Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.Der Abgeordnete Dr. Eyrich hat mit Wirkung vom 16. Oktober 1978 sein Mandat niedergelegt. Als sein Nachfolger ist am 17. Oktober 1978 der Abgeordnete Schetter in den Deutschen Bundestag eingetreten. . Ich begrüße den uns bekannten Kollegen sehr herzlich und wünsche ihm eine gute Mitarbeit im Deutschen Bundestag.
Interfraktionell ist vereinbart worden, Punkt 10 der Tagesordnung — Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes — nicht heute abend, sondern im Anschluß an Punkt 9 der Tagesordnung aufzurufen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich stelle fest, daß das Haus einverstanden ist.Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 28. Juni 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Mali über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen— Drucksache 8/1743 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 8/2153 —Berichterstatter: Abgeordneter Scheu
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort sonst gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films— Drucksache 8/1839 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 8/2174-Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Haussmann
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? —Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 bis 3 mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung angenommen.Wir treten in die dritte Beratung ein. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen?— Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich sehe den Herrn Kollegen Dr. Dollinger im Saal. Ich bin nicht ganz sicher, ob ihm schon zu seinem 60. Geburtstag gratuliert worden ist. Wenn nicht, möchte ich das an dieser Stelle tun und ihn sehr herzlich beglückwünschen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes— Drucksache 8/2067 —Überweisungsvorschlag des Altestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
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8696 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Präsident CarstensWird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes geht auf die parlamentarischen Beratungen des Kostendämpfungsgesetzes im vergangenen Sommer zurück. Sie wissen, daß der Krankenhausbereich auf Antrag des Bundesrates damals aus dem Kostendämpfungsgesetz herausgenommen wurde und — wie es in dem Beschluß heißt — die Probleme des Krankenhausfinanzierungsgesetzes in ihrer Gesamtheit in einer zusammenhängenden erweiterten Novelle geregelt werden sollten. Es bestand dabei grundsätzlich Übereinstimmung, daß die Kostenentwicklung im Krankenhausbereich gleichgewichtig mit der des ambulanten Bereichs in die Maßnahmen zur Kostendämpfung in der Krankenversicherung einzubeziehen ist. Dieses Ziel ist immer noch — trotz oder gerade wegen der großen Erfolge im ambulanten Bereich — unverändert aktuell. Die Ausgaben der Krankenkassen für den Krankenhausbereich liegen bei mehr als 20 Milliarden DM. Das ist rund ein Drittel der Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Allein diese Größenordnung zeigt, daß ohne Kostendämpfung in diesem sozialpolitisch und volkswirtschaftlich so bedeutsamen Bereich die Kostendämpfung im Gesundheitswesen insgesamt nicht erfolgreich sein kann. Die erfreulichen Erfolge im ambulanten Versorgungsbereich, die alle Skeptiker des letzten Jahres widerlegt, aber selbst manchen Optimisten überrascht haben, dürfen uns über diesen Tatbestand nicht hinwegtäuschen. Denn leider sind die Ausgaben für die Krankenhauspflege auch in diesem Jahr wieder schneller gestiegen als Beitragseinnahmen und Versichertenentgelte.Die vorliegende Novelle hat die Verbesserung der Kostenstruktur im Krankenhaus zum Ziel, ohne die Leistungsfähigkeit der Krankenhausversorgung und den weiteren medizinischen Fortschritt zu beeinträchtigen. Keine der am Gesundheitswesen beteiligten Gruppen bestreitet denn auch die Notwendigkeit einer verbesserten Gesetzesgrundlage zur Kostendämpfung im stationären Bereich. So hat auch die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen in ihrer Sitzung am 17. März 1978 diese Aufgabe nachdrücklich bejaht. Auch der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zu dem hier vorliegenden Gesetzentwurf — ich darf aus der Stellungnahme zitieren — die Absicht der Bundesregierung begrüßt,die Kostenentwicklung im Rahmen der Belastbarkeit der Volkswirtschaft und der Beitragszahler in der gesetzlichen Krankenversicherung zu halten und somit durch entsprechende gesetzliche Maßnahmen auch das . . . Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz zu ergänzen...Nun, meine Damen und Herren, die Formulierung allgemeinpolitischer Zielvorstellungen ist eine Sache. Eine andere ist der Mut, konkrete Maßnahmen zu realisieren, durchzusetzen oder mitzutragen. Der bis-herige Verlauf der Beratungen dieses Gesetzentwurfs im Bundesrat deutet leider darauf hin, daß diese Handlungsbereitschaft noch immer nicht bei allen Beteiligten besteht.Der Bundesregierung geht es bei ihren Vorschlägen um bessere gesetzliche Grundlagen für eine effektive und umfassende Versorgung kranker Menschen im Krankenhaus, die dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit besser als bisher Rechnung trägt. Es geht nicht um schematische Kostenreduktion um jeden Preis. Der Patient soll als mündiger Patient behandelt werden und im Krankenhaus auch vermehrt menschliche Zuwendung finden. Lassen Sie es mich noch einmal ganz deutlich feststellen: Eine wirtschaftliche Betriebsführung in den Krankenhäusern, die notwendig ist und angestrebt wird, darf weder schlechtere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten noch Mangel an menschlichem Verständnis für die Sorgen und Nöte des Patienten rechtfertigen.Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf sollen vor allem folgende Ziele erreicht werden:— die Planungs- und Steuerungsinstrumente im Krankenhausbereich zu verbessern,— die Krankenhäuser in ihren Bemühungen um eine möglichst wirtschaftliche Betriebsführung wirksamer zu unterstützen und— die Selbstverwaltung im Krankenhausbereich, insbesondere auf den Gebieten der Planung und der Pflegesatzvereinbarungen, zu stärken.Der Bundesrat hat zu diesem Gesetzentwurf eine Fülle von Änderungsvorschlägen gemacht. Einem Teil dieser Anregungen stehen wir aufgeschlossen gegenüber. Ein weiterer Teil sollte im weiteren Verlauf des Verfahrens sorgfältig geprüft werden. An den eben skizzierten Schwerpunkten des Gesetzes aber hat die Bundesregierung mit guten Gründen festgehalten. Ich würde es begrüßen, wenn alle Fraktionen dieses Hauses diesen Positionen zustimmen könnten. Diese Grundsätze liefern erst die Grundlage für alle Anstrengungen, das Gesundheitswesen in Kooperation sinnvoll weiterzuentwickeln, das Selbstverwaltungsprinzip zu stärken und die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen im Gleichgewicht mit der Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu halten.Die Mehrheit des Bundesrates hat zwar die tragenden Vorschriften des Gesetzentwurfs abgelehnt, aber keinerlei zusätzliche Vorschläge gemacht, wie die Zielsetzungen der Kostendämpfung anders realisiert werden sollen. Eine solche Position führt uns nicht weiter.Lassen Sie mich kurz die wichtigsten Schwerpunkte einmal skizzieren. Der erste Schwerpunkt ist die Verbesserung des Instrumentariums für die Krankenhausbedarfsplanung. Nur durch eine wirkungsvollere Bedarfsplanung — nicht nur innerhalb der Länder, sondern auch zwischen den Ländern mit landesgrenzenübergreifender Planung — kann man auf lange Sicht die Kostenentwicklung im stationären Bereich in den Griff bekommen. Wenn Sie bedenken, daß in den nächsten Jahren — ohne daß wir es ganz genau wissen — ungefähr 50- bis
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8697
Bundesminister Dr. Ehrenberg60 000 Krankenhausbetten nach übereinstimmendem Urteil der Bundesländer als überzählig gelten, so zeigt allein diese Größenordnung, welche Bedeutung die Krankenhausbedarfsplanung hat. Wir werden dafür sorgen — dieser Gesetzentwurf gibt dafür Handhabe —, daß hier jetzt kein schematischer Abbau erfolgt, sondern daß in jedem Einzelfall geprüft wird, ob eine Umorientierung dieser Krankenhausbetten zu anderer, sinnvoller Nutzung, beispielsweise in der Altenpflege, möglich ist.Die Regelungen der Novellierung sollen auch sicherstellen, daß die Qualität des Leistungsangebots, eine patientennahe Versorgung auch in ländlichen Gebieten, die Pluralität der Träger sowie eine ausgewogene Struktur großer, kleiner und mittlerer Krankenhäuser erhalten bleiben. Dabei muß unsere besondere Sorge den Beschäftigungsproblemen gelten, die beim Abbau überzähliger Krankenhausbetten entstehen können. Die vorhandenen Fachkräfte werden weiterhin im Gesundheitswesen benötigt.Die schwierige Aufgabe möglicher Umstrukturierungen, vor der die Länder im Krankenhausbereich stehen, kann um so besser gelöst werden, je enger alle Verantwortlichen und Beteiligten bei der Bedarfsplanung und ihrer Verwirklichung zusammenarbeiten. Hier liegt der Schwerpunkt einer Stärkung der Selbstverwaltung.Leider hat gerade diese Absicht im Bundesrat wenig Gegenliebe gefunden, u. a. mit der Begründung, die von der Bundesregierung vorgeschlagene Neuregelung der Bedarfsplanung sei Ausdruck einer übertriebenen Planungsgläubigkeit. Das Gegenteil ist der Fall. Gerade weil wir nicht auf die Allwissenheit staatlicher Planung vertrauen, legen wir so viel Wert auf eine stärkere Einbeziehung der unmittelbar Beteiligten. Für eine wirksame Beteiligung reicht ein bloßes Anhören nicht aus. Hier bedarf es einer engen, vertrauensvollen Zusammenarbeit, und diese soll mit diesem Entwurf erreicht werden.Es ist schon einigermaßen verwunderlich, daß die von der Bundesregierung angestrebte Stärkung der Selbstverwaltung von den CDU/CSU-regierten Ländern im Bundesrat so strikt abgelehnt wird, während bei anderen Gelegenheiten so oft das Selbstverwaltungsprinzip gelobt wird.
Das gilt auch für den weiteren Vorschlag im Gesetzentwurf, vertraglichen Regelungen durch die Krankenkassen und Krankenhausträger den Vorzug vor staatlicher Preisfestsetzung einzuräumen. Auch hierzu sind wir der Ansicht, daß es für alle Beteiligten von Vorteil ist, wenn die unmittelbar Betroffenen stärker als bisher mitwirken können; denn diese Mitwirkung bedeutet nicht nur eine Stärkung der Rechtsposition der Selbstverwaltung, sondern auch ein Mehr an Verantwortung. Aus diesen Gründen sieht der Gesetzentwurf auch einen Auftrag an die Krankenkassen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft vor, allgemeine Maßstäbe für die Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser zu erarbeiten.Ich glaube, man kann nicht, wie es leider allzu oft getan wird, ständig von mehr Eigenverantwortung und weniger staatlicher Regelung reden, aber sich, wenn damit Ernst gemacht wird, dieser Stärkung der Selbstverwaltung verweigern. Es kann nicht in Ordnung sein, daß die Krankenkassen 1977 über die Pflegesätze insgesamt 20 Milliarden DM für die laufenden Kosten aufbringen, aber von allen wichtigen Entscheidungen weitgehend ausgeschaltet sind, während andererseits die Länder, deren Finanzaufwand mit kaum mehr als 1,5 Milliarden DM nur 7,5 % dieser Summe ausmacht, bei Bedarfsplanung und Investitionsentscheidungen allein verantwortlich sind. Es ist nicht unsere Absicht, den Ländern die Verantwortung und die Zuständigkeiten für den Krankenhausbereich streitig zu machen. Die Letztverantwortung muß sowohl in der Krankenhausbbedarfsplanung als auch im Pflegesatzverfahren bei den Ländern bleiben. Wir meinen aber, daß die derzeitige Position sowohl der Krankenkassen als auch der Krankenhäuser bei der Durchführung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes nicht ihrer sachlichen Bedeutung gerecht wird, und darum, meine Damen und Herren, erbitte ich auch Ihre Unterstützung für die Verbesserung der Position der Selbstverwaltung.Ein weiterer Schritt ist die Einbeziehung des Krankenhausbereiches in die Beratungen und Empfehlungen der konzertierten Aktion im Gesundheitswesen. Es wäre unvertretbar und für die übrigen Beteiligten nicht annehmbar, wenn der große Sektor Krankenhaus hier ausgeklammert bliebe. Wer dies will, stellt nicht nur die Funktionsfähigkeit der konzertierten Aktion in Frage, sondern diskriminiert jeden ernsthaften Willen zu einer gleichgewichtigen Kostendämpfung in allen Bereichen des Gesundheitswesens. Eine Einbeziehung des Krankenhausbereiches in die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen steht weder im Widerspruch zum Selbstkostendeckungsprinzip noch zu anderen Zielsetzungen dieses Gesetzes.Aber der Gesetzentwurf enthält auch eine ganze Reihe von Verbesserungen, die auch vom Bundesrat begrüßt worden sind, vor allem die vorgesehene dauerhafte Regelung für die Finanzierung der Ausbildungsstätten und den Vorschlag, auf dem Boden des dualen Finanzierungssystems eine Vereinfachung der Investitionsförderung vorzunehmen.Wenn die Länder u. a. auch beklagen, daß die Finanzbeteiligung des Bundes durch das Haushaltsstrukturgesetz zurückgenommen sei, so ist das zwar richtig, aber es ist damals im Einvernehmen mit den Bundesländern erfolgt. Außerdem muß hier darauf hingewiesen werden, daß wir für den Haushalt 1979 diesen Bereich insgesamt um 47 Millionen DM aufstocken.Auch ist noch auf die Bedeutung hinzuweisen, die die neuen Regelungen über die häusliche Krankenpflege für das Gesundheitssystem haben. Es wird sichergestellt, daß auch solche Personen, die nicht die im Krankenhauspflegegesetz aufgestellten Voraussetzungen erfüllen, wohl aber über eine ausreichende Erfahrung in der Krankenpflege verfügen, in der häuslichen Krankenpflege eingesetzt werden
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8698 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Bundesminister Dr. Ehrenbergkönnen. Ich glaube, das ist ein wichtiger Schrittzur Verbesserung der Insgesamt noch unbefriedigenden Situation in der ambulanten Krankenpflege.Die Bundesregierung hat mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ein notwendiges und geschlossenes Konzept zur Verbesserung der Grundlage unserer Krankenhausversorgung vorgelegt, ein Konzept, das unser hohes medizinisches und pflegerisches Niveau sichert und gleichzeitig dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit die notwendige stärkere Geltung verschafft. Ich bitte Sie sehr herzlich, die Bemühungen aller Beteiligten um die Sicherung der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit unserer Krankenhäuser durch gründliche Beratung und rasche Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs zu unterstützen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Neumeister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits drei Jahre nach' Inkrafttreten des Krankenhausfinanzierungsgesetzes von 1972 stellte die Bundesregierung in ihrem Bericht über die Auswirkungen dieses Gesetzes fest, daß sich — ich sage es wörtlich, mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten —an manchen Stellen eine Entwicklung zu einer gesamtwirtschaftlich nicht mehr zu vertretenden maximalen Krankenhausversorgungabzeichnete, esAnzeichen für ein mancherorts bereits bestehendes Mißverhältnis von Kosten und Nutzengebe und unter anderem die Frage gestellt werden müsse — wieder wörtlich —,ob der humane Auftrag des Krankenhauses hier noch gesehen wird.Diese geradezu vernichtende Selbstkritik mußte notwendigerweise zur Novellierung des Gesetzes führen.Bei dem vorliegenden Entwurf handelt es sich unbestritten um eine Materie, für die die wesentliche Kompetenz bei den Ländern liegt. Wir werden uns also hier gemeinsam zu bemühen haben, die Ziele des Gesetzentwurfs, nämlich im Krankenhaus mehr Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit zu schaffen, mit ständigem Blick auf das den Ländern Zumutbare zu verwirklichen.Dabei sollten wir uns grundsätzlich darüber im klaren sein, daß wir es bei dem Krankenhaus zwar auch mit einem Wirtschaftsbetrieb, aber sicher nicht mit einem auf Gewinnerzielung angelegten Wirtschaftsbetrieb zu tun haben, sondern mit einer für die gesundheitliche Versorgung unserer Bevölkerung buchstäblich lebenswichtigen Einrichtung, die also auch auf die spezifischen Bedürfnisse eines kranken Menschen gebührend Rücksicht zu nehmen hat. Wir sollten uns auch im Zeitalter der Kostendämpfung im Gesundheitswesen nicht scheuen,klipp und klar zu sagen, daß Gesundheit auch in Zukunft ihren Preis haben wird.
