Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich einige Mitteilungen machen.
Nach einer Vereinbarung des Ältestenrates soll die heutige Tagesordnung um die Beratung der Sammelübersicht 52 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 8/3045 — ergänzt werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keine gegenteilige Meinung. Es wird so verfahren.
Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen — Stand: 9. Oktober 1979 — vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufs-/Laufbahnreform im Zusammenhang mit dem Bildungssystem
— Drucksache 8/3228 —
zuständig : Innenausschuß
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen
Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 35 11 Tit. 698 02
— Abgeltung von Schäden —
— Drucksache 8/3222 —
zuständig: Haushaltsausschuß
Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 9. Oktober 1979 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Kiechle, Röhner, Dr. Ritz, Dr. Sprung, Susset, Dr. Früh, Schröder , Baron von Wrangel, Sick, Dr. Jobst, Spranger, Klinker, Eymer (Lübeck), Niegel, Besch, Würzbach, Sauter (Epfendorf), Schartz (Trier), von der Heydt Freiherr von Massenbach, Dr. von Wartenberg, Schmitz (Baesweiler), Carstens (Emstek), Dr. Waigel, Dr. von Geldern, Dr. Meyer zu Bentrup, Biechele, Wissmann, Schwarz, Dr. Jenninger und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Europäisches Währungssystem/deutsche Agrarpreise —Drucksache 8/3184 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/3246 verteilt.
Der Präsident des Deutschen Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember 1977 die in der Zeit vom 19. September bis 9. Oktober 1979 eingegangenen EG-Vorlagen an die aus Drucksache 8/3260 ersichtlichen Ausschüsse überwiesen.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Sozialversicherung der selbständigen
Künstler und Publizisten
— Drucksache 8/3172 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Das ist der Fall. Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr. Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Entwurf eines Gesetzes über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten schließt eine schmerzliche Lücke in unserem sozialen Sicherungssystem, eine Lücke, die in den letzten Jahren zunehmend mehr diskutiert und gelegentlich fast schon ein Ärgernis geworden ist.
Die künstlerische Tätigkeit ist eine Leistung, die anderen Tätigkeiten in Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft nicht nachsteht. Weil unsere Gesellschaft die Künstler braucht, wenn sie nicht geistig und seelisch verarmen will, hat diese gleiche Gesellschaft auch die Pflicht, die Künstler wie alle anderen Erwerbstätigen in das System der sozialen Sicherung aufzunehmen. Das ist kein irgendwie gearteter Gnaden- oder Fürsorgeakt, sondern die Erfüllung eines legitimen Anspruchs. Immer wieder hören wir von Fällen, in denen Künstler, Schriftsteller, deren Werk die kulturelle Landschaft in Deutschland und der Welt mitgeprägt und gestaltet hat, im Alter oder durch Krankheit Not leiden, und zwar nackte, existentielle Not. Wir erfahren sicherlich nur wenig und nicht von allen von dieser Notlage.
Die Frage, was die Gesellschaft von den Künstlern erwartet, ist eng damit gekoppelt, was die Gesellschaft für ihre Künstler nicht nur an geistiger Freiheit, sondern auch an sozialer Sicherung bereitstellt. Die in Art. 5 des Grundgesetzes zugesicherte Freiheit der Kunst bleibt so lange auf den Teilaspekt der Freiheit von staatlicher Bevormundung — wichtig genug, aber allein nicht ausreichend — beschränkt, solange die sozialen Sicherungen zur Ge-
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Bundesminister Dr. Ehrenberg
währleistung dieser Freiheit nicht ebenfalls geschaffen werden. Wissenschaftliche Untersuchungen beweisen durchgängig, daß die größten sozialen Probleme von freien Künstlern und Autoren aus dem häufigen Fehlen von Risikoabsicherungen für Alter, Krankheit und Erwerbsunfähigkeit resultieren. Diesem Zustand für die Zukunft ein Ende zu bereiten ist das Ziel des vorliegenden Gesetzentwurf es.
Mir scheint, über dieses Ziel besteht sowohl hier im Hause als auch bei den Bundesländern als auch bei den Beteiligten Einigkeit. Weniger Einigkeit besteht über die Art und Weise und die Methode, mit der dieses Ziel zu erreichen ist. Es hat Kritik am vorliegenden Gesetzentwurf gegeben, vor allen Dingen von denen, die einen Teil der notwendigen Leistungen aufzubringen haben. Das ist bei Sozialleistungsgesetzen fast immer so.
Wir sind offen für Vorschläge, wie man es besser, angemessener machen könnte. Wir sind nicht offen für Vorschläge, dieses Gesetz nicht zu verabschieden oder den Entwurf so mit Empfehlungen zu befrachten, daß er auf endlose Zeit vertagt wird. Wir glauben, dieses Gesetz muß zügig verabschiedet werden.
— Ich hoffe, niemand,
aber in den Zeitungen liest man sehr viel davon. Auch Sie lesen vielleicht gelegentlich jene große Zeitung, hinter der sich bekanntlich immer ein kluger Kopf verbergen soll. Dort stand neulich unter der Überschrift „Darf man Künstler sozialversichern?" sehr vieles, was darauf hinauslief, daß man es nicht tun sollte. Wir sind entschlossen, es zu tun, und werden es tun.
Denn was es da — wie in dieser großen Zeitung — an Vorschlägen gibt, läuft so ein bißchen auf die von Anatole France einmal skizzierte Freiheit hinaus, daß es den Reichen und den Armen in gleicher Weise gestattet sei, unter Brücken zu schlafen. Nicht das allein verstehen wir unter Freiheit; wir verstehen darunter sehr viel mehr. Die soziale Sicherung muß unabdingbar hinzukommen.
— Herr Franke, warum reden Sie eigentlich hier immer so ganz anders als im Ausschuß? Das ist etwas, was schwer verständlich ist,
was aber wahrscheinlich unvermeidlich ist.
So wird also dieser Entwurf die auf diesem Gebiet notwendigen Regelungen bringen.
Lassen Sie mich hier nicht die Einzelheiten des Entwurfs darstellen, aber die Grundgedanken noch einmal hervorheben.
Das Ziel einer durchgreifenden sozialen Sicherung der Künstler und Publizisten kann nur mit einer Versicherungspflicht erreicht werden, und zwar grundsätzlich durch die Einbeziehung in die bestehende Rentenversicherung und in die gesetzliche Krankenversicherung. Eine gesonderte Versicherungseinrichtung oder gar mehrere davon können dieses Ziel nicht erreichen; ein Töpfchendenken verschiedener Einrichtungen wäre hier unangebracht. Das spricht nicht gegen bestehende Versorgungseinrichtungen, die teilweise auch den Künstlern und Publizisten die Möglichkeit geben, Ansprüche zu erwerben. So wie die betriebliche Alterssicherung als Zusatzsicherung bei vielen Arbeitnehmern zur Rentenversicherung hinzukommt, ist das auch hier mit Versorgungseinrichtungen möglich, aber das ändert nichts an der Notwendigkeit einer umfassenden Versicherungspflicht. Nur die Einbeziehung in die große Solidargemeinschaft der Sozialversicherung kann dieses Problem wirklich lösen. Das bedeutet aber auch, daß die Künstler und Publizisten die gleichen Pflichten wie die anderen Mitglieder dieser Solidargemeinschaft haben müssen — und natürlich auch die gleichen Rechte, nicht mehr und nicht weniger.
Der Entwurf muß notwendigerweise Regelungen enthalten, die auf die besonderen Lebensverhältnisse dieses Personenkreises, die zum Teil von denen der Arbeitnehmer sehr unterschiedlich sind, Rücksicht nehmen, aber es sollte keine Bevorzugungen auf Kosten der Versichertengemeinschaft geben. Wo der Entwurf vielleicht im Detail dieses Ziel noch nicht erreicht, sollte er verbesserungsfähig sein.
Die nach diesen Grundsätzen in die für Arbeitnehmer geltende Versicherungspflicht einzubeziehenden freiberuflichen Künstler und Publizisten sollen wie die Arbeitnehmer einen nach den gleichen Größenordnungen bemessenen Beitrag zahlen. Die andere Hälfte des Beitrages wird durch eine Künstlersozialabgabe aufgebracht, die von den professionellen Vermarktern für Kunst und Publizistik gezahlt wird, und nur für jenen Teil, bei dem Vermarkter nicht vorhanden sind, weil die Künstler ihre Produkte selber an den Markt bringen, wird dieser fiktive Arbeitgeberbeitrag durch einen Bundeszuschuß abgegolten. Ich glaube, daß diese Konstruktion angemessen ist, weil die Vermarkter wie die Arbeitgeber in einem Arbeitnehmerverhältnis hier die Technik zur Verfügung stellen, das Kapital aufbringen sowie die Vervielfältigungstechniken, das Verteilernetz und die kaufmännischen Dispositionen besitzen, so daß wir hier eine der Versicherungspflicht für Arbeitnehmer nachgebildete vernünftige Konstruktion gefunden haben. Daß das bei Galeristen und anderen Vermarktern zu einer gewissen Belastung führt, ist unvermeidlich; aber jeder Arbeitgeber ist in gleicher Weise mit Sozialabgaben belastet. Ich sehe keinen Grund, hier darauf zu verzichten.
Ein letztes Wort sei mir in dieser kurzen Einführung zu der Errichtung einer besonderen Künstlersozialkasse gestattet, die der Gesetzentwurf vorsieht. Ich weiß, daß die Einrichtung einer neuen Behörde, auch wenn sie noch so klein ist, immer
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Bundesminister Dr. Ehrenberg
auf Skepsis stößt und immer die Frage gestellt wird, ob man das nicht von einer schon bestehenden Einrichtung durchführen lassen könnte. Ich glaube, diese besondere Einrichtung ist hier notwendig, um den Besonderheiten, vor allen Dingen auch den Besonderheiten der Künstlersozialabgabe bei der Einziehung dieser Mittel Rechnung zu tragen. Keine der bestehenden Versicherungseinrichtungen ist auf eine solche Art Abgabe eingestellt, und ich glaube schon, daß es unverzichtbar ist, daß ein sehr kleiner Kreis zusätzlicher Fachkräfte — sehr viele brauchen das nicht zu sein — die Künstlersozialabgabe festsetzt und einzieht, den Bundeszuschuß erhält, um dann beides zusammen mit den von den Künstlern und Publizisten zu zahlenden Beiträgen an die Träger der Rentenversicherung und die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung abzuführen oder wegen des Wahlrechts, das den Künstlern genauso wie den Angestellten eingeräumt wird, den Beitragszuschuß zu einer privaten Krankenversicherung auszuzahlen. Wir haben sorgfältig geprüft, ob eine der bestehenden Einrichtungen das ohne Veränderungen übernehmen könnte, und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß das kaum möglich sein wird. Wir sind aber der Meinung, daß diese kleine selbständige Künstlersozialkasse einer bestehenden Einrichtung angegliedert werden sollte, um dort die Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung und die technischen Dinge mit in Anspruch nehmen zu können, um die neue Einrichtung kostenmäßig tatsächlich so klein wie nur möglich halten zu können.
Ich glaube, daß wir mit diesem vorgelegten Gesetzentwurf, mit der damit geplanten Künstlersozialversicherung eine moralische Verpflichtung gegenüber einer Berufsgruppe erfüllen, der wir als einzelne und als Gesellschaft insgesamt wesentlich mehr zu verdanken haben, als sich in Geldbeträgen oder Verkaufsauflagen überhaupt ausdrücken läßt. Die Einbeziehung dieses Personenkreises in unser umfassendes soziales Sicherungssystem erscheint mir als eine selbstverständliche Konsequenz unseres immer lückenloser geknüpften Netzes der sozialen Sicherheit.
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn dieses Gesetz in dem zuständigen Ausschuß zügig beraten wird, damit es wie vorgesehen in Kraft treten kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Becker .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Die Bundesregierung hat dem Deutschen Bundestag den Entwurf eines Gesetzes über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten vorgelegt. Darin wird die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und in der gesetzlichen Krankenversicherung auf alle Künstler und Publizisten ausgedehnt, soweit sie nicht schon anderweitig kraft Gesetzes eine Alters- oder Krankenversicherung haben.
Die Bundesregierung bezieht sich dabei auf ihren Bericht über die wirtschaftliche Lage der künstlerischen Berufe vom Januar 1975. Dieser Künstler-Bericht war auf Grund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 1971 erstellt worden. Er verwertet Erhebungen und Angaben aus der Volkszählung 1970, aus dem Mikrozensus 1972 und aus Schätzungen aus einer mündlichen Umfrage unter 3 000 Künstlern im gleichen Jahr.
Es hatte sich damals gezeigt, daß in der Alterssicherung, aber auch in der Vorsorge gegen Krankheit erhebliche Lücken im Versicherungsschutz der Künstler bestanden. Dabei waren die selbständig tätigen Künstler deutlich schlechter geschützt als die abhängig beschäftigten. Einzelne Gruppen wiesen eine besonders ungünstige Lage auf. Dies waren zum einen die unter 30jährigen und vor allem die über 65jährigen. Aber auch in den einzelnen Kunstsparten zeigten sich deutliche Unterschiede, Nachteile vor allem bei den bildenden Künstlern, hier bei den Malern und Bildhauern, bei den Kunsthandwerkern, aber auch bei den Grafik-Designern. Jedoch auch bei den Kunstschaffenden in der Musik und geringer in der darstellenden Kunst waren deutliche Lücken in der Vorsorge festzustellen. Die Vorsorge für das Alter war allgemein schlechter als die Vorsorge für den Krankheitsfall.
Alle Parteien im Deutschen Bundestag hielten es damals und halten es auch heute für notwendig. und geboten, die soziale Sicherung der Künstler und Publizisten zu verbessern.
Leider ließen die Initiativen der Bundesregierung nach diesem Bericht sehr lange auf sich warten. Kurz vor Ende der vorigen Wahlperiode, am 4. Juni 1976, wurde ein Entwurf für ein KünstlerSozialversicherungsgesetz vorgelegt, der aber aus Zeitgründen nicht mehr beraten werden konnte.
Jetzt, am Ende des dritten Jahres der neuen Wahlperiode, liegt dem Bundestag dieser neue Entwurf vor. Er weist gegenüber dem vorigen Entwurf nur einige wenige Änderungen auf. Er hat aber eine ganze Reihe von Haken und Osen, die unseres Erachtens so gravierend sind, daß bei grundsätzlicher Anerkennung der Notwendigkeit der Verbesserung der Alterssicherung der Künstler das „Wie" einer solchen Reform, der Weg zur Verbesserung der Alterssicherung noch einmal von Grund auf überprüft und überdacht werden sollte.
Es scheint, als habe die Bundesregierung in dieser wichtigen Frage neuerdings die betroffenen Verbände, Künstler und Publizisten gar nicht mehr gehört, obwohl schon bei den Anhörungen zum Vorentwurf 1976/77 fast alle Verbände, auch die vom Gesetz Begünstigten, erhebliche und schwerwiegende Einwände gegen die Grundkonzeption des Gesetzes bis hin zu verfassungsrechtlichen Bedenken vorbrachten. Die verfassungsrechtlichen Bedenken wurden inzwischen durch Gutachten untermauert. Eine mangelhafte Hinzuziehung der Betroffenen zur Beratung erscheint um so bedenklicher, als die Materie auch nach Aussage der Bundesregierung äußerst kompliziert und vielgestaltig ist.
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Dr. Becker
Auch den Ländern wurde keine Gelegenheit gegeben, den Gesetzentwurf zu besprechen, und zwar mit einer eigenartig anmutenden Begründung, die da lautet: „Damit wollten wir vermeiden, daß dieser Entwurf das Schicksal seines Vorgängers erleidet", wie Frau Staatssekretärin Fuchs im Bundesrat ausführte.
Seit dem Zeitpunkt der Erhebungen im Künstlerbericht sind sieben Jahre verstrichen, in denen sich einiges in der sozialen Lage der Künstler geändert haben dürfte. So konnte z. B. der Künstlerbericht die Auswirkungen der erst 1972 rechtswirksam gewordenen Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige mit der Möglichkeit zum Beitritt als Pflichtversicherte oder freiwillig Versicherte über mehrere Jahre hinweg noch gar nicht erfassen. Hier dürften die Erhebungen aus dem Jahre 1972 nicht mehr der Realität entsprechen. Viele selbständige Künstler dürften von der Möglichkeit der freiwilligen Versicherung Gebrauch gemacht haben.
Einen weiteren erheblichen Mangel des Gesetzentwurfs sehen wir in der Tatsache, daß die Künstlersozialabgabe auch von Werken von Künstlern erhoben wird, die selbst keinerlei Leistungen aus der Künstlersozialversicherung erhalten können. Alle Künstler finanzieren, aber nur wenige erhalten die Leistungen aus dem Künstlersozialversicherungsgesetz. Dies kann in einzelnen Sparten bis zu einem Verhältnis von 20 : 1 gehen. Dieses massive Auseinanderklaffen zwischen der Leistung der Gebenden und dem Nutzenkönnen ist für die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion so nicht tragbar. Die Ungleichheit zwischen Verpflichteten und Begünstigten stellt ein großes Problem dar und würde zu massiven Ungerechtigkeiten führen, die nicht unter dem Deckmantel der Solidarität verborgen werden dürfen.
In dem Gesetzentwurf wird mit keinem Wort das Problem der ausländischen Künstler erwähnt. Wenn z. B. im Musikbereich 40 % der Künstlerhonorare der phonographischen Wirtschaft an ausländische Künstler gehen, so ist dies keineswegs nurmehr ein „Problemchen". Hier muß entschieden werden, ob Abgaben auf künstlerische Leistungen erhoben werden können, wenn diese ausländischen Künstler nie zu den Begünstigten zählen können.
Die Künstlersozialabgabe stellt den krampfhaften Versuch dar, einen fiktiven „Arbeitgeberbeitrag" für selbständige Künstler und Publizisten zu konstruieren. Auch bei dieser Abgabe, die verwertende Agenturen, Direktionen, Galerien, Verleger und viele andere aus allen Honoraren und Tantiemen — gleichgültig, ob an selbständig oder abhängig Beschäftigte, ob an inländische oder ausländische Lizenznehmer — zahlen, gibt es viele Deckungsungleichheiten.
Eine weitere wichtige Dissonanz ist zu nennen: Die Abgaben bei den einzelnen Verwertergruppen sind von erheblich unterschiedlichem wirtschaftlichem Gewicht. Bei einer Galerie wirkt sich die Abgabe von 8 °/o der Honorare viel stärker aus als etwa bei einem Verleger. Bei den Galerien kann eine solche Sonderabgabe schon massiv die Existenz bedrohen. Bei den Verlegern wird sie die ohnehin schon angespannte Kostensituation noch verschlechtern. Die Höhe der Abgabe richtet sich hier nur nach den Honoraren, nicht' nach dem Umsatz, nicht nach der finanziellen Leistungsfähigkeit der Unternehmen.
Da nach den Regeln der Ökonomie wohl immer versucht wird, diese zusätzlichen Abgaben auf den Verkaufspreis zu schlagen und an den Verbraucher weiterzugeben, ist nicht auszuschließen, daß durch die Verteuerung von Kunstwerken der Verkauf schwieriger wird und dadurch die Begünstigten im Endeffekt selbst benachteiligt werden. Auch ist nicht von der Hand zu weisen, daß andere Unternehmen versuchen werden, die Honorare um die Abgaben selbst zu kürzen. Dies würde vor allem die Künstler treffen, die noch gar nicht bekannt sind oder deren Stellung am Kunstmarkt noch nicht gefestigt ist.
Für viele Künstler gibt es nicht einmal einen fiktiven „Arbeitgeber". Sie verkaufen häufig ihre Bilder direkt, oder sie erhalten ihre Honorare direkt vom Musikschüler.
Lassen Sie mich darüber hinaus noch ein Wort zur politschen Systematik der Künstlerabgabe sagen. Die Bundesregierung betrachtet, wie gesagt. diese Abgabe als einen fiktiven „Arbeitgeberbeitrag". Er ist jedoch nicht lohn- und einkommensbezogen, wie dies sonst bei den Arbeitgeberanteilen in der Sozialversicherung der Fall ist. Daher muß man vermuten, daß diese Art Künstlersozialabgabe wohl als Pilotvorhaben, als eine Art Versuchsballon für eine Umstellung der Beitragsbemessung in der Sozialversicherung von den Löhnen weg auf andere Bemessungsgrundlagen hin laufen soll.
— Ich erinnere in diesem Zusammenhang, Herr Wehner, an die vor kurzem von dem Bundesarbeitsminister in die Diskussion gebrachten Sozialversicherungsbeiträge von Maschinen — eine Diskussion übrigens, die in den 60er Jahren schon einmal gelaufen ist, und zwar mit negativem Er-
Wir sollten uns auch sehr hüten, bei den betroffenen Künstlern Illusionen aufzubauen. In unserem Rentenversicherungswerk richten sich die Leistungen nach den eingezahlten Beiträgen. Sind diese zu gering, dann sind auch die Rentenleistungen niedrig. Darin liegt die besondere Schwierigkeit bei der sozialen Absicherung derjenigen Künstler, die kaum das Nötigste zum Leben verdienen. Mit Mindestbeiträgen ist keine ausreichende Alterssicherung zu erreichen. Hier hilft dieser Gesetzentwurf den wenig verdienenden Künstlern kaum, da sie von dem wenigen noch Beiträge bezahlen müssen und darüber hinaus nicht genügend im Alter gesichert werden.
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Dr. Becker
Der Gesetzentwurf erwähnt mit keinem Wort die zahlreichen schon bestehenden berufsständischen Versorgungswerke und Einrichtungen, die überwiegend von den — scheußliches Wort, Herr Bundesminister! — „Vermarktern" von Kunst und künstlerischen Leistungen getragen werden. Hier sind ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu nennen die Versorgungs- und Sozialwerke der Verwertungsgesellschaften GEMA, Wort und Wissenschaft, der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst, der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten für Bühnen- und Konzertkünstler, das Versorgungswerk der deutschen Presse, die Pensionskasse freier Rundfunkmitarbeiter, die Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen, die Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester und noch viele andere. Zum Teil wurden sie sogar durch gesetzliche Verpflichtungen für die Verwertungsgesellschaften geschaffen.
Das Nicht-Erwähnen dieser zahlreichen und auch teilweise umfangreichen Versorgungswerke deutet darauf hin, daß diese Selbsthilfeeinrichtungen wohl alle in der Versenkung verschwinden sollen. Durch die Künstlersozialversicherung werden diese Versorgungswerke erheblich in ihrem Mitgliederstand berührt. In den Beratungen in dem zuständigen Ausschuß müssen wir diese Konkurrenzproblematik besonders eingehend untersuchen.
Ein besonderer Mangel des Entwurfs liegt wohl darin, daß die wirklichen „Sozialfälle" nicht erfaßt werden, nämlich die älteren Künstler und Publizisten. Ich erwähnte eingangs schon, daß gerade in ihren Reihen große Lücken der Vorsorge im Krankheitsfall und für das Alter nach dem allerdings überholten Künstlerbericht bestehen. Auch hier müssen wir nachdenken und uns etwas einfallen lassen, wie zu helfen ist.
Es ist festzustellen, daß Beiträge, Künstlersozialabgabe und Staatszuschuß von jährlich 75 Millionen DM zunächst 15 Jahre lang nur der Rentenversicherung zugute kommen werden. Dann erst kann nach den Rentengesetzen eine Altersrente bezogen werden. Man muß fragen, warum nicht gleich für die wirklich Bedürftigen etwas getan werden kann.
Die Bundesregierung will den Rentenversicherungsträgern und gesetzlichen Krankenversicherungen, in die alle Künstler und Publizisten aufgenommen werden sollen, eine Künstlersozialkasse vorschalten. Sie begründet dies mit der Kompliziertheit der Materie, mit Schwierigkeiten bei der Erfassung der Pflichtversicherten und der Meldepflicht. In dem Gesetzentwurf wimmelt es geradezu vom Meldebögen, laufenden Aufzeichnungsanforderungen, Buchungen, Nachfragen, Überprüfungen — kurz gesagt: es wimmelt nur so von Bürokratie. Angeblich soll diese Arbeit von wenigen Beamten, Angestellten und Arbeitern bewerkstelligt werden können; aber was aus solchen. Bürokratien, aus solchen Einrichtungen oft wird, kann an vielen Beispielen bürokratischer Aufblähung aufgezeigt werden. Hier muß ernsthaft geprüft werden, ob eine Künstlersozialkasse überhaupt erforderlich ist und ob die Vorschaltaufgaben, die zweifellos nötig
sind, nicht auch auf anderem Weg mit weniger Bürokratie geleistet werden können.
Schon haben sich zahlreiche Verbände und Einrichtungen bis hin zum Deutschen Städtetag gemeldet, die erhebliche Bedenken und Einwände gegen diesen Gesetzentwurf vorbringen. Umstritten sind überhaupt die Zahlen der Betroffenen, die Künstlersozialabgabe, die Künstlersozialkasse, die Praktikabilität des Gesetzes und die Verfassungsmäßigkeit vieler Bestimmungen. Wir werden diese Schwachpunkte eingehend zu prüfen haben. Wir werden die Betroffenen anhören, vor allem aber für die notleidenden und unzureichend gesicherten Künstler und Publizisten die soziale Lage verbessern müssen. In diesem Ziel gehen wir in der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion mit den anderen Parteien völlig einig. Wir wollen dabei auch nach Kräften mithelfen, dieses Ziel zu erreichen. Wir hoffen aber, daß dann ein gutes Gesetz zustande kommt, das nicht das Schicksal der letzten Lex Lattmann hat. Damals wurden bei den Künstlern Hoffnungen auf mehr soziale Sicherheit ausgelöst, als besagter Kollege auf eine Ausweitung des Tarifvertragsgesetzes drängte und die freien Mitarbeiter der Rundfunk- und Fernsehanstalten unter den Schutz des Tarifvertrages bringen wollte. Die gefundene Regelung war aber so unpraktisch, daß bis heute kein einziger Tarifvertrag vereinbart wurde. Hüten wir uns also vor leeren Hülsen. Machen wir etwas Gutes aus diesem mangelhaften und vielfältig kritisierten Gesetzentwurf.
Das Wort hat der Abgeordnete Lattmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Endlich ist es so weit, daß der Bundestag sich in erster Lesung mit dem Gesetzentwurf zur Künstlersozialversicherung befassen kann. Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt diesen Gesetzentwurf nicht nur, sondern sie hat die feste Absicht, ihn in der verbleibenden Zeit der Legislaturperiode auch Gesetz werden zu lassen. Wir wissen, daß dies nur gelingt, wenn es zum Konsens aller Beteiligten und Betroffenen und auch zum Konsens der Fraktionen kommt. Deswegen sind wir dankbar dafür, daß die CDU/CSU-Fraktion im Prinzip ihre Bereitschaft bekundet, daran mitzuwirken.
Im übrigen sieht die Koalition diesen Gesetzentwurf nicht vereinzelt als ein einziges Stück Künstlerpolitik, sondern für uns ist dies ein Eckstein im Rahmen der Künstlerpolitik der Koalition, wo wir auch noch andere Dinge abschließend zu behandeln haben, als da sind: steuerpolitische Verbesserung, die intensivere Mitwirkung der Künstler und Autoren an der kulturellen Außenpolitik und vor allem etwas, was in den letzten Tagen viel und zum Teil mit einem merkwürdigen Zungenschlag behandelt worden ist, nämlich eine länderübergreifende Kulturförderung aus dem Ressort des Bundesministers des Innern im Sinne der Aufgabenlö-
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sung, die der Deutschen Nationalstiftung zugedacht ist.
