Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.Ich möchte, meine verehrten Damen und Herren, heute, am 9. November, des Tages gedenken, an dem vor 60 Jahren durch einen revolutionären Akt die republikanische Staatsform in Deutschland eingeführt und die Grundlagen für die Weimarer Republik gelegt wurden. Zwei Tage später, am 11. November, endete der Erste Weltkrieg.Schon Monate vorher war deutlich geworden, daß die deutsche Sache militärisch verloren war. Nicht der „Dolchstoß" revolutionärer Kräfte hat — wie später behauptet wurde — die Niederlage bewirkt, sondern das erschöpfte deutsche Heer wich vor der gewaltigen Überlegenheit der Alliierten, auf deren Seite zuletzt fast 2 Millionen amerikanische Soldaten kämpften, unaufhaltsam zurück.Auch die Heimat, deren Kräfte vier Jahre lang überfordert worden waren und in der schwere Not herrschte, war erschöpft. An vielen Stellen kam es zu Unruhen. Am 29. Oktober weigerten sich die Matrosen der in Wilhelmshaven und in Kiel liegenden Hochseeflotte, zu einem letzten Seegefecht auszulaufen. Seit dem 3. November breitete sich eine nicht zentral gelenkte Revolution in mehreren deutschen Städten aus.Die Entscheidung fällt am 9. November in Berlin: Um 12 Uhr mittags verkündet der letzte vom Kaiser ernannte Reichskanzler, Prinz Max von Baden, daß Wilhelm II. als Deutscher Kaiser und König von Preußen abgedankt habe, obwohl dies zu diesem Zeitpunkt noch nicht der Fall war. Gegen 13 Uhr legt Max von Baden das Amt des Reichskanzlers in die Hände des Reichstagsabgeordneten Friedrich Ebert, des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei und der mehrheitssozialistischen Reichstagsfraktion.Um 14 Uhr ruft der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Philipp Scheidemann in einer Rede an eine vieltausendköpfige Menge von einem Fenster des Reichstagsgebäudes die deutsche Republik aus, weil er, wie er später berichtet hat, glaubte, der Ausrufung einer deutschen Sowjetrepublik durch Karl Liebknecht zuvorkommen zu müssen.In den Abendstunden des 10. November trifft Ebert telefonisch über einen geheimen Draht zurObersten Heeresleitung mit General Groener eine Vereinbarung; darin entscheidet sich die Oberste Heeresleitung für das Zusammengehen mit der neuen Regierung.Am 10. November übernimmt ein aus Mehrheitssozialisten und links von ihnen stehenden sogenannten Unabhängigen Sozialdemokraten bestehender Rat der Volksbeauftragten die Regierungsgewalt. Am 11. November um 5 Uhr morgens wird in Compiègne das Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet.Am 30. November erläßt der Rat der Volksbeauftragten die Verordnung zur Wahl der Verfassunggebenden Nationalversammlung, die im Februar 1919 in Weimar zusammentritt und Ebert zum ersten Reichspräsidenten wählt. Damit endet die revolutionäre Phase der deutschen Nachkriegsgeschichte.Das Hauptverdienst bei der Bewältigung der kritischen Lage im November 1918 kommt, rückblikkend betrachtet, Friedrich Ebert zu. Er verfolgte eine maßvolle Linie. Ihm gelang es wenigstens für einige Wochen während der besonders gefährlichen Periode, die linksradikale USPD anzubinden; anschließend bezog er ebenso klar gegen die die Demokratie gefährdenden Aktionen der äußersten Linken Stellung. Er arbeitete mit Kräften des bürgerlichen Lagers, vor allem dem Zentrum und der Fortschrittlichen Volkspartei, zusammen. Durch das Bündnis mit der Obersten Heeresleitung verhinderte er ein Aufeinanderprallen größten Ausmaßes zwischen den alten und den neuen Kräften.Aber einen unblutigen Übergang zu der neuen Staatsordnung erreichte auch er nicht. Die Zeit nach dem 9. November 1918 ist von Kämpfen zwischen den der Reichsleitung unterstehenden Truppen und revolutionären Gruppen in Berlin und anderen deutschen Großstädten erfüllt. Mehrere tausend Menschen fanden dabei den Tod. Auch blieb die republikanisch-parlamentarische Staatsform in der Bevölkerung, zumal in Teilen der Beamtenschaft, umstritten. Sie hat sich erst nach den furchtbaren Erfahrungen mit der Diktatur nach dem Zweiten Weltkrieg durchgesetzt. Heute bejaht die überwältigende Mehrheit unserer Bürger den freien, demokratischen und sozialen Rechtsstaat unseres Grundgesetzes.
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8884 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Präsident CarstensUnser Staat schuldet den Männern aus der Anfangszeit der Weimarer Republik Respekt, Anerkennung und ein ehrendes Angedenken.
Gerade Ebert wurde in der schlimmsten Weise von rechten und linken Gegnern verunglimpft. Als Reichspräsident führte er über 170 Prozesse zur Wiederherstellung seiner Ehre.Wir sollten aus den Ereignissen jener Zeit noch eine weitere Lehre ziehen: Wir sollten behutsamer miteinander umgehen und auf eine Verunglimpfung von Männern, die sich um unseren Staat verdient gemacht haben, verzichten.Wir gedenken am heutigen Tage noch eines weiteren Ereignisses aus unserer jüngeren Geschichte. Vor 40 Jahren, am 9. November 1938, setzte die erste systematische und umfassende Judenverfolgung in Deutschland ein. Ein junger deutsch-polnischer Jude hatte einen Gesandtschaftsrat an der deutschen Botschaft in Paris erschossen. Diese Tat eines einzelnen führte zu einer brutalen Reaktion der nationalsozialistischen Machthaber. In der Nacht vom 9. zum 10. November wurden Einheiten der SA mobilisiert. Eine schreckliche Zerstörung von jüdischem Eigentum setzte ein, der niemand Einhalt gebot. Über 200 Synagogen gingen in Flammen auf. Jüdische Geschäfte, Altersheime, Wohnungen und Friedhöfe wurden verwüstet. Tausende jüdischer Bürger wurden verhaftet, die meisten in Konzentrationslager verschleppt. Hunderte fanden den Tod — ermordet im Verlauf des Pogroms, im Lager umgekommen oder in den Selbstmord getrieben.Gemessen an dem, was die jüdischen Mitbürger in Deutschland und die Juden in Europa in den folgenden Jahren erlitten, war der 9. November 1938 nur ein Anfang. Aber es ist ein Tag tiefster Schmach in unserer Geschichte. Er mahnt uns, des unendlichen Leides zu gedenken, welches die nationalsozialistische Herrschaft Millionen von Juden in der Folgezeit zugefügt hat. Er mahnt uns, diese Ereignisse nicht aus unserer Erinnerung zu löschen und sie auch der jüngeren, heranwachsenden Generation mitzuteilen. Unsere jüdischen Mitbürger sollen sich darauf verlassen können, daß wir jeder Art von Wiederaufleben des Antisemitismus in Deutschland auf das entschiedenste und mit aller Konsequenz entgegentreten werden.Das deutsche Volk gedenkt heute auf zahlreichen Veranstaltungen in vielen Städten und Gemeinden der schrecklichen Ereignisse des 9. November 1938. Gleich im Anschluß wird eine Gedenkstunde in der wiederaufgebauten Synagoge in Köln stattfinden, bei der ich den Deutschen Bundestag vertreten werde.Schließlich — das sei meine letzte Bemerkung — möchte ich Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, daran erinnern, daß am heutigen Tage ein großer Europäer seinen 90. Geburtstag begeht: Jean Monnet. Er hat den Ersten Weltkrieg, den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg bewußt erlebt und hat daraus eine, wie ich meine, uns alle verpflichtende, in die Zukunft gerichtete Folgerung gezogen, nämlich ein geeintes Europa zu schaffen, das ein Hort des Friedens, der Freiheit und der Menschenrechte sein soll. Dies ist unser aller gemeinsames Ziel. Es ist die für uns alle verbindliche Lehre aus den letzten hundert Jahren unserer Geschichte.Ich bin sicher, daß ich mich zum Interpreten des Hauses mache, wenn ich Jean Monnet zum heutigen Geburtstag die herzlichsten Glück- und Segenswünsche übermittle.
Amtliche Mitteilungen ohne VerlesungDer Vermittlungsausschuß hat zu dem vom Deutschen Bundestag beschlossenenGesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Gewerbesteuergesetzes, des Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze
das Verfahren ohne Einigungsvorschlag abgeschlossen. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/2260 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 7. November 1978 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dürr, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Spitzmüller und Genossen betr. Energie und Atmosphäre — Drucksache 8/2127 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/2257 verteilt.Die in Drucksache 8/2238 unter Nr. 10 aufgeführte EG-VorlageVorschlag einer Verordnung des Rates über finanzielle Maßnahmen der Gemeinschaft zugunsten des innergemeinschaftlichen Austausches von Kraftwerkskohlewird als Drucksache 8/2256 verteilt.Ich rufe nun Punkt 2 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Lenzer, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Riesenhuber, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Laufs, Pfeffermann, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz und der Fraktion der CDU/CSURationelle und sparsame Energieverwendung Drucksache 8/1963 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und TechnologieInterfraktionell ist eine Aussprache mit Kurzbeiträgen, und zwar in zwei Runden, vereinbart worden. Die Dauer eines Kurzbeitrags beträgt bis zu zehn Minuten.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lenzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der Geschäftslage möchte ich mich ganz kurz fassen und mir vorbehalten, später zu einer ergänzenden Anmerkung nochmals das Wort zu ergreifen.Ihnen liegt auf der Drucksache 8/1963 unser Antrag zur rationellen und sparsamen Energieverwendung vor. Ich kann darauf verzichten, den Inhalt des Antrags wiederzugeben. Ich gehe davon aus, daß jeder hier des Lesens kundig ist und sich selber davon überzeugen kann, welchen Inhalt der Antrag hat.Gestatten Sie mir zu Beginn meiner Begründung drei Randbemerkungen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8885
LenzerDie erste Randbemerkung: Am 9. August 1978 konnten wir in der Presse lesen, daß die Internationale Energie-Agentur den 19 Mitgliedstaaten schlechte Zensuren in punkto Energieersparnis erteilt.Die zweite Randbemerkung: Am 21. September 1978 hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner mir in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage mitgeteilt, daß aussagefähige Abschätzungen über die Höhe der in Zukunft sektoral und insgesamt real erreichbaren prozentualen Einsparungen im Endenergieverbrauch der Bundesrepublik Deutschland nicht möglich sind. Er hat also auf ein Manko in der Abschätzung des Energieeinsparungspotentials verwiesen.Die dritte Randbemerkung: Aus der Beantwortung einer weiteren parlamentarischen Anfrage durch die Bundesregierung geht hervor, daß allein auf Bundesebene für den Bereich der rationellen und sparsamen Energieverwendung über 20 Gesetze und Verordnungen und in den Bundesländern eine Vielzahl von Verordnungen und Richtlinien bestehen. Daraus ist zu ersehen, daß auch hier ein klares und konkretes Bild fehlt.Energie sowohl kurz- als auch langfristig wirtschaftlicher als bisher einzusetzen ist heute angesichts weltweiter Verknappungstendenzen zu einer unabdingbaren Grundforderung der Politik geworden. Allein der sparsame und rationelle Umgang mit Energie kann die Probleme jedoch nicht lösen. Da Änderungen im Energiesektor — —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit für den Redner.
— — auf andere Bereiche durchschlagen, kann man eine rationellere und sparsamere Energieverwendung nicht um jeden Preis erzwingen. Die vorgesehenen Maßnahmen müssen deshalb im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang gesehen und bewertet werden.Welches sind unsere aktuellen Fragestellungen? Erstens. Welche Möglichkeiten der Einsparung gibt es? Zweitens. Wie hoch ist das Einsparungspotential zu bewerten? Drittens — eine Frage, in der die Politik ganz besonders gefordert ist —: Kann bereits jetzt das bekannte Einsparungspotential eine veränderte Strategie in der Energiepolitik rechtfertigen? Viertens: Könnte dies in der Konsequenz sogar bereits jetzt zum Verzicht auf den einen oder anderen Energieträger — ich erinnere in diesem Zusammenhang an die heftige Kernenergiedebatte — führen? Verkürzt dargestellt lautet also die Problematik für die politische Entscheidung: Sind unsere Probleme durch Einsparung einerseits und Wachstumsverzicht andererseits zu lösen, wie es teilweise behauptet wird? Ich möchte an dieser Stelle darauf verzichten, wie ursprünglich vorgesehen, auf die energiepolitischen Perspektiven näher einzugehen. Wir werden sicherlich Gelegenheit haben, dies alles in extenso zu diskutieren, wenn die Zweite Fortschreibung nach den Ausschußberatungen wieder hier in das Plenum kommt.Auch die Struktur des Energieverbrauchs wäre einer Betrachtung wert. Hierzu ebenfalls aus Zeitgründen nur einige kurze Bemerkungen. Von den insgesamt im Jahr 1975 — das möchte ich als Basisjahr herausgreifen — zur Verfügung stehenden 347,7 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten Primärenergie bleiben nach Umwandlungsverlusten und nach Abzügen für nichtenergetischen Verbrauch und anderen Abzügen letztlich nur noch 67,3 % für Endenergie zur Verfügung. Hiervon entfallen 35,9 % auf die Industrie, 19,7 % auf den Verkehr und 44,4 % auf Haushalte und Kleinverbraucher. Schon allein aus diesem Tatbestand geht hervor, wo eine entsprechende Strategie anzusetzen hat.Lassen Sie uns einmal die vorliegenden Einsparungsanträge betrachten. Wir können dann feststellen, daß sie sich vornehmlich mit den Hauptverbrauchssektoren Haushalt und Kleinverbrauch beschäftigen, ebenfalls mit Verkehr und Industrie. Dabei kann man stark vereinfacht vier Kategorien von Maßnahmen unterscheiden, die in ihrer Abfolge schon eine gewisse Priorität erkennen lassen.Der erste Punkt ist die Steuerung des Energieverbrauchs über den Preis. Durch eine Verteuerung der Energie über Steuern oder Abgaben oder über Preisfestsetzungen soll — so wird hier vorgeschlagen — ein Zwang zum sparsameren Umgang mit der Energie ausgeübt werden. Dadurch sollen im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung Verhaltensweisen induziert werden, die zu einem rationelleren und sparsameren Einsatz von Energie führen.Der zweite Punkt ist der Appell an das Energiebewußtsein. Aufklärung, Beratung spielen hier eine besondere Rolle. In allen vorliegenden Dokumenten wird dies als besonders wichtig herausgestellt. Der Schwerpunkt dieser Beratungsmaßnahmen zielt naturgemäß auf Haushalte und Kleinverbraucher, weil hier ein erhebliches Potential zur Verfügung steht.Drittens geht es darum, durch finanzielle Anreize sparsamere und rationellere Energieverwendung zu induzieren. Sie sind ein geeignetes Instrument, um die Umstellungsprozesse zum Verbrauch von weniger Energie zu beschleunigen.Schließlich ist auch noch auf staatliche Verbote und Gebote verwiesen — in einer marktwirtschaftlichen Ordnung sicherlich immer nur ein letztesMittel.Wege zu einer rationelleren Energienutzung sind vielseitig. Es handelt sich um das Vermeiden unnötigen Nutzenergieverbrauchs ebenso wie um das Vermindern des Nutzenergiebedarfs, um die Erhöhung von Wirkungsgraden und Nutzungsgraden bei der Energieanwendung, um Programme zur Energierückgewinnung und um Programme zur integrierten Energieversorgung.Ich muß aus Zeitgründen auch jetzt an diesem Punkt darauf verzichten, hier eine nähere Darstellung zu bringen, und möchte gleich sagen, welche Konsequenzen sich nach unserer Auffassung aus den Sachtatbeständen hier für die politischen Entscheidungsträger ergeben. Rationelle und sparsame Energieverwendung ist nach unserer Auffassung in
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8886 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Lenzereiner marktwirtschaftlichen Ordnung vor allem Aufgabe von Wirtschaft und Verbrauchern. Staatliche Maßnahmen mit marktkonformen Mitteln sind darüber hinaus eine wirksame Ergänzung. Einsparungsmaßnahmen dürfen den Freiheitsspielraum des einzelnen jedoch nicht unnötig beschränken und müssen Kosten- und Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte berücksichtigen. Trotz massiver staatlicher Interventionen und erheblicher technologischer Anstrengungen, die einen gewaltigen Kapitaleinsatz erfordern, werden kurz- und mittelfristig die erreichbaren Einsparungserfolge relativ gering bleiben. Rationelle und sparsame Energieverwendung ist deshalb auch für die Politik eine Daueraufgabe. So sind die von der Bundesregierung in der Zweiten Fortschreibung des Energieprogramms dargestellten Maßnahmen zur rationellen und sparsamen Energieverwendung nur ein erster Ansatz oder, anders formuliert, ein Schritt in die richtige Richtung.Meine Fraktion hat in dem vorgelegten energiepolitischen Programm, auf das ich auch in diesem Zusammenhang verweisen möchte, die Fragen der rationellen und sparsamen Energieverwendung an die erste Stelle gesetzt. Wir betrachten sie als keine Alternative zu einem Energieträger, sondern als Bestandteil einer langfristig angelegten Gesamtstrategie.Leider hat in vielen Fällen übertriebener politischer Aktionismus dazu beigetragen, daß die Möglichkeiten der Energieeinsparung in der Öffentlichkeit vielfach überbewertet werden. Wer in ideologischer Verbohrtheit den Begriff „Energie" mit „Strom" und demzufolge „Energiesparen" mit „Stromsparen" gleichsetzt, um so z. B. eine Begründung für die Ablehnung des Baus weiterer Kraftwerke zu bekommen, handelt in der Sache falsch und auch politisch verantwortungslos.
Für die CDU/CSU entspricht eine dirigistische Politik auch des verordneten Energiesparens Wachstumseinbußen und widerspricht dem ordnungspolitischen Verständnis der Sozialen Marktwirtschaft.
Wie kann nach unserer Auffassung eine rationelle und sparsame Energieverwendung erreicht werden?Erstens. Energieeinsparung muß weitgehend durch die Steuerung über den Markt erzielt werden.Zweitens. Durch Aufklärung und Beratung muß ein verstärktes Energiebewußtsein geschaffen werden.Drittens. Finanzielle Anreize können die Umstellung auf eine rationelle und sparsame Verwendung von Energie erleichtern.Viertens. Bevor Gebote, Verbote und Kontrollen als letztes Mittel einer Marktwirtschaft angewendet werden, ist zu prüfen, inwieweit bestehende Gesetze und Verordnungen einer rationellen und sparsamen Energieverwendung entgegenstehen.Fünftens. Auf Grund der spezifischen Einsparungspotentiale müssen die. Maßnahmen in den Hauptverbrauchssektoren Haushalt und Kleinverbrauch, Industrie und Verkehr ansetzen. Eine verstärkte Energieeinsparungspolitik kann nach unserer Auffassung nicht gegen den Markt, gegen den Verbraucher, gemacht werden. Alle Bürger müssen Energie als einen nicht unbegrenzt zur Verfügung stehenden und möglicherweise auch sehr teuren Rohstoff begreifen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Ich komme sofort zum Schluß, Herr Präsident.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte Sie, gleich zum Schluß zu kommen.
Um zusätzliche Einsparungspotentiale zu entdecken, bedarf es besonderer Anstrengungen im Forschungs- und Technologiebereich.
Meine Damen und Herren, dieser Energieeinsparungsbericht soll uns Entscheidungshilfen liefern, nicht mehr und nicht weniger. Er soll es uns erleichtern, uns über das wahre Ausmaß des Energieeinsparungspotentials klar zu werden, um daraus die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.
Mehr zur Erklärung ist in der Kürze der Zeit leider nicht möglich. Ich glaube auch, daß dies gar nicht nötig ist. Wir bitten Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Steger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von der CDU gewünschte Debatte
— ich bitte um Entschuldigung; obwohl ich bei Ihnen nie so genau weiß, wie ernst Sie es mit der rationellen Energieverwendung nehmen —
gibt uns Gelegenheit, eine kurze Zwischenbilanz zu ziehen und auf einige grundsätzlichere Probleme einzugehen.Ich glaube, daß die sozialliberale Koalition schon einiges auf den Weg gebracht hat, was dem Ziel der rationellen Energieverwendung entspricht. Stichwortartig nenne ich hier nur das Energieeinspargesetz mit den folgenden Verordnungen, die Förderung heizenergiesparender Investitionen, das 4,35- Milliarden-Programm, das ja schon ein Jahr eher hätte auf dem Weg sein können, die steuerlichen Entlastungen und Investitionszulagen und Demonstrationsvorhaben für Blockheizwerke, für Fernwärme, für Kraft-Wärmekopplung, die verstärkte
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8887
Dr. StegerFörderung von Forschung und Entwicklung für die rationelle Energieverwendung und die Beratungsprogramme zur Energieeinsparung für kleine und mittlere Unternehmen sowie die verstärkte Verbraucheraufklärung und Kennzeichnung energieintensiver Haushaltsgeräte.Dies ist sicherlich — Herr Kollege Lenzer, da stimme ich Ihnen zu — nur ein Anfang. Die rationelle Energieverwendung ist eine Daueraufgabe. Aber ich glaube, wir müssen uns auch einmal überlegen, wozu dies auf längere Sicht führen wird. Ich glaube — das ist meine These —, daß wir zunehmend zu einer Entkoppelung von Wirtschaftswachstum' und Energieverbrauch kommen werden.Wir haben einmal in den vergangenen Jahren eine ungewollte Entkoppelung beobachtet, die zum Teil darin begründet war, daß energieintensive Grundstoffindustrien geschrumpft sind, daß die Zahl der Haushalte konstant blieb, daß es partiell Sättigungsgrenzen bei der Ausstattung mit energieverbrauchenden Geräten gegeben hat. Aber ich glaube, daß es unsere Aufgabe ist, neben dieser ungewollten Entkoppelung, die den bisherigen linearen Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch aufgelockert hat, auch eine gewollte Entkoppelung zu setzen, die zumindest auf längere Sicht und in der Tendenz dazu führen wird, daß Wirtschaftswachstum auch ohne Energiemehrverbrauch möglich ist. Mir will es jedenfalls nicht einleuchten, warum wir über Jahre hinweg bei Vollbeschäftigung ein Wirtschaftswachstum mit konstanter oder sogar leicht sinkender Arbeitskräftezahl hatten und warum wir dies im Energiesektor nicht auch erreichen könnten.Ich weiß, das ist ein langer, dornenvoller Weg; aber wenn man das Projekt Ölsubstitution ernst nimmt, sollte man das, was man an neuen Energiequellen erschließt, sicherlich vorrangig dazu verwenden, nicht zusätzliche Energie zu verbrauchen, sondern 01 tatsächlich zu ersetzen. Ich glaube, daß dies ein ganz strategischer Punkt für die Akzeptanz der Kernenergie im besonderen, aber auch generell der Probleme sein wird, die wir bei der Errichtung von Energieerzeugungsanlagen heute allgemein haben; denn die Bürger, die in der Nähe einer Raffinerie, eines Kraftwerkes oder ähnlichem wohnen, fühlen sich oft in einer Situation, in der sie sagen: Wir müssen sozusagen Sonderopfer in unserer Umwelt bringen, damit andere den Strom aus der Steckdose oder das Benzin aus der Zapfsäule bekommen. Diese Widerstände werden nur dann zu überwinden sein, wenn die einzelne Energieerzeugungsanlage in ein Gesamtkonzept eingebettet ist und dem Bürger deutlich wird, daß es hier nicht um Wachstumsgigantismus, um irgendwelche Konzernstrategien geht, sondern wenn ihm deutlich wird, daß das, was hier gebaut wird, zur Sicherung der Energieversorgung unabdingbar ist und letztlich der Energieeinsparung dient.
Das heißt, man braucht unter dem Begründungszwang, unter dem heute jede öffentliche Energieinvestition steht, ein Gesamtkonzept, das dem Bürger plausibel ist und das nicht als Ausfluß eines Wachstumsfetischismus erscheint.Es ist deshalb richtig, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien in der Energiepolitik folgende Prioritäten gesetzt haben: — erstens rationelle und sparsame Verwendung der Energie als vorrangige Aufgabe der Wirtschafts- und Energiepolitik, zweitens die Nutzung heimischer Reserven, insbesondere der Kohle, und erst drittens die Erschließung neuer Energiequellen und neuer Energieoptionen, um die notwendige Ölsubstition zu erreichen.Damit haben Sie auch schon eine Antwort auf Kalkar. Die Kernenergie würde sich sicherlich nicht den Problemen in diesem Lande gegenübersehen, wie das heute der Fall ist, wenn sie von vornherein in einen vernünftigen energiepolitischen Begründungszusammenhang gestellt worden wäre, in dem deutlich gewesen wäre, welchen Beitrag sie zur rationellen Energieverwendung wie zur Ölsubstition leisten könnte.
— Die Frage, wer regiert, wird auf Dauer noch ganz eindeutig durch die Wahlergebnisse beantwortet werden, Herr Kollege.
— Aber, Herr Kollege, heute ist das Thema nicht die Frage, wer regiert — das ist ganz eindeutig und unstrittig —,
sondern heute ist die Frage, wie wir dieses Ziel der rationellen Energieverwendung erreichen. Wenn ich hier auf jede Polemik verzichte, Herr Kollege Lenzer
— ich weiß, daß mir das schwerfällt —, dann auch aus dem Grunde, daß wir einmal offen über die Schwierigkeiten reden müssen, die die rationelle Energieverwendung heute nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in allen westlichen Ländern bereitet.
— Dazu komme ich gleich, Herr Kollege Stahl.Wir müssen ganz realistisch sehen, daß sich dieses Ziel, wenn wir es ernst nehmen, zunächst nur durch eine gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten erreichen läßt. Es nützt also überhaupt nichts, wenn z. B. die Bundesregierung und der Bundestag die Förderung der Fernwärme beschließen, dies aber in den Ländern bei der Planung der Kraftwerksstandorte nicht umgesetzt wird, weil keine geeigneten Fernwärmestandorte ausgewiesen werden und die Gemeinden in ihrer Bauleit- und ihrer Bebau-
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8888 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Dr. Stegerungsplanung keinen Wärmeplan aufstellen, der tatsächlich zu dieser rationellen Energieverwendung „Fernwärme" führt. Dies ist nur ein Beispiel dafür, daß es hier darauf ankommt, daß alle staatlichen Ebenen zusammenwirken.Eine weitere Schwierigkeit ist das kurzfristig vorhandene Energieüberangebot, durch das viele Wirtschaftlichkeitsrechnungen, z. B. für Wärmepumpen und Solarkollektoren, hinfällig werden. Dadurch wird das Verbraucherverhalten zunehmend geprägt, obwohl der Energieüberfluß nur kurzfristiger Natur ist. Dieses Verhalten muß sehr mühsam umorientiert werden. Hinzu kommen die institutionellen Hemmnisse in unserer Energiewirtschaft. Ich erinnere nur an die Diskussion um Durchleitungsrechte und die Nutzung der Kraft-Wärme-Koppelung und schließlich die unterschiedliche Markt- und Monopolsituation einzelner Energieträger.Dies findet sich in den Berichtsanforderungen der Opposition leider alles nicht wieder.
— Entschuldigung! Aber, Herr Kollege, Sie müssen diese Fragen doch in eine Bestandsaufnahme, wie Sie sie verlangen, aufnehmen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir werden dafür sorgen, daß diese Fragen mit in den Bericht kommen, und zwar so, daß man die notwendigen Daten erhält, ohne ganze Bürokratien in Bewegung zu setzen. Herr Lenzer, auch darüber sollten Sie sich einmal Gedanken machen. Wir werden es auch nicht zulassen, daß Sie hier im Bundestag das Hohelied der Energieeinsparung singen, dann aber im Haushaltsausschuß Anträge stellen, die darauf hinauslaufen, die Mittel für die rationelle Energieverwendung drastisch zu kürzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es tut mir leid, Herr Kollege Lenzer, die Redezeit des Redners ist abgelaufen. Daher kann jetzt keine Zwischenfrage gestellt werden.
Das wäre aber sicher eine sehr interessante Frage geworden. — In diesem Sinne werden wir uns für eine zügige und gründliche Beratung Ihres Antrags in den Ausschüssen einsetzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, daß die Bilanz im Bereich der Energieeinsparung beachtlich ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenzer?
Herr Staatssekretär, ich darf mich zunächst bei Ihnen entschuldigen, daß ich zu diesem Mittel greifen muß, weil Herr Kollege Steger meine Frage nicht mehr beantworten kann. Halten Sie es für zulässig, daß Berichterstatter im Haushaltsausschuß darüber nachdenken, ob Kürzungen möglich sind, wenn bis zum 1. September dieses Haushaltsjahres in einem bestimmten Titel nur etwa 25 0/o der Mittel abgeflossen sind?
Nachdenken, Herr Kollege Lenzer, ist immer sinnvoll.
Die Bundesregierung hat in der zweiten Fortschreibung des Energieprogramms vom Dezember 1977 die dort angekündigten umfangreichen Programme zur rationellen und sparsamen Energieverwendung in kürzester Zeit und in großem Umfang verwirklichen können. Ich meine, das ist eine positive Bilanz, die in unser aller Interesse liegt, obwohl wir in einer Zeit leben, die durch scheinbare Energieüberflüsse gekennzeichnet ist, was eine außerordentliche Problematik für unser Programm darstellt. Nicht allen Bürgern sind die längerfristigen Probleme unserer Energieversorgung geläufig. Das gilt um so mehr, als schnell belegbare Tageserfolge im Einsparbereich nicht nachweisbar sind. Energieeinsparung ist ein Feld lang- und mittelfristig wirksamer Aktionen. Wir alle sind uns dessen bewußt, und wir alle wissen, daß das eine Daueraufgabe ist.Die von der Opposition angesprochene Erfolgskontrolle der eingeleiteten Maßnahmen zur rationellen Energieverwendung ist selbstverständlich ein Anliegen des ganzen Hauses und der Bundesregierung. Dabei sollte man jedoch von realistischen Erwartungen ausgehen. Die erzielte Energieeinsparung wird sich niemals exakt quantifizieren, d. h. auf Tonne und Mark belegen lassen. Dazu reichen einfach die verfügbaren statistischen Daten nicht aus. Einsparmaßnahmen, die an ein vernünftiges Verbraucherverhalten appellieren, lassen sich in ihren Auswirkungen überhaupt nicht exakt feststellen. Auch die Einflüsse von Konjunkturverlauf und Witterungsbedingungen sind schwer zuverlässig zu erfassen. In vielen Fällen werden wir daher in den einzelnen Sektoren über Trendaussagen nicht hinauskommen. Unsere Aufmerksamkeit werden wir daher letztlich auf die Globalaussage richten müssen, wie sich die Relation von Bruttosozialprodukt und Primärenergiebedarf sowie der Pro-Kopf-Verbrauch an Energie entwickelt hat.Bemühungen der Bundesregierung, die statistische Basis für die Erfassung von Einsparungen zu verbessern, sind im übrigen auch nicht immer auf Zustimmung der Opposition gestoßen. Ich erinnere an die in § 9 des Regierungsentwurfs des Modernisierungs- und Einsparungsgesetzes vorgesehene Erweiterung der Berichtspflicht der Länder, die von der durch die CDU/CSU getragenen Bundesratsmehr-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8889
Parl. Staatssekretär Grünerheit abgelehnt wurde. Auch sonst ist bekannt, daß gerade die Opposition große Zurückhaltung zeigt, wenn es darum geht, durch ein Gesetz detaillierte statistische Erhebungen vorzusehen. Ich habe dafür volles Verständnis, aber man muß klar sagen, daß man nicht mit der einen Hand fordern kann, was man mit der anderen Hand ablehnt,
auch wenn für die Ablehnung gute Gründe vorhanden sein mögen.Wenn man also detaillierte statistische Befragungen ablehnt, die in der Tat zur Staatsverdrossenheit der Bürger beitragen können — —
— Ja, auch das kann man tun. Aber es ist in jedem Falle ein enormer Aufwand mit solchen statistischen Befragungen verbunden. Wir fragen uns auch selbst, ob die zu erwartenden Ergebnisse solcher statistischen Befragungen in einem vernünftigen Verhältnis zum Aufwand stehen. Auch hier, meine ich, führt es nicht weiter, wenn wir uns etwa gegenseitig Versäumnisse vorwerfen.Was ich zu bedenken bitte, und was vielleicht Gegenstand der Beratungen der Ausschüsse sein könnte, ist, ob man nicht in diesem Hause überlegen sollte, ob Finanzmittel für Studien in Verbindung mit demoskopischen Befragungen bereitgestellt werden könnten. Das ist eine Anregung, die ich gern in den Ausschußberatungen vorbringen würde.Abgesehen davon ist der in Aussicht genommene Zeitpunkt für die Vorlage eines Erfolgsberichts, der 1. Juli 1980, nach unserer Auffassung verfrüht, wenn ein Mindestmaß an Seriosität der Aussagen erwartet wird. Die Bundesregierung wird die Abwicklung der Programme und ihre Wirkungen laufend beobachten. Sie wird auf Grund dieser Beobachtungen auch die notwendigen Anpassungen vornehmen, falls hinreichend gesicherte Erkenntnisse vorliegen.Es wird sich dabei allerdings wohl um Ausnahmefälle handeln. Viele Einsparmaßnahmen haben eine mittel- und langfristige Wirkung. Ein verfrühtes Bilanzziehen, dazu noch auf unzureichender statistischer Basis, würde zu Momentaufnahmen führen, die leicht zu falschen Schlüssen und möglicherweise auch zu überstürzten Umstellungen in der Prioritätenskala führen könnten.Wir müssen diese Fragen sehr gründlich im Ausschuß diskutieren. Ich bin froh, daß uns dieser Antrag dazu Gelegenheit geben wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelsberger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich auf Ihre Ausführungen, Herr Dr. Steger, eingehen; denn Sie verstehen es jeweils, das Haus in humorvolle Stimmung zu versetzen, wenn Sie hier ans Rednerpult treten.
Trotz meiner knappen Redezeit will ich einige Punkte Ihrer Ausführungen hier behandeln. In erster Linie haben Sie sich damit beschäftigt, wie ernst es die CSU oder die CDU überhaupt mit der rationellen und sparsamen Energieverwendung nehmen.
Herr Dr. Steger, dazu möchte ich Ihnen sagen, daß wir dies, wie der Kollege Lenzer bereits ausgeführt hat, sehr ernst nehmen. Wir sind aber nicht bereit, die Dinge so überzubewerten, daß es nicht mehr realistisch ist.
Zu einem zweiten Punkt, in dem Sie die energiepolitischen Ziele beleuchtet haben, möchte ich Ihnen sagen, Herr Dr. Steger, daß es doch so ist, daß Sie eine mehr ideologisch gefärbte Energiepolitik betreiben, wir aber in dieser Frage letzten Endes auf dem Boden einer nüchternen und sachlichen Betrachtungsweise stehen.
— Herr Staatssekretär, wenn Sie mich jetzt als Abgeordneter fragen, so muß ich schon sagen, wenn der Herr Steger davon spricht, daß in der Bundesrepublik gerade im Hinblick auf den Bau von Kraftwerken die Konzernstrategie die Leute beunruhige und nicht die wirtschaftliche Notwendigkeit, dann ist das für mich letzten Endes eine ideologisch gefärbte Aussage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?
Wenn es mir auf meine Redezeit nicht angerechnet wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das kann ich nicht, Herr Abgeordneter. Auch die Zwischenfragen gehen zu Lasten Ihrer Redezeit.
Dann tut es mir leid, Herr Kollege Wolfram. Ich habe nur noch knapp zehn Minuten. Ich werde sowieso letzten Endes mein Thema nicht zu Ende führen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wenn ich Ihnen das sagen darf, Sie haben eine Redezeit — —
Störversuche, Herr Staatssekretär Stahl, finde ich ja von Ihrer Seite aus ganz aktuell, ich werde mich aber von Ihnen nicht beirren lassen.
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8890 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich wollte Sie nur darauf hinweisen, daß Sie eine Redezeit von 15 Minuten haben. Ihnen stehen nämlich die fünf Minuten zu, die die Bundesregierung in Anspruch genommen hat.
Sehr freundlich, Herr Präsident. Ich bedanke mich.
— Ja, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage ist zugelassen, bitte schön.
Herr Kollege, ich wollte Sie fragen, ob Ihre letzten Ausführungen darauf schließen lassen, daß Sie sich jetzt dafür einsetzen werden, daß in Bayern und Baden-Württemberg z. B. Steinkohlenkraftwerke gebaut werden.
Wenn Sie wüßten, Herr Wolfram, wie sich die Revierferne und der Transport der Steinkohle auf die Kosten der Stromversorgung in Baden-Württemberg und Bayern auswirkten, hätten Sie diese Frage nicht gestellt.
Ich möchte fortfahren. Herr Staatssekretär Grüner, Sie haben — und das hat Ihre Ausführungen sehr angenehm von denen des Herrn Kollegen Dr. Steger unterschieden — sehr sachlich die Möglichkeiten der rationellen und sparsamen Energieverwendung dargelegt. Ich möchte nur sagen, da Sie meinen, der Termin des 1. Juli 1980 für einen ersten Bericht über die Möglichkeiten und Auswirkungen der Energieeinsparung sei verfrüht, daß die Ölkrise vom Herbst 1973 dann sieben Jahre zurückliegt. Nach sieben Jahren könnte man, wie ich glaube, von der Bundesregierung verlangen, daß sie diesem Hause einen Zwischenbericht über die mittel- und langfristigen Auswirkungen von Sparmaßnahmen vorlegt.
Herr Dr. Steger, Sie werden sich noch wundern, welche Wahlkampfmunition wir bis 1980 haben werden.
Die zweite Frage, die Sie mit einer gewissen Berechtigung gestellt haben, Herr Staatssekretär, ist die nach den statistischen Erhebungen. Hierzu möchte ich sagen — Sie haben es bereits angedeutet —, daß unsere Wirtschaft bereits mit statistischen Erhebungen, zu denen sie durch Gesetze verbindlich verpflichtet ist, in einem solchen Maße belastet ist, daß wir uns fragen müssen, ob weitere derartige Verpflichtungen überhaupt im Rahmen der Belastungsfähigkeit unserer Wirtschaft noch möglich sind. Es muß auch die Frage möglich sein, ob man eine derartige Verpflichtung statt als Dauerauftrag nur für einen gewissen Zeitraum der Wirtschaft auferlegt. Ich glaube, das würde Ihnen auch einen Überblick geben. Ihr Vorschlag, daß man die Erfolge bei den Einsparungsmöglichkeiten auch durch Meinungsforschungsinstitute überprüfen lassen könnte, ist bei der Genauigkeit, mit der beispielsweise heute schon bei Wahlen Umfragen gemacht werden, durchaus relevant. Der Vorschlag sollte geprüft werden.Meine Damen und Herren, ich möchte auch noch zum Thema selbst kommen; ich glaube, ich habe noch sieben oder acht Minuten. Der Kollege Lenzer hat bereits in der Begründung des Antrags der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur sparsamen und rationellen Energieverwendung deutlich gemacht, welch einen hohen Stellenwert wir der sparsamen Energieverwendung und neuen technischen Verfahren zur Einsparung von Energie beimessen.Wir sind der Meinung, daß wir den hohen Anteil des Mineralöls im gesamten deutschen Energieverbrauch eindämmen müssen und daß wir uns bereits auf das Nachölzeitalter vorzubereiten haben. Die Bundesregierung hat zahlreiche Maßnahmen zur Förderung der Energieersparnis und zur rationellen Energieverwendung in diesem Jahr in Kraft gesetzt, und es wird genau zu beobachten sein, in welcher Weise sich diese Einsparungsmaßnahmen realisieren lassen und wieweit sie den beabsichtigten Zweck tatsächlich erreichen werden. Wir müssen uns darüber im klaren sein — und das haben auch meine Herren Vorredner bereits ausgeführt —, daß Erfolge auf diesem Wege nur langfristig und in kleinsten und kleinen Schritten möglich sind und daß spektakuläre Ergebnisse nicht zu erwarten sind.Das Mineralöl deckte 1976 noch über die Hälfte unseres Primärenergieverbrauchs von rund 371 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten. Trotz des erwarteten Rückgangs auf 47 % im Jahre 1985 bleibt Öl auf absehbare Zeit unser wichtigster Energielieferant. Auch wenn es im Augenblick in der Meinung und im Eindruck unserer Bürger den Anschein hat — und darin liegt eine gewisse Gefahr —, daß Energie ausreichend vorhanden ist, können wir ab 1985 in einen Energieengpaß geraten.
Notwendiges Wirtschaftswachstum bedeutet wachsenden Energieverbrauch, Herr Dr. Steger, selbst wenn ein Entkoppelungseffekt, der sich ja abzeichnet, nun tatsächlich durchsetzbar ist. Wir brauchen jedes Jahr 3 % Energie mehr — und ich sage dazu: plus oder minus 1 % —, wenn wir unseren Lebensstandard, unsere Lebensqualität und unser Wirtschaftswachstum erhalten wollen. Um die Jahrtausendwende könnten dann nur noch 80 % des Energiebedarfs gedeckt werden. Es wäre dann eine Energielücke von 20 % vorhanden, die letzten Endes nur durch Kernenergie zu decken wäre.
Meine Damen und Herren, der Einsatz und der Verbrauch von Energie in den verschiedenen Ländern und Teilen der Erde — gestatten Sie mir, dar-
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Engelsbergerauf noch einzugehen — ist sehr unterschiedlich. Nach den offiziellen UN-Statistiken betrug 1973 der Einsatz an Primärenergie in den USA 12 Tonnen Steinkohleeinheiten pro Kopf und pro Jahr, in Westeuropa 4,2, in der Bundesrepublik 5,8, in Japan 3,6, in anderen Industriestaaten — Kanada,, Südafrika, Australien, Neuseeland — 6,5, in Mittel- und Südamerika 1,0, in China 0,6 und in der gesamten übrigen Welt 0,3 Tonnen pro Kopf der Bevölkerung und pro Jahr. Das bedeutet, die USA mit 5,5 % der Weltbevölkerung brauchen allein etwa ein Drittel des gesamten Primärenergieaufkommens, alle Industrieländer des Ostens und des Westens mit rund 30 % der Weltbevölkerung benötigen 85 % des Energieverbrauchs, so daß auf den Rest der Weltbevölkerung einschließlich Mittel- und Südamerika und China mit 70 % der Bevölkerung nur 15 % der eingesetzten Primärenergie entfallen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Steger?
Wenn Sie mich diesen Part noch beenden lassen, dann wird unter Umständen Ihre Frage überflüssig sein.
Bei der angestrebten und wünschenswerten Verbesserung der Lebensverhältnisse dieses Teils der Menschheit — und, Herr Dr. Steger, Sie legen doch sehr viel Wert auf die Beseitigung oder Verminderung des Nord-Süd-Gefälles — und bei einem dadurch bedingten Mehrverbrauch nur um 1 Tonne Steinkohleeinheiten pro Kopf der Bevölkerung und pro Jahr würde sich ein Mehrverbrauch von 3 Milliarden Tonnen Steinkohleeinheiten ergeben bei einer Bevölkerung von rund 3 Milliarden, die Betroffen ist; es ist fast drei Viertel der Menschheit, die im Energieverbrauch unterprivilegiert sind. Wir werden dann die Energievorräte der Erde mit ihnen zu teilen haben, aber auch die Begehrlichkeit nach diesen Energieträgern in einem ungeahnten Ausmaß zu spüren bekommen.
Ich habe diese Betrachtung hier eingeführt, weil diese Problematik zwar in unserem Lande in der öffentlichen Diskussion keine Rolle spielt, für uns aber, die wir von den Energiequellen des Auslands, etwa des Nahen Ostens, abhängig sind, bei Mineralöl z. B. zu fast hundert Prozent, mittel- und langfristig doch ein ganz bedeutender Faktor sein wird.
— Herr Steger, wollten Sie jetzt noch fragen?
— Herr Wolfram, Sie werden mir doch wohl noch gestatten, die Zahlen geschlossen vorzutragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage, Herr Abgeordneter? — Bitte schön, Herr Kollege Steger.
Herr Kollege Engelsberger, würden Sie denn, damit Ihre Schilderung vollständig ist, auch mal sagen, woher die Energiemengen für die Dritte Welt kommen sollen und welche Umweltbelastungen sich für die Welt insgesamt ergeben, wenn wir nicht mit allem Nachdruck anfangen, Energie zu sparen? Sie haben hier nur ein Scenario geschildert, ohne Konsequenzen und Strategien aufzuzeigen.
Herr Dr. Steger, dieser große Mehrverbrauch von drei Milliarden Tonnen Steinkohleeinheiten pro Jahr wird sicher nicht durch Einsparung auf unserer Ebene gedeckt werden können, sondern hier müssen neue Technologien, bei uns vor allen Dingen die Kernenergie, eingesetzt werden, damit diese Länder ihren Anteil an Mineralöl erhalten können.
Meine Damen und Herren, vor der Ölkrise im Jahre 1973 ging die Bundesregierung in ihrem Energieprogramm noch davon aus, daß im Jahre 1985 der Energieverbrauch 610 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten betragen werde. Nach neueren Berechnungen wird nunmehr für 1985 ein Energieverbrauch von 496 Millionen Tonnen angenommen. Das ist noch immer ein gutes Drittel mehr als der Energieverbrauch von 1976. Dieser Mehrverbrauch soll nach Aussagen der Bundesregierung im wesentlichen durch Kernenergie und durch vermehrten Import von Erdöl und Erdgas gedeckt werden.
Für den Stromverbrauch, der sich zwischen 1958 und 1973 von 99 Milliarden auf 294 Milliarden kWh fast verdreifacht hat, wird bis 1985' mit einer weiteren Verdopplung auf 565 Milliarden kWh gerechnet. Die erwartete Ausweitung soll zu mehr als zwei Dritteln — wieder nach der Meinung der Bundesregierung — durch Kernenergie abgedeckt werden.
In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob nicht eine Entkoppelung von wirtschaftlichem Wachstum und Energieverbrauch möglich ist. Das ist ja Ihr Spezialthema, Herr Steger. Ohne Zweifel wird der Anstieg des Energieverbrauchs nicht mit dem Anstieg des Bruttosozialprodukts gleichzusetzen sein, wenn Maßnahmen getroffen werden, um Energie einzusparen und Energiequellen rationeller und mit besseren Wirkungs-
und Nutzungsgraden als bisher zu betreiben.
Vor einem Trugschluß aber muß gewarnt werden: daß weiteres Wirtschaftswachstum möglich sei, ohne zusätzliche Energie zur Verfügung zu stellen.
Der weitverbreitete Trend von Bürgerinitiativen, sich dem Bau von Kraftwerken, ganz gleich welcher Art, entgegenzustellen, beruht auf der irrtümlichen, ja naiven Meinung, daß die bisher angebotene Energie ausreiche und deshalb keine neuen Kraftwerke notwendig seien. Selbst bei Verzicht auf weitere Erhöhung des Energieverbrauchs ist aber der Bau
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Engelsberger
von neuen Kraftwerken dringend erforderlich, weil erstens Kraftwerke eine Lebensdauer von durchschnittlich 30 Jahren haben und dann erneuert werden müssen und weil zweitens moderne Kraftwerke über einen hohen Wirkungsgrad verfügen, so daß mit weniger Brennstoff mehr Energie bereitgestellt werden kann und somit Brennstoffe eingespart werden können, und weil es drittens bei modernen Kraftwerken möglich ist, die Umweltbelastung zu reduzieren, d. h. gerade das zu erreichen, was sich die Verhinderer von Kraftwerkbauten zum Ziel gesetzt haben: eine umweltfreundliche Energieerzeugung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist abgelaufen. Ich bin mir bewußt, daß es uns nicht möglich ist, diese Probleme in zehn- oder fünfzehnminütigen Turns abschließend zu behandeln. Aber ich bin der Meinung, daß die Bundesregierung der Aufforderung der CDU/ CSU Folge leisten sollte, bis 1980 diesem Hause einen Bericht darüber vorzulegen, welche effektiven Erfolge ihre Maßnahmen, die in diesem Jahre in Kraft gesetzt sind, im Hinblick auf die sparsame und rationelle Energieverwendung gebracht haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das einzig Neue an dem vorliegenden Antrag — was auch wiederum nicht neu ist — ist, daß hier wieder ein Bericht gefordert wird. Lassen Sie mich erst einmal grundsätzlich feststellen, daß wir, meine ich, in der letzten Zeit zu viele Berichte anfordern. Wenn ich einmal das zusammenzähle, was wir an Berichten von der Bundesregierung schließlich abfordern, frage ich mich, wer die denn alle noch verarbeiten will.
— Ich wußte nicht, wieviel Platz Sie noch in Ihrem Bücherbord hatten, Herr Pfeffermann.
Lassen Sie mich noch einmal feststellen: das einzig Neue an dem Antrag ist, daß Sie einen Bericht fordern. Ich kann mich nur wundern, mit welchem Nachdruck Sie nun auf die Bedeutung der rationellen Energieverwendung abheben und sozusagen im Eiltempo bis zum Jahre 1980 schon einen Bericht vorliegen haben wollen über die Auswirkungen der Maßnahmen, die diese Bundesregierung, diese sozialliberale Bundesregierung, überhaupt erst eingeleitet hat. Bis zum Jahre 1973 gab es so etwas wie Energiepolitik in diesem Lande nicht,
und wenn ich das richtig in Erinnerung habe, war zu jener Zeit vorwiegend in der Verantwortung die CDU. Ein erstes Energieprogramm ist erst 1973 vorgelegt worden, kurz bevor es zur sogenannten Ölkrise kam.
Die Bundesregierung hat in Erkenntnis der Verantwortung dieses Energieprogramm auch fortgeschrieben, als sich Ereignisse einstellten, die eine solche Fortschreibung, eine Umstellung auf neue Situationen erforderlich machten. Sie hat dieser Entwicklung auch weiterhin dadurch Rechnung getragen, daß sie eine zweite Fortschreibung vorgelegt und darin der rationellen und sparsamen Energieverwendung die höchste Priorität eingeräumt hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kolb?
Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß dieses Energieprogramm nicht vorgelegt worden wäre, wenn wir die Energiekrise 1973 nicht gehabt hätten?
Ich würde Ihnen empfehlen, sich mit den nahezu schon historischen Entwicklungen einmal auseinanderzusetzen und die Regierungserklärungen zu lesen. Dabei würden Sie feststellen, daß vor der sogenannten Ölkrise bereits dieses Energieprogramm vorlag und durch die Energiekrise die erste Fortschreibung ausgelöst wurde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Spies von Büllesheim?
Ich ging zwar davon aus, Herr Präsident, daß ich auch noch einige Ausführungen zur Sache machen kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Entscheidung liegt ausschließlich in Ihrem Ermessen, Herr Abgeordneter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Professor Laermann, nachdem Sie gerade gesagt haben, weil kein Energieprogramm vorgelegen habe, hätten die vorherigen Bundesregierungen keine Energiepolitik gemacht, darf ich Sie fragen, ob Sie aus der Tatsache, daß bisher kein Einsparungsbericht vorlag, auch schließen würden, daß diese Regierung noch keine Einsparungspolitik gemacht hat?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8893
Ihre Formulierung ist mir zu sophistisch. Ich weiß nicht, warum man schließen soll, daß, weil noch kein Bericht vorliegt, auch keine Politik gemacht worden ist. Ich glaube, es ist wichtiger, erst Politik zu machen. Unsere Aufgabe wird es sein, diese Politik zu betreiben, zu stützen und die Auswirkungen dieser Politik hier zu verfolgen. Unsere Aufgabe besteht nicht darin, hier nur Berichte anzufordern.
— Meine verehrten Kollegen, Sie wissen ganz genau, wie schwierig es ist, aus einer Situation heraus, in der wir uns aktuell mit den Problemen, die aus einem Energieüberangebot entstehen, beschäftigen müssen, sich um Maßnahmen zur rationellen Energieverwendung zu bemühen und bereits kurzfristig Greifbares zu erreichen. Vor allen Dingen darf nicht erwartet werden, daß wir auf Grund dieser Maßnahmen bereits in kurzer Zeit, nämlich innerhalb von einem oder anderthalb Jahren, zu quantifiziert darstellbaren Ergebnissen kommen könnten.Bei der rationellen Energieverwendung und ihren Auswirkungen handelt es sich um einen langfristigen und langwierigen Prozeß, der sich, wie ich meine, über Jahrzehnte hinzieht. Ich stimme Ihnen zu, Herr Kollege Lenzer: Dies ist eine politische Daueraufgabe, der wir uns auch aus jeweils aktuellem Anlaß immer wieder stellen sollten, und wir sollten uns nicht hinter Berichte zurückziehen. Dieser Daueraufgabe, die hier zu erkennen ist, müssen wir auch in den Erwartungen entsprechend Rechnung tragen.
Ich möchte noch einmal darauf zurückkommen, daß die zweite Fortschreibung des Energieprogramms der rationellen Energieverwendung doch eine besondere Priorität eingeräumt hat. Diese Fortschreibung zielt in ihren Schwerpunkten auf ein umfassendes Programm zur rationellen und sparsamen Energieverwendung ab. Die Bundesregierung, die diese Fortschreibung vorgelegt hat, entspricht damit nicht nur den langjährigen Forderungen der Koalitionsfraktionen, sondern auch internationalen, insbesondere auch in der EG bezogenen Positionen. Ich vermag nicht einzusehen, warum Herr Kollege Lenzer hier jetzt darauf abhebt, daß die Internationale Energieagentur schlechte Noten erteilt habe, weil noch nicht genügend geschehen sei. Ich meine, daß die Bundesregierung gerade im Anschluß an die Formulierung der zweiten Fortscheibung wirklich unverzüglich — dies möchte ich einmal feststellen —, mit einer Schnelligkeit, die wir bisher in anderen Bereichen wohl noch nicht erlebt haben, diese Beschlüsse in die Realität, in politisches Handeln umgesetzt hat
und daß wir mit dem, was wir erreicht haben, schon zufrieden sein können.Wenn dies in vielen Punkten noch nicht so weit ist, wie wir es gern haben möchten, so muß ich hier auch einmal darauf abheben, welch restriktive Haltung einige Bundesländer in diesem Punkte eingenommen haben.
Ich spreche hier nicht nur das Wohnungsbaumodernisierungsgesetz, dieses 4,35-Milliarden-Programm zur Einsparung von Heizenergie in Gebäuden, an, sondern meine auch, daß es hier ebenfalls darum geht, wie die restriktiven Landesbauordnungen in manchen Bereichen hinderlich im Wege standen.
- Entschuldigen Sie bitte, ich hatte, glaube ich, hier gar kein besonderes Land angesprochen!
— Herr Kollege, ich glaube, Sie gehen etwas zu weit, wenn Sie annehmen, Sie könnten wissen, was ich meine.
Aber vielleicht unterhalten wir uns darüber einmal.
Ich meine, daß ich hier nicht mehr im Detail auf die inzwischen getroffenen Maßnahmen und ihre Durchführung einzugehen brauche. Der Katalog der Maßnahmen ist Ihnen im großen und ganzen bekannt. Wir könnten uns zwar vorstellen, daß an der einen oder der anderen Stelle auch noch mehr geschehen könnte, aber hier müssen wir uns doch nun einmal darauf verständigen können, daß wir das, was eingeleitet ist, auch zur Wirkung bringen müssen, daß wir also nicht etwa schon nach kurzer Zeit darauf abheben können, nun müsse quantifiziert darstellbar sein, was hierbei herausgekommen sei.Ich möchte Sie z. B. einmal fragen, wie Sie denn quantifiziert darstellen wollen, wie etwa Aufklärungsarbeit beim Verbraucher wirkt.
Dies ist doch so unmittelbar gar nicht darstellbar.
— Man kann nicht nur sagen, das sei wiederum ein Problem der Regierung. Wir müssen uns doch auch einmal über die Problematik im klaren sein, die wir da aufgreifen.
Darf ich auf die Statistik zurückkommen, Herr Kollege Gerstein: Hier möchte ich doch zum Ausdruck bringen — und ich glaube, da sind wir uns einig —, daß wir nicht weitere Erhebungen und Statistiken wollen, denn da gilt doch wohl das Wort eines englischen Staatsmannes, der gesagt hat: Statistiken sind wie Laternenpfähle; sie dienen weniger
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Dr.-Ing. Laermann.der Erleuchtung des Politikers als dem Zweck, sich daran festzuhalten.
— Ja, ich weiß, Sie wollen sich mehr daran festhalten, Herr Pfeffermann!Die Frage der rationellen Energieverwendung ist politisch — nicht nur energiepolitisch — so bedeutsam, daß sie meines Erachtens im Hinblick auf Wert und Bedeutung der Energieressourcen und in Verbindung mit den Umweltschutzaspekten sowie den positiven Auswirkungen auf die Wirtschaftsstruktur und den Arbeitsmarkt ständig der Beachtung durch das Parlament bedarf. Ich meine, daß wir uns hier von uns aus in die Pflicht nehmen sollten. Wir haben die Möglichkeit, zu diesem Thema hier jederzeit zu sprechen und Informationen auch bei der Bundesregierung abzurufen, so daß wir uns nicht auf einen bloßen Bericht, der auch noch, wie wir meinen, in zu kurzer Zeit vorgelegt werden soll, zurückziehen können. Ich habe ein bißchen den Eindruck, daß Sie sich, meine Kollegen von der CDU, von der Opposition, da offenbar etwas Ihrer diesbezüglichen Verantwortung entziehen wollen. Sie möchten sich noch nicht einmal von sich aus daran erinnern, sondern Sie fordern einen Bericht der Bundesregierung; Sie wollen das Thema sozusagen zur Wiedervorlage haben. Ich glaube, wir sollten uns nach Ihren Ausführungen, Herr Kollege Lenzer, darüber im klaren sein, daß es viel zu wichtig ist, als das wir so verfahren könnten.
Sie wollen einen Bericht haben, obwohl Sie ganz genau wissen — ich hoffe jedenfalls, daß Ihnen das klar ist —, daß viele der inzwischen eingeleiteten Maßnahmen — zum Teil sind erst wenige Wochen vergangen, seitdem diese Verordnungen und Maßnahmen rechtskräftig geworden und in Kraft getreten sind — erst jetzt zu greifen beginnen. Sie wissen, daß wir noch längere Zeit brauchen werden, bis wir die Auswirkungen wirklich quantifiziert darstellen können. Im übrigen darf ich abschließend noch einmal sagen: Das statistische Instrumentarium sollten wir nicht weiter ausformulieren. Ob wir ein Ergebnis über eine Umfrage erhalten, müßte diskutiert werden.Der Überweisung an die Ausschüsse stimmen wir zu.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 8/1963 an den Ausschuß für Wirtschaft — federführend — sowie an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und an den Ausschuß für Forschung und Technologie — mitberatend — zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keine gegenteilige Meinung. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Schmidhuber, Dr. Warnke, Dr. Waigel, Dr. Jobst, Dr. Dollinger, Röhner, Frau KroneAppuhn, Engelsberger, Glos, Schedl, Regenspurger, Picard, Dr. Rose, Haberl, Lintner, Dr. Bötsch, Spranger, Schröder , Dreyer, Dr. Hornhues, Kiechle, Dr. Unland, Niegel, Spilker und der Fraktion der CDU/CSU
Abbau regionaler Energieversorgungsdisparitäten
- Drucksache 8/1960 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Warnke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bereitstellung kostengünstiger Energie und die Sicherung der Energieversorgung sind grundlegende energiepolitische Ziele, zu denen sich auch die Bundesregierung in Ziffer 3 der Zweiten Fortschreibung des Energieprogramms bekannt hat.