.Wir werden also ständig unter dem Druck stehen, sowohl eine leistungsfähige und dem letzten Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechende Gesundheitsversorgung auch im Krankenhaus zu gewährleisten, als auch diesen hohen Anspruch zu volkswirtschaftlich vertretbaren Kosten langfristig erfüllen zu müssen.Unter diesen grundsätzlichen Perspektiven will ich mich zu dem vorliegenden Gesetzentwurf auf wenige Gesichtspunkte beschränken. Zweifellos ist eine effektive Bedarfsplanung ' im Krankenhausbereich und ihre Abstimmung mit dem Bereich der ambulanten ärztlichen Versorgung notwendig. Hier wird zur Zeit noch nicht das Optimum geleistet, das unter Kostengesichtspunkten ohne Leistungseinschränkung erforderlich und auch erreichbar ist. Um zu einer bedarfsgerechten Planung zu gelangen, erscheint uns aber die Mitarbeit aller im Krankenhaus Beteiligten unabdingbar. Es ist sicher richtig, den Sachverstand der Krankenhausträger und der Krankenkassen neben dem Erfahrungsschatz und vor allen Dingen der wichtigen Entscheidungskompetenz der Länder heranzuziehen. Darüber hinaus jedoch darf unter keinen Umständen darauf verzichtet werden, an dieser gesundheitspolitischen Gemeinschaftsaufgabe auch die Ärzteschaft zu beteiligen.Angesichts des noch immer ausstehenden Gesundheitssicherstellungsgesetzes sollte außerdem überlegt werden, ob in den Bedarfsplänen nicht eine Planungskoordination der Krankenhausbetten in zivilen Krankenhäusern und z. B. in Bundeswehrkrankenhäusern unter dem Gesichtspunkt der ärztlichen und pflegerischen Versorgung im Katastrophenfall erfolgen sollte.Die Bitte des Bundesrates, rechtzeitig im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens die beabsichtigten Änderungen und Ergänzungen für eine Novellierung der Pflegesatzverordnung einzubringen, kann nur begrüßt werden. Für die Gesamtbeurteilung des Gesetzes ist es sicherlich von Bedeutung, zu erfahren, welche Folgerungen aus dem durchaus kritischen Bericht der Bundesregierung aus dem Jahre 1975 gezogen werden. Damals wurde nämlich gesagt, daß aus der Erkenntnis einer nicht ausreichenden Motivation der Verantwortlichen zu wirtschaftlichem Verhalten Konsequenzen in der Pflegesatzverordnung gezogen werden müßten. Diese Konsequenzen und die eventuelle Verwirklichung von Vorschlägen, z. B. für differenzierte Pflegesätze, verbergen sich noch hinter dem Nebel offensichtlicher Meinungsverschiedenheiten im Sozialministerium, die man ganz dezent als. „Denkpause" bezeichnet hat.Befriedigend erschienen die Vorstellungen zur Finanzierung der Ausbildungsstätten der Krankenhäuser. Der Bundesrat hat hier erfreulicherweise zur Klarstellung beigetragen, indem er den Parteien vorgeschlagen hat, daß die Kosten dieser Ausbildungsstätten im Pflegesatz berücksichtigt werden, soweit diese nicht nach anderen Vorschriften aufgebraucht
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8699
Frau Dr. Neumeisterwerden. Der Regierungsentwurf selbst sieht in § 9für die Investitionskosten der Ausbildungsstätteneine Einbeziehung in die öffentliche Förderung vor.Überflüssig aber ist eindeutig die im Regierungsentwurf vorgesehene Änderung des § 405 a der Reichsversicherungsordnung, die konzertierte Aktion betreffend. Völlig zu Recht hat der Bundesrat darauf hingewiesen, daß entgegen den Beteuerungen des Bundesministers Dr. Ehrenberg bei der im Regierungsentwurf vorgeschlagenen Erweiterung des § 405 a RVO die große Gefahr besteht, daß das — unbestrittene — Selbstkostendeckungsprinzip im Krankenhauswesen ebenso wie die Tarifautonomie der Sozialpartner — schließlich sind 75 0/o der Krankenhauskosten reine Personalkosten — doch deutlich beeinträchtigt werden. Andererseits ist es natürlich eine Selbstverständlichkeit, daß der Krankenhausbereich ebenso wie alle anderen Bereiche des Gesundheitswesens in den Zuständigkeitskatalog der konzertierten Aktion im Gesundheitswesen hineingehört.
Tatsächlich hat sich ja auch die konzertierte Aktion unter Zustimmung aller ihrer Teilnehmer bereits in ihrer Sitzung am 17. März 1978 eingehend mit dem Krankenhauswesen befaßt und dazu eine ausführliche und detaillierte schriftliche Stellungnahme ab-• gegeben. Dies war nach übereinstimmender Auffassung aller Beteiligten auf Grund der geltenden Fassung des § 405 a, so wie er durch das Kostendämpfungsgesetz im letzten Jahr eingeführt worden ist, ohne weiteres möglich. Einer Änderung des Wortlauts des § 405 a RVO bedarf es daher gar nicht. Die Begründung des Regierungsentwurfs, die diese Änderung als Klarstellung bezeichnet, ist insoweit mißverständlich und für die Prinzipien der Selbstkostendeckung und der Tarifautonomie eher schädlich.Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die unseres Erachtens unverantwortlichen Äußerungen des Bundessozialministers vor Augen führt, in denen er ganz unverblümt den unabhängigen Schiedsämtern für den kassenzahnärztlichen Bereich z. B. gedroht hat, man müsse eine Revision der Bestimmungen über das Schiedsamtsverfahren in Betracht ziehen, wenn die Schiedsämter bei ihren unabhängigen Entscheidungen den Empfehlungen der konzertierten Aktion nicht folgten.
Meine Damen und Herren, hier liegt ein Angriff auf tragende Prinzipien unseres sozialen Rechtsstaats vor. Herr Ehrenberg scheut als verantwortlicher Bundesminister nicht davor zurück, mit Drohungen und Einschüchterungen in die gesetzlich geregelte Kompetenz unabhängiger Spruchkörper einzugreifen.
So überflüssig die im Regierungsentwurf vorgeschlagene Erweiterung des § 405 a ist, so notwendig ist unseres Erachtens andererseits eine klarstel-lende Änderung des § 371 RVO, über den sich derRegierungsentwurf leider vollkommen ausschweigt.
Es ist auch der Bundesregierung nicht verborgen geblieben, daß es bei der Anwendung dieser Vorschrift, insbesondere z. B. in Nordrhein-Westfalen, zu erheblicher Verunsicherung der Beteiligten gekommen ist. Wir teilen hier ausdrücklich die Sorgen, die z. B. für die FDP-Bundestagsfraktion Hans-heinrich Schmidt zum Ausdruck gebracht hat, daß es nämlich nicht unserem gemeinsamen Willen entsprechen kann, daß durch die Ablehnung von Bereiterklärungen kleinerer, durchaus leistungsfähiger Krankenhäuser, die im Krankenhausbedarfsplan der Länder nicht berücksichtigt wurden, die Pluralität unseres Krankenhauswesens und letztlich die bestmögliche und bürgernahe Versorgung gefährdet wird.
— Wir werden es hören. — Hier sollte unbedingt die gegenwärtige Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes genutzt werden, um den Wil- len des ganzen Hauses klar zum Ausdruck zu bringen, daß auch kleinere — oft konfessionelle oder private — Krankenhäuser reale Überlebenschancen haben müssen, wenn sie bestimmte Kriterien der Leistungsfähigkeit und nicht zuletzt auch die Anforderungen, die an ein menschliches Krankenhaus gestellt werden müssen, erfüllen.Meine Damen und Herren, das Menschliche wird heutzutage leider gegenüber dem Ökonomischen allzuoft vergessen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich darf noch feststellen, daß zu diesem Tagesordnungspunkt im Ältestenrat eine Aussprache mit Kurzbeiträgen von einer Gesamtdauer von 60 Minutenvereinbart worden ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Egert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Änderungsgesetz zum Krankenhausfinanzierungsgesetz soll die Lücke schließen, die hin- sichtlich der kostendämpfenden Maßnahmen im Bereich der stationären Versorgung nach wie vor besteht. Wir nutzen die Gelegenheit dieser Debatte, festzustellen, daß die bisherigen Maßnahmen zur Kostendämpfung erfolgreich waren. Unsere politische Absicht, mit den Gesetzen den Selbstverwaltungen Instrumente an die Hand zu geben, die helfen können, bestehende oder neu auftretende Kostenprobleme zu regeln, ist bestätigt worden.
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8700 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Egert— Herr Kollege Franke, hören Sie doch erst einmal zu, bevor Sie dazwischenrufen.
Wir wollten mit den gesetzlichen Maßnahmen Rahmenbedingungen setzen, die von der Selbstverwaltung ausgefüllt werden. Wer dies als dirigistische Bevormundung — da bin ich ja schon bei Ihnen — der Selbstverwaltung durch den Staat mißversteht, will oder kann unsere politische Absicht nicht verstehen.
Da der Erfolg bekanntlich viele Väter hat, verstehen wir sehr gut, wenn die Kritiker des Kostendämpfungsgesetzes nun versuchen, die erfreulichen Ergebnisse dieses Gesetzes für sich zu reklamieren.
Wir haben nie bestritten, daß die Selbstverwaltung die Maßnahmen zur Kostendämpfung ergriffen und durchgeführt hat. Dies konnte schon deshalb nicht strittig sein, weil dies der Gesetzesbefehl war. Aber ohne diesen Gesetzesbefehl wäre manche kostendämpfende Maßnahme nicht ergriffen worden oder hätte mangels der Instrumente nicht ergriffen werden können.Wir stellen fest, daß unser Grundsatz, die Selbstverwaltung handlungsfähig zu machen und sie nicht zu einer Geldverteilungsmaschinerie verkommen zu lassen, erfolgreich bestätigt worden ist.Wenn dennoch unsere Freude über den Erfolg dieses Gesetzes nicht ungetrübt ist, dann deshalb, weil wir sehr sorgfältig die Ausgabenentwicklung in der Krankenversicherung beobachten. Wir nehmen die Sorgen sehr ernst, die die Ortskrankenkassen hinsichtlich des weiteren Anstiegs der Ausgaben für Arzneimittel um 10,24 %und der Ausgaben für die stationäre Behandlung um durchschnittlich 17 % formuliert haben.Wir halten es deshalb für unerläßlich, daß die Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen die im Kostendämpfungsgesetz angebotenen Instrumente zur Eindämmung des Kostenanstiegs im Arzneimittelsektor tatsächlich voll einsetzt und die Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und die inhaltlich damit verknüpfte Gestaltung der Bundespflegesatzverordnung beschleunigt in Angriff genommen werden.Die Bundesregierung legt ihren Änderungsentwurf gerade rechtzeitig genug vor, um diese Entwicklung zu beeinflussen. Wir Sozialdemokraten begrüßen es, daß die • Bundesregierung die Grundzüge des Krankenhausfinanzierungsgesetzes von 1972 nicht antastet. Die Opposition irrt, wenn sie behauptet, daß das wichtige Reformgesetz von 1972 nach kaum sechs Jahren in sein Gegenteil verkehrt werden soll. Es geht vielmehr darum, die sechsjährigen praktischen Erfahrungen mit der Anwendung dieses Gesetzes auszuwerten und entsprechend diesen Erkenntnissen die Vorschriften des Gesetzes beweglicher zu gestalten.