Wenn dies hier auch nicht mein Thema ist, dazu nur ein klärendes Wort. Die SPD und die FDP haben im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft mit ihrer Mehrheit beschlossen, den Haushaltsausschuß aufzufordern, diese Mittel teilweise zu entsperren und mit der Förderung durch einen Kunstfonds, einen Literaturfonds und einen Musikfonds zu beginnen. Dies ist so mißinterpretiert worden, als verzichte die Koalition damit auf das Vorhaben einer Kulturstiftung der Bundesrepublik. Wir allerdings verstehen es genau umgekehrt. Wir sind absolut offen einerseits für die sofortige Kulturförderung, und andererseits soll das in einer Weise geschehen, die, falls Bund und Länder sich einigen, die Errichtung einer späteren Stiftung in keiner Weise behindert.
— Die Kulturstiftung der Bundesrepublik liegt schon deswegen nahe, Herr Kollege Pfeifer, weil der Haushalt 1980 den Bereich Kultur, Bund und Länder übergreifend, bereits in der Größenordnung von 208 Millionen DM fördert, so daß die Behauptung, er dürfe dies gar nicht, sich als absurd erweist.
Nun aber zu dem Gesetz der Künstlersozialversicherung im einzelnen. Das Vorhaben war schon einmal in Gesetzesform gegossen, nämlich am 2. Juni 1976. Die über dreijährige Verzögerung ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß ein Teil der Mitbetroffenen, nämlich kulturelle Unternehmer, über ein Verfassungsgutachten Einwände erhoben haben. Das ist legitim, aber leider hat dies eine erhebliche Verzögerung verursacht.
Wenn jetzt der verbesserte zweite Gesetzentwurf hier in erster Lesung behandelt wird, so betone ich, daß unsere Fraktion, was die Regelung der Einzelheiten anbelangt, denkbar offen ist. Es gibt keine Detailfestlegungen in bezug auf irgendeinen derzeit noch umstrittenen Punkt.
Inhaltlich — damit auch das im Kern in zumindest einem Satz der Öffentlichkeit gesagt ist — geht es bei diesem Gesetzentwurf darum, daß Künstler und Autoren und Interpreten, alle am künsterlischen Geschenden freiberuflich Mitwirkenden, in das Rahmenwerk der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung einbezogen werden, und zwar mit einer Reihe von Ausnahmen, die der einen Gruppe zu eng erscheint und der anderen Gruppe zu weit gezogen.
Wie sieht es mit der Resonanz auf den Gesetzentwurf aus? Die Künstler, Publizisten, Interpreten und künstlerisch Mitwirkenden, die von diesem Gesetz in erster Linie profitieren werden, haben diesen. Gesetzentwurf durchgehend begrüßt. Leider hat das nicht dieselbe Öffentlichkeit gefunden wie
die Resonanz kultureller Unternehmer. Jedenfalls liegen uns schriftliche Stellungnahmen der Gewerkschaft Kunst im DGB, des Schriftstellerverbandes und der Journalistenunion in der IG Druck und Papier, des Bundesverbandes bildender Künstler, der Graphikdesigner, des Künstlerbundes, des PEN-Zentrums der Bundesrepublik bis hin zu dem Verband der Jazzmusiker vor, die alle sagen: Dies ist als politisches Vorhaben ein dringend notwendiges Vorhaben. Sie wollen in dem Hearing, das möglichst bald vor dem federführenden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung stattfinden soll, jedoch Einzelverbesserungsvorschläge machen.
Allerdings sind auch eine Reihe von Künstlern und Autoren — was die Inhalte des Gesetzes anbelangt — irritiert, dies leider nicht ohne den Umstand, daß einige kulturelle Unternehmer die Künstler irritieren, indem sie das Gesetz ihnen gegenüber in einer Weise darstellen, wie es nicht gemeint ist.
Deswegen nun zur Resonanz der kulturellen Unternehmer und Auftraggeber in den elektronischen Medien. Sie haben in den letzten Wochen wortstark ihre Stimme erhoben. Das liegt auch nahe, weil die Zeitungsverleger, die diese veröffentlichte Meinung transportieren, selber auch Mitbezogene und Mitbetroffene dieses Gesetzes sind. Aber das Ja, das die kulturellen Auftraggeber im Prinzip zur Sozialversicherung der Künstler gesagt haben, wird so gewaltig mit Detaileinwänden befrachtet, daß es fast schon ein Ja ist, das den Gesetzentwurf erschlagen könnte, wenn wir nicht aufpassen.
Deswegen bitte ich noch einmal alle Kollegen, auch diejenigen, die in der Öffentlichkeit über dieses Vorhaben urteilen, zu sagen: Die Regelung ist notwendig; sie ist notwendig in einem Land, in einer Nation, die für sich besonders gern das Attribut der Kulturnation in Anspruch nimmt.
Aber wir betreten versicherungstechnisch Neuland. Für die klassischen sozialpolitischen Bestrebungen ist diese Berufsgruppe der Schwierigen und Nachdenklichen im Lande genauso schwer greifbar wie etwa das Denken von Kunsthändlern und Buchverlegern. Wir alle miteinander müssen tatsächlich mit einem Höchstmaß an Phantasie und Beweglichkeit in die Debatte gehen. Im übrigen wird mein Kollege Egon Lutz auf die sozialpolitischen Aspekte der Gesetzgebung im einzelnen noch etwas weiter eingehen.
Ich möchte mich hier in erster Linie mit neun Einwänden der kulturellen Unternehmer und zwei hier soeben von Herr Kollegen Becker vorgetragenen zusätzlichen Einwänden der Opposition befassen.
Der erste Einwand lautet, es gebe ein konstruiertes Arbeitnehmerverhältnis, das die Realität gar nicht bezeichne. Liebe Kolleginnen und Kollegen, erinnern wir uns doch daran, daß wir hier am 11. Juni 1974 einstimmig — also mit Ihren Stimmen — ein Gesetz beschlossen haben, in dem wörtlich ein „arbeitnehmerähnlicher Status" der Künstler und Autoren beschlossen wurde, nämlich in einem Artikelgesetz namens Heimarbeitsgesetz; es
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ist § 12 a des Tarifvertragsgesetzes, der sehr wohl bei Hörfunk und Fernsehen zu Abschlüssen geführt hat. Es ist nicht so, wie Sie hier behauptet haben, Herr Kollege Becker. Im Bereich der Verleger und Autoren gibt es zumindest einen Vorläufer, nämlich einen Mustervertrag mit Rahmenbedingungen. Wir alle haben damals diesen arbeitnehmerähnlichen Status der Künstler und Autoren begrüßt. Es ist also eine Fortsetzung, wenn wir ihn jetzt in diesem Gesetz erneut beschreiben. Daß das Zahlenwerk dabei fragwürdig bleibt, wissen wir alle. Ich bin ganz sicher, daß wir eine halbe Generation Erfahrung brauchen, bis wir genau wissen, wie es sich mit den Zahlen verhält. Eben deswegen muß die Form der Behandlung offenbleiben.
Zum zweiten Einwand, die Solidaritätsgemeinschaft sei bei weitem zu groß gezogen, ja, sie sei sogar ein Verfassungsproblem. Die Solidaritätsgruppierung muß weitgefaßt sein, wenn wir den ökonomischen Rahmen für das Gesetz beibringen wollen. Ich möchte nur für diejenigen, die den Gesetzentwurf kritisieren, darauf hinweisen, daß es auf der Basis der Eigeninitiative und Freiwilligkeit z. B. der Schriftsteller bereits solch weitgefaßte Solidaritätsprinzipien gibt. Dieser Bundestag hat in der 6. Legislaturperiode einstimmig eine Urheberrechtsnovelle beschlossen, die zur sogenannten Bibliotheksabgabe geführt hat. Bei der VG-Wort, der GEMA der Autoren, gehen aus diesen Mitteln jährlich über 10 Millionen DM an Bibliotheksabgabe ein. Das ergibt für den Sozialfonds der VG-Wort und das Autorenversorgungswerk über 3 Millionen DM jährlicher Mittel. Da ist die Solidaritätsgemeinschaft wie folgt gestaltet: Die Jounalisten profitieren voll von dem Sozialwerk, obwohl nur die Schriftsteller Bibliotheksabgabe einbringen. Das heißt, eine Berufsgruppe hat erklärt: Wir wollen dieses Geld nicht nur für uns, sondern unsere schreibenden Kollegen von Presse und elektronischen Medien sollen von dieser Bibliotheksabgabe voll mitprofitieren. Dies sei denen zur Erinnerung gesagt, die mit dem Begriff einer zu engen Solidaritätsgemeinschaft operieren.
Ein dritter Einwand, der auch 'von Herrn Becker aufgeführt wurde, lautet: Die sozialen Versorgungswerke bei den Verwertungsgesellschaften, die dem Verwertungsgesellschaftengesetz unterworfen sind und 10 % ihrer sämtlichen Einnahmen für Sozialwerke bereitstellen müssen, würden ramponiert. Nein. Sie werden eine zusätzliche Funktion haben. Sie werden im Verhältnis zur gesetzlichen Künstlerversicherung etwa so zu sehen sein, wie betriebliche Ergänzungsversicherungen und Sozialleistungen zu beurteilen sind. Jedenfalls brauchen diejenigen, die in diesen Versorgungswerken jetzt versichert sind und von dort Leistungen beziehen, nicht zu fürchten, hier gingen Besitzstände kaputt.
Der vierte Einwand bezog sich auf die Künstlersozialabgabe. Da möchte ich wieder den kulturellen Unternehmern eine Erinnerung mit auf den Weg geben, wenn sie diese Abgabe generell verdammen. Die Buchverleger selbst sind doch diejenigen, die die Idee erfunden haben, die Schriftsteller haben sie nur aufgegriffen. Auf der Buchmesse 1970 hat der Börsenverein der Verleger und Buchhändler den Schriftstellern angeboten, 5% zusätzlich zum Honorar zu zahlen, wenn die Autoren selbst von ihren Honoraren 5 % für die Altersversicherung aufbringen. Dies war die Idee der Künstlersozialabgabe. Dies ist jetzt im Prinzip als Gedanke in das Gesetz gekommen. Wir bitten nicht nur die Buchverleger, sondern auch die anderen kulturellen Unternehmer, sich an diese Genesis zu erinnern.
Ein fünfter Einwand bezog sich auf die Künstlersozialkasse. Es wurde gesagt, das gäbe eine riesengroße Bürokratie und es bedürfe gar keiner eigenen Institution. Vielleicht brauchen wir sie nicht. Wir sind da offen. Wir wollen nicht unbedingt eine eigene Behörde. Aber wenn es eine gibt, dann hat sie höchstens zehn Beamte, vielleicht auch nur acht. Hören Sie also bitte auf, von einer Riesenbürokratie zu reden. Es handelt sich um eine Vorschaltstelle, um eine Clearingstelle, die im übrigen auch einen Erfinder hat, nämlich den Vorsitzenden der Arbeitnehmerarbeitsgemeinschaft der SPD, den ehemaligen Bundesbildungsminister und sozialpolitischen Staatssekretär Helmut Rohde. Diese Clearingstelle ist also das, was wir mit Künstlersozialkasse meinen. Sie ist nichts als eine praktische Vorschaltstelle zur Bundesversicherungsanstalt für Angestellte.
Sechster Einwand. Die Freiheit der Freiesten im Lande würde begrenzt, wenn sie jetzt zwangsweise versichert würden. Da möchte ich doch einmal denjenigen, die von dieser Freiheit so gerne aus diesem Anlaß reden, sagen, daß es ganz andere Themen gibt, bei denen wir die Freiheit wichtiger nehmen sollten. Ich denke zum Beispiel an die Meinungsfreiheit der Künstler und Autoren.
Wenn wir die, die tatsächlich ökonomisch und sozialpolitisch weniger abgesichert sind, als sich das Arbeitnehmer in unserem Lande nur noch vorstellen können, jetzt einbeziehen in unser großes Rahmenwerk der gesetzlichen Alters- und Krankenversicherung, dann geben wir ihnen das Minimum an Sicherheit, das sie brauchen, um ihre berufliche, ihre intellektuelle, ihre geistige Unabhängigkeit zu bewahren.
Siebter Einwand: Bundeszuschuß. Das ist dem einen zu viel und dem anderen zu wenig. Lassen sie uns doch einmal ganz nüchtern darüber reden. Jedenfalls geht es doch darum — das müßten auch die kulturellen Unternehmer sehen —: Wenn dieser Bundeszuschuß schon kommt, dann verhilft er doch, so wie er im Augenblick gedacht ist, eigentlich mehr den Kulturunternehmern zur Entlastung ihres Budgets als den Künstlern und Autoren. Deswegen sollten sich die Kulturunternehmer nicht dagegen wenden, sondern sie sollten sagen: Hier wird eine zusätzliche Hilfe zu ihren arbeitgeberähnlichen Anteilen beigebracht.
Achter Einwand: Die Reichen zahlen für die Armen. Das möchte ich insbesondere auch meinem
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Lattmann
Kollegen Kleinert von der FDP sagen, der in dieser Sache seine Stimme mehrfach in einer Weise erhoben hat, die mir doch notwendig zu machen scheint, daß man die inhaltliche Kenntnis der Voraussetzungen vertieft: Jedenfalls ist es nicht so, daß die Künstler und Autoren, die international zu den Namhaften und zu den Großverdienern gehören, das etwa nicht wollten. Ein Böll, ein Grass, aber auch entsprechende — --
— Ich meine, daß Herr Kollege Kleinert sicherlich gut beraten wäre, wenn er über diesen Gesetzentwurf nicht nur mit Kunsthändlern spräche, sondern auch mit bildenden Künstlern, nicht nur mit der unternehmerischen Seite, sondern auch mit der Seite, die Urheber der geistigen Produktion ist, nämlich mit den Kulturproduzenten.
— Liebe Kollegen, meine Redezeit ist begrenzt. Ich habe noch einige Minuten und bitte- meine Fraktion gegebenenfalls, wenn Sie mich länger mit Zwischenrufen aufhalten, um zwei oder drei Minuten Nachbewilligung. Jedenfalls fände ich es wichtig, an dieser Stelle die Einwände abzuräumen. Es muß doch etwas Gründliches gesagt werden.
Deswegen komme ich zum neunten Einwand, erhoben eben von Ihnen, Herr Becker: Ausländerprobleme. Dieses Gesetz kann doch wie andere im Rahmen der EG und darüber hinaus befruchtend wirken. Als wir die Bibliotheksabgabe eingeführt haben, haben wir damit von diesem Parlament aus in Großbritannien ein Riesengesetzeswerk, eine Bibliotheksabgabe, initiiert. Zwischen England und der Bundesrepublik gibt es inzwischen Austauschprogramme und Verhandlungen. Warum soll denn nicht unsere Künstlersozialversicherung anregend sein für eine EG-Gesetzgebung? Ich nehme dies sogar an. Deswegen ist das Ausländerproblem ein Problem, das sich so, wie Sie es darstellen, gar nicht stellt, sondern wir werden europäische Gesetzgebungen anregen und zu einem Austausch zwischen europäischen Künstlersozialkassen kommen können, wenn Vernunft waltet.
Zehnter und letzter Einwand, den Sie hier ebenfalls erhoben haben: 8 v. H., dies sei ganz unterschiedlich in den verschiedenen Kunstbranchen. Dies trifft zu. Praktisches Beispiel, damit man einmal sieht, wie es funktionieren soll: Ein Roman kostet, wenn er nicht zu dick ist, 25 DM. Das Honorar beträgt in der Regel 10 %, also 2,50 DM. 8 v. H. davon macht 20 Pfennig; dies ist die Künstlersozialabgabe. Nun sage mir doch niemand, das müsse man so umwälzen, daß die Autoren das vom Honorar abgezogen bekämen. Dies zahlt doch jeder Bürger dieser Republik notfalls gerne an der Ladenkasse drauf. Soviel ist doch der deutschen Bevölkerung Kunst und Literatur wert.
Auf der anderen Seite trifft es zu, daß bei einer Skulptur oder einem Bild in der Regel nur ein Original vorhanden ist. Das kostet dann vielleicht ein paar Tausend Mark. 8 v. H. davon sind ein wesentlich höherer Betrag. Aber summa summarum, wenn da die große Auflage ist und hier das eine Original, kommt es in den Zahlen doch einigermaßen aneinander heran.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich steuere auf den Schluß zu und versuche, das Fazit zu ziehen. Wie kommen wir damit nun zurecht? Schaffen wir es denn noch? Wir schaffen es nur, wenn wir den Konsens der Betroffenen und Beteiligten herstellen, den Konsens zwischen uns. Ich bitte die Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, uns als Koalition zu glauben, daß wir ihre Einwände Punkt für Punkt sehr ernst nehmen und vollkommen offen beraten wollen. Dieses Angebot kommt von uns. Bei Ihnen besteht, so höre ich, die Bereitschaft, ein Gesetz zu machen. Wenn dies jetzt noch einmal scheiterte, glaube ich nicht, daß der nächste Bundestag die Materie erneut anfassen würde. Jetzt haben wir tatsächlich die Gelegenheit zu beweisen, daß wir dieser Bevölkerungsgruppe ein Gleichziehen in der Sozialversicherung zu ermöglichen beabsichtigen, das ihr bisher bitter fehlt.
Denken wir nicht an die Prominenz! Heinrich Böll hat mit Recht bei der Gründung des Schriftstellerverbandes gesagt: „Prominenz verdunkelt die Szene." Es sind ja nicht die gemeint, deren Namen wir alle kennen; sie haben Geld genug und sind auch versichert.
Es trifft auch zu, daß die heute über 50jährigen, meist namhafte Künstler, nicht mehr unter das Gesetz fallen. Aber die jungen Künstler fallen darunter. Bei mir waren vor einigen Tagen ein paar Jazzmusiker, die mir sagten: Dieser Entwurf ermutigt uns, in Zukunft etwas früher selbständig zu werden, den Eintritt in den freien Beruf etwas eher zu riskieren, weil wir jetzt die Chance der sozialen Sicherung bekommen.
Die Anhörung sollte, wenn irgend möglich, noch vor Jahresende stattfinden. Dies ist meine Bitte an die Kollegen im federführenden Ausschuß.
Nun noch eine Schlußbemerkung! Vor acht bis zehn Jahren hatten wir eine Zeit, wo unter dem Stichwort „Einigkeit der Einzelgänger" die Künstler und Autoren in diesem Lande eine mächtige Stimme hatten; damals hätte es keine Fraktion in diesem Hohen Hause gewagt, sich nicht um ihre Belange zu kümmern. Inzwischen gibt es starke Irritationen. Es gibt da so etwas wie eine neue individuelle Fluchtbewegung, ja, selbst eine Art von neuem Erbauungsbedürfnis von Elfenbeintürmen. Wenn wir die Intellektuellen in dieser Republik, die Wortmächtigen, die Bildmächtigen und die Tonmächtigen, wieder mit Leidenschaft in den politischen Disput unserer Gesellschaft einbeziehen wollen, müssen wir bereit sein, nicht nur ein kleines Gesetz mit großen Gegnern zu machen, sondern ein kleines Gesetz mit einer großen Zukunft.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Walter Kannegießer überschreibt seinen Kommentar vom 9. Oktober 1979 zu diesem heute hier in erster Beratung vorliegenden Gesetzentwurf folgendermaßen: „Lassen sich Künstler sozialversichern?" Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können heute feststellen, daß es einen Weg gibt, die Künstler stärker in die soziale Sicherheit einzubauen. Wir können heute feststellen, daß es einen Gesetzentwurf der Bundesregierung gibt, den wir als Freie Demokraten begrüßen. Dieser Gesetzentwurf zeigt die Rahmenbedingungen und Möglichkeiten auf, neue Wege zu gehen, Wege, die gerade dem Künstler angemessen sind.
Leider müssen wir dabei feststellen, daß die so bedeutsame künstlerische Freiheit manchmal den einzelnen dazu geführt hat, nicht darüber nachzudenken, was morgen oder übermorgen sein kann. Leider ist die Öffnung der Rentenversicherung, die es ermöglicht hätte, sich freiwillig in eine stärkere soziale Sicherung zu begeben, von diesem Personenkreis nicht im erwarteten Umfang genutzt worden. Dies sind Tatsachen, und deshalb halten wir es für gut und richtig, daß die Bundesregierung nach langen Beratungen in einem zweiten Ansatz nunmehr einen solchen Gesetzentwurf vorlegt.
Wir halten es für gut und richtig, daß mit diesem Entwurf Rahmenbedingungen angeboten werden — über die Einzelheiten werden wir in den nächsten Monaten beraten müssen —, die ein Stück Förderung gerade der Künstler und Publizisten im Sinne des Grundgesetzes darstellen. Wir begrüßen an diesem Gesetzentwurf vor allem auch, daß im Bereich der Krankenversicherung Wahlfreiheit und Befreiungsmöglichkeiten, wie wir sie in unserem System haben und als Liberale auch für richtig halten, vorhanden sind.
Wir wissen aber auch — dies ist bei meinen Vorrednern schon deutlich geworden —, daß wir ein Stück Neuland betreten, daß es ein neuer Weg ist und daß sich auf diesem Wege bis zur zweiten und dritten Beratung in diesem Hause sicherlich noch eine Reihe von Fragen und Problemen ergeben werden, die gelöst werden müssen. Wir befinden uns heute in einer ersten Lesung und nicht schon bei der Verabschiedung des Gesetzes. Auch ich wünsche, Herr Kollege Lattmann, für die Freien Demokraten die Verabschiedung des Gesetzes noch in dieser Legislaturperiode sehr. Dies heißt — der Kollege Lattmann hat darauf hingewiesen, der Kollege Becker hat Angebote gemacht —, daß wir die aufgeworfenen Probleme — einige davon darf ich aus der Sicht der Freien Demokraten noch einmal nennen — rechtzeitig und sorgfältig prüfen müssen, damit wir gemeinsam vernünftige Lösungen beschließen können.
Fünf Punkte scheinen uns Freien Demokraten besonders des Überlegens, des Nachdenkens wert. Das ist einmal die Frage nach der Zahl der Betroffenen. Das erfordert die Fortschreibung des Künstlerberichts; denn die Zahlen von damals können natürlich nicht zur Grundlage unserer Beratungen gemacht werden. Ich kann die Bundesregierung nur bitten, soweit das möglich ist, sobald als möglich durch eine Fortschreibung dieser Zahlen neues Material zu liefern, Material, das auch die 1972 erfolgte Öffnung der Rentenversicherung einbezieht und das uns einen besseren konkreten Ansatzpunkt gibt als die bisherige weit gefaßte Größenordnung.
Die zweite Frage, die zu prüfen ist — dies ist eine besondere Aufgabe auf dem Wege zur Verabschiedung dieses Gesetzes —, betrifft die Künstlersozialabgabe, wie sie hier vorgesehen ist und für die es, wie der Kollege Lattmann mit Recht sagte, einige Vorläufer, einige Autoren gibt. Ist sie ganz in unser System der sozialen Sicherung einbindbar? Ist es wirklich richtig, hier ohne Deckungsgleichheit von Leistenden und Begünstigten einen Weg zu gehen? Ist es — die Frage muß geprüft werden — richtig, 40 000 Urheber heranzuziehen, um im Endeffekt ein- bis zweitausend Begünstigte zu haben? Das ist ein Stück Neuland in der Rentenversicherung, das wir hier beschreiten. Wir müssen sorgsam prüfen, ob wir es so tun sollten oder ob andere Möglichkeiten mit der gleichen Zielrichtung besser sind.
Wir müssen auch die Einwände der sogenannten Vermarkter, wie man das immer so schön beschreibt, in manchen Bereichen ernst nehmen, nicht, indem wir sagen, hier soll nichts geschehen, das muß alles wieder vom Tisch, sondern indem wir prüfen, ob nicht — ich denke beispielsweise an die Zeitungsverleger — Wettbewerbsschwierigkeiten auftreten können. Ich denke an die kleinen Lokalredaktionen draußen in der Fläche, die mit freien Mitarbeitern und Publizisten arbeiten und wo natürlich Probleme auftreten. Wir können nicht wollen, daß es zu Wettbewerbsschwierigkeiten kommt, die wieder zum Nachteil der Künstler und Publizisten ausgehen, weil die Mittel, die einfließen sollen, geringer werden. Wir müssen also sehr sorgsam prüfen, ob nicht manches so, wie es bis jetzt angelegt ist, auch zum Nachteil derer ausgehen kann, für die wir eine bessere soziale Sicherung schaffen wollen.
Es ist sicher auch richtig, noch einmal darüber nachzudenken, ob die Künstlersozialkasse in dieser Form als ein eigenes Stück, als eine eigene Institution notwendig ist, ob man es anders, billiger, mit weniger Verwaltungskosten machen kann. Daß hier eine Clearing-Stelle vorhanden sein muß, ist wegen der besonderen Problematik klar. Aber zu prüfen, ob wir noch eine bessere Lösung finden, wird unsere gemeinsame Aufgabe in den Beratungen sein.
Damit wäre ich beim letzten Punkt, wie wir ihn zu Beginn der Beratung in der ersten Lesung sehen. Ansatzpunkt für Überlegungen für eine bessere soziale Sicherung war doch insbesondere der Tatbestand, daß es viele ältere Künstler gab und gibt, die in der Vergangenheit zu wenig an ihr Alter gedacht haben, vielleicht auch einmal sehr gut verdient haben, daß es viele gibt, die mehr als 50 Jah-
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Schmidt
re alt sind und der sozialen Absicherung vielleicht mehr bedürfen als diejenigen, die einmal nach 15 Jahren in den Genuß dieser sozialen Absicherung kommen können. Wenn wir von der sozialen Sicherung der Künstler ausgehen, muß auch das, glaube ich, noch ein Beratungspunkt im Ausschuß sein.
Unser Augenmerk muß sich hier vor allem auf die älteren Künstler richten, weil die jüngeren — ich glaube, das kann man sagen — heute schon mehr Verständnis für Vorsorge haben, heute schon eher an diese Dinge denken, als dies ältere Künstler — eben auf Grund der künstlerischen Freiheit — früher manchmal gesehen haben. Auch hier gilt es also noch, Fragen zu prüfen, gilt es, nach Lösungen Ausschau zu halten.
Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, abschließend zusammenfassend feststellen: Wir Freien Demokraten begrüßen sehr, daß die Bundesregierung hier einen Entwurf vorgelegt . hat, der die Rahmenbedingungen für die soziale Sicherung von Künstlern aufzeigt, die nach langen Vorberatungen möglich zu sein scheinen. Wir begrüßen sehr, daß sich alle Vertreter der Fraktionen, die vor mir gesprochen haben, offen gezeigt haben, über bessere Lösungen, über weitere Möglichkeiten nachzudenken. Herr Kollege Becker, allerdings hätte ich mich auch gefreut, wenn Sie nicht nur kritische Fragen aufgeworfen, sondern vielleicht auch schon Alternativen aufgezeigt hätten. Aber das wird im Ausschuß sicher noch geschehen.
Meine Damen und Herren, auch wir werden weiter nachdenken. Auch wir halten es für dringend notwendig, daß die Betroffenen beider Seiten in einer sorgfältig vorzubereitenden Anhörung gehört werden. Auch wir sind für jedes weitere Angebot von Alternativen offen.
