Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich eine Erklärung abgeben.
Am 14. März 1978 ist Nico Hübner; ein junger in Ost-Berlin wohnender Deutscher, verhaftet worden. Nico Hübner hatte sich unter Hinweis auf den entmilitarisierten Status der Stadt geweigert, einer Aufforderung zur Tauglichkeitsuntersuchung für den Dienst in der Nationalen Volksarmee nachzukommen. Am 7. Juli 1978 verurteilte das Stadtgericht von Ost-Berlin Hübner zu fünf Jahren Freiheitsentzug.
Die drei Westmächte haben anläßlich der Verhaftung und anläßlich der Verurteilung gegenüber der Sowjetunion darauf hingewiesen, daß diese Maßnahmen den in den Nachkriegsvereinbarungen der Vier Mächte und der Gesetzgebung des Alliierten Kontrollrats festgelegten, bis heute fortbestehenden entmilitarisierten Status Berlins verletzen., Sie haben eine Überprüfung des Urteils gefordert. Wir sind den drei Westmächten für diese Haltung dankbar.
Das Berliner Abgeordnetenhaus hat seine Solidarität mit Nico Hübner bekundet. Viele Bürger aus dem Inland und Ausland haben sich in zahlreichen Petitionen für ihn eingesetzt.
Ich bringe die gemeinsame Überzeugung der Mitglieder des Deutschen Bundestages zum Ausdruck, daß das Urteil gegen Nico Hübner dem Rechtsempfinden widerspricht. Der Deutsche Bundestag appelliert an die Verantwortlichen, Nico Hübner freizulassen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, das in ihren Kräften Stehende zu tun, um die Freilassung von Nico Hübner zu erwirken.
Ich darf einige weitere Mitteilungen zur Kenntnis des Hauses bringen.
Als Nachfolger für den ausgeschiedenen Abgeordneten Strauß hat der Abgeordnete, Reichold mit Wirkung vom 4. Dezember 1978 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kollegen sehr herzlich und wünsche ihm
eine erfolgreiche Mitarbeit im Deutschen Bundestag.
Der Abgeordnete Schmidhuber hat mit Wirkung vom 6. Dezember 1978 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet.
Amtliche Mitteilung ohne Verlesung
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 1. Dezember 1978 beschlossen, der Bundesregierung wegen der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1976 auf Grund der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes Entlastung gemäß Artikel 114 des Grundgesetzes und § 114 der Bundeshaushaltsordnung zu erteilen.
Ich rufe nunmehr Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses als 1. Untersuchungsausschuß nach Artikel 45 a Abs. 2 des Grundgesetzes zu dem Antrag der Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU im Verteidigungsausschuß auf Einsetzung des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß zur Untersuchung des Spionagefalles Lutze/Wiegel und damit im Zusammenhang stehender Sachverhalte
— Drucksachen 8/2290, 8/2350 — Berichterstatter:
Abgeordneter Ahlers
Abgeordneter Ernesti
Abgeordneter Horn
Abgeordneter Möllemann
Abgeordneter Dr. Voss
Das Wort als Berichterstatter hat der Herr Abgeordnete Ahlers.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist Bericht zu erstatten über die Tätigkeit des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß im Spionagefall Lutze/Wiegel.
Vor fast genau einem Jahr, am 14. Dezember 1977, wurde dieser Ausschuß auf Antrag der CDU/ CSU-Fraktion einvernehmlich eingesetzt, nachdem sowohl die Bedeutung dieses schon geraume Zeit zurückliegenden Falles als auch die Tatsache seiner nur zögerlichen Behandlung im Verteidigungsmini-
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Ahlers
sterium öffentlich bekanntgeworden waren. Über die Notwendigkeit, eine parlamentarische Untersuchung zu führen, war man sich in allen drei Fraktionen von Anfang an klar. Ihr Ziel sollte die Aufklärung dieser Vorgänge sein, und diese sollte mit der Absicht vorgenommen werden, Verbesserungsvorschläge für die Abwehr der von der östlichen Spionage drohenden Gefahren zu machen. Das Ziel wurde erreicht, die Absicht wurde verwirklicht. Als Ergebnis der Beratungen ergab sich Übereinstimmung hinsichtlich der schwerwiegenden Bedeutung dieses Falles und des eingetretenen Schadens für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland.
Es ist ein traditionelles Recht des Parlaments, mit Hilfe von Untersuchungsverfahren seiner Kontrollfunktion gegenüber Regierung und Exekutive Nachdruck zu verleihen. Zum siebten Mal konstituierte sich deshalb der Verteidigungsausschuß als Untersuchungsausschuß. In den vergangenen Jahren war das fast nie mehr der Fall gewesen. Ich meine, auch weiterhin sollte die Regel gelten, daß die kräftigen Mittel eine um so stärkere Wirkung zeigen, wenn sie nur vorsichtig dosiert angewendet werden.
Aus Gründen der Geheimhaltung steht nur dem Verteidigungsausschuß das Recht zu, sich selber als Untersuchungsausschuß zu etablieren. Aus diesen Gründen gilt für ihn auch nicht die allgemeine Regel des Art. 44 des Grundgesetzes, wonach die Beweiserhebung "generell in öffentlicher Verhandlung vorzunehmen ist. Gleichwohl haben wir dem berechtigten Verlangen der Öffentlichkeit nach öffentlicher Behandlung weitgehend Rechnung getragen. Nur verhältnismäßig selten wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen.
Bedauerlicherweise gelangte auch aus diesen Geheimsitzungen einiges Material auf den Markt. Die Hoffnung des Verfassungsgebers, durch die Spezialvorschrift genügend Vorsorge getroffen zu haben, daß Geheimnisse nicht über den Kreis der Befugten hinausgelangen, hat sich nicht erfüllt; denn parteipolitische Zwecke haben bei der ganzen Sache von Anfang an eine große Rolle gespielt.
Dennoch haben die Mitglieder des Ausschusses die erwähnten gemeinsamen Ziele nie aus den Augen verloren, und die gemeinsame Absicht bestimmte auch das zumeist gute Klima, welches in den Sitzungen herrschte. Dafür ist neben allen anderen Kollegen, die sich aktiv an der Arbeit des Aus- schusses beteiligen konnten, in erster Linie den Vorsitzenden, Herrn Dr. Wörner und dem Kollegen Wilfried Penner, zu danken.
Letzterer hatte sich als juristischer Fachmann zur Verfügung gestellt und ist dabei schon fast zum Verteidigungsexperten geworden.
Die beiden Vorsitzenden haben in enger Kooperation sachlich und zuweilen sogar humorvoll den Ausschuß geleitet. Sie haben manche juristische Hürde genommen, andere einfach umritten und einige schwierige Situationen gemeistert. Bis auf wenige. Ausnahmen konnten erfreulicherweise auch Peinlichkeiten vermieden werden.
Ich möchte dies besonders hervorheben; denn der Ausschuß hatte sich auch vorgenommen, durch seine Arbeit das Ansehen des Bundestages zu heben und der Aufforderung Herbert Wehners, nach einem neuen parlamentarischen Stil zu suchen, nachzukommen. Auch sollte der weitverbreiteten Ansicht entgegengewirkt werden, Untersuchungsausschüsse seien zu nichts nutze, weil sie lediglich als Instrument parteipolitischer Taktik mißbraucht würden. Wie auch immer das Urteil über unsere Arbeit ausfallen mag, jedenfalls ist der Ausschuß nicht ausgegangen wie das bekannte Hornberger Schießen. Die Verfahrensregeln der IPA und ihre angemessene Auslegung durch die Vorsitzenden haben sich bewährt. Die Rechte der Minderheit, die ein parlamentarisches Untersuchungsverfahren bestimmen, wurden voll gewährt.
Darüber hinaus hat es sich als zweckmäßig erwiesen, einen Ad-hoc-Ausschuß zu bilden, dem die beiden Vorsitzenden, die Berichterstatter und die Obleute angehörten. In dieser Runde konnten viele Fragen vorgeklärt und die Abläufe der Sitzungen beraten werden.
Doch will ich nicht so tun, als ob alles nur eitel Sonnenschein gewesen wäre. Es hat eine Reihe unschöner Szenen gegeben sowie eine Flut von Verdächtigungen, von Vorverurteilungen und, wie schon erwähnt, von Indiskretionen. Dazu hat offensichtlich das Denken an die vielen wichtigen Wahlkämpfe dieses nun zu Ende gehenden Jahres beigetragen. Die Opposition meinte wohl, aus dem Spionagefall Kapital schlagen zu können.
Für zukünftige Fälle sollte deshalb festgehalten werden, daß ganz offensichtlich die Ergebnisse der Landtagswahlen von der Spionageaffäre, von der Arbeit unseres Ausschusses und von den damit im Zusammenhang stehenden personellen Veränderungen nicht beeinflußt wurden. Entsprechende Anstrengungen hätte man sich also ersparen können.
Die Langzeitwirkung solcher Vorkommnisse wird weit überschätzt. Sie reduziert sich auf Null, wenn, wie geschehen, die Regierung durch rasche Entscheidungen das Heft wieder fest in ihre Hände nimmt.
— So war es. Sie brauchen sich nur die Wahlergebnisse anzugucken.
Besonders unangenehm fiel der Ausschußmehrheit und nach meinen Beobachtungen — —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, sich an die Funktion des Berichterstatters zu halten.
Das will ich gern tun, Herr Präsident. Trotzdem muß ich diese Feststellung hier noch treffen: Besonders unangenehm fiel der Ausschußmehrheit und nach meinen Beobachtungen auch ei-
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ner Mehrheit in der Minderheit der fortgesetzte Versuch auf, die Intimsphäre des Zeugen Herbert Laabs zum Gegenstand von Befragung und zum Teil sogar zum Gegenstand von Nachforschungen zu machen. Man ging sogar so weit, am Rande auch noch den Bundeskanzler mit diesem privaten Bereich in Berührung zu bringen zu suchen. Aber schon während der Vernehmung des Bundeskanzlers am 24. Februar stellte sich auf sehr eindeutige Weise heraus, daß es nicht gelingen konnte, den Kanzler in diese Sache hineinzuziehen. Es soll deshalb und auch, um Ministerialdirektor a. D. Herbert Laabs Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, darauf hingewiesen werden, daß auch die Minderheit in ihrem Schlußbericht, wenn auch nur eingeschränkt, von dem Verdacht abgerückt ist, Laabs habe mit der Angeschuldigten Renate Lutze ein intimes Verhältnis gehabt und dadurch den Spionagefall erleichtert.
So unerfreulich diese Vorgänge waren, eine heitere Note ergab sich aus der verbissenen Suche einiger Oppositionskollegen nach einer sogenannten Förderliste, die sich im Besitz von Herrn Laabs gefunden haben soll.
— Herr Laabs hat sie aber nicht gefunden, weil es sie nicht gab. — Darunter wurde die Zusammenstellung von Namen sozialdemokratischer Beamter verstanden, die in höhere Positionen gebracht werden sollten. Man wollte unbedingt den Beweis antreten, daß eine angebliche Genossenwirtschaft und Nepotismus auch im Spionagefall eine Rolle gespielt haben könnten.
Zur Charakterisierung dieses Vorgehens eignet sich der psychologische Begriff der Projektion. Darunter versteht man die Übertragung eigener Wünsche, Vorstellungen und Handlungsweisen auf andere.
Wir wissen, daß man auch in den von der CDU/CSU regierten Ländern in Personalfragen nicht gerade zimperlich ist.
— Das ist ein Bericht über die Arbeit —
— Nun seien Sie doch nicht so nervös, Herr Kohl!
— Herr Kohl! Ihre Personalpolitik, Herr Kohl, ist doch weit bekannt, die Sie in Rheinland-Pfalz getrieben haben.
— Doch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich muß Sie nochmal bitten, sich an die Rolle des Berichterstatters zu halten.
Gern! Aber es ist doch wohl die Feststellung erlaubt, daß trotz aller Bemühungen die Suche der Opposition nach der Förderliste erfolglos geblieben ist. Man ist nicht fündig geworden. Sie war, wie sich schließlich herausstellte, ein Phantom.
In diesem Zusammenhang erlauben Sie mir, Herr Kohl, eine allgemeine Bemerkung, die Sie interessieren wird. Im Interesse einer guten Zusammenarbeit im Leitungsbereich der Häuser, aber auch sonst muß es ein gewisses Maß an parteilich induzierter Personalpolitik geben.
Wir sollten aufhören, uns deshalb zu genieren.
— Ich nehme gar keine Wertung vor.
Dies war zu allen Zeiten so, und ich meine, wir sollten aufhören, auf tüchtige Beamte nur deshalb herabzublicken,
weil sie sich zu einer demokratischen Partei bekennen.
Das gilt auch, Herr Kohl, für Journalisten im öffentlich-rechtlichen Bereich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Soweit der Berichterstatter Meinungen wiedergibt, die im Ausschuß geäußert worden sind, hält er sich im Rahmen der Berichterstattung.
Das ist überhaupt keine Frage. — Entscheidend ist nach meiner und unserer Auffassung nur, daß solche Beamte auch die Qualifikation besitzen, die sie für ihr Amt brauchen, und dies war im Fall von Herbert Laabs gegeben.
— Sie können ruhig lachen. Aber es war so.
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Ahlers
— Weil er in diese Sache verwickelt war, wie Sie wissen.
Ihnen liegt die Drucksache vorn 15. November dieses Jahres vor. Sie enthält den Abschlußbericht mit der Beschlußempfehlung, daß dieser Bericht vom Bundestag zur Kenntnis genommen und die eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt erklärt werden. Die Systematik des Abschlußberichts ist nicht befriedigend, wie ich einräumen muß. Es war beabsichtigt, die gemeinsamen Feststellungen und die unterschiedlichen Würdigungen der Mehrheit und der Minderheit in den einzelnen Abschnitten organisch miteinander zu verbinden. Dies erwies sich als unmöglich. Deshalb wurde, auch wegen der Länge der Ausführungen, der Bericht der Minderheit an den Schluß des Gesamtberichts gestellt.
Wie gesagt, trotz aller Schwierigkeiten gelang es, gemeinsame Feststellungen zu treffen. Ein solches Ergebnis kann nur erzielt werden, wenn die Koalitionsmehrheit, die meist ihre Regierung zu verteidigen hat, bereit ist, auch Unzulänglichkeiten einzuräumen, und wenn sich die angreifende Minderheit von Tatsachen überzeugen läßt. Der Untersuchungsausschuß hat ohne Zweifel fleißig gearbeitet. Er trat insgesamt 29mal zusammen, 42 Zeugen und sachverständige Zeugen wurden vernommen, einige mehrfach befragt. Wir haben uns bemüht, das parallel laufende Strafverfahren gegen die der Spionage verdächtigten Personen nicht zu beeinflussen. Der Untersuchungsauftrag, also der Beweisbeschluß, der mehrmals ergänzt wurde, war umfassend. Der Ausschuß hat auch gut daran getan, auf Verteidigungen zu verzichten.
Den Hintergrund des Spionagefalles bildet natürlich die enorme Aktivität des nachrichtendienstlichen Gegners. Zuständige Stellen schätzen, daß sich bei uns ständig etwa 2 000 Agenten betätigen. Ihr Ausspähungsbereich ist weit gespannt. Im Mittelpunkt stehen natürlich unsere eigenen Streitkräfte und die unserer Verbündeten sowie die zahlreichen militärischen Einrichtungen auf unserem Territorium. Man nennt die Spionage das zweitälteste Gewerbe der Welt. Genau wie im ältesten Gewerbe arbeiten die Spione im allgemeinen für Geld und mit den raffiniertesten, oft auch mit den gemeinsten Mitteln. Der Fall Lutze/Wiegel hat dies erneut bestätigt. Wegen unserer freiheitlichen Verhältnisse, die wir nicht aufgeben dürfen, wegen des verbreiteten Widerwillens gegen strenge Kontrollen und wegen der Gutgläubigkeit oder Leichtlebigkeit der Menschen finden die Agenten bei uns ein ziemlich leichtes Betätigungsfeld.
Die mühevolle Arbeit der Abwehr, die hier auch einmal gelobt werden soll, wird dadurch erschwert, daß die Späher aus der DDR keine Sprachschwierigkeiten kennen, daß sie gute Einstiegsmöglichkeiten haben und ihre Arbeit deshalb leicht tarnen können. Man kommt an der Tatsache nicht vorbei, daß das Ausmaß der östlichen Spionage einen ernsthaften Störungsfaktor in den Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten darstellt.
Bei der Vielzahl der nachrichtendienstlichen Ansätze kann es nicht ausbleiben, daß von Zeit zu Zeit auch Fälle von schwerem Landesverrat vorkommen. Keine Regierung ist davor gefeit. Der Fall Lutze/ Wiegel ist ein solcher Fall gewesen, aber der Versuch, ihn zu einem einmalig schweren Fall zu deklarieren, muß mißlingen. Auch aus früheren Zeiten kennen wir Fälle von vergleichbarem, wenn nicht schwererem Gewicht. Hier ist vor allem der Verräter im Bundesnachrichtendienst Felfe zu nennen. Dieses Gebiet eignet sich nicht zur Selbstgerechtigkeit.
Die Zahl der durch das Spionentrio, das Ehepaar Lutze und Herrn Wiegel, als verraten anzusehenden Dokumente ist groß. Darunter befinden sich auch solche von schwerwiegender Bedeutung. Doch kann auf der anderen Seite die erfreuliche Mitteilung gemacht werden, daß die Zahl der als „streng geheim" eingestuften Papiere klein ist und daß sich Operationspläne und Geheimnisse der atomaren Kampfführung nicht darunter befinden. Manches von dem, was vermutlich kompromittiert wurde, war auch bereits öffentlich bekannt. Deshalb sollte man sich auch vor Übertreibungen des möglicherweise eingetretenen Schadens hüten.
Bei der öffentlichen Erörterung des Spionagefalles wurde anfangs häufig eine falsche Optik eingestellt. Es wurde der Eindruck erweckt, Frau Renate Lutze sei die Hauptspionin und das Zentrum des Verrats habe in der Sozialabteilung gelegen. Heute steht fest, daß der Spionagefall seine Ursache nicht in der Person von Herrn Laabs hatte und daß der Großteil der empfindlichen Dokumente nicht aus seiner Abteilung, sondern aus den Abteilungen Rüstung und Verwaltung stammte. Offenkundig ist auch geworden, daß nicht Frau Lutze, sondern ihr Mann die treibende Kraft bei der Spionagetätigkeit war.
Der Ausschuß hat eine Reihe von Fehlern, Versäumnissen und Mängeln bei der Behandlung des Spionagefalles im Verteidigungsministerium festgestellt. Dazu gehört in erster Linie, daß seine schwerwiegende Bedeutung zu spät erkannt und daß er auch dann noch als Routinefall behandelt wurde. Doch gibt es dafür mildernde Umstände. In der fraglichen Zeit waren der damalige Verteidigungsminister Georg Leber und der, damalige Generalinspekteur Admiral Zimmermann krank oder erkrankten. Für ihre engsten Mitarbeiter, für Staatssekretär Fingerhut und für General Wust, ergab sich daraus eine übermäßige Arbeitsbelastung. Dies muß berücksichtigt werden.
— Das spielte natürlich auch eine Rolle. Aber wenn man krank ist, hat das mit den Wahlen nichts zu tun, Herr Kollege. — Also für Herrn Fingerhut und für General Wust ergab sich daraus eine übermäßige Arbeitsbelastung. Dies muß berücksichtigt werden, wenn man sich um ein faires Urteil bemüht.
Allerdings wurden auch Mängel festgestellt, die damit nichts zu tun hatten. Dazu gehörten die langanhaltenden Kompetenzstreitigkeiten im Hause, eine ungenügende kollegiale Zusammenarbeit gerade auf höherer Ebene und ein partiell schlechtes Betriebs-
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klima. Eine besondere Rolle hat in diesem Zusammenhang der Zuständigkeitskrieg zwischen dem auf ein Eigenleben bedachten Militärischen Abschirmdienst und der für Sicherheitsfragen zuständigen Führungsabteilung FüS II gespielt.
Als sich herausstellte, daß dieser Kompetenzkonflikt die Ermittlungen zu erschweren drohte, hat Staatssekretär Fingerhut eine abgrenzende Verfügung getroffen, den sogenannten Fingerhut-Erlaß. Dieser wurde von der Minderheit und auch von manchen Offizieren als ein Versuch gewertet, die militärische Seite auszuschalten. Es wurde die Vermutung ausgesprochen, daß dies im Hinblick auf die Bundestagswahlen 1976 geschehen sei. Nach Auffassung der Mehrheit haben die Untersuchungen ergeben, daß ein solcher Verdacht nicht aufrechterhalten werden kann. Auch der Wortlaut des Erlasses läßt für solche Deutungen keinen Raum. In dem Mehrheitsbericht heißt es, daß der Fingerhut-Erlaß vom 16. Juni 1976 allein das Ziel verfolgte, die neu entbrannten Kompetenzstreitigkeiten durch eine klare Regelung beizulegen. Weiter heißt es an dieser Stelle, der Führungsstab der Streitkräfte sei zu keinem Zeitpunkt aus den Ermittlungen ausgeschaltet worden.
Gemeinsam haben Mehrheit und Minderheit erklärt, daß der bisherige Generalinspekteur Wust sich fragen lassen müsse, warum er trotz der erkannten Bedeutung des Falles auf die routinemäßige Bearbeitung durch den Apparat vertraut und es unterlassen habe, im Rahmen seiner Dienstaufsicht die militärische Schadensbewertung anzumahnen.
Diese Fragestellung hat sich als folgenschwer erwiesen. Denn die Unteilbarkeit der Verantwortung für die Verzögerung bei der Schadensbewertung, die ja die Voraussetzung für mögliche Maßnahmen zur Schadensbegrenzung bildet, führte zu der Diskussion über sein weiteres Verbleiben im Amt und legte die Forderung nach einem Rücktritt nahe. Die Verdienste des bisherigen Generalinspekteurs sollen dadurch nicht geschmälert werden. Es versteht sich von selbst, daß seine persönliche Integrität überhaupt nicht berührt ist.
— Das ist auch eine Wertung, Herr Kohl, und die sollten Sie sich ruhig ersparen.
Als gescheitert anzusehen, Herr Kohl und Herr Jenninger, ist in den Augen der Mehrheit der Versuch der Opposition, den Bundeskanzler mit einer ähnlichen Verantwortung zu belasten. Wie es sich gehört, ist der Kanzler vom ersten Tage an über den Spionagefall unterrichtet worden. Doch konnte diese Unterrichtung nur so weit reichen, wie es der Wissensstand derjenigen zuließ, die mit dem Kanzler persönlich oder mit dem Kanzleramt Verbindung zu halten hatten. Der Kanzler selber mußte sich darauf verlassen können, daß die Angelegenheit in dem zuständigen Ressort ordnungsgemäß behandelt wurde.
Ebenso verfehlt war nach Meinung der Mehrheit auch die Kritik an dem früheren Verteidigungsminister Leber. Er wurde das Opfer unglücklicher Umstände. Dazu gehörte seine Krankheit, gehörte die enorme Inanspruchnahme durch andere Fragen, dazu gehörte auch der langjährige Brauch, der verhinderte, daß ihm das umfassende Gutachten zur Kenntnis gebracht wurde, welches für die Bundesanwaltschaft zum Zwecke der Strafverfolgung hergestellt worden war. Dieser Brauch ging noch auf die Zeit der „Spiegel"-Affäre zurück. Er ist inzwischen abgeschafft worden, sollte aber sicherstellen, daß dem Gutachter, der vor Gericht auftreten muß, ein Höchstmaß an Unabhängigkeit zuerkannt werden kann.
Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, daß Georg Leber unverzüglich tätig geworden wäre, wenn er das Gutachten gelesen und dadurch von dem vollen Ausmaß des Verratsfalles Kenntnis erhalten hätte. Wir bedauern es sehr, daß durch diese Umstände die großen Leistungen in den Hintergrund gerückt wurden, die Georg Leber für unseren Staat und insbesondere für die Bundeswehr, für ihre Stellung im Staat und im Bündnis erbracht hat. Als Berichterstatter der Mehrheit möchte ich ihm in diesem Augenblick dafür ausdrücklich danken.
Zu den Mängeln, die der Untersuchungsausschuß im Sicherheitsverhalten des Ministeriums herausgefunden hat und die zu dem Erfolg der Spione beigetragen haben, gehören weiter: einmal die Unzahl der geheimzuhaltenden Schriftstücke. Es ist ein Unding, daß über 600 000 Vorgänge als „Vertraulich", „Geheim" oder „Streng Geheim" eingestuft werden und daß jährlich rund 200 000 neue Vorgänge dieser Art produziert werden. Ein General hat z. B. vor dem Ausschuß ausgesagt, daß auch die Weihnachtsgrüße eines ausländischen Kollegen als „Geheim" eingegangen sind.
Die verhängnisvolle Folge dieser Flut von Geheimdokumenten ist, daß sie das Sicherheitsbewußtsein und die Wachsamkeit vieler Angehöriger des Ministeriums unterspült.
Zweitens. Zu der großen Zahl von Geheimpapieren gehört auch die große Zahl von Panzerschränken, mit denen nur wenige richtig umzugehen wissen. Offenbar ist der Panzerschrank eine Art Statussymbol geworden. Wo aber tausend solcher Schränke verstreut sind, müssen Aufsicht und Kontrolle zu wünschen übriglassen.
Drittens. Ursächlich für den Erfolg der Spione waren wohl in erster Linie die Ermächtigungen zum Zugang zu geheimen Dokumenten. Der Untersuchungsausschuß hat den Eindruck gewonnen, daß im Bundesministerium der Verteidigung bei Erteilung dieser Ermächtigungen nicht die gebotene Zurückhaltung und Sorgfalt obwalten. So muß die Frage gestellt werden, ob beispielsweise die Vorzimmer-
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dame des Leiters der Sozialabteilung ermächtigt sein muß, Vorgänge bis zur Stufe „Streng Geheim" einzusehen, wenn der Abteilungsleiter selbst solche Vorgänge nur höchst selten zu bearbeiten hat. In all diesen Fällen wurde gegen den Grundsatz „Kenntnis nur, wenn nötig" verstoßen.
Schließlich muß auch die Frage gestellt werden, wie effektiv eigentlich die Sicherheitsüberprüfungen sind, die solchen Ermächtigungen vorangehen und die sie begleiten, wenn eine Persönlichkeit wie Lothar Lutze auch bei wehrmaliger Überprüfung und trotz gezielter Hinweise — auch von Herrn Laabs — nicht enttarnt werden konnte.
Insgesamt haben wir den Eindruck gewonnen, daß es im Verteidigungsministerium zwar keinen Mangel an Sicherheitsvorschriften gibt, wohl aber einen Mangel an Sicherheitsbewußtsein gab. Herr Lutze hatte z. B. seine Minox-Kamera gelegentlich offen auf dem Schreibtisch liegen, ohne daß jemand Anstoß daran genommen hätte, und er hat bündelweise Geheimakten im Kofferraum seines Wagens mit nach Hause nehmen können.
Ich komme zum Schluß: Der Untersuchungsausschuß hat es nicht bei der Registrierung der Vorgänge, bei der Auflistung der Mängel, bei der Feststellung der Versäumnisse bewenden lassen. Da die des Landesverrats Angeklagten mit verhältnismäßig einfachen Mitteln einen unverhältnismäßig großen Spionageerfolg erzielen konnten, hat der Ausschuß eine Reihe von Folgerungen zur Verbesserung der Sicherheitslage gezogen. Sie finden diese am Schluß des Berichts.
Bundesminister Apel hat bereits eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und der Spionageabwehr getroffen. Dazu gehören die Einrichtung eines Sicherheitsreferates im Leitungsbereich, die klare Unterstellung des MAD unter den Stellvertreter des Generalinspekteurs, die Intensivierung der Aufsicht und die Einengung des Personenkreises, der Zugang zu den Verschlußsachen erhält.
Damit hat die Arbeit des Ausschusses einen zufriedenstellenden Abschluß gefunden.
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Das Wort als Berichterstatter hat der Herr Abgeordnete Ernesti.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag debattiert heute den vorgelegten Abschlußbericht des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß aus Anlaß des Spionagefalles Lutze/Wiegel und die damit im Zusammenhang stehenden Sachverhalte. Ich darf auf den Bericht verweisen und vor allen Dingen auf die Berichtigung auf der Drucksache 8/2350, die erforderlich wurde weil in dem Originalbericht einige Unrichtigkeiten aus drucktechnischen Gründen entstanden sind.
Das Ergebnis der Untersuchung ist in acht Kapiteln ausgeführt worden, von denen vier vom gesamten Ausschuß getragen werden, während bei
den weiteren vier Kapiteln die Minderheit der Auffassung war, daß die von der Mehrheit vorgenommene Würdigung mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht im Einklang steht. Daher sah sich die Minderheit gezwungen, in diesen vier Punkten eine eigene Würdigung vorzunehmen. Nachdem der Kollege Ahlers bei seiner Berichterstattung den Schwerpunkt auf die Darstellung der Würdigung der Mehrheit legte, werde ich verständlicherweise als Berichterstatter auch die Würdigung der Minderheit darlegen.
Die Bedeutung des Spionagefalles spiegelt sich darin wider, daß sich die Gesamtzahl der Verschlußsachendokumente, die den Spionen zugänglich waren, auf über 1 000 Vorgänge der Geheimhaltungsgrade „Vertraulich", „Geheim" und „Streng geheim" beläuft. Auch auf Grund der Ermittlungen der Bundesanwaltschaft kann davon ausgegangen werden, daß davon 17 Vorgänge „Streng geheim" und 40 Vorgänge „Geheim" eingestuft waren. Um Ihnen einen wirklich nur kleinen Eindruck dieses Spionagefalles, der auch im Vergleich zu anderen Fällen für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik als besonders schwerwiegend anzusehen ist, zu geben, möchte ich sieben Vorgänge aufgreifen.
Das sind zunächst einmal die militärischen Zustandsberichte der Bundeswehr für 1972 bis 1974 sowie der des Heeres für 1974. Diese Zustandsberichte geben in zusammenfassender Form ein detailliertes Leistungsbild über Stärken und Schwächen der Streitkräfte. Durch die Tatsache, daß die drei aufeinanderfolgenden Leistungsbilanzen der Bundeswehr als verraten gelten können, war der Gegner in der Lage, eine vergleichende Darstellung zu haben.Da ist der Streitkräfteplan von 1975 bis 1988. Er enthält die langfristige Planung für die Entwicklung der Bundeswehr. Es sind weiterhin die verteidigungspolitischen Richtlinien, in denen die verteidigungspolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland erörtert, die Rahmenbedingungen für die Konzeption der militärischen Verteidigung umrissen und der Auftrag der Bundeswehr umschrieben werden.
Es gehören auch die Bewertungsergebnisse über den Kampfpanzer 3 dazu. Sie betreffen die Konzeption der Bundeswehr für die Panzerbewaffnung der 90er Jahre.
Es sind die Pläne, Analysen und Berichte aus dem Bereich des NATO-Pipeline-Systems. Dies betrifft die Treibstoffversorgung der NATO-Verbände sowohl im Frieden wie auch im Verteidigungsfall.
Zu den Unterlagen gehört der Alarmplan der Bundeswehr in der Fassung von 1972. Er enthält Angaben über den Umfang und Stand militärischer Alarm- und Mobilmachungsvorbereitungen sowie die Verfahren für die Durchführung der Alarmierung.
Schließlich ist da der Mobilmachungsplan. Er enthält die grundsätzlichen Bestimmungen organisatorischer, personeller und materieller Art zur Vorbereitung und Durchführung einer Mobilmachung.
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Insgesamt ist im Ausschuß übereinstimmend festgestellt worden, daß der nachrichtendienstliche Gegner durch den Verrat einen umfangreichen und für ihn wichtigen Einblick in die Stärken und Schwächen der Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik - Deutschland erhalten hat. Dieser Schaden ist zum überwiegenden Teil irreparabel.
Für den Komplex der Ermittlungen haben die Untersuchungen des Ausschusses nach Auffassung der Minderheit eindeutig ergeben, daß von einer Behinderung der ermittelnden Beamten des Bundeskriminalamtes durch den MAD nicht die Rede sein kann. Dies gilt auch für die Stellen des Ministeriums, insbesondere für das damals noch bestehende Referat Fü S II 7. — Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich ich ab und zu Abkürzungen gebrauche. Im Bericht werden Sie eine Erklärung dieser Abkürzungen finden.
Dagegen hat die Beweisaufnahme ergeben, daß die von Minister Leber gegen Ministerialdirektor Laabs angeordneten Ermittlungen des MAD von Brigadegeneral Scherer und Staatssekretär Fingerhut nicht nur behindert, sondern schließlich sogar vorzeitig abgebrochen worden sind. Die Ermittlungen gegen Herrn Laabs beruhten auf einer Aussage eines Beamten. Dieser hatte einem persönlichen Gespräch der Frau Lutze entnommen, daß diese einem Gesprächspartner gegenüber ein intimes Verhältnis zu Herrn Laabs behauptet hatte. Außerdem hatte sie sich dabei beklagt, daß Herr Laabs sich nicht für die Förderung ihres Mannes eingesetzt habe.
— Ich trage hier die Bewertung der Minderheit vor. Dieses wissend, gab der Minister die Weisung, gegen Ministerialdirektor Laabs zügig zu ermitteln und den Mitwisserkreis kleinzuhalten. Der Chef des Amtes für Sicherheit der Bundeswehr, Brigadegeneral Scherer, entschied jedoch am 16. Juni 1976, die Ermittlungen vorläufig ruhen zu lassen. Gleichfalls im Juni 1976 führte er hierüber ein Gespräch mit Staatssekretär Fingerhut. Anschließend wurden die unterbrochenen Ermittlungen nicht wieder aufgenommen.
Die Beweisaufnahme hat ferner im Zusammenhang mit den Ermittlungen schwerwiegende Behinderung des Führungsstabes der Streitkräfte, insbesondere des Referats Fü S II 7, durch Brigadegeneral Scherer und Staatssekretär Fingerhut ergeben. Die Minderheit ist der Auffassung, diese Behinderungen bewirkten, daß dringende militärische Aufgaben nicht rechtzeitig, teilweise sogar bis heute nicht voll erfüllt werden konnten.
Erschwerend kam außerdem hinzu, daß der MAD, der dem Bundeskriminalamt Amtshilfe leisten sollte, seine Tätigkeit aufnahm, ohne den Führungsstab der Streitkräfte hierüber zu unterrichten. Insbesondere unterließ die MAD-Gruppe S die nach den Richtlinien für die Zusammenarbeit zwischen Fü S II 7 und der MAD-Gruppe S vom 28. Februar 1973 erforderliche Erstunterrichtung des Führungsstabes der Streitkräfte II 7. Diese Ausschaltung von Fü S wurde durch den sogenannten Fingerhut-Erlaß vom 16. Juni 1976, ohne daß eine geschäftsordnungsmäßige Beteiligung militärischer oder sonstiger Stellen des Ministeriums, etwa in der Form einer Mitzeichnung, stattgefunden hätte, festgeschrieben. Da nun befürchtet werden mußte, daß eine Reihe notwendiger militärischer Maßnahmen unterbleiben oder sich über Gebühr verzögern könnte, entwarf der Referent Fü S II 7 für den damaligen stellvertretenden Generalinspekteur Wust ein Schreiben an Staatssekretär Fingerhut. In diesem Schreiben wurde u. a. auf diese Verzögerung hingewiesen. Leider hat es General Wust damals abgelehnt, dieses Schreiben zu unterzeichnen. Die Folge war, daß nach Herausgabe des Fingerhut-Erlasses der Informationsfluß und die Zusammenarbeit sowohl innerhalb des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums der Verteidigung als auch im Verhältnis zur NATO nach Auffassung der Minderheit auffällig gestört war.
Eine weitere Folge war, daß dadurch die Einleitung, Überwachung und der Abschluß des militärischen Verfahrens zum Zweck der Schadensminderung, wofür nach Geschäftsverteilungsplan des Bundesministeriums der Verteidigung in der Zentralen Dienstvorschrift 2/30 eindeutig der Führungsstab der Streitkräfte zuständig war, zunächst unterblieb. Nach Aussagen von sachkundigen Zeugen wären nämlich nicht nur die Benachrichtigungen an die NATO und an die nationalen Herausgeber bis Ende 1976 abgeschlossen gewesen, auch die Schadensabgrenzung bis zur letzten bloßgestellten Verschlußsache wäre bis spätestens Frühjahr 1977 beendet gewesen. Dies alles, wenn der Führungsstab der Streitkräfte II 7 in Tätigkeit hätte bleiben dürfen!
Vor diesem Hintergrund — das ist die Auffassung der Minderheit — müssen die Angaben von Brigadegeneral a. D. Scherer mit größter Zurückhaltung aufgenommen werden. Er hat nämlich am Vorabend seiner Vernehmung mit den dem Untersuchungsausschuß angehörigen Kollegen Ahlers und Horn ein etwa anderthalbstündiges Gespräch geführt, das der Vorbereitung der Vernehmung gegolten hat.
Es bleibt der Eindruck, daß Staatssekretär Fingerhut mit seinem Erlaß absichtlich das auf schnelle Bewertung und Minderung des mutmaßlichen Schadens gerichtete militärische Verfahren behindert hat. Angesichts der zusätzlichen Gefahren, die diese Behinderung für die Sicherheit des Staates heraufbeschwören konnte, war dieses Verhalten nach Auffassung der Minderheit besonders unverantwortlich. Bei der Frage nach dem Motiv fällt auf, daß die Verhaftungen in diesem schwersten Spionagefall der Bundesrepublik vier Monate vor der letzten Bundestagswahl erfolgten.
Meine Damen und Herren, beim Komplex der Unterrichtungen hat die Minderheit des Ausschusses festgestellt, daß den verantwortlichen Regierungsstellen die besondere Schwere des Verratsfalles von Anfang an bekannt war. Dies galt insbesondere für Staatssekretär Fingerhut. Er gab zu, am 2. Juni 1976 nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich unterrichtet worden zu sein; denn dieses hatte ihm erlaubt, seinen Minister am 4. Juni 1976 eingehend zu informieren.
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Auch Staatssekretär Schüler räumte vor dem Ausschuß ein, den Spionagefall von Anfang an für einen Fall von Bedeutung gehalten zu haben. Der Bundeskanzler war von Staatssekretär Schüler am 2. Juni 1976 ebenfalls über den Spionagefall unterrichtet worden. Auch er bestätigte vor dem Ausschuß, zu keinem Zeitpunkt ein Informationsdefizit gehabt zu haben. Im Gegenteil: Das, was ihm vorgetragen worden sei, habe ihm schon damals die Auffassung vermittelt, daß es sich um einen schwerwiegenden Fall von Spionage handele.
Zum Komplex „Würdigung der Schadensbewertung" war der gesamte Ausschuß der Auffassung, daß die notwendigen Maßnahmen zur militärischen Schadensbewertung und Schadensminderung erheblich verzögert worden sind. Die Tatsache, daß erst 18 Monate nach der Aufdeckung des Spionagefalls und erst im Zusammenhang mit der Einsetzung des Untersuchungsausschusses eine umfassende Schadensbewertung in Angriff genommen wurde, ist als ernstes Versäumnis anzusehen.
Hierzu hat nach Auffassung der Minderheit beigetragen, daß nach dem Erlaß des Staatssekretärs Fingerhut vom 16. Juni 1976 die Stabsabteilung Fü S II die von ihr begonnenen militärischen Schadensfeststellungen einstellte. Dieser Erlaß mußte als Versuch der politischen Leitung des Ministeriums gewertet werden, den als schwerwiegend erkannten Spionagefall_ den militärischen Stellen weitgehend zu entziehen. Nach Auffassung der Minderheit sollte damit der Mitwisserkreis so lange wie möglich auf Personen beschränkt werden, die aus der Sicht der Leitung zuverlässig waren.
Zum Komplex der Sicherheitsbestimmungen wurde durch die Minderheit des Ausschusses folgendes festgestellt. Ministerialdirektor Laabs hat als Leiter der Sozialabteilung im Bundesministerium der Verteidigung Zugang zu Geheimakten gehabt, die er nach der Aufgabenstellung dieser Abteilung für die Erfüllung seiner Dienstpflichten nicht hätte zu kennen brauchen. Er hat die Vorschriften über den Umgang mit Geheimakten über Jahre hinweg grob mißachtet. Auch hat er es pflichtwidrig unterlassen, den Umgang seiner Mitarbeiter mit Geheimakten dienstaufsichtlich zu überwachen. Ministerialdirektor Laabs hat durch sein Verhalten den Verrat von Geheimsachen erleichtert.
Da sich die Zuständigkeit der Sozialabteilung des Bundesministeriums der Verteidigung auf allgemeine Sozial- und Fürsorgeangelegenheiten, das Betreuungswesen, Fragen der sozialen Sicherung und Berufsförderung erstreckt, sind die zu bearbeitenden Vorgänge in aller Regel keine Verschlußsachen. Entsprechend der Zuständigkeit seiner Abteilung hätte Ministerialdirektor Laabs nach Auffassung der Minderheit, von seiner Teilnahme an Abteilungsleiterkonferenzen abgesehen, kaum Veranlassung gehabt, sich mit Verschlußsachen zu befassen. Dennoch bekam er eine Reihe von geheimen und streng geheimen Dokumenten auf den Tisch, die mit seiner Tätigkeit unmittelbar nichts zu tun hatten. Beispielhaft sei hier auf den Streitkräfteplan von 1975 bis 1988 und auf die Unterlagen zu den Stabsrahmenübungen Wintex 1973 und 1975 hingewiesen.
Nach dem in der Zentralen Dienstvorschrift 2/30, der Sicherheitsvorschrift, niedergelegten Grundsatz „Kenntnis nur, wenn nötig" hätte Herr Laabs die mit seinem Tätigkeitsbereich nicht in Zusammenhang stehenden Geheimakten nicht zu kennen brauchen und deshalb auch nicht kennen dürfen. Daß Herr Laabs dennoch solche Akten auf den Tisch bekam, lag nach Meinung der Minderheit daran, daß er Mitglied der SPD sei und seine Nähe zum Bundeskanzler bekannt gewesen sei. Dies habe wohl auch dazu beigetragen, daß ihm seitens der Leitung des Hauses ein besonderes Vertrauen entgegengebracht wurde und man ihn deshalb selbstverständlich in alle wichtigen Dinge des Geschäftsbereichs einweihte.
Die Beweisaufnahme hat weiter ergeben, daß Ministerialdirektor Laabs in den Jahren, in denen er die Sozialabteilung leitete, also seit Anfang 1972, in einer Reihe von Fällen gegen die Vorschriften über den Umgang mit Verschlußsachen verstoßen hat. So hat er z. B. zu keiner Zeit seinen Panzerschrank vorschriftsmäßig verschlossen. Auch ist festgestellt worden, daß das Kombinationsschloß seines Panzerschranks seit seinem Dienstbeginn 1972 auf die international übliche Grundzahl 50 eingestellt war. Alle anderslautenden Behauptungen von Ministerialdirektor Laabs sind nach Auffassung der Minderheit nachgewiesenermaßen Schutzbehauptungen. Somit konnte der Panzerschrank von Herrn Laabs seit 1972 immer allein mit einem Schlüssel geöffnet werden.
Außerdem hat er den Erstschlüssel für seinen Panzerschrank nicht, wie die Vorschrift es erfordert, ständig in persönlichem Gewahrsam gehalten. Enge Mitarbeiter von ihm bestätigen übereinstimmend, daß der Abteilungsleiter den Schlüssel normalerweise, mindestens aber überwiegend in seinem Aktenkoffer aufbewahrte. Dieser Koffer verblieb auch dann offen in seinem Dienstzimmer, wenn er dies kurzfristig oder für längere Zeit verließ.
Zwei Zeugen gaben darüber hinaus an, Frau Lutze habe bei Abwesenheit von Ministerialdirektor Laabs und bei entsprechendem Bedarf den Schlüssel tatsächlich dem zurückgelassenen Aktenkoffer entnommen und den Panzerschrank damit geöffnet.
Nach eigenem Bekunden ist Herr Laabs bei seiner Ermächtigung zum Umgang mit Verschlußsachen im Jahre 1969 über Inhalt und Sinn der Sicherheitsbestimmungen belehrt worden. Auch hat er, wie er ausführte, die Vorschriften in der Folgezeit gründlich studiert. Sein fortgesetztes Fehlverhalten stellt daher nach Auffassung der Minderheit eine bewußte Mißachtung der im Sicherheitsinteresse erlassenen Vorschriften dar. Dies ist deshalb besonders schwerwiegend, da er von seinem Vertreter immer wieder auf die Notwendigkeit der Beachtung der einschlägigen Dienstvorschriften hingewiesen wurde. Ministerialdirektor Laabs hat diese Bemühungen jedoch damit abgetan, daß die Sicherheitsbestimmungen in seinen Augen Formalismus seien. Diese Bewertung
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Ernesti
der Sicherheitsbestimmungen für den Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung unterstrich er dadurch, daß er einem Stellvertreter hinfort Zimmerverbot erteilte.
Die Beweisaufnahme hat außerdem ergeben, daß Herr Laabs eigenem Eingeständnis zufolge nie kontrolliert hat, in welcher Weise seine Sekretärin mit Verschlußsachen umging. Ihn hat es also auch nie gekümmert, daß Frau Lutze nach seinem abendlichen Weggang des öfteren noch im Büro blieb und dabei in Gesellschaft ihres Mannes war.
Das Verhalten von Ministerialdirektor Laabs verdient daher nach Auffassung der Minderheit schärfste Mißbilligung. Seine bloße Zurruhesetzung erscheint als Reaktion auf sein Fehlverhalten nicht ausreichend.
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit dem Komplex der Einstellung von Verdachtspersonen ist die Frage geprüft worden, ob Ministerialdirektor Laabs auf Bitten von Renate Lutze oder aus einem anderen Grund die Einstellung von Lothar Lutze im Bundesministerium der Verteidigung beeinflußt hat. Der Ausschuß geht nach Anhörung der Zeugen und Studium der Aktenlage insgesamt davon aus, daß Herr Laabs auf die Einstellung des Lothar Lutze im Bundesministerium der Verteidigung nicht eingewirkt hat.
Die Untersuchungen des Ausschusses hinsichtlich der Sozialabteilung im Bundesministerium der Verteidigung haben ergeben, daß nach Auffassung der Minderheit des Ausschusses die Einstellung von Herrn Laabs in das Bundesministerium der Verteidigung, seine Verwendung als Leiter des neugegründeten Leitungsstabs, seine Ernennung zum Leiter der neugegründeten Sozialabteilung sowie seine Ernennung und Verbeamtung vom damaligen Verteidigungsminister Helmut Schmidt betrieben wurden.
Darüber hinaus ergaben die Zeugenvernehmungen zusätzlich eine Reihe von Merkwürdigkeiten, die auf die Person von Herrn Laabs ein bezeichnendes Licht warfen. Vorschriften über dem Umgang mit Verschlußsachen nahm er nicht ernst. Zur Uniform hatte er ein gespanntes Verhältnis. Die Verweigerung seines Einverständnisses zur Beiziehung seiner Personalakte aus der Referendarzeit erweckte den Eindruck, Herr Laabs habe etwas zu verbergen. Über eine Reihe der zu seiner Abteilung gehörenden Angehörigen, die, wie die Zeugenvernehmungen ergaben, Mitglieder der SPD waren, verfügte er in einer Weise persönlich, daß der zuständige Unterabteilungsleiter kaum noch die Möglichkeit hatte, diese Angehörigen zum Dienst einzusetzen.
Die Existenz einer sogenannten Förderliste, die Ministerialdirektor Laabs nach Presseberichten im Auftrag des Bundeskanzlers geführt haben soll, ließ sich in den Verfahren vor dem Untersuchungsausschuß nicht nachweisen. Die Zeugenaussagen zu der Vielzahl angeblicher Listen waren widersprüchlich. Man sprach von Förderliste, von Essensliste, von Gruppenschulungsliste, von politischem Klub, von einer Liste mit Namen höchster Beamter im Bundes- und Landesdienst sowie von Bundes-, Landes- und
Kommunalpolitikern vorn Norden bis zum tiefsten Süden.
Der Verdacht, daß es sie gab, besteht jedoch nach Auffassung der Minderheit fort:
denn eigenartigerweise sorgte sich Herr Laabs nach der Aussage eines Zeugen weniger um den Fall Lutze als vor allem um die Liste, und es wurde sogar ein Abteilungsleiter im Range eines Oberst aus dem Amt für Sicherheit der Bundeswehr in das Ministerium geschickt, damit er diese Liste sucht.
Die des Landesverrats angeklagten Eheleute Lutze und Wiegel haben nach Auffassung des gesamten Ausschusses mit verhältnismäßig einfachen Mitteln im Bundesministerium der Verteidigung einen unverhältnismäßig großen Spionageerfolg erzielt. Auf der Grundlage des Ergebnisses seiner Ermittlungen hat der Untersuchungsausschuß deshalb empfohlen, eine Reihe von Lehren zu ziehen, so u. a., daß das Sicherheitsbewußtsein aller Personen, die im Bundesministerium der Verteidigung und in der Bundeswehr tätig sind, angesichts der Anstrengungen der gegnerischen Nachrichtendienste geschärft und ständig wachgehalten werden muß. Dies kann vor allem durch vermehrte Sicherheitskontrollen erreicht werden, die das Einhalten der Sicherheitsvorschriften überwachen. Ungeübtheit und Laxheit bei der Beachtung der Sicherheitsvorschriften haben wie in vielen anderen Spionagefällen, so auch in diesem den Spionen die Arbeit erleichtert.
Lassen Sie mich aus den insgesamt 17 Folgerungen aus dem Spionagefall nur noch einige weitere aufzählen. Es erscheint geboten, stichprobenweise Personentaschenkontrollen durchzuführen. Bei der Neueinstellung von Bediensteten sollte der vorangehende berufliche Werdegang stärker berücksichtigt und gewürdigt werden. Die klare und zweifelsfreie Zuordnung von Aufgaben und Befugnissen und eine eindeutige Organisation und Befehlsstruktur auf dem Gebiet der militärischen Sicherheit sind unabdingbar. Hier ist der Ausschuß insgesamt der Auffassung, daß die Unterstellung des Militärischen Abschirmdienstes unter die militärische Führung beizubehalten ist. Auch dürfen Verschlußvorgänge nur denjenigen zur Kenntnis gebracht werden, bei denen hierfür eine unbedingte Notwendigkeit besteht; Kenntnis nur, wenn nötig. Aus der Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der Spionageabwehr hat das Bundesministerium der Verteidigung bereits einige eingeleitet. In unser aller Interesse ist nur zu wünschen, daß diese und weitere Maßnahmen auch tatsächlich vollzogen werden und nicht andere Ereignisse die Arbeit zum Nutzen unser aller Sicherheit überrollen.
Zum Abschluß darf ich auch meinerseits als Berichterstatter dem Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses und seinem Stellvertreter, vor allem aber auch den Damen und Herren des Ausschußsekretariats und den beteiligten Angehörigen der Bundestagsverwaltung für ihre vorbildliche Arbeit danken.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Von seiten der Berichterstatter wird das Wort nicht weiter gewünscht.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Voss.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir mit der heutigen Debatte versuchen, einen Schlußstrich unter das parlamentarische Untersuchungsverfahren im schwerwiegendsten Spionagefall der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu ziehen, dann, meine ich, ist das kein Anlaß zu hochnäsiger Besserwisserei oder hämischer Schadenfreude. Denn dazu ist der Schaden zu groß, der durch diesen Spionagefall entstanden ist.
Aber, Herr Kollege Ahlers, es darf auch kein Anlaß sein, von den Verantwortlichkeiten derjenigen, die in diesem Spionagefall eine bedeutende Rolle gespielt haben, wegen ihrer parteipolitischen Zugehörigkeit abzulenken und sie zu entlasten. Vielmehr sehe ich in der heutigen Debatte die Gelegenheit, einmal die Maßstäbe anzulegen, die an jeden politisch und militärisch Verantwortlichen bei uns angelegt werden müssen, ganz gleichgültig, welcher parteipolitischen Richtung er angehört.
Jeder von uns weiß, daß wir auf Grund unserer besonderen politischen Lage für Spionagefälle besonders gefährdet sind. Niemand von uns weiß, wann der nächste größere Spionagefall aufgedeckt werden wird, der dann Reaktionen verlangt: sachgerechter — von politischer wie von militärischer Seite —, als wir sie in diesem Fall erlebt haben.
Daher, meine Damen und Herren, ist für mich — unabhängig von der Frage, wie es zu diesem Spionagefall kommen konnte — besonders beantwortungsdürftig, ob nach der Aufdeckung dieses Spionagefalls im Juni 1976 von politischer und militärischer Seite alles in unserem Staatsinteresse Erforderliche und Mögliche getan worden ist, um den für unsere äußere Sicherheit. entstandenen Schaden soweit wie möglich abzuwenden oder zu vermindern.
Der ehemalige Bundesminister der Verteidigung, Leber, sein ehemaliger Staatssekretär Fingerhut, der ehemalige Generalinspekteur Wust, der ehemalige Chef des Amtes für Sicherheit in der Bundeswehr, General Scherer, und der damals wie heute im Amt befindliche Bundeskanzler waren von Anfang an über Umfang und Schwere des Verrats und des dadurch entstandenen Schadens informiert. Frage also, ob sie etwas — gegebenenfalls was und wann — veranlaßt haben, um zu einer militärischen Bewertung des entstandenen Schadens zu gelangen, did in allen Militärbereichen, in allen Armeen als erste und unabdingbare Voraussetzung für eine Abwendung und Minderung von Spionageschäden angesehen wird. Es ist festzustellen, daß es seit der Aufdeckung des Spionagefalles am 2. Juni 1976 mehr als 18 Monate, also mehr als eineinhalb Jahre, gedauert hat, ehe der ehemalige Bundesminister der Verteidigung, Leber die erste umfassende Schadensbewertung hinsichtlich der verratenen Dokumente in Auftrag gab. Dies ist ein Skandal, meine Damen und Herren.
Denn nirgendwo in der Welt dauert eine solche Schadensbewertung derart lange. Die NATO verlangt innerhalb von drei Monaten die Meldung von verratenen Dokumenten und ist in der Regel in drei weiteren Monaten in der Lage, eine Schadensbewertung zu erstellen. Von der in unserem Verteidigungsministerium für die Schadensbewertung zuständigen Abteilung Fü S II haben wir im Untersuchungsverfahren erfahren, daß spätestens bis Anfang 1977, also nach sechs Monaten, diese Arbeiten auch im Falle Lutze/Wiegel hätten abgeschlossen sein können und abgeschlossen gewesen wären, wenn nicht Maßnahmen erfolgt und Handlungen unterlassen worden wären, die die politische und militärische Führung zu verantworten hat.
Bei der Aufdeckung des Spionagefalls im Juni 1976, also drei Monate vor der Bundestagswahl gelangten so viele Tatsachen zutage, daß den politisch Verantwortlichen nicht nur die besondere Schwere des Falles in militärischer und sicherheitsmäßiger Hinsicht, sondern auch die Brisanz in parteipolitischer Hinsicht von Anbeginn an klar war. Denn der Fall übertraf nicht nur in seinem Umfang alles bisher Dagewesene, sondern mit dem Abteilungsleiter Laabs, bei dem die Spionin Renate Lutze im Vorzimmer gesessen hatte, war auch ein prominenter SPD-Mann in die Sache verwickelt. Ferner stand fest, daß das spionageverdächtige Ehepaar Lutze Mitglied der SPD war. Schließlich ergaben sich auch noch Verdachtsmomente für engere persönliche Beziehungen zwischen Herrn Laabs und der Spionin Lutze. Man befürchtete also, daß der Spionagefall die Wahlchancen der Koalitionsparteien ganz erheblich beeinträchtigen könnte. Man sah, daß das Bekanntwerden des Falles die Öffentlichkeit mit Munition gegen die Regierungskoalition beliefern könnte, nämlich für die seit dem Fall des DDR-Meisterspions Guillaume nicht verstummende Behauptung, daß die SPD-typische Vetternwirtschaft und der SPD-typische Genossenfilz immer wieder ursächlich werden könne für schwere Beeinträchtigungen der Sicherheit unseres Landes. Weil die politisch Verantwortlichen das sahen, mußte die Zeit bis zur Bundestagswahl überbrückt werden.
Das tatsächliche Verhalten des ehemaligen Staatssekretärs Fingerhut und des Brigadegenerals a. D. Scherer entspricht genau diesem Muster.
Erstens. Fingerhut erklärte am 9. Juni 1976 vor dem Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages wahrheitswidrig, über Umfang und Gewicht des Falles seien noch keine Angaben möglich, obwohl er bereits am 2. Juni wußte, daß Dokumente
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Dr. Voss
über die Kriegsfallplanung, die Lagerung von Kernwaffen, den Verlauf und die Kennzeichnung von Pipelinetrassen sowie die Alarm- und Mobilmachungsplanung zu den verratenen Dokumenten gehörten. Fingerhut versuchte, den schwersten Spionagefall mit der Bemerkung abzutun, bei Ministerialdirektor Laabs habe es nichts zu spionieren gegeben, weil er im wesentlichen über das Kantinenwesen der Bundeswehr zu arbeiten habe und sich daher vorwiegend mit Flaschenbier, Bierflaschen und Bierpreisen zu beschäftigen habe. •
Fingerhut kündigte zweitens die baldige Unterrichtung des Parlamentarischen Vertrauensmännergremiums an; diese erfolgte nie.
Drittens. Eine Kleine Anfrage der CDU/CSU wurde ausweichend beantwortet, und zwar mit dem Hinweis auf das schwebende Ermittlungsverfahren beim Generalbundesanwalt.
Viertens. Zusammen mit seinem willfährigsten Erfüllungsgehilfen Scherer — ebenfalls SPD-Mitglied — drängte Fingerhut die militärische Führung immer mehr aus deren ureigenem Zuständigkeitsbereich hinaus. Beim Führungsstab der Streitkräfte hatte man nämlich bereits am 2. Juni 1976 zügig damit begonnen, die kompromittierten Dokumente aufzulisten. Bereits am 15. Juni konnte dem Generalinspekteur eine Liste von 450 möglicherweise verratenen Dokumenten vorgelegt werden.
Fünftens. Brigadegeneral a. D. Scherer drohte den für die Bearbeitung des Falles zuständigen Offizieren von Fü S, daß sie mit ihren Erhebungen gegen Weisungen des Generalbundesanwalts verstießen und damit ohne Erlaubnis in ein schwebendes Verfahren eingriffen. Ihre Maßnahmen seien rechtswidrig und gefährdeten, wie er sich ausdrückte, die judikativen Möglichkeiten, was nur als rechtswidriges Verhalten von Herrn Scherer selbst qualifiziert werden kann.
Ich möchte an dieser Stelle einmal betonen, daß sich die überwiegende Zahl der Mitarbeiter des MAD bei ihrer .sensiblen und diffizilen Tätigkeit pflichtbewußt und rechtlich völlig einwandfrei verhalten hat
und daß sich einige MAD-Offiziere den Machenschaften des Herrn Scherer mutig entgegengestellt haben, wofür ich ihnen an dieser Stelle ausdrücklich danken möchte.
Sechstens. Durch den Sondererlaß vom 16. Juni 1976 unterband Fingerhut das beim Führungsstab der Streitkräfte laufende und auf Bewertung des militärischen Schadens gerichtete Verfahren. Ausschließlich durch Scherers MAD sollten im Bundeswehrbereich die notwendigen Maßnahmen veranlaßt bzw. durchgeführt werden.
Es ist wahrlich nicht übertrieben, wenn man feststellt, daß sich im Fall Lutze/Wiegel die politisch Verantwortlichen angesichts der herannahenden
Bundestagswahlen zu einem der abgefeimtesten Manöver der Skandalvertuschung entschlossen.
Gipfel des Zynismus aber war, daß man zur selben Zeit, als man den Spionagefall und die die Bundesregierung belastenden Begleitumstände unter politischen Verschluß nahm, einen anderen Skandal erfand und diesen, weil man sich davon eine Beeinträchtigung der Wahlchancen der CDU/CSU erhoffte, in skrupelloser Weise unter die Leute brachte.
Fingerhut versuchte nämlich, den Eindruck zu erwecken, als habe der CSU-Vorsitzende Strauß Lockheed-Akten aus dem Verteidigungsministerium mitgenommen, was als Beweis für eine Bestechung herhalten sollte. Man sagte damals: Wenn sich in anderen Ländern dieser oder jener Prominente von Lockheed hat bestechen lassen, wäre es ja gelacht, wenn nicht auch ein politisch Prominenter in Deutschland Lockheed-Gelder angenommen hätte. Eine infame Methode!
Der ehemalige Verteidigungsminister Leber war offensichtlich bis zu seinem Rücktritt der unumstößlichen — leider fehlerhaften — Überzeugung, daß eine militärische Schadensbewertung zum Zwecke der Schadensabwendung und Schadensminderung so lange nicht erfolgen dürfe, wie das strafrechtliche Ermittlungsverfahren laufe. Leber hat leider nicht erkannt, daß es in einem Fall wie dem vorliegenden zweierlei Verfahren gibt, die gleichzeitig, unabhängig und gleichberechtigt nebeneinander laufen. Das eine Verfahren dient der Ermittlung der Schuld der Täter und ihrer Bestrafung, das andere Verfahren dient der Erkennung des militärischen Schadens und seiner Abwendung. Im Strafverfahren ist die individuelle Schuld der Täter nachzuweisen. Hier gilt der Grundsatz in dubio pro reo. Bei der militärischen Schadensbewertung und den Folgemaßnahmen kommt es nicht in erster Linie darauf an, ob tatsächlich verraten worden ist, sondern nur darauf, ob der Verrat nicht ausgeschlossen werden kann. Ist der Verrat nicht auszuschließen und besteht daher die konkrete Möglichkeit, daß die äußere Sicherheit gefährdet ist, muß unverzüglich gehandelt werden, als ob tatsächlich verraten worden wäre. Hier gilt demnach der Grundsatz in dubio pro securitate: im Zweifel für die Sicherheit.
Der damalige Verteidigungsminister Leber erscheint in dieser Spionagesache als der Überforderte; nicht weil er längere Zeit erkrankt war, sondern weil er in dieser ganz wesentlichen Frage nicht den erforderlichen Durchblick hatte. Es ist nicht zu übersehen, daß auch im militärischen Bereich Fehler gemacht worden sind. Wir haben das im Untersuchungsbericht auch klar zum Ausdruck gebracht.
Dennoch wäre es ungerecht und unzutreffend, die Fehler, die im militärischen Bereich gemacht worden sind, in ihrem Ausmaß und in ihrer Bedeutung mit dem Versagen gleichzusetzen, das bei den politisch Verantwortlichen zu erkennen ist. Das gilt insbesondere für den ehemaligen Generalin-
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Dr. Voss
spekteur Wust. Zwar hat er sich der Ausschaltung des Führungsstabes nicht widersetzt und auch später keine besonderen Anstrengungen unternommen, um eine baldige militärische Schadensbewertung zu erreichen. Man muß jedoch die Situation sehen, in der er sich befand, unter dem Druck einer politischen Leitung nämlich, die nicht in den Kategorien der militärischen Sicherheit dachte, sondern den parteipolitischen und damit sachfremden Erwägungen deutlich den Vorrang gab, so daß er seine möglichen Bemühungen von Anfang an als erfolglos und aussichtslos ansah.