Der Irrtum der Opposition wird verständlich, wenn man sich erinnert, meine Damen und Herren von der Opposition, wie Ihre Haltung 1972 zu diesem Gesetzentwurf war. Am 1. März 1972, bei der zweiten und dritten Lesung, hat der damalige Sozialminister des Landes Rheinland-Pfalz, Herr Dr. Geißler — heute Ihr Generalsekretär —, hier unter anderem ausgeführt:Die Bundesregierung will offenbar lediglich den vorhandenen Bettenbestand erhalten. Dies geht nach unserer Auffassung an den krankenhauspolitischen Notwendigkeiten vorbei.Das Protokoll verzeichnet Zustimmung bei der Opposition.Weiter heißt es im Text:Sicher wird der Bettenbedarf nicht mehr so rasch zunehmen wie in der Vergangenheit. Das bedeutet aber nicht, daß die jetzt erreichte Zahl— hören Sie hier genau zu! —von Akutkrankenhausbetten eine tragfähige Basis für eine moderne, zukunftsorientierte Krankenhauspolitik bieten könnte.Also 1972 hat uns Herr Dr. Geißler allen Ernstes eine Steigerung der Bettenzahl angedient, und heute reden die Sprecher der Opposition von einer verfehlten Krankenhauspolitik, weil wir in unserem Lande— wie sie das nennen — einen Bettenberg haben. Sie fahren in der Krankenhauspolitik Achterbahn, und man darf sich nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn wir damals Ihren Vorschlägen gefolgt wären.Zitieren wir zu dem Thema Glaubwürdigkeit der Opposition noch einen anderen Kronzeugen! Herr Katzer hat 1972 die Bundesregierung aufgefordert, auch die Grundzüge der inneren Krankenhausstruktur gesetzlich im Krankenhausfinanzierungsgesetz zu regeln. Im Jahre 1978 halten Vertreter der Unionsparteien im Bundesrat dies jedoch für verfassungsrechtlich unzulässig. Ich finde, Sie sind uns in dieser Debatte eine Antwort darauf schuldig, wie_ Sie diese gegensätzlichen Positionen miteinander vereinbaren wollen.
Wären wir Ihnen 1972 gefolgt, hätten die Krankenhäuser heute keine finanziell solide Grundlage für ihre Arbeit, sondern ständen vor zusätzlichen Schwierigkeiten.Das vorliegende Änderungsgesetz zum Krankenhausfinanzierungsgesetz läßt den dualen Finanzierungsmodus für die Krankenhäuser unangestatet. Die SPD-Fraktion bekennt sich dazu, daß, wie bisher, die öffentlichen Hände für die Investitionskosten und daß die Krankenversicherungen sowie die selbstzahlenden Patienten für die laufenden Kosten über die Pflegesätze herangezogen werden.Wem es ernsthaft darum geht, die Beiträge in der Krankenversicherung stabil zu halten und die Geldbeutel der Beitragszahler nicht weiter zu be-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8701
Egertlasten, darf nicht vorschlagen, daß ein Wechsel insofern erfolgen soll, als die Patienten und Versicherten auch für die Deckung der Investitionskosten herangezogen werden sollen, wie es uns von einigen Verbänden angedient wird.Wir wollen mit dem vorliegenden Änderungsgesetz die Selbstverwaltung bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben stärken. Die Stellung der gesetzlichen Krankenversicherung soll verbessert werden. Dies ist nur konsequent, wenn man sieht, daß die Krankenversicherungen über Pflegesätze die Folgekosten der Krankenhausinvestitionen wesentlichdragen.Wir begrüßen deshalb die Absicht der Bundesregierung, der gesetzlichen Krankenversicherung ausreichende Mitwirkungsmöglichkeiten bei Planung und Pflegesatzgestaltung zu geben. Der Bundesrat hat sich in 53 Änderungswünschen vor allem gegen diese Absicht gewandt.Nun ist das Krankenhausfinanzierungsgesetz ohne Zweifel ein zustimmungsbedürftiges Gesetz. Dies ist von der Sache her gerechtfertigt, weil Interessen der Länder unmittelbar berührt sind.
— Bevor Sie klatschen, hören Sie mir bis zum Ende zu.Aber gerade weil dies so ist, sind Bund und Länder verpflichtet, beim Krankenhausfinanzierungsgesetz ein Musterbeispiel der Kooperation zu geben. Dabei geht es nicht darum, Trapper und Indianer zu spielen und darüber nachzudenken, wo die Länder dem Bund und umgekehrt der Bund den Ländern ein Schnippchen schlagen können.
Wir wissen, daß das, was in gesetzlichem Fortschritt notwendig ist, nur gemeinsam erreicht werden kann. Gerade weil wir dies wissen, hielten wir es für fragwürdig, wenn eine Mehrheit im Bundesrat die Änderungsvorschläge der Bundesregierung in Bausch und Bogen als verfassungsrechtlich unzulässig verwerfen würde. Dieses Verfahren würde schon deshalb zu nichts Gutem führen, weil es in der Sache zu nichts führt. Wer hier eine Konkurrenz eröffnet, die die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten unter dem Gesichtspunkt ausreizt, wie man dem jeweils anderen etwas von seinen Zuständigkeiten abtrotzen kann, kommt zwangsläufig in eine Situation, die zur Blockade und damit politisch in die Sackgasse führt. Wir wollen wegen der Sache und in der Sache die Zusammenarbeit und appellieren an den Bundesrat, sich für dieses Angebot offenzuhalten.Wir wollen und können dem Bundesrat nicht in seine Kompetenzen hineinreden. Jedoch verdient die Absicht der Bundesregierung, etwa bei der Krankenhausplanung eine größere Bundeseinheitlichkeit herbeizuführen, unterstützt zu werden, weil sie das Gebot einlöst, unseren Bürgern einheitliche Lebensverhältnisse in dieser Republik anzubieten. Welchen Sinn gibt es denn, in Stuttgart andere Grundsätze und Begriffe für die stationäre medizinische Versorgung zu verwenden als beispielsweise in Kiel oder Hamburg? Niemand kann doch im Ernst die Thesevertreten, daß bayerische Blinddärme einer anderen stationären Versorgung bedürfen als rheinische.
Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion trägt den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf im Grundsatz. Er ist in unserem Verständnis eine Mindestregelung, von der kaum noch Abstriche gemacht werden können, dies auch deshalb nicht, weil in einzelnen Sektoren des Gesundheitswesens die Kostenentwicklung bereits wieder an Fahrt gewinnt und wir nicht zulassen können, daß die Ärzte mit ihrem Beitrag zur Kostendämpfung allein bleiben.Wir Sozialdemokraten sind gegenüber allen sachlich begründeten Änderungsvorschlägen offen und aufgeschlossen. Wir erwarten den Rat der im und am Krankenhaus Betroffenen und Beteiligten. Wir werden uns dafür einsetzen, daß der Gesetzentwurf in den Ausschüssen des Bundestages zügig beraten wird. Dabei hoffen wir auf die konstruktive Mithilfe der anderen Fraktionen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Freien Demokraten und ganz besonders auch ich selbst begrüßen es sehr, daß heute mit der ersten Beratung dieser Novelle zum Krankenhausfinanzierungsgesetz der zweite notwendige Schritt in der Kostendämpfung im Gesundheitswesen eingeleitet wird. Wir begrüßen dies deshalb ganz besonders, weil es meine politischen Freunde und ich selbst waren, die schon zu einer Zeit, in der das Wort „Kostendämpfung im Gesundheitswesen" nicht immer populär war — obwohl es notwendig schien, darüber zu reden —, von dieser Stelle aus Vorschläge gemacht haben, was hier geschehen kann, und wir begrüßen auch, daß ein Großteil dieser Vorschläge im ersten Schritt nicht nur von diesem Hohen Hause mitgetragen wurde — wenn auch nach manchen Geburtswehen —, sondern darüber hinaus auch bereits zu Erfolgen geführt hat.
Wir waren allerdings schon im vorigen Jahr bei der zweiten und der dritten Lesung des Kostendämpfungsgesetzes der Auffassung, daß es besser gewesen wäre, bereits damals mit dem Art. 4 diesen Schritt weiter zu gehen. Frau Kollegin Neumeister, bei aller Anerkennung all dessen, was Sie sehr positiv gesagt haben: Ihre Kritik an der zu späten Vorlage war natürlich — nachdem wir uns seit langem kennen — sicher eine persönlich richtige, aber Sie wissen auch sehr genau, weshalb es im vorigen Jahr eben nicht möglich war, ähnliche Vorschläge wie die heutiger, die ja in Art. 4 bereits enthalten waren, schon zu realisieren. Es war die Mehrheit des Bundesrates, es waren Ihre politischen Freunde im Bundesrat, die uns daran gehindert haben; sonst wären wir schon ein Jahr weiter.
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8702 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Schmidt
Sie selbst waren es nicht; wir sind uns da ganz einig, Frau Kollegin Neumeister.Deshalb, meine Damen und Herren, begrüßen wir die heutige Vorlage der Bundesregierung, und wir haben Verständnis dafür, daß diese Vorlage — was ja auch der Herr Bundesarbeitsminister deutlich gemacht hat — nicht alles enthalten kann und enthält, was nach unseren Vorstellungen — dies habe ich den Worten der Kollegin Dr. Neumeister und des Kollegen Egert ebenso entnommen — geschehen müßte, um dem stationären Bereich genauso Wirtschaftlichkeit, Effektivität und Bezahlbarkeit für die Zukunft zu sichern.Wir haben Verständnis dafür, daß die Bundesregierung etwas weniger tun mußte, denn die Erfahrungen aus dem Bundesrat im Zusammenhang mit Art. 4 waren für die Bundesregierung ja eine Verpflichtung, die Dinge etwas langsamer anzupacken, also sozusagen einen Einstieg zu unternehmen. Um so weniger Verständnis haben wir allerdings dafür, daß der Bundesrat in seiner Mehrheit dieses Entgegenkommen der Bundesregierung auf Grund der Erfahrungen des letzten Jahres in so schlechter Weise honoriert hat, wie dies in der ersten Lesung im Bundesrat geschehen ist.
Wir Freien Demokraten haben kein Verständnis dafür, daß man sich in Monaten der Beratung bemüht, im Rahmen der Gesetgebungskompetenz nach dem Grundgesetz ein gemeinsames Konzept zu entwikkeln, und daß dann im ersten Durchgang im Bundesrat die Dinge, die relevant sind, um die es geht, gleich wieder in die Ecke gestellt werden.Wir haben auch kein Verständnis dafür, wenn die Mehrheit des Bundesrates es für notwendig hält, die gesamte Planungsarbeit — ich will es einmal so hart sagen — in der Ministerialbürokratie zu belassen und die Betroffenen überhaupt nur einmal anzuhören, um hinterher zu sagen: das, was ihr sagt, interessiert uns gar nicht; wir machen das hier am Schreibtisch des zuständigen Ministeriums. Dies kann in Zukunft für die Bedarfsplanung im stationären Bereich nicht mehr gelten. Wie sollte es sonst anders werden! Jedes Land, jeder Minister, der in den Bundesländern zuständig ist, gibt zu: Wir haben zu viele Betten. Nach einer Statistik auf Bundesebene sind es 48 000. Ich könnte die Zahlen für jedes Land vorlesen. Aber keiner ist bereit, darüber, wie man es besser machen kann, mit denen zu reden, die es am besten wissen müssen, nämlich mit den Kostenträgern auf der einen Seite — Krankenkassen einschließlich der privaten Krankenkassen — und den Krankenhausträgern als Anbietern in ihrem pluralistischen System auf der anderen Seite. Diese müssen hier doch am besten beraten können; aber man will sie einfach ausschalten.Wir haben auch kein Verständnis dafür, daß der Versuch grundsätzlich abgelehnt wird, aus den Erfahrungen der Kostenträger und der Krankenhausträger Richtwerte zu schaffen—§ 26 des Entwurfsan denen sich dann draußen bei den Verhandlungen und Bedarfsplanungen die einzelnen Partner orientieren können, wobei regionale und strukturelle Veränderung natürlich möglich sein müssen. Der Bundesrat will den § 26 einfach gestrichen haben. Dafür haben wir kein Verständnis. Es müssen für eine vernünftige stationäre Versorgung von Nord bis Süd doch einmal einigermaßen gleiche Richtwerte möglich sein, an denen sich die Partner orientieren.Wir haben auch kein Verständnis dafür, daß bei den Pflegesatzvereinbarungen seitens der Länder so hart an der Endentscheidung durch Bürokraten festgehalten wird.Frau Kollegin Neumeister, ich habe Ihre Kritik an einer aus meiner Sicht mißverstandenen Äußerung des Bundesarbeitsministers zur Frage der Schiedsämter mit Interesse gehört. Aber dann müßte die Opposition eigentlich auch bei strittigen Pflegesatzverhandlungen sagen: Hier brauchen wir unabhängige Schiedsstellen und nicht etwa Schiedsämter, die bei den Bürokraten angesiedelt sind. Das wäre dann die Konsequenz. Wenn wir uns da alle einigen könnten, würde das sicher im Interesse einer besseren Verhandlung über die Pflegesätze, im Interesse von mehr Wirtschaftlichkeit und mehr Partnerschaft in diesem Bereich liegen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch wenige Sätze zu § 371 RVO sagen. Zu weiteren Fragen wird Herr Kollege Hölscher noch Stellung nehmen.Ich bin Ihnen dankbar, Frau Kollegin Neumeister, daß Sie § 371 RVO angesprochen haben. Sie haben sich auf mich bezogen, und es gab ein paar Zwischenrufe des Inhalts, ob ich mich dazu bekennte. Ich will Ihnen sagen: Zu dem, was ich in diesem Hause und in mehreren Erklärungen für die FDP zu § 371 gesagt habe, bekenne ich mich voll und ganz. Ich stehe dahinter mit der gesamten FDP-Fraktion. Und, meine Damen und Herren, dahinter steht die Bundesregierung. Dies haben Sie nämlich vergessen, Frau Kollegin Neumeister. Sie haben vielleicht vergessen oder wollten nicht mehr daran denken, wie es in Art. 4 des Kostendämpfungsgesetzes einmal aussah, als es „Wirtschaftlichkeit und Bedarfsplanung" hieß. Dahinter stand die Bundesregierung, und das waren wir. Und wer hat denn daraus ein „oder" gemacht? Das ging auf den Antrag des Landes Rheinland-Pfalz im Bundesrat zurück. Wenn ich mich richtig erinnere, wird das Land Rheinland-Pfalz in dieser Frage zwar nicht mehr von Herrn Geißler betreut. Aber dort war in den letzten Jahren doch immer so etwas wie die sozial- und gesundheitspolitische Schaltstelle der Opposition. Von dort kam der Antrag im Bundesrat, der uns dann im Vermittlungsausschuß dazu zwang, aus dem „und" ein „oder" zu machen, und der dann zu dieser von uns in keiner Weise vertretenen Praxis einiger Länder und Landesverbände der Ortskrankenkassen geführt hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Ich muß Sie allerdings darauf hinweisen, daß Ihre Redezeit in einer Minute abläuft.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8703
Herr Kollege Schmidt , ich möchte gar nicht darauf eingehen, daß die Bundesregierung ja gerade keine Änderung des § 371 RVO beantragt hat, sondern Sie nur fragen: Sind Sie bereit, eine entsprechende Gesetzesinitiative, die die CDU/CSU vorlegen wird, im Zuge der weiteren Beratungen zu unterstützen?