Ich könnte mir sogar vorstellen, daß die Anzuhörenden, insbesondere soweit es sich um die Vermarkter handelt, vielleicht einmal nicht nur in Kritik an diesem Gesetz machen, sondern in der Anhörung vielleicht auch einmal mit Alternativen aufwarten und nicht nur sagen: Dies oder jenes darf nicht gemacht werden, weil es uns nicht gefällt. Es wäre sehr gut, wenn aus dem Kreis der Betroffenen im Rahmen der Anhörung noch Alternativen kämen. Denn ich glaube — —
— Ich habe Fragen gestellt, die wir lösen müssen.
Herr Kollege Franke, um während der Rede eines Kollegen Zwischenfragen zu stellen, sind die Mikrofone da. Das, was Sie gerade gemacht haben, ist eine ganz typische Umgehung des in der Geschäftsordnung vorgesehenen Instituts der Zwischenfrage.
Ich darf dem Kollegen Franke trotzdem antworten: Herr Kollege Franke, ich teile voll Ihre Auffassung, daß sich die Opposition natürlich auf Fragen beschränken kann. Andererseits ist es in diesem Hause nun einmal so, daß die Opposition dann, wenn ein Regierungsentwurf vorliegt, auch Alternativen anbieten sollte. Denn sie hat ja über diese Dinge auch nachgedacht.
Aber dies werden wir im Ausschuß tun. Herr Kollege Franke, ich bin sicher, daß wir zu ganz vernünftigen Ergebnissen kommen werden.
Herr Abgeordneter Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Ja, bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schmidt, ich habe Ihnen soeben zugerufen — ist Ihnen das nicht in Erinnerung geblieben? —, daß Sie kritisieren, daß der Kollege Becker Fragen gestellt und nach Ihrer Meinung keine Alternativen aufgezeigt hat, daß Sie aber selber auch nur eine Menge Fragen gestellt — das haben Sie mit Nachdenken bezeichnet — und keine Alternativen aufgezeigt haben. Können Sie sich nicht vorstellen, daß uns das zu einer solchen Intervention veranlaßt?
Herr Kollege Franke, der kleine Unterschied liegt darin, daß ich als Koalitionspartner hinter dem Regierungsentwurf stehe, ihn aber noch im liberalen Sinne mit verbessern will,
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 178. Sitzung. — Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1979 14027
Schmidt
während Sie eben nicht hinter dem Regierungsentwurf stehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich auf das zurückkommen, was ich zum Schluß sagte, ehe dieser kleine Disput kam. Wir sollten bald in die Anhörung gehen. Wir sollten all die Dinge sachlich prüfen und versuchen, ein gutes Gesetz im Sinne einer besseren sozialen Sicherung für Künstler, aber ohne unnötige Belastungen anderer noch vor Ende dieser Legislaturperiode möglichst einstimmig zu verabschieden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Köhler .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Lattmann hat eben in seinen Ausführungen dieses Gesetz, das wir hier heute in erster Beratung lesen, als einen Eckstein im gesamten Feld der Politik der Kunst- und Künstlerförderung bezeichnet. Am Ende Ihrer Worte haben Sie, Herr Lattmann, dazu aufgerufen, an Hand dieses Gesetzes von neuem, erneut — das war ein Wort, das mir sehr ins Ohr gegangen ist — die Intellektuellen dieses Landes in den Dialog mit der gesamten Gesellschaft hineinzuziehen. Auf dieses „erneut" werde ich noch zurückkommen.
Dies gibt mir Anlaß, dieses Gesetz in der ersten Lesung hier einmal im gesamten Kontext der Kultur- und Kunstförderungspolitik zu diskutieren. Ich werde mich bemühen, dies so nüchtern und klar wie möglich zu tun. Wenn ich die Leerformeln zur Bedeutung des Künstlers in der Gesellschaft, die wir von Herrn Minister Ehrenberg heute morgen gehört haben, in Erinnerung rufe, muß ich sagen, dies konnten wir uns vielleicht noch erlauben, als wir hier 1975 den Künstlerbericht zum erstenmal diskutierten; heute müssen wir nun wirklich konkret über die Dinge reden.
— Herr Wehner, ich habe schon gestern, als ich zu Abend aß, daran gedacht, daß Sie dies heute morgen sagen würden,
und ich habe schon letzte Nacht beschlossen, darauf nicht einzugehen, denn ich bin kein Verkäufer alter Hüte.
Meine Damen und Herren, Kunstpolitik, Politik zur Förderung von Kunst und Künstlern, ist eine Angelegenheit, die in der Tat langfristig geschehen muß. Diese Koalition hat dafür zehn Jahre Zeit gehabt, und sie hatte eine weitere Gelegenheit: Sie war nicht dazu verurteilt, kurzatmig, von einer
Wahl zur anderen auf diesem Gebiet etwas zu machen, sondern konnte großflächig und langfristig arbeiten.
Interessanterweise sind aber die gesamte Debatte und die gesamte Diskussion durch einen Antrag meiner Fraktion vom 2. März 1970 in Gang gekommen. Durch diesen Antrag wurden überhaupt erst die Daten für dieses gesamte Feld erarbeitet.
Dann geschah fünf Jahre lang so gut wie gar nichts, so daß Herr Buschfort in der ersten Beratung über den Künstlerbericht hier sagen konnte, es sei vermutlich das erstemal, daß sich ein Parlament dieser Art überhaupt mit solchen Fragen beschäftige.
Ich glaube, in der Rückschau darf man sagen, daß es drei Wege — nicht unbedingt als Alternativen, sondern als nebeneinander gangbare Wege — gab, das Gesamtthema „Kunst- und Künstlerförderung" anzufassen. Als ersten — betont als ersten — würde ich hier den Weg der Sicherung der Arbeitsmöglichkeit nennen, den Weg, dem Künstler die Möglichkeit zu geben, überhaupt das zu vollziehen, was er und nur er für uns alle sagen, tun, malen und in unsere Diskussionen einführen kann.
Ein zweiter Gesichtspunkt wäre der, daß wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten, daß der Künstler von dem, was er nun hervorbringt, wenn es ihn einmal verlassen hat, den höchstmöglichen Nutzen für sich hat, in dem Moment also, wo sein Werk nicht mehr seiner Verfügung, sondern unserer Verfügung unterliegt. Ich spreche das Thema des Urheberrechts als einer Quelle an, aus der man die Gesamtposition des Künstlers in der Gesellschaft, auch seine wirtschaftliche Position, fundamentieren, begründen und sichern kann.
Erst der dritte Punkt ist der im vorliegenden Gesetz angesprochene, der der sozialen Sicherung. Man kann sowohl hinsichtlich der Arbeitsmöglichkeit als auch über die Sicherung des eigenen Rechts des Künstlers an seinem Werk wesentliche Probleme des sozialen Bereichs lösen. Sie haben sich entschlossen, vornehmlich_ den unmittelbaren Weg der sozialen Sicherung zu gehen. Mir scheint, in diesem Zusammenhang muß man das Gesetz würdigen.
1975 hatten wir, Herr Lattmann, hier unter Betonung der Gemeinsamkeit gesagt, nun müsse schnell etwas geschehen, nun müsse in der laufenden Legislaturperiode — bis 1976 — möglichst eine Anzahl von Sofortmaßnahmen möglichst auf allen drei Gebieten ergriffen werden, und dann müsse langfristig weitergearbeitet werden. Meine Fraktion hat, diese Thematik über die Jahre mit einer Fülle von Anträgen und Anfragen zu vielen Details begleitet. Wir sind nicht müde geworden, immer wieder zu drängen, und wir haben in einem Antrag am 7. April 1976 versucht, das Gesamtfeld aufzureißen und damit zwingend zur Aktion zu drängen. Was dann — am Ende der letzten Legislaturperiode — kam, waren eine Glanzdruckbroschüre und ein Gesetzentwurf, der gar nicht ernst gemeint sein
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Dr. Köhler
konnte, weil er überhaupt nicht mehr verabschiedet werden konnte.
Lassen Sie uns noch einmal bilanzieren, was auf den drei aufgezeigten Wegen eigentlich geschehen war. Sprechen wir noch einmal von der Sicherung der Arbeitsmöglichkeit, denn sie ist ja der entscheidende Punkt, um dem Künstler überhaupt die Wirkungsmöglichkeiten in dieser Gesellschaft zu geben und das, was so gern als die Versöhnung von Geist und Politik angesprochen wird, die Integration des Künstlers und des Geistes in die Gesellschaft, Gestalt werden zu lassen.
Denken Sie an die Fülle unserer Initiativen, die immer wieder unbefriedigenden Antworten, die vielen nicht gelösten Aufgaben im Bereich des Steuerrechts, leider auch noch — trotz eines Anfangs im Bereich der Förderung durch die Mittel der auswärtigen Kulturpolitik — im Bereich des Stiftungsrechts, die vielen hier noch offenen Fragen. Man lese doch noch mal die Bilanz, die der Innenminister dem Innenausschuß im Mai vorgelegt hat, wo auch steht, was die 9. Wahlperiode endlich bringen soll. Diese Bilanz ist beklagenswert schlecht.
Hier geht es mir nicht um Polemik. Daß auf diesem Gebiet ein Defizit existiert, hat auch die Diskussion um den künstlerischen Schmuck auf dem Vorplatz des Kanzleramts gezeigt, die wir in den letzten Wochen erleben mußten. Ich bin jeder Versuchung fern, hier künstlerischem Nationalismus das Wort zu reden. Aber wenn Günter Rühle aus der Diskussion über die Proteste namhafter deutscher Bildhauer bei diesem Vorgang den Schluß zieht, daß es eine vorsichtige Nicht-Beziehung zwischen Künstlern und diesem Staat gebe, die aus diesem Anlaß plötzlich als Mangel und als Ausfall bewußt geworden sei, und daß die Plastik von dem großen Henry Moore, die dort aufgestellt worden sei, im Grund ein Appell an den Staat sei, den Künstler wieder zu fördern, und ein Appell an den Künstler, wieder in einer größeren öffentlichen Dimension zu denken, dann wird offenkundig, daß in diesen zehn Jahren der Ansatz, den Künstler und die Gesellschaft wieder ins Gespräch zu bringen — was, wie Sie, Herr Lattmann, vorhin sagten, erneut geschen muß — eben nicht verwirklicht worden ist. Das ist in meinen Augen eine tieftraurige Bilanz.
Lassen Sie mich, auch wenn es Ihnen wenig Freude macht, ein bißchen weiter bohren. War es bei einer Mehrzahl von Ihnen, die sich mit diesem Ziel geschmückt haben, nicht unter Umständen letzten Endes doch wichtiger, den Künstler als Wahlhelfer zu haben und das, was Sie 1969 Machtwechsel nannten, als geistigen Aufbruch überhöhen zu können? War hier nicht etwas im Gang gesetzt, was in Wahrheit eine Einvernahme des Künstlers, des Intellektuellen in ganz andere Zwecke bedeutete?
Das ist etwas, was — dies sage ich ohne Vergnügen — in meinen Augen eine Todsünde ist, weil es
letzten Endes ein Entwenden der Freiheit des Geistes ist.
— Herr Lattmann, ich wollte mich Ihnen gerade zuwenden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lattmann?
Vielleicht warten Sie noch einen Moment. Aber selbstverständlich stehe ich zur Verfügung.
Ich wollte Sie, Herr Kollege Köhler, in unmittelbarem Bezug auf Ihre letzte Äußerung nur fragen, ob Sie tatsächlich die Schriftsteiler und die Künstler in der Bundesrepublik als so unmündig betrachten, daß sie sich von irgendeiner bloß parteiischen Bestrebung in den Dienst nehmen ließen.
Herr Lattmann, meine vielen Gespräche mit eben diesen Personen haben mir bewiesen, in welchem Maß enttäuscht, als sie das durchschaut hatten, sie begonnen haben, sich zu entziehen. Sonst hätte ich das nie gesagt.
Daß an diesem Problem etwas dran ist, haben Sie, verehrter Herr Lattmann, mir in einer Weise bewiesen, die mich tief bewegt hat, nämlich indem Sie sich entschlossen haben, sich aus diesem Hohen Haus mit Ablauf dieser Wahlperiode zurückzuziehen. Sie haben dafür Gründe genannt. Der Grund, der mir am tiefsten ins Ohr gegangen ist, war, daß Sie Zweifel an der Versöhnbarkeit des autonomen geistigen Schaffens mit den Sachzwängen der Politik bekommen haben, die Sie nicht lösen können. Sie haben auch im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf harte Worte gesprochen, an die ich Sie, weil sie öffentlich gesprochen waren, erinnern darf. Sie haben hier vorhin gesagt, die Verzögerung der Vorlage dieses Gesetzentwurfs über drei Jahre hin habe sehr viel mit der Bemühung um ein verfassungsrechtliches Gutachten zu tun. Aber Sie haben bei anderer Gelegenheit — ich erinnere an unsere gemeinsame Diskussion in Worpswede im Frühjahr dieses Jahres — nicht nur diesen Grund genannt, sondern auch den mangelnden Willen, diesen Bereich zu regeln. Sie haben sich geweigert — und ich finde das ehrenwert —, das Feigenblatt für eine Politik zu sein, die auf diesem Gebiet den Künstlern Entscheidendes schuldig bleibt.
Das ist mir noch gut in Erinnerung. Ihr eigener Weg hat mich zu dieser Betrachtung über das Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Politik geführt.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 178. Sitzung. - Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1979 14029
Dr. Köhler
Dieser Gesetzentwurf, Herr Lattmann, führt in diesem Gesamtbereich neue Probleme hinein. Denn er hat in sich die Gefahr, Beziehungen, die zutiefst geistiger Natur sind, der Bürokratie zu unterwerfen und die Wechselwirkungen auf diesem Gebiet, die sehr sensibler Natur sind, in einem sehr harten, verwaltungsmäßigen Geist anzufassen. Sie haben sich hier eben immer wieder des Ausdrucks „kultureller Unternehmer" befleißigt.
— Der Selbstvermarkter ist schon vorhin gewürdigt worden. Ich habe darüber nachgedacht: Als Albrecht Dürer seine Frau auf den Markt schickte, damit sie dort Druckgrafik für ihn verkaufte, war das nicht die Stunde, als der Selbstvermarkter erfunden wurde?
Nur haben wir es verbal erst Jahrhunderte später begriffen.
Herr Lattmann, Sie wissen doch mindestens so gut wie ich, daß die Beziehungen zwischen einem Verleger und einem Schriftsteller und im Bereich der bildenden Kunst die Beziehungen zwischen einem Kahnweiler und einem Picasso mit Begriffen wie „kultureller Unternehmer" überhaupt nicht umschrieben werden können. Es geht bei diesem Gesetz doch auch darum, daß erhalten bleibt, was an menschlichem Engagement, was an leidenschaftlichem Kunstinteresse in solchen Beziehungen steckt. Das ist nicht nur ökonomisch oder sozialpolitisch; da steht doch noch mehr dahinter.
Mich hat es nachdenklich gestimmt, Kollege Lattmann, daß Ihre Antwort auf den gesamten Themenbereich von Jahr zu Jahr weniger eine politische Antwort und mehr eine literarische Antwort geworden ist. Aber dies ist hier und heute mehr Ihre als unsere Sache.
Sie haben mit Recht auf die Bibliotheksabgabe hingewiesen. Die Erfahrungen mit ihr haben uns gezeigt, was eigentlich der Königsweg wäre, um den sozialen Zweck von einer anderen Seite her optimal zu erreichen, nämlich die Verbesserung des Urheberschutzes, die Verbesserung des Leistungsschutzes und dadurch die Aufbringung der Mittel für den sozialen Zweck. Aber da kommen natürlich auch massive Interessen der öffentlichen Hand, die gern zugeknöpfte Taschen hat, ins Spiel.
Daß dieses Problem, Herr Lattmann, nicht gelöst ist und wie wenig Bereitschaft vorhanden ist, es zu lösen, hat in dieser Woche wieder das Geschick des Gesetzes zur Verbesserung des Urheberschutzes von Lichtbildwerken bewiesen, das nun ein Staatsbegräbnis bekommen hat.
Es ist nicht so, daß sich nur diejenigen Verbände
skeptisch zu diesem Gesetzentwurf geäußert haben,
die dadurch belastet werden könnten. Wir haben
ja als Fraktion zu diesem Thema eine Anhörung am 6. Juli dieses Jahres veranstaltet. Hajek hat klipp und klar gesagt, er begrüße für den Künstlerbund die Zielsetzung des Gesetzes — wie wir es übrigens hier alle tun —, aber beispielsweise die Künstlersozialabgabe sei völlig veraltet. Diese Abgabe solle und müsse der Staat allein tragen. Das ist die weitestgehende Forderung.
Andere, wie z. B. der Verband der privaten Musikerzieher und der Verband der konzertierenden Künstler, haben gesagt: Dieses Gesetz hat eine gute Intention, sonst ist alles daran falsch.
Meine Damen und Herren, Sie haben heute hier gesagt, daß Sie kein weiteres Schaulaufen planen. Ich nehme Ihnen das sogar ab; Sie wollen dieses Gesetz verabschieden. Aber dann werden wir sehr energisch darüber reden müssen, wie es zu einem Gesetz wird, das die Dinge wirklich optimal regelt und ertragbar ist. Was nicht geschehen darf — davor möchte ich 'Sie ausdrücklich warnen —, ist, daß Sie Ihre in einem Jahrzehnt angesammelten Versäumnisse in diesem Gesamtkomplex dadurch ausräumen, daß Sie mit einem schlecht funktionierenden, mit vielen Haken und Ösen versehenen Gesetz einigen Verbänden eine Freude machen und die andere Seite der liberalen Lösung dadurch regeln, daß der Herr Bundesinnenminister, der zu diesem Komplex Geld zur Verfügung gestellt bekommen hat, sozusagen auf dem Wege der Auftragsvergabe die Begleitmusik spielt, die das andere ertragbar macht. Im Blick auf eine solche Doppelstrategie möchte ich Ihnen mit ernsten Worten entgegenhalten: Das ist etwas, was Sie nicht tun sollten. Wenn das geschähe, meine Damen und Herren, zerstörten Sie die Gemeinsamkeit, zu der wir noch bereit sind und die sich daran messen lassen wird, ob Sie wirklich ernsthaft zur Veränderung und Verbesserung dieses Gesetzes bereit sind.
Wenn dieses Gesetz darauf hinausläuft, daß es ein Versuch ist, auf diesem Doppelweg den gesamten Bereich der Beziehungen des Intellekts in dieser Gesellschaft auf der einen Seite zu bürokratisieren und auf der anderen Seite zu korrumpieren, dann werden wir in der dritten Lesung anders miteinander reden. Ich bitte Sie sehr herzlich, den Ernst dieser Worte zu begreifen und es durch Taten in den vor uns liegenden Beratungen möglich zu machen, daß wir einen gemeinsamen Fortschritt erreichen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich einleitend auch kurz auf die Tageszeitung abheben, die von sich behauptet, hinter ihr steckten nur kluge Köpfe. Ich weiß nicht, ob das so ist. Aber ich weiß, daß diese Zeitung gute Mitarbeiter hat, selbständige Schriftsteller beschäftigt wie beispielsweise meinen Kollegen und Freund Dieter Lattmann.
14030 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 178. Sitzung. — Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1979
Lutz
Diese Zeitung hat Anfang dieser Woche gemutmaßt, wir würden bei Einbringung des Künstlersozialversicherungsgesetzes mit großen Worten die Bedeutung der Kulturschaffenden in unserer Gesellschaft feiern. Gelegentlich besteht ja die Versuchung dazu. Ich glaube, wir sollten gemeinsam die FAZ enttäuschen. Da gibt es nichts zu feiern, da bedarf es keines hohlen Geschwätzes und keines rhetorischen Lorbeers. Es braucht über die Selbstverständlichkeit nicht lange nachgedacht zu werden, daß der Künstler in unserer Gesellschaft einen ebenso unverzichtbaren Beitrag leistet wie der Taxifahrer, der Bäcker oder die Diplompsychologin.
Da ist nicht rumzureden, und da ist nicht Ruhm zu reden. Da ist darüber nachzudenken, wie wohl der Künstler, der unser gesellschaftliches Leben bereichert, von eben dieser Gesellschaft behandelt wird. Darum geht es. Deshalb, so meine ich, wird es Zeit, sich ein paar Tatsachen zu vergegenwärtigen.
Erstens kann wohl übereinstimmend festgestellt werden — Sie werden nicht widersprechen —, daß das soziale Netz innerhalb der letzten Jahrzehnte dichter und dichter geworden ist.
Zweitens ist dieses Netz von den Landwirten, den Selbständigen, den Rechtsanwälten, den Ärzten selbst freudig akzeptiert worden — zu Konditionen übrigens, die wir der übrigen Versichertengemeinschaft nie hätten anbieten können; sonst wäre unser Sicherungssystem nicht finanzierbar.
Drittens muß man sehen, daß die Bundesregierung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ein akzeptables Angebot an die noch nicht erfaßten Schichten der Künstler in unserer Bevölkerung macht — ein Angebot, das die Risiken der Krankheit erträglich, die Gewißheit des Alters vorstellbar machen kann.
Viertens wird mit diesem Gesetz für die Kulturschaffenden eine immer schmerzhafter empfundene Lücke geschlossen. Daß ein solches Angebot nur funktionieren kann, wenn die selbständigen Kulturschaffenden zur Solidarität untereinander angehalten werden können, ist eine Selbstverständlichkeit, über die wir nicht lange werden diskutieren müssen.
Fünftens ist es zugegebenermaßen schwierig, diesen doch sehr heterogenen Personenkreis mit seinen äußerst differenzierten und höchst schwankenden Berufsverläufen und Einkommenssituationen in ein soziales Sicherungssystem zu bringen, das von einem Höchstmaß an Stetigkeit und Berechenbarkeit abhängt. Das ist das, was wir miteinander verknüpfen müssen. Deshalb tastet sich der Gesetzentwurf in Neuland vor und kommt zu Lösungen, die manchem von uns derzeit noch als ungewöhnlich erscheinen. Es wird im Gesetzgebungsverfahren von uns zu prüfen sein, ob der vorgezeigte Weg der einzig gangbare ist oder ob, ausgehend von diesem Entwurf, nicht noch bessere Lösungen gefunden werden können. Das mindert — damit Sie mich nicht mißverstehen — die Qualität
des Entwurfs keineswegs. Die Regierung hat ein brennendes Problem erkannt. Sie hat Regelungen vorgeschlagen, und sie hat uns allein mit der Einbringung des Entwurfs gezwungen, mit ihr den Schritt auf Neuland zu vollziehen. Ich hoffe — und es klingt ja fast so —, daß sich keine Fraktion des Bundestages dieser Herausforderung entzieht und daß keine Fraktion das Thema der Künstlersozialversicherung so lässig behandelt wie etwa der Bundesrat in seiner Stellungnahme. Der Bundesrat hat das mit Zeitdruck entschuldigt.
— Entschuldigen Sie bitte, Herr Becker, aber das kann ich nicht gelten lassen! Das Problem steht nun schon seit der letzten Legislaturperiode unerledigt auf der Tagesordnung. An umfänglichen Stellungnahmen der interessierten Verbände, der Kulturvermarkter ist kein Mangel. Wir wissen, worüber wir reden, und wenn wir das wissen, dann müssen wir auch zu Lösungen fähig sein.
Ich will einmal auflisten, was uns, bezogen auf dieses Gesetz, beschäftigen müßte, worüber wir mit Sicherheit werden reden müssen. Da ist zunächst die Frage der Künstlersozialabgabe. Sie wird erhoben von den Buch- und Zeitungshonoraren, von den Gagen, die Konzert- und andere Agenturen an die Künstler weiterleiten, und vom Kaufpreis jener Bilder, die von selbständig tätigen Künstlern geschaffen und über die Galerie verkauft, also vermarktet werden. Es wird angestrebt, daß sie bei 8 O/o des Honorars liegen soll. Das ist aber nicht das Problem; über die Höhe brauchte man meiner Meinung nach nicht lange zu streiten. Wir werden darüber nachzudenken haben, ob tatsächlich jedes Honorar — auch das, welches ein Verlag etwa einem Lehrer für. den Bericht über das Jubiläum eines Taubenzüchtervereins zu zahlen hat — mit der Künstlersozialabgabe belegt werden darf. Wir werden Anregungen prüfen müssen, denen zufolge etwa der Verkauf eines Bildes anders zu sehen ist als das normale Vermarktungsgeschäft eines Verlages. Wir werden sowohl um verfassungskonforme als auch um sachgerechte Lösungen bemüht sein müssen. Das wird uns zweifeilos in den nächsten Monaten ganz erheblich beschäftigen.
Ferner gibt es das Problem der KünstlerSozialkasse. Sie soll eine Anstalt des öffentlichen Rechts sein und die Aufgabe haben, einerseits vom Künstler individuell zu berechnende Versicherungsbeiträge zu erheben, andererseits von den Vermarktern die Honorarpauschale einzuziehen. Sie ist also eine Inkassostelle, mehr nicht. Deshalb erhebt sich auch die Frage, ob diese Aufgaben einer neu zu gründenden Anstalt zu übertragen sind oder zweckmäßigerweise nicht besser einem bereits vorhandenen Sozialversicherungsträger — etwa der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte — übertragen werden sollten. Wir sind bei dieser Prüfung ganz offen. Es geht uns in erster Linie um eine sachgerechte, um eine optimale Entscheidung und nicht um die Gründung einer neuen Anstalt.
Da ist ferner das Problem mit dem Bundeszuschuß. Dem Gesetzentwurf zufolge zahlt der Künst-
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Lutz
ler zu seiner Kranken- und Rentenversicherung einen Beitrag, der etwa dem entspricht, den ein Arbeitnehmer auch zahlen müßte. Die Vermarkter hingegen werden mit niedrigeren Abgaben belastet, als sie vergleichsweise ein Arbeitgeber in unserem sozialen Sicherungssystem zu leisten hätte. Die Differenz — das ist zugegebenermaßen ganz grob dargestellt — zahlt der Bund über einen Bundeszuschuß. Es wird darüber nachzudenken sein, ob dieser Weg der einzig vernünftige ist, ob er systemgerecht ist und ob nicht besser andere Formen öffentlicher Beteiligung an der Alterssicherung der Künstler gefunden werden sollten. Über eines allerdings denken wir nicht nach, weil es ein absurder, ja, ein törichter Vorschlag wäre, über den Vorschlag nämlich, der Bund solle alles und die Vermarkter gar nichts zahlen.
Es ist uns nämlich nicht daran gelegen, eine Sozialhilfe anderer Art für unsere Kulturschaffenden zu begründen. Wir wollen die eigenständige Alterssicherung der Künstler, und zwar in der Art, daß sie sich nahtlos in unser soziales Sicherungssystem einfügt. Wir wollen mit keiner Benachteiligung und mit keiner Privilegierung unser bewährtes soziales Sicherungssystem aufdröseln lassen. Es gibt Schwierigkeiten — wir werden es bei den Beratungen merken —, dieses Ziel zu erreichen, aber es wird unsere gemeinsame Aufgabe sein, die aufgetretenen Schwierigkeiten zu überwinden.
