal fragen, ob Ihnen nicht bekannt ist, daß die Sowjetunion selbst den deutsch-sowjetischen Vertrag keineswegs nur bilateral auslegt, sondern daß sie selbst, z. B. hinsichtlich der De-facto-Besitzstände anderer Staaten des Warschauer Pakts, dauernd eine ganz andere Interpretation des deutsch-sowjetischen Vertrages von sich gibt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich weiß nicht, in welcher Weise Sie hieraus eine unmittelbare rechtliche Anwendung konstruieren wollen. Ich bin aber gerne bereit, wenn Sie Ihre Frage präzisieren — falls Sie noch eine weitere Frage zugestanden bekommen; ich weiß es nicht —, darüber einen juristischen Austausch mit Ihnen zu haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Strauffenberg.
Herr Staatsminister, meinen Sie mit Ihren Ausführungen zu diesem Komplex, daß nach Auffassung der Bundesregierung die Formulierungen im Vertrag, die über die unmittelbare Bilateralität hinausgehen, rechtlich nicht bindend bzw. unverbindlich sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe nicht von der unmittelbaren Bilateralität gesprochen, sondern von der unmittelbaren Rechtsanwendung. Ich wiederhole, was ich dazu gesagt habe.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Professor Ehmke.
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Herr Staatsminister, würde die Bundesregierung den Abschluß von Gewaltverzichtsverträgen nach dem Muster des deutsch-sowjetischen Vertrages in den Regionen des Mittleren Ostens, Südasiens und Südostasiens begrüßen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Aber sicher, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Miltner.
Herr Staatsminister, darf ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung die gegenseitigen Gewaltverzichtserklärungen im Moskauer Vertrag nur bilaterial bindend auslegt, also nicht über das zweiseitige Verhältnis hinaus?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat hier eine Antwort auf die Frage gegeben, ob durch den Einmarsch in Afghanistan eine unmittelbare Rechtsverletzung des Moskauer Vertrages erfolgt ist. Ich wiederhole Ihnen gegenüber, was ich zuvor gesagt habe: Eine solche Auslegung des deutsch-sowjetischen Vertrages, d. h. eine Auslegung der unmittelbar rechtlichen Anwendung wäre eine zu extensive Auslegung.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Straßmeir.
Herr Minister, nachdem ich mit Ihrem Begriff der allzu extensiven Auslegung weder juristisch noch politisch etwas Sinnvolles im gegenwärtigen Zeitpunkt anfangen kann, ...
Herr Abgeordneter, bitte, nehmen Sie keine Wertung vor, sondern stellen Sie eine Frage.
... möchte ich Sie fragen — nachdem die Bundesregierung immer hervorgehoben hat, daß es sich beim deutsch-sowjetischen Vertrag um einen Gewaltverzichtsvertrag und nicht um einen Grenzanerkennungsvertrag handele —, ob nach Ihrer Auffassung durch das Verhalten der Sowjetunion nicht der Kern des Vertrages berührt ist, von dem wir sprechen.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wenn Sie von den bilateralen Beziehungen sprechen, ist das, was Sie eben über den Vertragsinhalt gesagt haben, unzweifelhaft. Die Frage ist aber doch, ob dies angewandt werden kann in einer Auslegung des bilateralen Vertrages auf andere Regionen der Erde. Ich wiederhole — auch wenn Ihnen diese Formulierung vielleicht nicht eine rechtliche oder politische Formulierung zu sein scheint —, daß dies eine allzu extensive Auslegung ist — oder, ich kann es Ihnen noch deutlicher sagen: eine unzulässige Auslegung des Vertrages.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Bahr.
Herr Staatsminister, stimmen Sie meiner Auffassung zu, daß der deutsch-sowjetische Vertrag unser bilaterales Verhältnis zur Sowjetunion auf die gleiche Basis des Gewaltverzichts stellen
sollte, wie wir das vorher schon gegenüber den drei Westmächten erreicht hatten, und daß keiner der bilateralen Verträge — weder der mit der Sowjetunion noch die mit den Drei Mächten — das Verhalten dieser Vier Mächte gegenüber dritten Staaten betrifft?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Sie haben eine ergänzende Interpretation zu dem gegeben, was ich als Rechtsauffassung der Bundesregierung hier dargestellt habe, nämlich: daß eine extensive Auslegung, die weit über die bilateralen Verhältnisse hinausgeht, eine nicht zutreffende Auslegung des deutsch-sowjetischen Vertrages wäre.
Für die Fragen 12, 13 und 14 haben die Fragesteller schriftliche Beantwortung erbeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 15 — des Abgeordneten Kunz — auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Aktivitäten des DDR-Staatssicherheitsdienstes beim Aufbau des staatlichen Überwachungsapparats in afrikanischen Staaten nach kommunistischem Muster sowie bei der Einrichtung und Führung von Gefängnissen, Straflagern, „Umerziehungslagern" usw.?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU zur Afrikapolitik festgestellt, daß die DDR in Afrika Beratungs- und Ausbildungshilfe im militärischen Bereich, bei Sicherheitsdiensten, Polizei und paramilitärischen Organisationen leistet.
— Ich bedaure, Herr Kollege.
Dabei ist die Abgrenzung zwischen militärischer und ziviler Hilfe oft unklar, und die Identität der Berater ist nur selten festzustellen. Der Bundesregierung liegen über eine Tätigkeit des DDR-Staatssicherheitsdienstes bei der Einrichtung und Führung von Gefängnissen oder Straflagern gesicherte Erkenntnisse nicht vor.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kunz.
Herr Staatsminister, sind der Bundesregierung Zeitungsberichte und Veröffentlichungen bekannt — und wenn ja, wie beurteilt sie diese —, nach denen DDR-Experten bei der Ausbildung von Sicherheits- und Gefängnispersonal in Angola und in Mozambique eingesetzt sind?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich wiederhole, es liegen tins keine gesicherten Erkenntnise vor. Es gibt Zeitungsmeldungen, das ist richtig. Nach dem Stand der Erkenntnisse der Bun-
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16014 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980
Staatsminister Dr. von Dohnanyidesregierung gibt es gesicherte Erkenntnisse über die Tätigkeit des DDR-Staatssicherheitsdienstes bei der Einrichtung und Führung von Gefängnissen oder Straflagern nicht.
Eine weitere Zusatzfrage?
Herr Staatsminister, können Sie mir wenigstens sagen, welcher Art die „Beratungs- und Ausbildungshilfen im Bereich von Sicherheitsdienst und Polizei" der DDR in Afrika sind, von denen die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion berichtet hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Kunz, wir haben zu diesen Fragen sowohl vor dem Innerdeutschen Ausschuß, wenn ich mich richtig erinnere, am 7. Februar des vergangenen Jahres als auch vor dem Auswärtigen Ausschuß Mitte April des vergangenen Jahres berichtet. Ich möchte erneut darauf hinweisen, daß ein Teil dieser Berichterstattung zweckmäßigerweise eben auch nur in diesen Ausschüssen erfolgt. Ich bin gerne bereit — aber Sie haben ja andere Wege, das für sich zu bewirken —, die Protokolle der Ausschüsse zur Verfügung zu stellen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, könnten Sie uns etwas darüber sagen, welche Kriterien Sie in diesem Falle für „gesicherte Erkenntnisse" verwenden, ob Sie etwa eine offizielle Angabe der zuständigen Regierung verlangen und ob Sie die Meldungen, auf die sich der Kollege Kunz mit seiner Frage bezogen hat, denn nicht als dem Sinn und dem Kern nach zutreffend ansehen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Ihre spaßige Frage, ob sich die Bundesregierung — —
— Ich wiederhole das: Die spaßige Frage, ob sich die Bundesregierung wegen dieser Auskünfte unmittelbar an die dortigen Regierungen wendet, bedarf ja wohl keiner ernsthaften Beantwortung;
ich sehe das Ihrem Schmunzeln an, Herr Kollege.
Im übrigen kann ich hier natürlich nicht sagen, welche Kriterien im einzelnen verwendet worden sind. Ich bin gern bereit, das noch einmal persönlich zu überprüfen. In diesem Zusammenhang habe ich mich auf die Auskünfte des Amtes verlassen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß erstens die
Informationen seitens der Bundesregierung im Innerdeutschen Ausschuß, die Sie gerade zitiert haben, völlig unzureichend waren und an den Tatsachen vorbeigegangen sind, was dann von der Bundesregierung indirekt auch zugegeben worden ist,
und daß zweitens Sie schon einmal in einer Fragestunde verharmlosende Antworten auf diesbezügliche Fragen gegeben haben und geleugnet haben — —
Herr Abgeordneter, ich bitte darum, Wertungen bei der Fragestellung zu unterlassen.
Bitte, stellen Sie Ihre Frage.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Präsident, ich bin relativ unempfindlich.
Herr Staatsminister, es kommt nicht darauf, sondern auf unsere Geschäftsordnung an.
Ist es so, daß Sie eine Waffenbrüderschaft zwischen Ost-Berlin und gewissen afrikanischen Staaten geleugnet haben, bis ich Ihnen dann die Überschrift des Ost-Berliner Zentralorgans der Nationalen Volksarmee entgegengehalten habe, eine Überschrift in dicken Balken zur Reise von Verteidigungsminister Hoffmann, die lautete „Eine Reise der Waffenbrüderschaft"?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, zunächst möchte ich sagen, daß ich Ihre Beurteilung der Auskünfte der Bundesregierung im Innerdeutschen Ausschuß und im Auswärtigen Ausschuß nicht teilen kann. Sodann unterstreiche ich, daß ich auch zu weiteren Auskünften bereit bin. Das habe ich ja gesagt. Wenn die beiden Ausschüsse noch einmal eine solche Beratung haben wollen, steht dem nichts im Wege; bitte sehr.
Nur, Herr Kollege, Sie können doch nicht erwarten, daß ich hier Auskünfte als gesichert bezeichne, für die es keine gesicherten Erkenntnisse gibt. Sie beziehen sich auf eine Schlagzeile in einer Tageszeitung, von der ich annehme, daß Sie, Herr Kollege, ihr sonst keine große Glaubwürdigkeit zumessen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Professor Ehmke.
Herr Staatsminister, würden Sie so gut sein, die Kollegen von der Opposition darauf hinzuweisen, daß es eine hervorragende Untersuchung über den Einfluß der Sowjetunion, der DDR und Kubas in Afrika gibt, und zwar sowohl über die Länder, in denen dieser Einfluß sich ausdehnt, als auch über die Länder, in denen er beendet worden ist, und sollten die Kollegen diese Untersuchung
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980 16015
Dr. Ehmkevielleicht einmal studieren, bevor sie Unterstellungen machen?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, hinzuweisen habe hier nicht ich, sondern hat höchstens der Präsident, aber ich bin sicher, daß die Kollegen Ihre Frage gehört haben.
Ich rufe Frage 16 des Abgeordneten Kunz auf:
Handelt es sich nach den Erkenntnissen der Bundesregierung bei dem militärischen Engagement der DDR in Afrika um einen eigenständigen Beitrag oder um den Bestandteil einer von der Sowjetunion gesteuerten bzw. koordinierten Aktion?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung betrachtet das militärische Engagement der DDR in Afrika als Bestandteil einer mit der Sowjetunion abgestimmten Aktion.
Eine Zusatzfrage.
Da man dieser Feststellung nur zustimmen kann, darf ich weiter fragen, welche Möglichkeiten Sie im rechtlichen Instrumentarium als auch hinsichtlich des tatsächlichen Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR sehen, bei der DDR nachdrücklich vorstellig zu werden, um auf die Gefährdung des deutschen Namens durch Bildung von Afrika-Korps und ähnliche Vorgänge hinzuweisen.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich werde im Verlauf der Fragestunde bei anderer Gelegenheit noch einmal auf diesen Punkt zurückkommen. Vorwegnehmen will ich folgendes: Wir haben diesen Punkt in Gesprächen mit der DDR aufgenommen, und wir werden das auch in Zukunft wieder tun. Aber Sie sind sich selbst darüber im klaren, welche Möglichkeiten der Einflußnahme hier tatsächlich bestehen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz.
Ich räume ein, Herr Staatsminister, daß die Möglichkeiten der Einflußnahme sicherlich nicht optimal sind, bin aber auch der Meinung — —
Bitte eine Frage!
Herr Präsident, ich bin der Meinung — und frage Sie, Herr Staatsminister, ob Sie mir das bestätigen können —,
daß es nicht so sein kann, daß das ganze Geflecht von Vertragsbeziehungen, auf das Sie — teilweise berechtigt — immer recht stolz sind, zu diesem Punkt überhaupt nichts hergeben soll.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Aber Herr Kollege, wenn ich mich recht erinnere, hätten wir vor etwas mehr als zehn Jahren Schwierigkeiten gehabt,
bei Begegnungen mit Vertretern der DDR überhaupt über so etwas zu sprechen, weil Sie solche Begegnungen gar nicht zugelassen hätten.
Nun gibt es solche Begegnungen, und daher gibt es auch die Möglichkeit, darüber zu reden.
Forderungen, Herr Kollege, und Durchführung sind zwei verschiedene Dinge. Es gibt immer wieder Forderungen von seiten der Opposition, die dann von Ihnen selbst nicht nachvollzogen werden. Es gibt also solche Möglichkeiten des Gesprächs. Sie verdanken das der von Ihnen oft kritisierten Entspannungspolitik und Deutschlandpolitik der Bundesregierung. Auf diesem Wege ist auch Einfluß genommen worden. Aber Sie kennen die Grenzen, denen wir hier gegenüberstehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung die von Ihnen sogenannte, von der Sowjetunion gesteuerte, bzw. koordinierte Aktion unter dem Gesichtspunkt der, wie ich hoffe, uns allen gemeinsamen Forderung, daß von deutschem Boden nie mehr kriegerische Aktionen ausgehen sollten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, sie beurteilt dies negativ, wie die Bundesregierung vielfach gesagt hat, zuletzt der Bundesaußenminister in einer Rede hier vor dem deutschen Bundestag, in der er auf diesen Tatbestand ausdrücklich hingewiesen hat.
Ich rufe auf die Frage 17 des Abgeordneten Straßmeir:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob und in welchem Umfang afrikanische Guerillakämpfer in der DDR militärisch ausgebildet werden?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Hierüber liegen der Bundesregierung gesicherte Erkenntnisse nicht vor, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Straßmeir.
Herr Staatsminister, kann die Bundesregierung zusagen, daß ihr unbekannt ist, daß auf der Insel Rügen bei den NVA-Standorten schwarzafrikanische Partisanen ausgebildet werden?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich wiederhole, es liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor. Uns sind Gerüchte und Meldungen bekannt. Nach den von uns vorgenommenen Überprüfungen gibt es hierzu keine gesicherten Erkenntnisse.
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16016 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Straßmeir.
Herr Staatsminister, ich frage Sie weiterhin, ob der Bundesregierung unbekannt ist, welche Bedeutung die Garnison der Nationalen Volksarmee in Naumburg für die Ausbildung afrikanischer Partisanen hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Ihre Frage richtete sich darauf, ob Guerillakämpfer in der DDR militärisch ausgebildet werden. Ich habe dazu gesagt, daß hierüber keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen. Wenn Sie mich nun nach der Bedeutung einzelner Ausbildungsstätten fragen, dann müßte ich weit über die Fragestellung hinaus dazu Stellung nehmen, wozu einzelne Ausbildungsstätten möglicherweise dienen. Ich sage Ihnen offen, darauf bin ich natürlich hier nicht vorbereitet, weil ich gewohnt bin, mich an den Bereich der Frage zu halten, die an mich gestellt worden ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, da Sie wiederum den Begriff der gesicherten Erkenntnisse gebrauchen und erklären, solche lägen Ihnen nicht vor, frage ich: Ist die Bundesregierung bereit, auf Grund der gestellten Frage und der Unmöglichkeit, sie auf Grund gesicherter Erkenntnisse zu beantworten, den Ständigen Vertreter der Bundesregierung bei der Regierung der DDR zu beauftragen, darum nachzusuchen, daß er die vom Kollegen Straßmeir angegebenen Orte besuchen
und sich unmittelbar ein Bild davon verschaffen kann, um so gesicherte Erkenntnisse der Bundesregierung zu gewinnen, ob Guerillakämpfer dort ausgebildet werden oder nicht?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister:- Herr Kollege, wir gehen den Weg, der es uns erlaubt, gesicherte Erkenntnisse zu beschaffen. Wir haben über weitere Erkenntnisse in den Ausschüssen berichtet. Auch originellen Gedanken dieses Hauses wird die Bundesregierung sich nicht verschließen, Herr Kollege.
Ich rufe auf die Frage 18 des Abgeordneten Graf Huyn:
Verfügt die Bundesregierung über Informationen, wonach die DDR direkt oder indirekt an der sowjetischen Besetzung Afghanistans beteiligt ist bzw. im Rahmen dieser Besetzung besondere Aufgaben erfüllt oder beteiligt werden soll?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Der Bundesregierung liegen keine Informationen vor, denen zufolge die DDR direkt oder indirekt durch Militärberater oder in anderer Form an der Invasion in Afghanistan beteiligt war.
Bitte, eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Huyn.
Herr Staatsminister, ich bezog mich auch nicht ausdrücklich auf Militärberater, sondern auch in diesem Falle auf Berater auf dem Gebiet der sogenannten inneren Sicherheit, d. h. des Staatssicherheitsdienstes.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe hier eine Information, die ich gebe das zu — sich auf die Militärberater präzisiert. Es heißt dann: „oder in anderer Form". Ich gehe davon aus — und bin gern bereit, das noch einmal zu überprüfen —, daß mit den Worten „oder in anderer Form" die von Ihnen soeben angeschnittenen anderen Möglichkeiten abgedeckt sind. Wenn das nicht der Fall sein sollte, würde ich mich bei Ihnen melden und würde Sie dann informieren.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen — und ich bin Ihnen dankbar, daß Sie bereit sind, hier noch zusätzliche Informationen zu geben —, daß von anderer Stelle die Bundesregierung die Auskunft gegeben hat, daß Informationen vorliegen, daß Berater zum Aufbau des Staatssicherheitsdienstes bereits in Afghanistan aus Ost-Berlin eingetroffen sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich wiederhole, daß ich das überprüfen werde. Für mich war mit den zusätzlichen Worten „oder in anderer Form" der Vorgang an sich abgedeckt. Aber wenn Sie meinen, daß es andere, darüber hinausgehende Anhaltspunkte gibt, bin ich gerne bereit, der Sache noch einmal nachzugehen und das Ergebnis mitzuteilen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hennig.
Herr Staatsminister, wenn es eine Beteiligung der DDR an dieser sowjetischen Intervention gegeben haben sollte, wäre es auch dann eine allzu extensive Auslegung des Grundlagenvertrags — um Sie zu zitieren —, wenn man der Meinung wäre, daß er dadurch verletzt wäre?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, vielleicht überfordern Sie ein wenig meine etwas abgestandenen Rechtskenntnisse. Aber meine spontane Antwort ist: Ja, auch das wäre eine allzu extensive Auslegung eines bilateralen Vertragsverhältnisses.
Die Fragen 19 und 20 des Abgeordneten Baron von Wrangel werden schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist.Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Jäger auf:Seit wann ist der Bundesregierung bekannt, daß die DDR in afrikanischen und asiatischen Ländern Angehörige der Nationalen Volksarmee, der Volkspolizei oder anderer Sicherheitsorgane als Berater, Instrukteure, Aufpasser oder unmittelbare Helfer zur militärischen oder sonstigen Unterstützung der jeweiligen Regime unterhält, und was hat die Bundesregierung seither konkret unternommen, um die deutsche und die Weltöffentlichkeit über diese Aktivitäten zu informieren?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980 16017
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung hat die DDR-Afrikapolitik seit Beginn der Präsenz der DDR in Afrika aufmerksam beobachtet. Die deutsche Öffentlichkeit wurde durch das militärische Engagement der DDR in Afrika wiederholt unterrichtet.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, welche Formen der Unterrichtung hat die Bundesregierung gewählt? Und gibt es bereits einen zusammenfassenden Bericht über diese Aktivitäten, der etwa in den Vereinten Nationen vorgelegt worden ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, da Sie nach der Form fragen, will ich — ich sagte es bereits vorhin - erneut an die Rede des Herrn Bundesaußenministers am 18. Januar 1980 im Deutschen Bundestag erinnern, in der er ganz ausdrücklich auf diesen Zusammenhang hingewiesen hat. Eine Zusammenfassung verschiedener Aktivitäten und eine Ubersicht auch der politischen und der ökonomischen Aktivitäten der DDR in Afrika steht im Auswärtigen Amt zur Verfügung und kann bei ausdrücklichem Wunsch sicherlich auch im Auswärtigen Ausschuß erläutert und erörtert werden.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatsminister, da Sie mehrfach auf konkrete Fragen zu einzelnen Punkten dieser Aktivitäten darauf verwiesen haben, daß der Bundesregierung gesicherte Erkenntnisse nicht vorlägen, frage ich: Hat die Bundesregierung Maßnahmen ergriffen, um ihre Erkenntnisse zu verbessern und zu stärken, um auf diese Weise ihrer Informationspflicht gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit besser nachkommen zu können?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe nicht gesagt, daß es über die Tätigkeiten der DDR in Afrika keine gesicherten Erkenntnisse gebe. Vielmehr habe ich auf ganz spezifische Fragen, die hier gestellt wurden, gesagt: Zu diesen Fragen oder Behauptungen gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Selbstverständlich hat die Bundesregierung eine Ubersicht über die Tätigkeiten der DDR in Afrika. Ich wiederhole: Sie hat diese Ubersicht vor Ausschüssen des Deutschen Bundestages gegeben. Sie hat hier im Plenum des Deutschen Bundestages dazu gesprochen. Falls es gewünscht wird, bin ich gerne bereit, zu veranlassen, daß erneut eine Information des Auswärtigen Ausschusses erfolgt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Sauer.
Herr Staatsminister, hofft die Bundesregierung, wirklich noch gesicherte Erkenntnisse z. B. über den militärischen Einsatz der DDR in Angola zu bekommen, nachdem Sie uns seit Monaten — ich glaube, bereits seit 1978 — antworten, Sie hätten keine gesicherten Erkenntnisse?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, auch zu dem speziellen Vorgang, den Sie jetzt angeschnitten haben, gab es, wenn ich mich richtig erinnere, detailliertere Informationen im Zusammenhang mit den Beratungen im Auswärtigen Ausschuß. Sie sind zwar nicht Mitglied des Auswärtigen Ausschusses,
aber vielleicht gibt es die Möglichkeit, auch Ihnen die Informationen zugehen zu lassen.
Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Dr. von Geldern auf:
Hat die Bundesregierung die Fragen der Afrikapolitik, besonders den Einsatz von Militärberatern oder den von FDJ-Brigaden in Afrika, zum Thema ihrer Gespräche mit der Regierung der DDR gemacht, und welches sind die Ergebnisse dieser Gespräche?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Antwort lautet: Ja.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, auf welcher Grundlage hat die Bundesregierung dies zum Thema der Gespräche mit der Regierung der DDR gemacht?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Auf der Grundlage der Gespräche, die wir mit der DDR geführt haben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Hat die Regierung der DDR die Grundlage, auf der dieses Thema behandelt worden ist, akzeptiert?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Wenn in einem Gespräch ein Thema berührt wird, dann ist natürlich der Geprächspartner der Hörende, weil ja immer, jedenfalls meistens, zwei dazu gehören, daß ein Gespräch geführt wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, da es solche Gespräche gegeben hat und Sie zweifellos auch über deren Inhalt informiert sind, möchte ich Sie fragen, ob die DDR ihr Verhalten in verschiedenen afrikanischen und asiatischen Ländern bestritten oder ob sie es eingeräumt und gerechtfertigt hat.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich wiederhole, daß der Punkt in Gesprächen berührt wurde; aber ich kann natürlich hier nicht im einzelnen Auskunft über den Verlauf von Gesprächen geben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sauer.
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16018 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980
Herr Staatsminister, haben Sie mit Absicht die letzte Zeile der Frage des Kollegen von Geldern nicht beantwortet: „Welches sind die Ergebnisse dieser Gespräche?"
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Ergebnisse der Gespräche kann man natürlich nur so beschreiben, daß die DDR ihre Außenpolitik und auch ihre Afrika-Politik nicht in Bonn, sondern in eigener Verantwortung macht. Wenn Gespräche mit ihr geführt werden, dann bedeutet das nicht notwendigerweise, daß die Gespräche auch zu den Ergebnissen führen, die wir uns wünschen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kleinert.
Herr Staatsminister, glaubt die Bundesregierung, daß es dem von der Opposition hier vorgetragenen Informationsbedürfnis dienlich ist, wenn die erbetenen Informationen in möglichst großer Breite hier statt in den dafür vorgesehenen besonderen Gremien des Parlaments dargelegt werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Kleinert, die Bundesregierung glaubt nicht, daß das dienlich ist. Ich habe deswegen auf die Ausschüsse verwiesen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, welcher Schaden könnte der Bundesrepublik dadurch entstehen, daß Zahlen über das Engagement der DDR in Afrika Bekanntwerden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es geht nicht um einen Schaden, der aus den Informationen entsteht, sondern es geht um einen Schaden, der daraus entsteht, daß über Informationen und ihre Gewichtung und daher auch über ihre Quellen gesprochen würde.
Ich rufe die Frage 24 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie ist Artikel I des Moskauer Vertrags von 1970, „Die Bundesrepublik Deutschland und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken betrachten es als wichtigstes Ziel ihrer Politik, den internationalen Frieden aufrechtzuerhalten und die Entspannung zu erreichen", auf Grund des Überfalls der Sowjetunion auf Afghanistan am 27. Dezember 1979 zu verstehen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich beziehe mich auf die bereits dem Kollegen Dr. Hennig hier heute gegebene Antwort.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, können Sie einmal den Begriff „internationaler Friede" definieren und sagen, was er bedeutet?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Sie erwarten von mir hoffentlich nicht, daß ich mit einer Tautologie antworte und sage, es sei der Friede, der international aufrechterhalten werde. Es ist wohl zuviel verlangt, hier an dieser Stelle eine umfassende Definition dieses Begriffes zu geben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie erklären Sie es sich, daß in Art. 2 des Moskauer Vertrages zwischen der Sicherheit in Europa und der internationalen Sicherheit unterschieden wird, wenn nicht in diesem Vertrag mit den Worten „internationaler Friede", „internationale Sicherheit" etwas Besonderes verbunden sein soll?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich will jetzt hier keine Auslegung einzelner Begriffe vornehmen; aber ganz sicher sind mit dem Frieden in Europa auch internationale Sicherheitsfragen verbunden. Vielleicht sind Fragen der internationalen Sicherheit mit keinem Frieden in einem Teil der Welt so sehr berührt wie mit dem Frieden in Europa. Vielleicht sollten Sie den Moskauer Vertrag noch einmal auch aus dieser Perspektive lesen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hennig.
Herr Staatsminister, was bleibt von der Formulierung „übernehmen die Verpflichtung, sich in Fragen, die die internationale Sicherheit berühren, der Drohung mit Gewalt und der Anwendung von Gewalt zu enthalten", inhaltlich übrig, wenn nicht einmal ein Fall wie Afghanistan darunterfällt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe nicht davon gesprochen, daß Afghanistan nicht einen Teil des internationalen Friedens darstellt, sondern ich habe davon gesprochen, ob der deutsch-sowjetische Vertrag eine unmittelbare Rechtsanwendung finden kann. Sie hatten auch nach der Rechtsverletzung gefragt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmöle.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung in der Tat die Auffassung, die vorhin hier der Kollege Bahr geäußert hat, daß es sich bei dem Vertrag zwischen Deutschland und der Sowjetunion lediglich um einen Vertrag wie zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei westlichen Alliierten handle und daß dieser Vertrag keine andere Rechtsbeziehung als den Gewaltverzicht zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion regle?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich habe Herrn Bahr vorhin so nicht verstanden. Er hat auf das Gewaltverzichtproblem als solches hingewiesen und in dem Zusammenhang gesagt, daß der Gewaltverzicht, der zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion vereinbart worden sei, einem vorangegangenen Gewaltverzicht zwischen der Bundesre-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980 16019
Staatsminister Dr. von Dohnanyipublik und anderen Partnern entspreche. Er hat aber im übrigen den Vertrag nicht auf die gleiche Ebene gehoben, wie Sie das soeben getan haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, muß ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bestimmung in Art. 1 des Moskauer Vertrags, wonach die Vertragspartner die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens als ein wichtiges Ziel betrachten, für die Bundesregierung eine inhaltlose und wertlose Floskel ist, die keine gegenseitigen Vertragspflichten erzeugt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Sie dürfen das selbstverständlich nicht daraus schließen. Die Frage richtete sich auf die Anwendung des deutsch-sowjetischen Vertrags unmittelbar auf einen Vorgang, der nicht das bilaterale Verhältnis betrifft, und wurde dort unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsverletzung im Zusammenhang mit dem Vertrag betrachtet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, ist ein Inhalt eines Vertrags anzuwenden oder nicht, nachdem Sie zwischen Inhalt und Anwendung unterscheiden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir haben doch wirklich jetzt diesen Punkt im Zusammenhang mit zwei Fragen hier eingehend behandelt. Soll ich das Ganze für Sie wiederholen, Herr Kollege Czaja? Ich glaube nicht, daß das zweckmäßig wäre.
Ich rufe die Frage 25 des Herrn Abgeordneten Berger auf:
Sind nach Kenntnis der Bundesregierung Presseveröffentlichungen zutreffend, daß die Sowjetunion dabei sei, entlang der Küste Südjemens U-Boot-Bunker anzulegen, und wenn ja, welche Auswirkungen werden diese Basen auf die maritimen Fähigkeiten der Sowjetunion im Indischen Ozean, in der Arabischen Bucht und im Persischen Golf haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung kann diese Meldung nicht bestätigen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, hat sich die Bundesregierung, nachdem diese alarmierenden Meldungen veröffentlicht worden waren, bemüht, in diesem Zusammenhang zu gesicherten Erkenntnissen zu gelangen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ja.
Bitte.
Gibt es wenigstens Zwischenergebnisse? Umgekehrt gefragt: Bestehen gesicherte Erkenntnisse, daß diese Meldungen unzutreffend waren?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich habe das Zwischenergebnis soeben wiedergegeben. Die Meldungen haben sich nicht bestätigt.
Ich rufe die Frage 26 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der Beschluß des NATO-Ministerrats im vergangenen Dezember, der Bedrohung Europas durch die Stationierung modernster sowjetischer Mittelstreckenraketen in Warschauer-Pakt-Staaten durch eine angemessene Nachrüstung zu begegnen, die Sowjetunion in ihrer Analyse bestätigt hat, daß die USA „den Kalten Krieg, wenn schon nicht wollen, so doch in Kauf nehmen", und bei der Sowjetunion den Ausschlag dafür gegeben hat, das „Afghanistan-Risiko" einzugehen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung teilt diese Auffassung nicht.
Eine Zusatzfrage. Bitte.
Bedeutet das, Herr Staatsminister — wenn ich Sie danach fragen darf —, daß die Bundesregierung keinerlei Art von Ursächlichkeit zwischen dem Beschluß des NATO-Ministerrats und dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan annimmt und sieht?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Das ist richtig.
Ich rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Peiter auf:Treffen Zeitungsmeldungen darüber zu, daß junge Afghaner, die vom deutschen pädagogischen Austauschdienst ein einjähriges Stipendium für die Bundesrepublik Deutschland bekommen haben, auf Anforderung der Deutschen Lufthansa ihr Flugticket wieder zurückgeben mußten?
Bitte zur Frage 27.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Präsident, ich wollte nur abwarten, bis ich hörbar geworden bin.Die vier afghanischen Lehrer, die zum 1. Januar 1980 Flugtickets zur Anreise in die Bundesrepublik Deutschland erhalten hatten, trafen zum vorgesehenen Termin nicht ein. Die deutschen Stellen erhielten auch keinerlei Nachricht über ihren Verbleib.
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16020 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980
Staatsminister Dr. von DohnanyiErst am 21. Januar teilte die Botschaft Kabul mit, daß die afghanischen Lehrkräfte ihre Reise nicht antreten konnten, da sie von den afghanischen Behörden keine Pässe erhalten hatten. Die Pässe seien inzwischen jedoch ausgestellt worden, so daß die Stipendiaten jetzt ausreisebereit seien.Die am Weiterbildungsprogramm beteiligten deutschen Stellen veranlaßten daraufhin sofort, daß die inzwischen routinemäßig stornierten Flugtikkets umgehend angewiesen wurden.Die afghanischen Lehrkräfte traten ihre Reise in die Bundesrepublik Deutschland am 3. Februar 1980 an und haben inzwischen ihre Ausbildung aufgenommen.
Ich rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Peiter auf:
Geschah dies, falls das zutrifft, auf Anordnung deutscher Behörden?
— Ist sie mitbeantwortet?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Präsident, ich bin davon ausgegangen, daß damit auch die Frage 28 beantwortet ist.
Damit sind wir am Ende mit den Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Dr. Fröhlich zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner auf:
Welche Hinweise zur Erhellung des Verschwindens des litauischen Sportlers W. Cesiunas aus der Bundesrepublik Deutschland hat die Bundesregierung aus früheren Fällen der Verschleppung sowjetischer Bürger gewonnen, von denen in der Presse berichtet wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, den deutschen Sicherheitsbehörden liegen nach den von uns getroffenen Feststellungen weder aus jüngster Zeit noch aus der Vergangenheit Informationen über Verschleppungen sowjetischer Staatsbürger aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vor, die sich nach den von Ihnen angesprochenen Zeitungsmeldungen in den Jahren 1962 bis 1965 ereignet haben sollen. Es ist uns deshalb auch nicht möglich, die Seriosität der erwähnten Pressemeldungen zuverlässig zu beurteilen. Die Bundesregierung geht jedoch davon aus, daß die zuständige Strafverfolgungsbehörde den Presseveröffentlichungen im Rahmen ihrer Ermittlungen in dem angeblichen Entführungsfall Cesiunas mit der gebotenen Sorgfalt nachgeht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Miltner.
Herr Staatssekretär, darf ich dann also davon ausgehen, daß die Bundesregierung keinerlei Erkenntnisse über die Fälle, wie sie in der FAZ vom 31. Januar 1980 veröffentlicht worden sind, und auch keine Erkenntnisse über den Ablauf der dort geschilderten Verschleppungen hat?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Das ist zutreffend, Herr Abgeordneter. Wir haben uns vergewissert, daß die deutschen Sicherheitsbehörden weder die Namen, die hier genannt sind, kennen noch mit den Vorgängen damals in irgendeiner Weise erfaßt waren.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Hat die Bundesregierung in der Vergangenheit oder auch neuerdings — jetzt nach dieser Pressemeldung — in Zusammenarbeit mit befreundeten Regierungen versucht, die Fälle aus der Vergangenheit aufzuklären, um damit vielleicht sogar Aufschlüsse über eine mögliche Entführung im Falle Cesiunas zu bekommen?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Die Bundesregierung hat das versucht. Sie hat festgestellt, daß die deutschen Sicherheitsbehörden weder aus Erkenntnissen in der Vergangenheit noch auf Grund jetziger, zusätzlicher Erkenntnisse in der Lage sind, zu diesen Vorgängen etwas beizutragen. Darüber hinaus ist, wie ich angedeutet habe, die zuständige Staatsanwaltschaft bemüht, Informationen zu verwerten, die sich hier möglicherweise für den Fall Cesiunas ergeben.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Dr. Miltner auf:
Was hat die Bundesregierung getan oder was wird sie tun, um festzustellen, in wieviel Fällen und unter welchen Umständen sowjetische Bürger oder Bürger anderer sozialistischer Länder aus der Bundesrepublik Deutschland in Ostblockstaaten verschleppt worden sind?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Wie ich bereits in der Antwort zu der vorhergehenden Frage ausgeführt habe, Herr Abgeordneter Miltner, ist den zuständigen Stellen nichts über derartige Verschleppungen bekannt. Damit entfällt der Ansatzpunkt für die von Ihnen gezogene Schlußfolgerung.