Herr Kollege Hasinger, Sie müßten mich eigentlich so weit kennen, daß ich, wenn ich zu so etwas Ausführungen mache, nicht nur einen Anfang mache. Ich hatte sowieso vor, dazu etwas zu sagen. Die Antwort werde ich ohnehin in meinen letzten Sätzen geben.
Zunächst wollte ich noch einmal ein bißchen die Vorgeschichte schildern. Man kann der Bundesregierung und uns nicht vorwerfen, daß die Länder den § 371 in einer Weise praktizieren, wie er von uns nicht gewollt war. Auch in der gemeinsamen Entschließung vom Dezember 1977 ist unser Standpunkt den Ländern noch einmal sehr deutlich mitgeteilt worden.
Nun aber zu dem, was wir daraus zu machen gedenken, meine Damen und Herren. Ich habe bereits vor einigen Wochen erklärt, daß wir im Rahmen der Beratungen auf diese Frage zurückkommen werden. Ich erkläre hier: Wenn es im Laufe der Beratungen nicht möglich ist, seitens der Länder andere Handhabungen des Paragraphen zu erreichen, nämlich so, wie es hier gewollt war, wie es die Bundesregierung wollte, wie wir Freien Demokraten und wohl auch Sie wollen, dann werden wir aus diesem „oder" mindestens wieder ein „und" machen müssen, damit die Wirtschaftlichkeit und nicht nur die Bettenzählerei wieder mit einbezogen wird. Der Gesetzentwurf enthält dankenswerterweise nicht mehr die Zahl 100, die ich in dieser Frage für einen völligen Unsinn halte. Ein 80-Betten-Krankenhaus kann wirtschaftlich sein, und eines mit 99 stellt noch drei Betten dazu und hat über 100. Was ist das für ein Unsinn, wenn man an solchen Sachen Wirtschaftlichkeit, effektive Versorgung und Bürgernähe zu messen versucht!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Jawohl, Herr Präsident, ich bin gleichfertig.
In diese Richtung, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden wir vor allen Dingen zu den Schwerpunkten — aber einiges wird der Herr Kollege Hölscher noch sagen — Anträge im Ausschuß stellen, die über das hinausgehen, was die Bundesregierung bisher vorschlägt. Wir wissen, warum das nicht mehr sein durfte. Wir können uns nur freuen, wenn — das habe ich eigentlich hier aus allen Gruppen bisher gehört — diese Anträge zu einer besseren stationären gesundheitlichen Versorgung, zu einer finanziell vertretbaren Lösung, zu weniger Länderegoismus, mehr Rahmenkompetenz und mehr Partnerschaft in diesem Bereich für unsere Versicherten und für unsere Beitragszahler führen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Höpfinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwei Bemerkungen zu dem, was bis jetzt vorgetragen wurde. Einmal zu § 405 a, konzertierte Aktion. Herr Minister, selbstverständlich wird man in der konzertierten Aktion auch über Kostenentwicklung im Krankenhauswesen diskutieren, aber nicht als Leitlinie, an der alles gemessen wird; denn damit verhindern Sie ein Leistungsstreben der einzelnen Krankenhäuser, weil Sie eine Meßlatte errichten, an der sich alles zu orientieren hat.Das zweite, Herr Kollege Egert, zum Punkt Kostendämpfung. Sie wissen selber: ohne die Verantwortung derer, die im Gesundheitsbereich tätig sind, und ohne das Verantwortungsbewußtsein aller, die vom Gesundheitswesen betroffen sind, gäbe es keine Kostendämpfung. Und diese Kostendämpfung gab es schon, ehe das Gesetz kam.
Wenn ich mir die jüngsten Zahlen anschaue, dann habe ich einige Sorgen. Ich glaube, man sollte nicht nur das Positive herausstellen, sondern auch die Schwierigkeiten sehen.Nun zur heutigen Vorlage. Die Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, die wir heute in erster Lesung behandeln, ist eigentlich die Fortsetzung der Diskussion vom Frühjahr 1977, bei der im Zusammenhang mit der Beratung des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes die SPD und FDP Bestimmungen des Krankenhausfinanzierungsgesetzes geändert und den Krankenhausträgern Eigenbeteiligungslasten aufgebürdet haben, die unverantwortlich waren. Sie wurden von den Rednern der CDU/CSU-Bundestagsfraktion damals aufgefordert, unseren Änderungsantrag auf Streichung der Eigenbeteiligungsquote zuzustimmen. Erst die Beratungen im Bundesrat haben Sie veranlaßt, Ihre damaligen Änderungsvorschläge zurückzuziehen, um eine Gesamtnovellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes in Aussicht zu stellen. Im sozialen Bereich ist die damalige Diskussion um das Krankenhausfinanzierungsgesetz ein typischer Beweis dafür, wie bedeutsam es ist, die Aussagen und Normen des Grundgesetzes zu beachten und den föderativen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland zu stärken. Alle, die so sehr gegen den Bundesrat wettern, sollten sich immer wieder zu Gemüte führen, daß es in Art. 50 des Grundgesetzes heißt:Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung ... des Bundes mit.Das ist Zentralisten natürlich immer ein Dorn im Auge; für Föderalisten ist das geradezu das Grundgesetz der Demokratie.
Ich komme nun auf die Grundsätze der Vorlage zu sprechen. Erstens. Die Zielsetzung des Gesetzes, die Kostenentwicklung im Bereich des Krankenhauswesens im Rahmen der Belastbarkeit der Volkswirtschaft und Beitragszahler zu halten, ist zu
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8704 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Höpfingerbejahen. Der Krankenhausbereich gehört bisher zu den kostenträchtigsten Bereichen im Gesundheitswesen. Er hat in der Zeit von 1966 bis 1976 auch die stärkste Kostensteigerung erfahren, nämlich von rund 3,4 Milliarden DM auf 19,2 Milliarden DM und bis 1977 auf 20 Milliarden DM. Das ist eine Steigerung um 565 %. Es darf allerdings nicht unerwähnt bleiben, daß die Kostensteigerung bei den Krankenhäusern im ersten Halbjahr 1978 mit 6,8 % durchaus in einer annehmbaren Relation zu der Kostensteigerung in anderen Bereichen des Gesundheitswesens steht. Dies ist wiederum ein Beweis dafür, daß Krankenhausträger um Eindämmung der Kosten bemüht sind und Kostensenkung auch ohne Gesetz anstreben.Nun zum zweiten Punkt, der Aufstellung von Bedarfsplänen. Ein neuralgischer Punkt in der gesamten Gesetzesberatung wird die Diskussion über das Aufstellen und Anpassen der Bedarfspläne werden. Hier stellt sich das Problem, daß die berechtigten Anliegen der Länder, der Kommunen, der freien Krankenhausträger und der Selbstverwaltung der Krankenkassen abzuwägen sind und den Zuständigkeiten entsprechend eine praktikable und gesetzlich einwandfreie Lösung gefunden werden muß. Was der Gesetzentwurf mit der Formulierung „enge Zusammenarbeit" zum Ausdruck bringt, gibt keine Klarheit. In Art. 74 Nr. 19 a des Grundgesetzes wird die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser den Ländern aufgetragen. Das Erstellen von Krankenhausbedarfsplänen hat natürlich Auswirkungen auf die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser. Sollte die Entscheidung darüber, wie diese Pläne erstellt werden und in welcher Form die Zusammenarbeit mit Krankenhausträgern und der Selbstverwaltung der Krankenkassen erfolgt, nicht vorrangiges Recht der Länder bleiben? Dies ist sicher eine schwierige Frage, die im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch eingehend zu prüfen ist. Eines sollte schon jetzt sichergestellt werden, nämlich daß es zu keiner ideologisch gesteuerten Aussonderung bestimmter Krankenhäuser und Krankenhausträger und zu keinen Veränderungen von Krankenhausstrukturen kommen darf.
Die Pluralität im Krankenhauswesen muß im Interesse der Kränken aufrechterhalten bleiben.
Drittens: Förderung der Ausbildung. Die Bundesregierung hat sich in der Frage der Ausbildung nun doch für die betriebliche Ausbildung und damit für die praxisnahe Ausbildung entschieden. Sie will die Finanzierung der mit den Krankenhäusern verbundenen Ausbildungsstätten in die Förderung hereinnehmen. Das verlangt in § 24 eine Klarstellung dahin gehend, daß Ausbildung und Ausbildungsstätten sehr wohl der stationären Krankenhausversorgung dienen.Viertens: Pflegesätze, Verfahren der Festlegung. Mit dem Vorschlag der Bundesregierung werden die Länder in dieser Frage von ihrer erstverantwortlichen Stellung verdrängt. Aus der bisherigen Festlegung durch die Landesbehörde wird gewisser-maßen eine Genehmigungsstelle mit Notbremsfunktion. Praktiker der gesetzlichen Krankenkassen geben auch zu bedenken, ob die Krankenhausgesellschaft und die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung in der Tat zwingend an der Pflegesatzvereinbarung zu beteiligen sind. Diese Kompetenzverlagerungen lassen die ortsnahen Erfahrungswerte meist außer acht. Die örtlichen Kassen kennen die Krankenhäuser ihres Bezirks, wissen um deren Leistungsfähigkeit, arbeiten jahrelang mit Chefärzten und der Verwaltung zusammen, haben den unmittelbaren Kontakt mit den Versicherten. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Kompetenzverlagerung läßt den Nutzen nicht klar erkennen, aber Schwierigkeiten befürchten.Fünftens: Ausgleich bei Ausscheiden aus der Krankenhausversorgung. Diese Regelung eröffnet manchem Krankenhausträger, dessen Haus nicht in den Krankenhausbedarfsplan aufgenommen werden kann, also ausscheidet, neue Möglichkeiten. Was die Abwicklung von Verträgen, die Milderung wirtschaftlicher Nachteile und die Umstellung auf andere soziale Aufgaben angeht, so ist sicherzustellen, daß der Härteausgleich auch den Krankenhäusern zugute kommt, die bisher keine Förderung nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz erhalten haben. Bei der Festlegung, was Krankenhäuser sind und welchen Personenkreis sie zu behandeln haben, ist das Problem der Pflegefälle mit anzusprechen. Das betrifft die Frage, inwieweit Krankenheime und Pflegeheime beim Krankenhausfinanzierungsgesetz zu berücksichtigen sind.Der 6. Punkt: Umfang der Finanzhilfen. Die Mittel des Bundes für die Investitionsmaßnahmen im Krankenhausbereich sind unzureichend. Durch das Haushaltsstrukturgesetz vom Dezember 1975 ist eine Plafondierung der Mittel erfolgt, die dazu geführt hat, daß z. B. in Bayern die Beteiligung des Bundes am Krankenhausbau auf 11 % gesunken ist. In anderen Ländern wird es nicht anders sein. Die Mittel für Krankenhausbau dienen heute nicht so sehr der Erweiterung des Bettenangebots, sondern in starkem Maß der Verbesserung der Betriebsabläufe. Aus diesem Grund müssen die Fragen der Finanzhilfe des Bundes in die Diskussion einbezogen werden.Als 7. Punkt möchte ich zum Schluß ausführen: Bei aller Notwendigkeit planerischer Maßnahmen und bei allem Streben nach Kostensenkungen im Krankenhausbereich darf die dienende Funktion des Krankenhauses gegenüber dem Patienten nicht übersehen werden. Der kranke Mensch darf nicht zum Objekt der Verwaltung werden. Menschenwürdige Behandlung und rascher Heilerfolg bleiben die vorrangigen Ziele im Krankenhauswesen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Egert hat die grundsätzliche Wertung des Gesetzentwurfs vorgetragen. Ich möchte mich den Einzelfragen zuwenden.