Weiterhin gibt es das Problem der sachgerechten Gestaltung der Krankenversicherung der Künstler. Ich gestehe freimütig, daß wir Sozialdemokraten einige Schwierigkeiten haben, die im Gesetzentwurf angebotene Lösung als optimal anzusehen. Soziale Sicherung —. so sehen wir es — beruht auf dem Prinzip der Solidarität und ist im Grunde auch nur so finanzierbar. Sie kann nicht funktionieren, wenn einer ständig wachsenden Zahl von Mitbürgern Gelegenheit gegeben wird, sich der Solidarhaftung zu entziehen. Der vorliegende Gesetzentwurf schließt unsere Besorgnisse in dieser Richtung nicht ganz aus. Deshalb meinen wir, daß darüber noch intensiv geredet werden muß. Übrigens bin ich gar nicht darüber in Sorge, daß den Begünstigten, den Künstlern, das Prinzip gegenseitiger solidarischer Hilfe erklärt werden müßte. Sie sind Individualisten, gut. Ihre soziale Sicherung kümmert sie mitunter noch nicht in dem wünschenswerten Umfang; auch das ist richtig. Unsolidarisch aber sind sie nicht. Deshalb hoffen wir auf das Einverständnis der Betroffenen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es ist Freitag, ich will mich kurz fassen. Ich habe mit allem Freimut die Punkte genannt, über die unserer Ansicht nach in den nächsten Monaten gesprochen werden muß. Wir Sozialdemokraten werden ein Anhörungsverfahren im Ausschuß beantragen. Wir legen Wert darauf, daß dieses Hearing so früh wie möglich, mindestens aber noch in diesem Jahr stattfindet. Wir suchen den Dialog mit allen Interessierten. Wir hoffen, daß sich noch sehr viel mehr als Interessierte zu erkennen geben, als es heute der Fall ist. Wir wollen die soziale Absicherung der Künstler. Wir wollen diesen Personenkreis eher noch nahtloser, als es der Gesetzentwurf vorsieht, in unser soziales Sicherungssystem einfügen. Deshalb sind wir an ebenso zügigen wie intensiven Beratungen im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung interessiert.
Eines wollen wir nicht: daß durch Zeitverzug die soziale Absicherung der selbständigen Künstler parlamentarisch auf der Strecke bleibt. Die Gefahr ist vorhanden. Wir werden viel Beratungszeit benötigen. Wir registrieren dankbar, daß der Bundesarbeitsminister die notwendige Vorarbeit zu einer gesetzlichen Regelung geleistet hat. Wir haben jetzt eine Diskussionsbasis, eine Arbeitsgrundlage, und das läßt uns hoffen. Bei unserem Bemühen wissen wir, daß unser Parteivorsitzender, der Bundeskanzler und unser Fraktionsvorsitzender uns helfen werden. Es ist für alle drei kein Routinegesetz. Es ist für sie und für uns ein Testfall dafür, wie eine Kulturnation mit den Kulturschaffenden umgeht und für sie sorgt. Alle Fraktionen des Hauses sind herzlich von uns eingeladen, mit uns gemeinsam um sachgerechte Lösungen bemüht zu sein. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Ab-
geordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Einigkeit ist groß, soweit es sich darum handelt, daß hier etwas Vernünftiges geschehen soll. Wie das zu bewirken ist, ist offenbar nach wie vor trotz langjähriger Diskussionen — das sei eingeräumt — noch nicht ganz klar.
Jazz und Sozialversicherung ist ein Begriffspaar, das man — insbesondere aus liberaler Sicht — nicht so ganz unbefangen zueinanderbringt. Das mag einer der Gründe dafür sein, daß besonders große Schwellen und Hemmnisse zu überwinden sind, wenn man sich einem solchen Thema nähert, das mit diesen Stichworten vielleicht richtig bezeichnet ist.
— Mein Niveau ist meine Sache, und Ihr Niveau sollten Sie sich immer wieder kritisch überlegen.
Ich versuche, klarzumachen, daß es tatsächlich nicht üblich ist und in Jahrhunderten künstlerischer Existenzen nicht üblich gewesen ist, den Künstlerberuf als freiesten aller Berufe in ein so starres Korsett sozialer Sicherung zu zwängen, wie das hier jetzt vorgesehen ist. Ich bin dennoch der Meinung, daß man das tun sollte, weil sich die Dinge so entwickelt haben und weil wir nicht unter Hinweis auf jahrhundertealte Tradition sagen können, daß man den Kreis der Künstler aus dem Kreis all derjenigen, die im Laufe der Jahre in die Sicherungen und Segnungen des Sozialstaates hin-
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Kleinert
) eingewachsen sind, mit romantischen Vorstellungen heraushalten kann. Wenn ich versuche, diese Schwelle auf Grund jener jahrhundertealten Vorstellungen vom Künstlerberuf — denken Sie doch an Spitzweg und seinen Künstler in der Dachstube — mit einem Stichwort zu bezeichnen, so deshalb, um hier einiges etwas plastischer darzustellen.
Das möchte ich auch noch bei einigen anderen Punkten tun, auch auf die Gefahr hin, daß es Ihren Vorstellungen vom Niveau des Hauses nicht entspricht. Ich bin nämlich der Meinung, daß wir versuchen sollten, die Probleme so darzustellen, daß auch der Bürger gelegentlich in der Lage ist, zu verstehen, warum wir uns so oder so verhalten. Uns wird vieles in den Ausschußberatungen klar, aber den Bürgern nicht. Hier im Plenum sollten wir wenigstens versuchen, unsere zum Teil unterschiedlichen Ansichten etwas plastischer darzustellen. Darum werde ich mich auch weiterhin bemühen.
Ich bin vor einigen Jahren auf der Landesdelegiertenkonferenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Niedersachsen gewesen. Da ich der Meinung war, daß die Anwesenden ihre Wahlentscheidung im wesentlichen schon getroffen hätten und man deswegen ruhig im Klartext miteinander reden und einige Gedanken austauschen könne, ohne in diesem Kreise um Wählerstimmen buhlen zu müssen, habe ich vor den erfahrenen Betriebsräten und Gewerkschaftern darauf hingewiesen, daß wir im sozialen Bereich in vielen Punkten zwar Gutes ge-
) wollt haben, daß dadurch für die Betroffenen aber leider auch Nachteile entstanden sind. Zum Beispiel in Fragen des Schutzes der älteren Angestellten, durch Tarifbestimmungen, durch Vorzüge im Einkommen und insbesondere durch Kündigungsschutzbestimmungen ist meiner Ansicht nach in etlichen Fällen leider das Gegenteil bewirkt worden. Es ist nämlich dazu gekommen, daß der zu schützende Personenkreis wegen dieses Schutzes weniger gern eingestellt wird. Deshalb schlägt dieser Schutz in sein Gegenteil um. Daraufhin habe ich von den Teilnehmern dieser Delegiertenkonferenz des Gewerkschaftsbundes erhebliche Zustimmung bekommen. Sie haben dieses Problem genauso gesehen.
Warum sage ich das? Ich sage es, weil ich große Sorge habe, daß wir uns hier auf einem ähnlichen Wege befinden.
In allen Fällen, in denen wir sozial etwas Gutes bewirken wollen, müssen auch die weiteren indirekten und unter Umständen gegenteiligen Wirkungen bedacht werden.
Es ist eben nicht so, daß es ein Arbeitgeber/Arbeitnehmerverhältnis zwischen den sogenannten Vermarktern und den Künstlern geben würde. Das ist eine Fiktion, und zwar eine von mehreren Fiktionen, von denen dieser Gesetzentwurf ausgeht, um sich Finanzierungsquellen zu erschließen, die offenbar nur durch solche künstlerischen Konstruktionen für erschließbar angesehen werden.
Tatsache ist, daß der Künstler, der erfolgreich und bekannt ist, dem Verleger sein Honorar diktiert, so daß eine etwaige Abgabe zum Nachteil des Verlegers, des Galeristen, wie immer der Vermarkter heißen mag, geht. Tatsache ist ebenfalls, daß der Künstler, der nicht so bekannt ist, jedes Diktat 'hinnehmen muß, so daß gerade der Schutzbedürftige mit Sicherheit den sogenannten Vermarkteranteil von seinem Honorar vorher abgezogen bekommt.
So ist die Situation am Markt, und so wird sich das auswirken. Deshalb gibt es ein Unbehagen nicht etwa nur bei den Vermarktern, sondern gerade bei den Künstlern.
Herr Lattmann, wenn Sie schon gerade aufgestanden sind, möchte ich Ihnen sagen, daß ich vorhin einen Moment draußen war, um zu telefonieren; ich habe mir berichten lassen, daß Sie meine Einstellung zu dem Problem ein wenig unfreundlich gekennzeichnet haben. Deshalb möchte ich gleich die Gelegenheit benutzen, Sie zu fragen, ob Sie sich nicht daran erinnern, daß wir beide gemeinsam beim Bundespräsidenten Walter Scheel eingeladen waren, um uns unter anderem über diese Dinge zu unterhalten. An diesem Abend waren wesentlich mehr Künstler als Vermarkter anwesend. Gerade von den Künstlern sind Bedenken gegen das Vorhaben gekommen, das jetzt vor uns auf dem Tisch liegt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage und mir die Bemerkung, daß Herr Lattmann nicht die Absicht gehabt hat, sich zu erheben, um sich befragen zu lassen,
sondern daß er vielmehr die Absicht hatte, an Sie eine Frage zu stellen; Ihrer Geste entnehme ich, daß Sie damit einverstanden sind. Nur, damit die Schlachtordnung wieder stimmt.
Herr Präsident, ich war immer der Auffassung, daß die Form, in die man seinen Beitrag als Redner am Pult kleidet, völlig frei sei und die Möglichkeit der Frage an Anwesende nicht ausschließt.
Ja, Sie haben nur das Aufstehen von Herrn Lattmann sehr eigenwillig interpretiert. Bitte schön, Herr Lattmann.
Herr Kollege Kleinert, darf ich Sie bitten, in Ihre Überlegungen die Tatsache einzubeziehen, daß gerade die erfolgreichen Schriftsteller und die bestverdienenden Autoren dieses Verhältnis anders sehen als Sie es eben dargestellt haben, daß sie es nämlich richtig finden, wenn die finanziell starken Schriftsteller zu der Sozialversi-
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Lattmann
cherung der finanziell schwachen Anfänger beitragen. Diese Solidarität gibt es. Es ist ein Gerücht, daß es nicht so wäre. Sind sie bereit, dieses in Ihre Überlegungen in der Weise einzubeziehen, daß Sie sich vielleicht nicht nur bei Kunsthändlern und Verlegern umhören, sondern auch bei Künstlern und Autoren?
Ich habe das Bedenken, Herr Lattmann, daß die kommenden Diskussionen dadurch erschwert werden, daß Sie eine bemerkenswert geringe Neigung haben, auf das, was andere bereits überlegen, einzugehen. Denn ich habe soeben versucht, Ihnen darzulegen, daß wir uns ja gerade mit Künstlern unterhalten haben und nicht mit Vermarktern. Ich will jetzt nicht mit dem Herr Präsidenten in Streit geraten, aber weil ich mir in etwa denken konnte, worauf sie hinaus wollten, habe ich das vorsorglich noch klargestellt, allerdings mit dem bedauernswerten Ergebnis, daß Sie in Ihrer Frage an dieser Darlegung schlank
vorbeigegangen sind.
Ich halte diesen Gesetzentwurf als für die Künstler gedacht, und wenn von den Vermarktern hier auf eine anständige, übrigens auch auf eine verfassungsmäßige Weise ein Beitrag zu bekommen ist, dann soll man den auch nehmen. Mich interessieren hier, genauso wie Sie, Herr Lattmann, ausschließlich die Künstler. Ich nehme mir allerdings die Freiheit, neben der begrüßenswerten Solidarität einiger arrivierter Schriftsteller, von denen Sie sprechen
— hier war eben von den Schriftstellern die Rede —, auch anderer Künstler, auch die ins Blickfeld zu ziehen, die das nicht so sehen. Die gibt es auch, wenn Sie sich umhören, und zwar ausschließlich in Künstlerkreisen, Herr Lattmann. Wir haben die Aufgabe, in den Beratungen das Ganze in Deckung zu bringen.
Herr Lutz hat vorhin darauf hingewiesen, daß sich dieses Gesetz nahtlos einfügen solle in das System unserer Sozialversicherung. Das ist ein sehr bemerkenswertes Stichwort. Denn ich sehe hier einige Nähte, die selbst mit grober Gewalt nicht zugezogen werden können.
Wir haben hier zum Beispiel die doppelte Beitragsbemessungsgrenze. Meine Erkundigungen bei den sachkundigen Kollegen haben ergeben, daß das ein erstmaliger und einmaliger Fall sei. Das ist ja immerhin ein Opfer. Wenn so, wie Herr Lattmann das soeben geschildert hat, freiwillig Solidarität geübt wird, sehr gut! Wenn aber qua Gesetz derjenige, der die doppelte Beitragsbemessungsgrenze überschritten hat, mit eben dieser doppelten Höhe von Beiträgen herangezogen wird zu der Leistung für die anderen, dann weiß ich nicht mehr, ob dieses noch unter den Begriff der Versicherung zu subsumieren ist.
Bei allen Überschreitungen des Versicherungsbegriffs im Bereich der Sozialversicherung hält man ja irgendwo noch die Idee fest, daß hier Versicherung eine Rolle spiele. Dem scheint mir diese Art der Beitragsbemessung nicht zu entsprechen.
Die Begründung des Gesetzentwurfs, mit der — siehe erste Seite letzter Absatz unten — darzutun versucht wird, warum sogenannte Arbeitgeberanteile von Leuten eingezogen werden sollen, die die Empfänger dieser Vergünstigung nie zu Gesicht bekommen haben und mit ihnen auch nie ein Geschäft gemacht haben, ist schon eine sehr gewagte Konstruktion. Man muß es sich auf der Zunge zergehen lassen, wenn hier steht, daß die Regelung ihre Rechtfertigung darin finde, daß die Werke und Leistungen der selbständigen Kulturschaffenden meist überhaupt erst durch das Zusammenwirken mit dem Vermarkter dem Endabnehmer zugänglich würden mid die selbständig Lehrenden des Kulturbereichs — das ist ein ganz toller Hakenschlag — zu diesem Vermarktungsprozeß insofern beitrügen, als sie durch ihre lehrende Tätigkeit beim Kulturschaffenden den Grundstein für seine künftige Tätigkeit legten.
Nun stelle ich mir die freischaffende Gesangslehrerin, die Gesangspädagogin vor, die dafür gearbeitet hat, ein Klima zu schaffen, in dem Heintje die Erfolge erzielen konnte, aus denen heraus dann die großen Beiträge fließen konnten, aus denen auch diese Gesangspädagogin schließlich ihr Ruhegeld beziehen will. Das muß man sich doch einmal in dieser Konsequenz überlegen. Der Zusammenhang ist für das System unserer Sozialversicherung, in die sich das nach Herrn Lutz nahtlos einfügen soll, schon sehr weit hergeholt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Köhler? — Bitte schön.
Herr Kollege Kleinert, stimmen Sie mir zu, daß man hier offensichtlich völlig übersehen hat, welche bedeutende Rolle auch die Ohrenärzte in diesem Zusammenhang einnehmen?
Ich verstehe Ihre Frage so, wie sie gemeint ist, Herr Kollege.
Ich wollte eigentlich nur einige Bedenken anmelden und dabei gleichzeitig versuchen, für unsere Fraktion noch einmal ganz nachdrücklich zu erklären, daß wir eben für die Künstler und besonders für diese — so lautet ja unser Thema — etwas erreichen wollen, was sie auf den sozialen Stand bringt, auf dem weiteste Kreise unserer Bevölkerung heute schon sind. Nach den Ausführungen von Herrn Lutz über das systemgerechte Einfügen in unsere Sozialversicherung hoffe ich, daß uns im Laufe der Ausschußberatungen einiges einfällt, was
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Kleinert
I etwas sinnvoller in den Bereich der Sozialversicherung paßt als das, was hier mit dem zum Teil sehr zufällig und sehr willkürlich gebrauchten Begriff gewollt ist. Insbesondere hoffe ich, daß alle Beteiligten der kommenden Diskussion erkennen, wie schnell man da, wo man etwas Gutes tun will, etwas Schlechtes erreicht, wenn man die indirekten ,Folgen nicht ganz sorgfältig bedenkt.
Nachdem hier ständig und auch zu Recht die FAZ mehrmals erwähnt wurde, will ich nun ein sicherlich ebenso wichtiges Blatt, nämlich „Die Zeit" anführen. Wenn wir unsere Galerien so ruinieren, wie es in der „Zeit" dargestellt worden ist, dann ist das für die Galeristen zwar sehr mißlich. Als Kaufleute aber, die sie ja wohl sind und als die sie von Ihnen in besonderer Weise angesehen werden, werden sie vielleicht noch eine andere Tätigkeit finden; wo dann aber die Maler ihre Szene hernehmen und ihre Möglichkeiten wahrnehmen sollen, das ist unser Problem bei diesem Gesetz. Darum geht es.
Wenn man das nicht ganz sorgfältig bedenkt, wird man zwar das Gute wollen, das Böse aber bewirken.
Eines möchte ich Ihnen, Herr Lattmann, ganz zum Schluß noch sagen: Ich spreche hier die ganz besonders empfindliche Partnerschaft zwischen den Künstlern und dem hier so häßlich „Vermarkter" Genannten an, der dem Künstler hilft, dessen Werk bekanntzumachen. Das geht bei vielen Verlegern ja bis in den schöpferischen Prozeß hinein; das ist eine echte Partnerschaft.
Dieses Verhältnis mit Klassenkampfgedanken zu belasten, wäre etwas, was der Sache am wenigsten gut tut.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige wenige Schlußbemerkungen machen, und zwar auch deshalb, weil der Abgeordnete Köhler das Problem mit Recht in einen größeren Zusammenhang gestellt hat. Das Problem der Künstlersozialversicherung ist einer der Schwerpunkte des Maßnahmenkatalogs zur Verbesserung der beruflichen und sozialen Lage der Künstler und Publizisten, den die Bundesregierung 1976 beschlossen hat. Dieser Zusammenhang verdeutlicht den umfassenden gesellschaftspolitischen Bezug heutiger Kunst- und Künstlerförderung. Das Künstlersozialversicherungsgesetz ist im übrigen Ausdruck auch der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten des Bundes, der Möglichkeiten des kulturpolitischen Instrumentariums, ohne die Kompetenz der Länder zu verletzen.
Auch im Kulturbewußtsein unserer Gesellschaft zeichnet sich ein Wandel der Werte ab, der viele Bereiche der Politik erfaßt hat. In den vergangenen Jahrzehnten ist unsere gesellschaftliche Entwicklung im wesentlichen geprägt worden vom technischen Fortschritt, von der Konzentration auf wirtschaftlichen Aufbau, auf Wohlstand, auf Erhöhung des Bruttosozialproduktes. Erst seit wenigen Jahren diskutieren wir über die Grenzen des Wachstums. Angesichts der vielberufenen Krisen von Wirtschaftswachstum, Umwelt und Energie meine ich, daß gerade bei einem Ruf nach einer humaneren Gesellschaft die Künstler, also die Menschen, über die wir heute reden, eine wichtige Rolle zu spielen haben.
Im übrigen ist auch darauf aufmerksam zu machen, daß in all ,den Diskussionen der letzten Jahre, auch in Entscheidungen über Haushaltspläne die Wissenschaft einen viel stärkeren Rang eingenommen hat als die Kultur. Ich freue mich, daß dies jetzt eine Änderung erfährt, etwa in der Arbeit des Innenausschusses, der vor 14 Tagen eine Sondersitzung in Berlin zu Fragen der Kulturförderung abgehalten hat und beabsichtigt, eine Arbeitsgruppe für diesen Bereich einzusetzen. Ich begrüße das nachdrücklich.
Das Selbstverständnis von Kunst und Künstlern spiegelt diesen Wandel, von dem ich gesprochen habe, wider. Die Künstler selbst, die maßgeblich zur Wandlung und Erweiterung des Kulturbegriffs und zur kulturellen Fortentwicklung beitragen, sind im Begriff, sich selbstbewußt einen neuen wichtigen Platz in dieser Gesellschaft zu schaffen. Damit ist auch der Staat gefordert, meine ich. Er muß sich der ihm für die Förderung von Kunst und Kultur obliegenden Verantwortung stellen.
Allerdings muß angesichts der überragenden Bedeutung der grundgesetzlich verbürgten Kunstfreiheit der Staat seine Rolle sehr vorsichtig und ohne jede Gängelung wahrnehmen. Eine „ökonomische Kulturdiktatur" — ich möchte das mal so nennen — wäre für das Verhältnis von Kunst und Staat, aber auch für das Verhältnis des einzelnen Künstlers zum Staat verheerend. Genauso aber ist der Gesellschaft eine Gießkannenkulturpolitik nicht zumutbar, ,die auf jegliche Qualitätsanforderung verzichtet. Es kommt daher in erster Linie darauf an, Rahmenbedingungen zu setzen — dieses Wort ist ja heute mehrfach in der Diskussion gefallen —, die es dem Künstler ermöglichen, sich zu entfalten und materielle Anerkennung als wirtschaftliche Grundlage für seine künstlerische Tätigkeit zu finden.
Maßgeblicher Gesichtspunkt für die Kunst- und Kulturförderung der Bundesregierung ist die Hilfe zur Selbsthilfe, die Schaffung von Verhältnissen, die die künstlerische Tätigkeit und die Initiative fördern und die den Künstler in die Lage versetzen, aus eigener Kraft seinen Beitrag zu leisten.
Diese Rahmenbedingungen müssen die Besonderheiten künstlerischer Tätigkeiten angemessen berücksichtigen, ohne dem Künstler eine privilegierten Sonderstatus einzuräumen. Das läßt sich sehr leicht definieren, ist aber in der Umsetzung bei
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praktischen Maßnahmen nur schwer und oft eben nur durch Mut zu realisieren. Es besteht doch gar kein Zweifel, daß wir hier in vieler Hinsicht Neuland betreten. Keiner von uns hat dazu Erfahrungen. Aber wir müssen den Mut haben, erste Schritte zu machen.
Die Bundesregierung hat 1976 einen Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der beruflichen und sozialen Lage der Künstler und Publizisten vorgelegt als ein in Gesetzgebung und Haushaltsvollzug umsetzbares Handlungskonzept. Auf der Grundlage des Künstlerberichts von 1975 und vier großer Hearings mit 80 Verbänden der Musik, der Literatur, der bildenden und darstellenden Kunst, des Films wurde nicht nur die Notwendigkeit wirksamer und aufeinander abgestimmter Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation hervorgehoben. Vielmehr wurden von der Bundesregierung auch erstmalig aus allen wesentlichen Bereichen unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung die Probleme herausgefiltert, die Kunst und Kultur betreffen. Das hat es vorher, hat es früher nicht gegeben.
Die Notwendigkeit dieses Schrittes wird auch dadurch erkennbar, daß die mit dem Maßnahmenkatalog verfolgten Ziele zunehmend im europäischen und im internationalen Bereich an Bedeutung gewinnen. Ich verweise nur auf die Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zum sozialen Schutz für die Künstler, für die Freiberufler und für die Intellektuellen. Im Frühjahr 1980 soll im Rahmen der UNESCO eine Empfehlung über den Status des Künstlers erarbeitet werden. Wir werden uns daran intensiv beteiligen.
Unser Maßnahmenkatalog — Sie haben ihn erwähnt, Herr Köhler — umfaßt 40 Einzelmaßnahmen aus dem Bereich der Sozialversicherung, des Arbeitsrechts, des Steuer-, Urheber-, Wettbewerbsrechts, zum Komplex der Aus- und Weiterbildung der Künstler und zur Erweiterung des Arbeits- und Auftragsmarktes. Ich habe im Mai dieses Jahres eine Bilanz vorgelegt. Sie haben .sie erwähnt. Daraus ergibt sich, daß doch ein wesentlicher Teil der Maßnahmen bereits umgesetzt oder auf den Weg gebracht worden ist. Das Künstlersozialversicherungsgesetz steht nicht nur zufällig in diesem Maßnahmenkatalog an erster Stelle. Es ist auch für viele Künstler die wichtigste Maßnahme ihrer Einbeziehung in die staatliche Sozial- und Krankenversicherung und stellt eine wesentliche Grundlage für ihre berufliche Absicherung dar.
Herr Köhler, das Verhältnis Picasso/Kahnweiler ist ja reizvoll. Es hat sich im Laufe des Lebens dieser Männer auch gewandelt. Aber ich erinnere mich sehr gut, daß letzten Endes Picasso am längeren Hebel gesessen ist. Das ist eben eine Situation, die Ausnahmecharakter hat, die einmalig ist. Es sind nur ganz wenige Künstler, die in dieser Rolle sind, daß sie die Kunsthändler vor der Tür warten lassen können und den einen gegen den anderen ausspielen können.
Wir wollen auch hier nicht eine überflüssige Bürokratie einrichten. Ich gebe Ihnen zu, daß eine ganze Reihe von Fragen noch zu beantworten sind. Wir müssen uns fragen, ob die Maßnahmen und die Vorschriften im einzelnen geeignet sind, das Ziel zu erreichen, das wir hier wohl gemeinsam wollen. Wir sind bereit, alle aufgeworfenen Fragen auch von seiten der Bundesregierung vorurteilsfrei zu prüfen. Allerdings haben wir den ernsthaften und nachdrücklichen Wunsch, dieses Gesetz in dieser Legislaturperiode zur Verabschiedung zu bringen.
Ich würde auch vorschlagen, daß wir, Herr Köhler, einmal der Frage nachgehen, warum beispielsweise das Folgerecht nicht so funktioniert, wie ich mir das vorstelle. Das hängt hier mit diesem Komplex zusammen. Es hat gar keinen Sinn, Maßnahmen — das sage ich abstrakt — in die Welt zu setzen, die dann nicht greifen.
Ich möchte aus dem Maßnahmenkatalog, den die Bundesregierung verwirklicht, nur ganz wenige Punkte in Erinnerung rufen. Wir müssen natürlich die Arbeitsmöglichkeiten der Künstler verbessern. Die Erweiterung des Arbeits- und Auftragsmarktes für Künstler ist im Grunde die Voraussetzung auch für diese Maßnahme, die heute diskutiert wird. Was soll denn ein Künstler, der kein Einkommen hat, in einer Sozialversicherung? Das ist ganz wichtig. Deshalb hat die Bundesregierung hier eine ganze Reihe von Maßnahmen in die Wege geleitet. Ich will sie jetzt nicht aufführen, sondern nur den Grundsatz nennen: Die staatliche und gesellschaftliche Anerkennung der Kunst muß sich eben auch darin äußern, daß der Staat die Arbeit der Künstler selber in Anspruch nimmt, mit einem Wort: daß er sie braucht. Dazu gibt es Maßnahmen im Bereich „Kunst am Bau", Maßnahmen zur Nutzung des künstlerischen Sachverstandes bei der Erfüllung von Ressortaufgaben und bei der Fort- und Weiterbildung von Künstlern für ihren Einsatz in anderen Aufgabenbereichen. Ich halte es für ganz wichtig, daß Künstler daran mitwirken, Kinder, Jugendliche und Erwachsene zur Entwicklung schöpferischer Phantasie, zum Erwerb musikalischer, darstellender und gestaltender Fähigkeiten anzuleiten, ihnen Hilfe zu geben, sich auf diesem Gebiet zu entwikkeln.
Durch die Richtlinien über die Vergabe von Preisen, Prämien und Stipendien zur Förderung des Deutschen Films haben wir auch die künstlerische Filmförderung weitergebracht; wir beziehen den Kinder- und Jugendfilm ein.
Steuerliche Maßnahmen sind hier ganz wichtig. Denn hier drückt sich das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe" besonders deutlich aus. Wir werden erneut einen Vorschlag betreffend die Absetzbarkeit von Spenden für besonders förderungswürdige kulturelle Zwecke einbringen. Die Absetzbarkeit soll von 5 °Io auf 10 °/o erhöht werden. Wir stimmen sicher alle überein, daß dies eine ganz wichtige Maßnahme ist. Es gibt eine ganze Reihe anderer steuerlicher Maßnahmen, die dem Staat zwar nicht viel kosten, die aber im Bereich der Kunst eine Signalwirkung haben.