Dies wird auch in seinem Interview mit der „Welt" vom 29. November 1978 deutlich, das ihm der jetzige Verteidigungsminister am liebsten wohl verboten hätte. Dort sagt er, dieser Spionagefall sei politisch behandelt worden, und er als Generalinspekteur habe den Primat der Politik — meines Erachtens im Sinne von Parteipolitik — bei der Behandlung dieses Vorgangs auf Grund der Gesamtumstände akzeptiert. Daß er ihn auch dann noch akzeptierte, wie er sagt, als er befürchten mußte, daß sein Verhalten mißdeutet würde, mag in der Konsequenz seines vorangegangenen Verhaltens liegen.
Erschreckend ist, meine Damen und Herren, wie Bundeskanzler Schmidt sich nach Aufdeckung dieses Spionagefalls verhielt, von dem er von Anfang an Kenntnis hatte und über den er nach eigener Bekundung zu keiner Zeit ein Informationsdefizit gehabt hat — der Bundeskanzler, ein Mann, der selbst drei Jahre lang Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland war und der nach eigenem Bekunden sich bereits 15 Jahre, ehe er in dieses Amt berufen wurde, mit militärpolitischen Fragen befaßt hat. Auf Grund dieser Erfahrung und seiner Informationen mußte es ihm von Anfang an klar sein, daß dieser Spionagefall nicht nur die nationalen Sicherheitsinteressen auf das äußerste gefährden konnte, sondern daß auch die Sicherheitsinteressen des Bündnisses in vergleichbarer Weise gefährdet waren.
Mit seinem Verteidigungsminister, meine Damen und Herren, sprach er nie in dieser Sache. Ob er das Kabinett irgendwann einmal mit dem. Fall befaßte, wußte er nicht mehr zu sagen. Auch mit dem Außenminister besprach er die Sache im Jahre 1976 nicht. Ob er sie 1977 mit ihm besprach, möchte er lediglich vermuten. Was der Gegenstand des Gesprächs gewesen sein könnte, kann er, wie er sagte, „nicht mehr erinnern" . Fragen nach den konkreten Maßnahmen, die den Schaden eingrenzen könnten, stellte er jedoch nachweislich nie.
Dabei kannte der Bundeskanzler doch die fachlichen Unzulänglichkeiten seines überforderten Verteidigungsministers. Er wußte auch, daß die Spionin Lutze im Vorzimmer des Mannes gesessen hatte, den er selbst ins Verteidigungsministerium gebracht hatte und der ohne seine, des Kanzlers, nachhaltige Förderung niemals vom Neuling im öffentlichen Dienst innerhalb von zwei Jahren bis zum zweithöchsten Beamtenrang im Verteidigungsministerium aufgestiegen wäre.
Der heutige Bundeskanzler wußte doch, daß es für den ehemaligen Fraktionsassistenten für Sozial- fragen nie die Möglichkeit gegeben hätte, nach B 6 zu gelangen — die Position eines Brigadegenerals —, wenn er ihn nicht dahin durchgeboxt hätte, und daß er die weitere Förderung dieses Mannes zum Abteilungsleiter der Sozialabteilung betrieben hatte und damit zu einer steilen Parteibuchkarriere beitrug.
Worin allerdings der heutige Bundeskanzler die Kompetenz von Herrn Laabs für diese Ämter sah, wird wohl sein unerforschliches Geheimnis bleiben. Sollte dem heutigen Bundeskanzler verborgen geblieben sein, daß Herr Laabs von seiner gesamten Persönlichkeitsstruktur her alles andere als ein geeigneter Staatsdiener und zuverlässiger Beamter war,
der Sicherheitsbestimmungen über Jahre hinweg grob mißachtete, sie als „Formalismus" abtat und dadurch den Verrat wesentlich erleichterte?
Hätte der jetzige Bundeskanzler nicht wenigstens aufmerken müssen, als sich im Zusammenhang mit dem damaligen spektakulären Hochschießen von Herrn Laabs zugleich die ganze „Narrhalla der Ochsentourbeamten" wie er wörtlich formulierte, verbündete? Im übrigen, meine Damen und Herren, die Beamtenschaft — die tragende Säule der Exekutive — als „Narrhalla der Ochsentourbeamten"zu diffamieren, erscheint mir an Anmaßung kaum überbietbar.
Hätte der Bundeskanzler bei seiner sprichwörtlichen Intelligenz nicht spätestens bei Aufdeckung des Spionagefalls und der Kenntnis seiner näheren Umstände erkennen müssen, welchen Bock er in Laabs hier zum Gärtner gemacht hatte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, sich in der Bewertung eines früheren Beamten zurückzuhalten.
Ist es unter diesen Umständen nicht erschreckend, daß der Bundeskanzler diesen Spionagefall wie einen Allerweltsfall behandelte und daß es bei seiner Aussage als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuß nur so von Wendungen wimmelte: „Ich kann es nicht erinnern", „Ich weiß es nicht", „Ich möchte meinen", „Ist mir nicht bekannt", „Ich bin nicht sicher", „Kann ich nicht sagen", „Kann ich nicht beurteilen"?
Ist es nicht erschreckend, daß ein Mann wie Bundeskanzler Schmidt seine Untätigkeit damit zu entschuldigen versuchte, daß er erklärte: Ich bin davon ausgegangen, daß das Notwendige veranlaßt würde,
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978 9553
Dr. Voss
und ich durfte mich darauf verlassen, daß alles Notwendige geschah? Er ging von viel zu viel aus, dieser Bundeskanzler, und das, obwohl er doch eine ganze „Narrhalla von Ochsentourbeamten" unter sich hatte.
Es ist tatsächlich nicht das Notwendige veranlaßt worden. Denn weder ist die NATO über alle verratenen Dokumente innerhalb der 90-Tage-Frist unterrichtet worden, noch ist eine militärische Schadensbewertung hinsichtlich der verratenen nationalen Dokumente vor dem 20. Dezember 1977, also vor dem Ablauf von 18 Monaten, in Auftrag gegeben worden.
Ist es nicht erschreckend, daß ein Mann wie Helmut Schmidt sich damit herauszureden versuchte, nach der Verfassung dürfe er sich nicht in die Führung eines Ressorts einmischen, sondern habe er nur die Richtlinien der Politik zu bestimmen? Ist es nicht erschreckend, daß sich das Verhalten des Bundeskanzlers im Endergebnis nicht von dem Fehlverhalten seines ehemaligen Verteidigungsministers und dessen Staatssekretärs Fingerhut unterschied und daß der Bundeskanzler, der im Verteidigungsfall der Hauptverantwortliche für unsere Sicherheit ist, sich in diesem schwerwiegenden Spionagefall so verhielt, weil er wußte, daß seine Wahlchancen und die Wahlchancen der SPD durch das Publikwerden der näheren Umstände gefährdet werden würden?
Ist es nicht erschreckend, daß dies kein Einzelfall ist, sondern daß sich der Bundeskanzler bei dem Problem der Rentenversicherung
vor der Wahl 1976 im Ergebnis ebenso verhielt, als er bestritt, daß es ein solches Problem gebe, und sich darauf berief, es sei nur ein „Problemchen der Liquidität", und sich auf seine Weise über jene lustig machte, die Verantwortungsbewußtsein hatten und die Wahrheit sagten? Nach der Wahl, als die Rentenmisere nicht mehr zu vertuschen war, glaubte der Kanzler, betroffen zugeben zu müssen, daß er sich geirrt habe.
So verhält sich derselbe Mann, der besonders gern an das christliche Gebot erinnert, das man nicht falsch Zeugnis reden soll wider seinen Nächsten.
Im übrigen steht fest, daß der Bundeskanzler auch zu einer Falschinformation der deutschen Öffentlichkeit im Zusammenhang mit diesem Spionagefall nach seiner Aufdeckung beigetragen hat, und zwar mindestens dadurch, daß er eine wahrweitswidrige Behauptung seines Regierungssprechers Bölling länger als einen Monat, nämlich vom 14. Dezember 1977 bis zu seiner Bundestagsrede vom 19. Januar 1978, unkorrigiert hat bestehen lassen. Bölling hatte nämlich nach der Kabinettsitzung vom 14. Dezember 1977 erklärt, der Bundeskanzler habe vor den Zeitungsveröffentlichungen am Wochenbeginn — er meinte die „FAZ" — keine Kenntnis über diesen militärischen Verratsfall besessen.
Demgegenüber sagte der Bundeskanzler, der bereits am 2. Juni 1976 von seinem Staatssekretär Schüler über den Spionagefall unterrichtet worden war, vor dem Ausschuß aus, zu keinem Zeitpunkt ein Informationsdefizit gehabt zu haben.
Ist es nicht erschreckend,
daß in diesen Fällen durch Vertuschen aus wahltaktischen und parteipolitischen Überlegungen gegen das Interesse unseres Staates und unseres Volkes gehandelt wurde? Statt „erschreckend", Herr Wehner, vermag ich auch zu sagen: „unverantwortlich" oder „verantwortungslos".
Ist es nicht erschreckend, daß es des Mutes eines Redakteurs und einer verantwortungsbewußten Zeitung bedurfte, um die derzeit in diesem Land politisch Verantwortlichen unter dem Druck der Öffentlichkeit und der Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses dazu zu bringen, notwendige Konsequenzen aus einem Spionagefall zu ziehen, und daß man diesen Journalisten — dem ich für seinen Mut Dank und Anerkennung sage — mit einem Ermittlungsverfahren einzuschüchtern und in Schwierigkeiten zu bringen versuchte?
Ist es nicht erschreckend, daß ohne diese journalistische Tat mit großer Wahrscheinlichkeit bis heute nicht die schlimmen Fehler im Zusammenhang mit dem Verratsfall Lutze/Wiegel hätten aufgearbeitet werden können, wie Minister Apel vor einigen Tagen formulierte?
Das alles darf nicht wieder vorkommen; denn unsere Demokratie muß Schaden nehmen, wenn die Erhaltung von Macht für eine parteipolitische Gruppierung über die Verantwortung für unser Gemeinwohl gestellt wird.
Unsere äußere Sicherheit als eine wichtige Voraussetzung unserer Demokratie muß Schaden nehmen, wenn sie der Frage untergeordnet wird, wie man am ungefährdetsten die nächste Wahl gewinnen kann. Aber keiner Bundesregierung, die einen schwerwiegenden Spionagefall so behandelt, wie der Fall Lutze/Wiegel behandelt worden ist, wird und darf ein Untersuchungsverfahren mit seinen Folgen erspart bleiben. Daher hoffe ich, daß dieses parlamentarische Untersuchungsverfahren dazu beigetragen hat, Wiederholungen zu verhindern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horn.
9554 Deutscher Bundestag 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sicherlich dafür, daß in der •Sache hart gesprochen und auch hart um sie gerungen wird; aber ich bin enttäuscht, wie wenig hier zur Sache gesprochen und in welcher Weise über Menschen hergezogen wird, die sich hier im Parlament nicht wehren können.
Das geschah sogar in einer Weise, daß der Präsident einschreiten mußte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bitte, Hinweise auf meine sitzungsleitende Tätigkeit zu unterlassen.
Wenn Herr Voss hier eine Verschwörungstheorie zusammenbastelt,
dann muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß gerade in der Zeit unmittelbar nach der Aufdekkung des Spionagefalles die Ermittlungsarbeiten am intensivsten betrieben wurden. In gleicher Weise erfolgte auch die Benachrichtigung der NATO fristgerecht. Unangemessene zeitliche Verzögerungen fallen gerade in die Zeit nach der Bundestagswahl. Dazu gehört auch einmal ein menschliches Wort hier in diesem Hause. Es war nämlich eine Kumulierung ungewöhnlicher Schwierigkeiten, wie der Tod von Generalinspekteur Zimmermann — das wissen Sie —, der monatelang schwer krank war, sowie die schwere Krankheit von Bundesverteidigungsminister Leber. Dazwischen lag ein Bundestagswahlkampf, der alle Parteien in dieser Zeit absorbiert hat, Sie genauso wie auch uns.
Da Herr Voss auf die Komplotttheorie hingewiesen hat, will ich Ihnen sagen, daß Sie hier im Grunde genommen selber in sich widerspruchsvoll argumentieren. Sie können nicht auf der einen Seite von einer Komplotttheorie ausgehen und auf der anderen Seite eine Nachlässigkeitstheorie einbringen. Eine bewußte Täuschung der Öffentlichkeit über das Ausmaß des Spionagefalles setzte eigentlich eine verwerfliche Staatsgesinnung, aber ein Maß an hoher Intelligenz und Führungsfähigkeit in einem eingespielten Verwaltungsapparat voraus. Dies schließt zugleich Schludrigkeit und Nachlässigkeit der verantwortlichen Personen und Mängel im System aus. Den Widerspruch hätten Sie doch begreifen müssen!
Der Bericht des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß und die Diskussionsbeiträge meiner Vorredner haben zum Ausdruck gebracht, daß der Spionagefall Lutze/Wiegel tatsächliçh schwerwiegender Natur ist. Wir sind uns alle in der Beurteilung einig, daß dem Verratsfall in der langen Kette der Verratsfälle, die es seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat, besondere Bedeutung beigemessen werden muß. Bereits im Mai dieses Jahres habe ich in einer überregionalen Tageszeitung darauf hingewiesen, daß es im Bundesministerium der Verteidigung eine Reihe von Unzulänglichkeiten gegeben hat, die Spionen ihr Handwerk erleichtern und die einer raschen und optimalen Zusammenarbeit aller Beteiligten nach der Entdeckung eines solchen Falles hinderlich sind. Allerdings muß auch darauf hingewiesen werden, daß die organisatorischen und sachlichen Mängel mitunter 20 Jahre zurückreichen, also bis in die Regierungszeit der CDU/CSU.
Die Opposition begründete die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vor allem mit zwei Argumenten nach der Veröffentlichung des Esters-Gutachtens in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und der anschließenden Pressekonferenz von Georg Leber: Erstens habe Georg Leber das Gutachten seinem Inhalt nach gekannt und die Öfentlichkeit belogen, und zweitens seien das Bundeskriminalamt und der Generalbundesanwalt in ihrer Ermittlungstätigkeit aus parteipolitischen Gründen behindert worden. Schon nach den ersten Anhörungen und Zeugenvernehmungen erwiesen sich beide Anschuldigungen als unwahr, bewußt konstruiert und unhaltbar. Es muß festgestellt werden, daß der damalige Generalinspekteur wider die Regeln das Gutachten angefordert hat, dem Minister aber dennoch keine Mitteilung machte, jedoch seinerseits keine militärische Bewertung vornehmen ließ. Es entsprach allerdings auch der bisherigen, 20 Jahre lang geübten Praxis im Bundesverteidigungsministerium, daß der Minister keine Einsicht in das Gutachten nahm, um die Unabhängigkeit des Gutachters nicht in Frage zu stellen. Es bedurfte schon der krausen Logik von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Georg Leber zuerst vorzuwerfen, er habe die Öffentlichkeit getäuscht, wenn er behaupte, das Gutachten nicht gelesen zu haben. Als Leber dann nachwies, daß dies nicht der Fall war, weil es noch nie der Fall war, wurde ihm auch dies wiederum zum Vorwurf gemacht. Daß dies das Regelverhalten aller bisherigen Bundesverteidigungsminister war, daß sich bisher jeder Verteidigungsminister, auch die Minister der CDU/CSU, genauso verhalten hatten, störte die Opposition nicht im geringsten, da es ihr darum ging, ihre parteipolitischen Ziele vor die Frage der Staatsräson zu setzen.
Auch die zweite Legende der Opposition, das Bundeskriminalamt und der Generalbundesanwalt seien bei ihren Ermittlungen behindert worden, wurde schnell widerlegt. Wir wissen, daß sowohl der Generalbundesanwalt als auch Bundesanwalt Lunz hier eine eindeutige Stellungnahme abgegeben haben, daß sie nicht nur nicht behindert wurden, sondern jede mögliche Unterstützung seitens des Verteidigungsministeriums erhielten. Woher nahm eigentlich die Opposition die Begründung für eine derart falsche Behauptung? Sie ist bis heute die Antwort darauf schuldig geblieben. Das Bundeskriminalamt und die Bundesanwaltschaft haben diese üblen Verdächtigungen eindeutig entkräftet. Wenngleich die Opposition ihr ursprüngliches Ziel
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auf Grund dieser Zeugenaussagen nicht erreichte, konnte der Untersuchungsausschuß in gemeinsamer Arbeit langjährige Strukturmängel aufdecken.
Wir Sozialdemokraten haben bereits bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses erklärt, daß es uns nicht darauf ankomme, einen billigen Schlagabtausch mit dem politischen Gegner zu führen. Vielmehr wollten wir zu konkreten Ergebnissen kommen und damit der Sicherheit unseres Landes dienen. Es wird von niemandem bestritten, daß es sich hier um einen Verratsfall von besonderer Schwere handelt. Aber zugleich ist auch offenkundig, daß dieser Verratsfall nur ein Glied in einer Kette schwerer und schwerster Verratsfälle ist, von denen die Bundesrepublik und speziell die Bundeswehr seit ihrer Errichtung betroffen wurden. Diesen Ursachen und den Möglichkeiten eines wirksamen Schutzes sind wir im Ausschuß nachhaltig nachgegangen.
Unser Land, meine Damen und Herren, ist aus drei Gründen besonders spionagegefährdet:
Erstens. Wir leben in einer geteilten Nation. Über 5 Millionen Deutsche aus der DDR haben seit Kriegsende in der Bundesrepublik Deutschland eine neue Heimat gefunden. Ihnen können und dürfen wir nicht mit vorgegebenem Mißtrauen begegnen oder ihnen gar Recht und Chancengleichheit verwehren. Das Fehlen einer Sprachbarriere erleichtert jedoch Agenten- und Spionagetätigkeiten.
Zweitens. Nach dem Grundgesetz und unserem politischen Verständnis kann und darf es zwischen beiden Teilen Deutschlands keine Barriere der Staatsangehörigkeit in der Bundesrepublik Deutschland geben.
Das heißt, eine Diskriminierung deutscher Staatsangehöriger aus der DDR darf nicht erfolgen.
Dies ist ein Risikofaktor in Hinsicht auf eingeschleuste Agenten. Aber dieses Risiko müssen wir tragen, wenn wir unseren Verfassungsauftrag ernst nehmen.
Deshalb ist es um so bitterer und schäbiger, wenn auf diesem Gebiet Aufrechnungen vorgenommen werden. Die Fälle Schmidt-Wittmack und Frenzel, Felfe und Guillaume sind nicht einer Fraktion oder einer Regierung anzulasten. Auch sie sind aus der besonderen Situation Deutschlands zu erklären —ein Schicksal, das sich nicht mit Fackelzügen erhellen läßt, sondern dessen Ursachen wir kennen müssen, besonders die Abgeordneten im rechten Spektrum der deutschen Politik. Dessen Folgen haben wir alle zu tragen.
Drittens. Die Bundesrepublik Deutschland ist poli-, tisch, wirtschaftlich und militärisch von großer Bedeutung für die europäische und internationale Politik. Wir Sozialdemokraten nehmen deshalb die Sorge für und um unseren Staat ernst. Ich habe deshalb bereits am 25. Mai unter Zustimmung meiner Parteifreunde einen Artikel in einer überregionalen Tageszeitung veröffentlicht, der kritisch die Schwachpunkte im Bereich des Bundesverteidigungsministeriums herausstellte. Diese Mängel und Fehlerquellen haben in erheblichem Maße dazu beigetragen, Verrat zu ermöglichen und zu erleichtern. Sie haben ihren Niederschlag in den Folgerungen aus dem Spionagefall im Bericht gefunden. Mein Freund Conny Ahlers hat dazu schon inhaltlich Stellung genommen.
Mir geht es in diesem Zusammenhang um ein anderes : Gerade weil wir Sozialdemokraten kritisch gegenüber früheren Regierungen und selbstkritisch gegenüber unserer jetzigen Regierung Bilanz gezogen haben, um dem Schutz unseres Staates den ihm gebührenden Rang zukommen zu lassen, brauchen wir keinen Nachhilfeunterricht seitens der Opposition. Vor allem aber weisen wir üble Verdächtigungen entschieden zurück.
Wir wollen das Gespräch, und wir sind bereit zur gemeinsamen Arbeit für unseren Staat; aber wir lassen uns nicht verleumden, wie dies heute hier in schlimmer Weise geschehen ist.
Das Bundesministerium der Verteidigung hat aus den im Ausschußbericht festgestellten Mängeln schon Konsequenzen gezogen. Wir danken dafür.
Es handelt sich dabei um Mängel, die sich bereits seit über 20 Jahren, d. h. anfänglich unter CDU- Regierungen, festgesetzt hatten und immer weitergeschleppt wurden.
Diese Maßnahmen waren notwendig, um den sicherheitspolitischen Bereich besser vor Spionage zu schützen. Dazu gehören u. a. auch die Einrichtung eines Sicherheitsreferates im Bereich der Leitung, die Einengung des Personenkreises, der Zugang zu Verschlußsachen erhält, und ein verändertes Verfahren bei den Entleihscheinen, die Intensivierung der Sicherheitsaufsicht und die Verschärfung der Kontrollen und andere Maßnahmen mehr, wie aus dem Bericht ersichtlich ist.
Dadurch ist zum • erstenmal ein Untersuchungsausschuß nicht nur im parteipolitischen Hickhack unterschiedlicher Feststellungen und Bewertungen erstorben, sondern es wurden — dies ist doch gar nicht zu bestreiten — gerade auch auf Betreiben der Koalitionsfraktionen konkrete Maßnahmen gefordert und dadurch auch sachliche Ergebnisse erzielt.
Die sozialdemokratischen Mitglieder des Verteidigungsausschusses werden auch in Zukunft nicht lokkerlassen, um die Erfüllung der von ihnen im Bericht geforderten Maßnahmen durchzusetzen. Wir werden uns darüber im Verteidigungsausschuß in entsprechenden Abständen berichten lassen.
Bedauerlicherweise ist ein Teil der Arbeitsgruppe der CDU/CSU dem Anspruch, Staatsinteressen vor Parteipolitik zu stellen, nicht gerecht geworden. Wir wissen, daß sich der Ausschußvorsitzende selbst mit scharfmacherischen Kräften seiner Fraktion auseinandersetzen mußte, um den Ausschuß zu vernünftigen Ergebnissen zu führen. So war es doch; das können Sie doch gar nicht leugnen. Wir wissen allerdings auch, daß ihm dies nur zum Teil gelang, so daß die von allen gemeinsam erarbeiteten guten Er-
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gebnisse durch eine Flut von Verdächtigungen, Unterstellungen und Verleumdungen entwertet werden. Manches von den Behauptungen der Opposition nahm doch schon den Charakter des Komischen an. So mutete es z. B. komisch an, wenn monatelang nach einer Förderliste gefahndet wurde, die überhaupt nicht existiert. Conny Ahlers hat sie heute morgen zu Recht als Phantom bezeichnet.
Selbstverständlich stellt sich auch hier die Frage nach der Seriosität und nach der Ernsthaftigkeit bei der Untersuchung eines sicherheitspolitischen Problems unseres Staates. Meine Damen und Herren, was hätte eigentlich eine solche Liste, wenn es sie wirklich gegeben hätte, mit der Untersuchung eines Spionagefalls zu tun, bei dem mehr als 1 000 Dokumente kompromittiert worden sind?
Das war doch ein Ablenkungsmanöver. Das muß man sehen.
Ich kann den Kollegen Ahlers noch einmal zitieren. Er hat vorhin von dem Projektionsverhalten
gesprochen: Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie hier über Genossenfilzokratie und andere Dinge sprechen, dann sollten Sie sich einmal von Herrn Dr. Dregger aufklären lassen, wie man seitens der CDU eine Personalkartei zur Postenbeschaffung in Hessen anlegt.
— Leider Gottes
haben wir bei den Wahlen vom 20. März 1977 erhebliche Einbrüche erlebt, und nun vollführt die CDU das, was sie uns zu Unrecht immer vorgeworfen hat, Herr Dr. Kohl.
Durch die parteipolitisch motivierte Treibjagd auf den sozialdemokratischen Abteilungsleiter Laabs hat die Union in der Öffentlichkeit den falschen Eindruck hervorgerufen, als liege hier der Schwerpunkt des Verrates. In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt: Mehr als zwei Drittel der verratenen Dokumente stammen nicht aus der Sozialabteilung, sondern aus den Bereichen, in denen Herr Lutze und Herr Wiegel gearbeitet haben.
Auf das Konto des Herrn Wiegel, den es für die Fragen der Union überhaupt nicht gegeben hat, geht mehr als die Hälfte der verratenen streng geheimen Dokumente. Dadurch wurden die Proportionen willkürlich und einseitig verzerrt.
Verwerflicher ist allerdings die Tatsache, daß Abgeordnete der CDU/CSU der Versuchung nicht widerstehen konnten, die Verleumdung als Mittel zum Zweck einzusetzen, um Mißtrauen nach innen und nach außen zu schüren. Dabei scheuten sie sogar vor Tricks und direkter Täuschung nicht zurück. Ja, Herr Kollege Voss, wer mit diesen Mitteln arbeitet, hat das Recht verwirkt, in selbstgerechter Pose hier vor dem Parlament aufzutreten. Nach Ihrem Trick mit der Karte, mit dem Sie den Bundeskanzler bewußt in unsauberer Weise unmittelbar in diese Affäre einbeziehen wollten, hätte es Ihnen gut angestanden, entweder hier zu schweigen oder sich vorher beim Bundeskanzler zu entschuldigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Voss?
Herr Kollege Horn, sind Sie bereit, sich die Korrespondenz einmal anzusehen, die ich in dieser Sache mit dem Herrn Bundeskanzler geführt habe?
Die kenne ich, Herr Kollege Voss. In dieser Korrespondenz haben Sie sich nicht entschuldigt. Sie haben in dieser Korrespondenz leider den billigsten Ausweg gewählt, indem Sie sagten, es hätte sich um ein Mißverständnis gehandelt. Jeder, der lesen und schreiben kann, weiß, daß Sie hier den Bundeskanzler eindeutig mit einem Trick hereinzulegen versuchten.
Übertroffen wurde Herr Voss allerdings noch von einigen Presseorganen und anderen Medien. Die infamste Verleumdung, die den sozialdemokratischen Abteilungsleiter Laabs als eine Art Prominenten-Kuppler hinstellte, war ausgerechnet in der katholischen „Deutschen Tagespost" aus Würzburg zu lesen. Aber auch andere Pamphlete der Union und ihrer publizistischen Helfer waren nicht viel besser.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Kombination von Verdächtigungen, Verleumdungen und Verfälschungen, die wir aus vielen anderen Beispielen kennen — ich erinnere etwa an die Kampagne gegen unseren Kollegen Uwe Holtz —, hat Robert Leicht am 8. September 1978 in der „Süddeutschen Zeitung" treffend charakterisiert; das könnten Sie sich ruhig einmal zu Gemüte führen, Herr Kollege Voss. Ich darf mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren:
Ist es schon ein ziemliches Bubenstück, jemanden ohne seriöse Anhaltspunkte zu verdächtigen, so gehört doch einige Unverfrorenheit dazu, ihm nachher auch noch vorzuhalten, es sei ihm nicht gelungen, zu beweisen, daß er so etwas nicht getan habe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Voss?
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978 9557
Herr Horn, sind Sie bereit und in der Lage, zwischen Fragen, die man stellt, und Unterstellungen, die man macht — wie Sie hier dauernd behaupten —, zu unterscheiden?
Herr Kollege Voss, dort wurden nicht nur Fragen gestellt. Ich berichte hier ausdrücklich nicht nur über den Untersuchungsausschuß, sondern auch über das Umfeld. Dieses Umfeld ist durch eine Fülle von Presseartikeln, Äußerungen der Kollegen der CDU/CSU und ihr nahestehender Organe gekennzeichnet, in denen nicht nur Fragen gestellt, sondern üble Verdächtigungen ausgesprochen wurden und direkt zu dem Mittel der Verleumdung gegriffen wurde.
Diese Methode, über Verleumdung Mißtrauen zu säen, zerstört nicht nur das Vertrauen unseres Volkes zur Demokratie, sondern es zerstört auch das Vertrauen bei anderen Nationen gegenüber unserem Volk. Es ist doch eine systematische Kampagne, mit der bestimmende Leute der CDU/CSU — koste es, was es wolle — deutsche Sozialdemokraten diffamieren wollen, um nach innen und nach außen zu suggerieren, daß Sozialdemokraten die Sicherheit unseres Volkes und sogar des Westens auf das Spiel setzen würden.
Ich erinnere an die Kampagnen, wie sie gegen Uwe Holtz und Egon Bahr laufen. Das steht exakt auch in der Tradition der Deutschnationalen in der Weimarer Republik.
Unsere Freunde im Westen wissen, daß die Bundeswehr noch nie so in die Gesellschaft integriert war wie heute.
Sie wissen auch, daß unsere Leistungen für die Bundeswehr und das Bündnis unumstritten sind. Ja, Herr Kollege Weiskirch, wir Sozialdemokraten stehen als älteste demokratische deutsche Partei seit 115 Jahren für Freiheit und Demokratie in unserem Lande ein. Sozialdemokraten haben die erste Republik verteidigt und für sie gestritten, als andere politische Kräfte schon längst vor der Diktatur in die Knie gegangen waren und vor ihr kapituliert hatten.
Sie haben im Nazireich Verfolgungen und Peinigungen auf sich genommen. Jawohl, vor den Sozialdemokraten, die so viel gelitten und für die Freiheit getan haben, könnten Sie ruhig auch einmal aufstehen, Herr Weiskirch.
Ich würde jedenfalls das gleiche vor den Opfern, die aus der katholischen Kirche oder aus anderen Bereichen kommen, auch tun.
Sozialdemokraten haben im Nazireich Verfolgungen und Peinigungen auf sich genommen und nach 1945 von den Fundamenten der Gemeinden bis zum Grundgesetz diesen Staat aufgebaut. Die Bundeswehr hat unter sozialdemokratischen Verteidigungsministern einen international anerkannten Standard erreicht. Ausbildung und Ausrüstung, 30 % Investitionsmittel heute im Vergleich zu 19 % unter CDU/ CSU-Regierungen bei wesentlich niedrigeren Ansätzen, Erfüllung der NATO-Verpflichtungen heute im Vergleich zu manchen großen Worten, aber keinen Taten früher: das ist der einzige Maßstab zur Bewertung unserer Sicherheitspolitik nach innen und nach außen.
Unsere Verbündeten vergleichen sehr wohl die Position der Bundesrepublik vor zehn Jahren im Bündnis mit unserer heutigen Situation. Sie erkennen unsere Leistungen an.
Ich bin einige Male in internationalen Gremien der NATO gewesen.
Viele haben Sorge vor Verdächtigungen und Verleumdungen, die doch allen Tatsachen hohnsprechen, weil diese Leute sie aus Sachkenntnis geradezu widerlegen können. Besorgte Stimmen gerade aus dem befreundeten Ausland fragen uns bei solchen Aktionen dann, ob in der Bundesrepublik bestimmte Kreise wieder Weimarer Republik spielen wollen.
Wir sollten aus der Untersuchung nicht nur Schlüsse für unsere Sicherheit im Verteidigungsbereich ziehen, wir sollten auch als Verteidigungsausschuß selbst lernen. Uns ist eine Materie anvertraut, die zu wichtig und zu ernst ist, als daß wir uns auf diesem Felde allzu viel parteipolitisches Gezänk leisten könnten.
Der Faineß halber möchte ich an dieser Stelle aber auch bemerken, daß sich — neben der sachbezogenen und kritischen Mitarbeit der Koalitionsfraktionen — der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Herr Kollege Dr. Wörner, nach Kräften darum bemüht hat, diese Sachbezogenheit mitzutragen, zuweilen selbst am Rande des Konflikts mit der eigenen Fraktion. Ihm und seinem Stellvertreter im Vorsitz, dem Kollegen Dr. Penner, möchte ich für die sachliche Leitung der Untersuchung danken. Diese hat neben vielen Bitternissen auch ein Gutes gehabt: daß wir nämlich für künftige Fälle besser gerüstet sind, wenngleich wir sie auch nicht ausschließen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möllemann.
9558 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der heutigen Debatte ist in den Ausführungen einiger Vorredner, wie ich meine, der eigentliche politische Aspekt nicht immer deutlich genug herausgearbeitet worden. Die Untersuchungen dieses Ausschusses hatten sich ja nicht primär mit der Frage zu befassen, ob und wie viele Verschlußsachen durch die Beschuldigten Lutze und Wiegel verraten worden sind. Dies aufzuklären ist Aufgabe nicht eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, sondern der militärischen Sicherheitsorgane, ebenso wie es Aufgabe der Gerichtsbarkeit ist, festzustellen, welcher Schuldvorwurf den der Spionage Beschuldigten zu machen ist.
An dieser Stelle darf ich im übrigen zwischendurch anmerken, daß wir Freien Demokraten Wert darauf gelegt haben, daß der Spionageprozeß Lutze/Wiegel durch die Untersuchungen des Ausschusses nicht beeinträchtigt wird. Ich darf mit Befriedigung feststellen, daß diese Bemühungen durch entsprechende Abgrenzungen der Ausschußaktivitäten weitgehend erfolgreich gewesen sind.
Ich wiederhole: Nicht die Frage der Schuld der der Spionage Verdächtigten und nicht Art und Umfang des Verrats mußten im Mittelpunkt der Untersuchungen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses stehen, sondern die Frage, ob die mit dem Fall befaßten Personen und Organe im politischen und administrativen sowie im militärischen Bereich alles getan haben, was in ihrer Verantwortung lag. Daß dabei die Frage nach dem Umfang des Verrats natürlich eine gewisse Rolle spielen mußte und daß hierzu der Untersuchungsausschuß auch gewisse Feststellungen treffen mußte, ändert nichts daran, daß es die zentrale Aufgabe des Ausschusses war, als parlamentarisches Kontrollorgan zu untersuchen, ob in der Exekutive Versäumnisse vorgekommen sind.
Wir müssen deshalb, wenn wir dem verfassungspolitischen Aspekt der Tätigkeit des Untersuchungsausschusses gerecht werden wollen, in den Vordergrund dieser Debatte die Frage stellen, ob der Ausschuß seiner Aufgabe, die Exekutive auf etwaige Versäumnisse hin zu kontrollieren, in seiner Arbeit gerecht geworden ist, ob insoweit politische Konsequenzen gezogen worden sind oder ob diese noch zu ziehen sind.
Lassen Sie mich Ihnen zunächst in einer kurzen Zusammenfassung meine Bewertung des Ablaufs und des sachlichen Ergebnisses der Ausschußuntersuchungen darstellen, bevor ich die zentrale politische Bewertung anschließe. Zuerst darf ich zur Versachlichung einmal die wichtigsten Fragen, die der Ausschuß zu untersuchen hatte, in Ihre Erinnerung zurückrufen:
Erstens. Welcher Schaden ist durch den Spionagefall Lutze/Wiegel tatsächliche für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und des nordatlantischen Bündnisses entstanden?
Zweitens. Sind die ermittelnden Stellen und Behörden in ihrer Arbeit durch das Bundesministerium der Verteidigung behindert oder gar ausgeschaltet worden?
Drittens. Haben Verstöße von Angehörigen des Bundesministeriums der Verteidigung gegen die Sicherheitsbestimmungen oder sonstige Abweichungen oder Sonderregelungen von den für die Bundesministerien geltenden allgemeinen Regeln des Verwaltungsablaufs den Landesverrat ermöglicht oder erleichtert?
Viertens. Ist das Parlament von der Regierung in der notwendigen Art und Weise über diesen Spionagefall unterrichtet worden?
Fünftens. Hat das Bundesministerium der Verteidigung mit der notwendigen Schnelligkeit und Genauigkeit, wie sie auf Grund der Schwere dieses Falles geboten waren, die zur Aufklärung des Schadens und zur Verringerung desselben nötigen Gegenmaßnahmen ergriffen?
Sechstens. Hat es im personellen Umfeld des Spionagefalls Umstände gegeben, die die Spionage erleichtert haben?
Meine Damen und Herren, der Ausschuß hat das Ziel, das er sich gesetzt hat, erreicht. Wir wissen jetzt, daß der durch den Spionagefall eingetretene Schaden für die Sicherheit unseres Landes als schwerwiegend anzusehen ist Wir wissen, daß der nachrichtendienstliche Gegner durch den Verrat einen umfangreichen und wichtigen Einblick in die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik erhalten hat und daß dieser Schaden zum Teil irreparabel und nur zu einem Teil reparabel ist.
Allerdings rechtfertigt auch diese deutliche Feststellung keine Überbewertung des Spionagefalls. Die Klassifizierung als „der schwerste Fall in der Geschichte" ist eine höchst subjektive, die hier auch nicht belegt worden ist. Ich meine, sie entspricht eindeutig auch dem parteipolitischen Interesse dessen, der sie hier vorgenommen hat.
Wir haben auch feststellen können, daß die Ermittlungen des Bundeskriminalamtes durch das Verteidigungsressort in keiner Weise behindert worden sind. Es hat sich jedoch auch herausgestellt, daß Kompetenzrangeleien zwischen den für das militärische Nachrichtenwesen zuständigen Stellen im Ministerium und im nachgeordneten Bereich die Arbeit behindert haben.
Wir haben in den Ausschußuntersuchungen auch feststellen müssen, daß der Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages am 6. Juni 1976 vom Bundesministerium der Verteidigung nicht so umfassend unterrichtet worden ist, wie es nach den dem Ministerium vorliegenden Erkenntnissen möglich gewesen wäre. Damals wurde vom Regierungsvertreter Staatssekretär Fingerhut im Ausschuß zu Umfang und Gewicht des Schadens keine Sachaussage gemacht, obwohl es im Verteidigungsministerium bereits erste Feststellungen zu Art und Ausmaß des Verrats gab.
Wir haben weiter feststellen müssen, daß die Maßnahmen zur Wertung des durch den Verrat eingetretenen Schadens im Verteidigungsministerium in unverständlicher Weise zögerlich behandelt
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978 9559
Möllemann
worden sind, so daß auch die insbesondere wegen der Schwere des Falles notwendigen Maßnahmen zur Begrenzung des Schadens und, soweit möglich, zu seiner Behebung zu spät ergriffen worden sind.
Der Untersuchungsausschuß, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen hat dem Verteidigungsministerium auf Grund des Ergebnisses der Untersuchungen in 17 Punkten Vorschläge gemacht, wie die Sicherheit im Verteidigungsministerium verbessert werden kann. Der Ausschuß hat darauf hingewiesen, daß das Sicherheitsbewußtsein aller Personen, die im Bundesministerium der Verteidigung und in der Bundeswehr tätig sind, angesichts der Anstrengungen der gegnerischen Nachrichtendienste geschärft und ständig wachgehalten werden muß.
Die Ausschußuntersuchungen haben gezeigt, daß wenige undichte Stellen, Unvorsichtigkeit, Sorglosigkeit und mangelnde Kontrolle schweren Landesverrat ermöglichen und großen Schaden für die Sicherheit der Bundesrepublik herbeiführen können. Der Ausschuß hat besonders darauf hingewiesen, daß klare und zweifelsfreie Zuordnung von Aufgaben und Befugnissen und eine eindeutige Organisations- und Befehlsstruktur auf dem Gebiet der militärischen Sicherheit besonders dringlich sind, weil sie Voraussetzungen dafür sind, daß die notwendigen Informationen rechtzeitig in die militärische und politische Spitze des Ressorts gelangen. Es darf sich nicht wiederholen, daß nach Eintritt eines Spionagefalls durch Kompetenzstreitigkeiten wertvolle Zeit verlorengeht und notwendige Maßnahmen nicht in der erforderlichen Art getroffen werden.
Wir haben mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß das Verteidigungsministerium eine Reihe unserer Vorschläge bereits aufgegriffen hat. Zu den übrigen sind noch Detailprüfungen im Gange. Auch hier hoffen wir auf baldige Entscheidungen.
Am Ende der Arbeit dieses Ausschusses, die nun fast ein ganzes Jahr in Anspruch genommen hat, können wir also feststellen, daß der Ausschuß das Ziel, das er sich selbst gesteckt hat, wirklich erreichen konnte. Daß der Ausschußbericht nicht ganz aus einem Guß ist, weil nur etwa zur Hälfte der Fragen, die zu klären waren, Einvernehmen zwischen Koalition und Opposition herzustellen war, muß dabei keineswegs stören. Ich bin vielmehr der Meinung, daß es positiv zu bewerten ist, wenn immerhin zu einer großen Anzahl von Fragen eine einheitliche Bewertung zwischen uns allen möglich war. Es ist' gute Recht der Opposition, in den Fragen, in denen sich ihre Bewertung der Vorgänge von denen der Koalition unterscheidet, ihre abweichende Meinung zu veröffentlichen.
Ich will mich mit dem sachlichen Inhalt dieser Abweichungen hier nicht befassen. Ich halte allerdings das Minderheitenvotum sachlich für unzutreffend. In einem Punkt halte ich es sogar für höchst bedenklich, nämlich dort, wo der inzwischen zurückgetretene Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wust, massiv angegriffen wird. Ich habe vorhin zum Ausdruck gebracht, daß der Ausschuß festgestellt hat, daß die Gegenmaßnahmen gegen die Spionage im militärischen Nachrichtendienst zu spät ergriffen worden sind. Daran halte ich fest. Dieser Vorwurf trifft aber nicht den seinerzeitigen Generalinspekteur der Bundeswehr, sondern andere Stellen. Zu keiner Zeit ist im Verlauf der Untersuchungen festgestellt worden, daß der Generalinspekteur etwa seine Pflicht zur Aufsicht und Kontrolle der ihm nachgeordneten Stellen verletzt hat. Nur dies aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, könnte neben den Fragen, die wir aufgeworfen haben, einen besonders schweren Vorwurf gegen ihn rechtfertigen. Ich stelle ausdrücklich fest, daß dem damaligen Generalinspekteur der Bundeswehr nach dem Ergebnis der Ausschußuntersuchungen keine — im Vergleich zu anderen — besonders massiven Vorwürfe wegen seines Verhaltens in dieser Angelegenheit zu machen sind.
Wenn im zivilen oder auch militärischen Administrationsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung Fehler gemacht worden sind, dann waren sie nach unserer Meinung schonungslos offenzulegen. Das ist in der Ausschußarbeit auch geschehen. Ungerechtfertigte Anschuldigungen aber gegen den Generalinspekteur als den obersten Soldaten der Bundeswehr, wie wir sie in der letzten Woche gehört haben, treffen die Bundeswehr und damit die Truppe und jeden einzelnen Soldaten. Dies muß unter allen Umständen vermieden werden. Politische Kontroversen müssen im Bereich der Politik ausgetragen werden. Die Bundeswehr muß von parteipolitischer Polarisierung freigehalten werden. Wir werden mit all denjenigen, die diese Auffassung teilen, dafür sorgen, daß dies auch so ist.
Inzwischen hat General Wust, wie wir alle wissen, auf Grund von in anderen Bereichen eingetretenen Entwicklungen keine Basis mehr für sein Verbleiben im Amt gesehen. Wir haben diese Entscheidung zwar zu respektieren, weisen aber bei dieser Gelegenheit mit allem Nachdruck auf eine Forderung hin, die wir in den vergangenen Jahren immer wieder gestellt haben, nämlich auf die Forderung, die Position des Generalinspekteurs nicht nur in seinem Verhältnis zu den Inspekteuren der Teilstreitkräfte, sondern auch und vor allem in seinem Verhältnis zur Leitungshierarchie des Verteidigungsministeriums eindeutig klarzustellen. Hier muß die in der Bundeswehr bestehende Unsicherheit über die Einordnung ihres ranghöchsten Soldaten durch eine klare Regelung endlich beseitigt werden. Ich will hier auch ganz unumwunden erklären, daß ich diese Einordnung — aus der Aufgabe des Amtes heraus — nicht als die eines von vielen Abteilungsleitern des Ministeriums verstehen kann. Der Generalinspekteur muß vielmehr — anders könnte er seiner Aufgabe nicht gerecht werden — als Verantwortlicher für die Entwicklung der verteidigungspolitischen Konzeption der Bundesrepublik und als oberster militärischer Berater der Bundesregierung auch tatsächlich die Stellung
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erhalten, die dieser Aufgabe gerecht wird. Sonst ist er alles andere, nur kein Generalinspekteur.
Damit wird im übrigen der Primat der Politik nicht in Frage gestellt, wie man gelegentlich hören kann. Die vom Generalinspekteur zu entwickelnde 'verteidigungspolitische Konzeption ist zwar von ihm zu entwickeln, aber sie ist ein Vorschlag, über dessen Annahme oder Ablehnung der Minister, der natürlich die Befehls- und Kommandogewalt behält, entscheidet. So steht also der Primat der Politik — bei dieser Frage jedenfalls — nicht zur Debatte. Vielmehr geht es um eine schlüssige und effiziente Spitzengliederung der Bundeswehr. Wie schwach müßte eine Politik sein, die ihren Primat von dieser oder jener Strukturvariante abhängig machen ließ!
Wer überdies die von uns vorgeschlagene Aufgabenstellung und Einordnung des Generalinspekteurs mit Mißtrauen und Argwohn betrachtet, tut unseren Streitkräften unrecht. In den 23 Jahren ihres Bestehens hat die Bundeswehr bewiesen, daß sie eine loyale Armee dieses Staates ist. Sie hat niemals Anlaß dazu gegeben, daran zu zweifeln, daß sie den Primat der Politik respektiert. Auf dem schwierigen Weg unseres Staates zur Demokratie ist die Bundeswehr ein Meilenstein demokratischer Entwicklung, die allerdings auch in ihr noch nicht abgeschlossen ist. Aber wir sollten ihr Selbstbewußtsein, das sie braucht, um diese Aufgabe weiterhin zu erfüllen, abzurunden, nicht zerstören, zerstören z. B. durch ein ungerechtfertigtes Mißtrauen gegen die Loyalität ihres obersten Repräsentanten und damit gegen die Streitkräfte insgesamt.
Im übrigen, meine sehr verehrten Damen und Herren, begrüßen wir nach dem Rücktritt des Generalinspekteurs Wust die Entscheidungen des Verteidigungsministers im Blick • auf die Nachfolge. Wir halten es für richtig, daß diese Entscheidung sehr schnell getroffen worden ist, um Unsicherheiten, soweit sie vorhanden waren, sich nicht auswachsen zu lassen oder keine neuen Unsicherheiten entstehen zu lassen. Ich möchte allerdings in aller Klarheit auch sagen: Die Art und Weise, in der der neue Generalinspekteur von Ihnen, meine sehr verehrten Kollegen von der CSU, begrüßt worden ist, halte ich für unmöglich; das ist ein Vorgang, der es Ihnen doch selbst unmöglich machen muß, mit diesem neuen Generalinspekteur zusammenzuarbeiten.
Ich finde, auch er hat ein Recht darauf, daß wir ihm mit der gleichen Unbefangenheit gegenübertreten, die andere für sich beanspruchen können. Wir sollten ihm diese Chance geben.
Lassen Sie mich jetzt zur politischen Bewertung der Arbeit und der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses kommen und folgendes feststellen.
Erstens. Das Verteidigungsministerium als Exekutivorgan hat sich dem Untersuchungsausschuß gegenüber in dessen parlamentarischer Kontrollaktivität kooperativ verhalten. Dem Ausschuß wurden alle Akten und Unterlagen zur Verfügung gestellt, die er anforderte. Den zu vernehmenden Zeugen aus dem Ressort wurden die notwendigen Aussagegenehmigungen erteilt. Hier gab es also das angemessene Rollenverständnis.
Zweitens. Verlauf und Ergebnis der Ausschußuntersuchungen haben gezeigt, daß das Parlament in der Lage ist, seine Kontrollfunktion auch mit dem Instrument eines Untersuchungsausschusses wirksam wahrzunehmen; denn der Ausschuß hat festgestellt, daß in der Behandlung des Spionagefalls Lutze/Wiegel im Verteidigungsressort Versäumnisse vorgekommen sind, die ohne die Ausschußuntersuchungen nicht entdeckt worden wären.
Drittens. Die Feststellungen der Versäumnisse durch den Untersuchungsausschuß haben zu gravierenden sachlichen und personellen Konsequenzen im Verteidigungsministerium geführt.
Keine unmittelbare Konsequenz aus dem hier in Rede stehenden Spionagefall war meines Erachtens der Rücktritt von Georg Leber; der hatte, wie wir alle wissen, andere Ursachen.
Unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses teile ich nachhaltig die Auffassung meiner Kollegen, die hier gesagt haben, daß Georg Leber der bislang erfolgreichste Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland ist.
Ich glaube also; der ,Bundestag kann in seiner Gesamtheit — hier sehe ich keine Unterschiede zwischen Koalition und Opposition — feststellen,
daß er in dem Untersuchungsausschuß Lutze/Wiegel seine Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive wirksam wahrgenommen hat.
— Ich habe den auf der Regierungsbank sitzenden Verteidigungsminister in diese Wertung gar nicht einbeziehen wollen.
Sie wissen doch, daß man Denkmäler nicht schon dann zur Würdigung der Leistungen aufstellt, wenn der Betreffende noch im Amt ist; das kann dann sehr schnell zur Revision derselben führen.
Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, nach dieser grundsätzlichen, positiven Bewertung der Arbeit des Untersuchungsausschusses jedoch auch einige kritische Anmerkungen.
Der Ausschuß hat mit seinen Mitgliedern der Koalition und der Opposition in den langen Monaten seiner Tätigkeit unter der fairen Leitung seines
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Möllemann
Vorsitzenden und seines Stellvertreters — ich habe allmählich Sorge, Herr Kollege Wörner, daß wir Sie nicht zu sehr loben dürfen; das könnte Ihnen schaden, aber bei Ihren Leuten; trotzdem, es war eine faire Leitung —
Das halte ich für einen schlechten parlamentarischen Stil.
Im übrigen: Wie die Wahlergebnisse, die Sie im Auge hatten und die wir natürlich mit einem gewissen Genuß auch heute noch im Auge haben, zeigen, hat es Ihnen offenbar nichts genutzt. Es wird eben auch draußen vermerkt und als widersprüchlich empfunden, wenn Sie, Herr Kollege Wörner, hier in der Rolle des politischen Edelmannes mit dem Florett fechtend — was wir ausdrücklich würdigen — auftreten, während der Kollege Voss, wie soeben praktiziert, mit dem polemischen Knüttel unterhalb der politischen Gürtellinie herumfuchtelt.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine Bemerkung zur Behandlung des Themas Spionage im Rahmen parteipolitischer Auseinandersetzung. Die Aussagen des Untersuchungsausschusses wie auch meine eigenen darauf bezogenen zuvor dargelegten Überlegungen machen deutlich, daß ja wohl niemand ernstlich behaupten kann und sollte, in diesem Hause gebe es eine Partei, die für Spionage besonders anfällig sei oder sie nicht richtig zu bekämpfen versuche. Um so verwunderlicher ist es — hier schließe ich mich gern der entsprechenden Bewertung des Kollegen Ahlers an —, welche irrationalen Überlegungen und parteipolitisch motivierten Interpretationen Spionagefälle immer wieder erfahren bzw. was von Menschen, die es eigentlich besser wissen müßten, zur Spionage erklärt wird. So empfinde ich
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Möllemann
es als fast schon albern, wenn ein Mitglied des Verteidigungsausschusses die Genehmigung des Über- flugs für sechs sowjetische MIG-Jäger über .die Bundesrepublik Deutschland gewissermaßen als Begünstigung von Spionage bezeichnet. Beim Thema Spionage wird eben der sonst sehr geschätzte Kollege Handlos immer grundlos kopflos.
Als nicht sehr überzeugend muß man wohl auch die bei jedem Spionagefall neu aufgestellte Behauptung bezeichnen, die von den Staaten des Warschauer Pakts betriebene Spionage belege, daß dieser es mit seiner Entspannungspolitik nicht ernst meine. Diese Schlußfolgerung ist insbesondere dann wohl nicht überzeugend, wenn ich daran denke, daß wir bei der Schlußabstimmung über den Bundeshaushalt in Kürze wieder in schöner Einmütigkeit das Haushaltskapitel 04 04 verabschieden werden. Zum besseren Verständnis: Hierbei handelt es sich um die Mittel für den BND, also für unsere auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung verpflichteten Spione, seien sie Beamte, Angestellte oder im wahrsten Sinne des Wortes freie Mitarbeiter.
Eine weitere Bemerkung, meine Damen und Herren, möchte ich zum Thema „Liste" machen. Glauben Sie mir: Es ist für einen Liberalen ausgesprochen amüsant, zu erleben, wie die beiden großen 'Parteien sich wechselseitig vorhalten, diejenige Partei, die jeweils die Mehrheit hat, betreibe eine von ihren Interessen induzierte Personalpolitik. Sie haben alle völlig recht, wenn Sie das sagen.
{Biehle [CDU/CSU] : Und Sie betätigen sich
als Erbschleicher! — Ernesti [CDU/CSU]:
So unschuldig sind Sie auch nicht!)
— In diesem Zusammenhang von „Unschuld" zu reden ist ein schwieriges Unterfangen; im übrigen auch von „Schuld".
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zum Abschluß meiner Ausführungen noch auf einen anderen, leider ebenfalls negativen Teilaspekt der Arbeit des Verteidgungsausschusses als Untersuchungsausschuß hinweisen. Der Ausschuß hat fast ein Jahr lang gearbeitet. Er ist 29mal zusammengetreten, die Beweisaufnahme wurde in 20 Sitzungen geführt, 42 Zeugen wurden vernommen.
— Offenbar schon zu oft, denn Sie haben mich des öfteren dort mit Ihren Bemerkungen irritiert. — In dieser gesamten Zeit von fast einem Jahr haben, verursacht durch die Arbeitsbelastung des Verteidigungsausschusses mit diesen Untersuchungen, fast keine Ausschußsitzungen stattgefunden, die sich mit der eigentlichen Aufgabe des Ausschusses, nämlich der Verteidigungspolitik, befassen konnten. Im gleichen Zeitraum sind im Bundesministerium der Verteidigung die vielleicht schwerwiegendsten verteidigungspolitischen Entscheidungen der letzten Jahre vorbereitet worden. Abgelenkt durch diese Untersuchungstätigkeit, mußte es der Verteidigungsausschuß unterlassen, die notwendige, parlamentarische Kontrolle der Regierung — jedenfalls in dem
eigentlich notwendigen Umfang — wahrzunehmen. Ich halte dies für eine äußerst bedenkliche Nebenerscheinung der Tätigkeit des Verteidigungsauschusses als Unterausschuß im Spionagefall Lutze/Wiegel.
Wir sollten diese Erfahrungen in guter Erinnerung behalten und sollten sie im Interesse der Wirksamkeit unserer parlamentarischen Arbeit und des Ansehens unseres Parlaments bedenken, wenn wir wieder einmal vor der Frage stehen, ob wir einen Untersuchungsausschuß — und wenn ja, in welcher Zusammensetzung — einsetzen müssen.
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verteidigungsausschuß als 1. Untersuchungsausschuß kommt bei der Schadensbewertung übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß es sich bei dem Spionagefall Lutze/Wiegel um einen besonders schweren Fall handelt. Diese Feststellung des Untersuchungsausschusses entspricht dem Ergebnis, das wir in einer Arbeitsgruppe „Sicherheit" auf der Hardthöhe, d. h. im Bundesverteidigungsministerium, selbst ermittelt haben. insofern besteht Übereinstimmung zwischen Ihnen und unseren eigenen Erkenntnissen.
In einem zweiten Punkt, denke ich, werden wir nicht so schnell zur Übereinstimmung kommen, nämlich hinsichtlich der Frage der Behandlung. Ich denke schon, daß man betrübt sein muß, sich vielleicht sogar schämen muß, wenn jemand wie Herr Laabs, der sich in diesem Saal nicht verteidigen kann und im Zweifelsfall auch keine rechtlichen Möglichkeiten hat, sich gegen Sie, Herr Voss, zur Wehr zu setzen, in dieser Art und Weise hier durch den Dreck gezogen wird.
Wenn wir uns schon parteipolitisch Vorwürfe machen wollen — und die Materie lädt zwangsläufig dazu ein —, dann sollten wir uns in der Tat sehr genau überlegen, wie wir, wenn dann wieder ein Untersuchungsausschuß ein schwieriges Gebiet zu bearbeiten hat, miteinander umgehen sollen. Ich kann mir nicht gut vorstellen, daß es uns allen, den Demokraten, guttut, wenn wir in dieser Weise argumentieren. Wir brauchen uns dann auch nicht zu wundern, wenn viele jüngere Menschen sich abwenden und sich fragen,
was Demokraten eigentlich miteinander für dieses Geweinwesen tun sollen und tun wollen.
Ich meine das mit ganzem Ernst und will deswegen dieses Thema nicht vertiefen,
weil der Ernst des Spionagefalles und die Probleme,
die im Zusammenhang damit aufgetaucht sind, wich-
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tig genug sind, um sie aus der parteipolitischen Demagogik herauszunehmen und einer besonderen Würdigung zuzuführen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, zwei klare Feststellungen am Beginn meiner Ausführungen: Erstens — ich denke, Herr Voss, das habe ich, wenn ich gut zugehört habe, auch bei Ihnen gehört —: Die Entdeckung der Agenten war auch ein großer Erfolg unserer Abwehrdienste — bei allen Mängeln, allen Schwächen, allen Fehlern, die vorgekommen sind. Das bedeutet: Bitte nicht den Eindruck erwecken, als sei dieses Land hilflos, schutzlos der Ausspionierung ausgeliefert! Zweitens: Trotz der Problematik und der Schwere des Falls war die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr durch diesen Verratsfall zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt.
Aber natürlich müssen wir aus diesem Fall Lehren für die Zukunft ziehen. Ich werde Ihnen darzustellen haben, daß wir die Lehren und die Konsequenzen bereits gezogen haben.
Ich denke, der Berichterstatter, der Herr Abgeordnete Ahlers, hat darauf ebenso hingewiesen wie mein Fraktionskollege Erwin Horn.
Bevor ich das darstelle, erst die Ergebnisse der Mängelanalyse, die wir vorgenommen hatten und, denke ich, vornehmen mußten, bevor der Ausschuß seine Arbeiten abgeschlossen hatte — denn wir konnten mit der Aufarbeitung der eingetretenen Mängel natürlich nicht warten —, und die Schlußfolgerungen aus der Mängelanalyse:
Erstens. Die Beachtung der Sicherheitsbestimmungen war unzureichend. Die bestehenden Sicherheitsvorkehrungen im Verteidigungsministerium zur Verhinderung oder Erschwerung von Spionage waren unzulänglich.
Zweitens. Die in diesem Fall getroffenen Maßnahmen waren nicht ausreichend qualifiziert und hatten deshalb nicht die angestrebte Wirkung.
Drittens. Die nach Entdeckung der Agenten eingeleiteten Maßnahmen zur Schadensfeststellung waren unzureichend und wurden darüber hinaus von Mängeln, Versäumnissen und Mißverständnissen erheblich beeinträchtigt.
Was haben wir getan? Was kann man überhaupt tun? Wenn ich frage, was man überhaupt tun kann, dann sollten wir alle — ich denke, die Debattenredner haben das mit aller Deutlichkeit gesagt — uns keine Illusionen darüber machen, daß weitere schwere Spionagefälle natürlich möglich sind und daß sie dann wiederum keine parteipolitische Angelegenheit, sondern eine Herausforderung für unsere Republik sind.
— Ich sage Ihnen ja: Eben haben Sie meine Mängelanalyse gehört. Ich glaube, die war deutlich genug.
Da wird nichts vertuscht. Und auch in den Maßnahmen, die wir ergriffen haben, wird nichts vertuscht.
Was haben wir getan? Was haben wir bereits veranlaßt? Wir haben die Ermächtigung zum Zugang zu Verschlußsachen und zum Umgang mit Verschlußsachen eingeschränkt. Ich denke, das ist dringend notwendig und liegt auf der Hand. Wir haben den Zugang zu Verschlußsachen wesentlich erschwert. Die Zahl der Panzerschränke auf der Hardthöhe wird reduziert. Die Möglichkeiten zur unkontrollierten Vervielfältigung von Verschlußsachen werden beseitigt. Im übrigen haben wir, um das Bewußtsein für Sicherheit zu schärfen — und ich glaube, das ist die Voraussetzung für mehr Sicherheit — und auch um Verstöße gegen Sicherheitsbestimmungen zu erkennen, besondere Maßnahmen ergriffen, die bis in den Bereich des Disziplinarrechts hineingehen. Die Sicherheitsaufsicht wird intensiviert, die Überwachung von Personen innerhalb des Verteidigungsministeriums wird verschärft. Jeder Angehörige des Ministeriums auf der Hardthöhe, natürlich auch der Minister, hat sichtbar einen Ausweis zu tragen. Die Kontrollen von Personen beim Verlassen des Ministeriums werden stichprobenartig — anders geht es nicht — nach einem Prinzip des Zufalls, wo niemand diskriminiert wird, auf die Durchsuchung von Taschen und Kraftfahrzeugen erweitert.
— Herr Voss, natürlich hat es lange gedauert; aber ich bitte Sie sehr um Verständnis dafür: gerade bei diesen Maßnahmen, die in das Leben von Menschen einschneiden — sie werden kontrolliert, wenn sie nach Hause wollen, sie müssen im Dienst Ausweise tragen —, gehört es dazu, daß ich — wenigstens entspricht es so meinem Selbstverständnis — dies mit dem Personalrat auf der Hardthöhe so gründlich bespreche, daß der Personalrat zustimmt. Der Personalrat hat zugestimmt. Wir brauchen bei demokratischen Willensbildungsprozessen Zeit; aber wir haben diese Prozesse zu Ende geführt.
Natürlich waren auch flankierende organisatorische Maßnahmen zu ergreifen. Ich denke, der Berichterstatter hatte dargestellt, daß wir das Sicherheitsreferat dem Bereich der Leitung unterstellt haben. Wir haben personelle Verstärkungen bereitgestellt, und wir haben eine Gruppe „Sicherheitsinspektionen" eingerichtet, die quasi im Hause selbst dafür sorgt, daß die Sicherheitsbestimmungen überall eingehalten werden und daß man zu keiner Zeit sicher sein kann, ob man nicht, wenn ich es einmal salopp sagen darf, erwischt wird. Dann werden Sanktionen ergriffen werden.