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UrbaniakBei der Beurteilung dieses Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes geht die SPD-Fraktion von vier Grundbedingungen aus.Erstens. Die gesetzliche Krankenversicherung muß besser als bisher in die Krankenhausbedarfsplanung der Bundesländer einbezogen werden. Die Krankenversicherung zu diesen Fragen lediglich anzuhören, reicht nach unserer Meinung nicht aus. Entsprechendes gilt für die Krankenhausträger.Zweitens. Die Krankenhauspflegesätze sollen nach einem neuen Verfahren zustande kommen. Insbesondere Krankenkassen und Krankenhausträger sollten sie aushandeln. Die Rolle des Staats sollte sich dabei auf Hilfestellung im Fall der Nichteinigung beschränken.Drittens. Das Prinzip der Bundeseinheitlichkeit der Kriterien des Krankenhausbedarfs und der Krankenhausbedarfsplanung muß eingeführt werden.Viertens. Auch der Krankenhaussektor muß an die Empfehlungen der konzertierten Aktion im Gesundheitswesen angebunden werden. Allerdings muß diese Anbindung so gestaltet sein, daß sie die Besonderheiten des Krankenhaussektors berücksichtigt.Zum 1. Punkt: Die bessere Einbindung der gesetzlichen Krankenversicherung in den Planungsprozeß ist vorgesehen. Der § 5 des Gesetzentwurfs sieht dazu vor, daß die Krankenhausbedarfspläne von den Bundesländern in enger Zusammenarbeit mit den Verbänden der Krankenversicherung, der Krankenhausträger und der Kommunen aufgestellt werden. Der Begriff der engen Zusammenarbeit ist bisher nicht gebräuchlich gewesen. Ich begrüße es daher, daß wir hier im Gesetz eine Klarstellung vornehmen wollen.Ich gestehe freimütig, daß wir uns eine noch stärkere Einbindung der gesetzlichen Krankenversicherung in den Planungsprozeß hätten denken können, als die enge Zusammenarbeit dies zuläßt. Unsere Idealvorstellung wäre die Aufstellung der Bedarfspläne im Einvernehmen mit den gesetzlichen Krankenversicherungen gewesen. Dieses Einvernehmen erscheint angesichts des Verhaltens der Bundesländer leider nicht möglich. Allerdings — und dies betone ich mit besonderem Nachdruck—: Dies ist die untere Schwelle, unter die wir nicht zurückgehen können. Ein weiteres Zurückgehen würde die Beibehaltung des jetzigen Rechtszustandes bedeuten. Dieser Rechtszustand, der lediglich ein Anhörungsrecht der Krankenkassen bei der Planung vorsieht, ist aber völlig unzureichend. Dabei will ich zwar durchaus zugestehen, daß die Anhörung in manchen Bundesländern recht gründlich geschieht. Worauf es jedoch ankommt, ist nicht das Anhören. Vielmehr kommt es auf die aktive Arbeit der Krankenversicherung am Planungsprozeß, auf die Übernahme von Verantwortung an, die sie letztlich spätestens dann tragen muß, wenn die Folgekosten der Planung in Form von Pflegesätzen aus ihren Kassen bezahlt werden müssen.Deshalb gilt der Appell meiner Fraktion hier besonders den Bundesländern: Machen Sie ernst mit Ihrer mehrfach öffentlich bekundeten Unterstützungder Selbstverwaltung im Gesundheitswesen! Geben Sie den Krankenkassen die Aufgaben und den Spielraum, den sie für eine effektive Arbeit brauchen!Zum zweiten Grundsatz: Auch die Frage des Zustandekommens der Krankenhauspflegesätze ist im vorliegenden Gesetzentwurf neu geregelt. § 25 des Entwurfs bestimmt, daß die Pflegesätze zwischen-den Krankenhausträgern und den Sozialleistungsträgern ausgehandelt werden. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt, daß diese Verhandlungsregelung' an die Stelle des bisherigen staatlichen Festsetzungsverfahrens getreten ist. Dies ist eine Regelung, die die Selbstverwaltung stärkt. Im Bereich der ambulanten ärztlichen Versorgung hat sie sich in vielen Jahren bewährt. Es ist nicht einzusehen, warum dies nicht auch im stationären Bereich der Fall sein soll.Das Gesetz sieht vor, daß die Pflegesätze bei Nichteinigung der Verhandlungspartner — wie bisher — staatlich festgesetzt werden. Die SPD-Bundestagsfraktion hätte im Nichteinigungsfall zwar lieber die Lösung über ein Schiedsverfahren gesehen, so wie dies auch im ambulanten Bereich üblich ist. Sie sieht jedoch ein, daß die von der Bundesregierung gewählte Lösung ein Zugeständnis an die Bundesländer ist, um diese überhaupt für eine Selbstverwaltungslösung zu gewinnen. Sie unterstützt deshalb die Bundesregierung in ihrem Bemühen.Meine Damen und Herren, in Zusammenhang mit der Stärkung der Verantwortung der Krankenkassen und Krankenhausträger bei der Pflegesatzgestaltung ist mehrfach die Warnung vor der zu sehr einnahmeorientierten Ausgabenpolitik der Krankenkassen ausgesprochen worden. Ich halte solche Warnungen für unseriös. Denn sie diskreditieren die Bemühungen der Kassen um eine möglichst kostengünstige Erbringung von Gesundheitsleistungen. Wie will man die Position der Krankenversicherungen im Gesundheitswesen allgemein stärken — und das wollen wir doch alle! —, wenn man ihren gesetzlichen Auftrag ins Zwielicht bringt? Die Ausgaben auch an den Einnahmen zu orientieren, ist doch wohl selbstverständlich! Zudem spricht ein solches Verhalten der Krankenversicherung die eigenverantwortliche, aktive gesundheitspolitische Rolle ab und verunstaltet sie zu reinen Abrechnungsvereinen. Das will doch niemand von uns! Als Wahrer der Interessen der Versicherten ist sie jedoch gerade zur Übernahme einer solchen aktiven Rolle verpflichtet.
Wer es mit der Berücksichtigung der bisherigen sechsjährigen praktischen Erfahrung bei der Anwendung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes ernst meint, muß den Bemühungen um mehr Bundeseinheitlichkeit auch Rechnung tragen; er muß damit ernst machen. Ohne die verstärkte Berücksichtigung dieser Probleme muß eine KHG-Reform Makulatur bleiben.Noch ein Wort zur konzertierten Aktion im Gesundheitswesen und dem Krankenhausbereich. Die SPD-Bundestagsfraktion legt Wert darauf, daß auch der Krankenhaussektor an die Empfehlungen der konzertierten Aktion im Gesundheitswesen angebunden wird. Es wäre unvertretbar, die anderen
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8706 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Sektoren des Gesundheitswesens durch die konzertierte Aktion in Einklang mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu bringen und zu halten, dies jedoch beim großen Krankenhausbereich zu unterlassen. Ein solches Verhalten muß zwangsläufig zu Disparitäten führen und die Kosten- und Leistungsbalance zwischen den verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens beeinträchtigen.Lassen Sie mich zum Schluß noch auf ein Sonderproblem eingehen, das die Gemüter beunruhigt auf die Frage der Finanzierung der Ausbildungskosten im Krankenhausbereich über den Pflegesatz. Diese Kosten sind nach der ursprünglichen Fassung des Gesetzes von 1972 nicht pflegesatzfähig. Wir haben damals allerdings in einer Zwischenregelung, die mittlerweile bis 1981 verlängert worden ist, für einen Übergangszeitraum eine Finanzierung aus dem Pflegesatz zugestanden. Es besteht kein Grund, daran zu zweifeln, daß sich an diese Zwischenregelung eine neue Regelung nahtlos anschließen wird. Die Einzelheiten hierzu sollten wir den Beratungen und der Prüfung im Ausschuß überlassen. Die Auszubildenden, die 1979 ihre Ausbildung beginnen, können sicher sein, 1982 nicht in einem finanziell ungewissen Land zu enden. Ihre Ausbildung bleibt selbstverständlich sichergestellt.Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich der vor uns liegenden schwierigen Aufgabe mit großem Ernst widmen und ihren Beitrag dazu leisten, daß ein weiterer wichtiger Schritt in der Kostendämpfung, wie ihn die konzertierte Aktion ja schon bewirkt hat, im Gesundheitswesen für die Versicherten erfolgreich zum Abschluß gebracht werden kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Liberalen möchten unsere Ziele bei der Verwirklichung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes — — .
— Herr Franke, ich weiß nicht, ob Sie sich gemeldet hatten; wir sollten sonst die Plätze tauschen. Ich würde mich dann allerdings wieder auf meinen Platz setzen. Wollen Sie reden?
Wir wollen unsere Ziele unter das Motto stellen: Erstens weniger Staat und mehr Selbstverwaltung im Krankenhausbereich und zweitens mehr Leistungsfähigkeit, mehr Wirtschaftlichkeit, mehr Bedarfsgerechtigkeit. Der Kollege Schmidt hat bereits gesagt, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung, wenn es nach unseren Vorstellungen gegangen wäre, sicher weiter gegangen wäre, was die Mitwirkung, was die Partnerschaft angeht, weil wir nach wie vor der Meinung sind, daß nur eine konsequente Rückführung des Krankenhausbereiches in die Eigenverantwortung der Krankenhausträger und Krankenkassen gerade wegen des Erreichens des Ziels der Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Bedarfsgerechtigkeit der richtige Weg ist.Ich darf deshalb an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, daß wir Liberalen
uns bei der weiteren Beratung des Entwurfs bemühen werden, folgende Leitlinien einzuhalten und hier und da auch noch zu Änderungen zu kommen: erstens eine Ausrichtung der Krankenhausbedarfsplanung an den Grundsätzen der Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Bedarfsgerechtigkeit statt an Bettengrenzen oder nach der Trägerschaft; zweitens eine weitgehende faire Kooperation des Landes mit den Krankenhausträgern und den Krankenkassen bei Bedarfplanung und Investitionskostenförderung; drittens die Aushandlung der Pflegesätze durch Krankenhausträger und Krankenkassen in Selbstverwaltung statt durch staatliche Festsetzung; viertens eine befriedigende Regelung der sogenannten Arztkostenabschläge zur Vermeidung von Doppelzahlungen durch Selbstzahler bei privatärztlicher Behandlung; fünftens die überregionale Erarbeitung von Kriterien der Bedarfsplanung und Pflegesatzgestaltung, insbesondere von Anhaltszahlen für Personal- und Sachkosten durch Krankenhausträger und Krankenkassen; sechstens mehr betriebliche Entscheidungsfreiheit und Anreize zum wirtschaftlichen Verhalten der Krankenhausträger.; siebtens Wahrung des Pluralismus und der Gleichberechtigung zwischen den öffentlichen, den freien gemeinnützigen und den privaten Krankenhäusern.Ich möchte das unterstreichen, was der Kollege Schmidt schon angeführt hat: Wir werden uns im Zuge der Beratungen auch darum bemühen, daß die Anwendung des § 371 RVO noch einmal überprüft wird; denn wir haben den Eindruck, daß hier entgegen dem politischen Willen des Gesetzgebers zu Lasten der kleinen, insbesondere der freien gemeinnützigen, der privaten Krankenhäuser medizinische Versorgung in Bürgernähe abgebaut wird. Herr Kollege Franke, damit Sie sehen, daß es mir gar nicht so sehr darum geht, parteipolitische Linien aufzuzeigen, begrüße ich es hier ausdrücklich, daß die Sozialministerin des Landes Baden-Württemberg, Frau Annemarie Griesinger, den Anschlag der Ortskrankenkassen auf die kleinen Krankenhäuser abgewehrt hat, indem sie die Zustimmung zur Herausnahme, zur Verweigerung der Vertragsabschlüsse nicht gegeben hat.
Aber wie sieht sonst die Wirklichkeit aus? Wir wollen die Selbstverwaltung stärken. Wir wollen auch Partnerschaft im Krankenhausbereich; denn wir verstehen Selbstverwaltung und Partnerschaft nicht als eine Angelegenheit von Sonntagsreden. Aber wenn man sich die bisherige Geschichte dieses Gesetzentwurfes in den letzten Wochen vergegenwärtigt, muß man bedauerlicherweise feststellen, daß dies bis jetzt ein schmerzlicher Weg von der
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HölscherFreiheit, von der Mitverantwortung, von der Partnerschaft hin zum Planungsdirigismus war. Es waren leider — vielleicht auch bezeichnenderweise — CDU-regierte Länder, die im Bundesrat den Antrag gestellt haben, den Gesetzentwurf dahin gehend zu verändern, daß wirklich von Mitverantwortung und Selbstverwaltung keine Rede mehr sein kann, sondern daß hier nach wie vor staatlicher Planungsdirigismus der Maßstab bleibt.
Ich möchte dies an Hand von fünf Beispielen mit Hilfe der nachzulesenden Stellungnahme des Bundesrates deutlich machen. Wir als FDP haben bei der Bedarfsplanung das Einvernehmen zwischen den Beteiligten für richtig gehalten. Der Gesetzentwurf, der nur von der engen Zusammenarbeit spricht, ist bereits ein Zugehen auf den Bundesrat. Er ist an sich schon ein Kompromiß, ist schon eine Minimallösung. Was hat der Bundesrat gemacht? Er billigt noch nicht einmal diese Minimallösung, sondern er läßt es bei dem Anhörungsrecht der Krankenhausträger und der Krankenkassen. Genau genommen ist es die Umschreibung des Status quo. Dies ist weiße Salbe und hat mit Selbstverwaltung und mit Mitverantwortung nichts zu tun.
Das zweite Beispiel ist der Inhalt der Bedarfspläne. Der Regierungsentwurf sieht in einem konkreten Katalog vor, was alles Inhalt der Bedarfspläne zu sein hat. Die Bundesratsmehrheit setzt sich hiermit gar nicht weiter inhaltlich auseinander, sondern verlangt die völlige Streichung. Ich darf die Begründung des Bundesrates zitieren:Die Festlegung von Planungsinhalten gehört zur alleinigen Länderkompetenz für die Krankenhausversorgung ... Der Wunsch nach Vergleichbarkeit der Landeskrankenhauspläne kann nicht dadurch erreicht werden, daß ohne Rücksicht auf länderspezifische Besonderheiten Inhalte der Planung vorgeschrieben werden.Kollege Egert hatte mit seinem Hinweis auf den Blinddarm recht. Er liegt meines Wissens überall rechts, mit Ausstrahlung nach links sowohl in Bayern als auch in Schleswig-Holstein. Ich verstehe auch nicht die Notwendigkeit länderspezifischer Regelungen bei der stationären Versorgung. Im übrigen würde das auch bei einer partnerschaftlichen Lösung möglich sein, wie sie die Bundesregierung vorgeschlagen hat.Jetzt komme ich zu einem Punkt, bei dem Ihre Freunde, Herr Franke, die das verbrochen haben, nicht die Liberalen, sondern die Planungsbürokraten sind. Jetzt folgt eine Begründung, die Sie als Begründung sogar einem Juso-Antrag zur Forderung nach staatlicher Investitionslenkung zuordnen könnten.
Denn der Bundesrat sagt:Die Frage, welche Aspekte bei der Planung zu berücksichtigen sind und welches Gewicht ihnen beizumessen ist, muß von den Ländernbeantwortet werden ... Insbesondere ist eseine politische Normsetzung der im Land politisch Verantwortlichen, welche Faktoren undmit welchem Gewicht die Faktoren in die Planung Eingang finden.Wenn das nicht ideologischer Planungsdirigismus und praktizierte staatliche Investitionslenkung im Krankenhausbereich ist, wo nicht der Staat der Träger im allgemeinen ist, sondern wo wir eine Vielfalt, eine Pluralität auch privater Träger haben, möchte ich wissen, was es ist.Ich komme als drittes Beispiel zu den Pflegesätzen. Ich will es ganz kurz machen. Wir wollen, die Bundesregierung will ein Vereinbarungsverfahren, bei dem die Krankenhausträger und die Krankenkassen in erster Linie und nachrangig dann deren Verbände mitwirken. Es heißt wörtlich:Die Pflegesätze werden zwischen dem Krankenhausträger und den Sozialleistungsträgern ... vereinbart. Die Krankenhausgesellschaft und die Spitzenverbände der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung im Lande sind zu beteiligen.Die Bundesratsmehrheit will es auch hier bei der alten Regelung belassen. Sie sagt lapidar:Die Pflegesätze werden von der nach Landesrecht zuständigen Behörde festgesetzt.Lassen Sie mich das vierte Beispiel anführen: Mitwirkung der Spitzenverbände. Der Regierungsentwurf sieht vor, daß hier auf der Ebene der Spitzenverbände gemeinsame Empfehlungen für Maßstäbe der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser entwickelt werden. Nach Meinung des Bundesrates soll es auch hier keine Mitverantwortung, keine Partnerschaft geben. Der Bundesrat plädiert für Streichung.Fünftes und letztes Beispiel: der Bundesrat lehnt die konzertierte Aktion in diesem Zusammenhang ab.Wenn der Bundesrat sich in diesen Punkten durchsetzt — ich sage es für meine Person ganz offen —, dann können wir diesen Regierungsentwurf vergessen. Dann geschieht nichts. Ich bin auch dafür, ihn dann zu vergessen. Wenn sich dann die Kosten im Krankenhausbereich weiter nach oben entwickeln — im Gegensatz zum ambulanten Bereich, wo wir Gott sei Dank Kostendämpfungen verspüren können —, dann muß bei der Bundestagswahl 1980 die politische Verantwortlichkeit dafür festgehalten werden, warum im Bereich des Krankenhauses keine Besserungen erreicht werden konnten.