Im übrigen ist es eine selbstverständliche Pflicht der Sicherheitsbehörden, Entführungen auf deutschem Boden zu verhindern und bei Verdacht eines solchen schwerwiegenden Verstoßes gegen die deutsche Rechtsordnung die gebotenen Strafverfolgungsmaßnahmen einzuleiten.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär. können Sie mir bestätigen, daß es z. B. im Falle Cesiunas offengeblieben ist, ob eine Verschleppung vorliegt oder nicht, und daß unter Umständen sogar auch Personen mit diplomatischem Status daran beteiligt gewesen sein könnten?Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Es ist Ihnen sicher bekannt, Herr Abgeordneter, daß der Generalbundesanwalt, der in dieser Sache ja die Ermittlungen ge-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980 16021
Staatssekretär Dr. Fröhlichführt hat, das Verfahren am 6. Dezember letzten Jahres eingestellt hat, weil sich nicht ausschließen läßt, daß Cesiunas freiwillig in die Sowjetunion zurückgekehrt ist. Ich habe aber angedeutet, daß jene Veröffentlichungen Anlaß gegeben haben, diesen Dingen noch einmal nachzugehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß Sie gerade diese neuen Veröffentlichungen in der FAZ zum Anlaß nehmen, zu versuchen, neue Erkenntnisse zu gewinnen?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Sie dürfen davon ausgehen. Unsere Nachfragen sind zum Teil noch im Gange. Sie werden mir aber sicher einräumen, Herr Abgeordneter, daß der Bericht der FAZ außerordentlich vage ist und im wesentlichen nach der eigenen Darstellung Gerüchte vom Hörensagen wiedergibt.
Ich rufe die Frage 29 des Abgeordneten Dr. Ritz auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der niedersächsischen Landesregierung daß unter Wahrung der entsprechenden Voraussetzungen Lingen/Ems ein geeigneter Standort für die Errichtung eines neuen Kernkraftwerks von 1300 MW ist?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, nachdem der Wirtschaftsminister des Landes Niedersachsen im Rahmen seiner Zuständigkeit nach dem Energiewirtschaftsgesetz einem Kernkraftwerk von 1 300 MW bei Lingen grundsätzlich zugestimmt hat, ist zur Errichtung des Kernkraftwerkes unter anderem ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren erforderlich. Der Bundesminister des Innern wird in Erfüllung seiner Aufsichtspflicht über atomrechtliche Genehmigungsverfahren zu gegebener Zeit prüfen, ob alle Voraussetzungen nach dem Atomgesetz für die Errichtung eines Kernkraftwerkes bei Lingen erfüllt sind. Zur Zeit sind dem Bundesminister des Innern keine ausschließenden Fakten bekannt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, der letzte Hinweis deutet also darauf hin, daß Sie den Standort grundsätzlich unter Wahrung aller Voraussetzungen, deren Erfüllung im Genehmigungsverfahren zu überprüfen ist, für geeignet halten?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Ich habe gesagt: Dem Bundesminister des Innern sind ausschließende Fakten nicht bekannt. Das Verfahren liegt, wie Sie wissen, Herr Abgeordneter, beim Land. Dort laufen derzeit die entsprechenden Verfahrensschritte.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 30 des Abgeordneten Dr. Ritz auf:
Entspricht das in Frage 29 angesprochene geplante Projekt dem Energieprogramm der Bundesregierung?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Die Bundesregierung hat bereits in der zweiten Fortschreibung des Energieprogramms und verschiedentlich danach zum Ausdruck gebracht, daß sie — auch nach vorrangiger Nutzung von Energieeinsparungsmöglichkeiten und deutscher Steinkohle — zur Deckung des mittel- und langfristigen Kapazitätsbedarfs in den einzelnen Lastbereichen, insbesondere auch unter regionalen Aspekten, den Bau weiterer Kernkraftwerke für unerläßlich und — auch auf Grund des erreichten hohen Sicherheitsstandes — für vertretbar hält. Im übrigen, Herr Abgeordneter, nimmt die Bundesregierung aus grundsätzlichen Erwägungen der Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern aus energiewirtschaftlicher Sicht zu Einzelprojekten nicht Stellung.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß es gerade im Hinblick auf vorhandene Gegnerschaft gegen Kernkraftwerke in der Region hilfreich und im Grunde auch vernünftig wäre, solche Entscheidungen, die Landesregierungen treffen, im Grundsatz entsprechend zu unterstützen und zu tragen?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, es findet in absehbarer Zeit bei den zuständigen Behörden des Landes ein Erörterungstermin statt. Ich nehme an, daß dieser Erörterungstermin auch zu einer öffentlichen Diskussion führen wird.
Auf die Fragen 31 des Herrn Abgeordneten Dr. Hüsch und 32 des Herrn Abgeordneten Dr. Emmerlich haben die Fragesteller um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 33 des Herrn Abgeordneten Conradi auf:
Wie viele der in der Beantwortung der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Erhard, Spranger und der Fraktion der CDU/CSU in der Antwort zu Fragen 4 und 5 genannten sieben Beamten, gegen die Vorermittlungen im Gange sind, drei Beamten, bei denen die Vorermittlungen abgeschlossen sind, sowie neun Beamten, gegen die ein förmliches Disziplinarverfahren eingeleitet worden ist, gehören der NPD/JN und wie viele der DKP/SDAJ an?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, von den sieben Beamten, gegen die Vorermittlungen im Gange sind, gehören vier der NPD und drei der DKP an.
Von den drei Beamten, bei denen die Vorermittlungen abgeschlossen sind, gehören zwei der NPD und einer der DKP an.
Von den neun Beamten, gegen die ein förmliches Disziplinarverfahren eingeleitet worden ist, gehören einer der NPD und acht der DKP an.
Ein Zusatzfrage des Abgeordneten Conradi.
Herr Staatssekretär, bleibt die Bundesregierung angesichts unterschiedlicher Feststellungen über die Verfassungsfeindlichkeit der Ziele von NPD einerseits und DKP andererseits bei ihrer
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16022 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980
Conradihier geäußerten Auffassung, daß die Feststellung, eine Partei verfolge verfassungsfeindliche Ziele, im Rahmen der Aufklärungspflicht der Bundesregierung erfolge und keine Rechtsfolgen nach sich ziehe?Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat bekanntlich ihre Auffassung über die Abgrenzung der Begriffe „verfassungsfeindlich" und „verfassungswidrig" in einer sehr substantiierten und auch diffizilen Darlegung ausgeführt. Sie bleibt bei dieser Darstellung.
Dann rufe ich die Frage 34 des Abgeordneten Conradi auf:
Was versteht die Bundesregierung unter „objektiven und subjektiven Voraussetzungen" für ein Dienstvergehen wegen Verletzung der politischen Treuepflicht?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, nach § 77 Abs. 1 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes begeht ein Beamter ein Dienstvergehen, wenn er schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzt. Der Begriff des Dienstvergehens setzt damit objektiv eine Pflichtverletzung und subjektiv ein Verschulden des Beamten voraus.
Die politische Treuepflicht ist im § 52 Abs. 2 des Bundesbeamtengesetzes normiert. Nach dieser Bestimmung muß sich der Beamte durch sein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten. Eine Verletzung dieser Pflicht ist nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1975 objektiv gegeben — ich zitiere —,
wenn der Beamte aus seiner politischen Überzeugung Folgerungen für seine Einstellung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, für die Art der Erfüllung seiner Dienstpflichten, für den Umgang mit seinen Mitarbeitern oder für politische Aktivitäten im Sinne seiner politischen Überzeugungen zieht.
Schuldhaft verletzt der Beamte seine Pflichten, wenn er ihnen entweder vorsätzlich oder fahrlässig zuwiderhandelt. Der Beamte handelt vorsätzlich, wenn er sich bewußt und gewollt pflichtwidrig verhält. Er handelt fahrlässig, wenn er unter Verletzung zumutbarer Sorgfalt gegen seine Dienstpflichten verstößt.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, kann nach Auffassung der Bundesregierung eine subjektive Voraussetzung für eine Treuepflichtsverletzung darin liegen, daß der Beamte die Verfassungsfeindlichkeit der Ziele einer Partei anders beurteilt als die Bundesregierung im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht gegenüber der Bevölkerung?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, jeder Einzelfall wird auf Grund der konkreten Gegebenheiten beurteilt werden müssen. Ihre Frage zielt nun auf das subjektive Element, ob eine Fehlbeurteilung des Beamten ihm vorwerfbar ist oder nicht. Auch diese wird nur im Einzelfall gewürdigt werden können.
Eine. weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Conradi.
Herr Staatsekretär, die Treuepflichtsverletzung hängt aber - wenn ich die Feststellung der Bundesregierung richtig verstanden habe — nicht davon ab, ob sie im Zusammenhang mit einer Partei mit verfassungsfeindlichen Zielsetzungen oder einer anderen Partei oder überhaupt keiner Partei begangen worden ist, wenn das zutrifft, was die Bundesregierung gesagt hat, sie ziehe daraus keine Rechtsfolgen?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, es ist zutreffend, daß eine Verletzung der Treuepflicht auch erfolgen kann durch eine Betätigung des Beamten oder das Unterlassen eines Verhaltens des Beamten, das von ihm gefordert wird, außerhalb seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Partei.
Die Frage 35 des Abgeordneten Schwencke wird schriftlich beantwortet, da der Abgeordnete nicht im Saal ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Die Fragen 36 und 37 des Abgeordneten Zywietz werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Kleinert auf:Wie beurteilt die Bundesregierung ihre in der Drucksache 7/3898 vom 29. Juli 1975 getroffene Feststellung heute, der Sozialistische Hochschulbund sei den „orthodox-kommunistisch orientierten Gruppen" zuzurechnen?Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Ihre Frage bezieht sich auf die Antwort der Bundesregierung vom 29. Juli 1975 auf eine Kleine Anfrage der Opposition zu den damals neu gebildeten „Vereinigten Deutschen Studentenschaften" . Die Bundesregierung stellte damals fest, im Vorstand der VDS stünden „drei Vertreter der Koalition aus Juso-HG, LHV und Basisgruppen zwei Vertretern orthodox-kommunistisch orientierter Gruppen gegenüber". Aus der Antwort ergibt sich, daß mit den Vertretern der orthodox-kommunistisch orientierten Gruppen die Vertreter von MSB Spartakus und von SHB gemeint waren.Diese Antwort der Bundesregierung deckt sich mit den Aussagen in den Verfassungsschutzberichten 1975, 1976, 1977 und 1978. So wurde im Verfassungsschutzbericht 1975 festgestellt — Zitat —:Zuverlässiger Bündnispartner des MSB Spartakus blieb der SHB, der auf der Grundlage des „wissenschaftlichen Sozialismus" — wie die DKP — für eine „antimonopolistische Demokratie als Öffnung des Weges zum Sozialismus" kämpft.In dem am 10. Juli 1979 veröffentlichten Verfassungsschutzbericht 1978 heißt es:
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980 16023
Staatssekretär Dr. FröhlichDer „Sozialistische Hochschulbund" mit unverändert 1600 Mitgliedern bezeichnet sich zwar als Teil der Sozialdemokratie, kämpft jedoch wie der MSB auf der Grundlage des „wissenschaftlichen Sozialismus" für eine „antimonopolistische Demokratie" als „Öffnung des Weges zum Sozialismus" und tritt dabei für ein langfristiges strategisches „Bündnis" mit den orthodoxen Kommunisten ein ...An der Beurteilung des SHB hat sich seither nichts geändert.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 39 des Abgeordneten Kleinert auf:
Wird der SHB vom Bund gefördert, und wenn ja, in welcher Höhe von welchen Stellen?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, der SHB wird von Bundesseite nicht gefördert.
Eine Zusatzfrage.
Welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung, Mittelzuflüsse aus irgendwelchen öffentlichen Quellen an derartige Vereinigungen zu überprüfen, und nimmt sie darauf Einfluß?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Die Bundesregierung trägt natürlich zunächst die Verantwortung dafür, daß ihre eigenen Mittel nicht für Zwecke verwendet werden, die mit den Zielen der Zuwendung nicht im Einklang stehen. Sie übt darüber hinaus z. B. durch die Verfassungsschutzberichte eine aufklärende Tätigkeit aus. Ich gehe davon aus, daß sich alle öffentlichen Mittelgeber an diesen Maßstäben orientieren.
Wenn es andere Mittelgeber gibt, so entzieht sich das der Einflußnahme der Bundesregierung.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sauer.
Herr Staatssekretär, führt die Bundesregierung ihre Feststellung bezüglich der ideologischen Zurechnung zu den orthodox-kommunistischen Gruppierungen auch auf die Finanzierungsquellen zurück?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Dafür gibt es keine zureichenden Indizien, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Broll.
Herr Staatssekretär, bezieht sich die Weigerung der Bundesregierung, Zuschußmittel für den SHB zu geben, auf seine Substanz, d. h. seine Ideologie, oder auch auf die Tatsache, daß er mit Kommunisten Bündnisse eingeht? Wenn letzteres der Fall sein sollte: Würde die gleiche Weigerung auch für den Liberalen Hochschulverband gelten, der ja mit Kommunisten ebenfalls Bündnisse eingegangen ist?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Sperrung der Zuschüsse, die ja bereits im Jahre 1974 erfolgt ist, beruht zunächst auf der Wertung der ideologischen Komponente des SHB, die weitgehend mit der der DKP gleichgerichtet ist. Hinzu kommt das Bekenntnis des SHB zu einer langfristigen strategischen Bündnisgemeinschaft mit der DKP. Aber beide Elemente müssen zusammen gesehen werden.
Die Fragen 40 und 41 des Abgeordneten Dr. Schachtschabel werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 42 und 43 des Abgeordneten Dr. Pinger werden ebenfalls schriftlich beantwortet, da der Abgeordnete nicht im Saal ist. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 44 und 45 des Abgeordneten Josten sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich rufe die Fragen 46 und 47 des Herrn Abgeordneten Dr. Laufs auf. — Der Abgeordnete ist ebenfalls nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Jungmann, die Fragen 49 und 50 des Herrn Abgeordneten Büchner , die Fragen 51 und 52 des Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens und die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Dr. Spöri werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. de With zur Verfügung.
Die Fragen 54 und 55 des Herrn Abgeordneten Spranger werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Fragen 56 und 57 des Herrn Abgeordneten Schwarz auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 58 der Frau Abgeordneten Krone-Appuhn auf:
Auf welche Erklärung stützt sich das Bundesjustizministerium in seinem Informationsblatt „Recht vom 4. Februar 1980, Nummer 7, wenn es behauptet, daß der Familienbund der Deutschen Katholiken und der Katholischen Elternschaft Deutschlands das am 1. Januar in Kraft getretene Gesetz über die Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge begrüßten und die katholische Nachrichtenagentur sich positiv zur elterlichen Sorge geäußert habe?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, ich möchte die Fragen 58 und 59 gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 59 der Frau Abgeordneten Krone-Appuhn auf:
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16024 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980
Vizepräsident Dr. von WeizsäckerWie erklärt sich das Bundesjustizministerium, daß alle angesprochenen Institutionen es als falsch hinstellen, solche Stellungnahmen abgegeben zu haben?Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Die Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz Nr. 7/1980 vom 4. Februar 1980 stützt sich auf die Meldung der Katholischen Nachrichten-Agentur vom 5. Januar 1980 und auf den Beitrag „Elterliche Sorge" in Heft 1/1980 in der Zeitschrift des Deutschen Familienbundes „Die Familie".In der KNA-Meldung vom 5. Januar heißt es u. a.: „Der Familienbund der Deutschen Katholiken und die Katholische Elternschaft Deutschlands haben in einer Erklärung das neue Gesetz begrüßt." Mit dieser Meldung hat die KNA eine zustimmende Stellungnahme zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge wiedergegeben. Es ist einzuräumen, daß dies keine eigene Meinungsäußerung der Agentur darstellt.Im übrigen ist es begrüßenwert, daß der Familienbund der Deutschen Katholiken und die Katholische Elternschaft Deutschlands eine gemeinsame Broschüre „Was Eltern wissen sollten" herausgeben, die sachlich und umfassend über das neue Recht informiert. Auch auf diese Tatsache ist in der Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz hingewiesen worden.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen der Brief vom 6. Februar 1980 bekannt, der an Ihr Haus gerichtet wurde, aus dem hervorgeht, daß die KNA sich von Ihrer Interpretation distanziert, und in dem sie darauf verweist, daß sie mehrfach nicht positiv, sondern sehr kritisch zur Frage der Reform des elterlichen Sorgerechts Stellung genommen habe?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Der Brief ist mir bekannt. In dem Brief wird allerdings, was die KNA anlangt, lediglich darauf hingewiesen — das habe ich durch meine Äußerung soeben bestätigt —, daß dies keine eigene Meinung der KNA darstellt. Ich habe dies eingeräumt.
Im übrigen heißt es dort — ich darf es zitieren, wenn Sie es schon ansprechen —: „Gewiß haben wir in unserer aktuellen Berichterstattung zahlreiche relevante Stimmen zitiert, sowohl positive wie negative."
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen des weiteren bekannt, daß sowohl der Familienbund der Deutschen Katholiken als auch die Katholische Elternschaft Deutschlands weiterhin große Sorge haben, daß gesetzliche Leitbilder mit dem neu eingeführten Gesetz fixiert werden sollten und daß man versuchen will, Erziehungsziele vorzuschreiben, wie es in der Meldung vom 21. März 1979 hieß, was auch heute weiterhin in diesen Kreisen diskutiert wird?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Es mag sein, daß bei diesen Verbänden in einzelnen Punkten Sorge besteht. Das ändert aber nichts an der Richtigkeit der Darstellung, auf die ich gerade hingewiesen habe. Ich kann Ihnen die Meldung von KNA zugänglich machen, wenn Sie es wünschen.
Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Böhme zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 60 dès Herrn Abgeordneten Dr. Jobst auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Stutzer auf:
Bei wie vielen Arbeitnehmern mit einem geringen Verdienst, die wegen einer verkehrsungünstigen Wohnlage zur Erreichung der Arbeitsstelle auf einen eigenen Personenkraftwagen angewiesen sind, weil sie öffentliche Verkehrsmittel nicht benutzen und auch Fahrgemeinschaften nicht bilden können, ist nach den Schätzungen der Bundesregierung auf Grund des Benzinpreissprungs bei den Fahrten zur Arbeitsstelle die zumutbare Belastungsgrenze erreicht oder schon überschritten worden, und was wird die Bundesregierung unternehmen, um diese Tagespendler, denen mit einer allgemeinen Entfernungspauschale von 036 DM nicht geholfen wäre, vor einer wirtschaftlichen Notlage zu bewahren?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Gestatten Sie mir, daß ich die Fragen 61 und 62 zusammen beantworte?
Da der Fragesteller einverstanden ist, rufe ich auch die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Stutzer auf:Bei welcher Benzinpreiserhöhung ist die Bundesregierung bereit, den für die Fahrt zur Arbeitsstelle auf einen Personenkraftwagen angewiesenen Arbeitnehmern, die weniger als 1 500 DM monatlich verdienen, eine Erhöhung der z. Z. bestehenden Kilometerpauschale von 036 DM zu gewähren, und wie hoch schätzt die Bundesregierung die Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuer, die als Folge der höheren Benzinpreise aus Fahrten mit dem Personenkraftwagen von und zur Arbeitsstelle erzielt werden?Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Angaben über die Zahl geringverdienender Arbeitnehmer in verkehrsungünstigen Wohnlagen, die auf die Benutzung eines eigenen Pkw angewiesen sind, liegen nicht vor. Eine hinreichend genaue Erfassung eines derartigen Personenkreises dürfte auch kaum möglich sein.Die Bundesregierung beabsichtigt für die Jahre 1981 und 1982 Steuersenkungen im Betrag von 17,5 Milliarden DM. Einen Schwerpunkt der Entlastung bildet die Tarifkorrektur, die vor allem den Arbeitnehmern zugute kommt, die am Beginn der Progressionszone durch ansteigende Grenzsteuersätze belastet werden. Diese Entlastungen kommen auch den Arbeitnehmern zugute, die mit dem Auto zur Arbeit fahren müssen. Änderungen der Kilometerpauschale sind dagegen nicht vorgesehen und können angesichts der gesamten Finanzlage auch nicht finanziert werden. Eine Anhebung der Kilometerpauschale auf 50 Pf würde gut 1Milliarde DM jährlich kosten. Eine Verdoppelung der jetzigen Kilometerpauschale auf 72 Pf würde zu Steuermindereinnahmen von jährlich etwa 2,8 Milliarden DM führen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980 16025
Parl. Staatssekretär Dr. BöhmeDurch die Ölpreissteigerungen ergeben sich insgesamt gesehen keine zusätzlichen Umsatzsteuermehreinnahmen. Geht man von gleichbleibenden verfügbaren Einkommen aus, bewirken preisbedingte Mehrausgaben der Endverbraucher für Mineralölprodukte entweder Einsparungen beim Mineralölverbrauch oder Minderausgaben bei anderen Verbrauchsgütern, so daß ein zusätzliches Umsatzsteueraufkommen insgesamt gesehen nicht entsteht. Diese gesamtwirtschaftliche Betrachtung geht von den Feststellungen der Deutschen Bundesbank aus, daß die Sparquote trotz der Ölpreissteigerungen unverändert geblieben ist.
Bitte, eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stutzer.
Herr Staatssekretär, muß ich also aus Ihrer Antwort schließen, daß Sie die soziale Seite hier völlig außer Betracht lassen, indem Sie nicht bereit sind, wenigstens den geringverdienenden Arbeitnehmern, unter denen sich noch viele mit einem Verdienst von weniger als 1000 DM monatlich befinden und die für ihre Fahrten zur Arbeitsstelle auf einen Pkw angewiesen sind, mit einer Erhöhung der Kilometerpauschale zu helfen, obwohl auch der Bundesregierung bekannt sein dürfte, daß die starken Benzinpreiserhöhungen, die sich in diesem Jahr noch fortsetzen werden, für diesen Personenkreis zu echten wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat bei der Entschließung über die Zusammensetzung des Steuerpakets auch diese Frage geprüft. Sie hat bei der Gesamtzusammensetzung des Steuerpakets darauf verzichtet, die Kilometerpauschale mit einzubeziehen, hat aber in anderen Bereichen schwerpunktmäßig Steuerentlastungen gewährt. Ich habe ein Beispiel gebracht, die Tarifkorrektur. Ich könnte den zweiten Schwerpunkt nennen: Familienpolitik. Ich könnte den dritten Schwerpunkt, einen Schwerpunkt speziell für Arbeitnehmer, nennen, nämlich die Anhebung des Weihnachtsfreibetrages, die Anhebung der Sonderausgabenabzugsbeträge usw. Das alles macht insgesamt ein Volumen von 17,5 Milliarden DM aus. Ich habe zwar viel Verständnis für die Wünsche auf diesem Gebiet, aber Sie müssen finanziert werden können. Der Betrag von 17,5 Milliarden DM war das äußerste, was finanziert werden konnte. Deswegen mußte darauf verzichtet werden, die Kilometerpauschale anzuheben.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Da wir, Herr Staatssekretär, hier über die Kilometerpauschale und nicht über eine Steuerreform sprechen, erlauben Sie mir bitte folgende Frage: Teilen Sie die Auffassung einiger Verfassungsjuristen, daß bei der derzeitigen Benzinpreishöhe eine Kilometerpauschale von 36 Pf verfassungswidrig ist, weil hierdurch der Grundsatz der vollen Abzugsfähigkeit der beruflich veranlaßten Aufwendungen verletzt wird, indem die Steuerpflichtigen, die auf ein eigenes Kraftfahrzeug für die
Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte angewiesen sind, gegenüber solchen, die öffentliche Verkehrsmittel in Anspruch nehmen können, benachteiligt werden, wodurch das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verletzt wird, insbesondere deshalb, weil hierdurch die sozial Schwachen getroffen werden?
Herr Abgeordneter, ich kann solche Zusatzfragen in Zukunft nicht mehr zulassen, weil Zusatzfragen nach den Regeln unserer Geschäftsordnung kurz sein müssen. Ihre soeben gestellte Frage wurde, um sie insgesamt noch in einem Satz unterzubringen, ein wahres Kunstwerk. — Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich werde nicht mit einem Kunstwerk antworten können und beschränke mich daher auf die Feststellung, daß die jetzige Höhe der Kilometerpauschale nicht verfassungswidrig ist und daß es völlig korrekt und konsequent ist, diese Frage — denn es geht hierbei um eine Steuerermäßigung — auch im Gesamtzugammenhang der Steuerentlastungen zu prüfen und zur Entscheidung zu bringen. Dies ist geschehen. Dementsprechend ist das Steuerpaket ohne Berücksichtigung der Kilometerpauschale zusammengesetzt worden.
Bitte, eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stutzer.
Herr Staatssekretär, ist es nicht Aufgabe der Bundesregierung, gerade auch auf steuerlichem Gebiet dafür zu sorgen, daß es nicht zu einer Ungleichbehandlung kommt, die die sozial Schwachen besonders hart trifft, nämlich zu einer Ungleichbehandlung derer, die auf einen Pkw, insbesondere in Flächenländern, angewiesen sind, und jener, die öffentliche Verkehrsmittel benutzen können?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Gerade den sozial Schwachen eine Steuerentlastung zu gewähren ist ein zentrales Anliegen der Bundesregierung. Dies wurde in dem jetzigen Entwurf einer Steuerentlastung für 1981 und 1982 auch voll berücksichtigt und läßt sich wie ein roter Faden in den Steuergesetzen dieser Legislaturperiode verfolgen.
Eine letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Stutzer.
Herr Staatssekretär, können Sie freundlicherweise zu folgendem Satz Stellung nehmen — ich zitiere aus dem „Sozialdemokratischen Pressedienst" —:Wer glaubt, daß angesichts der Entwicklung auf dem Benzinmarkt das Benzin durch Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer auf den Benzinpreis weiter verteuert und zugleich für Fußgänger, Radfahrer und Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel in großstädtischen Ballungsgebieten eine allgemeine Entfernungspauschale mit großem Steuerausfall eingeführt werden könnte, ohne daß zumindest im Interesse der Fernpendler in ländlichen Räumen über eine entfernungsab-
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16026 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980
Stutzerhängige Staffelung der Kilometerpauschale nachgedacht wird, verrät wenig Bezug zur aktuellen Diskussion in den Betrieben.Geschrieben hat dies der derzeitige Staatsminister Herr Huonker.Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ja, das ist völlig korrekt. Das Problem, das dort abgehandelt worden ist, betrifft die Entfernungspauschale, hat also mit der Kilometerpauschale für Kfz, die wir hier debattieren und die Gegenstand der Fragestunde ist, nur indirekt etwas zu tun. Es ist völlig zu Recht ausgeführt worden, daß das Problem, wenn überhaupt, nicht darin besteht, jetzt eine Entfernungspauschale neu einzuführen, sondern die Kilometerpauschale, wie sie jetzt für Kfz-Benutzer besteht, anzuheben. Dies ist dort ausgeführt und ist völlig korrekt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jobst.
Leider ist zu meiner Frage 60 auf schriftliche Beantwortung verwiesen worden, da ich zehn Minuten zu spät gekommen bin.
Das ist erstens zutreffend und zweitens keine Frage — die ich Sie jetzt zu stellen bitte.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß das Auto für viele Menschen insbesondere im ländlichen Bereich ein notwendiger Bestandteil der wirtschaftlichen Existenz ist und daß deshalb angesichts der erheblichen Kosten durch die Benzinverteuerung ein Ausgleich über die Kilometerpauschale geschaffen werden müßte?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihr Anliegen gut verstehen und muß wiederum antworten, daß bei der Überlegung, welche Finanzmasse zur Verfügung steht und wie diese Finanzmasse für die künftigen Steuerentlastungen eingesetzt wird, das Gesamttableau aller Fragen mitberücksichtigt werden mußte. Die Bundesregierung und die Koalition haben sich entschlossen, dieses Steuerpaket auf eine Tarifkorrektur, eine familienpolitische Komponente und eine Anhebung des Weihnachtsfreibetrages nebst einer Anhebung der Sonderausgabenhöchstbeträge zu verteilen. Damit war das finanzielle Volumen erschöpft. Auch noch so berechtigte Überlegungen zur Kilometerpauschale scheitern daran, daß eine Anhebung außerordentlich teuer würde. Ich darf noch einmal darauf verweisen: allein eine Anhebung auf 50 Pf würde einen Steuerausfall von gut einer Milliarde DM verursachen, eine Verdoppelung auf 72 Pf einen Ausfall von gut 2,8 Milliarden DM. Dies war finanziell nicht mehr darstellbar.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Cronenberg.
Herr Staatssekretär, können Sie zustimmen, daß es aus rein energiepolitischen
Überlegungen wünschenswert wäre, die Kilometerpauschale völlig zu streichen?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Man könnte allein aus energiepolitischen Gründen so argumentieren. Ich verkenne natürlich nicht, daß gerade in strukturschwachen Räumen, im ländlichen Raum, eine große Problematik entstehen würde, wenn diejenigen, die auf das Auto angewiesen sind, jetzt die Kilometerpauschale in Höhe von 36 Pf pro Kilometer gestrichen bekämen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Simpfendörfer.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die Opposition durchaus die Möglichkeit hat, einen entsprechenden Gesetzentwurf in dieses Haus einzubringen und um eine Mehrheit für einen solchen Gesetzentwurf zu werben?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich stimme Ihnen zu.
Die Frage ist beantwortet. Ich rufe Frage 63 des Abgeordneten Dr. Schöfberger auf:Welche Gründe sprechen dafür, daß Justizpressestellen des Bundes und der Länder über alle Straftäter und Straftaten bereitwillig Auskunft erteilen, nur nicht über Steuerdelikte und Steuerkriminelle, und wieso wird im Steuergeheimnis die Gegenleistung des Staats gegenüber der Offenbarungspflicht des Bürgers gesehen, wenn sich der Steuerkriminelle gerade dadurch auszeichnet, daß er seine Steuerverhältnisse in krimineller Weise nicht offenbart?Bitte, Herr Staatssekretär.Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Justizpressestellen über alle Straftäter und Straftaten Auskunft erteilen. In den bundeseinheitlichen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, die für die Staatsanwaltschaften und die Justizverwaltungen verbindlich sind, ist in Nr. 23 über die Zusammenarbeit mit Presse und Rundfunk klar herausgestellt, daß bei der Auskunfterteilung zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit an einer vollständigen Berichterstattung einerseits und dem Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten andererseits abzuwägen ist. Dabei ist konkret gesagt, daß eine unnötige Bloßstellung des Betroffenen zu vermeiden ist und im allgemeinen einem Informationsinteresse der Öffentlichkeit in der Regel ohne Namensnennung entsprochen werden kann. — Dies sind die Grundsätze, die für allgemeine Straftaten gelten.Steuersachen dagegen unterliegen dem besonderen Schutz des Steuergeheimnisses. In § 30 der Abgabenordnung ist ausdrücklich bestimmt, daß das Steuergeheimnis auch im Steuerstrafverfahren gilt. Nach dieser Vorschrift haben nicht nur die Steuerbeamten, sondern alle Amtsträger, d. h. auch die Staatsanwaltschaften und die Justizpressestellen, das Steuergeheimnis zu wahren. Durch das Steuergeheimnis werden nicht nur Geheimnisse im materiellen Sinne geschützt. Zu den durch § 30 der Abgabenordnung geschützten Verhältnissen gehört vielmehr auch schon die Tatsache, daß ein Steuerstrafverfahren überhaupt anhängig ist und gegen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980 16027
Parl. Staatssekretär Dr. Böhmewen es sich richtet. § 30 der Abgabenordnung verbietet die Offenbarung steuerlicher Verhältnisse. Eine solche Offenbarung liegt vor, wenn sie konkrete Rückschlüsse auf einen einzelnen Steuerpflichtigen zuläßt. Die Staatsanwaltschaften und Justizpressestellen können deshalb Auskünfte über Steuerstrafverfahren geben, solange dabei nicht der Name des Beschuldigten genannt wird und sich auch aus den übrigen Umständen des Falles keine Rückschlüsse auf den Beschuldigten ziehen lassen.Auskünfte über Steuerstrafverfahren unter gleichzeitiger Namensnennung des Beschuldigten sind dagegen nur zulässig, wenn einer der in § 30 der Abgabenordnung im einzelnen aufgeführten Offenbarungsgründe vorliegt. Eine Pressemitteilung kommt danach auch bei Steuerstrafverfahren mit Namensnennung des Beschuldigten in Betracht, wenn sie für die Durchführung des Steuerstrafverfahrens, z. B. für die Verfolgung eines flüchtigen Steuerstraftäters mit Hilfe eines Steckbriefes erforderlich ist oder wenn ein zwingendes öffentliches Interesse gegeben ist, was in § 30 Abs. 4 Nr. 5 der Abgabenordnung im einzelnen aufgezählt ist.An das Steuergeheimnis sind nur die Amtsträger gebunden. Wenn ein Journalist an einer öffentlichen Gerichtsverhandlung in Steuerstrafsachen teilnimmt, ist er nicht gehindert, über das Ergebnis der Verhandlung in der Presse zu berichten. Dabei kann er auch den Namen des Steuerstraftäters nennen. Jedoch auch im Steuerstrafverfahren kann nach § 172 des Gerichtsverfassungsgesetzes die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schöfberger.
Herr Staatssekretär, haben Sie einen Überblick, ob in der Praxis der Gerichte und der Justizpressestellen nach den von Ihnen geschilderten Grundsätzen verfahren wird oder ob nicht vielmehr in Steuerstrafsachen eine über diese Grundsätze hinausgehende Zurückhaltung festzustellen ist?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Eine besondere Aufstellung habe ich jetzt nicht zur Verfügung. Es ist aber sicher so, daß die enumerative Aufzählung in § 30 Abs. 4 Nr. 5, die ich eben genannt habe, dazu führen könnte, daß die Justizpressestellen in Steuerstrafsachen im allgemeinen zurückhaltender verfahren als in allgemeinen Strafsachen. Dies ist nicht auszuschließen.
Eine weitere Zusatzfrage? — Nein.
Dann rufe ich die Frage 64 des Abgeordneten Schöfberger auf:
Wird die Bundesregierung die Anregung des Generalbundesanwalts, der Generalstaatsanwälte und der Deutschen Richterakademie aufgreifen und durch eine Initiative zur Änderung des § 30 der Abgabenordnung ausdrücklich klarstellen, daß Presseauskünfte der Staatsanwaltschaften und Gerichte auch in Steuerstrafverfahren erteilt werden dürfen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Bei der Reform der Abgabenordnung haben sich die zuständigen
Ausschüsse des Deutschen Bundestages eingehend und in mehreren Sitzungen mit der Frage befaßt, unter welchen Voraussetzungen Ausnahmen von der Wahrung des Steuergeheimnisses zulässig sind. Dabei hat der Gesetzgeber eine Lösung gefunden, die dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit Rechnung trägt.
Seit der Reform der Abgabenordnung sind keine neuen Gesichtspunkte aufgetreten, die es erforderlich erscheinen lassen, die Vorschriften über das Steuergeheimnis nach so kurzer Zeit schon wieder zu ändern. Die Bundesregierung sieht daher bis jetzt keinen Anlaß, die Anregung des Generalbundesanwalts und der Generalstaatsanwälte aufzugreifen. Im übrigen ist von der Deutschen Richterakademie keine Entschließung zu dieser Frage gefaßt worden.
Eine Zusatzfrage.