Natürlich müssen wir auch die Leistungsfähigkeit des MAD verstärken, und es kann überhaupt nicht übersehen werden, daß wir Konsequenzen aus der, wie ich meine, unzulänglichen Behandlung des Falles nach der Entdeckung der Agenten zu ziehen hatten. Hier kam es darauf an, das Zusammenwirken
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der beteiligten Stäbe neu zu ordnen, ein Unterrichtungsverfahren zwischen den zivilen und den militärischen Abteilungen sicherzustellen und künftig die Schadensbewertung zu beschleunigen. Auch hier haben wir organisatorische Maßnahmen ergriffen, damit sich nach menschlichem Ermessen die Versäumnisse, die Fehler, die Schwächen künftig nicht wiederholen können. Die Anbindung des Militärischen Abschirmdienstes ist eindeutig: er ist dem Stellvertreter des Generalinspekteurs unterstellt. Dieser bedient sich bei der Durchführung der Dienst-und Fachaufsicht des Führungstabes der Streitkräfte. Durch diese Regelung ist die umfassende, ungeteilte Aufsicht über den MAD durch fachlich kompetente Stellen gewährleistet. Der für das militärische Nachrichtenwesen verantwortliche Staatssekretär, Herr Staatssekretär Dr. Hiehle, wird durch ein ihm direkt unterstelltes Referat unterstützt, welches das auf diesem Gebiet erforderliche Zusammenwirken zwischen politischer Leitung und dem Führungsstab der Streitkräfte sicherstellt.
Lassen Sie mich zu diesem Punkt — ich möchte dann natürlich auch Bemerkungen zu aktuellen Anlässen machen, die auch soeben von Herrn Möllemann schon angesprochen worden sind — folgendes abschließend erklären.
Erstens. Der Spionagefall Lutze/Wiegel ist als schwerwiegend zu bezeichnen; aber er ist sicherlich nicht der schwerwiegendste Spionagefall der Nachkriegszeit.
— Ja, das deckt sich mit der Mehrheitsmeinung hier im Hause. Herr Voss, daß Sie eine andere Meinung haben, ist Ihnen natürlich unbenommen, das ist Ihr gutes demokratisches Recht.
Zweitens. Mangelndes Sicherheitsbewußtsein, Nichtbeachtung von Sicherheitsbestimmungen sowie eine nicht ausreichend wirksame Spionageabwehr haben das Eindringen und die Tätigkeit der Agenten erleichtert und eine frühzeitige Entdeckung verhindert. Wir haben die entsprechenden Vorkehrungen getroffen, um dies nach menschlichem Ermessen
für die Zukunft auszuschließen.
Schließlich ist die Schadensfeststellung durch Unzulänglichkeiten, Mängel und Versäumnisse gekennzeichnet. Sie selber, Herr Ausschußvorsitzender, Herr Dr. Wörner, haben in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen — ich zitiere Sie, und das deckt sich mit meinen Erkenntnissen —, daß natürlich dafür, aber auch für andere Vorgänge auch die militärische Seite auf der Hardthöhe "ihre Verantwortung trägt. Sie haben in diesem Zusammenhang davon gesprochen, daß Sie einen personellen Kahlschlag bei den Militärs nicht wollten und daß Sie aus diesem Grunde bei den Ermittlungen eine gewisse Grenze beachtet haben. Schließlich' haben wir das Kompetenzgerangel durch eine eindeutige Unterstellung des MAD beseitigt.
Herr Möllemann hat dann gesagt, es sei eigentlich zu bedauern, daß der Ausschuß durch diese Arbeit davon abgehalten worden sei — so haben Sie, glaube ich, gesagt —, wesentliche Entscheidungen des Ministeriums zu begleiten, zu kommentieren und zu beeinflussen. Eines will ich sehr deutlich sagen. Wir haben in diesen zehn Monaten in der Tat wesentliche Entscheidungen gefällt. Aber ich habe nicht das Gefühl, Herr Möllemann, daß Ihre Selbstkritik berechtigt ist. Mein Eindruck ist sogar der entgegengesetzte.
Wir haben ein leidiges Thema — AWACS — gemeinsam bewältigt, das 1974 zum erstenmal auf die politische Tagesordnung kam. Ich möchte mich ausdrücklich bei Ihnen, meine Damen und meine Herren vom Haushalts- und vom Verteidigungsausschuß, dafür bedanken, daß ein Thema, das uns von 1974 bis 1978 politisch beschäftigt hat, nun so abgeschlossen werden konnte, daß die NATO gestern durch diesen Beschluß und auch durch den deutschen Beitrag ein ganzes Stück an Verteidigungsfähigkeit, an Solidität und an Solidarität gewonnen hat. Da haben doch tagelang kontroverse Debatten stattgefunden. Warum wollen Sie eigentlich Ihr Mitgeburtsrecht an dem guten Ausgang dieser Debatte selber begrenzen?
Auch in einem zweiten Punkte haben wir in diesen zehn Monaten einen guten Schritt nach vorn getan. Im November 1973, vor fünf Jahren, hat es eine Regierungserklärung zur neuen Struktur der Bundeswehr gegeben. Auch hierzu ist der Entscheidungsprozeß jetzt beendet. Wir haben klare Beschlüsse gefaßt. Die NATO, insbesondere General Haig, bewertet unsere Beschlüsse als ein wesentliches Element des langfristigen Verteidigungsprogramms, der Stärkung der konventionellen Verteidigungsfähigkeit unseres Bündnisses. Statt bisher 33 Brigaden 36 Brigaden, Aufwertung der Heimatschutzkommandos zu brigadeähnlichen Verbänden, Stärkung des Territorialheeres — und auch dies in einer Weise, daß die sozialen Konsequenzen für die Soldaten begrenzt sind. .
—Sicherlich, das gehört dazu. Auch die sicherheitspolitischen Dinge haben wir bewältigt. Ich denke, Herr Möllemann, wir können zufrieden sein — trotz der Belastung des Verteidigungsausschusses — mit zehn Monaten gemeinsamer Arbeit.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Möllemann?
Sicherlich.
Herr Minister, wären Sie so freundlich, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich nicht eine kritische Bewertung der Arbeitsweise Ihres Hauses vornehmen, sondern darauf hinweisen wollte, daß sich der Ausschuß in dieser Phase, in der er sich vorwiegend mit dem Gegenstand der Untersuchungen zu beschäftigen hatte, nicht in der Art und Weise, wie er es jetzt wieder kann und vorher konnte, und so intensiv, wie er es an sich müßte, mit den anstehenden und von Ihnen angesprochenen Fragen beschäftigen konnte? Das Beispiel AWACS
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ist übrigens ein besonders geeignetes; ich denke an den Rückflug von Lissabon.
Gut. Ich will diese Debatte nicht fortsetzen. Ich wollte nur bitten, daß wir erstens sagen: da ist in• den zehn Monaten viel geschehen, das hat der Minister im Einvernehmen mit dem Ausschuß gemacht. Eigentlich kann ich doch feststellen, daß die Dinge sowohl im Bereich der Sicherheitsvorkehrungen auf der Hardthöhe — wir werden im Bericht ausdrücklich belobigt — wie bei AWACS — drei Nein-Stimmen im Verteidigungsausschuß — wie auch bei der Heeresstruktur — eine breite Zustimmung; hier hat es keine Abstimmung gegeben — trotz Lutze/Wiegel recht gut gegangen sind.
Nun haben Sie, Herr Kollege Möllemann — und .es liegt auf der Hand, hier auch darüber zu sprechen —, Bemerkungen zu dem scheidenden Generalinspekteur Wust gemacht. Ich denke, das Parlament hat einen Anspuch darauf, daß ich dazu Bemerkungen mache. Ich mache das mit aller Vorsicht, mit aller Zurückhaltung, da ich nicht das geringste Interesse daran haben darf — und auch nicht habe und lieber, wie ich gesagt habe, eigene Schrammen hinnehme —, einen Menschen, der in schwierigen Umständen um seine Entlassung gebeten hat, zu beschädigen.
In aller Deutlichkeit: Eines kann nicht übersehen werden: Am 23. November 1978, einem Donnerstag, haben die Herren Staatssekretäre und ich mit dem Herrn Generalinspekteur Wust sehr eingehend viele Stunden über diese Debatte heute gesprochen. Ich habe dabei Herrn Wust versichert, daß ich nicht daran denke — und insofern treffe ich mich hier mit Herrn Möllemann, aber auch mit anderen - ihn hier im Plenum alleine zu lassen, sondern daß ich nach Aufarbeitung der Probleme — wir haben die Konsequenzen aufgearbeitet, die hier angefallen sind und die diesen Fall so schwer haben werden lassen — mit ihm zusammen, solidarisch, die Probleme anpacken werde, daß es keine Personalpolitik der Rache oder der Emotionen geben werde, daß ich mir keine Personalpolitik von außen vorschreiben lasse und daß ich auch keinen Kahlschlag will, um noch einmal Herrn Wörner zu zitieren. In der Tat hätte es dazu, wenn man gewollt hätte, auch Anlaß geben können.
In einem Punkte hatte es aber keinen Zweck, sich etwas vorzumachen, nämlich in dem Punkte, wo sichtbar werden mußte, daß natürlich auch auf der militärischen Seite Fehler, Versäumnisse, Unzulänglichkeiten und Mängel vorgekommen sind. Es kam nun darauf an, heute in dieser Debatte zu sagen: Dies ist so, aber die Akten sind geschlossen, die Dinge sind seit Jahren erledigt, die Konsequenzen sind aufgearbeitet.
Da geht es dann nicht um Gnadenbrot für irgend jemanden, sondern da geht es darum, daß die Anerkennung von eigener Verantwortung und vielleicht auch von Schuld einen Menschen nicht schwach macht, sondern stark. Das Wort vom „Gnadenbrot" in diesem Zusammenhang hat mich sehr erstaunt. Es zeigt eine merkwürdige Vorstellung von dem, was Menschen sind, nämlich alle zusammen schuldig. Durch ihr Schuldbekenntnis werden sie nicht schwach und kommen nicht in Abhängigkeit, sondern dadurch können sie sich auch für eine neue, bessere Zukunft befreien. So wollte ich diese Debatte angehen.
Ich bin dann am Dienstag der Woche darauf, am 28. November, von dem Gesuch des Herrn Generalinspekteurs, in den einstweiligen Ruhestand treten zu dürfen, überrascht worden. Es wird klar, daß es zwischen der Debatte heute und diesem Zeitpunkt Zusammenhänge gibt. Aber ich betone erneut: Ich gehe jetzt keinen Schritt mehr weiter, auch wenn Sie sich, Herr Kollege Dr. Wörner, anschließend sicherlich sehr kritisch mit meiner Person auseinandersetzen werden. Lieber nehme ich das auf mich, als daß ich einen verdienten scheidenden General hier im Plenum mit Steinen bewerfe. Wer ohne Schuld ist, der möge den ersten Stein werfen.
Aber in einem Punkte möchte ich darum bitten, daß wir diese Linie dann auch durchhalten. Hier kann ich mich an das anschließen, was der Herr Abgeordnete Möllemann gesagt hat. Was soll das denn eigentlich, den Mann, der jetzt die Verantwortung trägt, General Brandt, den neuen Generalinspekteur der Bundeswehr,' auf diese unglaubliche Art und Weise zu begrüßen?
Wollen wir eigentlich, meine Damen und Herren von der CSU, langsam alles durch den parteipolitischen Dreck ziehen, oder ist es nicht angemessen, sich mit mir als dem politisch Verantwortlichen auseinanderzusetzen und nur mit mir? Ich bitte Sie sehr herzlich, dieses künftig auch so zu sehen.
Im übrigen, Herr Kollege Möllemann: Es hat in den zehn Monaten meiner Amtszeit nicht ein einziges Mal eine Beschwerde des Herrn Generalinspekteurs darüber gegeben, daß ich seine Funktion eingeengt hätte. Diese Beschwerde ist zum erstenmal in seinen Zeilen am 28. November 1978, seiner Bitte auf Entlassung aus dem Dienst, vorgekommen.
Damit Sie, meine Damen und Herren, sich ein Bild davon machen können, was der Generalinspekteur aus meiner Sicht — und diese Sicht deckt sich mit dem sogenannten Blankeneser Erlaß — zu tun hat, möchte ich die Aufgaben des Generalinspekteurs, desjenigen, der aus dem Amt scheidet, und auch des künftigen, definieren:
Erstens. Aufgaben und Pflichten des Generalinspekteurs sind in erheblichem Maße davon bestimmt, daß die Bundeswehr in die Verfassung eingebaut, der politischen Führung in die Hand gegeben ist und vom Parlament kontrolliert wird. Der Primat der Politik gilt ohne Einschränkung. Die Befehls- und Kommandogewalt gehört ungeteilt dem Bundesminister der Verteidigung.
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Zweitens. Der Generalinspekteur ist der erste militärische Berater des Bundesministers der Verteidigung und der Bundesregierung. Er ist der einzige Soldat, der der politischen Führung ein vergleichendes und kompetent begründetes Bild des inneren Zustandes und der Kampfkraft aller Teile der Bundeswehr vermitteln kann. Zugleich ist er oberste militärische Instanz unterhalb der politischen Führung der Bundeswehr.
Drittens. Der Generalinspekteur ist der ranghöchste deutsche militärische Repräsentant in den internationalen Führungs- und Planungsgremien. Sowohl bei der Beratung der Bundesregierung als auch bei der Repräsentanz in den Gremien der Allianz orientiert sich der Generalinspekteur an dem fundamentalen Grundsatz unserer Außen- und Sicherheitspolitik: daß der Schutz unserer Freiheit im Frieden nur durch die Atlantische Allianz gewährleistet werden kann, daß es zur NATO keine sicherheitspolitische Alternative gibt.
Viertens. Obwohl oberste beratende militärische Instanz für die Bundesregierung und höchster Repräsentant der deutschen Streitkräfte, ist der Generalinspekteur der Bundeswehr ein Soldat ohne eigene Befehlsbefugnisse. Sein Erfolg und sein Wirken sind in höchstem Maße von der Kraft seiner Überzeugungsfähigkeit und von seinem Vermögen, Kompromisse herbeizuführen und zu schließen, abhängig.
Fünftens. Der Generalinspekteur ist im Bundesministerium der Verteidigung verantwortlich für die Entwicklung und Realisierung einer Gesamtkonzeption der militärischen Verteidigung und ist zugleich gesamtverantwortlich für die Bundeswehrplanung im Ministerium. Dafür steht ihm der Führungsstab der Streitkräfte zur Verfügung. Aber jetzt kommt ein wesentlicher Satz: Für seine Funktionsfähigkeit, für die Funktionsfähigkeit des Führungsstabes der Streitkräfte trägt er die volle Verantwortung. In der Politik werden Vakuen ausgefüllt, sie bleiben nicht bestehen.
Sie, Herr Voss, waren der Meinung, ich hätte dem Herrn Generalinspekteur seine Interviewtätigkeit verbieten wollen. Überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Natürlich hätte ich das nach dem Soldatengesetz tun können. Aber mein demokratisches Selbstverständnis ist das, daß es bei einem Vorgang von so gravierender Bedeutung wie dem Wechsel an der Spitze der Bundeswehr unglaublich wäre, wenn der scheidende Generalinspekteur nicht die Möglichkeit hätte, auch seine Position sichtbar zu machen, auch wenn das im eigentlichen Sinne dem Militärischen nicht ganz entspricht.
Eines habe ich allerdings getan, nämlich den Herrn Generalinspekteur gebeten, als ich sehr spät am Tage davon hörte, daß er für den nächsten Vormittag um 11.30 Uhr alle kommandierenden Generale zu sich gebeten hatte, diese Tagung abzusagen. Ich habe das nicht deswegen getan, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil ich der Meinung war, diese Tagung sollte nicht stattfinden, sondern weil ich nicht wollte — und eine ganze Reihe von militärischen Beratern hat mich in dieser Meinung bestärkt —, daß ein scheidender Generalinspekteur und der Minister kontrovers vor diesem Gremium debattieren und daß dies in die Bundeswehr hineingetragen wird.
Im übrigen werden wir am nächsten Montag bei der Verabschiedung des Herrn Generalinspekteurs mit den Kommandeuren reden, aber nicht über die Vergangenheit, sondern über die Zukunft.
Ich habe mich also bemüht, so anständig und so fair wie möglich zu verfahren.
Ich stelle fest, daß die Bundeswehr durch die bedauerlichen und betrüblichen Ereignisse, die, wie gesagt, in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der heutigen Debatte stehen, nicht in eine Krise geraten ist. Die Bundeswehr ist Teil unserer Republik. Ich werde mich auch künftig mit aller mir verfügbaren Kraft und Energie vor diese Bundeswehr dann stellen, wenn ihr links- oder rechtsextremistische Tendenzen unterstellt werden, die in der Bundeswehr nicht vorhanden sind.
Ich denke, auch in dieser Frage sind wir uns einig.
Im übrigen funktioniert die Arbeitsteilung im Ministerium. Die Kraft des Arguments ist auch viel wert. Der Rang alleine, auch der Rang des Ministers, kann es nicht machen.
Letzte Bemerkung: Herr Dr. Wörner, ich denke, Sie werden jetzt gleich reden. Ich wollte eigentlich nach Ihnen sprechen, aber das geht auch so herum; notfalls kann ich mich dann noch einmal zu Wort melden. Sie werden sicherlich auch — es liegt auf der Hand — Bemerkungen über Debatten in Brüssel und anderswo machen wollen. Wer wollte eigentlich leugnen, daß ich manchmal auch ein unbändiges Temperament habe.
Insofern habe ich auch von meinem Fraktionskollegen Conrad Ahlers die Entschuldigung gern entgegengenommen, weil auch hier das gilt, was ich gesagt habe: Sich zu entschuldigen, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von persönlicher Stärke.
Wenn Sie sich also über mein Temperament beklagen wollen, stimme ich Ihnen von vornherein zu, obwohl in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren manches auch schon, wie ich meine — aber das ist vielleicht selbstgefällig —, besser geworden ist.
In fünf Minuten Meinungsaustausch — wenn wir einmal Zwischentöne beiseite lassen — kann ich sagen: Es war richtig, in Brüssel auf ein politische Debatte zu drängen.
Es geht weder in Brüssel noch zu Hause darum, den Sachverstand der Militärs in Zweifel zu ziehen, sie in einen zweiten Rang zu rücken. Es geht um etwas ganz anderes: Militärs nicht allein zu lassen, Verantwortung dorthin zu tun, wohin sie gehört, nämlich auf die Schultern der gewählten politischen
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Repräsentanten. Da gibt es eben keine geteilte Verantwortung, und da gibt es auch keine geteilte Mitgliedschaft in der NATO. Da kommen einige schwere Entscheidungen auf uns zu: im Bereich der Rüstungskontrollverhandlungen wie im Bereich der Modernisierung der taktischen Nuklearwaffen in Europa wie aber auch in der Durchsetzung der realen Steigerung der Verteidigungsetats um 3 % in den nächsten Jahren. Da müssen Rituale beiseite treten, da geht es um Politik, um Sicherheitspolitik, um die Zukunft unseres Kontinents und der nordatlantischen Allianz, und da mag auch einmal ein falsches Wort fallen. Aber ich sage Ihnen ohne Hochmut, ohne Überheblichkeit: Die letzten drei Tage, auch die Reaktionen meiner Kollegen, die zweiseitigen Gespräche, die politische Debatte in der Eurogroup, zeigen mir, daß es gut ist, die Politik auch in der NATO in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wörner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir als dem ehemaligen Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses zunächst einige wenige Bemerkungen. Es ist ja ein altes Vorurteil, das man immer wieder draußen hört, bei solchen Untersuchungsausschüssen könne nichts herauskommen, das gehe aus wie das Hornberger Schießen. Ich glaube, daß dieser Untersuchungsausschuß dieses Vorurteil gründlich widerlegt hat, und ich bin dankbar dafür, daß ich das hier im Einverständnis aller Fraktionen nun noch einmal festhalten darf.
Wir haben Dinge ans Tageslicht gebracht, die sonst nicht an die Öffentlichkeit gedrungen und auch nicht der parlamentarischen Kontrolle zugänglich gewesen wären. Wir haben also, glaube ich, nachgewiesen, daß Untersuchungsausschüsse ein wirksames Mittel parlamentarischer Kontrolle sein können — natürlich mit all den Risiken, die solche Untersuchungsausschüsse auch haben; niemand wüßte das besser als ich nach all den Erfahrungen, die ich auch dort habe sammeln können,
Ganz sicher war die Arbeit dieses Untersuchungsausschusses auch Anlaß für Konsequenzen, die sonst möglicherweise gar nicht oder sehr viel später gezogen worden wären.
Deswegen möchte ich mich zunächst einmal bedanken. Ich habe mich natürlich und begreiflicherweise sehr darüber gefreut, daß meine Arbeit und das Bestreben, einigermaßen fair zu sein, gelobt wurden. Dann allerdings, Herr Möllemann, wenn Sie mich bereits in den Adelsstand erheben, muß ich sagen, es wäre mir lieber, wie ließen es bei meiner schlichten bürgerlichen Abstammung; sonst kann ich mich in meinen eigenen Reihen bald nicht mehr sehen lassen.
Ich möchte mich bei den Kollegen bedanken. Im Parlament gibt es sehr viel Streit und Auseinandersetzungen. Das muß so sein, das ist gut so, denn in der Auseinandersetzung der Meinungen bildet sich, festigt sich, kräftigt sich die Meinung des einen und bildet sich die Meinung des anderen wahrscheinlich auch um. Dennoch gibt es im parlamentarischen Bereich auch Situationen, in denen ein Klima kollegialer Zusammenarbeit unersetzlich ist. Ich bin dankbar dafür, daß es uns möglich war, dieses menschliche und sachliche Klima über weite Strekicen der Ausschußberatungen aufrechtzuerhalten. Dafür habe ich mich bei meinem Stellvertreter, dem Kollegen Penner, bei den Berichterstattern, bei allen Mitgliedern des, Ausschusses sehr herzlich zu bedanken.
Der noch herzlichere Dank gilt aber einfach den Mitgliedern des Ausschußsekretariats, die die ganze Zeit diese Doppelbelastung ohne jedes Murren und sehr effizient mitgetragen haben.
Ich schließe darin die Mitarbeiter der Fraktionen und auch, Herr Präsident, die Angehörigen der Bundestagsverwaltung — Technischer Dienst, Stenographischer Dienst und andere mehr — ein.
Ich will allerdings gern bekennen, daß ich nun froh bin, die Pflichten des Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses ablegen zu dürfen; denn nun kann ich als Parlamentarier frei und offen die Beweisergebnisse würdigen und werten.
Hier möchte ich zunächst einmal eine Bemerkung zu dem machen, was Sie, Herr Minister Apel, vor allem im Hinblick auf meinen Kollegen Voss gesagt haben. Sie haben gesagt, wir sollten anders miteinander umgehen. Schön und gut; nur wäre eine solche Feststellung sehr viel glaubwürdiger, wenn auch auf Ihrer Seite eine Bereitschaft zu mehr Sachlichkeit vorhanden wäre, auch in den Reihen der Koalition. Denn so geht es nicht, daß man, wenn eine Ausschußmehrheit und eine Ausschußminderheit votieren, der Ausschußminderheit Parteilichkeit und Parteipolitik unterstellt und für die Mehrheit das Gegenteil reklamiert.
Ich glaube, die Opposition hätte in ihrer Aufgabe versagt, wenn sie sich nicht der Mühe unterzogen hätte, hier kritisch zu werten. Herr Voss wäre ein ganz schlechter Berichterstatter gewesen — zumal ein schlechter Berichterstatter der Minderheit in diesem Ausschuß —, wenn er nicht in aller Klarheit auf Mängel aufmerksam gemacht hätte, die eben, und zwar ohne jeden Zweifel, die Aufklärung dieses Spionagefalls erheblich verzögert haben, mehr, als es der Nation guttut, meine Damen und Herren.
Wenn wir heute den wohl bedeutendsten — ich spreche das aus und begründe gleich, warum ich dieser Meinung bin — Spionagefall in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands diskutieren, besteht — darüber sind wir uns einig — kein Anlaß zu Schadenfreude; dazu ist der angerichtete Schaden einfach zu groß. Spionage hat es überdies zu allen
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Zeiten gegeben, und keine Regierung und auch keine Partei, ich sage das ausdrücklich, bleibt von Spionage verschont. Gerade in der exponierten Lage der Bundesrepublik Deutschland wird man auch in Zukunft mit dem massiven Versuch unserer Gegner rechnen müssen, Spione einzuschleusen.
Nicht also, daß dieser Fall passiert ist, kann man den Verantwortlichen zum Vorwurf machen, wohl aber daß man es den Spionen so leichtgemacht. die Schadensfeststellungen in geradezu stümperhafter Weise betrieben
und die Schadensbewertung um volle 18 Monate verzögert hat, worauf Herr Kollege Voss eben völlig zu Recht hingewiesen hat.
Lassen Sie mich eine Bewertung vorwegschicken. Die Umstände dieses Spionagefalls sind ein Musterbeispiel von Sorglosigkeit bis hin zur Leichtfertigkeit, wo Wachsamkeit am Platze gewesen wäre,
von bürokratischer Routine, wo unbürokratisches Zupacken erforderlich gewesen wäre, und von politischer Untätigkeit, wo schnelles und verantwortliches Handeln gerade der politischen Führung angezeigt gewesen wäre.
Ich komme nicht um das Urteil herum, daß es, solange solche Zustände bei uns in so empfindlichen Bereichen wie in dem der Verteidigung herrschen, um die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nicht gut genug bestellt ist.
Herr Minister, Sie haben den Schadensumfang angesprochen. Ich teile Ihre Bewertung nicht. Nach den Ergebnissen unserer Untersuchungen können und müssen wir davon ausgehen, daß abgesehen von operationellen und atomaren Planungen — das sind die beiden Bereiche, die ausgeklammert sind — im Grunde genommen alle Grundlagen unserer Verteidigung, und zwar unserer militärischen und zivilen Verteidigung, verraten wurden. Der Verrat umfaßt die wichtigsten planerischen Grundlagen,' die die Bundeswehr hat: den Alarmplan, den Mobilmachungsplan, die Streitkräftepläne 1975 bis 1978, die verteidigungspolitischen Richtlinien, das NATO- der ganzen Geschichte Deutschlands war, jedenfalls militärisch gesehen.
Pipeline-System, Wintex-Berichte und vor allem das bestgehütete Geheimpapier, das es auf der Hardthöhe gab — „bestgehütet" muß man ja jetzt in Anführungszeichen sagen —, nämlich die Vorberichte zur Arbeit der Bundeswehrstruktur. Meine Damen und Herren, das waren alles Papiere, und das sind heute noch Papiere, die die Mitglieder und auch der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses nicht zu Gesicht bekommen, weil sie zu geheim sind. So etwas ist verraten worden! Und dann weigert man sich, die Feststellung zu akzeptieren, daß das wohl der bedeutendste Verratsfall in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands, vielleicht sogar in
Der Gegner weiß doch jetzt, wo die Stärken und Schwächen unserer Armee, die wir selbst beurteilt haben, liegen. Er kennt das Maß an Einsatzbereitschaft unserer Verbände. Er kann sich ein genaues Bild von der Art und Dauer der Verteidigung machen. Er weiß, wie lange wir uns im Ernstfall verteidigen könnten — wie lange! Er weiß, wann wir uns konventionell verschossen hätten. Diesen kritischsten aller Punkte kennt er! . Er weiß, wieviel Munition wir haben. Er weiß, wieviel wir im künftigen Jahrzehnt, bis 1988, beschaffen wollen. Gut, daran wird sich das eine oder andere ändern, aber die Grundzüge kennt er. Nicht nur das! Er weiß, wie lange wir im Ernstfall brauchen, die Abwehrbereitschaft unserer Verbände herzustellen. Er kennt die Schwächen unseres Aufmarschsystems. Man muß sich einmal vorstellen, was passiert wäre — Gott sei Dank ist es nicht passiert —, wenn in jener Phase ein Konflikt ausgebrochen wäre. Es ist nicht auszudenken!
Ich hätte das dem Plenum und auch den Bürgern draußen zwar gern erspart, aber eines darf nicht geschehen, bei allem Bestreben, den Schaden wenigstens in Zukunft einzugrenzen — und da sind wir uns voll einig —: Es darf keine Taktik der Verharmlosung dieses Falles Platz greifen, weil sonst der Ernst des Bemühens um Schadensminderung bezweifelt werden muß und für die Zukunft nicht die nötigen Konsequenzen gezogen werden.
Ich möchte auch gar nicht davon reden, welche Einbuße an Ansehen die Bundesrepublik Deutschland im Ausland durch diesen Verratsfall gehabt hat. Das weiß jeder, der damit zu tun hatte. Eines allerdings möchte ich dazu sagen — nicht, um die Sache nun zu bagatellisieren —: Einen einzigen Vorteil — wenigstens einen — hat dieser Spionagefall: Der Warschauer Pakt, also auch die DDR, weiß nunmehr ganz genau, daß die NATO, also auch die Bundesrepublik Deutschland, keinerlei Angriffspläne besitzt, daß wir sie weder angreifen können noch angreifen wollen. Wenn in Zukunft irgend jemand das Gerücht ausstreut — und das ist ja die These der Sowjets —, man glaube in der Sowjetunion, wir bedrohten die Sowjetunion, so kann ich nur sagen: Das ist als das entlarvt, was es wesentlich ist: eine glatte Propagandathese, sonst nichts.
Es gibt nach den Ergebnissen der Untersuchung für mich keinen Zweifel: Die Hauptlast der Verantwortung für die Versäumnisse trägt die politische Führung. Drei Mängel sind es — sie liegen alle im Verantwortungsbereich der politischen Führung —, die besonders ins Auge fallen: zum ersten unklare, zum Teil widersprüchliche Zuständigkeitsregelungen, zum zweiten das fast vollständige Fehlen von Dienstaufsicht, zum dritten ein geradezu unfaßbarer Mangel an persönlichem Kontakt, an Gedankenaustausch und Koordinierung innerhalb der politischen
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Führungsspitze des Ministeriums. Ich bin mir heute noch nicht im klaren darüber —ich sage das im Blick auf den früheren Verteidigungsminister Leber —, wieviel er von seinem Staatssekretär Fingerhut wirklich erfahren hat.
Geradezu klassische Beispiele dafür, wie man Organisation nicht aufziehen darf, bieten sich im Verhältnis von politischer und militärischer Führung, von Bundeskanzler und Bundesverteidigungsminister: der Fingerhutsche Erlaß und — da hat Herr Voss durchaus recht, ich muß es noch einmal sagen — der zweite Dienstweg von Parteigenosse Fingerhut zu Parteigenosse Scherer, an der militärischen Führung vorbei. Die militärische Führung ist in diesem Fall ausgeschaltet worden, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel.
— Herr Horn, darüber kann man sicher streiten. Hier ist Ihr Urteil ein anderes als meines.
Ich wollte hier allerdings kritisch noch etwas hinzufügen, und ich sage das im Blick auf die Militärs — auf die, die hier sitzen, und auf die, die nicht hier sitzen —: Mir ist es unbegreiflich, daß die militärische Führung dies zwar murrend und gelegentlich durchaus aufmuckend, aber letztlich ohne entschiedenen Widerstand, hingenommen hat.
Fingerhut hat es verstanden, die Öffentlichkeit volle eineinhalb Jahre über diesen Spionagefall im unklaren zu lassen, auch das Parlament, obwohl wir verschiedentlich nachgesetzt hatten, ich u. a. in einem Schreiben. Im übrigen zeigt sich — ich sage das zu den Kollegen der SPD, nicht zum Verteidigungsminister; denn der hat getan, was die CDU gefordert hat —, wie recht wir hatten, als wir davor warnten, den MAD direkt der politischen Führung zu unterstellen; der gehört unter die militärische Führung, wo er jetzt wieder ist.
Der Bundesverteidigungsminister trägt nicht nur die politische Verantwortung für die Organisationsmängel. Er hat, wie ich meine, seine Pflicht zur Dienstaufsicht vernachlässigt. Minister Leber hat sich einfach damit zufriedengegeben, es werde alles schon so laufen, wie es richtig sei. Überhaupt fällt mir, wenn ich das jetzt wie einen Film vor mir ablaufen lasse, an der Bearbeitung dieses Spionagefalles eines auf: Jeder beruft sich darauf, er habe sich auf den anderen verlassen, der Bundeskanzler auf seinen Verteidigungsminister, der Verteidigungsminister auf den Staatssekretär, der Generalinspekteur auf den MAD und den Staatssekretär und der Staatssekretär auf die militärische Führung. Jeder hat sich auf den anderen verlassen, anstatt selbst das Erforderliche zu- tun oder wenigstens sicherzustellen, daß die Zuständigen das Erforderliche tun. Ich habe wirklich den Eindruck, daß die Wörter „Dienstaufsicht" und „Kontrolle" zu den Fremdwörtern im Bereich des Bundeskanzleramtes und des
Verteidigungsministeriums gehört haben. Das ist der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abträglich.
Außerdem ist das Nebeneinander ziviler und militärischer Führung ohne hinreichenden Informationsfluß ganz sicher einer der bedauerlichsten und gefährlichsten Mißstände im Verteidigungsministerium, denen wir auf die Spur gekommen sind.
Auch ich möchte noch etwas zur Rolle von Bundeskanzler Schmidt in diesem Zusammenhang sagen. Ich glaube, daß auch er einfach nicht von Versäumnissen freigesprochen werden kann. Er hat zunächst am 19. Januar dieses Jahres von diesem Pult hier erklärt, es sei falsch anzunehmen, er sei . nicht von Anfang an voll unterrichtet gewesen. Damit hat er völlig gegensätzliche Äußerungen des Regierungssprechers Balling korrigiert, der am 14. Dezember letzten Jahres vor der Bundespressekonferenz versichert hatte, vor der Veröffentlichung in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" habe der Bundeskanzler keine Kenntnis über das Ausmaß des Falles gehabt. In den Vernehmungen vor dem Ausschuß habe ich versucht, diesen Punkt aufzuhellen. Denn wenn der Kanzler von Anfang an voll unterrichtet war, dann ist es um so unverständlicher,. daß erst am 20. Dezember 1977, also nach eineinhalb Jahren oder noch mehr, nach einer Kabinettsitzung der Auftrag gegeben wurde, eine Schadensbewertung durchzuführen.
Der Bundeskanzler hat im Untersuchungsausschuß die Ausschußmitglieder zunächst sehr ausführlich darüber belehrt, er sei seit über zwei Jahrzehnten auf dem Felde der Sicherheitspolitik und der Landesverteidigung tätig, er schreibe, denke und arbeite auf diesem Gebiet. — Nun, das ist richtig, ein Verdienst, das. ich ihm im übrigen nicht bestreiten wollte. Was allerdings in den möglicherweise verratenen Dokumenten stehe, hat er gesagt, das wisse er nicht. Dennoch seien ihm das Ausmaß des Verrats und seine Bedeutung von Anfang an bekannt gewesen. Ich muß sagen — ich muß mich hier wirklich einer leichten Ironie hingeben —: Es bleibt das Geheimnis des Bundeskanzlers, wie man auf der einen Seite voll unterrichtet sein kann, ohne andererseits die Dokumente inhaltlich zu kennen. Das erscheint mir nicht besonders glaubwürdig. Hier war sein Staatssekretär Schüler sehr viel glaubwürdiger, als er nämlich sagte, es wäre besser gewesen, wir hätten von Anfang an etwas mehr über diese Sache gewußt.
Dann hat der Bundeskanzler im Ausschuß erklärt — ich habe mir das notiert —, die Schadensbewertung bestehe in seinem Kopf; in anderer Leute Kopf wahrscheinlich auch. Das interessiert uns in erster Linie gar nicht. Was uns interessiert, ist: Was hat der Bundeskanzler getan, als er das in seinem Kopf hatte? Das ist die entscheidende Frage.
Was hat er getan? Er läßt sich nicht vortragen, was geschehen ist. In eineinhalb Jahren fragt er nicht ein einziges Mal seinen Verteidigungsminister, nicht ein einziges Mal seinen Generalinspek-
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Dr. Warner
teur, nicht ein einziges Mal den Chef des MAD oder den Staatssekretär im Verteidigungsbereich,
obwohl er sie alle häufig genug sieht. Ich kann nur fragen: Wie sieht es in einer Regierung aus, in der sich Kanzler und Verteidigungsminister in einer so wichtigen Sache so wenig zu sagen haben? Ganz bestimmt nicht so gut, wie man das nach außen wahrhaben will.
Wir wollen auch klar sagen, wo die Grenzen liegen und was ihm nicht vorzuwerfen ist. Sicher kann der Bundeskanzler nicht jedem Spionagefall einzeln nachgehen.
Aber das war eben nicht ein Spionagefall — Herr Wehner, das werden auch sie wissen — wie jeder andere auch. Wenn der potentielle Gegner weiß — um das noch einmal zu sagen —, wie lange wir uns höchstens konventionell verteidigen könnten, dann ist das kein Routinefall, dann geht es längst nicht mehr um Details. Dann gehört es zu den Pflichten des Bundeskanzlers nachzufragen, nachzusetzen und sicherzustellen, daß die nötigen Maßnahmen durch seinen Verteidigungsminister getroffen werden. Das ist seine Pflicht.
Daß er das durchaus auch selber wußte, zeigte sich ja, als er es nach der Veröffentlichung der „FAZ" wirklich völlig realisiert hatte. Da tagte plötzlich das Kabinett, da wurde plötzlich dieser Auftrag gegeben, da wurden Beschlüsse gefaßt. Man muß also, glaube ich, bei aller Fairneß und bei allem Versuch zur Objektivität sagen: An der skandalösen Tatsache, daß dieser Spionagefall zögerlich und nicht richtig behandelt wurde, trägt der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Mitverantwortung.
Lassen Sie mich das auch einmal sagen: Ich bin gar nicht sicher, ob wir heute eine Schadensbewertung hätten, wenn das nicht an die Öffentlichkeit gekommen wäre. Hier hat nach meiner Meinung die Presse ihre Kontrollfunktion erfüllt. Auch ich kann es nur bedauern — wie der Kollege Voss das schon getan hat —, daß man den betreffenden Journalisten der „FAZ" — es ist Herr Feldmeyer — mit einem Ermittlungsverfahren überzogen hat, anstatt ihm dafür zu danken; denn er hat der Bundesrepublik Deutschland nach meiner Meinung einen Dienst geleistet.
'
Auch wenn die politische Führung die Hauptverantwortung trägt und im vorliegenden Fall auch nach meiner Meinung sogar versucht hat, die militärische Seite zu überspielen,
bleibt auch für mich die Frage — der will ich mich jetzt ebenfalls zuwenden; es wäre nicht gerecht, wenn man das nicht tun wollte —: Warum hat sich die militärische Führung das gefallen lassen? Warum hat sie nicht energischer Gegenvorstellungen erhoben? Warum hat ein so intelligenter und fähiger Soldat wie General Wust nicht in eigener Initiative die erforderlichen Maßnahmen zur Schadensbewertung eingeleitet?
Kommunikationsmängel in der militärischen Führung selbst, die es auch gab, die wir auch festgestellt haben; Nachlässigkeit; der Gedanke, das Ganze sei nun einmal passiert; auch Überlastung mit anderen wichtigen Aufgaben — das mag alles mitgespielt haben. Dennoch reicht es zur Erklärung nicht aus. Ich habe lange über diese Frage nachgedacht, weil mich das interessiert hat, wie jeden von Ihnen, glaube ich, die Sie mit dem Ausschuß waren.
Der eigentliche Grund liegt nach meiner Meinung tiefer. Hier herrschte offenbar ein Verständnis von Loyalität vor, von dem ich meine, daß es in den Streitkräften nicht Schule machen darf. Daher werde ich an dieser Stelle etwas über das Loyalitätsverständnis sagen, im Interesse der Soldaten, aber auch im Interesse der Politiker.
Man hat sich allzu schnell mit dem Gedanken von der eigenen Verantwortung befreit: Der Politiker will das eben so. Ich möchte nicht, daß ein Mißverständnis auftaucht: Loyalität und Gehorsam sind unverzichtbare Pflichten des Soldaten, auch und gerade in einem demokratischen Staat. Aber Loyalität darf nicht mit unkritischer Anpassung und vorschnellem Verzicht auf den eigenen Standpunkt verwechselt werden.
Loyalität entbindet den Soldaten nicht von der eigenen Verantwortung. Es verträgt sich nicht nur mit der Loyalität gegenüber der politischen Führung, es kann geradezu die Loyalitätspflicht des Generals gegenüber der politischen Führung sein, aufzustehen und zu sagen: Ich habe hier eine andere Auffassung; ich bestehe darauf, daß das nun in Angriff genommen wird, aus meiner Verantwortung!
Dieses Loyalitätsverständnis ist im übrigen klassische deutsche und sogar preußische militärische Tradition.
Dafür gibt es in der Militärgeschichte, übrigens bis hinein ins Dritte Reich, exzellente Beispiele, und zwar solche Beispiele, die man durchaus im Rahmen eines richtig verstandenen Traditionsverständnisses auch in der Bundeswehr populär machen müßte.
Hat dann allerdings — auch das muß gesagt werden — der Minister in Kenntnis des abweichenden Standpunkts des Soldaten seine Entscheidung getroffen, dann muß der Soldat gehorchen oder um seine Entlassung bitten. Das sind die beiden Alternativen, die er hat.
Ich sage es noch einmal: Man mußte von der militärischen Führung erwarten, daß sie mit allem
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Nachdruck bei der politischen Führung die Schadensfeststellung, die Schadensbewertung und die Schadensminderung verlangt. Das ist nicht geschehen, und darin liegt nach meiner Auffassung ihr Versäumnis.
Diese notwendigerweise kritischen Bemerkungen schmälern unsere Wertschätzung für den scheidenden Generalinspekteur nicht. Ich möchte die Gelegenheit hier nutzen, für die CDU/CSU Herrn General Wust in aller Form den Dank und die Anerkennung der CDU/CSU für seine Leistungen im Dienste der Bundeswehr auszusprechen.
Nicht nur aus diesem aktuellen Anlaß, sondern weil die Ergebnisse unserer Untersuchung erkennen lassen, wie wichtig ein enges Vertrauensverhältnis zwischen Minister und Generalinspekteur, zwischen dem Minister und dem ersten Soldaten der Bundeswehr ist, möchte ich ein paar Bemerkungen hinzufügen. Damit komme ich auf das, was Sie angesprochen haben, Herr Apel. Loyalität ist eine Zweibahnstraße. Es gibt nicht nur die Pflicht des Soldaten, gegenüber dem Politiker loyal zu sein; es gibt auch die Loyalitätspflicht des Ministers gegenüber den ihm unterstellten Soldaten.
Dagegen haben Sie, Herr Apel, nach unserer Auffassung massiv verstoßen, wirklich massiv verstoßen.
Sie haben hier — und ich bin Ihnen dankbar dafür — den Blankeneser Erlaß zitiert, in dem einer Ihrer Vorgänger, der jetzige Bundeskanzler, die Stellung des Generalinspekteurs umrissen hat. Sie haben es mit vorgelesen. Wir bekennen uns zu dieser Definition der Stellung des ersten Soldaten gegenüber den anderen Soldaten, gegenüber dem zivilen Teil des Hauses und gegenüber dem Minister, einer Definition, die ja nach langen, langen Mühen entstanden ist. Es gibt ein ganz ausgezeichnetes Buch eines früheren Generalinspekteurs. Ich habe es hier. Ich will nicht arrogant sein, Herr Apel; aber ich würde es Ihnen, wenn Sie es noch nicht gelesen haben, wirklich zur Lektüre empfehlen. Darin hat sich der, frühere Generalinspekteur de Maizière sehr ausführlich über die Stellung des obersten Soldaten im Ministerium geäußert.
Herr Präsident, darf ich hier eine kurze Zwischenbemerkung machen.: Da ich auf aktuelle Geschehnisse eingehe, wäre ich für eine kurze Verlängerung meiner Redezeit dankbar. Ich antworte auf den Minister.
Ist bereits veranlaßt.
Ist bereits veranlaßt. Freut mich sehr. Danke schön.
Sie haben sich heute — und ich bin Ihnen dafür dankbar — zu dem Erlaß bekannt, also zur Stellung des Generalinspekteurs als des ersten militärischen Beraters des Ministers, als des Repräsentanten der Bundeswehr in der Führung des Ministeriums und der Gesamtarmee. ich finde das richtig; ich finde das gut. Mit diesem Blankeneser Erlaß können eine militärische und eine politische Führung leben. Man könnte das eine oder das andere zusätzlich machen. Ein Zurück dahinter gibt es nach meiner Meinung nicht. Ich kann also nur sagen: Wenn das Ihre Entscheidung sein sollte, dann findet das nicht die Kritik der Opposition.
Wohl aber findet eines unsere Kritik, und zwar unsere scharfe Kritik. Nicht, weil es mir Spaß machen würde. Sie haben ja angedeutet, ich würde mich mit Ihrer Person kritisch befassen. Sie dürfen sich auch nicht überschätzen.
Ganz abgesehen davon, daß wir persönlich ganz gut miteinander auskommen; die Person des Herrn Apel spielt hier die letzte Rolle. Es spielt eine Rolle die Frage, wie ,der Bundesverteidigungsminister mit dem ersten Soldaten der Bundesrepublik Deutschland umgeht. Das ist die entscheidende Frage. Und hier kann ich nur sagen, Herr Apel: Wenn wichtigste Entscheidungen am Generalinspekteur vorbei getroffen worden sind — und das sind sie —, wenn der Generalinspekteur trotz mehrfacher Bitten beim Minister über Wochen keinen Termin erhalten hat,
und wenn schließlich über seinen Kopf hinweg in seinen Stab hinein Personalentscheidungen des Ministers getroffen wurden, dann ist das eine Beschneidung seiner Kompetenzen, die sich kein Generalinspekteur, und zwar um unser aller willen, gefallen lassen darf.
Und ich sage Ihnen: Auch der neue Generalinspekteur wird darauf bestehen müssen, daß seine Zuständigkeit respektiert und daß sein Verantwortungsbereich nicht von einem Minister beschnitten wird, der — und da liegt ja Ihr eigentlicher Fehler, den die Soldaten da oben mit Recht beanstanden — zur gleichen Zeit, in der er dem Generalinspekteur Termine nicht gibt, wie jeder dort oben auf der Hardthöhe weiß, ein sehr enges und unmittelbares Verhältnis zum Planungsstab, insbesondere zu dessen Chef, einem Beamten, der Ihrer Partei angehört, unterhält. Nicht daß er Ihrer Partei angehört, ist in diesem Zusammenhang zu beanstanden. Aber zu beanstanden ist, daß Sie offensichtlich entgegen dem Erlaß, den Sie hier vorgelesen haben, und entgegen Ihren Lippenbekenntnissen die Gewichte in diesem Haus verlagert und damit eine Demontage des Generalinspekteurs betrieben haben, die wir im Interesse der Bundeswehr und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nicht für akzeptabel halten.
Und, Herr Minister, hier geht es nicht um den Primat der Politik; weiß Gott nicht. Da bin ich mit dem Herrn Möllemann völlig einer Meinung. Das .sagen Sie zwar gelegentlich, oder Ihre Umgebung sagt es, als ob es nötig gewesen wäre, jetzt endlich durchzusetzen, daß nicht mehr die Generale, sondern die Politiker das Sagen haben. Also wis-
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sen Sie, das Verteidigungsministerium hat sicher nicht auf Ihre Ankunft gewartet, um die Generale in Schranken zu weisen. Das kann ich Ihnen schon sagen. Im übrigen ist das Zeugnis, das Sie damit Herrn Leber und Herrn Schmidt ausstellen, nicht das beste.
Ich kann mir auch vorstellen, daß Sie das natürlich auch ein bißchen als Etikett brauchen. Es macht sich gut, wenn man draußen, vor allen Dingen einer bestimmten Gruppierung in der eigenen Partei, den Linken, klarmachen kann: Jetzt komme ich, der Hans Apel, und jetzt wird endlich der Primat der Politik gegenüber diesen Generalen durchgesetzt.
Ich hoffe nicht, daß Sie das selber glauben; das kann ich nicht glauben.
Ich möchte jetzt zu dem zurückkehren, was an ernstem Kern dahintersteckt.
Wenn sich so ein Bild festsetzt, dann setzt sich natürlich auch eine Abwertung der Soldaten durch, die dieses Amt eines Generalinspekteurs bekleidet haben. Ich sage Ihnen, Herr Apel, ich kenne keinen einzigen Offizier, geschweige General, der Bundeswehr — am allerwenigsten übrigens Herr Wust —, der den Oberbefehl des Ministers nicht zu jeder Sekunde respektiert hätte. Das war in dieser unserer Armee aus gutem Grund unbestritten, und zur Ehre auch der früheren Generalinspekteure, ob Heusinger, ob Förtsch, ob Trettner, ob de Maizière, ob Zimmermann und Wust, sei es gesagt: Diese Armee hat sich, wie das die Verfassung befiehlt, in das Gefüge unserer Demokratie eingegliedert, und zwar in vollem Bekenntnis und aus Überzeugung zur demokratischen und rechtsstaatlichen Grundordnung dieses unseres Staates.
Deswegen ich sage das warnend hinzu — werde ich den Verdacht nicht los, Herr Apel, daß Sie Primat der Politik sagen und vielleicht Primat der Parteipolitik meinen.
Als ich mir ansah, wie Sie in der Manöverplanung der NATO herumgefuhrwerkt haben, wie zum erstenmal ein Verteidigungsminister angefangen hat, die Planung von Manövern am Termin von Bundestagswahlen zu orientieren,
da haben bei mir sechs und nicht nur eine Alarmglocke geschellt; denn das ist der Moment, wo das Interesse des Staates in Gefahr kommt, hinter das Interesse von Parteien zurücktreten zu müssen.
Ich meine, Peter Boehnisch hat durchaus recht,
wenn er in seinem Kommentar zur Entlassung von Herrn Wust schreibt: Er, der Minister, steht nicht vor der Bundeswehr, sondern neben ihr. Ich sage hier — das ist mein Eindruck, und es ist nicht nur mein Eindruck —, es gibt kein gestörtes Verhältnis der Generale zur politischen Führung, es gibt allenfalls ein gestörtes Verhältnis des Ministers Apel zur militärischen Führung.
Mangelhaftes Sicherheitsbewußtsein, laxe Handhabung von Sicherheitsbestimmungen, Organisationsmängel, Parteidienstweg, und mangelnde Dienstaufsicht haben dazu beigetragen, daß der Bundesrepublik Deutschland schwerer — ich sage dazu: teilweise vermeidbarer — Schaden entstanden ist. Wichtiger noch als die Konsequenzen für Personen sind allerdings die Konsequenzen in der Sache, die, soweit noch nicht gezogen, daraus zu ziehen sind und von denen ich nur die vier wichtigsten hervorheben möchte.
Erstens. Das Allerwichtigste ist, das Sicherheitsbewußtsein zu schärfen, d. h. gegen Gewöhnung, gegen Routine, gegen Nachlässigkeit anzugehen. Verstöße gegen Sicherheit sind keine Kavaliersdelikte, und sie dürfen nicht so bewertet werden. Ich sage nicht, daß Sie sie so bewerten. Ich darf auch anerkennend sagen,
daß die Entscheidungen, die inzwischen auf der Hardthöhe zur Besserung der Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland getroffen wurden, durchaus unsere Anerkennung finden und daß wir sie mittragen. •
— Herr Wehner, dennoch muß einiges aus diesem Anlaß klargestellt werden, damit nicht noch größerer Schaden für die Bundesrepublik Deutschland entsteht.
Ich sage das auch im Blick auf Dinge, die wir hier im Ausschuß gehabt haben. Es bleibt eine dauernde und wichtige Aufgabe jedes Vorgesetzten, für Sicherheit zu sorgen, auch dann, wenn er einen Sicherheitsbeauftragten zu seiner Verfügung hat.
Das Zweite. Regelmäßige Kontrollen und intensive Aufsicht sind Voraussetzungen einer dauerhaften Verbesserung der Sicherheitslage.
Das Dritte. Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten müssen klar, eindeutig abgegrenzt werden.
Auch das Vierte ist ein sehr wichtiger Punkt. Die besten institutionellen Vorkehrungen helfen nichts, wenn das menschliche Vertrauensverhältnis und der unbürokratische Informations- und Gedankenaustausch zwischen den Politikern, den Soldaten und Beamten nicht funktionieren. Da ist das jüngste Beispiel der Zusammenarbeit, das wir eben diskutieren, oder besser gesagt: der mangelnden Zusammenarbeit zwischen Minister und Generalin-
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spekteur, nicht gerade ein Hoffnungsschimmer. Vertrauen läßt sich nicht kommandieren. Das muß von beiden Seiten her durch wechselseitiges Verhalten entstehen und wachsen; auch das ist eine Zweibahnstraße.
Eine letzte Bemerkung! Ich will nicht auf die Vorgänge in der NATO eingehen, obwohl es mich reizen würde, das zu tun. Ich bin durchaus mit Ihnen der Meinung, daß manches im Entscheidungsprozeß der NATO geändert werden kann und daß der eine oder andere ihrer Ansätze auch richtig ist. Im übrigen haben Sie Ihren eigenen Zielen nach meiner Meinung massiv dadurch geschadet, daß Sie, ohne einen sachlichen Grund zu suchen, um das zu demonstrieren, dort aufgetreten sind und wirklich gewirkt haben — ich muß es so sägen — als einer, der dort hingekommen ist mit der Hoppla- und Hau-Ruck-Methode, jetzt komme ich, und jetzt zeige ich, daß auch in der NATO endlich wieder die Politiker nach vorne müssen. — Auch dort müssen Sie zur Kenntnis nehmen, Herr Apel: es gibt nicht erst seit Ihnen Minister, die Wissen, daß in der NATO politische Entscheidungen getroffen wurden. Es ist doch einfach nicht richtig, anzunehmen, in der NATO habe der General Haig das alleinige Sagen oder hätten seine Vorgänger es gehabt. Ich nehme das für den Herrn Leber sogar, für den Herr Schmidt sogar, ich nehme es aber auch für die Vërteidigungsminister der CDU/CSU — gerade für sie — in Anspruch, für einen Herrn Strauß, für einen Herrn Schröder, für einen Herrn von Hassel: daß sie jederzeit in der Lage waren — und das auch wahrgenommen haben —, ihre Entscheidung in der NATO durchzusetzen, allerdings indem sie auch auf den Rat von Generalen gehört haben. Das täte auch Ihnen gelegentlich gut.
— Mit herzlichem Dank für Ihr Verständnis, Herr Präsident, komme ich zu meiner Schlußbemerkung.
Die Bundesrepublik Deutschland wird wegen ihrer prekären Grenzlage in der Auseinandersetzung zwischen Ost und West immer die Zielscheibe gegnerischer Nachrichtendienste bleiben. Daher müssen wir alles daransetzen, deren Tätigkeit zu erschweren. Wir müssen alles daransetzen, die Aufdeckung von Spionen zu erleichtern und den angerichteten Schaden in möglichst engen Grenzen zu halten. Nur wenn wir mit diesen genannten Konsequenzen Ernst machen, dann werden wir uns in Zukunft ähnliche Untersuchungsausschüsse ersparen. Eines darf ich nun wirklich als einer, der ein Jahr an dieser Sache gearbeitet hat, sagen: für mich gäbe es nichts Schöneres als die Gewißheit, nicht noch ein zweites Mal einem solchen Untersuchungsausschuß vorsitzen zu müssen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Neumann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich
ein paar Vorbemerkungen machen. Herr Kollege Dr. Wörner, der zweite Teil Ihrer Ausführungen fällt nicht unter den Dank der Sozialdemokraten, der vorhin ausgesprochen worden ist.
Das war leider, wie gehabt, Polemik, das waren Unterstellungen, die Sie selber nicht glauben.
Es ehrt Sie, daß Sie den Kollegen Dr. Voss in Schutz genommen haben. Sie werden mir allerdings gestatten, daß ich hinsichtlich der Beurteilung dieses Kollegen etwas anderes denke und auch anders rede.
Herr Dr. Voss ist sich mit seinen heutigen Äußerungen selber treu geblieben. Schon im Ausschuß ging es ihm sehr oft weniger darum, die eigentlichen Ursachen und Fakten zu klären und daraus die sachlichen Konsequenzen zu ziehen. Dem Kollegen Dr. Voss ist es in erster Linie darum gegangen — und das hat er heute wieder dokumentiert —, gegenüber der SPD den Vorwurf der ungerechtfertigten Förderung von Sozialdemokraten zu erheben und dann wenigstens einen kleinen Schimmer von Wahrheit nachzuliefern. Der Kollege Voss hat auf die Beamtenlaufbahn von Herrn Laabs hingewiesen und hat ihn hier unter Beschuß genommen.
Herr Laabs konnte sich nicht wehren; das ist zum Ausdruck gebracht worden.
Der Kollege Voss hätte besser daran getan, diesen Punkt hier nicht anzusprechen. Man braucht sich nur die Landtagsdrucksache 8/2918 des Landtags von Rheinland-Pfalz und die Antwort des Chefs der dortigen Staatskanzlei vom 15. März 1978 anzusehen, die die Karriere des Herrn Kollegen Dr. Voss zum Inhalt haben. Wenn man das tut, dann kommt man 'sehr schnell zu dem Ergebnis, daß er der schlechteste Kritiker der Karriere anderer Leute ist.
Mein Kollege Erwin Horn hat auf die unredliche Postkartenaktion des Kollegen Voss schon hingewiesen.
Lassen Sie mich ein anderes kleines Beispiel für die Art und Weise der Arbeit mancher Kollegen des Ausschusses hier vortragen. Da wurde der Zeuge Laabs befragt, ob er in oder Lüneburger Heide ein Haus habe. Als Ort wurde eine Gemeinde in dem Wahlkreis genannt, aus dem ich komme. Laabs hat das verneint. Es wurde seitens der Opposition nachgebohrt. Es gibt tatsächlich in diesem Ort eine Familie gleichen Namens. Als ich dort anrief, wurde mir gesagt, daß ich schon der zweite sei, der dort anrufe. Der erste Anrufer habe den Versuch gemacht, der Familie einzureden, daß sie mit Herrn Laabs verwandt sei.
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Neumann
Das stimmte zwar nicht, aber es hätte gut ins Konzept gepaßt.
Ich erinnere auch daran, daß die Personalakte von Herrn Laabs bei Herrn Löwenthal im Zweiten Deutschen Fernsehen vorgeführt wurde. Ich meine: einer der schlimmsten Vertrauensbrüche gegenüber einem Beamten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, der Spionagefall Lutze/Wiegel und seine Behandlung im Bundesministerium der Verteidigung — —
— Das ist eine Bereicherung der deutschen Sprache.
Meine Damen und Herren, wir wollen uns wieder auf den Redner .konzentrieren. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Spionagefall Lutze/Wiegel und seine Behandlung im Bundesministerium der Verteidigung hat Schwachstellen und menschliche Unzulänglichkeiten bei den mit ihm befaßten Personen, Soldaten wie Zivilisten, deutlich gemacht. Er ist aber keineswegs ein Symptom für eine generelle Krise, und er gibt auch keinen Anlaß für übertriebene Besorgnis.
Was verraten worden ist, wiegt schwer, aber es wiegt nicht so schwer, daß unsere Sicherheit in Gefahr gewesen wäre, da keine operativen Planungen und keine atomaren Geheimnisse verraten worden sind. Bundesminister Apel hat vorhin darauf hingewiesen.
Man muß bei der militärischen Schadensbewertung, die übrigens bis zum heutigen Tage noch nicht völlig abgeschlossen ist, etwas differenzierter vorgehen, als die Opposition es stets und auch in ihrem Minderheitsvotum getan hat. Wie wenig seriös die Schadensbewertung durch die Opposition ist, läßt sich schon bei der sorgfältigen Lektüre des Berichts feststellen. Gemeinsam mit der Koalition hat die Union auf Seite 13 des Berichts die Formulierung unterschrieben, der Schaden sei als besonders schwerwiegend anzusehen. Dies trifft auch unsere Meinung. Im Minderheitsvotum schreibt die Opposition dann aber an mehreren Stellen, z. B. auf Seite 45, es handle sich „um den schwersten Spionagefall", Heute ist wieder der Versuch gemacht worden — auch von Ihnen, Herr Dr. Wörner, obwohl Sie ganz genau, wissen, daß es nicht so ist —, darzustellen, daß dies der schwerste Spionagefall bisher in der Bundesrepublik Deutschland gewesen sei.
Bundesminister Apel hat vorhin sehr deutlich gesagt, daß es gerade dieser nicht ist,
abgesehen davon, daß dieser Superlativ nicht nur durch nichts bewiesen ist, sondern von sachverständigen Zeugen im Untersuchungsausschuß ausdrücklich verneint worden ist.
Diese Formulierungen, wie Sie sie jetzt benutzen und wie Sie sie in Ihrem Minderheitsvotum benutzen, zeigen eine Sprache mit zwei Zungen, daß bei der Union offensichtlich die Rechte nicht weiß, was die Linke tut.
Wie schwierig es Ihnen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen der Opposition, ist, in Sachen Verteidigung mit einer einzigen Zunge zu sprechen, beweist ja auch Ihre dissonante Begrüßung des neuen Generalinspekteurs der Bundeswehr. Herr Kollege Möllemann -hat darauf schon hingewiesen. Da wird ein fachlich hochqualifizierter Offizier, der aus rein fachlichen Gründen unbestreitbar als der richtige Mann an den richtigen Platz gestellt worden ist,
von .der CSU mit Verbalinjurien und Ehrverletzungen begrüßt, so daß es ja selbst Ihnen, Herr Dr. Wörner, geboten schien, hier ein bißchen einzuschreiten. Was der radikale Flügel der Opposition hier geboten hat, war geschmacklos und wird von meiner Fraktion zurückgewiesen.
Wir werden bemüht sein, mit dem neuen Generalinspekteur im Verteidigungsausschuß gut zusammenzuarbeiten, wie wir das früher auch gemacht haben. Ich hoffe, daß auch die Mehrheit der Opposition dies in der Zukunft tun wird. Wir hoffen und wünschen, daß Herr General Brandt so starke Nerven hat, wie man sie nun einmal im Umgang mit der CSU braucht,
was mir die Kollegen der CDU übrigens sicherlich bestätigen werden.
In den Sitzungen des Untersuchungsausschusses, aber auch heute in der Debatte spielte der sogenannte Fingerhut-Erlaß für die Opposition eine große Rolle. Dieser Erlaß war nicht zu beanstanden. Der Zeuge Generalleutnant Domröse hat ausgesagt, der Erlaß sei „ein verständlicher, ein berechtigter, ein koordinierender" Erlaß gewesen. General Wust hat ausgesagt, von einzelnen Stellen der Stäbe sei der Erlaß zwar in der Form ausgelegt worden, daß
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sie sich nicht mehr mit dem Fall zu beschäftigen hätten, eine derartige Schlußfolgerung sei aber aus dem Erlaß nicht hervorgegangen.
Soweit der Fingerhut-Erlaß einen Anlaß zu Mißverständnissen gegeben hat, heißt es im Bericht, wurden diese bei dem klarstellenden Gespräch zwischen Staatssekretär Fingerhut und Ministerialrat Metzger am 2. August 1976. ausgeräumt. Daß der Referent Fü S II 7 über das Ergebnis dieses Gesprächs keinem seiner Vorgesetzten eine Mitteilung gemacht hat, so daß der Generalinspekteur, sein damaliger Staatschef sowie der damalige Stabsabteilungsleiter Fü S II erst im Untersuchungsausschuß von diesem Gespräch erfuhren, so heißt es im Bericht, sei ein dem Untersuchungsausschuß unverständliches Versäumnis.