Dem Bekenntnis folgte leider nicht in hinlänglichem Umfang die Tat. Denn nach Auffassung der CDU/ CSU-Fraktion müssen diese energiepolitischen Ziele auch unter regionalen Gesichtspunkten gesehen werden. Ziel der Energiepolitik muß es deshalb auch sein, regionale Energiepreisunterschiede abzubauen und Maßnahmen zur Sicherung der Energieversorgung der einzelnen Teilräume unseres Landes im Hinblick auf einen Krisenfall zu ergreifen.Nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion hat die Bundesregierung bisher zu wenig unternommen, um die bestehenden Energiepreisdisparitäten abzubauen. Die regionalen Stromkostenunterschiede sind nach wie vor enorm hoch. Die Energievorratslager für den Krisenfall befinden sich in einigen wenigen Regionen. Ländliche und dünnbesiedelte Räume sind an das Erdgasnetz völlig unzureichend angeschlossen. Die Belastungen der revierfernen Länder durch den Kohlepfennig und die Heizölsteuer sind überdurchschnittlich hoch. Schließlich gilt es zu beachten, daß die Leistungen des Bundes zur Sicherung der Energieversorgung — regional gesehen — einigen wenigen Räumen schwerpunktmäßig zugute kommen.Lassen Sie mich diese einzelnen Punkte etwas untermauern. Die Sicherung der Ölversorgung im Krisenfall baut auf zwei Säulen auf: erstens auf der Bundesrohölreserve, zweitens auf den Vorräten an Rohöl und Mineralprodukten, die zu halten die gewerblichen Importeure und Hersteller nach dem Erdölbevorratungsgesetz verpflichtet sind. Die Lagerung der Bundesrohölreserve konzentriert sich auf Norddeutschland. Hier befinden sich die Salzkavernen, in denen das Öl technisch sicher gelagert ist. Es ist unbestreitbar, daß die Lagerung von Öl in Salzkavernen erheblich billiger als die Lagerung in
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Dr. WarnkeTanks ist. Doch müssen wir neben finanziellen Erwägungen die Sicherheitserwägungen voll zum Zug kommen lassen.Die sich abzeichnende regionale Unausgewogenheit der Bundesrohölreserve ist für die Ölversorgung des süddeutschen Raums, der ohnehin von den Ölumschlagplätzen weit entfernt ist, im Krisenfall nicht geeignet, die Sicherheit zu gewährleisten. Wir haben ja einen dramatischen Akzent für diese Debatte durch das zeitliche Zusammentreffen der Krise im Iran und der arabischen Bestrebungen zum Aufbau einer Einheitsfroht gegen Sadat und damit gegen die USA und die die Friedensbemühungen unterstützenden westeuropäischen Staaten. Und es gibt im arabischen Lager nur ein scharfes Schwert, um Politik zu betreiben. Das ist, wie 1973 gezeigt hat, die Ölversorgungspolitik.
— Ach, Herr Kollege Wolfram, Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Sie die 73er Ölkrise 20 Jahre lang vorausgesehen haben. Und selbst wenn Sie es getan hätten, muß ich Ihnen sagen: Sie haben seit 1966 den Wirtschaftsminister gestellt; warum haben Sie noch sieben Jahre gebraucht, um endlich zu Stuhle zu kommen?
— Wissen Sie: Ihr Alleinvertretungsanspruch nach dem Motto „Die Welt, die war nicht, eh ich sie erschuf" ist wirklich nicht geeignet, hier eine Versachlichung im Interesse der Sicherstellung der Energieversorgung für alle Räume der Bundesrepublik herbeizuführen.
Wir alle hoffen, daß dieser jetzige Krisenfall sich nicht ausweiten wird. Wir haben begründete Aussicht. Aber wir müssen Vorsorge treiben, wenn es jetzt — jetzt können Sie Ihre Weitsicht zeigen, Herr Kollege Wolfram — darum geht, für eine ausgewogene Verteilung der Lager auf die einzelnen Bundesländer zu sorgen. Wir müssen dafür die notwendigen Mittel bereitstellen, auch wenn es etwas mehr als die Konzentration auf Norddeutschland kostet. Wir werden im übrigen unser Augenmerk auch auf den Erdölbevorratungsverband der Mineralölwirtschaft richten, da er nach dem von der CDU/CSU im Wirtschaftsausschuß — ich bitte, sich doch zu erinnern — durchgesetzten § 8 Abs. 3 des neuen Erdölbevorratungsgesetzes zu einer regional ausgewogenen Lagerung der Ölvorräte verpflichtet ist.Was ich eben für die Ölvorräte gesagt habe, gilt übrigens im Grundsatz auch für die nationale Kohlereserve. Daß die Probleme hier ungleich schwieriger sind, sollte die Bundesregierung nicht daran hindern, wenigstens einmal nachzudenken und diesem Haus Vorschläge zu unterbreiten. Darauf zielt die Nummer 2 unseres Antrags ab.In der Nummer 3 fordern wir eine verstärkte Förderung des Auf- und Ausbaus der regionalen Erdgasnetze und deren Einbindung in den überregionalen Erdgasverbund. Angesichts der enorm hohen Investitionskosten, die das gerade beim Bau der Leitungen in dünn besiedelte Räume mit sich bringt, ist eine Beteiligung des Bundes an der Finanzierung erforderlich. Wir würden es begrüßen, wenn der Bund ein dementsprechendes Gesetz vorlegen würde.Wenn es jetzt den Anschein hat, daß durch eine Verwaltungsvereinbarung nach Artikel 104 des Grundgesetzes mit den beteiligten Bundesländern ein Weg gefunden werden kann, so kann ich nur sagen: Wir haben gegen diese Art der Mischverwaltung ganz erhebliche grundsätzliche Bedenken. Der Bundesgesetzgeber ist zuständig. Er sollte sich hier zu einer klaren Entscheidung durchringen.
Zweimal gibt, wer schnell gibt. Wir erwarten, daß hier unverzüglich gehandelt wird.Lassen Sie mich nun einige Worte zu dem gewiß heiklen Problem der regionalen Strompreisunterschiede sagen.
— Herr Kollege, Sie haben nicht mitgekriegt, daß wir schon einen anderen Tagesordnungspunkt haben. Deshalb sprechen wir jetzt zu diesem Thema. Es freut mich, daß Sie nun wieder den Saal betreten haben. Sie werden sicher mittlerweile gemerkt haben, daß es hier um die regionale Differenzierung bei den Stromversorgungs- und den Sicherheitsaspekten geht.
Durch die regionale Differenzierung der Ausgleichsabgabe nach dem Dritten Verstromungsgesetz sind die regionalen Strompreisdisparitäten keineswegs beseitigt worden. Sie sind bloß mit jeder Erhöhung des Kohlepfennigs weniger verschärft worden. Das ist es, womit sich die revierfernen Länder zufrieden geben müssen: eine gemilderte Verschlechterung, nicht etwa eine Beseitigung der Disparitäten.
— Die Strompreise, lieber Herr Kollege Wolfram, setzen sich aus einer ganzen Reihe von Faktoren zusammen.
Wir wollen hier bei denen ansetzen, bei denen wir die Möglichkeiten der Besserung haben, und nicht immer Verschiebebahnhof der Verantwortlichkeiten spielen.
Deshalb reden wir von den 30 % Unterschied. Die Bundesregierung hat das in ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage im Sommer dieses Jahres zu leugnen versucht. Leider Gottes war keine Koordination. Der Herr Bundesminister für Raumordnung, Dr. Haack, hat drei Monate später, nachzulesen im Bulletin des Bundespresseamtes vom 12. September, ausdrücklich bestätigt, daß die Differenzen 30 % und
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Dr. Warnkeim Bereich der Tarifabnehmer bis zu 15 % betragen. Das sind enorme Differenzen, die der Forderung nach gleichwertigen Lebensverhältnissen und gleichen Wettbewerbsbedingungen eindeutig widersprechen. Es sollten unverzüglich weitere Maßnahmen ergriffen werden, um die Preisunterschiede zu verringern. Ansatzpunkte bilden neben dem Bau von Kernkraftwerken in revierfernen Bundesländern die Bezuschussung der Kohletransporte in Anlehnung an die erweiterte Kohlefrachthilfe sowie eine Erhöhung der Stromkostentransportzuschüsse.Wir sind uns natürlich darüber klar, daß das finanzielle Mittel erfordert. Wir sind aber auch der Auffassung, Herr Kollege Wolfram, daß der Bund angesichts der 5 Milliarden DM Kohlesubventionierung, mit denen die Grenze des volkswirtschaftlich Tragbaren erreicht ist, auch Mittel für die Sicherung der Energieversorgung in den revierfernen Ländern bereitstellen sollte. Wir haben das ja mit Ihnen getragen. Wir machin Sie nur darauf aufmerksam, daß diese Solidarität eben auch von Ihnen einen Beitrag zugunsten der revierfernen Länder zwingend erforderlich macht. Deshalb bitte ich doch zu bedenken, daß die vom Bund zur Verfügung gestellten Kohlehilfen nicht nur der Sicherung der deutschen Energieversorgung dienen, sondern daß sie auch — das sollen sie — der Sicherung von Arbeitsplätzen in Kohlerevieren an Ruhr und Saar dienen und eine enorme regionalpolitische Bedeutung haben, ihnen aber zum Ausgleich nun eben Mittel für die Herbeiführung einer angemessenen Annäherung — wir reden nicht von absoluter Gleichheit — des regionalen Stromkostenniveaus an die Seite gestellt werden müssen. Ich glaube, betrachtet man diese Zahlen, dann ist es mehr als recht und billig, daß sich der Bund stärker als bislang an dem Ausbau der regional ausgewogenen Energieversorgung beteiligt, daß er die Mittel für eine bessere Sicherung einer regional ausgewogenen Energiereserve bereitstellt und zum Abbau der Energiepreisunterschiede beiträgt.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem CDU/CSU-Antrag steht ein wichtiges energiepolitisches Thema zur Debatte. Dieses Thema muß auf dem Hintergrund unserer Energieversorgung generell gesehen werden. Niemand wird bestreiten, daß wir heute in der Bundesrepublik, insgesamt gesehen, und auch in den einzelnen Regionen eine in ihrer Struktur zufriedenstellende Energieversorgung haben und daß unsere Bevölkerung und die Wirtschaft auf ein leistungsfähiges und diversifiziertes Energieangebot zurückgreifen können. Dieses zufriedenstellende Gesamtbild ist das Ergebnis einer leistungsfähigen Energiewirtschaft und einer Energiepolitik, über deren wesentliche Grundzüge zwischen allen Parteien Übereinstimmung besteht. Aber auch wir sehen natürlich, daß es in der Energieversorgung in regionaler Hinsicht Unterschiede gibt und daß nicht in allen Teilen des Bundesgebietes gleiche Verhältnisse herrschen. Ziel der Wirtschaftspolitik kann es aber nicht sein, Unterschiede generell zu nivellieren.Ein Problem stellen Energieversorgungsunterschiede aber dann dar, wenn ihre Ursache künstliche Verzerrungen sind oder aber wenn sie so dauerhaft und so groß sind, daß die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Teile des Bundesgebiets ernsthaft beeinträchtigt wird. Das entscheidende Instrument für eine Abhilfe ist in letzterem Falle allerdings nicht nur die Energiepolitik, sondern primär die Regionalpolitik.Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion enthält im wesentlichen die Forderungen der Länder, die auch der Bundesrat in seiner Entschließung zur Zweiten Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung am 17. Februar 1978 gestellt hat.Zunächst zu den Forderungen zur Krisenvorsorge. Die Bundesregierung hat eine Vorsorge aufgebaut, die im internationalen Vergleich mit an der Spitze steht. Sie wird zusätzlich durch Vereinbarungen in der Europäischen Gemeinschaft und der Internationalen Energie-Agentur abgesichert. Ziel ist es, externen Versorgungsstörungen vorzubauen. Zielrichtung ist dabei natürlich das gesamte Bundesgebiet und nicht eine einzelne Region.Die Bundesrohölreserve lagert in Norddeutschland, da es nur dort durch die vorhandenen Salzstöcke die Möglichkeit der unterirdischen Lagerung gibt. Forschungen in Süddeutschland, nämlich in Rheinland-Pfalz, zur Einlagerung in Granit haben noch zu keinem Ergebnis geführt.Bei der Mineralölpflichtbevorratung ist der neugeschaffene Erdölbevorratungsverband durch § 8 seiner Satzung verpflichtet, eine regional ausgewogene Verteilung der Vorräte anzustreben. Durch ihren Sitz im Beirat des Erdölbevorratungsverbands haben die Länder sichergestellt, daß ihre regionalen Belange bei der Bevorratung geltend gemacht werden können.Die Bundesregierung wird in Ziffer 2 des Antrags aufgefordert, zu prüfen, inwieweit eine dezentrale Lagerung der nationalen Kohlereserve vertretbar erscheint. Auch hinter dieser Forderung verbirgt sich die Vorstellung, daß im Bedarfsfall die Kohle nicht in die anderen Regionen des Bundesgebiets gelangen könnte. Zugegeben, wenn die Bundesbahn nicht mehr fährt und sämtliche Flüsse zugefroren sind, könnte dieser Fall eintreten. Aber sehr realistisch ist das nicht. Trotzdem: Diese Frage kann näher untersucht werden, und sie ist letztlich eine Kostenfrage.Was den unter Ziffer 5 geforderten Ausbau regionaler Stromübertragungsanlagen und die Verbindung der Nord-Süd-Rohöl-Pipelinesysteme angeht, so überlegen wir derzeit zusammen mit den Ländern, die Frage der Verbindung der nördlichen und südlichen Rohölleitungen durch ein Gutachten prüfen zu lassen.Das in Ziffer 3 enthaltene Petitum besonders der Flächenländer, den Ausbau der Erdgasverteilungs-
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Parl. Staatssekretär Grünernetze in strukturschwachen Gebieten zu fördern, ist von der Bundesregierung in der Zwischenzeit aufgegriffen worden. Es war immer unbestritten, daß hier ein berechtigtes Anliegen gegeben ist. Aber das frühere Aufgreifen ist an den finanziellen Beengungen gescheitert. Gegenwärtig laufen die Bund-Länder-Verhandlungen über eine Verwaltungsvereinbarung. Wir hoffen auf einen baldigen Abschluß, damit die Förderung zügig anlaufen kann.Der dritte große Komplex des Entschließungsantrags berührt die regional unterschiedlichen Energiepreise. Es ist richtig, daß hier deutliche Unterschiede bestehen. In einem gemeinsamen Bericht von Bund und Ländern zu den regionalen Aspekten der Energieversorgung wird dies festgestellt, aber gleichzeitig auch darauf hingewiesen, daß ein eindeutiges regionales Gefälle nur bei den Strompreisen festzustellen ist.Die Ursachen hierfür sind in erster Linie unterschiedliche Standortfaktoren und Kosteneinflußgrößen, wie z. B. die Abnehmerdichte und anderes mehr. Hierzu hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU über regionale Strompreisdisparitäten vom 21. März 1978 ausführlich Stellung genommen.Es ergibt sich daraus, daß das entscheidende Mittel zur Verminderung dieser Kostenunterschiede der Zubau kostengünstiger Grundlast ist. Ich gehe davon aus, daß weder die Länder noch die Opposition in diesem Hause einen mit dirigistischen Mitteln durchgesetzten Einheitspreis anstreben. Was auf staatlicher Ebene bei den Preisen getan werden muß und kann, ist die Schaffung von Wettbewerbsgleichheit. Die Regionen mit relativ günstigen Strompreisen wurden bevorzugt. Deshalb wurde ab 1978 die Ausgleichsabgabe nach Ländern differenziert. So wichtig und notwendig diese Maßnahme war, so bedenklich wäre es, das Instrument der Ausgleichsabgabe darüber hinaus zu benutzen. Es würden nämlich neue, unzumutbare, künstliche Verzerrungen damit geschaffen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfram.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Antrag der CDU/CSU greift Fragen auf, die längst bei den energiepolitischen Überlegungen und Vorstellungen der Bundesregierung und der Regierungskoalition berücksichtigt worden sind. Er behandelt Fragen, die hier nicht eingehend erörtert werden können, weil die Zeit fehlt. Sie müssen im Wirtschaftsausschuß gründlich beraten werden. Ich nenne das Beispiel der Strompreisdifferenzen. Es wäre sicherlich im Rahmen eines Kurzbeitrages nicht möglich, die Gründe und Ursachen von seit Jahrzehnten vorhandenen Strompreisdifferenzen darzulegen. Wir werden darüber im Ausschuß eingehend sprechen.
— Warten Sie bitte noch einen Moment; ich möchte den Gedanken noch zu Ende führen. — Ich wehre mich nur dagegen, daß einmal mehr von der Opposition der Versuch gemacht wird, der Bundesregierung vorzuhalten, sie habe Unterlassungen begangen, wobei Sie, Herr Dr. Warnke, und Ihre Kollegen doch wissen, daß wir hier nicht Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche durcheinandermengen dürfen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich gestatte sie; ich will nur den Gedanken zu Ende führen.
Sie wissen wie ich, daß viele Fragen, die von Ihnen angesprochen werden, nicht in die Zuständigkeit des Bundes oder der Bundesregierung fallen, sondern Angelegenheiten der autonomen Energieversorgungsunternehmen oder Angelegenheiten der Länder sind.
Deshalb bitte ich sehr herzlich, das bei einer solchen Debatte zu berücksichtigen.
Bitte, Herr Kollege Engelsberger.
Herr Kollege Wolfram, stimmen Sie meiner Behauptung zu, daß gerade die revierfernen Gebiete mit einem höheren Strompreisniveau durch die Maßnahmen der Bundesregierung, nämlich durch die Anhebung der Mehrwertsteuer von 12 auf 13 % und durch den Kohlepfennig, insbesondere benachteiligt sind, da sie schon höhere Strompreise haben und nun prozentual noch zusätzlich belastet werden? Wenn die Mehrwertsteuer auf 13 % und die Ausgleichsabgabe auf mehr als 6 % erhöht wird, ergibt sich eine zusätzliche Belastung des Strompreises von rund 20 %. Halten Sie das im Hinblick auf die Preisgerechtigkeit für in Ordnung?
Herr Kollege Engelsberger, ich stimme Ihnen aus vielen Gründen nicht zu. Dafür werden Sie Verständnis haben. Ich komme auf die Energiepreisdifferenzen noch kurz zurück.Meine Damen und Herren, ich möchte zunächst feststellen, daß wir in der Bundesrepublik eine vorbildliche Krisenvorsorge haben. Das werden Sie auch bei objektiver Beurteilung zugeben müssen. Sie wissen, daß wir im Mineralölbereich eine Bevorratungspflicht für die Mineralölindustrie für einen Verbrauchszeitraum von 90 Tagen haben. Sie wissen, daß für die Bundesrohölreserve Kavernenraum für 10 Millionen Tonnen fertiggestellt ist und daß die Auffüllung planmäßig und zügig erfolgt. Herr Kollege Warnke, Sie rennen bei uns offene Türen ein, wenn Sie fordern, die Bundesrohölreserve nicht nur im norddeutschen Raum unterzubringen. Nur muß man dann natürlich auch sagen, wie man sie unterbringen will und wie das dann zu finanzieren ist. Sie wissen ganz genau, daß Sie Kavernenräume in Salzlagerstöcken im süddeutschen Raum nicht verfügbar haben und daß Sie den Vorrat dort in Tanks und anderen Behältern
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8898 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Wolfram
usw. unterbringen müßten. Man muß dann auch eine Kosten-Nutzen-Analyse durchführen und sagen, daß sich die Bevorratungskosten in einer bestimmten Größenordnung verteuern, die letzten Endes vom Verbraucher getragen werden müssen. Das müssen Sie redlicherweise hinzufügen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Warnke?
Ja, aber bitte eine kurze Frage, wenn ich mich schon an den Rahmen der 10-Minuten-Redezeit halten muß.
Herr Kollege Wolfram, sind Sie nicht der Meinung, daß nicht wir eine Kosten-Nutzen-Analyse machen müssen, sondern daß das eine Aufgabe der Bundesregierung ist und daß sie längst überfällig ist?
Herr Kollege Warnke, ich habe nicht gesagt, daß Sie die KostenNutzen-Analyse vornehmen sollen. Ich habe nur gesagt: Sie müssen bei Ihren Überlegungen die Kosten-Nutzen-Relationen beachten. Sie sind schließlich ein ökonomisch gebildeter Mensch und wissen; daß alles bezahlt werden muß. Da Sie immer für kostengünstige Energieversorgung plädieren, dürfen Sie die Kosten nicht künstlich erhöhen. Im übrigen glaube ich, daß die beste Krisenvorsorge eine Politik ist, die verhindert, daß es überhaupt zu einem Krisenzustand kommt. Eine solche Politik betreibt die Bundesregierung auf allen Gebieten.
Lassen Sie mich weiter feststellen, daß sich eine staatliche Krisenvorsorge selbstverständlich auf das gesamte Bundesgebiet bezieht. Dabei müssen wir in der Regel von einer Unterbrechung der Energieeinfuhren, im besonderen bei Mineralöl, ausgehen.
Es ist deshalb selbstverständlich, daß wir im Rahmen des Möglichen und ökonomisch Vertretbaren die Vorräte von Mineralöl und Kohle regional möglichst gleichmäßig verteilt lagern wollen. Aber das muß unter den Gesichtspunkten der technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten geschehen. Diesen Aspekt können Sie nicht außer Betracht lassen. Sie haben ja selber schon festgestellt, daß der Mineralölbevorratungsverband die Pflicht hat, den regionalen Aspekt bei der Anlage der Pflichtvorräte zu berücksichtigen.
Ich würde es begrüßen, wenn das nördliche und das südliche Pipelinesystem miteinander verbunden würden. Aber Sie wissen auch, welch hoher Millionenaufwand dafür erforderlich ist und daß seitens der betroffenen Industrie zur Zeit noch kein entsprechendes Interesse erkennbar ist.
Es wäre unzumutbar, eine zusätzliche Belastung der Verbraucher durch Maßnahmen vorzunehmen, die unsere Versorgungssicherheit im Krisenfall nicht' erhöhen würden.
Herr Kollege Dr. Warnke, Sie plädieren für die Bundessteinkohlereserve und deren Verlagerung auch auf andere Regionen. Sie würden niemandem mehr Freude bereiten, wenn ein Teil der Kohlehalden vom Ruhrgebiet nach Bayern exportiert werden könnte, als uns, den Gemeinden an Rhein und Ruhr, für die die, Kohlenlagerstätten unter vielen Gesichtspunkten eine große Belastung sind.
Sie wissen, daß wir das Opfer auf uns nehmen. Eine Verlagerung kostet 30, 35, 40 DM pro Tonne mehr. Sie wissen, daß das Auf- und Abhalden viel Geld kostet. Sie wissen natürlich auch, daß Kohlereserven in bestimmten Regionen nur dann einen Sinn haben, wenn Sie von der Opposition mithelfen, daß Kohle auch in anderen Regionen verstärkt eingesetzt und verbraucht wird.
Ich habe vorhin nicht ohne Grund an den verehrten Kollegen Engelsberger die Frage gerichtet: Sind Sie denn mit uns der Meinung, daß neue Steinkohlekraftwerke auch in Bayern und Baden-Württemberg, auch in Rheinland-Pfalz, Hessen und anderen süddeutschen Ländern gebaut werden müssen, ja oder nein? Setzen Sie sich doch dafür ein, daß die süddeutschen Energieversorgungsunternehmen und die süddeutschen Bundesländer und deren Regierungen endlich einmal einen Plan vorlegen, wann und wo sie das erste und nächste Steinkohlekraftwerk bauen!
Wir sorgen dann schon dafür, daß unsere Kohle zu ihnen kommt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Wolfram, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß der Bau von Kohlekraftwerken in revierfernen Gebieten nur möglich ist, wenn die Bundesregierung bereit ist, die entsprechenden Frachthilfen bereitzustellen, und sie nicht abbaut?
Erstens gibt es Frachtbeihilfen. Sie wissen, daß es eine Ausgleichsabgabe gibt — Sie nennen sie fälschlicherweise immer Kohlepfennig —, die dem Ziel dient, Kostendifferenzen zwischen Kohle und Öl auszugleichen. Sie wissen, daß diese Ausgleichsabgabe auch der Finanzierung von Transportkostenzuschüssen dient. Sie können mit uns jederzeit darüber reden. Helfen Sie doch zunächst einmal mit, daß im süddeutschen Raum auch Steinkohle wieder verstärkt eingesetzt werden kann! Bayern ist doch ein Land, das lange Zeit auf die Karte „billiges Öl" gesetzt hat. Jetzt, da die Situation umkippt, sieht man es auch dort ein bißchen anders.
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Wolfram
Ich möchte Sie bitten, daß wir auch in dieser Beziehung redlich miteinander umgehen. Das gilt vor allem auch für die Debatte über Energiepreis- und Strompreisdifferenzen. Hier handelt es sich doch nicht um ein Problem, das durch diese oder eine frühere Bundesregierung heraufbeschworen worden wäre, Herr Dr. Warnke. Sie wissen ganz genau, daß die Energieversorgungsunternehmen in ihrer Preisgestaltung weitgehend selbständig sind. Sie wissen auch, wie sich die Differenzen, die Sie angesprochen haben, erklären lassen. Bei den der Preisaufsicht unterliegenden Tarifpreisen beträgt die Differenz 15 %. Bei den nicht mehr gebundenen Sonderabnehmerpreisen liegt die Differenz bei rund 30 %. Es liegt also nicht an der Bundesregierung, wenn es solche Differenzen gibt. Im übrigen haben wir durch eine Differenzierung der Ausgleichsabgabe nach Ländern dafür gesorgt, daß ein gewisser Ausgleich erfolgt. Nur, Herr Dr. Warnke: Wir werden nicht bereit sein, über diese Differenzierung hinauszugehen. Jetzt schon zahlen die Stromabnehmer in Nordrhein-Westfalen, obwohl sie auf der Kohle sitzen und sich dort die Steinkohlen-Stromerzeugung massiert, eine Ausgleichsabgabe in Höhe von 5,4 %, während sie in Bayern 3,9 % zu zahlen haben. Eine stärkere Auseinanderziehung dieser Sätze kann nicht erfolgen.
Das kann auch nicht Aufgabe der Ausgleichsabgabe sein; eine Preisangleichung muß auf anderem Wege vorgenommen werden. Ich habe in diesem Zusammenhang schon auf die Verantwortung der Wirtschaftsminister der Länder hingewiesen.
— Entschuldigen Sie bitte, ich rede gerade genau zehn Minuten, Herr Kollege, und habe drei Fragen gestattet. Da wird mir doch wohl noch eine Minute gestattet sein.
— Das weiß ich doch. Seien Sie doch ein bißchen höflicher zu mir. Ich bin doch zu Ihnen auch höflich.
Herr Abgeordneter, der amtierende Präsident und niemand anders im Hause hat für die Einhaltung der Geschäftsordnung Sorge zu tragen.
Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Feststellung. Ich darf also meinen Schlußsatz noch sprechen.
Ich komme zu dem Ergebnis, daß der vorliegende CDU/CSU-Antrag im Grunde genommen dadurch erledigt ist, daß er Fragen aufgreift, die nicht primär in die Zuständigkeit des Bundes fallen. Sie wissen, daß wir nicht nur auf dem Energiemarkt, sondern auch auf anderen Teilmärkten Disparitäten haben. Vieles ist außerdem bereits erledigt.
Wir werden den Antrag im Wirtschaftsausschuß und in den mitberatenden Ausschüssen sachlich beraten und bescheiden.
Ich bin sicher: Auch auf dem Gebiete der Energiepolitik werden wir Ihnen beweisen, daß die Bundesregierung und die sie tragende Koalition eine vorbildliche Politik betreiben, die sich national und international sehen lassen kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zywietz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Warnke hatte in seinem Beitrag zunächst einmal die Gemeinsamkeit hervorgehoben. Diese besteht bei dem Thema Energiepolitik generell. Ich glaube, man kann feststellen, daß wir uns in der Zielsetzung, sichere, preiswerte, umweltfreundliche Energie für die Bevölkerung sicherzustellen, einig sind.Dennoch verbleibt uns unter der Überschrift „Abbau von Disparitäten in der Energiepolitik" in unseren Debatten ein Dauerthema. Dieses Dauerthema atmet bayerischen Geist — wenn ich das so sagen darf —; denn solange ich mich an energiepolitische Debatten und an die Beratungen des Energieprogramms seit 1973 erinnern kann, wurde immer wieder in verschiedenster Form und unter verschiedenen Stichworten insbesondere von Bayern, aber auch von anderen vorgebracht, der Bund lasse in der Energiepolitik einige Regionen — insbesondere Bayern — im Stich.Dieser Vorwurf wird stets unter zwei Stichworten zum Ausdruck gebracht. Zum einen solle angeblich die Versorgungssicherheit, insbesondere unter krisenhaften Vorzeichen, nicht für alle Regionen gewährleistet sein. Der zweite Vorwurf bezieht sich direkt auf das Geld. Es ist der Vorwurf, daß ein sehr großes Strompreisgefälle vorhanden sei, daß insbesondere bayerische Verbraucher oder Industrielle sehr . viel mehr zu zahlen hätten als andere Verbraucher im Bundesgebiet, woran insbesondere die Bundesregierung die Schuld trage — denn ansonsten brauchten wir dieses Thema hier nicht zu diskutieren.Dazu gibt es einiges anzumerken. Richtig ist, daß wir in diesem Hause eine Wirtschaftspolitik betreiben wollen — und das hat hohen Stellenwert für uns —, die, entsprechend dem Grundgesetzauftrag, gleichwertige Lebensverhältnisse für alle Bewohner unseres Staates sicherstellt. Herr Dr. Warnke — ich höre das immer auch aus Ihren Reihen —, „gleichwertige Lebensverhältnisse" kann aber nicht bedeuten, daß es in jedem Fall und in jedem Moment gleiche, sozusagen gleichgemachte Lebenssituationen geben muß. Das kann schon gar nicht der Fall sein, wenn wir uns immer auf marktwirtschaftliche Prinzipien berufen; denn marktwirtschaftliche Prinzipien führen durch Wettbewerb zu unterschiedlichen Ausprägungen.Sie müssen sagen, was Sie konkret wollen. Wir orientieren uns an den energiepolitischen Zielen. Diese müssen wir unter Beachtung des Grundgesetzauftrages zur Schaffung gleichwertiger, aber nicht gleicher Lebensverhältnisse und unter Beachtung
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Zywietzdes Grundsatzes, marktwirtschaftliche Prinzipien auch in der Energiepolitik durchsetzen, konkretisieren.Nun gilt es zu prüfen, ob Ihre bayerischen Ratschläge bzw. Anwürfe von der Sache her berechtigt sind, ob Bonn überhaupt die richtige Adresse ist; denn hier geht es ans Geld. Wenn das an Bonn gerichtet wird, soll immer viel und möglichst schnell gezahlt werden. So klang das hier auch durch. Wir müssen uns einmal der Mühe unterziehen, zu prüfen, ob es von der Sache her überhaupt berechtigt ist.Ich möchte vorsichtig vorangehen. In Zeiten, in denen die politische Ruhe im Vorderen Orient nicht sehr groß ist, bleibt angesichts der Tatsache, daß wir aus diesem Bereich sehr viel Mineralöl beziehen, die Frage: Wie sieht es mit der Versorgung der wesentlichen Regionen des Bundesgebietes insbesondere unter Krisenvorzeichen aus? Am wichtigsten ist hier das Mineralöl, weil wir es zu etwa 95 % importieren und weil es zu über 50 % unseren Energiebedarf deckt. Dazu ist aber festzustellen, daß gerade mit Hilfe von Liberalen vor der ersten Energiekrise vor fünf Jahren erstmals ein Energieprogramm aufgestellt und eine Politik „weg vom Öl" eingeleitet wurde und daß wir — was genauso wichtig ist; das war das vorangegangene Thema — eine rationelle Energieverwendung angestrebt und konkretisiert haben, was Sie damals nicht wollten. Wir haben eine Bevorratung für Krisenfälle auf zwei Wegen in Gang gebracht: einmal die Bundesrohölreserve über Haushaltsmittel — von 10 Millionen Tonnen, die wir anstreben, lagern bereits 6 Millionen Tonnen in Kavernen —, zum anderen haben wir ein Bevorratungsgesetz, das die Industrie verpflichtet, ebenfalls Krisenvorsorge zu treffen.Nun sagen Sie, wenn es darauf ankomme, könnten die Industrie und die Bürger in Bayern nicht rechtzeitig versorgt werden. Wir bemühen uns ja, Ihnen entgegenzukommen, soweit das .technisch machbar und ökonomisch vertretbar ist. Wir müssen aber sehen, daß die Lagerung in Salzstöcken gegenüber anderen Lagerungsarten nur halb so teuer ist und daß sich diese Salzstöcke in Norddeutschland befinden. Wir können weder die Küstenstriche noch die Salzkavernen nach Bayern „exportieren". Von daher gibt es eben einen Unterschied, den wir unter ökonomischen Gesichtspunkten in Kauf nehmen müssen. Was gebraucht wird, kann auch per Schiff, per Bahn, über Pipelinenetze, die recht gut sind, transportiert werden. Ich glaube, Ihre Befürchtungen in diesem Bereich sind einfach überzogen. Die Entwicklung geht aber weiter. Eine BundLänder-Kommission hat die Frage der Lagerung in Granitkavernen angesprochen. Dies soll in einem Forschungsauftrag untersucht werden.Ihr zweiter Gesichtspunkt, das Pipelinenetz habe ein „Fehlstück" zwischen Frankfurt und Mannheim oder Karlsruhe, je nachdem, wie man es technisch sehen will, hört sich an, als wollten wir Bayern von der norddeutschen Ölversorgung abkoppeln oder abnabeln, und Bayern sei damit in einer schlechteren Position. Das ist doch nur vordergründig richtig. Sie haben den kürzeren und besseren Versorgungsweg per Pipeline von Marseille, von Genua und von Triest und sind über diese Südschienen von den Produzenten und Lieferländern so gut versorgt, daß diese Kluft am Rhein nicht zum Beweisstück dafür gemacht werden kann, daß Sie in der Krisenversorgung schlechtergestellt seien. Wenn es nämlich darauf ankommt, können Sie das per Bahn, per Lkw, auf den Rheinkähnen leicht, locker und lässig, wie ich beinahe etwas salopp gesagt hätte, transportieren, was da vonnöten ist.
Wir müssen einfach fragen, ob Sie sich mehr Versorgungssicherheit einhandeln, wenn wir das Verbindungsstück herstellen. Die Industrie sieht darin nicht allzuviel Sinn, weil es außerordentlich teuer ist und kaum eine Garantie für zusätzliche Versorgungssicherheit darstellt. Da muß man sich einfach von den Fakten überzeugen lassen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Selbstverständlich. Vizepräsident Stücklen: Bitte schön.
Herr Kollege Zywietz, sind Sie eigentlich bereit und in der Lage, zu bestätigen, daß Sie diese Ablehnung berechtigter süddeutscher Sicherheitsforderungen - ich sage ausdrücklich „süddeutscher", nicht „bayerischer", denn es handelt sich nicht allein um ein bayerisches Problem — auch im Namen der süddeutschen Kollegen Ihrer Fraktion von sich geben?
Davon gehe ich aus.
Ich gehe auch immer davon aus, daß etwas, was 'Sie sagen, für die gesamte Fraktion gesagt ist, nicht nur für die CSU, sondern auch für die CDU.
Da scheint mir der Zweifel häufig sehr viel berechtigter zu sein als umgekehrt.Herr Kollege Dr. Warnke, ich meine, dieser Sachverhalt ist so klar nachvollziehbar, daß wir diese — zwar von der Logik her berechtigte — Argumentationskette in ihrer Bedeutung nicht überbewerten sollten. Die Versorgung in einer Krise ist in einem außerordentlich hohen und positiven Maße mit verschiedenen Instrumenten für das Gesamtgebiet sichergestellt, und Sie in Bayern kommen da nicht zu kurz.Mich hat es nur gewundert, daß Sie sich mit diesem Antrag, der weitgehend offene Türen einläuft, einen Antrag zunutze gemacht haben, der vom Bundesrat schon einmal fast wörtlich so konzipiert worden ist und im Bund-Länder-Gremium erörtert worden ist. Was mich als Norddeutschen daran etwas betroffen macht, ist die Tatsache, daß in diesem Bundesratsantrag noch die Bedeutung der Importkohle für die regionale Energieversorgung erwähnt
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Zywietzworden ist. Die haben Sie bei der Konzipierung Ihres Antrags, der offensichtlich doch nur aus der südlichen Perspektive gesehen und formuliert worden ist, klammheimlich flugs vergessen.Deswegen möchte ich hier noch einmal darauf eingehen, daß es gerade bei der Vorsorge unter dem Stichwort „Kohle" für die Regionalversorgung sehr wesentlich ist, daß beispielsweise die ImportkohleKontingente eine zeitliche Parallelität erhalten wie etwa die Absatzsicherung der Ruhr- und der Saarkohle. Ich meine, es ist nur fair, zu sagen, wenn die Abnahmeperspektiven für die Ruhr- und Saarkohle etwa auf einen Zehnjahreshorizont abgestellt sind, daß das gleiche für die Disponenten der Importkohle gilt, die für den norddeutschen Raum nur halb so teuer im Bezug und damit ein vorteilhafter Kosten- und Versorgungsfaktor ist; sie sollte im Dispositionshorizont zeitlich etwa parallel gelagert sein. Das möchte ich an dieser Stelle anfügen, damit Ihre bayerischen und süddeutschen Klagen nicht allzu dominant sind; sie sind auch von der Sache her nicht durchschlagend. Denn unter dem Stichwort „Gas" ist seit Antragstellung in einem. Vierjahresplan mit 170 Millionen DM das, was Sie gewünscht haben, auf dem Wege der Verwirklichung.Was die Kohlereserve anbelangt, so ist sie ebenfalls vorhanden. Sie ist reichlich da, und tun Sie uns einen Gefallen: Belassen Sie sie, wenn wir einen Platz im Ruhrgebiet dafür finden, zunächst einmal dort. Denn Sie wissen nie, wo wir sie nachher im konkreten Fall benötigen, und es kann nur unnütze Kosten verursachen, wenn jetzt dort viel transportiert wird, ohne zu wissen, wo sie einmal konkret gebraucht wird. Es ist immer noch Zeit genug, das dann zu tun, wenn diese Frage ansteht.Ein Wort noch zur Situation der Preise im Kohlebereich. Hier liegt im Ansatz etwas vor, was genauer Betrachtung bedarf. Wir haben alle dafür unser Wort gegeben zu sagen: Der Kohlepfennig ist eine Versicherungsprämie für den Vorrang der deutschen Kohle. Das hat Priorität, und dazu müssen wir stehen. Wir haben auch dafür gesorgt, daß das nicht in einem prozentualen Zuschlag erfolgt, sondern daß das in einer abgeflachten Weise in dem Zuschlag des Kohlenpfennigs geschieht, der diese Disparität zumindest einfriert. Das ist richtig, und daß muß im Auge behalten werden.Nur, die Hauptverantwortung für die Preise in der Region liegt für mich immer noch — und ich hoffe, Sie sind auch so weit Marktwirtschaftler — bei den Unternehmen. Schauen Sie, die Sie in Bayern die absolute Mehrheit und das Wirtschaftsministerium, das ja die Preisaufsicht über diese Versorgungsunternehmen hat, haben, einmal dorthin. Man hört in der Öffentlichkeit so seltsam wenig über dieses Preisgebaren und über die Art und Weise der Preisaufsicht der Landesregierung. Führen Sie die Debatte zuerst im Bayerischen Landtag und nicht im Bundestag, dann können wir, auch was die Vorschläge im einzelnen anbelangt, hier konkreter werden. Wir sind der Meinung, daß wir bei der festgestellten Gleichläufigkeit unserer Absichten diese Themen im einzelnen dann auf einer besseren Grundlage in dem zuständigen Ausschuß weiter vertiefen können.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Narjes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht bei dem vorliegenden Antrag um die Absicht, erneut einen fairen, vernünftigen, sachgerechten Ausgleich der regionalen Energieinteressen zu diskutieren und in den Ausschüssen möglichst auch im Gespräch mit der Bundesregierung zu Aktionen zu kommen, unter dem Motto: Solidarität ist keine Einbahnstraße. Dabei sind alle Gesichtspunkte zu berücksichtigen.Die Versorgungssicherheit ist auch ein regionales Problem. Herr Kollege Zywietz, das können Sie nicht allein mit der Kostenelle messen; denn billige Sicherheit gibt es nicht. In einem gewissen Umfang haben alle Regionen einen Anspruch auf Mindestsicherheit; den können wir ihnen nicht verwehren. Auch darüber — und das sind versorgungsstrategische Gesichtspunkte — müssen wir in den Ausschüssen sprechen. Ich freue mich, Ihrem Kopfnikken entnehmen zu können, daß Sie nicht alles mit der Elle der Kosten messen wollen.Die Importkohle — da gebe ich Ihnen recht — ist auch ein Problem, das in diesem Zusammenhang hineingehört. Aber, Herr Kollege Wolfram, Sie haben zu Recht die Frage angeschnitten, inwieweit Kohlekraftwerke außerhalb des Ruhrgebiets und des Saarlandes gebaut werden sollen. Ich hoffe, Sie richten Ihre Aufforderung auch an die Kollegen, die über das Bundesimmissionsschutzgesetz nachdenken; denn so, wie es jetzt konzipiert und vorgelegt ist, ist das Ende des Baus von Kohlekraftwerken außerhalb von Ruhr und Saar angekündigt.
In erster Linie aber habe ich mich gemeldet, Herr Kollege Grüner, wegen Ihres Hinweises auf die externe Versorgungssicherheit. Wir haben in den letzten Wochen die Ereignisse verfolgt, die zu unser aller Überraschung im Iran eingetreten sind. Wir registrieren jetzt die ersten Anzeichen der Veränderungen auf den Weltrohölmärkten auf Grund der Ereignisse im Iran: z. B. Preiserhöhungen um einen halben Dollar ohne irgendeinen OPEC-Beschluß, um die letzte Zahl zu nennen sowie Hinweise auf die begrenzten Produktionskapazitäten anderer Fördergebiete, mit denen man für den Fall rechnet, daß die Produktion im Iran bei 20 % des normalen Ausstoßes bleibt. Alles dies sollte doch Anlaß sein, die bisherige Versorgungskonzeption zu überdenken. Ich habe an dieser Stelle wiederholt — vor Jahren schon — auf die Unwägbarkeiten, Ungewißheiten und unendlichen politischen Risiken hingewiesen, die unsere Versorgung mit Rohöl auf Jahre belasten können. Ich habe darauf hingewiesen, daß eine Reserve für 90 Tage zu gering ist. Sie reicht nicht aus, und zwar nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Abwehr von Boykottmaßnahmen oder Boykottdro-
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Dr. Narjeshungen. Auch andere Umstände können eintreten. Ich möchte gerade die Situation im Iran und diese Diskussion hier zum Anlaß nehmen, erneut darauf aufmerksam zu machen, daß eine Reserve für 90 Tage, obwohl vereinbart, nicht einmal als Untergrenze ausreicht, sondern erheblich angehoben werden muß.Damit verbinden möchte ich den Hinweis darauf, daß die Bundesrohölreserve viel zu langsam aufgebaut wird. Wir sind jetzt erst bei sechs Millionen Tonnen. Zehn Millionen Tonnen waren in Aussicht genommen. Und für das nächste Jahr — um nur ein Beispiel zu nehmen — haben Sie in den Haushalt 570 Millionen DM eingesetzt. Hätten Sie diese 570 Millionen DM, wie wir es schon in den Haushaltsberatungen gefordert haben, kaufmännisch eingesetzt, hätten Sie im Vorgriff allein dadurch, daß Sie nicht unter die Belastung der für den 15. oder 16. Dezember zu erwartenden Preissteigerung kämen, schon heute 57 Millionen DM sparen können. Denn 10 % wird sie wohl sicher ausmachen. Sie haben hier also wieder 57 Millionen DM für die Rohölreserven verschenkt, weil nicht sachgerecht und nicht schnell genug aufgestockt wird. Ich will diesen Vorwurf nicht weiter auswalzen. Aber in der Vorratshaltung muß die Ministerialratspolitik aufhören. Es muß, strategisch entschieden werden, schnell und überzeugend. Sonst kommen Sie in Situationen, die Sie nicht meistern können. Und die Tatsache, daß Sie die politische Verantwortung dafür tragen, ist dann kein ausreichender Ersatz dafür, daß wir nicht genügend mit Primärenergie versorgt sind.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 8/1960 an den Ausschuß für Wirtschaft — federführend — und zur Mitberatung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu überweisen. — Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1979
— Drucksache 8/2241 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Haushaltsausschuß
Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Warnke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im vergangenen Jahr hatten wir die Freude, die Rekordhöhe des ERP-Wirtschaftsplans mit über 3 Milliarden DM hier im Plenum feiern zu können. Diesmal ist dieser Plan um eine halbe Milliarde, genau um 470 Millionen DM, geschrumpft. Man ist geneigt, in Anlehnung an ein Chanson zu fragen: Wo sind die Millionen hin, wo sind sie geblieben? Sie sind in eine kleingedruckte Anmerkung auf Seite 23 gerutscht. Da erfahren wir, daß sie jetzt kleinweis abgestottert werden, und zwar getilgt aus Mitteln, die der Schuldner für die Verzinsung eines anderen Darlehens schuldet. Schuldentilgung aus der Zinsverpflichtung für ein anderes Darlehen, das ist eine kreditpolitische Operation, von der wagen mittelständische Unternehmer nicht einmal zu träumen. In diese Sache werden wir noch hineinleuchten. Denn solche Großzügigkeiten kann sich ERP nicht leisten. Wir brauchen das Geld dringend für die eigentlichen Zwecke, für die strukturpolitischen Aufgaben der Gemeinden, für den Umweltschutz, für die Berlin-Förderung und ganz besonders für die kleinen und mittleren Unternehmen.Die Unionsfraktion hat seit langem zwei Schwerpunkte im ERP-Wirtschaftsplan gesetzt. Das ist die Existenzgründung, und das ist die regionale Wirtschaftsförderung. Beide haben in diesem Haushalt — das registrieren wir mit Genugtuung — die Grenze der halben Milliarden im Ansatz jetzt überschritten: 540 Millionen für Existenzgründungen, 545 Millionen für regionale Wirtschaftsförderung. Aber ebenso klar müssen wir sagen: beide Ansätze sind noch unzureichend.Die Existenzgründung im mittelständischen Bereich ist zur Schicksalsfrage der Sozialen Marktwirtschaft geworden. Nur durch ein Bündel steuerlicher, sozialpolitischer, ausbildungsfördernder und kreditpolitischer Maßnahmen können wir der ungeheuren Schwierigkeiten Herr zu werden hoffen, die der Existenzgründung im mittelständischen Bereich heute entgegenstehen. Natürlich gelingt dies auch nur, wenn ein gesellschaftspolitisches Klima herrscht, das die Funktion des Selbständigen im freiheitlichen Rechtsstaat und in der Sozialen Marktwirtschaft respektiert und ihn nicht, wie in den vergangenen Jahren geschehen, als Ausbeuter und Profitmacher diffamiert.
— Nicht nur Geld, Herr Kollege Wolfram, sondern auch Anerkennung wollen die Menschen, und die ist ihnen zum Teil von Leuten versagt worden, die Ihnen näherstehen als uns. Dorthin müssen Sie sich wenden.Weder dem Volumen noch den Konditionen nach entsprechen die Existenzgründungsmittel des ERP- Haushalts den an sie gestellten Anforderungen. Wir werden deshalb eine Aufstockung in Höhe von 1/4 Milliarde Mark beantragen, und zwar aus den Haushaltsresten sowie mit dem Instrument der Dekkungsfähigkeit, das wir für verschiedene Titel, in denen wir Luft in den derzeitigen Ansätzen finden, während der Ausschußberatungen einsetzen wollen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8903
Dr. WarnkeWenn diese Maßnahmen als ein Durchbruch zur Förderung der Existenzgründungsmöglichkeiten greifen sollen, brauchen wir aber auch bessere Konditionen. Wir brauchen insbesondere niedrigere Zinsen. Hierbei müssen wir uns natürlich darüber im klaren sein, daß die Leistungsfähigkeit des ERP-Haushalts durch Ausgaben enorm geschwächt worden ist, nämlich durch verlorene Zuschüsse in Höhe von insgesamt nahezu 1 Milliarde DM zur Sanierung eines einzigen Bundesunternehmens. Diese Affäre hat HeLaBa-Ausmaße erreicht. Mit dieser einen Milliarde hätten wir 20 000 Existenzgründungsdarlehen à 50 000 DM zinslos gewähren können. Ganz zu schweigen davon, welchen Zinsverbilligungseffekt wir hätten hineinbringen können: in einer Größenordnung von etwa 100 000 Darlehen. Das wäre allerdings wirksame Strukturpolitik gewesen.
ERP ist nicht dazu da, Folgen der Mißwirtschaft bei einem Bundesunternehmen, Herr Roth, die seit 1970 entstanden sind und nicht in den Jahren davor, auszugleichen, sondern ERP ist dazu da, wirksam strukturpolitische Hilfe denjenigen zu leisten, die woanders keine bekommen können.Heute läuft dieses Bundesunternehmen, wie wir alle hoffen, gut auf dem Wege der Sanierung. Aber wir sind gebrannte Kinder, nachdem wir 1 Milliarde zugebuttert haben. Deshalb wollen wir künftig sicherstellen, daß so etwas nicht wieder passieren kann. Wenn es notwendig sein sollte, hier Sanierungsmittel bereitzustellen, dann müssen sie aus dem Bundeshaushalt gegeben werden und nicht aus einem Sondervermögen, das seinem Wesen nach ein revolvierender Kreditfonds und kein Dukatenmännchen bei Mißwirtschaft im Bundesbereich ist.
Wir haben mit großer Genugtuung festgestellt, daß Bereiche, deren Herausnahme aus ERP wir jahrelang gefordert hatten — ich nenne z. B. die Werfthilfe, ich nenne die Förderung des Ausbaus der Handelsflotte, ich nenne die bilaterale Kapitalhilfe für Entwicklungsländer —, jetzt aus dem ERP-Wirtschaftsplan herausgenommen und auf den Bundeshaushalt übertragen worden sind, dorthin also, wohin sie gehören.Wir wollen aber sicherstellen, daß dieser Bundeshaushalt auch dann einspringt, wenn es darum geht, in Zukunft Sanierungen für Arbeitsplätze zu leisten. Dabei darf ich Sie, Herr Bundesminister der Finanzen und Herr Vertreter des Bundesministers für Wirtschaft, einmal daran erinnern, daß ein Organisationserlaß des seinerzeitigen Bundeskanzlers Brandt aus dem Jahre 1972 vorliegt, der die Übertragung der Zuständigkeit für die DIAG — das ist ja der Faktor gewesen, der zu diesem Milliardenabfluß aus ERP geführt hat — in den Bereich des Bundesministers der Finanzen vorsieht. Ich richte hier an die Bundesregierung die Frage: Wann wird denn das endlich vollzogen? Hier scheinen uns aus der Fülle der Reformblüten des Jahres 1972 noch erhebliche Rückstände in der Bewältigung des Pensums vorzuliegen. Die Unionsfraktion ist bereit, Ihnen bei der Aufarbeitung dieser Rückstände zu helfen, und erwartet; daß die Übertragung der DIAG-Zuständigkeit in den Bereich des Bundesfinanzministeriums nunmehr vorgenommen wird.Ich möchte aber nicht schließen, ohne nach den kritischen Bemerkungen, die notwendig waren, ausdrücklich denjenigen zu danken, die seit langen Jahren verdienstvoll daran mitgewirkt haben, im Rahmen ihrer Zuständigkeit ERP so auszugestalten, daß es seinen strukturpolitischen, insbesondere Mittelstandszwecken mehr und mehr gerecht werden kann. Ich meine hier die Beamten des Wirtschaftsministerium, die beim Ausbau des ERP-Wirtschaftsplans eine gute Arbeit geleistet haben und denen an dieser Stelle auch der Dank der Opposition gilt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die SPD-Fraktion darf ich feststellen, daß der Entwurf des Wirtschaftsplans 1979 positive Aspekte gerade in Struktur- und wirtschaftspolitischer Hinsicht enthält.
Ich erinnere daran, daß wir in diesen Jahren für die Leistungssteigerung kleiner und mittlerer Unternehmen starke Zuwachsraten bei den Förderungsmaßnahmen haben: 1977 6,3 %, 1978 35,5% und 1979 20 %. Wir als sozialdemokratische Fraktion begrüßen diese Entwicklung und halten die Kritik, die gerade geübt wurde, für völlig unangemessen!
Herr Warnke, es wäre — gerade zur Ermunterung der Investitions- und Innovationstätigkeit der mittleren und der kleinen Unternehmen — notwendig und sinnvoll, daß Sie hier nicht irgendwelche Gespenster an die Wand malen, sondern hergehen und sagen, daß die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen hier wirksam gewesen sind und positive Ansätze realisiert haben.
Und versuchen Sie dabei nicht, irgend jemanden in der Nähe der Koalition zu identifizieren, der bereit wäre oder in der Lage wäre oder willens wäre oder auch nur im Hinterkopf die Neigung hätte, kleine und mittlere Unternehmer zu disqualifizieren oder negativ zu bewerten. Das ist nicht der Fall.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sofort. — Wir sind vielmehr in diesem Jahr dabei, eine Kartellgesetznovelle zu machen, die beispielsweise auch den Schutz der kleinen und mittleren Unternehmen vor dem Zugriff der großen verstärkt. Wir werden dann sehen, wo die positiven Verhaltensweisen Ihrer Fraktion zum Schutze der kleineren und mittleren Unternehmen liegen.
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8904 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Bitte schön, Herr Abgeordneter Warnke!
Herr Kollege Roth, sind Sie bereit und in der Lage, zu bestätigen, daß das, was Sie hier an Aufstockung bejubeln, nicht einmal ausreicht, um auch nur 30 % Bedienung der Kreditanträge mittelständischer Unternehmen in der Regionalförderung bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu gewährleisten, und daß deshalb ein weiterer Ausbau zwingend geboten ist?
Hochverehrter Herr Dr. Warnke, es wäre meines Erachtens sinnvoll, wenn Sie Ihr Verhältnis zur Marktwirtschaft neu bestimmen würden. Es ist keinesfalls richtig, wenn man die kleinen und mittleren Unternehmen aus dem normalen Kreditmarktgeschehen völlig herausnimmt und ihnen nur noch zinssubventionierte Darlehensmittel aus dem öffentlichen Bereich für Existenzgründung, Produktionsumstellung, Innovation anbietet. Es ist sinnvoll, daß sie zu ihrer „normalen" Bank gehen und dort Kredite aufnehmen. Es ist ferner sinnvoll, dann Zusatzmittel aus dem öffentlichen Bereich zu geben. Nicht richtig ist es, Innovationsfreudigkeit und Marktgängigkeit der Unternehmen allein durch öffentliche Subventionierung hervorrufen zu wollen. Wir wollen keine Subventionsmentalität zeugen; wir jedenfalls machen da nicht mit. Sie sollten Ihre eigenen Voraussetzungen marktwirtschaftlicher Überlegungen hier überprüfen.
Ich finde es erfreulich, daß wir eine starke Zunahme der Umweltmaßnahmen haben: Abwässerreinigung, Abfallbeseitigung, Luftreinigung. Insbesondere bei der Abwässerreinigung ist eine starke Aufstockung der Mittel zu verzeichnen: 45,4 % zusätzlich insgesamt für Umweltmaßnahmen. Die Bundesregierung übernimmt hier — auch im ERP-Sondervermögen — meines Erachtens vorbildlich den Versuch, Umweltpolitik nicht in allgemeinen grünen Phrasen niederzulegen, sondern konkrete Maßnahmen auch durchzufinanzieren. Wir müssen uns davon entfernen, so zu tun, als sei Umweltpolitik gegen diese Industriegesellschaft oder an der Seite dieser Industriegesellschaft denkbar und möglich.
Wenn wir eine bessere Umwelt erkämpfen wollen, heißt das auch, daß wir öffentliche Mittel, gesellschaftliche Mittel einsetzen müssen. Ich glaube, daß das ERP-Sondervermögen dafür durchaus ein flexibler Haushalt ist. Ich verhehle jedoch nicht, daß ich es besser fände, wenn wir eine entsprechende direkte Finanzierungskompetenz des Bundes über den Bundeshaushalt in diesem Bereich hätten. Aber Sie kennen die verfassungsrechtlichen Probleme. Deshalb wird der Wirtschaftsplan 1979 dafür verstärkt verwendet.
Die Investitionsförderung in Berlin wird weiter aufgestockt, und zwar um 10,9 %. Auch dies begrüßen wir.
Ich habe hier die positiven Aspekte des Wirtschaftsplans 1979 genannt. Doch ich will nicht verhehlen, daß meine Fraktion bei zwei Punkten Bedenken hat. Meine Fraktion hat Bedenken dagegen, daß beim Bundesunternehmen DIAG, das Herr
Warnke erwähnt hat, auch in diesem Jahr auf Grund von Verpflichtungsermächtigungen des letzten Jahres 100 Millionen DM ausgeworfen werden. Wir sind der Auffassung: Hier im Parlament muß klar festgelegt sein, daß die Bereitstellung von 100 Millionen DM auch im nächsten Jahr eine Ermächtigung an die Regierung ist, das Geld im Notfall — ich unterstreiche: im Notfall — zur Verfügung zu stellen, daß es aber keinerlei Verpflichtung ist, dieses Geld auch tatsächlich auszugeben. Ich glaube, daß ich hier in Übereinstimmung mit den anderen Kollegen reden kann, die Berichterstatter für diesen Bereich sind.
Wir werden uns auch vorbehalten, die weitere Entwicklung des Unternehmens genau zu beobachten. Ich finde es bedauerlich, daß Herr Warnke nun versucht, die Diskussion über dieses Unternehmen in den Parteienstreit zu bringen; denn anders konnte das nicht verstanden werden. Herr Warnke, ich habe es immer für falsch gehalten, daß Ihr früherer Bundesminister Dollinger marode Firmen, die am Rande des Bankrotts waren, aufgefangen und Bundesunternehmen daraus gemacht hat. Aber ich finde es unerträglich, daß Sie diese frühere Mißwirtschaft, die dazu geführt hat, daß private Firmen der Pleite nahe waren, nun auf Mißleistungen und Fehlleistungen des Bundes übertragen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aus einem maroden Unternehmen kann man keine gesunde öffentliche Unternehmung machen.
Herr Abgeordneter, wenn ich Sie unterbreche, bitte ich Sie, das zu berücksichtigen. Sie können nein sagen. Aber wenn ich Sie unterbreche, bitte ich, das zur Kenntnis zu nehmen. Wollen Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Ja, bitte.
Bitte schön.
Herr Kollege Roth, sind Sie bereit, um der Ehrlichkeit und der Fairneß willen hier zu erklären, daß die Verluste, von denen Sie gesprochen haben, eben gerade nicht zur Zeit des von Ihnen zitierten Bundesschatzministers Dr. Dollinger entstanden sind, sondern erst mehrere Jahre, nachdem er aus dieser Funktion ausgeschieden war?