Wie kommt es dann — wenn die Rechtslage und die Praxis nach Ihrer Ansicht so befriedigend sind —, daß der Generalbundesanwalt und sämtlilche Generalstaatsanwälte der Länder eine Entschließung fassen, nach der der § 30 der Abgabenordnung dringend ergänzungsbedürftig sei?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich habe vorhin nicht ausgeführt, daß nach meiner Beurteilung die Praxis zufriedenstellend sei. Dieses Urteil kann ich nicht fällen, weil — ich habe darauf hinweisen müssen — mir die Praxis im einzelnen nicht bekannt ist. Umgekehrt wurde aber der Katalog der Ausnahmemöglichkeiten in § 30 damals im Finanzausschuß und auch im Rechtsausschuß sehr gründlich erwogen, und das Für und Wider der Ausnahmetatbestände wurden abgewogen. Dies möchte ich festhalten. Bisher hat es keine neuen Gesichtspunkte gegeben, welche es erforderlich erscheinen lassen, eine Gesetzesänderung vorzunehmen und damit den Katalog des § 30 der Abgabenordnung zu erweitern.
Eine ganz andere Frage ist, ob in der Praxis die Möglichkeiten der Veröffentlichung, die § 30 ja bietet, auch genutzt werden, z. B. die Möglichkeit einer Offenbarung bzw. Auskunftserteilung, wenn Wirtschaftsstraftaten verfolgt werden. Hier sind unter Umständen Veröffentlichungen möglich, und es wäre dann Sache der Generalstaatsanwälte selbst, dafür zu sorgen, daß die bestehenden gesetzlichen Regelungen in der Praxis auch ausreichend ausgenutzt werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, die Praxis noch eingehender zu verfolgen und sich an Hand eines besseren Überblicks eine Meinung zu bilden, die etwa der Entschließung des Generalbundesanwalts und der Generalstaatsanwälte entsprechen könnten?
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Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Dies will ich gern zusagen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe zunächst Frage 65 des Abgeordneten Dr: Ing. Laermann auf:
Kann die Bundesregierung eine zusammenfassende Darstellung der derzeit bereits technisch realisierbaren und einsatzbereiten Möglichkeiten zur Reduzierung des Kraftstoffbedarfs von Kraftfahrzeugmotoren geben?
Herr Kollege, zur Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs von Kraftfahrzeugmotoren bieten sich vor allem folgende schon gegenwärtig technisch realisierbare und einsatzbereite Möglichkeiten an: In erster Linie ist der verstärkte Einsatz von Dieselmotoren zu nennen, die einen günstigeren Teillastverbrauch als Ottomotoren aufweisen. Inzwischen haben sämtliche deutschen Automobilhersteller auch Personenkraftwagen mit Dieselmotor in ihrem Programm bzw. in Vorbereitung. Elektronische Systeme für die Gemischbildung und -zündung ermöglichen eine exakte Anpassung der Kraftstoffmenge und des Zündzeitpunkts an die jeweiligen Anforderungen des Fahrbetriebs. Bei mittelgroßen Motoren ist die Turboaufladung ein weiterer Weg, um vor allem im Langstreckenbereich bei gleicher Leistung einen geringeren Kraftstoffverbrauch zu erreichen. Hier sind bereits einige Motoren europäischer Hersteller, auch deutscher, auf dem Markt.
Über die Motorentechnik hinaus gibt es weitere Möglichkeiten zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs, z. B. den Einsatz des Automatikgetriebes für Fahrzeuge, die überwiegend im Stadtverkehr betrieben werden, das Fünfganggetriebe, die Senkung des Fahrzeuggewichts, die Verbesserung der Karosserie zur Verringerung des Luftwiderstandes und anderes.
Die breite Markteinführung dieser Technologien hängt u. a. davon ab, in welchem Ausmaß die vielfach höheren Anschaffungskosten für den Autokäufer durch die steigenden Kraftstoffpreise ausgeglichen werden.
Die Bundesregierung unterstützt im Rahmen ihrer Förderung von Forschung und Entwicklung die Entwicklung von Antriebskonzepten, mit denen bei gleichzeitiger Reduzierung der Abgas- und Lärmemissionen weitere erhebliche Senkungen der Kraftstoffverbrauchswerte erreicht werden sollen. Diese Entwicklungen können voraussichtlich Anfang der 90er Jahre Eingang in die Serienfertigung finden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie denn eine Angabe dazu machen, welche Möglichkeiten die Bundesregierung sieht, die von
Ihnen dargestellten technisch realisierbaren Entwicklungen beschleunigt in den Markt einzuführen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wir konzentrieren uns im Augenblick darauf, künftige Konzepte zu fördern, etwa durch Forschungsmittel, während wir uns hinsichtlich der Markteinführung auf Absprachen mit der Automobilindustrie stützen, die zu freiwilligen Regelungen in der hier angedeuteten Richtung führen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnte sich die Bundesregierung über die Möglichkeit hinaus, über steigende Kraftstoffpreise Anreize dafür zu geben, tatsächlich zu energieeinsparenden Techniken zu kommen, also auch den Käufer zu motivieren, auch gewisse steuerpolitische oder auch gesetzgeberische Maßnahmen, wie z. B. Änderungen _der Zulassungsvorschriften, vorstellen, um diese technisch realisierbaren Möglichkeiten im Blick auf das genannte Ziel „Einsparung von Energie" schneller in den Markt einzuführen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Grundsätzlich sind wir dazu bereit; nur muß konkret über jedes einzelne Vorhaben entschieden werden, damit man Vor- und Nachteile etwaiger gesetzlicher Regelungen klar ins Auge faßt, ehe man eine Entscheidung in dieser Richtung trifft. Aber es ist selbstverständlich, daß wir sinnvolle Maßnahmen auf diesem Gebiet, bei denen die Kosten-Nutzen-Analyse zu einem positiven Ergebnis führt, auch auf gesetzgeberischem Wege verwirklichen würden, sobald konkrete Vorschläge vorliegen oder erarbeitet sind.
Vielen Dank.Ich rufe Frage 66 des Abgeordneten Wolfram auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die in den USA für Ölgesellschaften eingeführte „Windfall-Profit-Tax", und gedenkt sie, eine ähnliche Sondersteuer auf überdurchschnittliche Gewinne der Ölgesellschaften einzuführen?Bitte, Herr Staatssekretär.Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Regierung der Vereinigten Staaten hat 1979 die allmähliche Freigabe der Rohölpreise verfügt und gleichzeitig vorgeschlagen, die den Ölgesellschaften durch diese Maßnahme zufließenden Mehreinnahmen mit einer Sondersteuer teilweise abzuschöpfen. Diese Steuer wird gegenwärtig in den zuständigen Gremien von Kongreß und Senat behandelt. Zur Zeit befaßt sich der Vermittlungsausschuß mit den unterschiedlichen Beratungsergebnissen von Senat und Kongreß. Die stufenweise Anpassung der bisher staatlich festgeschriebenen Preise für einheimisches Rohöl in den USA an das Weltmarktpreisniveau führt bei den in den USA tätigen Fördergesellschaften .zu einer außergewöhnlichen Verbesserung der Ertragssituation. Die inländische Rohölförderung der USA lag im Jahre 1979 bei etwa 430 Millionen t. Mit der jetzt diskutierten Regelung soll erreicht werden, daß einerseits den Ölgesellschaften ausreichender Spiel-
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Parl. Staatssekretär Grünerraum zur Finanzierung der notwendigen Investitionen im Energiebereich bleibt und andererseits der Regierung Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden, um die Entwicklung alternativer Energieträger energisch voranzutreiben. Dieses Konzept, über das im Grundsatz zwischen Regierung, Senat und Kongreß Einvernehmen besteht, ist an den energiepolitischen Aufgaben und Möglichkeiten der USA orientiert.Die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland unterscheiden sich davon erheblich. In den USA bestehen offensichtlich keinerlei verfassungspolitische oder rechtliche Zweifel gegenüber dem vorgesehenen Instrument „Steuer", anders als bei uns. Es geht dort im übrigen auch von der Größenordnung her um ganz andere Dimensionen. Abgesehen davon, daß die deutsche Produktion relativ gering ist, wird der Spielraum für eine denkbare zusätzliche Belastung bei uns vor allem durch die mittlerweile beachtliche Abschöpfung über den seit dem 1. Januar 1980 auf 17 % festgesetzen Förderzins stark eingeschränkt. Bei uns stand und steht im Vordergrund der Diskussion über den Förderzins, den wir bejahen, die Beseitigung von Wettbewerbsvorteilen. Es ist nicht etwa eine steuerliche Maßnahme, die wir hier im Auge haben. Anders als in den USA wird bei uns ja seit langem ein Förderzins erhogen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wolfram.
Herr Staatssekretär, wenn Sie verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Sonderverbrauchssteuer haben — die ja eigentlich ungerechtfertigte und den Wettbewerb verzerrende Gewinne abschöpfen soll — und wenn möglicherweise eine Einigung mit dem Bundesrat über den Förderzins nicht zustande kommt, sehen Sie dann andere rechtliche Möglichkeiten und wollen Sie diese wahrnehmen, um das gleiche Ziel der Sonderabschöpfung zu erreichen und die Mittel für energiepolitische Maßnahmen zu reinvestieren?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe auf die hier bei uns bestehende Förderzinsregelung hingewiesen. Ich bin der Meinung, daß diese Regelung, insbesondere was die Höhe des Förderzinssatzes angeht, ausweitungsfähig ist. Über andere Maßnahmen sollten wir uns dann Gedanken machen, wenn tatsächlich die Förderzinsregelung im Bundesrat ganz generell in Frage gestellt werden sollte, was ich nicht unterstelle.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wolfram.
Wolfram .(SPD): Herr Staatssekretär, wie wollen Sie unseren Verbrauchern plausibel machen, daß sie an der Tankstelle der Multis hohe und immer höhere Preise zahlen müssen und gleichzeitig die Presse voll von Berichten ist, daß die Ölkonzerne im Auslandsgeschäft hohe Gewinne machen und daß dann z. B. die Amerikaner diese über Sondersteuern abschöpfen? Wäre es nicht richtig, daß wir uns ähnliche Gedanken machen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die in den USA erst zur Einführung heranstehenden Steuersätze, die dort noch gar nicht praktiziert werden, werden, wenn sie verwirklicht werden, hinsichtlich der Gesamtbelastung in etwa das Niveau erreichen, das bei uns heute schon existiert. Wir rechnen nämlich bei uns hinsichtlich der Ertragsteuern einschließlich der Förderzinsen mit einer Steuerbelastung — unter Einschluß der ertragsunabhängigen Steuern und des Förderzinses bei hier tätigen Fördergesellschaften — von etwa 69 %. Ich bedaure sehr — und wiederhole das —, daß die Diskussion über die Preise und über die Gewinne hier völlig losgelöst von der Tatsache geführt wird, daß wir für alle Bereiche eine hohe Besteuerung der deutschen Wirtschaft haben
und daß deshalb derartige Darstellungen die Wirklichkeit verzerrt wiedergeben. Es sind ja die hohen Steuereinnahmen aus diesen Gewinnen, die uns in die Lage versetzen, gerade auch auf dem Gebiet alternativer Energiequellen Milliardenbeträge auszugeben, mit denen wir versuchen, die Politik des Weg vom Cl zu betreiben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich bedauere, hier abbrechen zu müssen. Die Zeit für die Fragestunde ist abgelaufen.
Ich habe noch bekanntzugeben, daß die Fragen 77 und 78 des Abgeordneten Müller sowie die Frage 117 des Abgeordneten Paterna von den Fragestellern zurückgezogen worden sind.
Wir sind am Ende der Fragestunde.
Punkt 2 der Tagesordnung ist abgesetzt.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Achtzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität —
— Drucksache 8/2382 —
Beschlußèmpfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 8/3633 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Hartmann Heyenn
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Hartmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs im Rechtsausschuß hat sich von der • Beratung mancher anderer Gegenstände vor allem dadurch positiv abgehoben, daß man nicht mit heißer Nadel genäht, sondern sich hinreichend Zeit genommen hat. Auch wenn es Ihnen, verehrter Herr Mitberichterstatter Kollege Heyenn, manchmal nicht schnell genug gegangen
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16030 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980
Hartmannist, so hat es, wie ich glaube, dem Regierungsentwurf doch gutgetan — leider nicht gut genug, auch das muß ich gleich vorneweg sagen —, daß er nicht im Hauruckverfahren, sondern unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Sachverständigenanhörung und auch der vorliegenden Stellungnahmen, insbesondere des Bundesrates, gründlich behandelt worden ist.Aus der vorliegenden Ausschußfassung ist sehr klar abzulesen, inwieweit dem hohen Anspruch der Verbesserung des Umweltschutzes Rechnung getragen wird und inwieweit nicht.In meiner Berichterstatterfunktion möchte ich allen, die während des seit der ersten Lesung vergangenen Jahres Mühe und Geduld für diese Arbeit aufgebracht haben, insbesondere auch dem Sekretariat des Rechtsausschusses, ein herzliches Wort des Dankes sagen. Daß ich, wie Sie gleich hören werden, nicht mit ungeteiltem Wohlwollen auf die Beschlußvorlage blicken kann, ändert hieran nichts.
Meine Damen und Herren, nach seiner Zielsetzung soll dieses Gesetz dazu beitragen, durch umfassende strafrechtliche Sanktionsmöglichkeiten schwerwiegenden Schädigungen und Gefährdungen der Umwelt wirksamer als bisher entgegenzutreten und dabei den sozialschädlichen Charakter solcher Taten verstärkt ins Bewußtsein der Allgemeinheit zu bringen. Dadurch soll auch den verwaltungsrechtlichen Umweltgesetzen mehr Nachdruck verliehen und ihre Durchsetzung erleichtert werden.Entspricht nun die vorliegende Beschlußempfehlung dieser Zielsetzung? Meine Antwort lautet: Teils ja, was die Schärfung des Unrechtsbewußtseins anlangt, teils nein — mit gewissen Einschränkungen —, was den unmittelbaren praktischen Nutzen angeht.Wichtige Strafvorschriften, welche dazu dienen sollen, die schutzbedürftigen ökologischen Rechtsgüter Gewässer, Luft, Boden, Tiere und Pflanzen, aber auch den Menschen vor Schäden und Gefährdungen zu bewahren, sind bisher in verschiedenen Spezialgesetzen, z. B. im Abfallbeseitigungsgesetz, im Wasserhaushaltsgesetz, im Bundesimmissionsschutzgesetz und im Atomgesetz, verstreut. Diese Umweltstrafvorschriften werden nun — größtenteils zusammenhängend — in das Strafgesetzbuch aufgenommen, was zahlreiche Folgeänderungen im StGB selbst, aber auch im Verfahrensrecht und in den verwaltungsrechtlichen Umweltschutzgesetzen zur Folge hat.Schon in erster Lesung haben wir, die CDU/CSU-Fraktion dieses Hauses, die Zusammenfassung von Einzelvorschriften des Umweltstrafrechts und ihre Einfügung in das Strafgesetzbuch außer Streit gestellt. Dabei hat es sein Bewenden. Die in Verwaltungsgesetzen enthaltenen Strafvorschriften werden landläufig als Nebenstrafrecht bezeichnet, während die im Strafgesetzbuch kodifizierten Tatbestände als Hauptstrafrecht gelten. Auf Grund dieser Unterscheidung hat es sich in das Rechtsbewußtsein der Bürger eingeschlichen, eingeprägt, daß der Unrechtsgehalt von Verstößen gegen Vorschriften desStrafgesetzbuches schwerer als der von Verstößen gegen anderweitige Strafnormen wiegt. Oder umgekehrt ausgedrückt: Die durch die Sanktionen des Strafgesetzbuches geschützten Rechtsgüter werden als höherwertiger als diejenigen Rechtsgüter angesehen, welche „nur" durch die Strafbewehrung von Verwaltungsgesetzen geschützt werden. Dies ist das Phänomen der Normenhierarchie, wie sie sich im allgemeinen Rechtsbewußtsein der betroffenen Bürger, aber auch der rechtsanwendenden Juristen eingeprägt hat.Die Übertragung von Vorschriften des Umweltstrafrechts aus dem Nebenstrafrecht in das Hauptstrafrecht bringt das verstärkte Unwerturteil unseres Rechtsstaates über umweltschädliches Verhalten zum Ausdruck. Es bedarf keiner näheren Erklärung, daß der Schutz des „Biotops der species Mensch", also unserer Lebensgrundlagen Luft, Wasser, Boden, Tiere, Pflanzen und unseres Lebensraumes angesichts des technischen Fortschritts und tiefgreifender Strukturveränderungen sowie angesichts der Endlichkeit der Ressourcen dieser Erde und der begrenzten Belastungsfähigkeit unserer natürlichen Umwelt zu den unabdingbaren Pflichten von Staat und Gesellschaft gehört. Wer sich schuldhaft gegen diese Rechtsgüter vergeht, begeht kein Kavaliersdelikt, sondern kriminelles Unrecht. Dieses verstärkte Unwerturteil des Gesetzgebers soll das Unrechtsbewußtsein gegenüber umweltgefährdenden und umweltschädlichen Verhalten schärfen und so die generalpräventive, also vorbeugende Wirkung der Vorschriften des Umweltstrafrechts erhöhen. Insoweit wird der Entwurf seiner Zielsetzung nach unserer Überzeugung sicher gerecht.Die Zusammenfassung von Umweltstrafvorschriften im Strafgesetzbuch ist freilich nicht lückenlos. Es ist erfreulich, daß der ursprünglichen Entwurfsfassung auch die Straftatbestände des Atomgesetzes, nämlich die Freisetzung ionisierender Strahlen, fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage hinzugefügt worden sind. Nach wie vor werden aber Umweltstrafvorschriften im Nebenstrafrecht verstreut bleiben. Als Beispiel nenne ich nur die Strafvorschriften des im Gesetzgebungsgang befindlichen Chemikaliengesetzes. Hier fassen wird die im Nebenstrafrecht verstreuten Strafvorschriften im wesentlichen zusammen, und gleichzeitig beraten wir ein Gesetz, in dem wieder wichtige Strafvorschriften, die den Umweltschutz betreffen, enthalten sind. Daraus ergibt sich, daß das Umweltstrafrecht weiter in Fluß bleiben wird, was der Zielsetzung der Zusammenfassung im Hauptstrafrecht nicht gerade zuträglich sein wird.Ich möchte an dieser Stelle auch bemerken, daß mit dem Umweltstrafrecht allein, sei es noch so rigiros, eine entscheidende Verbesserung des Umweltschutzes nicht zu erreichen ist. Deshalb muß sich auch das Umweltstrafrecht in das System unseres Schuldstrafrechts einpassen, und es darf nicht zum ideologisch einäugigen Maßnahmenstrafrecht, Tatstrafrecht oder gar Vergeltungsstrafrecht entarten. Die Schwelle der Kriminalisierung darf nicht zu niedrig angesetzt werden, weil das Schwert des Strafrechts sonst durch Abnützung stumpf wird.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980 16031
HartmannIch stimme mit Ihnen, verehrter Herr Kollege Engelhard — ich habe Ihre Presseerklärung dazu gelesen —, darin überein, daß Umweltschutz nicht isoliert eine Angelegenheit der Rechtspolitik ist, sondern daß es sich um eine gesamtpolitische, ja gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, bei deren Bewältigung ebenso die Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik und jeder einzelne Bürger ihren Beitrag zu erbringen haben. Diese Gesamtschau darf aber selbstverständlich nicht dazu führen, daß die Möglichkeiten des modernen Strafrechts unterschätzt oder vernachlässigt werden. Dies ist unsere Auffassung ja nicht nur im Bereich des Umweltstrafrechts, sondern auch im Bereich beispielsweise der Terrorismusbekämpfung und bei der Bewältigung des Drogenproblems.Heute früh, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, haben Sie sich im Rechtsausschuß wieder einmal geweigert, dem gewalttätigen Mißbrauch des Demonstrationsrechts mit strafrechtlichen Mitteln entgegenzutreten. Sie behaupten dort wie in anderen Bereichen des Strafrechts, daß durch schärfere gesetzliche Strafdrohungen keine erhöhte Prävention, keine Vorbeugungswirkung, keine Abschreckungswirkung zu erzielen sei.Demgegenüber sollen nun im Umweltbereich die Sanktionen des Strafrechts mit weit weniger Hemmungen eingesetzt werden. Ich werde — gestatten Sie mir den kleinen Schlenker — den Verdacht nicht los, daß hier der Wunsch, die „grüne Wiese unserer Parteienlandschaft" bis zum Herbst dieses Jahres möglichst einträglich abzuweiden, eine große, motivierende Rolle spielt.
Ganz auf dieser vordergründigen Linie — —
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schöfberger?
Herr Kollege Schöfberger, wir sind uns ein Jahr im Rechtsausschuß gegenübergesessen. Nichts ist ungesagt, nichts ungefragt geblieben. Dennoch: Bitte sehr!
Herr Kollege Hartmann, wer ist nach Ihrer Ansicht strafwürdiger: einer, der bei einer Demonstration herumschreit, oder einer, der die Gewässer eines halben Regierungsbezirks vergiftet?
Herr Kollege Schöfberger, Sie versuchen, mich hier mit demagogischen Mitteln auf einen Nebenkriegsschauplatz abzudrängen. Den Gefallen tue ich Ihnen nicht.
Die Öffentlichkeit draußen im Land kennt unsere Auffassung zu diesen Problemen sehr genau. Und wenn Sie meine weiteren Ausführungen verfolgen, wird es vielleicht auch Ihnen noch klarwerden.
Ganz auf dieser vordergründigen Linie bewegt sich auch der Herr Bundeskanzler, der sich vorgestern anläßlich der Eröffnung der Umweltschutzmesse in Düsseldorf einerseits für einen Umweltschutz mit Augenmaß engagierte, andererseits den Knüppel des Strafrechts so drakonisch schwang, wie man es sich wenigstens annähernd bei der Terrorismusbekämpfung gewünscht hätte. Einäugigkeit verschiebt hier wie dort die Perspektive und die Maßstäbe.Mit der Transplantation von nebenstrafrechtlichen Vorschriften und Tatbeständen in das Strafgesetzbuch ist es nicht getan. Während es uns bei den Beratungen hauptsächlich darauf vor allem angekommen ist, die wirklichen Umwelttodsünden durch glasklare Tatbestände wirksam strafrechtlich zu erfassen, die Schwachstellen des bisherigen Umweltstrafrechts auszumerzen, in erster Linie mit dem Instrumentarium des Strafrechts Umweltschädigungen und -gefährdungen zu verhindern und abzuwenden, statt das Schwergewicht auf die Vergeltung zu legen, haben die Regierung und die Koalition mehr die Methode des breit streuenden Schrotschusses verfolgt.
Dies kommt vor allem darin zum Ausdruck, daß in dem vorliegenden Entwurf bisherige Strafrahmen erweitert, Höchststrafen angehoben, die Strafbarkeit des Versuchs und des fahrlässigen Handelns erweitert und die meisten Tatbestände als abstrakte Gefährdungsdelikte ausgestaltet wurden. Das letzte bedeutet, daß auf den Nachweis einer konkreten Gefährdung oder Schädigung verzichtet wird und daß lediglich ein bestimmtes Verhalten unter Strafe gestellt wird, ohne daß es auf den Eintritt einer konkreten Gefahr oder eines konkreten Schadens ankommt. Dadurch will man z. B. auch das Problem der kumulativen Umweltbelastung — also der Belastungen, die sich addieren und häufen und nur so umweltschädlich und umweltgefährlich sind, während sie dies für sich allein nicht sind — in den Griff bekommen. Und man will den Kausalitätsnachweis und den Nachweis tatbestandsmäßigen Verhaltens erleichtern.Gewiß, das Institut des abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikts ist dem System unseres Strafrechts nicht fremd. Aber wir bezweifeln, daß sich in diesem Bereich die damit verknüpften Erwartungen erfüllen. Wir hätten es aus Gründen der Tatbestandsbestimmtheit und Rechtssicherheit vorgezogen, die Tatbestände selbst schärfer zu konkretisieren, als den Nachweis für einen unklaren Tatbestand zu erleichtern, z. B. den strafrechtlich relevanten Grenzwert einer noch zulässigen Belastung, beispielsweise bei der Gewässerverunreinigung, im Gesetz festzulegen. Schließlich müssen der rechtsbetroffene Bürger, vor allem derjenige, der eine umweltschadensgeneigte Berufstätigkeit ausübt, aber auch der Richter und der Staatsanwalt hinreichend definieren können, was als umweltgefährdend oder umweltschädigend strafbar und was als sozialadäquat straflos ist. Hierüber werden sich vor den Gerichten Gutachterschlachten abspielen, woraus auf Grund des Grundsatzes „in dubio pro reo" — im Zweifel für den Angeklagten — eine Reduzierung der Verurteilungsquote resultieren wird.
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16032 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980
HartmannDie mangelnde Bestimmbarkeit der Tatbestände ist eine zwangsläufige Folge der Herauslösung der Strafvorschriften aus ihrem natürlichen verwaltungsrechtlichen Kontext. Wir begrüßen diese zwar ausdrücklich, aber es hätte eine bessere Lösung gefunden werden müssen. Die Lösung dieses Problems ist zu Lasten der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit nur mangelhaft gelungen.Wir hätten es auch für besser gehalten, angesichts der Ausgestaltung der meisten Tatbestände als abstrakte Gefährdungsdelikte die Schwelle der Strafbarkeit nicht in allen Fällen auf das Versuchsstadium zu senken, die leichte Fahrlässigkeit nicht in jedem Fall unter Strafe zu stellen, sondern lediglich leichtfertiges Handeln. Daß wir uns mit diesen Bedenken nicht durchsetzen konnten, wird zu Folge haben, daß sich die Gerichte künftig mit einer Flut von Bagatellfällen von geringem Unrechtsgehalt zu befassen haben werden, daß also eine Kriminalisierung des Bürgers eintritt, ohne daß damit dem Anliegen des Umweltschutzes nennenswert gedient wird. Bei der umweltgefährdenden Abfallbeseitigung ist eine im Rechtsausschuß noch etwas erweiterte Bagatellklausel vorgesehen, wonach die Tat dann nicht strafbar sein soll, wenn schädliche Einwirkungen auf die Umwelt offensichtlich ausgeschlossen sind. Wir hätten es für sinnvoll gehalten, eine solche Klausel auch bei anderen Tatbeständen vorzusehen.So sehr wir es begrüßen, daß in Gestalt dés neuen § 330 b StGB eine Vorschrift über tätige Reue eingeführt wurde, also eine Sondervorschrift, die für den Fall, daß der Täter die Gefahr abwendet, bevor ein erheblicher Schaden entsteht, Strafmilderung oder Absehen von Strafe vorsieht, so sehr bedauern wir es, daß diese Regelung nur für die qualifizierten Fälle der schweren Umweltgefährdung gelten soll. Es kommt uns doch nicht darauf an, für Täter, die ihre Sorgfaltspflicht nicht ernst nehmen, eine Lücke im Strafrechtsschutz zu schaffen oder das Unwerturteil über kriminelles Unrecht herabzusetzen oder den Sorgfaltsmaßstab beim Tun und Unterlassen von umweltrelevanten Handlungen zu senken. Im Vordergrund steht für uns vielmehr die Überlegung, daß Strafvergünstigungen bei tätiger Reue geeignet sein können, schwere Umweltschäden zu verhindern, weil ein Täter, der darauf hoffen kann, milde oder gar nicht bestraft zu werden, wenn er eine Schädigung freiwillig abwendet oder verhindert, einen Anreiz hat, sein strafbares Tun möglicherweise in buchstäblich letzter Sekunde aufzugeben, bevor ein konkreter Schaden eintritt. Diese Brücke hätte man ohne Not auch bei den Grundtatbeständen der Luftverunreinigung, Lärmverursachung, umweltgefährdenden Abfallbeseitigung und beim unerlaubten Betreiben von Anlagen dem Täter bauen sollen. Kann der Täter auf Strafmilderung nicht hoffen, so wird er sich auch nicht dem Ertapptwerden im Zuge einer Gefahrenabwendung aussetzen wollen. Wir meinen, daß dem Umweltschutz mit tätiger Reue eines Täters mehr gedient wäre als mit dessen Bestrafung unter allen Umständen.Bei der Strafbarkeit des unerlaubten Betreibens von Anlagen hätten wir es für vertretbar gehalten, das unerlaubte Betreiben der im vereinfachten Verfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz zu genehmigenden Anlagen nur dann unter Strafe zu stellen, wenn dadurch schädliche Einwirkungen auf die Umwelt tatsächlich hervorgerufen werden, also eine konkrete Gefährdung eintritt. Es kann ja sein, daß eine formell noch nicht genehmigte Anlage in vollem Umfang genehmigungsfähig ist. Dann wäre das, was vorliegt, reines Verwaltungsunrecht. Jetzt muß aber in jedem Fall ein Strafverfahren durchgeführt werden, und zwar auch dann, wenn eine nachträgliche Genehmigung anstandslos erfolgt und eine effektive Verbesserung der Anlage z. B. durch Einbau eines zusätzlichen Emissionsfilters erreicht worden ist. Wir meinen, in einem solchen Fall wird mit Kanonen •auf Spatzen geschossen.Meine Damen und Herren, in allen diesen Punkten, die ich exemplarisch genannt habe —, das gilt also auch für weitere Punkte — haben wir bei der Einzelabstimmung im Rechtsausschuß entsprechend votiert. Leider hat sich die Mehrheit diesen Überlegungen verschlossen.Bedauerlich ist auch, daß wir das Problem der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Amtsträgern für Umweltschäden und Umweltgefährdungen nicht lösen konnten. Bei den sehr eingehenden Beratungen hierüber hat es sich als problematisch erwiesen, für den Teilbereich des Umweltschutzes einen Sondertatbestand zu schaffen, weil es parallele Probleme auch in anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung gibt, so im Hoch- oder Tiefbau. Wir waren uns darüber einig, daß nur eine alle Amtsträger erfassende Regelung wünschenswert ist, welche im Rahmen .dieses Gesetzentwurfs nicht herbeigeführt werden kann.Meine sehr geehrte Damen und Herren, ich habe Ihnen die wichtigsten Diskussionspunkte genannt, die uns im Ausschuß beschäftigt haben. Ich habe sie aus der Sicht meiner Fraktion bewertet.Der gute Ansatz, Verstößen im Bereich des Umweltschutzes eine neue strafrechtliche Qualität zu verleihen, wird in den Einzelvorschriften nicht konsequent genug fortgeführt. Ein bloßes Draufsatteln auf bereits bestehende Vorschriften durch Strafverschärfung, Ausweitung der Strafrahmen ist nicht geeignet, den Umweltschutz mit den Mitteln des Strafrechts wesentlich zu verbessern.Die Bezeichnung „neues Umweltstrafrecht" verdient dieses Gesetz mit Sicherheit nicht; denn neu daran ist verschwindend wenig. Schwachstellen des bisherigen Umweltstrafrechts konnten nur in beschränktem Umfange beseitigt werden, so daß auch insoweit nicht von einer grundlegenden Novität gesprochen werden kann.Ich bin gespannt, ob sich der Herr Kollege Professor Maihofer in dieser Debatte zu Wort melden und die Thesen verfechten wird, die er zum Thema „Umweltschutz durch Strafrecht" auf der
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980 16033
Hartmann— ach ja, er ist in Lake Placid,
er möge dort seinen Spaß haben — umweltrechtliche Fachtagung Anfang November letzten Jahres in Berlin aufgestellt hat. Ich hätte leicht meine ganze Redezeit dazu verwenden können, mich damit auseinanderzusetzen. Es ist sehr interessant, was er gesagt hat. Er hat gesagt, so löblich die reine Transplantation in das Strafgesetzbuch sei, es schaue doch nicht viel dabei heraus, wenn nicht bestimmte Forderungen, die er im einzelnen spezifiziert hat, erfüllt würden. Nichts davon oder nur ganz wenig davon ist in diesem Entwurf enthalten!Ich darf vielleicht doch, nachdem ich sehe, daß ich noch etwas Zeit habe und mich der Herr Kollege Schöfberger mit seiner Frage nicht allzulange aufgehalten hat, aus den Maihoferschen Thesen zitieren. Herr Maihofer hat die hauptsächlichen Schwachpunkte des bisherigen Umweltstrafrechts herausgestellt. Zunächst die fehlende Wirksamkeit bei den kumulativen Umweltbelastungen:— die fehlende Wirksamkeit der Strafverfolgung bei den illegalen, über Genehmigungen oder Auflagen hinausgehenden Umweltschädigungen;— die fehlende Wirksamkeit gegenüber den Letztverantwortlichen innerhalb der Arbeitsteilung von Betrieben, insbesonder juristischer Personen;— die fehlende Wirksamkeit gegen Umweltverschmutzung im Amt.Er sagt dann:Das neue Umweltstrafrecht wird in seiner bisherigen Ausgestaltung keinen dieser Schwachpunkte wirklich beseitigen. Dazu bedarf es ganz anderer rechtstatsächlicher Forschungen und rechtswissenschaftlicher Vorarbeiten, als sie bis zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehen.So gesehen ist das Jahr, das wir darauf verwandt haben, immer noch zu wenig.Dann sagt er weiter:Dennoch kann auch der weitgehend auf eine Übernahme des bisherigen Umweltstrafrechts ins Hauptstrafrecht beschränkte Gesetzenwurf ... als ein erster Schritt in die richtige Richtung verantwortet werden, wenn er:— bei den ... Schwachpunkten zumindest zu den begrenzten Verbesserungen unseres Umweltstrafrechts gelangt, für die ... Vorschläge vorliegen;— bei den beabsichtigten Veränderungen des geltenden Rechts auch die verfahrensmäßigen Folgeänderungen vorsieht, die eine bisher zu besorgende Verschlechterung unseres Umweltstrafrechts vermeiden.Herr Maihofer weist schließlich darauf hin, daß das vorliegende sogenannte neue Umweltstrafrecht im Bereich des Verfahrensrechts zu einer Entmachtung der für unverzügliche Erstaktionen allein ausreichend sachverständigen Umweltbehörden selbst bei Bagatelldelikten führt und zugleich zu einer Uberforderung der nunmehr für das gesamte Umweltstrafrecht allein zuständigen Justizbehörden.Wir hätten uns mit dieser Problematik wirklich etwas eingehender befassen sollen, als das geschehen ist. Ich mußte im Ausschuß ja darum kämpfen, daß ich die Maihoferschen Thesen, nach dem sie dort von anderer Seite nicht vorgetragen worden waren, wenigstens im Protokoll unterbringen konnte.Ich komme zum Schluß und fasse zusammen. Auch die Ausschußfassung des Gesetzentwurfes reißt uns nicht vom Stuhl. Aber, Herr Kollege Schöfberger, wir werden Ihnen, der Koalition und der Regierung, nicht den Gefallen erweisen, durch eine Ablehnung den Vorwand dafür zu liefern, uns als Gegner des strafrechtlichen Umweltschutzes abstempeln zu können. Das täten Sie nämlich gern mit den demagogischen, sachlich unzutreffenden Argumenten, die Sie mir bei Ihrem Auftritt gerade entgegengehalten haben.
Herr Kollege Hartmann, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie die Zeit überschritten haben, die von Ihrer Fraktion angemeldet worden ist.
In dieser Ecke sind wir nicht, und wir lassen uns dort auch nicht hinstellen.