Im Bereich des Urheberrechts haben erste Anhörungen zu den Fragen der Einführung einer Vergü-
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Bundesminister Baum
tungspflicht für das private Kopieren urheberrechtlich geschützter Werke und den Kauf von Leerkassetten stattgefunden. Soweit sich Novellierungen als notwendig erweisen, werden sie diesem Hause gleich zu Beginn des nächsten Jahres vorgelegt werden.
Herr Kollege Lattmann, Sie haben hier die Nationalstiftung — wir werden ja noch darüber diskutieren; es liegt ja ein Antrag der Opposition vor — angesprochen. Dazu kurz folgendes: Ich meine, daß wir jetzt gemeinsam — Bund und Länder — nachdrücklich eine Übergangslösung anstreben sollten, eine Übergangslösung, wie sie auch in der Regierungserklärung durch den Bundeskanzler genannt worden ist. Wir sind bereit, die Verhandlungen mit den Ländern fortzusetzen. Wir haben uns auf einigen Feldern, etwa auf dem Feld der Gewichtung der Stimmen, bereits geeinigt. Wir sind aber nicht bereit, dieses Vorhaben — im Jahre 1980 werden etwa 50 Millionen DM angesammelt sein — weiter auf die lange Bank zu schieben. Es war ja fast in jedem' Jahr so, daß am Ende eines Haushaltsjahres von uns gefragt worden ist: Besteht denn eine Möglichkeit, das Geld auszugeben? Diese Möglichkeit wurde dann von den Ländern erst in Aussicht gestellt mit der Folge, daß man wieder ein weiteres Jahr durch schleppend durchgeführte Verhandlungen verloren hatte.
Nach Ausgabe von zirka 13 Millionen DM für den Ankauf von Kunstgegenständen aus der Sammlung Hirsch muß, so meine ich, das Geld nun endlich für die zeitgenössische Kunst ausgegeben werden. Wir haben daher im Haushaltsausschuß beantragt, 16,5 Millionen DM für Fonds auf dem Gebiete der Literatur, der Kunst und der Musik zu entsperren, übrigens Vorhaben, die von den Künstlern, ihren Verbänden selbst entwickelt worden sind; wir haben sie nur aufgegriffen. Es handelt sich hier also um eine eigene freie Entscheidung der Verbände, um einen Impuls, den der Staat jetzt aufnimmt.
Ich sehe in dieser Freigabe — auch da sollte kein Mißverständnis zwischen uns bestehen —, in diesem Freigabeantrag keine Maßnahme zur Verhinderung des Kulturfonds, sondern einen Impuls für die Verwirklichung dieses Vorhabens. Am 18. Oktober treffen sich die Ministerpräsidenten von Hessen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Berlin beim Bundeskanzler. Ich hoffe, daß wir zu einer Lösung kommen. Hier können wir unter Beweis stellen, ob wir Kunstförderung wirklich ernst nehmen und über verfassungsrechtliches Kompetenzgerangel stellen.
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 8/3172 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, an den Innenausschuß, an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft — mitberatend — sowie an den Haushaltsausschuß — mitberatend und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung — zu überweisen. Ich frage das' Haus, ob es damit einverstanden ist. — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 22 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts des Petitionsausschusses
Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag
Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages in der ersten Hälfte der 8. Wahlperiode
— Drucksache 8/3036 —
Die Aussprache ist eröffnet. Ich erteile der Frau Kollegin Berger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Petitionsausschuß hat schon zweimal, nämlich für die Jahre 1973/74 und 1975/76, schriftliche Tätigkeitsberichte vorgelegt. Sie konnten leider nicht als Bundestagsdrucksachen erscheinen, weil § 113 der Geschäftsordung schriftliche Berichte nicht vorsieht. Um sie dennoch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurden sie vom Pressezentrum des Bundestages in der Reihe „Zur Sache" herausgegeben. Diese beiden Berichte sind also leider am Parlament vorbeigegangen: sie konnten hier nicht erörtert werden. Das war höchst unbefriedigend.
Insoweit begrüßen wir, daß heute zum erstenmal in der Geschichte des Deutschen Bundestages ein Bericht des Petitionsausschusses beraten wird, nämlich der Tätigkeitsbericht über die Arbeit in der ersten Hälfte der 8. Legislaturperiode. Bei den Fraktionen bedanke ich mich dafür, daß sie die Veröffentlichung des Jahresberichts als Bundestagsdrucksache und damit seine Beratung hier im Plenum durch einen Antrag gemäß § 127 der Geschäftsordnung schließlich möglich gemacht haben.
Ebenso wie der Wehrbeauftragte, der ja für seinen Teilbereich ähnliche Aufgaben wie wir für die gesamte Bundesverwaltung wahrzunehmen hat, muß der Petitionsausschuß selbstverständlich die Möglichkeit haben, hier im Plenum über die Ergebnisse seiner Arbeit zu berichten und sie in der Diskussion zu vertreten. Im Entwurf der neuen Geschäftsordnung ist übrigens vorgesehen, daß der Petitionsausschuß jährlich einen Bericht erstattet, der als Drucksache vorgelegt und im Plenum beraten wird.
Der vorliegende Bericht über die Arbeit des Petitionsausschusses in der ersten Hälfte der 8. Wahlperiode gibt dem Plenum des Deutschen Bundestages u. a. einen Überblick über die Spannweite der Eingaben, die zu den verschiedensten Sachgebieten eingehen. Es ist deshalb ganz gewiß nicht nur für das Parlament, sondern zugleich auch für die Öf-
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Frau Berger
fentlichkeit von Bedeutung, und dies in zweifacher Weise. Im Bericht ist nachzulesen, was den Bürger in puncto Verwaltung bewegt, welche Schwierigkeiten er mit den Behörden hat, wo bürokratisch gearbeitet wird und wo in der Praxis Mängel und Härten der von uns beschlossenen Gesetze sichtbar werden. Das Parlament erfährt also durch die Eingaben, wie sich seine Gesetzgebungsarbeit in der Praxis auswirkt und wo die Durchführung von Gesetzen bei der Verwaltung auf bürokratische Schwierigkeiten stößt. Insoweit stellt der Petitionsausschuß gewissermaßen den Resonanzboden der Gesetzgebung dar.
Der Bericht erläutert auch die Rechtsgrundlagen und die Rechtsstellung des Ausschusses, über die es gelegentlich — auch in diesem Hause — noch Unklarheiten zu geben scheint. Vor allem aber vermitteln die in diesem Bericht dargestellten Fälle einen Eindruck von der praktischen Wirkung der Ausschußarbeit auf den Bürger. Vielleicht kann der Bericht — das möchte ich doch auch sagen — auf diese Weise dazu beitragen, daß der parlamentarische Rang dieses Ausschusses künftig ein wenig höher eingestuft wird als bisher.
Hinzufügen möchte ich, daß das Ansehen und die Autorität des Ausschusses außerhalb des Hauses größer sind, vielleicht sogar in der Öffentlichkeit zu groß; vielleicht erwartet man von uns zuviel, vielleicht sind die Hoffnungen, die man in diesen Ausschuß setzt, zu groß.
Nun ergibt sich die Bedeutung des Petitionsrechts für den einzelnen Bürger schon daraus, daß es in der Verfassung ausdrücklich als Grundrecht verankert worden ist. Der tiefere Sinn dieser Absicherung im Grundgesetz besteht doch vor allem darin, daß der Bürger selber auf diese Weise die Möglichkeit erhält, bei Mängeln der Verwaltungstätigkeit die Kontrolle durch das Parlament in Gang zu setzen.
Die Entwicklung der Petitionen zeigt, daß der Bürger mündiger geworden ist. Er sucht stärker als bisher die Hilfe des Parlaments. Er kommt oft mit den vielen und auch schwer durchschaubaren Gesetzen und Verordnungen — allein 1977/78 waren es 538 — nicht zurecht. Er glaubt, der Bürger werde von oben verwaltet und könne keinen Einfluß nehmen. Für ihn ist deshalb der Petitionsausschuß der unmittelbare Ansprechpartner, die Nahtstelle zwischen Bürger und Parlament.
Übrigens hilft das Petitionsverfahren in nicht wenigen Fällen, langwierige, kostspielige und deshalb oft gescheute Gerichts- oder Verwaltungsverfahren zu vermeiden. Somit trägt es dazu bei, die Einstellung unserer Bürger zur Verwaltung und damit letztlich auch zu unserem Staat zu verbessern.
Nun möchte ich, um Mißverständnisse zu vermeiden, eines sagen. Bei aller berechtigter Kritik an der Verwaltung wäre nichts unsinniger, als unsere Verwaltung pauschal zu verteufeln. Immerhin arbeitet diese Vewaltung ja auf der Grundlage der vielen Gesetze, die wir beschließen. Die Fehler und
Mängel der Verwaltung, die wir u. a. in diesem Bericht feststellen, dürfen uns nicht den Blick dafür verstellen, daß die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in ihrer großen Mehrheit ihre Pflicht tun und sich bemühen, dem Bürger zu helfen.
Damit der Petitionsausschuß seiner Aufgabe besser gerecht werden und seine Kontrollfunktion im Interesse des Bürgers besser ausfüllen kann, sind seine Rechte im Jahr 1975 wesentlich erweitert worden.
Auf der Grundlage der Empfehlungen der Landtagspräsidentenkonferenz — 1968 — und der Enquete-Kommission Verfassungsreform des Bundestages — 1972 — wurde im Jahre 1975 Art. 45 c in das Grundgesetz eingefügt, der die Bearbeitung aller Petitionen dem Petitionsausschuß überträgt. Zugleich wurden ihm in einem besonderen Gesetz zusätzliche selbständige Kontrollbefugnisse übertragen, die eine umfassendere Sachaufklärung ermöglichen. Diese Befugnisse sind auf der Seite 7 des Berichts geschildert.
Der Ausschuß hat von diesen Befugnissen behutsamen Gebrauch gemacht. Selbstverständlich ist Kontrolle im Interesse des Bürgers notwendig. Diese Kontrolle bedeutet aber nicht, daß gerade der Petitionsausschuß unnötigerweise die Konfrontation mit der Regierung sucht. Im Gegenteil: Wenn es dem Bürger dient, sind wir auch Partner der Regierung. Dafür gibt es Beispiele.
Wir fordern daher Akten nur dann an, wenn wir bei unseren Ermittlungen anders nicht weiterkommen. Dies war bisher erst zweimal der Fall. Häufiger dagegen wurden Auskünfte unmittelbar von nachgeordneten Dienststellen eingeholt, die aus ihrer täglichen Praxis am ehesten detaillierte Auskünfte geben können.
Stellen wir allerdings schwerwiegende Mängel in der Verwaltung im Verfahren fest, machen wir selbstverständlich, wenn nötig, von unseren erweiterten Befugnissen Gebrauch.
Als beispielsweise 1977 schwere organisatorische Fehler dazu geführt hatten, daß in Berlin viele Kindergeldanträge monatelang nicht bearbeitet wurden, haben wir uns an Ort und Stelle unterrichtet. Das Plenum überwies dann diese Beschwerde entsprechend unserer Empfehlung der Bundesregierung zur Berücksichtigung. Dies hatte zur Folge, daß rund 40 Beamte aus anderen Bundesländern zur Berliner Kindergeldkasse abgeordnet wurden, um dort Ordnung zu schaffen. Erfreulicherweise kommen jetzt kaum noch Beschwerden aus diesem Bereich.
Dieses Vorgehen des Ausschusses hat sich nicht nur in Berlin, sondern auch bei den anderen Verwaltungsstellen des Bundes herumgesprochen. Es hat offentlichtlich eine Signalwirkung für andere Bundesbehörden gehabt.
Bei der Reform des Petitionsrechts im Jahr 1975 wurde auch festgelegt — dies wird gelegentlich nicht deutlich genug gesehen —, daß für die Bearbeitung aller an den Bundestag gerichteten Petitionen ausschließlich der Petitionsausschuß zuständig
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Frau Berger
ist. Dies ergibt sich klar aus dem Wortlaut des Art. 45 c des Grundgesetzes, der besagt, daß dem Petitionsausschuß die Behandlung der nach Art. 17 des Grundgesetzes an den Bundestag gerichteten Bitten und Beschwerden obliegt. Dies ist der verfassungsrechtliche Auftrag für den Ausschuß, den er zu erfüllen hat.
Gelegentlich wird die Frage angesprochen, ob dieses Prinzip der Alleinzuständigkeit des Petitionsausschusses auch bei den sogenannten Bitten eingreift, wenn also eine Eingabe ein allgemeines Problem anspricht, das beispielsweise durch ein Gesetz, eine Verordnung oder eine Verwaltungsanordnung zu regeln ist. Diese Frage ist eindeutig zu bejahen.
Sowohl Art. 17 des Grundgesetzes wie auch Art. 45 c des Grundgesetzes, der darauf Bezug nimmt, sprechen ohne Einschränkung von „Bitten und Beschwerden". Zwar überweisen wir in der Praxis alle Eingaben zu Gesetzesvorlagen, die bereits vom Bundestag beraten werden, dem zuständigen Fachausschuß als Material. Aber alle anderen Bitten unterliegen entsprechend der eindeutigen Regelung des Art. 45 c des Grundgesetzes der sachlichen Prüfung durch den Petitionsausschuß.
Kürzlich wurde gefragt, ob der Petitionsausschuß dadurch eine Art „Oberausschuß" des Bundestages werden könnte. Das wird er mit Sicherheit nicht. Darauf werden schon die anderen Ausschüsse achten. Man muß aber eines klar sehen: Die Themen für die Ausschußberatungen bestimmt allein der Bürger. . Darunter sind natürlich Fragen, die schon einmal von einem Fachausschuß diskutiert worden sind oder beraten werden könnten. '
Ein Beispiel: Mehrere Bürger hatten gefordert, die Verwendung von Fluorchlorkohlenwasserstoff als Treibgas in Spraydosen zu verbieten oder einzuschränken, um eine Gefährdung der Ozonschicht zu vermeiden. Entsprechend unserer Empfehlung hat der Deutsche Bundestag diese Eingabe der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen, also mit dem Ersuchen, diesem Anliegen zu entsprechen.
In diesem Falle wurde die Frage aufgeworfen, ob über diese Eingabe nicht der zuständige Fachausschuß hätte beraten sollen. Die Antwort ist klar: nein; denn Art. 45 c des Grundgesetzes überträgt die Behandlung von Petitionen ausschließlich dem Petitionsausschuß. Da ihm hier in diesem Fall zu diesem Problem mehrere Eingaben vorgelegen hatten und zu diesem Thema kein Gesetzentwurf im Bundestag vorlag, mußte er entscheiden und dem Plenum eine Beschlußempfehlung zuleiten. Die Bundesregierung hat übrigens unsere Empfehlung aufgegriffen und wird sie bei ihren künftigen Überlegungen berücksichtigen.
Es geht uns übrigens manchmal wie dem Haushaltsausschuß oder dem Geschäftsordnungsausschuß, deren Entscheidungen ja ebenfalls Sachgebiete oder Zuständigkeiten anderer Ausschüsse berühren.
Im übrigen möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, daß zu den 27 Mitgliedern und ihren
Stellvertretern Fachleute aus allen wichtigen Sachgebieten gehören. Das bedeutet, daß keine Petition ohne fachgerechte Beratung durch Abgeordnete bleibt.
Meine Damen und Herren, in unserem Bericht haben wir auch einige kritische Anmerkungen zur Zusammenarbeit mit Bundesministerien machen müssen. Ich bin sehr dankbar für die außerordentlich starke Präsenz der Ressorts gerade bei diesem Bericht. Ich weiß das sehr wohl zu würdigen und einzuschätzen.
Wir reiben uns gelegentlich an einem Punkt und tauschen unsere Meinungen, wenn nötig, auch handfest aus. Aber dem Grunde nach sind wir alle der verlängerte Arm des Bürgers und sein Anwalt, der ihm die Antworten und die Hilfen zu geben hat, die er braucht.
Die exakte Überprüfung der Eingaben durch den Ausschuß setzt voraus, daß die Bundesregierung sorgfältig prüft, ob Abhilfe möglich und gerechtfertigt ist. Leider gehen ihre Stellungnahmen in nicht wenigen Fällen erst nach Monaten ein. Gewiß gibt es Einzelfälle, die sehr kompliziert sind und an denen mehrere Behörden beteiligt sind. Aber wenn hier im Plenum die mündlichen und schriftlichen Anfragen innerhalb kurzer Zeit beantwortet werden, dann müßte es doch auch möglich sein, die vom Ausschuß geforderten Stellungnahmen schneller vorzulegen.
Eine zu lange Bearbeitungsdauer wird vom Bürger, der sich ja gerade wegen des formlosen Petitionsverfahren an das Parlament gewandt hatte, sicherlich nicht verstanden und schadet daher dem Ansehen des Bundestages.
Ich bin als Vorsitzende des Petitionsausschusses zu der Erkenntnis gekommen — wenn ich das einmal auf diese Kurzformel bringen darf —, daß nicht alles richtig ist, was Rechtens ist. Selbst in Fällen, wo auf den ersten Blick die Rechtslage eindeutig zu sein scheint, lassen sich gelegentlich noch Lösungsmöglichkeiten finden, die dem Anliegen des Bürgers gerecht werden.
Ich denke da, Herr Kollege Buschfort, besonders an einen Fall, den wir gemeinsam in diesem Sinne gelöst haben.
Uns liegt daher vor allem daran, daß die Behörden ihren Ermessensspielraum voll ausschöpfen und dem einzelnen Beamten mehr Eigenverantwortung zubilligen.
Hierzu ein Beispiel. In einem Fall ist fast 25 Jahre lang trotz fruchtloser Lohnpfändungen versucht worden, einen Betrag von 2 000 DM einzutreiben. Hier — wie auch in anderen Fällen — hätte von vornherein und nicht erst nach Intervention des Petitionsaussschusses von § 59 der Bundeshaushaltsordnung Gebrauch gemacht werden müssen. Danach dürfen Forderungen des Staates niederge-
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Frau Berger
schlagen werden, wenn feststeht, daß die Einziehung keinen Erfolg haben wird oder wenn die Kosten der Einziehung in keinem Verhältnis zur Höhe des Anspruchs stehen.
Wir hatten leider Anlaß, unzureichende Stellungnahmen des Verteidigungsministeriums zu kritisieren. Beispiele dafür hat Frau Kollegin Matthäus-Maier in dem mündlichen Bericht des Petitionsausschusses am 10. November 1978 hier vorgetragen. Erfreulicherweise ist inzwischen im Verteidigungsministerium angeordnet worden, daß alle Stellungnahmen zu Petitionen dem zuständigen Staatssekretär vorgelegt werden müssen.
An diesem Punkt frage ich mich aber, warum dies noch nicht in allen Fällen zu dem doch auch vom Verteidigungsministerium gewünschten Ergebnis geführt hat. So ist vor wenigen Wochen bei einer Petition einer Fischereigenossenschaft aus Schlutup bei Lübeck, die wir zur Berücksichtigung überwiesen hatten, wo wir Abhilfe für dringend erforderlich hielten, eine in mehrerer Hinsicht unbefriedigende Stellungnahme erteilt worden.
Wir mußten deshalb zu dieser Eingabe den Staatssekretär persönlich laden, um mit ihm über die weitere Behandlung des Falles zu beraten. Das wäre mit Sicherheit entbehrlich gewesen, wenn hier mit der Sorgfalt und mit der Genauigkeit gearbeitet worden wäre, die das Parlament von der Verwaltung erwarten kann.
Nun möchte ich aber, damit es nicht so aussieht, als werde das Verteidigungsministerium nur gerügt, ausdrücklich klarstellen, daß die meisten Eingaben zum Verteidigungsbereich ordnungsgemäß bearbeitet werden. Das gilt besonders für Eingaben, bei denen die Wehrbereichsverwaltungen und Kreiswehrersatzämter beteiligt sind.
Übrigens müssen wir gelegentlich auch anderen Ministerien vorhalten, daß ihre Stellungnahmen für eine sorgfältige Bearbeitung durch den Ausschuß häufig nicht ausreichen.
Andererseits gibt es Beispiele einer erfreulichen Zusammenarbeit. Ich will sie nennen. Vor allem das Bundesversicherungsamt und die Bunderversicherungsanstalt für Angestellte bemühen sich erkennbar, die vielfach schwierigen und komplizierten Fälle aus dem Gebiet der Sozialversicherung in angemessener Zeit aufzuklären und uns sorgfältig ausgearbeitete Stellungnahmen zuzuleiten.
Meine Damen und Herren, der Ausschuß hat leider in einigen Fällen feststellen müssen, daß sich Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes wegen der Ausübung ihres Petitionsrechtes Arger eingehandelt haben.
So hatte sich eine Beamtin, die ein Kind zu versorgen hatte, bei uns darüber beschwert, daß ihr Antrag auf Halbtagsbeschäftigung abgelehnt worden sei. Wir konnten ihr helfen; aber die Frau schrieb uns wenig später, daß ihr Vorgesetzter sie wegen dieser Petition gerügt habe. Wir konnten diese bedauerliche Einschränkung des Petitionsrechtes nicht weiterverfolgen, weil sie uns ausdrücklich gebeten hatte, dies nicht zu tun.
In einem anderen Fall hatte sich eine Angestellte, die zugleich Personalratsmitglied war, gegen eine Umsetzung innerhalb ihrer Dienststelle gewandt. Als ihr Vorgesetzter sie aufforderte, zu zahlreichen Fragen im Zusammenhang mit der Petition dienstlich Stellung zu nehmen, fühlte sie sich offensichtlich veranlaßt, ihre Petition zurückzunehmen.
Ausgehend von diesen nicht zu rechtfertigenden Eingriffen in das Petitionsrecht bin ich mit den Obleuten und dem stellvertretenden Vorsitzenden des Petitonsausschusses in einem Gespräch mit den Staatssekretären Dr. Schüler und Dr. Hartkopf übereingekommen, daß Grundsätze für das Petitionsrecht von Bundesbediensteten erarbeitet werden. Der Entwurf der Ministerialverwaltung liegt vor. Er bedarf der Überarbeitung, weil er nach unserer Auffassung zu formaljuristisch und wenig praktikabel abgefaßt ist.
Der Petitionsausschuß legt großen Wert darauf, daß das Petitionsrecht von Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes nicht geschmälert werden darf. Es darf niemandem ein Nachteil daraus erwachsen, daß er von diesem Grundrecht Gebrauch macht.
Weil es für unsere künftige Arbeit von Bedeutung ist, will ich auch auf zwei Rechtsfragen zum Petitionswesen eingehen, die in letzter Zeit strittig geworden sind.
Zum einen wurde in verfassungrechtlichen Abhandlungen die Frage aufgeworfen, ob es zulässig ist, daß ein verhältnismäßig großer Teil der Eingaben nicht vom Ausschuß beraten, sondern in seinem Auftrag vom Ausschußhilfsdienst im Einvernehmen mit der Vorsitzenden beschieden wird. Beispielsweise werden mehr als 30 % aller Eingaben vom Ausschußbüro an den Eingabenausschuß des zuständigen Landtags weitergeleitet, weil es sich um Landesangelegenheiten handelt. Ferner wird ein Bescheid ohne Ausschußberatung erteilt, wenn sich Bürger über ein Gerichtsurteil beschweren, eine Behandlung durch den Ausschuß also aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich ist. Ebenso wird verfahren, wenn in einer Petition eine Frage angesprochen wird, die vom Ausschuß in Bleichgelagerten Fällen bereits erörtert und beschieden worden ist.
Zwar sind gemäß Art. 45 c des Grundgesetzes alle Eingaben vom Petitionsausschuß zu behandeln. Aus sachlichen wie aus rechtlichen Gründen halten wir es aber für ausreichend, daß der Ausschuß generell das Ausschußbüro beauftragt hat, in den eben erwähnten Fällen im Einvernehmen mit mir als der Ausschußvorsitzenden einen Bescheid zu erteilen. Ein Petent hat nun beim Bundesverfassungsgericht den Antrag gestellt, festzustellen, daß dieses Verfahren nicht mit Art. 45 c des Grundgesetzes in Einklang stehe. Wir hoffen, daß bald eine Entscheidung gefällt wird, damit jede Rechtsunsicherheit beseitigt wird.
Zum anderen ist strittig, ob ein Petent Einsicht in seine Petitionsakten verlangen kann, wie dies
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Frau Berger
mehrfach geschehen ist. Wir haben dazu den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung um eine Stellungnahme gebeten. Dieser ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der Petent auf Grund der geltenden Rechtslage nicht das Recht hat, Einsicht in die vom Petitionsausschuß geführten Akten zu nehmen. Nach seiner Auffassung besteht lediglich die Möglichkeit, daß sich der Petent der Hilfe eines Bundestagsabgeordneten bedient, der ja das Recht hat, in diese Akten Einsicht zu nehmen.
Welche Konsequenzen und welche Schlußfolgerungen ergeben sich aus dem Bericht?
Erstens. Es hat sich gezeigt, daß die Bürger kritischer geworden sind, daß sie als mündige Bürger zunehmend von ihrem Recht Gebrauch machen, sich über die Verwaltung zu beschweren. Zugleich bewirkt die große Zahl der Petitionen einen immer stärkeren Einfluß der Bürger auf Verwaltung und Gesetzgebung. Dies begrüßen wir.
Allerdings meine ich, daß angesichts der jährlich rund 40 000 Eingaben an Bundestag und Landtage — und dazu kommen die Briefe an die Abgeordneten und andere zuständige Stellen — bei etwa 20 Millionen Haushalten die Frage offenbleibt, ob der Bürger wirklich ausreichend über dieses wichtige Grundrecht unterrichtet ist, ob er weiß, welche Möglichkeiten der Verwaltungskontrolle er hat. Verstärkte Aufklärung der Bürger ist hier nötig.
Wir haben es daher sehr begrüßt, daß der Deutsche Bundestag eine Broschüre zum Petitionswesen herausgegeben hat ebenso wie die Landeszentrale für politische Bildungsarbeit in Berlin für das Petitionswesen im Bund und im Land. Ich meine, der, Bundestag sollte darüber hinaus nach dem Vor- bild von Nordrhein-Westfalen — auch ein Faltblatt herausgeben, das den Bürger darüber aufklärt, wann ihm das Parlament helfen kann, allerdings auch klar sagen, wann dies nicht möglich ist.
Zweitens. Von jeder Verwaltung, jeder Dienststelle muß verlangt werden, bürgernäher zu arbeiten. Bürokratisches Verhalten und Formalismus führen häufig dazu, daß die besonderen Umstände des Einzelfalles zu wenig berücksichtigt werden. Viele Verwaltungsbescheide sind für den Bürger schwer verständlich. Die Behörden müssen den Bürger auch noch mehr auf seine Rechte und Pflichten hinweisen, beispielsweise bei Gesetzesänderungen. Die Verwaltung muß wissen, daß sie nicht Selbstzweck ist, sondern eine dienende Funktion für alle Bürger hat.
Drittens. Der Petitionsausschuß muß von den Bundesministerien verlangen, daß sie Petitionen mit aller Sorgfalt bearbeiten. Sie müssen Stellungnahmen nachgeordneter Behörden in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht kritisch überprüfen und auf die vorgetragenen Argumente des Bürgers eingehen. Sie müssen auch darlegen, ob alle denkbaren Hilfsmöglichkeiten geprüft worden sind, auch wenn auf den ersten Blick die Rechtslage entgegenzustehen scheint.