Herr Dr. Warnke, ich habe darauf hingewiesen, daß dieses Unternehmen, das privatwirtschaftlich bankrott war,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8905
Roth— das ist die Realität — durch den Bund übernommen wurde und Sie nicht anschließend so tun können, als sei es ein gesundes Unternehmen gewesen,
das im privatwirtschaftlichen Bereich floriert habe.
— Herr Dr. Warnke, es gibt doch überhaupt keine Zweifel, daß im Anlagengeschäft in diesem Unternehmen mehr als eine Fehlentscheidung getroffen wurde.
Ich habe dies im letzten Jahr genauso kritisiert, wie ich das jederzeit in Zukunft tun werde. Ich halte es nur für völlig unangemessen, daß Sie diese Frage hier so parteipolitisch aufwerfen.
Der zweite Punkt, den wir im Wirtschaftsplan 1979 so nicht akzeptieren, ist die Streichung der Mittel für Entwicklungshilfe. Es gibt aus dem Jahr 1961 das Gesetz über die Finanzierungshilfe für Entwicklungsländer aus Mitteln des ERP-Sondervermögens. Dieses Gesetz ist noch in Kraft. In § 3 Abs. 1 Nr. 1 bestimmt es, daß der Bund jährlich aus dem ERP-Sondervermögen Mittel für Entwicklungshilfe bereitstellt. Wir halten die Streichung dieser Mittel in Höhe von 110 Millionen DM aus dem Entwurf des Wirtschaftsplangesetzes 1979 für nicht richtig. Vor einigen Wochen hat der Präsident der Weltbank, Robert McNamara, öffentlich insbesondere die Bundesrepublik Deutschland neben den Vereinigten Staaten und Japan wegen zu wenig Initiative und Aktivität in Richtung auf die Erreichung des 0,7-%- Ziels der Vereinten Nationen kritisiert. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist nicht in der Lage, der Streichung der Entwicklungshilfe aus dem Wirtschaftsplan 1979 zuzustimmen, bevor wir die 0,7-%-Zielsetzung der Vereinten Nationen erreicht haben. Wir würden erst dann zustimmen können, wenn das Gesetz vom 20. Juni 1961 nicht mehr gültig wäre. So sehr wir die anderen Schwerpunkte begrüßen, werden wir bei dem Thema Entwicklungshilfe in den Beratungen des Ausschusses und im weiteren Verlauf der Gesetzgebung unsere Aufmerksamkeit auf eine Wahrung der Interessen einer vernünftigen Entwicklungshilfe richten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Angermeyer.
Ich mache darauf aufmerksam, daß die Fragen auf die Redezeit angerechnet werden.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst feststellen, daß Kritik gelegentlich ganz nützlich ist,
auch Kritik an die Adresse der Bundesregierung. In diesem Jahr liegt der Wirtschaftsplan für 1979 rechtzeitig vor. Wir wollen hoffen, daß die Bundesregierung auch künftig diese Pläne rechtzeitig zur Beratung vorlegt.Zum Entwurf für 1979 möchte ich einige Anmerkungen machen, die ich für wichtig halte.Für den oberflächlichen Betrachter hat sich das Volumen des Haushalts auf den ersten Blick um 470 Millionen DM verringert. Da jedoch zur haushaltstechnischen Bereinigung der Exportfonds Nr. 1 in Höhe von 500 Millionen DM nicht mehr jährlich neu veranschlagt werden soll, ist der Betrag ausgesondert worden, Herr Warnke. Das war bisher ein sogenannter durchlaufender Posten, der das Gesamtergebnis nicht beeinflußt hat. Objektiv betrachtet hat sich das Volumen des ERP-Plans kaum verändert. Dabei muß man berücksichtigen, daß das Volumen auch nicht beliebig steigerungsfähig ist, wenn nicht der Fonds-Charakter verlorengehen und die Substanz des Gesamtvermögens in Frage gestellt werden soll. Die geringe Steigerungsrate der gesamten Ausgaben — ca. 30 Millionen DM — ist sicher auch ein Beitrag zur Konsolidierung. Die hohe Fremdmittelaufnahme von gut einem Drittel — das sind mehr als 950 Millionen DM — zeigt, daß hier Grenzen gesetzt sind.Die Stagnierung in der Höhe des Volumens besagt allerdings nicht, daß die Effektivität des Fonds verlorengegangen ist, im Gegenteil. Es hat sich im Laufe der Jahre herausgestellt, daß einige Haushaltsansätze sicher zu hoch gewesen sind und daß zum Jahresende nicht abgerufene Gelder zur Verfügung standen, die dann allerdings auch anders verteilt werden konnten. Es blieben also keine Reste insoweit übrig. Dieser Tatsache ist für das künftige Haushaltsjahr weitgehend Rechnung getragen worden. Hier ist ein Punkt, in dem wir uns etwas von dem Kollegen Roth unterscheiden. Wir begrüßen es nämlich, daß im vorliegenden Plan keine Förderungen mehr enthalten sind, für die zugleich im Bundeshaushalt Mittel zur Verfügung stehen.
Dadurch konnten nämlich die Ansätze zugunsten des Umweltschutzes und des Mittelstandes erhöht werden.Zu keiner Zeit seit Bestehen dieses ERP-Planes hat es einen Ansatz zur Hilfe für kleinere und mittlere Unternehmen in solcher Höhe gegeben wie bei dem jetzt vorliegenden Plan. Unter Einschluß des Umstellungsprogramms von 120 Millionen DM können für das Jahr 1979 insgesamt 32 % mehr — das sind rund 315 Millionen DM — zur Verfügung gestellt werden. In diesem Zusammenhang möchte ich besonders hinweisen auf die Förderung von Vorhaben in regionalen Fördergebieten mit 545 Millionen — eine Steigerung von 36,3% —, von Existenzgründungen und standortbedingten Investitio-
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Angermeyernen mit 540 Millionen DM — hier liegt eine Steigerung von 8 % —, der Einführung der elektronischen Datenverarbeitung — auch hier eine nicht unbeträchtliche Steigerung, wenn auch der Gesamtansatz vielleicht nicht so bedeutend ist —, die Förderung kleinerer und mittlerer Presseunternehmen — auch dies ist wieder in unveränderter Höhe von 15 Millionen DM vorhanden — und die Finanzierung von Investitionen zur Herstellung neuer Produkte und für Umstellungsinvestitionen in der gewerblichen Wirtschaft mit 120 Millionen DM. Künftig sollen aus dem Programm auch Investitionen zur Herstellung neuer Produkte gefördert werden. Dieser Ansatz ist speziell für kleinere und mittlere Unternehmen gedacht.Noch ein Weiteres konnte in diesem Haushaltsplan fortgesetzt werden. Die Forderung der Liberalen, dem Umweltschutz eine höhere Priorität zu geben, wurde auch hier wieder erfüllt. 530 Millionen DM — das sind etwa 45 % mehr als im laufenden Jahr — stehen für die Abwasserreinigung, die Abfallwirtschaft und die Luftreinigung zur Verfügung, wobei die Abwasserreinigung mit 415 Millionen DM den Löwenanteil erhält. Zusammengefaßt können wir erfreut feststellen, daß die Konzentrierung der Mittel die Bereiche Umweltschutz um 45 %, Investitionsprogramm Berlin um 11 % und Mittelstand um 20% verbessern konnte. Dies, meine Damen und Herren, ist praktizierte Mittelstandspolitik.Wenn Kredite aus dem ERP in der Vergangenheit wegen des niedrigen Zinssatzes am freien Markt vielleicht einmal etwas an Interesse verloren hatten — ich glaube: sicher zu Unrecht —, so ist jetzt doch die Attraktivität dieser ERP-Gelder wieder gestiegen. Die festen Zinssätze, die ich im einzelnen hier nicht zu nennen brauche, sind für den Unternehmer ein fester Kalkulationsfaktor. Damit kann er arbeiten. Die Vorteile einer solchen Finanzierung liegen auf der Hand.Ich möchte zum Schluß noch etwas zu dem Antragsverfahren selbst sagen. Die ERP-Programme werden im Bankenverfahren abgewickelt, d. h., die Verwaltung des ERP-Sondervermögens ist bei den einzelnen Kreditzusagen nicht beteiligt. In einer Zeit, in der wir soviel über die Entbürokratisierung reden, sollte man dies, glaube ich, als besonders positiv erwähnen; denn hier ist ein unbürokratischer Weg gewählt worden und hier wird gerade soviel verwaltet, wie es die Sorgfaltspflicht gegenüber den Bürgern erfordert. Ich meine, die Durchführung der Förderung ist ein Beispiel für die von uns immer wieder vertretene Auffassung.Anknüpfend an meine Eingangsbemerkungen möchte ich den Wunsch äußern, daß die Beratungen zügig abgewickelt werden, damit der Wirtschaft rechtzeitig mit Beginn des nächsten Jahres ein verbindliches Konzept für die Wirtschaftshilfen 1979 angeboten werden kann. Ohne den Beratungen vorgreifen zu wollen, kann ich für meine Fraktion feststellen, daß der Gesetzentwurf in seinen Grundzügen nicht nur ausgewogen, sondern ausgesprochen mittelstandsfreundlich ist.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 8/2241 — federführend — an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. — Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Abgeordneten Krockert, Waltemathe, Müntefering, Conradi, Henke, Immer , Meininghaus, Menzel, Paterna, Polkehn, Schlaga, Wuwer, Mahne, Ibrügger, Wolfram (Recklinghausen) und der Fraktion der SPD
der Abgeordneten Wurbs, Gattermann, Mischnick, Hoffie, Gärtner, Engelhard, Dr.-Ing. Laermann, Spitzmüller, Eimer und der Fraktion der FDP
Städtebaupolitik
— Drucksachen 8/1949, 8/ 2085 —
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Waltemathe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Rettet unsere Städte jetzt" — das war das Motto der 16. Hauptversammlung des Deutschen Städtetages im Jahre 1971 in München. Über sieben Jahre sind seither vergangen, und es stellt sich die Frage, ob Regierung und ob Parlament die Sorgen von damals aufgegriffen haben. Sind also die Städte gerettet? Sind die damals aufgezeigten Probleme gelöst? Haben wir als bundespolitisch verantwortliche Parlamentarier unsere Pflicht getan und im Bodenrecht, im Planungsrecht, in der Raumordnungspolitik, bei der Förderung von Bauen, Erneuerung, Erhaltung und Eigentumsbildung brauchbare Instrumente geschaffen und die Weichen richtig gestellt? Kann man heute von einer Stadtentwicklungspolitik sprechen, die den Bürgern Sicherheit vor Übervorteilungen, vor Umweltschäden, vor familienfeindlichen und kinderfeindlichen Lösungen gewährt?Meine Damen und Herren, die Koalitionsfraktionen haben die Große Anfrage eingebracht, damit einmal Bilanz gezogen werden kann, welche positiven Entwicklungen im Städtebau sichtbar werden, damit aber auch deutlich wird, welche Probleme noch einer Lösung bedürfen, zu der die Bundespolitik einen Beitrag zu leisten hätte.Nun wird man sicherlich die falschen Fragen stellen und die verkehrten Antworten erhalten, wenn man außer Betracht läßt, welche Entwicklung im Städtebau seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stattgefunden hat. Als Politiker, die heute im Parlament die Entscheidungen zu treffen haben, dürfen und sollten wir mit Respekt und Anerkennung die Leistungen der Generationen der Wiederaufbaujahre würdigen, auch wenn manche Stadtentwicklungsprobleme heute wohl mit damaligem Handeln zusammenhängen mögen. Denn in einer Zeit, in der es darauf ankam, die Wirtschaft wieder in Gang zu
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Waltemathebringen, Betriebsstätten wiederherzustellen oder neu zu errichten, in der die Menschen als existentielle Voraussetzung ein Dach über dem Kopf brauchten, war Stadtentwicklungspolitik verständlicherweise gleichzusetzen mit einer Neubaupolitik im Wohnungsbau. Nicht die Probleme des Wohnumfelds oder der Stadtumwelt standen obenan, sondern die Frage nach Wohnungsmenge, Wohnungsausstattung und gleichzeitig aus damaliger Sicht die Frage, wo der zunehmende motorisierte Individualverkehr seine Wege, seine Straßen in den Städten finden würde.Es bleibt eine großartige Leistung des sozialen, des staatlich geförderten Wohnungsbaus, daß nicht nur die Wohnungsnot beseitigt worden ist, sondern daß von vornherein qualitative Anforderungen an Wohnungszuschnitte und Ausstattungen die Forderung nach menschenwürdigen Wohnungen untermauerten.Es mag also sein, daß manche Probleme erst heute entstanden sind aus damaligen Leistungen im Wiederaufbau unserer Städte. Es ist gewiß auch erlaubt, die seitherige Stadtentwicklung kritisch unter die Lupe zu nehmen. Wir alle aber haben Anlaß, Leistungen von damals dankbar anzuerkennen und der heutigen jungen Generation Verständnis für den Wandel in der Sicht der Probleme zu vermitteln.Zum Beispiel müssen wir uns heute u. a. fragen, ob Förderungsrichtlinien des staatlich geförderten Wohnungsbaus nicht auch von vornherein nur Wohnungszuschnitte erlauben, die z. B. der Forderung „Jedem Kind ein Zimmer" im Wege standen oder im Wege stehen.Meine Damen und Herren, wir haben in unserer schriftlichen Anfrage — genauer: im Vorspann -gesagt:Städte und Gemeinden stehen gegenwärtig in einem tiefgreifenden Veränderungsprozeß. Er steht in Ausmaß und Tragweite der vorausgegangenen Phase des Wiederaufbaus zerstörter Städte kaum nach und stellt hohe Anforderungen an Planer und Politiker.Was heißt dies nun konkret? In unseren Städten zeichnen sich, vor allem im Stadtkernbereich, aber auch in den Randgebieten und in den sogenannten Verdichtungsräumen, immer deutlicher bedrohliche Entwicklungen ab: steigende Verkehrsdichte, Umweltbelastungen durch Schadstoffe und Lärm, Verdrängung der Wohnnutzung durch Büro- und Geschäftszentren, Massenwohnungsbau, der die städtebauliche Vielfalt durch Einförmigkeit zu zerstören droht, Zersiedlung und Zerstörung des Landschaftsbildes. Die Städte und Gemeinden drohen „auszufransen", indem die Erholungszonen für Bauten in Anspruch genommen werden, und gleichzeitig ist die Gefahr gegeben, daß in Altbaugebieten der Wohnwert sinkt und die einkommensmäßig Bessergestellten abwandern. Abwanderung bedeutet aber vielfach Einkommensverlust der Städte und Gemeinden und gleichzeitig Zunahme des Verkehrsaufkommens und der Umweltbelastungen; denn es ist nicht so, daß die Abwanderer endgültig auf die Stadt verzichteten. Vielfach wollen sie großzügiger wohnen und/oder ihren Wunsch nach Hauseigentum erfüllen, im übrigen aber die Arbeitsmöglichkeiten und die kulturellen Einrichtungen der Stadt weiterhin nutzen.Wenn wir diese Entwicklungstendenzen richtig werten, so heißt das für die Politik: Wir müssen in den Städten und Gemeinden die Lebensqualität verbessern. Dies kann nicht den Städten und Gemeinden allein überlassen bleiben. Auch künftig wird die Verbesserung der städtischen Lebensqualität auch ein bundespolitisches Thema sein müssen.Es handelt sich also um Politik für die Städte. Das bedeutet nicht unbedingt Abhilfe durch große Einzelreformen, sondern die Schaffung von mehr Lebensqualität durch ein aufeinander abgestimmtes Bündel von Maßnahmen.Ich will einige Maßnahmen herausgreifen. Erster Punkt: „Rettet unsere Städte jetzt!" war 1971 insbesondere ein Appell, das Boden- und Planungsrecht so zu gestalten, daß sich nicht der Spekulant durchsetzt, sondern das Allgemeinwohl zum bestimmenden Faktor der Stadtentwicklung werde. Der damalige Bundespräsident Dr. Gustav Heinemann hat sehr eindrucksvoll auf die Gefahren hingewiesen, die den Städten durch die überwuchernde Bodenspekulation drohten. Ich darf ihn mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren. Er sagte:Wann endlich lesen wir laut und deutlich, daß Art. 14 des Grundgesetzes das Eigentum nicht lediglich gewährleistet, sondern auch von der Möglichkeit spricht, seinen Inhalt und seine Schranken durch Gesetze zu bestimmen? Wann endlich lesen wir laut und deutlich aus Art. 14 des Grundgesetzes, daß jedes Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch zugleich dem Wohl der Allgemeinheit Rechnung tragen soll? Wann endlich erfüllt der Gesetzgeber bei dem Bodenrecht seine verfassungsmäßige Pflicht?So sagte Gustav Heinemann damals.Der Gesetzgeber hat, wenn auch in den Augen der Sozialdemokraten und der sozialliberalen Koalition unzulänglich, versucht, seine Pflicht zu tun. 1971 trat das Städtebauförderungsgesetz in Kraft. Es enthielt und enthält neue Instrumente zur Bekämpfung leistungsloser Bodengewinne und Instrumente zur Planung und Durchsetzung von Vorstellungen zur Erhaltung unserer Städte bzw. von sanierungsbedürftigen Stadtvierteln. Das Städtebauförderungsgesetz stellte auch klar, daß Städteplanung nicht nur ein technischer Vorgang ist, den man allein den Berufsplanern und Berufsarchitekten überlassen darf. Vielmehr muß der Bürger zu einem Subjekt der baupolitischen Aktivitäten in seinem Wohnviertel werden. Er muß an den seinen Bereich betreffenden Planungen beteiligt sein, und auch die sozialen Verhältnisse sind bei den Entscheidungen über Sanierungsmaßnahmen zu untersuchen und zu berücksichtigen.Das Städtebauförderungsgesetz war ein erster gesetzgeberischer Durchbruch in Richtung auf ein verbessertes Boden- und Planungsrecht. Heute, nach sieben Jahren Gültigkeit der Städtebauförderung
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Waltemathedurch Bundesgesetz, fragen wir nach, welche Ergebnisse erreicht, welche Erfahrungen gemacht wurden.Allerdings haben wir als Parlament einen Teil der Antwort schon selber gegeben, indem wir vor zwei Jahren ein neues Bundesbaugesetz als allgemeines Instrument für Städteplanung geschaffen haben. Haben wir als Gesetzgeber damit nun unsere Pflicht getan, oder klaffen immer noch Lücken? War es nicht doch ein Fehler, daß die Mehrheit des Bundesrats Abschöpfungsmaßnahmen bei Planungswertsteigerungen an Grundstücken zu Fall gebracht hat?, Schon lesen wir in Berichten, daß die Baulandpreise um über 20 % steigen. Schon erfahren wir von neuartigen Spekulationen im Althausbestand.Eine einfache Überschlagsrechnung sollte auch für den künftigen Bedarf an Baugelände einmal angestellt werden. Unterstellen wir einmal, daß in näherer Zukunft jährlich etwa 200 000 Eigenheime und Zweifamilienhäuser neu gebaut werden, und unterstellen wir weiter, daß für den jeweiligen Bauplatz ein leistungsloser Vermögensvorteil beim bisherigen Grundbesitzer von etwa 10 000 DM anfallen würde, so wären das insgesamt 2 Milliarden DM. Die Frage bleibt also, ob es sinnvoll sein kann, aus direkten Steuermitteln rund 3,4 Milliarden DM pro Jahr von Bund und Ländern für die Förderung der Bausparer aufzuwenden und seitens Bund, Ländern und Gemeinden auf annähernd 3 Milliarden DM an Steuereinnahmen als Folge der Inanspruchnahme des § 7 b des Einkommensteuergesetzes zu verzichten, wenn gleichzeitig einzelne 2 Milliarden DM Gewinn einstecken, der noch nicht einmal versteuert werden muß.Wenn wir wissen, daß der Bedarf an Wohnflächen und Umwidmungen wieder steigen wird, bleibt auch die Frage, ob unsere Bodenordnung insgesamt gerecht ist oder ob die Eigentumsgarantie für den bisherigen Eigentümer gleichzeitig die Eigentumsbildung der breiten Schichten behindert.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Waltemathe, da Sie im Hinblick auf die Grundstückspreise den Planungswertausgleich angesprochen haben, habe ich die Frage: Kann nach dem Modell, das Ihnen vorschwebt, der Grundstückspreis durch die Erhebung eines Planungswertausgleichs gesenkt werden? Bei Ihrem Modell soll doch offensichtlich auch der Verkehrswert gezahlt werden, nur soll das, was hereinkommt, anders aufgeteilt werden.
Herr Kollege Jahn, ich bin der Meinung, daß durch Abschöpfungsmaßnahmen, seien sie steuerlicher Art, sei es eine andere Abgaben- art, die Grundstückspreise in der Tat gesenkt werden können und die Gewinne nicht einzelnen, sondern der Allgemeinheit zufließen. Diese Abschöpfungsmaßnahmen könnten zusätzlich dazu dienen, die Grundstückskosten für den einzelnen, der eigengenutztes Eigentum erwerben will, zu senken. Insofern meine ich, es muß eine aktuelle Frage unserer Bodenpolitik bleiben, darüber nachzudenken, ob im Bodenrecht schon wirklich alles getan ist oder ob noch Ergänzungen notwendig sind.
Ein zweites Beispiel. Politik für die Städte meint auch eine positive Lenkung von Investitionen hinzu städtebaulich relevanten Bereichen, die bisher vernachlässigt wurden. Ich weiß, Herr Kollege Kolb, Investitionslenkung ist natürlich ein Reizwort. Aber ich frage Sie und uns alle: Ist nicht die Vergabe von Städtebauförderungsmitteln eine Lenkung von Investitionen? Und war nicht der bis Ende 1976 geltende § 7 b des Einkommensteuergesetzes ein ganz eindeutiges steuerrechtliches Instrument, um nur Neubauinvestitionen zu fördern, Erhaltungsinvestitionen im Städtebau aber zu benachteiligen? Wer bis dahin Eigentum an seiner Wohnung haben wollte, mußte, um Steuervorteile wahrnehmen zu können, neu bauen. Und wo wurde neu gebaut? Auf der grünen Wiese; vorwiegend nicht in den Städten und Gemeinden, sondern in ihren Randzonen. Soweit in der Stadt z. B. Altbauten gekauft wurden, geschah dies vielfach, um die Gebäude abzureißen und das frei gemachte Grundstück neu zu bebauen; denn auch das hatte wieder steuerliche Vorteile, während die Erhaltung der Gebäude keine steuerlichen Vorteile mit sich gebracht hätte.Das nenne ich Investitionslenkung durch Steuervorschriften. Es ist sicherlich auch ein Beleg für die damals vorherrschende Meinung, daß alles, was alt war, schlecht war. Wir drohten auch im Wohnungs- und Städtebau zu einer Wegwerfgesellschaft zu werden.Drittes Beispiel: Wir haben Boden- und planungsrechtliche Vorschriften, Gestaltungsmöglichkeiten im Steuerrecht, Bausparförderung, Wohnungsbauförderung und Modernisierungsgesetzgebung immer auch unter dem Gesichtspunkt betrachtet, ob die politischen Vorgaben geeignet sind, möglichst viele Bürger, die dies wollen, in die Lage zu versetzen, Eigentum an ihrer Wohnung zu bilden und somit das Bodeneigentum, insbesondere das eigengenutzte Bodeneigentum breit zu streuen. Wir wissen, daß 80 von 100 Bürgern den Wunsch haben, ein eigenes Häuschen oder wenigstens eine eigene Wohnung zu besitzen, daß aber dieser Wunsch allenfalls bei der Hälfte derjenigen, die ihn haben, auch schon Wirklichkeit geworden ist.Die Politik im Städtebau muß diese weitverbreiteten Wünsche sicher berücksichtigen. Sie darf aber nicht den Gesichtspunkt vernachlässigen, daß alle Bürger einen Anspruch auf angemessenes Wohnen zu angemessenen Bedingungen haben. Deshalb darf Eigentumspolitik im Städtebau nicht dazu führen, daß Regelungen im Mietrecht und im Modernisierungsrecht unterlassen werden. Wir als Gesetzgeber haben nicht das Recht, den Werbeslogan „Hast du was, bist du was" so in politische Realität umzusetzen, daß im Wohnungs- und Städtebau die Habenden alle Rechte und Ansprüche und die anderen, die Mieter, keine gesicherten Rechte haben.
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WaltematheStadterhaltungspolitik muß unter diesem Blickwinkel zweierlei beinhalten. Zum einen müssen Möglichkeiten nachgewiesen werden, gegebenenfalls durch neue Bauformen, vielleicht auch durch neue Rechtsformen, zu eigenen vier Wänden in der Stadt zu kommen. Der Gesetzgeber hat nämlich nicht das Recht, jemanden mit staatlichen Maßnahmen an einem Mieterstatus festzuhalten, den er eigentlich verlassen möchte.Zweitens müssen durch Gestaltung des Mietrechts und des Modernisierungsrechts Möglichkeiten nachgewiesen werden, auch als Nichteigentümer in der Stadt wohnen bleiben zu können. Der Gesetzgeber darf zwar Anreize zur Eigentumsbildung gewähren, aber keinen Zwang zum vermeintlichen Glück ausüben.Diese Doppelgleisigkeit der Städtebaupolitik ist eine große Herausforderung, wenn man sieht, daß eine Bausparsumme von etwa 180 Milliarden DM vorhanden ist, die zu einem großen Teil zur Eigentumsbildung verwendet werden wird, und gleichzeitig Modernisierungsbemühungen immer noch an den Wohnvierteln vorbeigehen, in denen die sozial Schwächeren wohnen, z. B. an Arbeitersiedlungen mit kleinen Mietwohnungen.Viertes Beispiel: Der Appell „Rettet unsere Städte jetzt!" hatte auch mit dem drohenden Erstickungstod der Städte zu tun, die die Lawinen von Individualverkehr und Warentransporten nicht mehr verkraften konnten. Stadtplanung war vielfach eine von der Gesamtschau der Stadtentwicklung abgehobene technische Verkehrsbewältigungsplanung.Auch bei diesem Thema darf es nicht darum gehen, alles, was in der Vergangenheit geschehen ist, als sündhaft und falsch darzustellen. Es geht vielmehr darum, heute eine kritische Bilanz der Probleme zu ziehen, die sich für die Zukunft ergeben.Bei der Bevölkerung und auch bei den Politikern gibt es ein geschärftes Umweltbewußtsein. Wir haben auch neue Vorschriften geschaffen, damit Bürger bei der Planung der Stadtentwicklung, also bei der gemeindlichen Planung, mitwirken können.Aber nun stellt sich die Frage, ob unser Städtebaurecht nicht in Richtung auf eine verstärkte Beteiligung der Bürger auch bei den sogenannten überörtlichen Planungen nach dem Fernstraßengesetz, dem Energiewirtschaftsgesetz oder dem Personenbeförderungsgesetz und anderen Spezialgesetzen zu ergänzen ist. Es ist weiter zu fragen, ob sich nicht womöglich manche Bestimmungen hinsichtlich der Erlangung von Bundes- oder Landesmitteln oder beiden beispielsweise für den Straßenbau als „goldene Zügel" oder — besser gesagt — „goldene Fessel" für kommunale Entscheidungen erweisen. Es werden bestimmte Trassenführungen, Radien und Straßenbreiten vorgeschrieben, ohne deren Berücksichtigung finanzielle Zuwendungen entfallen.
Das Stichwort „Bürgerbeteiligung" gibt mir Veranlassung, noch etwas genauer darauf einzugehen. Als wir das Bundesbaugesetz beraten haben, waren sich alle Fraktionen in diesem Hause einig, daß städtebauliche Planungen nicht über die Köpfe der Bürger hinweg, hinter möglichst gut abgeschlossenen Türen stattfinden dürfen, sondern daß sie unter Einbeziehung des Sachverstandes der Bürger mit dem Fachverband der Planer erfolgen sollen, wobei — darüber waren wir uns auch einig — das letzte Wort die gemeindlichen Parlamente haben müssen. Schlagwortartig ausgedrückt: wir waren für eine offene demokratische Mitwirkungsmöglichkeit der Bürger.Nun wurde die Befürchtung geäußert, daß damit alle Planung langwieriger — ich will nicht sagen langweiliger, aber langwieriger —, langandauernder würde, daß sozusagen der mitwirkende Bürger ein Investitionshemmnis bedeuten könne. Hat sich nun im Bereich des Städtebauförderungsgesetz und im Bereich des Bundesbaugesetzes eine Verhinderung von Planungs- und Investitionsentscheidungen wegen der verstärkten Bürgerbeteiligung ergeben, oder hat die Planungsqualität durch größeren öffentlichen Begründungszwang und den Zwang, auch über Alternativen nachdenken zu müssen, zugenommen? Sind Planungsvorgänge inzwischen transparenter, d. h. für den einzelnen Bürger vermittelbarer und durchschaubarer geworden? Ich darf hier noch einmal mit Genehmigung des Herrn Präsidenten Gustav Heinemann zitieren, der 1971 die Frage stellte — —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie: Es steht nirgends in der Geschäftsordnung, daß der Präsident seine Zustimmung geben muß, wenn Sie zitieren wollen. Es wäre nur richtig im Sinne des Verstehens, daß Sie Anfang und Ende des Zitats erkenntlich machen.
Vielen Dank, Herr Präsident. — Ich zitiere also Gustav Heinemann mit einer Frage, die er 1971 auf dem Städtebaukongreß gestellt hatte:Wo behält bürgerliche Mitverantwortung noch Raum für Mitbestimmung, wenn die Zusammenhänge immer undurchsichtiger werden?Meine Damen und Herren, „Rettet unsere Städte jetzt!", das war 1971 teilweise gegründet auf die Befürchtung, die Städte und Gemeinden würden mit den Problemen der Ballung, des Zuzugs vom Lande in die Stadt nicht mehr fertig werden, sie würden auch die Infrastruktureinrichtungen nicht finanzieren und vorhalten können, die für eine anwachsende Zahl von Bewohnern bereitstehen müssen. Heute scheint es so zu sein, als sei diese Befürchtung abgewendet. Die Städte beklagen sich heute über sinkende Einwohnerzahlen und Abwanderung gerade der einkommensstärkeren Bevölkerungsteile in das Umland, über die Nichtauslastung vorhandener sozialer, kultureller Infrastruktureinrichtungen und über ein Anwachsen des Pendelverkehrs. Wenn in Stadtzentren und in sogenannten citynahen Bereichen nicht mehr gewohnt würde, würden die Städte absterben. Das pulsierende Leben fände am Tage zu den Geschäfts- und Einkaufszeiten statt, nachts hätten wir es mit Geisterkommunen zu tun. Die Lebensfähigkeit unserer Städte hängt mithin davon ab, ob
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Waltemathees gelingt, durch gebündelte Maßnahmen und eine Gesamtschau der Stadtentwicklungspolitik die Abwanderung zu stoppen, Stadtviertel zu erneuern, zu modernisieren, zu regenerieren, Möglichkeiten der Eigentumsbildung in der Stadt anzubieten und gleichzeitig gegen Vertreibungseffekte zu Lasten einkommensschwächerer Bewohner anzugehen.Deshalb fragen wir zusammenfassend die Bundesregierung:1. Haben sich die gegen die Bodenspekulation gerichteten Vorschriften des Städtebaurechts bewährt oder müssen sie gegebenenfalls noch ergänzt werden?2. Hat die Planungsqualität in den Städten und Gemeinden durch Zurverfügungstellung neuer planungsrechtlicher Instrumente, aber auch durch Bürgerbeteiligung und Sozialplanung zugenommen?3. Haben neue Förderungs- und Steuervorschriften bewirkt, daß sowohl die Eigentumsbildung im Wohnungsbau erleichtert als auch die Stadterhaltung günstig beeinflußt wurden?4. Werden ergänzende Instrumente benötigt, um die Modernisierung von Wohnungen besser mit einer Regenerierung von Stadtvierteln unter Einbeziehung des Wohnumfeldes verknüpfen zu können?5. Wie können Raumordnungspolitik und Stadtentwicklungspolitik so miteinander verwoben werden, daß auch für die Stadtränder und das Stadtumland schlüssige siedlungspolitische Konzeptionen erarbeitet werden können?Meine Damen und Herren, Herr Minister Haack, die Fraktionen der sozialliberalen Koalition werden die Bundesregierung auch in Zukunft dabei unterstützen, die aus der Sache gebotene Zusammenarbeit mit Ländern und mit Gemeinden zu verstärken und die Instrumente für eine praxisbezogene Stadtentwicklungspolitik zur Verfügung der Gemeinden und ihrer Bürger zu stellen.
Das Wort hat der Bundesminister für Städtebau und Raumordnung, Herr Minister Haack. Sie haben einen Riesentitel, Herr Bundesminister: für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich, daß -Sie sich korrigiert haben, Herr Präsident. Ich wollte Sie nicht über den genauen Titel des Ministeriums belehren müssen. Er ist sehr schwierig, und es gibt sehr wenige, die das genau wissen. Auch ich habe immer Schwierigkeiten, wenn ich das darlegen muß.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf mich bei den Koalitionsfraktionen für die Einbringung der Großen Anfrage bedanken, auch für die Begründung durch den Abgeordneten Waltemathe. Diese Große Anfrage hat der Bundesregierung die Möglichkeit gegeben, in der schriftlichen Antwort, die Ihnen vorliegt, die gegenwärtigen Probleme darzustellen, auf die Leistungen der Vergangenheit einzugehen und über die Zukunftsaufgaben zu sprechen.Es kann keinen Zweifel geben, daß unsere städtebaulichen Probleme wachsendes Interesse in unserer Bevölkerung finden. Ich meine, daß sich in den letzten Jahren glücklicherweise in weiten Kreisen unserer Bevölkerung das Bewußtsein dafür geschärft hat, wie wichtig die Stadtentwicklung auch für die Existenz jedes einzelnen Menschen ist. Denn es geht nicht nur um die Wohnung, sondern es geht auch darum, in welchem Wohnumfeld die Wohnung liegt. Die Entwicklung einer Stadt ist für die Menschen in einer Stadt von existentieller Bedeutung. Deshalb begrüßen wir es, daß diese Probleme auch stärker in die politische Diskussion kommen und daß sie nicht nur den Fachleuten überlassen bleiben.Natürlich haben sich die Probleme in den letzten Jahren wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen unseres Lebens geändert. Wir haben heute eine andere Situation als in den 50er und 60er Jahren, als es darum ging, die akute Wohnungsnot zu beseitigen. Ich halte deshalb auch nichts davon, daß wir uns jetzt ausschließlich mit Fehlentwicklungen der Vergangenheit kritisch auseinandersetzen,
sondern ich halte es für viel sinnvoller, uns darüber klarzuwerden, wie wir die Probleme der Zukunft angehen wollen.Wir stehen heute in einer neuen Phase, in der Phase des Stadtumbaus. Die damit verbundenen Aufgaben stehen denen des Wiederaufbaus nach dem Kriege in keiner Weise nach. Sie verlangen sogar, so meine ich, von all denen, die hier beteiligt sind, eine größere Flexibilität und vielleicht auch einen größeren Ideenreichtum.Zu den gegenwärtigen stadtentwicklungspolitischen Problemen gehört auch, daß sich die Wohnwünsche unserer Bevölkerung qualitativ verändert haben, daß mit Recht größere Wohnungen gefordert werden mit mehr und größeren Räumen, mit einer besseren Ausstattung, daß auch der Wunsch nach Wohneigentum größer geworden ist, vor allem der Wunsch nach einem verbesserten Wohnumfeld. Die Schwierigkeit besteht darin, daß die Entwicklung unserer Städte in den letzten Jahrzehnten eine etwas andere Richtung genommen hat und daß diese Wünsche, die immer wichtiger werden — das zeigt jede Umfrage —, nicht immer oder nur selten im städtischen Bereich tatsächlich befriedigt werden können. Die qualitativ geänderte Nachfrage kann also nur in begrenztem Umfang in den Städten erfüllt werden. Es fehlen genügend große Wohnungen, die gewünschte Wohnumfeldqualität und Möglichkeiten der Eigentumsbildung. Dagegen war die Entwicklung in unseren Städten in der Vergangenheit dadurch gekennzeichnet, daß wir eine Verdrängung der Wohnnutzung hatten und in deren Folge die bekannte Stadtumlandwanderung.Die schlechten Wohnumfeldverhältnisse in unseren Städten werden heute in erster Linie durch den
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Bundesminister Dr. Haackinnerstädtischen Verkehr, Verkehrslärm, unzureichende Parkverhältnisse und ähnliches sowie durch den Mangel an wohnnahen Freiflächen in der Stadt bestimmt. Nach der Wohnungsstichprobe 1972 lagen insgesamt 30 % der bewohnten Grundstücke an einer verkehrsreichen Straße; in Misch- und Kerngebieten waren es sogar 50 bis 60 %. Die Freizeit der Stadtbewohner kann auf Grund dieser Entwicklung nicht wohnungsnah verbracht werden, wie es eigentlich gewünscht wird. Die Freizeitfunktion der Straße ist weggefallen. Es sind zu wenig Frei- und Grünflächen im städtischen Bereich vorhanden. Leidtragende dieser Entwicklung sind vor allem Familien mit Kindern. Durch diese Entwicklung haben viele unserer großen Städte in den letzten Jahren bis zu 1 % ihrer Bürger an das jeweilige Stadtumland verloren.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat mit anderen Verantwortlichen diese Probleme und Entwicklungen erkannt. Sie hat sich bemüht, ein Konzept zu erarbeiten, das wir weiter verbessern müssen. Es geht um die konsequente Sanierung und Stadterneuerung. Es geht um die konsequente Modernisierung. Es geht darum, sich zu bemühen, daß die Eigentumsbildung auch im städtischen Bereich möglich ist. Und es geht schließlich darum, das Wohnumfeld wesentlich zu verbessern, da hier eine der wesentlichen Ursachen für die Stadtflucht zu suchen ist.Diese vier Punkte sind auch für mich, sind für die Bundesregierung die zentralen Aufgabenbereiche der Städtebaupolitik in den nächsten Jahren. Ich will ergänzend zu dem, was wir in der Antwort auf die Anfrage ausgeführt haben, einige Bemerkungen zu diesen vier tragenden Pfeilern unserer Städtebaupolitik machen.Erstens Stadtsanierung und Stadterhaltung. Es ist soeben schon von Herrn Waltemathe darauf hingewiesen worden, daß das Städtebauförderungsgesetz, das mittlerweile sieben Jahre alt ist, eine wichtige gesetzliche und finanzielle Grundlage für die Stadterneuerung und die Stadterhaltung gewesen ist. 85 % unserer Gemeinden — das hat eine Umfrage ergeben, die vor kurzem in unserem Auftrag gemacht worden ist — haben sich positiv zu dem Städtebauförderungsgesetz geäußert. Das war auch der Grund, warum wir wichtige Instrumente dieses Städtebauförderungsgesetzes, das ursprünglich nur auf die Sanierung im engeren Sinne und auf Stadtentwicklungsgebiete konzentriert war, übertragen haben in das gesamte Baurecht, z. B. die Bürgerbeteiligung, die Sozialplanung.Bis heute haben wir uns auch mit den finanziellen Hilfen des Bundes bemüht, unsere Gemeinden in diesen zentralen Aufgabenbereichen zu unterstützen. Für weit über 600 Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen hat allein der Bund knapp 2 Milliarden DM bereitgestellt; die Länder und Gemeinden haben sich in derselben Größenordnung beteiligt. In der Finanzplanung des Bundes, die ja demnächst auch hier beraten werden wird und über die abgestimmt werden muß, haben wir die Verpflichtungsrahmen im Bereich der Städtebauförderung für die Jahre bis 1982 angehoben.Es kann natürlich nicht bestritten werden, daß wir hier einen sehr engen finanziellen Spielraum haben und daß wir auch in den nächsen Jahren beachtliche Finanzierungsprobleme in der Städtebauförderung haben werden, gerade auch im Blick auf den immer wichtiger werdenden Ersatzwohnungsbau in Sanierungsgebieten. Ich gehe davon aus, daß wir mittelfristig gesehen, einen Bedarf von etwa 100 000 Wohneinheiten im Rahmen des Ersatzwohnungsbaus in Sanierungsgebieten haben., Die meisten Gemeinden haben aber heute schon Schwierigkeiten, ihren Finanzanteil aufzubringen; sie strecken daher die notwendigen Sanierungsmaßnahmen. Auch die Privateigentümer in Sanierungsgebieten, von denen wir eigene Investitionen erwarten müssen, haben nur ein geringes Finanzpolster. Unsere Sonderprogramme der letzten Jahre, vor allem das Zukunftsinvestitionsprogramm mit der 1 Milliarde DM allein für Stadtsanierung, haben hier wenigstens etwas helfen können.Ich meine also, das Städebauförderungsgesetz hat sich im Grundsatz bewährt. Ich schließe allerdings nicht aus — abgesehen von den finanziellen Problemen —, daß es weiterentwickelt und vereinfacht werden muß.Einen ersten Weg haben wir beschritten mit der Beschleunigungsnovelle zur Änderung des Bundesbaugesetzes und des Städtebauförderungsgesetzes. Dieser Gesetzentwurf wird morgen im Bundesrat beraten werden. In den Ausschußberatungen des Bundesrates haben sich die Länder im Grundsatz positiv zu diesem Gesetzentwurf erklärt. Ich meine aber, daß wir uns in den nächsen Jahren durchaus überlegen müssen, wie wir das Förderungsinstrumentarium des Städtebaugesetzes verbessern, auch in der Handhabung flexibler gestalten können. Ich werde darauf gleich noch eingehen.Die zweite Säule unserer Städtebaupolitik ist die Modernisierung. Spätestens seit 1974 ist die Wohnungsmodernisierung ein wesentlicher Bestandteil unserer integrierten Städtebau- und Wohnungspolitik. Seitdem hat die Modernisierungspolitik auch große Erfolge aufweisen können. Allein 600 000 Wohnungen konnten mit Hilfe des Bund-LänderModernisierungsprogrammes erneuert und wesentlich verbessert werden. Hierzu kommen die Ihnen allen bekannten steuerlichen Modernisierungshilfen, die Sonderprogramme und schließlich das Energiesparprogramm, das am 1. Juli dieses Jahres in Kraft getreten ist. Die große Nachfrage zeigt, wie wichtig und wie wirkungsvoll die Modernisierungspolitik ist. Sie hat privates Investitionsvolumen von jährlich mehreren Milliarden DM mobilisiert. Wir rechnen mit einer mittelfristigen Nachfrage bei der Modernisierung in Höhe eines Drittels des derzeitigen Neubauvolumens. Das heißt, hier liegen große Chancen für die Erneuerung unserer Städte.Aber — und das muß kritisch angemerkt werden — die Modernisierung wirkt regional und städtebaupolitisch noch undifferenziert. Wirkliche Problemquartiere werden nicht immer erreicht, kränkelnde Altbauquartiere sinken deshalb weiter ab. Problemzonen gibt es vor allem dort, wo wir eine große
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Bundesminister Dr. HaackEinwohnerdichte und eine große Baudichte, kleinere, schlecht ausgestattete Wohnungen, Eigentümer- und Mieter mit geringer Finanzkraft und ein stark belastetes Wohnumfeld haben. 10 bis 20 % unseres Wohnungsbestandes liegen in solchen Quartieren. In den größeren Städten ist der Anteil noch größer. Daher, meine ich, wird für die Zukunft eine bessere regionale Konzentration der Mittel notwendig sein, vor allem eine Förderung der Intensivmodernisierung und eine Koppelung von Modernisierung und Wohnumfeldverbesserung.Der dritte Punkt: die verbesserte Eigentumsbildung, auch im städtischen Bereich. Wir wissen aus allen Umfragen und aus allen Gesprächen, daß die überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung den Wunsch hat, Eigentum und Vermögen im Wohnungsbau zu bilden. Die Bundesregierung respektiert diesen Wunsch nicht nur, sondern sie versucht mit dazu beizutragen, daß ein möglichst großer Teil unserer Bevölkerung diesen Wunsch auch realisieren kann.
Für die Eigentumsbildung kam bisher — auch das müssen wir berücksichtigen, wenn wir über Städtebaupolitik diskutieren — fast ausschließlich das Stadtumland oder der Stadtrand in Frage. Wir bemühen uns darum — das ist eine zentrale Aufgabe der Zukunft —, Eigentumsbildung auch in den Städten zu ermöglichen. Ein wichtiger Schritt war im Jahre 1977 die steuerliche Gleichstellung von Altbau und Neubau — Herr Waltemathe hat mit Recht auch auf diesen wichtigen Punkt hingewiesen — durch die Erweiterung der Steuerabschreibungsmöglichkeiten des § 7 b und durch die Grunderwerbsteuerbefreiung.Ich weise auch bei der gegenwärtigen berechtigten, bei der aktuellen Diskussion über den spekulativen Verkauf alter Wohnungen auf diesen Punkt hin. Wir werden uns darum bemühen, daß es nicht zu einem solchen spekulativen Verkauf kommt, und zwar im Interesse der Mieter, die davon betroffen sind.
Das darf aber nicht dazu führen, daß die Entwicklung, die wir im letzten Jahr mit der Ausweitung des § 7 b auf den Eigentumserwerb eingeleitet haben, auch hinsichtlich der Chancen für Mieter, ihre bisherigen Wohnungen mit steuerlichen Erleichterungen erwerben zu können, durch das Sonderproblem des spekulativen Verkaufs gebremst wird. Denn die ersten Untersuchungen, etwa die einer großen Bausparkasse, haben deutlich gemacht, daß gerade Familien mit einem niedrigen Einkommen von diesen Erleichterungen dadurch profitieren, daß es ihnen jetzt möglich ist, Eigentum zu erwerben, das in einem Neubau mit höheren Kosten in dieser Form nicht möglich gewesen wäre. Das heißt, diese verbesserte Eigentumsbildung, diese Verbesserung der steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten, war sowohl städtebaupolitisch als auch familienpolitisch entscheidend notwendig, weil wir dadurch die Eigentumsschwelle wegen geringerer Anschaffungskosten bei Altbauten gesenkt haben. Dadurch haben wir auch bessere Chancen für Familien mit Kindern, auch für einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen beim Eigentumserwerb geschaffen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte, Herr Dr. Jahn.
Herr Minister, da Sie die eigentumsbildende Wirkung des § 7 b hier so herausgestellt haben, habe ich die Frage, ob Ihnen bekannt ist, daß in den Reihen der Bundestagsfraktionen von SPD und FDP an eine Systemveränderung des § 7 b gedacht ist, wie gestern auch schon von einem Sprecher im Ausschuß angekündigt worden ist.
Ich sehe darin überhaupt keinen Widerspruch, sondern eine Ergänzung dessen, was ich hier gesagt habe.
Denn dann, wenn eine Systemumstellung erfolgt, hat sie gerade den Sinn, den finanzschwächeren Bevölkerungskreisen eine Eigentumsbildung stärker zu ermöglichen,
oder, anders ausgedrückt, dann hat sie das Ziel, daß die Steuererleichterungen nicht einseitig bestimmte Einkommensgruppen begünstigen.
Meine Damen und Herren, worum es in Zukunft geht, ist, daß wir die Möglichkeiten des Eigenheimbaus, die Möglichkeiten des Eigentumserwerbs in unseren Städten verbessern. Hier wollen wir von seiten der Bundesregierung mit unserem StadthausKonzept einen kleinen Beitrag liefern, einen Beitrag als Idee, als Vorschlag, man kann auch sagen, als Experiment. „Stadthaus" bedeutet grundstücksparendes, kostengünstiges Bauen als Alternative zum Hochhaus auf der einen und zur Landschaftszersiedlung auf der anderen Seite. Das Stadthaus-Konzept des Bundes soll wohnungs- und städtebaupolitische Aufgaben gleichermaßen erfüllen. Wir suchen neue städtische Wohnformen, die vom Wohnort, vom Freizeitwert, von den Kosten her eine echte Alternative zum heute bevorzugten Wohneigentum im Stadtumland sind. Das heißt, mit attraktiven stadtgemäßen Wohnformen wollen wir zwei Ziele erreichen: die Eigentumsbildung im Wohnungsbau fördern und die Stadtflucht vermindern.Wir legten dazu vor einigen Monaten ein mehrstufiges Programm vor: zunächst modellhaft Bau von 100 Stadthäusern in vier Städten des Bundesgebietes einschließlich Berlins bis 1979, 1980 dann das Bundesprojekt „Wohnen in der städtebaulichen Verdichtung". Begleitende Forschung soll sicherstellen, daß die Stadthaus-Konzeption nicht bei einer Musterhausschau steckenbleibt. Das heißt, diese Idee kann durchaus ein wichtiges Element einer sied-
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Bundesminister Dr. Haacklungspolitischen Konzeption auch für das Stadtumland werden.Ich darf darauf hinweisen, daß es bereits eine — bedauerlicherweise schon wieder verengte — Diskussion über das Stadthaus gibt. Ich verstehe darunter nicht nur das Bauen im Zentrum der Stadt selbst, in der Baulücke, etwa in den Bereichen des Ersatzwohnungsbaus in Sanierungsgebieten, sondern auch eine flächensparende Bebauung in der Stadt insgesamt bis hin zum Stadtrand, weil wir aus unterschiedlichen Gründen erreichen müssen, daß möglichst viele Menschen in der Stadt — nicht nur im Stadtzentrum, sondern im gesamten Gebiet der Stadt — bleiben. Es geht also im wesentlichen um ein flächensparendes Bauen, um ein verdichtetes Bauen.Meine Damen und Herren, ich darf aber, um keine Illusionen zu wecken, deutlich sagen: Hier geht es um e i n Mittel für das Wohnen in der Stadt, nicht um ein Allheilmittel, mit dem alle Probleme gelöst wären. Ich warne bei dieser Gelegenheit überhaupt vor jeglichem Patentrezept. Auch mein konsequentes Eintreten für die Eigentumsbildung generell, für die Eigentumsbildung im städtischen Bereich soll keine Ideologie sein.
Es muß deutlich sein, daß wir selbstverständlich trotz einer verstärkten Eigentumsbildung nach wie vor auch Mietwohnungen brauchen, gerade im städtischen Bereich,
gerade für die Personengruppen, die staatlicher Hilfe besonders bedürfen: junge Familien, alte Menschen und Schwerbehinderte.Ich möchte ebenso deutlich machen, daß auch unser konsequentes Eintreten für den Erhaltungsgedanken im Städtebau keine Ideologie ist. Ich wende mich dagegen, daß wir in der Bundesrepublik, wofür es gewisse Anzeichen gibt, von einem Extrem ins andere fallen: in den 60er Jahren zu wenig Berücksichtigung der Erhaltung erhaltungswürdiger Bausubstanz; heute hat man dann und wann das Gefühl, daß es Leute gibt, die glauben, jedes alte Gebäude aus der Vorzeit müsse unbedingt erhalten werden. Ich wende mich auch hier gegen einen übertriebenen Denkmalschutz.
Worum es geht — nicht nur im Städtebau, sondern, wie ich meine, immer in der Politik; aber ich spreche zur Zeit nur vom Städtebau —, ist eine Politik mit Augenmaß, nicht eine Politik, die ideologisiert ist, nicht eine Politik, die alle zehn Jahre in andere Extrempositionen verfällt,
eine Politik, die an den Bedürfnissen und an den Wünschen unserer Bürger orientiert ist.So verstehe ich auch die Bürgerbeteiligung, die wir etwa im neuen Bundesbaugesetz verankert haben. Bürgerbeteiligung kann nicht bedeuten, daß sich derjenige, der nur, rein egoistisch gesehen, ein Problem hat — vielleicht den Straßenlärm vor seinem eigenen Haus —, mit anderen unter der modisch klingenden Bezeichnung „Bürgerinitiative" zusammenschließt und dann noch die Leute attakkiert, die sich als Gemeindevertreter 20 Jahre lang um die Probleme ihrer Bürger gekümmert haben.
Wir verstehen unter Bürgerbeteiligung und Bürgermitwirkung, daß sich der Bürger für das gesamte Geschehen seiner Gemeinde verantwortlich fühlt. Natürlich kann er dabei auch seine eigenen Interessen legitimerweise vertreten.Der vierte und letzte Punkt in diesem Konzept, mit dem nach meiner Auffassung — jedenfalls bei enger Zusammenarbeit aller Beteiligten — unsere Probleme der Zukunft zum großen Teil zu lösen sind, ist die Wohnumfeldverbesserung. Ich habe vorhin schon in anderem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die städtebaulich problematischen, älteren Bauquartiere zunehmend in die Gefahr des Absinkens geraten. Die bisherigen Modernisierungsförderungsmittel sind vorwiegend in die Nachkriegsbestände geflossen, obwohl die Zahl der modernisierungsbedürftigen Wohnungen dort nicht überwiegt. Demgegenüber sind zuwenig öffentliche Modernisierungsmittel in die alten Bestände geflossen, dorthin, wo wir einen besonderen Bedarf haben. Die Bund-Länder-Modernisierungsprogramme seit 1974 — seit 1977 auf der gesetzlichen Grundlage des Wohnungsmodernisierungsgesetzes — gehen von dem Grundsatz aus, daß Modernisierung Aufgabe des Eigentümers sei. Der Staat soll sich im wesentlichen auf finanzielle Anreize zur privaten Investition beschränken.Dieser Grundsatz setzt jedoch, wenn er funktionieren soll, zweierlei voraus: Das Wohnumfeld muß in Ordnung sein, und die Eigentümer und die Mieter müssen in der Lage sein, die privat zu finanzierenden Modernisierungskosten auch tatsächlich zu tragen. Beides ist aber in den wirklich gefährdeten Altbaugebieten zum großen Teil nicht der Fall. Am meisten fehlt bisher eine Verbindung von Wohnungsmodernisierung und Wohnumfeldverbesserung. Wohnumfeldverbesserung — darüber sollte es keinen Zweifel geben — ist natürlich eine öffentliche Aufgabe. Sie besteht u. a. auch darin, das Investitionsklima für private Investitionen zu verbessern. Denn eine Wohnungsverbesserung durch Modernisierung lohnt nur dann und ist auch nur dann zu erwarten, wenn das Wohnumfeld gleichzeitig oder vorher verbessert wird. Wir brauchen also in Zukunft ein Instrumentarium, das ohne den bei der klassischen Sanierung notwendigen formalen Aufwand die gezielte Erneuerung einzelner Gebäude und kleinerer Quartiere ermöglicht, zu Aus- und Umbaumaßnahmen geeignet ist, dem Ersatzwohnungsbau in Sanierungsgebieten hilft und vor allem auch der Verkehrsberuhigung in Wohnquartieren dient.Ich meine, daß das die zentralen Aufgaben sind. Dabei muß die Wohnumfeldverbesserung in die kommunale Entwicklungsplanung eingeordnet werden. Kommunale Maßnahmen zur Verbesserung der Wohnumgebung müssen durchgesetzt werden. Dabei geht es auch um eine gezielte Beratung von Eigen-
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Bundesminister Dr. Haacktümern und Mietern über die Möglichkeiten der Finanzierung, der Förderung, über Mieterhöhungsprobleme, Mieterrechte usw. Ansätze für ein solches Instrument der Wohnumfeldverbesserung sind im geltenden Modernisierungsrecht bereits enthalten: Förderung nach dem Schwerpunktprinzip gehört z. B. dazu; Modernisierung als dauerhafte Verbesserung der allgemeinen Wohnverhältnisse, Abhängigkeit öffentlicher Modernisierungsmittel von begleitenden Maßnahmen durch die Gemeinde gehören ebenfalls dazu.Vergleichbare Ansätze zur Entwicklung eines neuen Instruments besitzt das Städtebauförderungsgesetz nicht. Im Rahmen der Beratungen unseres Gesetzentwurfs zur Beschleunigung von Investitionsvorhaben im Städtebaurecht — sprich: Änderung des Bundesbaugesetzes und des Städtebauförderungsgesetzes — haben die Ausschüsse des Bundesrates in den letzten Wochen Vorschläge in Richtung Wohnumfeldverbesserung durch eine Änderung des Städtebauförderungsgesetzes gemacht, eine Ergänzung der Vorschläge etwa des Deutschen Städtetages zur Änderung des Wohnungsmodernisierungsgesetzes. Ich glaube, daß wir hier sehr schnell überkommen müssen, wobei es letzten Endes eine Formfrage ist, ob .wir das Wohnungsmodernisierungsgesetz oder das Städtebauförderungsgesetz ergänzen. Wichtig ist, daß wir dieses Instrumentarium möglichst schnell schaffen. Das bedeutet dann auch, daß unsere Städte und Gemeinden im Einzelfall zu einem flexibleren Mitteleinsatz kommen müssen.
Das waren die vier Schwerpunkte. Ich will, obwohl ich es vorhatte, im Rahmen der Wohnumfeldverbesserung die wesentliche Verbesserung der Verkehrssituation in den Zentren unserer Städte aus Zeitgründen nicht behandeln, sondern nur als Merkpunkt erwähnen. Wohnumfeldverbesserung muß zu einem wesentlichen Teil eine Verbesserung der innerstädtischen Verkehrsverhältnisse mit Richtung auf Verkehrsberuhigung vor allem in den Wohnstraßen sein. Das Problem der Verkehrsberuhigung ist durch eine Fußgängerzone noch nicht gelöst. Zwar ist auch sie notwendig. Aber sie ist nur ein kleiner Ausschnitt der notwendigen Verkehrsberuhigung. Worum es zentral geht, ist, daß wir zu verkehrsberuhigenden Maßnahmen in den Wohnstraßen kommen, wie man das etwa in Holland kennt. Es geht nicht nur um ein fußgängerfreundliches Straßenbild, sondern auch um eine Beschränkung der Parkmöglichkeiten, um kinderfreundliche Gestaltung unserer Straßen, um einen generellen Vorrang der Fußgänger und um eine Teilzugänglichkeit für die anderen Verkehrsteilnehmer, im wesentlichen aber um eine Verlangsamung des motorisierten Verkehrs durch geeignete Straßenführung und geeignete Straßengestaltung; das ist ein wesentliches Element der Wohnumfeldverbesserung.Stadtsanierung, Wohnungsmodernisierung, Wohnumfeldverbesserung .und verbesserte Eigentumsbildung in unseren Städten müssen die vier Ziele der Städtebaupolitik der nächsten Jahre sein, um die Probleme unserer Städte mit lösen zu können. DiesePolitik muß vor allem an den Interessen bestimmter Bevölkerungsgruppen, besonders an den Interessen junger Familien mit Kindern, orientiert sein.Wenn wir diese Ziele erreichen wollen — ich habe bisher das Gefühl gehabt, daß es hier weitgehende Übereinstimmung gibt; ich bin auf die Debatte gespannt —, gehört dazu folgendes: Erstens gehört dazu, daß wir zu einer engen, der übermäßigen und übertriebenen parteipolitischen Konfrontation entzogenen Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Gemeinden im Städtebau kommen.
Notwendige Maßnahmen und notwendige Programme im Interesse unserer Bürger dürfen nicht wegen übertriebener Konfrontation verlangsamt oder verwässert werden. Ich habe schon kurz nach meinem Amtsantritt dieses Angebot einer verbesserten Zusammenarbeit mit allen Bundesländern gemacht und stehe nach wie vor dazu.Zweitens muß, wenn wir diese Ziele erreichen wollen, genauso deutlich werden, daß die Baupolitik nicht ausschließlich ein Konjunkturinstrument mit einem dauernden Auf und Ab ist.