Herr Wörner hat vorhin darauf hingewiesen, daß es Spannungen zwischen MAD und FU S gegeben habe, und er hat das damit begründet, daß er sagte: weil der MAD irgend jemandem unterstellt worden sei, was falsch gewesen sei. Herr Dr. Wörner, Sie werden wissen, daß es zwischen dem MAD und Fü S auch bei anderen Unterstellungsverhältnissen Schwierigkeiten gegeben hat. Vielleicht muß sich das Haus einmal überlegen, ob die Konstruktion überhaupt richtig ist. Das war aber nicht Aufgabe des Untersuchungsausschusses.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner?
Aber ja.
Herr Kollege Neumann, mir liegt daran, daß Sie den Kern meines Vorwurfs richtig sehen. Deswegen frage ich Sie, ob Ihnen nicht bekannt ist, daß unabhängig von den sicher schon früher bestehenden Schwierigkeiten und Reibereien zwischen MAD und militärischer Führung der Brauch, daß der Vorgesetzte des MAD unter Umgehung seines Dienstvorgesetzten direkt an die politische Leitung gegangen ist, eben erst mit Herrn General Scherer eingerissen ist.
Das kann sein. Das kann ich weder bejahen noch verneinen. Ich kenne die früheren Verhältnisse dort nicht. Aber das könnte man vielleicht einmal nachprüfen.
Meine Damen und Herren, der Rücktritt von General Wust war nach dem Ergebnis der Ermittlungen des Untersuchungsausschusses nach meiner Meinung folgerichtig und durch nichts besser und wahrhaftiger begründet als durch die Rollé des Führungsstabes der Streitkräfte bei der Bewältigung dieses Spionagefalls. Hier muß noch einmal ganz deutlich festgehalten werden, daß auch der Führungsstab der Streitkräfte bei der Bewältigung des Spionagefalles Lutze/Wiegel keine Bestform gezeigt hat. Es waren nicht nur Zivilisten, die da versagt haben.
Der Führungsstab der Streitkräfte trägt die Verantwortung mit für die Verspätung der militärischen Schadensbewertung. Der Führungsstab der Streitkräfte ist damit auch letztlich dafür verantwortlich, daß dem Minister so lange Zeit keine militärische Schadensbewertung vorgelegt worden ist.
Der Führungsstab der Streitkräfte trägt für die kleinlichen Kompetenzstreitereien mit dem Militärischen Abschirmdienst ein gerütteltes Maß an Mitverantwortung. Man konnte sich bei den Ermittlungen des Eindrucks nicht erwehren, daß bei einigen Herren von der Stabsabteilung Fü S II die Kompetenzen und die Eitelkeiten über der gemeinsamen Sache gestanden haben.
Wichtige Informationen, die im Führungsstab der Streitkräfte eingetroffen sind, sind von dort nicht weitergeflossen, vor allem nicht zum Generalinspekteur.
Das Betriebsklima im militärischen Bereich war nicht selten unerträglich. Dem Ausschuß sind mehrere Fälle vorgetragen worden, in denen sich die Beteiligten im militärischen Bereich wechselseitig mit gerichtlichen Anzeigen und Klagen überzogen haben. Wo auf solche Dinge Energie verwendet wird, nimmt es nicht wunder, daß die eigentliche Arbeit Schaden leidet.
Aus all dem hat General Wust die Konsequenzen gezogen, und das ehrt ihn. Daß freilich der eigentliche Grund für den Abschied im Abschiedsbrief an den Minister nicht vorkommt, ändert an der Wahrheit nichts.
Es ist natürlich für jede Opposition verlockend, den Verteidigungsminister anzugreifen, wenn ihm der Generalinspekteur den Rücktritt erklärt und dabei einen vorwurfsvollen Brief schreibt. Aber in diesem Falle wäre die Opposition dieser Versuchung besser nicht erlegen. Niemand, der auch nur den geringsten Einblick hat, kann für den Rücktritt des Generalinspekteurs den Verteidigungsminister verantwortlich machen.
Lesen Sie die Zeitungen von links bis rechts, dann werden Sie das bestätigt finden. Lesen Sie z. B. die Schlagzeile des „Rheinischen Merkurs", nicht gerade das Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei, vom 1. Dezember. Dort heißt es: „Der Generalinspekteur stolperte über die Affäre Lutze". Genau das ist die Wahrheit, und nichts sonst.
Für meine Fraktion kann ich hier feststellen, daß Bundesminister Apel unser volles Vertrauen hat und verdient. Er hat das Bundesministerium der Verteidigung in einer schwierigen Phase übernommen und in kürzester Frist die anstehenden Probleme in den Griff bekommen. Er hat insbesondere sehr bald nach seinem Amtsantritt die wesentlichen Konsequenzen aus dein Spionagefall Lutze/Wiegel gezogen. Der Bericht des Untersuchungsausschusses hat dies, meine ich, einvernehmlich hervorgehoben und gewürdigt.
Das Amt des Verteidigungsministers ist eines der wichtigsten und schwierigsten Ämter, die unsere Republik zu vergeben hat. Meine Partei hat dieses
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Neumann
Amt stets hoch eingeschätzt. Sie hat stets Männer mit hohen Qualitäten mit dieser Aufgabe betraut: Helmut Schmidt, Georg Leber und jetzt Hans Apel.
Wir sind der Meinung, daß sachliche Kritik an der Politik und an den sie verkörpernden Politikern nötig ist. Wir haben gerade in dem Bericht zum Spionagefall diese Kritik selber dort mitgetragen, wo sie uns sachlich begründet erschien. Wir lassen aber nicht zu, daß unsere Verteidigungspolitik und unsere Verteidigungsminister über die sachlich begründete Kritik hinaus zerredet werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich — wie es auch der Kollege Möllemann getan hat — zum Schluß meiner Ausführungen noch einige Bernerkungen zum Sinn • und zur Fragwürdigkeit der Untersuchung des Verteidigungsausschusses machen. So positiv die parlamentarische Untersuchung generell zu beurteilen ist, so problematisch kann es, wie die abgeschlossene Untersuchung zeigt, sein, wenn der Verteidigungsausschuß weitgehend öffentlich Angelegenheiten der Verteidigung untersucht. Es wurde bei unseren Untersuchungen so manches aus dem Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung ausgebreitet, für dessen diskrete Behandlung sich gute Gründe anführen lassen. Unsere Öffentlichkeitsfreundlichkeit ist so weit gegangen, daß alle an der Abwehr dieser Spione beteiligten Kriminalbeamten im Fernsehprogramm im Bild vorgeführt wurden. Die Grenze zwischen Liberalität und Torheit dürfte hierbei vielleicht manchmal überschritten worden sein.
Mein Kollege Horn hat bereits darauf hingewiesen, daß die ständige Preisgabe geheimer Dokumente während der Untersuchungen dieses Untersuchungsausschusses ein ganz trauriges Kapitel dieser Angelegenheit darstellt.
Wir haben uns Mühe geben müssen, das parallellaufende Strafverfahren nicht zu stören. Ein solches Verfahren ist in einem Rechtsstaat eine diffizile Angelegenheit, die leicht Schaden nehmen kann, wenn ein Untersuchungsausschuß, der dieselbe Materie behandelt, nicht ein hohes Maß an Disziplin aufbringt. Die Opposition hat sich mit dieser Disziplin am Beginn der Untersuchung schwergetan; die Mehrheit hat nach Kräften versucht, diese Disziplin anzumahnen, und wir hoffen, daß dieses unser Bemühen ausgereicht hat, das Strafverfahren unbeeinträchtigt zu lassen.
Das Parlament zahlte für solche Untersuchungen im Verteidigungsausschuß einen hohen Preis. Es blockierte den Verteidigungsausschuß etwa ein Jahr lang mit dieser Untersuchung und verzichtete während dieser Zeit fast völlig darauf, sich mit der Verteidigungspolitik — —
— Es verzichtete weitgehend darauf, Herr Dr. Wörner! Das ist meine Meinung, und die kann ich genauso haben, wie Sie es vielleicht anders meinen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber natürlich.
Herr Kollege Neumann, diese Aussage hat mich schon vorhin bei Herrn Möllemann gestört, und deswegen habe ich nachprüfen lassen. Während der Zeit, in der wir die Untersuchungen durchgeführt und dafür 29 Sitzungen — zum Teil an sitzungsfreien Tagen, zum Teil während der Plenarsitzungen — veranschlagt haben, haben wir immerhin 10 ordentliche Sitzungen des Verteidigungsausschusses, zum Teil ganztägige, durchgeführt und haben wichtigste Probleme abgehandelt. Sind Sie nicht der Meinung, daß wir uns selbst ein schlechtes Zeugnis ausstellen, wenn wir so tun, als ob wir als Verteidigungsausschuß zu arbeiten aufgehört hätten?
Nein, Herr Kollege Dr. Wörner, diese Meinung kann ich nicht teilen. 10 Sitzungen in einem Jahr sind ein bißchen wenig für einen Bereich, der so sensibel ist wie die Verteidigungspolitik.
Ich wiederhole, daß wir in dieser Zeit fast völlig darauf verzichtet haben, uns mit der Verteidigungspolitik der Bundesregierung zu befassen. Für die Verteidigungspolitik entstand in weiten Bereichen eine parlamentslose Zeit. Dem zuständigen Minister wird diese ungewöhnliche Freiheit sicherlich nicht unangenehm gewesen sein, aber dem Verteidigungsausschuß kann es nicht angenehm sein, durch eine Untersuchung von seiner eigentlichen Arbeit, von seiner eigentlichen Aufgabe abgehalten zu werden und möglicherweise Informations und Einflußlücken entstehen zu lassen, die später kaum noch zu schließen sind.
Wenn man das alles würdigt, kann man nur wünschen, daß wir für die nächsten Jahre unsere Arbeit im Verteidigungsausschuß allein der Verteidigungspolitik widmen können. Probleme, deren Lösung dort ansteht, gibt es genug.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Leber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, eine lange Debattenrede zum anstehenden Thema zu halten, sondern möchte ein paar Bemerkungen machen, die in mittelbarem Zusammenhang mit dem hier behandelten Gegenstand stehen und von denen ich der Auffassung bin, daß sie in gehöriger Form hier vor dem Plenum des Deutschen Bundestages zur Kenntnis genommen werden sollten.
Es ist bis auf den heutigen Tag immer wieder unterstellt worden, ich sei wegen des Spionagefalles, mit dem sich der Untersuchungsausschuß des Bundestages zu befassen hatte, zurückgetreten, sei des-
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wegen gestürzt oder gestürzt worden. Das ist eine illustrative Behauptung.
Ich möchte deshalb hier vor dem Bundestag klären, wie es darum bestellt ist, weil die Kenntnis auch für ihn wichtig ist; Sie werden es gleich hören.
Was ich zu dem Spionagefall selber zu sagen hatte und sagen konnte, habe ich vor dem Untersuchungsausschuß in öffentlicher Sitzung ausgesagt. Der Abschluß der Untersuchungen und der Inhalt des Berichts, den der Ausschuß verfaßt hat, bestätigen, daß ich wegen dieses Vorgangs, sosehr ich auch wegen des Spionagefalls betroffen war, keine Veranlassung gehabt hätte, mein Amt aufzugeben.
Auch wenn ich die Debatte heute, den vorliegenden Bericht, die mündlichen Berichte der Herren Berichterstatter und die Debatte betrachte, so wäre es für einen Minister kein Grund zum Rücktritt gewesen. Spionagefälle wird es immer geben. Ich hoffe, daß die Bundeswehr nicht so bald wieder von einem solchen Fall betroffen sein wird. Eines Tages werden auch Sie regieren, so nehme ich an; da wünsche ich Ihnen schon jetzt, daß Sie keinen haben werden. Aber mit der Möglichkeit von Spionagefällen müssen wir leben.
Mein Rücktritt ist nicht wegen dieses Spionagefalls erfolgt, sondern durch eine Erklärung .ausgelöst worden, die ich selber am 26. Januar dieses Jahres im Zusammenhang mit dem hier anstehenden Spionagefall vor dem Deutschen Bundestag gegeben habe. Ich hatte bisher keine Gelegenheit, diesen Sachverhalt vor dem Bundestag zu klären. Der Bundestag sollte ihn aber kennen. Deshalb nehme ich diese Gelegenheit wahr, Ihnen folgendes mitzuteilen.
Ich hatte dem Bundestag in der Debatte am 26. Januar versichert, daß mir kein weiterer Fall bekannt sei, bei dem der Abschirmdienst der Bundeswehr entgegen der Bestimmung von Art. 13 des Grundgesetzes in einer Wohnung ein nicht erlaubtes Lauschmittel verwendet habe. Als ich dem Bundestag diese Erklärung abgab, war mir noch ein Fall bekannt, in dem der Abschirmdienst in einem Büro ein Abhörgerät angewandt hatte. Mir war zu dem Zeitpunkt, als ich diese Erklärung bezüglich Art. 13 des Grundgesetzes abgab, in dem von der Wohnung. die Rede ist, nicht bekannt, daß in dem Abhören in einem Büro ein Verstoß gegen Art. 13 des Grundgesetzes zu sehen sei.
Ich will den Vorgang kurz darstellen. Es ist gut, wenn er hier zu Protokoll genommen wird, weil er Bedeutung hat.
Im Jahre 1976 war vom Militärischen Abschirmdienst an zehn Tagen im Büro des Soldaten- und Reservistenkomitees ein Lauschgerät verwandt worden. Dieses Komitee war eine Einrichtung des Kommunistischen Bundes Westdeutschlands. Seine Aufgabe bestand darin, in der Bundeswehr subversive Arbeit und Sabotage zu betreiben. Mit dem eingebauten Lauschmittel sollten Erkenntnisse über die Zersetzungsarbeit der Kommunisten in der Bundeswehr gewonnen werden. Dabei sind, wie mir berichtet worden ist, in der Tat auch wertvolle Erkenntnisse gewonnen worden.
Vor meiner Rede am 26. Januar hatte ich mich von namhaften erfahrenen Juristen beraten lassen. Mir war versichert worden, es sei völlig zweifelsfrei, daß das in Betracht kommende Büro, in dem ein Lauschmittel angebracht worden war, vom Schutz des Art. 13 des Grundgesetzes nicht erfaßt sei; denn in Art. 13 des Grundgesetzes heißt es doch völlig zweifelsfrei: „Die Wohnung ist unverletzlich." Demnach war ich überzeugt und konnte es subjektiv auch sein, daß in der mir bekanntgewordenen Handlung des Militärischen Abschirmdienstes kein Verfassungsverstoß zu sehen war. Ich war deshalb auch überzeugt, dem Bundestag versichern zu können, mir sei kein weiterer Fall bekannt, in dem gegen die Verfassung verstoßen worden wäre.
Am 31. Januar, also fünf Tage nach der Debatte hier, hatte ich zur Vorbereitung meines Berichtes an die Bundesregierung nochmals eine gründliche juristische Prüfung dieses Sachverhalts angeordnet. Im Verlauf dieser Prüfung, die in meiner Anwesenheit erfolgte und die sich über viele Stunden erstreckte, stellte sich dann für meine Berater — für die erfahrenen Herren Juristen ebenso wie für mich — heraus, daß _der Begriff „Wohnung", so wie ihn das Grundgesetz von 1949 festgelegt hat, in der deutschen Rechtsprechung und Rechtspraxis schon seit vielen Jahrzehnten extensiv ausgelegt worden ist. Demnach ist in unserem Lande auch ein Büro oder ein Geschäftsraum, also auch das Büro von Art. 13 unseres Grundgesetzes geschützt, von dem aus im, konkreten Fall das genannte kommunistische Komitee seine Zersetzungs- und Sabotagearbeit gegen die Bundeswehr, also gegen eine durch Verfassungsgebot geschaffene Einrichtung des Staates, planen und organisieren konnte.
Das Lauschmittel war ohne mein Wissen und damit auch ohne meine Billigung angewandt worden, wohl im guten Glauben, es sei in diesem Fall zulässig.
Als oberster Vorgesetzter der Bundeswehr war ich aber — das ist meine Schlußfolgerung, meine Haltung — für die Handlungen der mir unterstellten Soldaten verantwortlich. Ich habe mich mit meinem Rücktritt zu dieser Verantwortung, die ich hatte, bekannt und die Konsequenz daraus gezogen.
Dies, meine Damen und Herren, ist die Erklärung, die ich auch am 1. Februar dieses Jahres dem Herrn Bundeskanzler und der Bundesregierung in einer Kabinettssitzung gegeben habe. Ich möchte dieser Darstellung noch eine kurze Bemerkung anfügen — ich hoffe .auf Ihr Verständnis dafür —, weil ich glaube, daß sie hierhergehört.
Die Angriffe gegen die Bundeswehr und ihre Einrichtungen mit dem Ziel, die Bundeswehr zu zersetzen und Sabotage in ihr zu treiben, hatten damals zugenommen. Der Pfad, auf dem sich die Bundeswehr gegen solche Angriffe wehren und schützen kann, ist vom geltenden Recht in unserem Lande
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Leber
sehr eng gehalten. Ich will dem Bundestag aus meiner Erfahrung hier mitteilen: Die Pflicht, die Bundeswehr als eine von der Verfassung gewollte und geforderte Einrichtung zu schützen, schließt unter diesen Bedingungen häufig auch die Gefahr ein, daß diejenigen, die sie zu schützen haben, ungewollt in einen risikoreichen Konflikt zum Recht, auch zur Verfassung geraten können.
Es liegt mir sehr am Herzen, von dieser Stelle aus besonders zu betonen, daß ich den Auftrag des Militärischen Abschirmdienstes und seinen Kampf gegen die Kräfte, die die Bundeswehr schwächen wollen, immer verantwortet und in meiner Amtsführung auch immer darauf geachtet habe, daß dieser Kampf zur Abwehr solcher Gefahren von der Bundeswehr energisch geführt worden ist.
Mir ist berichtet worden, daß gegen einzelne Offiziere, die an dem soeben von mir hier geschilderten Vorgang beteiligt waren, strafrechtliche Ermittlungen im Gange sind. Das ist Sache der Justizbehörden und der Gerichte. Aber vielleicht trägt das, was ich hier dazu ausgeführt habe, doch ein wenig dazu bei, daß diese Offiziere, die im guten Glauben gehandelt haben, großherzige und gnädige Richter finden. Ich bekenne mich hier vor dem Deutschen Bundestag dazu, daß ich ihnen meine Achtung nicht versage, auch dann nicht, wenn sie in gutem Glauben in der Erfüllung der ihnen aufgetragenen Pflichten geirrt haben mögen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/2290 unter Nr. 1, den Bericht des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß nach Art. 45 a Abs. 2 des Grundgesetzes zur Kenntnis zu nehmen, und unter Nr. 2, die eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um Handzeichen. — Gegenprobe! — Wer enthält sich? — Einstimmige Annahme dieser Beschlußempfehlung.
Bevor wir in die Mittagspause eintreten, möchte ich Ihnen noch mitteilen, daß wir nur 22 Fragen in der Fragestunde haben, so daß nach aller Voraussicht die Fragestunde nicht die gesamte Zeit von eineinhalb Stunden beansprucht. Nach interfraktioneller Vereinbarung möchte ich daher dem Haus empfehlen, daß wir nach Ende der Fragestunde so- fort mit dem Punkt 11 der Tagesordnung beginnen. Der Aufruf des Punktes 11 der Tagesordnung wird durch Lautsprecher bekanntgegeben. — Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Wir treten in die Mittagspause ein und setzen die Sitzung um 14 Uhr fort.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Vizepräsident Frau Funcke: Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 8/2339 —
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Buschfort zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 79 des Herrn Abgeordneten Becker auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung eine Änderung der Übergangsvorschriften des Rehabilitationsangleichungsgesetzes betreffend des Auslaufens der Kinderheilbehandlungen und der Krebsnachbehandlungen für Angehörige von Versicherten der Rentenversicherungsträger, die über jahrzehntelange Erfahrungen auf diesem Gebiet der Gesundheitspflege verfügen?
Bitte schön.
Herr Kollege Dr. Becker, durch das Rehabilitationsangleichungsgesetz aus dem Jahre 1974 ist die Durchführung von Kinderheilbehandlungen, Kindererholungskuren und Krebsbehandlungen für Angehörige von Versicherten den Krankenversicherungsträgern übertragen worden. Auf diese Weise sollte eine klare Zuständigkeitsabgrenzung zwischen gesetzlicher Renten- und Krankenversicherung geschaffen werden. Die Doppelzuständigkeit von Renten- und Krankenversicherung, die auch zu Doppelansprüchen führte, wurde damit beseitigt. Eine Änderung dieser Regelung ist nicht beabsichtigt.
Wie Sie wissen, können die Rentenversicherungsträger auf Grund der Übergangsregelung in § 41 des Reha-Angleichungsgesetzes die oben angeführten Maßnahmen jedoch noch bis zum 31. Dezember 1980 weiterhin durchführen. Diese Frist ist zu überprüfen, falls sich herausstellen sollte, daß in einzelnen Gebieten weiterhin ein Bedürfnis nach Beibehaltung der von den Rentenversicherungsträgern gewährten Leistungen besteht. Mit dieser Prüfung ist die Bundesregierung gegenwärtig befaßt. Sie wird eine Verlängerung der Frist vorschlagen, falls sie sich auf Grund der eingeholten Stellungnahmen davon überzeugt, daß ein reibungsloser Übergang dieser Maßnahmen auf die Krankenversicherung bis zum
31. Dezember 1980 nicht gewährleistet erscheint.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in wie vielen Fällen und in welcher Höhe wurden Kosten von der Rentenversicherung für diese Kinderheilbehandlung in den besagten Fällen während der letzten drei Jahren übernommen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Becker, auf diese Frage bin ich nicht vorbereitet. Ich will Ihnen die Angaben aber gern nachreichen.
Eine zweite Zusatzfrage.
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Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Rentenversicherungsträger als sachkompetente Institutionen für diesen Bereich, über jahrzehntelange Erfahrungen verfügend, bereit und auch willens sind, diese Verfahren weiter durchzuführen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Becker, diese Vorstellungen der Rentenversicherung sind uns bekannt. Aber Sie müssen bedenken, daß der Gesetzgeber des Reha-Angleichungsgesetzes Wert auf klare Trennung gelegt hat. Ich will auch nicht verschweigen, daß diese Regelung auch ein wenig mit der veränderten Finanzsituation in der Rentenversicherung zu tun hatte.
Keine weitere Zusatzfrage. — Dann rufe ich die Frage 80 des Herrn Abgeordneten Horstmeier auf:
Ist der Bundesregierung das soziale Problem der Rückwanderer aus den südamerikanischen Staaten, die rechtmäßig deutsche Bundesbürger sind, aber deren Leistungsjahre in diesen Ländern zur Zeit nicht rentensteigernd anerkannt werden, bekannt, und wenn ja, wie groß ist dieser Personenkreis?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Wenn es gestattet ist, würde ich die Fragen 80 und 81 gern gemeinsam beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dan rufe ich auch die Frage 81 des Herrn Abgeordneten Horstmeier auf:
Welche Lösungen strebt die Bundesregierung für deutsche Rückwanderer aus Staaten an, mit denen kein Gegenseitigkeitsabkommen auf dem Gebiet der gesetzlichen Sozialversicherungen besteht, um den Betroffenen die verdiente Altersversorgung zu gewährleisten?
Bitte schön.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Horstmeier, Auswanderer in südamerikanische Staaten haben anders als z. B. der Personenkreis der Verfolgten — die Bundesrepublik in freier Entscheidung verlassen. Sie mußten davon ausgehen, daß die im Ausland zurücklegten Zeiten bei ihrer Rückkehr nicht in der deutschen Sozialversicherung berücksichtigt würden.
Die Bundesregierung hat daher bereits im Rentenreformgesetz von 1972 für alle Deutschen — auch für die, die im Ausland wohnen — die freiwillige Versicherung zugelassen und als flankierende Maßnahme eine großzügige Nachentrichtungsmöglichkeit — befristet bis 1975 — eingeräumt. Jeder Auswanderer, der 'von diesem Angebot des Gesetzgebers Gebrauch gemacht hat, konnte so einen ausreichenden Anspruch auf Alterssicherung in der deutschen Rentenversicherung begründen.
Weitergehende gesetzgeberische Maßnahmen für diese Personen, die später zurückkehren, können der Solidargemeinschaft nicht zugemutet werden. Die Zahl der möglichen Rückwanderer ist nicht bekannt und kann auch nicht geschätzt werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist das jetzige Fremdrentengesetz für diesen Personenkreis nicht anwendbar?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Nein. Das Fremdrentengesetz ist regional begrenzt und hat nichts mit der freiwilligen Auswanderung im Sinne Ihrer Fragestellung zu tun.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist denn vorgesehen, mit diesen Staaten ein Gegenseitigkeitsabkommen abzuschließen, wie es mit anderen Staaten auch abgeschlossen worden ist?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Horstmeier, wir bemühen uns ständig; Sozialversicherungsabkommen zu schließen, natürlich unter Berücksichtigung der nationalen Interessen. Daß hierbei nicht nur die, Rentenversicherung gesehen werden darf, versteht sich von selbst. Beispielsweise sind wir bei Ländern mit starkem Tourismusverkehr insbesondere auch an Krankenversicherungsabkommen interessiert. Allgemein kann ich sagen, daß wir grundsätzlich immer an Sozialversicherungsabkommen mit anderen Staaten interessiert sind.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, müßte nicht doch versucht werden, die Rechtslage dahin gehend zu ändern, weil es doch ein Akt der sozialen Gerechtigkeit sein müßte, diesen Menschen eine Rente zu geben und sie nicht wegen der fehlenden Anrechnungszeiten — die Arbeitszeiten sind ja eigentlich da — der Sozialhilfe zuzuweisen? Man kann doch davon ausgehen, daß im Zuge des Generationenvertrags die Kinder der Betroffenen Beiträge zahlen.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Horstmeier, in der Rentenversicherung haben wir eine Solidargemeinschaft. Es gibt auch national — das wissen Sie — die Möglichkeit, sich von der Rentenversicherung befreien zu lassen. Das heißt, wer sich hier befreien läßt, kann im allgemeinen nicht mehr zurück. Wer aber Arbeitszeiten im Ausland zurücklegt und dort seine Versicherungszeiten aufbaut, kann später nicht erwarten, daß diese Zeiten hier in der Bundesrepublik vergütet werden. Er muß sich dann seinen Altersanspruch für die im Ausland zurückgelegte Zeit auch im Ausland erwerben, nicht hier.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Müller.
Herr Staatssekretär, können Sie mir Angaben machen — wenn nicht, reichen Sie mir diese bitte nach —, mit wieviel Staaten wir eigentlich Abkommen geschlossen haben, auf Grund deren solche Anrechnungen vorgenommen werden?
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Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, ich werde Ihnen eine Aufstellung über die bisher abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommen zuleiten. Dabei wäre auch eine Einteilung möglich, um welche Zweige der sozialen Sicherheit es sich handelt. Sie haben recht: Nicht alle Sozialversicherungsabkommen sind besonders in Richtung auf die Rentenversicherung ausgeprägt, sondern bei ihnen spielen, wie ich das vorhin bereits sagte, auch andere Bereiche und Motive eine Rolle.
Keine weitere Frage.
Ich rufe die Frage 83 des Herrn Abgeordneten Laufs auf:
Welche vergleichenden Untersuchungen über die verschiedenen empirisch erfaßbaren Unfallrisiken mit Todesfolge der Bürger in der Bundesrepublik Deutschland liegen der Bundesregierung vor, und wie sind sie als Grundlage konkreter Folgerungen für eine Vorsorgepolitik zu bewerten?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Wenn es gestattet ist, würde ich gern die Fragen 83 und 84 gemeinsam beantworten.
Einverstanden. Ich rufe dann auch die Frage 84 des Herrn Abgeordneten Laufs auf:
Welche Forschungsmittel werden gegenwärtig im Bundeshaushalt für die Unfallursachenforschung differenziert nach den einzelnen Sachgebieten bereitgestellt, und in welchem Verhältnis zu den Unfallstatistiken in diesen verschiedenen Bereichen stehen sie?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Laufs, der Bundesregierung liegen keine vergleichenden Untersuchungen über die verschiedenen empirisch erfaßten Unfallrisiken mit Todesfolge der Bürger der Bundesrepublik Deutschland vor.
Geführt werden Statistiken über Berufsunfälle und Straßenverkehrsunfälle. Seit 1971 werden auch Unfälle in Schulen, Hochschulen und Kindergärten amtlich registriert. Unfälle im häuslichen Bereich und in der Freizeit werden nicht erfaßt. Zahlenangaben verschiedener Institutionen beruhen weitgehend auf Befragungen und Hochrechnungen.
Der Bundesregierung sind auf Grund von Forschungsarbeiten die Schwerpunkte des tödlichen Unfallgeschehens in einzelnen Bereichen bekannt. Zum Beispiel im Arbeitsbereich sind es Transporttätigkeiten, im häuslichen Bereich Sturzunfälle. Die Bundesregierung unternimmt erhebliche Anstrengungen, um die Unfallverhütung in allen Bereichen zu verbessern und damit die Unfallzahlen insgesamt zu senken. Dabei orientiert sie sich auch an den bekannten Schwerpunkten des tödlichen Unfallgeschehens. Weitere nützliche Erkenntnisse für gezielte Maßnahmen der Unfallverhütung erwartet die Bundesregierung von der Unfallforschung.
Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich folgendes bemerken. Für die Unfallforschung im Arbeitsleben, in. der Schule sowie in Haus und Freizeit werden 1978 1,1 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Diese Mittel sollen im Jahre 1979 auf 1,8 Millionen DM steigen. Auf die Unfallforschung im Bereich von Heim und Freizeit sollen von diesen Ansätzen etwa 25 % entfallen. Auch in der Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens wird die Unfallverhütung mittelbar mit einbezogen.
Für die Erforschung der Unfallursachen im Straßenverkehr stehen 4 Millionen DM zur Verfügung. Diesen für die Forschung im Jahre 1978 bereitgestellten Mitteln stehen im Jahre 1977 im Arbeitsleben über 2 Millionen Unfälle, in Schulen, Hochschulen und Kindergärten rund 825 000 Unfälle, im Straßenverkehr rund 380 000 Unfälle mit Personenschaden gegenüber.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung untersucht, ob das offensichtliche Fehlen ausreichender Abwägungsvoraussetzungen für die Mittelvergabe im Bereich der Risikominderung zu Mißverhältnissen zwischen Aufwand und Nutzen in den verschiedenen Bereichen der Vorsorgepolitik gerührt hat?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Laufs, ich weiß nicht, ob es eine solche Untersuchung gibt. Aber ich gehe davon aus, daß für die Forschung eingesetzte Mittel meist zu einem Ergebnis führen. Wenn Sie den Aufwand ein wenig kritisieren, so stimme ich dieser Kritik in gewissem Umfang zu. Wir wären dankbar, wenn das Hohe Haus übereinstimmend für die Unfallforschung höhere Mittel einsetzen würde.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmt die Bundesregierung mit meiner Meinung überein, daß zumindest in den Größenordnungen ein Zusammenhang zwischen den Forschungsaufwendungen und der tatsächlichen Unfallhäufigkeit im Interesse einer umfassenden, effizienten Vorsorgepolitik bestehen sollte?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Laufs, ich bin der Auffassung, daß Sie recht haben. Einen solchen Zusammenhang' wird es mit Sicherheit geben. Allerdings wäre es vereinfacht dargestellt, nur eine Relation zwischen der Unfallhäufigkeit und den von mir genannten Forschungsmitteln herzustellen. Wir dürfen nicht vergessen, daß darüber hinaus auch andere Einrichtungen und andere Organisationen außerhalb des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung tätig werden. Ich darf auch hier daran erinnern, daß wir z. B. über die Bundesanstalt für Unfallforschung in Dortmund beachtliche finanzielle Mittel einsetzen, daß dies auch Vereine und Organisationen tun und daß hier natürlich auch Länder und Gemeinden einen beachtlichen Anteil leisten. Aber unter dem Strich kann ich unterstreichen: Ich wäre sehr dafür, wenn gerade auf diesem Gebiet noch mehr getan werden könnte.
Eine weitere Zusatzfrage.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978 9581
Herr Staatssekretär, welcher Entscheidungshilfen bediente sich die Bundesregierung bisher, um den volkswirtschaftlich begrenzten Mitteleinsatz für verschiedene Vorsorgemaßnahmen auf eine rationale Grundlage zu stellen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Laufs, ich bin im Augenblick überfragt. Ich will das aber gern überprüfen lassen und Ihnen eine schriftliche Antwort auf diese Frage zukommen lassen.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie auch bereit, untersuchen zu lassen, welche Aufwendungen in den vergangenen 15 Jahren für die Erforschung und Behebung z. B. der Risiken der Gasversorgung, die in diesem Zeitraum mehrere tausend Todesopfer gefordert hat, im Vergleich z. B. mit dem Aufwand in der Reaktorsicherheitsforschung angemessen gewesen wären?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Laufs, ich weiß nicht, ob es eine solche Untersuchung bereits gibt. Ich will gern auch das überprüfen lassen. Mir ist bekannt, daß es im Zusammenhang mit der Reaktorsicherheit solche Daten gibt, die ja auch Bestandteil der schriftlichen Beantwortung einer von Ihnen eingereichten Frage sind. Ich will gern überprüfen lassen, ob es in bezug auf die Gasunfälle solche Zahlenangaben gibt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller .
Herr Staatssekretär, bestehen bei der Bundesregierung schon Vorstellungen, mit welcher Zielrichtung die Forschung betrieben werden soll und welche Maßnahmen, wenn die Ergebnisse vorliegen, konkret ergriffen werden sollen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, solange die Forschungsergebnisse nicht vorliegen, kann ich auch noch nicht sagen, welche Maßnahmen eingeleitet werden. Aber sicher ist es notwendig, daß solche Forschungsvorhaben gut nachgearbeitet werden; denn nur dann haben sie einen Sinn.
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 85 des Herrn Abgeordneten Nordlohne auf:
Welches sind die konkreten Beratungsergebnisse der zweitägigen Klausurtagung der Vertreter des Bundesarbeitsministeriums, des Verbands Deutscher Rentenversicherungsträger, der BfA Berlin und des DGB, die vor einigen Tagen in Sande stattgefunden hat?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Nordlohne, zwischen dem Minister für Arbeit und Sozialordnung und der Selbstverwaltung des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger sowie der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ist vereinbart worden, einander regelmäßig in vertraulichen Gesprächen über aktuelle Probleme der gesetzlichen Rentenversicherung zu informieren. Von seiten der gesetzlichen Rentenversicherung nehmen neben den Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden der Vorstände vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte auch deren Geschäftsführer an diesen Gesprächen teil. Die letzte Klausurtagung hat auf Einladung von Bundesarbeitsminister Dr. Ehrenberg am 24. November 1978 in Sande/Oldenburg stattgefunden. Unter den Sitzungsteilnehmern bestand Übereinstimmung, daß der vertrauliche Charakter der Gespräche gewahrt bleiben soll.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist während dieser Klausurtagung auch über die Folgen der bereits für 1980 abzusehenden Rücklagenentwicklung bei den Rentenversicherungsträgern — es wird dann nur noch eine einzige Monatsrücklage geben — und einer dadurch nach dem 21. Rentenanpassungsgesetz erforderlichen Beitragserhöhung von 0,5 % in der Rentenversicherung gesprochen worden?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben alle die Rentenversicherung betreffenden Fragen berührt. Natürlich wurde auch über die Rücklagen und die Beitrags- und Einnahmeentwicklung diskutiert.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da es über diese Klausurtagung sehr wohl Presseberichte gibt, frage ich, wie sich die Bundesregierung den Widerspruch zwischen dem vom Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung genannten Beratungsergebnis dieser Klausurtagung, nämlich das Beitragsaufkommen der gesetzlichen Rentenversicherung sei wegen des günstigen Konjunkturverlaufs vollauf gesichert, und der vor wenigen Tagen von der Vertreterversammlung und vom Präsidenten der BfA in Berlin öffentlich angekündigten Liquiditätslücke von rund 2,8 Milliarden DM für 1980 erklärt?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Nordlohne, darin ist überhaupt kein Widerspruch zu erkennen; die Beitragslage ist etwas ganz anderes als die Liquiditätslage.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Müller.
Herr Staatssekretär, ohne das Recht der vertraulichen Beratung überhaupt irgendwie berühren zu wollen, frage ich — da alles, was Sie bisher gesagt haben, im öffentlichen Interesse liegt — Sie: Warum können Mitglieder dieses Hohen Hauses nicht die Ergebnisse eines solchen vertraulichen Gespräches erfahren?
9582 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, Sie wissen, daß man solche Gespräche, wie mit den Versicherungsverbänden nicht auf dem offenen Markt verhandeln kann. Selbstverständlich sind wir hier im Haus bereit, alle Rentenversicherungsfragen, die Sie stellen, auch nach dem neuesten Wissensstand exakt zu beantworten. Wir sehen überhaupt keine Notwendigkeit, hier irgendwelche Geheimnisse zu haben. Aber wenn zwischen solchen Organisationen Vertraulichkeit der Gespräche vereinbart wird, dann soll man diese' auch einhalten.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Buschfort.
Wir kommen nun zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung der Frage steht Herr Staatsminister Wischnewski zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 99 des Herrn Abgeordneten Engelsberger auf:
Bedeutet die Aussage, des Bundeskanzlers vor dem . Landesparteitag der SPD in Hamburg, „es darf niemand sagen, er habe die Absicht, sich über ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinwegzusetzen", auch die Bereitschaft der Bundesregierung, der Ansicht des Hamburger Bürgermeisters Klose zu widersprechen, daß die gesamte Stamokap-Theorie „nicht mehr ohne weiteres für falsch gehalten" werden könne?
Herr Kollege, zunächst darf ich der guten Ordnung halber darauf hinweisen, daß Sie den Hamburger Bürgermeister falsch und unvollständig zitiert haben. Der Bürgermeister hat nämlich folgendes gesagt:
So würde ich heute nicht mehr ohne weiteres bereit sein, die Analyse von Stamokap als ganz und gar falsch zurückzuweisen. Ich halte die Therapievorschläge von Stamokap nach wie vor nicht für richtig; aber mindestens Teile der Analyse finden, wenn ich das vorsichtig formuliere, eine gewisse Entsprechung der Wirklichkeit.
Dies ist das wahre Zitat. Im übrigen bestehen zwischen dem ersten — richtigen — Zitat und dem zweiten — falschen — Zitat keinerlei Zusammenhänge.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, glauben Sie, daß der Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff den Bürgermeister Klose ebenso falsch zitiert hat, wenn er in einer Erklärung die Ansicht vertritt, es sei in hohem Maße unverständlich, daß die marxistische Stamokap-Theorie zur Beschreibung von wirtschaftlichen Sachverhalten herangezogen werde, und daß er mit Klose auch nicht darin übereinstimmen könne, daß Teile der Theorie zutreffen?
WIschnewski, Staatsminister: Ich habe das Zitat, das richtig ist, hier genannt. Alles andere, was anders zitiert ist, ist falsch, ganz gleich, von wem es stammt.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Engelsberger.
Nachdem Sie also dem Bundeswirtschaftsminister unterstellt haben, daß er ebenfalls falsch zitiert, möchte ich doch — —
Wischnewski, Staatsminister: Ich kenne den Text des Bundeswirtschaftsministers nicht. Es hat doch eine solche Frage hier bisher nicht gegeben. Ich finde es sehr sonderbar — —
Herr Engelsberger, ich bitte die Frage ohne Bewertung zu stellen.
Ich verstehe die Aufregung des Herrn Kollegen Wehner nicht. Wenn hier nur Tatsachen zitiert werden, ist das doch kein Anlaß, hier aufgeregt zu' reagieren, Herr Kollege Wehner.
Aber ich habe noch eine Frage.
Herr Engelsberger, Sie haben das Wort zu einer Frage, nicht zu einer Diskussion, und die anderen mögen bitte dieses Recht respektieren.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß Kloses zumindest teilweise Zustimmung zur StamokapTheorie einen Angriff auf unsere freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bedeutet und daß damit zweifelsohne die Grundrechte berührt werden?
Wischnewski, Staatsminister: Die Politik der Bundesregierung auf diesem Gebiet ist deutlich erkennbar in ihrer Regierungserklärung und in der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung, die darauf aufbaut. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jungmann.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß der Kollege Biedenkopf ähnliche Auf-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978 9583
Jungmann
fassungen zur Stamokap-Theorie öffentlich vertreten hat?
Wischnewski, Staatsminister: Ich werde mich dafür interessieren und bin dann gern bereit, Ihnen diese Zusatzfrage schriftlich zu beantworten. Ich verfüge im Augenblick über kein Wissen darüber.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Gerster.
Herr Staatsminister, kann ich aus der Tatsache, daß Sie dieses KloseZitat hier so ausführlich vorgetragen haben, schließen, daß die Bundesregierung sich dieses Zitat inhaltlich zu eigen macht, oder bleibt es bei der Wertung des Wirtschaftsministers Lambsdorff, der sich von diesem Zitat inhaltlich deutlich abgesetzt hat?
Wischnewski, Staatsminister: Was die Politik der Bundesregierung betrifft, so ist von mir in bezug auf die Regierungserklärung und die Politik, die darauf aufbaut, eine klare Aussage gemacht worden. Im übrigen kan es hier darauf an, eine falsche Zitierung richtigzustellen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Gansel.
Herr Staatsminister, empfinden Sie es nicht auch als äußerst erstaunlich, daß entgegen einer jahrelangen Übung in diesem Hause in der Fragestunde das Bundeskanzleramt in die Rolle eines Zensors gegenüber Landesregierungen gedrängt wird — und dieses auch noch von einer Seite des Hauses, die sonst argwöhnisch über die Sonderrechte, Interessen und Hoheitsrechte der Landesregierungen wacht?
Herr Gansel, die Frage ist nicht zulässig.
Die Frage darf keine Wertung beinhalten. Dieses wäre eine Wertung.
— Sie können die Frage neu stellen, wenn Sie möchten.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatsminister, habe ich Ihre Antwort auf den ersten Teil der Frage richtig verstanden, daß der Herr Bundeskanzler den meiner Meinung nach sehr billigenswerten Standpunkt vertreten hat, es dürfe niemand sagen, er habe die Absicht, sich über ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinwegzusetzen, und lautete die Fassung nicht auch so, wie sie in der Presse berichtet wurde, daß es, wenn die Entscheidung gefallen ist, die verdammte Pflicht eines jeden sei, der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu gehorchen?
Wischnewski, Staatsminister: Ich darf in Ihrem Interesse die Antwort noch einmal wiederholen. Ich habe gesagt: Zwischen dem ersten —richtigen — Zitat, nämlich dem des Bundeskanzlers, und der falschen Zitierung des Bürgermeisters Klose bestehen nicht die geringsten Zusammenhänge.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Schmöle.
Herr Minister, hier ist soeben der Kollege Biedenkopf zitiert worden. Ist die Bundesregierung bereit, mir zuzustimmen, daß feststellbar ist, daß Herr Biedenkopf sich an allen Stellen für die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft einsetzt?
Wischnewski, Staatsminister: Das kann ich nicht sagen. Ich kenne nicht all das, was Herr Biedenkopf geschrieben hat.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit sind die Fragen zu Ihrem Geschäftsbereich beantwortet. Herr Staatsminister Wischnewski, ich danke Ihnen.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Staatsminister Hamm-Brücher zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Herrn Abgeordneten Kunz auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die SWAPO andere Farbige in Namibia, wie z. B. die SWANU oder die Namibian Students Organization, verfolgt, und mit welchem Ergebnis hat die Bundesregierung versucht, auf die SWAPO einzuwirken, Toleranz zu üben?
Frau Dr. Hamm-Brücher, .Staatsminister im Auswärtigen Amt: Herr Kollege Dr. Kunz, der Bundesregierung ist von einer Verfolgung von Anhängern der SWANU oder der Namibia Students Organization in Namibia durch die SWAPO nichts bekannt.
Im übrigen möchte ich Sie darauf hinweisen, daß Ihre Behauptung, die SWAPO werde von der Bundesregierung unterstützt, nicht den Tatsachen entspricht. Mit Ausnahme einer einmaligen humanitären Materialspende im Jahre 1975 — es handelte sich um Brillengestelle im Wert von 2 500 DM — hat die SWAPO weder eine materielle noch irgendeine sonstige Unterstützung durch die Bundesregierung erhalten.
Eine Zusatzfrage.
9584 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Frau Staatsminister, trifft es zu, daß Bundesaußenminister Genscher bei seinem Besuch in Südafrika versucht hat, mit Vertretern dieser kommunistisch orientierten SWAPO zusammenzukommen — und wenn ja, mit welchem Ergebnis?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Frau Präsidentin, ich weiß nicht, ob diese Frage noch durch die ursprüngliche Frage abgedeckt ist. Würden Sie das bitte einmal überprüfen?
Frau Staatsminister, es steht Ihnen frei; zu sagen: Die Zusatzfrage steht nicht im Zusammenhang mit der ursprünglichen Frage.
Diese Zusatzfrage ist „hart am Rande".
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Ich möchte ganz kollegial dann doch darauf antworten.
Herr Kollege, da es die Initiative der Fünf für Namibia in den Vereinten Nationen immer notwendig gemacht hat, daß sich die Vertreter der Fünf auch mit Vertretern der SWAPO beraten und mit ihnen verhandeln, kann es sehr gut möglich sein, daß Herr Bundesaußenminister Genscher auch mit Vertretern der SWAPO gesprochen hat.
Eine Zusatzfrage, aber möglichst im Zusammenhang mit der ursprünglichen Frage.
Frau Staatsminister, nachdem Sie offengelassen haben, ob ein solches Gespräch stattgefunden hat, frage ich Sie doch noch etwas vertiefend, ob Sie als' Vertreterin der Bundesregierung damit zum Ausdruck bringen wollen, daß weder über offizielle noch über .halboffizielle Stellen — beispielsweise eine Stiftung der Versuch gemacht wurde, solche Kontakte herzustellen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, Sie wissen sicher ganz genau, daß von der Generalversammlung der Vereinten Nationen die SWAPO als die einzige authentische Vertreterin Namibias anerkannt worden ist — ein Beschluß, dem übrigens die Bundesrepublik Deutschland nicht zugestimmt hat — und daß es deshalb unumgänglich ist, daß mit Vertretern der SWAPO gesprochen wird.
Was Sie im Hinblick auf Stiftungen und ähnliches fragen, steht nun wirklich nicht im Zusammenhang mit der von Ihnen gestellten Frage, ob die SWAPO die SWANU oder die Studenten-Organisation in irgendeiner Weise beeinträchtigt oder verfolgt hat.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Frau Staatsminister, haben die Aktionen der SWAPO gegen andere politische Gruppierungen nach Kenntnis der Bundesregierung bereits Todesopfer oder Verletzte gefordert — und wenn ja, kann die Bundesregierung darüber Zahlen nennen?
Herr Kollege, dies ist nun wirklich keine Anschlußfrage an die ursprüngliche Frage. Sie dürfen hier nicht das Problem als Ganzes entfalten, sondern müssen sich an die ursprüngliche Frage halten.
— Diese Frage geht zu weit über die ursprüngliche
Frage hinaus. Ich bitte, dafür Verständnis zu haben.
Bitte schön, noch eine Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß es in diesem Jahr ein Gespräch einer Delegation des Auswärtigen Ausschusses mit hochrangigen Vertretern der SWAPO gegeben hat und daß die dort vertretenen Kollegen der Opposition es leider versäumt haben, in dem hier geforderten Sinne auf die SWAPO einzuwirken?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, es ist mir bekannt, daß eine offizielle Delegation des Auswärtigen Ausschusses im südlichen Afrika war und daß solche Gespräche stattgefunden haben. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß die Bundesregierung solche Gespräche begrüßt.
Keine weitere Frage.
Die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Kirschner sowie die Fragen 51 und 52 des Herrn Abgeordneten Dr. Ehmke sollen auf Bitten der Fragesteller schriftlich beantwortet werden.
Frage 100 wurde zurückgezogen.
Ich rufe Frage 101 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Ist die Bundesregierung bereit, darüber in Verhandlungen mit der' Sowjetunion einzutreten, daß Besuchsreisen für Deutsche in den Norden Ostpreußens erlaubt werden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hupka, die Frage der Reisen ins nördliche Ostpreußen ist in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 27. April 1978 auf eine entsprechende Frage des Abgeordneten Dr. Hennig erörtert worden. Wie Staatsminister Dr. von Dohnanyi bei dieser Gelegenheit ausgeführt hat, ist unser diesbezügliches Anliegen schon wiederholt an das sowjetische Außenministerium herangetragen worden. Es ist auch anläßlich der letzten deutschsowjetischen Direktorenkonsultationen erneut angesprochen worden.
Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, war dieses Thema der Besuche im Norden Ostpreußens
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978 9585
Dr. Hupka
auch Gegenstand der Unterredungen während des Besuches von Breschnew Anfang Mai in der Bundesrepublik Deutschland, und haben diese Unterredungen irgendein Ergebnis gezeitigt?
Frau Dr. Hamm-Bracher, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, anläßlich des Besuches von Herrn Breschnew war dieser Punkt auch Gegenstand der Verhandlungen. Es ist eine Note überreicht worden, die negativ beschieden wurde.
Eine zweite Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung nach dieser negativ beschiedenen Note bereit, angesichts der KSZE-Schlußakte, angesichts des Menschenrechtspaktes und der darin festgelegten Freizügigkeit und vor allem im Interesse der Deutschen, die aus Königsberg, Gumbinnen, Insterburg stammen, erneut darüber mit der Sowjetunion zu sprechen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung wird selbstverständlich jede Gelegenheit nutzen, um bei der sowjetischen Seite das Verständnis für unseren Standpunkt zu fördern und sie dann auch zu einer positiven Reaktion zu bewegen. Es muß jedoch in das Ermessen der Bundesregierung gestellt bleiben, in welcher Weise und bei welcher Gelegenheit sie das tut.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Sauer.
Frau Staatsminister, könnte die Bundesregierung sagen, welche Gründe die Sowjetregierung dafür angibt, daß sie deutsche Touristen nicht in das nördliche Ostpreußen reisen läßt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, das ist auch in der bereits zitierten Fragestunde sehr ausführlich erörtert worden. Damals ist festgestellt worden — ich möchte das wiederholen —, daß beinahe alle Staaten der Welt solche reservierten und gesperrten Gebiete haben und daß man dagegen auch offiziell keine Einwendungen haben kann. Die Bundesregierung ist aber bemüht, im Falle des nördlichen Ostpreußens solche Gelegenheiten, z. B. Reisen in bestimmte Städte zu ermöglichen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Müller.
Frau Staatsminister, vertritt die Bundesregierung grundsätzlich die Auffassung, daß Deutsche aus Ostpreußen auch einmal ihre Heimat sollten besuchen dürfen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die Deutschen aus Ostpreußen können in den südlichen Teil Ostpreußens, soweit dies polnisches Staatsgebiet geworden ist. Die Bundesregierung bemüht sich darum, daß sie auch in den nördlichen Teil Ostpreußens reisen können. Das habe ich doch wiederholt gesagt.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Frau Staatsminister, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß z. B. die Stadt Königsberg, von der nicht bekannt ist, daß das Stadtgebiet zu einem militärischen Sperrgebiet gehört, auf jeden Fall nicht unter die Begründung fallen kann, die die Sowjetunion dafür bisher gegeben hat?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, ich habe meinen bisherigen Antworten nichts mehr hinzuzufügen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Frau Staatsminister, Sie haben eben eine Aussage über den Übergang von Staatsgebiet gemacht, eine Aussage, die die Bundesregierung bisher immer bestritten hat. Hat es sich da um einen unpräzisen Ausdruck gehandelt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Wenn Sie das so empfinden, Herr Kollege. Soweit es sich um polnische Gebiete handelt, ist ja die Reisemöglichkeit gegeben, und es wird erfreulicherweise sehr viel Gebrauch davon gemacht.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Schmöle.
Frau Staatsminister, stimmen Sie mir darin zu, daß es sich bei Ihrem Ausdruck „polnisches Staatsgebiet" nicht um die Gebiete handeln kann, die unter polnischer Verwaltung stehen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich gebe Ihnen zu, der korrekte Ausdruck wäre „Gebiet unter polnischer Hoheit".
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 102 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Entlassung aus der polnischen und rumänischen Staatsangehörigkeit mit hohen Geldleistungen verbunden ist, und ist sie bereit, den Aussiedlern diese Gelder zu erstatten?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, Ihre Frage nach den Gebühren für die Entlassung aus der polnischen bzw. rumänischen Staatsangehörigkeit beantworte ich wie folgt.
9586 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücher
Erstens. Der überwiegende Teil der Aussiedler aus Polen ist bei der Ausreise mit einem Reisedokument versehen, mit dessen Aushändigung die Betroffenen die polnische Staatsangehörigkeit verloren haben. Zur Zeit sind das etwa 90% der Aussiedler. Die Gebühren für dieses Dokument be- tragen umgerechnet etwa 600 DM. Die Angehörigen dieser Personengruppe brauchen also kein gesondertes Entlassungsverfahren mehr zu beantragen.
Eine relativ kleine Gruppe der Aussiedler aus der Volksrepublik Polen ist nicht mit einem solchen Reisedokument, sondern mit einem polnischen Reisepaß in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Diese Personen sind noch nicht aus der polnischen Staatsangehörigkeit entlassen worden. Sie können aber bei der hiesigen polnischen Botschaft einen Antrag auf Entlassung aus dieser Staatsangehörigkeit stellen. Die Gebühren für die Entlassung aus der polnischen Staatsangehörigkeit sind unterschiedlich hoch, je nach dem Verwaltungsaufwand, der hierfür erforderlich ist. Nach den Erfahrungen des Auswärtigen Amtes betragen diese Gebühren zwischen 300 DM und 600 DM.
Zweitens.: Auch der größte Teil der Aussiedler aus Rumänien verläßt das Land schon mit einem Staatenlosenpaß und braucht deshalb keine gesonderte Entlassung vom Ausland her zu beantragen. In den sonstigen hier bekannten Fällen hat Rumänien eine Entlassungsgebühr von 600 DM verlangt.
Die Bundesregierung kann, wie hier schon wiederholt festgestellt wurde, auf die Höhe dieser Entlassungsgebühren keinen Einfluß nehmen, da es internationaler Praxis .entspricht, daß jeder Staat solche Gebühren selbst festsetzt. Eine Erstattung dieser Gebühren aus Bundesmitteln ist nicht möglich.
Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, ein Teil derer, die bei den polnischen Konsularbehörden um die Entlassung einkommen, sind nach unserer Rechtsauffassung deutsche Staatsangehörige. Sie müssen jetzt dafür etwas bezahlen, daß sich die polnische Regierung nicht daran hält. Können Sie mir darin zustimmen, daß es angebracht wäre, daß die Bundesrepublik Deutschland die Gebühren für diesen Personenkreis übernimmt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe vorhin gesagt, daß diese Gebühren von der Bundesregierung nicht übernommen werden. Gelegentlich sind bei besonderer Bedürftigkeit andere Träger eingesprungen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, ich zitiere Sie selbst. Sie haben gesagt, man habe keinen Einfluß auf die Gebühren, die bei anderen Staaten verlangt werden. Die Frage: Liegen hier nicht angesichts der Deutschen, die nach unserer Rechtsauffassung deutsche Staatsangehörige sind, besondere Verhältnisse vor? Man denke auch an die Besucher, die hier bleiben und deren Zahl recht hoch ist. Sollte man die sehr hohe Gebühr von 600 DM nicht unsererseits bezahlen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich gebe Ihnen recht, daß dieser Betrag hoch ist, vor allem für Menschen, die alles verloren haben.
Ich muß aber wiederholen, daß der größere Teil auch deutscher Staatsangehöriger auf dem anderen Wege einreist. Sie müssen ohnehin diese Gebühr zahlen, bevor ihnen die Ausreise gestattet wird. Vielleicht wäre es sogar eine Art ungleicher Behandlung, wenn man diesen Aussiedlern andere Bedingungen auferlegt als denen, die nur mit einem Reisevisum kommen und hier bleiben. Ich kann nur nochmals wiederholen: Die Bundesregierung sieht keine Möglichkeit, die Gebühr zu erstatten.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Sauer.
Frau Staatsminister, Sie sagten vorhin, daß etwa 90 % der zu uns kommenden Deutschen aus den Ostgebieten aus der Staatsbürgerschaft des polnischen Staates entlassen worden sind. Meine Frage geht dahin: Hat die Bundesregierung bereits Untersuchungen angestellt oder kann sie Untersuchungen anstellen, wie viele von diesen Aussiedlern in den Jahren 1945, 1946, 1947 wirklich für den polnischen Staat optiert haben oder ob ihnen die polnische Staatsbürgerschaft aufoktroyiert worden ist?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, Sie werden verstehen, daß ich diese Frage nicht beantworten kann: Sie ist sehr weit von der ursprünglichen Frage entfernt. Ich werde sie Ihnen aber gern schriftlich beantworten.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Frau Staatsminister, könnten Sie in diesem Zusammenhang auch prüfen lassen, ob Fälle völkerrechtswidriger Inanspruchnahme deutscher Staatsangehöriger durch fremde Mächte angefochten wurden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, es bleibt Ihnen unbenommen, diese Frage mündlich oder schriftlich zu stellen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Frage 103 des Abgeordneten Gansel soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978 9587
Vizepräsident Frau Funcke
Ich rufe Frage 104 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach der sowjetrussische Arbeiter Jewgeni Businnikow aus Weißrußland nur deswegen zu drei Jahren verschärfter Lagerhaft verurteilt worden ist, weil er Unzufriedenheit über die Lage der Arbeiter in der UdSSR geäußert, westliche Rundfunksendungen gehört und Briefe an Dissidenten geschrieben hat, und hält die Bundesregierung bejahendenfalls ein solches Vorgehen für vereinbar mit den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen, die auch für die UdSSR verbindlich sind?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, ich gehe davon aus, daß Sie auf den in der „Welt" vom 1. Dezember 1978 veröffentlichten Brief des sowjetischen Staatsbürgers Viktor Nekipelow Bezug nehmen, den dieser an „amnesty international" gerichtet hat. Dem Auswärtigen Amt liegen hierzu keine weiteren Informationen vor. Das gilt auch für unsere Botschaft in Moskau, die in dieser Angelegenheit sehr gründlich recherchiert hat.
Die Bundesregierung sieht sich daher zur Zeit nicht in der Lage, sich zu dem Fall zu äußern. Sie wird sich weiter um Informationen bemühen und Sie dann auch gern davon unterrichten.
Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich Frage 105 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Was wird die Bundesregierung unternehmen, um der neuesten Verhaftungswelle in der UdSSR gegen Angehörige freier Gewerkschaften und andere Arbeiter auf diplomatischer Ebene entgegenzuwirken?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung nutzt sowohl auf der bilateralen als auch auf der multilateralen Ebene jede sich bietende Gelegenheit, für die weltweite Verwirklichung der Menschenrechte einzutreten. Zu diesen Rechten und Grundfreiheiten gehört auch das Recht eines jeden, zur Förderung und zum Schutz seiner wirtschaftlichen und sozialen Interessen Gewerkschaften zu bilden oder einer Gewerkschaft seiner Wahl beizutreten, was im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 in Art. 8 Abs. 1 a) verankert ist. Die Bundesregierung wird wie bisher auch im Rahmen des KSZE-Prozesses für die Einhaltung dieser Grundrechte des einzelnen eintreten.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, können Sie mir sagen, bei welcher konkreten Gelegenheit — etwa im Rahmen der KSZE-Folgegespräche in Belgrad oder bei anderen Anlässen — die Bundesregierung im Gespräch mit der sowjetischen Regierung auf die Verletzung gerade dieses wichtigen Grund- und Menschenrechts hingewiesen und die Sowjetunion gebeten hat, von den ständigen Verhaftungen solcher Gewerkschafter Abstand zu nehmen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, es ist, glaube ich, hier im Deutschen Bundestag wiederholt festgestellt worden, daß im Verlaufe des Belgrader Nachfolgetreffens, bei den Besuchen von
Generalsekretär Breschnew und bei allen Konsultationen alle Menschenrechtsfragen, die Frage des Rechts der Bildung von und der Mitgliedschaft in Gewerkschaften inbegriffen, angesprochen worden sind.
Eine Zusatzfrage.
Darf ich dann, noch etwas konkretisierend, fragen: Frau Staatsminister, hat die Bundesregierung in jüngster Zeit Bemühungen unternommen, um den gleich im Januar dieses Jahres verhafteten ersten Vorsitzenden der in Moskau gebildeten Gewerkschaft, Klebanow, aus der Haft freizubekommen, und gegebenenfalls wann?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, über einen konkreten Einzelfall kann ich Ihnen jetzt aus dem Handgelenk keine Antwort geben. Ich werde das aber gern nachholen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 106 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, es sei derzeit „eine Irreführung oder Selbsttäuschung, noch von ,Wiedervereinigung' zu sprechen", oder ist sie nicht vielmehr weiterhin im Sinne des Verfassungsauftrags, „die nationale und staatliche Einheit zu wahren", in Gegenwart und Zukunft stetig auch in ihrer Außen- politik bemüht, mit dem ganzen politischen und wirtschaftlichen Gewicht der Bundesrepublik Deutschland und mit friedlichen Mitteln „die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden"?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, mir ist nicht bekannt, auf welche Quelle Sie sich bei Ihrem Zitat beziehen. Im übrigen darf ich feststellen, daß es das politische Ziel der Bundesrepublik Deutschland bleibt, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Der Bundesminister des Auswärtigen hat dieses Ziel wiederholt bei wichtigen internationalen Anlässen, zuletzt in seiner Rede vor der 33. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York am 26. September dieses Jahres, ausdrücklich bekräftigt.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, Sie haben mich ja nach der Quelle gefragt. Es' geht darum, daß ein führender Repräsentant einer deutschen politischen Partei vor einem illustren Publikum an einer der größten amerikanischen Universitäten die Aussage macht, daß heute von der Wiedervereinigung zu sprechen eine Irreführung oder Selbsttäuschung wäre. Halten Sie das für förderlich im Sinne der Außenpolitik aus einem Guß, die Herr Staatssekretär van Well im Parlament vertreten hat?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, das Zitat von Herrn Bahr, das Sie hier anführen, ist nach meiner Erinnerung vollständig aus dem Zusammenhang gerissen, und die Äußerung ist so auch nicht gefallen. Ich bin gern bereit,
9588 Deutscher Bundestag-- 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücher
Ihnen den vollen Wortlaut der Rede zuzusenden, damit Sie sich überzeugen können, daß Ihre Interpretation mit dem Gesagten nicht übereinstimmt.
Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, da Sie das Zitat bezweifeln, darf ich Sie fragen, ob Sie an-angesichts der Verlesung des Zitats aus dem Presse-Service der SPD vom 30. November 1978 — mit Sperrfrist 22.00 Uhr — noch einmal meine Frage beantworten würden, die ich vorher gestellt habe. Es heißt da wörtlich:
Nach einer Generation der Teilung am Vorabend des 30. Jahrestages der Gründung der Bundesrepublik Deutschland, die damit doppelt so alt geworden sein wird wie die Weimarer Republik, ist es eine Irreführung oder Selbsttäuschung geworden, noch von Wiedervereinigung zu sprechen.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, jetzt muß ich das Zitat fortsetzen, weil Sie es leider wieder aus dem Zusammenhang gerissen haben.
— Herr Kollege, das werde ich Ihnen ersparen.
— Obgleich es sich bei Herrn Bahr nicht um ein Mitglied der Bundesregierung handelt — Herr Kollege, das möchte ich ausdrücklich betonen —, glaube ich, daß wir hier den Ausführungen von Herrn Bahr Gerechtigkeit widerfahren lassen müssen. Ich lese deshalb den anschließenden Satz vor, der Sie doch davon überzeugen muß, daß die auseinandergerissene Zitierung einen völlig falschen Eindruck erweckt.
Ich fahre jetzt also in dem Zitat fort:
Das gibt es nicht mehr, das ohne Mitwirkung der Deutschen künstlich Auseinandergerissene wieder zusammenzufügen. Da aber das Ziel bleibt, ist die Einheit Deutschlands nur als historischer Prozeß denkbar, eingebettet in die Entwicklung zwischen Ost und West, mehr das Ergebnis neuer Faktoren als alter Ansprüche.
Zu einer Frage, Herr Abgeordneter Jäger.
Frau Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß allein das Hinausschieben dieser Frage — Sie haben das Zitat ja gerade ergänzend verlesen — auf einen sehr fernen historischen Zeitraum und die Qualifizierung des Begriffs „Wiedervereinigung" als eine Täuschung geeignet ist, die Politik und die Aussagen des Bundesministers des Auswärtigen bei vielen, die so etwas lesen, unglaubwürdig zu machen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, bei denjenigen, die das richtig lesen, kann diese Meinung nicht auftreten.
Zu einer Frage Herr Abgeordneter Hupka.
Frau Staatsminister, in dem von Ihnen in der Fortsetzung verlesenen Zitat steht etwas von „künstlich Auseinandergerissenem". Würden Sie mir darin zustimmen, daß es nicht künstlich, sondern gewaltsam geschehen ist?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich glaube, das war die Folge des verlorenen Krieges.
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 107 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Hält sich die Bundesregierung angesichts des Wahrungs- und Wiedervereinigungsgebots des Grundgesetzes von Verfassungs wegen für. verpflichtet, die verbündeten Mächte an den wesentlichen friedlichen Zielen des Deutschlandvertrags als fortbestehendem Vertragsanspruch festzuhalten, ,ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik Deutschland besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist", zu verwirklichen , wobei „die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung aufgeschoben werden muß" (Artikel 7 Abs. 1), und welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung zu ergreifen, um diese Rechtsverpflichtung stärker in das Bewußtsein breiter deutscher Bevölkerungsschichten und mit Hilfe der Verbündeten ins Bewußtsein ihrer Bürger und ihrer Administration zu bringen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, die Drei Mächte und die Bundesrepublik Deutschland bleiben durch den Deutschland-Vertrag — hier insbesondere durch Art. 7 — nach wie vor •vertraglich verpflichtet. Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß die Drei Mächte nach wie vor zu -den für sie aus dem Vertrag resultierenden Verpflichtungen stehen. Es besteht für die Bundesregierung kein Anlaß, die Drei Mächte an ihre Verpflichtungen aus dem Deutschland-Vertrag zu erinnern. Die besondere Lage in Deutschland findet bei den mit der Bundesrepublik Deutschland verbündeten Mächten volles Verständnis. Ihre Unterstützung des Selbstbestimmungsrechts der Deutschen gründet sich auf dasselbe demokratische und moralische Selbstverständnis, in dem auch unsere Politik wurzelt.
Unsere Partner im Nordatlantischen Bündnis haben dem im Brief zur deutschen Einheit verankerten nationalen Ziel in einer feierlichen Form am
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978 9589
Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücher
8. Dezember 1972 in Brüssel ihre Unterstützung erklärt. Ich möchte diese Erklärung hier nicht neuerlich vorlesen. Die eindrucksvolle Passage des NATO-Kommuniqués aber, in dem dies festgehalten ist, hat die Bundesregierung der Öffentlichkeit in vielfältiger Form und wiederholt zugänglich gemacht.
Insgesamt kann ich Ihnen versichern, daß das politische Ziel der Bundesrepublik Deutschland in bezug auf die nationale Frage von der Bundesregierung bei jedem sich bietenden Anlaß im In- und Ausland in das Bewußtsein der politischen Öffentlichkeit gerückt wird.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, sehen Sie nicht doch gewisse Notwendigkeiten, insbesondere auch hinsichtlich anderer Standpunkte des Ostblocks, öfter und vorrangiger — im In- und Ausland — auf alle Rechtsverpflichtungen und wesentlichen Ziele des Deutschland-Vertrages, bei denen es sich ja nicht, wie es hier soeben zitiert wurde, um alte Ansprüche handelt, hinzuweisen, und sehen Sie nicht Möglichkeiten, das Bewußtsein hinsichtlich der Verpflichtungen unserer Bündnispartner in dieser Hinsicht in der deutschen Öffentlichkeit zu stärken?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, da ich Ihnen soeben dargelegt habe, daß dies immer wieder geschieht, und da kein Grund zu der Annahme besteht, daß unsere Bündnispartner diese Forderungen nicht weiter unterstützen und ihren Verpflichtungen nicht treu bleiben, sehe ich keine Veranlassung, hier etwas Zusätzliches zu tun.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja, bitte schön.
Beabsichtigt die Bundesregierung nicht auch, insbesondere nach den öffentlichen Erklärungen des Herrn amerikanischen Botschafters im Hotel Bristol vor einigen Monaten, mit der verbündeten amerikanischen Regierung und den anderen verbündeten Regierungen der Deutschland-Vertrags-Staaten zu erörtern, wie das Bewußtsein bezüglich der betreffenden Vertragsverpflichtungen für Deutschland als Ganzes in der Bevölkerung auch der Vertragspartner stärker präsent gemacht werden könnte, wovon der amerikanische Botschafter gesagt hat, daß es der Anstrengung der Deutschen und Amerikaner wert sei, dies zu tun?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, ich habe meinen zweimal wiederholten Antworten nichts hinzuzufügen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Frau Staatsminister, da Sie davon sprechen, daß die Bundesregierung das sehr häufig tue, nämlich die Information der Öffentlichkeit auch unserer Verbündeten zu verbessern, sind Sie doch sicherlich in der Lage, mir ein paar konkrete Beispiele dafür zu nennen, bei welchen Gelegenheiten das in dem letzten halben Jahr geschehen ist?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, ich will jetzt keine falschen Daten nennen. Ich kann hier auch keine konkreten Anlässe anführen. Aber ich glaube, daß man in einem Bündnis davon ausgeht, daß der Partner zu seinen Verpflichtungen steht. Ich wiederhole noch einmal: Wir haben überhaupt keinen Anlaß, daran zu zweifeln. Und dann ist es wohl nicht gut, immer wieder solche Dinge zu wiederholen, weil das nämlich unter Umständen einen gegenteiligen Effekt haben könnte.
Keine Zusatzfrage? — Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes beantwortet. Ich danke Ihnen, Frau Staatsminister.
Ich rufe nunmehr die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Sperling zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Wuwer auf. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 87 und 88 werden auf Bitte des Fragestellers, des Abgeordneten Dr. Schöfberger, ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 89 des Herrn Abgeordneten Müller auf:
Hat sich nach Ansicht der Bundesregierung die jetzige SollVorschrift, nach der bei öffentlichen Bauten 0,5 bis 2 v. H. der Kosten für Kunst am Bau zu verwenden sind, bewährt, oder werden Überlegungen angestellt, diese Regelung in eine MußVorschrift umzuwandeln, um so die bildenden Künstler in der Bundesrepublik Deutschland, von denen nach dem Künstlerbericht der Bundesregierung 3h weniger als das Existenzminimum verdienen, besser zu fördern?
Bitte schön.
Herr Kollege Müller, nach den Richtlinien für die Durchführung von Bauaufgaben des Bundes im Zuständigkeitsbereich der Finanzbauverwaltungen ist die Beteiligung bildender Künstler zwingend vorgeschrieben. Die Regelung, bis zu 2 % der Kosten des Bauwerks für Aufträge an bildende Künstler vorzusehen, soweit Zweck und Bedeutung der Baumaßnahme dieses rechtfertigen, hat sich bewährt. Daher ist eine Änderung dieser Regelung nicht erforderlich. Ich gehe davon aus, daß die Länder für den Länderbereich entsprechend verfahren.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung durch die Schaffung des Ergänzungsfonds für zusätzliche Aufträge an bildende Künstler zur künstlerischen
9590 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Parl. Staatssekretär Dr. Sperling
Ausgestaltung von Baumaßnahmen des Bundes seit dem Haushaltsjahr 1977 eine weitere Möglichkeit zur Förderung bildender Künstler eröffnet.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 90 des Herrn Abgeordneten Müller auf:
Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, den Bauträgern bei kleineren Bauten die Möglichkeit zu eröffnen, die an sich pro Projekt zu verwendende Summe für Kunst am Bau anzusparen, um mit diesen Mitteln einen größeren Auftrag finanzieren zu können?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat keine Möglichkeit der Einflußnahme hinsichtlich der Verwendung der Mittel für Kunst am Bau außerhalb ihres eigenen Zuständigkeitsbereiches. Im eigenen Bereich können auf Grund des Haushaltsrechts des Bundes grundsätzlich die im Einzelfall veranschlagten Mittel für Kunst am Bau nicht von der Maßnahme selber getrennt werden. Daher ist eine objektunabhängige Zusammenfassung entsprechender Mittel nicht möglich.
Für kleinere Projekte kann bei Maßnahmen des Bundes der in meiner Antwort zu der soeben gestellten Frage 89 angesprochene Ergänzungsfonds in Anspruch genommen werden.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 91 des Herrn Abgeordneten Meininghaus auf:
Welche Informationen hat die Bundesregierung über die Art der' Zusammenarbeit von Wohnungsgesellschaften mit Mieterinitiativen, Mieterräten usw., die sich auf Eigeninitiative der Mieter oder auf Veranlassung der Wohnungsgesellschaften gebildet haben, und welche Ergebnisse darüber sind in der Bundesregierung bekannt?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, ich würde gern die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten im Zusammenhang beantworten.
Einverstanden. Ich • rufe dann auch die Frage 92 auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, eine rechtliche Grundlage für die Bildung von Mieterbeiräten in Wohnanlagen ab einer bestimmten Größenordnung zu schaffen, uni eine Mietermitwirkung und -mitbestimmung zu ermöglichen?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Meininghaus, die Bundesregierung hat nur wenig Informationen über Mieterzusammenschlüsse von der Art, wie sie in Ihrer Frage angesprochen worden sind. Diese nur geringen Informationen lassen keinen Schluß darauf zu, daß eine gesetzliche Regelung etwa für eine solche Mieterinteressenvertretung nötig wäre. Die Bundesregierung ist auch nicht sonderlich daran interessiert, unbedingt Gesetze zu erlassen, und sie ist der Auffassung, es müßten eigentlich die Mieter größerer Wohnanlagen durchaus die Chance haben, ihre Interessenvertretung zu bilden, und die Vermieter müßten geneigt sein, eine solche Interessenvertretung im Beratungsverfahren ernst zu nehmen. Sollte sich dies in vielen Fällen als falsche Auffassung und Hoffnung darstellen, würde die Bundesregierung ihren Standpunkt neu überdenken müssen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, haben Sie denn auch keine Erkenntnisse darüber, welche Bedeutung Mieterinteressengemeinschaften oder gewählte Vertrauensleute der Mieter bei den bekanntgewordenen Wohnungsspekulationskäufen im Rahmen der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in Hamburg, aber auch in anderen Bundesländern, für die Interessenwahrnehmung der Mieter haben?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Meininghaus, für diesen Problembereich, mit dem wir es gegenwärtig zu tun haben, haben wir in der Tat keine Erkenntnisse, was solche Mieterzusammenschlüsse einzelner großer Mietobjekte angeht. Allerdings wissen wir, daß sich eine erhebliche Zahl von Mietervereinen um jene Mieter kümmert, die in kleineren Objekten wohnen und für die durch solches Ankaufen und Verdrängen Probleme entstanden sind.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie dann bitte zur Kenntnis nehmen, daß Mieterinitiativen in der Kommunikation mit den Vermietern eine schwache rechtliche Verhandlungsposition haben, wenn sich diese nämlich auf ihr Vertragsverhältnis mit jeden einzelnen Mieter berufen und die gewählten Sprecher der Mieter ablehnen, und wäre es nicht aus diesem Grunde ratsam, dieser Angelegenheit doch etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Meininghaus, Sie haben sicher recht. Wenn wir Informationen bekommen, daß Vermieter eine gewählte Interessenvertretung ihrer eigenen Mieter ablehnen, werden wir zu erwägen haben, wie ihnen eine bessere rechtliche Grundlage gegeben werden kann. Insofern sind wir für Hinweise und Informationen dankbar.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, wären Sie so freundlich, dem Kollegen Meininghaus zu bestätigen, daß Sie in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage gerade zum Ausdruck gebracht haben, daß der Mieterschutz im großen und ganzen ausreichend sei, daß es aber in den Städten Berlin und Hamburg an der Aufklärung der Mieter und Vermieter über ihre Rechte fehle?
Dr. Sperling, Parl. Staatssekretär: Das ist in der Tat so. Nur sehe ich den Zusammenhang mit der Frage des Kollegen Meininghaus nicht.
Keine weitere Zusatzfrage. — Damit sind die Fragen aus diesem Ge-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978 9591
Vizepräsident Frau Funcke
schäftsbereich beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Sperling.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Höhmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 93 des Herrn Abgeordneten Schmöle auf:
Treffen Berichte zu, daß weder das Bundespresse- und Informationsamt noch das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen Informationsmaterial in englischer, französischer oder deutscher Sprache über die Zustände und menschlichen Schicksale an der innerdeutschen Grenze zur Verfügung haben?
Frau Präsidentin, ich bitte, die Fragen 93 und 94 im Zusammenhang beantworten zu dürfen.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 94 des Herrn Abgeordneten Schmöle auf:
Wenn ja, ist die Bundesregierung bereit, neben den sonstigen zahlreichen Informationsschriften in Kürze auch zum oben genannten Bereich eine Broschüre herauszugeben?
Höhmann, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Schmöle, der Bundesregierung sind derartige Berichte nicht bekannt, wie sie in Ihren Fragen angesprochen sind. Sollte es solche geben, so treffen sie nicht zu. Informationen über die innerdeutsche Grenze und über innerdeutsche Probleme sind in verschiedenen Publikationen enthalten, die vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen herausgegeben werden. Dazu gehören auch Publikationen in Fremdsprachen.
Über die Informationstätigkeit der Bundesregierung mit fremdsprachigen, für den Auslandseinsatz bestimmten Veröffentlichungen hat das Bundespresse- und Informationsamt im übrigen auf eine entsprechende Anfrage des Herrn Kollegen Dr. Hupka am 30: September 1976 umfassend geantwortet. Ich darf auf diese Antwort verweisen. Diese Informationstätigkeit wird im selben Umfang fortgeführt.
Diese Publikationen verschiedenster Art sind aber nur e i n Mittel der Information. Außerdem stehen Filme, Diaserien, Ausstellungen zur Verfügung. Darüber hinaus werden Reisen an die Demarkationslinie weitgehend gefördert, damit auch ausländische Gruppen einen Eindruck von der Grenze selbst bekommen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, mir eine kurze Zusammenstellung der Publikationen in ausländischer Sprache zukommen zu lassen, damit Fragesteller eventuell von mir auch entsprechend informiert werden können?
Höhmann, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das tun wir gerne.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 95 des Abgeordneten Gerster wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus diesem Geschäftsbereich beantwortet. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Höhmann.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Alle drei Fragen aus diesem Geschäftsbereich — die Fragen 96 und 97 des Abgeordneten Wüster sowie die Frage 98 des Abgeordneten Thüsing — werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Wie vorher bekanntgegeben, wird die Sitzung unabhängig von der Zeit, die die Fragestunde ursprünglich in Anspruch nehmen sollte, unmittelbar fortgesetzt.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zum Jahresbericht 1977 des Wehrbeauftragten
— Drucksachen 8/1581, 8/2224 — Berichterstatter:
Abgeordneter Ernesti Abgeordneter Horn
Die Aussprache über diesen Tagesordnungspunkt ist am 17. November 1978 unterbrochen worden; sie wird jetzt fortgesetzt.
Das Wort zur Aussprache hat Herr Dr. Geßner.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich dem Herrn Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeitern sehr herzlich für den vorgelegten Bericht danken. Sowohl Zahl als auch Offenheit der Eingaben zeigen, welch hohes Vertrauen die Angehörigen der Bundeswehr in den Wehrbeauftragten setzen. Ich habe den Eindruck, daß diese Institution des Parlaments immer stärker in das Bewußtsein der Soldaten rückt. Ich halte das für eine außerordentlich gute Entwicklung; denn ich bin mir voll bewußt, daß die Bundeswehr nie ganz frei von Konflikten werden wird. Mir scheint, das dürfte wohl das Schicksal aller Armeen auf dieser Erde sein. Deswegen wird in der Bundesrepublik auch nie eine Situation eintreten, in der die Einrichtung des Wehrbeauftragten überflüssig werden könnte.
Der Bericht, den wir heute erörtern, ist ausgewogen und bezeugt ein hohes Maß an Verantwortungsbewußtsein. Ich habe das untrügliche Gefühl, Herr Wehrbeauftragter, daß die Eingaben und Beschwerden an Sie in gute und hilfreiche Hände kommen.
Daher habe ich mich außerordentlich gefreut, daß auch der Kollege Ernesti als Sprecher der Opposition in seinem letzten Debattenbeitrag dem Wehrbeauftragten gedankt und dem Bericht Zustimmung gezollt hat, und zwar mehrfach sowie zu unterschied-
9592 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Dr. Geßner
lichen Punkten. In bezug auf die ursprünglich vorgesehenen Maßnahmen bezüglich der neuen Wehrstruktur und des Heeresmodells stellt er beispielsweise fest, der Wehrbeauftragte habe die vom Verteidigungsausschuß veranlaßte Prüfung, bei der den mit den Modellversuchen aufgetretenen Problemen im Bereich der Inneren Führung nachgegangen werden sollte, voll erfüllt.
Allerdings — dies muß hier deutlich herausgestellt weden —: Diese positive Erklärung, die ich soeben stellvertretend genannt habe, steht im Widerspruch zu einer anderen. Mich hat außerordentlich betroffen gemacht, was Herr Kollege Ernesti in einer Stellungnahme im Pressedienst seiner Partei vom 13. April dieses Jahres ausgeführt hat. Wenn es dort diesen Jahresbericht als eine „lustlose Pflichtübung" bezeichnet und verlangt, „endlich einen umfassenden und ungeschminkten Bericht über die Probleme und den Zustand der Bundeswehr vorzulegen", so nimmt er damit eine Wertung vor, die von bewußter Unsachlichkeit Zeugnis ablegt. Ich kann mir offengestanden nicht vorstellen, daß dies tatsächlich die Auffassung des Kollegen Ernesti sein sollte. Beide konträren Stellungnahmen liegen noch immer auf dem Tisch: einerseits Zustimmung mit Dank, andererseits die Unterstellung einer „lustlosen Pflichtübung". Wenn man beide Bewertungen zueinander in Beziehung setzt, so kommt man zu einem höchst amüsanten Ergebnis. Wir erleben hier nämlich den seltsamen Fall, daß jemand zu einer von ihm beklagten lustlosen Pflichtübung danke schön sagt.
Es wäre für den Fortgang der Diskussion über die Bundeswehr sehr hilfreich, zu wissen, woran man eigentlich bei der Opposition in bezug auf den Bericht des Wehrbeauftragten tatsächlich ist. Dies ist keine formale Frage, um die es hier geht. Sie ist
vielmehr inhaltlicher Natur. Auf der einen Seite erklärt Kollege Ernesti, der Jahresbericht spiegele die Situation der Bundeswehr aus dem Jahre 1977 wider; andererseits fordert er in dem besagten Pressedienst, „endlich einen umfassenden und ungeschminkten Bericht über die Probleme und den Zustand der Bundeswehr" vorzulegen.
Er fährt dann wörtlich fort: „Dieser Aufforderung ist der Wehrbeauftragte wiederum leider nicht nachgekommen."
Niemand wird in Abrede stellen können, daß sich zwei höchst unterschiedliche Bewertungen gegenüberstehen. Welche der beiden ist denn nun eigentlich die gültige Stellungnahme der Opposition? Das möchte ich gern einmal wissen.
Sollte es so sein, daß die eine mehr für den innerparteilichen Hausgebrauch, die andere mehr für das Parlament ist?
•
Wie dem auch sei: Ich glaube, der Herr Kollege Ernesti täte gut daran, sich von seinem damaligen
Beitrag im Pressedienst seiner Partei zu distanzieren.
— Nein, nicht daß wir das wüßten.
— Sie können das ja hier vor dem Parlament ausbreiten.
Ich füge hinzu: Auch der Wehrbeauftragte hat Anspruch auf eine eindeutige Stellungnahme zu seinem Bericht seitens der Opposition.
Auch diesmal wird, wie bereits angedeutet, offenkundig, daß sich jedes Jahr eine große Zahl von Angehörigen der Bundeswehr rat- und hilfesuchend an den Wehrbeauftragten wendet. Dies veranlaßt mich, eine Bemerkung zu den Befugnissen zu machen. Ich bin der Auffassung, daß das Parlament den Wehrbeauftragten mit den rechtlichen Befugnissen ausstatten sollte, die der Petitionsausschuß durch Gesetz vom 19. Juli 1975 bereits zugesprochen erhalten hat.
Der Wehrbeauftragte ist ja auch eine Petitionsinstanz, nämlich eine spezialgesetzliche für den Soldaten.
Insbesondere denke ich hierbei an die Verankerung eines Anhörungsrechts gegenüber dem Petenten sowie Zeugen und Sachverständigen, so wie es in § 4 des Gesetzes über die Befugnisse des Petitionsausschusses bereits normiert worden ist. Im Rahmen einer Novellierung des Wehrbeauftragtengesetzes, die nach einhelliger Auffassung des Verteidigungsausschusses noch in dieser Wahlperiode vorgenommen werden sollte,
sollte diese Angleichung ernsthaft erwogen werden. Ich füge als historische Reminiszenz hinzu: In der 7. Wahlperiode hatte der Verteidigungsausschuß in seinem Vorschlag zur Novellierung des Wehrbeauftragtengesetzes einstimmig empfohlen, dem Wehrbeauftragten ein Anhörungsrecht gegenüber dem Petenten sowie Zeugen und Sachverständigen zuzubilligen. Es muß unser Bestreben sein, die für unseren Staat insgesamt wertvolle Tätigkeit dieses Hilfsorgans des Parlaments zu erleichtern. Es ist nun an der Zeit, daß der zitierte Beschluß des Verteidigungsausschusses nunmehr endlich durch eine entsprechende gesetzliche Ergänzung in die Tat umgesetzt wird.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978 9593
Dr. Geßner
Mein Kollege Horn hat sich bereits mit einigen Bereichen der Inneren Führung befaßt. Ich möchte seine Ausführungen etwas ergänzen.
Ich will nicht in Abrede stellen, daß auch die Opposition stets die Notwendigkeit politischer Bildung anerkannt hat. Dies steht außer Zweifel. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. In manchen Diskussionen wurde allerdings immer wieder deutlich, daß sie der sogenannten fachlichen Ausbildung einen derartigen Vorrang vor der politischen Bildung einräumt, daß für diese eben nur noch wenig Raum übrigbleibt. Offenkundig wurde dies beispielsweise bei der Frage, welchen Part das gesellschaftswissenschaftliche Anleitstudium in den Ausbildungsgängen unser Bundeswehrhochschulen spielen solle. Die Opposition verkennt, daß — um bei diesem Beispiel zu bleiben — fachliche Ausbildung und gesellschaftspolitische Kenntnisse eine sich gegenseitig ergänzende Einheit bilden müssen. Denn es steht ja außer jedem Zweifel, daß die Gesamtbildung dieser Offiziere für den Standard der Inneren Führung in der Bundeswehr von Bedeutung ist. Wenn es der Opposition mit der Verbesserung der Inneren Führung ernst ist, dann sollte sie sich in dieser Beziehung endlich zu einem Sinneswandel durchringen.
Zu den Hindernissen, die nach meiner Überzeugung optimaler Innerer Führung entgegenstehen, gehört das hohe Maß an Bürokratie, dem sich beispielsweise Kompanieführer gegenübersehen. Sollte es nicht möglich sein, diesen Zustand zu ändern, so werden alle Bemühungen, die politische Bildung zu verbessern, sehr bald an ihre eigenen Grenzen stoßen. Denn die Beachtung einer riesigen Zahl von Vorschriften ist für jeden Kompanieführer mit einem hohen Aufwand an Kraft und Zeit verbunden. Es gibt genug Beispiele, die belegen, daß durch diese Situation die politische Bildung oft genug auf der Strecke geblieben ist. Ich kann keinen perfekten Lösungsvorschlag anbieten. Vielleicht läge eine Möglichkeit darin, weniger als bisher alles durch Vorschriften zu regeln und den Kompanieführern mehr Entscheidungsfreiraum einzuräumen. Mir kam es im Rahmen dieser Debatte vor allem darauf an, auf diesen mißliebigen Punkt hinzuweisen.
Ich möchte mich nun dem Thema der Inneren Führung unter einem anderen Aspekt zuwenden. Im Bericht des Wehrbeauftragten wird unterstrichen, Innere Führung werde in beträchtlichem Maß durch Fürsorge und Betreuung praktiziert. Ich schließe mich dieser Einsicht vollinhaltlich an. Darüber hinaus bin ich jedoch der Auffassung, daß die Qualität der Inneren Führung auch mit der Verteidigungskraft der Bundeswehr in Zusammenhang steht. Ich halte diese innere Linie für unaufhebbar. Es ist eben ein Irrtum, zu glauben, die Verteidigungsfähigkeit sei ausschließlich eine Sache der Waffenqualität, der Ausbildung oder beispielsweise der Infrastruktur. Sie hängt in außerordentlichem Maß auch davon ab, daß in der Truppe selbst soziale, psychologische, berufliche und andersartige Spannungen tunlichst vermieden werden müssen. Wenn sie vorhanden sind, gilt es, sich ihrer Beseitigung tatkräftig anzunehmen. Nicht jede Unruhe ist heilsam. Ich kann mir nicht gut vorstellen, daß die Kampfmoral einer
Truppe zur Verteidigung optimal ist, wenn größere oder kleinere Gruppen oder wenn sich Bundeswehrangehörige in größerer Zahl als Einzelpersonen ungerecht behandelt fühlen. Dazu möchte ich vier Anmerkungen machen. Erstens. Man kann es natürlich nicht jedem recht machen, und nicht jede Klage ist berechtigt. Zweitens. Zum Staatsbürger in Uniform gehört auch eine Portion Zivilcourage. Drittens. Fürsorge und Betreuung in der Bundeswehr haben heute einen hohen Stand erreicht, und ich warne davor, die Bundeswehr insgesamt pauschal in ein schiefes Licht zu rücken. Viertens. Der Bericht des Wehrbeauftragten enthält allerdings eine Fülle von Beispielen, die unterstreichen, daß im Bereich der Fürsorge und damit gleichzeitig in der Inneren Führung beachtliche Mängel vorhanden sind, deren Beseitigung tatkräftig angestrebt werden muß.
Wenn z. B. Soldaten in mehreren Verbänden den unzulässigen Befehl erhalten, ihren Erholungsurlaub zu einer festgelegten Zeit zu nehmen, so fordert dies geradezu zur Kritik heraus. Die Rechtslage wurde in der Truppe offenbar nicht immer eindeutig erkannt. Es lassen sich andere Beispiele finden, die in diese Richtung zielen. Ich empfehle daher dem Minister für Verteidigung, mehr als bisher dafür Sorge zu tragen, daß rechtliche Unklarheiten möglichst vermieden werden. Sie führen nicht nur zu Unsicherheit in der Truppe allgemein, sie provozieren geradezu das Gefühl einer ungerechten Behandlung, und dies tut der Bundeswehr ganz gewiß nicht gut.
Wie notwendig das ist, beweist ein anderes Beispiel. Ich meine die Unklarheiten und rechtlichen Unsicherheiten, die bei der Beurteilung der Teilnahme von Soldaten in Uniform an Veranstaltungen von Berufsorganisationen bedauerlicherweise vorhanden sind. Bereits im Jahresbericht 1975 war angeregt worden, diesen Bericht zu überprüfen. Der Bundesminister der Verteidigung hat dies in seiner Stellungnahme zunächst auch zugesagt. Wenngleich in den Auschußberatungen über den zitierten Bericht die Bedenken des Verteidigungsausschusses gegen den Vorschlag wohl überwogen, so hat die Vergangenheit leider gezeigt, daß die Probleme noch nicht vom Tisch sind. Ich frage mich, ob der Bundesminister der Verteidigung diesem Fragenkreis mit der vom Verteidigungsausschuß 1976 geforderten Aufmerksamkeit tatsächlich nachgegangen ist; denn mir ist nicht ersichtlich, wie die zwei verstrichenen Jahre genutzt worden sind, um die bestehende Rechtsunsicherheit bei der Ausführung dieses Erlasses zu beseitigen und eindeutige Kriterien für die Beurteilung zu setzen, wann bei einer Teilnahme von Soldaten in Uniform an bestimmten Veranstaltungen von Berufsorganisationen eine unerlaubte politische Betätigung im Sinne des § 15 des Soldatengesetzes vorliegt.
Ich greife daher den Vorschlag des Wehrbeauftragten aus dem Jahresbericht 1975 auf und empfehle zu überdenken, ob Soldaten das Tragen der Uniform bei Großveranstaltungen von Berufsorganisationen nicht generell verboten werden sollte. Ich will nicht verhehlen, daß mir die Erwiderung des Bundesverteidigungsministeriums, es werde geprüft, ob und in welcher Form der Erlaß geändert werden könne, sehr unbestimmt erscheint.
9594 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Dr. Geßner
Erfordert diese Sachlage schon eine baldige Korrektur, so halte ich in anderer Beziehung eine Verbesserung 'der Situation ebenfalls für unabweisbar. Ich meine die Unfälle im Wachdienst wegen unzureichender Ausbildung. Der Wehrbeauftragte hat den beklagenswerten Umstand hervorgehoben, daß diese Unfälle — ich zitiere — nicht selten darauf zurückzuführen waren, daß die Soldaten nur unzureichend für ihre Aufgabe ausgebildet und vorbereitet wurden. Er führt dann weiter aus, daß auch die in Nr. 922 der ZDV 10/6, Wachdienst der Bundeswehr, getroffene Regelung zur Verunsicherung der Wachsoldaten beigetragen habe. Ich habe für diesen Zustand keinerlei Verständnis. Sicherlich ist dem Verteidigungsministerium zuzustimmen, daß durch intensive Wachbelehrung und straffe Dienstaufsicht diesen Unfällen begegnet werden müsse. Das stimmt, dem wird man nicht viel hinzufügen können. Ich rege dennoch an, die Bedenken des Wehrbeauftragten in bezug auf die verunsichernde Wirkung der erwähnten Regelung seitens des Ministeriums noch einmal zu überprüfen.
Ich möchte nun Ihre Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt hinlenken, mit dem wir uns beschäftigen sollten. Der Wehrbeauftragte hat unter Bezugnahme auf einen Fall die Frage aufgeworfen, ob bei einer zu Unrecht vollzogenen verschärften Ausgangsbeschränkung eine Entschädigung gewährt werden müsse oder nicht. Zunächst möchte ich klarstellen, daß es dabei nicht um Erscheinungen in großer Zahl geht. Wenn ich dennoch darauf zu sprechen komme, dann deswegen, weil, wie mir scheint, hier ein Problem grundsätzlicher Natur zugrunde liegt. Denn immerhin zeigt das im Bericht erläuterte Beispiel, daß die Freiheit eines Gefreiten zu Unrecht eingeschränkt worden ist. Ich teile die Auffassung des Wehrbeauftragten, daß in diesen Fällen analog zu § 50 der Wehrdisziplinarordnung ein angemessener Ausgleich zuerkannt werden muß, zumal eine entsprechende Ergänzung der Wehrdisziplinarordnung ganz auf der Linie von Gesetzesbeschlüssen der jüngeren Zeit läge. Das Rechtsgut der persönlichen Freiheit hat zu viel Gewicht, als daß eine zu Unrecht erfolgte Beschränkung entschädigungslos bleiben könnte. Ich begrüße daher die Ankündigung des Bundesministers der Verteidigung, die Einbeziehung jeglichen zu Unrecht verbüßten Disziplinararrests werde zu einer erneuten Prüfung im Rahmen einer WehrdisziplinarordnungsNovelle vorgemerkt. Ich spreche die Erwartung aus, daß eine vernünftige Regelung getroffen werden wird.
Schließlich möchte ich noch auf einen Wunsch zahlreicher Wehrpflichtiger eingehen, der schon von vielen Kollegen im Hause vorgetragen worden ist. Es geht darum, den Wehrdienst möglichst in Heimatnähe ableisten zu können. Es ist natürlich absolut ausgeschlossen, allen diesen Wünschen zu entsprechen. Dies geht nicht. Dies näher zu begründen erübrigt sich auch, wie ich glaube. Der Wehrbeauftragte hat jedoch in seinem Bericht in bezug auf entsprechende Eingaben auf bestimmte Verschiebungen zwischen einzelnen Wehrbereichen aufmerksam gemacht. Sowohl dies als auch meine eigene Erfahrung bestärkt mich in der Auffassung, daß in dieser Beziehung einiges mehr im Sinne der Wehrpflichtigen getan werden kann. Ich verkenne dabei nicht die bisherigen Bemühungen der Wehrersatzbehörden um eine möglichst heimatnahe Verwendung. Zumindest sollten bei der Prüfung der Heimatnähe, dem Vorschlag des Wehrbeauftragten entsprechend, sowohl Verkehrsverhältnisse als auch Zeitaufwand für die Familienheimfahrt stärker als bisher berücksichtigt werden.
Ich habe einige Konfliktstoffe, die im Bericht des Wehrbeauftragten behandelt worden sind, zur Erörterung gestellt. Mir ging es dabei nicht etwa darum, die Bundeswehr pauschal abzuwerten. Vielmehr stand das Bewußtsein Pate, daß es zur Stärkung einer Demokratie gehört, kritische Punkte offen auszusprechen und für ihre Auflösung einzutreten. Diese Chance auszulassen hieße Verzicht auf das lebensnotwendige Element eines jeden demokratisch verfaßten Staates, nämlich Verzicht auf konstruktive Kritik. Ich weiß natürlich sehr wohl, daß auch die Bundeswehr in sich nie eine heile Welt werden wird. Doch ich füge hinzu: nicht alles ist so gut, daß es nicht noch besser werden könnte.
Das Wort hat Herr Ludewig.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! In den Aktivitäten des Verteidigungsministeriums haben die Themen Bewaffnung und Struktur über eine lange und, wie ich meine, fast allzulange Zeit im Vordergrund gestanden. Die Wichtigkeit von modernen Waffen und von Abschreckungskraft ist mir natürlich sehr wohl bewußt. Ich habe auch nicht den geringsten Zweifel daran, daß die Streitkräfte ihre Aufgabe in der Zukunft nur in einer Organisation und Struktur erfüllen können, die den Anforderungen der Zukunft gerecht wird.
Über diesen wichtigen Bemühungen dürfen wir aber den Menschen in der Bundeswehr nicht vergessen. Der Liberalismus hat immer und vordringlich Wert darauf gelegt, daß der Soldat als Mensch respektiert wird und daß seine persönliche Freiheit nur im notwendigsten Umfang eingeschränkt werden darf. Nur wenn der Soldat von der Notwendigkeit überzeugt ist, daß er als Bürger in Uniform für Freiheit und Recht, für ein menschenwürdiges Dasein einsteht, wird er die hohe Leistung erbringen, die die Gemeinschaft von ihm fordern muß.
Die Frage, ob unseren Soldaten wirklich klar ist, wofür ihr Einsatz gefordert wird, halte ich für ganz besonders wichtig. Ich meine allerdings, daß die erforderliche Aufklärungsarbeit in den in Frage kommenden Bereichen noch lange nicht in dem Umfang geleistet wird, wie es notwendig wäre. Die neuen Ansätze der Schule für Innere Führung werden das Niveau der politischen Bildung mit Sicherheit heben, so hoffe ich jedenfalls.
Die Probleme, die bei Truppenbesuchen immer wieder von Soldaten genannt werden, liegen im Bereich des Personalwesens und der Fürsorge.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978 9595
Ludewig
Der Wehrbeauftragte stellt in seinem Bericht fest, daß in den Streitkräften im Jahresdurchschnitt 45 bis 50 Wochendienststunden geleistet wurden, in einigen Verbänden regelmäßig über 60 Stunden. Damit bin ich bei den einzelnen Sachfragen. Ich sage gleich, daß dies für mich und für viele Soldaten, mit denen ich gesprochen habe, völlig unverständlich ist. In einer Zeit, in der die 40-Stunden-Woche tariflich durchgesetzt ist und in der die Gewerkschaften eine weitere Verkürzung der Arbeitszeit anstreben, ist eine derartige zeitliche Überbelastung der Soldaten durch den Dienst, ohne daß dafür ein Ausgleich erfolgt, z. B. in Geld, besser in Urlaub, in Freizeit, nicht statthaft. Das Verteidigungsministerium hat dazu erklärt, daß derzeit detaillierte Erhebungen angestellt würden und daß noch 1938 im Parlament ein Vorschlag des Verteidigungsministeriums zur Lösung dieses Problems vorgelegt werden solle.
Ich halte das für so wichtig, daß ich Herrn Minister Apel und seine Mitarbeiter sehr darum bitten möchte, diesen Termin, den sich das Ministerium selbst gesetzt hat, auch einzuhalten. Ich würde es außerdem nicht nur begrüßen, sondern für absolut unerläßlich halten, daß hier Vorschläge gemacht werden, die eine grundlegende Besserung des unhaltbaren Zustandes bringen. Gesellschaftspolitisch ist nicht hinnehmbar, daß die Soldaten auf Grund ihres Berufes von bestimmten positiven Entwicklungen in unserer Gesellschaft ausgenommen bleiben.
Nun verkenne ich keinesfalls die Schwierigkeit, dieses Problem zu lösen. Als Anregung für die anzustellenden Überlegungen möchte ich einmal das Thema der vernünftigen Dienstplangestaltung einbringen. Wenn wir in die Kasernen gehen und uns mit Soldaten unterhalten, dann hören wir nicht nur die ständigen Klagen über die Länge der Dienstzeit, sondern wir stellen gleichzeitig fest, daß die langen Dienstzeiten beileibe nicht so genutzt werden, wie dies erwartet werden müßte. Eine Untersuchung darüber, welchen Anteil an der Dienstzeit das Warten und das Gammeln haben, hätte sicher aufschlußreiche Ergebnisse, meine Herren. Die Bundeswehr sollte sich nicht scheuen, sich die Erfahrungen der freien Wirtschaft in der betrieblichen Planung zunutze zu machen.
Ein weiteres wichtiges Thema, das immer wieder Anlaß zu Sorgen und Beschwerden gibt, ist die Versetzungshäufigkeit. Auch hier teile ich voll und ganz die Auffassung unseres Wehrbeauftragten, daß die Personalbewegungen in den Streitkräften insgesamt immer noch zu stark sind. Wie er habe auch ich erhebliche Zweifel, ob die Versetzungshäufigkeit schon auf das wirklich erforderliche Maß eingeschränkt wurde, insbesondere bei älteren Unteroffizieren und Offizieren. Da dieses Thema wirklich immer wieder auftaucht, ist für mich die Erklärung des Verteidigungsministeriums hierzu unbefriedigend.
Sie besagt, daß die im Bundesministerium der Verteidigung vorhandenen Zahlen über Personalveränderungen zur Zeit keine genauen Schlüsse über die Zahl der Voraussetzungen Soldaten einer Laufbahngruppe oder über die Zahl der Versetzungen eines
einzelnen Soldaten zuließen. Ich wäre sehr dankbar, wenn die in Aussicht gestellte erneute Prüfung dieses Problems mit Vorrang durchgeführt würde und eine Verbesserung der hier vorliegenden unerfreulichen Zustände erreicht werden könnte. Meine sehr verehrten Damen 'und Herren, hier sind ja nicht die Soldaten allein betroffen. Es bleibt ja nicht beim Ärger im dienstlichen Bereich, wie ihn andere im beruflichen Bereich haben. Hier trifft es vielmehr die Familien. Die Frauen haben diese Soldaten meistens schon mit diesem Status geheiratet, aber die Kinder haben sich ihre Eltern nicht ausgesucht. Ich wiederhole deshalb meine Anregung, daß die Bundesregierung eine Initiative zur Annäherung der Schulsysteme in den Bundesländern unternimmt, um für Tausende von Soldatenkindern Chancengleichheit im Vergleich mit Kindern anderer Bürger zu erreichen.
Ich komme zu einem weiteren Thema, nämlich zum Verwendungs- und Beförderungsstau. Auch dort, wo der Wehrbeauftragte konkrete Vorstellungen entwickelt, wie dem Verwendungs- und Beförderungsstau entgegengewirkt werden könne, ist die Reaktion des Ministeriums für meine Vorstellungen nicht ausreichend. Der Wehrbeauftragte hat angeregt, in Betracht zu ziehen, die besonderen Altersgrenzen für Berufssoldaten wieder auf den Stand vor dem Inkrafttreten des Haushaltsstrukturgesetzes zu bringen. Der Verteidigungsminister hat sicher zu Recht darauf hingewiesen, daß eine solche Regelung auch Nachteile mit sich bringen würde. Ich bin aber der Meinung und unterstütze damit die Anregung des Wehrbeauftragten, daß dieser Frage noch einmal mit großer Sorgfalt nachgegangen werden sollte.
Ich darf nun ein paar Sätze über den Freiheitsraum des Soldaten, besonders des Wehrpflichtigen, in seinem Dienst sagen. Zu Beginn meiner Ausführungen sagte ich, daß ich es als Freier Demokrat für notwendig halte, daß dem Wehrpflichtigen während seiner Dienstzeit nur die Beschränkungen auferlegt werden, die der Dienst in den Streitkräften zwingend erfordert. Das Verteidigungsministerium sollte daher prüfen, inwieweit eine Erweiterung der Mitbeteiligungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten des Wehrpflichtigen beim Dienstbetrieb möglich ist. Entsprechende Vorschläge sind gemacht worden und in der Diskussion. Der freie Wille des jungen Bürgers sollte auch hinsichtlich von Art und Dauer des von ihm zu leistenden Dienstes soweit wie möglich berücksichtigt werden, z. B. dadurch, daß ihm grundsätzlich bei entsprechendem Wunsch auch eine zweijährige Dienstzeit ermöglicht wird.
Ein anderer Punkt: Die Lebensbedingungen der Soldaten in der Kaserne müssen einem zeitgemäßen Standard entsprechen. Die Auffassung des Wehrbeauftragten, daß die Unterbringungs- und die Betreuungssituation in der Bundeswehr insgesamt zufriedenstellend sei, vermag ich leider nicht zu teilen.
Auch seine Freizeit muß der Soldat in der Kaserne sinnvoll verbringen können. Die Bemühungen, die in diesem Bereich vom Verteidigungsministerium seit einigen Jahren verstärkt unternommen werden, finden weiterhin die volle Unterstützung der Freien Demokraten, vorausgesetzt — das muß ich aller-
9596 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Ludewig
dings dazu sagen —, daß hierbei nicht mittelständische Existenzen auf der Strecke bleiben, wie das schon einmal in Rede war.
Zwei weitere Hinweise möchte ich hier zu Protokoll geben. Sie gelten der psychologischen und der truppenärztlichen Betreuung. Die Vielfalt des Lebens und seine Schwierigkeiten kommen auf junge Wehrpflichtige oft zum erstenmal zu. Nicht immer ist der Einheitsführer zeitlich oder auch von der Anlage her bereit und in der Lage, die manchmal notwendige Hilfe zu leisten. Dazu fehlt ihm oftmals das Wichtigste, nämlich Zeit und Ruhe für ein solches Gespräch Der verstärkte Einsatz von Psychologen könnte hier wesentliche Entlastung bringen.
Über die ärztliche Betreuung macht der Herr Wehrbeauftragte nur eine kurze und zufriedene Bemerkung. Es müßte mir entgangen sein — aber ich schließe das nicht aus und würde mich sehr freuen —, wenn sich hier tatsächlich Wesentliches verbessert hätte. Vor Jahren habe ich mich mit einem Todesfall in Lüneburg beschäftigt. Ein Rekrut war beim Waldlauf an Herzversagen gestorben. Man mußte vermuten, daß der Arzt den Herzfehler bei der Untersuchung übersehen hatte; dieser Herzfehler muß auch bei der Einstellungsuntersuchung und bei der Musterung übersehen worden sein. Aber auch Einwände des jungen Mannes selbst müssen abgetan worden sein. Der junge Mann war tot. Der Fall blieb ungeklärt. Die Eltern wollten nichts unternehmen. Sie wollten keine Nachforschungen anstellen, denn sie hatten Angst, Ärger zu bekommen. Sie sagten mir, als ich mich bei ihnen erkundigte, was sie denn nun tun wollten: „Der Junge, unser Sohn, ist tot. Eine Anklage, eine Untersuchung macht ihn auch nicht lebendig." Sie wußten aber auch, daß dieser Fall zu der Zeit kein Einzelfall war. Sie blieben trotzdem bei ihrer Meinung. Die Eltern hatten recht damit, daß man Arger bekommen kann. Ich selbst erhielt von einem Beauftragten der Bundeswehr aus Stade eine Klageandrohung, falls ich mich weiter mit diesem Fall beschäftigen wolle.
Ende dieses kleinen Berichts.
Wie gesagt, Herr Wehrbeauftragter, es würde mich sehr freuen, wenn dies alles heute besser geworden wäre, wenn so etwas nicht mehr vorkäme. Ich erlaube mir aber den Vorschlag an Sie, daß Sie Ihre zufriedene Feststellung etwas untermauern, damit auch bei mir aus meiner Skepsis Vertrauen werden kann.
Zum Abschluß meiner Ausführungen wiederhole ich: In der Bundeswehr muß auch künftig und künftig sogar wieder mehr als bisher der Mensch im Mittelpunkt stehen. Ich bin sehr erfreut darüber, daß der Bundesminister der Verteidigung kürzlich die gleiche Aussage in der gleichen Deutlichkeit gemacht hat. Alle seine Anstrengungen, diesen Grundsatz in Aktionen umzusetzen, werden die volle Unterstützung der Freien Demokraten finden.
Dem Wehrbeauftragten wünschen wir für seine weitere Arbeit alles Gute und eigentlich wenig Erfolg bei seiner Suche nach Vorgängen, die er beanstanden muß.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Porzner. .
Frau Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Beim ersten Teil der Beratung des Berichts des Wehrbeauftragten ist von allen Rednern der Wunsch geäußert worden, daß der Wehrbeauftragte das Wort ergreift.
Wir haben eine neue Sitzungswoche. Ich stelle deswegen nach § 116 c der Geschäftsordnung den Antrag, daß der Wehrbeauftragte im Rahmen dieser Debatte spricht, und schlage vor, wenn Sie einverstanden sind, daß er das zum Ende der Debatte tut.
Meine Damen und Herren, will jemand zu diesem Antrag sprechen? — Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich um Abstimmung. Wer stimmt dem Antrag zu? — Danke schön. Dann, Herr Wehrbeauftragter, dürfen wir Sie bitten, am Ende der Debatte das Wort zu nehmen.
Jetzt hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär von Bülow das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich möchte dem Wehrbeauftragten den Dank des Bundesverteidigungsministeriums für den Jahresbericht abstatten, aber nicht nur für den Jahresbericht, sondern auch für die Arbeit, die er insgesamt leistet; die Hilfe, die er dem Soldaten angedeihen läßt, die Hilfe, die er dem Parlament für seine Kontrolltätigkeit bietet; und die Hilfe, die er auch der politischen Leitung des Ministeriums dadurch leistet, daß er auch außerhalb der Hierarchie eine Kontrollmöglichkeit eröffnet.
. Die Stellungnahmen zum Bericht des Wehrbeauftragten sind keineswegs eine lästige Pflichtübung. Sie bieten Anlaß zur Überprüfung vieler Einzelregelungen, sie bieten die Möglichkeit, das bisher übliche Verhalten und bisher gültige Erlasse zu überprüfen. Ich bitte nur bei der Ungeduld dieses Hauses auch zu berücksichtigen, daß vieles, was wir gerne gemeinsam mit den Fachleuten durchsetzen würden, auch daran scheitert, daß wir nicht allein sind, sondern Verbündete brauchen, sei es in den Ländern, sei es in den anderen Ressorts.
Ich möchte zu dem Vorwurf Stellung nehmen, den der Herr Abgeordnete Ernesti erhoben hatte, wir seien wieder einmal zu spät mit der Stellungnahme gewesen. Ich weise darauf hin, daß der Bericht des Wehrbeauftragten am 13. April dem Bundestag vorgelegt worden ist, daß dieser Bericht am 23. Juni nach Debatte an den Verteidigungsausschuß überwiesen worden ist und daß wir nur wenige Tage zuvor, nämlich am 19. Juni, unsere Stellungnahme bereits dem Verteidigungsausschuß übermittelt hat-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978 9597
Parl. Staatssekretär Dr. von Bülow
ten. Wir waren also — wenn auch nur um wenige Tage — schneller als dieses Hohe Haus, Herr Ernesti.
— Gut, vergessen wir es.
Nun einige Bemerkungen zum Bericht selbst und zu der Debatte, die uns ebenfalls Anregungen gegeben hat, für die wir zu danken haben. Ich möchte zunächst sagen, daß wir uns über die Feststellung des Wehrbeauftragten in seinem Bericht freuen, daß die im Berichtsjahr bekanntgewordenen unzulässigen Eingriffe in die verfassungsmäßig geschützte Sphäre des Soldaten zahlenmäßig gering und besonders schwere Verstöße nicht zu berichten sind. Dies freut uns, weil es doch eine gute Basis ist, auf der man die Einzelfälle, die vorgetragen worden sind, bearbeiten kann.
Wir alle in diesem Haus, in den Streitkräften und im Bundesverteidigungsministerium sind uns darüber einig, daß das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform überhaupt nicht in Frage zu stellen ist, daß auch die Grundsätze der Inneren Führung keiner grundlegenden Änderungen bedürfen, daß freilich die Praxis — auch entsprechend den Anregungen des Berichts des Wehrbeauftragten — natürlich verbesserungswürdig und verbesserungsbedürftig ist.
Auch für den Bereich der politischen Bildung —früher „staatsbürgerlicher Unterricht" genannt — sind wir uns über die Ziele einig. Es sollen erreicht werden: möglichst objektive Informationen über Faktoren und Funktionszusammenhänge politischer Prozesse, die Entwicklung eines politischen Problembewußtseins und politischer Urteilsfähigkeit, Förderung der Kenntnis des eigenen Standorts im Rahmen der Gesamtgesellschaft, die Bejahung der Grundwerte der freiheitlichen Demokratie, die Entwicklung der Fähigkeit zum politischen Handeln und Kenntnis der demokratischen Spielregeln.
Die Praxis ist natürlich ungleich schwieriger. Ich bin der Meinung, wir sollten an dieser Stelle unabhängig von den Bemühungen des Verteidigungsministeriums auch einmal die vielfältigen Initiativen anerkennen, die zur Verbesserung der politischen Bildung in der Truppe selbst von sehr idealistisch eingestellten Soldaten aufgegriffen und durchgeführt werden. Es gibt eine Vielzahl von Ideen, neuen pädagogischen Ansätzen, neuen Lehrmethoden, neuen Curricula, die teils in Zusammenarbeit mit den Landeszentralen für politische Bildung, teils in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung, entwickelt worden sind.
Es gibt objektive Schwierigkeiten, die nur schwer zu überwinden sind. Da ist zunächst einmal der Zeitfaktor zu nennen. Wir haben jetzt nicht mehr — wie früher — 18 Monate, sondern nur noch 15 Monate Wehrpflicht. Die Streitkräfte haben natürlich in den Anforderungen an die Qualität der Soldaten keinen Millimeter nachgegeben, d. h., die Qualität muß nach wie vor gewährleistet sein. Diese 15 Monate bedeuten für uns natürlich eine starke Beschränkung des ganzen Ausbildungsprozesses.
Hinzu kommt die pädagogische Situation. Es ist in einer Kompanie eben alles vertreten: der Hauptschulabbrecher und der Abiturient. Eine solche pädagogische Situation mit dieser Mischung mit entsprechend unterschiedlicher Vorbildung durch die Schulen findet sonst kein Lehrer in der Bundesrepublik vor. Den Soldaten wird sie zugemutet, sie müssen sie meistern. Weiterhin ist das Personal, das den staatsbürgerlichen Unterricht zu erteilen hat, natürlich nicht primär dafür ausgebildet, sondern hat dies zusätzlich zur militärischen Ausbildung zu leisten.
Was haben wir in den letzten Monaten getan? Erstens haben wir die Ausbildung der Ausbilder verbessert. In der Unteroffiziervorausbildung im Heer werden z. B. im Fach Methodik statt bisher 0 Stunden jetzt 8 Stunden gegeben. Im Grundlehrgang für die Unteroffiziere werden für das Fach Methodik statt bishèr 8 Stunden nun 25 Stunden eingesetzt, so daß damit die Ausbildung der Ausbilder nach und nach verbessert werden kann.
Zweitens. Ab Frühjahr 1979 werden an der Schule für Innere Führung in Koblenz Lehrgänge für Ausbilder in der Inneren Führung mit den Schwerpunkten „Menschenführung" und „politische Bildung" durchgeführt. Es ist also das wichtigste Ziel, die Ausbildung der Ausbilder zu verbessern, d. h. derjenigen, die nachher in den Schulen der Teilstreitkräfte die Ausbildung in Menschenführung und politischer Bildung zu gestalten haben. Diese Ausbilder sollen in den Stand gesetzt werden, ihre Aufgaben nach den modernsten Erkenntnissen praxisgerecht durchzuführen, so daß die Erkenntnisse, die in Koblenz gewonnen worden sind, nach einer Art Schneeballsystem in die vielen Schulen der Bundeswehr hineingetragen werden können.
Weiter wird im Januar 1979 erstmalig ein Lehrgang für Kommandeure durchgeführt, der die Handhabung der Dienstaufsicht im Bereich der politischen Bildung zum Gegenstand hat.
Sie sehen daraus, daß die Anregung des Wehrbeauftragten, aber auch die Kritik an der unzureichenden Nutzung der Kapazität der Schule für Innere Führung der Vergangenheit angehören. Es sind neue Aktivitäten eingeleitet. Die Schule hat einen neuen Auftrag bekommen, sie soll die Innere Führung im Hinblick auf die technischen und gesellschaftlichen Wandlungen weiterentwickeln, ein Ort geistiger Orientierung und Koordinierung aller Maßnahmen auf diesem Gebiet sein, sie soll als geistiges Zentrum die Grundsätze fortentwickeln, zugleich aber auch lehren sowie Ausbildungsmodelle und Ausbildungshilfen der Inneren Führung für die Streitkräfte entwickeln. Die Schule soll eine Stätte vielfältiger Kontakte und Begegnungen bleiben, Forschungsergebnisse ziviler wissenschaftlicher Einrichtungen wie auch der Hochschulen der Bundeswehr, des Sozialwissenschaftlichen Instituts und des Militärgeschichtlichen Forschungsamts aufnehmen, auswerten und für den Gebrauch in der Truppe umsetzen. Dazu hat sie eine neue Gliederung und neues Personal bekommen, so daß das Monitum des Wehrbeauftragten erfüllt wird.
9598 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Parl. Staatssekretär Dr. von Bülow
Der Wehrbeauftragte hat angeregt — dies liegt auch mir sehr am Herzen —, der Truppe moderne Unterrichtshilfen zu geben. Ich nenne z. B. das Video-System, das bei der politischen Bildung eingesetzt werden sollte ; wir arbeiten bereits daran. Eines der Probleme, das wir damit haben, ist, daß wir die Ausbildungstechnologie nicht allein für die wenigen Stunden der politischen Bildung beschaffen können. Dieses Unterrichtssystem muß für die Gesamtausbildung nutzbar sein; das setzt voraus, daß die entsprechende Software, die entsprechenden Unterrichtsprogramme rechtzeitig erstellt sind; sonst hat die Anschaffung von Apparaten wenig Sinn.
Bisher sind Video-Systeme an fast allen Schulen der Bundeswehr nur als Mitschauanlagen vorhanden. Ab 1979 stehen erhebliche Mittel für diese neuen Medien zur Verfügung; sie sollen den Ausbildern Hilfe geben. Wir legen aber Wert auf die Feststellung, daß alle Hilfen natürlich nicht das Engagement des Ausbilders selbst entbehrlich machen. Wir brauchen sein Können, sein Wissen. Das ist auf Maschinen natürlich nicht übertragbar.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einiges zu den Hochschulen sagen, zumal auch dieses Thema seinen Niederschlag im Bericht des Wehrbeauftragten gefunden hat.
Es ist richtig: Wir sind mit der Einrichtung des sogenannten Anleitbereichs in Verzug geraten, der heute richtiger als „erziehungs- und gesellschafts-. wissenschaftliche Anteile des Studiums" bezeichnet wird. Der Grund liegt darin, daß wir die Anerkennung der Studienabschlüsse erreichen mußten und diese Anerkennug durch die Kultusministerien der Länder ihren Preis kostet. Andererseits standen wir in der Situation, daß uns der Finanzminister nicht den vollen Personalstellenzuwachs genehmigte, so daß wir unseren Schwerpunkt zunächst auf die Einrichtung der Fachstudiengänge setzen mußten und erst jetzt in der Lage sind, den Anleitbereich zu ergänzen. Hinzu kam, daß auch die Konzeption lange Zeit umstritten und unklar gewesen ist.
Was wir mit diesem Anleitstudium erreichen wollen, ist, daß der studierende Offizier in der Lage ist, mit seiner wissenschaftlichen Ausbildung und seiner Auseinandersetzung mit politscheu, historischen oder gesellschaftlichen Fragen Methoden für den kritischen Einstieg in andere, ihn künftig beschäftigende komplexe Zusammenhänge unseres modernen Lebens und seines Berufes zu finden. Den Stellenwert der erziehungs- und gesellschaftswissenschaftlichen Anteile haben wir in den Prüfungsordnungen so hoch angesetzt, wie es die Rahmenordnung der Kultusministerkonferenz zuläßt.
Wir hoffen, die personelle Ausstattung mit Genehmigung des Haushalts 1979 durch dieses Haus zu schaffen, so daß wir in diesem Bereich organisatorisch, personell und materiell ab 1979 unsere Ziele erreichen können.
Nun, Herr Kollege Möllemann, zur Frage der Öffnung der Bundeswehrhochschulen für zivile Studenten. Hierzu möchte ich einige Ausführungen machen. Wir haben keine prinzipiellen Bedenken gegen eine Öffnung der Bundeswehrhochschulen.
Wir bitten nur — auch dieses Parlament —, zu berücksichtigen, daß die Aufbausituation sowohl personell als auch materiell und zum Teil konzeptionell noch nicht abgeschlossen ist und daß wir eine Öffnung ungern in einer Phase sehen, in der unsere Hochschulen noch nicht voll etabliert sind.
Es kommt hinzu, daß wir von der Verfassung her keine Kompetenz zur Ausbildung ziviler Studenten haben. Wir müßten also sozusagen als beauftragte Unternehmer für die Kultusminister die Ausbildung von zivilen Studenten im Rahmen unserer Studiengänge durchführen. Die Zulassungsbedingungen, die wir haben, Herr Möllemann — sowohl in München, wo es kein Problem ist, als auch in Hamburg —, lassen nur die Ausbildung von Soldaten zu. Die Zulassungsbedingungen müßten also geändert werden, bevor wir zivile Studenten ausbilden können. Auch der Staatsvertrag in Hamburg sieht lediglich die mögliche Integration in eine Gesamthochschule vor.
Wenn wir die Bundeswehrhochschulen für zivile Studenten öffnen — ich bin sicher, irgendwann werden wir uns dieser Frage stellen müssen —, dann sind zuvor eine ganze Reihe von Fragen zu klären. Es muß geklärt werden: Bilden -wir im Auftrag der Kultusministerkonferenz oder eines Landes aus? Es muß geklärt werden: Bekommen wir die Anerkennung der Diplome auch für die zivil ausgebildeten Studenten? Wird die Trimesterregelung anzuwenden sein? Wie wird die Disziplinarfrage gehandhabt, also das, was man an den Universitäten als das vieldiskutierte Ordnungsrecht bezeichnet? Wie wird die Mitwirkung der zivilen Studenten in den Hochschulgremien geregelt? Wie ist die soziale Situation der Studenten: auf der einen Seite Gehaltsempfänger, auf der anderen Seite BAföG-Empfänger, wobei zu berücksichtigen ist, daß die BAföG-Regelung nicht für Trimester, sondern für Semester gilt. Dies und andere rechtliche und finanzielle Fragen sind hier zu klären.
Meine zögernde Haltung hinsichtlich der Öffnung der Bundeswehrhochschulen möchte ich auch damit begründen: Wir können auf der Hardthöhe unter der Bezeichnung „Verteidigungsministerium" kein Bundeskultusministerium errichten. Vielmehr muß eines der Länder hauptverantwortlich versuchen,
die Vielfalt von Problemen, die hier .anstehen, zu lösen, für sie ein Konzept zu finden und dies dann mit uns zu diskutieren. Und dann muß das in der Kultusministerkonferenz — einschließlich des sehr geschätzten Landes Bayern — diskutiert und beschlossen werden.
— Ich weiß, wir führen gesonderte Gespräche, um das Problem zu lösen, Herr Stücklen, keine Sorge.
— Wie gesagt, diese Probleme können von der Hardthöhe allein nicht aufgearbeitet werden.
Zu einem weiteren großen Thema des Wehrbeauftragten, zu dem Thema Heeresmodell 4, will ich mir weitere Erläuterungen ersparen. Die Erprobung
I hat, glaube ich, zu unser aller Überzeugung gezeigt,
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Parl. Staatssekretär Dr. von Bülow
daß die Bedenken, die der Wehrbeauftragte auf Grund einer sehr frühzeitigen Beobachtung angemeldet hat, von vielen anderen geteilt worden sind. Sie haben dazu geführt, daß das Modell geändert worden ist, indem die Führungsleiste der Kompanien wesentlich verstärkt worden ist, so daß diese frühere Schwäche nicht mehr in diesem Umfang besteht, wie uns auch ein Erziehungswissenschaftler, der die Frage untersucht hat, mitgeteilt hat.