Wenn es nach uns gegangen wäre, hätten wir uns dem anspruchsvollen Ziel — mehr Umweltschutz durch neues Umweltstrafrecht — etwas weiter und auf anderem Wege genähert. Angesichts des — das ist mein letzter Satz — positiven Ansatzpunktes dieses Gesetzes, welcher unserem Bestreben nach Verbesserung des Umweltschutzes entgegenkommt, angesichts auch einiger punktueller Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Umweltstrafrecht erkennen wir die Vorlage als einen — wenn auch unzureichenden — Schritt in die richtige Richtung an und werden sie passieren lassen. Man kann nur hoffen, daß die Gerichte die Schwächen dieses Gesetzes auf dem Gebiete der Rechtsprechung ausgleichen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Heyenn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Hartmann, es wäre dankenswert gewesen, wenn Sie das Plenum mit Ihren zahlreichen Anregungen, mit denen Sie die Mehrheit im Rechtsausschuß nicht überzeugen konnten, in Form von Anträgen konfrontiert hätten. Ich hätte das für glücklicher gehalten.Meine Damen und Herren, unsere Erde ist nicht reproduzierbar. Wenn wir sie vernichtet haben,
können wir keine neue an ihre Stelle setzen, und, Herr Kollege, das Auswandern ist dann auch nicht möglich. Deshalb ist es wesentlich, neben dem ständigen Ausbau des Schutzes unserer natürlichen Le-
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16034 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980
Heyennbensgrundlagen auch die Möglichkeiten strafrechtlicher Sanktionen auszuweiten und zu verdeutlichen. Wer Wasser verunreinigt, die Luft verschmutzt, Abfall umweltgefährdend beseitigt, übermäßig Lärm verursacht, wer unerlaubt mit Kernbrennstoffen umgeht oder schutzbedürftige Gebiete gefährdet, der muß wissen, daß die Gesellschaft darüber nicht mit einem Augenzwinkern hinweggehen kann. Der begrenzte Vorrat natürlicher Lebensgrundlagen zwingt dazu, ein deutliches strafrechtliches Risiko bei Umweltdelikten zu schaffen.Mit diesem Entwurf wird gleichzeitig dem wachsenden Umweltbewußtsein in großen Teilen der Bevölkerung Rechnung getragen. Allerdings sagt der Bundesverband der deutschen Industrie — ich zitiere —: „Die Bezeichnung des Gesetzentwurfes als Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität und die vom Bundesminister der Justiz gegenüber der Presse herausgestellten Anwendungsmöglichkeiten dieses Gesetzes werden von den Unternehmensleitungen und leitenden Mitarbeitern als unzutreffende Beschuldigung der Wirtschaft empfunden.” Hier wird, glaube ich, in provozierender Weise darüber hinweggesehen, daß wir ständig mit neuen Umweltschäden und -belastungen, mit Umweltskandalen jeglichen Ausmaßes konfrontiert werden. Giftmüll in Hamburg, im Boden vergraben; Giftrückstände in der Mich in Hessen, die die zulässigen Höchstwerte bis zu 100 % übersteigen. Ein Beispiel aus diesen Tagen — ich beziehe mich auf den „Wiesbadener Kurier" vom 19. Januar 1980 unter der Überschrift „Staatsanwalt ermittelt gegen Bürgermeister" —: Es sollen in Niederhausen 01 ins Wassernetz, in Idstein Gerbsäure aus einer Gerberei und Säure aus einer Batteriefirma, in Eichenzell ungeklärtes Spülwasser einer Limonadenfabrik in ein Gewässernetz eingeleitet worden sein oder eingeleitet werden.
Das Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität, lieber Here Kollege Lenz, stellt nunmehr die Umweltdelikte den klassischen Straftaten gleich und setzt die Abschreckungsfunktion des Strafrechts gegen Umweltsünder ein.
Das bedeutet eine sachgerechte Fortentwicklung sozialliberaler Umweltpolitik. Mit der Übernahme der Umweltvorschriften in das StGB wird deutlich gemacht, daß der Stellenwert, der für den Bereich individualrechtlicher Güter wie Freiheit, Leben, Gesundheit und Eigentum seit langem selbstverständlich ist, nunmehr auch für den Umweltschutz gilt. Das gibt berechtigten Anlaß zu der Hoffnung, daß die Möglichkeit einer strafrechtlichen Sanktion auch angenommen wird.Gegenüber dieser Begründung verblaßt die Kritik, Überführung und Zusammenfassung im Strafgesetzbuch schafften Rechtsunsicherheit, weil die Begriffe der zugrunde liegenden verwaltungsrechtlichen Vorschriften schwierig im Strafgesetzbuch zu handhaben seien, so daß es die Gefahr einer unterschiedlichen Entwicklung geben könnte.Wir haben die Straftatbestände und den Strafrahmen erweitert. Hierzu einige Bemerkungen. Erstens. Mit der Einführung der abstrakten Gefährdungsdelikte wird der oft schwierige Nachweis eines konkret eingetretenen Schadens überflüssig. Es wird in Zukunft genügen, daß Taten gegen unsere Umwelt geeignet sind, einen Schaden herbeizuführen. Das erleichtert nicht nur die Arbeit der Justiz, sondern verlagert den strafrechtlichen Umweltschutz bereits in die Zone gefahrenträchtigen Handelns. Dieses ist angesichts der enormen Gefahren für Leib, Leben und Sicherung unserer Existenzgrundlagen unbedingt notwendig. Es wird auch dem Problem kumulierender Umweltbelastungen zu Leibe gerückt; denn wenn eine Gefährdung durch eine Mehrzahl von Belastungen eintritt, dann ist die Belastung durch den einzelnen Verursacher schon relevant.Die Opposition wirft uns nun vor, die kumulierenden Belastungen nicht strafrechtlich zu erfassen, wenn z. B. mehrere Betreiber von Anlagen, deren Betrieb genehmigt ist, in der Summe der Belastungen Gefahren herbeiführen. Unabhängig von der Tatsache, daß die CDU zur Abwendung dieses vermeintlichen Mißstands in den Beratungen keine Anträge gestellt hat, ist festzustellen, daß hier nicht mit den Mitteln des Strafrechts eingegriffen werden kann. Es ist Aufgabe der Genehmigungsbehörden, hier Abhilfe zu schaffen. Die Nichtbeachtung kumulierender Wirkungen bei genehmigten Anlagen durch die Behörden kann nicht bei den Betreibern von Anlagen zu strafrechtlichen Folgen führen. Hier irrt also auch der von Ihnen zitierte Kollege Maihofer, der sich im übrigen, lieber Herr Kollege Hartmann, in seinen drei weiteren Grundforderungen im wesentlichen mit der Amtsträgerhaftung beschäftigt. Wir sind in diesem Bereich einig, daß wir im Rahmen dieses Gesetzes — darauf komme ich noch — zu keiner Lösung kommen können.Zweitens. Dem hohen Wert des zu schützenden Rechtsguts entspricht es auch, die Strafbarkeit des Versuchs vorzusehen und stärker als bisher die Fahrlässigkeit unter Strafe zu stellen. Eine Strafverfolgung muß auch dann möglich sein, wenn zwar durch ein bestimmtes Verhalten etwa ein Gewässer direkt gefährdet wird, aber die Wasserschutzbehörden oder die Polizei rechtzeitig eingeschritten sind und den Eintritt des Schadens verhindert haben. Wenn wir, wie es die CDU wollte, auf die Strafbarkeit des Versuchs verzichteten, blieben wir im übrigen hinter dem geltenden Recht zurück und schränkten damit den Strafrechtsschutz der Umwelt ein. Das ist aber nicht unsere Intention bei diesem Gesetz. Wir wollen den Umweltschutz verstärken und auch mit dem Mittel des Strafrechts gewährleisten.Die generalpräventive Wirkung der Tatbestände wird — das ist mein dritter Punkt — durch die Erhöhung der Strafrahmen und die Ausweitung der Strafbarkeit verbessert. Im übrigen erfolgt damit eine Angleichung an die schon genannten klassischen Straftatbestände.In der Frage der tätigen Reue gibt es ein Spannungsfeld: Einerseits ist es wichtig, Schäden für die Umwelt zu vermeiden. Der Anreiz zur Gefahrenab-
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Heyennwehr — da gebe ich Ihnen recht — stellt eine verlokkende Überlegung, gleichsam eine goldene Brücke für den Täter zur Umkehr, zu rechtstreuem Verhalten dar. Auf der anderen Seite besteht, falls die tätige Reue bei allen Straftatbeständen dieses Gesetzes möglich ist, die Gefahr, daß die Sorgfalt in dem entsprechenden Problembereich — bewußt oder unbewußt — vernachlässigt wird.
Wir halten es daher für geboten, die tätige Reue nur bei den schweren Straftatbeständen einzuführen, dort, wo Leib und Leben oder Sachen von bedeutendem Wert gefährdet werden. Hier kann die Strafe nach dem Entwurf gemildert werden, wenn der Täter rechtzeitig umkehrt und drohenden Schaden verhindert. Die Stratbarkeit des Täters nach den Grundtatbeständen bleibt jedoch erhalten. Die Überlegung der Opposition, lieber Herr Kollege Hartmann, die tätige Reue für alle Umweltstraftaten einzuführen, würde nämlich u. a. auch bedeuten, daß Umwelttäter in Zukunft ohne Strafe davonkämen, obwohl sie nach geltendem Recht bestraft werden könnten. Das liefe der Zielsetzung unseres Entwurfs zuwider.Uns geht es im übrigen nicht um die von Ihnen gemeinte grüne Wiese. Wir wollen einen wirksamen strafrechtlichen Schutz und keine Privilegierung der Umweltsünder; das ist unsere Auffassung.
Die jetzt vorgesehene Regelung, die man auch als zu weitgehend betrachten kann, nimmt den bisherigen strafrechtlichen Schutz nicht zurück.
Erlauben sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hartmann?
Gerne.
Zwar ist zwischen uns alles gesagt und alles gefragt, nur, weil Sie gesagt haben, Sie wollten keine Privilegierung der Umwelttäter: Wollen Sie damit unterstellen, daß wir das wollen?
Ich habe Ihnen das nicht unterstellt, Herr Kollege Hartmann.
Ich habe nur darauf hingewiesen, daß unser mit dem Gesetzentwurf verfolgtes Ziel nicht die von Ihnen so lächelnd angesprochene grüne Wiese ist, sondern daß es uns in der Tat darum geht, Straftäter im Umweltbereich so zu behandeln wie alle anderen Straftäter.
Gemeinsam, meine Damen und Herren, haben sich alle Fraktionen dafür ausgesprochen — auch auf eindringliche Hinweise in der durchgeführten Anhörung hin —, die Regelungen der §§ 47 und 48 des Atomgesetzes, die das Freisetzen ionisierender Strahlen und die fehlerhafte Abstellung einer kerntechnischen Anlage betreffen — Herr Kollege Hartmann hat schon darauf hingewiesen —, in das Strafgesetzbuch zu übernehmen. Denn alle gravierendenEingriffe in unsere Umwelt sollten nach unserer Meinung aus dem Nebenstrafrecht in das Strafgesetzbuch überführt werden. Das ist, glaube ich, geschehen. Wir haben lediglich davon abgesehen, unwesentliche Straftatbestände aufzunehmen. So meinten wir, etwa die Strafbarkeit der vorsätzlichen Verbreitung der Reblaus nicht in das Strafgesetzbuch aufnehmen zu müssen.Im übrigen: Wenn darauf aufmerksam gemacht worden ist, daß hier die Straftatbestände des Chemikaliengesetzes fehlen, dann möchte ich nur darauf hinweisen, daß der Deutsche Bundestag unfähig wäre, diese Straftatbestimmungen schon heute aufzunehmen, weil die Voraussetzungen, die zu Strafen führen, noch gar nicht formuliert worden sind. Dennoch halten wir weitere Überlegungen zur Vereinheitlichung des Umweltstrafrechts für wünschenswert, ohne hier eine Schwäche des jetzigen Entwurfs zu sehen. Wenn die CDU/CSU das als Schwachstelle des Entwurfs betrachtet, hätten wir uns als Mehrheit gewünscht, daß wir im Rechtsausschuß über entsprechende Anträge zu entscheiden gehabt hätten; das war nicht der Fall. Wer aber von Schwachstellen redet, ohne konkrete Forderungen und Vorschläge zu unterbreiten, macht — vielleicht ungewollt — der Qualität des Entwurfs ein Kompliment. Vielen Dank dafür!
Aktuelle Umweltskandale haben bei den Beratungen auch eine Rolle gespielt und Anstöße zu Verbesserungen gegeben. Die Erweiterung des Tatbestandes der schweren Gefährdung durch Freisetzen von Giften im Boden wurde vorgeschlagen, weil deutlich wurde, daß das Lagern von Giften im Boden nicht von den Vorschriften über Abfallbeseitigung erfaßt wird. Es sind durchaus Konzentrationen von Giften im Boden denkbar, die für den Menschen gefährlich sein können.Vor dem Hintergrund aktueller Fälle ist umfassend die Frage erörtert worden, ob eine besondere Regelung der strafrechtlichen Verantwortung von Amtsträgern für Umweltdelikte geschaffen werden sollte. Gleiches Fehlverhalten, ob im öffentlichen Dienst oder in der privaten Wirtschaft, soll grundsätzlich gleich bewertet werden. Dieser Problembereich darf jedoch nicht isoliert betrachtet werden. Ich darf auf die entsprechenden Ausführungen des Kollegen Hartmann verweisen. Wir sind im Ausschuß nach langer Diskussion übereinstimmend zu der Meinung gekommen, daß eine umfassendere Regelung nötig ist, die aber im Rahmen dieses Gesetzentwurfs leider nicht möglich ist.Im Bereich der rechtswidrigen Erteilung von Genehmigungen, wenn ökonomischen und nicht ökologischen Fragen höhere Bedeutung durch eine Behörde beigemessen wird, muß dem Verwaltungsrecht auf anderem als auf strafrechtlichem Wege Vorrang eingeräumt werden.Die Strafanzeigepflicht für die beteiligten Mitarbeiter im öffentlichen Dienst habe ich lange Zeit befürwortet, jedoch habe ich mich davon überzeugen lassen, daß Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Verwaltung und Anlagenbetreibern im
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16036 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980
HeyennUmweltbereich zwingend erforderlich sind. Die von mir in der ersten Lesung dieses Gesetzes geforderte Störfallverordnung setzt vertrauensvolle Zusammenarbeit zur Verhinderung von Schäden voraus. Eine Anzeigepflicht würde sich hemmend und damit zu Lasten der Umwelt auswirken. Allerdings bin ich bei diesen Überlegungen davon ausgegangen, daß es sich bei der von der „Welt der Arbeit" am 17. Januar 1980 berichteten Aufforderung der Firma Hoechst an ihre Beschäftigten, bei Verdacht der Gewässerverunreinigung nur in wirklichen Ausnahmefällen die Behörden zu unterrichten, um einen Einzelfall handelt. Strafrechtliche Folgen sind schon heute möglich, wenn nicht entsprechend dem geltenden Recht überwacht oder beaufsichtigt wird. Das gilt für Amtsträger wie für Mitarbeiter privater Betriebe. Wenn das Unterlassen einer gebotenen Handlung zu einem Umweltdelikt führt, muß eine Garantenstellung, eine Pflicht zum Handeln gegeben sein. Wenn das der Fall ist, sollte es in den einzelnen Verwaltungsgesetzen auch stärker herausgestellt werden. Die Chancen des geltenden Rechts und dieses Gesetzentwurfes sollten im übrigen intensiver genutzt werden.Zu drei Einzelproblemen möchte ich noch kurz Stellung nehmen. Einmal freue ich mich, daß wir im Ausschuß übereinstimmend auf Vorschlag des Bundesrates auch Eingriffe innerhalb einer als Naturschutzgebiet einstweilig sichergestellten Fläche strafrechtlich sanktionieren. Ich danke für Ihre Beispiele aus Ihrer bayerischen Heimat, Herr Kollege Hartmann. Häufig ist es in der Vergangenheit vorgekommen, daß etwa Moor oder Wälder, die den Grund für die Bemühungen darstellten, die Anerkennung als Naturschutzgebiet zu erreichen, nicht mehr vorhanden oder stark verändert waren, wenn das Verfahren abgeschlossen und das Gebiet endlich zum Naturschutzgebiet erklärt wurde.
Ebenfalls ausgedehnt wurden die strafrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten beim Freisetzen ionisierender Strahlen durch den Verzicht auf den Nachweis einer konkret eingetretenen Schädigung und das Einbeziehen des Versuchs.Die von der Opposition geübte Kritik an einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe geht nun aber in der Tat an der Wirklichkeit, wie sie sich uns darstellt, vorbei. Diese unbestimmten Rechtsbegriffe kommen aus den Umweltgesetzen und sind in der Zwischenzeit durch die Rechtsprechung eindeutig konkretisiert, also von den Gerichten angenommen und als ausreichend betrachtet worden.
— Über die wir uns weitgehend einig waren, Herr Kollege Dr. Lenz.Nach einer Pflichtübung, wenn ich sie so bezeichnen darf, des Kollegen Hartmann im „Bayerkurier" unter der Überschrift „Wiederholung eines alten Fehlstarts" — Sie erinnern sich an unsere kleine Kontroverse in der ersten Lesung, wo ich Ihnen sagte: „Dies wird ein glatter Start-Ziel-Sieg"; und er wird es ja auch — mit harter Kritik am vorliegenden Entwurf stimmt die CDU/CSU, wie wir gehört haben, dankenswerterweise diesem Entwurf zu. Es soll jedoch auch auf unterschiedliche Auffassungen in der CDU kurz hingewiesen werden. Dieser Entwurf ist mit allen Bundesländern gründlich abgestimmt worden. Es hat grundsätzliche Übereinstimmung gegeben. Der schleswig-holsteinische Justizminister Claussen — ich führe das hier an, weil das Bundesland, aus dem ich komme, Schleswig-Holstein, als einziges auf der Bundesratsbank vertreten ist — hat noch am 20. Dezember 1979 den Entwurf gelobt und gesagt, er bringe ein erheblich besseres, für jeden einsichtiges und verständliches und praktikables Umweltstrafrecht. Er sagt auch: Das neue Gesetz erleichtert Staatsanwälten und Strafrechtlern die Arbeit. Die neue, höhere Rangordnung der Strafvorschriften — so Herr Minister Claussen — bewirkt eine einheitliche und abgewogene Regelung der verschiedenen Teilbereiche. Ich stimme mit meinem Herrn Landesjustizminster hier überein. Die Versuche der Opposition zur Veränderung des Entwurfs sind Herrn Claussen aber wohl nicht mitgeteilt worden.Das neue Gesetz stellt sich insgesamt als Schritt zur Sicherung der bisher erreichten Lebensqualität der Bevölkerung dar. Denn es sichert strafrechtlich bestimmte Grundforderungen ab, die jeder Bürger an seine Umwelt stellen können muß. Die ökologisch schützenswerten Güter — Gewässer, Luft, Boden, Tiere und Pflanzen — sind entscheidend für die Sicherung und die Qualität unseres Lebens. Sie erfordern eine Gleichstellung der Umweltstraftaten mit den klassischen Delikten unseres Strafgesetzbuches. Dieses Ziel, glaube ich, haben wir gemeinsam mit dem vorliegenden Entwurf erreicht. Ich bitte um Ihre Zustimmung.
Ich erteile nun das Wort dem Herrn Abgeordneten Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schutz unserer Umwelt ist für uns alle eine tägliche Herausforderung. Nach dem Verständnis von uns Liberalen ist der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen ein politischer Auftrag von Verfassungsrang. Daraus folgt dann auch die Wertigkeit in der Aufgabenstellung. Nie in all den letzten Jahren ist dieses Haus der Gefahr erlegen, gerade im Bereich des Umweltschutzes das Heil allein in dem Mittel des Strafrechts zu suchen, das zwar notwendig, häufig aber gleichzeitig auch sehr wohlfeil ist. Unsere Antwort im Umweltschutz war nicht die nachvollziehende Reaktion, sondern die vorwärtsgerichtete Aktion.Heute ist nicht die Zeit und der Ort, eine Zwischenbilanz zum Thema Umweltschutz zu ziehen. Aber ich will doch sagen, daß zehn Jahre Umweltpolitik seit 1969 dieses Land hinsichtlich seiner Erfolge und in der Intensität dessen, was geleistet wurde, an
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980 16037
Engelharddie Spitze aller vergleichbaren Staaten nicht nur Europas, sondern der Welt gebracht haben.
Ich sage nicht ohne Stolz: Wir Freien Demokraten haben seit zehn Jahren immer den Umweltminister in der Person des Bundesinnenministers gestellt, von Hans-Dietrich Genscher über Werner Maihofer bis Gerhart Baum.
Es wäre nicht richtig, würde man im wichtigen Bereich der Landwirtschaft in diesem Zusammenhang für seine Ressortverantwortung Josef Ertl vergessen.
Der vorliegende Entwurf ist kein Ersatz für praktische weitere Bemühungen im Umweltbereich, aber er ist ein wichtiger und sicherlich notwendiger Flankenschutz. Meine beiden Vorredner, die diesen Gesetzentwurf im federführenden Ausschuß als Berichterstatter betreut haben, sind bereits auf eine ganze Reihe von Einzelheiten dieses Gesetzentwurfes eingegangen; ich kann mich daher darauf beschränken, zu einigen wenigen mehr grundsätzlichen Fragen Stellung zu nehmen.Ziel dieses Entwurfs ist es ja u. a., deutlich zu machen, daß die ökologischen Schutzgüter den klassischen Rechtsgütern unseres Strafgesetzbuches gleichwertig und ebenbürtig sind. Das klingt gut, das ist auch richtig. Nur beginnen dann, wenn man darangeht, dies in unserem Strafgesetzbuch in die Tat umzusetzen, die Schwierigkeiten, Schwierigkeiten, mit denen sich jene, die die bisher geltenden Strafvorschriften erarbeitet haben, gleichfalls konfrontiert gesehen haben.Die Schwierigkeiten bestehen zum einen darin, daß wir auf eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe angewiesen sind. Zum anderen können wir die strafrechtlichen Tatbestände nur dadurch hinreichend bestimmt machen, daß wir immer wieder auf Verwaltungsrecht im Tatbestand verweisen. Da beschleicht den Kenner unseres klassischen Strafrechts Unbehagen, ja vielleicht erfaßt ihn beinahe das Grausen, wie es unser Kollege Kleinert in der ersten Lesung in wenigen, aber sehr farbigen Worten zu schildern versucht hat.Wir sollten diese Bedenken auch gar nicht geringachten. Nur meine ich, die Beratungen haben gezeigt: Es gibt wohl keinen erfolgversprechenden vernünftigen Weg, der daran vorbeiführen würde, Verwaltungsrecht als Tatbestandsmerkmal in die strafrechtlichen Tatbestände der Umweltkriminalität mit hineinzunehmen. Das ist ganz einfach deswegen unverzichtbar, weil wir die rechtsstaatlich notwendige Bestimmtheit der Tatbestände brauchen, um sehr deutlich und klar strafbares Handeln von strafrechtlich irrelevantem Tun abzugrenzen.Wenn die Tatbestände an Verwaltungsentscheidungen angebunden werden, belastet das ganz sicherlich den Betroffenen, denn er muß darauf achten, alle Verwaltungsvorschriften strikt einzuhalten. Aber es ist nicht zu übersehen, daß dies den Betroffenen auch entlastet, denn es gibt ihm dann, wenn er die Verwaltungsvorschriften befolgt, Sicherheit und befreit ihn davon, in jedem Falle im Übermaß dem Risiko eigener, auf sich gestellter Beurteilung ausgesetzt zu sein.Man kann das an einem Beispiel deutlich machen. Im Hearing ist von einigen Sachverständigen die Forderung erhoben worden, Luftverunreinigung solle auch beim Betreiber eines genehmigten Betriebes, der alle ihm auferlegten Auflagen voll eingehalten hat, strafbar sein; Strafbarkeit solle dann gegeben sein, wenn bei dieser Anlage bestimmte Meßwerte überschritten werden. Es ist sicherlich ein verlockender Weg, die Strafbarkeit hier auszudehnen, aber wir sind dem im Ausschuß ganz einfach deswegen nicht gefolgt, weil dadurch dem Betreiber einer Anlage ein kaum noch zu kalkulierendes Risiko auferlegt würde, einem Betreiber, der sich im übrigen auf das verläßt, was zu tun die verantwortlichen Behörden ihm aufgegeben haben.Wir sollten auch nicht übersehen, daß die Anbindung an das Verwaltungsrecht im Strafgesetzbuch es uns stärker als bisher ermöglicht, bestimmtes Verhalten unter Strafe zu stellen, ohne daß es darauf ankäme, ob konkret eine Gefahr eingetreten oder ein Schaden entstanden ist. Die konkrete Gefahr — dies wissen wir aus der Vergangenheit — ist ja häufig schwer nachweisbar, gerade bei kumulativer Umweltbelastung, wo von vielen Verursachern gemeinsam in kleinen Stücken und Mengen die Umwelt über die Maßen belastet wird. Erst das abstrakte Gefährdungsdelikt eröffnet uns die Möglichkeit eines stärkeren und wirksameren strafrechtlichen Zugriffs.Vom Betroffenen wird verlangt, daß er sich strikt an Verwaltungsbestimmungen und behördliche Anweisungen hält und daran orientiert. Ja, wir verlangen sogar, Herr Kollege Hartmann — Sie haben dies stellenweise kritisiert —, Formstrenge. Ich bin der Meinung, es kann nicht derjenige straflos sein, der ohne Genehmigung eine Anlage betreibt, weil er wenige Tage später die Genehmigung zugestellt erhält. Ich glaube, wir müssen gerade auch um der Sicherheit in diesem strafrechtlichen Bereich willen, aber vor allem um unserer Umwelt willen von der Auffassung wegkommen, daß jemand einmal so handeln könne, weil die nachfolgende Zustimmung der Behörde ja ohnehin zu erwarten sei. Es geht hier ganz einfach nicht um den Bau eines Familienhauses, wo sicherlich auch eine Ordnungswidrigkeit vorliegen kann, der die Behörde auf den Plan ruft, der aber konkret für die Umgebung, für die Umwelt im Regelfalle kaum einen Schaden mit sich bringen wird. Hier geht es um mehr, hier geht es um andere Dinge. Wenn wir Formstrenge verlangen, so geben wir gleichzeitig dem Betroffenen Sicherheit, falls auch er sich formstreng und damit gesetzestreu verhält. Er weiß, daß er die Waffe des Umweltstrafrechts, gegen sich gerichtet, nicht zu befürchten hat.Dann ist nach meinem Verständnis klar, daß in diesem System auch der Versuch und auch die ein-
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Engelhardfache Fahrlässigkeit strafbar sein muß, weil nicht einzusehen ist, daß man generös lediglich leichtfertiges Handeln unter Strafe stellt.Auf die Verwaltung kommt bei diesem System ein erhöhtes Maß an Verantwortung zu. Es ist bereits angesprochen worden, daß wir eine strafrechtliche Sonderhaftung, einen neuen Tatbestand für die strafrechtliche Heranziehung der Amtsträger diskutiert haben. Die Gründe, warum wir dem nicht gefolgt sind, sind teilweise genannt worden. Ich füge aber hinzu, wer für die rechtswidrige Genehmigung von Bescheiden, wer für mangelnde Aufsichtspflicht einen Sondertatbestand für Amtsträger im Bereich des Umweltschutzes schafft, sollte neben der Sonderbehandlung nicht übersehen, daß dies zu einer Lähmung der Verwaltung führen kann. Dann sitzt jemand am Schreibtisch und denkt darüber nach, ob es vielleicht besser ist, gar nichts zu tun. Denn wer nichts tut, wer nichts genehmigt, ist im Zweifel nicht mit strafrechtlich gegen ihn gerichteten Fragen konfrontiert. Das kann nicht der Sinn unserer Politik sein. Deswegen haben wir davon abgesehen.tiber die Kooperationsfeindlichkeit bei der Pflicht von Amtsträgern zur strafrechtlichen Anzeige gegenüber Dritten ist hier bereits gesprochen worden. Das heißt, wie wir wissen, nicht, daß Amtsträger straffrei ausgehen sollen. Ich bin der Meinung, wo gravierendes Fehlverhalten vorliegt, sollte die Staatsanwaltschaft sich stärker als bisher — und Umweltskandale in diesem Land geben dazu alle Veranlassung — um die Dinge kümmern. Es ist Sache der Vorgesetzten, ihrer Aufsichtspflicht nachzukommen. Wo dies nicht ausreicht, gibt es das Mittel des Disziplinarrechts, das hier eingesetzt werden muß.Ich meine aber, die erhöhte Verantwortung der Umweltbehörden, von der ich eingangs sprach, ist ja zunächst nicht eine strafrechtliche oder eine dienstrechtliche, sondern es ist eine fachliche Verantwortung. Denn wenn Entscheidungen der Behörden in unserem jetzigen System, wie wir es heute verabschieden werden, entscheidend über die Strafbarkeit des Verhaltens Dritter mitbestimmen, ist natürlich an das Tun dieser Behörden der allerhöchste Maßstab anzulegen.
Gerade auf unseren Wunsch ist in den Entwurf die Vorschrift über die tätige Reue eingefügt worden. Es ist unser Verständnis vom Strafrecht, daß wir gerade bei gemeinschädlichen Taten alles tun müssen, um schweren Schaden abzuwenden. Dies ist zunächst im Interesse der Bürger und der Umwelt das Wichtigste. Dabei kann durchaus einmal der Strafanspruch des Staates und damit sein Anspruch auf Verwirklichung materieller Gerechtigkeit hinsichtlich des Beschuldigten gegenüber dem höherrangigen und wichtigeren Ziel des materiellen Umweltschutzes zurücktreten.Diese Sondervorschrift, die ganz unseren Vorstellungen entspricht, ist beschränkt worden. Herr Kollege Hartmann hat das etwas kritisiert. Sie wissen vielleicht, daß wir zu Beginn der Beratungen durchaus einer noch weitergehenden Fassung sehr aufgeschlossen gegenübergestanden hatten. Aber wir haben uns im Gegensatz zu Ihnen davon überzeugen müssen, daß es, würde man über die Qualifizierungen der konkreten Gefährdungsdelikte hinaus die tätige Reue zu Anwendung kommen lassen, Mißverständnisse zu Folge haben könnte. Die Mißverständnisse würden dahin gehen, daß man mit einem ganz kühnen Sprung eine völlig neue Bestimmung, generell ein Sonderrecht schafft — das wir in dem jetzt vorliegenden Umfang sehr begrüßen —, und zwar für den wichtigen Bereich der Umweltkriminalität, nicht für die anderen Bereiche. Man wird sich eines Tages darüber unterhalten müssen, eine Gesamtreform innerhalb des Strafgesetzbuchs für die tätige Reue vorzunehmen. In einem solchen Zusammenhang hätten weitergehende Gedanken ganz sicher ihren Platz.Hier jedoch ein Sonderrecht in einem begünstigenden Sinne zu schaffen, war ganz sicher nicht unsere Absicht, als wir darangingen, den vorliegenden Entwurf zu beraten. Unsere Absicht war genau umgekehrt. Es ist unser Ziel, der Bevölkerung im Hinblick auf die Auswirkungen deutlich zu machen, daß Umweltkriminalität eben Kriminalität ist, oft eine sehr gefährliche und für uns Einwohner und Bürger dieses Landes eine sehr schädliche.
Das Wort hat nun Herr Abgeordneter Dr. Gruhl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nur wenige Bemerkungen zu diesem Gesetzentwurf machen, zumal er uns schon seit Jahren als ein beinahe bedeutendes Gesetz angekündigt worden ist.Herr Kollege Hartmann hat hier in der Debatte schon gesagt, daß das Gesetz die Bezeichnung „neues Umweltstrafrecht" offensichtlich nicht verdient. Dem kann man nur voll zustimmen.
Darum ist wohl auch das Interesse des Hauses an dem Gesetzentwurf gar nicht so sehr groß.Soeben hat Herr Kollege Engelhard gesagt, die Umweltgesetzgebung stelle uns an die Spitze der Staaten in der Welt. Ihre Bemerkung bezweifle ich sehr. Dieser Entwurf trägt jedenfalls sicherlich nichts dazu bei.
Es ist wohl kein Zufall, daß sich jeder Sprecher sehr ausgiebig mit dem Begriff der tätigen Reue befaßt hat, weil es sich hier offensichtlich um einen schwachen Punkt des Gesetzentwurfs handelt. Denn wenn jemand über etwas Reue empfindet, dann ist die Tat eigentlich schon geschehen. Sonst brauchte er sie nicht zu bereuen. Nach dieser Formulierung wird er angeblich noch einmal tätig, und ich sehe nicht recht ein, wie das eigentlich passieren kann. Dies kommt besonders drastisch in § 330b Abs. 2 des Gesetzes zum Ausdruck, wo es heißt:Wird ohne Zutun des Täters die Gefahr abgewendet,
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Dr. Gruhlich betone abgewendet —so genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, dieses Ziel zu erreichen.Ich glaube, hier hat man mit der deutschen Sprache einiges getan, was im Grunde genommen nicht geht. Wie werden wohl die armen Richter diesen Paragraphen dann auslegen? Wenn die Gefahr durch ein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen des Täters abgewendet wird, dann hat er etwas dazu getan, die Tat abzuwenden. Nach der Regelung dieses Abs. 2 soll die Gefahr aber ohne Zutun des Täters abgewendet werden, während hier ein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen stattgefunden hat. Das ist für mich ein unauflösbarer Widerspruch. Dieser Widerspruch wird eher dazu führen, daß man hier Schlupflöcher sucht, um die entsprechenden Täter dann hindurchschlüpfen zu lassen.Weiter möchte ich beanstanden, daß die in der Anhörung gemachten Vorschläge zum Punkt NichtEinschreiten von Beamten nicht aufgegriffen worden sind, daß also ein Beamter, der seine Aufsichts-und Überwachungspflicht nicht erfüllt, dann nicht bestraft werden kann. Wenn es, wie der Kollege Hartmann hier ausgeführt hat, auch andere Pflichtverletzungen von Beamten gibt, die man ebenfalls beachten müßte und die gesetzlich ihren Niederschlag finden müßten, dann ist die Frage aufzuwerfen, warum nicht gerade dieses Gesetz zum Anlaß genommen wurde, dieses Problem aufzugreifen und allgemein zu regeln.