Vielmehr muß begriffen werden — auch von jenen Politikern, die nicht Städtebaupolitiker im engeren Sinn sind —, daß Baupolitik in Zukunft ganz entscheidend als Wachstumspolitik verstanden werden muß. Denn hier geht es um eine zentrale Zukunftsaufgabe. „Im Interesse unserer Städte" bedeutet ja auch immer: im Interesse unserer Bürger in diesen Städten. Wir müssen zu einer Verstetigung kommen. Natürlich ist diese Politik nicht konjunkturunabhängig. Das ist völlig klar. Aber ich wende mich dagegen, daß Baupolitik ausschließlich ein Konjunktursinstrument ist.
Deshalb unterstütze ich alle Bestrebungen der Bauwirtschaft und des Baugewerbes zur Verstetigung. Ich begrüße den Vorschlag, den der bisherige Präsident des deutschen Baugewerbes, Herr Hackert, in der vorigen Woche wiederholt hat, als er in Bonn als Präsident verabschiedet wurde, nämlich daß bei einer überschäumenden Baukonjunktur staatliche Programme gestreckt werden. Es darf nur nie so kommen, daß diese staatlichen Gelder eingezogen werden und verschwinden. Sie dürfen höchstens gestreckt werden. Damit kehrt Sicherheit ein — nicht nur in den Kommunen, sondern auch in der Bauwirtschaft. Deshalb setze ich mich auch in den Gesprächen mit den Wohnungsbauministerkollegen der Länder — ich habe in den letzten Tagen und Wochen ja einige dazubekommen —, dafür ein, daß wir endlich zu einer langfristigen Absicherung kommen, daß Sicherheit auch in die Bauwirtschaft kommt, daß die Bauwirtschaft sich verlassen kann: Der Staat — Bund und Länder gemeinsam — engagieren sich auch noch im Jahr 1982 in der Stadtsanierung und der Wohnungsmodernisierung und im sozialen Wohnungsbau, und es besteht keine Gefahr, daß staatliche Programme gekürzt oder gestrichen werden.
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Bundesminister Dr. HaackDrittens und zugleich letztens: Wir können diese vier zentralen Aufgaben unserer Sätdtebaupolitik nur lösen, wenn wir konsequent als Bundesregierung und als Bundestagsabgeordnete unseren Beitrag zur Entbürokratisierung leisten.
Das heißt, wir müssen erreichen, daß unser Förderungsinstrumentarium auch in diesem Bereich flexibler ist, daß die Gemeinden vor Ort entscheiden, wo sie die Mittel einsetzen. Ich halte es für einen untragbaren Zustand, daß eine Gemeinde das Investitionsvorhaben, das nach ihrer eigenen Entscheidung erst an Stelle drei steht, nur deshalb auf Stelle eins vorziehen muß, weil irgendwo ein staatlicher Topf vorhanden ist, obwohl es viel sinnvoller wäre, das Investitionsvorhaben Nummer eins durchzusetzen.
Darum müssen wir zu einer flexibleren Handhabung im Mitteleinsatz kommen und müssen die Entscheidung stärker als bisher vor Ort verlagern. Das heißt allerdings dann auch, daß wir die Gemeinden auffordern müssen, von den bestehenden Instrumenten Gebrauch zu machen. Ich bin der Auffassung — das sage ich jetzt kritisch an die Gemeinden, obwohl ich sehr kommunalfreundlich bin —, die Gemeinden können nicht nur neue Instrumente vom Bund fordern, sondern müssen dann, wenn sie diese bekommen haben, wie etwa durch das neue Bundesbaugesetz, diese Instrumente im Einzelfall auch einsetzen.
Es gibt aber bisher nach meiner Kenntnis keine Gemeinde — ich frage sehr viel, wenn ich herumkomme —, die z. B. das Baugebot auch in einer Baulücke im innerstädtischen Gebiet eingesetzt hat. Hier kommt es also darauf an, daß sich alle, die in diesem weiten Spektrum unseres Aufgabengebietes, der Städtebaupolitik, engagiert und verantwortlich sind, dieser Verantwortung stellen. Ich darf auch Sie, die Fraktionen des Deutschen Bundestages, bitten mitzuhelfen, damit wir, Parlament und Regiegierung, in unserem eingegrenzten Zuständigkeitsrahmen nach unserer Verfassungsordnung einen wesentlichen Beitrag leisten, um durch eine verantliche Politik im Städtebau und im Wohnungsbau unseren Gemeinden und vor allem unseren Bürgern in Zukunft zu helfen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schneider:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Probleme der Städtebaupolitik berühren das historische Selbstverständnis der Völker. Sie manifestieren den Konflikt zwischen Kultur und Zivilisation. Durch sie wird mit wachsender Eindringlichkeit daran erinnert, daß menschliche Selbstverwirklichung nur dort gelingen kann, wo die gebaute Umwelt menschliche Maßstäbe trägt, urbanen Notwendigkeiten entspricht. Kultur ist wesentlich Stadtkultur. Niemand kann eine hsitorische Anthropologie schreiben, kann die seelischen und geistigen Quellen jeglicher Kultur erschließen, ohne die Architektur der Völker, ihre städtebaulichen Gesamtwerke zu entziffern, in einen kulturgeschichtlichen Gesamtzusammenhang zu stellen. Das Thema der Geschichte ist der Mensch. Der Ort seiner Selbstdarstellung und Selbstfindung die Stadt. Die Auftaktkonferenz im Europäischen Denkmalschutzjahr hat 1975 unter anderem festgestellt, „daß eine der wesentlichen Taten unserer Zeit in der Rückeroberung des städtischen Raumes zugunsten der Menschen besteht, beginnend mit dem Schutz, der Restaurierung und der Wiederherstellung alter Komplexe". Soweit die Konferenz. Der Erhaltungsgedanke im Städtebau ist gegenüber den Zielvorstellungen des Denkmalschutzes natürlich umfassender und differenzierter zu umschreiben. Dem Thema der heutigen Aussprache sind unzweifelhaft europäische Maßstäbe eigen. Ihm kommt ein hoher gesamtpolitischer Rang zu.Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen hingegen läßt solcherlei Dimensionen vermissen. Sie erschöpft sich in der Addition unbestrittener Selbstverständlichkeiten, in der Aufzählung regierungstechnischer Routine, in der Wiederholung längst bekannter Tatsachen oder gesetzlicher Regeln. Sie ist nur dort bemerkenswert, wo sie sich ausschweigt, wo sie Fragen nicht beantwortet, sondern neue Fragen herausfordert.
An verschiedenen Stellen der Antwort ist zu erkennen, daß die Bundesregierung ihre Sonderprogramme im Bereich der Wohnungs- und Städtebaupolitik zunächst als Arbeitsmarkt- und Konjunkturpolitik und erst in ihrer Nebenwirkung als Politik zur Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Städten und Gemeinden verstanden hat. Herr Bundesminister Haack, ich habe Ihre Ausführungen soeben mit Zustimmung und beifällig vermerkt, daß Baupolitik etwas mit Wachstumspolitik zu tun habe und daß es darauf ankomme, die bauwirtschaftliche Entwicklung zu verstetigen. Wenn Sie schon dieser Auffassung sind — wir alle, glaube ich, stimmen dieser Auffassung zu —, frage ich Sie: Weshalb hat es die Bundesregierung seit 1973 unterlassen, auch nur in einem einzigen Fall konkrete verbindliche Folgerungen aus der Bauenquete der Bundesregierung zu ziehen?Die Antwort der Bundesregierung enttäuscht zunächst politisch, weil sie keine Perspektive für morgen eröffnet. Sie genügt aber auch in fachlich-sachlicher Hinsicht den Maßstäben nicht, mit denen der Bundestag in seiner Gesamtheit die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage im Parlament messen muß. Der Wertgehalt der Antwort muß jeden enttäuschen, der das sensible Interesse der Fachwelt, vor allem auch der Kommunalpolitiker und große Teile unserer Bevölkerung an den Fragen des Städtebaus und des Umweltschutzes und den damit im Zusammenhang stehenden finanziellen Fragen kennt.Wenn schon die Fragen der Koalition — was politisch niemanden überraschen dürfte — als Freund-
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Dr. Schneiderlichkeit gegenüber der Regierung zu verstehen sind, ganz dazu bestimmt, dem Bundesbauminister eine parlamentarische Plattform zur Selbstdarstellung zu geben, so muß wenigstens die Opposition versuchen, die Problembereiche der Städtebaupolitik intensiver auszuleuchten,
tiefer zu erschließen, härter und hartnäckiger ins öffentliche Bewußtsein zu heben,
die von der Bundesregierung wohlweislich verschwiegen, ausgeklammert oder verharmlost werden.
Ich gehe wohl auch nicht fehl, meine Damen und Herren, wenn ich die Themen und den Zeitpunkt der Einbringung und der Beantwortung der Großen Anfrage in einem wohlerwogenen politischen Zusammenhang mit den Landtagswahlen in Hessen und Bayern sehe.
Die Veröffentlichung war am 7. September; rechtzeitig davor.Das einzig Neue, was der Bundesbauminister in die Diskussion einführt, ist das Stadthaus und die Wiederentdeckung des Fahrrads.
Das Stadthaus ist eine vieldeutige Metapher, ein Schlagwort, kein Begriff. Was aber begrifflich nicht zu fassen ist, bleibt auch in der Sache selbst fragwürdig. Das Schlagwort „Stadthaus", ,,verkehrsberuhigte Zonen in der Innenstadt", „verstärkter Bau von Radfahrwegen" und der weitere Katalog unbestrittener Selbstverständlichkeiten ersetzen noch keine Konzeption für eine Städtebaupolitik für morgen.
Städte sind politische Räume; Städtebaupolitik muß sich deshalb an politischen Leitbildern, Maßstäben, Wertinhalten und an ihrer Vision der Zukunft messen lassen. Wir haben auf einen politischen Tatbestand, eine politische Herausforderung politische Antworten zu finden. Es geht darum, einen städtebaupolitischen Gesamtkonsens zu finden, der nach Inhalt und Zielaussage Zustimmung und Unterstützung durch die Politiker in den Ländern und vor allem in den Gemeinden finden muß.
Die Haupt- und Kernfrage der Städtebaupolitik, nämlich die Frage nach den Maßstäben und Kosten, die für die Erhaltung und Erneuerung von Städten und Gemeinden zu beachten und aufzubringen sind, wurde nur am Rande gestellt. Die Frage, wer am Ende die Summen aufzubringen hat, bleibt gänzlich unbeantwortet. Die Koalition hat nicht gefragt, und die Regierung streifte nur beiläufig dieses Kernproblem. Sie stellt fest:Der zukünftige Finanzierungsbedarf für die Erhaltung und Verbesserung des Wohnungsbestandes kann auch nicht annähernd genau geschätzt werden, da die vorhandenen Informationen nicht ausreichen.Ich frage mich: Warum geben wir eigentlich Millionen von Forschungsmitteln aus, wenn diese fundamentale Frage auch nicht annähernd beantwortet werden kann?
Die Bundesregierung gibt sodann zu, über keine Kenntnisse zu verfügen, wie hoch das finanzielle Gesamtvolumen für die Erhaltung und Erneuerung unserer Städte und Gemeinden zu beziffern ist. Zwar hebt die Antwort den Zusammenhang zwischen Modernisierung und Verbesserung des Wohnumfelds hervor, ohne jedoch hierfür eine Quantifizierung der Kosten auch nur anzudeuten. Sie bleibt auch in diesem Bereich zurückhaltend, unverbindlich. Sie sagt lediglich, daß sie prüfen wolle, ob durch eine Änderung des Modernisierungs- und Energieeinsparungsgesetzes, das soeben erst in Kraft getreten ist, das Instrumentarium für eine gezielte Wohnumfeldpolitik weiter verbessert werden könne. Auch sei zu überlegen, ob die Förderung der privaten Modernisierungstätigkeit durch Bund und Länder in den Schwerpunkten künftig stärker von flankierenden Maßnahmen der Gemeinden, z. B. zur Verbesserung des Wohnumfelds, abhängig gemacht werden sollte.Wenn die Bundesregierung schon ein Junktim zwischen der Förderung privater Modernisierungsmaßnahmen einerseits und zusätzlichen kommunalen Anstrengungen zur Verbesserung des Wohnumfelds andererseits herstellen möchte, muß sie doch zuerst offenlegen, woher die Gemeinden die dafür zusätzlich notwendigen Mittel aufbringen können.
Mit Gesetzesänderungen im Bereich des Städtebauförderungsgesetzes und des Bundesbaugesetzes ist den Gemeinden allein keineswegs schon geholfen. Ihre gegenwärtigen Planungen zur Finanz- und Steuerreform, soweit davon die Gemeinden berührt werden, werfen zusätzliche Fragen auf. Die Bundesregierung stellt im imperativen Ton fest, daß die Modernisierungspolitik davon auszugehen hat, daß der größte Teil der Modernisierung von Eigentümern und Privaten finanziert werden wird. Dieser im Kern zwar richtige Gedanke widerspricht aber der von der Bundesregierung in der Antwort vertretenen These, daß eine wichtige Ursache für die Fehlentwicklung in den Sanierungs- und Modernisierungsgebieten darauf beruht, daß der problematische ältere Althausbestand häufig im Eigentum einkommensschwächerer Gruppen mit geringerer Investitionsneigung liegt und obendrein die Bewohner dieser Gebäude kaum zu Investitionsmaßnahmen zu bewegen sind. Hier stoßen wir auf den Widerspruch der Wirtschaftlichkeit der Wohnungs- und Städtebaupolitik zu der Belastbarkeit von Eigentü-
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Dr. Schneidermern und Mietern. Auch die gewerblichen Betriebe sind hier gefordert und vielfach, wie wir wissen, überfordert.Ein gefährlicher Zielkonflikt wird sichtbar. Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen beschleunigen die soziale Entmischung, statt sie aufzuhalten oder gegenläufig zu beeinflussen. Wer sich für die Erneuerung und Belebung der Innenstädte ausspricht, was wir ohne jede Einschränkung zu tun bereit sind, kann diesen Konflikt nur durch höhere öffentliche finanzielle Aufwendungen lösen. Eine volkswirtschaftliche Gesamtbetrachtung darf hierbei nicht außer Betracht lassen, daß für eine Familie, die den Stadtinnenbereich verläßt und ins Umland zieht, Infrastrukturaufwendungen in Höhe von 60 000 bis 80 000 DM bereitgestellt werden müssen. Dabei lasse ich die persönlichen Probleme und familiären Zusammenhänge einmal ganz außer Betracht.So ist es schwer zu begreifen, wenn für bestehende Bundesstraßen Lärmschutzmaßnahmen im Entwurf eines Straßenlärmschutzgesetzes vorgesehen sind, während das für bestehende Kommunalstraßen nicht der Fall ist. Die Städte und Gemeinden sehen ihre Aufgabe, ihre Pflichten, für einen größeren Lärmschutz das Ihre zu tun, sie appellieren aber an den Bund und die Länder, ihnen die dafür gebotenen Mittel bereitzustellen.Städtebaupolitik, meine Damen und Herren, das wissen Sie, erschöpft sich nicht in der Gesetzgebung des Bundes oder der Länder. Städtebaupolitik wird durch die Gemeinden, die Bürger, die Arbeitnehmer, die Unternehmer, die Mieter und Vermieter, die Verantwortlichen in den Rathäusern verwirklicht. Nach Ansicht der Bundesregierung kommt es u. a. darauf an, die Bildung von Wohnungs- und Hauseigentum vor allem im innerstädtischen Bereich und für Familien mit Kindern zu erleichtern.Im Hinblick auf die gesamtstaatliche Verantwortung für die Städtebaupolitik fordert die Bundesregierung, die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Gemeinden zu vertiefen. Das ist sicherlich richtig. Dies könnte freilich nur unter Berücksichtigung der haushalts- und konjunkturpolitischen Rahmenbedingungen geschehen. Der haushaltspolitische Vorbehalt ist legitim; aber damit setzt die Bundesregierung hinter jeden Satz ihrer Antwort ein Fragezeichen. Der Herr Bundeskanzler läßt erkennen, er läßt nicht erkennen
— entschuldigen Sie, daß ich mich gerade an dieser Stelle verspreche —, welche Prioritäten er der Städtebaupolitik zumißt.
Wenn er sich einmal konkret äußert, so auf dem Deutschen Mietertag im Mai 1977 in Hamburg, steht er nachher nicht mehr zu seinem Wort. Wie anders wäre es zu erklären, daß sich die Bundesregierung gegenüber dem Initiativentwurf des Landes Nordrhein-Westfalen, SPD/FDP-Koalition, zum Wohnungsbindungsgesetz so zurückhaltend skeptisch verhält, wo es doch darum geht, gerade neue Impulse für das Wohnen in der Stadt auszulösen. Bezeichnend für den Stellenwert der Städtebaupolitik der Bundesregierung ist die Tatsache, daß nur 2 0/o der direkten Investitionshilfen des Bundes in die Städtebauförderung gehen, während beispielsweise für die Förderung der Datenverarbeitung zweimal soviel aufgebracht wird.Wir fragen also: Wie will die Bundesregierung das Ziel erreichen, in innerstädtischen Bereichen eine verstärkte Eigentumsbildung für kinderreiche Familien durchzusetzen? Welche Vorschläge macht sie? Welche neuen Finanzierungsmodelle hat sie anzubieten? Wo liegen ihre Gesetzentwürfe? Wo finden wir sie in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes? Mit welchen Herstellungs- und Erwerbskosten für ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung muß eine Familie dabei rechnen? Wieviel kostet eine Wohnung im sogenannten Stadthaus? Mit welchen Förderungshilfen darf eine Familie rechnen?Meine Damen und Herren, hilfreich ist nur, was dem Antragsteller am Schalter der Wohnungs- und Siedlungsbehörde, der Bewilligungsstelle, verbindlich gesagt werden kann.
Wir können die Reihe der Fragen verlängern. Auf keine einzige aber hat die Bundesregierung eine Antwort bereit.Daraus ist zu folgern: Die Städtebau- und Wohnungspolitik der Bundesregierung ist unseriös. Sie verspricht mehr, als sie hält. Sie ist vor allem wirtschaftlich nicht schlüssig, sozial nicht ausgewogen. Sie vernachlässigt den sozial Schwachen, ohne dem wirtschaftlich Stärkeren Anreize zur Kapitalanlage im Wohnungsmarkt zu geben. Sie schafft gesetzliche Bindungen und Hindernisse nicht ab, wo dies sozial geboten und wirtschaftlich. vernünftig wäre. Sie sieht komplizierte wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge mit der Brille der sozialistischen Ideologie,
wo nüchternes Zugreifen mit dem Augenmaß der sozialen Vernunft und unternehmerische Risikobereitschaft am Platz wären. Auf diesen Punkt, meine sehr verehrten Kollegen, werde ich noch an zwei Stellen eingehen.
— Das ist ein so gewaltiges Thema, daß man die Variationen darüber überhaupt nicht erschöpfen kann.
Die Antwort der Bundesregierung enthält zwar eine annähernd realistische Bestandsaufnahme der Probleme und Herausforderungen, denen sich die Städte heute gegenübersehen. Die Folgen des .wirtschaftlichen Strukturwandels, der Verkehrsentwicklung und der Umweltbelastungen sowie der gesteigerten Anforderungen an die Wohnungen für die Stadtstruktur sind unbestreitbar. Die Bundesregie-
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Dr. Schneiderrung hat in ihrer Antwort jedoch nicht einmal den Versuch unternommen, ein verbindliches Leitbild der Stadt von heute und ein den gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten und Anforderungen der Stadt von morgen gerecht werdendes Zielsystem für die Weiterentwicklung der Stadt aufzuzeigen. Ich habe den Text x-mal gelesen, mit und ohne Brille, mit und ohne Lupe — ich habe die Antwort nicht gefunden, meine Damen und Herren.Die Bundesregierung räumt in ihrer Antwort ein, daß die Städtebauförderung und -modernisierung weitgehend die erhofften städtebaulichen Wirkungen verfehlt haben, weil das Instrumentarium des Städtebauförderungsgesetzes einerseits so anspruchsvoll ist, andererseits die Modernisierungsförderung nicht das Absacken gefährdeter Gebiete in Sanierungsgebiete verhindert.Ich erinnere mich an Juni 1971. Damals wurde das Städtebauförderungsgesetz in erster und zweiter Lesung beraten. Da sprach man: Heute verabschieden wir ein Jahrhundertgesetz. Man hat gesagt: Mit diesem Gesetz werden die Reformvorstellungen der Bundesregierung für den Bürger in der gebauten Umwelt realisiert. Heute ist aus diesen Fanfaren ein weinerliches Quaken geworden.Daß hier ein abgestuftes System erforderlich ist, liegt auf der Hand. Im Ausschuß wird diese Problematik seit Jahren einschließlich der Einbeziehung der Wohnumweltverbesserung in die Förderung erörtert. Auch liegt die Forderung der CDU/CSU nach einer Vereinheitlichung der Modernisierungs- und Städtebauförderung unter Einbeziehung der Neubauförderung durch ein drittes Wohnungsbaugesetz seit langem vor. Was fehlt, sind Reaktionen und Aktionen der Bundesregierung.Die Bundesregierung führt zwar in ihrer Antwort minutiös alle städtebaulich relevanten Förderungsmaßnahmen auf. Sie vermeidet es aber, zu den insgesamt erzielten Wirkungen konkret Stellung zu nehmen und zumindest den Versuch einer KostenNutzen-Analyse zu wagen. Die pauschale Feststellung, ihre Politik habe entscheidende Verbesserungen bewirkt, steht im Widerspruch zu der Aussage, Modernisierung und Sanierung hätten nur begrenzte Wirkungen erzielt. Es ist notwendig, einmal insgesamt darzustellen, welche konkreten Verbesserungen mit den bisherigen Förderungsmaßnahmen erreicht wurden und ob der negative Entwicklungsprozeß der Städte aufgehalten werden konnte.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung bewertet sodann alles in allem, gestützt auf eine jüngst durchgeführte Umfrage bei den Fördergemeinden — der Minister hat es eben in seiner Rede wieder getan —, die bisherigen Erfahrungen mit dem Planungsinstrumentarium des Bundesbaugesetzes und des Städtebauförderungsgesetzes positiv. Sie verschweigt die sehr kritischen Stellungnahmen der Gemeinden, die sich vor allem gegen die Förderungspraxis richten, die zu wenig auf die konkrete Haushaltssituation der Gemeinden und die Dauer der Sanierungsvorhaben Rücksicht nimmt. Das ist auch wahr. Finanzschwache Gemeinden haben praktisch keine Chance, in das Förderungsprogramm aufgenommen zu werden.In diesem Zusammenhang verdient auch die Kritik des Deutschen Städtetages vom 19. September 1978 bezüglich der Perfektionierung der Förderungsvorschriften zum Städtebauförderungsgesetz und die Forderung nach einem Abbau der überperfektionierten Verwaltungsvorschriften hervorgehoben zu werden. Die Bundesregierung weist in ihrer Antwort auf die Beschleunigungsnovelle hin. Ein Beratungsschwerpunkt muß sein, den Förderungsperfektionismus auf ein vernünftiges und überschaubares Maß zu beschneiden. Es darf nicht dazu kommen, daß im Ergebnis nur die Gemeinden zum Zuge kommen, die sich am besten in dem Subventionsdschungel zurechtfinden.
— Ich bin gerne bereit, dies auch den Länderregierungen zu sagen. Wir werden Gelegenheit haben, unter Mitwirkung der Vertreter der Bundesländer bei den Ausschußberatungen diesen unseren Standpunkt zu präzisieren.Die Bundesregierung kündigt in ihrer Antwort die Fortsetzung der Reform des Städtebaurechts — freilich erst für die nächste Legislaturperiode — an. Abgesehen davon, daß die bisher aufgezeigten Probleme dabei nicht angesprochen worden sind, fällt auch auf, daß sowohl in der Anfrage als auch in der Antwort mit keinem Wort auf die Fragen der Bodenbewertung und der Einführung neuer bzw. modifizierter Rechtsformen der Bodennutzung — Stichworte : Planungswertausgleich, erweitertes Erbbaurecht im Städtebau — eingegangen wird.
Der Herr Minister hat sich zwar in unserer letzten großen Debatte am 12. Mai nachdrücklich und eindeutig zum Planungswertausgleich bekannt;
die Öffentlichkeit hat aber einen Anspruch darauf, zu erfahren, welche konkreten Absichten die Bundesregierung verfolgt und mit welchen weiteren Einschränkungen und Belastungen die Eigentümer zu rechnen haben.Neu und bemerkenswert ist in der Antwort der Bundesregierung, das bisher keineswegs selbstverständliche Bekenntnis zu einer breiteren Bildung von Wohnungs- und Hauseigentum, vor allem in den innerstädtischen Bereichen. Dieses Bekenntnis ist offensichtlich eher Opportunitätsüberlegungen in der Sorge entsprungen, bei der Bevölkerung nicht mehr mehrheitsfähig zu sein, als einer geläuterten und geänderten Einstellung zum Eigentumsgedanken — jedenfalls, soweit dies erhebliche Teile der SPD betrifft.
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Dr. Schneider— Dieser neue § 7 b des Einkommensteuergesetzes ist keine Wunderdroge. Wir haben dem aber zugestimmt. Die 7 b-Gesetzgebung lag ganz und gar in der Zielrichtung unserer städtebaulichen Grundorientierung.
Wer schon so lange regiert wie diese Bundesregierung, hat nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit die Chance, einmal etwas Richtiges zu tun.
Ich will den Beweis antreten. Lieber Kollege Conradi, ich darf Sie jetzt zitieren. Sie haben in Ihrem Aufsatz — nebenbei gesagt: in Ihrem sehr lesenswerten Aufsatz —
vom 19. August 1978 im „Parlament" festgestellt, daß die SPD erst in den letzten Jahren eine positivere Einstellung zum Boden- und Wohnungseigentum gewonnen habe. Man darf wohl fragen, Herr Conradi und meine Herren von der SPD, „Weshalb wohl" und skeptisch hinzufügen: Wir haben also davon Kenntnis zu nehmen, daß die Vorbehalte der SPD — oder wenigstens: einflußreicher Kreise in der SPD — gegen eine privatwirtschaftlich geprägte Städtebau- und Wohnungspolitik fortbestehen.
— Ich habe von der privatwirtschaftlich geprägten Städtebau- und Wohnungspolitik gesprochen.Wenn jemand sagt, die Einstellung sei in den letzten Jahren positiver geworden, dann frage ich mich, ob der Komparativ in diesem Fall nicht statt einer Steigerung eine Verringerung andeutet: In diesem Fall ist eine Redewendung, die den Komparativ benutzt, sehr verräterisch und bedarf der Präzisierung. Herr Kollege Conradi, Sie haben heute noch reichlich Gelegenheit, hier deutlich zu sagen, wie diese etwas kryptogene Wendung in Ihrem Aufsatz zu deuten ist.
Herr Abgeordneter Dr. Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dem Kollegen Conradi gerne.
Herr Dr. Schneider, vielen Dank. Ich will nicht auf die Grammatik eingehen, sondern Sie fragen: Sehen Sie, daß sich durch die Tatsache, daß breite Arbeitnehmerschichten, die früher Eigentum gar nicht innerhalb ihres Horizonts sahen, für die Wohnungseigentum wirtschaftlich gar nicht erreichbar war, nun einkommensmäßig in das Eigentum hineinwachsen, die Stellung einer Arbeitnehmerpartei zum Eigentum ins Positive verändert? Ich habe es ja begrüßt.
Ich darf in diesem Zusammenhang eine Rede des damaligen ersten Direktors des Wirtschaftsrates, des nachmaligen Bundeswirtschaftsministers und Bundeskanzlers Professor Dr. Ludwig Erhard zitieren, der in seiner Grundsatzrede vom 18. Juni 1948, zwei Tage vor der Währungsreform, unter anderem festgestellt hat, daß Soziale Marktwirtschaft primär darauf ausgerichtet ist, Arbeitsplätze zu schaffen, Eigentum, Wohlstand zu schaffen, Eigentum nicht nur dem Mehrverdienenden, sondern Eigentum in breiter Streuung über das ganze Volk hinweg, insbesondere für den Arbeitnehmer und für den Arbeiter im gewerblichen Betrieb.
— Die Soziale Marktwirtschaft war die Voraussetzung für unsere städtebaulichen und wohnungsbaupolitischen Erfolge.
Meine Damen und Herren, dieser Verdacht, den ich eben in Richtung SPD geäußert habe, stützt sich auf die Beobachtung, daß gerade von der SPD her gegen die sozial- und eigentumspolitisch motivierte Umwandlung von Sozialwohnungen in Eigentumswohnungen wieder das Schreckgespenst der Spekulation beschworen wird.
Was verstehen Sie konkret unter Spekulation? Worin liegt das Sozialwidrige, das moralisch Verwerfliche, das rechtlich Bedenkliche? Klären wir Begriffe, vermeiden wir Schlagwörter, polemische Verketzerungen.Wir haben auch nicht übersehen, daß maßgebliche Städtebaupolitiker der SPD keinen Zweifel daran lassen wollen, daß die Vorschläge der SPD zur Reform der Eigentumsordnung und zur Bodenwertzuwachsbesteuerung nur scheinbar und vorübergehend zu den Akten gelegt sind. Die Bundesregierung verweist darauf, daß die Mittel für die Städtebauförderung bis 1982 mit einem jährlichen Volumen von 250 Millionen DM hätten festgeschrieben werden können. Dies soll keineswegs unterschätzt werden. Tatsache ist aber, daß damit im Ergebnis lediglich wieder das bereits 1974 und 1975 bestehende Förderungsniveau erreicht werden konnte. Die seither erfolgte Reduzierung der Städte, bauförderung konnte im Ergebnis nur durch das Programm für Zukunftsinvestitionen ausgeglichen werden, das somit keine zusätzliche städtebauliche Wirkung erzielt hat.Meine Damen und Herren, die politologische wie die interdisziplinäre wissenschaftliche Literatur zur Städtebaupolitik ist selbst für Fachleute schier unübersehbar angewachsen. Wir Parlamentarier und Politiker nehmen sie dankbar zur Kenntnis und wissen sie als Anregung, als Lösungsvorschläge zu respektieren. Niemand kann und wird uns aber die Last der Verantwortung des Handelns, die politische Entscheidung abnehmen. Nicht alles, was
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Dr. Schneidertechnisch möglich ist,. darf gebaut werden. Unsere Städte, insbesondere unsere neuen Städte, müssen wieder das menschengerechte Maß, die humane Harmonie, die Freiheit zur Selbstentfaltung sicherstellen. Blaise Pascal hat einmal gesagt: „Die Mitte verlassen heißt die Menschlichkeit verlassen." Wo hätte dieser Satz mehr Berechtigung als im Städtebau?Lassen Sie mich mit der Feststellung schließen: Die Glaubwürdigkeit der Städtebaupolitik wird sichtbar an den Antworten, die wir auf die Fragen unserer Mitbürger in den Städten und Gemeinden zu geben wissen. Gemessen an diesem Anspruch ist die Antwort der Bundesregierung kaum hilfreich. Mit einer einigermaßen zutreffenden Beschreibung des städtebaulichen Grundbefundes ist noch nichts erreicht. Wir brauchen eine in sich schlüssige Konzeption des Handelns. Selbst eine perfekte, noch so großartige Zielkonzeption brächte uns wenig weiter, wüßten wir nicht, wie diese Aufgaben wirtschaftlich und finanziell zu bewältigen wären. Aber eben auf diese Kernfragen gibt die Bundesregierung keine Antwort; deshalb finden wir die Antwort enttäuschend
und der Sache wenig förderlich.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wurbs.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen zur Städtebaupolitik, die heute hier diskutiert wird, könnte den Eindruck vermitteln, als handele es sich bei dem Thema um einen Problemkreis, der ausschließlich den Bereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau betrifft. Ich möchte jedoch verdeutlichen, daß für die FDP Städtebaupolitik mehr ist. Es geht vielmehr um das Zusammenwirken von Einflüssen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Es geht nicht nur um die Versorgung der Bürger in Städten mit entsprechendem Wohnraum oder um die Erhaltung bzw. Verbesserung unserer Stadtstrukturen, sondern hier geht es darum, Schwerpunkte zu setzen, z. B. im Hinblick auf Familienpolitik, soziologische Strukturen unserer Gesellschaft. Es geht u. a. auch um Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarktpolitik. Nur dann, wenn alle diese Gesichtspunkte bei einer vorausplanenden Städtebaupolitik verarbeitet und entsprechend umgesetzt werden, können die Ansprüche erfüllt werden, die wir an eine sinnvolle Städtebaupolitik stellen.Es sollte nicht so sein, daß Städtebaupolitik unter diesen Gesichtspunkten einer Entwicklung, die bereits vollzogen ist, nachhinkt und wir im nachhinein bereits eingetretenen Entwicklungen Rechnung zu tragen versuchen, sondern dies kann sich nur so vollziehen, daß vorausschauend versucht wird, zukünftigen Entwicklungen beeinflussend Rechnung zu tragen. Daß dies nicht immer einfach ist, soll nicht verkannt werden. Gerade in der Nachkriegszeit hat sich ein rasanter Wechsel nicht nur gesellschaftspolitischer Art vollzogen, sondern auch die Ansprüche der Bevölkerung haben sich gewandelt, Ging es unmittelbar nach dem Kriege darum, die Wohnungsnot zu beseitigen, so sind heute die Ansprüche gestiegen. Die Ansprüche sind z. B. darauf gerichtet, Wohnungseigentum in Form eines Eigenheims oder einer Eigentumswohnung zu schaffen. Von Wohnungsnot insgesamt kann heute nicht mehr die Rede sein. Die Zahl der Haushalte und die der Wohnungen sind etwa ausgeglichen. Heute sind die Ansprüche auf eine qualitative Steigerung der Wohnungsausstattung gerichtet.Darüber hinaus hat auch die wirtschaftliche Entwicklung zu einem Strukturwandel geführt. So ist z. B. die Standortfrage für Gewerbeunternehmen heute unter ganz anderen Gesichtspunkten zu beurteilen als in der Zeit unmittelbar nach dem Kriege, nicht zuletzt unter dem Aspekt des Umweltschutzes. Damit verbunden ist auch der Trend zur Stadtflucht; unsere Innenstädte veröden, die Trabantenstädte auf der grünen Wiese wachsen. Der konjunkturelle Rückgang Mitte der 60er und der 70er Jahre hat wiederum zum Umdenken gezwungen. Hier zeigt sich, in welchem Spannungsfeld die Städtebaupolitik sich bewegt.Die Bundesregierung hat stets die notwendigen Maßnahmen ergriffen, um die Entwicklung sinnvoll zu steuern — eine Tatsache, an der auch Ihre Kritik nicht zu deuteln vermag. Die konzeptionelle Politik der sozialliberalen Koalition ab 1979 hat sich durchaus bewährt.
Im Bereich des Städtebaurechts darf ich das Städtebauförderungsgesetz nennen und die Novelle zum Bundesbaugesetz, zwei gesetzgeberische Maßnahmen, die den Gemeinden das notwendige Instrumentarium an die Hand geben, um den auf sie zukommenden städtebaulichen Problemen gerecht werden zu können.Das Programm für Zukunftsinvestitionen und die Ausdehnung der Abschreibungsmöglichkeiten nach § 7 b, die Grunderwerbsteuerbefreiung für Altbauten sowie das Modernisierungsgesetz sind weitere Akzente, die auf diesem Gebiete zu nennen sind.Ich halte es für müßig, an dieser Stelle mit einer Erfolgsbilanz aufzuwarten, die sich aus einzelnen Zahlen leicht ableiten läßt. Zu vielfältig ist die Summe der Einzelmaßnahmen, die sich hier positiv ausgewirkt haben. Ich meine vielmehr, daß das Augenmerk auf die Zukunft und auf die Probleme gerichtet werden sollte, die auf uns zukommen. Hier kann nach meiner Auffassung noch einiges getan werden. Es muß in ressortübergreifender Abstimmung klargemacht werden, daß sich qualitative Verbesserungen in der Städtebaupolitik unter Berücksichtigung berechtigter Belange der Bürger nur dann durchsetzen lassen, wenn konsequent und auch gerade unter Berücksichtigung des Umweltgedankens eine Politik betrieben wird, die sich in erster Linie an den menschlichen, d. h. den Bürgerinteressen orientiert. Denn die Städtebaupolitik dient in erster
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WurbsLinie dem Bürger, sie hat für den Bürger da zu sein und nicht umgekehrt. Daß dies nicht immer ganz einfach ist und daß hier Kompromisse geschlossen werden müssen, dessen bin ich mir völlig bewußt.Unter diesem Gesichtspunkt muß auch gesehen werden, daß sich die Instrumente, die durch das Bundesbaugesetz, das Städtebauförderungsgesetz und die Baunutzungsverordnung den veränderten Bedingungen angepaßt und zur Verfügung gestellt worden sind, nicht nur bewährt haben, sondern in Zukunft von den Gemeinden noch mehr genutzt werden sollten,
um im Vorfeld Spannungen zwischen vernünftiger Städtebauplanung und Bürgerinteressen auszuschalten.Im übrigen unterstreiche ich die Aussage in der Antwort der Bundesregierung, daß im Bereich des Wohnungsumfeldes noch einiges getan werden muß. Gerade für kinderreiche Familien sollte noch mehr als bisher unternommen werden. Nicht zuletzt sollten in den Innenstädten Spielplätze und Grünflächen in größtmöglichem Umfang zur Verfügung gestellt werden. Modellversuche sollten helfen, neue Zielsetzungen und Möglichkeiten zu erarbeiten.Ferner möchte ich mit Befriedigung gerade für uns Freie Demokraten feststellen, daß, nicht zuletzt auch auf unser Betreiben, durch die Wohnungsbaupolitik, die wir als Teil einer Gesellschaftspolitik ansehen, Eigentumsmaßnahmen gefördert wurden und die Eigentumsquote im Wohnungsbau ganz entschieden gestiegen ist, so im sozialen Wohnungsbau von 56 900 im Jahre 1971 auf 73 700 Wohnungen im Jahre 1976. Die Eigentumsquote in der Bundesrepublik stieg zwischen 1965 und 1978 von 34,8 auf etwa 38 %. Diesen Weg sollten wir weiterhin konsequent beschreiten.Meine Damen und Herren von der Opposition, nachdem Sie, wie nicht anders zu erwarten, ausschließlich Kritik an der Städtebaupolitik der Bundesregierung geübt haben, möchte ich Sie fragen, was Sie an Alternativen in diesem Bereich zu bieten haben.
Ich gebe zu, daß es gerade in bezug auf die Finanzhilfen wünschenswert gewesen wäre, wenn unabhängig von der im Haushalt gegebenen Begrenzung mehr Mittel hätten mobilisiert werden können. Dies will ich gerade im Hinblick auf den sozialen Wohnungsbau nicht bestreiten, obwohl einschränkend gleich hinzugefügt werden muß, daß die Bundesregierung in Absprache mit den Ländern die Fortführung der Programme des sozialen Wohnungsbaus bis zum Jahre 1980 festgeschrieben hat. Ich will auch nicht bestreiten, daß in manchen Bereichen über die eine oder andere Modalität des Einsatzes der Finanzmittel gestritten werden kann. Doch darf ich fragen, meine Damen und Herren von der Opposition: Wo liegt Ihre Konzeption zur Städtebaupolitik, und in welchen gravierenden Punkten unterscheidet sie sich von dem, was hier inder Antwort der Bundesregierung auf die, Große Anfrage der SPD und der FDP gesagt worden ist? Denn mit Ausnahme einer Fülle von Fragen, haben Sie, Herr Kollege Schneider, nichts Bemerkenswertes an Debattenbeitrag geleistet.
— Das werden Sie mir doch wohl nicht unterstellen. Wenn Sie, Herr Kollege Schneider, der Regierung vorwerfen, sie habe sich auf Allgemeinplätze beschränkt — was ich nachdrücklich bestreite —, so müssen Sie diesen Vorwurf ganz besonders gegen sich selbst gelten lassen.
Mit Kritik allein ist dem Bürger nicht gedient. Ich sage für die Freien Demokraten, daß wir auf dem einmal beschrittene Weg fortschreiten werden, und dies zum Wohle unseres Bürgers.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein.
Die Sitzung wird um 14 Uhr fortgesetzt.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 8/2249 —
Wir fahren in der Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen fort. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Wrede zur Verfügung.
Ich rufe Frage 86 des Herrn Abgeordneten Spranger auf:
Wer hat auf wessen Antrag den Sonderflug der Ost-Berliner „Interflug" mit der SED-Delegation anläßlich des DKP-Parteitags in Mannheim genehmigt, und war insbesondere das Bundesinnenministerium an der Entscheidung beteiligt?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Der Sonderflug der Ost-Berliner „Interflug" ist auf Antrag der Ständigen Vertretung der DDR vom Bundesminister für Verkehr als der zuständigen Erlaubnisbehörde nach Abstimmung mit weiteren Ressorts genehmigt worden. Eine Beteiligung des Bundesinnenministeriums gab es nicht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Staatssekretär, wie vielen Parteidelegationen der SED ist bisher ein
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8922 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Sprangerderartiges Landerecht eingeräumt worden, und welches waren die Gründe, ausgerechnet dieser Delegation ein Landerecht einzuräumen?Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Spranger, es hat eine Reihe von Landerechten gegeben, im wesentlichen aber nicht für politische Delegationen, sondern bei Flügen zu anderen Veranstaltungen; ich erinnere an die Olympischen Spiele und an die Fußballweltmeisterschaft. Das waren die wesentlichen Fälle, aber es hat darüber hinaus auch einige andere gegeben.Ich darf jedoch darauf hinweisen, daß dies keine Einbahnstraße ist, sondern daß selbstverständlich in umgekehrter Richtung auch die DDR Einflüge aus der Bundesrepublik in die DDR genehmigt hat.
Die zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für einen Ausdruck der Koordination der Behörden untereinander, daß zum selben Zeitpunkt, als Bahnbehörden und Bahnpolizei die Delegation am Bahnhof in Frankfurt erwarteten, die Delegation auf Grund der schon 14 Tage vorher erteilten Landegenehmigung auf dem Flughafen Frankfurt landete?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich erfahre jetzt aus Ihrem Munde, daß die Bahnpolizei die Delegation am Frankfurter Bahnhof erwartet hat. Ich kann das nicht beurteilen, da mir der Vorgang bisher unbekannt war.
Vizepräsident Frau Renger: Keine weiteren Wortmeldungen.
Ich rufe die Fragen 87 und 88 des Herrn Abgeordneten Dr. von Bismarck auf. — Er ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet, und die
Anworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 89 des Herrn Abgeordneten Kirschner auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß kinderreiche Familien bei Benutzung eines Bundesbahnbusses den vollen Fahrpreis bezahlen müssen, während sie bei einer Reise mit dem Zug eine Fahrpreisermäßigung von 50 v. H. erhalten, und was gedenkt sie zu tun, damit die betroffenen Personengruppen eine gleichmäßige Behandlung erfahren?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Fahrpreisermäßigung für kinderreiche Familien soll in der Hauptsache dazu dienen — u. a. deshalb wurde sie auch auf den Schienenverkehr der Deutschen Bundesbahn ausgerichtet —, einem bestimmten Personenkreis das Reisen über größere Entfernungen zu erleichtern. Der Bahnbusverkehr dagegen gehört zu den Nahverkehrsmitteln mit eigenem Tarifsystem. Zwischen seinen Tarifen und denen des Postreisedienstes sowie der Omnibusverkehre der nicht bundeseigenen Eisenbahnen besteht eine sehr enge Verbindung. Die Bahnbustarifierung kann daher nicht isoliert betrachtet werden. Schienenfahrausweise werden deshalb nur auf den Bahnbuslinien anerkannt, auf denen Schienenersatzverkehr betrieben wird. Das gilt auch für die Fahrpreisermäßigung für kinderreiche Familien. Einer. Ausweitung auf den gesamten Bahnbusverkehr steht der sehr enge Zusammenhang des Tarifsystems mit dem des Postreisedienstes und der Omnibusverkehre der nicht bundeseigenen Eisenbahnen entgegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kirschner.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß es bei Streckenstillegungen ein Gebot auch des besseren Ausbaus des öffentlichen Nahverkehrs wäre, wenn -man diese Fahrpreisermäßigung analog auch für den Busdienst gelten ließe?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, sofern es sich um Schienenersatzverkehre handelt — dies habe ich eben ausgeführt —, ist diese Regelung ja gegeben. Es kann aber nicht sein, daß diese Sonderregelungen auf Tarifverbünde ausgedehnt werden, in denen andere Verkehrsträger gemeinsam mit der Bundesbahn Verkehre betreiben, weil sich die anderen Verkehrsbetreiber natürlich nicht in der Lage sehen, die dadurch entstehenden Kostensteigerungen bzw. Einnahmeausfälle zu tragen.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 90 des Herrn Abgeordneten Dr. Jens auf. — Er ist nicht im Raum. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 91 des Herrn Abgeordneten Kolb auf;Ist der Bundesregierung bekannt, wie hoch die derzeitige höchste Verkehrsbelastung der B 18 zwischen Leutkirch und Wangen im Bereich der geplanten Übernahme als einbahniges Zwischenstück der A 96 ist, und mit welcher Verkehrsbelastung wird nach Fertigstellung der A 7 zwischen Würzburg und Ulm gerechnet?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, aus den regelmäßigen Verkehrszählungen auf allen Bundesfernstraßen ist der sogenannte jahresdurchschnittliche tägliche Verkehr auf dem hier zu behandelnden Abschnitt der Bundesstraße 18 zwischen Leutkirch und Wangen bekannt. Er lag 1975 bei 6 000 Kraftfahrzeugen in 24 Stunden. Diese Verkehrsmenge war an Wochenenden im Mittel um 30 bis 40 % höher.Die Verkehrsbelastung, mit der auf diesem Abschnitt nach durchgehender Fertigstellung der Bundesautobahn A 7 zwischen Würzburg und Ulm zu rechnen ist, wird im Zusammenhang mit der Überprüfung des Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen zur Zeit neu ermittelt. Die bisherigen Überlegungen ergeben: 10 000 bis 12 000 Kraftfahrzeuge in 24 Stunden.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8923
Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, da wir schon auf Querverbindungsstraßen — so auf der B 31 — zur Zeit mehr als 20 000 Fahrzeuge zählen, möchte ich Sie fragen: Halten Sie die geschätzte Zahl von 16 000 oder 14 000 nicht für zu niedrig?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann mich nur auf die Zahlen verlassen, die von den dafür zuständigen Behörden, nämlich den Landesbehörden, ermittelt werden. Der Bund selbst kann so etwas ja nicht errechnen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kolb.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, auf Grund der Situation, daß dies eine durchgehende Verbindung von Nord nach Süd ist, nämlich von Flensburg bis hinab nach Italien, im eigenen Haus einmal eine andere Prognose erarbeiten zu lassen und hier nicht eine Verkehrsfalle aufzubauen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin gern bereit, die zuständigen Landesbehörden noch einmal darauf hinzuweisen, und dieser Sache auf Grund Ihrer Anregungen nachzugehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, da die Prognose, die Sie soeben in Ihrer Antwort an den Kollegen Kolb für die Zeit der Fertigstellung der A 7 genannt haben, auf Ermittlungen beruht, die sich nach Ihren Angaben auf das Jahr 1975 beziehen, möchte ich Sie fragen: Ist der Bundesregierung bekannt, daß auf der B 18 schon jetzt, nach Fertigstellung des Teilstücks von Ulm bis Memmingen, ein erheblich höheres Verkehrsaufkommen zu verzeichnen ist als damals im Jahre 1975?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich hatte darauf hingewiesen, daß diese Zahlen im Jahre 1975 ermittelte Zahlen sind und daß sie in der Prognose auf das Jahr 1979 hochgerechnet worden sind.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 92 des Herrn Abgeordneten Kolb auf:
Verfügt die Bundesregierung über Erkenntnisse darüber, wie hoch die augenblicklichen Unfallzahlen und der damit verbundene volkswirtschaftliche Verlust sind, und mit welchen Unfallzahlen muß bei der in Frage 91 genannten Verkehrsbelastung nach der Aufstufung als einbahnige A 96 gerechnet werden?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Unfallstatistiken des Statistischen Bundesamtes weisen die Unfälle nach Unfalltypen und nach Straßenklassen, z. B. Bundesautobahn oder Bundesstraße, insgesamt, nicht aber nach den einzelnen Bundesstraßen sortiert aus. Die Bundesregierung hat also keine Kenntnis über die augenblicklichen Unfallzahlen auf der B 18.
Allgemein kann angenommen werden, daß sich die Zusammensetzung und die Gewohnheiten der Verkehrsteilnehmer nach der Umwidmung nicht grundsätzlich ändern werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kolb.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, für diesen Abschnitt die Zahlen von der Verkehrspolizei zu erfragen, um auf Grund der heute schon sehr starken Unfallhäufigkeit eventuell ihre jetzige Aussage, die B 18 zur einbahnigen Autobahn aufzustufen, zu überprüfen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will der Sache gern noch einmal nachgehen, obwohl ich große Bedenken habe, an einem einzelnen Straßenabschnitt gesonderte Maßnahmen vorzunehmen. Der Verwaltungsaufwand, der damit "verbunden ist, muß auch gesehen werden,
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, halten Sie vier Tote und 70 Schwerverletzte auf diesem Strekkenabschnitt in den letzten drei Jahren nicht schon für eine sehr bedenkliche Zahl die eine exakte Überprüfung erforderlich machen sollte?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich halte auch einen Toten und einen Schwerverletzten für eine sehr bedenkliche Zahl.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, berücksichtigt die Bundesregierung bei ihren Erwägungen, daß außer der A 7 auch die A 96 von München her künftig für einen zweibahnigen Ausbau vorgesehen ist, so daß das Verkehrsvolumen auf diesem einbahnigen Stück noch wesentlich größer sein wird, als in den Schätzungen angenommen wird, die Sie uns mitgeteilt haben?Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, ich darf wohl unterstellen, daß Ihnen bekannt ist, daß die Bundesregierung zur Zeit dabei ist, den Bedarfsplan für den Ausbau der Bundesverkehrswege zu überarbeiten. Wir hoffen, daß er dem Deutschen Bundestag Ende nächsten Jahres zur Beschlußfassung vorgelegt werden kann. In diese Untersuchung werden natürlich auch die von Ihnen genannten Gesichtspunkte einfließen.
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8924 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 93 des Herrn Abgeordneten Dr. Hennig wird auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 97 ,des Herrn Abgeordneten Klein auf.
Wird die Bundesregierung auf die Spitze der Deutschen Bundesbahn mit dem Ziel einwirken, auch an Veranstaltungen teilzunehmen, in denen die Leistungen der Bahn in der Vergangenheit gewürdigt und zugleich Hoffnungen und Erwartungen für die Zukunft geäußert werden, und sind ihr die Gründe bekannt, die die Deutsche Bundesbahn bewegt haben, an der Feier zum 80jährigen Bestehen des Bahnhofs Dietzenbach am 1. Dezember 1978 — vorbereitet vom Magistrat der Stadt Dietzenbach — nicht teilzunehmen?
Bitte schön.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Deutsche Bundesbahn schickt in eigener Verantwortung Vertreter zu den Veranstaltungen, bei denen sie einer Beteiligung im Einzelfall für sinnvoll und zweckmäßig hält. Bei der Häufigkeit der Jubiläen von Bahnhöfen der Deutschen Bundesbahn auch weit höheren Alters als des Alters des Bahnhofs Dietzenbach erscheint der Deutschen Bundesbahn eine Teilnahme nicht angebracht, zumal auch das 90jährige Jubiläum des Bahnhofs Frankfurt am Main/Hauptbahnhof nicht gefeiert wurde. Die Entscheidung der Deutschen Bundesbahn ist dem Bürgermeister von Dietzenbach vom Präsidenten der Bundesbahndirektion Frankfurt schriftlich mitgeteilt worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klein, bitte.
Halten Sie den Ton für angemessen, der in dem Brief angeschlagen worden ist, den die Deutsche Bundesbahn an die Stadt Dietzenbach gerichtet hat?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klein, Sie haben mir freundlicherweise diesen Brief in Kopie gestern nachgereicht. Ich möchte sagen: Man kann über die Formulierungen in diesem Brief sicher unterschiedlicher Auffassung sein. Er hätte sicher etwas verbindlicher abgefaßt sein können. Vom Inhalt her sehe ich allerdings keinen Grund, Bemerkungen anzubringen.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Welchen Sinn haben eigentlich Regionalgespräche, die im nächsten Frühjahr stattfinden sollen, wenn durch diesen Brief der Bundesbahn die Entscheidung und die Haltung der Bundesbahn praktisch vorweggenommen werden?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klein, ich beurteile das anders. Die Entscheidung der Bundesbahn, die sie, wie gesagt, in eigener Verantwortung trifft — der Bundesverkehrsminister hat darauf keinen Einfluß —, ist nicht eine vorweggenommene Entscheidung zu den Regionalgesprächen. Ich habe großes Verständnis dafür, daß die Bundesbahn nicht einen Vertreter zu einer Veranstaltung schickt, auf der doch sicher erwartet wird, daß dieser Vertreter zu dem Jubiläumsobjekt Äußerungen macht — obwohl doch einige Monate später darüber in aller Offenheit in einem Regionalgespräch geredet wird. Ich habe für die Haltung der Bundesbahn also großes Verständnis.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Bötsch.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen auch aus anderen Bereichen schon Beschwerden zugegangen, die sich mit der Form von Antworten der Deutschen Bundesbahn beschäftigen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies gibt es bei der Deutschen Bundesbahn auch in anderen Bereichen, aber ganz sicher nicht nur bei der Deutschen Bundesbahn, sondern bisweilen auch bei Bundes- und bei Landesministerien und bei Kommunalbehörden. Es ist eine Aufgabe für uns alle, daran mitzuwirken, daß der Umgangston allgemein freundlicher wird.
Ich rufe die Frage 98 des Herrn Abgeordneten Dr. Langguth auf:
Ist die Deutsche Bundesbahn auf Grund der Argumentation des Parlamentarischen Staatssekretärs Haar auf meine Frage Nr. 76 , Fahrpreisermäßigungen für kinderreiche Familien seien auf den Strecken der Deutschen Bundesbahn lediglich deshalb eingeführt worden, „um diesen Familien Fernreisen zu verbilligen", bereit, auf Lösungen hinzuarbeiten, daß der Verbundtarif der von der Deutschen Bundesbahn im Verkehrsverbund betriebenen S-Bahn zwischen Plochingen, Esslingen und Stuttgart familien-
und kinderfreundlicher gestaltet wird?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Tarif des Stuttgarter Verkehrsverbunds wird von der Deutschen Bundesbahn und der Stuttgarter Straßenbahn aufgestellt und bedarf der Zustimmung des Bundes, das Landes, der Stadt Stuttgart und der beteiligten Landkreise, die im Aufsichtsrat des Verbunds zusammenarbeiten. Das angesprochene Problem wird Gegenstand der nächsten Beratungen sein. Ich werde Sie über das Ergebnis unverzüglich unterrichten. Ich möchte aber wiederholen, daß eine isolierte Betrachtung der Bundesbahnstrecken in diesem Bereich nicht mehr möglich ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Langguth.
Auch wenn es sich hier um einen Verkehrsverbund handelt, interessiert mich, was von seiten der Deutschen Bundesbahn bisher konkret unternommen wurde, um Fahrpreisermäßigungen für kinderreiche Familien auf den Strecken der Deutschen Bundesbahn im S-BahnVerbund herbeizuführen.Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, am 16. November wird sich eine Aufsichtsratssitzung des Verkehrsverbunds mit dem Problem beschäftigen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8925
Parl. Staatssekretär WredeIch gehe davon aus, daß es dort gelingen wird, das Problem in einer zufriedenstellenden Weise zu lösen.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Sind Sie bereit, in diese Beratungen einzubeziehen, daß gewährleistet wird, daß Schichtarbeiter auch am Samstagmorgen mit ihren verbilligten Arbeitnehmerwochenkarten die Heimfahrt wieder antreten können? Seit Einführung des Verkehrsverbunds Stuttgart gelten die Arbeitnehmerwochenkarten nur bis Samstag 3 Uhr, während, wie Ihnen bekannt sein dürfte, die Schichtarbeit oft bis 6 Uhr morgens dauert.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß die Verantwortlichen des Verkehrsverbunds bei ihren Beratungen im zuständigen Gremium, nämlich im Aufsichtsrat des Verkehrsverbunds, auch diese Probleme berücksichtigen werden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 99 des Herrn Abgeordneten Dr. Langguth auf:
Ist die Bundesregierung bereit, meiner Auffassung zuzustimmen, daß der in der Antwort auf meine Frage gegebene Hinweis, für Senioren sei „inzwischen ein für das ganze Verbundgebiet geltendes Angebot geschaffen" worden, aus sozialen Gründen völlig unzureichend ist, da viele Senioren nur gelegentlich innerhalb des Verbundgebiets fahren und sehr vielen der Erwerb einer Monatskarte aus finanziellen Gründen nicht möglich ist und zudem für weibliche Senioren zwischen 60 und 63 Jahren, die sich bisher einen Seniorenpaß kaufen konnten, eine solche Vergünstigung auch nicht mehr besteht, und ist die Bundesregierung unter dem Eindruck dieser Argumentation nunmehr bereit, gegenüber der Deutschen Bundesbahn vorstellig zu werden, daß auf der Strecke Plochingen-Esslingen-Stuttgart die vor Einführung des S-Bahnverkehrs üblichen Seniorentarife wieder ermöglicht werden?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, sowohl das Seniorenangebot der Deutschen Bundesbahn als auch das des Verkehrs- und Tarifverbundes Stuttgart ist — wie bei allen Verbünden — aus kommerziellen und nicht aus sozialen Erwägungen eingeführt worden. Bei dem Angebot des Verkehrs- und Tarifverbundes Stuttgart ist zu beachten, daß hier ohne Zahlung eines Grundpreises innerhalb des gewählten Bereiches zu einem festen Preis eine unbeschränkte Zahl von Reisen möglich ist, wobei für Senioren von außerhalb zu beachten ist, daß ihnen nunmehr auch das ganze Netz der Stuttgarter Straßenbahn zur Verfügung steht.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Dr. Langguth.