Viertens. Das Petitionsverfahren dauert zu lange. Vor allem ist bei einfach gelagerten Fällen überhaupt nicht einzusehen, daß der Bürger mitunter mehr als ein Jahr auf den Bescheid warten muß. Eine schnelle Bearbeitung ist vor allem dann erforderlich, wenn Termine Grenzen setzen. Wendet sich beispielsweise ein Mitbürger aus Härtegründen gegen seine Einberufung, muß selbstverständlich versucht werden, die Entscheidung noch vor dem Einberufungstermin herbeizuführen. Manche Verzögerungen — lassen Sie mich das offen sagen — hängen auch damit zusammen, daß das Petitionsbüro noch nicht ausreichend besetzt ist. Erfreulicherweise hat die Bundestagsverwaltung eine personelle Verstärkung des Ausschußhilfsdienstes zugesagt.
Die Frage, ob der Ausschuß seiner Aufgabe gerecht geworden ist, kann sicherlich nicht durch einen Tätigkeitsbericht beantwortet werden. Letztlich entscheidet dies auch der Bürger, dem wir zu helfen versucht haben. Wir haben nicht allen helfen können, die sich um Hilfe an uns gewandt haben. Das wird sicher so bleiben. Auch dem Ausschuß und dem Parlament sind Grenzen gesetzt. Daß aber unsere Arbeit vom Bürger anerkannt wird, davon zeugt so mancher Brief.
Wir werden auch in Zukunft nicht in unserem Bestreben nachlassen, hinter jeder Petitionsakte das menschliche Schicksal zu erkennen, den Mitbürger, der sich oft erst nach langen Auseinandersetzungen mit Ämtern und Behörden an uns als die in seinen Augen letzte Zuflucht wendet. Wir hoffen, daß unsere Arbeit einen bescheidenen Beitrag dazu leistet, das Vertrauen des Bürgers in staatliche Institutionen, in seinen Staat zu erhalten und zu stärken.
Frau Kollegin, ich danke Ihnen für den Bericht, den Sie dem Haus gegeben haben. Ich danke gleichzeitig auch den Mitgliedern des Petitionsausschusses für die schwierige Arbeit, die sie in den beiden Jahren der Legislaturperiode geleistet haben. Welche Bedeutung die Bundesregierung der Arbeit dieses Ausschusses beimißt, an den sich Bürger fragend wenden und dem sie ihre Sorgen unterbreiten, kann man daraus ersehen, daß die Bundesregierung vollzählig vertreten ist. Ich stelle das ausdrücklich fest.
— Warum halten Sie sich denn darüber auf, daß ich hier im Hause etwas Positives feststelle,
nämlich, daß die Bundesregierung so vollständig vertreten ist?
Als nächster Redner hat der Abgeordnete Kirschner das Wort.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 178. Sitzung. — Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1979 14041
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dieser Debatte wird dem Deutschen Bundestag zum ersten Mal in dieser Form die Möglichkeit gegeben, über die Tätigkeit des Petitionsausschusses im allgemeinen und über die erste Hälfte der 8. Wahlperiode im besonderen zu diskutieren. Es geht um die Darstellung der Breite der Bitten und Beschwerden, die an die Volksvertretung herangetragen werden. Der Bericht, der dem Deutschen Bundestag vorliegt, und diese heutige Debatte bieten die Möglichkeit, die Arbeit des Petitionsausschusses umfassend darzustellen.
26 667 Eingaben im Berichtszeitraum vom 14. Dezember 1976 bis 31. Dezember 1978 — das sind pro Tag im Schnitt zirka 50 —, davon eine Masseneingabe von rund 60 000 Bürgern zum Robbenfang in Kanada, zeigen den zahlenmäßigen Umfang an. Davon hatten 2 354 die Bitte zur Änderung der Bundesgesetzgebung zum Inhalt.
Wenn wir zurückblicken, dann stellen wir fest, daß die Zahl der Eingaben in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen ist und zur Zeit mit etwa 13 000 bis 14 000 pro Jahr doppelt so hoch ist wie noch 1970. Das dürfte vor allem auf eine kritischere Einstellung des Bürgers gegenüber der Verwaltung zurückzuführen sein, aber auch auf ein zunehmendes Interesse der Medien an unserer Arbeit.
Der Schwerpunkt der Eingaben liegt im Bereich Arbeit und Soziales. Jede dritte Petition gehört zu diesem Gebiet, wobei der Löwenanteil auf Probleme der Sozialversicherung mit 4 792 Eingaben — das sind rund 18 %— entfällt.
Weitere Schwerpunkte sind das öffentliche Dienstrecht und das gesamte Kriegsfolgenrecht, das auch 34 Jahre nach Kriegsende für viele Mitbürger immer noch Probleme mit sich bringt. Im übrigen verteilen sich die Eingaben aber auf sämtliche Bereiche der Bundesverwaltung — von der Verteidigung über die Finanzverwaltung bis zum Auswärtigen Amt. So liegen uns auch eine Reihe von Eingaben mit der Bitte, bei der Familienzusammenführung behilflich zu sein, oder Beschwerden über mangelnde Betreuung von Deutschen im Ausland vor.
Da viele unserer Mitbürger die komplizierte Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern begreiflicherweise nicht im Detail kennen, müssen wir rund 31 % der Eingaben an die zuständigen Landtage weiterleiten. Die Petenten werden entsprechend benachrichtigt; der Fall wird dann von dem Petitionsausschuß des jeweiligen Landtages beraten und entschieden.
Rund 12 % der Eingaben können aus formellen Gründen nicht behandelt werden, weil sie sich beispielsweise gegen ein Gerichtsurteil wenden oder weil in der betreffenden Angelegenheit bereits ein Verfahren schwebt.
Etwa 2,5 % der Eingaben beziehen sich auf ein laufendes Gesetzgebungsverfahren und werden von uns daher an den zuständigen Fachausschuß weitergeleitet. Immerhin sind 2,9 % aller Eingaben un-
behandelbar, weil sie anonym oder verworren sind oder überhaupt kein Anliegen enthalten.
Von den verbleibenden Petitionen können rund 12 % im Sinne der Einsender erledigt werden. Weitere rund 60% werden durch einen Rat, eine Auskunft, Übersendung von Materialien und dergleichen erledigt, was dem Petenten in vielen Fällen ebenfalls weiterhilft. In jedem dritten Fall ist allerdings auf Grund der Sach- und Rechtslage keine Hilfe möglich.
Bei den Einsendern dominieren noch immer eindeutig die Männer. Sie sind mehr als doppelt so stark vertreten wie die Frauen. Naturgemäß kommen die meisten Eingaben, nämlich rund ein Drittel, aus Nordrhein-Westfalen. Vergleicht man aber die Zahl der Eingaben, 'so liegt Berlin auch in dieser Wahlperiode mit bisher rund tausend Petitionen je 1 Million Einwohner weit an der Spitze.
Da jede Eingabe von zwei Berichterstattern des Ausschusses bearbeitet wird, haben sich die Ausschußmitglieder in dieser Wahlperiode im Durchschnitt bereits mit je etwa 400 Fällen eingehend beschäftigen müssen. Ich meine, diese Arbeit, die ja immerhin auch viel Zeit und Mühe kostet, sollte hier einmal ausdrücklich erwähnt werden, ebenso wie bei dieser Gelegenheit nicht versäumt werden sollte, einen Dank an den Ausschußhilfsdienst für seine geleistete Arbeit zu richten.
Hier wird deutlich, welche Kärrnerarbeit im Petitionsausschuß steckt und daß die Arbeit von allen Abgeordneten gemeinsam geleistet wird und nicht nur von einzelnen, wenn dies nach außen hin auch nicht immer so deutlich wird.
Was uns allen zu denken geben muß, ist die Bearbeitungsdauer der Petitionen. Wenn wir die Bearbeitungsdauer durch Verweisung an die jeweiligen Fachausschüsse abkürzen könnten, dann sollte im Interesse der Absender dieser Weg in Zukunft verstärkt eingeschlagen werden.
Ich darf in diesem Zusammenhang auch deutlich machen, daß die starke Besetzung der Regierungsbank heute den Respekt für unsere parlamentarische Arbeit zeigt.
Ich habe eingangs erwähnt, daß an der Spitze der Eingaben die Sozialversicherung mit 18 °/o steht. Hierbei verzeichnen wir eine Zunahme der Probleme, deren Lösungen teilweise oder auch vollständig in den Verantwortungsbereich ausländischer Behörden oder Versicherungträger fallen. Wir arbeiten verstärkt mit ausländischen vergleichbaren Institutionen oder Ombudsmännern bzw. -frauen zusammen. Besonders die Kooperation mit dem französischen Médiateur ist uns von besonderem Nutzen. Gibt es doch eine nicht unerhebliche Zahl deutscher Versicherter bzw. Rentner, die während ihres Arbeitlebens die Versicherten- bzw. Beschäftigtenzeiten in Frankreich zurückgelegt haben. Hierbei handelt es sich insbesondere um Beschäftigungszeiten ehemaliger Kriegsgefangener oder Rentenversicherter, die unmittelbar nach dem Krieg in Frankreich gearbeitet haben, aber auch von Deutschen in der Fremdenlegion. In einigen
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Kirschner
dieser Rentenfälle gab und gibt es Schwierigkeiten bei der Gewährung der Ansprüche. Sicherlich sind dies, gemessen an der Gesamtzahl der Rentenberechtigten, wenn man es mathematisch ausrechnen würde, nur Promilleteile, aber für den einzelnen ist es sein Problem.
Der Begriff Petition stammt aus dem Lateinischen, wonach unter Petitum ein Verlangen, Beantragen, Fordern zu verstehen ist. Für viele Mitbürger ist dieser Begriff sicherlich schwer verständlich und er ist nicht gängig. Deshalb sollte auch einmal geprüft werden, ob dafür ein verständlicherer Begriff nicht besser wäre.
Wenn man bedenkt, daß in der 7. Wahlperiode des Deutschen Bundestages 1 835 Anregungen eingingen, die Vorschläge zur Namensänderung des Petitionsausschusses beinhalteten, so ist dieser Gedanke keineswegs abwegig.
Das Petitionsrecht als öffentliches subjektives Recht hat eine große Geschichte voll harter Kämpfe hinter sich. Es wurde in Deutschland als solches erst nach 1815 bekannt, und nur die Verfassung von Sachsen-Weimar aus dem Jahre 1816 nahm es in eine Bestimmung auf. In der Weimarer Reichsverfassung wurde das Petitonsrecht als Grundrecht anerkannt. In der Zeit nach 1933 wurde es durch die Einführung einer sogenannten Quenglerliste ersetzt und damit als Grundrecht außer Kraft gesetzt. Bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates wurde übereinstimmend die Auffassung vertreten, das Petitionsrecht im Grundrechtskatalog zu garantieren, nachdem es bereits in den neuen Verfassungen von Baden, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern aufgeführt worden war.
Das Petitionsrecht, so wie wir es heute kennen, zählt zu den wichtigsten Rechten des Staatsbürgers. Es ist nach Artikel 17 des Grundgesetzes ein subjektives öffentliches Recht, ,das jeder natürlichen Person, auch Ausländern und Staatenlosen, zusteht.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle vielleicht einen kleinen Einschub. Was uns auffällt, ist, daß wir relativ wenig Petitionen von Ausländern bekommen, die in der Bundesrepublik arbeiten und wohnen. Ich meine, daß dies für uns ein Grund sein sollte, einmal darüber nachzudenken, ob wir diese Bürger in unserem Lande vielleicht überhaupt nicht erreichen; denn es kann ja wohl nicht sein, daß sie keinerlei Probleme, keine Bitten und Beschwerden an den Gesetzgeber und an das Parlament als solches vorzubringen haben.
Wenn ich vorher die gute Zusammenarbeit mit den ausländischen Institutionen, besonders mit dem französischen Médiateur, erwähnt habe, dann ist es auch gerechtfertigt, ein Wort des Dankes für die gute Zusammenarbeit an das Arbeits- und Sozialministerium zu richten.
Wir hatten einige sehr schwierige Probleme in den .zwischenstaatlichen Rentenverfahren mit Jugoslawien. Bei diesen Eingaben ging es zum Teil um die Anerkennung jugoslawischer, für die Festsetzung. der deutschen Rente bedeutsamer Versicherungszeiten, um die Bewilligung jugoslawischer Rentenleistungen und in einem Fall um die Auszahlung einer bereits bewilligten jugoslawischen Teilrente. In allen diesen Fällen hat der Ausschuß teils erhebliche Verzögerungen bei der Behandlung durch die jugoslawischen Rentenversicherungsträger festgestellt. Nachdem auch bis zum Zeitpunkt der parlamentarischen Prüfung trotz zahlreicher Erinnerungen auf Verwaltungsebene nicht nur durch den zuständigen deutschen Rentenversicherungsträger, sondern zum Beispiel auch seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung eine Entscheidung der zuständigen jugoslawischen Stellen nicht erreicht werden konnte, hat der Ausschuß diese Problematik mit Bundesarbeitsminister Dr. Ehrenberg persönlich besprochen. Wir erhielten von ihm die Zusage, die in den Petitionen angesprochene Problematik nicht nur in einem persönlichen Brief an seinen jugoslawischen Kollegen aufzuzeigen, sondern die aufgetretenen Schwierigkeiten auch anläßlich erneuter deutsch-jugoslawischer Verhandlungen anzusprechen. Das ist im Oktober 1978 geschehen. Erste Erfolge dieser Bemühungen zeichnen sich bereits ab. Die in den Petitionen angesprochenen Rentenverfahren wurden bereits weitgehend abgeschlossen oder stehen unmittelbar vor dem Abschluß.
Immer wieder erreichen den Ausschuß Beschwerden über das medizinische Gutachterwesen. Hierbei geht es insbesondere um die Länge der Verfahren vor den Sozialgerichten. Im Schnitt sind es hierbei zweieinhalb Jahre, wenn es in die erste und zweite Instanz geht. Das hängt teilweise mit der medizinischen Personalenge zusammen. Den Gerichten stehen leider nicht genügend qualifizierte medizinische Gutachter zur Verfügung, was sicherlich mit anderen lukrativeren Einkommensmöglichkeiten in sehr engem Zusammenhang zu sehen ist. Die Problematik sollte einmal kritisch unter die Lupe genommen werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat die Länder und das Bundesversicherungsamt gebeten, auf die Beschleunigung der Verfahren im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten hinzuwirken. Dafür sagen wir ausdrücklich Dank.
Die Arbeit des Petitionsausschusses steht nicht im Rampenlicht der großen politischen Auseinandersetzungen. Das ist auch gut so; denn im Vordergrund unserer Arbeit steht der Einsatz für den Bürger, der unsere Hilfe benötigt, sei es hinsichtlich der Durchsetzung von Rechtsansprüchen oder zum Beispiel auch bei seiner Suche nach einer Unterstützung bei seinen Wünschen nach einer Änderung oder Ergänzung bestehender Rechtsvorschriften. Die Menschen, die ihre Bitten und Beschwerden vorbringen, werden uns Bundestagsabgeordneten nur insoweit Vertrauen schenken können, als sie von dem ehrlichen und aufrichtigen Bemühen unserer Tätigkeit überzeugt sind. Politische Effekthascherei würde ihnen in ihren Sorgen und Nöten gewiß keine Hilfe bringen, sondern sie nur verbittern. Deshalb müssen wir jede Petition genau prü-
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fen. Auch dort, wo wir nicht im Sinne des Petenten entscheiden können, kann er doch Gewißheit haben, daß sein Anliegen ernst genommen wird.
Wir alle wissen, wie schwer es für den einzelnen sein kann, sich in der Vielzahl der ihn berührenden Gesetze und Verordnungen zurechtzufinden. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß in der Bundesrepublik ohne Berücksichtigung völkerrechtlicher Vereinbarungen gegenwärtig allein im Bundesrecht schätzungsweise — ganz genau weiß man das nicht — 1 500 Gesetze und 2 500 Verordnungen mit rund 90 000 Paragraphen gelten, zu denen noch die Landes- und kommunalrechtlichen Vorschriften sowie das supranationale Recht der Europäischen Gemeinschaft hinzukommen, wird deutlich, wie wichtig es für den Bürger ist, zu wissen, daß es eine Kontrollinstanz wie den Petitionsausschuß gibt, die er anrufen kann und die zu helfen versucht, wenn er in die Mühlen der Bürokratie geraten ist und Hilfe braucht.
Ich möchte im Zusammenhang mit der heutigen Beratung des Berichts des Petitionsausschusses nicht erneut die Bürokratiediskussion anheizen. Aber wir sollten doch erkennen, daß sich in unserer Gesellschaft durch das ständige Fortschreiten des Einsatzes elektronischer Datenverarbeitungsanlagen insbesondere auch im Bereich der Sozialversicherung, die an der Gesamtzahl der Eingaben, wie ich es bereits vorher dargestellt habe, einen erheblichen Anteil hat, der Rechtsverkehr zwischen Bürgern und Behörden immer mehr zu einer Beziehung Bürger/Computer gewandelt hat. Dies hat zur Folge, daß etwa bei der Erteilung von Rentenauskünften oder -bescheiden — um bei dem Beispiel der Sozialversicherung zu bleiben — oftmals mehr Augenmerk auf computergerechte als für den Bürger verständliche Darstellung rechtlicher, zugegebenermaßen auch schwieriger Zusammenhänge gerichtet wird. Wir sollten deshalb versuchen, mit dazu beizutragen, daß der Bürger auch in den Entscheidungen von Massenverwaltungen erkennen kann, daß auf die spezifischen Verhältnisse seines Einzelfalles eingegangen wurde.
Lassen Sie mich zum Schluß ein Wort der früheren sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten Helene Wessel bringen, die über lange Jahre hinweg Vorsitzende des Petitionsausschusses war. Frau Wessel hat gesagt:
Aus den Petitionen lernen Ausschuß und Volksvertretung die wirklichen Nöte und Bedürfnisse der Bürger kennen. Der Petitionsausschuß ist die höchste Stelle im Staat, wo der Bürger einmal sein Herz ausschütten kann. Jeder hat das Recht zu schreiben, wie es ihm ums Herz ist, und mancher schreibt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Der Ausschuß hört die Stimme des Volkes und vernimmt die Sorgen und Nöte des kleinen Mannes. Er ist damit wie kaum ein anderer Ausschuß des Bundestages ein Bindeglied, eine Kontaktstelle zwischen Bürger und Staat, eine Nahtstelle zwischen Gesetz und Mensch. Er hat die Hand am Pulsschlag des Volkes.
Daß diese Bewertung des Petitionsausschusses vom Bürger geteilt wird, läßt sich wohl auch daran ablesen, daß der Bürger in steigendem Maße von seinem Petitionsrecht Gebrauch macht. Fast eine Viertelmillion Bürger haben sich seit 1949 an den Petitionsausschuß gewandt. Mehr als eine Million Masseneingaben sind an uns gerichtet worden. Dies zeigt doch wohl mehr als alles andere, wie wichtig diese Institution für unser demokratisches Gemeinwesen schlechthin ist.
Seiner großen Bedeutung als eines in der Verfassung verankerten Grundrechtes entsprechend sollte das Petitionsrecht auch von uns Parlamentariern gewürdigt werden. Wenn es mit der Arbeit unseres Ausschusses gelingt, einen Beitrag dazu zu leisten, auch bei jenen Bürgern, die sich in der als übermächtig empfundenen Bürokratie nicht mehr zurechtfinden, die sich als verwaltet fühlen, die mit der Gesetzgebung unzufrieden sind, die hinter den Formularen und Paragraphen das Menschliche vermissen, einen Teil der von ihnen empfundenen Verdrossenheit und Unzufriedenheit mit unserer staatlichen Ordnung abzulassen, dann haben wir eine wichtige Aufgabe erfüllt. Dies ist ein Teil bürgernaher Parlamentsarbeit. Ich meine, es lohnt sich für das Parlament, unserer Tätigkeit die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken.
Als nächster Redner hat das Wort Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bedeutung des Petitionsrechtes ist in den letzten Jahren gestiegen. Wie schon dargestellt wurde, hatten wir in den vergangenen Jahren einen durchschnittlichen Eingang von 7 000 bis 8 000 Petitionen jährlich zu verzeichnen. Demgegenüber hatten wir im Jahre 1977 beim Petitionsausschuß des Bundes 12 306 Petitionen zu verzeichnen, und im Jahre 1978 waren es sogar 13 795. Dies bedeutet mehr als 50 Petitionen täglich; es waren der Tendenz nach' mehr als doppelt so viel wie in den früheren Jahren.
Dies ist meiner Meinung nach Ausdruck der Tatsache, daß der Bürger mündiger geworden ist und kritischer. Er läßt sich nicht mehr alles gefallen, sondern wendet sich viel eher an seine Volksvertreter.
Dies entspricht auch der Bedeutung des Petitionsrechtes, das ja in der Verfassung eine herausgehobene Stellung einnimmt. Es wurde bereits erwähnt, daß in Art. 17 des Grundgesetzes das Petitionsrecht als Grundrecht verankert worden ist, und es ist darauf hinzuweisen, daß in unserer Verfassung überhaupt nur drei Ausschüsse wörtlich erwähnt werden, nämlich der Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten, der Ausschuß für Verteidigung und der Petitionsausschuß, der damit eine herausgehobene Position einnimmt.
Aber auch die politische Bedeutung ist groß. Ich möchte es so formulieren: Gäbe es den Petitions-
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Frau Matthäus-Maier
ausschuß nicht, so müßte er nach Meinung der FDP erfunden werden. Denn er ist — ich möchte es einmal so ausdrücken — eine urliberale Einrichtung, urliberal deshalb, weil seine Einrichtung eine Reaktion auf die Erkenntnis ist, daß auch der Staat Fehler macht und daß sich der Bürger dagegen zur Wehr setzen können muß.
Kein Staat, keine Bürokratie, keine politische Institution ist unfehlbar. Jedes noch so durchdachte Gesetz hat Mängel, jede noch so gut vorbereitete Verordnung kann nicht so perfekt sein, daß sie nicht in der täglichen Praxis Mängel zeigt. Und wer hat nicht schon selber mit Bürokratie zu tun gehabt, mit sturen Beamten, mit einer Verwaltung, die auf ihrem Recht beharrt hat auch dort, wo es offensichtlich unsinnig ist? Ich meine also, daß der Bürger auf die Wahrnehmung seines Rechtes aus Art. 17 des Grundgesetzes zu Recht mehr als bisher Anspruch erhebt.
Leider verkennen viele Bürger jedoch die Befugnisse des Ausschusses. Dies kann nicht deutlich genug gesagt werden. Sie überschätzen die Möglichkeiten, die wir im Petitionsausschuß haben, und sind dann über eine Entscheidung des Petitionsausschusses enttäuscht, weil sie geglaubt haben, der Ausschuß könne mehr, als er tatsächlich kann. Ich möchte dies für drei Bereiche verdeutlichen, damit wir überlegen, was man da ändern kann.
Der erste Bereich betrifft das Verhältnis des Petitionsausschusses zu den Gerichten. Wegen der verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit unserer Gerichte können Gerichtsentscheidungen vom Deutschen Bundestag und seinem Petitionsausschuß weder überprüft noch aufgehoben noch abgeändert werden. Viele Bürger glauben aber, der Petitionsausschuß sei so etwas wie eine Superrevisionsinstanz, an die er sich wenden kann, wenn er in allen anderen Instanzen keinen Erfolg gehabt hat. Ich glaube, wir können nicht deutlich genug darauf hinweisen, daß wir diese Möglichkeiten nicht haben. Andererseits glaube ich, daß es durchaus auch gegenüber der gerichtlichen Tätigkeit zwei Chancen des Tätigwerdens des Ausschusses gibt, die wir in der Vergangenheit etwas zu wenig genutzt haben, mit dem automatischen Hinweis darauf, hier hätten Gerichte gesprochen und deshalb dürfe sich der Petitionsausschuß nicht einmischen. Ich nenne dazu zwei Beispiele. Es kommt immer wieder vor, daß der Bürger gegenüber der öffentlichen Verwaltung in einem Gerichtsverfahren unterliegt und daß das Ergebnis für ihn eine ganz besondere Härte bedeutet. Ich glaube, daß der Ausschuß juristisch die Möglichkeit hat, sie haben muß und sie auch verstärkt wahrnehmen muß, in einem solchen Fall die Bundesverwaltung zu bitten, von der Vollstreckung des Urteils aus Billigkeitsgründen abzusehen. Dies bedeutet nicht etwa Kritik am Gerichtsurteil. Im Gegenteil, das Gerichtsurteil wird ausdrücklich akzeptiert. Aber es muß doch die Möglichkeit der Bitte geben, zu überprüfen, ob denn unbedingt auf dem Recht bestanden werden muß oder ob es nicht irgendwelche Kompromißmöglichkeiten, Billigkeitsmöglichkeiten gibt. Es gibt ja ohnehin im gesamten Leben immer die
Möglichkeit, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Mir scheint es nicht einleuchtend, daß wir uns automatisch mit dem Hinweis auf vorliegende Gerichtsurteile aus solchen Verfahren zurückziehen. Man muß vielmehr im Einzelfall überprüfen — das kann sicher nur selten und in besonders gelagerten Fällen geschehen —, ob man die Bundesverwaltung nicht bitten sollte, in einem besonderen Härtefall „Gnade vor Recht" ergehen zu lassen, um diesen Ausdruck zu benutzen. Das heißt, es fragt sich, ob man nicht gemeinsam einen Weg finden kann, auf dem in einem Einzelfall ein besonders hartes Urteil nicht zur Vollstreckung gebracht wird.
— Dazu kann man hier keine theoretischen Grundlagen und Kriterien erarbeiten. Es ist Aufgabe des Ausschusses, sich zu überlegen, ob es angebracht ist, im Einzelfall eine solche Empfehlung auszusprechen. Es ist ja schon heute so, daß die Verwaltung nicht sämtliche rechtlichen Möglichkeiten, die sie hat, nutzt. Das gibt es ja schon. Denken Sie daran, daß in sämtlichen Gesetzen und Erlassen Billigkeitsmöglichkeiten vorgesehen sind. Es geht hier ausschließlich darum, ob auch der Petitionsausschuß in Einzelfällen solche Empfehlungen aussprechen kann.
Zweites Beispiel. Es gibt Bürger, die sich im Laufe eines Gerichtsverfahrens an den Petitionsausschuß mit der Bitte um Abhilfe wenden. Ich halte es weder für juristisch geboten noch für mit der politischen Bedeutung des Petitionsrechts vereinbar, die Hilfe des Ausschusses in solchen Fällen generell unter Hinweis auf das laufende Gerichtsverfahren zu verweigern. Es muß die Möglichkeit bestehen -- wir haben sie auch schon einmal wahrgenommen —, in Einzelfällen die Bundesverwaltung um ein bestimmtes Prozeßverhalten zu bitten. Dafür gibt es ein grundsätzliches Argument. Wenn wir generell mit dem Hinweis darauf, daß hier ein Prozeß läuft, die Möglichkeit der Tätigkeit des Petitionsausschusses verneinen, würde das dazu führen, daß der Bürger, der sich an die Gerichte wendet, damit zugleich auf das Petitionsrecht für sich selber verzichtet. Denn entweder be-. findet er sich im Verfahren oder nach dem Verfahren, und beide Male sagen wir ihm: Du kannst nicht zu uns kommen. Das heißt also: Er nimmt sich eine wichtige Möglichkeit der Hilfeleistung. Das kann ja wohl grundsätzlich nicht stimmen.