— Selbstverständlich können Sie künftig immer mitmeiner Unterstützung rechnen, Herr Kollege Lenz.Das bedeutet, daß dieses Gesetz, wie schon mehrfach von anderen bestätigt worden ist, zu keiner irgendwie bedeutenden Verbesserung des Umweltstrafrechts und schon gar nicht zu einer Verbesserung der Umwelt führen wird, weil da natürlich die sachlichen Tatbestände von viel größerer Bedeutung als die Übernahme in das Strafrecht sind.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wissen heute, daß die Natur und die Umwelt keineswegs unzerstörbar sind. Sie ist verletzlich, die Ressourcen sind begrenzt. Wir dürfen auch hier nicht alles tun, wozu wir technisch und ökonomisch imstande sind. Die Umwelt bedarf vielmehr des Schutzes vor menschlichem Tun, sowie die Menschen selbst auch, und zwar um der Menschen und um ihrer Wohlfahrt willen. Das klingt heute nahezu alles selbstverständlich, verbal wird dem auch niemand mehr widersprechen. Insbesondere von dieser Tribüne aus wird jeder diesen Grundsätzen zustimmen. Sobald aber konkrete Interessen ins Spiel kommen, stößt die Verwirklichung dieser Grundsätze immer wieder auf uns allen wohlbekannte Schwierigkeiten.Darum war es nicht leicht, im Laufe der letzten zehn Jahre die Rechtsnormen zu schaffen, die das ökonomische Prinzip zugunsten des ökologischen einschränken, die wirtschaftlich anscheinend oder auch nur scheinbar Vorteilhaftes untersagen, weil es nur um den Preis ökologischer Schäden erreicht werden kann. Zu diesen Rechtsnormen gehören das Fluglärmgesetz, das Benzinbleigesetz, das Abfallbeseitigungsgesetz, das Bundesimmissionsschutzgesetz, das Waschmittelgesetz und das Abwasserabgabengesetz. Alle diese und die Gesetze, die noch in der Beratung sind, enthalten — dem ist völlig zuzustimmen — in erster Linie Verwaltungsrecht, also Normen, die die jeweiligen Grenzen zwischen Schädlichem und Unschädlichem markieren und Gefahren durch vorbeugende Kontrollen, durch Genehmigungsverfahren und durch eine Vielzahl von Auflagen und nachfolgenden Kontrollen begegnen. Ihre Durchsetzung ist und bleibt in erster Linie Sache der Verwaltung, die sich zu diesem Zweck auch der üblichen verwaltungsrechtlichen Zwangsmittel bedienen kann.In einzelnen Fällen sind Unterlassungen und Zuwiderhandlungen darüber hinaus mit Strafe bedroht, weil die Gemeinschaft zur Verhinderung sozialschädlichen Verhaltens als Ultima ratio eben auch auf dieses Hilfsmittel zurückgreifen muß. Diese Strafbestimmungen sind allerdings gegenwärtig weit verstreut und nicht ganz leicht aufzufinden. In mancher Hinsicht sind sie auch widersprüchlich und lückenhaft. Dem soll der vorliegende Entwurf abhelfen. Er schließt einige Lücken. Er hebt in zwei Fällen die Höchststrafen an und faßt schließlich verstreute Strafnormen an einer Stelle, nämlich im Strafgesetzbuch zusammen.Während der Ausschußberatung — das ist dankbar anzuerkennen — ist der Entwurf in allen drei Richtungen noch verbessert worden. Das gilt für die Übernahme weiterer Vorschriften aus dem Atomgesetz in das Strafgesetzbuch und für den verstärkten strafrechtlichen Schutz gegenüber dem leichtsinnigen Umgang mit radioaktiven Substanzen. Dafür und für die einstimmige Verabschiedung des Gesetzentwurfs im Rechtsausschuß habe ich allen Beteiligten sehr herzlich zu danken.Der Opposition hat dies allerdings — Herr Kollege Hartmann hat das noch einmal deutlich gemacht — einige Skrupel bereitet. Sie stimmt zu, aber offenbar nur mit schlechtem Gewissen.
Nun ist dies ein Zustand, der die Bundesregierung im allgemeinen nicht aufregt: wenn die Opposition ein schlechtes Gewissen hat. Es kann auch nicht die Aufgabe der Bundesregierung sein, der Opposition zu einem guten Gewissen zu verhelfen.
In diesem speziellen Fall, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, möchteich Ihnen aber doch sagen: Sie quälen sich grundlos.
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16040 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980
Bundesminister Dr. VogelSie können durchaus mit gutem Gewissen zustimmen.
Sie sagen, Herr Kollege Hartmann, das bisherige Nebenstrafrecht sei nur unvollständig erfaßt worden. Aber während der Ausschußberatungen haben Sie — das zeigen die Protokolle — eigentlich keine ergänzenden Vorschläge gemacht, was denn noch hinein, soll. Sie wollten bei der fahrlässigen Gewässerverunreinigung die Strafdrohung auf leichtfertiges Verhalten beschränken und auch bei Vorsatztaten mildern. Aber in Ihrem eigenen Entwurf zum Wasserhaushaltsgesetz haben Sie in der vorigen Wahlperiode eine viel strengere Regelung vorgeschlagen.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hartmann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Herr Bundesminister, Sie sagen, daß wir nicht vorgeschlagen hätten, weitere Vorschriften dort zusammenzufassen. Wären Sie bereit, in den Protokollen auch insoweit nachzulesen, als es auf unsere Intention zurückgeht, daß die Vorschriften des Atomgesetzes zusätzlich übernommen worden sind, und sind Sie bereit, den Protokollen auch zu entnehmen, daß wir der Bundesregierung auf unsere Veranlassung hin im Ausschuß den Auftrag gegeben haben, einmal alle Vorschriften aufzulisten, — —
Herr Kollege Hartmann, Sie dürfen Ihre Frage nicht in eine Rede umfunktionieren.
— — die noch nicht da drin sind. Sind Sie bereit, dies zu tun und Ihre vorherige Behauptung zu widerrufen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Hartmann, zur Kenntnis nehmen will ich's gerne; widerrufen will ich nichts. Daß Sie vorgeschlagen haben, aus dem Atomgesetz Bestimmungen zu übernehmen, habe ich soeben mit Dankbarkeit anerkannt. Ich glaube, das ist gerade in dieser Minute gesagt worden. Daß Sie Aufträge erteilt haben, weiteres zu prüfen, ist wohl wahr. Aber wenn Sie einen vernünftigen Vorschlag gehabt hätten, dann hätte die ob ihrer Leistungsfähigkeit bekannte bayerische Staatsverwaltung Ihnen sicher einen Katalog solcher Vorschläge zugänglich gemacht und Ihnen die Übernahme angeboten.
Als ehemaliger Angehöriger der bayerischen Staatsverwaltung muß ich dies schon fast zum Schutz der Institution sagen, die Ihnen doch sicher gelegentlich in gewissem Sinn behilflich ist.
— In dem Fall ist es erlaubt.Dann haben Sie sich, Herr Kollege Hartmann, noch einmal gegen die Formulierung abstrakterGefährdungsdelikte gewandt. Aber als der Gesetzgeber 1974 die Strafvorschriften des Immissionsschutzgesetzes gegenüber dem damaligen Regierungsentwurf auf abstrakte Gefährdungstatbestände ausdehnte, haben Sie das gutgeheißen und ohne Einwand mitgetragen. Ich sage noch einmal: Sie brauchen wirklich kein schlechtes Gewissen zu haben und können ruhig zustimmen. Außer dem Bundesverband der deutschen Industrie wird Ihnen wegen dieser Zustimmung wirklich niemand böse sein.
Infolgedessen würde ich sagen: Tun Sie es ruhig!Sie haben allerdings noch einen Grund angegeben, warum Sie ein schlechtes Gewissen haben.
— Aber nein! Herr Kollege Hartmann, Sie hören leider heute nicht ganz genau zu. Ich habe Sie gerühmt, daß Sie zustimmen. Ich habe mit Bedauern gehört, daß Sie es mit schlechtem Gewissen und Skrupeln tun. Ich will Ihnen gerade mitmenschlich helfen, diese Skrupel loszuwerden.
Nun haben Sie gesagt, es gebe einen weiteren Punkt, weswegen Sie ein schlechtes Gewissen hätten, wenn ich Sie richtig verstanden habe.
— Herr Hartmann, Sie haben gesagt, es mache Ihnen große Schwierigkeiten zuzustimmen, weil Sie so viele Bedenken hätten. Jetzt haben Sie noch einen Grund angeführt. Sie haben gesagt, die Zustimmung falle Ihnen wirklich schwer, weil der Kollege Maihofer eigentlich eine abweichende Meinung vertrete. Ich halte es für einen bemerkenswerten Fortschritt, daß Ihnen die Meinungen von Herrn Kollege Maihofer so sehr zu denken geben, daß Sie deswegen überlegen, ob Sie zustimmen können oder nicht. Ich meine, Sie hätten dem Kollegen Maihofer, solange er im Amt war, in dieser Weise Anhänglichkeit beweisen sollen. Dann wäre manches vielleicht ein bißchen einfacher gewesen.
— Ja, das war er aber auch als Innenminister. Das ist er doch nicht erst seitdem. Dies ist also kein Argument.
— Herr Kollege Lenz, Sie können doch dem Herrn Professor Maihofer nicht böse sein, weil er jetzt an
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980 16041
Bundesminister Dr. Vogelden Winterspielen teilnimmt. Das ist doch sein gutes Recht.
— Er ist der einzige Professor, der genannt worden ist. Im übrigen sind ja auch Herren Ihrer Fraktion in Lake Placid. Ich weiß nicht, warum Sie darüber jetzt böse sind.
Zur strafrechtlichen Haftung der Amtsträger kann ich mir längere Ausführungen sparen, weil ich dem, was der Kollege Heyenn und der Kollege Engelhard gesagt haben, in vollem Umfang zustimme.Der Herr Kollege Gruhl hat daran Anstoß genommen, daß wir eine Bestimmung über tätige Reue aufgenommen haben. Man kann ernsthaft verhandeln, ob dies so weit oder noch weiter oder weniger weit hätte gehen sollen. Die Formulierungen, die gewählt worden sind, Herr Kollege, finden sich aber an vielen anderen Stellen des Strafgesetzbuches auch — das muß ich fairerweise sagen —, z. B. bei gemeingefährlichen Straftaten oder beim Rücktritt vom Versuch. Für die Schuld des Täters macht es, wenn er sich bemüht, den Schaden abzuwenden, nun wirklich keinen Unterschied, ob diese Bemühungen von Erfolg sind oder ob der Schaden auf Grund des Eingreifens eines Dritten verhindert wird. Für die Schuld ist dies ohne jede Bedeutung. Dies ist ein allgemeiner Grundsatz: Wenn schon tätige Reue, dann muß wohl auch hier dieselbe Formulierung wie an anderen Stellen des Strafgesetzbuches gewählt werden.Der Begriff „neues Umweltstrafrecht" ist hier ein bißchen kritisiert worden. Ich habe diesen Begriff nie benutzt. Ich behaupte auch nicht, daß der vorliegende Entwurf nach seiner Verabschiedung sensationelle Effekte haben wird. Das ist sicher nicht zu erwarten. Der Entwurf macht aber, wie ich glaube, zweierlei deutlich.Erstens. Die Umwelt soll nach dem Willen des Parlaments als Rechtsgut künftig den gleichen Rang wie das Vermögen, das Eigentum und die körperliche Unversehrtheit — dies alles sind Rechtsgüter, deren Schutz seit eh und je im StGB geregelt ist — haben.Zweitens. Im Bewußtsein unserer Gemeinschaft — dies ist der erklärte gemeinsame Wille dieses Hauses — soll die Überzeugung Wurzel schlagen, daß der Umweltverschmutzer nicht schlechter, aber auch um kein Haar besser zu qualifizeren sei als der Brandstifter, der Betrüger oder der Dieb.
Gerade um dieser wichtigen psychologischen Wirkung willen bitte ich namens der Bundesregierung um eine möglichst breite, wenn es sein kann, sogar einstimmige Billigung des Entwurfs in der zweiten und dritten Lesung.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 bis 17 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird das Wort in der dritten Beratung gewünscht? — Ich stelle fest, das ist nicht der Fall. Wir kommen dann zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Eine Gegenstimme. Wer enthält sich der Stimme? — Der Gesetzentwurf ist bei einer Gegenstimme angenommen worden.Es liegt noch eine Beschlußempfehlung des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3633, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ich frage das Haus, ob es damit einverstanden ist. — Gibt es dagegen Widerspruch? — Enthält sich jemand? — Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Auslieferungsvertrag vom 20. Juni 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika— Drucksache 8/3107 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache .8/3641 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Wittmann Lambinus
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Ich stelle fest: Das ist nicht der Fall.Wir kommen dann zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer ist gegen das Gesetz? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes— Drucksache 8/3274 —
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16042 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980
Vizepräsident LeberBeschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft
— Drucksache 8/3620 —Berichterstatter:Abgeordnete RüheWeisskirchen
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rühe.
HerrPräsident! Meine Damen und Herren! Ich habe vor drei Monaten bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs die Haltung unserer Fraktion mit einem nachdenklichen Ja charakterisiert. Wir haben damals unseren Wunsch zum Ausdruck gebracht, diesen Gesetzentwurf nicht im Eilverfahren zu verabschieden, wie das die Koalition vorhatte, sondern zwei Dinge sehr sorgfältig zu prüfen, erstens welche Konsequenzen die Abschaffung der Zwangsexmatrikulation möglicherweise mit sich bringen könnte und, zweitens, welcher Stellenwert und welche Bedeutung dieser Maßnahme in bezug auf die wirklich drängenden Problemen an unseren Hochschulen zukommt.Ich kann Ihnen berichten, daß wir erfreulicherweise in den Ausschußberatungen auf Grund einer internen Anhörung von Vertretern der Westdeutschen Rektorenkonferenz, der Kultusministerkonferenz und dem deutschen Studentenwerk einen Grad an Gemeinsamkeit erreicht haben, der zunächst nicht selbstverständlich schien. Ich meine, daß wir deswegen heute die Feststellung treffen können, daß der von uns vorgeschlagene Weg einer sorgfältigen Beratung richtig und gut gewesen ist.Mit der Streichung der in § 17 Abs. 2 und 4 bzw. § 72 Abs. 3 des Hochschulrahmengesetzes niedergelegten Bestimmungen werden die Länder der Verpflichtung enthoben, in ihren Hochschulgesetzen eine Zwangsexmatrikulation vorzusehen. Ober die Notwendigkeit dieser Maßnahme besteht Einigkeit. Die Gründe brauchen deswegen hier nicht noch einmal dargelegt zu werden.Was aber gar nicht häufig und deutlich genug gesagt werden kann, ist, daß hiermit das Konzept der Regelstudienzeit und der Fortgang der Studienreform mit ihrer wichtigen hochschulpolitischen Bedeutung nicht in Frage gestellt werden. Wir betrachten es als einen Erfolg der ersten Hochschulrahmengesetznovellierung, daß dies in der uns vorliegenden Beschlußempfehlung von allen Fraktionen mit allem Nachdruck festgeschrieben wird.Die Abschaffung der Zwangsexmatrikulation und die damit verbundene Forderung nach beschleunigter Studienreform betrachten wir als ein Signal an die Verantwortlichen an den Hochschulen. Sie müssen sich ihrer Verpflichtung noch deutlicher als bisher bewußt werden, die Studiengänge endlich so zu ordnen, daß eine praxisorientierte Ausbildung auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau innerhalb einer Regelstudienzeit — das bedeutet in der Regel in einer kürzeren als der zur Zeit im Durchschnitt üblichen Studiendauer — abgeschlossen werden kann.Diese Verkürzung der Studiengänge durch eine sinnvolle Auswahl und Begrenzung der Studieninhalte berührt in allererster Linie die Interessen der Studierenden an unseren Hochschulen. Die Verzögerung dieser Reformarbeit bedeutet ganz konkret eine Beeinträchtigung ihrer beruflichen und persönlichen Zukunftschancen. Sie bedroht darüber hinaus aber auch zunehmend die internationale Wettbewerbssituation von Bildung, Ausbildung und Forschung in unserem Lande. Wir begrüßen es, daß die Meinungen in dieser Frage nahe beieinanderliegen. Ich darf deswegen Staatssekretär Dr. Granzow zitieren, der anläßlich der Heidelberger Universitätstage folgendes treffend ausgeführt hat:Über Studienreform ist lange und viel geredet worden; wer die hochschulpolitische Landschaft realistisch betrachtet, weiß, daß wenig erst geschehen ist.Er fährt dann fort:Die Vorstellung, daß eine Million Studenten in einem unreformierten Studiensystem leben und arbeiten sollen, ist beklemmend. Das Ansehen der Hochschulen und die beruflichen Perspektiven ihrer Absolventen werden ganz entscheidend davon abhängen, daß die Stimmungen der Resignation nicht zur Herrschaft gelangen.So der Staatssekretär der Bundesregierung. Ich meine, daß man das treffender und deutlicher gar nicht ausdrücken kann.Deswegen meinen wir, es muß endlich Schluß gemacht werden damit, daß Jahr für Jahr neue Studentengenerationen die Nachteile unseres Hochschulsystems in Kauf nehmen müssen, auf die wir seit langem hinweisen. Ich darf die wesentlichen noch einmal kurz darstellen.Erstens. Der akademische und wissenschaftliche Nachwuchs in der Bundesrepublik Deutschland schließt seine Ausbildung im Vergleich zum Ausland zu spät ab. Der durchschnittliche Hochschulabsolvent beendet sein Studium in der zweiten Hälfte des dritten Lebensjahrzehnts, zu einem Zeitpunkt also, zu dem sich seine Kollegen in anderen Industrieländern längst in konkrete berufliche oder weiterführende wissenschaftliche Aufgabenstellungen einarbeiten. Der deutsche Studierende wendet damit einen vergleichsweise viel größeren Teil der kreativsten und aktivsten Lebensphase für seine Ausbildung auf.Zweitens. Unter den Studienanfängern an den Hochschulen existiert eine weit verbreitete Orientierungslosigkeit. Hier ist die studienbegleitende Studien- und Berufsberatung ein wichtiger Diskussionsvorschlag, den die CDU/CSU in den letzten Wochen zur Oberwindung der Probleme eingebracht hat. Voraussetzungen für ein zielgerichtetes Studium mit eigenverantwortlicher Schwerpunktbildung bleiben aber zunächst klar geordnete Studiengänge mit ausgewählten und begrenzten Stu-
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Rühedieninhalten. Sie alleine schaffen den Freiraum für eine angemessene Praxisorientierung sowie die Integration von Auslandsstudienaufenthalten, für die wir uns in diesem Hause ebenfalls immer wieder eingesetzt haben.Drittens. Das Auseinanderfallen von durchschnittlicher Studienzeit und Höchstförderungsdauer nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz benachteiligt diejenigen Studenten, die von zu Hause finanziell nicht so wohl ausgestattet, sondern auf Ausbildungsförderung angewiesen sind. Da die zur Verfügung stehenden Mittel begrenzt sind, wird man ohne das Kriterium der Förderungshöchstdauer nicht auskommen. Auch eine generelle Aufstockung der Förderungshöchstdauer steht nicht zur Diskussion und könnte nur sehr schwer finanziert werden.Die Chancengerechtigkeit zwischen den finanziell bedürftigen Studenten und denen, denen es finanziell besser geht, die nicht auf die Ausbildungsförderung angewiesen sind, wird sich deswegen nur dann herstellen lassen, wenn die tatsächliche Studiendauer, die Höchstförderungszeit und die Regelstudienzeit zusammenfallen. Die Studienreform ist also — mit der zeitlichen Vorgabe der Regelstudienzeit und einer faktischen Verkürzung der Studienzeiten — Voraussetzung für die Chancengerechtigkeit für die mittellosen Studenten bzw. diejenigen, die von zu Hause keine ausreichenden Mittel bekommen.Wenn wir heute wie geplant beschließen, daß die Regelungen des § 17 des Hochschulrahmengesetzes abgeschafft werden, müssen wir uns allerdings darüber klar sein, daß wir bestenfalls einen Beitrag zur atmosphärischen Entspannung an unseren Hochschulen leisten, daß aber wesentliche Probleme unserer Hochschulen weiter ungelöst bleiben. Sie müssen spätestens in der nächsten Legislaturperiode angegangen werden,
unter anderem auch durch eine gründliche Durchforstung des Hochschulrahmengesetzes. Ich nenne dazu nur die folgenden Stichworte.Erstens. Die Forschungsaufgaben an unseren Hochschulen dürfen nicht weiter vernachlässigt werden. Ich möchte hier noch einmal an die Untersuchung einer internationalen Professorengruppe erinnern, die die Feststellung getroffen hat, „daß mit den Reformen der letzten Jahre in der Bundesrepublik Deutschland einige Prinzipien, die für das Überleben der Universität als Ort wissenschaftlichen Forschens wesentlich sind, entscheidend geschwächt wurden". So diese Gruppe international anerkannter Professoren und Forscher über die Auswirkungen der Hochschulpolitik auf die Möglichkeit und Unmöglichkeit von Forschung in unserem Lande. Ich meine, daß das eine ernst zu nehmende Warnung ist, der wir uns bei den notwendigen Maßnahmen in der Zukunft nicht verschließen sollten.
Meine Damen und Herren, ich brauche Ihnen kaum noch einmal zu sagen, welche Bedeutung ein hohes Niveau von Wissenschaft und Forschung für ein rohstoffarmes Industrieland wie die Bundesrepublik Deutschland hat. Es muß klar sein, daß die Funktionsfähigkeit der Hochschulen für die Aufgabe der Forschung nicht das Problem von Bildungspolitikern ist, sondern ein Problem dieses gesamten Parlaments, weil es letztlich um die internationale Wettbewerbsfähigkeit und Überlebensfähigkeit unseres Landes geht.Zweitens. Im Zusammenhang mit den zukünftigen Aufgaben der Hochschulpolitik ist das Problem der Bürokratisierung der Hochschulen zu nennen. Die Bürokratisierung hat u. a. zur Folge, daß Kapazitäten, die für Forschung und Lehre dringend benötigt werden, durch Gremien- und Verwaltungstätigkeit gebunden werden.Drittens. In quantitativer und qualitativer Hinsicht ist die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Bundesrepublik Deutschland in Frage gestellt. Aufstiegs- und Berufschancen junger Wissenschaftler sind völlig unzureichend. Gleiches gilt für die Struktur und den Umfang des Förderungssystems.Viertens. Wir müssen endlich begreifen, daß sich im Aufgabenbereich der Hochschulen ein Wandel vollzogen hat. Eine akademische Ausbildung für jetzt 20 % eines Altersjahrgangs muß zwangsläufig ganz anders aussehen als für 5 % eines Altersjahrgangs. Heute strebt ein weit größerer Teil der Studenten an unsere Hochschulen in erster Linie, um einen berufsbefähigenden Abschluß auf einer wissenschaftlichen Grundlage zu erhalten. Deswegen müssen wir die gängigen Antworten der Vergangenheit überprüfen. Wir müssen die Gefahr einer Inflationierung akademischer Abschlüsse sehen. Ich glaube nicht, daß die Chancen unserer Hochschulabsolventen, was den Beruf angeht, hierdurch wesentlich besser geworden sind. Im Gegenteil: In manchen Bereichen müssen wir mit Sorge sehen, daß sich Teile von Hochschulen dazu entwickeln, zu Fabriken zur Produktion von Arbeitslosigkeit zu werden. Hier müssen wir durch eine größere Transparenz und eine bessere Berufsberatung dafür sorgen, daß nicht soviel junge Menschen beruflich in eine Sackgasse geraten.Diese vier Punkte, die wir für die Zukunft auf zählen, erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie reichen aber aus, um deutlich zu machen, daß eine erheblich weitergehende Novellierung des Hochschulrahmengesetzes u. a. auch diesen Umständen Rechnung tragen muß. Wir wären deshalb gut beraten, in der 9. Legislaturperiode dies nicht allzu lange vor uns herzuschieben.Ich fasse noch einmal zusammen: Die zentralen Aufgaben der Hochschulpolitik für die vor uns liegenden Jahre sind klar umrissen. Es sind dies 1. die beschleunigte Studienreform, 2. die Aufrechterhaltung und Verbesserung des wissenschaftlichen Leistungsstandards, 3. die Bewältigung der Aufgaben, die zwangsläufig aus dein gestiegenen Anteil von Studierenden erwachsen, 4. die Sicherung des notwendigen Freiraums für Forschung und Lehre.
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16044 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980
RüheIch möchte durch die Aufzählung dieser Punkte keineswegs den Eindruck erwecken, als ob an den Hochschulen alles im argen liege. Wir dürfen uns aber auch nicht über das tatsächliche Ausmaß an Problemen hinwegtäuschen, die sich dort angesammelt haben. Eine große deutsche Tageszeitung weist gerade heute zu Recht darauf hin, daß die relative Ruhe an den Hochschulen, wenn man „Ruhe" als die Abwesenheit von Krawallen und gewalttätigen Auseinandersetzungen definiert, uns nicht täuschen sollte über das. Ausmaß der Krise und der Gefährdung, das es weiter an unseren Hochschulen gibt.Der 9. Deutsche Bundestag wird deshalb ohne Tabus und ohne Vorurteile zu einer umfassenden Bilanz der Hochschulreform der letzten zehn Jahre kommen und auch das Hochschulrahmengesetz grundsätzlich auf den Prüfstand stellen müssen.
Ich erteile nun das Wort dem Herrn Abgeordneten Weisskirchen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Rühe, ich würde mich freuen, wenn wir beide demnächst vielleicht, falls wir diesem Hohen Hause wieder angehören dürfen, vorurteilsfrei und ohne Tabus über Hochschulentwicklung und die daraus zu ziehenden Konsequenzen diskutieren könnten. Wenn man das, was Sie heute gesagt haben — ich fand das objektiv und sachlich vorgetragen —, mit so manchem vergleicht, was wir in dieser Legislaturperiode über Hochschulen, Hochschulentwicklungen und Hochschulpolitik gehört haben — derjenige, der einiges davon vorgetragen hat, Herr Dr. Dregger, ist nicht da —, dann muß man feststellen: Es waren schon schreckliche Reden, die wir gehört haben.
So ist beispielsweise behauptet worden, die Hochschulen seien der Hort des Terrorismus. Insbesondere Intellektuelle, Schriftsteller und andere wurden in einen Topf geworfen. Das schöne Wort „Sympathie" wurde semantisch sozusagen ins Gegenteil verkehrt.Wenn man sich das vergegenwärtigt, wird man sich vielleicht selber fragen müssen: Was haben denn wir Politiker mit dazu beigetragen, daß das Verhältnis von Hochschule und Gesellschaft — in Teilen jedenfalls — belastet ist? Das Land Baden-Württemberg hat vor kurzem eine Untersuchung des Allensbacher Instituts durchführen lassen; diese ist vor wenigen Wochen der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Sie hat ergeben, daß es eine Reihe von Vorurteilen — Sie sprachen vorhin davon — der Gesellschaft gegenüber der Hochschule gibt — leider! Es gibt eine Befangenheit gegenüber der Hochschule, es gibt Angst vor Intellektuellen. Ich finde es nicht gut, wenn manche Politiker dies umzumünzen versuchen und Wählerstimmen damit fangen wollen. Gerade aus dem Grunde bin ich recht froh darüber, daß wir hinsichtlich der punktuellen Änderung des Hochschulrahmengesetzes im Ausschuß zu gemeinsamen, tragfähigen Lösungen haben kommen können. Ich meine auch, daß wir Ihren Appell aufnehmen und demnächst wieder über die Entwicklungen innerhalb unserer Hochschulen miteinander reden sollten.Für die SPD-Bundestagsfraktion darf ich jedenfalls sagen, daß wir die Empfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft einmütig unterstützen, nämlich die §§ 17 und 72 dahin zu ändern, daß die dort festgelegten Sanktionen bei Überschreiten der Regelstudienzeit entfallen. Wir begrüßen das und glauben, daß dies auf der Linie liegt, die wir Bildungspolitiker von SPD ' und FDP bereits am 14. März 1978 gemeinsam festgelegt haben, nämlich daß wir an den hochschulpolitischen Vorstellungen, wie sie in der Bundestagsfassung des Hochschulrahmengesetzes vom 12. Dezember 1974 enthalten sind, unverändert festhalten, daß wir insbesondere den Schlüssel für die Studienreformkommissionen zugunsten der Hochschulen verbessern, das Ordnungsrecht begrenzen, die Zulassungsvorschriften prüfen, die Zusammensetzung der Gremien im Rahmen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ändern sowie die demokratisch verfaßte Studentenschaft bundeseinheitlich sichern wollen.Das wäre unser Wunschkatalog gewesen, den wir in das Gesetzgebungsverfahren gern eingebracht hätten. Wenn man sich aber diesen Wunschkatalog vor Augen führt, dann wird man mit Recht sagen dürfen: Man kann auch eine Novelle, eine so kleine Novelle dadurch töten, daß man sie mit so viel Gewicht behängt und befrachtet, daß das Schiffchen untergeht, besonders dann, wenn von links, von rechts oder, Herr Dr. Meinecke und Sie, Herr Rühe, Sie werden das besser wissen, von Luv und Lee politischer Sturm kommt. Sie kommen ja von da oben und wissen, was das bedeutet. Dann wird dieses Schiffchen sicherlich untergehen. Das wollten wir aber nicht. Deshalb haben wir uns auf den jetzt unumstrittenen und von allen gemeinsam getragenen Konsens beschränkt. Wären wir über die Initiative des Bundesrates hinausgegangen, hätten wir, wie ich glaube, diese Novelle gefährdet.Was im übrigen diese Frage der Änderung des Hochschulrahmengesetzes angeht — Sie haben eben schon einige Punkte genannt —, so haben einige mit den Hufen gescharrt, Herr Rühe. Wir hätten sicherlich noch einiges hineinpacken können. Dennoch setzen wir heute mit der Verabschiedung kein Ende der Diskussion um die Verfassung, um die gesetzlichen Grundlagen unserer Hochschulen. Ich hoffe wie Sie, daß der nächste Bundestag sich die Zeit nehmen wird, die Reformbedürftigkeit des Hochschulrahmengesetzes, soweit das miteinander geklärt werden muß, über diese Novelle hinaus zu prüfen.Lassen Sie mich dazu noch einige Punkte nennen, die Sie in die Debatte geworfen haben. Sie haben, glaube ich, zwar davon gesprochen, Sie wollten Vorurteile beiseite lassen. Wenn wir aber in eine solche Debatte hineingehen, dann sollten wir manche Dinge weglassen, die in der Diskussion falsch laufen. Ich will nur ein einziges Beispiel aus dem herausnehmen, was Sie sagten. Sie haben erneut die Ge-
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fahr eines akademischen Proletariats an die Wand gemalt. Ich glaube, dieses ist unehrlich, weil jeder von uns genau weiß — er braucht nur die Statistiken der Arbeitsämter anzuschauen, braucht nur beim Institut für Arbeits- und Berufsforschung anzufragen und mit den Kollegen dort zu diskutieren —, daß in unserer Gesellschaft Akademiker immer noch weitaus günstigere Arbeitschancen haben als andere. Ich bitte Sie, Herr Rühe: Wer redet denn von der Schwemme von Hilfsarbeitern, die wir haben? Die sind doch auf dem Arbeitsmarkt viel stärker gefährdet als Akademiker.
Ich finde, Sie sollten darüber sehr viel ehrlicher und offener reden, statt hier irgendwelche Gespenster an die Wand zu malen; denn damit wird letztlich der offene Dialog, den Sie wollen — jedenfalls sagen Sie, Sie wollten ihn —, von vornherein belastet. Das wollen wir nicht.Wir meinen, dieser Schritt zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes sollte als eine Bitte in drei Richtungen verstanden werden: Erstens haben die Sanktionen, wie sie im Hochschulrahmengesetz formuliert waren, die Hochschule nicht entlastet, sondern haben in erster Linie die Studenten belastet, was das Vertrauensverhältnis zwischen Gesellschaft, Staat und Hochschule anbelangt. Das Thema hat das Klima an den Hochschulen vergiftet und der Arbeit an der Studienreform geschadet. Eigentlich hätte das doch das Herzstück des Hochschulrahmengesetzes werden sollen. Die Arbeiten, die in Gang gekommen sind, sind davon zumindest eingeschränkt worden. Die Zwangsexmatrikulation konnte als ein Instrument staatlicher Repression vorgeführt werden, das gegen die Freiheit von Forschung, Lehre und Studium gerichtet sei. Das ist ein klassisches Beispiel für gestörte Kommunikation. Nun sage ich das alles nicht, um Gräben aufzureißen. Ich sage das nur, um klarzumachen, daß wir Politiker einiges abarbeiten müssen, wenn wir der studentischen Jugend glaubwürdig gegenübertreten wollen. Wir haben sie allzuoft — ich schließe uns da nicht aus — in erster Linie als Objekt für ausschlachtbare Vorurteile gesehen. Wir müssen in dem gesamten Dialog erst noch klarmachen, daß wir in dieser Diskussion fähig und bereit sind zur Gleichberechtigung. Ich glaube, bei dieser Novelle kann man das auch deutlich zeigen: Dialoge können Ergebnisse haben. Demokratie — und das betrifft auch das Hochschulrahmengesetz — heißt nicht Dekretieren, Demokratie heißt auch offen sein für Veränderungen. Wenn man Fehler sieht, kann man sie auch durch Argumente beseitigen. Diese Novelle — das ist die erste Bitte, die wir an die studierende Jugend haben — soll als Signal verstanden werden, damit gesehen wird: dies ist die Bereitschaft, die wir konkret im Dialog haben, zu ändern, wo etwas zu ändern ist.Zweitens. Die inhaltliche Studienreform kann jetzt mit aller Kraft vorangetrieben werden. Erst wenn durch die Beteiligung derjenigen, die in den Hochschulen betroffen sind, und im übrigen auch in den anderen gesellschaftlichen Gruppen dies als gesicherte Übereinkunft gelten kann, haben nach meiner Meinung Mindeststudienzeiten ihren Sinn. Diesen Beschluß verknüpfen wir daher mit der Bitte an die Reformkommissionen, in ihren Anstrengungen nicht nachzulassen. Die Reform der Inhalte dessen, was an den Hochschulen in den einzelnen Fächern gearbeitet wird, ist ein ständiger Prozeß, der, so hoffe ich, nicht als abgeschlossen, von vornherein als starrer Katalog von schulmäßig Ablernbarem angesehen oder mißverstanden werden darf. Die eigentliche Aufgabe wird auf die Hochschulen und auf die Politiker erst in der Zukunft zukommen, nämlich berufsfeldbezogene Erkenntnisse und disziplinüberschreitende Inhalte zeitlich in einem gegliederten Studium sinnvoll aufeinander zu beziehen. Die Bewährungsprobe für die Studienreform wird erst dann kommen, wenn wir diesen Prozeß offen sehen, nicht als eine von oben nach unten erfolgende Reform. Nach meiner Auffassung kann die Reform erst dann von den Hochschulen selber aufgenommen und bearbeitet werden.Ich hoffe auch sehr, daß wir dann darüber noch einmal reden können — wie Herr Pfeifer es erfreulicherweise gestern in einer Pressemeldung gesagt hat —, daß wir die verfaßte Studentenschaft wieder einführen können, natürlich so, wie die Länder das von sich aus wollen. Ich hoffe sehr, Herr Pfeifer, daß es auch Ihnen gelingt, den Fehler, der im Lande Baden-Württemberg gegenüber der Studentenschaft gemacht worden ist, wieder zu korrigieren. Ich habe mich nur gefragt: ist es eine Angelegenheit, über die ich mich inhaltlich freuen kann? Ich glaube, ja. Oder ist es die nachträgliche Erkenntnis, daß die Position, die die Sozialdemokraten in diesem Punkt immer gehabt haben, die richtige gewesen ist? Ich freue mich jedenfalls, daß Herr Minister Engler eine solche Erklärung abgegeben hat.Das also ist der Appell und die Bitte an die Studienreformkommission. Mit dieser Änderung des Hochschulrahmengesetzes machen wir klar: wir möchten die Kärrnerarbeit vor Ort damit unterstützen.Zum letzten! Wenn wir an den beiden Paragraphen heute etwas streichen, wird dies in den Bundesländern zunächst noch wenig ändern. Ich fürchte eher eine Verschärfung von Auslesemechanismen, wenn das Problem etwa an die Fachbereiche abgeschoben wird. Es könnte geschehen, daß die Abschaffung der Zwangsexmatrikulation auf die Ebene der einzelnen Studiengänge hinuntergedrängt wird. Die Studienwirklichkeit würde sich damit, glaube ich, nicht verbessern. Die Probleme würden nur von einer Ebene auf die andere herabgedrängt werden. Das heißt, daß ohne gesetzliche Folgerungen der Länder unser Bemühen, das des Bundestages, ins Leere ginge. Niemand darf sich dabei ausnehmen, selbstverständlich auch nicht das Land Bayern.Das ist also unsere Bitte an die Länder. Dieses Signal will dabei helfen, wenn es an die Konsequenzen geht, die aus dem heutigen Beschluß in den Ländern selber, in den Landtagen zu ziehen sind.Zum Schluß möchte ich noch eine Bitte an uns selber richten. Die Initiative, die Beratung und die Beschlußfassung bei dieser Novelle zeigen die Stärke
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des Bildungsföderalismus. Der Bundesrat hat eine Initiative — zunächst von den SPD/FDP-regierten Ländern, dann auch von den CDU-regierten Ländern — gemeinsam vorangetrieben und an uns gegeben. Wir haben dies unterstützt und wollen das heute selber beschließen. Könnte denn dieses Modell der Zusammenarbeit von Bund und Ländern uns nicht etwas helfen, wenn es demnächst an andere bildungspolitische Fragen geht?