Da Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, eben zum Ausdruck brachten, daß die Preisfestlegung aus kommerziellen Gründen und nicht aus sozialen Gründen vorgenommen wurde, möchte ich die Frage an Sie stellen, wie Sie es mit dem generellen Grundsatz der sozialen Besitzstandswahrung halten, der ja ansonsten auch in anderen Fragen der Politik immer eine große Rolle spielt.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß wie schon bei Ihrer vorherigen Frage darauf verweisen, daß die Verantwortung die zuständigen Gremien tragen, in diesem Falle also der Aufsichtsrat des Verkehrsverbundes, in dem neben dem Bund die von mir genannten anderen Verkehrsträger sitzen. Ich bitte Sie um Verständnis dafür, daß diese sich nicht in der Lage sehen können, ohne weiteres Vergünstigungen aus anderen Bereichen zu übernehmen, da durch diese Zusammenarbeit eine neue Art der Verkehrsbedienung erreicht wurde, bei der ja nicht die Kosten auf die anderen bisher nicht Beteiligten umgelegt werden können.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Sind Sie mit mir der Ansicht, daß es für einen Rentner finanziell außerordentlich schwer erschwinglich ist, eine Monatskarte zu kaufen, um in den Genuß verbilligter Reisen z. B. von Plochingen oder Esslingen nach Stuttgart zu kommen, obwohl — wohlgemerkt — die Senioren vor Einführung der S-Bahn bereits Möglichkeiten des verbilligten Reisens hatten?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann mir kein Urteil zu diesem speziellen Problem erlauben. Ich weiß aber aus vielen anderen Bereichen, daß die Rentner von der Möglichkeit dieser verbilligten Beförderung auch auf Monatskartenbasis sehr häufig Gebrauch machen und daß sich gerade diese Sonderangebote eines regen Zuspruchs erfreuen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 102 des Herrn Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup auf:
Wie steht die Bundesregierung zu dem Wunsch vieler Bürger, ihnen im Fernsprechverkehr mit der DDR ebenfalls den verbilligten Abend-/Nacht- bzw. Feiertagstarif zu gewähren, könnte dieses nicht auch ihrer Ansicht nach einen wesentlichen Beitrag zur Intensivierung der menschlichen Kontakte bedeuten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, ich möchte gerne, wenn der Herr Kollege es gestattet, die Fragen 102 und 103 im Zusammenhang beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 103 des Herrn Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup auf:Existieren womöglich Pläne, solche Tarife einzuführen, und falls ja, wann könnte dies geschehen?Wrede, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung, Herr Kollege, hat gerade im Post- und Fernmeldewesen große Erfolge in der Intensivierung mensch-
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8926 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Parl. Staatssekretär Wredelicher Kontakte zwischen den Bürgern der Bundesrepublik und der DDR erzielt, wie die Erhöhung der Zahl der Leitungen aus dem Bundesgebiet in die DDR und nach Berlin in der Zeit von 1969 bis 1977 von damals 64 auf heute 821 eindrucksvoll bestätigt. Darüber hinaus teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Einführung ermäßigter Tarife zu bestimmten Zeiten einen zusätzlichen Beitrag zur Intensivierung der Kontakte zu den Bürgern in der DDR und Berlin (Ost) bedeuten könnte. Es ist jedoch sinnvoll, Tarifermäßigungen erst dann einzuführen, wenn die Leitungen in die DDR und nach Berlin (Ost) den durch die Gebührensenkung zu erwartenden Verkehrszuwachs aufnehmen können. Selbst die Erhöhung der Zahl der Leitungen bis 1982 um 600 kann zunächst nur der Verbesserung der Dienstgüte für das vorhandene Verkehrsaufkommen dienen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 104 des Herrn Abgeordneten Dr. Bötsch auf:
Hält die Bundesregierung die in Absprache zwischen der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands , dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) und dem Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen festgelegte untere Zahl von "800 unterversorgten Einwohnern" beim Ausbau von Fernsehfüllsendern auch in dünn besiedelten ländlichen Räumen für angemessen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Ich bitte auch hier, Frau Präsidentin, die beiden Fragen im Zusammenhang beantworten zu dürfen.
Dann rufe ich die Frage 105 des Herrn Abgeordneten Dr. Bötsch ebenfalls auf:
Ist die Bundesregierung bereit, gegebenenfalls mit ARD und ZDF neue Vereinbarungen abzuschließen, die zumindest in Härtefällen ein Abweichen von dieser Zahl gestatten?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. März 1968 über die Rechtsnatur der Rundfunkgebühren haben die Landesrundfunkanstalten das alleinige Verfügungsrecht über das Rundfunkgebührenaufkommen. Da nach Angaben der Rundfunkanstalten mit diesem Finanzvolumen eine 100 %ige Fernsehversorgung gegenwärtig nicht möglich ist, wurde zwischen den Rundfunkanstalten, der Rundfunkkommission der Länder und der Deutschen Bundespost vereinbart, Fernsehfüllsender zur Zeit nur für Versorgungslükken mit mehr als 800 Einwohnern zu bauen. Diese Festlegung dient dem Ziel, zunächst einmal die Netze für alle drei Fernsehprogramme gleichmäßig auszubauen. Die künftige Vorgehensweise zur Versorgung von Gebieten, die weniger als 800 Einwohner umfassen, ist zwischen den Rundfunkanstalten und der Deutschen Bundespost noch nicht abschließend geklärt. Die Bundesregierung ist jedoch der Auffassung, daß eine Regelung gefunden werden sollte, die auch eine Versorgung in Lücken mit weniger als 800 Einwohnern sicherstellt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Bötsch.
Wäre die Bundesregierung bereit, bei diesen künftigen Verhandlungen — insbesondere wenn es um die Kosten geht, die die Rundfunkanstalten der Deutschen Bundespost ersetzen müssen — die Gewinnsituation der Deutschen Bundespost im Augenblick mit zu berücksichtigen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Deutsche Bundespost ist natürlich verpflichtet, ihre Kosten durch ihre Einnahmen zu decken. Sie kann also den Rundfunkanstalten diese zusätzlichen Investitionen nicht schenken. Sie ist darüber hinaus aber sicherlich bereit, sich mit den Rundfunkanstalten über Finanzierungsmodalitäten zu unterhalten.
Keine weitere Zusatzfrage. Die Frage 106 ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Wir kommen zur Frage 125 aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Der Fragesteller, Herr Abgeordneter Dr. Wittmann , hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Nunmehr kommen wir zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brücher zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:
Wie steht die Bundesregierung zu der Äußerung von Bundeswirtschaftsminister Dr. Graf Lambsdorff in Teheran, bei der schiitischen Opposition zum Schah-Regime handele es sich um "ultrakonservative oder gar reaktionäre Kräfte", und was sind die Kriterien für eine solche Einschätzung?
Bitte schön, Frau Staatsminister.
Herr Kollege, Bundeswirtschaftsminister Dr. Otto Graf Lambsdorff hat die schiitische Opposition zum Schahregime nicht schlechthin als ultrakonservativ oder reaktionär charakterisiert. Die schiitische Opposition im Iran umfaßt ein breitgefächertes Spektrum politisch divergierender Gruppierungen mit innenpolitischen Forderungen der unterschiedlichsten Art. Aus dieser Opposition heraus kommen aber auch z. B. die Forderungen, die Öffnung des Iran zum Westen wieder zurückzudrängen, die begonnene Emanzipation der iranischen Frau rückgängig zu machen und veraltete Lebensformen wieder einzuführen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.
Frau Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, das was zu den von Ihnen angesprochenen Fragen der Führer der Schiiten, Khomeini, beispielsweise auch für das deutsche Publikum diese Woche im „Stern" erklärt hat, stärker zu werten als Äußerungen, die zwar auch gefallen sein mögen, die aber für die Beurteilung der schiitischen Opposition weniger wichtig sind?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8927
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Selbstverständlich, Herr Kollege, wird die Bundesregierung alles stärker beurteilen, was im Zusammenhang mit der Situation im Iran zu beurteilen ist. Ich möchte aber hinzufügen, daß nach dem Studium der Ausführungen, die von Herrn Wirtschaftsminister Lambsdorff gemacht wurden, wohl keine weiteren Mißverständnisse entstehen können.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.
Stimmen Sie mit mir überein, daß sich bei historischer Betrachtung der Rolle der schiitischen Opposition ergibt, daß diejenigen, die heute die Opposition führen, schon in den Jahren 1951 bis 1953 die Politik der demokratisch gewählten Regierung Mossadegh unterstützt haben und die reaktionären Tendenzen, die der schiitischen Opposition unterstellt werden, keineswegs zum Tragen gekommen sind?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, Sie werden verstehen, daß ich mit Ihnen jetzt nicht in einen historisch-politischen Diskurs eintreten möchte. Nach meiner Meinung ist Ihre Interpretation aber weitgehend richtig.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:
Stimmt die Bundesregierung der Meinung von Bundeswirtschaftsminister Dr. Graf Lambsdorff zu, der Schah des Iran habe eine Liberalisierungspolitik in seinem Land eingeleitet, und wie vereinbart sie diese Einschätzung mit der Tatsage, daß in den iranischen Städten das Kriegsrecht herrscht, daß in den vergangenen Wochen und Monaten Iraner zu Hunderttausenden durch Streiks und Demonstrationen gegen die Politik des Regimes protestiert haben und nach Angaben der iranischen Opposition an die 40 000 Menschen bei Zusammenstößen mit Polizei und Militärs getötet wurden?
Bitte, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, der Schah hat in den letzten Monaten eine Liberalisierungspolitik in seinem Land eingeleitet. Nachdem es jahrelang nur die Einheitspartei Rastakhiz gab, sind seit einiger Zeit Parteineugründungen wieder zugelassen. Schon vor den Septemberunruhen hatte der Schah freie Parlamentswahlen zugesagt. Er hat diese Zusage auch nach Einsetzung einer Militärregierung am 6. November aufrechterhalten. Politische Gefangene sind in großer Zahl entlassen worden. In zwölf Städten des Landes ist inzwischen für ein halbes Jahr Kriegsrecht verhängt worden. Es wird abzuwarten sein, wie sich die Lage nach Rücktritt der während des Lambsdorff-Besuchs noch. amtierenden Regierung Emami entwickelt. Über die Zahl der Todesopfer liegen der Bundesregierung keine nachprüfbaren Angaben vor. Dies gilt sowohl für die Unruhen am vergangenen Sonntag- als auch für die Verluste an Menschenleben im September und Oktober.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordenter Thüsing.
Frau Staatsminister, stimmen Sie meiner Auffassung zu, daß die Betonung einer Unterstützung der „Liberalisierungspolitik" des Schahs mindestens in einer Zeit, in der das Land unter Ausnahmerecht gestellt ist und Tausende von Menschen sterben, mißverständlich für die internationale Öffentlichkeit und auch für die deutsche Öffentlichkeit sein kann?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Thüsing, der Besuch von Graf Lambsdorff in Teheran hat vor dem Ausbruch der sehr bedauerlichen neuerlichen Zwischenfälle stattgefunden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Frau Staatsminister, liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, daß die dramatische Entwicklung im Iran auf außeriranische Einflüsse zurückzuführen ist?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, darüber liegen der Bundesregierung bisher keine Erkenntnisse vor.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 56 und 57 des Herrn Abgeordneten Jungmann werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Da der Herr Abgeordnete Engelsberger nicht im Saal ist, wird die Frage 58 schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 126 des Herrn Abgeordneten Pfeifer auf:
Stimmt die Bundesregierung im Rahmen ihrer auswärtigen Kulturpolitik mit der Auffassung der Enquete-Kommission Auswärtige Kulturpolitik, Drucksache 7/4121, überein, wonach es auch in Zukunft notwendig sein wird, bei der Arbeit im Ausland die Tatsache einer gemeinsamen nationalen Kultur zu betonen?
Bitte sehr, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Frau Präsident, ich wäre sehr dankbar, wenn ich zu den folgenden zehn Fragen mit dem Einverständnis der Fragesteller eine allgemeine Vorbemerkung machen dürfte.
Ich wäre den Fragestellern dankbar, wenn Sie damit einverstanden sind. — Bitte, Frau Staatsminister.Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Danke, Frau Präsident. Bitte erlauben Sie mir, Herr Kollege, bevor ich auf die zehn Fragen zu den kulturpolitischen Aktivitäten der DDR in Drittländern im einzelnen antworte, einige übergreifende Informationen zu geben und einige allgemeine Bemerkungen zu diesem Thema zu machen.Zunächst einige Informationen zur Kulturarbeit der DDR. Die Bundesregierung hat hierzu sehr um-
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8928 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücherfangreiche und gründliche Erhebungen durchgeführt, und zwar die letzte im Spätsommer dieses Jahres. Die DDR hat bisher mit etwa 50 Staaten Kulturabkommen geschlossen. Wir wissen, daß die DDR in über 40 Staaten, davon 18 in Schwarzafrika und 12 in Lateinamerika, keine kulturelle Aktivität entfaltet. In zehn weiteren Staaten wurden keine erwähnenswerten Tätigkeiten festgestellt. In mehreren anderen Staaten ist die kulturelle Präsenz der DDR kaum nennenswert. Weltweit gesehen hat der Umfang der DDR-Kulturarbeit im Ausland nach unseren Erkenntnissen in letzter Zeit nicht spürbar zugenommen. Es finden allerdings eine Verlagerung und neue Schwerpunktbildung statt. Einer deutlichen Zunahme der DDR-Aktivitäten in sechs Ländern steht eine klare Abnahme in elf Ländern gegenüber. Es hat den Anschein, daß die DDR ihre Kulturarbeit in den westlichen Industrieländern auf Kosten ihres Engagements in der Dritten Welt zu verstärken beginnt, beispielsweise durch die große Gemäldeausstellung „The Splendor of Dresden" in Washington und New York. Schwerpunkte der Kulturarbeit der DDR sind heute vor allem die Staaten des Warschauer Pakts, in Westeuropa vor allem Frankreich, Italien und Finnland, aber auch Schweden und Österreich. Bevorzugte Zielländer in der Dritten Welt sind derzeit von den sogenannten befreundeten Staaten der DDR Kuba, Vietnam, Algerien, Syrien, die Volksrepublik Jemen, Mozambique, Angola, Kap Verde, Guinea-Bissau, Benin, die Volksrepublik Kongo, Äthiopien sowie darüber hinaus Indien, Mexiko und Venezuela.Im Mittelpunkt der DDR-Kulturarbeit stehen Stipendien und Besuchsprogramme für Studien- und Informationsreisen und in den Industrieländern vor allem auch Musik- und Theateraufführungen sowie repräsentative Kunstausstellungen. Die DDR lädt außerdem zu größeren, international aufgezogenen Kolloquien und Symposien sowie zur Leipziger Buchmesse ein.In ihrer Zielsetzung ist die DDR bemüht, durch das Instrument der Kulturpolitik ihr internationales Ansehen anzuheben. In den Entwicklungsländern will sie mit ihrem kulturellen Angebot „bei der Bewältigung der kulturellen Hinterlassenschaft des Kolonialismus" helfen.Auch in westlichen Ländern ist die ideologischpolitische Komponente der DDR-Kulturarbeit nicht zu übersehen. Die wichtigsten Träger der kulturellen Aktivitäten der DDR sind ihre Kulturinstitute — derzeit 10, davon 5 in osteuropäischen Staaten — und ihre Auslandsvertretungen sowie die von der Liga für Völkerfreundschaft in Ost-Berlin und von den örtlichen DDR-Botschaften gesteuerten Freundschaftsgesellschaften.Die Resonanz auf die Aktivitäten der DDR ist uneinheitlich. Es ist zu bedenken, daß Ausstellungen wie „Die Pracht Dresdens" und Gastspiele des Leipziger Gewandhausorchesters und der Berliner Staatsoper beim ausländischen Publikum immer auch einen gesamtdeutschen Effekt auslösen. Da unser kulturelles Angebot im Ausland offener, breiter, zeitnäher und differenzierter angelegt ist ais die in derRegel ideologisch verengten Offerten der DDR, ist es wohl auch wirksamer.Daher besteht keine Notwendigkeit, unser Konzept der auswärtigen Kulturpolitik im Hinblick auf die kulturellen Aktivitäten der DDR zu ändern. Dennoch, Herr Kollege, werden wir sie weiterhin mit großer Aufmerksamkeit beobachten.Vor diesem Hintergrund darf ich nun Ihre erste Frage, die Frage 126, beantworten.Die Bundesregierung stimmt auch in dieser Frage mit der Auffasung der Enquete-Kommission Auswärtige Kulturpolitik überein. In der Ziffer 7.2 der Stellungnahme zum Bericht der Enquete-Kommission wird folgendes erklärt:Die auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland geht trotz der staatlichen Trennung der Deutschen von der gemeinsamen deutschen Kultur aus. Wir halten daran fest, daß die gemeinsame Geschichte, Kultur und Sprache schon immer die entscheidenden Klammern der Einheit unseres Volkes waren und es auch bleiben werden. Nicht nur in den innerdeutschen, sondern auch in den internationalen Beziehungen werden wir deshalb an den gemeinsamen kulturellen Grundlagen festhalten und alle wertvollen Ausdrucksformen der deutschen Kultur fördern. Die auswärtige Kulturpolitik trägt auf diese Weise dazu bei,, das Bewußtsein der Einheit unserer nationalen Kultur wachzuhalten und zu festigen.Herr Kollege, über diese klare Aussage gibt es, so denke ich, in diesem Hause keine Meinungsverschiedenheiten.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pfeifer.
Frau Staatsminister, da es uns in dieser Fragestunde darum geht, im Hinblick auf die von Ihnen eingangs geschilderte Kulturarbeit der DDR einige Fragen unserer auswärtigen Kulturpolitik zu klären, möchte ich Sie zunächst fragen: Ist die Bundesregierung bereit, zu erklären, daß die Tatsache der gemeinsamen nationalen Kultur nicht nur auf die Vergangenheit gerichtet ist, sondern daß es unser Bemühen sein muß, diese Tatsache der gemeinsamen nationalen Kultur auch für die Zukunft wirksam zu machen, mit dem Ziel, daß sie bestehenbleibt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat dies wiederholt erklärt, und die. Kulturbeziehungen der Bundesrepublik Deutschland mit dem Ausland sind darauf abgestellt.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatsminister, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß es ange-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8929
Pfeifersichts der Tatsache einer gemeinsamen nationalen Kultur zu den Aufgaben unserer auswärtigen Kulturpolitik dann z. B. auch gehören muß, das Werk solcher Schriftsteller und Künstler in die kulturelle Auslandarbeit der Bundesrepublik einzubeziehen, welche die DDR verlassen mußten und verlassen haben, und wird die Bundesregierung dies auch dann tun, wenn es zu Auseinandersetzungen mit der DDR führt?Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Pfeifer, die Bundesregierung und die Mittlerorganisationen, die wir hierzu befragt haben, tun dies ausdrücklich. Ich werde bei der Antwort auf eine hier noch folgende Anfrage auch Namen und Titel nennen; denn es ist selbstverständlich, daß alles, was in deutscher Sprache, gleich, in welchem Teil Deutschlands, an Literatur, an wichtigen literarischen Dokumenten erscheint, Gegenstand unserer Kulturarbeit im Ausland sein muß. Ich stimme mit Ihnen also durchaus überein.
Ich rufe die Frage 127 des Herrn Abgeordneten Pfeifer auf:
Geht die Bundesregierung davon aus, daß in ihrer auswärtigen Kulturpolitik die Darstellung der nationalen deutschen Kultur als gemeinsame Aufgabe zusammen mit der DDR verwirklicht werden kann?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung sieht zur Zeit auf Grund der Abgrenzungspolitik der DDR keine Möglichkeit, die Darstellung der nationalen deutschen Kultur in Drittländern gemeinsam mit der DDR zu verwirklichen. Die Bundesregierung ist aber zu einer solchen Zusammenarbeit bereit, die in dem gemeinsamen kulturellen Erbe, vor allem auch der Sprache, einen Ansatzpunkt finden könnte.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pfeifer.
Frau Staatsminister, trifft es zu, daß die DDR in den kommunistisch regierten Ländern Osteuropas ein Monopol — um nicht zu sagen: einen Alleinvertretungsanspruch — bezüglich der Darstellung der deutschen Geschichte und Kultur beansprucht, und sieht die Bundesregierung die Gefahr, daß die DDR ein solches Monopol oder einen solchen Alleinvertretungsanspruch in einzelnen, z. B. kommunistisch regierten Staaten der Dritten Welt durchzusetzen versuchen könnte?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, bezüglich der osteuropäischen Länder haben die Erhebungen ergeben, daß — außer in zwei Staaten — dieser Alleinvertretungsanspruch nicht festzustellen ist. Im Hinblick auf die mit den osteuropäischen Ländern abgeschlossenen Kulturabkommen ist es das Ziel der Bundesregierung, durch die Unterhaltung von Kulturbeziehungen auch zu diesen Staaten diesem Alleinvertretungsanspruch entgegenzuwirken.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Was die afrikanischen Staaten betrifft, so haben unsere Erhebungen hier keine konkreten Anhaltspunkte ergeben.
Herr Kollege, ich bitte immer den Sachzusammenhang mit der ursprünglichen Frage zu beachten. Sie haben eine zweite Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, hat es in den zurückliegenden Jahren nennenswerte Beispiele dafür gegeben, daß es zwischen der Bundesrepublik und der DDR zur Zusammenarbeit in der Darstellung der gemeinsamen nationalen Geschichte oder Kultur gekommen ist?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, leider hat es solche nennenswerten Gelegenheiten nicht gegeben. Bei einer großen repräsentativen Ausstellung der deutschen romantischen Malerei in Paris ist es allerdings der französischen Regierung gelungen, Bilder aus beiden Teilen Deutschlands für diese Ausstellung zu erhalten. Das ist meiner Erinnerung nach die einzige Gelegenheit gewesen.
Ich rufe die Frage 128 des Herrn Abgeordneten Kunz auf:
Hält die Bundesregierung eine Zusammenarbeit in der auswärtigen Kulturpolitik mit der DDR überhaupt für möglich, solange die DDR einen kulturellen Alleinvertretungsanspruch geltend macht?
Bitte sehr, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die DDR macht im Rahmen ihrer Kulturarbeit im Ausland keinen kulturellen Alleinvertretungsanspruch geltend. Ihr erklärtes Ziel ist es vielmehr, die sogenannte sozialistische Nationalkultur darzustellen. Dabei greift sie auch auf Teile der deutschen kulturellen Tradition zurück.
Was die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit angeht, möchte ich auf meine Antwort auf die vorhergehende Anfrage verweisen.
Bitte, Herr Abgeordneter Kunz.
Frau Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß die Möglichkeiten der Zusammenarbeit insbesondere dadurch erschwert werden, daß die DDR auch unter Honecker die Kulturpolitik, speziell im Ausland, weiterhin unter Abgrenzungsgesichtspunkten betreibt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, zwischen „Abgrenzung" und „Alleinvertretungsanspruch" besteht ein großer Unterschied. Ich habe in meinen vorhergehenden Antworten schon dargestellt, daß eine Abgrenzung und ein anderes Verständnis der kulturellen Darstellung zu beobachten sind, daß das aber kein Grund für die Bundesregierung sein soll, immer wieder Möglichkeiten offen zu lassen, damit es eines Tages zu einer Zusammenarbeit kommen kann.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
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8930 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Beziehen Sie in Ihre Betrachtung denkbarer Möglichkeiten auch den Umstand ein, daß z. B. das Mitglied des SED-Politbüros, Hager, auf dem 9. Kongreß des Kulturbundes der DDR in Ost-Berlin ausgeführt hat, daß es um die politisch-ideologische Position gehe und daß es hier nur entweder die sozialistische , Ideologie oder die bürgerliche Ideologie der faulen Sitten und Gebräuche gebe, ein Umstand, der doch sicherlich leider jeden Ansatz zu einer Zusammenarbeit denk-möglichst erschwert?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, das mag die Ansicht eines Funktionärs sein. Mir liegt hier die Rede Stefan Hermlins auf dem 7. Schriftstellerkongreß der DDR in Berlin vor. Die Rede ist so bemerkenswert, daß ich mit Erlaubnis der Frau Präsidentin daraus vorlesen darf:
Ich bin Schriftsteller der DDR, da ich hier lebe und arbeite, woran sich, wenn es nach mir geht, nichts ändern soll. Überdies bestätigen es mir gelegentlich die Zeitungen eines Nachbarlandes. Aber so bin ich denn ein deutscher Schriftsteller. Ich sei nur immer, wer ich sei, verbunden mit allem im positiven wie im negativen, was deutsch . geschrieben wurde und deutsch geschrieben wird. Die Gründung der DDR war nicht das Ende deutscher Geschichte, sondern ein neues Kapitel. Die Existenz einer Literatur ist nicht deckungsgleich mit der Existenz von Staaten.
Ich glaube, das sind Sätze, die trotz unserer Sorge um die Gemeinsamkeit des deutschen kulturellen Erbes einige Hoffnung in uns erwecken könnten.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Rühe.
Frau Staatsminister, könnten Sie uns sagen, in welchen beiden osteuropäischen Ländern die DDR einen kulturellen Alleinvertretungsanspruch durchzusetzen versucht?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Nach unseren Erhebungen haben wir diese Frage nur aus Budapest mit Ja beantwortet erhalten. Aus Prag hat die Botschaft mitgeteilt, daß sich die DDR als einzige Wahrerin der deutschen Kultur verstehe.
Das war dann schon beinahe die Antwort auf die Frage 129 des Herrn Abgeordneten Kunz , die ich jetzt aufrufe:
Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang den Anspruch der DDR, sich als einzige Vertreterin der wahren deutschen Kulturtradition zu sehen, und wie begegnet die Bundesregierung dieser Politik?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, Deutschland ist geteilt. Niemand kann einen Alleinvertretungsanspruch erheben. Je einseitiger die deutsche Kultur dargestellt wird, desto weniger kann ein Anspruch auf d i e Vertretung der deutschen Kultur erhoben werden.
Bitte, Zusatzfrage.
Frau Minister, teilen Sie meine Auffassung, daß leider nahezu unverändert von der SED Kulturpolitik und besonders auswärtige Kulturpolitik fast ausschließlich als Kampfmittel benutzt wird?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann diese Meinung nicht bestätigen. Nach allen Erhebungen, die wir jetzt gesammelt haben, müssen wir davon ausgehen, daß es der DDR eher um die Selbstdarstellung geht, auch um die politisch-ideologische Selbstdarstellung, daß die Kulturpolitik aber als Kampfmittel, insbesondere gegen die Bundesrepublik Deutschland, nicht angewendet wird.
Zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege Kunz.
Frau Staatsminister, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß die DDR speziell in Polen einen Alleinvertretungsanspruch erhebt und in Konsequenz dessen z. B. alles tut, um ein bundesdeutsches Kulturzentrum an der Weichsel zu verhindern?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, das geht aus unseren Erhebungen nicht hervor. Ich habe vorhin schon die Staaten genannt. Die Frage der Errichtung von Kulturinstituten ist nicht nur ein Problem gegenüber Polen, sondern auch gegenüber anderen osteuropäischen Staaten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Friedrich.
Frau Staatsminister, ich beziehe mich bei meiner Frage auf den Begriff „wahre deutsche Kulturtradition", wobei es ja für die Stenographen wichtig ist, daß „wahr" hier mit „h" geschrieben wird:
Glauben Sie wirklich, `daß außerhalb der Grenzen der beiden deutschen Staaten jemand der Meinung ist, daß der in Thüringen geborene Friedrich Nietzsche, in Basel und in Italien lebend, der „wahren deutschen Kulturtradition" der DDR oder der Bundesrepublik zuzurechnen ist, oder wird man ihn vielmehr für einen großen Deutschen und Europäer halten?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Letzteres, Herr Kollege.
Zusatzfrage, Herr Dr. Meinecke .
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8931
Frau Staatsminister, da ich die Intentionen der Kollegen von der Opposition bei diesem Bündel von Fragen nicht ganz begreife, möchte ich Sie fragen, ob nicht eine Studie des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung über die Ergebnisse einer Umfrage zu verschiedenen Aspekten des Deutschlandbildes im Ausland mit der Frage „Welches Land repräsentiert mehr die deutsche Kultur?" eindeutig ergeben hat, daß in mehreren Nationen beweisbar ist, daß der Vorwurf, unsere auswärtige Kulturpolitik sei nicht effizient, drastisch widerlegt worden ist?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege ich kenne die Ergebnisse dieser Umfrage. Ich möchte in dieser Debatte nur davor warnen, daß wir die Diskussionen um die Wirksamkeit und um die Aktivitäten der DDR in Drittländern nur in Form eines vordergründigen Konkurrenzverhältnisses sehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pfeifer.
Frau Staatsminister, nachdem Sie eben zum Ausdruck gebracht haben, daß, von Ausnahmen abgesehen, die DDR keinen kulturellen Alleinvertetungsanspruch in den kommunistischen Staaten Osteuropas erhebt: Worauf führen Sie es denn zurück, daß es mit Ausnahme von Jugoslawien und vielleicht demnächst Rumänien bisher nicht in einem einzigen Land in Osteuropa gelungen ist, ein deutsches Kulturinstitut zu errichten?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die gleichen Schwierigkeiten mit der Errichtung von Kulturinstituten in osteuropäischen kommunistischen Ländern haben die anderen westlichen Demokratien überwiegend auch.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Frau Staatsminister, ist die von Ihnen skizzierte Haltung der DDR, jedenfalls in zwei Ländern, für die Bundesregierung nicht allein schon dadurch höchster Aufmerksamkeit wert, als diese doch einen ganz klaren Verstoß gegen die Abmachungen im dritten Teil der KSZE-Schlußakte darstellt, wo ausdrücklich vereinbart ist, daß man gegenseitig den Austausch der Kultur fördern und nicht verhindern wolle?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, das ist es. Die Frage ist ja, ob der Alleinvertretungsanspruch von dem jeweiligen Staat und seiner Regierung anerkannt wird.. Im Augenblick bemühen wir uns ja auch in diesen Ländern um den Ausbau der Kulturbeziehungen und haben in einigen Bereichen noch nicht alle wünschbaren, aber doch einige Fortschritte erzielt.
Letzte Zusatzfrage zu dieser Frage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Frau Staatsminister, sind die von Ihnen eben geschilderten Schwierigkeiten in den Ostblockstaaten mit den Bemühungen um die Normalisierung der Beziehungen vereinbar?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich wiederhole: Wir können mit den Fortschritten durchaus zufrieden sein, auch wenn wir davon ausgehen, daß sie verbesserungsbedürftig und verbesserungsfähig sind.
Ich rufe die Frage 130 des Herrn Abgeordneten Rühe auf:
Sieht die Bundesregierung es als Bestandteil ihrer auswärtigen Kulturpolitik an, den Schriftstellern und Künstlern, die aus der DDR ausgebürgert wurden oder sie auf andere Weise verlassen haben, als Vertretern der deutschen nationalen Kultur im Ausland Darstellungsmöglichkeiten zu bieten?
Bitte sehr, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung sieht es im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik als ihre Aufgabe an, hervorragende deutsche Schriftsteller und Künstler unabhängig von ihrem jeweiligen Wohnort zu fördern. Das gilt selbstverständlich auch für Schriftsteller und Künstler, die aus der DDR ausgebürgert wurden oder sie auf andere Weise verlassen haben. So hat das Goethe-Institut in letzter Zeit einige aus der DDR übersiedelte Schriftsteller zu Lesungen an Auslandszweigstellen und zu Vorträgen nach München eingeladen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rühe.
Frau Staatsminister, können Sie sagen, welche konkreten weiteren Pläne für die Zukunft bestehen, diesem unserem Petitum nachzukommen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, durch das Goethe-Institut, aber auch über die Lektoren, die vom DAAD entsandt werden, werden die Literatur und alle in diesem Zusammenhang stehenden Sachverhalte auch weiterhin in jeder Weise in die Kulturprogramme mit einbezogen. Vielleicht interessiert es Sie, einmal zu hören, Werke welcher namhaften Schriftsteller aus der Gegenwartsliteratur der DDR z. B. in Buchspenden, die wir ins Ausland versenden, mit versandt werden: Anna Seghers, Günther Kunert, Johannes Bobrowski, Christa Wolf, Stefan Heym, Stephan Hermlin, Reiner Kunze, Hans Joachim Schädlich, Sarah Kirsch, Christa Reinig, Hermann Kant, Volker Braun, Jurek Becker, Ulrich Plenzdorf, Peter Hacks und Peter Huchel. Sie sehen daraus, daß wir dem Petitum der Opposition durchaus die gleiche Bedeutung beimessen wie sie.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rühe.
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8932 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Frau Staatsminister, angesichts der Tatsache, daß gerade in jüngster Zeit sehr prominente und gewichtige Schriftsteller aus der DDR ausgewiesen wurden oder sie verlassen mußten, frage ich Sie: Wird dies dazu führen, daß die Bundesregierung in der Zukunft verstärkt solche Schriftsteller bei Lesungen, etwa auch im Ausland, wird auftreten lassen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: In der Einzelgestaltung sind unsere Mittlerorganisationen frei, aber wir unterstützen und begrüßen es, wenn sie diese Schriftsteller auch in ihren Vortragsprogrammen berücksichtigen und vor allem wenn die Werke in unseren Bibliotheken vorrätig sind.
Frage 131 des Herrn Abgeordneten Rühe:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die DDR in Drittländern gegen die außenkulturpolitischen Aktivitäten der Bundesregierung in aggressiver Form agiert und in ernsthafter Form zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland bei Regierungen in Drittländern interveniert hat, und wie verhält sich die Bundesregierung in solchen Fällen?
Bitte sehr, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung kann nicht bestätigen, daß die DDR in Drittländern gegen kulturpolitische Aktivitäten der Bundesregierung in aggressiver Form agiert und in ernsthafter Form zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland bei Regierungen in Drittländern interveniert hat. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß es einzelne Versuche der Beeinflussung gibt.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Frau Staatsminister, können Sie nicht bestätigen, daß konkrete Projekte unsererseits in osteuropäischen Ländern durch Interventionen von seiten der DDR im Ansatz zunichte gemacht worden sind und es nicht zu solchen Aktionen gekommen ist?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie jetzt „osteuropäische Länder" gesagt haben?
— Mir ist im Augenblick kein solches Beispiel bekannt. Ich würde Sie hier um konkretere Angaben bitten.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Meinecke.
Frau Staatsminister, unterstellen wir einmal, die Aussage in der Frage 131 des Kollegen Rühe ist wahr: Würde es den hohen Intentionen und dem Ansehen deutscher Kultur im Ausland nützen, wenn die Bundesrepublik Deutschland mit gleichen Methoden arbeitete?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Nein.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pfeifer.
Frau Staatsminister, nachdem Sie in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollege Rühe zum Ausdruck gebracht haben, daß es einzelne Versuche der DDR zur Beeinflussung von Drittländern zum Nachteil der kulturellen Außenbeziehungen der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat, möchte ich Sie doch bitten, auch den zweiten Teil der Frage von Herrn Rühe zu beantworten, nämlich wie sich die Bundesregierung in solchen Fällen verhalten hat oder künftig zu verhalten gedenkt.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, wir haben einen solchen Fall zur Kenntnis erhalten, der in Lissabon gespielt hat. Dort sollte im April 1978, glaube ich, ein Film aufgeführt werden. Es war interessanterweise ein Film aus früheren Zeiten, der Film „Berlin Alexanderplatz" von Alfred Döblin. Hier hat wohl die DDR Protest dagegen erhoben, daß der Film in Lissabon aufgeführt werden sollte. Diesen Protest hat die Bundesregierung nachdrücklich zurückgewiesen, und der Film ist. selbstverständlich vorgeführt worden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Frau Staatsminister, Sie haben nicht ausgeschlossen, daß es gelegentlich doch zu Interventionen der DDR gekommen ist. Geht nach Kenntnis der Bundesregierung die Schwierigkeit der Errichtung eines Kulturinstituts in Warschau auf derartige Interventionen der DDR zurück?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, darauf kann ich Ihnen keine Antwort geben. Vermutungen möchte ich hier nicht aussprechen. Ich möchte nur soviel sagen: Das ist doch nie auszuschließen. Wenn es unter Umständen einmal in irgendeiner Kulturangelegenheit zu solchen Interventionen kommt, kann der Botschaft niemals jedes Detail bekanntwerden. Das sind doch alles keine Haupt- und Staatsaktionen, sondern Telefongespräche oder Briefchen. Wir haben wirklich nicht die Voraussetzungen dafür, daraus in jedem Einzelfall eine Riesen-Staatsaktion zu machen.
Bitte keine solchen Zwischenrufe der Bewertung!Ich rufe die Frage 132 des Herrn Abgeordneten Dr. Hornhues auf:Trifft es zu, daß die Stipendienangebote der DDR, die diese im vergangenen Jahr nach dem ersatzlosen Wegfall der Stipendien des DAAD den ausgeladenen Stipendiaten zum Ausgleich angeboten hat, von diesen angenommen worden sind?Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, es gab 1977 etwa 7 900 Stipendien, die wir seitens der Bundesrepublik Deutschland angeboten
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8933
Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücherhaben. Diese mußten wegen allgemeiner Sparmaßnahmen um 322 für Ferienkurse und um 355 für Sprachkurse gekürzt werden. 12 Stipendiaten erhielten Ersatzangebote der DDR. Nur einige haben dieses Angebot möglicherweise angenommen. 1978 nun wurden die Streichungen wieder rückgängig gemacht und die entsprechenden Mittel um 1,3 Millionen aufgestockt, so daß sich diese einmalige bedauerliche Streichung nicht wiederholt hat.
Zusatzfrage, Herr Dr. Hornhues:
Nachdem Sie freundlicherweise schon gesagt haben, daß es bedauerlich war, darf ich Sie noch fragen: Hat es ähnliche Vorfälle gegeben?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Hornhues, solange ich im Amt bin, hat es keine ähnlichen Vorfälle gegeben. Ich werde bei Ihrer nächsten Frage auch auf die Zukunft zu sprechen kommen.
Dann darf ich die nächste Frage aufrufen, Frage 133 des Herrn Dr. Hornhues.
Wird die Bundesregierung gegebenenfalls im Rahmen ihrer auswärtigen Kulturpolitik in Zukunft auf Grund der in diesem Fall gemachten Erfahrungen davon absehen, kurzfristige Mittelkürzungen vorzunehmen, die es der DDR ermöglichen, diese Lücke auszufüllen?
Bitte, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Die Bundesregierung geht davon aus, daß sich in Zukunft keine Notwendigkeit mehr ergibt, Haushaltseinsparungen vorzunehmen, die sich auf die auswärtige Kulturpolitik auswirken. In diesem Jahr wurde dies, wie bereits gesagt, korrigiert. Die Steigerungsraten von 15 % im Wissenschaftsbereich im Entwurf des Haushaltsplans 1979 deuten darauf hin, daß wir jetzt wieder in einen deutlichen Aufwärtstrend bei der Vergabe von Stipendien hineinkommen.
Haben Sie eine Zusatzfrage? — Bitte sehr.
Frau Staatsminister, ist denn auch sichergestellt, daß es in der Zukunft, für die man natürlich alles Gute wünschen möchte, nicht wieder zu Problemen dergestalt kommt, daß am Ende eine Institution steht, die Stipendien doch zurückziehen muß, und man dann nicht reagiert. Ist dann eine ausreichend enge Verbindung zwischen Ihrem Amt und den verschiedenen Mittlerorganisationen in dieser Frage gewährleistet?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, wir werden alles tun, was in unseren Kräften steht, und haben hierfür auch entsprechend Vorsorge getroffen, daß sich so etwas nicht durch irgendwelche Kürzungen öder Absagen wiederholt.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 134 — des Herrn Abgeordneten Böhm — auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung im Rahmen ihrer auswärtigen Kulturpolitik die Aktivitäten der DDR-Organisation „Neue Heimat", die sich offenbar mit erheblichen finanziellen Mitteln bemüht, in vielen Teilen der Welt die ausländischen Staatsbürger deutscher Herkunft für ihre politischen Ziele zu gewinnen?
Bitte, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die Aktivitäten der DDR-Organisation „Neue Heimat" sind der Bundesregierung bekannt. Wir wissen, daß die Zeitschrift „Neue Heimat" an einige Vereine deutscher Zuwanderer in den USA, Kanada, Australien und Lateinamerika und vereinzelt auch an Einzelpersonen verschickt wird. In Brasilien hat die „Neue Heimat" der Universitätsstiftung in Blumenau Bücher geschenkt und versucht, sich Eingang bei kirchlichen Stellen zu verschaffen. Ferner hat sie in Brasilien und Argentinien Einladungen zum Besuch der DDR ausgesprochen. Ein besonderer Erfolg war diesen Bemühungen nach Kenntnis der Bundesregierung nicht beschieden. Die Bundesregierung hat nicht den Eindruck, daß es der Organisation „Neue Heimat" in nennenswertem Umfang gelungen ist, ausländische Staatsbürger deutscher Herkunft für die Ziele der DDR zu gewinnen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Frau Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß über die Organisation „Neue Heimat" oder andere Einrichtungen des DDR-Außenministeriums eine systematische Infiltration deutschsprachiger Zeitungen im Ausland erfolgt, und wie gedenkt sie gegebenenfalls diesen Aktionen der DDR entgegenzutreten?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Böhm, die Bundesregierung kann natürlich nicht verhindern, daß die „Neue Heimat" an Redaktionen von Zeitungen anderer Länder verschickt wird. Ob sich die Zeitungen indoktrinieren lassen oder nicht, ist natürlich ihre eigene Sache.
Zweite Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, warum hat die Bundesregiernug vor einigen Jahren den Materndienst für deutschsprachige Zeitungen im Ausland eingestellt? Gedenkt die Bundesregierung diesen Versand wieder aufzunehmen, um der Agitation der „Neuen Heimat" und des DDR-Außenministeriums entgegenwirken zu können?Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich glaube, die Frage der Matern für deutsche Zeitschriften liegt ein bißchen weit weg von der „Neuen Heimat" . Ich bin aber gerne bereit, Ihnen die Frage schriftlich zu beantworten.
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8934 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Ich rufe Frage 135 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Welche Aktivitäten entfaltet die DDR nach Kenntnis der Bundesregierung gegenüber deutschen und deutschstämmigen Bürgern in den einzelnen Ostblockstaaten?
Bitte, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, das Ausmaß der Bemühungen der DDR um die kulturelle Betreuung des von Ihnen genannnten Personenkreises ist von Land zu Land unterschiedlich und hängt von der offiziellen Politik des jeweiligen Landes gegenüber den dort lebenden Deutschen ab. Nach den uns- vorliegenden Informationen lädt die DDR z. B. Künstler, Schriftsteller usw. aus den Warschauer-Pakt-Ländern in die DDR ein und verteilt Geschenkabonnements für DDR-Zeitschriften und Bücherspenden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Frau Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt geworden, ob sich die DDR z. B. dafür einsetzt, daß deutsche und deutschstämmige Minderheiten in Ostblockländern die Gelegenheit erhalten, sich in deutscher Sprache in Wort und Schrift öffentlich ausdrücken zu können?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann Ihnen das im Augenblick nicht sagen, aber nach meiner Kenntnis gibt es solche Minderheitenrechte in allen osteuropäischen Staaten — bis auf Polen, wenn ich das im Hinblick auf die vielen Fragen des Herrn Kollegen Czaja jetzt richtig im Gedächtnis habe.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Böhm, bitte schön.
Frau Staatsminister, teilen Sie meine Meinung, daß die Bundesrepublik Deutschland ihre Aufgabe, den deutschen Minderheiten in Ostblockstaaten bei der Wahrung ihrer kulturellen Interessen zu helfen, entschlossener und eindeutiger wahrnehmen muß als bisher?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, Sie dürfen sicher sein, daß die Bundesregierung dies nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten getan hat und auch in Zukunft tun wird.
Vizepräsident Frau' Renger: Frau Staatsminister, ich würde Ihnen ja bei der langen Reihe der Fragen gern eine Pause gönnen, aber es kommt jetzt noch einmal eine recht lange Reihe. Ich darf jetzt auf Frage 58 des Abgeordneten Engelsberger zurückkommen:
Teilt die Bundesregierung uneingeschränkt den von Bundes-
minister Dr. Graf Lambsdorff in Teheran vertretenen Standpunkt, daß die Bundesrepublik Deutschland an stabilen Verhältnissen in Persien interessiert sei?
Frau Dr, Hamm-Brücher, Staatsminister: Frau Präsident, ich beantworte die Frage des Herrn Kollegen Engelsberger wie folgt: Die Bundesregierung ist an stabilen Verhältnissen im Iran interessiert. Auf Grund der geographischen und geostrategischen Lage ist ein stabiler Iran gleichzeitig ein wichtiger Stabilitätsfaktor der Mittel- und Nahost-Region. Die Bundesrepublik Deutschland muß ein großes Interesse an der politischen und wirtschaftlichen Stabilität in diesem Lande haben, ebenso wie es andere europäische Länder und die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika vorher bekundet haben. Es ist selbstverständlich, daß diese Stabilität, wie Bundeswirtschaftsminister Dr. Otto Graf Lambsdorff in Teheran ausgeführt hat, nicht in einer Diktatur, sondern in einer liberalen politischen Ordnung erreicht werden kann.
Jetzt bitte nur die zwei Zusatzfragen des Fragestellers; bitte schön, Herr Kollege.
Frau Staatsminister, treffen Meldungen zu, daß die Erklärungen von Bundesminister Graf Lambsdorff in Teheran voll mit der Bundesregierung abgestimmt worden sind und der deutschen Außenpolitik entsprechen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, was ein Bundesminister im Ausland sagt, entspricht immer der Meinung der Bundesregierung.
Bitte, Herr Kollege, noch eine Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, steht die Bundesregierung voll hinter der Erklärung von Bundesminister Graf Lambsdorff in Teheran, daß eine stabile Ordnung weder dann vorstellbar sei, wenn ultrareaktionäre Moslems, noch dann, wenn die Marxisten die Lage im Iran bestimmten?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe die Rede von Graf Lambsdorff hier. Ich kann eine entsprechende Passage im Augenblick. nicht finden. Allgemein kann ich nur das wiederholen, was ich bei Ihrer vorigen Frage schon gesagt habe.
Sie stimmen also — —
Schönen Dank! Das waren die zwei Zusatzfragen.
— Dies unterliegt nicht Ihrer Beurteilung, verehrter Herr Kollege; das müssen wir immer wieder sagen.Ich rufe jetzt Frage 136 des 'Herrn Abgeordneten Sauer auf:Kann die Bundesregierung Pressemeldungen bestätigen, wonach ca. „3 500 Fallschirmjäger der Streitkräfte der DDR in Angola stationiert sind, um den Guerillaeinheiten der südwestafrikanischen Volksorganisation SWAPO zu helfen„?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8935
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung kann diese Pressemeldungen nicht bestätigen. Ihr Inhalt entspricht nicht den Erkenntnissen der Bundesregierung. Nach Auffassung der Bundesregierung sollte die Beantwortung dieser Frage im einzelnen, wie auch schon zuvor, im zuständigen Bundestagsausschuß erfolgen. Ich bitte daher um Verständnis, wenn die Bundesregierung bei Fragen, deren Beantwortung ihr nur auf Grund vertraulicher Informationen möglich ist, insoweit an ihrer bisherigen Praxis festhält.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.
Darf ich also davon ausgehen, Frau Staatsminister, daß der Herr Bundesminister des Auswärtigen bei seinen kürzlichen Aufenthalten in Windhuk und in Pretoria nicht darauf angesprochen worden ist, daß die DDR-Experten in Angola das Geheimdienstnetz aufgebaut haben, Offiziere im Hafen als Kapitäne tätig sind und, wie gesagt, Fallschirmjäger dort tätig sein sollen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, in Ihrer ursprünglichen Frage haben Sie nach 3 500 Fallschirmjägern gefragt. Diese Zahl habe ich nicht bestätigen können.
Die Frage nach sonstigen Experten oder Aktivitäten der DDR kann ich Ihnen nicht aus dem Handgelenk beantworten. Aber auch hier gilt das gleiche: die Verpflichtung, dies nur in geschlossenen Sitzungen zu erörtern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer?
Ein Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Frau Staatsminister, da Sie in der Beantwortung der Frage meines Kollegen Sauer die Zahl 3 500 angesprochen haben: Darf ich fragen, ob der Bundesregierung die Existenz von Fallschirmjägern aus der DDR in Angola überhaupt bekannt ist?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, auch mit dieser Zusatzfrage werden Sie mich nicht dazu bringen, von dem deklarierten Grundsatz der Bundesregierung abzuweichen.
Ich rufe die Frage 137 des Herr Abgeordneten Sauer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung gegebenenfalls die Aktivitäten dieser DDR-Verbände im Hinblick auf Ruhe, Frieden und freie Wahlen in Südwestafrika?
. Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Sauer, auch eine Beantwortung Ihrer zweiten Frage ist der Bundesregierung aus den bisher schon wiederholt genannten Gründen leider nicht möglich.
Dementsprechend sind auch keine Zusatzfragen möglich.Ich rufe die Frage 138 des Herrn Abgeordneten Spranger auf. — Der Kollege ist nicht im Raum. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 139 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:Welche Teile der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen hat der Bundeskanzler mit seiner Bemerkung auf dem 32. Deutschen Historikertag in Hamburg gemeint, „Die polnischen staatlich beauftragten Wissenschaftler haben sich an der einen oder anderen Stelle gegenüber ihren ungebundenen deutschen Verhandlungspartnern ein bißchen zu entschlossen durchgesetzt. Keine Stelle darf sich überfahren lassen, darf andere überfahren, niemand soll sich überfahren fühlen."?Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die von Ihnen zitieren Sätze aus der Rede des Herrn Bundeskanzlers vor dem 32. Deutschen Historikertag lassen den gedanklichen Zusammenhang, in dem sie gesagt wurden, nicht mehr ganz klar erkennen. Ich darf Ihr Zitat daher ergänzen, um hier zu verdeutlichen, was der Herr Bundeskanzler bezüglich der deutsch-polnischen Schulbuchgespräche in seiner Hamburger Rede zum Ausdruck gebracht hat. Vor der von Ihnen zitierten Passage heißt es — ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsident —:An dieser Stelle möchte ich meine Dankbarkeit für die deutsch-polnischen Schulbuchgespräche zum Ausdruck bringen. Ich begrüße sehr, daß es deutschen und polnischen Historikern gelungen ist, zum Prozeß der Verständigung zwischen beiden Völkern beizutragen.Der Anschluß an die von Ihnen zitierten Sätze lautet:Aber insgesamt ist durch diese Arbeit doch ein großer Fortschritt erreicht, und viele Tausende von Menschen auf beiden Seiten sind zum Nachdenken gebracht worden über die unendlich reichhaltige und übrigens ungemein interessante gemeinsame deutsch-polnische Geschichte.Der Bundeskanzler hat in seinen Darlegungen also mit Bedacht auf den Kompromißcharakter der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen hingewiesen. Er hat aber vor allem gewürdigt, daß durch die Arbeit der deutsch-polnischen Schulbuchkommission insgesamt ein großer Fortschritt in den Beziehungen der Menschen beider Länder erreicht worden ist.Der Bundeskanzler ist auf den Inhalt der einzelnen Empfehlungen nicht eingegangen. Wie vor dem Deutschen Bundestag bereits mehrfach dargelegt wurde, beabsichtigt die Bundesregierung, die sich nicht als eine Instanz zur Überprüfung wissenschaftlicher Arbeit versteht, auch nicht, zum Inhalt der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen Stellung zu nehmen.
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8936 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Frau Staatsminister, der Herr Bundeskanzler muß sich ja doch etwas gedacht haben, wenn er sagt, daß sich die polnische Seite zu entschlossen durchgesetzt habe.
Nun meine Frage: Woran kann er dabei gedacht haben? Etwa daran, daß in den deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen nicht der Ausdruck „Vertreibung", sondern nur der Ausdruck „Bevölkerungsverschiebung" steht?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich könnte mir vorstellen, daß der Herr Bundeskanzler daran gedacht hat, daß über dieser Arbeit das Wort „Empfehlungen" steht, nicht aber „Gesetze" oder „Verpflichtungen" oder etwas Ähnliches.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Wie vereinbart es sich nur, daß der Herr Bundeskanzler hier meint, die polnische Seite habe sich über Gebühr durchgesetzt, und daß gleichzeitig die Bundesregierung bei der Empfehlung dieser Empfehlung verharrt? Da müßte es doch eine Korrekturmöglichkeit geben.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, wie ich soeben und auch bei früherer Gelegenheit schon ausgeführt habe, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Arbeit der deutsch-polnischen Schulbuchkommission insgesamt einen wertvollen Beitrag zum Prozeß der Verständigung zwischen beiden Völkern darstellt. Sie hat daher den Wunsch, daß die Jugend beider Länder diese Empfehlungen kennenlernt. Man kann dazu ja Anmerkungen, Zusätze, Ergänzungen, Diskussionsbeiträge jeder Art machen. Ich habe in diesem Zusammenhang noch einmal an die ausführliche Stellungnahme der Bundesregierung zu Ihren Fragen in der 15. Sitzung des Deutschen Bundestags am 2. März 1977 erinnert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Friedrich.
Frau Staatsminister, muß man nicht annehmen, daß der Herr Bundeskanzler bei den Schulbuchempfehlungen von einem Kompromiß unterschiedlicher Geschichtsauffassungen ausgeht, und spricht dafür nicht das, was der Herr Bundeskanzler bei einer anderen Gelegenheit am 15. Juni 1977 erklärt hat — wenn ich das in der Frage zitieren darf —:
Ohne dem Perfektionismus zu huldigen, der
angesichts der verschiedenen Geschichtsauffassungen ganz unrealistisch wäre, sollten wir vorrangig alles vermeiden, was in Schulbüchern dem Haß unter den Völkern Vorschub leisten und einer Verständigung Abbruch tun könnte. Wir sind auf diesem Wege nach meiner Meinung schon ein ganz gutes Stück vorangekommen.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Ich kann diesem Zitat natürlich nur zustimmen.
Herr Kollege Dr. Czaja, bitte schön, eine Zusatzfrage.
Meinen Sie, Frau Staatsminister, ,daß die Fortschritte im Nachdenken, die Sie eben betont haben, sich auch darauf beziehen, daß der Bundeskanzler sehr deutlich gesagt hat: „Niemand darf sich überfahren lassen"?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich glaube, in einem partnerschaftlichen Verhältnis sollte man so nicht miteinander umgehen. Und wenn man das Gefühl hat, daß es geschehen ist, darf man das ruhig auch einmal aussprechen.
— Das hilft bei der nächsten Runde weiter.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Frau Staatsminister, können Sie in Abrede stellen, daß nach der Logik der deutschen Sprache die Äußerungen des Bundeskanzlers, bezogen auf die deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen, zumindest eine deutliche Kritik am Verfahren der 'Kommission enthalten, wenn er davon spricht, daß man sich zu energisch durchgesetzt habe und daß sich niemand überfahren lassen dürfe?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Er hat das sehr relativiert, Herr Kollege. Er hat die Arbeit und die Leistung der Kommission ausdrücklich anerkannt und hat im übrigen wie wir alle den Standpunkt vertreten, daß dies eine Arbeit unabhängiger Wissenschaftler ist, in die wir uns nach unserem Verfassungsverständnis nicht wertend einschalten wollen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Bötsch.
Frau Staatsminister, würden Sie eine wahrheitsgemäße Darstellung von Ereignissen vielleicht mit der Erziehung zum Haß gleichsetzen, oder würden Sie nicht mit mir der Auffassung sein, daß verschleierte Tatbestände in der Zukunft nur wieder zu neuen Mißverständnissen führen können?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8937
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, auch über diesen Punkt ist hier ja mehrfach debattiert worden. Ich möchte darauf antworten, indem ich sage: In unseren Schulbüchern ganz allgemein ist in dieser Hinsicht noch sehr viel zu tun, auch in anderen Problembereichen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 140 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Deutsche „auf Grund ihrer unbestreitbaren deutschen Volkszugehörigkeit" nur in ganz seltenen Fällen die Ausreiseerlaubnis seitens der polnischen Dienststellen erhalten, weil eine Einladung aus der Bundesrepublik Deutschland verlangt wird, obwohl diese in den meisten Fällen nicht beigebracht werden kann, und was gedenkt sie diesbezüglich zu tun?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, weder nach der „Information" der polnischen Regierung vom Dezember 1970 noch nach dem Ausreiseprotokoll vom 9. Oktober 1975, den maßgeblichen Grundlagen der Aussiedlung und Familienzusammenführung Deutscher aus Polen, ist für die Stellung eines Ausreiseantrages in den darin genannten Fällen eine Einladung aus der Bundesrepublik Deutschland notwendig. Der Bundesregierung sind auch keine konkreten Fälle von ausreisewilligen Menschen mit unbestreitbarer deutscher Volkszugehörigkeit bekannt, denen die Ausreiseerlaubnis verweigert wird, weil keine Einladung vorliegt. Ich wäre Ihnen, Herr Kollege, deshalb dankbar, wenn Sie solche Fälle dem Auswärtigen Amt namhaft machen wollten, das sie dann gern gegenüber der polnischen Seite aufgreifen wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Frau Staatsminister, vielleicht kann sich die Bundesregierung dadurch kundig machen, daß sie die Verbindung mit dem Deutschen Roten Kreuz, mit Friedland und Unna-Massen aufnimmt, um dort unmittelbar mit den Aussiedlern, die zu uns kommen, zu sprechen, damit sie die Klagen hört, daß soundso viele Landsleute überhaupt nicht die Möglichkeit wahrnehmen können, ausreisen zu dürfen, weil sie — —
Herr Dr. Hupka, bitte seien Sie so liebenswürdig und machen Sie hier keine längeren Ausführungen. Bitte stellen Sie eine Frage.
Ich frage die Bundesregierung, ob es Ihr möglich ist, beim Deutschen Roten Kreuz oder bei den Durchgangslagern in Friedland und Unna-Massen Erkundungen bei den Aussiedlern anzustellen, um zu erfragen, wie viele Landsleute drüben bleiben müssen, da sie keinen Antrag stellen können, nur weil sie sich auf die deutsche Volkszugehörigkeit berufen.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich gehe davon aus, daß das Deutsche Rote Kreuze Manns genug ist, das an die Bundesregierung, an das Auswärtige Amt, heranzutragen, wenn dem so ist.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hupka.
Es ist aber der Bundesregierung früher schon bekannt gewesen, daß sehr viele von den ohne Verwandte drüben lebenden Deutschen einen Antrag stellen. Wie hoch ist denn der Prozentsatz derer, die auf unbestreitbar deutsche Volkszugehörigkeit die Möglichkeit erhalten, die Ausreise gewährt zu bekommen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann Ihnen den Prozentsatz hier natürlich nicht aus dem Handgelenk sagen. Ich möchte nur eines wiederholen und Sie und die Öffentlichkeit beruhigen. Es ist dem Auswärtigen Amt bisher kein Fall bekannt, wo das Nichtvorhandensein einer Einladung, in die Bundesrepublik einzureisen, ein Hinderungsgrund gewesen wäre. Es ist in all diesen Fällen immer ein Weg gefunden worden, die Ausreise zu ermöglichen. Mehr kann ich hier nicht sagen.
Ich rufe Frage 141 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Trifft die im Nachrichtenspiegel Inland II des Bundespresseamts am 20. Oktober 1978 aufgeführte Meldung der Bonner Rundschau — angeblich aus Regierungskreisen — zu, wonach die Sowjetunion darüber unterrichtet worden sei, daß Bundesratspräsident Stobbe „in Vertretung des Staatsoberhaupts keine spektakulären Amtshandlungen vornehmen werde"?
Bitte, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat durch ihren Sprecher am 19. Oktober 1978 erklärt: Die turnusgemäße Wahl des Regierenden Bürgermeisters von Berlin zum Bundesratspräsidenten als Fortsetzung der bisherigen Übung entspreche den vom Viermächteabkommen bestätigten Bindungen zwischen Berlin und der Bundesrepublik Deutschland. Keine der Bestimmungen des Abkommens stehe der Wahl des Regierenden Bürgermeisters von Berlin zum Präsidenten des Bundesrats entgegen. Der Regierende Bürgermeister werde bei Ausübung seines Amtes als Präsident des Bundesrats der besonderen Lage Berlins Rechnung tragen.