Optimistisch hat mich das gestimmt, was die Frau Kollegin Dr. Neumeister hier gesagt hat. Frau Kollegin, ich möchte Ihnen bescheinigen, es hat kaum etwas gegeben — es waren nur wenige Punkte —, wo ich Ihnen nicht zugestimmt hätte. Denn Sie haben z. B. deutlich gemacht, daß wir bei der Bedarfsplanung im Moment nicht das Optimum haben, und Sie haben deutlich gemacht, daß es der Mitwirkung aller Beteiligten bedarf. Sie haben auch gesagt: der
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8708 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
HölscherKrankenhausbereich gehört ebenfalls in die konzertierte Aktion hinein. Dabei kann man ja offen darüber reden, auf Grund welcher gesetzlichen Formulierung — und ob überhaupt — dies erfolgen soll.Ich wünsche mir nur, Frau Kollegin Neumeister, daß wir beide und daß Sie in Ihrer Fraktion den Einfluß geltend machen können, um auf dem von Ihnen geschilderten Wege fortzuschreiten. Denn sonst können wir keine Sonntagsreden draußen mehr halten, daß uns Selbstverwaltung, Mitverantwortung und Partnerschaft das erste Anliegen seien. Dies ist letzten Endes auch eine Frage der Glaubwürdigkeit der Parteien. Ich hoffe, daß die Opposition dieses Hauses auf die Bundesratsmehrheit in diesem Sinne hinwirkt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 8/2067 dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend — und zur Mitberatung dem Auschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Apothekenwesen
— Drucksache 8/1812
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Das Wort zur Einbringung hat die Frau Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diejenigen von Ihnen, die dem Bundestag schon in der vorigen Legislaturperiode angehört haben, wissen, daß das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Apothekenwesen hier bereits in der letzten Periode verabschiedet worden war. • Dies geschah unter Einbeziehung des Verhandlungsergebnisses des Vermittlungsausschusses, wie es die Drucksachen 7/4281, 7/5420 und 7/5639 ausweisen. Der Bundesrat hat dann jedoch in seiner 440. Sitzung am 12. November 1976 beschlossen, dem Gesetzentwurf gemäß Art. 84 Abs. 1 GG nicht zuzustimmen.Bei dem jetzt erneut von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf handelt es sich weitgehend um die Fassung, die am 10. November 1976 vom Deutschen Bundestag beschlossen worden ist. Der Gesetzentwurf ist in der Zwischenzeit lediglich so überarbeitet worden, daß er nach Auffassung der Bundesregierung nun nicht mehr zustimmungsbedürftig ist. Die bisher in § 14 des Gesetzentwurfes vorgesehenen Antragsregelungen, die möglicher-weise eine solche Zustimmungsbedürftigkeit begründet hätten, sind jetzt entfallen.Durch die Änderung des § 15 und die Streichung der Absätze 4 und 5 im § 21 ist sichergestellt worden, daß daraus nicht mehr der Schluß gezogen werden kann, es werde eine bundeseigene Verwaltung hinsichtlich der Bundeswehrapotheken begründet und somit auch eine Zustimmungsbedürftigkeit nach Art. 87 b Abs. 2 Satz 1 GG. Nunmehr ist ausdrücklich klargestellt, daß es lediglich Sinn der Regelung des § 15 ist, die Bundeswehrapotheken im Hinblick auf die Arzneimittelsicherheit materiell an die Vorschriften des Apothekengesetzes zu binden. Insoweit sind die Bundeswehrapotheken als Teil der Streitkräfte angesprochen, für die sich die Bundeszuständigkeit aus Art. 87 a Abs. 1 Satz 1 GG ergibt. Solche Regelungen können ohne Zustimmung des Bundesrates ergehen.Darüber hinaus sind nur die Fristen in der Übergangsvorschrift des Art. 3 den anders gelagerten Bedürfnissen der Praxis angepaßt worden.Auf Anregung des Bundesrates enthält der neu eingebrachte Gesetzentwurf noch Vorschriften über das Verbot der stillen Gesellschaft, weil diese Gesellschaftsform oder vergleichsweise Vereinbarungen von Außenstehenden benutzt werden, um unter Umgehung der Zielsetzung des Apothekengesetzes Apothekenketten zu bilden, Einfluß auf die Betriebsführung zu nehmen und nicht unerhebliche Gewinne aus solchen Praktiken zu erzielen.Nach der Erläuterung dieser vorgesehenen Änderungen möchte ich nun noch ein paar Worte zur Zielsetzung des Gesetzentwurfes sagen. Durch das Apothekengesetz, d. h. durch das jetzige Änderungsgesetz, soll die Arzneimittelversorgung der Krankenhäuser ohne eigene Krankenhausapotheken dadurch verbessert werden, daß anders als nach den bisher geltenden Vorschriften eine Krankenhausapotheke künftig auch Krankenhäuser anderer Träger beliefern darf. Dieses neue Bezugsverfahren soll vor allem Verzögerungen in der Arzneimittelbelieferung vermeiden, ist aber auf einen bestimmten regionalen Bereich begrenzt, der eine schnelle Zustellung der Arzneimittel sicherstellt sowie die notwendige Aufsicht des abgebenden Apothekers ermöglicht und außerdem die zuständigen Behörden der Länder in die Lage versetzt, den Überblick über den Versorgungsbereich einer Krankenhausapotheke zu behalten.
Die Novelle wird die Arzneimittelsicherheit im Sinne der Reform des Arzneimittelrechts auch im Bereich der Apotheken und der Krankenhausapotheken erhöhen. Durch die Verpflichtung der Apotheken zur unmittelbaren Belieferung der einzelnen Stationen und Teilbereiche der Krankenhäuser, wie z. B. Ambulanzen und Laboratorien, wird die Arzneimittelvorratshaltung in einem zentralen Lager des Krankenhauses ohne fachliche Betreuung künftig vermieden. Darüber hinaus werden die Gefahren einer unsachgemäßen Lagerung, einer zu großen Bevorratung oder einer Verwechselung in der Zwischenlagerung nach Möglichkeit ausgeschlossen.
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Bundesminister Frau HuberAußerdem soll der Leiter der liefernden Apotheke das Recht und die Pflicht haben, . die Arzneimittel der versorgten Krankenhäuser regelmäßig auf ihre einwandfreie Beschaffenheit zu überprüfen. Aus diesem Grunde sollen auch die bisher nach Landesrecht noch zulässigen Dispensieranstalten — das sind Arzneimittelvorratsstellen in Krankenhäusern, die nicht unter Aufsicht eines Apothekers stehen — geschlossen werden.Nachdem durch das neue Arzneimittelgesetz die Anforderungen an die Arzneimittelsicherheit bei der industriellen Herstellung von 'Arzneimitteln erheblich verschärft worden sind, ist es ein weiteres Anliegen der Bundesregierung, nunmehr auch die Sicherheit bei der Herstellung von Arzneimitteln in Krankenhausapotheken zu erhöhen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß hier nicht mit zweierlei Maß gemessen werden darf. Die Sicherheit bei der Herstellung von Arzneimitteln in Apotheken muß den Maßstäben bei der Industrie entsprechen, wenn wir nicht unglaubwürdig werden wollen.Diesem Ziel dient vor allem der Ausbau der Ermächtigung des § 21. Auf Grund dieser Vorschrift soll eine Betriebsordnung für Krankenhausapotheken erlassen werden, die die von der Weltgesundheitsorganisation aufgestellten Grundsätze für die Herstellung von Arzneimitteln in Krankenhausapotheken verbindlich macht. Soweit diese Richtlinien auch für die öffentlichen Apotheken anwendbar sind, ist eine Änderung der bereits erlassenen Apothekenbetriebsordnung vorgesehen.Schließlich soll durch das Gesetz auch sichergestellt werden, daß im Hinblick auf die von den Apotheken zu gewährleistende Arzneimittelsicherheit die Angehörigen der Bundeswehr künftig ebenso behandelt werden wie Zivilpersonen.Als letztes Ziel des Gesetzentwurfs ist die Beseitigung von Schwierigkeiten und Zweifelsfragen zu nennen, die sich bei der Anwendung des bisherigen Gesetzes ergeben haben. In diesem Zusammenhang möchte ich die Vorschriften über die Verpachtbarkeit und über die Verwaltung von Apotheken (§ 13), aber auch die Vorschriften über die Abgabe von Arzneimitteln durch die Krankenhausapotheken (§ 14 Abs. 4) nennen. Gerade diese zuletzt erwähnte Vorschrift war in der vergangenen Legislaturperiode hart umstritten. Von der zunächst vorgesehenen Erweiterung der Abgabebefugnisse ist aber in den parlamentarischen Beratungen des Bundestags nicht viel übriggeblieben. Die Vorschrift sanktioniert heute praktisch nur noch das, was sich bisher aus Zweckmäßigkeitsgründen ergeben hat.Ich hoffe, daß das Gesetz in dieser Form nunmehr zügig verabschiedet werden kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hammans.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Apothekenwesen bestehen gegensätzliche Auffassungen zwischen Bundesrat und Bundesregierung. Dies ist nicht verwunderlich, denn der ursprüngliche Text, dem der Bundesrat die Zustimmung versagt hat, ist bei unveränderter Beibehaltung der kritisierten Passagen nur in einzelnen Formulierungen abgewandelt worden. Damit soll vermieden werden, daß das Gesetz der Zustimmung des Bundesrats bedarf.
Um ihre mit der ursprünglichen Vorlage bereits beabsichtigte Zielsetzung zu verwirklichen, hat die Bundesregierung trotz besseren Wissens — z. B. um das Mißlingen des Experiments in Schweden — die ihr hierfür geeigneten Artikel unvermindert in den neuen Gesetzentwurf übernommen. Unter dem Vorwand, erkannte Mängel in der Arzneimittelversorgung zu beheben, verfolgt sie auch weiterhin mit dieser Gesetzesänderung den Weg, durch Aushöhlung der wirtschaftlichen Existenz eigenständiger Berufsgruppen ein freiheitliches System abzubauen und für eine Verstaatlichung reif zu machen, meine Damen und Herren.
Sie, Frau Minister Huber, haben trotz des neuen Arzneimittelgesetzes und trotz der wesentlich besseren Versorgung der Bevölkerung durch viele neue Apotheken die dadurch entstandene neue Situation nicht genutzt. Sie haben die Vorwürfe nicht entkräftet, daß mit den von verschiedenen Seiten kritisierten Regelungen im Gesetzentwurf ein verschleierter Weg beschritten werde, um das vorerwähnte politische Ziel der Sozialisierung des Gesundheitswesens zu verwirklichen.
— Herr Kollege Hauck, wir nehmen das sehr ernst.Im einzelnen werden seitens der CDU/CSU-Fraktion bei den Ausschußberatungen, die vor uns liegen, neben dem Verbot der stillen Gesellschaften sicher folgende Punkte eine große Rolle spielen: § 14 enthält Regelungen, die einen gravierenden Einbruch in den gesetzlich verankerten Zuständigkeitsbereich der öffentlichen Apotheke bedeuten. Nach der Begründung der Bundesregierung kann die Arzneimittelversorgung dadurch verbessert werden, daß künftig alle Krankenhäuser — auch ohne eigene Apotheke — ihren Arzneimittelbedarf wahlweise aus einer Krankenhausapotheke oder einer öffentlichen Apotheke decken. Beide Apothekensysteme sollen dabei unter gewissen Voraussetzungen nur die einzelnen Stationen oder andere Teileinheiten eines Krankenhauses unmittelbar beliefern dürfen.Die Bundesregierung begründet diese Forderung mit der Behauptung, daß nur in einer zentralen Zwischenlagerung die Gefahr einer Verwechslung und unsachgemäßen Lagerung zu suchen sei. Wie aber jeder Eingeweihte weiß, bestehen diese Gefahren weitaus mehr auf den Stationen. Hier betreut häufig wechselndes und obendrein dafür nicht ausgebildetes Personal — im Schichtdienst arbeitend —hochwirksame und lebensnotwendige Medikamente. Es erscheint absurd, in einem sich modern gebenden
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Dr. HammansGesetz diesen erkannten Mißstand auch noch legalisieren zu wollen. Nur durch Einrichtung eines zentralen Arznei- und Verbandsmittellagers mit pharmazeutischem Fachpersonal im Sinne der Apothekenbetriebsordnung kann sichergestellt werden, daß jederzeit dem Bedarf aller Stationen angepaßte Arznei- und Verbandsmittel zur Verfügung stehen.Im übrigen halte ich es auf Grund der jahrelangen -guten Erfahrungen gerade in den Vereinigten Staaten sogar für notwendig, in Krankenhäusern, in denen sich das Betreiben einer eigenen Anstaltsapotheke nicht rentiert, einen approbierten Apotheker einzustellen.Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß ich den Fortbestand der Dispensieranstalten nicht unterstütze. Dies könnte ich schon deshalb nicht verantworten, weil in einigen Dispensieranstalten erfahrungsgemäß pharmazeutische Tätigkeiten verrichtet werden, die Apotheken vorbehalten sind.Die geistigen Väter dieses Gesetzentwurfs gingen von Vorstellungen aus, über die inzwischen eine fast zehnjährige Entwicklung, insbesondere das Inkrafttreten des neuen Arzneimittelgesetzes, hinweggegangen ist.Die Notwendigkeit, die Arzneimittelsicherheit zu verbessern, muß zwangsläufig zur schrittweisen Veränderung des Arzneimittelverteilungssystems in den Krankenhäusern führen. Dies sieht in der Praxis so aus, daß die ärztlich verordneten Medikamente in der Apotheke oder im zentralen Arzneimittellager zusammengestellt werden und fertig dosiert zum Patienten gelangen. Durch diese Regelung wird verhindert, daß Arzneimittel im Stationsbereich bevorratet und durch Pflegepersonal verwaltet werden. Was nützen uns die besten Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes, wenn wir die Betreuung der Arzneimittel an entscheidender Stelle aus der Verantwortung des Apothekers entlassen; denn jede Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes GIied.Hinsichtlich der in § 14 Abs. 5 verankerten Erlaubnis zur Versorgung von Krankenhäusern meine ich, daß die Begrenzung des Raumes, der beliefert werden darf, verschiedentlich auf Schwierigkeiten stoßen wird. Die Bundesregierung nimmt an, daß durch die Erweiterung des derzeitigen Versorgungsauftrages von Krankenhausapotheken die Arzneimittelversorgung des eigenen Hauses kostengünstiger werde. Dies aber, meine Damen und Herren, wird sich nicht bestätigen, da mit der Novellierung für die Krankenhausapotheken erhebliche Mehrbelastungen anfallen werden.