Könnte das denn nicht möglich sein, Herr Prangenberg? Wäre es nicht möglich, daß wir unsere Kontroversen genauso wie in diesem Punkt austragen: in Sachfragen unterschiedlicher Auffassung, von mir aus auch mit Härte vorgetragene Argumente, aber eben doch in der Achtung vor der Position des anderen — und nichts in Schlammkämpfe ausarten lassen, sondern die verschiedenen Auffassungen diskutieren, um dann vielleicht doch zu gemeinsamen praktischen Lösungen zu kommen. Ich hoffe jedenfalls und glaube daran, daß wir diese Chance nützen könnten. Ich weiß natürlich nicht, wie der große Stratege das in der Strategiekommission sieht. Vielleicht sind Sie daran viel stärker gebunden, als Sie sich das selber eingestehen möchten.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schuchardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als das Hochschulrahmengesetz verabschiedet werden sollte, gab es in unserer Fraktion eine sehr intensive Diskussion darüber, ob man eigentlich, nachdem im Gerangel zwischen Bundestag und Bundesrat so vieles hineingekommen war, was gar nicht mehr unserer Auffassung entsprach, zustimmen sollte oder nicht. Eine Mehrheit der Fraktion war der Auffassung, daß man ein Hochschulrahmengesetz haben sollte, daß man also generell zustimmen und dann alle Chancen wahrnehmen sollte, um punktuell das, von dem wir der Auffassung waren, daß es schon zu Anfang hätte anders aussehen sollen, später wieder zu novellieren. Eine Minderheit meiner Fraktion — und dazu gehörten gerade diejenigen, die den Entwurf federführend mit zu bearbeiten hatten — konnte damals diesem Gesetz nicht zustimmen, und zwar u. a. wegen dieses Punktes.Nun haben wir also zweierlei zur Kenntnis genommen, nämlich erstens, daß sich die Befürchtungen, die wir damals hatten, tatsächlich bewahrheitet haben und daß daraus sogar von seiten des Bundesrates die erforderlichen Konsequenzen gezogen worden sind, nämlich mit diesem Novellierungsentwurf. Zweitens hat sich etwas ergeben, was wir sehr gern aufnehmen, nämlich daß man in der nächsten Legislaturperiode bereit sein könnte, über eine Reihe von anderen Änderungen nachzudenken. Herr Rühe, sie haben ein paar genannt, denen wir uns sicherlich anschließen könnten; wir würden uns natürlich sehr freuen, wenn Sie sich auch den Änderungswünschen anschließen könnten, die wir fürrichtig halten. Aber, wie gesagt, dies wird einer späteren Diskussion vorbehalten bleiben.1974 jedenfalls hat unser Bundesparteitag noch einmal beschlossen: Die Studienreform soll den Studenten ermöglichen, ihr Studium in einer angemessenen Zeit zu beenden. — In der Tat war das ja unser aller Wunsch. Aber, so meinte meine Partei bereits damals: Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Sanktionsmechanismen schränken die Freiheit des Studiums unangemessen ein und sind ohne Auswirkungen auf die Auslastung der Kapazitäten an den Hochschulen. — Genau dies wurde in dem kurzen Anhörverfahren des Ausschusses auch noch einmal bestätigt.Heute besteht also weitgehend Konsens darüber, daß die Androhung einer Zwangsexmatrikulation bei Überschreitung der Regelstudienzeit keine zusätzlichen Studienplätze schafft, dafür aber eine engstirnige Fachausbildung, d. h. möglicherweise eine Verschulung im schlechtesten Sinne des Wortes, fördert, eine unnötige Streßsituation für Studenten schafft und — was in diesem Zusammenhang sicherlich sogar das Entscheidende ist — die Bemühungen um eine Studienreform und eine tatsächliche Straffung der Studiengänge nicht erleichtert, sondern eher erschwert.In einem internen Bericht über die Erfahrungen mit der Regelstudienzeit in Baden-Württemberg und in anderen Bundesländern heißt es, die Sanktionen hätten bei den betroffenen Studenten zu psychischen Belastungen geführt, die sich als eher hinderlich denn als für einen raschen Abschluß des Studiums förderlich erweisen; außerdem beeinträchtigten sie bisweilen erheblich die Studienreform. So die Erfahrungen. Wenn dies sogar vom baden-württembergischen Wissenschaftsminister festgestellt wird, in einem Lande also, in dem man die längsten Erfahrungen mit dieser technokratischen Regelung hat, dann sollte dies besondere Bedeutung haben.Der, glaube ich, der Union angehörende und, ich glaube, sogar für sie kandidierende Politologe Kaltefleiter hat dieses Thema der Regelstudienzeit und der Sanktionen als ein politisches Beispiel für die Lernfähigkeit unserer Demokratie bezeichnet. Dies ist grundsätzlich sicherlich richtig. Aber es bleibt zu fragen, ob die Lerngeschwindigkeit unseres politischen Systems nicht gerade in Fragen der Bildungs-und Hochschulpolitik in den letzten Jahren etwas langsam geworden ist. Die Ungeduld gerade auch der Studenten ist hier, so meine ich, durchaus verständlich.Ich möchte auch noch einmal, wie Sie, Herr Rühe, es getan haben und wie Herr Weisskirchen es getan hat, darauf hindeuten, daß wir diese Änderungen keineswegs etwa als eine Einladung für beliebig langes Studieren mißverstanden wissen wollen. Aber man muß doch wohl an dieser Stelle einmal den Hochschulen, die ja der Politik sehr häufig vorwerfen, sie sei reformunfähig, selber vorwerfen, daß sie in sich eigentlich genau diese Reformunfähigkeit an den Tag legen. Wir sollten uns deshalb nicht scheuen, genau die Argumente, mit denen wir uns manchmal auseinanderzusetzen haben, wenn wir Hochschulangehörigen gegenübersitzen, diesen zurück-
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Frau Schuchardtzugeben. Denn in der Tat ist dies inzwischen eine Organisation geworden, die schwerfällig und reformunfähig ist. Darauf muß man noch einmal hinweisen.Der jetzt gefundene weitgehende Konsens über die erste Novelle zum Hochschulrahmengesetz läßt unserer Meinung nach hoffen — wir konnten das von SPD und CDU bereits hören —, daß wir in der Lage sind, zukünftige Veränderungen verhältnismäßig schneller vorzunehmen. Ich möchte hier auch meinerseits einige Beispiele nennen, wenngleich ich nicht sage, daß diese vollständig sind. Da ist z. B. die Landesquotenberechnung bei der Hochschulzulassung. Es kann eigentlich nicht genug betont werden, wie bedenklich es verfassungsmäßig ist, wenn bei jemandem, der sich für das Fach Medizin bewirbt, In Hessen eine Durchschnittsnote von 1,6, in Rheinland-Pfalz von 1,7, in Hamburg von 2,2 und in Schleswig-Holstein von 2,1 ausreicht. Irgend etwas kann hier nicht stimmen. Daß dies geändert werden muß, scheint mir notwendig zu sein. Ich wünschte mir, daß auch hier langsam eine Initiative der ja eher betroffenen Bundesländer käme.Herr Weisskirchen hat bereits auf das Ordnungsrecht hingewiesen. Dieser Punkt und die Einführung der verfaßten Studentenschaft sind zwei Punkte, die ein wesentlicher Weg dahin wären, wieder den Dialog gerade mit den Studenten und zwischen den Parteien aufzunehmen. Ich hoffe, daß uns insgesamt dies gelingt und daß die Studenten dies als einen ersten Schritt des guten Willens ansehen.Ich hoffe, daß wir in der nächsten Legislaturperiode dieses Thema möglichst schnell wieder zu einem wesentlichen Anliegen aller unserer drei Fraktionen machen.
Meine Damen und Herren, ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischer Staatssekretär Engholm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung schlägt wie der Bundesrat dem Parlament vor, die Zwangsexmatrikulation bei Überschreitung der Regelstudienzeiten zu streichen. Sie wird dabei von der großen Mehrheit der politischen Kräfte in unserem Lande unterstützt. So haben alle Bundesländer im Bundesrat der Streichung zugestimmt. Ich muß sagen, mit einer Ausnahme, Bayern; aber das ist inzwischen weniger eine schmerzliche als eine fast liebgewordene Erfahrung, die wir bildungspolitisch hier machen. Auch alle Bundestagsfraktionen begrüßen die Abschaffung dieser Sanktionen. Wir haben damit einen relativ seltenen bildungspolitischen Konsens.Ziel der Novelle ist es, ein Hindernis für die Studienreform zu beseitigen. Wir alle wissen, daß die Zwangsexmatrikulation von Studenten und Professoren gleichermaßen als ein Damoklesschwert empfunden worden ist. Diese Vorschrift über die Zwangsexmatrikulation hat die Diskussion über die Reform des Studiums erschwert, statt erleichtert,und sie hat objektiv die notwendige Verständigung innerhalb der Hochschulen zwischen Studenten, Mittelbau und Lehrern über Ziele der Studienreform verhindert. Mit ihrer Abschaffung eröffnet deshalb der Gesetzgeber den Hochschulen neue Möglichkeiten einer aktiven und konstruktiven Studienreformarbeit.Damit will die Bundesregierung gleichzeitig die Verantwortung in den Hochschulen für die Aufgabe Studienreform verdeutlichen. Das heißt, es ist Aufgabe der Hochschulen selbst und jedes einzelnen Hochschullehrers, sich an der Aufgabe Studienreform zu üben. Das heißt nichts anderes, als den Auftrag des- HRG jeden Tag zu erfüllen, Dauer und Inhalt der Studiengänge den wissenschaftlichen und auch den gewandelten gesellschaftlichen Erfordernissen anzupassen. Im Endeffekt beinhaltet das auch das, was Herr Kollege Rühe bereits gesagt hat: in jedem Studiengang den Versuch zu unternehmen, eine im Grundsatz praxisorientierte Ausbildung auf hohem wissenschaftlichem Niveau sicherzustellen.
Diese Arbeit können die Hochschulen den überregionalen Studienreformkommissionen nicht allein überlassen. Es handelt sich um eine Aufgabe, die täglich vor Ort, im Hörsaal, in der Vorlesung, im Seminar selber, stattfinden muß.Damit in der Öffentlichkeit keine Mißverständnisse entstehen, muß ich zwei Dinge klarstellen.Erstens. Die Regelstudienzeit bleibt ein wichtiges Orientierungsdatum für die Studienreform, d. h., die Hochschulen bleiben aufgefordert, die Studiengänge von unnötigem Lehrstoff zu befreien und so zu gliedern, daß die Studenten innerhalb einer begrenzten Zeit in überschaubaren Schritten und ohne unnötige Leistungszwänge ihre Abschlüsse erreichen können.Zweitens. Der Fortfall der Zwangsexmatrikulation blockiert keine Studienplätze; denn die Zulassungszahlen richten sich nicht nach der tatsächlichen, sondern nach der Regelstudienzeit.Was die Langzeitstudenten angeht, über die in der Öffentlichkeit häufig geredet wird und auch im Ausschuß gesprochen worden ist, so muß hier der Gerechtigkeit halber gesagt werden: Langzeitstudierende gibt es in der Bundesrepublik relativ wenige. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Studenten ist gering. Meistens sind sie auch ein Opfer inhumaner Umstände, die die Studenten manchmal an den Hochschulen antreffen.
Ich meine deshalb, daß der Vorschlag Bayerns, die Langzeitstudenten mittelbar etwa durch überhöhte Studiengebühren zu exmatrikulieren, nicht der richtige Ansatzpunkt ist. Ich gebe zu überlegen, ob auf diesem Felde die Berliner Vorschläge nicht doch den besseren Weg darstellen, erst einmal eine intensive Beratungsphase für Langzeitstudenten zu machen, ihnen eine faire Fristvorgabe einzuräumen und dann zu überlegen, was zu tun ist.
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Parl. Staatssekretär EngholmMeine Damen und Herren. die Bundesländer können durch diese Novelle nicht gezwungen werden, ihr Landesrecht zu ändern. Manche. Erfahrung der Vergangenheit gerade auf dem hochschulrechtlichen Felde zeigt uns, daß wir leider nicht immer damit rechnen können, daß alle Länder das nachvollziehen, was der Gesetzgeber hier einheitlich vorgegeben hat. Wir hoffen deshalb als Bundesregierung gemeinsam mit dem Bundestag, daß sich die Länder dazu durchringen — da appelliere ich auch an Bayern —, die Vorschrift, die wir hier im Gesetz streichen, auch aus ihren Landesgesetzen herauszunehmen.Mit der Beseitigung der Zwangsexmatrikulation sind der Staat, die Studienreformkommissionen, die Hochschulen, die Hochschullehrer und die Studenten freier von möglichen, tatsächlichen oder auch nur eingebildeten Zwängen. Die Bundesregierung erwartet, daß sie diese erweiterte Freiheit nutzen, um endgültig mit der Reform der Studiengänge Ernst zu machen. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft wird die Hochschulen, wo immer möglich und nötig, dabei unterstützen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung in der zweiten Beratung. Ich rufe Art. i bis 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Das Gesetz ist angenommen.Es ist noch über zwei Beschlußempfehlungen des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3620 unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke sehr. Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Entschließung ist angenommen.Der Ausschuß empfiehlt außerdem auf Drucksache 8/3620 unter Nr. 3, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe nun Punkt 6 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 5. April 1979 zur Änderung des Vertrages vom 15. Dezember 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Osterreich über die Führung von geschlossenen Zügen der Österreichischen Bundesbahnen über Strecken der Deutschen Bundesbahn in der Bundesrepublik Deutschland— Drucksache 8/3423 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 8/3613 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jobst
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke schön. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist damit angenommen.Der Tagesordnungspunkt 7 — Bau und Unterhaltung einer Autobahnbrücke über die Our bei Steinebrück — wurde abgesetzt.Ich rufe nun Punkt 8 der Tagesordnung auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 19. November 1976 und vom 5. Juli 1978 über die Ersetzung des Goldfrankens durch das Sonderziehungsrecht des Internationalen Währungsfonds sowie zur Regelung der Umrechnung des Goldfrankens in haftungsrechtlichen Bestimmungen
— Drucksache 8/2596 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses und des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen (14. Ausschuß)— Drucksache 8/3592 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin Wimmer
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b) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes vom 26. April 1974 zu den Übereinkommen vom 26. Februar 1966 und vom 7. Februar 1970 über den internationalen Eisenbahnverkehr— Drucksache 8/2244 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses und des Ausschus-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980 16049
Vizepräsident Wurbsses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 8/3592 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin Wimmer
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Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig begehrt? — Das ist auch nicht der Fall.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung über das Goldfrankenumrechnungsgesetz auf Drucksache 8/3592. Ich rufe Art. 1 bis 9, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke schön. Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke schön. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.Es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3592, den Gesetzentwurf auf Drucksache 8/2244 für erledigt zu erklären. — Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe nun Punkt 9 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Zollkontingentfür feste Brennstoffe— Drucksache 8/3520 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für WirtschaftWird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag des Bundesrates, die Importkontingente für Drittlandskohle kurzfristig zu verdoppeln, läuft auf eine bruchartige Veränderung der deutschen Kohlepolitik hinaus. Der Antrag gefährdet den von allen politischen Kräften für notwendig gehaltenen Beitrag der deutschen Steinkohle, des wichtigsten heimischen Energieträgers für die Sicherung der Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland. Die der deutschen Steinkohle im Interesse aller Bundesländer zuerkannte Priorität und damit die Erhaltung der Steinkohleförderung auf einem hohen Niveau sind durch die Entwicklung auf dem Weltenergiemarkt gerade in jüngster Zeit bestätigt worden. Es geht jetzt darum, die deutsche Steinkohle optimal zu nutzen. Das bedeutet konkret, die Förderung zu erhalten und soweit wie möglich zu erhöhen. Die Politik der Absatzsicherung für die deutsche Kohle in den wichtigsten Verbrauchsbereichen muß wegen der nach wie vor bestehenden Kostennachteile des deutschen Bergbaus fortgesetzt werden.Andererseits wird wegen der Entwicklung auf den Energiemärkten auch die Importkohle künftig einen steigenden Beitrag bei der Versorgung des heimischen Marktes leisten müssen. Aber ihre Rolle auf dem deutschen Energiemarkt sollte ganz klar gesehen werden. Importkohle soll grundsätzlich nicht deutsche Kohle verdrängen. Sie ist aber zunehmend erforderlich, um 01 zu verdrängen und deutsche Kohle, wo notwendig, zu ergänzen.Ausgehend von diesen Voraussetzungen ist für die wichtigsten Absatzbereiche der Kohle eine differenzierte Betrachtung geboten.In der Kraftwirtschaft, dem bedeutendsten Absatzbereich der deutschen Steinkohle, zeichnet sich eine verstärkte Hinwendung zur Kohle ab. Die Ursachen für diese Entwicklung sind bekannt: Unsicherheit bei der Ölversorgung, steigende Öl- und Gaspreise sowie Schwierigkeiten bei der Kernenergie. Auf Initiative und unter Beteiligung des Bundeswirtschaftsministers sind daher Elektrizitätswirtschaft und Steinkohlenbergbau in Verhandlungen eingetreten, um den bestehenden Zehn-Jahres-Vertrag über den Bezug deutscher Kohle zu verlängern und in der Menge aufzustocken. Ziel dieser Verhandlungen ist die verstärkte Absatzsicherung der deutschen Steinkohle ohne Mehrbelastung des durch den Kohlepfennig gespeisten Ausgleichsfonds.Im Zusammenhang mit einer weiterführenden Verstromungsregelung für deutsche Kohle muß auch die künftige Rolle der Importkohle in diesem Sektor neu bestimmt werden. Zwischen allen Beteiligten besteht Einvernehmen, daß der Zugang der Elektrizitätswirtschaft zur Importkohle mit dem erhöhten Einsatz deutscher Kohle verbunden werden soll. Nach den jetzigen Prognosen wird dabei ein nennenswerter Importmehrbedarf etwa ab Mitte der 80er Jahre entstehen und dann kontinuierlich anwachsen.Ein wichtiges Aktionsfeld für die Importkohle zur Verdrängung von 01 stellt der industrielle Wärmemarkt dar. Hier besteht bei einem Öleinsatz von derzeit 16,3 Millionen t Steinkohleeinheiten schweres Heizöl und 8,1 Millionen t Steinkohleeinheiten leichtes Heizöl ein erhebliches Substitutionspotential für Kohle, dessen Ausnutzung ein energiepolitisches Ziel ersten Ranges ist.Die Umstellung von Öl auf Kohle stößt indessen auf eine Reihe von Hindernissen. Vor allem setzt sie Umstellungs- und Folgeinvestitionen von beträchtlichem Umfang voraus. Die energiepolitisch notwendige Überwindung dieser Hemmnisse kann durch die Bereitstellung von Importkohle wesentlich for-
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Parl. Staatssekretär Grünerciert werden. Da die Importkohle gegenwärtig um knapp 50 % preisgünstiger als deutsche Kohle ist, würde hierdurch ein wirksamer wirtschaftlicher Anreiz für die Ölsubstitution geschaffen.Der erste Schritt in diese Richtung wurde mit der Eröffnung eines Ölsubstitutionskontingents von 1,1 Millionen t pro Jahr bis 1981 getan. Diese Menge wird voraussichtlich auch 1980 nicht voll in Anspruch genommen. Im Rahmen der geltenden Importregelungen bestehen andererseits außerdem Möglichkeiten, diese Mengen bei einem höheren Bedarf aufzustocken. In diesem Sektor, nämlich auf dem Wärmemarkt, ist die deutsche Kohle nur noch schwach vertreten. Auch hier muß daher eine abgewogene Lösung gefunden werden.Im Bereich der Kohleveredelung hat die Bundesregierung am 30. Januar 1980 ein Programm zur großtechnischen Kohlevergasung und Kohleverflüssigung beschlossen. Dieses Programm wird ab Mitte der 80er Jahre schrittweise zur Ölsubstitution beitragen. Von diesem Zeitpunkt an ist auch für diesen Sektor mit einem ständig wachsenden Kohlebedarf zu rechnen.Ich fasse zusammen: Längerfristig muß die Importkohle einen wachsenden Anteil an der Energieversorgung unseres Landes übernehmen. Diese Notwendigkeit, aber auch die sich abzeichnenden Entwicklungen auf dem Weltkohlemarkt lassen es geboten erscheinen, die deutschen Verbraucher möglichst frühzeitig in die Lage zu versetzen, auf dem Weltmarkt langfristig Verträge zu plazieren. Eine entsprechende Änderung der geltenden Kohleeinfuhrregelung setzt aber eine ausreichende und langfristige Sicherung der heimischen Steinkohle voraus. Entsprechende Regelungen, insbesondere im Verstromungsbereich, werden von der Bundesregierung sehr aktiv betrieben. Sie hofft, daß Kohle- und Elektrizitätswirtschaft hier bald zu energiepolitisch notwendigen Vereinbarungen kommen. Erst im Zusammenhang mit einer solchen Lösung kann dann auch eine den längerfristigen Erfordernissen gerecht werdende Kohleeinfuhrregelung getroffen werden.
Interfraktionell ist für die Aussprache ein Kurzbeitrag für jede Fraktion vereinbart worden. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Freiherr Spies von Büllesheim.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende von der Bundesregierung pauschal abgelehnte und unter den deutschen Ländern umstrittene Gesetzentwurf des Bundesrates enthält verschiedene Anliegen zugleich: erstens das Anliegen der Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes über die zollfreie Einfuhr, zweitens das Anliegen der rechtzeitigen Verlängerung, drittens das Anliegen der langfristigen Verlängerung und schließlich das Anliegen der Erhöhung der Importkontingente.Von niemandem wird heute bestritten, daß die heimische Steinkohle schon mittelfristig die ihr imRahmen einer Energiepolitik unter dem Motto „weg vom 01" zugefallene Aufgabe aus eigener Förderung nicht erfüllen kann. Die deutsche Steinkohle wird ihre Förderung von 87 Millionen t im letzten Jahr bis 1985 auf 90 Millionen t und bis 1995 auf 95 Millionen t steigern können. Sie wird darüber hinaus durch Wegfall von Spotgeschäften bei den Exporten dem Inlandsmarkt weitere Mengen zur Verfügung stellen können.Es ist aber sicher, daß der Verbrauch von Kohle — das ist eine erfreuliche Feststellung — nach jeder zugänglichen Verbrauchsschätzung in Zukunft über diesen Wert hinaus ansteigen wird. Es ist ja heute — dies sollte man hier einmal sagen — viel zu wenig bekannt, und zwar auch bei den Bürgern, daß jedenfalls in reviernahen Gebieten und auf der Basis der Preisliste der Ruhrkohle der Einsatz von Kohle heute erheblich kostengünstiger — pro Tonne SKE gerechnet — ist als der Einsatz selbst von schwerem Heizöl. In Duisburg macht der Kostenvorteil heute z. B. 60 DM pro Tonne SKE im Verhältnis zu schwerem Heizöl und sogar 150 DM pro Tonne SKE im Verhältnis zu leichtem Heizöl aus.
— Sie haben das vorausgesagt. Sie wissen, wir haben es noch deutlicher vorausgesagt. Ich erinnere Sie an das Verstromungsgesetz; damals haben wir eine positivere und auch, wie sich heute zeigt, eine richtigere Schätzung als Sie vorgenommen.Allein der genannte Preisunterschied wird sowohl im privaten Bereich als auch in der Industrie zu einer erheblichen Erhöhung des Kohleverbrauchs führen. Wir hoffen, daß mehr Kohle in der Stromerzeugung eingesetzt wird. Die Verhandlungen darüber laufen. Wir wissen schließlich, daß wir Kohle für die Kohleveredelungsprogramme benötigen. Gerade jetzt werden die Vorstudien für 14 Pilotanlagen zur Kohlevergasung und -verflüssigung gleichzeitig in Auftrag gegeben.Sicher ist schließlich auch — dies berührt den Weltmarkt —, daß die Energiepolitik unter dem Motto „weg vom Ö1" nicht nur bei uns betrieben wird, sondern daß nach dem Wirtschaftsgipfeln Tokio alle Industriestaaten in dieser Politik übereinstimmen. Dies wird zu einer ganz erheblichen Veränderung des Weltkohlemarktes, der im übrigen mit rund 220 Millionen t relativ klein ist, führen. Auf diesem Markt, auf dem der Preis für Kohle im letzten Halbjahr besonders stark gestiegen ist, aber lange nicht so stark wie der Preisfür Ö1— wird es zu einem Umschlagen vom bisherigen Käufermarkt zum Verkäufermarkt kommen.In dieser Situation muß der deutsche Importkohlenhandel langfristig disponieren können. Er wird dann beweglicher und eher in der Lage sein, die von und mit Sicherheit — jedenfalls ab 1985 — zusätzlich benötigten Importkohlemengen disponieren zu können.Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht verständlich, daß die Bundesregierung den Gesetzentwurf so pauschal, wie geschehen, ablehnt und nicht
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Dr. Freiherr Spies von Büllesheimwenigsten dem Anliegen der Verlängerung, der Verlängerung schon heute und der Verlängerung auf eine lange Zeit, zugestimmt hat. Diese pauschale Ablehnung des Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung ist aber letztlich eine Folge des von der Opposition seit langem bemängelten Fehlens einer konkreten langfristigen Kohlepolitik.
Es wird immer lautstark vom Vorrang für die deutsche Steinkohle gesprochen, es wird vom Ersatz von Ö1 durch Kohle geredet — siehe Kohleveredelungsprogramm —, es werden Anreize für die Umstellung von Anlagen von 01 auf Kohle verschiedener Art gewährt und diskutiert, aber alle diese Vorstellungen sind bis heute noch nicht in ein klares Mengengerüst eingeordnet und somit auch noch nicht mit einer klaren Zielvorgabe für den deutschen Steinkohlebergbau verbunden worden. Diese klare Zielvorgabe ist aber eine Notwendigkeit für den deutschen Steinkohlenbergbau; denn nur wenn auch der deutsche Steinkohlenbergbau langfristig auf der Grundlage gesicherter Absatzmöglichkeiten disponieren kann, wird er die Förderleistungen erbringen können, auf die wir — als Sicherheitspfeiler unserer Energiepolitik — angewiesen sind. Wir bemängeln, daß eine solche langfristige Planung nicht vorliegt.Manchmal — auch das muß ich sagen — drängt sich der Eindruck auf, als ob dies vielleicht mit einigen innerparteilichen Schwierigkeiten der Koalitionsparteien im Hinblick auf die Kernenergie zusammenhinge.
Solange keine klare Planung für den Kohlebereich vorliegt, solange die Grenzen des Einsatzes der Kohle, jedenfalls der heimischen Kohle, nicht klar sind, kann man eben leichter von Haldenbeständen, Kohlevorräten, Förderpotentialen und auch Importpotentialen reden. Es ist dann auch leicht, von einem unbestimmten Restbedarf im Bereich der Kernenergie zu sprechen.
So blieb es dem Lande Schleswig-Holstein und dem Bundesrat überlassen, so rechtzeitig wie notwendig diesen hier heute in erster Lesung zu behandelnden Gesetzentwurf über die zeitliche Verlängerung einzubringen und damit gleichzeitig die Wahrheit kundzutun, daß dieser Gesetzentwurf jetzt für diesen längeren Zeitraum verabschiedet werden sollte.Der hier vorliegende Gesetzentwurf hat noch ein weiteres Ziel, die Kontingentsmenge für den zollfreien Kohleimport zu verdoppeln — und zwar auch die Vorbehaltsmengen zu verdoppeln, was praktisch eine Erhöhung des Importkohlekontingents von 5,5 Millionen Tonnen bedeuten würde. Würde diese Verdoppelung nur für das Ende oder für die zweite Hälfte der 80er Jahre verlangt, wären die Bedenken dagegen geringer. Bedeutsam ist aber, daß diese Erhöhung schon für das Jahr 1980, und zwar in voller Höhe, wirksam werden soll.In der Begründung des Gesetzentwurfs wird die Auffassung vertreten, das habe keine nachteilige Auswirkung auf den deutschen Steinkohlenbergbau. Wenn man sich deutlich macht, daß der Wettbewerbsnachteil der deutschen Steinkohle selbst im Revier mit 60 DM je Tonne SKE frei Hafen Duisburg und damit immer noch ein Drittel des Preises der Ruhrkohle beträgt — in Küsten- und revierfernen Regionen ist der Unterschied größer —, muß man davon ausgehen, daß dieser Teil der Begründung des Gesetzentwurfs nicht stimmen kann. Diese zusätzliche Importkohle würde in die gegebenen Absatzkanäle der deutschen Kohle einfließen und nicht Ö1, sondern deutsche Steinkohle verdrängen.Hier ist interessant, daß die im September 1979 auf dem Verordnungswege bestimmte Erhöhung der Importmenge von 1,1 Millionen Tonnen bis heute auch nicht annäherungsweise kontrahiert werden konnte, weil sie mit der Auflage der unmittelbaren Verwendung als Ölersatz gekoppelt ist. Nach meinen Informationen sind davon im Jahre 1979 nur 50000 Tonnen abgeflossen. Die Bundesregierung selbst schätzt, daß wohl höchstens 500 000 Tonnen im Jahre 1980 abfließen können. Das beweist, daß für größere Importkohlemengen für den unmittelbaren Einsatz zur Ölverdrängung kein Raum ist.Wenn man sich auf die Begründung des Bundesrates bezieht, der offenbar auch nicht eine Entwicklung einleiten will — sonst stünde das nicht so in der Begründung —, die die heimische Steinkohle in ihrer Entwicklung hemmt, muß man sagen, daß diese Erhöhung des Importkontingents nicht in Frage kommen kann, jedenfalls nicht so schnell und jedenfalls nicht in dieser Höhe. Denn es wäre ganz widersinnig, die Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaus, der heute mit ganz erheblichen öffentlichen Mitteln gestützt wird, um einen wesentlichen Beitrag zu unserer Versorgungssicherheit zu leisten und der sich gerade entwickelt, auf diesem Wege aufzuhalten, ihm einen Schlag zu versetzen, was dazu führen würde, daß das deutsche Förderpotential nicht ausgenutzt werden könnte.Der Gesetzentwurf des Bundesrates enthält, was die Verlängerung, die Verlängerung jetzt und die langfristige Verlängerung betrifft — ich konnte das im ersten Teil meiner Ausführungen darstellen —, sehr positive und sehr notwendige Ansatzpunkte. Er ist ein erneuter Anstoß für die Bundesregierung, von langfristiger Kohlepolitik und vom Vorrang für die Kohle nicht nur zu reden, sondern alle Vorstellungen und Aspekte in einer konkreten Zielvorstellung und Zielvorgabe für den deutschen Steinkohlenbergbau, auch was die Kohleimporte betrifft, zusammenzufassen. Wir haben das Fehlen eines solchen Programms immer wieder kritisch bemängelt.Dem Gesetzentwurf des Bundesrates kann aus den angeführten Gründen sicherlich nicht in der vorliegenden Fassung zugestimmt werden. Die alsbaldige und langfristige Verlängerung des erst 1981 auslaufenden Gesetzes schon heute bietet aber er-
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Dr. Freiherr Spies von Büllesheimhebliche Vorteile für unsere mittelfristige Kohlepolitik und auch für den Steinkohlenbergbau, weil dieser damit eine zusätzliche feste Bezugsgröße gewinnt, was den Kohlenimport betrifft.Die laufenden Verhandlungen zwischen dem Kohlenbergbau und der Kraftwerkswirtschaft, der Kohlebedarf für die anlaufenden Kohleveredelungsprojekte, mögliche und notwendige weitere Anreize für die Umstellung von Verbrauchsanlagen — denn darum geht es; wir brauchen mehr Verbrauchskapazität —, all das werden wir zusammen mit den von mir vorgetragenen und anderen Gesichtspunkten in die Beratungen dieses Gesetzentwurfes einzubeziehen haben. Hoffentlich werden die Beratungen dann der endgültige Anstoß für die Bundesregierung sein, ein langfristiges Kohleprogramm vorzulegen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion steht dem Thema des Bundesratsgesetzentwurfes auf mittlere und auf lange Frist grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber, dem Gesetzentwurf selbst im gegenwärtigen Augenblick allerdings genauso grundsätzlich zugeschlossen. Der Gesetzentwurf trägt, so wie er ist — zu pauschal und zu global —, nicht zu höherer Versorgungssicherheit in unserem Lande bei. Im Gegenteil: Eine Ausweitung von Drittlandsimporten in der vorgesehenen Größenordnung zum jetzigen Zeitpunkt wird bei den gegenwärtigen wirtschaftlichen Wirklichkeiten Kohle aus eigener Förderung statt importierten Öles verdrängen und damit die Risiken der Energieversorgung erhöhen, anstatt sie zu verringern. Ich bin insoweit also, verehrter Herr Kollege Spies von Büllesheim, mit Ihnen einer Gesinnung,
daß man nämlich über diesen Gesetzentwurf, so wie er vorliegt, jetzt nicht verhandeln kann.Wäre es anders, dann würde eben die Importmöglichkeit von rund 1,1 Millionen zusätzlicher Tonnen, die der Bundeswirtschaftminister im vergangenen Jahr neu geschaffen hat, voll in Anspruch genommen. Zur Zeit werden davon aber weniger als 120000 Tonnen abgerufen. Im Rahmen unseres energiepolitischen Weges „weg vom Ö1" muß die Förderung aus dem eigenen Steinkohlenbergbau nach wie vor und ganz entscheidend Vorrang haben. Der eigene Steinkohlenbergbau muß seinen Beitrag zur Versorgung mit Rohstoffen und mit Energieträgern wesentlich steigern. Dazu ist er in der Lage, dazu ist er willens, und dazu ist er fähig, wenn ihm in den nächsten Jahren dabei geholfen wird.Wir Sozialdemokraten sehen diesen Wirtschaftszweig so, wie er ist, nach der längsten und schwersten Strukturverwandlungskrise, die es in unserer Wirtschafts- und Sozialgeschichte gegeben hat, überdurchschnittlich leistungsfähig und überdurchschnittlich leistungswillig, allerdings auch vor einigen — natürlich überwindbaren — Problemen. Unser Steinkohlenbergbau brauchte mehr Zeit, als wir ihm lassen können, um neue Förderkapazitäten zu entwickeln; der Steinkohlenbergbau brauchte mehr Geld, als er hat, um die Technik dafür zu besorgen, und er brauchte mehr Menschen, als er in diesem Augenblick hat, um die Förderung zu erbringen.Bei klugem Verhalten — nein, schon bei recht vernünftigem Verhalten aller und vor allem bei Fortsetzung der Kooperation Politik/Bergbau sind alle Engpässe überwindbar.Freilich muß sich auch nach unserer Einsicht einiges in diesem Wirtschaftszweig ändern. Wir Sozialdemokraten vertrauen bei allem, was zu tun ist, den Menschen im Bergbau, und zwar allen: sowohl denen, die die Verantwortung der Führung tragen, als auch denen, die die Verantwortung der Ausführung tragen. Der Stellungnahme der Bundesregierung zum vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates ist daher in allen sechs Punkten zuzustimmen. Eine der erstrangigen energiepolitischen Aufgaben unserer Tage ist es eben nicht, über diesen Teil der Importe nachzudenken, sondern ist es, die Förderfähigkeit des eigenen Steinkohlenbergbaus rasch zu entwickeln
und mit allen uns zu Gebote stehenden Möglichkeiten den Bau von Veredelungsanlagen, in denen die Kohle gasförmig und/oder flüssig gemacht wird, zu betreiben.