Aber von dieser grundsätzlichen Überlegung abgesehen gibt es doch immer wieder Einzelfälle, bei denen sich der Bürger und auch der Petitionsausschuß fragen: Muß denn nun wirklich in diesem konkreten Fall die Frage bis zur letzten Instanz durchgefochten werden? Gibt es nicht die Möglichkeit, sich vorher auf einen bestimmten Kompromiß zu einigen, insbesondere dann, wenn z. B. ein Betroffener im hohen Alter ist und bei der Frage einer Entschädigung für ihn die Gefahr besteht, daß er, bis das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat, längst verstorben ist? Ich meine also, daß dies trotz der garantierten und von uns anerkannten Unabhängigkeit der Gerichte enge, aber von uns
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Frau Matthäus-Maier
wahrzunehmende Möglichkeiten sind, bei denen wir als Petitionsausschuß unsere Tätigkeit durchaus einsetzen lassen sollten.
Ein zweiter Bereich, der die Begrenztheit der Möglichkeiten des Petitionsausschusses zeigt, ist folgender: Der Petitionsausschuß hat keine Durchsetzungskompetenz, d. h., seine Beschlüsse haben den Charakter von nach der Bedeutung des Anliegens abgestuften Empfehlungen. Er empfiehlt der Bundesregierung dies oder jenes, aber er kann die Durchführung der Empfehlungen nicht erzwingen. Man muß anerkennen, daß die Bundesregierung und die Bundesverwaltung zwar in den meisten Fällen den Empfehlungen — insbesondere den höherrangigen — entsprechen, aber es gibt eben auch Fälle, in denen das nicht geschieht.
Ich will hier einen Fall nennen, den die meisten von Ihnen kennen, bei dem der Ausschuß ausdrücklich bedauert, daß die Bundesregierung seinem Vorschlag nicht gefolgt ist. Das ist der sogenannte Plaketten-Fall, den ich hier für die, die ihn nicht kennen, kurz darlegen will: Es haben sich Zivilbedienstete der Bundeswehr mit der Beschwer an uns gewandt, sie seien während laufender Wahlkämpfe daran gehindert worden, mit ihrem Privat-Pkw und einem kleinen Parteiaufkleber auf diesem Pkw auf den Kasernenparkplatz zu fahren mit dem Hinweis darauf, dies sei mit § 15 des Soldatengesetzes nicht vereinbar — dieser Paragraph schränkt die Grundrechte von Soldaten hinsichtlich der öffentlichen und politischen Meinungsäußerung bekanntlich ein —, und man wolle hinsichtlich der Soldaten einerseits und der Zivilbediensteten andererseits keinen Unterschied machen. Von daher dürfe man also mit einem Privat-Pkw und einer kleinen Plakette auf diesem auch als Zivilbediensteter nicht auf einem Bundeswehrparkplatz innerhalb der Kaserne parken.
Meine Damen und Herren, ich will die Diskussion über das Thema hier nicht vertiefen. Sie wissen, daß der Ausschuß, und zwar quer durch alle Fraktionen, anders entschieden hat als die Bundesregierung. Wir haben die Bundesregierung gebeten, doch für Zivilbedienstete in Anbetracht der hohen Bedeutung von Art. 5 des Grundgesetzes davon abzusehen, solche einschränkenden Weisungen zu erteilen. Nachdem uns der Bundesverteidigungsminister mitgeteilt hat, daß er unserem Wunsch nicht Folge leisten wird, blieb dem Ausschuß nur eine Möglichkeit, die er auch wahrgenommen hat: Er hat diese Empfehlung an die Fraktionen mit der Bitte um Stellungnahme überwiesen.
Mittlerweile liegt mir die Empfehlung der SPD-Fraktion vor, die dem Votum des Ausschusses leider nicht gefolgt ist, die sich also, was ich bedaure, der Meinung der Bundesregierung angeschlossen hat. Ich kann für meine Fraktion mitteilen, daß unser zuständiger Arbeitskreis entsprechend dem Votum des Petitionsausschusses die Empfehlung ausgesprochen hat, Zivilbediensteten die Möglichkeit zu geben, den Privat-Pkw mit einem Parteiaufkleber auf Bundeswehrgelände zu parken. Wir werden dieses Thema im Ausschuß nicht aus den Augen verlieren und hoffen, daß es im weiteren
Verlauf des Verfahrens irgendwann doch noch zu einer gütlichen Regelung kommt.
Der dritte Bereich, in dem die Bevölkerung die Möglichkeit des Ausschusses überschätzt, ist ein Gebiet, auf dem sich der Ausschuß von sich aus, also freiwillig, eine gewisse Selbstbeschränkung auferlegt hat. Diese Selbstbeschränkung halte ich allerdings auch für richtig. Es geht um die Zurückhaltung des Petitionsausschusses bei der Behandlung gerade erst abgeschlossener, umstrittener Gesetzesänderungen. Denn ebensowenig wie der Petitionsausschuß eine Art Superrevisionsinstanz gegenüber gerichtlichen Urteilen sein kann, kann er eine Art Supergesetzgeber sein, der gesetzgeberische Entscheidungen, die als solche so gewollt sind, korrigiert.
Ich sage das ganz deutlich, weil wir in der Vergangenheit im Ausschuß immer wieder feststellen mußten, daß sich Bürger mit der Bitte um Korrektur von Gesetzen an uns wenden, die wir gerade erst im Bundestag — sei es einvernehmlich, sei es strittig — beschlossen haben.
Zwei Beispiele: Es ist immer wieder das 20. Rentenanpassungsgesetz vom Juni 1977 Gegenstand von Petitionen gewesen, z. B. die Festschreibung des Kinderzuschusses zur Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder aber die Begrenzung der Bewertung der Ausbildungsausfallzeiten auf den jeweiligen Durchschnittsverdienst aller Versicherten.
Ein anderes Beispiel aus dem Steuerrecht: Der Ausschuß mußte sich immer wieder mit Petitionen beschäftigen, die forderten, daß die auf Grund der 3. Konjunkturverordnung für die Zeit zwischen dem 9. Mai und dem 31. Dezember 1973 aus konjunkturellen Gründen durchgeführte Aussetzung der Gewährung steuerlicher Erleichterungen nach §
7 b rückgängig zu machen sei.
Meine Damen und Herren, ich will nicht auf die inhaltliche Diskussion dieser Punkte eingehen — ich halte sie so für richtig, wie wir sie entschieden haben —, aber mir scheint, daß es — unabhängig von der Position, die man inhaltlich dazu einnimmt — der Respekt vor dem Gesetzgeber, der diese Fragen kurz zuvor eindeutig gesehen, diskutiert und entschieden hat, gebietet, daß der Petitionsausschuß solche Dinge nicht behandelt und auch nicht korrigiert.
Falls wir das doch tun sollten, was meiner Ansicht nach über unsere Kompetenz hinausginge, bestünde im übrigen die Gefahr, daß bei den Petenten falsche Hoffnungen geweckt würden. Denn dann, wenn ein Gesetzgeber eine Frage gerade mit einer bestimmten Mehrheit oder sogar einstimmig so und nicht anders entschieden hat, ist es völlig unrealistisch, wenn der Petitionsausschuß ganz andere Vorschläge macht, wohl wissend, daß er beim Gesetzgeber auf völlig taube Ohren stößt. Eine weise Zurückhaltung des Petitionsausschusses auf diesen Gebieten ist also auch im Sinne der Petenten geboten.
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Frau Matthäus-Maier
Es gibt eine einzige Ausnahme, die in den genannten Fällen allerdings nicht vorlag: Dann, wenn sich im Laufe der Durchführung eines Gesetzes erweist, daß eine Lücke, die man übersehen hat, oder eine unbillige Härte, die man so gar nicht wollte, entstanden ist, kann der Petitionsausschuß selbstverständlich Empfehlungen geben. Dann aber, wenn die Härten gerade deswegen entstehen, weil sie politisch gewollt sind, wenn wir etwa beim Rentenanpassungsgesetz Einschränkungen wegen der Rentenfinanzierung vornehmen mußten, ist es Aufgabe des Petitionsausschusses, sich zurückzuhalten.
Lassen Sie mich etwas zu den Chancen der Petitionen sagen. Sie werden gelesen haben, daß 6,7 % aller Anliegen im Petitionsausschuß entsprochen worden ist. Wenn man bei den Petitionen die Anregungen und die auf gesetzgeberische Maßnahmen bezogenen Bitten wegläßt und nur die Beschwerden zugrunde legt, erhöht sich diese Erfolgsquote auf immerhin 13,1 %. Hinzu kommt, daß ein ganz erheblicher Teil, nämlich rund ein Drittel aller Petitionen, an die Volksvertretungen der Län- der überwiesen werden muß. Wenn man diesen Block von etwa einem Drittel, also die trotz fehlender Zuständigkeit an uns gegangenen Petitionen, abzieht, erhöht sich die Erfolgsquote immerhin auf knapp 20 %, so daß die ursprüngliche Zahl von 6,7 % die tatsächliche Erfolgsquote etwas negativer darstellt, als sie ist.
Nimmt man hinzu, daß etwa 28 % der Petitionen dadurch positiv erledigt werden, daß dem Begehren des . Petenten wenigstens zum Teil entsprochen wird — z. B. durch Rat, Auskunft, Verweisung oder Materialübersendung —, so erhöht sich die Quote der — wenigstens teilweisen — Erfolge doch immerhin auf knapp die Hälfte aller Petitionen, und ich glaube, das ist ein wichtiges Ergebnis.
Ich will hier allerdings ein Problem nicht verschweigen, mit dem wir uns — gerade als einzelne Abgeordnete, die ja dauernd die entsprechenden Akten lesen und aufgrund dessen entscheiden — im Ausschuß beschäftigen. Mir scheint — das muß ich Ihnen ehrlich sagen —, daß die Verwaltung des Petitionsausschusses oft recht unkritisch die Entscheidungen und die Begründungen der entsprechenden Bundesverwaltung übernimmt. Der Bericht des Petitionsausschusses kritisiert ausdrücklich die Bundesverwaltung, wenn er auf Seite 9 folgendes sagt:
Die Zusammenarbeit der Ministerien mit dem Ausschuß läßt in anderen Punkten ebenfalls zu wünschen übrig. Generell ist zu bemängeln, daß die Ministerien die Stellungnahmen der nachgeordneten Behörden häufig ohne detaillierte Prüfung übernehmen und zu wenig der Frage nachgehen, ob sich nicht doch Lösungsmöglichkeiten — beispielsweise im Wege eines Kompromisses — finden lassen.
Ich darf Ihnen sagen, daß ich in diese Kritik auch die Petitionsverwaltung einbeziehen möchte. Wir als Abgeordnete bekommen ja von der Petitionsverwaltung nicht eine leere Akte, in der
sich nur der Brief des Petenten befindet, sondern bekommen die Stellungnahme der Bundesverwaltung und einen Vorschlag des Petitionsbüros mitgeliefert. Dabei scheint mir die Verwaltung des Petitionsausschusses in der Gefahr zu stehen, die Stellungnahmen der Bundesministerien zu unkritisch zu übernehmen, was Sie schon daran sehen, daß in vielen Fällen in diesen Vorschlägen sogar wörtlich gesagt wird: „Übernahme der Seiten 17 bis 21 aus der Stellungnahme des Bundesministers" als Begründung.
Das hat zweifellos verschiedene Gründe. Einer dieser Gründe ist — das kann man der Petitionsverwaltung mit Sicherheit zugute halten — die Unterbesetzung des Büros. Wir haben bei der Petitionsverwaltung im Moment 54 Mitarbeiter. Ich glaube, daß dies angesichts der Fülle der Probleme und der höchst komplizierten Materien auf die Dauer nicht ausreichen wird, um die Fragen der jeweiligen Petition angemessen — d. h. unter voller Berücksichtigung der Wünsche des Petenten —, sachgemäß und detailliert zu erörtern.
Ich will auch zugeben, daß dies u. a. ein Problem der Abgeordneten ist. Denn wenn eine Petition mit einem bestimmten Votum der Petitionsausschußverwaltung zu uns kommt, geht es doch wahrscheinlich den meisten von uns so, daß dieser Vorschlag erst einmal den Vorteil hat, daß er als formulierter und begründeter Vorschlag im Raume steht. Der Nachteil ist, daß derjenige, der anders entscheiden möchte, sich doppelt in die Materie einarbeiten muß, daß er selber recherchieren und Überlegungen anstellen muß, daß er sich die Dinge dreifach überlegen muß. Das Ergebnis ist, daß bei den Abgeordneten dann der Wunsch, aus Gründen der Bequemlichkeit das zu übernehmen, was die Verwaltung vorschlägt, natürlich relativ ausgeprägt ist.
Aus meiner richterlichen Tätigkeit kenne ich den Vorteil derer, die eine Sache intensiv bearbeitet haben und einen Vorschlag vorlegen. Dieser Vorschlag hat zunächst immer das Prae des ersten Vorschlages für sich, und es ist sehr schwierig, gegen einen solchen Vorschlag einen eigenen zu setzen.
Mir scheint, wir können dies einerseits nur mit einer stärkeren Besetzung des Büros, andererseits aber auch mit einer anderen Einstellung im Büro und bei den Abgeordneten ändern. Ich meine, wir sollten im Zweifel auf der Seite des Petenten stehen. Das heißt nicht, daß wir ihm immer recht geben. „Im Zweifel" bedeutet, daß wir uns dann, wenn eine Sache wirklich Zweifel hervorruft, wenn ich also als Abgeordneter zu schwanken beginne — Ist das wirklich so? Muß die Verwaltung wirklich so handeln? Kann man das nicht auch anders sehen? Kann man da nicht einen Kompromiß finden? —, auf die Seite des Petenten stellen und das Thema zumindest auf die Tagesordnung des Petitionsausschusses setzen sollten, um im Gespräch mit Kollegen zu klären, ob wir uns dem Begehren anschließen können. Ich glaube, dies ist der bessere Weg, um einem gewissen Automatismus entge-
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genzuwirken, der einfach besagt: Stellungnahme der Bundesverwaltung — Stellungnahme des Petitionsausschusses — der Abgeordnete schließt sich an — und schon ist die Petition vom Tisch.
Im Petitionsausschuß bleibt die sonst leider übli- che parteipolitische Konfrontation in der Regel vor der Tür. Die Abstimmungen gehen dort meist quer durch die Fraktionen. Dies ist, wie ich ausdrücklich betone, erwähnenswert, weil wir gerade in der jetzigen Situation eine von Tag zu Tag zunehmende parteipolitische Konfrontation haben, aber auch aus einem anderen Grund: Wenn wir einer Petition recht geben und uns ihr anschließen, entscheiden wir uns ja in der Regel gegen eine Entscheidung der Bundesverwaltung. Angesichts der Situation, daß die parlamentarische Mehrheit in der Regel ihre eigene Regierung stützt, ist es in diesen Fällen, wenn Sie so wollen, ungewöhnlich, daß Abgeordnete gegen ihre eigene Regierung entscheiden. Einer der Gründe dafür, daß das möglich ist, liegt einfach darin, daß der Ausschuß relativ im verborgenen arbeitet und daß nicht sämtliche Diskussionsbeiträge und Meinungsäußerungen draußen in der Presse und sonst in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden, was sonst das Ergebnis hat, daß schnell der Vorwurf erhoben wird, die jeweilige Fraktion sei in sich zerrissen. Es ist gut, daß wir es uns im Petitionsausschuß leisten können, sehr unterschiedlich abzustimmen.
Eine solche quer durch die Fraktionen unterschiedliche Abstimmung über eine bestimmte Materie will ich an einem Beispiel erläutern, zumal da mir diese Petition aus der Fülle der von uns behandelten auch aus anderen Gesichtspunkten wichtig zu sein scheint. Ein Arzt und Psychotherapeut aus München wandte sich an uns. Er hatte sich im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit als Psychotherapeut nicht darauf beschränkt, medizinisch tätig zu sein, sondern jenen Patienten, die auf Grund psychischer Hemmungen Schwierigkeiten im Umgang mit Behörden hatten, geholfen, gegenüber Behörden tätig zu werden. Er hatte ihnen zum Beispiel einen Widerspruch formuliert oder einen Antrag ausgefüllt. Deswegen wurde er nach den Bußgeldvorschriften des Rechtsberatungsgesetzes zu einem Bußgeld verurteilt. Er war der Meinung, er sei dazu nicht nur berechtigt, denn er habe weder geschäftsmäßig noch gegen Geld beraten, sondern er sei als Psychotherapeut, dessen Anliegen ja über
die unmittelbare medizinische Betreuung hinausgehe, dazu sogar verpflichtet gewesen.
Wir haben das Problem intensiv diskutiert und sind zu folgendem Ergebnis gekommen: Grundsätzlich hält der Ausschuß zum Schutze der ratsuchenden Bürger und im Interesse einer geordneten Rechtspflege eine Aufsicht über das Rechtsberatungswesen für unumgänglich. Fehlende Sachkunde eines Rechtsberaters kann für den betroffenen Hilfesuchenden von großem finanziellem Nachteil sein. Andererseits gibt es nach unserer Meinung Grenzfälle, die Anlaß zu einer Neuregelung geben müssen, um Konflikte mit dem Rechtsberatungsgesetz nach Möglichkeit zu vermeiden.
Wie gerade der Fall des nach unserer Ansicht aus uneigennützigen Motiven im Interesse seiner Patienten handelnden Arztes zeigt, kann das Rechtsberatungsgesetz in einem gewissen Grenzbereich zu unbilligen Härten führen, die nicht zuletzt in der ungenauen Abgrenzung zwischen, wie es dort heißt, geschäftsmäßiger und nur gelegentlicher Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten begründet sind. Wir meinen also: Dieses Gesetz muß geändert werden. Wir sind dafür dankbar, daß uns das Bundesjustizministerium zugesagt hat, im Rahmen einer ohnehin bevorstehenden Novellierung und Überprüfung dieses Gesetzes diesen Punkt einzubeziehen.
Ich erwähne das auch deshalb, um zu zeigen, auf welch schwankendem Boden sich sogar Bundestagsabgeordnete bewegen, an die sich die Bürger ja täglich mit Fragen und mit Bitten um Hilfe wenden. Auch jeder Bundestagsabgeordnete lebt in der Gefahr und mit dem Risiko, unter diesem Rechtsberatungsgesetz und seinen Bußgeldvorschriften zu leiden, wenn er Rechtshilfe — dieser Begriff ist sehr weit gefaßt — erteilt und — was vielleicht nicht ganz so wahrscheinlich wie bei dem genannten Psychotherapeuten ist — an einen entsprechenden Staatsanwalt gerät.
Immerhin bedurfte es einer Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom November 1978 mit der Überschrift „Bürgersprechstunde des Abgeordneten und Rechtsberatungsgesetz". Sie kommt nach immerhin neun Seiten komplizierter Rechtsausführungen zu dem Ergebnis: Der. Abgeordnete darf in einer Bürgersprechstunde einem Bürger Auskünfte erteilen. Aber die Zulässigkeit dieser Rechtsauskunft bewegt sich — so heißt es wörtlich — auf rechtlich schwankendem Boden. Eine Klärung der Zweifelsfragen könnte entweder durch einen Musterprozeß oder durch eine Gesetzesnovelle erfolgen.
Ich bitte, den Justizminister auch unter diesem Gesichtspunkt, der uns Abgeordnete natürlich in eine unmögliche Position bringt, um Überprüfung des Rechtsberatungsgesetzes. Welcher Abgeordnete hält denn nicht regelmäßig Bürgersprechstunden ab, in denen er natürlich nicht nur darauf hinweist, daß das 20. Rentenanpassungsgesetz so und nicht anders aussieht, sondern in denen er auch sagt „An Ihrer Stelle würde ich klagen" oder „Legen Sie da Widerspruch ein, einen Widerspruch macht man so und so"?
Das heißt, daß auch wir Gefahr laufen, durch dieses Rechtsberatungsgesetz betroffen zu werden. Wir wären dankbar, wenn dieses Gesetz, zu dessen Novellierung uns dieser Arzt aus München den Anlaß geliefert hat, möglichst schnell unter die Lupe genommen würde.
Ich erwähnte bereits die Betroffenheit des Abgeordneten durch die Arbeit im Petitionsausschuß. Ich will hier ganz deutlich sagen: Von der Arbeit im Petitionsausschuß profitiert meiner Ansicht nach auch der einzelne Abgeordnete, der dort sitzt, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen wird er immer wieder mit Problemen des Alltags konfron-
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Frau Matthäus-Maier
tiert, mit Nöten, mit Schwierigkeiten, mit Sorgen, die aus Gesetzen, die wir hier machen, und aus dem Gesetzesvollzug entstehen. Er gerät, wie ich glaube, nicht so sehr in die Gefahr zu glauben, Gesetze seien perfekt, weil er täglich mit ihren Mängeln und ihrer Begrenztheit konfrontiert wird.
Das ist der eine Gesichtspunkt. Es gibt aber noch einen zweiten. Ich glaube, daß der Petitionsausschuß der einzige Ausschuß ist, in dem die Mitglieder des Deutschen Bundestages mit der ganzen Breite der Politik konfrontiert werden. Da geht es manchmal an einem Tag sowohl um komplizierte Fragen des Rentenrechts als auch um den Bereich der Steuerpolitik und komplizierteste Einzelfragen der Lastenausgleichsgesetzgebung. Dies hat sicherlich den Vorteil, daß man nicht so schnell ein Fachidiot wird. Ich glaube, daß in diesem Parlament und in der Art und Weise, wie wir auch innerhalb der Fraktionen geschäftsordnungsmäßig unsere Arbeitsbereiche verteilen, die Gefahr ansonsten sehr hoch ist.
Dieser Ausschuß lebt zweifellos politisch im Schatten; beim Bürger ist das sicher anders. Was die Abgeordneten selber angeht, so würde ich es wie folgt zusammenfassen: Die Arbeit dort ist nicht einfach. Sie bereitet viel Mühe, aber sie macht auch Spaß.
Zum Abschluß möchte ich auf folgendes hinweisen, weil ich gesehen habe — es täte mir leid, wenn da etwas Falsches entstanden wäre —, daß in der SPD-Fraktion anscheinend wegen meiner Äußerungen zum Plakettenfall Überprüfungen stattgefunden haben.
— Herr Wehner, mir liegt nichts daran, irgend jemandem etwas anzuhängen. Ich gehöre zu denen, die mit anderen gemeinsam im Petitionsausschuß dafür gefochten haben, daß wir diesen Punkt für die Zivilbediensteten klären. Nachdem sich das entsprechende Ministerium dem nicht angeschlossen hat, ist diese Petition an die Fraktionen überwiesen worden.
Mit ist offiziell vom Petitionsaussdchuß die Stellungnahme der SPD zugeleitet worden, leider noch nicht die der FDP. Die FDP-Fraktion hat sie offensichtlich dem Petitionsausschuß nicht schriftlich mitgeteilt, was ich bedaure. Ich habe aber unsere in der Fraktion abgestimmte Erklärung abgegeben. Mir ist auch die Stellungnahme der CDU noch nicht zugegangen, was ich gleichfalls bedauere.
—Entschuldigen Sie, ich habe Sie überhaupt nicht beschimpft. Ich habe nur gesagt, daß das, was sie inhaltlich geantwortet hat — —
— Selbstverständlich. Das nehmen wir auch zur Kenntnis. Ich darf es hier aber doch trotzdem kritisieren. Ich meine, daß das nicht Anlaß zu solchen Zwischenrufen sein sollte. Ich habe korrekt zitiert, und ich habe gesagt, daß Sie geantwortet haben, daß Sie anders als der Ausschuß entschieden haben. Ich kann hier doch wohl sagen, daß wir nach wie vor anderer Ansicht sind und daß wir dies bedauern.
Als nächster Redner hat Frau Abgeordnete Dr. Riede das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem sich die Wogen im Hause wieder geglättet haben und bevor ich mich ausgewählten Problemen aus dem Ihnen vorliegenden Bericht des Petitionsausschusses zuwende, lassen Sie mich bitte einige allgemeine Bemerkungen zu diesem Ausschuß und seinen Kompetenzen aus der Sicht der CDU/CSU-Fraktion machen.
Als 1975 die Erweiterung der Befugnisse des Petitionsausschusses hier im Plenum beraten wurde, gab es für meine Fraktionskollegen nicht den geringsten Zweifel an deren Notwendigkeit. Das, was damals der politische Wille des, wie ich glaube, gesamten Hauses war, hat seinen Niederschlag in der Einführung des Art. 45 c in das Grundgesetz sowie in dem dazu ergangenen Bundesgesetz gefunden. Wenn ich jetzt anläßlich der Vorlage des ersten schriftlichen Berichts nach über vier Jahren Erfahrung mit den damals beschlossenen Rechten und Befugnissen dieses Ausschusses eine Zwischenbilanz ziehe, so muß ich feststellen, daß die Qualität der Arbeit des Ausschusses eine andere geworden ist. Die Möglichkeiten einer intensiveren Sachaufklärung, der Abkürzung von langen Dienstwegen sowie des unmittelbaren Kontakts mit Petenten und ihren Anliegen vor Ort haben vor allem auch für den einzelnen Bürger Früchte getragen. Ich meine, die Stimme des Ausschusses hat dadurch insgesamt an Gewicht gewonnen. Dies, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist ein Zugewinn, der jedem einzelnen Mitglied dieses Hohen Hauses bei seiner politischen Tätigkeit zugute kommt.
Die Schaffung neuer und besserer Rechtsgrundlagen konnte jedoch nur bestehende formelle Hindernisse beseitigen. Sie war mithin nur der erste Schritt zu einer effektiveren Arbeit des Ausschusses. Hinzu kommen muß die tatsächliche Umsetzung der nunmehr gegebenen Möglichkeiten in die tägliche Arbeit des Ausschusses. Selbst aus dem Bereich der Bundesregierung gab es anfangs Versuche, die Kompetenz des Ausschusses einzuschränken. Wir haben uns gegen solche Überlegungen energisch zur Wehr gesetzt, und heute sind solche Fragen kein Thema mehr.
Schwieriger war es, dem einzelnen Bürger die Möglichkeiten dieses Bürgerausschusses nahezubringen. Nur diesem Zweck diente die intensive Öffentlichkeitsarbeit des Ausschusses in den letzten
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Frau Dr. Riede
Jahren. Zweifellos gebührt hier der Vorsitzenden,
Frau Kollegin Berger, unser aller Dank. Sie hat unter großem persönlichem Einsatz über die Medien
— Presse, Fernsehen und Hörfunk — den Bürgern klargemacht, daß sie, nämlich die Bürger, im Bundestag in Bonn einen ständigen Ansprechpartner für ihre Sorgen und Nöte haben. Dabei hat sie sich
— auch dies sei ausdrücklich gesagt — stets parteipolitisch neutral verhalten und jeweils nur die Sache in den Mittelpunkt ihrer Aussagen gestellt. Diese Sachbezogenheit ist übrigens quasi der gemeinsame Nenner der Arbeit aller meiner Kolleginnen und Kollegen im Ausschuß. Ich hoffe, daß dies auch in Zukunft so sein wird.