Im Zusammenhang mit dem Heeresmodell 4 ist auch die Frage der Entbürokratisierung von Bedeutung. Im Rahmen der Studien zum Heeresmodell 4 ist sehr intensiv untersucht worden: Wie kann man die Bürokratisierung zurückdrängen? Welche Aufgaben müssen bei der Kompanie verbleiben? Von welchen kann man sie entlasten? Welche gehen aufs Bataillon über? Welche können gestrichen oder vereinfacht werden? Die Lösung dieser Fragen wird im Zuge der Einführung des Heeresmodells 4 zu erheblichen Vereinfachungen führen.
Nun zu den Familienheimfahrten für Wehrpflichtige. Die Wochenendheimfahrt der Wehrpflichtigen erfordert einen erheblichen Todeszoll, Wochenende für Wochenende. Das hat dazu geführt, daß das Verteidigungsministerium seit einer Reihe von Jahren versucht, die Wehrpflichtigen durch kostenlose Familienheimfahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln vom Pkw wegzubringen. Wir haben jetzt mit Hilfe des Finanzministeriums lind der Ausschüsse erreicht, daß eine zweite Familienheimfahrt möglich ist. Dies muß ergänzt werden durch die noch nicht überall flexibel praktizierte Handhabung des Abholens und des Hinfahrens mit Kfz der Bundeswehr.
— Nein, das soll nicht so sein. Aber ich würde vorschlagen, daß wir das in nächster Zeit einmal im Verteidigungsausschuß erörtern. Ich selbst sehe bei meinen Besuchen — wir werden wahrscheinlich demnächst einen klärenden Erlaß dazu herausgeben —, daß nicht bekannt ist, wie flexibel das gehandhabt werden kann.
Wir sind in Verhandlungen mit der Bundesbahn, und die Bundesbahn wird wohl bereit sein, ab Mitte nächsten Jahres beliebig viele Wochenendfamilienheimfahrten ohne Aufpreis zu gewähren. Ich weiß, daß dabei ein Rest unlösbarer Probleme bleibt. Das hängt mit der Lage der Standorte der Bundeswehr zusammen. Wir werden versuchen — ich weiß nicht, ob es uns gelingt —, im Rahmen der sozialen Bestandsaufnahme hier Lösungsmöglichkeiten zu finden. Einstweilen muß es noch dabei bleiben, daß die Familienheimfahrt mit der Bundesbahn durchgeführt wird.
— Das ist richtig, Herr Ernesti.
Jetzt ein kurzes Wort zur Tradition. Herr Kollege Ernesti, Sie haben sehr hehre Worte von Karl Jaspers zur soldatischen Tradition gefunden. Sie haben dabei mich aus einer Diskussion zitiert, daß sich mit dem Ausscheiden der Generation des Zweiten Weltkrieges aus der Bundeswehr gegen 1985 die Probleme der soldatischen Traditionspflege von allein lösen würden. Dies habe ich so nie gesagt.
— Das ist völlig richtig; aber gerade ein Träger meines Namens ist sich der problematischen Tradition der Deutschen durchaus bewußt, Herr Kollege Wörner.
Ich habe etwas durchaus Ähnliches in bezug auf die Fragen ausgeführt, die mir in der Diskussion gestellt worden sind. Da ging es um Klagen einiger Angehöriger der ehemaligen Waffen-SS, warum die Bundeswehr nicht in der Lage sei, sie in die Traditionspflege in differenzierter Form mit einzubeziehen, und es kam natürlich, wie es kommen mußte, die Rede auf Rudel, Franke, Krupinski. In diesem Zusammenhang habe ich gesagt, es werden sich einige Verkrampfungen, die in der Diskussion um den Traditionserlaß entstanden, natürlich durch das Ausscheiden von Weltkriegsteilnehmern lösen. Aus dem, was ich in dieser Rede zur Tradition wirklich gesagt habe, möchte ich Ihnen die wichtigsten Positionen vorlesen, damit es im Protokoll festgehalten wird. Ich habe gesagt:
Die Errichtung einer zeitlichen Demarkationslinie, von der ab dann Traditionsbildung beginnen soll, verrät ein Mißverständnis von dem, was Tradition ist und was sie soll.
— Es ist die Frage: Kann die Bundeswehr sozusagen nur auf Grund eigener Tradition leben? —
Entscheidend für die Erhaltung und Weitergabe von Werten ist doch vielmehr, was sie für die Bewahrung unserer freiheitlichen Demokratie zu leisten vermögen. Das Alter von Tradition spielt dabei keine Rolle. Ganz abgesehen davon, daß sich die Bundeswehr bei einer Beschränkung auf ihre eigene Geschichte selbst von Traditionen abschneiden würde, die auch für die Gegenwart durchaus aktuell sind. Schon der Gründungstag der Bundeswehr, der 12. November 1955, hat die neuen deutschen Streitkräfte in eine Tradition gestellt, die über ihren bloßen Existenzzeitraum hinausweist. Es war der 200. Geburtstag des preußischen Heeresreformers Gerhard von Scharnhorst. Dieser Tag wurde bewußt als die Geburtsstunde der Bundeswehr gewählt.
Herr Ernesti, es mag sein, daß wir alle etwas unterschiedliche, durch den Generationsablauf bestimmte Traditionsbilder haben, und es sind unter uns viele, die der deutschen Wehrmacht angehört haben und deren Traditionsbild davon mitbestimmt sein kann. Meines z. B. umgreift eigentlich sehr bewußt erst den Zusammenbruch Deutschlands, den Wiederaufbau, in der Familie auch die Fragen Emigration, den 20. Juli, und natürlich auch die Opfer des Nationalsozialismus. Es ist ein sehr „verwürfeltes" Bild, das man sich von diesem Deutschland machen muß.
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Die neue Generation wiederum kennt — das ist sicherlich schmerzlich für die vorangegangene — nur das Nachkriegsdeutschland: Wiederaufbau, den Wohlstand, mit dessen Formen man sich vielleicht nicht voll abfindet, was dazu führen kann, daß man innerlich noch nach Halt sucht. Auch so stellt sich das Bild für die neue Generation dar. Ich finde, das ist kein Feld für polemische Diskussionen, sondern wir sollten gemeinsam nach Möglichkeiten suchen, kritisch überlegen, was wir der jüngeren Generation nun wirklich als Bleibendes überlassen können.
Ersparen Sie es mir, nun auf das Thema der Autoaufkleber einzugehen. Das wird im Petitions- und Verteidigungsausschuß sicher noch seine Rolle spielen. Wir werden mit dieser Unterform des Devotionalienhandels sicher noch gemeinsam unsere Freude haben.
Die Bestimmungen für das Tragen von Uniformen bei politischen Veranstaltungen werden neu geregelt werden müssen. Wir sehen — auch auf Grund der Welle der Erregung der letzten Wochen —, daß hier mehr Klarheit geschaffen werden muß. Aber wie auch immer die Klarheit aussieht, sie wird entweder strenger sein — dann wird sie den einen nicht gefallen, weil sie nicht freiheitlich genug ist — oder sie wird liberal sein — dann wird es neue Abgrenzungslinien und neue Abgrenzungsproblematiken geben. Ich möchte nur vorsorglich darauf hinweisen, daß wir zwar daran arbeiten, der Truppe einen klaren vollziehbaren Auftrag, einen Erlaß an die Hand zu geben, daß aber durchaus noch mit Problemen und weiteren Diskussionen zu rechnen ist.
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Herr Kollege Ludwig, zum Fall des Herzversagens bei einem Soldaten: Ich bitte sehr darum, daß er sich durch die Androhung einer Klage eines einzelnen Bundeswehrangehörigen — das ist ja keine Dienststelle der Bundeswehr — nicht davon abhalten läßt, uns den Fall mitzuteilen, damit wir ihn auf seinen Wahrheitsgehalt hin überprüfen können.
Lassen Sie mich zum Schluß nochmals sehr herzlich Dank sagen für die Arbeit des Wehrbeauftragten. Er hat uns wichtige Impulse gegeben. In der Beurteilung und Bewertung der meisten Fragen decken sich unsere Ansichten mit denen des Wehrbeauftragten. Wir werden auch weiterhin gemeinsam dafür sorgen, daß die Grundsätze der Inneren Führung alle Bereiche der Führung durchdringen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Würzbach.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Wehrbeauftragter, in Ihrem Bericht, den dort uns an die Hand gegebenen Ergebnissen und vielen Gegenüberstellungen — Beleuchtung des Anspruchs und Darstellung der Wirklichkeit — kommen Sie zu einer Vielzahl solcher Punkte, die einen ganze Katalog von Schwachstellen in unserer heutigen Bundeswehr aufzeigen. Ich möchte mich mit einigen dieser befassen und daraus das Bild zusammensetzen, wie es sich uns an Hand Ihres Berichtes darstellt.
Ich möchte, damit kein falscher Eindruck entsteht, vorwegschicken: Uns ist natürlich klar, daß es sich hier um eine Menge von Schwachpunkten handelt — auch um solche, die wir für teilweise sehr gravierend ansehen —, daß die Bundeswehr aber insgesamt funktionsfähig, in Ordnung, engagiert und einsatzwillig ist. Dieses Bild sei mir erlaubt: Wenn wir zum Arzt gehen, weil wir persönlichen Kummer, Krankheiten, Schwachstellen haben, dann sagen wir dem Arzt das; er hat dann eine Diagnose zu stellen und uns zu heilen.
Ich möchte noch ein weiteres Wort vorwegschikken: Meine Kollegen Leo Ernesti und Willi Weiskirch haben für die Fraktion der CDU/CSU nicht nur schon den Dank ausgesprochen, sondern besonders der Kollege Ernesti, den Sie vorher etwas attackierten, hat seine erste Stellungnahme, die er nach Vorlage des Berichtes abgegeben hatte, nachher im Ausschuß, in der Öffentlichkeit, in der Debatte hier und gegenüber dem Wehrbeauftragten persönlich in offener und fairer Weise korrigiert. Ich möchte dieses sagen, weil es genau das Gegenteil von dem ist, was ihm hier unterstellt wurde.
Nun mußte in den letzten Tagen nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die breite Öffentlichkeit ein spektakuläres Auseinandersetzen in der Bundeswehr an der obersten Stelle, an der Nahtstelle zwischen Politik und Militär, erleben. Ich möchte bei meinem Bericht und meinem Bild, das ich zeichnen wollte, ganz unten beginnen. Ich möchte nämlich zuerst zu den wehrpflichtigen Soldaten schauen.
Hier darf ich feststellen: Trotz des inzwischen als verfassungswidrig zurückgewiesenen Gesetzes, trotz noch nicht erfolgter Novellierung dieses Gesetzes, trotz vorrangig in der Öffentlichkeit laut geführter Diskussion nicht um die Wehrpflichtigen, sondern um die Zivildienstleistenden, trotz vorhandenen und leider fortschreitenden Bevorteilens dieser Zivildienstleistenden, trotz der gewaltigen eigenen persönlichen Einschneidungen, welche die Wehrpflichtigen hinzunehmen haben durch die langen Entfernungen zwischen dem Wohnort — in der Masse im Ruhrgebiet — und den Garnisonstädten hauptsächlich in Norddeutschland — die Fülle von sich daraus ergebenden Problemen kennen wir —, trotz der dauernden zeitlichen Mehrbelastung des überwiegenden Teils der Wehrpflichtigen — wir wissen, daß die Flarak-Verbände in der Regel an die 70 Stunden und nicht weniger haben — haben die Wehrpflichtigen unserer Bundeswehr einsatzbereit, engagiert und dienstwillig ihre Aufgabe erfüllt. Ich möchte dies ausdrücklich — in bin sicher: mit Dank aller — an dieser Stelle feststellen.
Ich bleibe bei den Mannschaften. Hier haben wir zu beklagen — das stelle ich hier fest, und ich weiß, daß dies quer durch die Reihen geht —, daß dieses Personalergänzungsgesetz, das Verwürfelungssystem, das so aussieht, daß nicht eine Gruppe, ein Trupp in Form einer Gemeinschaft, einer Kameradschaft zusammen ist, daß man einander kennt, die
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Stärken und Schwächen kennt, sie ausgleichen kann, daß man einander ersetzen kann, abgelöst wurde durch ein System, das am Reißbrett stimmen mag, das aber in der Praxis zu ganz negativen Auswirkungen führt.
Herr Kollege Horn, es ist ja selten, daß ich Sie als Zeugen an meine Seite rufen kann: Lassen Sie uns dieses Problem — ich habe das in Ihrer Rede noch einmal nachgelesen — doch gemeinsam anpacken. Wir sind dazu bereit, wenn Sie unsere Hilfe im Ausschuß oder anderswo brauchen, um das zu ändern. Ich will Sie wegen der Zeit nicht zitieren. Sie haben genau denselben Gedankengang. Wir beklagen dies seit langem, und geändert wird nichts.
Eine Ebene darüber ist der Unteroffizier. Hier kann, Herr Staatssekretär von Bülow, über noch ein bißchen mehr Stunden Methodik, die in diesem Jahr und im nächsten Jahr daraufgehängt werden, geredet werden, auch darüber, daß die Ausbildung der Ausbilder verbessert werden soll; ich hoffe, dies war alle Jahre in der Bundeswehr und nicht nur bei uns der Fall. Es ist festzustellen, daß der junge Unteroffizier, bevor er selbst das unterste militärische Handwerkszeug gelernt hat, aus der Gruppe seiner Kameraden herausgenommen wird, die diese Ausbildung durchlaufen. Nach theoretischer, praxisferner, meinetwegen noch so gut durchgeführten Ausbildung und trotz des Engagements, das die Unteroffiziere unbestritten mitbringen, fehlt dem Unteroffizier das unterste Handwerkszeug und das erste praktische Erlebthaben vor der Gruppe, vor die er dann wieder hingestellt wird, nachdem er nach kurzer Mitlaufzeit herausgenommen wurde. Das ist ein Zustand, den wir ändern müssen.
Bei den älteren Unteroffizieren — in Stichworten gesagt; das sind alles Dinge, die in dem Bericht des Wehrbeauftragten angesprochen werden, aber nicht erst hier, sondern auch schon in zurückliegenden Berichten — stößt auf überhaupt kein Verständnis der Zwang zum Besuch von langen Lehrgängen, besonders in Endverwendungen von älteren Feldwebeln, die in Kürze entlassen werden, und dies von Norddeutschland nach Süddeutschland herunter.
Dringend ist es auch, daß wir den Spitzendienstgrad wieder einführen. Ich freue mich, daß der Ausschuß dieses beschlossen hat. Ich möchte hier für unsere Fraktion allerdings hinzufügen, daß wir darauf achten müssen, daß dieser Spitzendienstgrad in der Tat ein Spitzendienstgrad wird und nicht ein solcher, den man sich im Laufe der Jahre ersitzt, so daß man nach einem gewissen Alter automatisch dorthin kommt. Dies muß wieder der Kopf des Unteroffiziers sein.
Zu den jungen Offizieren komme ich nachher in einem gesonderten kurzen Kapitel im Zusammenhang mit den Bundeswehrhochschulen. Ich darf hier feststellen: Unsere Bundeswehr ist eine Streitkraft, der der frische, junge Leutnant, der frische, junge Offizier, der etwa noch in demselben Alter ist wie die Wehrpflichtigen und die jungen Unteroffiziere, die er zu führen hat, fehlt, weil im Augenblick etwa vier Jahre Besuch der Hochschule dazwischen liegen. Auf die Hochschule möchte ich nachher eingehen.
Ein Wort zu den Versetzungen. Hier haben Sie, Herr Wehrbeauftragter, in einer Form Worte gesprochen, wie sie jeder CDU/CSU-Politiker im Verteidigungsausschuß überhaupt nicht klarer hätte sprechen oder schreiben können. Sie melden erhebliche Zweifel an — so wörtlich —, ob wirklich auf diesem Gebiet die Versetzungshäufigkeit auf das erforderliche Maß eingeschränkt wird. Sie beklagen, daß zu kurzfristig versetzt wird. Wir wissen; das trifft nicht nur den Soldaten, sondern die gesamte Familie, die Kinder und die Frau, und bringt all die Probleme mit sich, die uns geläufig sind.
Und nun kommt der Punkt. Gut war, daß Herr Ludewig auch dies aufnahm. Ich lese aber noch zwei Sätze weiter. Und da steht auch in dem Bericht des Wehrbeauftragten, daß er schon 1976 in seinem Bericht so geschrieben habe. Und er schreibt noch einen weiteren Satz. Da steht, daß vom Ministerium dazu keine Äußerung kam. Dies, muß ich sagen, kann einen nicht nur mit Verwunderung erfüllen, sondern dies muß uns alle eigentlich mit Kritik erfüllen: daß ein so wichtiger Punkt augenscheinlich überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird.
Hier sei mir die Übersetzung dieses Zusammenhangs erlaubt, indem ich feststelle, daß diese augenblicklich geübte, trotz dieser Warnungen beibehaltene Praxis im Versetzungswesen mit den Grundsätzen der Inneren Führung nicht übereinstimmt. Hier sollte das Ministerium, kritisch gegenüber der eigenen Adresse, um eine Änderung bemüht sein.
Ich möchte ein Beispiel zu diesen Versetzungsangelegenheiten erwähnen. Es gibt in unserer Bundeswehr ein bestimmtes Bataillon — ich hoffe, es gibt nicht noch viel mehr solche — mit vier Kompanien, wo in den letzten acht Quartalen, also in zwei Jahren, elfmal die Kompaniechefs gewechselt worden sind. Elfmal bei vier Kompanien in zwei Jahren — was dies bedeutet, brauche ich hier überhaupt nicht zu schildern.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jungmann.
Bitte.
Jungmann ; Herr Kollege Würzbach, sind Sie bereit, hier auch anzuführen, daß sich die Versetzungshäufigkeit im Gegensatz zu 1965, wo wir mehr als 60 000 Versetzungen in der Bundeswehr hatten, im Jahr 1976 auf durchschnittlich 35 000 reduziert hat?
Lieber Herr Kollege Jungmann, ich will hier nicht die Zitate wiederholen, die nicht von mir stammten — ich kann sie, wie ich sagte, von vorn bis hinten unterschreiben —, sondern die des Wehrbeauftragten. Hier geht es auch
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nicht um die Zahl „x plus . . .", sondern hier geht es darum, daß noch viel mehr im Interesse des Menschen, der Soldaten und deren Familien verbessert werden kann. Ich weiß, daß wir beide darin übereinstimmen.
In dem Bereich der Ausbildung und der Prüfung der Offiziere in der, Ebene vom Hauptmann zum Major — das ist die Stabsoffiziersecke, durch die hindurch jene Offiziere gehen, die später in höhere und höchste Führungspositionen kommen sind die Ausbildung und besonders die Prüfung bei diesem Lehrgang bezüglich der Taktik nicht nur in Richtung Null, sondern, was die Prüfung zum Major angeht, auf Null zurückgedreht worden. So etwas finden Sie in überhaupt keinem anderen Berufsfeld irgendwo bei uns im Land oder anderswo. Hier muß etwas geändert werden. Wir sehen die Bedeutung und die Wichtigkeit all der Lehrelemente, die da heute enthalten sind. Aber daneben gehört das, was als Taktik gerade für diesen Beruf wichtig ist.
Wir haben eine zunehmende, auch durch die Gründung einer Kommission nicht abgebaute oder eingedämmte Zentralisierung und Bürokratisierung. Hier, Herr Kollege Horn, wäre es leicht, wieder Sie zu zitieren. Ich sage dies, weil mir daran liegt, Gemeinsamkeiten zu projizieren und Ziele, die wir gemeinsam sehen, in- die Wirklichkeit umzusetzen. Hier wird dazu immer mehr Anlaß gegeben, da die Auftragstaktik bei uns in der Bundeswehr in allen Bereichen auf ein Maß zurückgeschraubt wird, das für uns gefährlich ist. Wir brauchen den mitdenkenden, mitverantwortenden, mitentscheidenden Führer. Die Fülle von einengenden, Verantwortung wegnehmenden Vorschriften führt hier genau zum Gegenteil.
Ich will nur fragen — das war heute morgen ein zentraler Punkt der Ausführungen unseres Kollegen Manfred Wörner: Welchen Offizier, welchen militärischen Führer — das gilt auch für den Unteroffizier — wollen wir denn eigentlich in unserer Bundeswehr? Wollen wir den, der mit seiner Sachkenntnis, mit seiner Erfahrung in ,kritischer Loyalität sich einsetzt, entscheidet und das dann auch verantwortet, oder wollen wir den, der, bevor er eine Entscheidung trifft, fragend, zaghaft nach oben' guckt, wie man sich wohl entscheiden solle. Ich hoffe, daß wir uns hier nicht nur in der Theorie einig sind, sondern daß wir auch mehr als bisher zu praktischen Schritten kommen, um dem Erstgenannten in der Bundeswehr zum Durchsetzen zu verhelfen.
Ich möchte etwas zur Bundeswehrhochschule sagen. Auch hier möchte ich Sie, Herr Wehrbeauftragter, zunächst mit Freude als Zeuge anrufen. Schon in den Vorbemerkungen zu Ihrem Bericht und nicht erst in den Kapiteln stellen Sie fest, daß Sie bereits in dem Bericht für das Jahr 1976 — wörtlich — Feststellungen und Anregungen gegeben haben, die vom Ministerium nicht beachtet worden sind und — so wird auch festgestellt — daß durch diese Nichtbeachtung dann konkrete Vorgänge — hier ist an die Geschichten in München und Hamburg gedacht — leider eintraten und daß die Anregungen dadurch, wie Sie selbst sagen, eine unerwünschte Aktualisierung erhielten.
Ich möchte mir an dieser Stelle die Frage erlauben: Warum hat das Ministerium über zwei Jahre hinweg diese mahnenden Feststellungen des Wehrbeauftragten, die auch in der SPD, in der FDP, bei der CDU/ CSU Widerhall fanden, nicht aufgenommen? Wenn in den letzten zehn Monaten, wie hier an dieser Stelle ein paarmal heute gesagt wurde, auch der neue Minister gewollt hätte, hätte er eine Fülle von Möglichkeiten gehabt, hier dringend überfällige und notwendige Änderungen durchzuführen. Wenn er auch mit seinem Herzen — an dieser oder auch an anderen Stellen kann man dies deutlich machen — nicht an der Bundeswehr, an den Sorgen der Soldaten, an den Soldaten hängt, was man von niemandem verlangen kann, der in solch eine Aufgabe in der Form hineingesetzt wurde, so müßte es hier aber die Pflicht seines Amtes sein, sich dieser Sachen anzunehmen und dies nicht dauernd vor sich herzuschieben.
Herr Staatssekretär von Bülow, mir liegt einfach daran, auch Ihnen noch einmal zu sagen, daß wir sehr wohl respektieren, daß Sie persönlich — den Eindruck haben wir — bereit sind, sich dieser Fragen energisch anzunehmen, aber wir spüren auch, daß Sie trotz in vielen Bereichen vorhandener Übereinstimmung hier auf eine sehr kurz gesteckte Schranke im eigenen Hause und vielleicht in der eigenen Fraktion laufen. Wir bieten auch hier im Interesse dieses gewichtigsten Teiles der Offizierausbildung noch einmal an, mit Ihnen gemeinsam die Schritte zügig zu verwirklichen, die wir alle gemeinsam als dringend notwendig erkannt haben.
Der Wehrbeauftragte spricht bezüglich des Abschnittes „Ausbildung der Offiziere an den Hochschulen" ein Urteil, das man eigentlich in Richtung auf das Ministerium, die politische Führung als vernichtend bezeichnen darf. Er stellt fest, daß bezüglich des Berufsfeldbezuges, heute EGA genannt, „erziehungs- und gesellschaftswissenschaftliche Anteile", keine sichtbaren Maßnahmen getroffen sind. Das ist seine Wertung: keine sichtbaren Maßnahmen. Das Zitat lautet weiter, daß es bei bloßen Ankündigungen und gut gemeinten Appellen bisher geblieben sei und daß dies nicht ausreicht. Ich darf einen weiteren Satz aus dem Bericht des Wehrbeauftragten zu diesem Problem zitieren. Dort heißt es: Es genügt nicht mehr, ständig nur gleichlautend und gelegentlich auch abweisend zu entgegnen: Die Realisierung wird derzeit mit Nachdruck betrieben.
Herr Staatssekretär von Bülow, im Oktober haben Sie uns im Ausschuß vorweg ein Papier gegeben und dann in der Diskussion noch einmal gesagt, daß auch all die Dinge, die erkannt sind, sich deshalb nicht durchführen ließen, weil Personalmangel bestehe. Ich habe das damals kritisiert und möchte dies hier wieder tun. Es kann doch wohl nicht angehen, daß wir nunmehr fast im xten Jahr des Bestehens der Bundeswehrhochschulen nicht genügend qualifizierte Offiziere in allen Teilstreitkräften haben — es müssen nicht nur Offiziere sein, wir können auch wissenschaftlich Beamtete aus dem militärischen Bereich hinzuziehen —, die in der Lage sind,
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in diesem Bereich das Nötige an Grundlagen, an Curricula und ähnlichem zu erarbeiten.
Soeben wurde hier der Satz vorgetragen, der Grund für den Verzug sei auch noch, daß wir dies mit den Kultusministern nicht so einfach regeln könnten. Auch dafür war nicht nur Zeit vor der Gründung, sondern es ist in den vielen letzten Jahren jeden Tag Gelegenheit gewesen, mit den Kultusministern unterschiedlicher parteilicher Zugehörigkeit hier zu einer Einigkeit zu kommen. Dies ist ebenfalls nicht erreicht worden.
Der Wehrbeauftragte stellt in den beiden letzten Berichten fest, daß es dem später studierenden Offizier besser ankäme, nicht von der Schule nach dem Abitur und einem kurzen Durchlaufen durch die Kaserne — ich bezeichne es mal salopp so; es sind 15 Monate — dann für vier Jahre an die Bundeswehrhochschule zu kommen. Vielmehr wird hier dringend empfohlen, daß der Offizier vorher praktische Führungsverantwortung in der Bundeswehr vor den Soldaten wahrzunehmen hat
daß er kennenlernen kann, was es bedeutet, Verantwortung für Wehrpflichtige, für junge Unteroffiziere auszuüben, daß er dadurch Erfahrungen sammelt, auf die er später gelehrte Zusammenhänge draufsetzen kann, aus welcher technischen oder wissenschaftlichen Fakultät auch immer, wo man ihn dann gar nicht künstlich, theoretisch in Beziehungen zur Praxis zwingen muß. Wir wissen, daß viele Professoren dort große Schwierigkeiten haben — ich will nicht von Abneigungen sprechen —, berufsumfeldbezogen zu lehren. Deshalb sollte dort ein Mann hinkommen — wir schlagen Ihnen vor, dies mit uns zu tragen —, der Leutnant in der Truppe geworden ist, der als Leutnant dann drei Jahre seinen Zug geführt hat, vielleicht noch ein Jahr als Oberleutnant, und mit dieser Erfahrung an die Universität, an die Bundeswehrhochschule geht. Diesem Mann kann ich, in welchem wissenschaftlichen Fach auch immer, Dinge erzählen, die er dann automatisch auf Grund des Miterlebthabens praktischer Situationen in diese Berufswelt projizieren kann. Der umgekehrte Weg hat sich als ein schlechter Weg erwiesen.
Wir schlagen weiter vor, daß überhaupt keine zivilen Studenten an die Hochschulen kommen,
und zwar nicht, wie es hier von Ihnen gesagt wird, Herr Kollege Möllemann, weil wir befürchten, daß die Offiziere die geistige Auseinandersetzung mit zivilen Studierenden nicht vertragen könnten. Das haben Sie gesagt. Das können wir überhaupt nicht unterschreiben. Im Gegenteil. Aber Gründungsvoraussetzung für diese Hochschulen war — und dies ist vom Wehrbeauftragten deutlich geschrieben worden —, militäreigene Ausbildungsstätten zu schaffen, in die die Soldaten per Befehl zu gehen haben. Wenn Sie zivile Studenten dort hineinbringen wollen, dann stellen Sie mit dieser Forderung die Bundeswehrhochschulen in Frage und rufen
quasi nach deren Abschaffung. Hier werden Sie uns nicht an Ihrer Seite haben.
Wir halten es für gut, daß, wenn persönliche und truppendienstliche Dinge übereinstimmen, die Zeitoffiziere erst gegen Ende ihrer Ausbildung studieren sollen. Dies ist sicherlich möglich. Auch sollte innerhalb der Teilstreitkräfte variabler als bisher verfahren werden.
Ich darf zwei Abschlußbemerkungen machen. In aller gebotenen Ruhe und Sachlichkeit möchte ich feststellen, daß der Verteidigungsminister die Chance gehabt hätte — ich weiß nicht, was ihn letztes Mal davon abhielt, als die Debatte vertagt wurde —, nachdem die neue Debatte angesetzt wurde, heute hier teilzunehmen. Ich respektiere: wir haben gehört, es ist eine Personalversammlung im Ministerium, die auch eine wichtige Bedeutung hat. Aber ich bitte zu prüfen, ob ein Minister Gelegenheit gehabt hätte, beides miterleben zu können, die wichtige Personalversammlung und die wichtige Debatte hier über die Sorgen der Soldaten an Hand des Berichtes unseres Wehrbeauftragten.
Herr Wehrbeauftragter, ich bitte Sie herzlich, daß der Bericht, den Sie in Kürze über das zu Ende gehende Jahr zu schreiben beginnen, auch die Geschehnisse der letzten Tage und Wochen berücksichtigt, die die Bundeswehr in einem empfindlichen Bereich der Inneren Führung berührt haben, der nicht beim Oberst endet, sondern der nach oben durchgeht. Ich richte die Bitte an uns alle - hier sei, Herr Wehner, auch Ihre Hilfe erbeten —, daß dieser Bericht dann zügig beraten wird, daß wir zügig die erkannten Mängel abstellen können, Mängel, deren Abstellung unsere Bundeswehr, unsere Sicherheit und die NATO verlangen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Bitte sehr, Herr Wehner.
Wenn ein Nachtarocken erlaubt ist. Ich wollte mir nur die Frage erlauben, ob man darauf rechnen kann, daß man es hier im Zusammenwirken fertigbringt, daß der nächste Bericht des Wehrbeauftragten nicht tatsächlich erst eine lange Zeit irgendwo schmort. Es muß doch möglich sein, daß er, wenn einige Fraktionen sagen: „Jetzt ist es an der Zeit", nicht soundso viele Monate liegenbleibt, ehe man ihn abschließend behandelt.
Herr Kollege Wehner, ich bin erstaunt; Sie merken das. Ich habe Sie für einen in Ihrer Fraktion und damit auch bei dieser Regierung so mächtigen Mann gehalten, daß Sie unsere Zustimmung und unsere Hilfe doch eigentlich nicht brauchen sollten, um dieses Ihr inneres Anliegen —
9604 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Würzbach
wie Sie es uns vor zwei Wochen deutlich gemacht haben — in die Tat umzusetzen. Aber Sie können sicher sein, daß wir Ihnen und den Geschäftsführern der Koalitionsfraktionen helfen, daß der nächste Bericht so schnell wie immer möglich hier beraten wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möllemann.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gerade der letzte Abschnitt der Diskussion war sehr interessant. Herr Kollege Würzbach, es ist wohl so, daß man, wenn man in der eigenen Fraktion keinen starken Fraktionsvorsitzenden hat, einem wirklich starken Fraktionsvorsitzenden wieder zuviel zutraut. Das muß sich nicht gleich auf alle Bereiche auswirken.
— Ich beginne jetzt, mich untertänigst zu schämen, Wenn Sie das noch einmal sagten, dann fiele es mir vielleicht leichter.
Zur Sache selbst: Meine Damen und Herren, ich möchte zu einigen Ausführungen des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs wie auch meines Vorredners einige Bemerkungen machen und dies in der gebotenen Kürze.
Herr Staatssekretär, Sie haben die Schule für Innere Führung und den Komplex Innere Führung angesprochen. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß das Verteidigungsministerium jetzt mit großem Nachdruck dafür sorgt — im neuen Auftrag der Schule für Innere Führung —, daß den kritischen Anmerkungen, die gemacht worden sind, Rechnung getragen wird. Sie haben über die personelle Ausstattung gesprochen, und wir respektieren, daß Sie dort eine neue Spitze geschaffen haben. Ich möchte sie herlich bitten, auch die für die Erprobungsphase notwendige Menge an Personal und Sachmitteln zur Verfügung zu stellen, damit diese Erprobung wirklich ein Erfolg werden kann.
Das zweite, was ich auch im Hinblick auf Ihre Ausführungen ansprechen wollte: Ich glaube nicht, daß wir hinsichtlich politischer Bildung und Innerer Führung sehr viel weiterkommen, wenn wir uns nur auf den Bereich der zu vermittelnden Bildungsinhalte konzentrieren. Es muß auch um die praktizierte Realität gehen. Wir haben schon beim letztenmal in der unterbrochenen Diskusssion angesprochen, daß wir nach Wegen suchen müssen, wie die Mitgestaltungsmöglichkeiten der Soldaten aller Dienstgruppen so ausgeweitet werden können, daß in der Tat das Prinzip der Auftragstaktik auch seine wirkliche Entsprechung dadurch findet, daß der einzelne Soldat stärker als heute entscheiden und mitwirken kann.
Ein Weiteres zu dem, was Sie gesagt haben, und zwar zum Bereich der Familienheimfahrten: Ich möchte Sie noch :einmal sehr herzlich bitten, zu prüfen, ob Sie nicht dem Anliegen verschiedener Kollegen hier im Hause, auch unserer Fraktion Rechnung tragen können, daß man sehr bald eine Regelung schafft, um den Soldaten das Geld aushändigen zu können, das eine Eisenbahnfahrkarte kostet, wenn sie auf Grund weiter Entfernungen und ungünstiger Verkehrsbedingungen auf den eigenen Pkw angewiesen sind. Es nützt nichts, wenn wir sie immer wieder auf die öffentlichen Verkehrsmittel verweisen, insbesondere dann, wenn sie einen sehr weiten Heimweg haben. Wie Sie wissen, gibt es Standorte, die so weit abgelegen sind, daß Soldaten, würden sie den Zug benutzen, im Grunde dann, wenn sie zu Hause angekommen sind, gleich wieder in den Zug einsteigen müßten, um rechtzeitig wieder an ihrem Dienstort zu sein.
Nun zu dem, was Sie, Herr Staatssekretär, und Sie, Herr Kollege Würzbach, zur Hochschule der Bundeswehr gesagt haben. Sie, Herr Staatssekretär, haben erfreulicherweise erklärt, es gebe keine prinzipiellen Bedenken gegen eine Öffnung. Das klingt anders als das, was vor einiger Zeit im Ausschuß gesagt worden ist. Es klingt insbesondere anders als das, was auch der hier anwesende stellvertretende Generalinspekteur in einem Papier als Möglichkeit skizziert hat.
Ich stimme Herrn Minister Apel zu, wenn er auf dem Treffen des Reservistenverbandes sagt, natürlich sei es das gute Recht auch des stellvertretenden Generalinspekteurs, sich Gedanken über diese Einrichtung zu machen. Das ist völlig unbestritten. Aber selbstverständlich ist es die Aufgabe des Parlaments, festzulegen, wo dann die Entscheidungen liegen werden. Hier ist die Problematik doch die, daß im Staatsvertrag zwischen dem Bund und dem Land Hamburg eine Eingliederung der Bundeswehrhochschule in das allgemeine Hochschulwesen vorgesehen ist. Zum zweiten hatten wir von vornherein gesagt, daß dieses auch die Voraussetzung dafür sei, daß wir dieses Konzept mittragen. Wir waren uns darüber einig. Die praktischen Probleme sind uns bekannt. Insofern muß es in der Tat einen Stufenplan geben, um das Konzept der Öffnung zu realisieren.
Die letzte Bemerkung, die ich hierzu machen möchte, Herr Kollege Würzbach: Nicht ich habe gesagt, die Bundeswehroffiziere wichen der Auseinandersetzung aus. Ich habe auch nicht gesagt, Sie hätten das behauptet. Ich habe mich vielmehr auf das hier angesprochene Papier des stellvertretenden Generalinspekteurs bezogen, in dem es heißt, daß im Falle der Öffnung der Bundeswehrhochschule für zivile Studenten ganze Offiziersjahrgänge in eine bestimmte Richtung abdriften könnten. Darauf bezogen habe ich gesagt, daß dies eine nach meiner Meinung unvernünftige, jedenfalls nicht richtige Einschätzung der jungen Offiziere sei, daß sie nach
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Möllemann
meiner Meinung sehr wohl den Dialog mit Andersdenkenden bestehen könnten und ihn schon dort zu bestehen lernen sollten, weil sie hinterher in der Truppe die Auseinandersetzung führen müßten.
Insofern bitten wir sehr herzlich darum, Herr Staatssekretär, daß die von Ihnen angedeutete Bereitschaft, die Bundeswehrhochschule nun doch für zivile Studenten zu öffnen, sehr bald in die Praxis umgesetzt wird.
Herzlichen Dank. Ich habe keine Wortmeldungen mehr. Ich gebe dem Herrn Wehrbeauftragten das Wort.
Berkhan, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst dafür danken, daß Sie mir in so großer Einmütigkeit Gelegenheit geben, hier in der Debatte noch ein paar Gedanken und Bemerkungen zu meinem Jahresbericht 1977 und seiner Aufnahme und Wertung durch den Bundesminister der Verteidigung vorzutragen. Ich weiß, Frau Präsidentin, die Zeit ist knapp bemessen. Ich will daher versuchen, aufs Äußerste zu straffen. Dieses sollte jedoch nicht dazu führen, daß es zu Mißverständnissen zwischen den Damen und Herren des Parlaments oder auch zu Mißverständnissen zwischen mir und dem Parlamentarischen Staatssekretär sowie seinen Mitarbeitern, seien sie in Zivil oder seien sie in Uniform hier erschienen, kommt.
Viele Beobachtungen und Anregungen meines Jahresberichts sind ohne jede Resonanz beim Bundesminister der Verteidigung verhallt oder sind lediglich mit nichtssagenden Äußerungen versehen worden. Besonders augenfällig wirkt das Schweigen dort, wo es um den Grundrechtsschutz der Soldaten geht. Es ist bedauerlich, daß der Bundesminister der Verteidigung keine Stellung zu den im Jahresbericht aufgezeigten Verletzungen des Grundrechts der Menschenwürde bezogen hat. Der Schutz der Grundrechte gehört zum Kernbereich allen staatlichen Handelns. Das Schweigen des Bundesministers der Verteidigung zu den genannten Fällen könnte in der Truppe, aber auch in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, daß die aufgegriffenen Beispiele nicht als so schwerwiegend genommen werden, als daß sie einer Bemerkung bedürften.
Schweigen kann hier aber nicht Zustimmung zu meiner Wertung bedeuten, denn mehrfach hat sich der Minister an anderer Stelle schriftlich positiv zu meinen Bemerkungen geäußert. Sie können das in der Stellungnahme des Bundesministers zu meinem Jahresbericht selbst nachlesen.
Vorgesetzte dürfen Grundrechtsverletzungen, gleichgütig wie schwer sie zu bewerten und mit welcher Ausprägung auch immer sie geschehen sind, nirgendwo dulden oder decken. Ich meine, der Bundesminister der Verteidigung hätte nicht nur dem Soldaten als Staatsbürger in Uniform, sondern auch dem Parlament einen Dienst erwiesen, hätte er zu diesen Beobachtungen eine bekräftigende Äußerung abgegeben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Innere Führung erschöpft sich doch nicht in Rechtsanwendung. Man kann durchaus im Rahmen des eingeräumten Ermessens und damit rechtmäßig entscheiden und gleichwohl dabei Grundsätze der Inneren Führung außer acht lassen. Mit anderen Worten: ein Verstoß gegen die Grundsätze der Inneren Führung setzt keinen Ermessensfehler voraus, sondern kann schon dann gegeben sein, wenn von mehreren zulässigen Möglichkeiten diejenige ausgewählt wird, die sich — im Vergleich zu den nicht genutzten — für den Betroffenen nachteiliger auswirkt.
Im engen Zusammenhang hiermit steht die Argumentation des Bundesministers der Verteidigung zu der von mir aufgeworfenen Frage eines Ausgleichs für eine zu Unrecht vollstreckte Ausgangsbeschränkung. Herr Dr. Geßner ist schon darauf eingegangen. Ich hatte die Notwendigkeit eines solchen Ausgleichs betont und dafür sehr breit angelegte rechtliche Belehrungen des Bundesministers der Verteidigung empfangen. Diese Belehrungen hätten mich erfreut, wenn sie mich klüger gemacht hätten. Wer von uns würde nicht gerne klüger?! Bloß: Die aufgezeigte Rechtslage war mir bekannt. Ich bin zwar kein Jurist, aber dennoch habe ich mich so sachverständig gemacht, dies beurteilen zu können. Natürlich war mir bewußt, daß sich das Bundesverwaltungsgericht dieser Frage noch nicht zu stellen brauchte und der von mir erwähnte Beschluß des Truppendienstgerichtes Nord eine Einzelentscheidung war. Diese Entscheidung, die meine Auffassung stützt, ist keineswegs abwegig. Auf sie berufe ich mich ausdrücklich. Maßgebend für mich war und ist, daß ich es in hohem Maße für bedenklich halte, wenn zu Unrecht erlittene Freiheitseinschränkung — nämlich eine Ausgangsbeschränkung — keinen Ausgleich nach sich zieht.
Dabei ist anzumerken, daß derzeit selbst zu Unrecht erlittene Freiheitsentziehung — Disziplinararrest — nur in sehr engem Rahmen einen Ausgleich erlaubt, nämlich nur dann, wenn die sofortige Vollstreckbarkeit angeordnet worden ist. Hier wird für mich die Kollision mit dem Rechtsstaatsprinzip überdeutlich. Ich sage in diesem Zusammenhang ganz bewußt, daß die bei der Gesetzgebung angefallenen Materialien zur Wehrdisziplinarordnung, auf die sich der Bundesminister der Verteidigung bezieht, mir nur eine sehr untergeordnete Hilfe geben. Da sich Innere Führung nicht in bloßer Rechtsanwendung er-
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Berkhan
schöpft, bin ich nach den mir vorliegenden Erkenntnissen aus der Truppe unverändert der Auffassung, daß der Dienstherr in der Pflicht steht, einen zulässigen Weg für die Gewährung eines Ausgleichs sowohl bei Freiheitsentzug als auch bei Freiheitseinschränkung zu finden.
Nun noch einige Bemerkungen zur Bearbeitung von Anträgen und Beschwerden innerhalb des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Verteidigung. Der Bundesminister der Verteidigung macht es sich zu einfach, wenn er auf Vorhalt wegen der zum Teil über Gebühr langen Bearbeitungsdauer von Beschwerdeverfahren weiterhin auf seiner bisherigen Verfahrensweise beharrt und organisatorische und personalwirtschaftliche Mittel zur Verbesserung der Lage offensichtlich nicht in dem erforderlichen Maß einzusetzen gedenkt. Der Vertrauensschwund gegenüber dem Dienstherrn in eine gerechte Personalführung und in einen wirksamen Rechtsschutz mit den sich hieraus ergebenden negativen Folgerungen des einzelnen sollte nicht unterschätzt werden.
Wesentliches Element unseres demokratischen Rechtsstaates sind die dem Bürger garantierten Rechtsschutzmöglichkeiten. So hat auch der Bürger in Uniform ein Recht darauf, daß seine Anträge, seine Gesuche, seine Beschwerden. ohne Verzögerung bearbeitet und entschieden werden. Wenn aber, wie ich wiederholt feststellen mußte, Soldaten ungewöhnlich und unzumutbar lange Zeit auf Bescheide und Entscheidungen warten müssen, ist doch zu fragen, ob auf diese Weise die Rechtsschutzgarantie nicht beeinträchtigt ist. Ich verkenne nicht: Auch in der Bundeswehr gibt es notorische Antragsteller und Beschwerdeschreiber. Es ist auch nichts Außergewöhnliches, daß Anträge und Beschwerden unbegründet sind.
Interessant ist aber folgende Beobachtung. Die Vorstellung des Gesetzgebers in den §§ 16 und 17 der Wehrbeschwerdeordnung, über eine Beschwerde bzw. weitere Beschwerde werde regelmäßig innerhalb eines Monats entschieden, erwies sich insbesondere dann als unpraktikabel, wenn, wie ich ja im Jahresbericht ausgeführt habe, höhere Kommandobehörden oder gar der Bundesminister der Verteidigung selber mit der Sache befaßt waren. Ich sage in diesem Zusammenhang ganz bewußt, daß die im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung mit der Bearbeitung solcher Vorgänge befaßten Soldaten und Beamten unermüdlich und fleißig tätig sind, den Vorstellungen des Gesetzes nachzukommen. Sie schaffen es nur nicht immer in dem gebotenen Umfang.
Insgesamt vertrete ich deshalb die Ansicht, daß, wenn der Staat die Rechtsschutzmöglichkeiten gesetzlich garantiert, er als Dienstherr auch die organisatorischen und vor allen Dingen die personalwirtschaftlichen Voraussetzungen dafür schaffen muß, die Durchsetzung des Rechtsschutzes in der Praxis zu gewährleisten. Andernfalls nähert man sich einer Verfahrensweise, die schließlich den Charakter einer Rechtsverweigerung annehmen kann. Rechtsschutz dient auch der Rechtsbefriedigung, und Rechtsschutz zu gewährleisten, heißt deshalb zugleich, rechtzeitig zu entscheiden. Auch darin dokumentiert sich Innere Führung.
Wenn ich mit diesen meinen Bemerkungen den Fragenkomplex angesprochen habe, wie Anträge und Beschwerden innerhalb des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Verteidigung aus meiner Sicht behandelt werden, so möchte ich mich auch mit wenigen Worten dazu äußern, wie der Bundesminister der Verteidigung meine Überprüfungsersuchen bearbeitet. Ich tue dies insbesondere auch deshalb, weil die Frau Berichterstatterin des Petitionsausschusses in der Plenarsitzung vom 10. November 1978 Kritik an der Qualität und der Zügigkeit der Auskunftserteilung durch den Bundesminister der Verteidigung angemeldet hat.
Um es mit einem Satz zu sagen: Ich kann mich den kritischen Ausführungen der Frau Berichterstatterin so nicht anschließen. Ich zitiere dazu einen Satz aus meinem letzten Jahresbericht: „Die Wahrnehmung meines Kontrollauftrags gegenüber dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung brachte generell keine auffälligen Schwierigkeiten." Natürlich gibt es bei den etwa 6 700 bis 7 000 Vorgängen, die nahezu ausschließlich mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung abzuklären sind, hin und wieder Probleme. Diese sind aber Randerscheinungen, die meine eben getroffene generalisierende Feststellung nicht aufheben können.
Lassen Sie mich einen anderen Punkt nennen. Zu bedauern ist einerseits, daß wichtige im Jahresbericht angesprochene Fragen durch die Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung unzulänglich gewürdigt wurden, andererseits diese aber auch durch Äußerungen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung thematisch verbraucht wurden, bevor die parlamentarische Beratung im Verteidigungsausschuß und auch hier anstand. Will die parlamentarische Diskussion des Jahresberichts nicht der allgemein-öffentlichen Erörterung hinterherlaufen, halte ich es für notwendig, daß der Bundesminister der Verteidigung seine Stellungnahme zum Jahresbericht des Wehrbeauftragten umfassend und auch mit dem Engagement des Betroffenen abfaßt.
So erklärte der Bundesminister der Verteidigung beim Thema „Traditionspflege", es müsse noch eingehender ' untersucht werden, welche Bezüge zwischen Tradition und politischer Bildung bestünden. Diese Aussage ist für mich unbefriedigend,
denn die Bezüge zwischen politischer Bildung und Tradition sind hinlänglich bekannt, und sie fanden bereits 1965 Eingang in den Traditionserlaß, den Sie im Anhang zu meinem Bericht nachlesen können. Politische und historische Bildung sind schlechthin Voraussetzung für jede Traditionspflege im Sinne dieses Erlasses.
Aus meiner Sicht ist besonders stark zu bedauern, daß der Bundesminister der Verteidigung mit keinem Wort auf meine Anregungen zur Traditions-
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Berkhan
pflege eingegangen ist. Das Nichtbeziehen eines wie auch immer zu deutenden Standpunkts zu meinen Anregungen, verbunden mit der zum Ausdruck gebrachten Ratlosigkeit in Traditionsfragen, ist geeignet, in der Truppe Unverständnis und Unsicherheit aufkommen zu lassen. In der von mir vermißten Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung zu diesem Punkt hätte sich auch der Erkenntnisstand so umfassend widerspiegeln sollen, wie er zur Zeit der Abfassung dieser Stellungnahme beim Bundesminister der Verteidigung auch tatsächlich
gewesen ist.
Um es konkret zu sagen: Wenn der Generalinspekteur der Bundeswehr am 30. Juni 1978 in einer Grundsatzrede an der Führungsakademie der Bundeswehr sich zur Tradition und zur Traditionspflege umfassend und zudem mit meiner Beurteilung übereinstimmend äußert, dann stimmt es mich bedenklich, wenn zum gleichen Punkt die Stellungnahme des Bundesministers vom 9. Juni 1978, also nur drei Wochen vorher, lediglich wie folgt lautet:
Es muß noch eingehender untersucht werden, welche Bezüge zwischen Tradition und politischer Bildung bestehen.
Soweit das Zitat.
Gerade diese Bezüge hat der Generalinspekteur in
seiner Rede klar herausgearbeitet und detailliert
dargelegt. Das hätte man ebenfalls sowohl dem Ausschuß als auch dem Plenum zur Kenntnis geben können.
Da ich schon einige kritische Punkte anspreche, sei es mir gestattet, abermals auf die von meinem Amtsvorgänger in dessen Jahresbericht 1973 angeregte und vom Bundesminister der Verteidigung auch veranlaßte Informationsflußstudie zurückzukommen. Ihr sollte die Zielsetzung zugrunde liegen, Geschwindigkeit und Modifizierung von Befehlen und Meldungen auf ihrem Weg von der Leitung des Bundesministeriums der Verteidigung bis zum Einheitsführer und umgekehrt zu untersuchen.
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Wie bei derart umfangreichen Studiengegenständen üblich, benötigt die Analyse der zugrunde gelegten Dokumente sowie die Auswertung der mündlichen Auskünfte einen großen Zeitaufwand, so daß mit dem Erscheinen der Studie nicht vor 1979 zu rechnen ist. Der Bundesminister der Verteidigung wird sicherstellen, daß das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr die erforderliche Unterstützung für einen termingerechten Abschluß der Studie erhält.
Ich frage mich allen Ernstes, wie die Feststellung, die ich hier eben vorgetragen habe, gegenüber dem Parlament verwirklicht werden soll, wenn es in dem vom Bundesminister der Verteidigung im April 1978 herausgegebenen Heft Nr. 32 der Schriftenreihe „Innere Führung" auf Seite 19 wie folgt heißt:
Seit Frühjahr 1976 stagniert die Arbeit an diesem Projekt, da der Zugang zu den als erforderlich erachteten Materialien — für die Vorstudie wie für die Hauptstudie — dem Sozialwissenschaftlichen Institut bisher nicht ermöglicht wurde.
Aus gegebenem Anlaß möchte ich ein paar Bernerkungen zu der Frage der Teilnahme von Soldaten in Uniform an Veranstaltungen von Berufsorganisationen anschließen. Auch Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Bülow ist schon darauf eingegangen. Herr Abgeordneter Weiskirch hat in der Plenarsitzung vom 17. November 1978 meine Sorgen in dieser Frage bereits vorgetragen, die ich in zwei Jahresberichten dem Parlament unterbreitet habe.
Inzwischen ist aber ein Fall bekanntgeworden, der die Problematik erneut in aller Schärfe verdeutlicht. Ein Soldat wurde mit Disziplinararrest gemaßregelt, weil er in einem ehemaligen Konzentrationslager bei einer gewerkschaftlichen Veranstaltung zur Erinnerung an die Judenprogrome des Jahres 1938, zur Erinnerung an die sogenannte Reichskristallnachtmir geht das Wort immer sehr schwer über die Lip-ken —, in Uniform einen Kranz niedergelegt hatte. Ich versage mir hier und heute eine dienstrechtliche Würdigung dieses Vorgangs, denn das förmliche Beschwerdeverfahren vor dem zuständigen Truppendienstgericht ist noch nicht abgeschlossen. So viel aber erlaube ich mir, heute zu sagen: Ich begrüße es, daß der Bundesminister der Verteidigung diesen Fall zum Anlaß genommen hat, über das Uniform-Tragen bei politischen Veranstaltungen ernsthaft nachzudenken. Nur, ich hätte mir gewünscht, daß diese Bereitschaft früher Platz gegriffen hätte. Denn die Unsicherheiten und rechtlichen Unklarheiten auf dem hier erörterten Feld waren bekannt.
Es ist zu hoffen, daß die angekündigte neue Regelung gründlich und praxisnah erarbeitet wird. Denn sie muß dem einzelnen Soldaten und auch dem Vorgesetzten vor Ort wirklich eine Hilfe geben. Eine unter Hektik geborene Lösung, um vielleicht eine aktuelle Stimmung rasch aufzufangen, bringt gar nichts.
Ich füge hinzu, daß ein Erlaß auf diesem Feld schon seine Probleme aufwirft. Denn dieser Erlaß soll eine gesetzliche Norm ausfüllen, die im § 15 Abs. 3 des Soldatengesetzes wie folgt lautet: „Der Soldat darf bei politischen Veranstaltungen keine Uniform tragen."
So weit meine Äußerungen zum Jahresbericht und seiner Behandlung bzw. Würdigung durch den Bundesminister der Verteidigung.
Gestatten Sie mir anschließend bitte noch einige wenige Bemerkungen zur Rede des Herrn Abgeordneten Ernesti in der Plenardebatte vom 17. November 1978. Ich beschränke mich dabei auf seinen Vorwurf, ich hätte Kontroversen um drei von ihm namentlich genannte Offiziere unbeachtet gelassen. Ich möchte dazu folgendes feststellen: Den einen Komplex um die Versetzung zweier Generale in den einstweiligen Ruhestand durch den Herrn Bundespräsidenten habe ich ausdrücklich erwähnt. Von einer Wertung habe ich Abstand genommen, da das
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Bundesverwaltungsgericht mit einem wesentlichen Teil des Gesamtvorgangs, nämlich mit dem vom Bundesminister der Verteidigung verfügten Verbot der Ausübung des Dienstes, befaßt war. Eine Äußerung zur Sache hätte den Parlamentsbeauftragten dem Verdacht aussetzen können, er wolle auf laufende und dazu noch bei einem obersten Gerichtshof des Bundes anhängige Verfahren Einfluß nehmen. Dazu darf es nach meinem Amtsverständnis nicht kommen. Inzwischen hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts mit Entscheidungen vom 12. April 1978 die beiden Verfahren unanfechtbar abgeschlossen.
Mit dem auch vom Herrn Abgeordneten Ernesti erwähnten Schreiben vom 14. November 1978 habe ich nunmehr meine Wertung der Angelegenheit dem Herrn Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses übermittelt. Ich teile die Auffassung des Herrn Abgeordneten Ernesti, daß der Verteidigungsausschuß das geeignete Forum sein wird, den Gesamtvorgang noch einmal im einzelnen zu besprechen. Ich versage mir daher, weiter darauf einzugehen.
Ebenfalls erwähnt wurde ein weiterer Fall eines in den Ruhestand getretenen Generals, den ich, wenn auch nicht namentlich, in meinen Vorbemerkungen ausdrücklich angesprochen habe. Ich habe dargelegt, daß ich — unter Hinweis auf meine verfassungsrechtliche Bewertung der Doppeluntersuchung — für meine Prüftätigkeit keinen Raum mehr gesehen habe.
Maßgebend für meine Auffassung war der Beschluß des Verteidigungsausschusses vom 15. Juni 1977, die Angelegenheit selbst behandeln zu wollen. Die Beratungen des Verteidigungsausschusses fanden dann am 7. September 1977 statt. Es war insbesondere dieser Einzelfall, der die Problematik der sogenannten Doppeluntersuchung, nämlich die Prüfung ein und desselben Vorgangs durch den Verteidigungsausschuß einerseits und den Wehrbeauftragten andererseits, für mich mit aller Schärfe ins Blickfeld rückte.
Ich darf deshalb meine Anregung wiederholen, diese Frage zur Vermeidung weiterer Auslegungsschwierigkeiten im Rahmen einer Novellierung des Wehrbeauftragtengesetzes klarzustellen und praxisnah zu lösen. Was meine konkreten Anregungen zur Änderung der §§ 2 und 5 des Wehrbeauftragtengesetzes angeht, so habe ich mir erlaubt, diese dem Herrn Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses zuzuleiten.
Ich halte die Abgrenzung der gegenseitigen Kompetenzen im System parlamentarischer Kontrolle unverändert für zu komplex, als daß die Behandlung im jeweiligen Einzelfall allein von der subjektiven Betrachtung der Beteiligten — und ich bin ein Beteiligter — abhängig gemacht werden sollte. Es sollte eine Regelung getroffen werden, die die Zuständigkeiten unzweifelhaft festlegt, so daß sich der Wehrbeauftragte nicht mehr gelegentlich des Verdachtes erwehren muß, seine Verfahrensweise sei von anderen als sachbezogenen Erwägungen bestimmt gewesen. Eine solche, dem Wehrbeauftragten durch ein auslegungsfähiges Gesetz aufgezwungene Abwehrhaltung scheint mir nicht geeignet zu sein, parlamentarische Kontrolle glaubhaft zu machen.
In einer letzten Bemerkung, Herr Abgeordneter Würzbach, will ich mich ausdrücklich dafür bedanken, daß Sie darauf aufmerksam gemacht haben, daß diese berühmte lustlose Pflichtübung im Ausschuß schon weggenommen ist. Ich bin Ihnen auch dankbar, weil es nun im Protokoll steht, und damit ist es ganz öffentlich. — Herr Abgeordneter Ernesti nickt, und damit, kann ich sagen, sind wir beide in dieser Frage wieder einig. Ich muß das insbesondere deshalb tun, Herr Abgeordneter Ernesti, weil ich auch die Pflicht habe, meine fleißigen Mitarbeiter --- Angestellte, Arbeiter und Beamte — gegen ungerechtfertigte Vorwürfe in Schutz zu nehmen. Es mag sein, daß der eine oder andere auch im Amt des Wehrbeauftragten lustlos ist. Aber von Zeit zu Zeit — Frau Präsident, ich wage das zu sagen auf die Gefahr hin, daß Sie mich zur Ordnung rufen — habe ich auch in Zeitungen gelesen, daß es lustlose Abgeordnete gibt.
Herr Abgeordneter Ludewig hat einen sehr ernsten Vorgang aufgenommen; der liegt zurück. Wir werden ihn nicht mehr überprüfen können. Ich will Ihnen nur sagen, wir werden im Jahresbericht über das laufende Jahr Gelegenheit haben, darauf zurückzukommen. Im Berichtsjahr 1977 stand ich unter dem Eindruck, daß die Sanitätsoffiziere der Bundeswehr alle zusammen — die Aktiven, die Reservisten und die, die wir die „Restanten" zu nennen uns angewöhnt haben, die wehrpflichtigen Stabsärzte — so Vorsorge getroffen haben, daß man das Urteil, welches ich gefällt habe, durchaus zu Recht fällen konnte. Sie haben dabei natürlich nicht ganz im Auge gehabt, daß zu der Zeit ein größerer Versuch über Sanitätszentren lief, den ich sehr begrüßt habe. Aber ich will mich in die Organisationsgewalt des Bundesministers für Verteidigung nicht einmischen.
Herr Abgeordeter Ernesti, ich wende mich Ihnen noch einmal zu. Es ist nicht "so ernst zu nehmen, wie Sie das vielleicht nehmen könnten. Sie haben mich als „oberstes Kontrollorgan" angesprochen. Ich will dazu nur sagen, das kann sich sicherlich nur auf Recht und Innere Führung beziehen, ganz sicher. — Sie nicken schon. Aber auch da habe ich meine Zweifel. Man könnte darüber streiten, ob diese Bezeichnung als oberstes Kontrollorgan eher dem Bundestag, vertreten durch seinen Präsidenten, zukäme, vielleicht auch dem Verteidigungsausschuß. Ich will mich nicht über den Verteidigungsausschuß setzen. Bei ihm ist ja das parlamentarische Enqueterecht in Verteidigungsangelegenheiten monopolisiert. Sei es, wie es sei! Ich sehe, Sie nicken, und wir sind uns einig. Ich fühle mich nach wie vor als ein Hilfsorgan des Parlaments.
Ich habe vor Jahren gesagt, das Parlament ist mein Herr; es ist gottlob nicht mein Gebieter.
Es gibt auch bestimmte Felder, in denen ich frei
arbeiten kann. „Hilfsorgan des Parlaments" ist für
mich Ansporn genug. Ich darf dies so sagen; denn
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Berkhan
— um eine Bemerkung des Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
in der Plenardebatte des 17. November 1978 aufzugreifen — der Wehrbeauftragte möchte sich nicht gern heiligen lassen wollen.
Ich danke dem Herrn Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Bülow.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will keine neue Debattenrunde eröffnen.
Ich kann dies nicht. Ich habe der Präsidentin das Versprechen gegeben, einschließlich dieser Berner-kung nicht länger als eine Minute zu sprechen.
Ich lege großen Wert darauf festzustellen — ich habe das ja auch im Verteidigungsausschuß zum Ausdruck gebracht —, daß das Ministerium überall dort, wo wir bei den Ausführungen des Wehrbeauftragten über Grundrechtsbeschränkungen keine Anmerkungen gemacht haben, mit der Wertung und Würdigung des Wehrbeauftragten voll einverstanden ist.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses, die Ihnen auf der Drucksache 8/2224 unter den Nrn. 1 bis 3 vorliegt. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Jahn (Münster), Dr. Schneider, Nordlohne, Eymer (Lübeck), Francke (Hamburg), Lintner, Link, Luster, Dr. Möller, Niegel, Kolb, Frau Pack, Prangenberg, Sauter (Epfendorf), Dr. van Aerssen und der Fraktion der CDU/CSU
Privatisierung von Grund und Boden und von Sozialmietwohnungen
— Drucksachen 8/1010, 8/1903 —
Berichterstatter: Abgeordneter Krockert
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jahn .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ziel der CDU/CSU ist es — wie Sie seit langen Jahren mehreren Verlautbarungen entnehmen können —, privates Eigentum an Grund und Boden und an Wohnungen breiter zu streuen. Eine breitere Streuung privaten Eigentums ist die ordnungspolitische Alternative zur Einräumung bloßer Nutzungsrechte.