Hierdurch entstehen in drei ganz außerordentlich wichtigen Bereichen Fakten, die wir in unserer Lage in unserem Lande brauchen: 1. das Versorgungsrisiko zu Hause wird kleiner; 2. die vorhandenen Infrastrukturen, und zwar sowohl die im Gasbereich als Fern- und Nahleitungen als auch die im Flüssigbereich — Leitungen, Terminals, Verteilungseinrichtungen und Stationen —, sind zu nutzen; 3. es entstehen für jene Wirtschaftszweige, die die Vergasungs- und Verflüssigungseinrichtungen bauen, dann ganz erhebliche Exportchancen,- wenn wir sie in allernächster Zukunft in unserem Lande betreiben, d. h. in unser eigenes Schaufenster stellen.
— Ich bin insbesondere Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, für diesen Beifall sehr dankbar.
Vielleicht setzen Sie über den freundlichen Applaus und die mögliche Taktik des Augenblicks diese Feststellung, daß in Zeiten der sozialliberalen Regierung, in denen die Kohle nicht schwärzer und nicht bedeutungsloser und nicht bedeutsamer als Kohlean sich geworden ist, jene 14 in Planung und im Bau befindlichen Veredelungsanlagen beschlossen wurden, von denen Ihr Sprecher sprach, und setzen Sie dann das dagegen, was in Ihrer Zeit geschehen ist.
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Schmidt
— Werden Sie doch nicht so nervös! Sie berufen sich doch so oft auf Leistungen, die Sie in der Geschichte erbracht haben oder erbracht haben wollen. Dies ist eine Leistung, die wir erbracht haben, ein ganz hervorragender Dienst an unserem Volk; den lassen wir uns nicht zerreden. —
Mit dem dann hierdurch entstehenden bescheidenen, aber entwicklungsfähigen Austausch — Primärenergie, die wir brauchen, gegen Technologie und Ingenieurwissenschaften, die wir haben, kann und wird nach meiner Überzeugung jene gegenseitige Abhängigkeit entstehen, die für alle Beteiligten gut ist, weil sie die jetzige einseitige Abhängigkeit beenden wird.Die Bundesregierung wird die sozialdemokratische Bundestagsfraktion in ihren diesbezüglichen Bemühungen immer als zuverlässigen Partner haben. Dabei wissen und berücksichtigen wir, daß die eigene Kohlenförderung auf mittlere und auf lange Sicht allein zur Bedarfsdeckung zu Hause nicht ausreichen wird.
Eingebettet in unsere gesamte Energiepolitik wird die richtige neue Importmenge zur richtigen Zeit festzusetzen sein. Wir schließen über den klassischen Importweg die Möglichkeit nicht aus, Kohlenlagerstätten im Ausland zu erwerben, damit uns eigene Gesellschaften von dort aus mitversorgen können.
Dabei, meine Kolleginnen und Kollegen, werden wir immer gewissenhaft darauf achten, daß die konjunkturellen Auf- und Abschwünge nicht zu Lasten der eigenen Steinkohlenförderung gehen. Wir werden gewissenhaft Regeln und Mechanismen entwickeln oder entwickeln helfen, die uns gewährleisten, daß Importkohle nur an die Stelle von Importöl tritt und später hilft, neu entstandenen Bedarf zu decken. Sektorale und regionale Egoismen — seien sie noch so begreifbar — haben vor dem Anspruch einer sicheren nationalen Versorgung zurückzustehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zywietz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kohleeinfuhr ist begrenzt, und damit ist auch ein Stück Marktwirtschaft
eingeschränkt. Das ist — das muß man ehrlicherweise bekennen — ein Zustand, der bei Liberalen vom Grundsatz her normalerweise nicht den höchsten Grad an Zufriedenheit erzeugen kann.
— Aber, Herr Kollege — das ist das nächste Stichwort —, wir sind ja durchaus Realisten und hoffen, zuweilen auch vernunftbegabte Wesen zu sein. Wir haben ja die Einsicht in die Situation, daß insbesondere der Energiemarkt schon lange nicht mehr nach nur-marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten arbeitet oder gesteuert wird. Diese Einsicht haben wir eigentlich schon sehr lange. Denn das Thema der Importkohlenkontingente begleitet die parlamentarischen Debatten geradezu als ein Zwillingsbegriff der Kohle, und zwar seit 1959. Wenn im Zusammenhang mit Verstromungsgesetzen — um den Absatz zu stabilisieren — über Kohle gesprochen wurde, dann wurde meist auch über Importkohle gesprochen. Heute sprechen wir zwar zuvörderst über Importkohle, doch der Kollege von der Opposition hat dann ganze Passagen über die Kohlesituation als Anhängsel eingefügt. Das eine muß im Zusammenhang mit dem anderen gesehen werden; es kommt nur auf die Gewichtung an.
Hier möchte ich ohne Schnörkel feststellen: Die Tatsache, daß die Importmengen für Kohle begrenzt waren, hat dazu geführt, daß die Stabilität in der Kapazität der heimischen Kohleförderung gegeben war. Wir wissen, daß Kohleförderung nicht wie ein Wasserhahn auf- und zuzudrehen ist. Hier ist vielmehr eine langfristige Politik zu betreiben. Wir haben sie auch betrieben. Hier möchte ich auch die mir recht unverständlichen Anwürfe der Opposition zurückweisen, daß keine langfristige Kohlepolitik betrieben worden sei. Sie ist intensiv betrieben worden. Da kann man sich die Haushalte ansehen und all die Gesetze, die wir in vielen Jahren debattiert haben. Ich habe allerdings im Ohr, daß es von der Opposition einmal Anträge gab, beispielsweise den Kohlepfennig abzuschaffen. Solche Forderungen gibt es auch heute noch. Das aber war die Forderung vor zwei Jahren. Die Beträge sollten in den Haushalt übernommen werden. Das hätte eindeutig geheißen, die derzeitige Förderung im Rahmen einer langfristigen Kohlepolitik herabzusetzen. Wenn dieser Antrag hier von Schleswig-Holstein vorgelegt wird, muß auch daran erinnert werden, daß die Abschaffung des Kohlepfennigs von Schleswig-Holstein auch heute noch verlangt wird. Dies würde aber ganz gewiß dazu führen, die Möglichkeiten einer langfristigen Kohlepolitik, die sich das Haus eigentlich einvernehmlich zum Ziel gesetzt hatte, realiter zu verringern. Dies paßt logisch nicht zusammen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Zywietz: : Ja, bitte.
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Herr Kollege Zywietz, wären Sie so freundlich, mir für das Protokoll zu bestätigen, daß es einen Antrag der Opposition auf Abschaffung des. Kohlepfennigs nicht gegeben hat, sondern nur die Rede eines einzelnen Angehörigen der Opposition, die erheblichen Widerstand innerhalb der eigenen Fraktion gefunden hat?
Herr Spies von Büllesheim, bei meinem hohen Maß an Freundlichkeit würde ich
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Zywietzdas grundsätzlich gerne tun. Doch vielleicht können wir uns die Arbeit teilen. Ich habe sehr genau in Erinnerung, daß der energiepolitische Sprecher Ihrer Fraktion, nämlich Kollege Narjes, im Rahmen der Debatte — dies liegt noch gar nicht so lange zurück — dies miterwähnt hat. Wenn ich mich recht erinnere, hat sogar ein schriftlicher Antrag Ihrer Fraktion vorgelegen. Das können wir durchaus recherchieren. Richtig ist aber, daß der Wirtschaftsminister Schleswig-Holsteins — wohl auf Grund eines Kabinettsbeschlusses — jetzt aktuell die Abschaffung des Kohlepfennigs fordert. Ich kann daraus summiert nur den Schluß ziehen, daß dadurch die Möglichkeiten für eine langfristige Kohlepolitik materiell verringert werden. Sie können doch aber dann nicht hingehen und an uns den Vorwurf richten, wir täten nicht genug für die Kohle, wenn aus Ihren Reihen mehrfach Ansätze für ein solches Tun bestanden haben.
Das wird sich aufklären lassen, und zwar noch genauer, als ich es Ihnen schon beantworten konnte.Es gibt, wie ich meine, auf der anderen Seite keine Veranlassung zu einer Überdimensionierung der Einschätzung oder gar zu einer Furcht vor zuviel Importkohle. Bei den Größenordnungen, die wir haben und über die wir sprechen, besteht dazu keine Veranlassung. Der Flankenschutz, der, wie ich es verstehe, mit dieser Art von Gesetz der Kohle immer gegeben werden sollte, ist nach meiner Meinung durch das Eindringen von Erdöl und Erdgas sehr viel stärker in Frage gestellt worden als durch die Importkohle, wenn man das einmal für die letzten zehn oder zwanzig Jahre nachvollzieht. Wir haben uns gegen beide Tendenzen gewehrt. Ich möchte nur deutlich machen, daß die Importkohle nicht der alleinige Ansatz in dieser Betrachtung sein kann, für den heimischen Energieträger Kohle einzutreten. Wir haben das in Wort und Tat und auch unter Zurverfügungstellung von Geldmitteln seitens der FDP auch im Plenum getan.Ich wollte zu dem, was hier faktisch erörtert wurde, noch zwei oder drei Gesichtspunkte ansprechen. Bei der Importkohleregelung ist im letzten Jahr ein Hauch von Liberalisierung eingeführt worden. Es darf ein zusätzliches Kontingent eingeführt werden, wenn Ö1 substituiert werden kann. Nun ist leider festzustellen, daß der Erfolg in dieser Richtung noch nicht allzu überzeugend ist. Ich meine aber, es gibt hoffnungsvolle Ansätze. Ich habe in meiner Tagesarbeit als Parlamentarier miterlebt, daß mehr und mehr Unternehmen prüfen und Investitionen einleiten, um von ihrer bisherigen Ölfeuerung beispielsweise zum Einsatz von Importkohle zu kommen. In Schleswig-Holstein gibt es z. B. große Zementfabriken, die dabei sind, so etwas zu tun. Hier richte ich auch einen Appell an die Regierung, sie möge nach Kräften helfen, diese Möglichkeiten zu sortieren, zu sichten und, wo nötig, zu unterstützen, damit man über die Hürde kommt und das angebotene Kontingent auch wirklich im Rahmen der Politik „weg vom Ö1" besser nutzen kann.Das Gesetz, wie es allerdings hier vorliegt — das ist angedeutet worden —, ist für diese Allgemeinzielsetzung zumindest nicht voll geeignet. Es ist einfach zu derb und zu drastisch, zu derb in der simplen Aufstockung, für deren Notwendigkeit auch in den Ansatzpunkten bisher ein Beweis schuldig geblieben ist. Ich erwähne auch die Eile, mit der vorgegangen wird, und die erforderliche Längerfristigkeit. Einige Aspekte sind dabei, die wir sehr wohl prüfen werden. Aber wir haben jetzt keinen zwingenden Handlungsbedarf. Wir haben ein Importzollgesetz, das noch zwei Jahre gültig ist und den Gestaltungsrahmen bietet.Es wäre gut, wenn sich alle Fraktionen des Hauses — das scheint so zu sein — rechtzeitig mit entsprechendem Vorlauf an die Konzipierung einer Folgegesetzgebung machten. Dann brauchen wir nicht auf so unvollkommener und grob geschnitzter Basis zu arbeiten. Unsere Mitarbeit für eine solche Gesetzgebung ist zweifellos gegeben. Sie muß Regelungen beinhalten, die die einheimische Kohle ergänzen, 01 ersetzen helfen. Aber auch wenn ich lange nicht mit all dem, was über den Bundesrat aus norddeutschen Regionen an Gesetzesvorlagen hier eingebracht wird, speziell zu dem Thema Energiepolitik, einverstanden bin, möchte ich doch folgendes sagen: Eine Regelung, bei der der bisher vorhandene Regionalaspekt wiederzufinden ist, muß auch bei einer Anschlußregelung eine gute und unverzichtbare Facette eines solchen Gesetzes sein.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfes des Bundesrates auf Drucksache 8/ 3520 an den Ausschuß für Wirtschaft vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:a) Beratung der Ubersicht 13 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht— Drucksache 8/3580 —b) Beratung der Ubersicht 14 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht— Drucksache 8/3581 —Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3580 und Drucksache 8/3581, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in den vorgenannten Drucksachen aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980 16055
Vizepräsident WurbsIch rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:Beratung der Sammelübersicht 61 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen mit Statistik über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 14. Dezember 1976 bis 31. Dezember 1979 eingegangenen Petitionen— Drucksache 8/3599 —Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 8/3599, die in der Sammelübersicht 61 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe!— Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist angenommen.Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 12 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Wahlprüfungsausschussses zu den gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen Wahleinsprüchen— Drucksache 8/3579 —Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall.Wer den Beschlußempfehlungen des Wahlprüfungsausschusses zuzustimmen wünscht, die Wahleinsprüche gemäß den Anlagen 1 bis 18 auf Drucksache 8/3579 zurückzuweisen, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen?— Die Wahleinsprüche sind damit zurückgewiesen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 und 14 auf:13. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der FinanzenHaushaltsführung 1979hier: Überplanmäßige Ausgaben bei Kap. 05 02 Tit. 686 12 für sofortige Hilfsmaßnahmen zugunsten der Bevölkerung von Kambodscha— Drucksachen 8/3414, 8/3595 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bußmann14. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der FinanzenHaushaltsführung 1979hier: Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1979 bei Kap. 14 12 Tit. 698 02— Entschädigung auf Grund des Fluglärmgesetzes - Drucksache 8/3334, 8/3607 —Berichterstatter: Abgeordneter Haase
Der Haushaltsausschuß empfiehlt, jeweils von der Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen Kenntnis zu nehmen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:Beratung des Antrags des Bundesministers der FinanzenEntlastung der Bundesregierung wegen der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1978
— Drucksache 8/3542 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: HaushaltsausschußWird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag des Bundesministers der Finanzen an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung energiesparender Maßnahmen— Drucksache 8/3557 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wirtschaft
FinanzausschußAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß gemäß § 96 GOWird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Energieeinsparpolitik, die Anreize zu einem selbstverantwortlichen Handeln der einzelnen Wirtschaftssubjekte setzt, ist von der Grundkonzeption her sicher richtig und wird von uns bejaht. Diese Grundkonzeption liegt auch einem Kernstück unserer Energiepolitik, dem sogenannten 4,35-Milliarden-Programm zur Förderung heizenergiesparender Maßnahmen, zugrunde. Die Bundesregierung beabsichtigt, dieses Programm fortzuentwickeln. Gespräche mit den Bundesländern darüber sind aufgenommen.Der Gesetzentwurf des Bundesrates, der uns hier beschäftigt, befaßt sich jedoch nur mit einem Teilaspekt des gesamten Komplexes, nämlich mit der Förderung der Energieeinsparung in bestehenden Gebäuden. Er berücksichtigt insbesondere nicht die notwendige Koordinierung der gesetzlichen Maß-
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Parl. Staatssekretär Grünernahmen, wie das Energieeinspargesetz und die dazu vorgelegte Novelle sie vorsehen. Er berücksichtigt nicht das Ziel der Ausgewogenheit zwischen Steuer- und Zuschußförderung, und er berücksichtigt nicht die Kapazitätsprobleme des betroffenen Baugewerbes und der Produzenten von sogenannten neuen Technologien. Auch berücksichtigt er nicht die Überforderung der Finanzverwaltung.Bevor weitere Maßnahmen ergriffen werden, sollten Bundesregierung und Bundestag zusammen mit den Ländern erst einmal genauere Unterlagen über die bisherigen Ergebnisse des 4,35-MilliardenProgramms vorlegen. Auf dem Hintergrund dieser Erkenntnisse muß dann geprüft werden, welche Auswirkungen die gestiegenen Energiepreise auf die verschiedenen möglichen energiesparenden Investitionen haben. Angesichts der Knappheit öffentlicher Mittel besteht im Grundsatz keine Veranlassung, die von Bundestag und Bundesrat für richtig gehaltenen Förderanreize, die auf einem viel niedrigeren Niveau liegen, im Prinzip weiter zu erhöhen.Es ist bekannt, daß bei der Verabschiedung des 4,35-Milliarden-Programms von Bundestag und Bundesrat erst nach Einschaltung des Vermittlungsausschusses ein ausgewogenes Steuer- und Zuschußprogramm erreicht werden konnte. Der Vorschlag des Bundesrates läßt jedes Eingehen auf diese bekannte Problematik vermissen.
Im Plenum des Bundesrates hat ein auf solche Ausgewogenheit zielender Antrag leider keine Mehrheit gefunden.
— Ausgewogen ist es, die gesamte Problematik von Zuschußregelung und steuerlicher Regelung auch in künftigen Konzepten zu berücksichtigen, weil wir auf Grund der Erfahrungen der Vergangenheit wissen, daß nur auf dieser Basis eine Regelung zustande kommt, die dann sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat eine Mehrheit finden kann.
Nach dem derzeitigen Kenntnisstand der Bundesregierung sind die Kapazitäten der durch die Energieeinsparung besonders berührten Teile des Baugewerbes voll ausgelastet. Zusätzliche Anreize können in dieser Situation nur zu weiteren Preissteigerungen und Engpässen führen.
Das gilt generell auch für den Bereich neuer Technologien. Hier müssen wir sehr darauf bedacht sein, daß eine überhöhte Förderung nicht möglicherweise zur Entstehung von Produktionskapazitäten führt, die qualitativ künftigen Anforderungen nicht entsprechen.Insgesamt ist die Bundesregierung deshalb der Auffassung, daß ein nach eingehenderen Erfahrungen mit dem bisherigen Programm zu entwickelndes Gesamtkonzept in dem oben beschriebenen Sinne sowohl effektiver wäre als auch zugleich dem Ziel einer Ausgewogenheit von Zuschußförderungen und steuerlichen Abschreibungsvergünstigungen besser entspräche. Ich möchte den Gedanken unterstreichen, daß es unseres Erachtens bedenklich wäre, schon jetzt die Nachfrage nach energiesparenden Investitionen durch massive zusätzliche staatliche Anreize auf zum Teil noch in der Bewährungsphase befindliche neue Technologien zu lenken. Diese Technologien sind für die Zukunft sicher als vielversprechend anzusehen. Aber sie brauchen zur Entwicklung ihre Zeit, und wir sollten mindestens vorsichtig sein bei dem Gedanken, durch massive zusätzliche Förderungsmaßnahmen eine Entwicklung in eine qualitativ nicht befriedigende Richtung zu ermöglichen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kolb.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bundesregierung und Bundesrat wollen Energie sparen. Sie sind sich sogar in der Zielsetzung einig. Die Bundesregierung hat nämlich in ihrem Gesetz zur Änderung der Energieeinsparung in der Drucksache 8/3348 unter „Zielsetzung geschrieben:Die energiepolitischen Abhängigkeiten der Bundesrepublik sind in letzter Zeit in besonderem Maße deutlich geworden. Die Bundesregierung wirkt dem durch verstärkte Energieeinsparungsmaßnahmen entgegen. Das Bundeskabinett hat am 16. Mai 1979 entsprechende Beschlüsse gefaßt. Der Verringerung des Energiebedarfs für die Gebäudeheizung, der mit 40 v. H. am gesamten Energiebedarf der Bundesrepublik beteiligt ist, kommt dabei besondere Bedeutung zu. Da der Ölanteil bei der Gebäudeheizung über 50 v. H. beträgt, kann auch hier ein wichtiger Beitrag zur Verringerung unserer Ö1abhängigkeit geleistet werden.Bis dahin gehen die Gemeinsamkeiten, aber dann kommen die Unterschiede.Ich frage mich: Was haben wir eigentlich seit 1973 getan? War 1973 für uns nur ein Betriebsunfall, war das, was 1979 geschehen ist, eine Unseriösität der Ö11ieferländer? Wo haben wir denn die Energie eingespart? Minister. Lambsdorff, Herr Staatssekretär, hat in Tokio erklärt: Wir sparen 5 %. Das Ergebnis 1979 sagt aber, er hat sich im Vorzeichen geirrt, wir haben 5 % mehr verbraucht. — Natürlich, da müssen Sie nicht den Kopf schütteln, Herr Staatssekretär. Deswegen frage ich: Wie kommen wir endlich dazu, daß wir 01 sparen? Ministerpräsident Stoltenberg hat am 9. Juli 1979, als er diesen Entwurf des Bundesrates vorstellte, gesagt, seit 1. Juli seien die Rohölpreise auf 18 bis 23,50 Dollar je Barrel gestiegen. — Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir diese Preise jetzt noch hätten, wir würden uns glücklich schätzen. Wir liegen in der Zwischenzeit bei bis zu 34 Dollar. — Er fuhr dann fort:
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KolbDies wird für uns erhebliche Mehrbelastungen mit sich bringen. Experten schätzen diese Mehrbelastung auf jährlich 15 Milliarden DM, pro Kopf der Bevölkerung knapp 250 DM. Darüber hinaus entstehen durch die anhaltenden drastischen Preiserhöhungen für Mineralöl Gefahren für die Zukunft unserer Wirtschaft und unserer Arbeitsplätze. Die Bundesregierung hat bisher weder in der Verringerung der Abhängigkeit vom 01 noch bei der Energieeinsparung die erforderlichen Lösungen gefunden. Wir brauchen eine wirksame und zeitlich unbefristete Verbesserung der steuerlichen Regelungen für private Investitionen auf breiter Front, um den Anteil des Erdöls zu verringern und Energie einzusparen.Ich frage mich: Wann steigen wir endlich in die . Energieeinsparung ein, wann kommen wir zu der Umstrukturierung? Wir sagen immer, wir müssen weniger Cl verbrauchen, wir müssen weg vom Ö1. Nur wir kommen nicht weg. Es nützt mir gar nichts, wenn Bundesforschungsminister Hauff draußen erklärt: „Ich habe mit meinem Energiesparhaus in Aachen bewiesen, daß man hervorragend Energie sparen kann. Wenn Sie dann aber fragen: Wie sind denn die betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge, was haben Sie denn investiert, und wie schaut die Kosten-Nutzen-Rechnung aus?, dann hören Sie nur: Das gesamte Wirtschaftsprogramm war sehr teuer, aber ich kann Ihnen nicht sagen, was es ist. Im übrigen lassen Sie mich als Techniker eine sarkastische Bemerkung machen: Sie würden in jedem Praktikum zum Teufel gejagt, wenn Sie bei einem Versuch gleichzeitig fünf verschiedene Dinge ändern. Man kann nur hintereinander ändern und dann sagen: Diese Maßnahme hat das und jene Maßnahme jenes beeinflußt. Man darf nicht fünf oder sechs Veränderungen gleichzeitig vornehmen und dann sagen: Damit habe ich bewiesen, daß es geht.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen jetzt endlich vor der Situation, daß wir, wenn wir die Umstrukturierung wollen, klotzen müssen und nicht kleckern dürfen.Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf eine Aussage von Dagobert Lindlau im „Weltspiegel" vom letzten Sonntag hinweisen. Er schloß den „Weltspiegel", indem er auf eine Äußerung des Leiters der russischen Akademie der Wissenschaften, Alexandrow, Bezug nahm. Und ein amerikanischer Kolumnist hat in Anlehnung an ein Wort von Churchill gesagt, langsam werde die Politik zu schwierig, um sie Politikern zu überlassen, die vor allem gewählt werden wollen. Wenn uns die vierte Macht nun langsam vorhält, daß wir nichts anderes tun als reden, dann kann ich nur mit Rainer Maria Rilkes Kornett übersetzt sagen: „Reden, reden, reden — durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag, durch die Nacht. Aber es geschieht nichts. Hier liegt für uns die entscheidende Frage.
Schon wieder steuerliche Mittel, das soll 650 Millionen DM kosten!! — Nun frage ich Sie: Was zahlen wir denn an die OPEC-Staaten? Das sind 30 Milliarden DM. Das ergibt ein Verhältnis von 1 DM Steuerentlastung zu 46 DM, die wir an diese Staaten abliefern.
— Natürlich ist das so. Die 30 Milliarden DM fehlen doch am Ende des Jahres. Dafür ist bei uns keine Maßnahme durchgeführt.Genau hier liegt doch der entscheidende Unterschied zwischen den Vorstellungen der Bundesregierung und dem, was der Bundesrat will. Die Bundesregierung sagt: Wir machen es mit Subventionen; wir brauchen die Ausgewogenheit; die Hauptsache ist, daß Ausgewogenheit da ist. Wenn ich aber frage, was gespart wird, dann ist nichts drin. Wenn nichts gespart wird, dann kommt man mit der Ermächtigung. So heißt es in der Drucksache 8/3348:Eine gleichzeitige finanzielle Förderung der vorgeschriebenen Maßnahmen ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Ein Rechtsanspruch auf finanzielle Förderung würde bei Auflagen durch Rechtsverordnungen, die dem Ermächtigungsrahmen entsprechen, nicht entstehen.Was will der Bundesrat? Er sagt: Es gibt heute genügend Techniken, die einzuführen, betriebswirtschaftlich gesehen, nicht interessant ist, weil die Kosten der Umstrukturierung höher liegen als der Nutzen; deswegen ist es selbst bei teurer Energie nicht interessant, die Umstrukturierung vorzunehmen.Daher kann ich mich mit der Stellungnahme der Bundesregierung nicht zufriedengeben, wenn sie sagt:Die Energiepreisentwicklung verbessert die Wirtschaftlichkeit bestimmter energiesparender Maßnahmen erheblich und gibt Anlaß,a) die Förderung einzelner Maßnahmen überhauptb) die Höhe der Förderung für einzelne Maßnahmenfür die weitere Laufzeit des Programms zu überdenken. Wichtigstes Ziel dieser Überlegungen ist, die Wirksamkeit von Einsparungsmaßnahmen zu verbessern, ohne daß ihnen durch die Kapazitätsauslastung des betroffenen Bauhaupt- und Ausbaugewerbes volkswirtschaftliche Kosten in Form von unerwünschten Preissteigerungen gegenüberstehen.Herr Staatssekretär, wenn heute jemand Maßnahmen, die sowieso schon wirtschaftlich sind, nicht durchführt, dann ist ihm nicht zu helfen.Das ist auch nicht das Petitum des Antrags des Bundesrats. Dieser sagt, wir sollten endlich die Maßnahmen ergreifen, die uns vom Ö1 wegbringen, die aber in der jetzigen Situation zu teuer sind; wir sollten übergehen zu einer Kombination von Wärmepumpen mit Absorberdach, Speichertechnik und dergleichen.Ich frage mich nur, woher wir den Hochmut nehmen, zu sagen: Wir brauchen ein Gesamtkonzept, wir wollen prüfen, wir wollen prüfen.
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KolbWir hantieren doch noch mit den Verhältnissen von 1978. Wir tun so, als hätten wir noch einen Heizölpreis von 25 Pf, während wir schon kräftig 65 Pf zahlen.Können Sie mir eigentlich sagen, Herr Staatssekretär, welche Einsparungen das Heizenergiesparprogramm gebracht hat? Was ist durch die Wohnungsmodernisierung eingespart worden? Wie ist es draußen mit der Wärmeschutzverordnung? Wenn man Fragen stellt, dann heißt es: Wir haben die Erfahrungen noch nicht.Aber die OPEC-Staaten interessiert das nicht. Der Preis, der damals noch bei 16 Dollar je Barrel lag, liegt heute bei 34 Dollar. Wenn wir noch zwei weitere Jahre so prüfen, ist er vielleicht bei 40 oder 45 Dollar. Diese Staaten interessieren sich nicht dafür, was wir tun, sondern sagen: Auch wenn ihr nichts tut, nehmen wir von euch das Geld; uns ist es egal, woher ihr es nehmt.Hier möchte ich einmal ganz hart einsteigen. Wir haben in der Zwischenzeit so viele Subventionstöpfchen, daß es für manche interessant ist, von einem Subventionstopf zum anderen zu springen. Sie können heute eine Wohnung modernisieren, indem Sie die Sanitäranlagen mit Hilfe des Wohnungsmodernisierungsgesetzes finanzieren, mit Hilfe der Subventionen für Energieeinsparung finanzieren Sie die Wärmedämmung, und mit Hilfe des Verkehrslärmschutzgesetzes finanzieren Sie die Ausbesserung der Fenster. Wenn Sie so in drei Subventionstöpfe hineinlangen, dann geht das. In der Zwischenzeit sind wir mit unseren Subventionen so weit, daß es einen speziellen Subventionsführer gibt, der einem angibt, wo man Geld bekommt. Wenn wir zu diesem Stil kommen,
dann könnte der Zustand eintreten: „Ist ein Zuschußzu bekommen, hat der Staat das Denken abgenommen. Ich glaube, das können wir uns nicht leisten.
Wir sollten deshalb den Vorschlag des Bundesrates daraufhin untersuchen, welche Maßnahmen Energie einsparen und uns damit vom Ö1 wegbringen. Wenn Sie betriebswirtschaftlich noch nicht interessant sind, so muß ein Anstoß dafür gegeben werden, diese Investitionen vorzunehmen. Dann sollten wir sagen, daß diese Maßnahmen gefördert werden. Herr Staatssekretär, wir sollten uns nicht auf die Formulierungen in diesem Antrag beschränken; denn die Dinge ändern sich so rasant, daß es für uns interessant sein müßte, uns auch in den Ausschüssen einmal darüber klarzuwerden. Wir haben heute früh im Hearing zu der Frage der Energieeinsparung durch die Abrechnung nach Verbrauch erlebt, daß sich die Meinungen bei einigen Verbänden schon in einem Vierteljahr entscheidend geändert haben.Wirtschaft und Bürger sind flexibel genug, um auch ein Risiko einzugehen und zu wissen, was sie wagen müssen, damit sie nicht die Gelder, die bisher in den Konsum flossen, für Energie ausgeben müssen. Wir werden auch neue Technologien entwikkeln. Ich habe es bisher noch nicht erlebt, daß Technologien voll ausgereift sind, bevor sie in größerer Menge produziert werden. Jeder Start einer solchen neuen Technologie hat seine Mucken; das liegt in der Technik. Schauen Sie sich einmal die Entwicklung der Eisenbahn mit all den Unfällen und Problemen an! Aber deswegen wird keiner sagen: Das lassen wir.Es werden immer Sorgen um das Bauhaupt- und Ausbaugewerbe geäußert. Wenn das mit Subventionen so gemacht wird, daß diese Gewerbe einmal überlastet sind und daß sie eineinhalb Jahre später, wenn es keine Subventionen gibt, nichts zu tun haben — das heißt: einmal heiß, einmal kalt —, dann frage ich Sie, woher eine kontinuierliche Beschäftigung kommen soll. Wenn Sie steuerliche Tatbestände schaffen, dann haben Sie auch eine kontinuierliche Beschäftigung; denn dann weiß jeder, daß er dies auch in drei Jahren tun kann. Das ist wesentlich besser, als wenn die Betreffenden sich sagen müssen: Ich muß jetzt schnell in diesen Subventionstopf langen, ganz egal, was es kostet und bringt; ich bekomme Geld zurück!Wir sind langsam so weit gekommen, daß jemand, der auf Grund einer Subvention Geld zurückbekommt, den Eindruck hat, daß dies für ihn eine besondere Art des Steuerausgleichs sei. Er fragt nicht mehr, was die Maßnahme bringt, sondern er sagt: Ich habe die Chance, an den Staat abgeliefertes Geld zurückzubekommen, und deswegen hole ich es ohne Rücksicht auf Verluste!Ich habe die Bitte an Sie: Wir sollten das nicht so krass formulieren, wie es die Bundesregierung in ihrer Einlassung getan hat. Wir sollten in den Ausschüssen sehr sachlich darüber diskutieren, was wir machen können. Wenn es uns gelingt, Energie einzusparen und vom 01 wegzukommen, dann haben wir unsere Aufgabe erfüllt. Wir sollten nicht über den Status quo ante diskutieren, sondern wir sollten fragen, was Mitte der 80er Jahre auf uns zukommen wird. Der Bürger, der uns hierherschickt, erwartet von uns keine Vergangenheitsbewältigung, sondern Programme für die Zukunft.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reuschenbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Anlaß ist ganz bestimmt kein Grund, so zu tun, als ginge es jetzt um eine ganz allgemeine Energiedebatte. Dafür ist dieser Anlaß wahrlich nicht bedeutungsvoll genug.
Die Lautstärke des Lamentos, die an den Tag gelegt wird, wenn es jetzt um angeblich nicht zügig genug vorangetriebene Energieeinsparungspolitik geht, entspricht genau der Art, in der Sie vor ein paar Jahren Ihre Ignoranz gegenüber der Sicherung
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Reuschenbachder Energieversorgung auf heimischer Basis stattfand, bekunden. Diesen Widerspruch müssen Sie sich noch öfter vorhalten lassen.Der Gesetzentwurf zielt auf eine sofortige massive und einseitige Anhebung der steuerlichen Vergünstigungen für energiesparende Investitionen. Schon bei dem geltenden Recht — der Herr Staatssekretär hat auf das Entstehen des geltenden Rechts hingewiesen —, nämlich Zuschüsse oder steuerliche Begünstigung, kann man wirklich Zweifel darüber haben, ob die Gleichbehandlung gleichartiger Tatbestände gewährleistet ist. Dabei habe ich sowohl die konkreten Maßnahmen, die vorgenommen werden, als auch die Einkommensverhältnisse derer, die sie vornehmen, im Auge.Zur Kapazität in der Bauwirtschaft ist etwas gesagt worden. Ich muß ferner hinzufügen: Die hier vorgeschlagene Regelung läßt zum Beispiel einen ganz erheblichen Teil derer vor der Tür, die mitmachen müssen, wenn energiesparende Maßnahmen im Wohnungsbestand zügig durchgeführt werden sollen, nämlich die Vielzahl der gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen, die Sie bewußt oder unbewußt aussperren, wenn Sie dem hier vorgelegten Gesetzentwurf folgen.Schließlich ist die dauernd wiederholte Behauptung, das sei ein Beitrag, um vom Ö1 wegzukommen, unzutreffend. An keiner Stelle in diesem Gesetzentwurf ist dies als Zweckbestimmung vorgesehen, sondern alle Maßnahmen, die energiesparend sein könnten, werden mit der Gießkanne bezuschußt. Dazu muß ich sagen: Das ist keine zielgerichtete Politik; das ist eine Gießkanne, ist eine Beglückung quer durch den Garten, aber keine zielgerichtete.
Und wenn Sie über drei Subventions- und Vergünstigungstöpfe, die angeblich da sind und derer man sich so oder so bedienen kann, lamentieren, kann ich nur feststellen: Sie wollen einen vierten hinzufügen, und übermorgen kriegen wir den fünften und den sechsten Vorschlag, meistens aus Ihren Reihen.
Wir plädieren mehr dafür, das Schwergewicht auf die Weiterentwicklung des Zuschußinstruments zu setzen.
Da ist klar, wer wieviel wofür bekommt.
— Nach Maßgabe des Haushalts!
— Natürlich; selbstverständlich!
Was Ihre steuerliche Begünstigung angeht, so stellen Sie einen Blankoscheck aus und sagen: Was amEnde dabei nicht eingenommen wird, das steht inden Sternen; damit muß die öffentliche Hand, muß der Staat halt fertig werden.Nein, ich bin sehr dafür, daß klar ist, wieviel man wofür zu welchen Bedingungen und zu welchen Zwecken ausgibt. Deshalb gilt es, Erfahrungen mit dem 4,35-Milliarden-Programm zu sammeln und es weiterzuentwickeln, damit es nicht nur 1980, sondern bis 1982 gilt und wirksam wird; in der Zwischenzeit kann man sich genau überlegen, mit welchen Mitteln und welcher Zielsetzung es fortentwickelt wird. Die Anstrengungen sind fortzusetzen; nicht mit der Gießkanne zu geben, sondern den Anschluß an leitungsgebundene Energieversorgung zu fördern. Energieversorgungspläne sind in den Städten zu entwickeln; es ist ganz stark auf Verbreitung der Fernwärme abzuheben.Wir können und wollen die Überweisung an die Ausschüsse nicht verhindern.