Die Krankenhäuser werden Bewerbe- und einkommensteuerpflichtig. Das Warenlager muß erheblich erweitert werden. Zur Abgabe der Medikamente müssen zusätzliche Räume eingerichtet werden. Zusätzliches Personal muß eingestellt werden.
Auch für Not- und Nachtdienst müßte gesorgt wer-den. Zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungenmuß zwischen den Versorgungsbereichen der öffentlichen und Krankenhausapotheken eine klare Trennung erhalten bleiben.Meine Damen und Herren, der § 14 Abs. 4 befaßt sich mit dem durch die Krankenhausapotheke zu versorgenden Personenkreis. Die Abgabe von Arzneimitteln für Erste Hilfe und für den Notfall bedarf unseres Erachtens keiner gesetzlichen Fixierung.
Den Bezug von Praxisbedarf für Krankenhausärzte hat der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit in der 7. Legislaturperiode dahin gehend interpretiert, daß damit ein Recht des Arztes auf Abgabe von Arzneimittel -für einen Bedarf von drei Tagen verbunden sei. Darum ist die gesetzliche Formulierung so zu präzisieren, daß unter Praxisbedarf z. B. das Setzen einer Injektion, das Anlegen eines Verbandes, das Aufbringen von Salben oder ähnlichem zu verstehen ist.Bedenklich erscheint mir insbesondere § 14 Abs. 6, wonach u. a. Kur- und Spezialeinrichtungen sowie Pflegeheime unter bestimmten Voraussetzungen den Krankenhäusern gleichgestellt werden. Diese Institutionen sollen nach den Vorstellungen der Bundesregierung künftig Arzneimittel für ihre Insassen aus Krankenhausapotheken beziehen können.Die Kranken in Kurheimen und ähnlichen Einrichtungen erhalten Arzneimittel auf Grund individueller ärztlicher Verschreibung. Hier liegt doch kein Arzneimittelbedarf des Hauses, sondern nur ein solcher einzelner Patienten vor, so daß ein sachliches Bedürfnis für die Gleichstellung nicht besteht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich muß Sie einen Moment unterbrechen. Wir sind in einer Debatte mit Kurzbeiträgen. Ihnen steht die gleiche Redezeit wie der Frau Ministerin, die die Vorlage eingebracht hat, zu. Ihre Redezeit läuft ab, aber unser technischer Apparat ist noch nicht so weit entwickelt, daß ich Ihnen das durch eine rote Lampe anzeigen könnte. Kommen Sie bitte zum Schluß Ihrer Ausführungen.
Herr Präsident, das ist natürlich bedauerlich. Dann kann ich nur acht Minuten reden; auf zwölf Minuten hatte ich mich vorbereitet. Das ist also sehr bedauerlich, aber ich werde natürlich Ihrem Rat folgen und zum Schluß kommen.
Die von mir vorgetragenen Einwände werden in den Ausschußberatungen erneut auftauchen, und ich hoffe, daß wir in den parlamentarischen Beratungen dann zu anderen Lösungen, als sie in dem Gesetzentwurf stehen, kommen werden. Zu dieser Erwartung verhilft mir besonders — wenn es zutrifft —, daß die FDP-Fraktion am Dienstag beschlossen haben soll, diesem Gesetzentwurf nicht mehr zu fol-
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Dr. Hammansgen. Das macht mich in diesem Sinne hoffnungsfroh. — Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaunich für zehn Minuten.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem Frau Minister Huber die Grundzüge dieses Gesetzes eingehend erläutert hat, kann ich im wesentlichen darauf verzichten, darauf noch einmal einzugehen. Eines allerdings möchte ich hier etwas deutlicher herausstellen: Die Bestimmung in § 8, über die wir reden werden, und die sich daraus ergebende Folgeänderung
— im Klartext gesprochen: der Ausschluß der Gesellschaftsform der stillen Gesellschaft — sind bereits bei den Beratungen im 7. Deutschen Bundestag, und zwar eingeführt durch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, ein Gegenstand gewesen. Wir hätten das auch bei diesen Beratungen wieder in die Debatte eingeführt, und wir hätten des Bundesrates dazu nicht bedurft, denn der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme -ja ausdrücklich auf jene Diskussionen, die im Bundestagsausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit auf Grund unserer Initiative erfolgt sind, Bezug genommen.
Da ich, wie gesagt, die Grundzüge des Gesetzentwurfs hier für die sozialdemokratische Fraktion nicht noch einmal erläutern muß, will ich das aufnehmen, was an Kritik gegen dieses Gesetz vorgebracht wird. Diese Kritik läßt sich eigentlich in dem Stichwort zusammenfassen — Herr Dr. Hammans hat das eben wieder versucht, seine Vorredner in der 7. Wahlperiode haben das gleichermaßen gemacht, und Verbandsfunktionäre machen es in demselben Sinne —, dies wäre ein Gesetz, welches uns auf dem Weg zum Sozialismus ein Stück voranbringt.
— Ach, wissen Sie, Herr Dr. Hammans, dann wollen wir uns doch einmal anschauen, was hier zwischen der Mehrheit jener politischen Kräfte, die in diesem Hause die Minderheit, aber im Bundesrat die Mehrheit darstellen, und uns im Streit ist. Dieses Gesetz ist in der 7. Wahlperiode wegen folgender Passage endgültig gescheitert — das ist heute § 14 Abs. 4 Nr. 2; damals war es eine andere Nummer —: Aus einer Krankenhausapotheke soll u. a. auch das abgegeben werden, was ein an der ambulanten Versorgung beteiligter Krankenhausarzt für seinen Praxisbedarf nötig hat; was Praxisbedarf ist, haben wir in den Beratungen im 7. Deutschen Bundestag exakt eingegrenzt, indem wir formuliert haben: das, was unmittelbar während der Versorgung in Anspruch genommen wird, verabreicht wird, injiziert wird, und darüber hinaus das entsprechende Medikament in einem Vorrat für maximal drei Tage.
Wissen Sie, wenn dies Sozialismus sein soll,
dann, so lassen Sie Sich einmal sagen, lohnte es sich
nicht, für Sozialismus zu streiten, für ihn zu kämpfen; und dafür haben Hunderte und Tausende von Menschen ihr Leben gelassen. Wissen Sie, das ist zu dusselig, als daß man es hier überhaupt als Argument einführen sollte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, der Ausdruck „dusselig" ist an der Grenze des parlamentarisch Zulässigen.
An der Grenze? Wenn er an der Grenze ist, bleibe ich dabei.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es tut mir leid, Herr Abgeordneter, Sie sollten meinen guten Rat akzeptieren.
Jawohl, Herr Präsident.
— Herr Kollege Wehner, wenn man sich fortwährend solchen Argumenten, die doch keine Argumente sind, sondern bei denen nur Pappkameraden aufgebaut werden, gegenübersieht, ohne daß ernsthaft über die Sache, um die es hier geht, gesprochen würde, ist es wohl verständlich, wenn man auch einmal aus der Haut fährt.
Jene, die von diesem Gesetz betroffen werden, nämlich die Apotheker, sind verunsichert. Das hat seinen Grund aber nicht in diesem Gesetz, sondern in der Tatsache, daß es nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1958 keinerlei Zugangssperren bei Apothekengründungen gibt und sich im Gefolge dieses Urteils die Zahl der sogenannten öffentlichen Apotheken sprunghaft erhöht hat.
— Das ist der Punkt, der den Hintergrund für die Besorgnisse und Befürchtungen bildet. Denn wenn für die Krankenhausversorgung mehr Arzneimittel von Krankenhausapotheken und nicht von sogenannten öffentlichen Apotheken geliefert werden, wird der Umsatz der freien niedergelassenen Apotheker beschränkt. Auf diesem Hintergrund wachsen doch die Besorgnisse und Befürchtungen. Da muß man sagen: Die Sorgen, die die Apotheker haben, werden nicht dadurch behoben, daß wir § 14 Abs. 4 Nr. 2 streichen.
Nun zu Ihnen und Ihrer eigenartigen Argumentation. Sie sagen, es ergebe sich eine Verzerrung zwischen den Krankenhausapotheken und den freien niedergelassenen Apotheken, wenn der ominöse § 14 Abs. 4 erhalten bleibe. Sie meinen also, die Umsatzminderung, die daher rührt, daß der Praxisbedarf in Krankenhausapotheken befriedigt werden kann, sei den Apothekern, die sich niedergelassen haben, nicht zuzumuten. Nun, dann darf ich Sie einmal daran erinnern, wie es dazu gekommen ist, daß in das heute gültige Apothekengesetz aus dem Jahre 1960 unter einer ausschließlichen
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JaunichCDU/CSU-Regierung — wenn ich mich recht erinnere, hatte die CDU/CSU im Jahre 1957 eine absolute Mehrheit errungen — die Bestimmung Eingang finden konnte, wonach aus der Krankenhausapotheke alle Beschäftigten eines Krankenhauses beliefert werden können. Wir haben rund 300 000 Personen in Krankenhäusern beschäftigt. Nicht in allen ist eine Krankenhausapotheke. Aber wenn Sie den Umsatz, der daraus resultiert, einmal gegen das gegenrechnen, was durch die Bestimmung in § 14 Abs. 4 Nr. 3 aus dem Gesamtumsatz der öffentlichen Apotheken eliminiert werden könnte, dann werden Sie erkennen, daß hier die Proportionen einfach nicht stimmen.Weiterhin haben Sie argumentiert, die Krankenhausapotheken seien für diesen Arzneimittelbedarf überhaupt nicht strukturiert, weil es sich hier um eine viel breitere Palette von Arzneimitteln handle. Jenes gilt aber doch genauso für die Arzneimittelabgabe an die Beschäftigten eines Krankenhauses.
— Sicher hat jeder das Recht, schlauer zu werden. Aber Sie sind ja dieser schizophrenen Haltung treu geblieben. Wenn Sie hier Umsatzrückgänge für die freien Apotheker befürchten, dann erklären Sie mir doch bitte, wieso neben den Kur- und Krankenanstalten, die nach dem Gesetzentwurf von einer Krankenhausapotheke beliefert werden können, auch Pflegeheime — dafür haben der Bundesrat und damit Sie mit Ihrer Mehrheit gesorgt — von diesen Segnungen sollen Gebrauch machen können. Meine Damen, meine Herren, wo ist denn da die Logik? Die Logik besteht eigentlich nur darin, daß Sie alle miteinander mit Ihrer Mehrheit im Bundesrat dem Sozialismus zum Siege verhelfen wollen.
Das macht deutlich, daß es sich um Scheingefechte handelt. Die sollten wir sein lassen.Wir haben zu diesem Thema im 7. Deutschen Bundestag eine Anhörung veranstaltet. Sie hat ergeben, daß die rein sachlichen Stellungnahmen zu diesem Thema diesen Gesetzentwurf begrüßt haben. Wir können bei unseren weiteren Beratungen auf diesen Erkenntnissen aufbauen. Ich halte eine neue Anhörung für wenig sinnvoll. Aber wenn Sie es wünschen, können wir die Veranstaltung noch einmal machen.Wir werden allerdings als sozialdemokratische Bundestagsfraktion im Rahmen der Beratungen ernsthaft die Frage prüfen, ob wir im Apothekengesetz, angelehnt an die Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes, nicht eine Bestimmung aufnehmen müßten, wonach zur selbstverantwortlichen Leitung einer Apotheke, auch einer Krankenhausapotheke, eine mindestens zweijährige Tätigkeit nach der Approbation erbracht sein muß. Dies unter dem Gesichtspunkt der Verstärkung der Arzneimittelsicherheit. Diesen Gedankengang werden wir in die Beratung einbringen. Im übrigen werden wir ganz konsequent den Wesensgehalt des Apothekengesetzes von 1960 dadurch wiederherzustellen versuchen, daß wir sachfremde Einflüsse auf die Leitung einerApotheke durch das Verbot einer stillen Gesellschaft ausschließen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schleicher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Öffentlichkeit eigentlich ganz unbemerkt, ebenfalls auch für die Medien und sogar für die politisch Interessierten, haben wir heute die erste Lesung eines scheinbar kleinen, unbedeutenden Gesetzes mit leider. sehr großen Auswirkungen für das bestehende, funktionierende Gesundheitswesen, und zwar mit nahezu unübersehbaren Auswirkungen. Es handelt sich um einen ganz speziellen Bereich. Deshalb erregt es auch kaum Aufsehen. Der Bereich ist so speziell, daß sich zunächst nur ganz wenige und längst nicht alle, die tatsächlich betroffen sind, auch betroffen fühlen. Es handelt sich um die Krankenhausapotheken. Wir haben zur Zeit 334 Krankenhausapotheken in Deutschland; die Zahl der von ihnen mit Arzneimitteln versorgten Krankenhauspatienten entspricht der Hälfte aller Krankenhausbetten.Trotz der bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten haben bisher keine weiteren Krankenhausapotheken ihre Tore geöffnet, weil die Krankenhäuser einerseits mit den öffentlichen Apotheken eng zusammenarbeiten und der Bedarf zufriedenstellend gedeckt wird. Andererseits bedeuten weitere Ausbauten im Krankenhausbereich, wie es ja mein Kollege Dr. Hammans eben schon bemerkt hat, zunächst Neuinvestitionen und Übernahme der hohen Personalkosten, allerdings nicht zu Lasten des Bundes, sondern höchstens des Trägers; denn schließlich steht im Gesetzentwurf der Bundesregierung unter Kosten: Keine.