Wir sind der Auffassung, daß Bund, Länder und Gemeinden dazu beitragen sollen, unsere Eigentumsordnung auf breitere Schultern zu legen. Ja, wir sind der Meinung, daß Grund und Boden der öffentlichen Hand, der zur eigenen Infrastruktur nicht benötigt wird, wieder vornehmlich an die veräußert werden soll, die erstmals bauen wollen. SPD und FDP haben sich unserem Antrag nicht anschließen können, was uns letztlich auch nicht verwundert hat; den wir müssen bedenken, daß sich die Sozialdemokraten eben nicht die Privatisierung, sondern die Konzentrierung von Grund und Boden auf die Fahnen geschrieben haben.
Ich darf einen Beschluß aus dem Jahre 1973 in Ihre Erinnerung rufen, der in diesem Hause schon einmal genannt worden ist; aber es lohnt sich, ihn sich noch einmal vor Augen zu führen. Es heißt dort:
Für das Bundeseigentum an Boden ist gesetzlich festzulegen, daß ein Verkauf an Private grundsätzlich ausscheidet ... Die Länderparlamente werden aufgefordert, für das Bodeneigentum der Länder Bleichlautende Regelungen zu beschließen. Für die Kommunen muß gelten, daß Boden nur in unabweisbaren Fällen verkauft werden darf ... Sobald die Maßnahmen zur Verbesserung des kommunalen Bodenerwerbs und zur Verbesserung der kommunalen Finanzsituation in Kraft getreten sind, ist der Verkauf kommunalen Bodens nicht mehr zu rechtfertigen. Dann darf kein kommunales Bodeneigentum mehr verkauft werden.
Folgerichtig steht im Kommunalpolitischen Grundsatzprogramm der SPD der Satz: Jede Gemeinde muß die Entscheidung über die Nutzung ihres gesamten Bodens erhalten.
Konsequent — wenn für uns auch nicht akzeptabel — ist es deshalb, wenn in der Großen Anfrage der SPD zur Städtebaupolitik der Mangel an städtischem Boden generell beklagt wird. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Seite: Was hat eine solche Programmatik mit einer breiteren Streuung von privatem Eigentum an Grund und Boden zu tun? Diese Konzeption, die Sie auf Parteitagen beschließen, ist nicht eine Variante, sondern genau das Gegenteil der Privatisierung von Grund und Boden.
Auf Grund unserer ordnungspolitischen Vorstellungen müssen wir sagen, daß breitere Streuung privaten Eigentums alleine nichts nützt, wenn nicht auch eine Konzeption hinzugefügt wird, wie man Baulandpreise in den Griff bekommen will, wie Baulandpreise gesenkt werden können.
— Jetzt kommt, Herr Waltemathe, zunächst eine
Erklärung des Parlamentarischen Staatssekretärs,
9610 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Dr. Jahn
der auf diese Frage am 29. November 1978 in diesem Hause sagte — ich zitiere —:
Zur Senkung der Baulandpreise kann die Bundesregierung selber nichts beitragen.
Der Staatssekretär hätte mit dieser Aussage recht, wenn er damit den Planungswertausgleich angesprochen hätte. Sie haben ja dieses Modell ebenfalls in Ihrem Programm, nur wollen Sie es im Augenblick nicht verwirklichen, weil es vielleicht nicht publikumswirksam ist.
Eines aber kann keiner von Ihnen leugnen: Auch derjenige, der den Planungswertausgleich erheben will, verlangt vom Käufer den vollen Kaufpreis, ja — nach dem Modell — den Verkehrswert. Deshalb ist das Modell des Planungswertausgleichs ein völlig untaugliches Mittel, um die Bodenpreise zu senken.
— Ja, jetzt kommt unser Vorschlag. Der erste Vorschlag lautet: Das Vorkaufsrecht muß verstärkt in den Dienst der gemeindlichen Grundstückspolitik gestellt werden.
Der zweite Vorschlag lautet: Wenn mit den Grundsätzen der Städtebaupolitik vereinbar, sollten die Gemeinden zunächst, wo das wöglich ist, Land kaufen und es erst dann als Bauland ausweisen. Dann würde nämlich der Umwidmungstatbestand, daß Nichtbauland zu Bauland wird, bei den Gemeinden unmittelbar vollzogen werden.
Drittens sind wir der Meinung, daß im Bebauungsplan ausgewiesenes Bauland auch unverzüglich erschlossen werden soll.
Viertens. Bund, Länder und Gemeinden — das ist unser Antrag; ich würde mich freuen, wenn Sie auch hier „Sehr wahr!" rufen würden — sollten mit gutem Beispiel vorangehen und kein Bauland horten, sondern die Angebotspalette verbreitern und Bauland zu Gestehungskosten an Bauwillige veräußern,
insbesondere an diejenigen, die erstmals bauen wollen.
Dies ist unser Antrag, nicht mehr und nicht weniger. Er widerspricht eindeutig Ihren Programmen, Ihren Absichten, nämlich das Bauland allein auf die Gemeinden zu konzentrieren. Das ist nicht Privatisierung; das ist ein Weg, der genau das Gegenteil beinhaltet, ja, das ist der Weg in die Sozialisierung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der zweite Teil unseres Antrags befaßt sich mit der Umwandlung von Sozialwohnungen in Eigentumswohnungen. Der Erhöhung der Eigentumsquote durch die Förderung des Neubaus von Eigenheimen und Eigentumswohnungen sind Grenzen gesetzt. Die Errichtung eines Eigenheims wird auch künftig für breite Bevölkerungskreise infolge zunehmender Grundstückskosten, die immer noch zu verzeichnen sind, ein unerreichbarer Traum sein.
Aber gerade diese Einkommensschwächeren können sich den Erwerb einer Sozialwohnung vielfach leisten. Wir sollten ihnen dieses Konzept nicht ohne sachliche Gründe verbauen, sondern ihnen diese Möglichkeit zum Erwerb geben. Das bedeutet doch, daß hier auch ein sozialer Ausgleich geschaffen würde und auch diejenigen zu privatem Eigentum an einer Wohnung kämen, die sonst nicht in der Lage sind, privates Eigentum zu begründen. Auch diesen Weg wollen Sie heute verbauen.
Das zweite Argument für die Veräußerung von Sozialwohnungen ist, daß hiermit ein Schritt getan wird, den Wohnungsbau — ich betone: schrittweise und unter gezielter Absicherung individueller Belange — auf den Weg in die Soziale Marktwirtschaft zu führen.
Diese Konzeption ist ein Schritt in die richtige Richtung, nämlich in die Richtung der Liberalisierung im Bereich des Wohnungsbaubestands, ein Schritt in Richtung auf die Aufhebung der Zweiteilung des Wohnungsmarkts. Die Liberalisierung ist das einzig taugliche und vertrebare Instrument zur Beseitigung der dort aufgetretenen Fehlentwicklungen, zur Beseitigung insbesondere der Fehlsubventionierung sowie der Mietenverzerrung. Es ist ein taugliches Mittel, weil es an der Ursache ansetzt, nämlich an der Ausschaltung des Marktes in diesem Bereich. Es ist das einzige Mittel, weil alle anderen Mittel — so sagen Sie, so sagt auch der Herr Minister — zum Dirigismus führen.
Das Übel der Zweiteilung auf dem Wohnungsmarkt, daß nämlich Wohnungen gleicher Größe in der gleichen Straße mit der gleichen Wohnqualität unterschiedliche Preise haben, hat selbst der Herr Bundeskanzler auf dem Deutschen Mietertag im vergangenen Jahr angesprochen. Er hat in Hamburg ausgeführt: Es ist nirgends geschrieben, daß diese sogenannte Zweiteilung auf Ewigkeit so bleiben muß, ebenso wenig wie es auf Ewigkeit Sozialbutter auf der einen und freie Butter auf der anderen Seite geben muß.
Recht hat der Bundeskanzler. Aber leider kommt auch er gegen die ideologischen Barrieren von Ihrer Seite nicht an, wie ja auch jüngste Ereignisse in Hamburg deutlich gezeigt haben.
Lassen Sie mich Ihnen sagen: Die Zeiten für eine behutsame Neuorientierung in der Wohnungsbaupolitik waren noch nie so günstig, und wir sollten diese Zeiten nutzen.
Sie alle kennen den enormen Nachholbedarf — und das ist ein weiteres Argument für die Privatisierung von Sozialmietwohnungen —
im Bereich der Modernisierung.
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Dr. Jahn
Die Bereitschaft, in die eigene Wohnung zu investieren, ist wesentlich größer, wenn man Eigentümer dieser Wohnung ist; als wenn man Mieter ist. Deshalb soll gerade die Privatisierung von Sozialmietwohnungen Anreize schaffen, verstärkt zu modernisieren, wie wir das mehrmals im Ausschuß beantragt haben.
Nun halten Sie mir entgegen, hier würde den Mietern von den Verkäufern unverantwortbar verfallender Wohnungsbestand angedient. Ich glaube nicht, daß es so ist. Es wird aber so sein, daß die Wohnungen nicht auf dem neuesten Stand sind. Nur, der Mieter wird solche Wohnungen entsprechend preiswert erwerben und — das wissen wir ja — vielfach in Eigenleistung herrichten. Er kommt also zu Eigentum — das können Sie nicht bestreiten —, das er sonst viel teurer hätte bezahlen müssen. Da wir keinen zwingen wollen, taucht die Frage auf: Warum wollen Sie verhindern, daß auch der Sozialmieter zu privatem Eigentum kommt, und zwar zu Konditionen, die wesentlich günstiger sind, als der normale Markt, insbesondere beim Neubau, sie hergibt? Dies halten wir Ihnen heute vor.
Ein weiterer Punkt zugunsten der Privatisierung ist, daß wir ja gemeinsam Abwanderungs- und Zersiedlungstendenzen vor allem in Großstädten entgegenwirken wollen. Wir alle kennen die Flucht von der Stadt auf das Land. Wir sind der Meinung, daß der Erwerb von Wohneigentum in der Stadt geeigneter ist, die Bürger in der Stadt zu halten, als das sogenannte Stadthausmodell, Herr Minister, das sich finanziell schwach gestellte Bürger ohnehin nicht werden leisten können, wie die ersten Erfahrungen und unsere Besuche in der Nähe von Bonn gezeigt haben.
— So ist es.
Ein weiterer Punkt: Die Veräußerung von Sozialwohnungen wird den Markt für Gebrauchtwohnungen entspannen und damit auch preisregulierend wirken.
Nun fragen wir Sie: Warum lehnen Sie unseren Antrag ab? Was wir bezwecken wollen, ist erstens die gesetzliche Festschreibung von Grundsätzen zur Veräußerung von Sozialmietwohnungen. Sie haben gesagt, das seien alte, bekannte Grundsätze. Sicher sind die Grundsätze nicht neu; das geben wir zu. Nur, der Antrag bezweckt, daß endlich in den einzelnen Ländern nach einheitlichen Grundsätzen verfahren werden soll. Sie dürfen uns auch nicht entgegenhalten, die CDU sei es, die das Spekulantenturn fördere, das insbesondere für die Verdrängung von Mietern verantwortlich sei. Wenn Sie fair und ehrlich sind, sollten Sie sich auf unseren heute hier zur Diskussion stehenden Antrag beziehen. Er lautet:
... der Verkauf der Mietwohnungen darf nur an die bisherigen Mieter erfolgen, an Dritte nur, wenn die Wohnung frei wird, das Gesamteinkommen des Käufers die sich aus § 25 Abs. 1 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes ergebende Einkommensgrenze nicht übersteigt und er die Wohnung zur Eigennutzung erwirbt.
Ich frage Sie: Wer im Land, den Sie als Spekulanten ansehen,
fällt unter diese Kategorien? Das muß doch gesagt werden: erstens Veräußerung nur an die, die in den Wohnungen sind, an Dritte nur, wenn die Wohnung frei wird; zweitens muß man im sozialen Wohnungsbau wohnberechtigt sein und dann drittens Eigennutzung geltend machen. Wenn das nicht Sozialpolitik ist, weiß ich nicht, was sonst Sozialpolitik ist. Wenn Sie dem nicht Folge leisten, dann betreiben Sie nicht Sozialpolitik, sondern Sie hindern die sozial Schwachen, zu privatem Eigentum zu kommen.
Das zweite, was wir heute vorschlagen, ist, Anreize für die Umwandlung zu geben, und zwar zunächst auf der Erwerberseite: finanzielle Förderung kinderreicher Familien und von Schwerbeschädigten, wenn diese wünschen, ihre Sozialwohnung zu Eigentum zu erwerben. Das heißt, unser Antrag zielt darauf ab, den Schwerbeschädigten und den Kinderreichen zusätzliche Mittel zum Erwerb zu geben, wenn sie die Voraussetzungen erfüllen, sozial schwach und anspruchsberechtigt im sozialen Wohnungsbau zu sein. Nun hören wir von Ihnen, obwohl Sie sich zur Zeit zu einer verstärkten Familienpolitik aufschwingen, daß auch hier das Nein entgegengesetzt wird. Der zuständige Bauminister erklärt auf Pressekonferenzen mit Frau Kollegin Huber, was alles in der Familienpolitik getan werden muß, und wir hören dann im Ausschuß bei den Haushaltsplanberatungen, daß all die Punkte im Haushalt nicht abgesichert seien. Was ist das für eine Politik, verbal draußen in der Öffentlichkeit den Willen zu bekunden, Familienpolitik zu betreiben, und dann, wenn es zur Abstimmung kommt, gegen familienpolitische Maßnahmen zu stimmen?
— Herr Wehner, dies ist einfach zu durchschauen, weil der Beweis offenkundig ist, nämlich durch Tatsachen und Fakten.
Der dritte Punkt unseres Antrages betrifft die Veräußererseite. Wir wollen auch auf der Veräußererseite steuerliche Ungereimtheiten beseitigen. Es muß möglich sein, daß derjenige, der zuerst sein Mietshaus in Eigentumswohnungen umwandelt und dann im Interesse der breiteren Streuung privaten Eigentums an die Käufer veräußert, steuerrechtlich so wie der gestellt wird, der ein ganzes Haus auf einmal verkauft. Das ist unser Wunsch, und dem haben Sie sich bisher auch versagt.
— Das ist kein Maklerbegünstigungsgesetz, sondern ein Gesetz, mit dem Gleichheit in Verkaufstatbeständen eingeführt werden soll. Herr Kollege, ich darf Ihnen sagen, daß Ihre Seite im Ausschuß die Beseitigung dieser steuerlichen Ungereimtheiten anerkannt hat und sich nur nicht dazu aufgeschwun-
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gen hat, diese heute mit uns gemeinsam zu beschließen. Es ist also dringend geboten, endlich der seit langem erhobenen Forderung Rechnung zu tragen, die bestehenden steuerlichen Ungereimtheiten und Ungleichgewichtigkeiten im Zusammenhang mit der Umwandlung und Veräußerung von Mietwohnungen abzubauen. Sie lehnen dies ab. Wir stehen vor dem Tatbestand, daß die Bundesregierung nicht, wie von uns gewünscht, mit der Beseitigung der steuerlichen Problematik, sondern nur mit der Prüfung des Sachverhalts beauftragt wird, und zwar ohne jede zeitliche Vorstellung.
Ich wiederhole es noch einmal: Unser Antrag beinhaltet drei Punkte: erstens eine einheitliche Praxis bei der Veräußerung von Sozialmietwohnungen, und zwar Veräußerung nur an die Mieter der Wohnungen und an Dritte nur dann, wenn die Wohnungen frei werden — Sie sagen dazu nein —; zweitens auf der Erwerberseite eine finanzielle Besserstellung der sozial Schwachen, insbesondere der Schwerbeschädigten und der kinderreichen Familien — Sie sagen dazu nein —; drittens Beseitigung der steuerlichen Ungereimtheiten, wozu Sie auch nein sagen.
Im Ausschuß ist von Ihnen eine Reihe von Gegenargumenten angeführt worden. Als erstes Argument ist genannt worden, unseriöse Geschäftspraktiken seien die Folge mangelnden Rechtsschutzes. Wir haben vom zuständigen Minister in Beantwortung einer Kleinen Anfrage gehört, daß unseriöse Geschäftspraktiken nicht die Folge mangelnden Rechtsschutzes, sondern Folge mangelnder Aufklärung sind. Es freut uns, daß der Minister in aller Objektivität einmal klargestellt hat, daß die unseriösen Geschäftspraktiken, auf die wir in einigen Städten gestoßen sind, nicht darauf zurückzuführen sind, daß unser geltendes Recht versagt, sondern in der mangelnden Aufklärung begründet sind. Dies möchte ich klarstellen: Die Fälle unseriöser Geschäftspraktiken, in denen die Unwissenheit der Mieter mißbraucht wird, werden von der CDU/CSU genau wie von Ihnen auf das schärfste verurteilt. Allerdings ist dem Wohnungsbauminister zuzustimmen, wenn er in Beantwortung unserer Kleinen Anfrage schreibt, nach Auffassung der Bundesregierung — ich zitiere — gewährleiste das geltende Recht den Mietern einen nach den bisherigen Erfahrungen ausreichenden Schutz vor dem Verlust ihrer Wohnung.
Aufklärung über die Rechte und Pflichten von Verkäufern und Käufern ist notwendig. Es ist interessant, daß nach den Bekundungen des Wohnungsbauministers unseriöse Geschäftspraktiken vor allem, so hat er es ausgeführt, in Hamburg und Berlin zu verzeichnen seien. Sie werden verstehen, daß wir hier vor diesem Hause fragen: Wer regiert dort eigentlich? Wie kann der Wohnungsbauminister das Land Hamburg lobend hervorheben, wenn dort erst mit der Aufklärung der Bürger begonnen wurde, als das Kind in vielen Fällen bereits im Brunnen lag?
Diese Frage halten wir der Regierung, die dort tätig ist, vor. Dort kommt jetzt ein Spiegel, eine Übersicht über die Rechte von Vermietern und Mietern heraus, die andernorts schon längst bekannt ist.
Das zweite Gegenargument besagte, der Sozialwohnungsbestand müsse zur Versorgung Einkommensschwacher mit preisgünstigem Wohnraum erhalten bleiben. Zunächst habe ich den Eindruck, daß ganz überzogene Vorstellungen über die Leistungsfähigkeit des Sozialwohnungsbestandes für die Versorgung der einkommensschwachen Bevölkerungskreise bestehen. Dazu ist der soziale Wohnungsbau infolge der strukturellen Fehlentwicklungen viel zu unbeweglich. Meine Damen und Herren, wenn Sie zugeben müssen, daß 40 % aller Wohnungen im sozialen Wohnungsbau fehlbelegt sind und daß in diesen Wohnungen Bürger sind, die vom Portemonnaie her eine höhere Miete zahlen könnten, es aber von Gesetzes wegen nicht müssen, dann werden Sie verstehen, daß diese 40 % überhaupt kein Interesse haben, aus ihren Wohnungen auszuziehen. Wenn Sie dieses Übel nicht an der Wurzel beseitigen wollen, dürfen Sie auch nicht fragen, warum der soziale Wohnungsbau so unbeweglich geworden ist, wie er heute offenkundig in der Praxis erscheint.
Der dritte Punkt: Der soziale Nutzeffekt geht auch bei der Veräußerung frei werdender Sozialmietwohnungen nicht verloren. Sie behaupten das allerdings. Der soziale Nutzeffekt einer Sozialmietwohnung ist doch der, daß sie auch nach der Rückzahlung der öffentlichen Mittel noch weitere zehn Jahre der Gesamtheit der Wohnberechtigten zur Kostenmiete zur Verfügung steht. Das tut sie auch, wenn sie veräußert wird: denn die Bindungen bleiben bestehen, und auch der selbst ablösende Käufer kann sich von diesen nicht befreien, so wie etwa der, dessen Eigenheim gefördert wurde. An der Verfügbarkeit für die Gesamtheit der Sozialwohnungsberechtigten vermag die Veräußerung selber nichts, aber auch gar nichts zu ändern. Sind die Mittel vor dem Verkauf zurückgezahlt, bleiben die Bindungen zehn Jahre lang fortbestehen, unabhängig davon, ob der Mieter oder ein Dritter die Wohnung erwirbt. Auch wenn der erwerbende Mieter auszieht, kann nur an Wohnberechtigte und nur zur Kostenmiete vermietet werden. Das gleiche gilt für den erwerbenden Dritten.
Deshalb kann überhaupt nicht davon die Rede sein, daß der soziale Nutzeffekt einer Sozialmietwohnung durch Veräußerung angetastet wird, und zwar deshalb nicht, weil ja die Bindungen, die auf diesen Wohnungen ruhen, bis zu zehn Jahre auf diesen Häusern weiter lasten. Sie dürfen also nicht mehr mit dem Argument durch die Lande ziehen, der Nutzeffekt gehe verloren.
Weiterhin wird ins Feld geführt, die Zweckbestimmung werde nicht eingehalten. Machen Sie sich einmal die Mühe, nachzulesen, was über die Sozialwohnungen der 50er und 60er Jahre geschrieben steht. In § 63 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes steht der Satz :
Soweit aus städtebaulichen oder anderen Gründen Mehrfamilienhäuser geschaffen werden, soll ein angemessener Teil so gebaut werden, daß eine spätere Überlassung der Wohnungen als Eigentumswohnungen möglich ist.
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Ferner heißt es im Ausschußbericht: Die §§ 63 bis 66 enthalten Vorschriften, die die Übertragung von Mietwohnungen in Privateigentum ermöglichen und fördern sollen. Das heißt doch, daß gerade der Gesetzgeber die Bindungen damals nur auf Zeit festgesetzt haben wollte. Er ging davon aus, daß die Notzeit einmal beendet wird. Wenn wir dann in aller Behutsamkeit die schrittweise Liberalisierung des Wohnungsbaus, Schritte zu mehr Marktwirtschaft vorschlagen, dann versagen Sie dem Ihre Zustimmung — nicht aus sachlichen Erkenntnissen, sondern, wie ich den Eindruck habe, aus ideologischen Überlegungen.
— Endlich, Herr Wehner.
Es wird dann weiterhin gesagt: Ihr wollt den Sozialmieter mit einer Eigentumswohnung beglücken; er will sie doch gar nicht. — Herr Kollege Krockert, Sie haben gesagt, daß derjenige, der eine Eigentumswohnung kaufe, keinen wirtschaftlichen Vorteil daraus ziehe, weil er viel preiswerter in einer Mietwohnung wohnen könne. Ich verkenne nicht, daß das im Einzelfall durchaus richtig ist. Aber, Herr Kollege Krockert, wir nehmen für uns in Anspruch, keinen zu zwingen, eine Sozialmietwohnung zu kaufen. Er kann das frei entscheiden. Wenn er aus dem Grunde eine will, weil auch er dem privaten Eigentum einen höheren Wert zumißt als Sie, dann dürfen Sie ihm die Realisierung dieses Wunsches nicht verbauen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluß.
— Das gefällt Ihnen immer, Herr Wehner; ich weiß das.
Die Wohnungsbaupolitik ist zum öffentlichen Ärgernis geworden. Sie verdient nicht die Bezeichnung „sozial", von „liberal" mangels Marktorientierung ganz zu schweigen.
Wir halten Ihnen vor: Der Wohnungsmarkt ist dual. Die Auseinanderentwicklung beschleunigt sich von Jahr zu Jahr. Gleiche Wohnungen in gleichen Städten in gleichen Straßen mit gleichem Wohnkomfort haben unterschiedliche Preise. Sozialmieten liegen manchmal höher als vergleichbare Mieten im frei finanzierten Mietwohnungsbau.
Der Bauminister mußte in einer Berechnung für das Jahr 1982 vorrechnen, daß die Kostenmieten im sozialen Wohnungsbau dann auf 14 DM pro Quadratmeter angewachsen seien.
Ich wage es zu bezweifeln, daß die Marktmieten 1982 auch so hoch sein werden. Haben Sie mehr Mut zum Markt!
Konzentrieren Sie die öffentlichen Mittel auf die wirklich Bedürftigen im Lande. Dann haben die wirklich Bedürftigen mehr davon als heute bei Ihrer Politik.
Meine Damen und Herren, die Wohnungsbaupolitik bedarf einer Neuorientierung. Eines ihrer Ziele, die Mindestversorgung der Bürger mit geeignetem Wohnraum, ist von bestimmten spezifischen Engpässen abgesehen, weitgehend erreicht. Die Wohnungswirtschaft sollte daher bis auf einen für Problemfälle benötigten Mindestbestand, den wir brauchen, unter gezielter individueller Absicherung, sprich: einer Neuorientierung der Wohngeldgewährung schrittweise in die Soziale Marktwirtschaft eingebunden werden.
Die Bildung privaten Eigentums mit Vorrang zu fördern, bleibt deshalb auch weiterhin gesetzlich gebotene Aufgabe der Wohnungsbaupolitik. Wir halten deshalb an dem Ziel, Eigentum an Grund und Boden und Eigentum an Wohnungen breiter zu streuen, energisch fest.
Wenn Sie draußen durch die Lande ziehen und dasselbe verbal bekunden, dann müssen Sie sich auf Programme und Ablehnungen, die Sie hier im Deutschen Bundestag unseren Anträgen entgegengesetzt haben, verweisen lassen.
— Die Eigenheime, die gebaut worden sind, sind nicht Ihrer Politik zu verdanken, sondern dem Bürgerfleiß draußen im Lande. Die Bürger sind bereit, sich krummzulegen, um zu privatem Eigentum zu kommen.
Herr Kollege Conradi mußte sich vor einigen Tagen hier im Deutschen Bundestag hinstellen und sagen: Wir, die Sozialdemokraten, haben hinzugelernt. Wir haben aus einer Umfrage erkannt, daß 50 % unserer Mitglieder privates Eigentum und von den restlichen 50 % 30 % einen Bausparvertrag abgeschlossen haben. Deshalb, so hat Herr Conradi hier gesagt, ändern wir unsere Politik im Hinblick auf das private Eigentum. Motiv dafür ist nicht Ihre Konzeption, sondern Sie nehmen Rücksicht auf die Situation der Bevölkerung, weil Sie wissen, daß das Bewußtsein in der deutschen Bevölkerung noch nicht so weit fortgeschritten ist, daß es es zuließe, Ihre Konzeption heute zu verwirklichen.
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Deshalb möchte ich Ihnen sagen, daß Privatisierung von Grund und Boden sowie von Wohnungen keine Pervertierung, sondern die Konkretisierung des allgemeinen Wohls beinhaltet.
— Sie können in Münster Grundstücke kaufen, aber wenig geeignet für einen Oberbürgermeister von Recklinghausen.
Das Problem unseriöser Spekulation mit ganzen Wohnblocks sollte steuerpolitisch gelöst werden.
Leider kommen Sie damit nicht über. Wir haben dies im Ausschuß schon erörtert. Einige Fälle unseriöser Geschäftspraktiken in einigen wenigen Großstädten,
z. B. Berlin, Hamburg — so der Minister —, dürfen zwar nicht verharmlost oder entschuldigt werden, sie dürfen aber auch nicht — das hat mein Kollege Schneider schon vor einigen Tagen ausgeführt — zum Anlaß genommen werden, die Wohnungseigentümer und Vermieter pauschal mit dem Etikett des Spekulantentums zu diskriminieren. Wir wollen nicht, daß das Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter belastet wird. • Schreiben Sie sich aber das hinter die Ohren, was Ihr eigener Wohnungsbauminister gesagt hat:
Die Verkäufer und die Käufer müssen über die geltende Rechtslage aufgeklärt werden. Sie sei im großen und ganzen ausreichend, Aufklärung täte not. Deshalb rufen auch wir Ihnen zu: Verkäufer und Käufer müssen über die Rechtslage aufgeklärt werden und aus heutiger Sicht nicht mit neuen Gesetzen beschert werden. Gesetze haben wir genug. Es wäre populär, einmal ein Gesetz zum Abbau von Gesetzen zu schaffen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krockert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich gehöre zu den soundso viel Prozent innerhalb der Sozialdemokratischen Partei, die einen Bausparvertrag haben, könnte also eigentlich nicht unter den Verdacht geraten, eigentumsfeindlich zu sein. Das gilt in der Tat für mehr als diese paar Prozent in unserer Partei, die einen Bausparvertrag haben.
Die Beschlußempfehlung des Ausschusses, die Ihnen heute vorliegt, hat zwei Teile. Der erste sagt, der Bundestag wolle beschließen, den Antrag abzulehnen. Der zweite Teil fordert die Bundesregierung auf, zusammenhängend darzustellen, welche steuerlichen Belastungen mit der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen verbunden sind, und zu prüfen, inwieweit ungleiche steuerliche Belastungen abgebaut oder gemindert werden können. Ich beschränke mich in meinen Ausführungen auf den ersten Teil, die Gründe für die Ablehnung. Mein Kollege Gattermann wird sich zu dem zweiten Teil äußern.
Für die Ablehnung des Oppositionsantrages sind zwei Gründe maßgebend: Soweit er die Veräußerung öffentlichen Bodens an private Bauwillige betrifft, ist er durch Gesetz und Praxis seit Jahren überholt. Soweit er die Umwandlung von Sozialwohnungen in Eigentumswohnungen anspricht, ist er eine Zumutung an die sozialliberale Bundesregierung, die zur breiteren Streuung des Eigentums einen ganz erheblichen Beitrag geleistet hat, den Sie dauernd leugnen wollen.
Ihr Antrag würde außerdem eine Entwicklung einleiten, deren wohnungspolitische Auswirkungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht voll absehbar und deshalb mit beträchtlichen Risiken verbunden sind.
Zum ersten. Verbilligte Veräußerung von Bundesgrundstücken findet seit Jahren statt, nicht weil es die CDU/CSU permanent fordert, sondern weil es seit 1971 ein Bundesgesetz darüber gibt. 1971 hatten wir hier im Hause eine Koalitionsmehrheit, wie Ihnen bekannt ist. Der Bundestag hat es verabschiedet.
Uber seinen Vollzug wird dem Bundestag Jahr für Jahr berichtet. Ich habe einmal in diesen Berichten und in den Diskussionen darüber nachgesehen. Es hat zwar gelegentlich den Wunsch nach der einen oder anderen ergänzenden Information gegeben, nicht aber den Vorwurf, die Bundesregierung würde dieser ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur verbilligten Abgabe von Grund und Boden nicht nachkommen, oder auch nur: nicht genügend 'nachkommen.
Selbstverständlich hat das Gesetz nicht dazu geführt, daß alles, was da irgendwo an bebauungsfähigem Grund und Boden locker ist, aus Bundesbesitz in Privathand überführt wird. Das sollte es nicht, das wird es auch in Zukunft nicht. Der verbleibende Bestand unterliegt nämlich, wie Ihnen bekannt ist, auch der Planungshoheit der Gemeinden. Ob die Gemeinden solche Flächen als Baugelände ausweisen wollen oder ob sie sie in Abwägung öffentlicher Interessen und privater Wünsche als Bodenreserve behandeln, unterliegt allein ihrer eigenen Kompetenz. Das gilt auch für landeseigene Grundstücke, und das gilt erst recht für gemeindeeigene Grundstücke.
Soweit unsere Verfassung überhaupt eine Einwirkung des Bundes auf die Gemeinden zuläßt, damit diese auch ihrerseits eine breitere Streuung des Bodeneigentums ermöglichen, ist längst geschehen, was erlaubt ist. Das Zweite Wohnungsbaugesetz verpflichtet Bund, Länder und Gemeinden, darüber hinaus auch Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, zu angemessenen Preisen Grundstücke als Bauland für den Wohnungsbau bereitzu-'
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stellen. Den Gemeinden wird auferlegt, in Planung und Bodenpolitik die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß Familienheime errichtet werden können. In einer Entschließung des Bundestages vom 31. März 1971 sind Länder und Gemeinden aufgefordert worden, die verbilligte Veräußerung eigener Grundstücke ebenso zu ermöglichen, wie es der Bund tut. Meine Damen und Herren, die Wiederholung geltender Vorschriften halten wir für überflüssig, weitergehende Einwirkungen auf Gemeinden oder Länder für nicht zulässig.
Zum zweiten. Sozialwohnungen werden bekanntlich bereits in Eigentumswohnungen umgewandelt. Die Länder haben von 1977 bis Mitte 1978 4 500 Fälle gezählt. Ganz ohne Zweifel hat doch die steuerliche Begünstigung des Erwerbers nach § 7 b des Einkommensteuergesetzes und die Grunderwerbsteuerbefreiung des Eigennutzers diese Umwandlung verstärkt in Gang gebracht. Dafür hat die Bundesregierung gesorgt. Für den Ablauf des Vorgangs hat sie Grundsätze entwickelt, die in den Ländern weitgehend Anwendung finden.
Es ist auch von uns zu begrüßen, wenn sich mehr Sozialmieter jetzt in der Lage sehen, ihre Wohnung zu erwerben, aus freien Stücken und ohne sich dabei wirtschaftlich zu übernehmen. Aber nun will die Opposition mehr als das. Weil dies Mehr auch deutlich werden soll, versieht sie es mit einem Etikett, das, „ordnungspolitisch" genannt wird — mit dem Etikett „Privatisierung" und, wenn es um den Bestand geht, „Liberalisierung". Das sind diese Worte wie Glockentöne. Nicht etwa nur „Eigentumsbildung im sozialen Wohnungsbau" ! Das machen SPD und FDP ja auch. Nicht nur „breitere Streuung des Eigentums"! Das wollen ja auch die Koalitionsparteien. Nein, „Privatisierung" muß das heißen. Das ist zwar falsch, weil wir bekanntlich keine Staatswohnungen haben; aber gerade darum ist das Programm. Es klingt nach „freie Fahrt für freie Bürger", die den Staat in seine Schranken weisen. Deshalb dienen Sie der Bundesregierung einen solchen Gesetzentwurf an.
Mit diesem Etikett haben Sie, die Unionsparteien, nun nicht etwa einen eigenen Gesetzentwurf versehen — das wäre Ihr gutes oppositionelles Recht gewesen —, sondern unter dieser scheinliberalen, scheinheiligen Kampfparole soll der Bundestag die Regierung auffordern, ein Gesetz vorzulegen!
Das ist aber nicht der einzige Grund, weshalb wir diese Ihre Zumutung an die Bundesregierung ablehnen. Die Umwandlung von Sozial- in Eigentumswohnungen hat, wie Sie alle wissen, gegenwärtig keinen sehr guten Ruf im Lande, und zwar aus einer ganzen Reihe von Gründen. Ich bedaure das, weil die Sache es wirklich nicht verdient, sich nur in negativen Presseartikeln widerzuspiegeln, nur in den Warnungen besorgter Gemeinden, in alarmierten Zuschriften, in den Hilferufen Bedrängter, die davon betroffen sind. Es ist wirklich anzuerkennen, daß offenbar unter den 4 500 Fällen, von denen ich sprach, doch wohl eine ganze Reihe von solchen gewesen sind, wo die Betroffenen diesen Vorgang als positiv in seiner Abwicklung und in seinem Ergebnis für sich selber erlebt haben.
Aber wenn das Echo auf diese Dinge im Lande im Augenblick so negativ ist, wird dieser Vorgang doch offensichtlich dort, wo er eingeleitet wird, noch von zu vielen Menschen als negativ erlebt, erfahren. Dieses Problem wollen Sie nicht sehen.
Es kann schon sein, daß Mieter von Wohnungen, die noch in der Bindung sind, weniger von der Verdrängung bedroht sind als die Inhaber von Wohnungen, die entbunden wurden oder werden sollen. Ich will darauf jetzt nicht im einzelnen eingehen. Es sollte aber niemand meinen, in dieser Situation, die ich geschildert habe, könne man heute an irgendeiner Stelle noch kräftigere Impulse für den Umwandlungsprozeß geben, ohne sich vorher gründlich Rechenschaft über alle Bereiche der Umwandlungspraxis und über ihre Bedeutung im wohnungspolitischen Gesamtzusammenhang gegeben zu haben und ohne zuvor eine ganze Reihe von Unsicherheiten geklärt und beseitigt zu haben.
Sicher gehört dazu auch das, was Sie fordern: die Leute müßten aufgeklärt werden, sowohl die Mieter, die erwerben können, als auch in anderen Fällen, von denen Sie hier nicht sprechen, etwa Dritterwerber, die manchmal hereinfallen, weil sie nicht ganz übersehen haben, was da auf sie zukommt. Aber was soll denn dieser Appell an Aufklärung?
Wir brauchen doch nicht nur einen Appell. Wir brauchen eine Aufklärungsverpflichtung für diejenigen Eigentümer, die veräußerungswillig sind.
Das sind doch Dinge, die erst einmal geprüft werden müssen, bevor man überhaupt diesen Umwandlungsprozeß erneut auch noch mit finanziellen Impulsen versieht und sagt: Nun wandelt mal schön um.
Wir werden uns hier damit demnächst wieder kritisch auseinanderzusetzen haben, und zwar nicht deshalb, weil wir etwa die breiter gestreute Eigentumsbildung verhindern wollten — wir wollen sie im Gegenteil in ihren positiven Wirkungen sichern und weiterentwickeln —; aber das, was bei der Umwandlung zu tun oder zu lassen ist, wollen wir aus der Erfahrung ableiten;
aus der Erfahrung der Beteiligten mit dem, was sich unter diesem Titel tatsächlich abspielt, nicht bloß aus Wünschen, die aus einem ideologieträchtigen Privatisierungsbegriff genährt werden.
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Krockert
Wir haben deshalb nicht nur die Frage eindeutig zu beantworten, wie sich ein Sozialmieter heute ohne Schaden und Nachteil gegen die Eigentumsbildung entscheiden kann, wenn er nun einmal Mieter in seiner Sozialwohnung bleiben möchte, und zwar nicht in der Theorie, sondern in der Praxis. Wir haben vielmehr auch zu klären, in welchem Umfange und auf welche Weise Bestände. an preiswerten Sozialmietwohnungen dort erhalten werden können, wo sie als Mietwohnungen weiterhin zur Deckung des Bedarfs benötigt werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kolb?
Gern.
Herr Kollege Krockert, halten Sie bei einem Bestand von 4,6 Millionen Sozialwohnungen 4 500, also ein Tausendstel, für einen so großen Erfahrungswert, daß man den jetzt prüfen sollte, oder meinen Sie nicht auch, daß die Zahl größer sein müßte, damit man von einer konkreten Erfahrung sprechen kann?
Herr Kollege, das ist doch keine Frage der Quantität.
Wir wollen nur vermeiden, daß wir uns mit dem, was wir neu einführen, in ein Lotteriespiel begeben, dessen Ausgang für die Betroffenen, für die Beteiligten von uns allen, auch von Ihnen, nicht wirklich überschaut wird. Das ist der Grund,
aus dem wir aus einer anderen Richtung an die Umwandlungsfrage herangehen wollen..
Ich habe von. der Bestandsfrage gesprochen, von der Sie gesagt haben, das würden wir ganz falsch sehen. Wenn Sie das so behaupten, muß ich Sie doch noch einmal an etwas erinnern, was hier im Hause auch schon einmal eine Rolle gespielt hat, nämlich an eine Äußerung eines maßgeblichen Ministers aus dem Lande Bayern,
des Herrn Ministers Merk. Er sagte:
Nicht unbedenklich, ja problematisch ist aber, daß gleichzeitig der Förderungserfolg verlorengeht oder jedenfalls in Frage gestellt wird. Das wird er selbst dann, wenn der Kaufpreis die ursprünglichen Herstellungskosten nicht oder nicht wesentlich übersteigt, und auch dann, wenn der erwerbende Mieter das öffentliche Baudarlehen voll übernehmen kann. Mit ihrer Umwandlung in eigengenutzte Eigentumswohnungen scheiden Sozialwohnungen nämlich für alle Zeiten aus dem Bestand der öffentlich geförderten Mietwohnungen aus. Damit gehen sie
für alle Zeiten dem Personenkreis verloren, für den sie mit dem Einsatz öffentlicher Wohnungsbauförderungsmittel einst bestimmt wurden.
Meine Damen und Herren, wir gehen nicht so weit, wie Herr Merk im Jahre 1975 in der Beurteilung dieser Frage gegangen ist. Nur meinen wir, daß die Bestandsfrage und ihre Notwendigkeit im Zusammenhang mit der Umwandlungsfrage nicht so leichtfertig abgetan werden dürfen, wie Sie das laufend und auch heute wieder tun.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Höpfinger?
Herr Kollege, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß diese Äußerung des damaligen Innenministers Dr. Merk der Anfang der Diskussion war . und am Ende der Diskussion die Umwandlung von Sozialwohnungen in Eigentums- Wohnungen stand, und zwar auch in Bayern? Gerade wir haben in Bayern den Anfang gemacht.
Herr Kollege, würden Sie bitte folgendes zur Kennntnis nehmen: Wir haben wohl begriffen, daß das damals der Anfang der Diskussion war, aber wir sind nicht der Meinung, daß sie schon beendet ist.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Es ist mehr eine Bernerkung als eine Zwischenfrage: Beendet ist das Problem deshalb — —
Eine Bemerkung, Herr Kollege Höpfinger, darf ich nicht zulassen. — Bitte schön, fahren Sie fort, Herr Kollege.
Der Grund dafür, daß wir in dieser Hinsicht vorsichtiger sind — nicht mit dem Ziel, eine Umwandlung 2u verhindern, sondern sie in die richtigen Wege zu leiten —, ist, daß wir nach wie vor auch die Begünstigung der Eigentumsbildung als einen Bestandteil wohnungspolitischer Gesamtverantwortung betrachten. Niemand soll auf der Strecke bleiben, weil nun einmal partout Eigentum gebildet, nein, „privatisiert" werden soll.
Ich wiederhole: Eigentum bilden möchten viele, wohnen müssen alle. Wir sind für alle da, nicht nur für die Eigentumswilligen und schon gar nicht für die Veräußerungswilligen allein.
Wir bitten Sie deshalb, der Ausschußempfehlung zu folgen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gattermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Dr. Jahn, Sie haben Ihre Ausführungen eben mit einem
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Gattermann
Schlußappell beendet, der beinhaltete, wir sollten keine neuen Gesetze machen. Nun, wir folgen Ihrem Appell sofort und lehnen diesen Antrag ab, der nichts weiteres zum Inhalt hat, als ein neues Gesetz zu machen.
Eine weitere Bemerkung, Herr Kollege Dr. Jahn. Es ist natürlich ungeheuer reizvoll, hier über das gesamte Instrumentarium der Wohnungspolitik zu diskutieren. Für Sie ist es darüber hinaus immer wieder besonders reizvoll, über Parteitagsbeschlüsse zu philosophieren.
Aber ich meine, dies ist nicht der Ort, so etwas zu tun.
Wir haben uns sehr konkret mit Ihrem Antrag auseinanderzusetzen, den Sie hier dem Deutschen Bundestag zur Entscheidung vorgelegt haben. Wenn die Mehrheit der Koalitionsfraktionen im Ausschuß empfiehlt, diesen Antrag zur Privatisierung von Grund und Boden und Sozialmietwohnungen zurückzuweisen, so legen wir Wert darauf, hier knapp aber deutlich,
lieber Herr Kollege Dr. Jahn, die Gründe dafür darzulegen, damit Sie nicht draußen im Lande mit der Behauptung hausieren gehen, die Bundesregierung oder die Koalitionsfraktionen sperrten sich dagegen, daß auf breiter Front Wohnungseigentum gebildet werde. Dies ist in der Tat nicht so.
Wir lassen uns von niemandem in unserem politischen Wollen überbieten, die Eigentumsbildung auf breiter Front zu fördern,
und zwar insbesondere im Bereich des Wohnungseigentums. Denn Wohnungseigentum ist ein instrumentales Mittel individueller Freiheitsentwicklung und -gestaltung. Die Versorgung unserer Bürger mit angemessenem, sicherem Wohnraum ist nach unserer Einschätzung am besten durch Wohnungseigentum zu gewährleisten. Das gilt für die individuelle Finanzierung der Herstellungs- und Bewirtschaftungskosten einer Wohnung, für die Erbringung des Anteils der Wohnungswirtschaft am Bruttosozialprodukt aus gesamtwirtschaftlicher Sicht,, für die rechtspolitische Gestaltung des Rahmens, in dem die Wohnung dem einzelnen zugeordnet und für ihn und seine Familie sicher erhalten wird, nicht zuletzt auch für die sozialpolitische Verpflichtung, die angemessene Wohnungsversorgung für jedermann zu gewährleisten.
Diese Erkenntnis, Herr Kolb, und das daraus abgeleitete politische Ziel versperren uns aber nicht den Blick dafür, daß wir daneben eine ausreichende Zahl von Mietwohnungen, insbesondere auch von Sozialmietwohnungen, für bestimmte Bevölkerungskreise benötigen.
Nur mit Eigentum geht es nicht.
Meine Damen und Herren, der der Ablehnung anheimgegebene Antrag befaßt sich in seinem ersten Teil damit, daß Bund, Länder und Gemeinden den Baulandmarkt mit einem Angebot an preiswerten, unbebauten Grundstücken vermehrt bereichern sollen. Ich habe hierzu bereits in der ersten Lesung gesagt, daß dies ein löbliches Anliegen ist. Ich will dies nicht wiederholen. Das kann in dem Protokoll der Debatte vom 10. November nachgelesen werden. Ich will aber ergänzen: Natürlich gibt es in Ballungsräumen Engpässe hinsichtlich unbebauter, erschlossener Grundstücke, die sich für den Eigenheimbau eignen. Natürlich verschärft sich hier der ohnehin bestehende Preisdruck noch dadurch, daß seitens der Gemeinden zunehmend Zurückhaltung bei der Ausweisung und Erschließung neuer Baugebiete geübt wird, um einer ungeordneten Zersiedelung entgegenzuwirken.
und stattdessen den Eigenheimbau auch in der städtebaulichen Verdichtung zu fördern.
Meine Damen und Herren, die Baulandpreise sind in diesem Zusammenhang ein Problem, das auch der allseits geschätzte Professor Biedenkopf besonders überdeutlich angesprochen hat. Er hat dafür allerdings versucht, eine Menge anderer Probleme durch Verniedlichung zu lösen. So geht es allerdings auch nicht.
Meine Damen und Herren, Ihr Antrag enthält, was die Frage der Baulandpreise betrifft, nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, wie man dieses Problem lösen könnte. Wenn Sie diesen Antrag in einen inhaltlichen Zusammenhang mit dem aufgezeigten Problem bringen, so ist das eine Illusionsgauklerei, Herr Dr. Jahn, bei der wir nicht mitwirken können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn?
Bitte schön.
Herr Kollege Gattermann, Sie haben Herrn Professor Biedenkopf angesprochen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Herr Professor Biedenkopf in dem Gut- achten, das er in den letzten Tagen herausgegeben hat, ein flammendes Plädoyer für die Privatisierung gehalten hat?
9618 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Herr Kollege Dr. Jahn, ich habe das Gutachten gelesen. Aber was man unter Privatisierung versteht bzw. was insbesondere Sie darunter verstehen, dazu werde ich gleich noch einige spezielle Ausführungen machen.
Das, was zur Verstärkung der Privatisierung von bundeseigenen Grundstücken zu tun war, ist durch das Gesetz von 1971 bereits getan worden. Das, was Länder und Gemeinden darüber hinaus noch tun können, ist deren Angelegenheit. Der Deutsche Bundestag hat bereits 1971 einen diesbezüglichen Appell an Bund und Länder gerichtet. Wir halten überhaupt nichts davon, solche Appelle ständig zu wiederholen. Wir achten in diesem Zusammenhang die verfassungsmäßige Zuständigkeit von Ländern und Gemeinden.
Nun zu Ihrer Privatisierung: Der zweite Teil Ihres Antrags befaßt sich mit der Umwandlung von Sozialwohnungen in Eigentumswohnungen. Dies nennen Sie Privatisierung. Herr Krockert hat bereits damit begonnen, diesen Begriff zu monieren, wenn er in diesem Zusammenhang gebraucht wird. Mit Privatisierung hat dieser Vorgang nämlich überhaupt nichts zu tun, da- sich fast der gesamte Bestand an Sozialwohnungen im Eigentum von privaten Eigentümern und privaten Gesellschaften befindet. Sie meinen breitere Streuung und sagen Privatisierung. Wenn man aber einen solchen emotionsbefrachteten Begriff verwendet, meine Damen und Herren, dann spürt man die Absicht und ist ein wenig verstimmt.
Denn: Wie jene unglücklichen Spekulationsfälle, die hier schon angesprochen worden sind, zeigen, gehen viele Mieter von sozialen Mietwohnungen subjektiv davon aus, daß sie faktisch Mieter des Staates seien. Wir sollten durch die Verwendung solcher falscher Begriffe dieses unrichtige Gefühl nun nicht noch verstärken.
Meine Damen und Herren, das, was Sie im einzelnen zur Umwandlung von Sozialmietwohnungen in Eigentumswohnungen und dann zur Veräußerung an die Mieter vorschlagen, ist in dem Bereich, in dem der Staat heute schon Einflußmöglichkeiten hat, nämlich bei den Bewilligungsbehörden der Länder im Rahmen der laufenden Finanzierungen, bereits gängige Praxis, zugegeben mit leicht unterschiedlicher Handhabung in den verschiedenen Ländern, aber im wesentlichen, im Kern ist all das, was Sie vorschlagen, bereits gängige Praxis.
Eine gesetzliche Regelung, wie Sie sie wünschen, hätte nach unserer Überzeugung dann überhaupt nur noch einen Sinn für Sozialmietwohnungen, die nach Ablösung der öffentlichen Mittel noch der Nachbindung unterliegen; sie hätte vielleicht auch noch einen Sinn für Wohnungen nach der Nachbindungsfrist, die irgendwann einmal Sozialmietwohnungen waren. Aber ich glaube, man kann aus
Ihrem Antrag nicht herauslesen, daß Sie dies wünschen. Solches aber ist, wenn man es zu Ende denkt, ein ganz erheblicher Eingriff in das Eigentum
— was Sie vorschlagen —, für den ich für meine Fraktion deutlich sagen muß,
daß wir dies politisch nicht wollen, ganz abgesehen von der verfassungsrechtlichen Bedenklichkeit.
Meine Damen und Herren, Sie postulieren, daß es der von jedem Druck freien Entscheidung eines Mieters überlassen bleiben müsse, ob er eine von ihm bewohnte Sozialmietwohnung kauft oder nicht. Sie postulieren weiter, daß die Veräußerung bei belegten Wohnungen ausschließlich an eben diesen Mieter erfolgen soll.
— Nein, an diesen Mieter; berechtigt muß er überdies noch sein. Dies bedeutet ein sehr, sehr weitgehendes Veräußerungsverbot.
Die Frage muß erlaubt sein, welchen Restinhalt das Eigentum an einer Sozialmietwohnung dann eigentlich noch hat.
Zugegeben, eine solche Regelung wäre ein sehr viel weitergehender Schutz für Mieter. Zugegeben, mit einer solchen Regelung würde man auch Spekulationsfälllen im Ansatz begegnen können. Aber sie ist nach unserem Verfassungsverständnis so nicht zu machen. Es ist die Frage zu stellen, warum dies dann eben nur bei diesem Wohnungsbereich gilt, warum es nicht beim Althausbesitz gilt, warum es nicht bei freifinanzierten Wohnungen gilt, in denen ja auch, wie wir alle wissen und wie sie soeben selbst beklagt haben,
in ganz erheblicher Zahl Mieter wohnen, die ihrerseits den einkommensmäßigen Qualifikationen des § 25 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes entsprechen; die müßten ja doch in gleicher Weise geschützt werden.
Das alles ist nach unserer Einschätzung und Wertung so unausgegoren, daß wir diesem Anliegen nicht folgen können. Wir werden aber, was die politische Willensäußerung zum Schutz des Mieters betrifft, Sie beim Wort nehmen, wenn wir in den nächsten Wochen und Monaten darüber zu verhandeln und zu diskutieren haben, welche Maßnahmen wir ergreifen wollen, um den Spekulationsfällen zu be-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978 9619
Gattermann
gegnen, um zu verhindern, daß aus einer kleinen Zahl von Spekulationsfälllen eine große Zahl wird.
Meine Damen und Herren, Ihr Antrag enthält einen Punkt, in dem Sie in der Tat den Finger auf eine Wunde gelegt haben. Ich meine die steuerlichen Ungleichgewichtigkeiten für die verschiedenen Eigentümergruppen zueinander, für private Wohnungsunternehmen, gemeinnützige Wohnungsunternehmen und Einzeleigentümer.
Ich meine die steuerliche Ungleichbehandlung von Wohnungsbaugesellschaften und Wohnungsverwaltungsgesellschaften. Wir haben uns hier in der Tat ernsthaft um einen Lösungsansatz bemüht. Wir haben ihn nicht gefunden. Deshalb unterstützen wir nachdrücklich den Entschließungsantrag, den der Ausschuß mehrheitlich beschlossen hat.
— Gut, den der Ausschuß einstimmig beschlossen hat. Wir unterstützen ihn nachdrücklich, weil wir uns hier den Sachverstand der Bundesregierung zu eigen machen wollen, um den von uns nicht gefundenen Lösungsansatz finden zu lassen, „denken zu lassen", wenn ich einmal zitieren darf.
Ich möchte das noch um etwas anreichern, was wir damals noch nicht wußten und deshalb auch nicht in diesen Antrag hineinschreiben konnten. Sie selbst haben es eben angesprochen, Herr Dr. Jahn: Wir sähen es gerne, wenn sich die Bundesregierung bei der Beantwortung der Fragen, die im Entschließungsantrag enthalten sind, gleichzeitig auch dazu äußern könnte, ob es Möglichkeiten gibt, bei der Spekulationsbesteuerung anzusetzen, um diesem Spekulationsproblem zu begegnen. Wir wissen, daß in allen Fällen, die bekanntgeworden sind, nicht die Bauherren und Eigentümer dieser Häuser und Wohnungen die Spekulation und die Verdrängung betrieben haben, sondern es waren immer Aufkäufer, bei denen schon in der Ankaufshandlung die Spekulationsabsicht sichtbar geworden ist.
Wir meinen, es wäre wert, intensiv darüber nachzudenken, ob es ein steuersystematisch sauberes Instrument gibt, um das Ganze wirtschaftlich so unattraktiv zu machen, daß von daher solche Fälle nicht mehr auftauchen.
Damit kein Irrtum entsteht: Wir wollen auf diese Art und Weise unter gar keinen Umständen eine Besteuerung für die Veräußerung von Wohnungseigentum durch die langjährigen Eigentümer durch eine Hintertür einführen. Das ist nicht unsere Absicht.
Es geht um die Spekulationsbesteuerung bei unmittelbar zusammenhängendem An- und Verkauf solcher Wohnungen.
Ich vermeide jetzt den Satz: Ich komme zum Schluß, indem ich ihn jetzt doch ausgesprochen habe.
Die FDP-Fraktion wird Ihren Antrag auf Drucksache 1010 ablehnen; sie wird aber dem Entschließungsantrag geschlossen zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte aus der Sicht der Bundesregierung einige wenige Bemerkungen zu dem Antrag und auch zur bisherigen Diskussion machen.
Auch die Bundesregierung ist der Auffassung, daß der erste Teil des Antrags überflüssig ist. Herr Krockert hat bereits darauf hingewiesen, daß die Privatisierung bundeseigener Grundstücke durch das Gesetz über die verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken von 1971 geregelt ist. Mit diesem Spezialgesetz haben wir eigentlich nur eine Verpflichtung des ersten und des zweiten Wohnungsbaugesetzes ausgefüllt, in dem deutlich steht, daß Bund, Länder und Gemeinden sowie sonstige Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts verpflichtet sind, ihre Grundstücke als Bauland für den Wohnungsbau zu angemessenen Preisen bereitzustellen. Das war schon immer ein wesentlicher Inhalt unserer Wohnungsbaugesetze, weil wir von Anfang an der Auffassung waren, daß eine vernünftige Preisgestaltung im sozialen Mietwohnungsbau, daß eine vernünftige Preisgestaltung auch bei der Eigentumsbildung gerade für breite Schichten unserer Bevölkerung nur dann zu erzielen ist, wenn sich auch die Grundstückspreise in einem angemessenen Rahmen halten.
Welche Bedeutung dies hat, will ich Ihnen an einer Zahl deutlich machen. Bis zum Jahre 1977 sind vom Bund etwa 14 Millionen qm Bauland für den Wohnungsbau veräußert worden; Erlös hierfür etwa 180 Millionen DM. Aber was noch wichtiger ist: Preisnachlaß, weil wir eben billiger veräußern können, als es dem Verkehrswert entspricht, etwa 40 Millionen DM. Allein im Jahr 1977 — um noch eine zweite Zahl zu nennen — wurden 13,8 ha aus Bundesbesitz für Wohnungsbauzwecke abgegeben, auch hier mit einem Preisnachlaß von etwa 2 Millionen DM; im übrigen nicht nur an Gesellschaften oder gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaften, sondern ebenso an Einzelpersonen. Hierbei wurde ein Durchschnittspreis von 22,50 DM pro Quadratmeter zugrunde gelegt, also ein durchaus angemessener Grundstückspreis. Sie sehen also, daß sich das Gesetz aus dem Jahre 1971 gelohnt hat, daß es sich in der Praxis bewährt hat. Es gibt gar keinen Grund, davon abzuweichen.
Natürlich ist die Bundesregierung auch der Auffassung — darauf darf ich nochmals verweisen —, daß nicht nur der Bund, sondern auch die Länder
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Bundesminister Dr. Haack
und die Gemeinden die Verpflichtung haben, Bauland entsprechend zu angemessenen Preisen zur Verfügung zu stellen. Ich stimme Ihnen auch zu, Herr Kollege Jahn, daß es nicht nur darum geht, Bauland zu angemessenen Preisen zur Verfügung zu stellen, sondern auch darum, daß die Gemeinden verpflichtet sind, Bauland überhaupt auszuweisen; denn teilweise haben wir den Zustand, daß gerade für die Eigentumsbildung zuwenig Bauland ausgewiesen wird. Ich halte es auch für vernünftig, daß die Gemeinden dort, wo es möglich ist, Grundstücke in dem Zeitpunkt erwerben, da diese Grundstücke noch nicht im Bebauungsplan als Bauland ausgewiesen sind, weil sie dann diese Grundstücke billiger erwerben können
und dann auch eine stärkere Einflußmöglichkeit bei der Vergabe der Grundstücke zur Eigentumsbildung breiter Schichten unserer Bevölkerung haben.
Zum zweiten Bereich Ihres Antrags: Vorlage eines Gesetzentwurfs. Ich glaube, daß der Ausgangspunkt Ihres Vorschlags, einen Gesetzentwurf vorzulegen, etwas anders ist als Ende des Jahres 1978. Der Gesetzentwurf, von dem in Ihrem Antrag die Rede ist, regelte ja nur die Fälle, in denen die öffentlichen Mittel noch nicht abgelöst sind. Nur dann hätten Sie die Möglichkeit, mit einem Gesetz einzugreifen.
Wir haben uns aber in den letzten Wochen in einigen Großstädten des Bundesgebiets mit dem Problem herumzuschlagen, daß die öffentlichen Mittel bereits abgelöst sind und es von daher keinerlei Einwirkungsmöglichkeiten mehr gibt. Auch ein Gesetzentwurf, wie Sie ihn vorschlagen, hätte in den konkreten Fällen des spekulativen Verkaufs von Wohnungen überhaupt keine Bedeutung, weil es Fälle sind, bei denen vorher die öffentlichen Mittel abgelöst worden sind.
— Darauf kommen wir gleich noch. Ich sage nur, daß es ein Gesetzentwurf ist, der nur bestimmte Fälle treffen würde.
Ich stimme dem zu, was Herr Gattermann hier mit Recht gesagt hat, und das müssen Sie sich entgegenhalten lassen, Herr Jahn: Das ist ein völliger Widerspruch zu Ihren anderen Ausführungen, in denen Sie gesagt haben: Wir sind für mehr Freiheit, wir sind für Liberalisierung, wir sind für eine eingeschränkte Gesetzgebung. Jetzt schlagen Sie gleichzeitig noch einen zusätzlichen Gesetzentwurf
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Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß das, was Sie in Ihren Gesetzentwurf hineinschreiben wollen, bereits in den Richtlinien enthalten ist, die wir im vergangenen Jahr mit den Bundesländern abgestimmt haben. Es ist also von daher kein Grund vorhanden, ein Gesetz vorzulegen.
— Das ist dann Sache der Länder, wie sie im Einzelfall vorgehen. Wir haben aber von seiten der Bundesregierung deutlich gemacht, daß wir es begrüßen würden, wenn die Länder auf Grund dieser Richtlinien im Einzelfall vorgehen.
Bei den aktuellen Fällen, Herr Kollege Kolb, die uns berühren und auch noch in den nächsten Wochen berühren werden, sind die öffentlichen Mittel abgelöst, so daß wir keine Möglichkeit haben, die Umwandlung gesetzlich zu verbieten.
Herr Kollege Jahn, Sie haben vorhin die Antwort auf Ihre Kleine Anfrage erwähnt, auch die Zahlen, die in der Antwort enthalten sind. Ich möchte dazu sagen, daß die Anfrage im Oktober dieses Jahres beantwortet wurde. Sie können aber nicht bestreiten, daß wir von Woche zu Woche, auch in der Post, die wir im Ministerium täglich bekommen, neue Fälle dieser Umwandlung sehen. Das heißt, das Problem hat sich nach meiner Einschätzung gegenüber dem Zeitpunkt der Beantwortung Ihrer Kleinen Anfrage weiter verschärft; ich will nicht sagen „dramatisiert". Es ist in der Tat ein Problem, um das wir uns kümmern müssen.
Deshalb habe ich mehrmals bei verschiedenen Gelegenheiten in den letzten Wochen deutlich gemacht — und ich will es hier wiederholen —: Trotz dieser Fälle hält die Bundesregierung an dem fest, was sie bereits im Jahre 1977 gesagt hat, als wir die steuerliche Erleichterung für den Erwerb alter Wohnungen und alter Häuser erstmalig geschaffen haben, was aus stadtentwicklungspolitischen Gründen von ganz entscheidender Bedeutung war. Wir wollen diese Eigentumsbildung; wir wollen eine verstärkte Eigentumsbildung nicht nur beim Neubau, sondern wir wollen eine stärkere Eigentumsbildung auch im Bestand. Um die Mieter in Sozialwohnungen nicht zu behindern oder zu benachteiligen, wollen wir auch die Möglichkeit für die Eigentumsbildung von Mietern im sozialen Wohnungsbestand. Darüber kann es gar keinen Zweifel geben. Aber wir machten damals deutlich, daß wir nach wie vor auf Grund der Wohnungsbedürfnisse in vielen Teilen der Bundesrepublik auch für die Zukunft einen Bestand an sozialen Mietwohnungen brauchen.
Wir wenden uns also gegen eine übertriebene Veräußerung dort, wo sie nicht dem Mieterwillen entspricht. Wir wenden uns vor allem gegen einen spekulativen Verkauf. Das ist das Problem, das uns zur Zeit berührt.
Um etwas entgegenwirken zu können, habe ich einen Vorschlag gemacht, der zur Zeit von der Bundesregierung geprüft wird und Anfang des kommenden Jahres in die parlamentarische Beratung gehen könnte.