— Nein; ich sage ja: Wir können und wollen nicht.Nur können Sie sich darauf verlassen, daß dieser Gesetzentwurf nicht Gesetz wird.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst bedanke ich mich dafür, daß wir hier ein Steuergesetz — darum geht es — im Deutschen Bundestag behandeln. Denn mittlerweile ist es ja eingerissen, daß Steuerpolitik überwiegend in Pressekonferenzen, nicht aber in den dafür zuständigen Gremien behandelt wird. Nachdem Herr Strauß am 12. Dezember 1979, während wir hier im Plenum eine Steuerdiskussion hatten, sein neues Steuerpaket in einer Pressekonferenz vorgestellt hat, hat heute morgen Herr Häfele, während wir im Finanzausschuß einen CDU/CSU-Steuergesetzentwurf stundenlang verhackstückten, die Gelegenheit genutzt, eine Pressekonferenz zu machen, in der er das neue Steuerpaket vorstellte. Daher ist es ganz erfreulich, daß wir ab und zu Steuergesetze auch hier behandeln.
Was die Sache angeht, so fordert die Opposition die Einführung eines § 7 g — damit auch draußen alle gut zuhören: eines § 7g, g wie Gustav — in das Einkommensteuergesetz.
Dies ist — ich höre schon den Zwischenruf „Gesetzesvereinfachung" — mit Sicherheit wiederum keinBeitrag zur Vereinfachung des Steuerrechts, abgese-
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Frau Matthäus-Maierhen davon, daß allein dieser Paragraph über eine eng beschriebene DIN-A4-Seite hinausgeht.
— Hier kommt der Einwurf „ungeheuerlich". Das ist sicher nicht ungeheuerlich. Nur, ich finde, daß es erlaubt sein muß, in einer Situation, wo alle Beteiligten, insbesondere Sie, draußen immer große Fensterreden über Steuervereinfachung halten,
jeweils darauf hinzuweisen, welche Flut von Gesetzesanträgen Sie hier mit welchen Folgerungen für die Komplizierung des Steuerrechts stellen.
Was die Sache selber angeht, so haben wir in verschiedener Hinsicht Bedenken. Ich möchte hier nur einmal einen Punkt nennen, der in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nicht berücksichtigt wird. Ich meine sehr wohl, daß die stärkere Anfangsförderung für energiesparende Einrichtungen wie z. B. auch Wärmepumpen im Prinzip sinnvoll ist. Ich erinnere aber daran, daß von dieser Förderung auch Wärmepumpen betroffen wären, die nicht zur Einsparung von Primärenergieverbrauch führen, sondern z. B. zu einem Umsteigen von Ö1 auf Strom, was wiederum unter anderen Gesichtspunkten sehr fragwürdig ist. Angesichts dessen muß gefragt werden, ob dies der richtige Weg ist.Was das Instrument der steuerlichen Abschreibung angeht, so glaube ich, daß die Diskussion über die Einführung des § 51 q vor etwa einem Jahr unsere unterschiedlichen Positionen verdeutlicht hat. Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf treffen Sie wiederum das Problem nicht, das nach unserer Ansicht entscheidend ist. Wir sind der Ansicht, daß Subventionen — und hier handelt es sich um nichts anderes als um eine Subvention mittels steuerlicher Instrumente — gezielt dort eingesetzt werden sollten, wo ihre Förderungswirkung am größten ist. Das heißt, daß sie am allerwenigsten dort eingesetzt werden sollten, wo der Bedarf am geringsten ist. Ihr Vorschlag führt dazu, daß derjenige, der von Haus aus eh leichter in der Lage ist als der andere, sich solche Anlagen in sein Haus einzubauen, am höchsten subventioniert wird. Auf unsere Argumente gegen diese Lösung haben Sie immer wieder vorgetragen, wir wollten Klassenkampf; wir wollten denjenigen, der auf Grund der Progression einen sehr hohen Steuersatz zahlt, nicht entsprechend progressiv entlasten, weil es uns eh nicht gefalle, daß es Leute gebe, die so hohe Steuersätze zu zahlen hätten. Weit gefehlt! Hier handelt es sich um eine sinnlose Verschleuderung von Staatsmitteln. Wir sind uns doch wohl alle einig, daß die staatlichen Gelder dort am effektivsten eingesetzt werden, wo mit ihnen unter geringstmöglichem Aufwand das meiste erreicht wird.
— Ist es etwa Hilfe zur Selbsthilfe, wenn Sie dem, der einen Steuersatz von 56% zu zahlen hat, der also ohnehin all das, was wir hier nennen, bauen kann, zweieinhalbmal soviel geben wie dem, der sich das Geld mühsam vom Munde abspart, um eine Wärmepumpe einbauen zu können? Dies können wir nicht als Hilfe zur Selbsthilfe ansehen.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kolb?
Bitte, Herr Kolb.
Frau Kollegin, wie bewerten Sie es, wenn wir große Mengen an Geld irgendwohin abliefern, ohne irgend etwas dafür zu haben, und wenn dadurch speziell der kleine Mann, der, wie Sie sagen, nichts abschreiben kann, am härtesten getroffen wird? Derjenige, den Sie meinen — jenen mit einem Steuersatz von 56 % —, kann sich diese Ablieferung von Geld sicher am ehesten leisten. Stimmen Sie mit mir darin überein?
Herr Kolb, das ist doch nun aber wirklich nicht die Alternative. Selbstverständlich unternehmen wir alles — diesen Gesichtspunkt brauchen Sie der Bundesregierung wirklich nicht vorzuhalten —, um insbesondere für diejenigen, die weniger verdienen, die Beschwernisse auf Grund der Ölpreissteigerungen gering zu halten. Wenn Sie aber — wie eben — vortragen, wir müßten die Kosten in Höhe von 650 Millionen DM, die Ihr Gesetzentwurf verursacht, den X Milliarden DM, die wir an die OPEC-Staaten zahlen, gegenüberstellen,
so paßt dies überhaupt nicht, denn mit Ihrem Gesetzentwurf wird doch das andere Problem nicht gelöst.
Ein weiterer Punkt: Im Finanzausschuß überhäufen Sie uns dauernd mit neuerlichen Anträgen betreffend steuerliche Subventionen. Das Problem der steuerlichen Subventionen haben wir durch die Gutachtergruppe unter Professor Sievers im Zusammenhang mit der Wohnungsbauförderung und dem § 7 b noch einmal vorgeführt bekommen. Dort ergab sich exakt die gleiche Argumentation. Als Politiker wurden wir darauf aufmerksam gemacht, daß es kein sinnvoller Einsatz von Steuermitteln sei, wenn der steuerliche Weg statt des Zuschußweges beschritten werde. Deshalb möchten wir Sie ernsthaft darum bitten, diesen steuerlichen Weg nicht zu beschreiten. Ich sehe Herrn Stutzer hier; wir werden in zehn Minuten schon wieder eine steuerliche Abschreibungsmöglichkeit, die Sie fordern, behandeln. Wir meinen, dies ist in aller Regel — nicht immer — ein Weg, der erstens kostenaufwendiger als eine Zuschußregelung ist.
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Frau Matthäus-Maier— Natürlich muß dies kostenaufwendiger sein, weil die Streuwirkung sehr viel größer ist. Zweitens ist dies ein Weg, der nicht gezielt diejenigen Bevölkerungsgruppen erreicht, die wir eigentlich erreichen wollen.Herr Kolb, wenn Sie sagen, Sie hätten hier als Techniker gesprochen, kann ich nur feststellen: Ich halte es für eine gute Sache, daß Sie als Techniker Stellung nehmen. Die eigentliche Frage richtet sich aber nicht an Sie als Techniker, sondern an Ihre Kollegen von der Steuerfront, nämlich die Frage, warum sie das, was technisch sinnvoll ist — was ich unterstütze —, unbedingt immer über das Steuerrecht anregen wollen. Sie sollten sich da wirklich etwas anderes überlegen.
Ein Zweites. Ich hätte es mir natürlich ganz einfach machen und sagen können: Dafür haben wir sowieso kein Geld. Ich darf daran erinnern, daß es Ihr Herr Stoltenberg war, der gesagt hat, dieser Gesetzentwurf würde rund 650 Millionen DM kosten. Sie sind mit Ihren Angaben auf dem Vorblatt zu dem Gesetzentwurf etwas vorsichtiger. Sie sagen dort schamhaft, man könne über die Kosten nichts sagen, weil man nicht wisse, wie viele Leute diese Abschreibungsmöglichkeit in Anspruch nehmen würden. Das ist zweifellos eine richtige Aussage. Aber Sie sehen, selbst Herr Stoltenberg, dem sicher nicht daran liegt, die Kosten höher darzustellen, als sie sind, kommt auf 650 Millionen DM. Dann wird das, meine Damen und Herren, was Sie sich in der Steuerpolitik von Tag und Tag leisten, langsam ein bißchen dicke.
Ich darf erinnern: Am 12. Dezember 1979 fordert Franz Josef Strauß Steuersenkungen von über 16 Milliarden DM noch für 1979 und 1980. Hätten die Koalitionsparteien dem nicht widerstanden, hätte dies der Bundesregierung jeden finanziellen Handlungsspielraum, den sie angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage oder auch denkbarer konjunkturpolitischer Notwendigkeiten braucht, geraubt. Nach dem Motto „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln" hätten die Straußschen Steuersenkungspläne schon zu einem Zeitpunkt rückgängig gemacht werden müssen, wo sie beim Bürger überhaupt noch nicht angekommen gewesen wären. Allerdings hat Strauß wohl mittlerweile gemerkt, welches Desaster sich für seine Strategie ankündigt; denn er redet mittlerweile anders. Trotzdem verfährt die Opposition hier in Bonn noch nach dem alten Konzept.Wir haben vor zehn Tagen einen Bundesratsgesetzentwurf mit Tarifänderungen gelesen, die für 1980 6,5 Milliarden DM und 1981 3,5 Milliarden DM kosten würden. Am 2. Februar ist im Bundesrat — wie wir in der Zeitung lesen konnten — die Erhöhung der 7 b-Abschreibung gefordert worden. Heute sind Vorschläge von Herrn Häfele gekommen, die im Jahre 1981 zu Steuermindereinnahmen von 17 Milliarden DM führen würden. Jetzt hier im Plenum gibt es nun im Rahmen der Energiepolitik die Diskussion darüber, ob im Zusammenhang mit derEnergieeinsparung eine 650 Millionen DM kostende Abschreibungsregelung eingeführt werden soll. Meine Damen und Herren, hiermit ist das finanzpolitische Chaos der Opposition wirklich komplett,
zumal wenn Sie gleichzeitig berücksichtigen, daß Herr Strauß mittlerweile seine alten Vorschläge über Bord geworfen hat und nun plötzlich nicht nur nicht mehr von Steuersenkungen für 1980 redet, sondern sogar das Steuerpaket der Koalition für 1981/82 als wohlfeile Finanzierungsquelle für die zusätzlichen Aufgaben im internationalen Bereich anbietet. Das alles zusammengenommen zeigt, meine Damen und Herren, daß bei Ihnen ein ungeheures Durcheinander herrscht.Ich kann Ihnen dazu nur eines sagen - Sie haben es auch schon gelesen —: Wir lassen uns nicht in Ihre Hektik hineinziehen. Wir werden ruhig und gelassen die finanzielle Lage auch für das Jahr 1980 überblicken, diskutieren und prüfen, was an Mehrausgaben auf uns zukommt. Da sind dann für uns überhaupt keine Einnahmen- oder Ausgabenposten tabu. Aber eines ist doch wohl mit Sicherheit gegeben: Wir können nicht zu diesem Zeitpunkt Mehrausgaben oder Mindereinnahmen in Höhe von 650 Millionen DM beschließen. Deswegen bitte ich Sie: Seien Sie so klug, wie einige Ihrer führenden Köpfe es mittlerweile sind, und lassen Sie in den nächsten Wochen diesen Gesetzentwurf fallen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf des Bundesrates — Drucksache 8/3557 — zur federführenden Beratung an den Anschluß für Wirtschaft, zur Mitberatung an den Finanzausschuß und den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es gibt keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes— Drucksache 8/2956 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der GeschäftsordnungDrucksache 8/3571 —Berichterstatter: Abgeordneter Löfflerb) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 8/3569 —Berichterstatter: Abgeordneter Stutzer
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16062 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980
Vizepräsident WurbsWünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Stutzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Katastrophenschutz in Schleswig-Holstein hat sich der großen Herausforderung der Schnee- und Unwetterkatastrophe im Winter 1978/79 zwar im großen und ganzen als gewachsen erwiesen, dennoch aber zeigte es sich, daß in einzelnen Bereichen Verbesserungen dringend geboten sind. Zu dieser übereinstimmenden Einschätzung kamen Sprecher aller Fraktionen im schleswig-holsteinischen Landtag.Was in Schleswig-Holstein nicht nur die Menschen an der Küste und in den Dörfern, sondern das gesamte öffentliche Leben lähmte, kann in dieser oder ähnlicher Form zu jeder Zeit und an jedem Ort erneut Wirklichkeit werden.
Die Naturkatastrophen hatten allein in Schleswig-Holstein in ca. 80 Gemeinden zu länger andauernden Stromausfällen geführt. Dabei zeigte sich, daß große Teile der gewerblichen Wirtschaft, der Landwirtschaft, insbesondere aber Einzelgehöfte und private Haushalte auf eine geregelte Stromversorgung angewiesen sind, um größere Schäden bei Katastrophenfällen zu vermeiden. So waren in vielen Privathaushalten wegen des Ausfalls stromabhängiger Heizungsanlagen und anderer Geräte nicht nur materielle, sondern auch gesundheitliche Schäden aufgetreten. Im landwirtschaftlichen Bereich führte der Stromausfall darüber hinaus zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Viehversorgung und sogar zu Totalausfällen.Gesundheitliche Schäden und volkswirtschaftliche Verluste hätten vermieden werden können, wenn in ausreichender Zahl Notstromaggregate vorhanden gewesen wären. Aus diesem Grunde ergriff der Bundesrat die Initiative und forderte, die Anschaffung und Herstellung von Notstromaggregaten steuerlich durch erhöhte Absetzungen zu begünstigen.Um Mißverständnisse auszuräumen, möchte ich darauf hinweisen, daß totale Stromausfälle verschiedene Ursachen haben können, es sich hier also nicht allein um ein schleswig-holsteinisches Schneekatastrophenproblem handelt. So hatten wir am 13. April 1976 in Süddeutschland und in weiten Teilen Osterreichs durch einen Waldbrand, der zu einer Schalterexplosion im Umspannwerk Kelsterbach führte, einen mehrstündigen Stromausfall. In New York hatten wir am 13. und 14. Juli 1977 wegen ungenügender Kraftwerkskapazität und unzureichender Leistungsfähigkeit des Stromverbundsystems während der Nacht mehrere Stunden Stromausfall. Wegen eines Streiks der Kraftwerksarbeiter fiel in Frankreich am 19. und 20. Dezember 1978 in weiten Teilen des Landes der Strom bis zu 36 Stunden aus. Ich könnte noch mehrere Beispiele aufführen.Im Telegrammstil möchte ich nur einmal die Auswirkungen dieser Stromausfälle nennen. Erstens. Gesundheitliche Schäden insbesondere bei Kleinstkindern und bei älteren Menschen. Zweitens. Maschinen bleiben stehen, daher Arbeitsunterbrechung und Produktionsschäden. Drittens. Beleuchtung und Kontrollgeräte fallen aus. Viertens. Fahrstühle bleiben stecken. Fünftens. Ausfall von Ölheizungen. Sechstens. Verluste bei der Viehzucht, insbesondere aber beim Jungvieh. Siebtens. Verderben der Tiefkühlkost. Achtens. Ausfall von Benzinpumpen. Neuntens. Unter Umständen Plünderung, Brandstiftung, Gewalttaten, wie wir sie bei den Stromausfällen in New York erlebt haben.
— Auch in Niedersachsen könnte das möglich sein. Mir liegt ein Gutachten vor, nach dem so etwas in der Bundesrepublik nicht ausgeschlossen werden könnte.Der Stromausfall in Frankreich verursachte allein Schäden in Höhe von 3 bis 4 Milliarden Francs. Damit ist auch der Einwand der Koalition widerlegt, lieber Herr Kollege Spöri, daß die Initiative des Bundesrates nur etwas mit der Schneekatastrophe in Norddeutschland zu tun habe. Die Beispiele zeigen, daß es jederzeit zu diesen Situationen kommen kann, in denen die Strombereitstellung durch die öffentlichen Stromversorgungsunternehmen nicht mehr gesichert ist. Vor unabwendbaren Stromausfällen mit noch gar nicht abzuschätzenden Folgen können wir die Bürger nur schützen, indem wir Anreize zur Beschaffung privater Notstromaggregate geben.Wir wissen doch aus Erfahrung, daß es ohne solche Anreize nicht zu einer Beschaffung kommt. Viele Bürger sind in Folge der Kostenexplosion auf dem Energiesektor ohne derartige Anreize gar nicht in der Lage, sich private Notstromaggregate zu beschaffen.Keiner wird bestreiten, daß die Notstromaggregate im Hinblick auf die jederzeit möglichen Stromausfälle, die sich über mehrere Tage erstrecken können, auch eine besondere volkswirtschaftliche Bedeutung haben. Steuerliche Abschreibungsvergünstigungen, wie sie der Bundesrat vorschlägt, sind nur ein Weg. Dabei kann man sich darüber unterhalten, ob für diejenigen, die steuerlich nicht abschreiben können — ich denke hier nur an kleinere landwirtschaftliche Betriebe —, ein anderer Weg gefunden wird, nämlich der einer offenen Subvention.Wir können nur mit Bedauern feststellen, daß die Mehrheit des Finanzausschusses keinen Weg gesucht hat, wie sie dem Bürger bei der Beschaffung von privaten Notstromaggregaten helfen kann.Lassen Sie mich hierzu noch eine persönliche Anmerkung machen. Ich habe es im Winter 1978/79 erlebt, wie unmittelbar nach den Schneekatastrophen in Schleswig-Holstein Abgeordnete aller Parteien — ich betone: aller Parteien — die betroffenen Gemeinden und Bürger aufsuchten und hinsichtlich der Hilfen bei der Beschaffung privater Notstromaggregate Zusagen machten, an die sie sich heute offensichtlich nicht mehr erinnern wollen.
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StutzerBeispielsweise setzte sich — Frau Matthäus-Maier, ich bitte die FDP, jetzt einmal zuzuhören — ausweislich des Plenarprotokolls des schleswig-holsteinischen Landtags am 30. Januar 1979 kein Geringerer als der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Herr Ronneburger, für steuerliche Hilfsmaßnahmen ein. Steuerliche Hilfsmaßnahmen waren Herrn Ronneburger sogar noch zuwenig; er meinte, es müßte außerdem noch etwas getan werden.Meine Damen und Herren, es wird heute so viel von Parteien- und Staatsverdrossenheit gesprochen. Hier haben wir wieder einmal ein typisches Beispiel dafür, wie es hierzu kommen kann. SPD und FDP reden mit zwei Zungen: Draußen vor Ort sagen sie das, was der Bürger hören will, und wenn es dann hier im Hohen Hause zur Nagelprobe kommt, haben sie die gemachten Zusagen vergessen und stehen nicht mehr zu ihrem Wort.
Natürlich kann man in dieser Beziehung politisch verschiedener Meinung sein. Ich habe auch Verständnis dafür, wenn Kollegen der SPD und der FDP den Gesetzentwurf des Bundesrats anders beurteilen als die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Ich habe aber kein Verständnis dafür, Herr Spöri, wenn Kollegen dieses Hauses mit zwei Zungen reden. Ich nehme an, daß die nachfolgenden Redner — Herr Spöri und Frau Matthäus-Maier — sich in Vorbereitung dieser Debatte einmal die Presseberichte über die schleswig-holsteinische Schneekatastrophe angesehen haben. Dann werden sie wissen, was die Kollegen aus ihren eigenen Fraktionen den Bürgern vor Ort bei uns in Schleswig-Holstein versprochen haben.
Ihre Aufgabe wird es sein, in den nachfolgenden Beiträgen diesen Widerspruch aufzuklären.Sie müssen doch zugeben, daß die Parteien, die einen derartigen Zickzackkurs fahren, zu der vielbeklagten Parteienverdrossenheit beitragen. So werden es die Bürger in meinem Lande nicht verstehen — Sie lachen vielleicht darüber —, wenn sich hier kein schleswig-holsteinischer Abgeordneter der SPD oder der FDP zu Wort meldet. Ich bedaure es, daß nur ein einziger schleswig-holsteinischer Abgeordneter der SPD hier im Saal ist.
Die CDU/CSU wird dem Gesetzentwurf des Bundesrats auf Drucksache 8/2956 zustimmen. Wenn SPD und FDP hier ebenso wie im Finanzausschuß diesen Gesetzentwurf ablehnen, dann bitte ich die nachfolgenden Redner, z. B. Herrn Spöri, dazu Stellung zu nehmen, ob die Fraktionen die Anschaffungs- und Herstellungskosten der Notstromaggregate nach dem Gesetzentwurf des Bundesrats auf Drucksache 8/3557 steuerlich begünstigen werden. Dabei möchte ich hier anmerken, daß in diesem Fall die Überschrift geändert werden müßte, da es sich bei den Notstromaggregaten nicht um energiesparende Geräte handelt.Meine Damen und Herren, es bleibt also noch so manche Frage offen. Wir erwarten daher mit Aufmerksamkeit die nachfolgenden Debattenbeiträge.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spöri.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
— So kirchturmspolitisch agieren wir hier nicht, daß wir unsere Redner unter dem Gesichtspunkt der Regionsbezogenheit aussuchen.
Es ist hier ja eine interessante Rednerabfolge zu beobachten. Da kommt Herr Kolb hier an und klagt über die Töpfchenwirtschaft bei der Energiesparförderung sowie darüber, daß es da bisher schon drei Töpfchen gebe. Und Sie wollen jetzt das vierte Töpfchen aufmachen.
Das ist — als Feststellung — zunächst einmal sehr interessant.Wenn wir diesen Gesetzentwurf des Bundesrates ernsthaft diskutieren, dann müssen wir, glaube ich, zwei Aspekte streng auseinanderhalten: Auf der einen Seite sind wir mit Ihnen der Auffassung, daß wir künftig mit allen vorbeugenden Maßnahmen verhindern müssen, daß derartige Wetterkatastrophen Schäden wie die in Schleswig-Holstein zur Jahres. wende 1978/79 anrichten. Auf der anderen Seite ist aber, wenn ich mir diese Bundesratsinitiative anschaue, sehr wohl kritisch darüber zu diskutieren, ob eine Sonderabschreibung von 60 % für Notstromaggregate im Anschaffungsjahr ein sinnvoller Beitrag zu dieser Zielsetzung ist.In dem Bundesratsentwurf steht, daß die Ausfallsumme für die öffentliche Hand 50 Millionen DM betragen wird. Das ist, da wir uns in der Bundespolitik inzwischen an die großen Zahlen gewöhnt haben,
eine relativ kleine Summe. Doch unabhängig von dieser Zahlendimension müssen wir, meine ich, an diesem Beispiel einmal grundsätzlich darüber diskutieren, ob uns nicht derart spezielle, zusätzliche steuerrechtliche Subventionsmaßnahmen immer weiter in eine Gesetzgebung hineintreiben, die letzten Endes beim Bürger und bei der Wirtschaft zu einer Subventionsmentalität führt mit der Folge, daß bei jeder sinnvollen Investitionsmaßnahme, bei jeder sinnvollen Vorsorgemaßnahme vom Staat eine steuerpolitische Spendierrunde erwartet wird.
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16064 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980
Dr. SpöriDas ist wirklich der Punkt, über den hier zu diskutieren ist.Wenn man vom denkfähigen Bürger, vom mündigen Landwirt ausgeht, wenn man auch den Betroffenen in Schleswig-Holstein Denkfähigkeit unterstellt, dann ist doch, Herr Stutzer, eine Schneekatastrophe wie die von 1978/1979 sicherlich ein kräftiger Anreiz zum Kauf eines solchen Notstromaggregats, ein Anreiz, der durch zusätzliche flankierende finanzielle Maßnahmen überhaupt nicht überboten werden kann. Das muß doch für einen denkfähigen Bürger ein ausreichender Anreiz sein. Wir können doch dem Bürger nicht jegliche Entscheidung abnehmen!
Das ist ja die Position, die Sie immer wieder beziehen.Herr Stutzer, selbst in den Fällen, in denen der Einsatz eines Notstromaggregats in Schleswig-Holstein oder meinetwegen woanders sinnvoll sein mag, muß man hier einmal die Frage stellen, die Sie vornehm ausgespart haben: ob nicht die Energieversorgungsunternehmen selbst hier einen Beitrag zu leisten haben,
ob nicht der Staat falsch beraten ist, wenn er finanziell — vorschnell — in die Bresche springen will, wenn Anschaffungen von Notstromaggregaten vorgenommen werden sollen. In unserem Land haben doch die Energieversorgungsunternehmen das außermarktwirtschaftliche Privileg des Versorgungsmonopols für ein Gebiet. Daraus sind gewisse Vorteile abzuleiten. Das ist zum einen der Konkurrenzschutz, da die Unternehmen keine Konkurrenten in ihrem Markt befürchten müssen. Auf der anderen Seite bedeutet dies natürlich auch, daß die Energieversorgungsunternehmen den gesetzlichen Auftrag wahrzunehmen haben, für eine gesicherte Stromversorgung zu sorgen. Es ist überhaupt nicht einzusehen, daß in diesen Fällen nicht die Energieversorgungsunternehmen selbst die Anschaffungen in solchen gefährdeten Gebieten vorzunehmen hätten.
Warum sollen sich die Energieversorgungsunternehmen nur die Rosinen aus ihrem Versorgungsmonopol herauspicken? Warum sollen sie diese Verpflichtung zur sicheren Stromversorgung nicht konsequent auch in der Form wahrnehmen, daß sie größere Notstromaggregate auch in den gefährdeten Gebieten von Schleswig-Holstein aufstellen?
Die sehr interessante Frage der Begünstigung haben Sie ausgespart. Die vom Bundesrat vorgeschlagene spezielle Maßnahme aber würde bedeuten, daß ein eng eingegrenzter Kreis von Landwirten einen Vorteil hätte. Es ist immer wieder beeindruckend, Herr Stutzer, wenn Sie von den kleinen Landwirten erzählen, die auf Einzelgehöften wohnen und die 1978/1979 in Schleswig-Holstein von der Stromversorgung abgeschnitten waren. Das nehme ich Ihnen auch ab. Auf der anderen Seite aber ist zu fragen, was bei dieser Maßnahme für diese kleinen Landwirte überhaupt herausspringt, wenn wir dieses Gesetz beschließen.
Für diese einkommensschwachen Landwirte mit kleinen Betrieben, die nach § 13 a Einkommensteuergesetz behandelt werden, springt bei dieser Anschaffungsmaßnahme überhaupt nichts an Steuervorteilen heraus.
Das Absurde wäre, daß Sie wieder diejenigen subventionieren, Herr Stutzer, die auf Grund ihres Einkommens eh keine Schwierigkeit hätten, ein solches Notstromaggregat anzuschaffen.
Meine Damen und Herren, ich darf hier noch anfügen, daß in dem Bundesratsentwurf vorgesehen ist, daß für alle Notstromaggregate, soweit sie nach dem 31. Dezember 1978 angeschafft worden sind, die Sonderabschreibung auch rückwirkend in Anspruch genommen werden kann. Diese Subventionslogik, die Sie da vortragen, leuchtet mir überhaupt nicht ein: daß nämlich für angeschaffte Güter noch rückwirkend vom Staat ein Kaufanreiz gesetzt werden soll. Dies ist für mich nicht mehr begreiflich, denn das Subventionsziel, nämlich die Anschaffung dieser Güter, ist dann längst erreicht. Diesen Gesetzentwurf müssen Sie sich noch einmal genauer ansehen.Ich möchte abschließend betonen — ich knüpfe da an Frau Matthäus-Maier an —, daß wir uns in einer Situation, in der wir alle der Auffassung sind, daß wir uns unnötige Haushaltsbelastungen ersparen sollten, eine solche Subvention, die so unnötig ist wie ein Kropf, in diesem Parlament überhaupt nicht leisten können. Der Bundesrat bzw. seine Mehrheit gibt durchaus zu, daß diese Maßnahme, wenn wir sie beschließen, dazu führen könnte, daß in ganz anderen Bereichen Begehrlichkeiten entstehen, zu Recht entstehen. Wenn wir auf diese schiefe Subventionsebene kämen, Herr Stutzer, kämen wir sicherlich letzten Endes zu dem Ergebnis, schließlich auch noch die Verbandskästen von Automobilisten finanzieren zu müssen. Es ist einfach so, daß diese Maßnahme über die Ausfallwirkung von 50 Millionen DM hinaus, die hier angesprochen wurde, Kreise ziehen würde. Es würde ein Subventionsfaß geöffnet, dessen Boden Sie überhaupt nicht erkennen können.Meine Damen und Herren, darüber hinaus ist hier auch wieder ein Beispiel für die Inkonsequenz der Opposition anzuführen. Es ist ja immer wieder so — Herr von der Heydt; er ist wahrscheinlich eben vor Scham hinausgegangen, vorher war er da —, daß hier die großen Reden über Steuervereinfachung gehalten werden.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980 16065
Dr. Spöri— Wir hören hier immer große Reden über die Notwendigkeit der Steuervereinfachung. Jetzt machen Sie ein kleines Sondergesetzchen. Ganz elegant wollen Sie eine zusätzliche Steuerkomplizierung im Einkommensteuerrecht einführen. Damit verletzen Sie doch wirklich Ihre sonstigen Vereinfachungsgrundsätze, wenn es konkret ums Eingemachte geht. Das ist doch widersprüchlich.Genauso ist es bei der Subventionsdebatte. Ich muß. noch einmal an dem ansetzen, was Frau Matthäus-Maier vorhin gesagt hat. Wir haben in der übernächsten Plenumssitzung eine Debatte über Subventionen. Die haben Sie durch Ihre Große Anfrage über Subventionen ausgelöst. Meine Damen und Herren, es reicht nicht aus, wenn wir immer wieder globale Grundsätze über Subventionen austauschen und wenn hier a la Pieroth gesagt wird, daß das süße Gift der Subventionen immer stärker in die Adern der Marktwirtschaft eindringt
und daß dann die Unternehmer hinsichtlich ihrer Eigendynamik angeblich erschlaffen. Wenn wir wirklich sparsame, zielgerechte Subventionspolitik machen wollen, dann reicht es nicht aus, daß wir hier grundsätzliche Kriterien für die Gewährung künftiger Subventionen aufstellen und austauschen. Dann müssen wir, Herr Stutzer, auch einmal den Mut haben, in einer konkreten Entscheidungssituation Farbe zu bekennen, wie z. B. bei diesem Gesetzentwurf. Das gilt auch dann, wenn es sich um einen Gesetzentwurf handelt, den eine befreundete CDU-Landesregierung initiiert hat,
wenn man verantwortungsvoll Finanzpolitik machen will. Über Subventionspolitik wird nur im konkreten Fall und nicht bei allgemeinen Debatten entschieden. Es ist ja allgemein Erfahrungsgut, daß die Verhinderung einer derartigen zusätzlichen Subvention, wie sie hier vorgeschlagen worden ist, viel leichter fällt als das oft geforderte Ausmisten im Subventionsdschungel, Herr Stutzer.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Spöri, haben Sie mal in das Protokoll des schleswig-holsteinischen Landtages hineingeguckt, in dem zu lesen steht, daß alle Fraktionen dort, auch Ihre Fraktion, etwas ganz anderes gesagt haben, als Sie hier vortragen? Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?
Lieber Herr Stutzer, ich bin Ihnen sehr dankbar für die Frage. Ich habe dieses Protokoll überhaupt nicht gelesen. Auf jeden Fall haben Sie es mir jetzt zur Kenntnis gebracht. Ich versichere Ihnen, daß ich den Kollegen, ob sie meiner Partei oder Ihrer Partei angehören, genau das gleiche zur Subventionsproblematik gesagt hätte, was ich hier heute im Deutschen Bundestag sage.
Sie wissen doch, daß aus allen Sektoren Anforderungen angemeldet werden. Sie müssen als Finanzpolitiker auch in Ihrer Fraktion stehen und solch eine
zusätzliche Subvention ablehnen und nicht etwa versuchen, hier heute abend eine regionale schleswig-holsteinische Spezialnummer abzuziehen.
Wir geben Ihnen den Rat: Wenn Sie in den künftigen Subventionsdebatten in diesem Parlament ernst genommen werden wollen, lehnen Sie diese unnötige zusätzliche Subvention ab, auch wenn sie vom Bundesrat kommt. Wir werden auf jeden Fall für eine so überflüssige Subventionsmißgeburt heute. abend keine Geburtshilfe leisten.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte es ganz kurz machen. Erstens. Die FDP-Fraktion begrüßt es, wenn möglichst viele Bürger — speziell auch in Schleswig-Holstein — auf Grund der dortigen Erfahrungen künftig im Besitz von Notstromaggregaten sind.
Zweitens. Wir halten aber Abschreibungserleichterungen für das ungeeignete Mittel, für den ungeeigneten Weg. Ich verweise auf meinen Redebeitrag vor etwa 15 Minuten. Ein Problem ist schon genannt worden: Wer keine Steuern zahlt, hat überhaupt keinen Vorteil von einer Abschreibungserleichterung. Dieses Problem ist wirklich so regional, daß es auch regional gelöst werden sollte. Dort kann man es lösen, nicht aber durch die Einfügung eines weiteren Paragraphen, nämlich 7 g, ins Einkommensteuergesetz. Meine Damen und Herren, wer kann sich dann eigentlich noch dagegen wenden, wenn demnächst die bayerische Landesregierung über den Bundesrat angesichts der jetzigen Überschwemmungen einen Gesetzentwurf einbringt, der Abschreibungen für die Anschaffung von Pumpen und Sandsäcken gegen Kellerüberschwemmungen in Passau vorsieht? Dies ist das gleiche auf anderer Ebene; wir halten das für den falschen Weg.
Die dritte Bemerkung. Ich kann Ihnen ein Rezept anbieten, das wir in Nordrhein-Westfalen in solchen Fällen anzuwenden pflegen, wenn ein regionales Problem auftaucht, weil nämlich wir, die sozialliberale Koalition, dort die Regierung stellen, und Sie, Herr Stutzer, tun das ja in Schleswig-Holstein. Da bietet es sich an, daß Ihre Regierung einen Betrag von X DM zur Verfügung stellt, und davon werden direkte, offene Zuschüsse an die betroffenen Bürger gezahlt, wenn sie sich ein Notstromaggregat einbauen. Aber bitte verschonen Sie doch das Steuerrecht mit einer komplizierten Vorschrift für solch eine detaillierte Angelegenheit. Da ist die direkte Subvention durch das betroffene Land — und jedes Land hat da Sonderprobleme — der bessere Weg. Ich denke, damit wären auch die Bürger einverstanden.
Daher müssen wir diesen Gesetzentwurf ablehnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
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16066 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Februar 1980
Vizepräsident WurbsWir kommen jetzt zur Einzelberatung und zur Abstimmung in zweiter Lesung. Der Ausschuß empfiehlt Ablehnung des Gesetzentwurfes. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das zweite war die Mehrheit. Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung abgelehnt.Damit unterbleibt nach § 84 Abs. 3 unserer Geschäftsordung jede weitere Beratung und Abstimmung.Abzustimmen ist noch über eine Beschlußempfehlung des Finanzausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3569 unter Nr. 2, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir stehen damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. Februar 1980, 13 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.