Dies gibt die Haltung der Bundesregierung wieder, die auch der Sowjetunion bekannt ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Frau Staatsminister, kann also trotz der vom Bundespresseamt wiedergegebenen und angeblich aus Regierungskreisen stammenden Behauptung nach Ihrer Antwort festgehalten werden, daß sich nach Ansicht der Bundesregierung
8938 Deutschher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Dr. Czaja
gar nichts an der Wahrnehmung der Vertretung des Bundespräsidenten in allen aktuellen Entscheidungen bei Abwesenheit, Auslandsreisen und Urlaub durch den Bundesratspräsidenten ändern wird?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, es wird sich gar nichts ändern. Was das Bundespresseamt angeht, so zensiert es ja nicht die aufgenommenen Meldungen, sondern übernimmt nur, was in freien Tageszeitungen steht.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Darf ich also auch festhalten, daß die Bundesregierung gegen jede ausländische Einflußnahme dahin gehend ist, daß die Befugnisse des Bundesratspräsidenten in der Wahrnehmung durch den Berliner Bürgermeister eingeschränkt werden mögen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hält sich an das Viermächteabkommen und an dessen strikte Einhaltung und volle Anwendung.
Eine Zusatzfrage, des Herrn Abgeordneten Mattick.
Können Sie bestätigen, Frau Staatsminister, daß die Richtlinien für die Aufgaben des Bundesratspräsidenten, wenn er von Berlin gestellt wird, von .der Regierung Adenauer während der Präsidentschaft Willy Brandts festgelegt worden sind, die auch heute noch gelten?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Ich bestätige das voll, Herr Kollege.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe Frage 142 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Trifft es zu, daß die Gespräche der Bundesregierung mit der polnischen Regierung über die Frage der sprachlichen und kulturellen Rechte für die Deutschen" unter polnischer Verwaltung zu keinen Ergebnissen geführt haben, und würde es daher nicht zum „pfliditgemäßen Ermessen" der Bundesregierung gehören, von der Volksrepublik Polen die Erfüllung der Rechte dieser Deutschen aus Artikel 27 des Politischen UN-Menschenrechtspakts einzufordern, „ohne öffentliche Anklage" zu erheben und ohne in rechtsdogmatische Erörterung über die Stellung bestimmter Vorschriften innerhalb des polnischen Rechtssystems auszuweichen ?
Bitte, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, entsprechend der Erklärung, die Bundesminister Genscher am 10. März 1976 in der Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundesrats abgegeben hat, hat die Bundesregierung das Thema der sprachlichen und kulturellen Rechte für zurückbleibende Deutsche zum Gegenstand ihrer Gespräche mit der polnischen Regierung gemacht. Das ist sowohl während des Besuchs von Bundeskanzler Schmidt im November 1977 als auch bei dem Besuch geschehen, den Bundesminister Genscher in der vergangenen Woche der Volksrepublik Polen abgestattet hat.
Die polnische Seite, die dabei keine Änderung ihrer grundsätzlichen Haltung in dieser Frage erkennen ließ, verwies auf die zunehmende Förderung, welche die deutsche Sprache und Kultur in Polen erhalte.
Ich habe bereits in der Fragestunde des Deutschen Bundestags am 22. September 1978 darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung von der von Ihnen vorgeschlagenen Berufung auf Art. 27 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte keine zusätzlichen positiven Wirkungen für die Betroffenen erwartet.
Die Bundesregierung wird ihre Bemühungen fortsetzen, im Rahmen des Möglichen Verbesserungen für die Betroffenen zu erreichen. Die Bundesregierung hat immer den Standpunkt vertreten, daß diese Frage leider nur langfristig gelöst werden kann.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja, bitte.
Frau Staatsminister, ergibt sich daraus, daß derzeitige Rechtsverpflichtungen aus Art. 27 des politischen Menschenrechtspaktes gegenüber Deutschen von den polnischen Behörden bezüglich des kulturellen Lebens und der Pflege der eigenen Muttersprache nicht erfüllt werden, um so mehr, als die von Ihnen angeführten fremdsprachlichen Möglichkeiten in den Provinzen, in denen die meisten Deutschen leben, nicht gegeben sind?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe auch in meinem Brief an Sie — ich glaube, es war im Sommer dieses Jahres — noch einmal darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung keine Möglichkeit hat, die Anwendung des Art. 27 des Menschenrechtspaktes zu erzwingen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Da ich weniger nach dem Erzwingen fragte, möchte ich die Frage so stellen: Wird die Bundesregierung die polnische Regierung auch darauf hinweisen, daß neue zusätzliche deutsche Leistungen kaum denkbar sind, solange die Menschenrechte der Deutschen unter polnischer Verwaltung nicht erfüllt werden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die Gespräche, die Bundesaußenminister Genscher jetzt in Polen geführt hat, haben sich sehr ausführlich um die humanitären Fragen gedreht. Erfreulicherweise ist bei diesen Gesprächen eine sehr spürbare Klimaverbesserung festzustellen gewesen. Ich glaube, es wäre nicht gut, in diesem Stadium der positiven Entwicklung nun mit einer Art Pression in dieser Frage das gute Klima wieder zu stören.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8939
Frau Staatsminister, da die polnische Regierung dem internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte freiwillig und ungezwungen beigetreten ist und damit auch die Erfüllung aller darin enthaltenen Verpflichtungen übernommen hat, würden Sie es nicht als einen selbstverständlichen Akt der Vertragstreue ansehen, daß sich die polnische Seite genauso wie wir an das hält, was miteinander vereinbart worden ist? -
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, das alles kann man in Gesprächen erwähnen. Das muß man aber nicht zum Gegenstand von öffentlichen Auseinandersetzungen machen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.
Frau Staatsminister, da in dem Kommuniqué über den Besuch nichts über diesen Fragenkomplex steht, möchte ich die Frage stellen, ob über die kulturellen und sprachlichen Rechte der deutschen Minderheit in den Oder-Neiße-Gebieten nur generell gesprochen worden ist, oder ob die Bundesregierung bereits einen Gesprächskatalog erstellt hat, z. B. über die Maßnahmen, die nach 1921 im abgetretenen Ostoberschlesien zwischen der damaligen deutschen Reichsregierung und der polnischen Regierung vereinbart wurden.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann sagen, daß Bundesminister Genscher in seinem Gespräch mit dem polnischen Außenminister die Bedeutung unterstrichen hat, die wir der Einräumung der kulturellen und sprachlichen Rechte an Deutsche in Polen beimessen. Er hat dabei auf das Modell der kulturellen Möglichkeiten der Polen, die in der Bundesrepublik Deutschland leben, hingewiesen. Außenminister Wojtaszek versuchte, dieser Argumentation mit dem Hinweis auf die zunehmende allgemeine Förderung der deutschen Sprache und Kultur in Polen zu begegnen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker .
Frau Staatsminister, können Sie bestätigen, daß den Schulbesuchern und den Absolventen von Akademien an den meisten Schulen und Akademien in Polen die Wahl der zweiten Fremdsprache freigestellt ist?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich bestätige, daß das Interesse am Deutschunterricht in Polen stark zunimmt und daß die deutsche Sprache heute an polnischen Schulen die am dritthäufigsten gewählte Fremdsprache ist. Das war auch ein Argument, das in dem Gespräch zwischen den beiden Außenministern eine Rolle gespielt hat.
Frau Staatsminister, ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Böhme steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 33 des Herrn Abgeordneten Horstmeier auf :
Trifft es zu, daß — wie die Presse gemeldet hat — der Rückstand der noch unerledigten Transferaufträge nach der Sperrguthabenvereinbarung mit der DDR zur Zeit 30 Monate beträgt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
. Die Frage 33 beantworte ich wie folgt. Die genannten Pressemeldungen treffen nicht zu. Der Rückstand an unerledigten Transferaufträgen konnte bis Ende Oktober auf Null abgebaut werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Horstmeier.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie groß der zeitliche Abstand ist?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Wie ich soeben sagte, sind die Transferaufträge bis auf Null abgebaut worden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Horstmeier auf:
Was gedenkt die Bundesregieung zu tun, um sicherzustellen,
daß die im Rentenalter stehenden Bürger die nach der Sperrguthabenvereinbarung mit der DDR möglichen Beträge regelmäßig erhalten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die zur Zeit mit der DDR geführten Verhandlungen erstrecken sich auch auf den Bereich des nichtkommerziellen Zahlungs- und Verrechnungsverkehrs. Die Bundesregierung ist bemüht, in diesen Verhandlungen die Voraussetzungen für eine regelmäßige Durchführung der Transferaufträge zu schaffen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Horstmeier.
Die Bundesregierung hat auf eine entsprechende Frage im Januar 1976 geantwortet, daß sie mit der DDR verhandeln wolle. Haben in der Zwischenzeit Verhandlungen stattgefunden?Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Verhandlungen mit der DDR haben stattgefunden. Sie sind aber noch nicht abgeschlossen. Dem Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen ist am 27. September im Zusammenhang mit dem Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der innerdeutschen Beziehun-
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8940 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Parl. Staatssekretär Dr. Böhmegen im Rahmen des Möglichen berichtet worden. Ein endgültiges Verhandlungsergebnis, welches im übrigen noch vom Kabinett zu billigen wäre, liegt noch nicht vor.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordenter Jäger, bitte.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es grundsätzlich nicht angeht, die Bürger der Bundesrepublik Deutschland im nichtkommerziellen Zahlungsverkehr, wo erfahrungsgemäß sozial schwächere Bevölkerungsschichten betroffen sind, schlechter als im kommerziellen Zahlungsverkehr zu behandeln?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Wie ich bereits sagte, erstrecken sich die Verhandlungen auch auf den von Ihnen genannten nichtkommerziellen Zahlungs- und Verrechnungsverkehr. Das bringt bereits zum Ausdruck, daß die Bundesregierung diesen Bereich prinzipiell als gleichwertig erachtet.
Die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Dr. Hennig wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Da der Herr Abgeordnete Milz nicht im Saal ist, werden seine Fragen 36 und 37 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ebenso werden die Fragen 38 und 39 schriftlich beantwortet, da der Fragesteller, Herr Abgeordneter Diederich , nicht im Saal ist. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Da auch der Herr Abgeordnete Dr. Spöri nicht im Saal ist, wird seine Frage 40 schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Gobrecht auf:
Wann wird die Bundesregierung Schlußfolgerungen aus dem Professoren-Gutachten zur Einkommenbesteuerung der Landwirtschaft ziehen und einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen, der die Aufzeichnungspflicht ausdehnt und insgesamt eine gerechtere Besteuerung der Landwirtschaft im Verhältnis zueinander und im Verhältnis zu anderen Steuerzahlern möglich macht?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat das Gutachten zur Einkommensbesteuerung in der Landwirtschaft sorgfältig geprüft. Die Beratungen zwischen Landwirtschaftsministerium und Finanzministerium über die zu treffenden gesetzlichen Regelungen sind noch nicht abgeschlossen, werden jedoch beschleunigt zu Ende geführt. Wie im Gesetzgebungsverfahren allgemein üblich, folgen so dann die Abstimmungen mit den Ländern und die Anhörung der Verbände. Aus den genannten Gründen ist es mir heute noch nicht möglich, zum sachlichen Inhalt und zum Zeitpunkt der Vorlage des Gesetzentwurfes im einzelnen Aussagen zu machen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen im Zusammenhang mit der beabsichtigten Neuregelung der Einkommensbesteuerung in der Landwirtschaft Verfahren bekannt, in denen die Kläger die gegenwärtige Durchschnittssatz-Gewinnermittlung nach § 13 a des Einkommensteuergesetzes beim Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklären lassen wollen, und wie beurteilen Sie dies?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ja, es sind zwei Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Ich kann natürlich nicht im einzelnen beurteilen, wie der Ausgang dieser Verfahren sein wird. Es ist jedoch nach dem Inhalt des Gutachtens der Kommission zur Einkommensbesteuerung in der Landwirtschaft nicht ausgeschlossen, daß die jetzige Lage für nicht verfassungskonform erklärt wird.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Gobrecht.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen schon Zahlenverhältnisse bekannt, die in die Richtung eines möglichen Entwurfs der Bundesregierung gehen? Stichwort: Aufkommensneutralität oder Nichtaufkommensneutralität einer Neuregelung der Einkommensbesteuerung der Landwirtschaft.
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Nein, wie ich Ihnen sagte, sind die Abstimmungen zwischen den Ressorts noch nicht abgeschlossen. Erst nach Abschluß kann Endgültiges gesagt werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, gerechte Besteuerung bedeutet ja nicht, alle über einen Kamm zu scheren, sondern gleichmäßige Besteuerung bei gleichen Einkommensverhältnissen. Ich frage deshalb: Ist meine Annahme richtig, daß der Grundsatz einer möglichst gerechten Besteuerung mit der bisherigen Gewinnermittlung nach § 13 a, also nach Durchschnittssätzen, einfach nicht zu verwirklichen ist, auch nicht im Sinne des Landwirtschaftsgesetzes?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Kommission zur Einkommensbesteuerung der Landwirtschaft hat, wie es Ihre Frage zum Ausdruck bringt, selber dargestellt, daß die jetzige Rechtslage einen Verstoß gegen die Gleichmäßigkeit der Besteuerung bedeute. Aus diesen Gründen wird ja eine Neuregelung gesucht.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 42 des Abgeordneten Gobrecht auf:Kann die Bundesregierung Angaben darüber machen, ob und in welcher Zahl die steuerpflichtigen Landwirte tatsächlich Bücher führen bzw. sich von der Steuerverwaltung schätzen lassen, bzw. ob in den letzten Jahren eine zunehmende oder abnehmende Tendenz bei den steuerpflichtigen Landwirten besteht, die Gewinne nach Durchschnittssätzen zu ermitteln?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8941
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Über die Zahl der Betriebe der Land- und Forstwirtschaft mit Buchführung, mit Schätzung und mit Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen liegen Ergebnisse der Einkommensteuerstatistik 1971 und vorläufige Ergebnisse der Einkommensteuerstatistik 1974 vor. Daraus ergibt sich folgendes.Zahl der Betriebe mit Buchführung: 1971 52 200, 1974 48 700; das ist eine Abnahme um 6,6 %.Zahl der Betriebe mit Schätzung: 1971 58 000, 1974 34 000; das ist ebenfalls eine Abnahme, hier um 41,4 %.Die Zahl der Buchführungs- und Schätzungsbetriebe zusammen hat sich in dem genannten Zeitraum von rund 110 000 auf knapp 83 000, also um 25 %, verringert.Zahl der Betriebe mit Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen — 1971 galt noch die GDL; 1974 war das Jahr des Übergangs von der GDL zu § 13 a EStG —: 1971 102 900, 1974 137 300; die Zahl hat also um 33,4 % zugenommen.Die Ursache für diese Veränderungen dürfte zum Teil darin liegen, daß der Anwendungsbereich des § 13 a größer ist als der der GDL, also der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen. Denn die GDL was nur für rein landwirtschaftliche Betriebe anzuwenden, während § 13 a EStG auch für Betriebe mit einem begrenzten Umfang von Intensivkulturen gilt. Über die weitere Entwicklung nach 1974 liegen noch keine Ergebnisse vor.
Herr Abgeordneter Gobrecht, ich bitte, möglichst nur noch eine Zusatzfrage zu stellen, da wir schon über die Zeit sind.
— Herzlichen Dank.
Ich teile noch mit, daß die Frage 43 der Abgeordneten Frau Dr. Lepsius auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet wird. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 44 des Abgeordneten Dr. Kunz ist zurückgezogen worden.
Die übrigen, nicht mehr beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit ist die Fragestunde beendet. Schönen Dank, Herr Staatssekretär.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Beratung des Tagesordnungspunkts 6 — Städtebaupolitik — fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Conradi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor zwei Jahren haben wir hier die Novelle zum Bundesbaugesetz beschlossen, die am 1. Januar 1977 in Kraft getreten ist. Diese Novelle hat die Möglichkeiten der planvollen Erneuerung von Städten und Gemeinden deutlich verbessert. Das Instrumentarium ist wirksam.Ich bin in den letzten eineinhalb Jahren in vielen großen und kleinen Orten zu Besuch gewesen und habe mir das angeschaut. Es ist überhaupt nicht zu bestreiten, daß in vielen großen und kleinen Gemeinden tüchtige Bürgermeister, verantwortungsvolle Räte, fachkundige Planer und sachkundige Bürger dieses Bundesbaugesetz sinnvoll anwenden und die Konflikte zwischen dem Einzelinteresse und dem Wohl der Allgemeinheit fair miteinander austragen.
— Auch in Stuttgart, selbstverständlich. Das ist sogar ein gutes Beispiel, denn der dortige Baudezernent ist ein Sozialdemokrat.Herr Dr. Schneider hat heute morgen am Städtebauförderungsgesetz herumgekrittelt und gesagt, es habe eigentlich nicht das gebracht, was man erwartet habe. Herr Dr. Schneider, auch Sie sollten mitfahren — ein Kollege Ihrer Fraktion ist dabei —, wenn wir im Rahmen des Bundeswettbewerbs „Denkmalschutz und Stadtgestalt" über 50 Städte und Gemeinden anschauen. Was diese Gemeinden mit diesem Städtebauförderungsgesetz für vernünftige Sachen gemacht haben, da würden Sie staunen.
Dann würden Sie auch hier nicht mehr sagen, es sei nur noch ein Quaken, was da zu hören sei. Lassen Sie sich einmal von Ihren eigenen Parteifreunden in diesen Gemeinden belehren, wie sinnvoll und gescheit die dieses Instrumentarium anwenden.Ich gebe zu: Mit den Förderungsrichtlinien gibt es manchmal Ärger. Aber fragen Sie doch einmal, wer diese Förderungsrichtlinien im einzelnen wie anwendet, welches Regierungspräsidium, welches Innenministerium die Gemeinden da zwiebelt. Und schieben Sie hier nicht etwas auf ein Gesetz, was dieses Gesetz gar nicht gemeint hat. Erkennen Sie an: Das Gesetz hat viel dazu beigetragen, in unseren Städten wichtige Substanz zu erhalten.Für mich ist die Bauleitplanung ein gutes Beispiel für die Leistungsfähigkeit und die demokratische Substanz unserer kommunalen Selbstverwaltungen. Was man da sieht, ist herzerfrischend in seiner Vielfalt, in seinem Einfallsreichtum, in seinem Bürgerengagement.Deswegen will ich den Herren Regierungspräsidenten ins Stammbuch schreiben, daß sie nicht kleinlich und besserwisserisch in die Gemeinden hineinregieren sollten.
Bei den Regierungspräsidenten — das gilt für Regierungspräsidenten aller Parteien — gibt es immer die Auffassung, „die höhere Ebene hat die höhere Einsicht". Ich halte dies für eine der Lebenslügen der Bürokratie.
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8942 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
ConradiDie Regierungspräsidenten sollten das Wort des Bundeskanzlers in Tutzing beherzigen, es tue der Demokratie gut, wenn nicht jeder auf die volle Ausschöpfung seiner Kompetenzen dränge. Auch für die Regierungspräsidien gilt: Es ist in ihrem Verhältnis zu den Gemeinden richtig, ihre Kompetenz nicht immer voll auszuschöpfen.Damit wir uns nicht mißverstehen: Die Regierungspräsidien müssen natürlich darauf achten, daß das Verfahren rechtlich korrekt abläuft. Sie müssen darauf achten, daß die Ziele der Landesentwicklung und der Raumordnung in die Bauleitplanung eingebracht und notfalls durchgesetzt werden. Sie müssen das Interesse der Allgemeinheit wahren, wo z. B. ein großes Unternehmen, eine Weltfirma, wie jetzt bei uns im Umland von Stuttgart, Gemeinden regelrecht unter Druck setzt und wo die Gemeinden dann zu einer Gefälligkeitsplanung neigen. Da muß ein Regierungspräsidium schon einen Wall dagegen aufschütten und zeigen, daß Landesentwicklung nicht nur ein leeres Wort ist, sondern einen Inhalt hat.Aber wenn 60 vom Volk gewählte Gemeindeparlamentarier einen Bebauungsplan beschließen, dann darf es nicht so sein, daß ein Regierungsrat im Regierungspräsidium sagt, das gehe nicht, weil der Straßenquerschnitt oder der Kurvenhalbmesser nicht ausreichend seien. Die Regierungspräsidenten sollen also nicht Obrigkeit sein, sie sollen Freund und Helfer, vor allem treuer Hüter der kommunalen Selbstverwaltung sein.Ich habe neulich in einem kleinen Bundesland ein Beispiel dafür erlebt, wie es nicht sein soll. Da hat der Bürgermeister gesagt: „Wir lassen unsere Bauleitpläne gleich vom Regierungspräsidium machen, weil das erstens viel billiger ist und sie dann die Pläne zweitens bestimmt genehmigen."
Ich halte das für grundfalsch, und zwar nicht nur, weil das eine unfaire Konkurrenz für die freien Planer und Architekten ist, sondern weil auf diese Weise die kommunale Selbstverwaltung und Selbstverantwortung im Ämterfilz erstickt werden. Es geht nicht, daß Regierungspräsidien selber Bauleitplanungen machen, die sie hinterher dann genehmigen.
— Das war in einem „schwarzen" Land. Aber ich will nicht ausschließen, daß es das auch in anderen Bundesländern gibt.
— Da, wo Sie herkommen, zum Beispiel.Es gibt nicht nur gute Beispiele für die Anwendung des Bundesbaugesetzes, es gibt leider auch Beispiele für Planungsdefizite, nicht nur auf dem Land, sondern auch in großen Städten. Da fehlen Flächennutzungspläne,
da gibt es überholte, unvollständige Bebauungspläne, da wird Planung durch freihändige Genehmigung ersetzt. Manche Gemeinde ist geneigt, sichum ihre Planungspflicht zu drücken und in Form der Gefälligkeitsentscheidung in Einzelfällen Baugenehmigungen zu geben.Die Länder und der Bund sollten da nicht reglementieren, sondern die Gemeinden zur Planung anhalten, sollten anregen, helfen, fördern, z. B. durch Veröffentlichung guter Beispiele, durch Planspiele, durch Weiterbildung, durch Wettbewerbe. Das gilt nicht nur für die Länderebene, sondern auch für den Bund. Die juristischen „Entenklemmer" in den Bauministerien, in der Argebau sollten nicht ständig am Bundesbaugesetz herumtüfteln, wie man es noch wasserdichter, noch komplizierter, noch unverständlicher machen kann, sondern sollten die Anwendung des Gesetzes in der Praxis fördern, Modellvorhaben, gute Beispiele verbreiten, eine Bauleitplanungsfibel machen, so wie wir in diesem Wettbewerb „Denkmalschutz und Stadtgestalt" fördern, helfen und nicht reglementieren wollen.Eine gute Planung — das zeigt sich in den Kommunen immer wieder — geht nicht ohne eine gute Bodenvorratspolitik. Leider hat damals die CDU/ CSU-Mehrheit im Bundesrat das Bundesbaugesetz um den Abgabenteil amputiert. Für mich ist es immer eine Freude, wenn ich in einer Gemeinde von einem CDU-Bürgermeister gesagt bekomme: „Wir machen Bebauungspläne nur dort, wo wir, die Gemeinde, vorher alle Grundstücke aufgekauft haben." Dann klopfe ich dem auf die Schulter und sage: „Wenn Ihre Freunde in Bonn wüßten, was für eine ordentliche Juso-Bodenpolitik Sie hier auf dem Lande machen!"
— Dazu kommen wir jetzt gleich. — Eines ist sicher, diese Bürgermeister können durch Nutzungsauflagen bei der Wiederveräußerung des Bodens, durch Weiterveräußerungsverbote die Bodenspekulation eindämmen. Das kann die gesetzliche Regelung nicht ersetzen. Aber durch vernünftige Bodenpolitik der Gemeinde wird die Spekulation gemildert.Nun sind hier heute morgen von Herrn Dr. Schneider einige Sätze zur Eigentumspolitik gefallen. Ich weiß nicht, Herr Dr. Schneider, was Sie an meiner Feststellung zu beanstanden fanden, die SPD habe in den verganenen Jahren ein positiveres Verhältnis zur Eigentumsbildung im Wohnungsbau gefunden. Es ist doch so, daß Wohnungseigentum für breite Schichten unseres Volkes allein schon vom Einkommen her, von der Zugriffsmöglichkeit auf Grundstücke her, weit über ihrem persönlichen Erwartungshorizont lag. Dies hat sich durch die Einkommenssteigerungen geändert. Heute ist die Eigentumswohnung, das Einfamilienhaus, auch für einen Arbeiter ein erreichbares Ziel. Damit ist selbstverständlich die Einstellung der Partei, die die Interessen der Arbeitnehmer vertritt zum Wohnungseigentum positiver geworden. Wenn Sie mir das nicht glauben, dann sehen Sie sich doch die Zahlen an. Es ist in keinem Zehnjahreszeitraum seit 1945 absolut und prozentual ein solch hoher Anteil an
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ConradiEigentumsmaßnahmen gebaut worden wie in den zehn Jahren, in denen wir hier regieren.
Und da geht Ihr Fußvolk immer noch ins Land hinaus und will den Leuten die alte Mär erzählen: „Die Roten wollen euch das Häusle wegnehmen", und was der Sprüche mehr sind. In Wirklichkeit haben wir das doch längst widerlegt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider?
Mit Vergnügen, Herr Dr. Schneider.
Herr Kollege Conradi, Sie wissen, daß die Relation der Eigentumsmaßnahmen zu den gesamten Wohnungsbaumaßnahmen günstiger geworden ist, und zwar deshalb, weil die Gesamtsumme abgenommen hat. Mir ging es bei meiner Feststellung darum, klarzustellen, daß sich die positivere Einstellung der SPD, von der Sie gesprochen haben, von der früher vertretenen Auffassung absetzt, man solle kommunales Verfügungseigentum und Nutzungseigentum wählen und nicht echtes verfügungsfreies Privateigentum im Sinne unseres BGB.
Herr Dr. Schneider, ich kann Ihre Zwischenfrage nicht sehen. Aber wenn Sie nach dem Erbbaurecht fragen wollten, muß ich Ihnen sagen: In Stuttgart hat die SPD-Fraktion, die dort nicht die stärkste Fraktion ist, zusammen mit Herrn Oberbürgermeister Rommel für das Erbbaurecht als Vergabeform für städtische Grundstücke in der Innenstadt gestimmt. Es gibt also durchaus Christdemokraten, die die Einsicht haben, daß Bodeneigentum auch soziale Verpflichtungen hat,
sogar eine stärkere soziale Verpflichtung als viele andere Eigentumsformen, und daß es gilt, sie durch eine vernünftige Bodenpolitik zu sichern. Nichts anderes habe ich gesagt. Für uns kommt es also darauf an, klarzumachen, daß Eigentum soziale Verpflichtung bedeutet. Es sind deshalb solche Formen der Eigentumsbildung im Wohnungsbau zu finden, bei denen der einzelne sich nicht nachher an dem gesundstoßen kann, was er einmal an Boden bekommen hat.Wenn Sie fragen: Was haben Sie von der SPD — so haben Sie heute morgen gefragt — gegen die Privatisierung von Sozialwohnungen?, dann zeigt das genau, daß Sie diese Frage der Eigentumsverpflichtung im Wohnungsbau gar nicht durchdacht haben. Sie sollten sich einmal anschauen, welche Not, welche Angst, ja, welches Leid erzeugt wird, wenn jemand 20, 25 Jahre in der Sozialwohnung wohnt, die dann von dem Unternehmen mit einem Gewinn von 2 000 oder 3 000 % verscheuert wird. Dann werden die alten Leute mit den übelsten Schikanen hinausgedrückt, was unser Mietrecht, das Sie ja sogar noch „liberalisieren" wollen, gar nicht verhindern kann.
Ich kann Ihnen eine ganze Reihe solcher Beispiele für Eigentum ohne Sozialverpflichtung nennen. Wir Sozialdemokraten halten dagegen und werden das auch in Zukunft tun.Zum Schluß dieses Absatzes zum Bundesbaugesetzes die Bitte an den Wohnungsbauminister, unser gemeinsames Kind, das Bundesbaugesetz — es hat ja im Unterschied zu anderen Kindern viele Väter, von Lauritzen über Vogel bis Ravens —, weiter zu fördern. Ich meine, das sei in der Antwort gelegentlich etwas kurz gekommen, und hoffe, daß im nächsten Städtebaubericht der Bundesregierung eine breitere Darstellung über die Wirkung und die Erfahrungen mit diesem Gesetz kommt.Die größte Gefahr — das ist ein anderer Punkt, den ich hier aufzeigen will — für die bauliche und soziale Substanz unserer Städte, für ihre Lebensfähigkeit liegt nach meiner Aufassung heute im ungebremsten Individualverkehr, im Klartext: im Straßenbau. Jeder zweite Stadtbewohner ist vom Straßenverkehrslärm belästigt. Die anhaltende Stadtflucht ist die Quittung für einen oft verantwortungslosen, manchmal größenwahnsinnigen Straßenbau. Man kann nur sagen: Die Leute, die das planen und die sich jetzt bei der Verkehrslärm-Anhörung für höhere Lärmwerte aussprechen, wohnen nicht an diesen Straßen. Man muß das einmal klar sagen: Es ist ein fataler Irrtum, zu glauben, man könne mit ständig neuen Straßen und vierspurigen Entlastungsautobahnen in die Stadt hinein die Verkehrssituation verbessern. Das ist genauso, als ob Sie eine zünftigen Bronchialkatarrh mit Zigarrenrauchen bekämpfen. Das hilft auch nicht.
— Hier sind Zigarrenraucher, wie ich sehe. — Wir müssen uns darüber im klaren sein: Jede neue Schnellstraße in die Stadt hinein schafft mehr Verkehr, erleichtert es dem Umlandbewohner, mit dem Auto in die Stadt zu fahren und die Lebensbedingungen für den zu verschlechtern, der noch darin wohnt. Deswegen ist es blanker Zynismus, wenn Herr Professor Schächterle vom ADAC behauptet: Der öffentliche Nahverkehr wird von den Leuten gar nicht angenommen. Freilich, wenn wir neben der Schnellbahn, die wir mit Milliarden aufbauen und dann mit Millionen subventionieren, noch für weitere Milliarden vierspurige Autobahnen in die Stadt hinein bauen, dann bleibt der Bürger natürlich beim Auto. Dies ist eine Verkehrspolitik, die auf die Dauer nicht so weitergehen kann, sonst kommen unsere Städte in schwere Gefahr.
Ich meine, wir brauchen ein zwischen Straßenbau und Personennahverkehr abgestimmtes Angebot und dürfen keine Straßenkapazitätserweiterung in die Stadt hinein mehr zulassen. Wir brauchen Umgehungsstraßen, die so ausgelegt sind, daß die Entla-
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8944 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Conradistung in einem Vorort nicht mit einer zusätzlichen Belastung im Zentrum erkauft wird.Ein Wort zum Perfektionismus. Das ist eine sehr deutsche Eigenschaft, ob beim Radikalenerlaß oder beim Straßenbau. Alle reden von den Milliarden, die die Bundesbahn kostet. Wer redet eigentlich von den Milliarden, die im Straßenbau durch überzogene Standards verschwendet werden? Wenn man im Ausland herumreist, dann staunt man nur darüber, wie bei uns in Deutschland selbst zweit- und drittklassige Straßen ausgebaut sind. Ich muß gestehen, ich habe manchmal den Eindruck, als ob sich hier eine Selbstbedienungslobby aus Straßenbauindustrie, Straßenbauingenieuren, StraßenbauHochschulinstituten gebildet hat, die zusammen mit der Auto-Öl-Benzin-Lobby in vielen Räten und Ausschüssen ihre eigenen Verkaufsstandards festsetzt. Da fragt man sich, ob diese Selbstbedienung nicht allmählich das Ausmaß angenommen hat, das wir sonst von der „grünen Front" oder von der Beamtenlobby kennen.Ich erlebe jedenfalls als Urlauber Jahr für Jahr, daß man im Ausland, in vielen anderen europäischen Staaten die Bewältigung des Verkehrs nicht der Technokratie allein überläßt, sondern als eine politische Frage ansieht, als eine Abwägung zwischen dem, was wir an menschlicher, an lebenswerter Stadt wollen, und dem, was wir dem Autofahrer geben können. Ich bin ja nicht gegen Autos. Ich komme aus Stuttgart; da werden Sie mir nicht Autofeindlichkeit unterstellen. Aber ich sage: Wir müssen dem Straßenbau dort Einhalt gebieten, wo er wild geworden ist, wo er sich über seine Grenzen zu Lasten der Stadtbewohner verselbständigt hat.
— Manchmal mit dem Wagen, manchmal mit der Deutschen Bundesbahn. Es geht hier aber um die, die auf die Schiene umsteigen können, denen wir dieses Umsteigen aber zum Teil geradezu erschweren.Lassen Sie mich einen letzten Gedanken zum Thema Wachstum ausführen. Unsere Städte wachsen seit mehr als 100 Jahren. Das ist ganz normal geworden, in der Nachkriegszeit zuerst durch die Flüchtlinge, die Heimatvertriebenen, dann durch die Ausländer, durch die Landflucht, durch die Geburtenrate. Wachstum in den Städten ist für uns alle immer eine gute Sache gewesen, auch für den Bürgermeister oder Oberbürgermeister; er rutschte dann ja in eine höhere Besoldungsgruppe.Nun stagniert das seit einigen Jahren. Viele Städte sind bestürzt, einige reagieren fast panikartig. Natürlich hat das auch negative soziale Folgen. Die Stadtflucht, die Randwanderung bewirkt in der Stadt eine soziale Entmischung. Es bleiben die drei „A" zurück: die Alten, die Armen, die Ausländer. Man muß darauf achten, daß diese soziale Erosion nicht fortschreitet.Trotzdem: der Bevölkerungsrückgang hat auch positive Aspekte. Wir kriegen bei verringerter Bevölkerung in vielen Städten bessere Lebensbedingungen. Eine geringere Bebauungsdichte erlaubt mehr Grünflächen, mehr Besonnung, mehr Durchlüftung. Ein weiteres Wachsen wäre für manche Stadt, die vor ein paar Jahren noch in die Million hineinwachsen wollte, tödlich geworden.Deswegen sollten wir die Städte auffordern, mutig zu sein. Ich würde mich freuen, wenn eine Stadt einmal sagte: Wir rechnen damit, daß wir in den nächsten 10 Jahren von 250 000 auf — was weiß ich — 200 000 Einwohner zurückgehen; wir werden natürlich dagegenhalten, weil wir nicht wollen, daß all die jungen Leute mit ihren Kindern aufs Land ziehen, aber gleichzeitig werden wir versuchen, diesen Bevölkerungsrückgang so zu nutzen, so in die Hand zu bekommen, daß wir für die verbleibenden 200 000 dann menschlichere Bedingungen haben, das Leben in der Stadt leichter, erträglicher, schöner machen. Um Mut also geht es, nicht um Resignation. Alles, was wir als Gesetzgeber, alles, was wir als SPD-Fraktion tun können, um den Städten und Gemeinden diesen Mut zu machen, wollen wir auch tun.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Francke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf der diesjährigen Jahrestagung des Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung am 2. November in Mainz hat Herr Minister Dr. Haack die Fragen des Städtebaus als d i e zentrale Aufgabenstellung dieser Bundesregierung für die Zukunftsgestaltung unseres Landes bezeichnet. Ich möchte ihm hierin zustimmen, jedoch mit der Einschränkung und außerdem mit dem mahnenden Hinweis: Sie sind auch Raumordnungsminister. Ein Ja zur Stadt — und bei Ihnen ist das im wesentlichen immer ein Ja zur Großstadt, zum Ballungsraum — ist zu begrüßen, aber es darf nicht — und sei es nur versteckt — ein Nein zum ländlichen Raum bedeuten. Beide Gebiete bedingen sich wechselseitig, wollen sie beide lebensfähig sein und bleiben.Die Bundesregierung hat fast drei Monate benötigt, bis sie die Drucksache 8/2085 dem Parlament zustellen lassen konnte. Ich finde das, wo es sich hier angeblich um einen politischen Schwerpunkt handelt, bemerkenswert.Ich möchte zwei Bewertungen an den Anfang meiner Rede stellen.Erstens. Die Antwort der Bundesregierung ist aus meiner Sicht eine überwiegend gelungene Tatbestandsbeschreibung der heutigen Situation. Dabei vermeidet sie jedoch geflissentlich, die Täter beim Namen, bei ihrem politischen Namen, zu nennen, die diesen Tatbestand herbeigeführt haben.Zweitens. Eine Perspektive für die Zukunft enthält die Drucksache nicht oder lediglich versteckt an einigen Punkten. Hierzu, zu der Perspektive, muß man als Quelle schon eher die zahllosen Reden und Interviews von Herrn Dr. Haack heranziehen, um zu ahnen, wohin die Reise gehen könnte.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8945
Francke
In der Antwort der Bundesregierung heißt es u. a.— ich zitiere —:Die intensive Neubautätigkeit ging häufig zu Lasten der Entwicklungschancen der Altbaugebiete.Und an anderer Stelle sagt die Bundesregierung:... führt die anhaltende Abwanderung vor allem von Haushalten mit überdurchschnittlichem Einkommen aus belasteten Stadtgebieten zu Problemen für die Gesamtentwicklung der Städte und Gemeinden.Weiter:Einkommenstärkere Gruppen können weitere Wohnansprüche verwirklichen : Wohnungsoder Hauseigentum, bessere Ausstattung der Wohnung, besseres Wohnumfeld. ... Der Erwerb von Wohneigentum war nach verschiedenen Untersuchungen für etwa 10 bis 20 v. H. der Abwanderer ausschlaggebendes Umzugsmotiv. Noch rd. 75 v. H. aller Mieterhaushalte wünschen sich Wohneigentum.Die Bundesregierung erklärt dazu:In den Städten ist die Eigentümerquote durchschnittlich nur etwa halb so hoch wie in ländlichen Räumen. Bisher kann der Wunsch nach Eigentum meist nur durch Abwanderung in das Umland erfüllt werden.Die Folgen dieser Politik verschweigt die Bundesregierung keineswegs, wenn sie erklärt:Die mit der Abwanderung verbundene zunehmende räumliche und soziale Trennung der Wohnbevölkerung und das Zurückbleiben sozial schwacher Bewohner sind allerdings negativ zu bewerten. Empirische Untersuchungen hierzu belegen, daß unter den gegenwärtigen Bedingungen die besser verdienenden Haushalte überdurchschnittlich abwandern. Die sozial Schwächeren bleiben in unzureichenden Wohnverhältnissen zurück.Am Beginn der stürmischen Entwicklung unserer Städte, ihres Heranwachsens zu Großstädten stand der Ruf „Die Stadt macht frei". Wer sich die Tatsachenaufzählung der Bundesregierung zu eigen macht — und ich mache sie mir zu eigen —, der muß erkennen: jahrzehntelange sozialdemokratische Herrschaft in den Rathäusern der Großstädte hat dazu geführt, daß der heutige Ruf lautet „Das Land macht frei". Denn wer regierte und regiert noch heute in vielen Großstädten? Waren es nicht Sozialdemokraten, vielfältig unterstützt von Freien Demokraten, die als Oberbürgermeister oder Bürgermeister für den Städtebau der 50er bzw. 60er und den Beginn der 70er Jahre verantwortlich waren und sind?
Wer regierte denn bis 1977 in Frankfurt am Main?Wer trägt also die Verantwortung für die dortigensozialen, stadtstrukturellen, architektonischen Fehlentwicklungen der Vergangenheit? Wer war denn der Handlanger der Bodenspekulanten gerade in dieser Stadt? Es waren doch Ihre sozialdemokratischen Freunde. Wer regierte denn in München und trägt damit die Verantwortung für die Fehlentwicklungen durch das Städtebauprojekt MünchenPerlach?
Es waren doch Ihre sozialdemokratischen Genossen.
Wer regierte und regiert denn in meiner Vaterstadt Hamburg?
Es waren soziale und freie Demokraten, die den „Osdorfer Born" — auch ein Synonym für falschen Städtebau, für einen menschenfeindlichen Städtebau — gebaut haben.
Ich könnte die Beispiele beliebig verlängern und müßte doch immer wieder die Feststellung daran knüpfen: Es sind in weit überwiegendem Maße die Sozialdemokraten in den Rathäusern und die von ihnen vielfach politisch beherrschten Wohnungsbaugesellschaften gewesen, die diesen heute zu Recht nicht nur von der Bundesregierung abgelehnten Städtebau propagiert und durchgesetzt haben.
In diesem Zusammenhang: was heißt hier eigentlich „von der Bundesregierung abgelehnten Städtebau" ? Sie vollziehen in Ihrer Antwort auf die Große Anfrage doch nur nach, was Tausende von Bürgern durch eine Abstimmung der Füße bereits längst getan haben.
— Ich bin ja, um Sie zu beruhigen, durchaus bereit, die Themen hier differenziert zu betrachten und folglich auch zu diskutieren.
Sicher bedurfte es unmittelbar nach Kriegsende der gemeinsamen Leistungen aller, um die akute Wohnungsnot schnell und unkompliziert zu beseitigen. Gerade die CDU/CSU-Fraktion dieses Hauses kann stolz auf ihre Leistungen in der Regierungsverantwortung sein, die erst die finanziellen Voraussetzungen für die Beseitigung der akuten Wohnungsnot geschaffen haben. Aber vor Ort, da wo geplant und gebaut wurde, ist die Zeit der schematischen, die sich wandelnden Bedürfnisse des Menschen und seine Grundeinstellung vernachlässigende Stadtplanung zu lange von Sozialdemokraten bestimmt worden.Lassen Sie mich meine Kritik an dieser Stelle mit einem Zitat beenden, das ich dem Buch von Jane Jakobs „Tod und Leben großer amerikanischer Städte" entnommen habe:Wenn man sagt, daß wir uns zu sehr mit denUmständen des Lebens beschäftigen, dann ist
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meine Antwort, daß der Hauptwert der Zivilisation gerade darin liegt, daß sie die Lebensbedingungen komplexer macht, daß sie große und geistige Bemühungen von uns verlangt anstelle von einfachen, die im übrigen damit zusammenhängen, daß die Menschheit ernährt und gekleidet wird und Wohnungen erhält und von einem Ort zum anderen befördert wird. Weil komplexere und intensivere Bemühungen ein volleres und reicheres Leben bedeuten, bedeuten sie mehr Leben überhaupt.Ich habe dieses Zitat aber nicht nur ausgewählt, um unsere Kritik an der Vergangenheit zu untermauern, sondern auch, um es als Warnung zu benutzen. Sie, Herr Minister Haack, haben auf dem schon erwähnten Kongreß in Mainz auch folgendes gesagt:Wir stehen in einer notwendigen Phase des Städteumbaus, die in ihrer Intensität der Aufbauphase nach 1945 gleichzusetzen ist.Zunächst, meine Damen und Herren, bedeutet diese Bemerkung des Ministers aus meiner Sicht natürlich nur eine Bestätigung der hier eben von mir vertretenen These, und dafür darf ich mich bedanken.
Ich warne jedoch davor, nun mit anderer Zielrichtung erneut ein Gesamtprogramm — oder sollte ich vielleicht aus der Erfahrung sagen: ein gleichmachendes Programm? — anzubieten, abgesehen davon, daß ich und meine Fraktion große Zweifel daran haben, ob es richtig ist, Leuten Vertrauen zu schenken, die selbst die geschilderten Zustände herbeigeführt haben und nun von sich behaupten, sie selbst könnten diese wieder ändern, nämlich verbessern.
Was für Hamburg, Frankfurt, Berlin und Bremen richtig und nötig ist oder sein kann, muß deshalb noch lange nicht für Lüneburg, Würzburg, Kassel oder Koblenz gut und richtig sein. Hüten wir uns also vor einer neuen Form von Gigantonomie im Städtebau! Diese hat in der Vergangenheit schon genug Schaden angerichtet. Es kann und sollte nicht Aufgabe ,des Staates allein oder auch nur überwiegend des Staates sein, Städte zu bauen und zu gestalten, die Lebensverhältnisse in unseren Städten und um sie herum zu verbessern. Erst durch das Zusammenwirken von staatlicher Verwaltung, Bürgerbeteiligung und privatem Grundeigentum in der Planungs- und Bauphase kann das entstehen, was in dem genannten Buch wie folgt beschrieben wird:Weil komplexere und intensivere Bemühungen ein volleres und reicheres Leben bedeuten, bedeuten sie mehr Leben überhaupt.Damit komme ich zu einem weiteren Komplex. In der Antwort der Bundesregierung finden sich die Sätze:Mehrere Untersuchungen haben ergeben, daßdie bisherige Modernisierungsförderung vorwiegend in die Nachkriegsbestände geflossen ist, obwohl der größere Modernisierungsbedarf im älteren Althausbestand liegt. Die Folge ist, daß die älteren Bestände immer stärker abgewertet und damit die bestehenden Unterschiede im Wohnungsbestand immer größer werden.Eine wichtige Ursache für diese Entwicklung ist das Fehlen ergänzender Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung und von Orientierungsmöglichkeiten auf der Grundlage kommender Entwicklungsplanungen.Als weitere Ursachen werden dann drei andere genannt.Sie haben mit diesen Begründungen nach meiner Auffassung nur die halbe Wahrheit gesagt. Verschwiegen haben Sie, daß durch die jahrelangen Zwangsvorschriften, die SPD/FDP-Bundesregierungen unnötig verlängert haben, im Bereich des privaten Grundeigentums jegliche sinnvolle Rendite als Voraussetzung für notwendige Unterhaltungssowie Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen ausgeschlossen war.
Es klingt auch befremdlich, wenn durch diese Art der Antwort der Eindruck erweckt wird, als wäre Unverstand der jetzigen Eigentümer der entscheidende Grund für nicht ausgeführte Modernisierungsmaßnahmen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die privaten Grundeigentümer hatten und haben ein ursprüngliches Interesse daran, ihren Grundbesitz zu erhalten und zu verbessern, auch im Wege der Modernisierung. Für sie ist nämlich Grundbesitz auch eigene Vorsorge für ihre Alter — und dies, um nicht dem Staat zur Last zu fallen. Dabei haben die Grundeigentümer die Sozialpflichtigkeit des Eigentums immer respektiert.Nun weiß ich natürlich, daß dies in das ideologische Bild eines Sozialdemokraten vom privaten Grundeigentümer nicht paßt; nur ist es trotzdem immer noch die Wahrheit. Bei der Lösung des Problems wird es also entscheidend auch darauf ankommen, die sozial zu verantwortende, aber gesamtwirtschaftlich notwendige Wirtschaftlichkeit des Grundbesitzes wiederherzustellen. Nur sagen Sie dazu in Ihrer Antwort auf die Große Anfrage nichts.Sowohl in der Antwort der Bundesregierung wie auch in vielen öffentlichen Erklärungen des Ministers spielt die Frage der Planung und des Baurechts immer wieder eine Rolle. Sie haben dafür das populäre Wort „Entbürokratisierung" gefunden. Auch hier ist die Situation richtig beschrieben, aber warum verschweigen Sie, daß — wie es kürzlich der Vorsitzende der ARGEBAU erklärte — mit Ihrer Hilfe allein im letzten Jahr mehr als 100 — ich wiederholte: hundert — neue Vorschriften erlassen worden sind? Bei diesem Sachstand, meine Damen und Herren, reduziert sich dann die Freude über die gemeinsam von allen Fraktionen erarbeitete Vorlage zur Beschleunigung des Baugenehmigungsverfahrens sofort sehr. Interessant in diesem Zusam-Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode —114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8947Francke
menhang ist für mich und meine Fraktion auch, daß Sie es geflissentlich vermeiden, etwas zum Problem der §§ 34, 35 Bundesbaugesetz zu sagen.Auf die Wechselwirkungen zwischen abnehmender Bevölkerungszahl und abnehmender Zahl von Betrieben und Beschäftigten sind Sie leider nur sehr oberflächlich eingegangen; wie Sie raumordnerische Folgen und Zusammenhänge überhaupt nur unzureichend dargestellt haben. Ich darf daher anhand von drei Beispielen folgendes nachtragen.Erstens. Hamburg hat zwischen 1966 und 1967 9 % seiner Bevölkerung, 26 % seiner Industriebetriebe und 22 % seiner im industriellen Bereich Beschäftigten an sein Umland verloren. Unabhängig von seiner Einkommenshöhe bedeutet dies eine Steuerminderung für Hamburg von jährlich 2 500 DM pro Person. Allein der Einwohnerverlust Hamburgs in vier Jahren bedeutete einen Steuerverlust von einer viertel Milliarde DM.Zweitens. Für Dortmund lauten die Zahlen: 6 % weniger Bevölkerung, 12 % weniger Industriebetriebe, 20 % weniger Industriebeschäftigte.Das dritte Beispiel ist Frankfurt: 7 % weniger Bevölkerung, 32 % weniger Betriebe, 19% weniger Industriebeschäftigte.Was bedeutet dies konkret? Das Steueraufkommen dieser Gemeinden sinkt beträchtlich, aber sie müssen gleichzeitig im Bereich der Kultur, des Gesundheitswesens, der Bildung sowie des öffentlichen Personennahverkehrs Vorleistungen oder dauernde Leistungen für das Umland erbringen, zu denen sie nur noch in geringem Maße finanziell in der Lage sind. Eine Perspektive, einen Lösungsvorschlag, geschweige denn einen Lösungsansatz hierfür enthält Ihre Antwort nicht. Es ist ein bekannter Tatbestand: Ziehen erst die Bürger weg, folgen auch die Arbeitsstätten. Es entsteht eine sogenannte Sogwirkung, die sich im übrigen auch für die Neuansiedlung von Industrie- und Gewerbebetrieben als zusätzlich erschwerend erweist.In der Antwort der Bundesregierung wird zu Recht gesagt — ich zitiere —:In den Städten ist die Eigentumsquote durchschnittlich nur etwa halb so hoch wie in ländlichen Räumen. Bisher kann der Wunsch nach Eigentum meist nur durch Abwanderung in das Umland erfüllt werden.Was bedeutet das, meine Damen und Herren? Das bedeutet: Wer das Geld hat, kann seinen Wohnsitz frei wählen; aus meiner Sicht ein bedrückendes Ergebnis Ihrer Politik.
Eigentum kann hier natürlich nur so verstanden werden: Eigentum in vielfältiger Weise. Dies vorausgeschickt: Sicher, die Bundesregierung hat erste Schritte in die richtige Richtung unternommen. Sie sind in der Antwort auf den Seiten 6 und 7 alle fein säuberlich aufgelistet. Warum aber, frage ich Sie, verzögern die Regierung und die sie tragendenFraktionen die Beratung des Wohnungsbindungsgesetzes?
Ja, so ist zu fragen, warum entwickelt die Regierung den Entwurf des Landes Nordrhein-Westfalen nicht konstruktiv weiter? In weiteren Bereichen — angefangen vom Verkauf eigenen Grundbesitzes des Bundes, der Länder und Gemeinden über den steuerlichen Bereich bis hin zu Fragen finanzieller Hilfe, im besonderen für kinderreiche Familien — schweigt sich die Regierung aus. Sie wissen doch genauso gut wie wir, daß gerade die Grenze der erhöhten Absetzungsmöglichkeiten nach § 7 b Einkommensteuergesetz in den Ballungsräumen nicht mehr voll greift. Aber Sie tun nichts, Sie kündigen nicht einmal an, etwas für eine Verbesserung zu tun.Das einzige, was zur weiteren Verbesserung getan werden soll, so kündigen Sie es allerorten an, ist die Einführung des sogenannten Stadthauses. Hiermit laufen Sie einer Hoffnung nach. Wir stehen hier am Beginn einer Entwicklung. Aber hierauf allein seine Hoffnungen zu gründen ist zu wenig. Das z. B., was als Stadthäuser in der Eigenheimmusterschau in Hamburg mit Unterstützung des Bundes angeboten wurde, ist architektonisch interessant und zum Teil gut, doch für die breiten Massen finanziell überhaupt nicht realisierbar.Die gestern veröffentlichte Antwort der Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage zum Problemkreis der Umwandlung von Sozial- in Eigentumswohnungen und ihr Verkauf an die in ihnen lebenden Mieter ist aus meiner Sicht zunächst eine schallende Ohrfeige für Ihre sozialdemokratischen Genossen in den Senaten von Hamburg und Berlin. Was Sie gesagt haben, Herr Conradi, ist genau das gleiche, was die Regierung zu einer scharfen Gegenstellungnahme veranlaßt hat. Sie haben maßlos überzogen.Wichtiger ist in diesem Zusammenhang: Hier ist nicht nur eine weitere Möglichkeit zur Eigentumsbildung gegeben, sondern die zurückfließenden öffentlichen Mittel bei der Umwandlung eröffnen eine zusätzliche Finanzquelle für weitere Maßnahmen. Ich komme im übrigen darauf noch zurück. Nur ist auch hier das gleiche: Situation richtig erkannt; im Ansatz Lösungen gefunden; aber es fehlt die Konsequenz im Handeln.Ich kann wegen der Kürze der Zeit nicht auf die Probleme des Denkmalschutzes und damit verbundene Fragen eingehen. Ich bedaure dies. Aber auch hier gilt: Die Antwort sagt nichts dazu, obwohl es in den Themenkreis „Städtebaupolitik" gehört.Auch auf Fragen des innerstädtischen Verkehrs verzichte ich bewußt, weil die Beratung des Verkehrslärmschutzgesetzes dazu reichlich Gelegenheit geben wird.Warum ist die Antwort aus unserer Sicht unbefriedigend? Warum muß man, um wenigstens zu wissen, was der Minister selber will, mehr auf seine Reden und Interviews eingehen? Ich bescheinige Ih-
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nen gern, daß Sie persönlich die Probleme erkannt haben und zum Teil auch vernünftige Lösungen vorschlagen. Dabei tun Sie allerdings, bezogen auf die uns allen zur Verfügung stehenden Geldmittel, gelegentlich zuviel des Guten und wecken damit Erwartungen, die unerfüllt bleiben müssen — jedenfalls in dem von Ihnen gesetzten Haushaltsrahmen einschließlich der mittelfristigen Finanzplanung.
Alles, was Sie landauf, landab in Reden und Interviews fordern, wozu Sie aber weder in der Antwort noch sonst im Parlament etwas Konkretes sagen, kostet enormes Geld — Geld, das Sie nicht haben und das Ihnen der Finanzminister auch nicht geben wird.Damit komme ich auf das Problem der Umwandlung von Sozial- in Eigentumswohnungen und deren Verkauf an die darin wohnenden Mieter zurück. Die Umwandlung setzt die vorzeitige Ablösung der öffentlichen Darlehen voraus. Hier entsteht eine zusätzliche, weil vorzeitige, Einnahmeposition. Meiner Meinung nach sollten wir diese Mittel zu mindestens 50 % dafür verwenden, neue Maßnahmen zu beginnen bzw. vorhandene Ausgabepositionen zu erhöhen. Wie anders wollen Sie denn die Mittel aufbringen, die z. B. allein für die Verbesserung des Wohnumfelds durch den Staat aufgebracht werden müssen? In ihrer Antwort fehlt auch hier jeder Hinweis. Und ich sage Ihnen: Es ist unredlich, dem Bürger gegenüber etwas zu erklären und etwas zu versprechen, dieses Versprechen aber nicht einzuhalten.Es gibt einen weiteren Grund der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Durchsetzen gegen die Sozialisten in Ihrer eigenen Fraktion und in der Arbeitsgruppe Bau Ihrer Fraktion können Sie sich ganz offensichtlich nicht. Und der Exponent dieser Gruppe, Ihr Parlamentarischer Staatssekretär — gegen Ihren Willen das geworden —, sitzt Ihnen dazu auch noch im Nacken.
Dies ist für jedermann einsichtig, der Ihre Einlassungen oder Nichteinlassungen beim Wohnungsbindungsgesetz, bei der Frage der §§ 34 und 35 des Bundesbaugesetzes, der Entzerrung des Mietengefüges und generell der Frage der Hinwendung zu mehr sozialer Marktwirtschaft im Städtebau und Wohnungswesen verfolgt.Ich finde, Herr Minister, Sie sollten Ihren Standort überprüfen.
Denn lange, fürchte ich, wird die Öffentlichkeit nicht hinnehmen, daß Sie über ihre Sorgen Listen auflegen und ihr zu Munde reden, aber tatkräftige Änderungen nicht herbeiführen. Oder handelt es sich vielleicht gar nicht darum, den eigenen Standort zu überprüfen, sondern all Ihr Reden entspricht nur taktischem Geplänkel nach außen? Mir und meinen Kollegen gibt sehr zu denken, was Sie, HerrMinister Haack, auf der Delegiertenkonferenz der Bundesarbeitsgemeinschaft für Städtebau- und Wohnungsbaupolitik der SPD am 4. Mai 1978 in Hannover gesagt haben. Ich zitiere daraus:
Daraus läßt sich aber auch der unverändert starke Wunsch nach Wohnungseigentum ablesen. Da rund 75 bis 80 % aller Haushalte Wohnungseigentum anstreben, tun wir gut daran, diesen Wunsch unseren mittelfristigen wohnungspolitischen Überlegungen zugrunde zu legen, selbstverständlich unter Berücksichtigung auch der anderen Probleme, die wir in der Wohnungsbaupolitik haben.Dann fährt er fort:Hier, glaube ich, ist ein Feld, wo wir als Sozialdemokraten Politik machen können, die mehrheitsfähig ist, während wir in vielen anderen Bereichen mittlerweile in der Gefahr sind, uns nur noch mit Minderheitsproblemen zu befassen, so wichtig sie sind. Eine Partei, die mehrheitsfähig bleiben oder werden will, muß sich selbstverständlich zentral auch mit den Problemen befassen, die die überwiegende Mehrheit der Bürger berühren.
Also nur um die Macht geht es ihm, nicht um die Erfüllung von Aufgabenstellungen, die ihm die Bürger dieses Landes täglich als ihre Grundbedürfnisse erklären. Es sind nicht ordnungs-, gesellschafts- und wirtschaftspolitische Gründe für den Inhalt Ihrer Reden maßgeblich, sondern allein machtpolitische Gesichtspunkte. Wie soll ein solcher Mann, der so an seine Aufgaben herangeht, also selbst nicht von der Richtigkeit seiner Argumente überzeugt ist, denn andere, in diesem Fall in seiner eigenen Fraktion, überzeugen?Wir, die CDU/CSU-Fraktion, sehen die Lage der Städte ähnlich, wie sie die Bundesregierung sieht.
Sie ist im wesentlichen ein Ergebnis jahrelanger verfehlter sozialdemokratischer Kommunalpolitik wie auch mangelnder grundsätzlicher Entscheidungen der Bundesregierung in eine bessere Richtung.Eine Lösung kann nach unserer Überzeugung nur in der Kombination folgender Einzelentscheidungen liegen: 1. mehr Soziale Marktwirtschaft im Bereich des Städte- und Wohnungsbaus,
2. Ausbau der Möglichkeiten und Förderung von mehr privatem Eigentum im Städte- und Wohnungsbau,
3. tatsächlicher Abbau hemmender, sich zum Teilwidersprechender Vorschriften im Baurecht, 4. Rückkehr der Planung zu mehr Kleinmaßstäblichkeit, wegvom stadtzerstörerischen Gigantismus, 5. Stärkungund Ausbau der Beteiligungsrechte der Bürger in
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Fragen der Stadtplanung, allerdings bei gleichzeitiger Beibehaltung des Prinzips der uneingeschränkten Entscheidungsbefugnis der gewählten Parlamente, 6. Stärkung der Planungs- und Entscheidungsrechte der Gemeinden, 7. stärkere Betonung von raumordnerischen Gesichtspunkten und 8. Bereitstellung von mehr Mitteln des Bundes sowohl durch Prioritätenänderung als auch durch Erhöhung zur Unterstützung der Maßnahmen der Länder und Gemeinden im Bereich der Verbesserung des Wohnumfeldes.