Wie ich hörte, hat kürzlich ein Kollege im Zusammenhang mit der Behandlung einer Eingabe die Frage gestellt, ob sich der Petitionsausschuß nicht zunehmend von seiner eigenen Aufgabe entferne und sich mit Fachthemen befasse, also letztlich Politik zu machen beginne. Gemeint war damit die Eingabe einer Elterninitiative, in der beklagt wurde, daß die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten der sogenannten Zelltherapie bei mongoloiden Kindern nicht übernähmen. Die Krankenkassen wiesen darauf hin, daß diese Heilmethode bei Mongolismus noch nicht allgemein wissenschaftlich anerkannt sei. Weil hier Tausende von Kindern und ihre Eltern betroffen sind, die mit einem schweren Schicksal zu kämpfen haben, hielten wir es für erforderlich, diesen Beschwerden besonders eindringlich nachzugehen und dabei auch von unseren erweiterten Befugnissen Gebrauch zu machen.
Daher haben wir zu dieser Frage beispielsweise Vertreter der Bundesregierung, der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen sowie medizinische Sachverständige angehört und auch Gespräche mit dem Bundesgesundheitsamt geführt. Wir konnten und wollten dabei selbstverständlich nicht ein eigenes Urteil über die medizinische Eignung dieser Heilmethode fällen, wir wollten aber erreichen, daß die Bundesregierung alles Erdenkliche tut, din wissenschaftlich klären zu lassen, ob diese von verschiedenen Ärzten und einer Kinderklinik praktizierte Heilmethode zur Kostenübernahme durch die Krankenkassen geeignet ist.
Wir haben diese Eingabe schließlich der Bundesregierung zur Berücksichtigung mit dem Ziel überwiesen, daß der zuständige Minister eine neutrale Gutachtergruppe zur Klärung der Wirksamkeit der Zelltherapie bei mongoloiden Kindern einsetzt. Diese Gutachtergruppe hat inzwischen ihre Arbeit aufgenommen. Der entsprechende Bericht darüber dürfte dem Ausschuß in Kürze zugehen.
Lassen Sie mich bitte hier ganz eindeutig klarstellen: Die Eingabe richtet sich gegen ablehnende Bescheide gesetzlicher Krankenkassen, nämlich Kosten der Zelltherapie nicht zu erstatten. Da es sich dabei teilweise um bundesmittelbare Behörden handelt, die der Kontrolle der Bundesregierung und der parlamentarischen Kontrolle dieses Hauses unterliegen, hatten wir über eine zulässige Eingabe im Sinne des Art. 17 GG zu beschließen. Nach Art. 45 c GG ist daher nicht ein Fachausschuß dieses Hauses, sondern allein der Petitionsausschuß zuständig.
Das genannte Beispiel zeigt im übrigen, daß es nicht nur Aufgabe ist, dem einzelnen Bürger zu helfen, sondern mit der Lösung seines Problems darüber hinaus zahlreichen anderen Bürgern in ähnlicher Situation behilflich zu sein.
Sie finden in dem vorliegenden Bericht eine Reihe von Einzelfällen, die letztlich dazu führten, daß verwaltungsinterne Vorschriften geändert wurden oder daß zumindest in Merkblättern ausdrücklich auf bestimmte Rechte des einzelnen hingewiesen wurde. Der Ausschuß kann sich also keinesfalls mit der Lösung des Problems der einzelnen Eingabe zufriedengeben, sondern er hat dafür Sorge zu tragen, daß erkannte Verwaltungsfehler sich nicht wiederholen. Die Möglichkeiten hierzu sind sicherlich vielstufig. Aber solange nicht dieses Haus als Gesetzgeber gefordert wird, trägt der Petitionsausschuß und nicht ein Fachausschuß die politische Verantwortung für die jeweiligen Entscheidungen.
Wir werden deshalb auch in Zukunft versuchen, schwerpunktmäßig Schwachstellen im Bereich Verwaltung/Bürger aufzuzeigen, und um generelle Abhilfe bemüht sein. Die immer wieder zu beobachtende Staatsverdrossenheit vieler Bürger geht uns alle an. Die Arbeit des Petitionsausschusses ist eine Möglichkeit, diesem gefährlichen Trend entgegenzuwirken.
Lassen Sie mich bitte abschließend noch auf ein anderes Spannungsfeld hinweisen. Frau Kollegin Matthäus-Maier hat ähnlich votiert. Ich meine den Bereich, in dem die Bundesverwaltung als beklagte Partei in einem Rechtsstreit eine bestimmte Haltung einnimmt und diese letztlich durch alle Instanzen vertritt. Ich verkenne nicht, daß es gerade das Wesen des Rechtstaates ausmacht, zulässige Rechtsmittel ausschöpfen zu können. Aber hierbei kommt es mir auf folgendes an.
Der Ausschuß hatte vor kurzer Zeit einen Fall zu behandeln — und dieser steht in der Tat für viele ähnliche Fälle —, in dem der Petent in erster Instanz ein teilweise obsiegendes Urteil erlangte. Es handelte sich um folgendes. Der Petent war bei einem Ausritt erheblich verletzt worden, als sein Pferd infolge tief anfliegender Bundeswehrhubschrauber scheute und durchging. Ein Dauerschaden zwang ihn zur Aufgabe seines Arztberufes. Vor dem Landgericht wurden seine Ansprüche auf Schadensersatz zu einem Viertel als gerechtfertigt angesehen, womit er sich auch zufriedengab. Dennoch führte die betroffene Verwaltung den Rechtsstreit bis vor den Bundesgerichtshof. Dieser ließ allerdings die Revision nicht zu, sondern wies die zuständige Verwaltung, hier die Wehrbereichsverwaltung, an, dem Petenten den entstandenen Schaden entsprechend dem Ausschußbeschluß gutzumachen.
Der Petitionsausschuß hatte sich zwischenzeitlich auch mit dem Anliegen befaßt und kam auf Grund seiner Prüfung zu dem Ergebnis, die Eingabe der Regierung zur Erwägung zu überweisen. Da diese jedoch dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beimaß, hat sie dem Beschluß des Petitionsausschusses nicht entsprochen. Nunmehr, d. h. nach Abschluß des Verfahrens vor dem Bundesgerichts-
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Frau Dr. Riede
hof, hat der Petent seine Ansprüche zugesprochen bekommen. Wäre es nach Auffassung und Würdigung des Petitionsausschusses gegangen, hätten die entsprechenden Geldleistungen bereits ein volles Jahr früher erfolgen können, und viel Ärger wäre erspart geblieben.
Deswegen hier an dieser Stelle unsere Bitte an die Bundesregierung, kritischer als bisher bei derartigen Rechtsstreitigkeiten abzuwägen, ob aus grundsätzlichen Überlegungen der Gang durch alle Instanzen notwendig ist. Wir im Ausschuß haben leider nur allzuoft den Eindruck, daß die Belange des Schwächeren — das ist in der Regel der Bürger — dabei auf der Strecke bleiben.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Müntefering.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will selbstkritisch beginnen. Ich glaube, daß der Deutsche Bundestag es bisher nicht immer schafft, aus der Vielzahl der Petitionen und Eingaben die nötigen und möglichen Konsequenzen zu ziehen.
Das hat mehrere Gründe. Das liegt sicher daran, daß wir vom Petitionsausschuß selbst es bisher nur unzureichend geschafft haben, unseren politischen Ansätze auch in der nötigen Weise in die Fachberatungen der Ausschüsse und in die Parlamentsarbeit einzubringen. Das liegt sicher insgesamt auch am Bundestag selbst, der die Ergebnisse der Petitionsarbeit bisher sehr oft zwar zur Kenntnis nahm, aber nicht versuchte, daraus Konsequenzen zu ziehen und Lösungen zu suchen.
Es ist überhaupt verwunderlich, meine ich — das darf ich als junger Abgeordneter sicher sagen —, daß wir Abgeordneten so selten über das Petitionswesen, das uns im Wahlkreis und hier in Bonn über sehr viele Stunden hin in Anspruch nimmt — ausgelöst durch Sprechstunden oder durch Briefe, die uns hier erreichen — gezielt miteinander Informationen und Erfahrungen austauschen. Hier wären sicher Verbesserungen nötig.
Wenn der Petitionsausschuß in einem Einzelfall etwas erreichen will oder wenn er in einem Einzelfall etwas Allgemeingültiges erkennt, wendet er sich in der Regel an die Bundesregierung, auch wenn es sich nicht um Beschwerden, sondern um Bitten zur Gesetzgebung handelt. Der Gesetzgeber Bundestag wendet sich also an die Bundesregierung und empfiehlt zu berücksichtigen, zu erwägen, zur Kenntnis zu nehmen. Sehr viel seltener versuchen wir als Ausschuß, den Fachausschuß und das Parlament auf die Spur zu bringen, die wir als bedenkenswert erkannt zu haben glauben. Ich meine, daß hier die Akzente vielleicht etwas anders gesetzt werden müssen. Die Sorgen, Bitten und Beschwerden der Bürger müssen die parlamentarische Arbeit unmittelbarer und erkennbarer berühren und bewegen.
Das Petitionswesen hat sicher auch Bezüge zu der landauf, landab behaupteten Staatsverdrossenheit.
Die große und steigende Zahl von Petitionen spricht dabei, meine ich, aber keineswegs für Staatsverdrossenheit, sondern spricht dafür, daß die Menschen Vertrauen in die Institutionen unserer Demokratie haben. In der Tat wird ja von vielen Abgeordneten in den Gemeinden und Stadträten, in den Landtagen und auch hier bei uns gute Arbeit geleistet. Die Kontakte zu den Bürgern sind intensiv und vielfältig.
Wir als Mitglieder des Petitionsausschusses haben uns bei den sachkundigen Kollegen zu bedanken, die bei besonders kniffligen Petitionen aus ihrem Fachbereich bereitwillig Hilfestellung geben. Ich will das ausdrücklich erwähnen. Wir haben uns aber auch bei den Damen und Herren im Büro des Petitionsausschusses zu bedanken, die immer zur Verfügung stehen, wenn es darum geht, Fragen zu klären und zusätzliche Probleme zu lösen.
Ob dieses Vertrauen der Bürger in das Petitionswesen Bestand hat, hängt, glaube ich, weniger davon ab, ob wir dem Anliegen der Bürger entsprechen können oder wollen oder nicht. Ob dieses Vertrauen Bestand hat, hängt vielmehr davon ab, welche Erfahrungen die Menschen mit uns machen, wenn sie sich an uns wenden, ob wir schnell und einfühlsam und engagiert in der Sache auf ihre Bitten und Beschwerden eingehen. Deshalb sage ich: Wir müssen Petitionen schnell bearbeiten. Das Ausschußbüro muß personell und sachlich gut ausgestattet sein. Die Bearbeitung der Petition muß in der Regel in wenigen Wochen möglich sein. Wir dürfen nicht wieder Rückstände bekommen, wie wir sie zeitweise gehabt haben. Der Ausschuß muß bei seinen Recherchen die volle Unterstützung der Bundesregierung und der Bundesbehörden haben. Das ist in der Regel gegeben, aber vielleicht hilft die heutige Diskussion mit, daß hier auch die letzten Mängel beseitigt werden.
Wenn jetzt gefragt wird: Wer beantwortet denn schnell?, will ich einen konkreten Fall ansprechen, der den Bundesminister der Verteidigung betrifft, der hier schon zweimal zitiert worden ist. Es ging um eine Petition zum Fluglärm, die uns am 11. Juli 1978 erreichte, in der ein Bürgermeister darum bat, daß seine Stadt von Überflügen durch Bundeswehrflieger verschont werden solle. Der Ausschuß antwortete am 14. Dezember 1978 auf diese Petition. Der Petent bekam aber bereits am 3. August 1978, also drei Wochen, nachdem er uns die Petition geschickt hatte, akurat die Antwort vom Bundesminister der Verteidigung, die er auch von uns bekam. Das entstand dadurch, daß er sich sowohl an uns als auch an den Bundesminister der Verteidigung gewandt hatte. Dies ist ein Fall, in dem der Bundesminister der Verteidigung außerordentlich schnell und gut reagiert hat. Dies zeigt auch, daß es Bürger gibt, die auf verschiedenen Wegen ihr Anliegen vorzubringen und zur Erledigung zu bringen versuchen. Es macht die Sache nicht leichter, wenn man gegenseitig nichts davon weiß.
Ich habe gesagt, daß wir schnell und einfühlsam reagieren müssen. Eine einfühlsame Reaktion bedeutet, daß Petitionen nicht schablonenhaft aus
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dem Zettelkasten beantwortet werden dürfen. Die Petenten schreiben nun einmal nicht alle messerscharf: Ich möchte: 1., 2., 3. ... Es ist oft genug ein schwieriges Unterfangen herauszufinden, worin denn das eigentliche Anliegen besteht und was überhaupt getan werden kann. Auch das spricht dafür, daß das Büro personell und sachlich gut ausgerüstet sein muß.
Einfühlsam reagieren heißt auch, daß wir einer Witwe, die erkennbar zum erstenmal sich in ihrem Leben durchringt, einen solchen Brief nach Bonn zu schreiben, anders antworten müssen, als dem fachlich versierten Schreiber, der eine Sachentscheidung fordert. Wir vom Ausschuß und die Mitarbeiter in der Zentralstelle bemühen uns darum.
Wir müssen in der Sache engagiert reagieren. Das ist relativ leicht bei solchen Petitionen, bei denen man sagen kann, da ist etwas falsch gelaufen, das muß geheilt werden. Aber viele Petitionen sind ja so eindeutig nicht. Sie führen uns in einen Wust von Bürokratismen, Behauptungen und Gegenbehauptungen, Darstellungen und Gegendarstellungen und verursachen das ungute Gefühl, daß da etwas dran sein könnte, daß man aber nicht so recht den Hebel hat, der die Dinge bewegen könnte. Die Sachverhalte sind oft kompliziert. Dann kommt es darauf an, daß wir uns nicht zu früh den Darstellungen hingeben, die wir erhalten, sondern daß wir all die Möglichkeiten ausloten, die wirklich gegeben sind, um das konkrete Problem und die Frage allgemeingültig zu lösen. Das heißt, die Bürger müssen, wenn sie unsere Antwort bekommen, er- kennen, daß wir sie ernst genommen haben, daß wir sorgfältig recherchiert haben und daß die wirklich bestmögliche Lösung gesucht worden ist.
Ich will an Hand einiger weniger kleiner Beispiele darstellen, worum es dabei im Petitionsausschuß geht und vor welchen Problemen wir stehen. Der Ausschuß wurde verschiedentlich gebeten, sich dafür einzusetzen, daß bestimmte Telefoninhaber nicht in das Amtliche Fernsprechbuch aufgenommen werden. Die Bürger sahen in der automatischen Aufnahme eine Verletzung ihres Grundrechtes und wollten generell selbst entscheiden können, ob sie aufgenommen werden oder nicht. Mancher von uns, der sich selbst allzu oft vom Telefon gequält fühlt, mag ja auch ein wenig Verständnis dafür haben. Aber der Ausschuß vertritt, wie der zuständige Bundesminister, die Meinung, daß in der Regel das öffentliche Interesse an einem möglichst vollständigen Verzeichnis der Fernsprechteilnehmer überwiegt und nur in Ausnahmefällen davon abgewichen werden soll. Trotzdem hat sich der Bundesminister bereit erklärt, jeden Fall speziell und individuell zu prüfen.
Um auf aktuelle Petitionen zu sprechen zu kommen: Es erreichten uns in den letzten Monaten zunehmend Petitionen zum Wohngeld, in denen Rentner wünschen, daß Rentensteigerungen für den Wohngeldanspruch unerheblich bleiben sollen, das heißt, wenn die Rente steigt, sollen deshalb die Wohngeldbeträge nicht geringer werden. Das geht aber natürlich nicht. Denn auch die Lohnzuwächse der Arbeitnehmer werden ja beim Wohngeldanspruch berücksichtigt, wenn der neue Antrag gestellt ist. Diese Petitionen machen aber deutlich, wie groß und teilweise drückend die Mietbelastungen für nicht wenige Haushalte, Rentner und wohl noch mehr für Familien mit Kindern geworden sind, und daß wir als Gesetzgeber zu einer Wohngeldgesetzesnovelle aufgerufen sind.
Im Jahre 1977/78 haben wir als Ausschuß 253 Einzeleingaben zum Tierschutz zu bearbeiten gehabt sowie eine Sammeleingabe mit 70 000 Unterschriften gegen die Tötung von Robben. Wir haben als Ausschuß diese Bitten und Beschwerden der Bundesregierung als Material überwiesen mit dem Ziel, eine wirksamere Gesetzesanwendung zu erreichen. Die Petitionen zum Tierschutz waren wohl begründet. Ich bitte, mich deshalb nicht mißzuverstehen, wenn ich trotzdem einmal frage: Wäre es in unserem Lande auch vorstellbar, daß 253 Personen mit Einzeleingaben oder 70 000 Personen mit ihren Unterschriften sich gegen Kindesmißhandlung engagieren und da auf verstärkte Abhilfe dringen?
Manchmal sind auch die Petitionen interessant, die nicht eingehen.
Ein letzter Fall. Eine Gruppe von Bürgern wandte sich im März 1979 an uns mit der Beschwerde über späte und mangelhafte Information in einer für sie höchst wichtigen Angelegenheit. Die Bürger forderten auch den vorläufigen Stopp einer Baumaßnahme bis zur Ausräumung der Fragen und Probleme. Es ging um Erweiterungsmaßnahmen bel einem Munitionsdepot. Nun sind solche militärischen Anlagen ja besonders sensible Themen, und es kann hier nicht jede Einzelheit ausgeleuchtet werden. Immerhin ist aber doch die ungute Art aufzuzeigen, betroffene Bürger nicht vorher und nicht rechtzeitig und nicht umfassend genug über schwerwiegende Änderungen in ihrem Wohn- und Lebensbereich zu informieren.
Was wir daraus lernen können: Bei der Bauleitplanung in den Gemeinden haben wir eine weitgehende Mitwirkung der Bürger vorgeschrieben und praktizieren sie mit Erfolg. Beim Straßenbau sollten wir sie bald verbindlich machen. Bei allem Respekt vor den Besonderheiten militärischer Anlagen müßte es doch auch möglich sein, auch wenn solche Anlagen nicht, wie im vorliegenden Fall, in deutscher Hand sind, die betroffenen Bürger und Gemeinden wie verantwortungsbewußte Demokraten zu behandeln und nicht wie Befehlsempfänger. Die Petenten wollten ja nicht die Verhinderung des Depos, sondern beschwerten sich über die Modalitäten. Ich denke, dies ist eine Sache, die wir uns alle noch einmal genau ansehen müßten, alle, die da mitwirken könnten. Wir sollten darauf hinwirken, daß in Zukunft in der Behandlung der Interessen der Bürger demokratischer vorgegangen wird.
Wer aufmerksam zugehört hat, liebe Kolleginnen und Kollegen, dem wird nicht entgangen sein, daß in den Ausführungen der Diskussionsteilnehmer, der Sprecher hier vorn, ein kleiner Dissens lag in der Beurteilung dessen, was denn eigentlich die
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Fachausschüsse des Bundestages bei der Behandlung von Petitionen für eine Rolle spielen könnten. Ich habe in meinem Beitrag eben deutlich zu machen versucht, daß ich glaube, daß wir die Fachausschüsse stärker als bisher mit in die Arbeit einbinden könnten, insbesondere dann, wenn es um sehr schwerwiegende und komplizierte Entscheidungen geht. Ich unterstelle aber allen beteiligten Kolleginnen und Kollegen des Petitionsausschusses, daß wir uns gemeinsam bemühen, die bestmögliche Lösung im Interesse der betroffenen Bürger zu finden. In diesem Sinne sollten wir weiterarbeiten und uns bemühen.
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich nur ein kurzes Wort aus der Sicht der Bundesregierung am Ende dieser auch für mich sehr interessanten Debatte sagen, die uns alle, die wir dort sitzen, sicherlich sehr gut über die Arbeit des Petitionsausschusses informiert und nachdenklich gemacht hat gegenüber manchen Worten der Kritik.
Ich begrüße es aus der Sicht der Bundesregierung außerordentlich, daß eine solche Debatte stattfindet, weil wir dadurch gemeinsam würdigen, daß es sich beim Petitionsrecht um ein Bürgerrecht ersten Ranges handelt.
Ich begrüße es auch, Frau Kollegin Berger, daß das Parlament über Einzelfälle diskutiert, auch über Fallgruppen, und daß wir etwas wegkommen von der abstrakten Gesetzesdiskussion, die uns ja so beansprucht. Ich fand es sehr bemerkenswert, daß Sie gesagt haben, wir müßten kontrollieren, welche Wirkung die Gesetze haben. Wir müssen das mitunter sehr schnell tun. Wir können die Wirkung eben auch an den Petitionen ablesen, die Sie bekommen.
Der Wunsch nach mehr Eigenverantwortung der im öffentlichen Dienst Tätigen wird auch von uns unterstützt. Sie merken das — so habe ich das Ihren Worten entnommen — nicht nur bei der Beurteilung von Entscheidungen, sondern möglicherweise auch bei der Art, wie die öffentliche Verwaltung auf Petitionen reagiert.
Sie haben kritisiert, daß Stellungnahmen manchmal erst nach Monaten eingehen. Ich halte das nicht für gut, bitte Sie allerdings, zu berücksichtigen, daß die öffentliche Verwaltung, die Bundesministerien, außerordentlich mit Anfragen der verschiedensten Art belastet sind. Ich muß das den Kollegen bei dieser Gelegenheit einmal sagen. Nicht nur die wöchentliche Fragestunde, die eine wichtige Funktion hat, sondern auch Anfragen der Kollegen unmittelbar an die Ministerien und Anfragen der Bürger nehmen heute einen außerordentlich großen Umfang der Behördentätigkeit ein. Die Stellungnahmen zu Petitionen kommen dann noch hinzu. Sie sollten deshalb bitte auch angesichts manchmal sehr komplizierter Fälle Nachsicht haben, wenn es nicht so schnell geht, wie Sie es sich wünschen. Ich billige es keineswegs, daß Anfragen verschleppt und verzögerlich beantwortet werden.
Ich habe auch Ihren Wunsch aufgenommen, daß Anfragen mit großer Sorgfalt beantwortet werden sollten.
Wir werden uns über die Frage der Ausübung des Petitionsrechts durch Bedienstete des Bundes noch unterhalten, Frau Berger. Ich habe Ihre Vorschläge gelesen. Wir werden uns sicherlich in dem einen oder anderen Punkt aufeinander zubewegen müssen. Ich teile Ihre Auffassung, daß die Inanspruchnahme des Bürgerrechts auf Petition nicht zu einer Rüge, nicht im geringsten zu einer Benachteiligung der im öffentlichen Dienst Tätigen führen darf. Wir müssen gemeinsam darüber wachen, daß dies nicht geschieht.
Wir werden auch über die kritischen Anmerkungen zur Rechtsmittelausschöpfung durch die Bundesbehörden diskutieren. Wir haben das aufgenommen.
Die Frage, ob sich der Petitionsausschuß als ein Oberausschuß versteht, ob hier also Kritik angebracht sei, möchte ich von seiten der Bundesregierung hier nicht abschließend behandeln. Das ist Sache des Parlaments. Es ist Sache der anderen Ausschüsse, sich darüber ein Bild zu machen. Das kann nicht Aufgabe der Bundesregierung sein, wenn wir auch manchmal das Gefühl haben, Frau Kollegin Berger, daß Sie den rechtlichen Rahmen, der Ihnen gesetzt ist, doch weit ausschöpfen.
Abschließend möchte ich ausdrücklich würdigen, daß diese Debatte stattfand. Es würde mich freuen, wenn wir sie von Zeit zu Zeit wiederholen könnten.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 52 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 8/3045 —
Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? — Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe das Wort zur Geschäftsordnung erhalten, und ich möchte zur Geschäftsordnung erklären, daß ich etwas erstaunt darüber bin, daß eine Wortmeldung zur Aussprache über den vorausgegangenen Tagungsordnungspunkt nicht angekommen zu sein scheint.
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Dürr
Der Tagesordnungspunkt, den wir im Augenblick behandeln, enthält zwei Petitionen, einen Antrag 1 und einen Antrag 2. Ich bitte, über die in Antrag 1 genannte Petition heute nicht zu beschließen und die Frage der formellen Behandlung der Petition dem Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Prüfung zuzuleiten.
Zur Begründung eine Frage: Ist es angebracht, eine Petition vom 3. Juli 1977, die mit Schreiben vom 22. Juli 1977 einem Bundesministerium mit der Bitte um unmittelbare Erledigung übersandt wurde — die Abgabenachricht wurde erteilt —, trotzdem noch zwei Jahre später dem Plenum zur Beschlußfassung vorzulegen? Das zu Antrag 1.
Über Antrag 2 kann ohne weiteres — darum bitte ich namens meiner Fraktion — so beschlossen werden, wie vom Ausschuß vorgeschlagen.
Eine Frage zu Ihrem Antrag, Herr Abgeordneter Dürr: Sie wollen also heute keinen Beschluß über den Antrag 1, sondern Sie wollen ihn überweisen lassen?
— Nicht überweisen! Es soll nur kein Beschluß gefaßt werden. Danke sehr!
Das Wort hat nun Herr Dr. Pfennig.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Ich möchte mich ebenfalls an die Geschäftsordnung halten. Ich muß natürlich etwas zu dem Verfahren sagen, daß eine gutachterliche Stellungnahme eines anderen Ausschusses eingeholt werden soll zu einem formellen Verfahren im Petitionsausschuß. Das ist ein sehr ungewöhnlicher Antrag.
— Ein seltener Antrag. Ich meine auch, daß das Plenum grundsätzlich nicht schon beschlossene Petitionen an andere Ausschüsse überweisen kann.
Sie haben hier nur eine Stellungnahme angefordert. Zu dieser Stellungnahme möchte ich genauso wie Sie, Herr Kollege Dürr, in Frageform etwas in den Raum stellen: Ist es eigentlich unzulässig und dient es nicht einer unbürokratischen Erledigung von Petitionen durch den Petitionsausschuß, wenn der Petitionsausschuß sozusagen in „Kurzerhanderledigung" die Stellungnahme eines Ministers einfordert und dann, wenn dieser Minister eine dem
Petenten nicht genügende Stellungnahme abgibt, in dieser Sache weiter berät?
Herr Kollege Dürr, ich könnte Ihnen eine Vielzahl von Fällen nennen, wo Petitionen auf diese Weise erledigt worden sind. Auf diese Art ist z. B. eine Petition erledigt worden, bei der sich das Bundesministerium für Arbeit geweigert hatte, Kindergeld für in Ost-Berlin lebende Kinder zu zahlen. Das Ministerium hat seine Rechtsauffassung und Gesetzesauslegung korrigiert und zahlt jetzt. Damit ist diese Petition im Sinne des Petenten erledigt gewesen. Anderenfalls hätten wir sie sicher weiter beraten.
Herr Kollege Dürr.
Dürr Herr Präsident! Meine Damen und Herren, insbesondere Herr Kollege Dr. Pfennig! Da habe ich den ursprünglich von mir geplanten Antrag in der Formulierung geändert, weil für diese geänderte Formulierung das Einverständnis Ihres verehrten Fraktionskollegen Jenninger zu erreichen war. Jetzt sagen Sie, so schön sei der Antrag wieder nicht. Die eine Sache werden wir im Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung behandeln, und die andere behandeln die Abgeordneten Pfennig und Jenninger innerhalb ihrer Fraktion.
Meine Damen und Herren, das Wort auch zur Geschäftsordnung wird nicht weiter gewünscht. Ist das Haus damit einverstanden, daß über den Antrag 1 heute nicht beschlossen wird? — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 8/3045, und zwar über den Antrag 2 der Sammelübersicht 52, ab. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um sein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung angelangt. Ich danke Ihnen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 17. Oktober 1979, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.