Ich habe vorgeschlagen, zu prüfen, ob wir die bestehende Frist, die wir im BGB bei der Eigenbedarfskündigung haben, von drei auf fünf Jahre ausdehnen sollten. Wir würden nämlich dann für potentielle Käufer von Eigentumswohnungen den Kauf nicht so attraktiv machen, weil sie dann nicht
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978 9621
Bundesminister Dr. Haack
die Möglichkeit hätten, eine Grunderwerbssteuerbefreiung zu bekommen.
— Das kommt ja noch. Ich kann immer nur einen einzigen Satz auf einmal aussprechen, Herr Schneider. Ich kann nicht zwei Gedanken im selben Satz ausdrücken.
Das ist das eine. Ich bin natürlich der Auffassung — das ist vorhin hier richtig zitiert worden —, daß es sich zum Teil um ein Informationsproblem handelt,
ein Informationsproblem aber nicht nur bei den Mietern, sondern genauso bei den potentiellen Käufern solcher umgewandelter Wohnungen, weil die unter Umständen gar nicht wissen, was eines Tages auf sie zukommen kann: Sie sind in der Hoffnung, solche Wohnungen eigennutzen zu können, und stellen nach einigen Jahren fest, daß es auf Grund der bestehenden Mieterschutzgesetze nicht geht. Insofern habe ich die Informationspflicht immer doppelseitig gesehen: in Richtung Mieter, um die Mieter zu beruhigen, und in Richtung potentielle Käufer solcher Wohnungen, um sie von einem solchen Kauf abzuhalten. In diesem Zusammenhang müssen wir aber auch die Erweiterung der Eigenbedarfsfrist prüfen, um unter Umständen einen potentiellen Käufer davon abzuhalten, der nach dieser Änderung keine Grunderwerbsteuerbefreiung geltend machen kann.
Um die Verantwortung für diese Problematik auf mehr Schultern zu verteilen, habe ich in den letzten Tagen die Bundesnotarkammer gebeten, die ,Notare zu bitten, bei der Beurkundung von Veräußerungsverträgen die Vertragsparteien auf die bestehenden Belegungsrechte, Mietpreisbindungen usw. hinzuweisen.
Der Präsident der Bundesnotarkammer hat umgehend geantwortet und alle Notarkammern darüber informiert.
Ich habe gleichzeitig die Verbände der deutschen Kreditwirtschaft gebeten, dazu beizutragen, daß unseriöse Geschäftspraktiken von Spekulanten im Sozialwohnungsbestand verhindert werden.
Ich sehe nämlich nicht ein, daß die Spekulanten, mit denen wir uns hier abgeben müssen, Millionenkredite von den Banken bekommen. Ich bin der Auffassung: Hier sollte in jedem Einzelfall geprüft werden, ob eine solche Kreditgewährung auch sozial vernünftig ist.
Nun kommt der vierte Bereich, den Sie, Herr Kollege Schneider, soeben durch Ihren Zwischenruf, aber vorhin auch Sie, Herr Kollege Gattermann, angesprochen haben. Es liegt ja der Entschließungsentwurf des Ausschusses vor. Die Bundesregierung wird sehr sorgfältig prüfen, ob wir im steuerlichen Bereich unter Umständen noch eine Lösung finden,
mit der wir solche spekulativen Verkäufe durch zusätzliche Steuerpflichten wesentlich erschweren können. Das ist aber nach meiner bisherigen Ein- schätzung das einzige, was rechtlich, auch eigentumsrechtlich zu machen ist. Ein völliger Verkaufsstopp oder ein Verkaufsverbot dort, wo die öffentlichen Mittel bereits abgelöst sind — das ist ja der Hauptpunkt, im Gegensatz zu Ihrem Antrag, wo sie noch nicht abgelöst sind —, werden wohl aus verfassungsrechtlichen Gründen ausscheiden.
Eine Bemerkung zum dritten Teil Ihres Antrags. Sie wollen zusätzliche Vergünstigungen für diejenigen haben, die eine umgewandelte Sozialwohnung erwerben. Ich kann Ihnen in diesem Bereich nicht zustimmen. Ich bin zwar, wie ich vorhin gesagt habe, der Auffassung, daß bei einer verstärkten Eigentumsbildung auch der Mieter in einer bisherigen sozialen Mietwohnung, die umgewandelt ist, die Möglichkeit erhalten soll, Eigentum daran zu erwerben. Ich glaube aber nicht, daß wir verpflichtet sind, zusätzliche steuerliche oder sonstige Anreize zu schaffen, um vielleicht sogar einen Mieter, der sonst gar nicht erwerben möchte, dahin zu bringen, daß er das Eigentum an dieser Wohnung erwirbt. Das wäre für mich ein Widerspruch zu der Grundposition, daß wir bei aller Eigentumsbildung — die im übrigen nie eine Eigentumsideologie werden darf — immer noch einen bestimmten Bestand an sozialen Mietwohnungen brauchen. Dem würde es widersprechen, zusätzliche Anreize zum Eigentumserwerb zu schaffen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn?
Gern. Aber ich wollte erst noch einen Satz sagen. Vielleicht können Sie den abwarten. Dann ist Ihre Frage unter Umständen noch sinnvoller, oder sie hat sich erledigt.
Es gibt schon heute die Möglichkeit, nicht nur Bürgschaften, sondern auch öffentliche Darlehen zu erhalten, nicht nur im Rahmen des Neubaus von Sozialwohnungen, sondern auch beim Erwerb vorhandener Wohnungen. So sehen es auch die Richtlinien vor, die wir mit den Bundesländern zur Vergabe der öffentlichen Mittel im sozialen Wohnungsbau vereinbart haben: Zur Förderung des Erwerbs vorhandener familiengerechter Wohnungen zur Eigennutzung für kinderreiche Familien können entsprechende Darlehen zuzüglich weiterer Aufschläge, orientiert an der Kinderzahl, gegeben werden. Daneben gibt es eine Bürgschaftsmöglichkeit. Ich gebe zu, daß diese zusätzlichen Hilfen im wesentlichen auf die Fälle beschränkt sind, in denen einem Wohnungsnotstand abgeholfen werden soll, in denen also eine kinderreiche Familie bisher unzureichend untergebracht ist, während Sie es sozusagen pauschalieren wollen, so daß auch die Fälle erfaßt würden, in denen ein Wohnungsnotstand im engeren Sinn der vorhandenen Richtlinien nicht vorliegt. Das würde mir zu weit gehen; denn ich bin in der
9622 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Bundesminister Dr. Haack
Tat der Auffassung, daß es zusätzlicher Anreize zur Eigentumsbildung im Rahmen des Sozialwohnungsbestandes nicht bedarf.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn?
Jawohl.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich unser Antrag, was die Förderung betrifft, nur auf kinderreiche Familien und Schwerbeschädigte bezieht, und daß Ihre Gegenargumentation, die Sie geben, in krassem Widerspruch zu dem steht, was Sie draußen zur Familienpolitik sagen?
Dem kann ich nicht zustimmen, Herr Jahn. Das steht überhaupt nicht in krassem Gegensatz; denn ich hatte gerade gesagt, daß wir über die bestehenden Förderungsmöglichkeiten auch im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus für kinderreiche Familien eine Sonderförderung haben, auch wenn es um den Erwerb vorhandenen Wohnraums geht. Diese Regelung haben wir, und das ist eigentumspolitisch und familienpolitisch richtig. Nur bin ich dagegen, für die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen eine zusätzliche Förderung zu schaffen; denn wenn ich über den Bestand an sozialen Mietwohnungen rede, muß ich auch die kinderreichen Familien sehen, die vielleicht auch noch in zehn Jahren auf eine soziale Mietwohnung angewiesen sind und die sich eine Eigentumswohnung nicht leisten können. Insofern sehe ich das nicht als Widerspruch an.
Das waren meine drei Bemerkungen zu den drei Bereichen Ihres Antrags. Wenn Sie nachher beschließen, wird die Bundesregierung diese steuerrechtlichen Fragen sehr intensiv prüfen.
Eine letzte, abschließende Bemerkung möchte ich anfügen, Herr Kollege Jahn, weil Sie vorher im Rahmen der Begründung Ihres Antrages auch über weitere Strukturprobleme im sozialen Wohnungsbestand gesprochen haben. Sie haben hier festgestellt — das war entweder ein Versprecher oder eine Informationslücke —, daß wir im sozialen Wohnungsbestand mittlerweile 40 % Fehlbeleger hätten. Dabei kann es sich nur um einen Irrtum handeln. Unter Umständen haben Sie die Prozentzahlen verwechselt. Bei der Frage, wer im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus einkommensberechtigt ist, sind wir ungefähr zwischen 40 und 50 %. Die Fehlbelegungsquote ist aber wesentlich geringer. Sie kann nicht genau beziffert werden. Schätzungsweise bewegt sie sich nach meinen Unterlagen etwa bei 15 %.
Weil Sie das Fehlbelegungsproblem hier angeschnitten haben, möchte ich Ihnen noch einmal ganz deutlich die Auffassung der Bundesregierung dazu sagen. Auch die Bundesregierung ist der Auffassung, daß wir Fehlbelegungsfälle haben, die aus sozialen Gründen in keiner Weise zu akzeptieren sind, die auch wir nicht wünschen, die sich ergeben haben.
Nur stellt sich die Frage: Kann ich das Fehlbelegungsproblem in irgendeiner Weise, etwa im Rahmen einer Gesetzgebung, praktikabel lösen? Hier bemühen wir uns seit Jahren. Bisher gibt es keinen praktikablen Vorschlag. Meine Position, die ich hier wiederhole, ist: Ich müßte einen riesigen Kontroll- und Verwaltungsapparat aufbauen, um zu einer dauernden Überprüfung von etwa 4,5 Millionen sozialen Mietwohnungen zu kommen. Ich müßte nämlich jedes Jahr prüfen, ob die Leute immer noch berechtigt sind. Ich sage Ihnen ganz offen: Wenn ich in dem Konfliktfall stehe — Sie wissen, daß der handelnde Politiker sehr oft in einem Konfliktfall der Abwägung unterschiedlicher Interessen steht —, bin ich in 'der Abwägung lieber bereit, den einen oder anderen auch mir nicht passenden Fehibelegungsfall hinzunehmen, als einen solchen zusätzlichen überbürokratischen Apparat aufzubauen.
Im übrigen hat die verstärkte Eigentumsbildung der letzten Jahre — auch das muß in dem Zusammenhang gesagt werden —, auch dort, wo wir etwa über das Regionalprogramm fördern, dazu beigetragen, daß ein großer Teil der sogenannten Fehlbeleger mittlerweile aus Sozialwohnungen ausgezogen ist, Eigentum gebildet hat und diese Sozialwohnungen den Bevölkerungskreisen zugeführt werden konnten, die gerade darauf angewiesen sind. Wir werden, glaube ich, sehr bald auch einmal die Möglichkeit haben, in einer Debatte über diese Probleme an Hand unserer Unterlagen nachzuweisen, daß der Sozialwohnungsbestand, gerade der Bestand an Wohnungen, die in den fünfziger Jahren errichtet wurden und nach heutigen Verhältnissen relativ niedrige Mietpreise haben, im wesentlichen von den Personengruppen bewohnt wird, die eigentlich in diese Wohnungen hineingehören. Wenn eine solche Sozialwohnung etwa durch Eigentumsbildung oder Umzug des bisherigen Mieters frei wird, zieht in diese Wohnung im Regelfall jemand hinein, den wir auf Grund seiner Einkommensverhältnisse in dieser Wohnung haben wollen. Insofern bitte ich also auch dieses Problem nicht überzustrapazieren.
Das waren die Bemerkungen, die ich bei dieser Debatte über den Antrag der CDU/CSU von seiten der Bundesregierung machen wollte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Präsident Carstens
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1903 unter I, den Antrag auf Drucksache 8/1010 abzulehnen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses mit Mehrheit angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt ferner auf Drucksache 8/1903 unter II die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung des Ausschusses ist einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 13 auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Neunundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes
— Drucksachen 8/2078, 8/1532, 8/1518 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 8/2336 — Berichterstatter: Abgeordneter Walther
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 8/2335 —
Berichterstatter: Abgeordneter Jaunich
Abgeordneter Krey
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Krey.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für mich, der ich das Glück habe, hier in der rheinischen Heimat meiner Eltern geboren und aufgewachsen zu sein und heute noch zu leben, gehört die Lastenausgleichsgesetzgebung zu den größten Leistungen unseres Staates im freien Teil Deutschlands. Bei aller Unzulänglichkeit, vor allem angesichts der Unmöglichkeit, den Verlust der Heimat, der Existenz und aller Dinge, die diese ausmachen, zu ersetzen, bleibt jetzt, 30 Jahre nach der Einleitung der Verfahren des Lastenausgleichs, doch festzustellen, daß die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge und vor allem deren Leistungen beim Wiederaufbau und bei der Gestaltung unseres Staates zu den positivsten Ereignissen unserer Geschichte zählen.
Heute, bei dieser zweiten Beratung des neunundzwangzigsten Änderungsgesetzes zum Lastenausgleichsgesetz stellt sich uns die Frage, ob und inwieweit die beabsichtigte Hinausschiebung des Anpassungstermins nach dem Lastenausgleichsgesetz um sechs Monate auf den 1. Januar 1979 die Möglichkeit zur dringend notwendigen strukturellen Verbesserung bietet.
Die Fraktion der CDU/CSU stimmt der Verlegung des Termins für die Anpassung der Kriegsschadensrente in Angleichung an den entsprechenden Anpassungszeitpunkt in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der Kriegsopferversorgung im Interesse einer einheitlichen Regelung. in allen Bereichen der sozialen Alterssicherung zu. Sie ist jedoch der Auffassung, daß die mit dieser Terminverschiebung verbundenen Einsparungen in vollem Umfang für die notwendigen strukturellen Leistungsverbesserungen bei der Kriegsschadensrente Verwendung finden sollten. Insbesondere ist es unser Ziel, das gegenwärtig unzulängliche Rentenniveau der ehemals Selbständigen anzuheben und die Renten der früheren mithelfenden Familienangehörigen in der Form der Unterhaltshilfe und des Sozialzuschlages über das Sozialhilfeniveau hinaus zu erhöhen.
Die sozialpolitische Notwendigkeit und Dringlichkeit von Verbesserungen im Bereich der Kriegsschadensrente, zu denen die Fraktion der CDU/CSU in ihrem Gesetzentwurf auf Drucksache 8/1532 konkrete Vorschläge gemacht hat, zeigt sich besonders deutlich bei einem Vergleich zwischen der Entwicklung dieser Rente und den Versorgungsleistungen anderer sozialer Sicherungssysteme.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage unserer Fraktion zur Lebenssituation älterer Menschen in unserer Gesellschaft wird festgestellt, daß die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung alleine von 1969 bis 1978 um 124 %, die Renten nach dem Bundesversorgungsgesetz, insbesondere als Folge struktureller Verbesserungen, um rund 139 % und die Witwenrenten nach diesem Gesetz um 158 % gestiegen sind. Demgegenüber hat sich die Unterhaltshilfe aus dem Lastenausgleich für einen ehemals Selbständigen in der höchsten Schadenstufe im gleichen Zeitraum nur um rund 112 % und die Rente eines ehemals selbständigen Ehepaares lediglich um 104 % erhöht. Sie beträgt damit für den Alleinstehenden heute 679 DM im Monat, ein Betrag, der im übrigen auf Grund der geltenden Anrechnungsvorschriften, von Regelungen über kleinere Freibeträge abgesehen, den Lebensstandard dieser Rentner nach oben hin absolut begrenzt.
Wenn die Bundesregierung in der bereits erwähnten Antwort darüber hinaus feststellt, daß das Alterseinkommen eines Rentners nach einem erfüllten Arbeitsleben, also nach 45 Versicherungsjahren, im Jahre 1978 rund 78 % des Nettoarbeitsverdienstes eines vergleichbaren Arbeitnehmers beträgt, so gilt dies keineswegs für die besonders große Gruppe der Empfänger von Kriegsschadensrente, die im Bereich der Landwirtschaft ehemals selbständig erwerbstätig war.
Nach der Tariflohnstatistik des Statistischen Bundesamtes, ausgewiesen im Agrarbericht 1978 der Bundesregierung, betrug der durchschnittliche Monatsnettolohn eines Landarbeiters im Jahre 1977 rund 1 350 DM, woraus sich eine Altersrente von
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Krey
rund 1 135 DM ergibt. Bei einem selbständigen Vollerwerbslandwirt würde sich auf Grund des 1977 erzielten Nettoeinkommens von rund 22 000 DM hiernach eine Altersrente von 1 370 DM monatlich ergeben. Die Kriegsschadensrente eines ehemals selbständigen Landwirts aus Mitteldeutschland oder aus den Vertreibungsgebieten beträgt demgegenüber nur 679 DM.
Das ist nur die Hälfte des Renteneinkommens eines ehemals selbständigen einheimischen Landwirts. Insofern trifft die weitere Feststellung der Bundesregierung, daß das Alterseinkommen auf Grund des heutigen Niveaus der sozialen Alterssicherung in einem angemessenen Verhältnis zum früheren Arbeitseinkommen stehe, jedenfalls auf die Vertriebenen und Flüchtlinge, die auf eine Rente nach dem Lastenausgleichsgesetz angewiesen sind, nicht zu.
Niemand wird bei dieser Sachlage ernsthaft bestreiten können, daß im Bereich der Kriegsschadensrente noch eine erhebliche Anzahl von Problemen der sozialen Sicherung bestehen, deren Lösung ein gemeinsames Anliegen, meine Damen und Herren, aller Fraktionen dieses Hohen Hauses sein sollte.
Die Fraktion der CDU/CSU bedauert es daher, daß die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen bei den Beratungen und Beschlüssen zu den vorliegenden Gesetzentwürfen zur Änderung des Lastenaûsgleichsgesetzes nicht bereit waren, strukturellen Verbesserungen der Kriegsschadensrente in dem Umfange zuzustimmen, wie es nicht nur sozialpolitisch dringend geboten, sondern angesichts der Einsparungen, die sich aus der Verlegung des Anpassungstermins ergeben, auch finanziell möglich gewesen wäre.
Der Fraktion der CDU/CSU und der großen Zahl der betroffenen Rentner muß es unverständlich erscheinen, wenn die Koalition in diesem Bereich der Sozialpolitik, in dem es um die Alterssicherung von Menschen geht, die durch Flucht und Vertreibung nicht nur ihre heimatlichen Bindungen, sondern mit dem Verlust ihres Eigentums zugleich auch ihre Altersversorgung verloren haben, Sparsamkeit demonstriert und hier mit spitzem Bleistift rechnet. Dabei sind insbesondere auch die Gründe, die es der Mehrheit angezeigt erscheinen ließen, nicht den vollen Betrag der Einsparungen, sondern nur rund 40 % des verfügbaren Finanzvolumens für strukturelle Verbesserungen auszuschöpfen, für uns keineswegs zwingend. Sie haben hier überhaupt keine Anwendung.
Aus diesen Gründen legt die Fraktion der CDU/ CSU auf Drucksache 8/2359 erneut jene Änderungsvorschläge zur Beratung und Abstimmung vor, die bei der bisherigen Behandlung keine Mehrheit gefunden haben. Darin schlagen wir vor, den Selbständigenzuschlag gestaffelt bis zum Höchstbetrag von 18 DM und den- Sozialzuschlag von 31 auf 87 DM aufzustocken. Außerdem zielt unser Antrag auf eine Verbesserung der Anrechnungsfreibeträge und eine spürbare Anhebung der Obergrenze für Entschädigungsrenten.
Bliebe es bei den jetzigen Einsparungen zu Lasten der Kriegsschadensrentner, so würde dies einen großen Teil der Betroffenen zur Inanspruchnahme von Sozialhilfe zwingen. Nach Auffassung der CDU/ CSU wäre es aber eine schwerwiegende Verkennung der Aufgaben einer richtig verstandenen vorausschauenden Sozialpolitik, eine derartige Entwicklung in Richtung Sozialhilfe zunächst abzuwarten und dann erst auf den Anstieg der Zahl der Sozialhilfeempfänger, die stets ein besonders empfindliches Barometer für Verzerrungen im Sozialsystem ist, mit Strukturverbesserungen bei den Renten im Sozialausgleich zu reagieren. Würden unsere Anträge abgelehnt, so wäre damit bereits heute der Keim für eine 30. Lastenausgleichsnovelle gelegt. Niemand im Lande würde es begreifen, daß der Deutsche Bundestag mehrheitlich die Auffassung vertritt, eine Erhöhung der Kriegsschadensrente für ehemals Selbständige um monatlich 5 DM würde noch eine fühlbare Verbesserung für den einzelnen Rentenbezieher darstellen. Eine wirksame Verbesserung der Renten im Bereich des Lastenausgleichs ist daher nicht nur ein notwendiger Akt der -sozialen Gerechtigkeit, sondern auch ein Beitrag, die bestehenden Strukturverzerrungen in den verschiedenen Bereichen der sozialen Sicherheit abzubauen.
Den unmittelbar Betroffenen könnte mit diesen Verbesserungen zugleich das Gefühl vermittelt werden, daß der Staat, daß wir, daß dieses Parlament über die Probleme der durch den Krieg und seine Folgen besonders betroffenen Bevölkerungsgruppen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.
In diesem Sinne bitte ich Sie, den Änderungsanträgen der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2359 zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, für die Beiträge zu diesem Tagesordnungspunkt sind von den Fraktionen Redezeiten von je 10 Minuten vereinbart worden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaunich.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren!
In Anerkennung des Anspruchs der durch den Krieg und seine Folgen betroffenen Bevölkerungsteile auf einen die Grundsätze der sozialen Gerechtigkeit und die volkswirtschaftlichen Möglichkeiten berücksichtigenden Ausgleich von Lasten und auf die zur Eingliederung der Geschädigten notwendigen Hilfe ... hat der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates das nachstehende Gesetz beschlossen
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978 9625
,Jaunich
So Absatz 1 der Präambel zum Lastenausgleichsgesetz vom 14. August 1952.
Von diesen Leitlinien ausgehend, haben Sozialdemokraten und Freie Demokraten 1972 die Dynamisierung der Kriegsschadensrente eingeführt und damit die Kriegsschadensrente mit der Rentenversicherung mit den entsprechenden Regelungen im Kriegsopferbereich gekoppelt. Die Anspruchsberechtigten sind damit gut gefahren.
Wie war es, und wie ist es? Die Unterhaltshilfe betrug am 1. Juli 1969 für den Berechtigten 205 DM. Sie beträgt am 1. Juli 1978 468 DM. Das ist von 1969 auf 1978 eine Steigerung um 228 v. H. Bei den entsprechenden Sätzen für Ehegatten beträgt die Steigerung 231 %, für Kinder 227 %. Hinzu müssen Sie den Sozialzuschlag rechnen, den wir 1972 eingeführt haben, der mit 64 DM für den Berechtigten, mit 82 DM bzw. mit 101 DM bei Angehörigen und Kindern zu Buche schlägt. Insgesamt also sind, seitdem wir die politische Verantwortung tragen, Leistungsverbesserungen in Höhe von 259 % bewirkt worden, bezogen auf den Berechtigten, 291 %, wenn man den Berechtigten und seinen Ehegatten nimmt, und 371 % unter Einrechnung derer, die Kinder zu versorgen haben. Der Preisindex ist in dieser Zeit um 155 % angestiegen. Die Konsequenz, die sich daraus ergibt, ist für jedermann wohl klar erkennbar: Wir haben durch die Einführung der Dynamisierung weit über das Maß der Preissteigerung hinausgehende Anpassungen für diesen Berechtigtenkreis ermöglicht. Dies soll und muß von dieser Stelle einmal festgestellt werden.
— Meine Damen, meine Herren von der Opposition, ich räume ja gern ein, daß wir damit noch nicht all die Versäumnisse haben aufholen können, die, durch Ihre Verantwortung bedingt, für diesen Personenkreis eingetreten sind.
Das ist doch einfach unmöglich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann?
Herr Kollege Jaunich, Sie waren damals genausowenig wie ich im Deutschen Bundestag. Darf ich Sie daran erinnern, daß Ihre Fraktion seinerzeit das Lastenausgleichgesetz insgesamt abgelehnt hat?
Herr Kollege Wittmann, ich weiß nicht, was dieser Beitrag an dieser Stelle soll. Ich habe Ihnen hier deutlich gemacht, wie das Ausmaß der Leistungssteigerung von 1969 bis zum heutigen Zeitpunkt aussieht. Ich habe eingeräumt, daß das noch nicht ausgereicht hat, die Versäumnisse Ihrer Regierungszeit wettzumachen.
— Ja, das war von Ihnen so gewünscht.
Bei all dem, was für uns zur Debatte stand, kam es darauf an, diese Koppelung, diese Anbindung an das Rentenversicherungssystem, die Dynamisierung für diesen Bereich auch in der heutigen Zeit durchzuhalten. Wer damals für die Dynamisierung im Bereich des Lastenausgleichs, wer für die Anbindung an die Geschehnisse im Bereich der Rentenversicherung war, muß heute die Konsequenzen ziehen, die wir für den Bereich der Rentenversicherung im Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetz gezogen haben.
Im Bereich der Kriegsopferversorgung, die ebenfalls im Zusammenhang gesehen werden kann und muß, haben wir als Maßstab für Leistungsverbesserungen, die auf Grund der Hinausschiebung des Anpassungstermins bewirkt haben konnten, eine Steigerung um 40 % vorgesehen. Indem wir uns genau in diesem Rahmen bewegen, haben wir nun auch in der 29. Lastenausgleichsnovelle Verbesserungen für diesen Personenkreis bewirkt.
— Ich nenne das Verbesserung, sehr geehrter Herr Kollege. Ich nannte dies Verbesserung und werde dies noch mehrfach für Sie wiederholen, damit auch Sie das endlich einmal begreifen können. Sie können nicht hierhertreten und sich wie ein Weihnachtsmann gebärden wollen, ohne die finanzielle Gesamtverantwortung, die der Deutsche Bundestag hat, in Ihre Überlegungen einzubeziehen.
Ich darf Sie daran erinnern, daß die Garantiepflicht des Bundeshaushaltes für den Lastenausgleich ab 1980 eintritt und daß nach jetzt vorliegenden Erkenntnissen der Bundeshaushalt mit insgesamt 16 Milliarden DM wird eintreten müssen, um die Gesamtlasten des Lastenausgleichs abdecken zu können. Dies können wir bei der Beratung einer 29. LAG-Novelle nicht aus unserem Gedächtnis verdrängen; dies haben wir zu beachten.
Sie haben nach den Verbesserungen gefragt. Ich will sie Ihnen der Reihe nach nennen.
Der zur Beschlußfassung vorliegende Gesetzentwurf sieht folgende Änderungen vor: 1. Anpassung der Unterhaltshilfe um 4,5 % ab 1. 1. 1979,
2. strukturelle Umgestaltung des Sozialzuschlages,
3. Erhöhung des Sozialzuschlages um 8 DM monatlich, 4. Erhöhung des Selbständigenzuschlages um 5 DM monatlich, 5. Beseitigung einer schreienden Ungerechtigkeit für NS-Verfolgte aus Mitteldeutschland beim 10 %igen Entwurzelungszuschlag zur Hauptentschädigung, 6. Verlängerung der Antragsfrist von 5 auf 10 Jahre für Aufbaudarlehen an Spät-
9626 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Jaunich
aussiedler — um nur die wichtigsten Positionen zu nennen.
Eingespart werden — und das muß man in Anführungszeichen setzen — durch die Hinausschiebung des Anpassungstermins 158 Millionen DM. Strukturelle Verbesserungen der von mir hier angekündigten Art machen 66,1 Millionen aus. Dies heißt, 41,8 % der sogenannten Einsparungen verausgaben wir mit den von mir eben genannten Maßnahmen. Die Vergleichszahl aus der Kriegsopferversorgung ist 41,6. Wenn wir aber berücksichtigen, daß die Strukturverbesserungen im Bereich der Kriegsopferversorgung erst ab 1979 laufen, im Lastenausgleichsbereich aber bereits ab 1. Juli 1978 strukturelle Verbesserungen eingeführt wurden, ergibt sich sogar ein Prozentsatz von 52,6. Bei dieser Sachlage von einer Zurücksetzung gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen zu sprechen, wie Sie das tun, ist schlichtweg unredlich, zumindest falsch.
Ich komme nun zu Ihrer Haltung, meine Damen und Herren von der Opposition. Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf keine Hinausschiebung des Anpassungstermins vorgesehen, gehen aber davon aus, daß man die vollen Beträge, die bei einer Hinausschiebung auflaufen, auch so voll verwenden kann. Dies ist aus meiner Sicht unseriös.
Herr Krey, Sie haben hier eben gesagt: Wir stehen dazu. Dies ist erst jetzt an dieser Stelle deutlich geworden.
Bisher war das völlig im Dunkeln. Schauen Sie sich doch Ihren Antrag an; da negieren Sie dieses Problem völlig. Und Herr Kollege Wittmann, der hier in der ersten Lesung noch so nebulöse neue Finanzierungsinstrumente ins Spiel gebracht hat, ist damit bis heute nicht übergekommen. Kurzum, ich meine, dies ist eine unseriöse Haltung,
weil man auch die Gesamtverpflichtung für den Bundeshaushalt sehen und berücksichtigen muß.
Herr Kollege Czaja hat in seiner Eigenschaft als Präsident des Bundes der Vertriebenen, aber auch in seiner Eigenschaft als CDU-MdB zu diesem Thema folgendes ausgeführt:
Man hat, ohne mit der Wimper zu zucken, 4 000 politisch Verfolgten aus Mitteldeutschland, welche nicht zurückkehren konnten, den Entwurzelungszuschlag von mindestens 10 Millionen DM in vier Jahren zugestanden. Wir sind nicht gegen diese Verbesserung, aber wir finden es einfach verheerend, daß man 250 000 Vertriebenen 6 Millionen DM Verbesserung und nach unserem harten Kampf dann unzulängliche 45 Millionen DM in vier Jahren gewährt und wenigen tausend politisch Verfolgten 10 Millionen, ohne Zahlenvergleiche anzustellen, zugesteht. Auch dies ist eine krasse Diskriminierung.
Was Sie hier tun, ist unerhört!
Wir beseitigen eine Ungerechtigkeit für diesen Personenkreis, und Sie versuchen, hier einen Gegensatz zu konstruieren. Dies kann man nicht!
Erstens stimmen Ihre Zahlen, die Sie hier nennen, nicht, und zweitens verträgt Lastenausgleich im Sinne der Präambel, wie ich sie hier vorgetragen habe, nicht, daß man splittet in Heimatvertriebene hier, Flüchtlinge aus Mitteldeutschland da und politisch Verfolgte dort. Lastenausgleich im Sinne der Präambel dieses Gesetzes heißt für uns, die Lasten des Krieges dort auszugleichen, wo sie- sich in all ihrer Härte zeigen.
. Auf die Anträge der Union werde ich, Herr Präsident, in einem weiteren Beitrag zurückkommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man als Dritter — das ist ja immer so — zu einem so schwierigen Thema spricht, ist es manchmal nicht einfach, noch neue Fakten in die Debatte einzuführen. Vielleicht erleichtert es einem aber auch die Aufgabe, sich ein wenig in der Zeit zu halten. Ich will das versuchen.
Herr Kollege Krey, ich gehöre nicht zu den Glücklichen, von denen Sie sprachen, sondern zu den anderen, zu den einmal Betroffenen. Gleichwohl stelle ich an den Anfang meiner Ausführungen die Feststellung: Wenn man heute in unserem Land mit unbefangenen, mit der Materie nicht näher vertrauten Bürgern, vor allem jüngeren Menschen, darüber spricht, daß wir heute das 29. Gesetz zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes debattieren, stößt man vielfach auf Verwunderung. Viele können sich schlecht vorstellen, daß über drei Jahrzehnte nach Kriegsende ein sozial- und gesellschaftspolitisch notwendiges Gesetzgebungswerk noch immer nicht abgeschlossen ist.
Wer die Dinge näher betrachtet, weiß, daß dies deshalb nicht abgeschlossen sein kann, weil ein so großes Gesetzgebungswerk, das eine der bösesten Folgen des Krieges zu bewältigen hatte, nur in einem langen Zeitraum erledigt werden kann und —damit komme ich zu dem aktuellen Anlaß unserer heutigen Novelle — weil es immer wieder gewisser Korrekturen bedarf, um Ungleichgewichte abzumildern, die aber schon im System waren, und neu aufgetretene Erkenntnisse und Entwicklungen zu berücksichtigen.
Ich stelle dies, meine Damen und Herren, bewußt an den Anfang, weil es mir darauf ankommt, die Aufmerksamkeit aller wieder einmal auf die Tatsache zu lenken, daß mit der Lastenausgleichsgesetzgebung nicht nur ein Akt notwendiger sozialer Gerechtigkeit vollzogen worden ist und immer noch vollzogen werden muß, sondern daß mit der damit verbundenen gesellschaftlichen Eingliederung von Millionen Deutscher — viele wissen das heute gar
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978 6927
Dr. Wendig
nicht mehr so —, die aus den Vertreibungsgebieten kamen, eine der wesentlichsten Voraussetzungen für die Stabilität unserer Staats- und Gesellschaftsordnung geschaffen werden konnte.
Ohne diese Gesetzgebung würde die Bundesrepublik Deutschland nicht so in Ordnung sein, wie sie es nach meiner Meinung in der Tat ist.
Damit komme ich zugleich zu einem der bemerkenswertesten Punkte des vorliegenden Entwurfs und der Beschlußempfehlung des Innenausschusses. Die Aufhebung des Endtermins für die Erfüllung der Ansprüche auf Hauptentschädigung — bisher galt der 1. März 1979; das ist im nächsten Jahr — ist bei dem außerordentlich komplizierten Gesetzgebungswerk sicher nicht zu verhindern, weil wir sonst die mit der Durchführung des Lastenausgleichs betroffenen Dienststellen erkennbar überfordern würden, was nicht zuletzt auch zu Lasten der betroffenen Vertriebenen ginge.
Hierfür gibt es viele Gründe. Wir haben 28 Novellen, die alles wieder verbessert, aber im Verfahren, wenn Sie so wollen, auch kompliziert haben. Ich nenne auch den verstärkten Zustrom neuer Bürger in unser Land in Auswirkung der Ostpolitik der sozialliberalen Bundesregierung.
Auf der anderen Seite muß selbstverständlich sichergestellt sein, daß die Ansprüche auf Hauptentschädigung sehr zügig erfüllt werden. Wir sprechen uns entgegen dem Antrag der Opposition dafür aus, daß die Schlußfrist generell aufgehoben werden soll, also auch für ältere Anträge. Man wird hier, wie ich meine, schwer differenzieren können. Gleichwohl möchten wir mit Nachdruck auf die Notwendigkeit hinweisen, allen Geschädigten so schnell wie möglich zur Erfüllung ihrer Ansprüche zu verhelfen.
Alles, meine Damen und Herren, was in diesem Gesetz geschieht, wird nur durch die notwendig gewordene Hinausschiebung des Anpassungszeitpunkts der Kriegsschadenrente vom 1. Juli auf den 1. Januar zur Gleichbehandlung der Lastenausgleichsberechtigten mit den Rentnern der gesetzlichen Rentenversicherung möglich. Diese Maßnahme führt in den nächsten Jahren zu Minderausgaben. Man muß aber auch einmal sagen: Es sind Minderausgaben, aber noch nicht Einsparungen. Ich glaube, wir sollten auch dies in der Debatte berücksichtigen.
Gleichwohl sind auch wir, die Freien Demokraten, der Meinung, daß diese Minderausgaben zu Verbesserungen des Lastenausgleichs verwendet werden sollten; dies soll ja auch geschehen.
Der Rahmen, innerhalb dessen dies geschehen kann, ist für uns als vertretbar durch einen Vergleich mit der Kriegsopferversorgung vorgegeben. Wir haben uns hier in der Größenordnung von etwa 40 % der Minderausgaben bewegt. Ich halte dies für eine gerechtfertigte und begründete Maßnahme. Das Gleichgewicht würde, wenn die Anträge der Opposition voll erfüllt würden, sicherlich in Frage gestellt.
Ich meine also, die Verbesserungen, die wir in diesem Rahmen vorgesehen haben, sind in der Sache
und im System ausgewogen. Ich nenne hier zunächst die Erhöhung des Sozialzuschlags -zur Unterhaltshilfe um 8 DM monatlich und die Anhebung des Selbständigenzuschlags um linear 5 DM. Ich weiß, daß das für Sie von der Opposition, gerade die letzte Frage, ein ganz besonderer Punkt ist. Ich meine ,aber, daß die von der Opposition in den Beratungen des Innenausschusses gemachten Vorschläge — ebenso wie Ihre heutigen Vorschläge in der Drucksache 8/2359 — den nach unserer Auffassung zwingend vorgegebenen finanziellen Spielraum überschritten hätten. Das aber geht nicht, auch und gerade nicht aus Gründen, die der Kollege Jaunich genannt hat, wenn wir im Rahmen unserer finanziellen Gesamtverantwortung handeln.
Einig sind wir — das ist eine sehr wichtige Frage — in der Verlängerung der Antragsfrist für Aufbaudarlehen für Spätberechtigte von fünf auf zehn Jahre. Die Erfahrungen der letzten Jahre lassen dies als eine notwendige und gerechte Maßnahme erscheinen. Wir, die Freien Demokraten, begrüßen dies mit besonderer Genugtuung.
Ebenso überfällig ist der Vorschlag der Koalitionsfraktionen zu § 1 Nr. 1, der es ermöglicht, aus Mitteldeutschland emigrierte NS-Verfolgte in den Genuß des Entwurzelungszuschlages gelangen zu lassen. Nach dem geltenden Recht besteht hier eine eindeutige Benachteiligung dieser Personengruppe gegenüber verfolgten Emigranten aus den Vertreibungsgebieten. Diese Benachteiligung wird durch die Vorschläge der Koalitionsfraktionen zu § 1 Nr. 1 aufgehoben.
Weitergehenden Anträgen der Opposition können wir — ich habe das bereits mit der Begrenztheit der finanziellen Möglichkeiten begründet — nicht zustimmen. Ich verweise hier noch einmal mit allem Nachdruck darauf, daß wir uns hier in einem ausgewogenen Verhältnis zu anderen Bereichen zu halten und der finanziellen Gesamtverantwortung Rechnung zu tragen haben. Ich glaube, mit dieser Feststellung und mit dieser Entscheidung können wir bestehen.
Wir sind deshalb davon überzeugt, daß die Vorschläge, wie sie in der Berichtsfassung des Innenausschusses niedergelegt sind — ungeachtet dessen, was Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, ausführen —, eine Reihe weitgehender wichtiger Verbesserungen enthalten, so daß die Beurteilung der Gesamtvorlage, wie wir sie sehen und wie wir sie verabschieden wollen, im Grunde genommen nur positiv ausfallen kann.
Wir, die Fraktion der Freien Demokraten, werden dieser Vorlage in der von mir 'skizzierten Fassung daher zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen in der zweiten Lesung liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Lesung rufe ich § 1 Nr. 1 und 2 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zu-
9628 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Präsident Carstens
zustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die, Gegenprobe. — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Bestimmungen sind damit einstimmig angenommen.
Ich rufe § 1 Nr. 3 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/2359 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2359 unter Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer § 1 Nr. 3 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — § 1 Nr. 3 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 1 Nr. 4 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/ 2359 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2359 unter Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der genannte Änderungsantrag ist mehrheitlich abgelehnt.
Wer § 1 Nr. 4 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 1 Nr. 4 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nunmehr § 1 Nr. 5 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/2359 unter Nr. 3. ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2359 unter Nr. 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der genannte Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer § 1 Nr. 5 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? —§ 1 Nr. 5 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 1 Nr. 6 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/2359 unter Nr. 4 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2359 unter Nr. 4 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Der genannte Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer § 1 Nr. 6 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? —§ 1 Nr. 6 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 1 Nr. 7 bis 11 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Die genannten Bestimmungen sind einstimmig angenommen.
Ich rufe § 1 Nr. 12 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/2359 unter Nr. 5 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2359 unter Nr. 5 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der genannte Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer § 1 Nr. 12 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Enthaltungen? —§ 1 Nr. 12 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nunmehr § 1 Nrn. 13 bis 15, § 2, § 3, § 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen ist damit das Gesetz in zweiter Beratung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein.
Wird das Wort gewünscht? — Zur dritten Beratung, Herr Abgeordneter Dr. Wittmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und meine Herren! Mit dieser 29. Novelle mußten die Bundesregierung und die Mehrheit in diesem Hause indirekt eingestehen, daß die 1974 von Bundeskanzler Schmidt als abgeschlossen bezeichnete Kriegsfolgengesetzgebung eben nicht abgeschlossen ist. Das ließ sich also nicht halten. Sie sehen, wenn die Zeit vergeht, muß das eine oder andere im Interesse der Menschen korrigiert werden. Man macht nicht Politik um Ideologien oder um irgendwelcher Prinzipien willen, die vor den Menschen nicht bestehen können. Die CDU/CSU hat im Frühjahr Anträge gestellt, wohl wissend, daß die Koalition den Anpassungstermin für die Unterhaltshilfe hinausschieben wird, obwohl das nicht nötig ist; denn nicht der Lastenausgleichsfonds ist defizitär und notleidend geworden, sondern die Rentenversicherung. Es ist wieder einmal ein Akt der Gleichmacherei, wenn man hier versucht, zum Negativen hin anzupassen. Es soll keiner sagen, daß es ein positiver Akt ist, wenn man die Anpassung vom 1. Juli 1978 auf den 1. Januar 1979 hinausschiebt. Herr Kollege Jaunich, es finden eben keine Verbesserungen zum 1. Juli 1978 statt, sondern alle Verbesserungen werden eben erst am 1. Januar 1979 eintreten. Ich glaube, Sie haben sich hier bei der Lektüre des Gesetzes geirrt; aber vielleicht habe ich mich bei dieser verworrenen Gesetzgebung, die allmählich einreißt, getäuscht. Aber so, wie die Ratio dessen ist, was Sid beschließen wollen, wird eine Verbesserung erst ab 1. Januar 1979 eintreten.
Ich fürchte auch, daß wir uns nicht zum letzten Mal mit den Folgen der Massenvertreibungen befassen, Massenvertreibungen, die soziales Elend nicht nur in unserem Lande zurückgelassen haben,
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978 9629
Dr. Wittmann
sondern die darüber hinaus viele Menschen berühren, die jetzt zu uns kommen, die zu uns kommen möchten, weil sie nicht mehr als Deutsche unter Deutschen in ihrer Heimat leben können. Diese Probleme werden uns noch sehr lange in diesem Hause beschäftigen. Man soll nicht so tun, als sei das ein Problem der Vergangenheit, als müßte man im Hinblick auf den Steuerzahler nur in die Zukunft schauen. Wer das tut, wer darauf hinweist, Steuergelder sollten nur mit Blick auf die Zukunft verwendet werden, der müßte in jeder Beziehung konsequent sein. Man ist es aber nicht. Vor allem täte man den älteren Menschen — das sind nicht nur Vertriebene, das sind Rentner allgemein und die Verfolgten des NS-Regimes — bitteres Unrecht, wenn man nur in die Zukunft sähe.
Wir müssen erst die Vergangenheit bewältigen, und
dann können wir Schulden auf die Zukunft machen.
Ich glaube nicht, daß sich die Mehrheit in diesem Hause dem Verdacht aussetzen will, alte Menschen nach dem Motto abschreiben zu wollen: Sie sterben ja bald als Wähler, also brauchen wir auf sie keine Rücksicht zu nehmen.
— Ich sage bewußt, daß Sie sich diesem Verdacht nicht aussetzen wollen. Ich habe es Ihnen ja nicht unterstellt, vielmehr will ich Ihnen nur helfen, sich diesem Verdacht nicht auszusetzen.
In den nächsten zehn bis elf Jahren werden wir beim Lastenausgleich, bei der Unterhaltshilfe rund 600 Millionen DM einsparen. Man sollte also nicht nur die mittelfristige Finanzplanung, die nächsten vier bis fünf Jahre im Auge haben, sondern die nächsten zehn bis elf Jahre; denn so lange wird uns die Frage der Unterhaltshilfe sicherlich noch beschäftigen.
Auf Grund des Drängens von CDU und CSU, aber auch auf Grund der Haltung der Mehrheit im Bundesrat sahen Sie sich gezwungen, wenigstens einige Verbesserungen mitzumachen. Verbesserungen haben Sie bei der Antragsfrist für die Aufbaudarlehen zugestanden, darüber hinaus einige Verbesserungen beim Sozialzuschlag und eine Miniverbesserung bei dem Selbständigenzuschlag.
Für 40 000 bis 50 000 Menschen gestehen Sie eine Erhöhung des Sozialzuschlags um 8 DM zu. Für einen Personenkreis von 170 000 Personen gestehen Sie nur eine Erhöhung von bescheidenen 5 DM zu. Es handelt sich um jene ehemals Selbständigen, vor allem ehemalige Landwirte und kleine Gewerbetreibende, die auf diese Hilfe dringend angewiesen sind. Ich frage mich: Warum diese Diskriminierung? Herr Kollege Jaunich, wir sollten uns sehr schnell über folgendes einigen: Wenn wir beanstanden, daß für 4 500 Personen aus Mitteldeutschland, die rassisch oder politisch verfolgt waren, 10 Millionen DM ausgegeben werden, dann heißt das nicht, daß wir das für diese Menschen nicht wollen, sondern wir setzen eben das, was den übrigen etwa 250 000 Menschen gegeben wird, dazu in Vergleich. Es werden für 250 000 Personen 45 Millionen DM und für 4 500
Personen 10 Millionen DM aufgebracht. Das ist ein Ungleichgewicht. Damit Sie uns nicht wieder diffamieren können: Wir haben dieser Vorlage im Ausschuß insoweit zugestimmt, weil wir der Meinung sind, daß hier eine Gleichstellung erfolgt.
Herr Kollege Jaunich, von den 158 Millionen DM Einsparungen in den nächsten vier Jahren — ich nehme die untere Zahl, die neuestens von der Bundesregierung geschätzt worden ist — bleiben immer noch 90 Millionen DM, die derzeit aus dem Ausgleichsfonds kommen. Ich glaube, man sollte einmal deutlich machen, daß das Schicksal der Unterhaltshilfeempfänger nicht dazu da ist, den Bundeshaushalt, der nicht durch die soziale Entschädigung für die Unterhaltshilfeempfänger, sondern aus ganz anderen Gründen defizitär geworden ist, später einmal sanieren zu helfen.
Meine Damen und Herren, wir machen einen letzten Versuch, Sie zu bitten, die soziale Diskriminierung vor allem der ehemals Selbständigen bei der jetzigen geringen Erhöhung der Unterhaltshilfe zu beseitigen, indem wir auf dem eben verteilten Antrag auf Drucksache 8/2361 bitten, den Selbständigenzuschlag von 5 DM auf 8 DM im Betrag gleichzuziehen mit den Beträgen für die allgemeinen Unterhaltshilfeempfänger; denn hier handelt es sich um die Mehrzahl der Geschädigten, nämlich um 170 000.
Mit dem Entschließungsantrag auf Drucksache 8/2360 bitten wir Sie, nach Streichung des Endtermins 31. März 1979 dem zuzustimmen, daß die Bearbeitung der restlichen Fälle möglichst schnell erfolgt und die nötigen Mittel für die Erfüllung der Lastenausgleichsansprüche zur Verfügung gestellt werden.
Diese Koalition kann sich nicht damit brüsten, .daß z. B. seit 1969 die Unterhaltshilfe um soundso viel Prozent gestiegen ist. Wenn ich jemandem statt 1 DM 3 DM gebe, so ist das natürlich eine Steigerung um 200%. Man muß vielmehr den Vergleich herstellen zu den Empfängern anderer Altersversorgungen. Dies hat Herr Kollege Krey schon getan. Da ergibt sich ein grobes Mißverhältnis.
Wir werden dieses Mißverhältnis nicht ausgleichen, aber wir sollten uns bemühen, zu einer vernünftigen Anpassung zu kommen, damit die Menschen draußen nicht das Gefühl haben, daß die Sanierung eines ganz anderen Bereichs auf ihrem Rücken ausgetragen wird. Lassen wir die Vertriebenen und Flüchtlinge nicht büßen, was eine falsche Wirtschafts- und Sozialpolitik auf anderen Gebieten an Schäden verursacht hat.
Herr Schäfer, weil Sie mich gerade mit „dummes Zeug" ansprechen: Sie sollten ganz still sein im Zusammenhang mit dem Sprechen über die Vergangenheit.
9630 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1978
Dr. Wittmann
— Sind Sie lieber still, Herr Schäfer, sonst müßte ich von diesem Platz einiges sagen, was ich unterlassen will.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Schäfer, der Ausdruck „unverschämtes Geschwätz" ist unparlamentarisch.
Ich bitte Sie, dem Änderungsantrag der CDU/CSU zuzustimmen, den Selbständigenzuschlag doch noch auf 8 DM zu erhöhen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaunich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst für Sie, Herr Kollege Wittmann: Wenn das für Sie undurchschaubar ist, für mich eigentlich nicht. Nehmen Sie bitte den Ausschußbericht. Dort können Sie in § 4, der das Inkrafttreten regelt, nachlesen, wann welche Bestimmungen in Kraft treten. Das dürfte Ihnen eigentlich nicht so sonderlich schwerfallen.
— Aber vielleicht wollen Sie nicht; das ist sicherlich richtig eingewandt.
Herr Kollege Wittmann, Sie und andere haben fortwährend in die Debatte eingeführt, daß Sozialdemokraten und Freie Demokraten weiteren Geschädigtengruppen Ansprüche nach dem LAG beschert hätten und demzufolge die Finanzmasse im Lastenausgleichsfonds nicht ausreiche und wir jetzt vor der Situation stünden, dies durch Bundesmittel ausgleichen zu müssen. Wir bekennen uns voll dazu, daß wir das Lastenausgleichsrecht weiterentwickelt haben, nämlich auch auf die Personengruppen hin, die im Laufe der Zeit das Schicksal der Flucht auf sich nehmen mußten.
Wie war es denn früher? Früher war das ein- zige, daß Ihnen vorgegeben war — insbesondere um die Weihnachtszeit —, an die Bürger zu appellieren, Kerzen in die Fenster zu stellen, damit der Zusammenhalt Deutschlands noch deutlich würde. Durch die Ostpolitik, die Deutschlandpolitik dieser unserer Regierung
haben wir heute Zuwanderer, die mit Ansprüchen aus dem Lastenausgleich versehen sind. Dies kostet in der Tat Geld.
— Und Aussiedler, natürlich. Dazu bekennen wir uns. Deswegen lassen wir nicht zu, daß der Ausgleich von Kriegsfolgelasten nur einseitig gesehen wird, wie Sie das mehrfach und auch heute wieder
in dieser Debatte getan haben. Für mich ist das fürwahr ein sehr merkwürdiges Verständnis von der deutschen Einheit, das sich in solchen Äußerungen offenbart!
Nochmals zu Ihrem Einwand, man könne alles, was Sie hier fordern, finanziell realisieren. Wenn jemand als Haushaltungsvorstand und Vater — so wie ich — sich jetzt in der Weihnachtszeit damit beschäftigt, was er seinen Lieben zuwenden kann, dann kann er da nur vom Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten ausgehen.
— Halten Sie sich doch vielleicht einmal ein bißchen zurück!
Wenn meine Kinder zu mir sagen würden:
„Lieber Vater, in diesem Jahr fallen unsere Weihnachtsgeschenke ein bißchen klein aus; das ist wohl darauf zurückzuführen, daß Du auch anderen Zuwendungen machst", dann würde ich mich furchtbar darüber wundern; ich müßte an meiner Erziehung und an meiner Überzeugungskraft zweifeln. Aber das wird bei meinen Kindern nicht geschehen. Meine Kinder werden wie selbstverständlich tolerieren, daß ich sie nicht so ausstatten kann, weil es in der Welt große Not gibt, die ich ein bißchen zu lindern versuche.
Übertragen wir das bitte auf das Feld, über das das wir hier zu reden haben.
Da können wir nicht eine Gruppe von Geschädigten herausgreifen und sagen: Nur für die sind wir da und zuständig. Sondern da müssen wir die Gesamtheit der Geschädigten sehen. Und wenn wir schreiende Ungerechtigkeiten heute ausmerzen,
dann haben wir es nicht verdient, von Ihnen deswegen in dieser Art und Weise angegangen zu werden.
Ich möchte diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne allen, die am Zustandekommen dieses Gesetzes mitgewirkt haben, Dank zu sagen. Wir haben darüber viele Gespräche auch mit Ihnen von der Opposition geführt:
Die Bundesregierung, das Ausschußsekretariat, sie alle haben ihren Beitrag geleistet, zu einer vernünftigen Regelung in einem finanziell vertretbaren Rahmen zu kommen.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1,978 9631
Jaunich
Lassen Sie mich aber auch ein Wort der ernsten Mahnung an einige Verbandsfunktionäre richten. Heimatvertriebene und Flüchtlinge haben es nicht verdient, durch Radikalität der Sprache und unerfüllbare Forderungen ins politische Abseits geführt zu werden.
Die gefundenen Regelungen sind sozial ausgewogen und finanziell vertretbar.
Ganz im Gegensatz dazu die Anträge der Opposition:
Wenn Sie die Anträge, die Sie hier vorgelegt haben — einen haben Sie soeben noch vorgelegt —, zusammenrechnen, dann kommen Sie auf zusätzliche Kosten von 152 Millionen DM. Dazu fallen die 66,1 Millionen DM an, die durch unsere Beschlüsse im Innenausschuß kostenwirksam werden. Das sind zusammen 218,1 Millionen DM in einem Zeitraum von vier Jahren. Dem stehen Einsparungen von 158 Millionen DM durch das Hinausschieben des Anpassungstermins gegenüber. Sie wollen also nicht nur die Summe der Einsparungen ausgeben, sondern gehen darüber hinaus. Ich muß Ihnen noch einmal sagen: Dies ist unsolide.
Ein Letztes. Zu der Streichung des Termins für die Erfüllung der Hauptentschädigung: Dieser Termin ist der 31. März 1979. Dieser Termin ist unerfüllbar. Das ist durch vielerlei Faktoren bedingt. 24 Lastenausgleichsnovellen seit der Einfügung dieses Termins in das Gesetz und eine große Zahl. neuer Antragsberechtigter lassen es als illusorisch erscheinen, daß all dies bis zum 31. März 1979 abgewickelt werden kann.
Es stellt sich ja auch nicht die Frage, ob das die Rechtsposition der Betroffenen schmälern würde. Ganz im Gegenteil. Ein Anspruch rechtlicher Art darauf ist ja ohnehin nicht herauszulesen. Denn der Erfüllung gehen doch zwei, drei Verfahren voraus. Wir haben durch die von uns eingebrachte Entschließung zum Ausdruck gebracht, daß wir nach wie vor darauf vertrauen, daß die Lastenausgleichsverwaltungen mit aller Besorgnis bemüht sind, den Berechtigten so schnell wie möglich zu ihren Entschädigungen zu verhelfen. Wir haben keinen Anlaß zum Zweifel, daß dies getan wird. Der Präsident des Bundeslastenausgleichsamtes hat erst vor kurzem eine entsprechende Weisung erteilt, auch die Altfälle — denn im Gesetz steht, daß eine Rangfolge nach sozialer Dringlichkeit vorzunehmen ist — unverzüglich in Angriff zu nehmen, nachdem dies weitgehend aufgearbeitet ist.
Die Rechtsposition der Geschädigten wird durch eine Streichung des Termins in keiner Weise verschlechtert. Im Gegenteil, durch Streichung dieses Termins wird eindrucksvoll dokumentiert, daß der Lastenausgleich für uns noch nicht zu Ende ist. Dies ist unsere Position. Wir haben in der Zeit, in der hier zu handeln war, gehandelt. Wir haben das nach den Prinzipien von sozialer Gerechtigkeit und finanzieller Solidität getan. Ihre weitergehenden Anträge mußten und müssen wir ablehnen. Wir werden dem Gesetz in der vorliegenden Form zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herr von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wittmann, Sie haben vorhin hier an die Adresse der Koalition und der Bundesregierung gerichtet gesagt — jetzt zitiere ich —: So setzt man sich dem Verdacht aus, die alten Menschen abschreiben zu wollen, sie sterben ja bald als Wähler . läßt sich diese Haltung interpretieren.
Herr Kollege Wittmann, wenn Sie das nur hier so in der Debatte gesagt hätten, könnte man noch annehmen, daß Sie sich anschließend dafür entschuldigten und die Sache damit aus der Welt wäre.
Da Sie dieses aber über Ihre Pressestelle unter heutigem Datum in der Öffentlichkeit. haben verbreiten lassen, richten Sie sich mit diesem Urteil ausschließlich selbst.
Ich will darauf nicht weiter eingehen.
Ich freue mich, aus der Bemerkung des Kollegen Krey entnommen zu haben, daß wir über die Anpassung der laufenden Leistungen im Bereich des Lastenausgleichs an die Entwicklung in anderen Bereichen des Sozialleistungsrechts heute hier prinzipiell einig sind und daß sich diese Einigkeit auch auf einige weitere zusätzliche Verbesserungen und Änderungsvorschläge im Lastenausgleichsrecht erstreckt.
Die Bundesregierung begrüßt, daß die Verlängerung der Antragsfrist für die Gewährung von Aufbaudarlehen an Spätberechtigte von fünf auf zehn Jahre im Bereich des Lastenausgleichsrechtes im Beschluß des Innenausschusses enthalten ist
9632 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978
Parl. Staatssekretär von Schoeler
und sich diese Änderung auch auf § 46 des Bundesvertriebenengesetzes erstreckt.
Denn auch wir sind der Auffassung, daß sich die Notwendigkeit für eine entsprechende Änderung des Bundesvertriebenengesetzes für die aus bäuerlichen Verhältnissen stammenden Spätaussiedler gezeigt hat.
Wir begrüßen die im vorliegenden Entwurf' enthaltenen strukturellen Verbesserungen. Sie passen nach unserer Überzeugung in das ausgewogene System von Entschädigung und Eingliederung und entsprechen der Forderung nach Gerechtigkeit.
Der Deutsche Bundestag hat vor einiger Zeit über die Hinausschiebung des Anpassungstermins in der Kriegsopfergesetzgebung entschieden. Er hat sich bei dieser Entscheidung dazu entschlossen, rund 40 % dessen, was hier in der Debatte immer als Einsparung bezeichnet wird, was man eigentlich als Minderausgaben bezeichnen müßte, für strukturelle Verbesserungen zu verwenden. In etwa dieser Größenordnung sollen nach dem Beschluß des Innenausschusses auch die Minderausgaben im Bereich des Lastenausgleichs für strukturelle Verbesserungen aufgewendet werden. Damit entspricht der Beschluß des Innenausschusses dem Grundsatz der Solidarität zwischen Kriegsgeschädigten und Kriegsbeschädigten. Weitergehende Vorschläge, wie Sie sie eingebracht haben, im Umfang von zunächst etwa 152 Millionen DM, so Ihr Antrag auf Drucksache 8/2359, und jetzt in Ihrem Antrag auf Drucksache 8/2361 in der Größenordnung von 20 bis 30 Millionen DM, würden dieses Prinzip der Solidarität zwischen Kriegsgeschädigten und Kriegsbeschädigten verletzen.
Die Bundesregierung bekräftigt erneut ihren Grundsatz, soziale Sicherheit auch und gerade für die vom Krieg und seinen Folgen besonders betroffenen Teile der Bevölkerung anzustreben. Vorschläge zur Verbesserung des Lastenausgleichsrechts dürfen aber — das müssen wir erkennen — nicht außer acht lassen, ob und inwieweit eine Belastung der Steuerzahler vertretbar ist.
Die Frage der Eingliederung unserer deutschen Aussiedler aus Ost- und Südosteuropa ist in den letzten Jahren erfreulicherweise nicht Gegenstand politischer Kontroversen zwischen den Parteien gewesen. Sie ist hierfür auch denkbar ungeeignet. Wir können konstatieren, daß es in diesem Bereich eine gute Zusammenarbeit gegeben hat, die der Sache diente und die insbesondere den Menschen zugute kam, um die es uns gemeinsam geht.
In engem Zusammenwirken mit den anderen Bundesressorts, mit den Ländern, mit den Geschädigtenverbänden und den Wohlfahrtsorganisationen werden wir Lösungen für die noch offenen Fragen — etwa im Bereich der Sprachförderung oder Anerkennung von Befähigungsnachweisen — mit Nachdruck erarbeiten, damit einer reibungslosen Eingliederung der Aussiedler nichts mehr im Wege steht.
Die geschichtliche Leistung derjenigen, die der Krieg und seine Folgen mit dem Verlust der Heimat hart getroffen hat, liegt darin, daß sie trotz Leid, Verlust und Vertreibung sich nicht ins Abseits einer destruktiven Politik haben treiben lassen. Die Vertriebenen und Flüchtlinge waren einer der stabilsten Faktoren beim Wiederaufbau unseres Landes und der Errichtung eines freiheitlichen Staates.
Wir können alle Verluste nicht ausgleichen. Aber wir können und müssen das tun, was irgend in unseren Kräften steht.
Ich hoffe, daß die Verabschiedung der 29. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz im Deutschen Bundestag heute dazu führt, daß ohne weitere Schwierigkeiten zum 1. Januar 1979 die Leistungen erhöht werden können. Die Bundesregierung wird diese Leistungen ab dem 1. Januar 1979 erhöhen. Ich darf Sie und den Bundesrat, der sich mit dem Gesetz auch beschäftigen wird, im Interesse der Betroffenen bitten, dem vorliegenden Gesetzentwurf die Zustimmung zu geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu § 1 Nr. 5 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2361 vor. Ich rufe deshalb § 1 Nr. 5 auf. Der Antrag ist begründet worden. Wird das Wort anderweitig gewünscht? Das ist nicht der Fall.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Drucksache 8/2361 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Bevor wir zur Schlußabstimmung kommen, gebe ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Becher zu einer Erklärung zur Abstimmung gemäß § 59 der Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von der sozialliberalen Koalition nunmehr erzwungene Endfassung des Neunundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes
bringt Verbesserungen, deren geringfügige Höhe in keinem Verhältnis zu den Einsparungen stehen, die sich aus der Angleichung der Verschiebungstermine an die Rentenversicherung ergeben.
Die Tatsache, daß man hier von Verbesserungen in Höhe von monatlich 5 oder 8 DM spricht und nicht einmal das genehmigt, läßt nach meiner Überzeugung eine Mißachtung der Opfer der Vertreibung erkennen,
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1978 9633
Dr. Becher
die ganz und gar der Mißachtung ihrer Rechtsansprüche in den Ostverträgen entspricht.
Ich sehe mich daher nicht in der Lage, dem Gesetz zuzustimmen, und bitte, mein Nein in diesem Sinne zu verstehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.
Es liegen noch zwei weitere Beschlußempfehlungen des Ausschusses vor und ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/2335 unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe. — Enthaltungen. — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit Mehrheit angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt ferner, die zu den Gesetzentwürfen eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2360 auf. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2360 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt. Damit ist der Tagesordnungspunkt 13 abgeschlossen.
Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 13. Dezember, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.