Die Verbesserung — und das heißt: Reaktivierung — unserer Städte als Sammelpunkt für alle Schichten unserer Bevölkerung und als erstklassiges Leistungszentrum für Kultur, Bildung, Wissenschaft und Technik, um nur einiges zu nennen, ist eine Aufgabe, als Teil gesehen, einer überfälligen Gesamtreform unserer Wohnungs-, Städtebau- und Raumordnungspolitik. Das wäre nach meiner Auffassung nur mit den Leistungen vergleichbar, die meine Fraktion 1957 durch die Rentenreform erbracht hat, also ein mühsamer und langwieriger Prozeß, der mühsame Schritte verlangt. Die Antworten der Bundesregierung lassen diesen Mut nicht erkennen. Damit, glaube ich, erhält die Städtebaupolitik nicht die Chance, die sie in der heutigen Situation verdient.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die bisherige Debatte hat deutlich gemacht, wie komplex und wie vielschichtig die Probleme der Städtebaupolitik sind, wie viele Politikfelder hier ineinandergreifen und insbesondere auch wegen ihrer Wechselwirkung aufeinander abgestimmt sein müssen. Im Rahmen eines zeitlich arg limitierten Debattenbeitrags ist es nach meiner Einschätzung dieses weiten Feldes unmöglich, den gesamten Bereich der Städtebaupolitik, der selbst in der Großen Anfrage und in ihrer Beantwortung nicht in allen Aspekten angesprochen worden ist,
in den Konturen auch nur einigermaßen deutlich zu bewerten, wenn man nicht in Gemeinplätze verfallen will.
Ich will deshalb versuchen, aus dieser Not eine Tugend zu machen und mich auf drei, wenn Sie so wollen, kleine Teilaspekte beschränken.Aber vorab zwei Bemerkungen zu zwei Punkten der Debatte des heutigen Vormittags und auch des heutigen Nachmittags.In dem Dialog zwischen Herrn Minister Haack und Herrn Dr. Jahn ist die Systemumstellung des § 7 b angesprochen worden. Ich glaube, es gibt hier von diesem Begriff sehr verschiedene Vorstellungen.
Das hängt schon ein bißchen mit dem Begriff „System" zusammen, der irgendwie in Mißkredit geraten ist. Ich will deshalb folgendes klarstellen. Für uns bedeutet die Umstellung oder Systemumstellung des § 7 b familienpolitische Weiterentwicklung des vorhandenen steuerlichen Instruments. Es bedeutet für uns nicht aufwendige Umverteilungen im Rahmen eines neuen Leistungsgesetzes.
Dies zur Klarstellung.
Ein zweiter Punkt, der mehrfach in der Debatte angeklungen ist, sollte noch kurz angesprochen werden. Das ist die Frage, wie wir den schlimmen Erscheinungen am Markt dort zu begegnen haben, wo bei der Umwandlung von Sozialwohnungen in Eigentumswohnungen verunsicherte Mieter verdrängt werden.
Ich möchte hierzu eines ganz klar sagen: Wir werden diesen betroffenen Mietern helfen.
— Wir werden ihnen gemeinsam helfen. Ich bin sicher, daß auch die Opposition mitziehen wird.
Aber was wir nun nicht tun dürfen, ist, das rechtliche Instrumentarium, das heute bereits nicht angenommen wird — darin liegt ja die Gefahr —, auszuweiten, ohne daß uns das irgendeinen Effekt verspricht.
Es ist auch in der Beantwortung der kleinen Anfrage von der Bundesregierung zu diesem Thema richtigerweise gesagt worden, daß hier auf breiter Front aufgeklärt werden muß. Ich für. meine Person und meine Fraktion werden alles tun, um dies zu unterstützen. So habe ich z. B. gerade heute den Präsidenten der Bundesnotarkammer angeschrieben und ihn gebeten, in einem Rundschreiben auf alle Notare dahin gehend einzuwirken, daß sie ihre Rechtsbelehrungs- und Aufklärungspflichten bei der Beurkundung dieser Verträge extensiv und besonders sorgfältig wahrnehmen.
Es gibt weitere Überlegungen, wie man hier etwas tun kann. Ich frage mich z. B., warum die Freie und Hansestadt Hamburg nicht bereits einen besonders qualifizierten Beauftragten zur Wahrnehmung der Interessen solcher verdrängter Bürger eingesetzt hat, an den sich diese Bürger wenden können, der ihnen im Einzelfall Mut gibt und ihnen zeigt, welche Rechte dieser Deutsche Bundestag ihnen bereits gegeben hat.
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8950 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
GattermannAuf diesem Wege, so meine ich, müssen wir alle miteinander alles tun, damit wir dieses Problem, das sich in den Anfängen zeigt, im Keim ersticken. Aber wir dürfen um Himmels willen nicht dazu übergehen, das den gesamten Wohnungsbereich betreffende gesetzliche Instrumentarium weiter zu verändern.Meine Damen und Herren, dies als Anmerkung zu einigen Punkten aus der Debatte. Nun die von mir erwähnten drei Teilaspekte zu unserem heutigen Thema.Die Zuständigkeiten des Bundes für die Wohnungs- und Städtebaupolitik sind begrenzt, wie die Antwort der Bundesregierung zur Frage 4 zeigt. Ein nicht unwesentlicher Teil der Arbeit des Ressortministers ist der Koordinierung mit den Aktivitäten der Länder und der Gemeinden gewidmet. Was dann am Ende vor Ort in den vorgegebenen wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen und mit den Finanzierungshilfen des Bundes und der Länder und auf der 'Grundlage der von der Gemeinde dann im Rahmen ihrer Planungshoheit vorgegebenen Planungen tatsächlich geschieht und gebaut wird, ist ganz wesentlich beeinflußt von der Kreativität der planenden und bauausführenden Architekten. Ihr Wirken entscheidet am Ende maßgeblich mit, ob die entstandene und sich fortentwickelnde Stadt erlebenswert ist, ob sie von den Bürgern angenommen wird als ihre Stadt, in der sie leben wollen und aus der sie sich auch nicht in das nähere und weitere Umland verdrängen lassen.Eine Frage, die sich Liberale zur Städtebaupolitik stellen, lautet, ob wir der Kreativität dieses freien Berufsstandes eigentlich ausreichenden Spielraum zur Entfaltung lassen oder ob wir zu weitgehende Vorgaben setzen, die diese Kreativität zu sehr einengen. Ohnehin — Sie wissen dies — setzen ökonomische Zwänge, unerläßliche Planvorgaben und nicht zuletzt auch die Wünsche der Bauherren dieser Kreativität Grenzen. Doch fragt man sich bei so mancher Reglementierung, so mancher Landesbauordnung, bei so manchen ästhetischen Vorgaben in Bebauungsplänen, ob sie unter dem notwendigen Leitziel einer geordneten Entwicklung eigentlich wirklich notwendig sind.Unter einem gänzlich anderen — allerdings ebenso wichtigen — Gesichtspunkt, nämlich dem der Vereinfachung und Beschleunigung des Baugenehmigungsverfahrens, 'hat der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen einen Weg aufgezeigt, der,
wenn er konsequent weiter beschritten wird, Herr Dr. Möller, Möglichkeiten eröffnet, die Kreativität der Architekten für die Verschönerung unserer Städte mehr zu nutzen, als dies bisher geschieht. Wenn für kleinere Baumaßnahmen im Rahmen eines rechtskräftigen Bebauungsplanes die notwendige Baugenehmigung durch eine bloße Bauanzeige ersetzt wird, wenn gemeindliche Planer, wo das eben vertretbar ist, sich darauf einigen könnten, weniger Vorgaben über Fluchtlinien, Baugrenzen, Neigungswinkel der Dächer, Traufenhöhen usw. in die Bebauungspläne hineinzuschreiben,
wird in Zukunft — da bin ich sicher — so manche Vorortsiedlung anders als das triste Ergebnis aussehen, das wir heute gelegentlich vorfinden.
Wir gehen so weit, zur Ausnutzung dieses Potentials einer kreativen Stadtgestaltung zu prüfen, ob der gleiche Verfahrensweg auch für größere Bauvorhaben gangbar ist. Allerdings können wir ein solches liberales Verfahren nur mit jenen freien planenden Architekten praktizieren, die über die entsprechende Fachausbildung und die entsprechenden Qualifikationsnachweise verfügen. Mit einer solchen Handhabung wäre der nicht unerfreuliche Nebeneffekt verbunden, der sich aus dem Zeitvorteil einer solchen Abwicklung ergibt, daß man dem Ärgernis der nebenamtlich planenden öffentlichen Bediensteten begegnen könnte.
Man wende gegen solche Überlegungen bitte nicht ein, daß uns hier und da dann besondere architektonische Scheußlichkeiten geliefert würden; denn stringente Planungsvorhaben und extensiv durchgeführte Baugenehmigungsverfahren haben uns in der Vergangenheit solche „Scheußlichkeiten" in viel größerer Zahl beschert bzw. zumindest nicht verhindert. Lassen Sie mich auch das anmerken: So manches in der Zeit als scheußlich empfundene Bauwerk hat sich später als kulturhistorisch besonders wertvoll und denkmalswürdig herausgestellt.
Lassen Sie mich einen zweiten Punkt nennen, der für uns von besonderer Bedeutung ist. Ich meine die bereits in der Regierungserklärung als Zielsetzung angesprochene und in der Antwort der Bundesregierung an mehreren Stellen konkretisierte stärkere Verzahnung der Wohnungsbaupolitik mit der Städtebaupolitik. Ich möchte so weit gehen, zu sagen, daß für die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen Wohnungsbaupolitik zwischenzeitlich nicht mehr vorrangig ein Instrument der bloßen Wohnungsversorgung der Bürger ist, sondern gleichzeitig und gleichrangig ein Instrument der Städtebaupolitik ist.Lassen Sie mich auch aus diesem Bereich einen einzigen Teilaspekt aufgreifen. Herr Minister Haack hat heute morgen dazu bereits ergänzende Ausführungen gemacht. Ich meine das Stadthauskonzept oder — korrekt — das Wohnen in der städtebaulichen Verdichtung. Dieses vom Denkansatz her gute und begrüßenswerte Konzept, das durch Angebot attraktiver Wohnformen in der Verdichtung der Stadtflucht und der Zersiedlung entgegenwirken soll, ist allerdings nach unserer Einschätzung bereits jetzt gefährdet, wenn es uns nicht gelingt, erkennbaren Tendenzen entgegenzuwirken. Damit meine ich weniger, daß nach unserer Einschätzung die initiierten und angelaufenen Modellvorhaben schon mit zu vielen Vorgaben ausgestattet sind. Ich denke dabei z. B. an die Notwendigkeit der Möglichkeit einer Finanzierung nach den Regeln des sozialen Wohnungsbaus mit der Folge, daß am Ende mög-
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Gattermannlicherweise das gewünschte Ergebnis nicht auf dem Tisch liegen wird. Ich meine auch nicht so sehr die Kosten- und Finanzierungsprobleme, die sich bei echter Lückenbebauung oder bei Erhaltungssanierungen bei gleichzeitiger Umgestaltung nach diesem Konzept zweifellos ergeben werden. Ich meine vielmehr die Gefahr, die davon ausgeht, daß am freien Markt, das Stadthauskonzept bewußt oder fahrlässig mißverstehend, dieser Begriff „Stadthaus" besetzt wird und die ursprüngliche Idee des innerstädtischen Wohnens mit „Eigenheimfeeling" in Mißkredit gebracht wird.
Wenn auf der grünen Wiese Reihenhäuser gebaut werden, dann ist das sicherlich noch kein Wohnen in städtebaulicher Verdichtung. Das 4,5 m breite Reiheneigenheim auf drei bis vier Ebenen animiert vielleicht einen Lustfilmautor zu einem Film unter dem Titel „Die Hausfrau auf der Treppe". Ein solches Haus wird aber, wenn sich das herumgesprochen hat — ich habe diese Befürchtung —, unsere Bürger nach und nach dazu bringen, einen weiten Bogen zu schlagen, wenn sie das Wort „Stadthaus" hören.
— Dies haben Sie gefragt, Herr Kollege.Nun gibt es keine Schutzrechte für einzelne Wörter in unserer Sprache. Aber war wir alle miteinander tun könnten, ist, dieses Konzept zu verdeutlichen und immer wieder zu vertreten, damit dieser werbliche Mißbrauch mit dem Begriff „Stadthaus" nicht die von den entsprechenden Bauträgern gewünschten Erfolge hat.In diesem Zusammenhang wird sich — lassen Sie mich auch das ganz ungeschminkt sagen — aus städtebaulicher Sicht die Frage ergeben, bis zu welchem Punkt wir die Konzentration bestimmter sozialer Schichten in innerstädtischen Stadthausregionen werden tolerieren müssen, weil bei den gegebenen ökonomischen Verhältnissen kein Weg daran vorbeiführen wird, daß trotz des Einsatzes von Bundes- und Landesmitteln, trotz Grundstückssubventionen durch die Gemeinden wirklich gelungene Stadthäuser, die auch für mehrere Lebensetappen eines Bewohners in Frage kommen und geeignet sind, am Ende sehr viel teurer sein werden als Eigenheime am Stadtrand. Ich meine, man sollte sich keinen Illusionen hingeben, daß dies am Ende dabei herauskommen wird.Aber das heißt nicht, daß dieses Konzept schlecht wäre. Ich meine nur, wir müssen uns die Frage stellen: Bis zu welchem Grade können wir durch unsere Politik angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse in unserem Land die von uns gewünschte Vermischung der Sozialstrukturen verwirklichen, und inwieweit können wir das nicht? Wir können dies relativieren, aber, ich glaube, letztlich nicht auflösen.Diese Entwicklung kann man schon in der Geschichte nachlesen, wenn man dem Begriff „Stadthaus" einmal nachgeht. Die Stadtwohnung, das Stadthaus, das Stadtpalais — das war der Zweitwohnsitz der Begüterten, die ihren Hauptwohnsitz auf dem Lande hatten. Damit ist eigentlich schon vieles gesagt. Wir jedenfalls, meine Damen und Herren, sind dazu aufgerufen, aus unserer sozialen Verpflichtung heraus darauf hinzuwirken, diese Entwicklung mit gezieltem Mitteleinsatz zu relativieren. Aufheben können wir sie nicht.Ich will noch einen dritten und letzten Punkt ansprechen. Die Antwort der Bundesregierung weist in ihrem tabellarischen Anhang aus — den Wohnungspolitiker nicht voll befriedigend, aber doch sehr eindrucksvoll —, welche finanziellen Anstrengungen der Bund für Maßnahmen nach dem Städtebauförderungsgesetz unternommen hat. Es fällt allerdings auf, daß die Bundesmittel von 1975 an kontinuierlich geringer geworden sind. Unter dem Strich ergibt sich allerdings — da darf kein Irrtum entstehen-- durch Sonderprogramme eine ganz erhebliche Mittelausweitung.Im Sinne einer Verstetigung der Maßnahmen zur Stadtsanierung und -erneuerung sollten wir darüber nachdenken, ob es bei voller Respektierung konjunkturpolitischer Belange sinnvoll ist, solche Maßnahmen zwischenzeitlich schon fast schwergewichtig über Sonderprogramme zu finanzieren. Dies führt zu höchst unerquicklichen Folgen für die beteiligte Bauindustrie, aber auch — durch Preisschübe — für die betroffenen Bauherren, wer immer das ist. Insbesondere sollten wir Sonderprogramme unter dem Gesichtspunkt der Bescheunigung und Verwaltungsvereinfachung deshalb problematisieren, weil der weitaus größte Teil der im Rahmen von Sonderprogrammen finanzierten Maßnahmen gar keine Sondermaßnahmen sind, sondern teilweise schon früher planungsreif gemachte Maßnahmen, die mangels Finanzierbarkeit mit Mitteln nach § 72 des Städtebauförderungsgesetzes zurückgestellt und nun mit erheblichem Personalaufwand eilig umgeplant, neu begründet und neu etikettiert werden, damit sie den Kriterien des jeweiligen Sonderprogramms entsprechen. Wir sollten deshalb mittelfristig für alle Beteiligten sichtbar machen, welcher öffentliche Finanzierungsrahmen für solche Maßnahmen zur Verfügung steht, wobei man sogar daran denken könnte, Schwankungsbreiten nach oben und unten aus konjunkturpolitischen Gründen anzudeuten. Der Einzelplan 25 für das Haushaltsjahr 1979 macht erste Schritte in diese Richtung. Ich meine, auf diesem Wege sollten wir fortschreiten.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krockert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen
läßt erkennen, daß sich die Probleme der Stadtentwicklung aus einer Fülle von Faktoren ergeben, diein wechselseitiger Abhängigkeit voneinander stehen.
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KrockertSie läßt erkennen, daß es nicht nur die Sache einer politischen Ebene sein kann, diese Probleme zu bewältigen, sondern daß Gemeinden, Länder und Bund dabei zusammenarbeiten müssen. Sie läßt erkennen, daß aus demselben Grunde die Bewältigung dieser Probleme nicht nur Sache eines Ressorts allein sein kann, sondern daß dabei verschiedene politische Fachbereiche kooperieren müssen.Die politischen Weichenstellungen z. B. in der Verkehrspolitik — davon ist ausführlich gesprochen worden in der Ausländerpolitik, in der Jugendsozialpolitik und nicht zuletzt auch in der Steuerpolitik haben ihre Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung. Umgekehrt haben Weichenstellungen, auch verfehlte Weichenstellungen, in der Stadtentwicklung ihre Auswirkungen auf die Entwicklung der Beschäftigung, auf die Entwicklung des gewerblichen Mittelstandes, um nur ein paar Beispiele zu nennen; sie haben auch ihre Auswirkungen auf die Kriminalität in den Städten.Wir müssen diese Zusammenhänge sehen. Es ist deshalb völlig falsch, ein Ministerium oder einen Minister in der Vergangenheit oder in der Gegenwart für das verantwortlich machen zu wollen,
was im Bericht der Bundesregierung zum Sachverhalt aufgezählt wird. Herr Kollege Francke hat diesen Versuch gemacht. Er ist mißlungen. Es konnte auch nicht anders sein. Ich komme darauf nachher noch einmal zurück.
Diese wechselseitige Abhängigkeit der einzelnen Faktoren, von denen ich sprach, zeigt sich sehr häufig darin, daß zunächst einmal Verschiebungen im sozialen Funktionsgefüge stattfinden
und daß erst dann die städtebaulichen Konsequenzen erkennbar werden und sich als städtebauliche Probleme darstellen.Lassen Sie mich als Beispiel die Kinderfeindlichkeit unserer Städte nennen. Kinderfeindlichkeit wird nicht nur den Städten in unserer modernen Industriegesellschaft vorgeworfen, sondern man wirft sie angesichts der Konturen ihrer Entwicklung dieser Gesellschaft überhaupt vor. Reden wir nun aber im Zusammenhang mit dem Städtebau davon.Nehmen wir das Beispiel Spielplätze. Ich bin ganz gewiß kein Gegner von Spielplätzen, im Gegenteil: Auch ich plädiere für mehr und bessere Spielplätze. Ich gehöre aber zu jenen Geburtsjahrgängen, die sich erinnern, wie sie selbst einst in großen Städten aufgewachsen sind. Haben wir eigentlich in den 20er und 30er Jahren in Berlin, wo ich aufgewachsen bin, Spielplätze gebraucht, war es das, was wir vermißt haben? Es gab kaum welche, wir haben sie nicht vermißt; denn für uns als Kinder war die Stadt noch unsere Stadt. Das war ein Feld, das auch wir als Kinder uns auf unsere Weise erobern konnten und auf dem wir uns zu Hause fühlen konnten.
Dies ist offensichtlich nicht mehr der Fall. Seitdem das nicht mehr der Fall ist, reden wir nun auch von Kinderspielplätzen. Ich sage noch einmal, ich bin nicht gegen sie, aber ihr Charakter als,
ich will einmal sagen, Reservation — Sie wissen, was die Reservationen waren — ist doch allzu offenkundig. Die Leistungsgesellschaft mit ihrem Tempo kann die Kinder halt vor ihren Füßen nicht brauchen; sie räumt sie gewissermaßen da vor den Füßen weg, und seitdem brauchen wir Kinderspielplätze, damit die Kinder irgendwo ein sicheres Gefilde in der Städteentwicklung haben.Lassen Sie mich als weiteres Beispiel die Fahrradwege nennen.
Es wird ja in letzter Zeit wieder davon gesprochen. Manche haben sich darüber mokiert, wie man mit solchen Kleinigkeiten in die Diskussion kommen kann, wenn es um die Zukunft unserer Städte geht. Ich bin im Gegenteil sehr dafür, daß wir wieder davon reden, weil gerade die Frage, ob diese Stadt von heute noch die Stadt unserer Kinder und der Jugendlichen sein kann, in ihrer Beantwortung weitgehend davon abhängt, ob die sich ihre Stadt tatsächlich so, wie wir es früher mit diesem Vehikel getan haben, mit dem wir in Berlin herumgefahren sind, und zwar relativ ungefährdet, damit noch erobern können. Der Bericht der Bundesregierung, die Antwort auf die Große Anfrage, spricht zu Recht davon, daß die aus den Städten abwandernden Familien in der Vielzahl Familien mit Kindern sind.
— Ja, eben, so ist es. Dies ist nicht deshalb so — und da hoffe ich, daß etwas, was die Regierung gesagt hat, nicht mißverstanden wird —, weil sich die Wohnwünsche der Leute überraschenderweise geändert hätten, weil sie auf einmal entdeckt hätten, daß sie Kinder haben und deshalb woanders leben möchten, sondern weil sich unsere Städte so entwikkelt haben, daß das Leben mit Kindern in den Städten so zum Problem wird, daß Familien mit Kindern gar nichts weiter übrigbleibt, als sich anderswo umzusehen. Je weniger Chancen die Wohnumwelt für die Kinder bietet, desto mehr werden diese Chancen natürlich innerhalb der eigenen vier Wände oder, wenn es geht, auf einem eigenen Grundstück gesucht, das es innerhalb der Stadt nicht gibt und das man sich deshalb außerhalb der Stadt in Form von Eigentum wünscht.Diese Zusammenhänge müssen erkannt werden. Wir müssen deshalb, wenn wir nach Wegen suchen, die Stadt als Wohnwelt wieder attraktiv zu machen, auch an die Bedürfnisse der Kinder und an das denken, was um ihretwillen erforderlich ist.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8953
KrockertEin anderer Punkt, der mir. in diesem Zusammenhang als Ergänzung wichtig zu sein scheint. Ich habe vorhin gesagt, einer der Politikbereiche, die hier mit hineinwirkten, sei der der Ausländerpolitik. Ich nehme an, dies wird ohne weiteres verstanden. Es ist doch so: alle Bemühungen um die Erhaltung und um die Erneuerung unserer Städte stehen und fallen im Grunde damit, daß wir es mit Bewohnern der Städte zu tun haben, mit Bürgern, die an dieser Erhaltung und Erneuerung tatsächlich interessiert sind.
Nun haben wir es häufig mit Vierteln zu tun, in denen nach Abwanderungsvorgängen Rentner, Ausländer, vielleicht auch junge Leute, Studenten, die vorübergehend da wohnen, übriggeblieben sind. Alle drei Gruppen, die ich nenne, sind Gruppen, von denen man ein dauerhaftes Interesse an der Erhaltung und Weiterentwicklung gerade ihres Viertels im Grunde nicht erwarten kann — bei alten Menschen deshalb, weil sie für sich selbst darin keine Zukunftsperspektive mehr erkennen können, bei den jungen Leuten, die als Studenten darin wohnen, weil sie es als ein Transitorium nehmen, weil es sie nicht wesentlich interessiert, was ein paar Jahre später, wenn sie nicht mehr da sind, aus diesem Viertel wird. Wie ist es aber eigentlich bei den Ausländern? Werden sie von uns als Mitbürger akzeptiert und angesehen, deren Interesse an der Entwicklung ihres eigenen Wohnbereichs selbstverständlich sein müßte, weil sie dort mit uns bleiben sollen, weil dies auch ihre Zukunft ist, nicht bloß unsere? Wir müssen daran Zweifel haben, und zwar auch im Zusammenhang mit der Ausländerpolitik, zu der wir uns bisher haben durchringen können.Es wird immer wieder beteuert, diese Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland. Ich verstehe, warum das gesagt wird. Mit dem Anwerbestopp, den wir eingeführt haben, haben wir, wie ich meine, wirklich einen notwendigen Schritt getan, der auch aufrechterhalten werden muß. Aber ich bin der Meinung, daß diese Aussage — „kein Einwanderungsland" — nicht geeignet ist, die Entwicklung bis zum Anwerbestopp richtig zu beschreiben. Wir können nicht übersehen, daß unser Land, in dem wir jetzt mit Ausländern zusammenleben, de facto bis zur Einführung des Anwerbestopps ein Einwanderungsland gewesen ist und daß wir es jetzt mit ausländischen Mitbürgern vor allem in der zweiten und dritten Generation zu tun haben. Mit der Auffassung „nicht Einwanderungsland" liegen wir im Grunde völlig falsch, wenn wir ihre Lebenschancen unter uns verbessern wollen, auch im Sinne einer richtigen Städtebaupolitik.Es gibt beklagenswerte Beispiele dafür, wie die Behörden in unserem Land mit Ausländern, jungen Menschen, Kindern, vor allen Dingen Heranwachsenden, die bei uns groß geworden sind und die von dem Land, aus dem ihre Eltern kommen, überhaupt nichts mehr wissen, umgehen, wie sie sie als unerwünschte Ausländer ausweisen, wenn sie einmal straffällig geworden sind, obwohl jedermannsehen kann, daß ihre Straffälligkeit mit der Unsicherheit ihrer Zukunft in Zusammenhang steht. Die Angebote, die wir ihnen für ihre Zukunftschancen bis jetzt machen können, sind immer noch völlig unzureichend. Wenn wir sie in dieser Unsicherheit halten, wenn wir uns nicht alle miteinander — Gemeinden, Länder und Bund — zu einer noch konsequenteren Integrationspolitik, und ich meine damit: Integrationspolitik ohne Vorbehalte, durchringen können, dann werden wir uns mitschuldig machen, daß gerade in den jüngeren Jahrgängen dieser Ausländer Kriminalität aus Unsicherheit produziert wird.Daß dies auch für die Stadtentwicklung Konsequenzen hat, ist wohl offenkundig. Die Konzentrierung in ganz bestimmten — sagen wir es ruhig — Ausländerghettos, in denen diese Menschen zurückbleiben und die von anderen Bürgern als völlig unmögliche Adressen angesehen werden müssen, ist dann Bestandteil unserer Städte, und wir sehen nicht, wie wir das bewältigen sollen. Ich bin überzeugt, daß die Bundesregierung mit der Verfestigung des Aufenthaltsrechts gemeinsam mit den Ländern einen richtigen und wichtigen Schritt getan hat. Ich bin aber ebenso überzeugt, daß wir auf dem Wege ,der Integrationspolitik für die zweite und dritte Ausländergeneration noch lange nicht am Ende angekommen sind, daß wir alle miteinander noch weit mehr Anstrengungen unternehmen müssen, um ihnen Sicherheit für ihre eigene Zukunft zu geben. Das ist von hier aus ein Appell nicht nur an die Bundesregierung, sondern auch an die Länderregierungen und die Gemeinden.
Ein kurzer Hinweis zur Steuerpolitik. Es ist natürlich hinreichend bekannt, daß die Abwanderung aus den Stadtzentren ins Stadtumland, in Gebiete außerhalb der Gemeinde, einen Verlust an Steuereinnahmen für die Gemeinden darstellt. Darüber ist genug gesprochen worden — Verluste an Einnahmen übrigens, ohne daß dem wirklich auch ein Rückgang an Ausgaben, für Dienstleistungen etwa, gegenüberstehen würde; im Gegenteil.
Es gibt aber darüber hinaus Rückwirkungen steuerpolitischer Entscheidungen, die sich aus ganz anderen Gründen herleiten und die mit Städtebaupolitik vorerst nichts zu tun zu haben scheinen, auf die Stadtentwicklung. Je mehr wir nämlich — in dieser Tendenz stehen wir, und ich sehe darin eine gewisse Gefahr — den Gemeinden ihre Ressourcen, d. h. die Quelle der Erhebung ihrer Steuern von den Betriebsorten innerhalb ihrer Grenzen wegnehmen
und sie durch neue zusätzliche Entscheidungen zu den Wohnorten der Leute verlagern, die eben häufig außerhalb dieser Städte sind, desto mehr verstärken wir diesen Trend. Ich meine, daß wir alle diese Gefahr erkennen und sehen müssen und daß wir, die Städtebaupolitiker, unsere Kollegen Steuerpolitiker in allen Fraktionen, übrigens wiederum auf
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8954 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Krockertallen Ebenen, auf diese Gefahr nachhaltig aufmerksam machen müssen.
Zur Opposition ein Wort. Ich habe gesagt: alle politischen Ebenen werden gebraucht, wenn wir die Probleme der Stadterneuerung und -erhaltung bewältigen wollen. Die Opposition wird auch gebraucht.
Deshalb darf ich mich in diesem Zusammenhang einmal an Sie wenden und einige Bemerkungen zu dem machen, was wir heute von Ihnen gehört haben. Der Beitrag des Herrn Kollegen Francke war eigentlich ein Beispiel dafür, wie es aussieht, wenn man von einer Opposition positive Beiträge nicht erwarten kann, weil sie mit ideologischen Scheuklappen ausgestattet ist,
die sie daran hindern, die Realitäten der vergangenen Jahrzehnte und die Konsequenzen, die sich inder Gegenwart daraus ergeben, richtig zu erkennen.
Was soll es denn, meine Damen und Herren, wenn ich hier den wiederholten Versuch beobachte, das, was städtebauentwicklungspolitisch in den vergangenen Jahrzehnten passiert ist, parteipolitisch zu interpretieren und nun auch in die Schubladen SPD oder CDU zu tun?
Dies ist ein Beispiel dafür, wie doch wohl zu vermutender guter Wille und auch zu vermutende Einsicht über Bord gekippt werden, wenn sich die Chance zu bieten scheint, einem politischen Gegner etwas auszuwischen. Dies geht nicht. Wir rechnen eigentlich mit einer Opposition, die es anders macht, als es der Kollege Francke hier in seiner Rede angedeutet hat.Sie haben in der Tat — das ist nicht zu verhehlen — von hier aus einen gewissen Einfluß auf das Verhalten der Länder, nämlich über die Mehrheit im Bundesrat. Wir haben erlebt, als wir seinerzeit beim Städtebauförderungsgesetz hier im Streit miteinander lagen, wie das, was Herr Francke heute auf seine Art zum Ausdruck gebracht hat, damals tatsächlich passiert ist. Es ging nicht um wirklich substantielle Fragen, es ging um eine ideologische Windbeutelei: Uns sollte der Nachweis unterschoben werden, dieses ganze Städtebauförderungsgesetz sei in seinem Kern, in zwei Kernpunkten, eigentumsfeindlich, und wenn Sie die nicht hinausbekämen, könnten Sie dem nicht zustimmen; und da das hier im Bundestag nicht möglich war, mußten Sie auch den Bundesrat dafür mobilisieren. Ich habe die herzliche Bitte an Sie, in unserer weiteren Zusammenarbeit diese Art des Umgangs miteinander und diese Inanspruchnahme der Länderebene nicht zu wiederholen. Wir müssen zu einer sachlichen Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in den Fragen der Stadtentwicklungspolitik kommen.
Wenn Sie nicht aufhören, den Bundesrat als Ihr parteipolitisches Instrument zu behandeln, wird es dazu nicht kommen können.
Meine Damen und Herren, wir haben die sachkundigen Beiträge von Oppositionskollegen im Ausschuß immer sehr geschätzt. Aber zur politischen Weichenstellung in der Städtebaupolitik haben sie nichts beigetragen.
Ganz im Gegensatz zu .dem, was Herr Kollege Francke, aber auch Herr Schneider heute hier behauptet haben, wird von einer Städtebaupolitik in unserem Lande überhaupt erst geredet, seitdem sich die sozialliberale Koalition dieser Sache angenommen hat. Vorher war da nichts, meine Damen und Herren.
kräftig Geschichtsklitterung!)Ich komme zum Schluß: Dem Städtebauminister Haack und seinen Vorgängern bestätige ich, daß sie die Weichen in der Städtebaupolitik richtig gestellt haben.
Ich appelliere an den Minister und an seine Kollegen im Kabinett, auf diesem richtigen Wege fortzufahren zugunsten einer Politik der Erhaltung und der Erneuerung unserer Städte. Wir sagen ihnen unsere Unterstützung zu, wenn es darum geht, bei den anderen Ressorts und bei den Ländern unseres Staatswesens um Verständnis zu werben, und wenn es darum geht, Unverständnis und Widerstand der Opposition zu überwinden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jahn .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Krockert, es ehrt uns, daß Sie sich an den Reden der Kollegen Dr. Schneider und Francke reiben. Denn Kollegen, an denen man sich reibt, sind in der Politik bekanntlich Persönlichkeiten.
Wenn wir am Ende dieser Debatte Fazit ziehen, verstärkt sich bei uns der Eindruck, daß Sie in der Tat der Bundesregierung eine Gelegenheit zur Selbstdarstellung geben wollten. Wir fügen hinzu: eine Selbstdarstellung ohne zukunftweisende Perspektiven. Oder sollten wir etwa die bloße Umbe-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8955
Dr. Jahn
nennung des Hauses in der Stadt in „Stadthaus" — wie es Herr Kollege Dr. Möller gesagt hat — eine „zukunftweisende Perspektive" nennen? Die sind Sie uns heute schuldig geblieben.Wir sind der Meinung, daß Städtebaupolitik am Bedarf der Bürger zu orientieren ist. Nicht darf dem Bürger vorgeschrieben werden, was seine Bedürfnisse sind.
Schauen wir in den Mannheimer Bundesparteitag Ihrer Partei — der SPD —, dann lesen wir im „Orientierungsrahmen 1985" zu dieser Problematik — ich zitiere —:Da die Städte und Verdichtungsgebiete fast alle Strukturprobleme unserer Gesellschaft wie mit einem Brennspiegel zusammenfassen, wirft der Versuch zur Lösung dieser Probleme gleichzeitig auch sämtliche Fragen der Strategie sozialdemokratischer Politik auf.Nun, meine ich, ist es auch an der Zeit, über diese Strategie hier zu sprechen. Zu der zentralen Frage nach den Grenzen einer auch von der CDU/CSU bejahten notwendigen und gesunden Verdichtung hat die Bundesregierung in Beantwortung früherer Anfragen ausgeführt — ich zitiere —, es gebe bei einem politisch formulierten Wertsystem Ansatzpunkte, um gesunde von den ungesunden Verdichtungen zu trennen. Wir müssen uns also fragen, ob ein politisch formuliertes Wertsystem in bezug auf stark belastetete Verdichtungsräume die Gefahr in sich birgt, daß weniger nach den Bedürfnissen der Bürger als nach parteiideologischen Vorstellungen entschieden wird. Mit einer solchen Haltung setzen sich Ihre Partei und die Bundesregierung dem Verdacht aus, die Grenzen der Verdichtung dort anzusetzen, wo die Wählergunst für eine bestimmte Partei ihr Maximum erreicht. Deshalb können wir auch Herrn Senator Seifritz, Herr Kollege Waltemathe, überhaupt nicht verstehen, wenn er jetzt in einer Veröffentlichung über die Erhaltung und Erneuerung der Innenbereiche unserer Städte ausführt, daß es angesichts drohender Bevölkerungsverluste der Verdichtungskerne und deren unerwünschten Folgen — wie z. B. politischer Machtverlust — dringend erforderlich sei, innerstädtische Wohnquartiere zu erhalten und aufzuwerten. Herr Kollege Waltemathe, hier steht das Parteiargument vor dem Sachargument in Äußerungen Ihrer Parteimitglieder.
Die Qualität des Lebens besteht nach Auffassung der CDU/CSU eben nicht in einer Quantität der Verdichtung, sondern in einer Ausgewogenheit zwischen geordneter Verdichtung und den ländlichen Räumen. Wir wollen nicht anonyme austauschbare Großstädte, wie sie durch die Städtebaupolitik vieler Jahre geschaffen worden sind, sondern Städte, in denen der Bürger sich wohlfühlt, mit denen er sich identifiziert, ja die für ihn Heimat sind.Was in den letzten Jahren unseren sozial schwach gestellten Bürgern als besonders aparte Verwirklichung einer kultivierten Wohnidee gepriesen wurde — ich meine konkret die 10- bis 20stöckigenWohnsilos gerade in den Großstädten Hamburg, Bremen, Berlin und auch Frankfurt —, ist mit den individuellen Wohnwünschen der Bürger unvereinbar. Da trifft gerade die Sozialdemokratie ein besonderes Ausmaß Verantwortung, weil sie in diesen Großstädten sehr oft die herrschende Mehrheit stellt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Waltemathe? — Bitte.
Herr Kollege Jahn, wenn Sie schon so liebenswürdig sind und Bremen zitieren, darf ich Sie dann fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß unter den vergleichbaren Großstädten mit über 500 000 Einwohnern Bremen die Stadt mit dem meisten eigengenutzten Wohneigentum ist, d. h. mit Ein- und Zweifamilienhäusern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Waltemathe, die Stadt Bremen hat sich durch Sie besonders eingesetzt, den Wohnbrief einzuführen. Als dieses Modell gescheitert ist, sind Sie dann auf andere Modelle gekommen.
Ursprünglich war bei Ihnen ein ganz anderes Konzept in der Tasche.Wir lesen in den amtlichen Verlautbarungen der SPD, daß die Stadt aufs Land müsse, das Stadtdefizit müsse beseitigt werden. Wir sagen: das Land darf seines Typs nicht beraubt, es muß seinem Typ nach entwickelt werden. Denn der Auftrag des Bundesraumordnungsgesetzes lautet bekanntlich, nicht gleiche, sondern gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen der Bundesrepublik zu schaffen.Für die Städtebaupolitik in den Verdichtungsgebieten ist von großer Bedeutung, welche Motive den Stadt-Umland-Wanderungen zugrunde liegen. Diese Motive sind in der Tat unterschiedlich.Die Wanderung in die Verdichtungsgebiete ist im wesentlichen arbeitsplatz- und ausbildungsbedingt, die Wanderung aus den Kernbereichen der Städte an den Stadtrand oder in das Umland dagegen im wesentlichen wohnungs- und wohnumfeldbedingt. Folgerung für die CDU/CSU-Politik hieraus: Nicht nur der letzte Trend, auf den die SPD und FDP heute einseitig hinwiesen, ist zu stoppen. Wir sind vielmehr der Meinung: Beide Trends sind zu stoppen.Trotz des Geburtenrückgangs ist auch weiterhin eine flächenabdeckende Raumordnungspolitik notwendig, und die Siedlungsdichte darf ein bestimmtes Maß nicht unterschreiten, da andernfalls das für eine funktionsgerechte Infrastruktur notwendige Mindestpotential fehlt. Das heißt, der ländliche Raum hat nach unserer Auffassung — unabhängig von seiner Ergänzungsfunktion für die Verdichtungsräume — nach wie vor eine eigenständige und nicht eine von den Ballungsgebieten abgeleitete Bedeutung.
Deshalb muß auch Sorge dafür getragen werden,daß der ländliche Raum über eine angemessene
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8956 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Dr. Jahn
Wirtschaftskraft verfügt. Wer im ländlichen Raum wohnt, sollte dort auch künftig Arbeit finden. Wenn es uns nicht gelingt, auch in den ländlichen Räumen qualifizierte Arbeitsplätze zu erhalten bzw. neu zu schaffen, wird sich die Sogwirkung der Wanderungsbewegung auf die Verdichtungsgebiete verstärken.Der zweite Problemkreis besteht darin, der Flucht aus den Kernbereichen der Städte entgegenzuwirken. Unsere Stadtkerne müssen ihren Wohnwert behalten. In diesem Sachzusammenhang ist zu prüfen, wo die optimalen ,Grenzen der Verdichtungsräume liegen. Bei der Beobachtung dieser Entwicklungstendenzen sollten wir auch nicht in den Fehler verfallen, jedem Abwandernden nachzutrauern, da nur durch eine Verringerung der Baudichte und eine Vergrößerung der Wohnungen die innerstädtischen Gebiete attraktiv bleiben können. Insofern folge ich ausdrücklich dem, Herr Conradi, was Sie gesagt haben; das entspricht auch dem, was der Wohnungsbauminister am 12. September 1978 in einem Vortrag ausgeführt hat.Gleichwohl ist das derzeitige Ausmaß der Stadtflucht ein ernstes Problem. Die CDU/CSU hat wiederholt, zuletzt am 21. März 1978 bei der Debatte über die Raumordnung, hierauf hingewiesen. Abwanderungen hat es immer gegeben. Aber bis in die Mitte der 60er Jahre wurde die Abwanderung in das Umland vor allem durch erhebliche Fernzuwanderungen und durch Geburtenüberschüsse ausgeglichen. Seit diesem Zeitpunkt hat es einen derartigen Ausgleich nicht mehr gegeben, und es wird ihn in Zukunft wahrscheinlich auch nicht mehr geben. Wir weisen heute darauf hin — das ist nun einmal so —, daß die CDU/CSU-Wohnungsbaupolitiker dieses Problem nicht kannten, weil es damals nicht existierte, daß es dieses Problem vielmehr erst seit der Mitte der 60er Jahre — dem Zeitpunkt also, als die Sozialdemokratie die Wohnungsbauminister stellte — gibt. Leider warten wir bis auf den heutigen Tag auf ein deutliches Zeichen darauf, wie diese Problematik gelöst werden kann. Dieses Zeichen zu geben, ist uns die Bundesregierung bis auf den heutigen Tag schuldig geblieben.
Nun werden Sie fragen — das bekannte Schlagwort, das Sie, als Sie in der Opposition waren, nie gelten ließen —: Wo ist denn eure Alternative? Wir werden Ihnen eine Antwort geben.. Wir sind der Meinung, daß zunächst einmal in den Innenstadtbereichen eine verstärkte Eigentumsbildung erfolgen muß, d. h., der Grund und Boden muß dort preisgünstiger zum Kauf angeboten werden, als das bisher der Fall war. Deshalb hat die CDU/CSU einen Antrag im Deutschen Bundestag eingebracht — ein Appell, in den Sie mit einstimmen sollten —, der vorsieht, daß möglichst viel Bauland oder auch Nichtbauland — dort müßte dann die Umwidmung durch die Gemeinden erfolgen — von den Gemeinden gekauft wird, sie jedoch gezwungen werden, dieses Bauland an diejenigen wieder abzugeben, die bauen wollen, vornehmlich an Kinderreiche und an solche, die erstmals bauen wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Conradi?
Bitte schön.
Herr Kollege, nachdem Sie offenbar der Meinung sind, das Bauland in den Innenstädten sei nicht durch die Marktwirtschaft, sondern nur durch die Gemeinden zu verbilligen, frage ich Sie: Können Sie uns sagen, ob Sie den Gemeinden dadurch mehr Mittel zum Erwerb von Bauland geben wollten, daß Sie unsere Vorschläge zum preislimitierten Erwerb ablehnten oder nun die Steuerbasis der Gemeinden schmälern wollen?
Herr Kollege Conradi, alle Ihre Modelle scheitern daran, daß bei ihrer Verwirklichung der Kaufpreis für die Grundstücke einfach nicht sinkt. Es kam hier heute morgen deutlich zum Ausdruck, daß Sie das Loblied des Planungswertausgleiches singen und der Bevölkerung draußen kundtun, daß die Grundstücke in den Gemeinden bei der Verwirklichung des Planungswertausgleiches billiger werden. Was ist die Wahrheit? In Ihrem selbst vorgelegten Modell über den Planungswertausgleich hat der Käufer den Kaufpreis nach marktwirtschaftlichen Prinzipien zu bezahlen, d. h. den Verkehrswert; das bedeutet, er hat dasselbe wie heute zu bezahlen, nur teilen Sie den Kaufpreis anders auf. Das ist doch der Punkt. Die Ideologie, die dahintersteht, ist, Gelder anders zu verteilen, aber nicht, ein Grundstück für den einzelnen Bürger billiger zu machen. Das ist der Kern der Ideologie über den Planungswertausgleich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben den Antrag gestellt, auf Bund, Länder und Gemeinden dahin gehend einzuwirken, Grund und Boden wieder zu privatisieren. Sie haben dies abgelehnt, SPD und FDP gemeinsam. Und heute gehen Sie hier hin und sagen: Wir sind attraktiv für die Bevölkerung, wir sind die Schrittmacher für den privaten Erwerb von Eigentum an Grund und Boden.Herr Kollege Paterna hat gestern noch in einer Presseerklärung folgende Formulierung gebraucht:Der sozialdemokratische Grundsatz, die Bildung von Wohnungseigentum für breitere Schichten der Bevölkerung zu erleichtern, gewinnt zunehmend an Gewicht.Wenn das so ist, müssen wir in diesem Hause doch einmal fragen dürfen, was Sie denn Jahr für Jahr, da Sie dieses Ziel offensichtlich auch auf Ihre parteipolitische Fahne geschrieben haben, auf Ihren Parteitagen beschlossen haben. Lesen wir es einmal nach, Herr Kollege Waltemathe.
Beginnen wir mit dem Parteitag 1973 in Hannover. Dort wurden Beschlüsse gefaßt, an denen Sie
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8957
Dr. Jahn
mitgewirkt haben und — so nehme ich an — der Wohnungsbauminister ebenfalls. Ich zitiere:Für das Bundeseigentum an Boden ist gesetzlich festzulegen, daß ein Verkauf an Private grundsätzlich ausscheidet. Die Länderparlamente werden aufgefordert, für das Bodeneigentum der Länder Bleichlautende Regelungen zu beschließen. Für die Kommunen muß gelten, daß Boden nur in unabweislichen Fällen verkauft werden darf. Sobald die Maßnahmen zur Verbesserung des kommunalen Bodenerwerbs und zur Verbesserung der kommunalen Finanzsituation in Kraft getreten sind, ist der Verkauf kommunalen Bodens nicht mehr zu rechtfertigen. Dann darf kein kommunales Bodeneigentum mehr verkauft werden.
Ist das Privatisierung von Grund und Boden zugunsten unserer Bürger?
Dies war 1973, Herr Kollege Waltemathe. Im Auftakt Ihres Parteitages 1975 hat Herr Koschnik, den Sie ja aus Bremen sehr gut kennen, ein Modell zur Aufspaltung des Eigentums in Verfügungs- und Nutzungseigentum vorgelegt und in dem Anschreiben an den Bundesvorstand der SPD folgendes geschrieben — ich zitiere —:Liebe Genossen! Die Kommission Bodenrechtsreform ist sich bewußt, daß zur Zeit und wahrscheinlich auch in der näheren Zukunft das Thema Neuordnung der Eigentumsstruktur an Grund und Boden für städtische Problembereiche politische Brisanz in sich birgt, die sich im Wahlkampf auch gegen die SPD auswirken könnte. Die Kommission war jedoch gehalten, den Auftrag des Parteitages 1973 zu erfüllen. Die Mitglieder der Kommission— jetzt kommt der entscheidende Passus —halten die politische Bewußtseinslage der Öffentlichkeit in diesem Fragenkomplex nicht für so vorbereitet, daß der politische Gegner daraus nicht im Augenblick die alte Verteufelungsmaschine reiten würde.Das heißt doch im Klartext: Weil dies in der Bevölkerung nicht mehrheitsfähig ist, darf das, was Sie wirklich wollen, heute noch nicht auf den Tisch gelegt, d. h. nicht gesagt werden. Das erinnert uns in fataler Weise an Äußerungen Ihres Kollegen Bahr, die er hier im Deutschen Bundestag gemacht hat.Das war 1974, Herr Kollege Waltemathe. Auf Ihrem Parteitag 1975 haben Sie das kommunalpolitische Grundsatzprogramm verabschiedet. Dort steht wörtlich der Satz — ich zitiere —:Jede Gemeinde muß die Entscheidung über die Nutzung ihres gesamten Bodens erhalten.Meine Damen und Herren, dies bedeutet in keinerWeise auch nur einen Schritt in die Richtung, daßder Bürger endlich zu privatem Eigentum kommen soll. Der Bürger bekommt bei diesem Programm — wenn es verwirklicht wird — eben keinen Grund und Boden, sondern nur noch Nutzungsrechte verliehen.Ich schließe mit Ihrem letzten Parteitag 1977, wo es zur formellen Abstimmung nicht mehr gekommen ist. Da heißt es: „Empfehlung der Antragskommission: Erweiterung des städtebaulichen Erbbaurechts". Das ist die Umtaufe des früheren Modells. Die Aufspaltung des Eigentums in Verfügungseigentum und Nutzungseigentum wird jetzt „städtebauliches Erbbaurecht" genannt.Herr Kollege Conradi, Sie müssen sich schon unseren Hinweis gefallen lassen, daß dieses städtebauliche Erbbaurecht im Sinne der SPD mit dem Erbbaurecht des geltenden bürgerlichen Rechts absolut nichts zu tun hat, sondern daß Sie hier nur ein Etikett gewählt haben, das der Systematik, die wir nach bürgerlichem Recht kennen, im Grund überhaupt nicht gerecht wird.Nach Ihrer Vorlage soll das städtebauliche Erbbaurecht in klar umgrenzten und durch Rechtssatz bestimmten Problemgebieten eingeführt werden. Ist es nicht so — frage ich Sie —, daß die Gemeinde allein bestimmt, was Problemgebiete sind, und diese beliebig ausgedehnt werden können? Ist es nicht so, daß die Überführung in das städtebauliche Erbbaurecht, wenn es verwirklicht wird, im Klartext bedeutet: Überführung des Eigentums an Grund und Boden durch Rechtssatz, also zwangsweise, an die Gemeinden? Ist es nicht so, daß der Erbbaurechtnehmer ausschließlich einem Monopolisten gegenübersteht — nämlich künftig der Gemeinde —, der alternativlos den Preis diktieren kann?
Heute gibt es viele Erbbaurechtgeber und viele Erbbaurechtnehmer; dadurch wird der Preis für das Erbbaurecht in Grenzen gehalten. Und ist es nicht so, Herr Kollege Conradi — das ist doch der entscheidende Punkt—, daß der, der Geld hat, um die vorgeschriebene Nutzung zu realisieren, seinen Grund und Boden behalten darf, und der, der keine finanziellen Mittel hat, zur Übereignung seines Grunds und Bodens an die Gemeinde gezwungen wird? Der kleine Mann wird nach diesem Modell bestraft.
Derjenige, der Geld hat, um die Planung realisieren zu können, darf seinen Grund und Boden behalten; der andere wird zur Zwangsübereignung genötigt. Dies, meine Freunde, ist keine Politik für mehr Bodenrecht, sondern allenfalls für Boden ohne Recht.
— Herr Kollege Conradi, deshalb sagen wir es von dieser Stelle noch einmal: All diese Modelle führen in keiner Weise zu einer breiteren Streuung privaten Eigentums an Grund und Boden; im Gegenteil, sie führen letztlich dahin, wohin die Parteiprogramme zeigen, nämlich zur Konzentration des privaten Grundeigentums bei den Gemeinden. Dagegen
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8958 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Dr. Jahn
aber werden wir hier im Haus und auch in der Öffentlichkeit im Interesse unserer Bürger draußen im Land Front machen.
Das durch das Bundesbaugesetz erweiterte Vorkaufsrecht muß in den Dienst einer möglichst kostengünstigen Grundstückspolitik gestellt werden. Grund und Boden, die Bund, Länder und Gemeinden zur Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben nicht selbst benötigen, sollen sie an Bauwillige veräußern, vorzugsweise an die, die erstmals bauen wollen.Zur Verwirklichung sachgerechter Städtebaupolitik müssen die Planungsmöglichkeiten des Bundesbaugesetzes und des Städtebauförderungsgesetzes koordiniert und genutzt werden. Nicht aber dürfen die Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden monopolartig verändert werden. Darin liegt der entscheidende Unterschied zwischen unseren und Ihren politischen Bemühungen.Ich werde heute nicht auf die Privatisierung der Wohnungsbestände eingehen. Auch insoweit haben Sie unseren Antrag abgelehnt. Anreize zur Privatisierung, wie sie uns vorschwebt — wohlgemerkt zugunsten derer, die in den Wohnungen sind —haben sie abgelehnt. Die Debatte wird noch kommen.Sie ziehen durch die Lande und verweisen auf Spekulanten gerade in den Städten Hamburg und Berlin. Ich muß Sie fragen: Wer regiert dort? Wenn dort die nötige Aufklärung, die der Wohnungsbauminister heute fordert, nämlich daß Mieter, Käufer und Verkäufer über die wahre Rechtslage aufgeklärt werden, erst jetzt erfolgt, da viele Kinder schon in den Brunnen gefallen sind, so ist das nicht von uns zu verantworten, sondern von denen, die dort die politische Verantwortung tragen.
Letztlich möchten wir auch darauf hinweisen, daß die Innenstädte auch für kinderreiche Familie attraktiv bleiben müssen. Wir haben deshalb hier ein umfassendes Programm vorgelegt. Sie kennen es. Im Finanzauschuß des Deutschen Bundestages haben SPD und FDP am 18. Oktober die von uns gestellten Anträge abgelehnt. Damit aber nicht genug. Der Wohnungsbauminister hat sich ebenfalls zum Ziel gesetzt und mehrfach bekundet, eine Wohnungsbaupolitik für kinderreiche Familien zum Schwerpunkt seiner politischen Bemühungen zu machen. Er hat dies am 12. Mai 1978 hier ausgeführt. Er ist dann mit Frau Minister Antje Huber in eine Pressekonferenz gegangen. Dort ist ausgeführt worden, daß die Bundesregierung Entscheidendes ändern wolle. Die Familienheimzusatzdarlehen sollen erhöht werden, bei der steuerlichen Begünstigung durch den Abschreibungsparagraphen 7 b soll für Anbauten und Erweiterungen in Eigenheimen und Zweifamilienhäusern die Jahresgrenze künftig nicht mehr gelten, und beim Bausparen soll der prämienbegünstigte Höchstbetrag angehoben werden. Alle diese Vorschläge, meine Damen und Herren, die angekündigt worden sind, haben in den Haushaltsplanberatungen überhaupt keinen Niederschlag gefunden. So mußte im Ausschuß der zuständige Referent aus dem Haus des Ministers auf viermaliges Fragen viermal mit Nein antworten. Deshalb fragen wir uns eigentlich, was denn geschieht, Herr Minister. Draußen verkünden Sie dies alles, und im eigenen Kabinett, in den eigenen Reihen scheitern Sie. Wir stellen vor diesem Hause heute fest, daß wir Sie nicht an dem messen, was Sie draußen sagen, sondern an dem, was Sie verwirklichen und was Sie hier in den Haushaltsplänen durchsetzen.
Letztlich, meine Damen und Herren, setzen wir uns auch dafür ein, daß die Familien früher als bisher in den Genuß von privatem Eigentum-kommen. Es hat keinen Sinn, Familien mit Kindern erst dann in Eigentum hineinwachsen zu lassen, wenn die Familien bereits so strukturiert sind, daß die Kinder im heiratsfähigen Alter sind und im Begriff stehen, das Elternhaus wieder zu verlassen. Hier müssen wir eine Änderung herbeiführen. Ein Beispiel: Eine Familie, die erst vier Kinder bekommt, dann baut und dabei eine Wohnfläche von 176 qm nicht überschreitet, baut nach geltendem Recht steuerbegünstigt. Eine Familie dagegen, die erst Zukunftsvorsorge trifft, also erst 176 qm baut, und die vier Kinder nach dem Einzug bekommt, erhält die genannte Steuervergünstigung nicht. Warum eigentlich nicht? Herr Minister, mir hat ein Bürger zu diesem Problem geschrieben, ein Vogel baue bekanntlich zuerst sein Nest und lege dann die Eier. Die Wohnungsbau- und Steuerpolitik stellt dieses Naturgesetz auf den Kopf.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu den Fragen des Wohnumfeldes haben die Kollegen Dr. Schneider und Francke gesprochen. Aber eines muß noch deutlich gesagt werden. Die Gemeinden müssen in die Lage versetzt werden, ihre Planungsaufgaben auch finanzieren zu können. Darin liegt das eigentliche Problem, bei dessen Lösung sich die Bundesregierung schwertut. Das Theater um den Ausgleich für die künftig wegfallende Lohnsummensteuer ist hierfür ein deutlicher Beweis. Bund und Länder müssen die Gemeinden verstärkt in die Lage versetzen, die ihnen zugewiesenen Aufgaben auch erfüllen zu können. Die gemeindliche Planungshoheit ist ohnehin, wie Sie wissen, schon sehr eingeschränkt. Nicht derjenige hat mehr die Möglichkeit, eine kommunale Aufgabe durchzusetzen, der die Zuständigkeit nach dem Gesetz hat, sondern derjenige, der die Subventionsverwaltung steuert. Dies muß zu einem Ende kommen, wenn kommunale Planungshoheit auf Dauer ernst genommen werden soll. Die Gemeinden haben also Anspruch auf originäre Finanzquellen und nicht nur auf Subventionen.
Die Bundesregierung denkt anders und macht mit Subventionen Politik, weil sie Subventionen jedes Jahr verkaufen kann, steuerliche Erleichterungen aber nicht, weil Gesetze im Grunde längerfristig angelegt sind. So sind die Mittel für die Programme zur Dorferneuerung im Einzelplan 10 des Ernährungsministers Ertl ausgewiesen, die Programme für
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8959
Dr. Jahn
die Städtebauförderung aber im Etat des Wohnungsbauministers. So teilt man sich in der Koalition die öffentlichen Förderungsprogramme.
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Herr Abgeordneter, würden Sie zum Schluß kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Sofort, Herr Präsident. — Welch Wunder, daß die Bundesregierung in der Städtebauförderung die von ihr zu vergebenden Programme lieber aufstockt, statt die Städte und Gemeinden besser auszustatten.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Mehr Mut hat Herr Conradi gefordert. Er hat der Regierung bezeichnenderweise diesen Mut nicht bescheinigt.
Wir werden den Wohnungsbauminister nicht an seinen Worten, sondern an seinen Taten messen und mochten ihm wünschen, daß das, was er draußen verkündet, mit dem, was er in den eigenen Reihen verwirklicht, in zunehmendem Maße deckungsgleich wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Ich rufe nunmehr Punkt 7 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 23. Februar 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Schweden zur Durchführung des Abkommens vom 27. Februar 1976 über Soziale Sicherheit — Drucksache 8/1993 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 8/2229 —Berichterstatter:Abgeordneter Sieler
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, möge sich erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? - Das Gesetz ist mit Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen.Ich rufe nunmehr Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 21. Oktober 1969 und vom 12. Oktober 1971 des Internationalen Übereinkommens zur Verhütung der Verschmutzung der See durch Öl, 1954— Drucksache 8/1740 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 8/2219 — Berichterstatter:Abgeordeter Paterna
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden.Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, möge sich erheben. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Zweiten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts— Drucksache 8/1678 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 8/2251 — Berichterstatter:Abgeordneter Helmrich Abgeordneter Schmidt
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung .auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung einstimmig angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, möge sich erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Dann stelle ich fest, daß das Gesetz einstimmig angenommen ist.
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8960 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Präsident CarstensIch rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes— Drucksache 8/2154 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
InnenausschußWird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall.Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 8/2154 — federführend — an den Finanzausschuß und — mitberatend — an den Innenausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich rufe nunmehr Punkt 11 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Feuerschutzsteuergesetzes
— Drucksache 8/2172 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: FinanzausschußWird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Zur Einbringung kann nur ein Vertreter des Bundesrats sprechen; aber seitens des Bundesrates ist niemand anwesend.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Interfraktionell ist eine Aussprache mit Kurzbeiträgen — und zwar eine Runde — vereinbart worden. Das Wort hat der Herr Abgeordnete von der Heydt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat am 7. Juli 1978 beschlossen, im Bundestag gemäß Art. 76 Abs. 1 des Grundgesetzes den Entwurf eines Feuerschutzsteuergesetzes einzubringen, das auf Drucksache 8/2172 vom 9. Oktober 1978 mit einer Stellungnahme der Bundesregierung vorliegt. Der Staatssekretär des zuständigen Fachministeriums betritt für die Bundesregierung soeben den Raum. Ich bedanke mich, Herr Staatssekretär, daß Sie bei dieser wichtigen Beratung anwesend sind.Bei der Feuerschutzsteuer handelt es sich um eine der kleinsten von 26 Bagatellsteuern. Sie fließt den Ländern zu und ist zweckgebunden ausschließlich zur Förderung des Feuerlöschwesens und des vorbeugenden Brandschutzes zu verwenden. Die Feuerschutzsteuer geht auf ein Reichsgesetz über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungen und Sparkassen aus dem Jahre 1931 zurück. Es besteht in der modernen Form seit 1939 und. gilt in den Bundesländern als Landesrecht fort.Am 3. März 1969 einigten sich die Länder in einem Staatsvertrag über die Verteilung des Aufkommens untereinander, und zwar in einer Weise, die fiskalische und staatliche Gesichtspunkte eindeutig stärker als diejenigen der betroffenen Feuerwehren berücksichtigte. Das Aufkommen dieser Steuer hat sich in den letzten 28 Jahren verzehnfacht. Es betrug 1950 19 Millionen DM und wird 1978 nicht, wie von der Regierung oder vom Ausschuß für Steuerschätzung amtlich geschätzt, zirka 170, sondern eher 194 Millionen DM betragen. Damit beträgt dieses Aufkommen weniger als 0,6 Promille des gesamten Steueraufkommens, das für 1978 auf 315,5 Milliarden DM geschätzt wird. Es ist wichtig, diese Größenordnung zur Kenntnis zu nehmen, wenn man sich über die mögliche Veränderung dieser Steuer Gedanken macht, um die Relationen im Auge zu behalten.Mit dem Aufkommen von zirka 194 Millionen DM im Jahre 1978 wird also wieder das Spitzenaufkommen des Jahres 1974 erreicht, das 196 Millionen DM betragen hatte. Der Betrag war dann in den darauffolgenden zwei Jahren bis 1976 auf den Tiefststand der Kurve mit ungefähr 171 Millionen DM abgesunken.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hält eine ausreichende technische Ausstattung der Feuerwehren für unabdingbar.
Wir halten dies angesichts des aufopferungsvollen Einsatzes der in den Feuerwehren tätigen Männer, insbesondere in den freiwilligen Feuerwehren, und im Interesse der Allgemeinheit für eine Selbstverständlichkeit.
Wir stellen mit Sorge fest, daß die Ausstattung der Feuerwehren vor allem in den ländlichen Räumen nicht überall so ist, wie sie sein müßte. Die Folge. davon ist leider, daß größere Risiken für Leib und Leben der Feuerwehrmänner und größere Risiken für das vom Feuer bedrohte Eigentum der Bürger bestehen und daß dementsprechend auch größere Versicherungskosten von der Versichertengemeinschaft getragen werden müssen. Wir wollen und, so glaube ich, müssen hier rasch Abhilfe schaffen.Wir müssen kritisieren, daß der Bundesfinanzminister verordnet hat — das war seinerzeit Bundesminister Apel —, die verbundenen Versicherungen auf Gebäude und Hausrat ab 1974 von der Feuerschutzsteuer freizustellen, ohne die Konsequenzen mit den Ländern und Gemeinden geklärt zu haben. Man erinnert sich dabei auch an ein anderes Steuergesetz, nämlich an die Lohnsummensteuer, wo offenbar auch eine Klärung mit den Betroffenen nicht rechtzeitig in Gang gesetzt worden ist.Wir müssen auch kritisieren, daß die Länder viereinhalb Jahre gebraucht haben, um die Auswirkung dieser Veränderung zur Kenntnis zu nehmen und einen Lösungsvorschlag vorzulegen.Schließlich müssen wir kritisieren, daß die Hamburger Verteilungsvereinbarung, nämlich jene vom März 1969, zu absolut und relativ höchst unterschiedlichen Aufkommensniveaus und Aufkommensverläufen in den verschiedenen Ländern geführt hat.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8961
von der Heydt Freiherr von MassenbachDie Erhebung und Verteilung dieser Ministeuer ist so kompliziert, daß ihre Wirkungsweise von vielen, auch von den Betroffenen, oft nicht richtig erkannt und eingeschätzt wird.Wenn wir dieses Gesetz im Ausschuß beraten, müßten wir eigentlich den Versuch machen, die Grundsatzproblematik dieser Steuer jetzt zu lösen. Wie die Steuerreformkommission schon im Jahre 1971 feststellte, kann die Rechtfertigung dieser Steuer in ihrer jetzigen Form zweifelhaft sein. Der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Fredersdorf, nennt sie ein Relikt abgestandener Zeiten, das abzuschaffen sei. Er hält es für unerträglich, neue Steuerkomplikationen vorzusehen.All das, meine Damen und Herren, haben wir bedacht. Unser Respekt vor dem Dienst der Feuerwehren und vor dem Erfordernis ihrer angemessenen Ausstattung sowie vor ihrem Anspruch auf eine rasche Entscheidung in dieser Frage hat für uns zur Zeit größeres Gewicht als alle steuertechnischen Einzelstreitigkeiten.
Wir können es nicht verantworten, daß der Feuerwehrdienst, den wir als einen geradezu vorbildlichen demokratischen Selbsthilfedienst der Bürger betrachten, Prügelknabe einer langatmigen Debatte um steuerliche Fachfragen wird. Wir wollen den Feuerwehren, denen wir für ihren Einsatz danken, helfen. Das können wir im Augenblick am besten nur mit einer raschen Entscheidung. Deshalb sind wir bereit, uns auf einen vernünftigen Steuersatz für die Wettbewerber — das ist die einzige Frage, die hier zur Zeit offenbar strittig zu sein scheint — zu einigen.Wir schlagen deshalb als Grundlinie folgendes vor:1. Die Feuerschutzsteuer bleibt vorerst bestehen.2. Ab 1979 werden die verbundenen Tarife mit pauschalierten Anteilen wieder der Feuerschutzsteuer unterworfen.3. Der Tarif für Monopolanstalten bleibt unverändert bei 12 %.4. Der Tarif für Wettbewerber wird vereinheitlicht, und zwar — wenn es sein muß — auf 5 %, wie es die Bundesregierung vorschlägt.5. Der vorzeugende Brandschutz und die Brandbekämpfung bleiben eine wichtige öffentliche Aufgabe, die auch in Zukunft aus den allgemeinen Haushalten angemessen bedient werden muß.Meine Damen und Herren, zum Schluß noch ein Wort, damit die Betroffenen, also die Versicherungen, Länder, Regierungspräsidenten, Gemeinden, vor allem — das soll keiner vergessen — die Feuerwehren und — last not least — die Bürger, nicht mit zweifelhaften Zahlen verwirrt werden. Die Feuerschutzsteuer bringt im Jahr 1978, wie ich vorhin sagte, zirka 194 Millionen DM und nicht, wie amtlich geschätzt, 170 Millionen DM. Der Bundesratsvorschlag erbrächte für 1979 295 Millionen DM. Das sind 100 Millionen DM mehr als 1978 und bedeutet eine Erhöhung um über 50 %. Der Vorschlag der Bundesregierung erbrächte für 1979 ein Aufkommen von 249 Millionen DM. Das sind zirka 55 Millionen DM mehr als 1978 oder eine Zunahme von 28 %. Nähme man einen einheitlichen Steuersatz für die Wettbewerber, die öffentlich-rechtlichen wie die privaten, von 4 %, so käme immerhin noch ein Gesamtvolumen von 234 Millionen DM heraus. Das sind 40 Millionen DM mehr als im laufenden Jahr, und eine Steigerung um 20 %.Warum nenne ich diese Zahlen? Weil die Öffentlichkeit schon oft von der Bundesregierung, was Steuern anlangt, falsche Zahlen vorgelegt bekommen hat. Diesem Mangel will ich abhelfen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Weber .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Vorwurf, daß die Länder allgemein diesen Gesetzentwurf nicht zügig beraten hätten, muß ich zurückweisen; denn es waren die sozialdemokratisch geführten Länder Hessen und Nordrhein-Westfalen, die bei der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs führend waren. Von anderen Ländern hat man nichts gehört. Das Land Hessen hat heute auch noch die Federführung bei diesem Gesetzentwurf auf Bundesratsebene.
Die Initiative des Bundesrates, das Feuerschutzsteuergesetz inhaltlich dadurch zu verändern, daß die verbundenen Hausratsversicherungen und die verbundenen Gebäudeversicherungen wieder in die Feuerschutzsteuer einbezogen werden und der Unterschied in der Besteuerung der freiwillig abgeschlossenen Versicherungen der öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen und der privaten Versicherungsunternehmen beseitigt wird, wird sicherlich im Finanzausschuß mit der gebotenen Sorgfalt beraten.Es waren insbesondere die Vertreter der freiwilligen Feuerwehren, die in den letzten Wochen und auch heute noch darum gebeten haben, die Beratungen des Entwurfs zu beschleunigen, weil sie dringend auf eine bessere finanzielle Ausstattung angewiesen seien. Lassen Sie mich deshalb vorweg eine Feststellung treffen: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erkennt an, daß die rund eine Million freiwilliger Feuerwehrleute mit einem vorbildlichen bürgerschaftlichen Engagement die öffentliche Aufgabe des Brandschutzes unter Einsatz ihres Lebens und ihrer Gesundheit ehrenamtlich wahrnehmen. Lassen Sie mich an dieser Stelle und bei dieser Gelegenheit für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion diesen freiwilligen Helfern, aber auch ihren Frauen, die ebenfalls viele Opfer bringen müssen, einmal in aller Form Dank sagen.
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8962 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Dr. Weber
Die freiwilligen Feuerwehren haben — sie feiern in diesem Jahr ihr 125jähriges Bestehen — deshalb auch ein berechtigtes Interesse, ausreichend für die Bekämpfung der Brandgefahren ausgerüstet zu sein.Nach der Statistik wurden in der Bundesrepublik Deutschland im letzten Jahr rund 1,53 Milliarden DM für den Brandschutz ausgegeben, wovon rund 987 Millionen DM auf die Berufsfeuerwehren entfielen, die von diesem Gesetzentwurf allerdings gar nicht betroffen sind,
und 541 Millionen DM von den Ländern, Kreisen und Gemeinden in Form von Sachaufwendungen für die freiwilligen Feuerwehren bereitgestellt worden sind.In der zuletzt genannten Summe ist auch das Aufkommen aus der Feuerschutzsteuer in Höhe von rund 182 Millionen DM im Jahre 1977 enthalten. Das bedeutet, daß die Länder, Kreise und Gemeinden für den Bereich der freiwilligen Feuerwehren 359 Millionen DM aus Haushaltsmitteln aufgewendet haben.Da jährlich volkswirtschaftliche Werte in Höhe von rund 3 Milliarden DM durch Brandschäden vernichtet werden und bei Schadenfeuern jährlich annähernd tausend Menschen ums Leben kommen, wird deutliche daß ohne diesen finanziellen Einsatz der Schaden viel größer wäre und daß deshalb auch in Zukunft die Feuerwehr technisch gut ausgerüstet sein muß. Aus dieser Sicht steht es außer Zweifel, daß jede zusätzliche Mark für die freiwilligen Feuerwehren eine notwendige Hilfe ist.Aber, meine Damen und Herren, wir werden uns natürlich im Rahmen der Beratung im Finanzausschuß auch — und daran kommen wir nicht vorbei, wenn wir das alles ernsthaft machen wollen — mit dem Argument der Deutschen Steuergewerkschaft und vorher auch mit dem Argument der Steuerreformkommission zumindest in den Ansatzpunkten auseinandersetzen müssen, die meinen, die Feuerschutzsteuer sei völlig aufzuheben, weil das Aufkommen aus dieser Steuer in keinem Verhältnis zum Gesamtsteueraufkommen stehe und weil die Beseitigung dieser Steuer ein Beitrag zur Steuervereinfachung sei. Das Letztere stimmt sicherlich nicht, denn es gibt keine Steuer, die so einfach erhoben werden kann wie die Feuerschutzsteuer und die von so wenigen Steuerschuldnern aufgebracht wird. Was kompliziert ist, ist der Verteilungsschlüssel dieser einmal erhobenen Steuer. Da müssen sich die Länder einmal zusammensetzen und nach einem einfacheren Weg suchen.Wir werden auch zu prüfen haben, ob die insbesondere von der Versicherungswirtschaft angeführten Gründe der Verfassungskonformität durchgreifen, der Brandschutz sei eine öffentliche Aufgabe, die dadurch entstehenden Kosten seien von der Allgemeinheit zu tragen, das Aufkommen aus der Feuerschutzsteuer dürfe nur zweckgebunden für diese Aufgabe verwendet werden und sie dürfe deshalb auch nur in der Höhe erhoben werden, wie dies zur Finanzierung des eigentlichen Brandschutzes nötig sei. Da gibt es unterschiedliche Statistiken über den Anteil der Brandeinsätze im Verhältnis zu den Gesamteinsätzen. Davon wird es letztlich auch abhängen, ob der Vorschlag des Bundesrates, den Steuersatz auf 6 % zu erhöhen, oder der Vorschlag der Bundesregierung, den Steuersatz auf 5 % zu erhöhen, im Hinblick auf die Aufgaben der Feuerwehren und deren Finanzierung angemessen erscheint.Die SPD-Fraktion verkennt nicht die Bedeutung der öffentlichen Aufgabe des Brandschutzes. Sie stimmt daher der Überweisung an den Finanzausschuß zu und will damit auch einen Beitrag leisten, der sicherstellt, daß das Feuer nicht nur mit Wasser, sondern auch mit den erforderlichen Geräten gelöscht werden kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir behandeln hier heute in erster Lesung ,den Entwurf eines Feuerschutzgesetzes des Bundesrates. Den meisten Bürgern wird die Feuerschutzsteuer überhaupt unbekannt sein. Es handelt sich dabei um eine Steuer, die auf Grund eines Reichsgesetzes aus dem Jahre 1939 und elf entsprechenden Landesgesetzen erhoben wird, und zwar auf das Versicherungsentgelt, das der Versicherungsnehmer einer Feuerversicherung an die Versicherung zahlt. Das Aufkommen betrug 1977 183 Millionen DM. Der Bundesrat beantragt nun, das Aufkommen aus der Feuerschutzsteuer um 60 Millionen DM zu erhöhen, und zwar einmal durch die Einbeziehung der verbundenen Hausratsversicherung und der verbundenen Gebäudeversicherung in die Feuerschutzsteuer und zum zweiten durch eine Neufestsetzung der bisher unterschiedlichen Steuersätze für private und öffentliche Versicherungen auf einheitlich 6 %.Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion vermag diesem Anliegen des Bundesrates nicht zu folgen. Erstens ist die Feuerschutzsteuer eine reine Zwecksteuer. Sie wird erhoben, wie es im Gesetz heißt, „zur Förderung des Feuerlöschwesens und des vorbeugenden Brandschutzes". Das Aufkommen ist also zu 100% zweckgebunden. Nun sind aber Zwecksteuern nach Ansicht führender Steuerrechtsexperten ein entscheidender Grund für Undurchsichtigkeit und mangelnde Systematik unseres Steuerrechts. Dies ergibt sich einmal daraus, daß Steuern im Unterschied zu Gebühren und Abgaben, die für einen konkreten Gegenzweck gezahlt werden, zur Beschaffung von allgemeinen Haushaltsmitteln dienen. Man stelle sich vor, daß die öffentliche Hand auch für andere öffentliche Aufgaben -- das Feuerlöschwesen ist ohne Zweifel eine öffentliche Aufgabe — Zwecksteuern nach Art der Feuerschutzsteuer erheben würde. So wäre z. B. der Feuerschutzsteuer durchaus vergleichbar, wenn die öffentliche Hand, die ja auch z. 8. für Überschwemmungen Vorsorge zu treffen hat, eine Wasserschutzsteuer einführte — keiner könnte etwas systema-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8963
Frau Matthäus-Maiertisch dagegen sagen - oder zur Finanzierung der Polizei zum Schutz vor Verbrechen eine Verbrechensschutzsteuer. Diese Beispiele sollen zeigen, daß nach unserer Ansicht eine reine Zwecksteuer, wie die Feuerschutzsteuer sie darstellt, oder, wie man sie auch nennt, eine parafiskalische Abgabe der Systematik unseres Steuerrechts klar zuwiderläuft und ein Relikt aus früheren Zeiten darstellt.Die Feuerschutzsteuer oder eine Zwecksteuer allgemein trägt außerdem dazu bei, die Durchsichtigkeit des Steuerrechts für die betroffenen Bürger zu erschweren. Aus diesem Grunde forderte nicht nur die Steuerreformkommission von 1971, sondern fordert auch die Deutsche Steuergewerkschaft, die Feuerschutzsteuer zu streichen, um die Transparenz des Steuerrechts insgesamt für den Bürger zu erhöhen.Ich darf darauf hinweisen, daß auch die EG-Kommission sich stets für die Abschaffung solcher parafiskalischer Abgaben ausgesprochen hat, wie sie die Feuerschutzsteuer darstellt. So sah z. B. — ich zitiere— der Vorentwurf einer Richtlinie über die Harmonisierung der indirekten Steuern auf Versicherungen aus der Zeit der noch nicht erweiterten Europäischen Gemeinschaft die Einbeziehung der Feuerschutzsteuer, die es ohnehin nur in der Bundesrepublik Deutschland und in Luxemburg gab, in die Versicherungsteuer vor.Meine Damen und Herren, in einer Zeit, in der sich der Bürger zu Recht darüber beklagt, daß das Steuerrecht von Tag zu Tag. undurchsichtiger für ihn wird, kann es nach Ansicht der FDP-Fraktion nicht darum gehen, eine Zwecksteuer weiter zu erhöhen, sondern Aufgabe des Tages muß es vielmehr sein, die Unübersichtlichkeit des Steuerrechts zugunsten von mehr Durchsichtigkeit zu beseitigen. Eine Erhöhung der Feuerschutzsteuer würde nach unserer Ansicht diesem Ziel zuwiderlaufen.Zweitens. Die Feuerschutzsteuer ist eine Bagatellsteuer, Herr von der Heydt sagte sogar „Ministeuer" und wies zu Recht darauf hin: eine der kleinsten Steuern überhaupt. Die FDP hat beschlossen und es durch mich immer wieder im Bundestag vortragen lassen, daß es unser Ziel ist, Bagatellsteuern abzuschaffen. Denn neben verschiedenen anderen Maßnahmen zur Vereinfachung unseres Steuersystems dient auch die Abschaffung von Bagatellsteuern einer Vereinfachung und einer größeren Transparenz des Steuerrechts.
— Mit der Gewerbekapitalsteuer? Herr Kollege, ich habe doch hier in diesem Hause — ich glaube, es war vor zwei Wochen — ausdrücklich gesagt, daß die FDP für eine Abschaffung der Gewerbesteuer überhaupt ist; nur nicht alles auf einmal und alles jetzt. Wir meinen, daß mit der Abschaffung der Lohnsummensteuer ein ganz entscheidender Schritt getan worden ist, der durch Ihr Verhalten im Vermittlungsausschuß leider bis jetzt blockiert ist.
Ein solcher Wegfall von Bagatellsteuern trägt nämlich nicht nur dazu bei, das höchst unübersichtlich gewordene Steuerrecht um ein ganzes Gesetz zu entschlacken, sondern würde auch den Bürger von dem immer weiter um sich greifenden Mißtrauen befreien, daß der Staat ihm bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit und möglichst unbemerkt das Geld aus der Tasche zieht. Angesichts unserer Absicht, möglichst viele Bagatellsteuern abzuschaffen, können wir uns nicht damit einverstanden erklären, zum jetzigen Zeitpunkt eine Bagatellsteuer sogar noch zu erhöhen. Im Gegenteil, wir sind der Meinung, auch die Feuerschutzsteuer als Zwecksteuer und als Bagatellsteuer müßte eigentlich abgeschafft werden.Wenn wir uns nicht bereits bei diesem vorliegenden Gesetzentwurf für eine völlige Abschaffung einsetzen, dann nur deshalb, weil wir erst eine Gesamtkonzeption über die nach unserer Ansicht zu beseitigenden Bagatellsteuern und die finanziellen Alternativen vorlegen wollen. Im Rahmen einer solchen Gesamtrevision kann nach unserer Ansicht auch die Feuerschutzsteuer nicht aufrechterhalten bleiben. Hinzu kommt, daß bei einer isolierten Streichung der Feuerschutzsteuer nicht damit zu rechnen wäre, daß die Versicherungsunternehmen die Erleichterung an die Versicherungsnehmer weitergeben würden. Unser Ziel ist es aber nicht, den Versicherungsunternehmen eine Steuererleichterung zu verschaffen, sondern unser Ziel wäre es gerade, durch Streichung der Feuerschutzsteuer die Prämien für die Versicherungsnehmer zu senken.Drittens. Der Bundesrat beabsichtigt mit seinem Gesetzentwurf eine Anhebung der Feuerschutzsteuer um 60 Millionen DM. Herr von der Heydt, möglicherweise haben wir unterschiedliche Zahlen, aber das Problem bleibt das gleiche.
Dies sind gegenüber dem bisherigen Aufkommen von 180 Millionen DM mindestens 30 % mehr. Wir halten es nicht für richtig, in einem Moment, in dem wir durch das Steuerpaket, von dem ich sage, daß es nach unserer Ansicht leider von Ihnen bis heute blockiert wird, deutliche Steuererleichterungen für den Bürger und für die Wirtschaft verabschieden, gleichzeitig Steuern an anderer Stelle zu erhöhen. Wir meinen also, eine Erhöhung der Feuerschutzsteuer — gleich um 30 % — paßt beim besten Willen nicht in die steuerpolitische Landschaft.Nun wird uns entgegengehalten, die Ablehnung der Erhöhung der Feuerschutzsteuer würde zu einer Beeinträchtigung des Feuerschutzes und damit zu einer verstärkten Gefahr für die öffentliche Sicherheit führen. Dabei wird übersehen, daß schon heute die Einnahmen aus der Feuerschutzsteuer bei weitem nicht die Ausgaben für die Feuerbekämpfung decken.Nehmen Sie als Beispiel das Land NordrheinWestfalen. Die Kosten des Brandschutzes betrugen im Lande Nordrhein-Westfalen 460 Millionen DM. Das Aufkommen aus der Feuerschutzsteuer in diesem Lande beträgt 32 Millionen DM. Die gewünschte Erhöhung würde dem Lande Nordrhein-Westfalen ein Aufkommen von weiteren 12 Millionen DM be-
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8964 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Frau Matthäus-Maierscheren. Damit würde auch nach einer Erhöhung der Feuerschutzsteuer das Land Nordrhein-Westfalen seine Unkosten beim Feuerschutz nicht einmal in Höhe von 10 % decken. Das bedeutet, daß schon heute die Finanzmittel für den Brandschutz ganz überwiegend aus den allgemeinen Haushaltsmitteln kommen. Unsere Meinung ist die, daß auch die knapp 10 %, die noch übrigbleiben, über die allgemeinen Haushaltsmittel des öffentlichen Haushalts abgewickelt werden sollten. Ich betone ausdrücklich: Unser Ziel ist es, daß die Feuerwehrleute an dieses Geld herankommen, aber nicht auf diesem Wege.Die öffentliche Aufgabe des Feuerschutzes wird in außerordentlich starkem Umfange gerade von freiwilligen Kräften durchgeführt. In diesem Bereich arbeiten rund eine Million freiwillige Feuerwehrmänner, die ehrenamtlich und unter Aufopferung von Freizeit, Gesundheit und nicht selten auch unter Einsatz ihres Lebens diese wichtige öffentliche Aufgabe wahrnehmen. Allein die freiwilligen Feuerwehren beklagen jedes Jahr 15 bis 20 Todesopfer, und etwa .4 500 Feuerwehrleute werden mehr oder weniger schwer verletzt. Das wenigste, was wir für diese Männer tun können, ist, sie persönlich gut auszurüsten und ihnen technisch ausgereiftes Material an die Hand zu geben.Ich glaube also, es ist der richtige Weg, auch in Höhe des Restbedarfs die Feuerwehren in Zukunft über die öffentlichen Haushalte zu finanzieren, um sie auf diese Weise in den Stand zu versetzen, ihre schwere Arbeit zu tun. Dies läge auch im Interesse der Feuerwehren und ihrer öffentlichen Anerkennung.Die Steuerreformkommission hat im Jahre 1971 gesagt, ein verstärkter Einsatz allgemeiner Haushaltsmittel — das ist jetzt wörtlich — könnte zudem geeignet sein, die Notwendigkeit des Brandschutzes mehr als bisher in das Bewußtsein der Öffentlichkeit zu rücken und deutlich zu machen, daß der Brandschutz eine öffentliche Aufgabe ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kommen Sie bitte zum Schluß.
Wir sind der Ansicht, die Feuerwehrleute sollten mit ihrer wichtigen Arbeit nicht auf die Finanzierung aus einem solchen finanzpolitischen Relikt angewiesen sein. Sie haben ein Recht darauf, angemessen aus allgemeinen Haushaltsmitteln zur Bekämpfung der Feuergefahr in den Stand gesetzt zu werden. Wenn wir der Erhöhung widersprechen, dann nicht, weil wir eine möglicherweise schlechtere Ausstattung der Feuerwehren hinnehmen wollten, sondern weil wir gegen den Weg sind. Wir bejahen das Ob, aber wir verneinen das Wie.
Zu einer angemessenen Ausstattung der Feuerwehren gibt es nach unserer Ansicht mehrere Möglichkeiten. Ich erwähne als eine von mehreren möglichen nur das, was z. B. die EG-Kommission vorgeschlagen hatte: Wir sollten überlegen, ob wir die Feuerschutzsteuer nicht z. B. in die Versicherungsteuer einbeziehen können. Das würde allerdings das Problem aufwerfen, das wir heute beim Finanzausgleich schon kennen: Die Versicherungsteuer steht dem Bund zu, die Feuerschutzsteuer den Ländern.
Aber lassen Sie uns doch gemeinsam die Probleme lösen, die möglicherweise damit zusammenhängen! Herr von der Heydt, ich hatte nach den ersten fünf Minuten Ihrer Rede den Eindruck, daß Sie mit uns eigentlich einer Meinung sind, daß Sie .sich nämlich auf Grund der Tatsache, daß es eine Zwecksteuer und eine Bagatellsteuer ist, gegen eine solche Erhöhung aussprechen würden. Mir scheint Ihr Salto mortale, dann doch für eine Erhöhung zu sein, eigentlich recht unglaubwürdig. Wir schlagen Ihnen vor: Arbeiten Sie mit uns gemeinsam im Finanzausschuß daran — alle drei Fraktionen —, andere Wege zur Finanzierung zu finden, statt den Weg der Erhöhung der Feuerschutzsteuer zu gehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung gebe ich jetzt, wenn ich keinen Widerspruch höre, dem Kollegen Glos das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte um die Feuerschutzsteuer hört sich an, als ob es um die Milliardenbeträge gehe, die im Vermittlungsausschuß in der vergangenen Nacht hin und her geschoben worden sind. Wir haben es hier nicht mit „großer" Steuerpolitik zu tun, sondern mit unserem Versuch, hier eine Steuer wieder gerechter zu machen, die für die Betroffenen genauso wichtig ist, sowohl für die Feuerwehren, als auch die Versicherungsunternehmen, die diese Steuer leisten müssen und die sich in der Vergangenheit durch Änderung ihrer Tarife vom Zahlen dieser Steuer etwas freigeschwommen haben. Wir möchten, daß diese wieder die Steuer erbringen müssen. Wir verdanken in unserem Lande jährlich zigstausende Menschenleben und den Schutz von Hab und Gut dem Einsatz und der Opferbereitschaft der Feuerwehren. Wir danken dies den Frauen und Männern, die sich in den Feuerwehren engagieren, und wir danken dies vor allen Dingen den vielen freiwilligen ehrenamtlichen Helfern. Denn es gibt bei uns neben den hauptamtlichen Feuerwehren immerhin 887 000 Bürger, die sich in freiwilligen Feuerwehren zusammengefunden haben, die bereit sind, mit Hand anzulegen, die bereit sind, Freizeit und Bequemlichkeit zu opfern, wenn es darum geht, sich für den Nächsten, für die Gemeinschaft tätig einzusetzen.
Diese Feuerwehrleute gehen damit einen Weg, der eigentlich Vorbild sein sollte, in einer Zeit, wo leider immer mehr nach dem Staat, nach der öffentlichen Hand gerufen wird, wo immer mehr die Frage gestellt wird: was kann der Staat, was kann die Gemeinschaft für mich tun?, statt die Frage richtig zu stellen. Sie müßte nämlich umgekehrt lauten: Was kann ich als einzelner für die Gemeinschaft und für unseren Staat tun?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978 8965
GlosEs ist besonders hoch zu bewerten, daß es den Feuerwehren immer wieder gelingt, Jugendliche für diese Aufgabe zu begeistern. Rund 77 000 Jugendliche haben sich in den Jugendfeuerwehren zusammengeschlossen und lernen dort, für die Allgemeinheit Verantwortung zu tragen. Diese Zahl muß hier auch einmal genannt werden, wenn man immer wieder von der „heutigen Jugend" spricht, die sich — ach — so gar nicht für die Ideale ihre Väter begeistern könne.Dieses vorbildliche Verhalten ganz besonders der freiwilligen Feuerwehren schont den Geldbeutel des Steuerzahlers. Nur dadurch ist die breit gefächerte Organisation des Brandschutzes in der Bundesrepublik Deutschland möglich. Wer sollte das Geld für einen Ersatz für diese freiwilligen Helfer durch hauptamtlich besoldete Kräfte aufbringen?Daher ist es auch mehr als selbstverständlich — das ist das Thema der heutigen Debatte —, daß der Staat alles in seinen Kräften Stehende tut, um diese Bereitschaft zu erhalten und vor allen Dingen finanzielle Grundlagen zu schaffen, damit immer wieder modernes technisches Gerät angeschafft werden kann. Der Staat sollte die Feuerwehren nicht zu reinen Kostgängern der immer leerer werdenden öffentlichen Kassen machen.
1977 wurden 1,53 Milliarden DM für den Brandschutz in der Bundesrepublik ausgegeben. Der Löwenanteil dieser Summe entfällt auf die Berufsfeuerwehren, nämlich 987 Millionen DM, überwiegend für Personalkosten. Länder, Kreise und Gemeinden haben 1977 für die freiwilligen Feuerwehren 541 Millionen DM aufgewandt. Zu dieser beachtlichen Summe liefert das Aufkommen aus der Feuerschutzsteuer, über die wir heute reden, mit 182 Millionen DM einen Beitrag von immerhin fast 34 %. Die heute anstehende Feuerschutzsteuer hat somit einen ganz wesentlichen Anteil an der Finanzierung des Brandschutzeinsatzes und der technischen Hilfe der freiwilligen Feuerwehren. Wir haben dieses bewährte Instrument seit langen Jahrzehnten, und wir wollen dieses bewährte Instrument auch für die Zukunft erhalten.Zur Zweckbindung des Feuerschutzsteueraufkommens möchte ich sagen, daß diese in einem Ländergesetz geregelt werden muß. Es entspricht nicht der Kompetenz des Bundes, dies zu regeln.Die finanzielle Bedeutung, die Zahlen aus der Feuerschutzsteuer, sind hier hinreichend diskutiert. Lassen Sie mich noch sagen, daß der Rückgang des Steueraufkommens gestoppt werden muß und daß wir dafür sorgen müssen, daß den Feuerwehren aus dieser Steuer wieder mehr Geld zufließt, damit sie einen Investitionsrückstand, den sie in den letzten Jahren gehabt haben, aufholen können und mit ihrem Gerät an die moderne technische Entwicklung anschließen können.Ich möchte in diesem Zusammenhang den Kollegen, die die Ausschußberatungen zu führen haben, noch ein spezielles bayerisches Anliegen mit auf den Weg geben; es geht um die ländlichen Brandunterstützungsvereine, die ihren Mitgliedern im Brandfall durch Geldleistungen und gegenseitige Hilfe — Nachbarschaftshilfe, Naturalleistungen — Entschädigungen gewähren. Bei diesen Brandunterstützungsvereinen sollte man eine Anhebung des Freibetrages im Gesetz fest verankern. Ich bitte Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen vom Finanzausschuß, deshalb, dieses Anliegen besonders wohlwollend zu prüfen und im übrigen dieses Gesetzeswerk „Feuerschutzsteuer" schnell und zügig zu beraten, damit es zum 1. Januar 1979 in Kraft treten kann. Sie können dadurch beweisen, daß die schönen Reden, die von Politikern aller Parteien immer wieder auf Feuerwehrfesten und bei Jubiläen gehalten werden, Wahrheitsgehalt haben, daß wir als Bundestagsabgeordnete dann, wenn es um die Feuerwehren geht, auch wirklich bei unserem Wort bleiben;
und Sie können damit, daß wir dieses Wort halten, auch zu einem Stück Glaubwürdigkeit in der Politik beitragen.
Ich bin sehr froh darüber, daß ich Gelegenheit habe, hier im Deutschen Bundestag namens meiner Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion den Hunderttausenden von Feuerwehrleuten draußen im Lande für ihr Engagement, für ihren Einsatz und für ihre Opfer zu danken und ihnen zu versichern, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion weiter nachdrücklich für die berechtigten Belange der Feuerwehren eintreten wird.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache und schlage vor, die Vorlage an den Finanzausschuß zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Wohlrabe, Dr. Häfele, Dr. Sprung, Dr. Köhler , Graf Huyn, Lintner, Dr. Abelein, Dr. Hennig, Baron von Wrangel und der Fraktion der CDU/CSU
Abkommen mit der DDR über den „Transfer von Guthaben in bestimmten Fällen "
— Drucksache 8/1837 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wohlrabe.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser Antrag ist bereits im Mai eingebracht worden; er steht heute erstmalig hier zur Verhandlung an. Insofern ist das Thema, um das es geht und das unseren Antrag ausmacht, nämlich .,,Abkommen mit der DDR über den Transfer von Guthaben in bestimmten Fällen", ein
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Wohlrabehalbes Jahr weiter. Wir alle wissen, daß der Staatssekretär Gaus dieses Thema zur Zeit in seiner Verhandlungsrunde in Ost-Berlin mit berücksichtigt. Deshalb ist es sicher eine gute Fügung, daß sich heute auch der Deutsche Bundestag mit diesem wichtigen Anliegen Hunderttausender von Bürgern in Ost und West befaßt.Das Thema wird auch deshalb besonders interessant, weil heute der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herbert Wehner, in seinem Artikel in der Zeitung „Express" wörtlich ausführt: „Eine andere Sache, an der mir sehr liegt, ist es, beim nicht kommerziellen Zahlungsverkehr etwas zustande zu bringen." Das liegt genau auf der Linie der CDU/CSU, und es ist eigentlich etwas schade, daß der Herr Kollege Wehner, der sonst immer hier ist, heute wohl nicht hier sein kann,
gerade wenn es um dieses wichtige Thema geht, dem er sich selber verbunden fühlt.
— Ich habe ja gesagt, er wird sicher verhindert sein, da er sonst immer da ist. Aber ich nehme ihn natürlich als Zeugen für unsere wichtige Sache in Anspruch; dies werden Sie mir sicher nicht absprechen wollen. — Ich bin also der Meinung, daß es sich hier um ein Thema handelt, das hohe Aktualität hat und nicht unter „ferner liefen" laufen sollte.Lassen Sie mich, meine verehrten Damen und Herren, kurz ein paar Worte zur Sache selbst sagen. Ein besonders prägnantes Beispiel dafür, wie wenig sorgfältig und in wie vielen Fällen zu Lasten der Bundesrepublik Deutschland die Bundesregierung ihre vertraglichen Beziehungen zur DDR gestaltete, sind die Vereinbarungen über den Transfer von Unterhaltszahlungen und den Transfer von Guthaben in bestimmten Fällen, auch „Sperrguthabenvereinbarung" genannt. Sie stammen aus dem Jahre 1974, und Herr Kollege Wehner hätte sicher den zitierten Satz nicht in seinen Artikel geschrieben, wenn er nicht auch der Meinung wäre, daß das, was seinerzeit vom damaligen Staatssekretär Pöhl mit den Vertretern der DDR ausgehandelt worden ist, wirklich eine schwache Leistung war, daß es eine Leistung ist, die sich zuungunsten der Bundesrepublik Deutschland auswirkt. Fest steht, daß im Abkommen über den Transfer aus Guthaben in bestimmten Fällen, bei dem mit einem Zahlungssaldo zugunsten der Bundesrepublik Deutschland gerechnet werden mußte, vereinbart wurde, daß ein Aktivsaldo nicht entstehen dürfe bzw. gegenseitige Zahlungsströme sich der Höhe nach entsprechen müßten. Dagegen schnitt die DDR bei dem zweiten Abkommen, bei dem Abkommen über den Transfer von Unterhaltszahlungen, wesentlich besser ab. In diesem Abkommen, bei dem mit einem Devisensaldo zugunsten der DDR gerechnet werden mußte, wurde ausdrücklich vereinbart, daß dieser Saldo zum Kurs 1 : 1 vierteljährlich ausgeglichen werden müsse. Im Klartext: Die DDR erhält das war die damalige Vereinbarung, die gegen den Widerstand der CDU/CSU zustande kam — harte Devisen in Westmark, und dies auch noch zu Lasten vieler Bürger.Diese ungleichgewichtigen Vertragsabschlüsse haben im Zeitraum von 1974 bis 1977 — dies sind die letzten Zahlen, die uns zugänglich waren — Unterhaltszahlungen in Höhe von 56 Millionen DM aus der Bundesrepublik in die DDR fließen lassen — in umgekehrter Richtung waren es nur 22 Millionen DM —, so daß während der Gültigkeit des Abkommens bis zum September 1977 ein Saldo von rund 34 Millionen DM zugunsten der DDR entstand, der vierteljährlich, wie gesagt, zum Kurs von 1 : 1 ausgeglichen wird.Auf der anderen Seite hat der vereinbarte Ausschluß eines Aktivsaldos zugunsten der Bundesrepublik Deutschland in der zweiten Vereinbarung, also in der sogenannten Sperrguthabenvereinbarung, bewirkt, daß im April 1976 die Annahme von Transferanträgen von in der Bundesrepublik lebenden Rentnern und sonstigen bedürftigen Personen durch die Deutsche Bundesbank gestoppt wurde. — Da der Personenkreis, der von der Sperrguthabenvereinbarung betroffen ist, vornehmlich aus älteren Mitbürgern besteht, drängeln wir so, daß die Sache auf die Tagesordnung kommt, daß sie schnell einer besseren Lösung zugeführt wird. Denn viele Bürger sterben weg und können von ihrem berechtigten Anspruch keinen Gebrauch mehr machen. Viele Bürger können auch ihre karge Rente oft nicht entsprechend aufbessern. — Das Kontingent war seinerzeit erfüllt, obwohl in drei Jahren nur 30 Millionen DM wechselseitig transferiert worden sind. Und dies, obwohl in der Vereinbarung vom 25. April 1974 ausdrücklich festgehalten wurde, daß bereits im ersten Jahr der Gültigkeit des Abkommens ein Transfervolumen von 30 Millionen DM erreicht werden könne. Dies wurde also bei weitem nicht erfüllt.Mittlerweile ist es so, meine Damen und Herren, daß die Bundesbank — ich zitiere hier aus einer Mitteilung der Bundesbank vom 25. September 1978 — „wieder Transferaufträge entgegennimmt", aber auch hier nur in limitierter Form. Das heißt: Die ursprüngliche Zusicherung, daß wirklich auch die Bürger auf unserer Seite etwas davon erhalten, ist hier nur in einem kleinen beschränkten Maße realisiert worden. Von einer wirklichen Lösung kann nicht gesprochen werden. Nur Rentner, Invaliden, Sozialhilfeempfänger und Vollwaisen, die in der Bundesrepublik leben und über mehr öder minder bescheidene Guthaben in der DDR verfügen, haben zur Zeit überhaupt eine Chance, an ihr Geld heranzukommen, und dies auch nur bis zum Höchstbetrag von 200 DM monatlich.Selbst bei diesem bedürftigen Personenkreis, meine Damen und Herren, mußte der Transfer zwischenzeitlich gestoppt und die Antragsannahme limitiert werden. Mehr als 100 000 Anträge sind bis zum heutigen Tage unerledigt. Es kann also überhaupt nicht die Rede davon sein, daß, wie die Bundesregierung auch in Antwort auf unsere Kleine Anfrage ausführte, — —
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Wohlrabe— Ich lasse mich gern korrigieren. Dies ist der Stand, den wir laut Aussagen der Banken kennen. Selbst wenn es Zehntausende und nicht Hunderttausende sind, Herr Kollege Rapp, meine ich, daß das ursprüngliche Ziel nicht erreicht worden ist. Sonst würde ja auch Herr Gaus nicht um eine Nachbesserung ringen. — Worauf es uns ankommt, gerade weil es sich um alte Mitbürger handelt, ist, daß die Sache möglichst schnell einer ausgewogenen Lösung zugeführt wird. Denn nur dann kann man erreichen, daß auch das eintritt, was ursprünglich vorgesehen war.Wir, die CDU/CSU, erbitten deshalb, daß in der Beratung im Finanzausschuß dazu bleigetragen wird, daß die Zahlungsströme beider Vereinbarungen zusammengefaßt, miteinander aufgerechnet und die Salden jeweils ausgeglichen werden. Dies würde dazu führen, daß auch die Überweisungen aus der Sperrguthabenvereinbarung in Zukunft reibungslos funktionieren. Rentner, Sozialhilfeempfänger, Invaliden und Waisen in der Bundesrepublik bekämen endlich pünktlich das ihnen zustehende Geld aus der DDR.Die Verhandlungsposition der Bundesregierung ist nicht schlecht. Die DDR tritt zur Zeit mit enormen Forderungen an uns heran, z. B. beim Bau der Nordautobahn. Ich meine wirklich, daß wir dies miteinander verbinden müssen. Man darf sich hier nicht wieder auf das isolierte Gleis schieben lassen, wie es damals Staatssekretär Pöhl geschah. Denn sonst ist auch diesmal eine ausgewogene Lösung mit der, wie wir alle wissen, recht geldhungrigen DDR im Interesse der Bundesrepublik Deutschland nicht zu erzielen. Unser Anliegen ist es also, daß die Bundesrepublik, vertreten durch die Bundesregierung, hier stärker initiativ wird. Entsprechend wird unsere Position im Finanzausschuß sein. Die Verhandlungsposition der Bundesregierung ist nicht schlecht. Bekanntlich hat sie der permanent in Devisenschwierigkeiten befindlichen DDR bisher geholfen und wird es letztendlich auch in Zukunft tun, so daß gerade dieser Punkt einer gütlichen Regelung zugeführt werden kann.Schließlich möchte ich besonderen Wert darauf legen, daß die Zahlungsströme zusammengefaßt werden. Wenn wir sie wieder auseinanderdividieren lassen, wird ein Erfolg nicht erreichbar sein.Wir fordern die Bundesregierung, aber auch die Mehrheitsfraktion im .Hause auf, zu handeln, bevor die Kündigungsfrist zu dieser Vereinbarung — was in Kürze der Fall sein wird — verstrichen ist. Es geht hier um die Interessen von Hunderttausenden bedürftiger Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, und diese dürfen nicht enttäuscht werden. Wir sind froh darüber, daß der SPD-Fraktionsvorsitzende unsere Meinung teilt; das hat er heute in seinem Artikel im „Expreß" zum Ausdruck gebracht. Wir haben die herzliche Bitte, daß es darüber nicht zum Streit kommt, sondern daß wir dem Verhandlungsführer, Herrn Gaus, einvernehmlich und möglichst schnell mit auf den Weg geben, noch in diesem Jahr entsprechend tätig zu werden und einen erfolgreichen Nachbesserungsbeschluß zustande zu bringen.
Das
Wort hat der Abgeordnete Rapp.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Opposition zur Sperrguthabenvereinbarung trägt — Herr Wohlrabe hat darauf hingewiesen — das Datum vom 31. Mai 1978. Zwischenzeitlich ist das Antragsbegehren in seinen beiden Zielrichtungen hinfällig geworden:Erstens. Die geforderten Verhandlungen mit der DDR sind im Gang. Die Aussichten, daß es dabei zu positiven und weiterführenden Regelungen kommt, sind nicht ungünstig. Zweitens. Gemäß ihrer Mitteilung Nr. 6378 — auch die haben Sie erwähnt, Herr Wohlrabe — nimmt die Deutsche Bundesbank seit 2. November 1978 wieder Transferanträge entgegen, nachdem der seit 1976 aufgelaufene Stau — im Terminus technicus „Wartezimmer" geheißen — zwischenzeitlich aufgelöst werden konnte, d. h. alle bis zur Einrichtung des Wartezimmers aufgelaufenen Anträge abgewickelt sind. Es sind, Herr Wohlrabe, keine Restanten übriggeblieben, wie Sie gemeint haben.Freilich sind die damals ins Stocken geratenen Transfers noch nicht wieder so flott geworden, daß schon jetzt erneut laufende monatliche Anträge entgegengenommen werden könnten. Zunächst nimmt die Bundesbank je Antragsberechtigten einen Auftrag von 200 DM herein.Der heute zu debattierende Antrag der Opposition nimmt Bezug auf eine von der Bundesregierung am 8. Dezember 1977 gegebene Verhandlungszusage. Niemand, Herr Wohlrabe, wird Anstoß nehmen, wenn die Opposition nach angemessener Zeit an diese Verhandlungszusage erinnert. Da ihr aber die von mir gegebenen Informationen über die laufenden Gespräche und über die Auflösung des „Wartezimmers" ebenfalls zugänglich waren, kann der Antrag der Opposition heute logischerweise nur noch den Sinn haben, daß die Bundesregierung aufgefordert sein soll, über den Stand der Verhandlungen zu berichten. Das wiederum kann von verständigen Leuten nicht in dem Sinne gemeint sein, daß heute hier öffentlich zu berichten ist.
— Gut. — So sehr es in besonderer Weise die Aufgabe der Opposition ist, die Regierung zu drängen, so gewiß ist auch, daß die Opposition dabei auf zwingende verhandlungstaktische Gesichtspunkte der Regierung Rücksicht zu nehmen hat, wie das z. B., Herr Dr. Sprung, neulich auch bei der Anfrage zum Stand der Verhandlungen über das europäische Währungssystem geschehen ist. Deshalb stimmt die SPD-Fraktion — das zur formalen Seite der Sache— der Überweisung des Antrags der Opposition zur Sperrguthabenvereinbarung an die Fachausschüsse zu.Nun aber noch einiges zur Sache selbst. In ihren Antworten vom 25. Mai und 8. Dezember 1977 auf Anfragen der Opposition machte die Bundesregie- rung deutlich, in welchem Sinne sie die Vereinbarung verbessert sehen möchte. Von der Erweiterung
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Rapp
des Kreises der Antragsberechtigten über die Rentner, die Sozialhilfeempfänger und die Vollwaisen hinaus und von der vorrangigen Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte ist die Rede. Die Bundesregierung ist sich der Sorgen, Nöte, Hoffnungen und Erwartungen bewußt, die bei vielen, bei Hunderttausenden — insbesondere älteren — Mitbürgerinnen und Mitbürgern unseres Landes mit dem technokratisch klingenden Begriff „Sperrguthabenvereinbarung" verknüpft sind. Auf diese Sorgen, Hoffnungen und Gefühle der Menschen sollten wir alle jedoch sehr behutsam und verantwortungsbewußt eingehen.So zuversichtlich wir Sozialdemokraten hinsichtlich der im Bereich des Möglichen liegenden Verbesserungen sind, so werden wir uns doch sehr hüten, unerfüllbare Erwartungen zu wecken. Der Grundsatz der Gegenseitigkeit zieht da Grenzen, die einfach darin begründet sind, daß in der DDR weniger Menschen leben als in der Bundesrepublik.Nach der geltenden Vereinbarung werden Transferzahlungen an Rentner, Sozialhilfeempfänger und Vollwaisen aus ihren in der DDR gehaltenen Sperrguthaben nur in dem Umfang geleistet, in dem entsprechende Aufträge aus der DDR vorliegen. Gewiß, Herr Wohlrabe, kann man sich vorstellen, daß dieser Grundsatz und diese Grenze nicht auf die Dauer völlig starr bleiben müssen.Die bisher erledigten Transferaufträge im Rahmen dieses Abkommens beliefen sich auf über 40 Millionen DM, worin der zwischenzeitlich erfolgte Abbau des von 1976 bis 1978 aufgelaufenen Überhangs inbegriffen ist. Damit konnte manche Not gelindert, damit konnten Folgen der Spaltung Deutschlands für einen von ihr besonders betroffenen großen Personenkreis im Geiste des Grundlagenvertrags erträglicher gemacht werden.Wer sich nun aber von den laufenden Verhandlungen in realistischem Umfang weitere Verbesserungen verspricht, wird es freilich unterlassen müssen, diese Gespräche mit einem ähnlich schrillen Konzert zu begleiten, wie dies z. B. mißtönend und in einer durchaus nicht förderlichen Weise den Verhandlungen der deutsch-deutschen Grenzkommission widerfahren ist. Daß gerade unser Thema eine solche Kampagne überhaupt nicht ertragen könnte, liegt auf der Hand.
Im Geiste des Grundlagenvertrages Folgen der Spaltung Deutschlands für die Menschen erträglicher zu machen, darum handelt es sich. Erinnert man sich noch daran, daß es während der ganzen Zeit von der Währungsreform bis zu den Folgevereinbarungen nach dem Grundlagenvertrag von 1972 selbst in Härtefällen Überweisungen an hiesige Kontoinhaber überhaupt nicht gegeben hat? Im Zusatzprotokoll zum Grundlagenvertrag hatten sich die Vertragspartner selbst die Aufgabe gestellt, Regelungen über den nicht-kommerziellen Zahlungsverkehr zu treffen. Die Sperrguthabenvereinbarung ist die eine der beiden hierzu bisher geschlossenen Vereinbarungen, die andere betrifft den Transfer von Unterhaltszahlungen in Erfüllung familienrechtlicher Verpflichtungen und von Schadensersatzzahlungen auf Grund gesetzlicher Verpflichtung.All dies wurde grundgelegt — entschuldigen Sie die scheinbare Tautologie im Grundlagenvertrag. Mit diesem Hinweis möchte ich nicht unbedingt Salz in alte Wunden reiben. Wer aber jetzt in bezug auf die Sperrguthabenvereinbarung wunder was für möglich hält und womöglich lauthals fordert — Sie haben es nicht getan, Herr Wohlrabe —, möge sich doch einmal fragen, wie und wo er damals stand, als es um den Grundlagenvertrag gegangen ist.
Die SPD-Fraktion wünscht der Bundesregierung Glück bei ihrem Bemühen, durch Verbesserungen der Sperrguthabenvereinbarung den Grundlagenvertrag noch wirksamer zur Entfaltung kommen und dadurch noch mehr von der Spaltung Deutschlands besonders betroffenen Menschen konkrete Hilfe angedeihen zu lassen.
Das
Wort hat der Abgeordnete Dr. Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich glaube, dieser Fall bedarf im Grunde keines Streits. Die Frage ist wichtig, sie ist aktuell. Der Antrag selber ist im nachhinein im Grunde wahrscheinlich nicht mehr notwendig — ich glaube, ich habe auch den Kollegen Wohlrabe so verstanden —, nämlich insoweit nicht, als die Bundesregierung bereits Mitte dieses Jahres im Rahmen des gesamten Verhandlungspakets über den nicht-kommerziellen Zahlungsverkehr mit der DDR verhandelt. Man kann also sicherlich heute nicht mehr sagen — und das haben Sie ja auch nicht —, daß trotz Zusicherungen der Bundesregierung in diesem Bereich bisher nichts unternommen worden ist. Aber, meine Damen und Herren, man muß dies sicherlich beharrlich und behutsam tun, eingebunden in das Gesamtpaket und mit dem Ziel, das Bestmögliche zu erreichen. Das kann man nicht immer sehr laut und in schrillen Tönen tun.In der Sache selber habe ich eigentlich nur wenige Sätze zu sagen. Mein Herr Vorredner hat schon ausgeführt, daß die Bundesbank bereits seit dem 2. November den Annahmestopp für Neuanträge aufgehoben hat. Allerdings sind — das muß ich sagen — die Modalitäten für Neuanträge auf Guthabentransfer an die Deutsche Bundesbank gegenüber früher verändert. Während nämlich in der Zeit vor April 1976 ein Transfer von monatlich 200 DM aus der DDR in die Bundesrepublik beantragt werden konnte, ist heute eine erneute Antragstellung notwendig, wenn der vorhergehende Antrag befriedigt ist.Ziel der Verhandlungen der Bundesregierung durch Staatssekretär Gaus ist es und muß es zunächst einmal sein, zu dem Rhythmus von 200 DM monatlich zurückzukehren. Hierfür ist sicherlich Voraussetzung, daß die DDR davon überzeugt wer-
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Dr. Wendigden kann, daß in die Kasse für die Abwicklung von Anträgen auf Guthabentransfer aus der DDR durch Devisenzuflüsse mehr Geld eingebracht werden muß.Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß die Verhandlungen mit der DDR zur Zeit im Gange sind. Wir sollten über Einzelheiten hier an dieser Stelle nicht öffentlich berichten. Ich bleibe dabei, daß es darauf ankommt, beharrlich und behutsam die Dinge fortzuführen. Ich schließe mich den formalen Anträgen — aber das ist auch ein sachlicher Antrag — an, daß wir diese Dinge dann in extenso, soweit es notwendig ist, in den zuständigen Fachausschüssen beraten werden.
MeineDamen und Herren, ich bedanke mich sehr für die Kürze der Beiträge, so daß ich die Aussprache bereits schließen kann. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung an den Finanzausschuß — federführend — und an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen — mitberatend — vor. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages— Drucksache 8/2170 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. MiltnerIch frage, ob der Berichterstatter das Wort wünscht. — Das ist nicht der Fall. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 14 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Abzahlungsgesetzes vom 15. Mai 1974— Drucksachen 8/234, 8/2179 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin Abgeordneter Dr. Stark
Ich frage, ob eine Ergänzung des Berichts gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. Ich danke der Frau Berichterstatterin und dem Herrn Berichterstatter. Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.Die Beschlußempfehlung lautet, der Bundestag wolle beschließen, den Bericht der Bundesregierung auf Drucksache 8/234 zur Kenntnis zu nehmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist damit so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich rufe dann Punkt 15 der Tagesordnung auf:Beratung der Ubersicht 7 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht— Drucksache 8/2187 —Eine Ergänzung des Berichts wird nicht gewünscht. Ich danke dem Berichterstatter, dem Herrn Abgeordneten Dr. Lenz . Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.Der Ausschuß schlägt vor, der Bundestag wolle beschließen, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den nachstehend aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Sie finden die entsprechenden Hinweise auf der Drucksache 8/2187. Wer dem Vorschlag des Ausschusses zustimmt, gebe bitte das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Bundeseigenes Gelände in Hannover-Buchholz, Buchholzer Straße; Veräußerung einer Teilfläche an die PRAKLASEISMOS GmbH, Hannover— Drucksache 8/2188 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: HaushaltsausschußDer Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Das Wort wird nicht begehrt. Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und desBerichts des Ausschusses für Wirtschaft
zu der zustimmungsbedürftigen
Verordnung zur Anderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksachen 8/2092, 8/2205 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. UnlandEine Ergänzung des Berichts wird nicht gewünscht. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.Der Ausschuß schlägt vor, der Verordnung auf der Drucksache 8/2092 zuzustimmen. Da keine Wortmeldung vorliegt, kommen wir zur Abstimmung. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! Stimmenthaltungen?, — Es ist einstimmig angenommen.
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8970 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. November 1978
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenIch rufe nunmehr die Punkte 18 bis 21 auf:18. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der aufhebbaren Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 23/78 — Erhöhung des Zollkontingents 1978 (für Bananen)— Drucksachen 8/2053, 8/2204 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland19. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der aufhebbaren Achtundsechzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz —— Drucksachen 8/2077, 8/2212 —Berichterstatter: Abgeordneter Junker20. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der aufhebbaren Siebenundsechzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz —— Drucksachen 8/2019, 8/2213 —Berichterstatter: Abgeordneter Junker21. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der aufhebbaren Sechundsechzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz —— Drucksachen 8/1995, 8/2214 —Berichterstatter: Abgeordneter JunkerIch danke den Herren Berichterstattern für die vorgelegten Berichte. Das Wort wird weder zu den Berichten noch zur Aussprache gewünscht.Es erfolgt keine Beschlußfassung, sondern nur Kenntnisnahme, wenn nicht ein Antrag aus der Mitte des Hauses vorliegt. — Ich stelle fest, daß zu keinem der Punkte ein Antrag aus der Mitte des Hauses gestellt worden ist.Nunmehr rufe ich die Punkte 22 und 23 der Tagesordnung auf:22. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungEntwurf einer Empfehlung des Rates an dieMitgliedstaaten betr. Verfahren zur Berechnung der Umweltschutzkosten der Industrie— Drucksachen 8/1555, 8/2171 — Berichterstatter:Abgeordneter VolmerAbgeordneter Konrad23. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates zur Anwendung der Verordnung des Rates über die Gewährung einer finanziellen Unterstützung für Vorhaben zur Nutzung alternativer Energiequellen auf dem Gebiet der ErdwärmeVorschlag einer Verordnung des Rates zur Anwendung der Verordnung des Rates über die Gewährung einer finanziellen Unterstützung für Vorhaben zur Nutzung alternativer Energiequellen auf dem Gebiet der Umwandlung fester Brennstoffe in gasförmige und flüssige Brennstoffe— Drucksachen 8/1814, 8/2211 — Berichterstatter:Abgeordneter Wolfram
Ich danke den Herren Berichterstattern für die vorgelegten Berichte. Eine Ergänzung und auch das Wort zur Aussprache werden nicht begehrt.Ich schlage vor, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam über die Vorschläge der Ausschüsse abstimmen, nämlich den Entwurf der Kommission zur Kenntnis zu nehmen und die Bundesregierung bei dem ersten Punkt zu ersuchen, .bei den weiteren Verhandlungen auf eine den deutschen Vorstellungen entsprechende Fassung hinzuwirken. Zum zweiten Punkt lautet die Empfehlung:Der Deutsche Bundestag begrüßt grundsätzlich die Vorschläge zur Nutzung alternativer Energiequellen. Er bittet jedoch die Bundesregierung, ihre Zustimmung zu den beiden Verordnungsvorschlägen nur zu geben, wenn eine konkrete Programmbeschreibung und ein konkreter Finanzplafond vorliegen.Zu dem letzten Punkt hat der Ausschuß vorgeschlagen, Kenntnis zu nehmen.Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Wir stehen daher am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich danke Ihnen für die Unterstützung der Arbeit und schließe die heutigen Beratungen.Ich rufe die nächste Plenarsitzung des Deutschen Bundestages für Freitag, 10. November 1978, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.