— Selbstverständlich entstehen sie.
— Nein, sie müssen nicht. Aber dann brauchen wir das Gesetz nicht, muß ich sagen. Mit der Gesetzesvorlage wird unzweifelhaft der Versuch unternommen, das bestehende funktionierende Gesundheitswesen zu unterwandern,
indem die Krankenhausapotheke zweckentfremdet in die Grundversorgung der Gesamtbevölkerung einbezogen wird.
Hierzu ist die Krankenhausapotheke weder ausgestattet noch in der Lage. Sie hat nach bestehendem Recht eine besondere Aufgabe und stand deshalb bisher außer Konkurrenz zur öffentlichen Apotheke. Genau dies wird aber mit dem vorliegenden Gesetz geändert.
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Frau SchleicherDaraus ergeben sich folgende in erster Linie gesundheitspolitisch unerwünschte Konsequenzen: eine Eingrenzung der Lieferbefugnis der öffentlichen Apotheke bei gleichzeitiger Ausweitung der Mitversorgung weiterer Einrichtungen von seiten der Krankenhausapotheke wie z. B. Kur- und Spezialeinrichtungen. Es ist ja vorhin erwähnt worden. Hier ist ein Einstieg in die ambulante Versorgung durch die Krankenhausapotheke eindeutig gegeben, desgleichen durch die Eröffnung der Abgabe an Beschäftigte im Krankenhaus. Hierbei ergibt sich eine weitere Frage, die den Patienten betrifft, nämlich die praktische Handhabung in diesen Fällen, da ja die Krankenhausapotheke normalerweise nur auf Klinikpackungen eingestellt ist. Für die Bewohner anderer Einrichtungen, wie sie im Sinne des Gesetzes aufgeführt worden sind, fällt die individuelle freie Wahl des Apothekers mit gleichzeitiger Beratungsmöglichkeit weg — gerade heute ein sehr wichtiger Punkt, der der Arzneimittelsicherheit sehr dienlich ist.Ein weiterer Gesichtspunkt. Die Aufsicht der Länder zur Arzneimittelsicherheit und die Verantwortlichkeit der Träger werden weitgehend gefährdet bzw. sogar ausgeschaltet, wenn die Beschränkung des räumlichen Wirkungskreises auf den eigenen oder Nachbarkreis, der aber auch in einem anderen Bundesland liegen kann, aufrechterhalten wird.Behördlich genehmigte Versorgungsverträge, wie sie für die Krankenhausapotheken mit dem Gedanken vorgeschlagen werden, sich längerfristig an eine Apotheke zu binden, lösen gleichzeitig eine Monopolwirkung aus bzw. verstärken den Charakter einer staatlichen Lizenz. Durch den neuen zusätzlichen Konkurrenzkampf werden die 'öffentlichen Apotheken stark unter Druck gesetzt, bis hin zur Existenzgefährdung, was wiederum die Sicherung des bestehenden Gesundheitswesens stark erschüttert.Ein weiterer Punkt, der von der Bundesregierung bisher immer positiv herausgestellt wurde, ist die sogenannte Kosteneinsparung. Die Krankenhausapotheke hat bis heute einen Sonderstatus als unselbständige Teileinheit eines Krankenhauses und ist somit von Umsatzsteuer und sonstigen hohen Abgaben freigestellt. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Eigenherstellung von Arzneimitteln natürlich kostengünstig oder gar die Rabattlieferung der Pharmazeutischen Industrie möglich. Sobald die Krankenhausapotheke aber — auch schon in kleinem Umfang — an andere Einrichtungen liefert, wird automatisch dieser Wettbewerbsvorteil im Preis nicht mehr gegeben sein können und somit die gewünschte Kosteneinsparung ausbleiben.
Es ist mehr als vordergründig, wenn die Bundesregierung heute bestreitet, daß sie diese Entwicklung wollte, denn bereits beim Arzneimittelgesetz war Gelegenheit gegeben, der besonderen Situation der Krankenhausapotheke Rechnung zu tragen, was die Auflagen für die Herstellung von Arzneimitteln angeht. Diese Ausnahme wurde nicht gemacht. So untersteht die Krankenhausapotheke den gleichenGesetzesmäßigkeiten wie jeder herstellende Betrieb, was nach dem neuen Arzneimittelgesetz gravierende weitere Auflagen und damit hohe Ausgaben bedeutet, es sei denn, man würde die Eigenherstellung innerhalb der Krankenhausapotheke aufgeben.Frau Bundesminister Huber, das Arzneimittelgesetz ist doch gerade deswegen notwendig gewesen, weil der Weg vom Hersteller über den Apotheker bis zum Patienten inzwischen so lang geworden ist, daß wir immer mehr Sicherheitsmaßnahmen einbauen müssen. Aber gerade bei der Krankenhausapotheke ist ja noch der ursprüngliche Zustand erhalten, daß der Apotheker direkt mit dem Arzt zusammenarbeitet, ohne daß irgend jemand dazwischengeschaltet ist. Somit ist die Gewähr für größte Sicherheit gegeben. Der Patient bekommt das Medikament vom Arzt und nicht direkt vom Apotheker. Wenn dieser Zustand geändert wird, ergeben sich natürlich all jene neuen Notwendigkeiten, die wir bereits in allen anderen Bereichen vorfinden.Am vergangenen Sonntag hatte der Deutsche Apothekertag seine Abschlußkundgebung in Düsseldorf. Dabei zeigte sich eindeutig, daß die ABDA die vorgesehene gesetzliche Regelung als einen Eingriff in den Beruf des selbständigen Apothekers, in die Institution der öffentlichen Apotheke als Wirtschaftsunternehmen und als eine Einengung des Freiraums, den Apotheke und Apotheker benötigen, sollen sie ihre Aufgabe, die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, umfassend und effektiv erfüllen, betrachtet. Desgleichen wehren sich die Krankenhausapotheker gegen die Einbeziehung neuer Aufgaben, für die sie an sich nicht da sind.Ich möchte deshalb hier und heute auch die FDP um eine eindeutige Stellungnahme dazu bitten, wie sie sich zu diesem Gesetzeswerk stellt, denn schließlich lehnt sie in ihrem gesundheitpolitischen Programm eine institutionelle Öffnung der Krankenhäuser zur ambulanten Behandlung entschieden ab. Mit diesem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Apothekenwesen erfolgt auf Umwegen jener Einstieg in eine Sozialisierung unseres Gesundheitswesens, wie sie bereits im KrankenversicherungsKostendämpfungsgesetz versucht, aber wieder zurückgewiesen wurde.
Die Ausklammerung des Bundesrates bei dieser Gesetzgebung läßt auf einiges schließen. Überwachung der Versorgungsbereiche durch die Aufsichtsbehörde ist Sache der Länder. Apotheken und Krankenhäuser können nach dem vorliegenden Gesetz nun im Einflußbereich verschiedener Regierungspräsidien liegen. Es ist aber keineswegs geklärt, wer dann, wenn zwei Bundesländer zuständig sind, da sich die Gebiete überschneiden, im Einzelfall Aufsicht und Überwachung durchzuführen hat. Hier wird ein neues Problem geschaffen, was keineswegs im Sinne der Arzneimittelsicherheit liegt.
Ich habe den Versuch gemacht, einige, aber bei weitem nicht alle Probleme anzuführen. Die ange-
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Frau Schleicherführten Probleme allein dürften schon ausreichen, um auch in der Koalition Bedenken zu wecken. Die Krankenhausapotheke hat eine lange Tradition. Sie hat sich bewährt. Wir sollten alles tun, um ihre Stellung im Krankenhaus zu stärken. Wenn sie aber mit Aufgaben ausgestattet wird, die ihr wesensfremd sind, wird sie letztlich umfunktioniert und verliert jene Vorzüge, die es möglich machen, ihre öffentlichen und gemeinnützigen Aufgaben wie bisher zu bewältigen. Leidtragende sind dann letztlich die Patienten. Ich appelliere deshalb an die Koalition, die Vernunft vor die Systemveränderung zu stellen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Bei der Apotheken-Novelle geht es um Fragen der Erhaltung und des Ausbaus eines freiheitlichen Systems der Arzneimittelversorgung unserer Bevölkerung. Auch hier gilt es wie im Krankenhausbereich, den Bereich der stationären und den der ambulanten Versorgung in ordnungspolitisch erwünschtem Sinn gegeneinander abzugrenzen. Es geht aber auch um Weichenstellungen zugunsten oder zu Lasten freiberuflicher Tätigkeit und um Stärkung oder Schwächung von Institutionen und Personen.
Bürgernähe und Angebotsvielfalt stehen beim Apothekengesetz zur Debatte. Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung werden davon abhängen, inwieweit wir liberale Grundsätze beachten.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt sich eine Verbesserung der Arzneimittelversorgung und der Arzneimittelsicherheit in Krankenhäusern zum Ziel. Berichte über ganze Halden von Medikamentenmüll in Klinikabteilungen mögen auf krassen Einzelfällen beruhen. Der allgemeine Zustand der Arzneimittelversorgung von Patienten in Krankenhäusern erscheint jedoch unübersichtlich und dürfte verbesserungsfähig sein.Wir Freien Demokraten begrüßen deshalb die Zielsetzung des Entwurfs, Arzneimittelversorgung und Arzneimittelsicherheit in unseren Krankenhäusern zu verbessern
und Zweifelsfragen bei der Durchführung dieses Gesetzes auszuräumen.
Aufgabe der kommenden Beratungen wird es sein, im einzelnen zu prüfen, inwieweit der Entwurf tatsächlich diesen Zielsetzungen entspricht.
Nachdem zwei Jahre Zeit zum Überdenken der gesetzlich neu zu regelnden Fragen gewonnen wurden, inzwischen durch das KVKG und die Preisspannenverordnung neue Fakten geschaffen wurden und durch das Programm der Bundesregierung zur Förderung von Forschung und Technologie im Dienste der Gesundheit neue Akzente denkbar sind, will ich im folgenden einige bedenkenswerte Anregungen geben, und zwar zu einer Reihe von Einzelbestimmungen, die von grundsätzlicher Bedeutung sind.Erstens. Der Versorgungsbereich einer Krankenhausapotheke sollte zwar nicht unbedingt auf Häuser desselben Trägers beschränkt bleiben. Die von dem Entwurf vorgeschlagene räumliche Abgrenzung nach benachbarten Städten oder Kreisen scheint jedoch heute in Anbetracht der weitgehend abgeschlossenen Kreisreform in den Bundesländern allzu ungleichmäßig große Versorgungsgebiete zuzulassen. Wir sollten brauchbare Abgrenzungskriterien für überschaubarere Versorgungsbereiche prüfen und jede Lösung an den Zielen einer verbesserten Arzneimittelversorgung und -sicherheit orientieren.
— Nein; das hat auch der Bundesrat so gewollt. — Grenzen, die nicht ständig durch politische Willensbildung — und politische Willensbildung haben wir in CDU-regierten und in SPD-regierten Ländern erlebt — der Gefahr der Veränderung ausgesetzt sind, erscheinen sinnvoller. Denken wir nur an die Stadt Lahn und daran, was geworden wäre, wenn die hessischen Wahlen anders ausgegangen wären.
Zweitens. Die Vorschrift des Entwurfs, wonach die Krankenhausapotheke nur die einzelnen Stationen anderer Krankenhäuser beliefern darf, sollte unter dem in der Begründung dafür angegebenen Gesichtspunkt der Arzneimittelsicherheit noch einmal überprüft werden. Wir haben dem beim vorigen Mal zugestimmt. Aber niemand ist so klug, daß er nicht durch neue Überprüfung klüger werden könnte. Hier werden Gespräche und Besichtigungen von Krankenhäusern verschiedener Größe vor Ort erforderlich sein; vom durchzuführenden Hearing ganz zu schweigen.Drittens. Der Bundesrat schlägt die Streichung der Vorschrift vor, wonach die Abgabe von Arzneimitteln an ambulante Patienten für den Praxisbedarf der Krankenhausärzte gestattet werden soll. Mir erscheint eine erneute genaue Beratung dieses Punkts erforderlich, um diese Ausnahme auf das für die unmittelbare Arzneimittelversorgung ambulanter Patienten im Krankenhaus unbedingt Erforderliche zu beschränken.
Darüber hinaus, also ohne Not, darf die Wettbewerbslage der öffentlichen Apotheken nicht geschmälert werden. Wir glauben, daß diese Abgrenzung gefunden ist. Aber man muß darüber reden.Viertens. Der Entwurf stellt Krankenhäuser, Kur-und Spezialeinrichtungen sowie Pflegeheime gleich. Das letzte hatte der Bundesrat in der 7. Wahlperiode
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Spitzmüllervorgeschlagen, allerdings nur zur Belieferung solcher Heime. Der Entwurf ermöglicht jedoch durch die Gleichstellung nicht nur die Belieferung gleichgestellter Einrichtungen durch Krankenhausapotheken und öffentliche Apotheken, sondern auch die Errichtung eigener Apotheken der Heime und Einrichtungen
sowie die Belieferung anderer Heime und Einrichtungen, ja sogar von Krankenhäusern. Diese Ausdehnung von Institutsapotheken nach allen Richtungen ist weder erforderlich noch vertretbar. Der Bundesrat bittet deshalb — offenbar etwas sehr betreten —, die Tragweite seines ursprünglichen Vorschlags im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu überprüfen.
Wir sind dazu gerne bereit.Fünftens. Der Entwurf erweitert u. a. die Ermächtigung für das Gesundheitsministerium zum Erlaß von Apothekenbetriebsordnungen. Die Mehrzahl, von der der Entwurf spricht, scheint mir angesichts der ungeahnten Vielgliedrigkeit des Systems von Institutionsapotheken auch logisch zu sein.
Bekommen wir dann wohl besondere KrankenhausKuranstalts- und Pflegeheimapothekenbetriebsordnungen, vielleicht auch eine Krankenkassenbetriebsordnung? Wer weiß, die Begründung läßt hier einiges offen.Nun, meine Damen und Herren von allen Fraktionen, Ironie beiseite: Dem Ausschuß müssen nach unserer Meinung vor Abschluß der Beratungen des Gesetzentwurfs vom Ministerium Entwürfe der geplanten Verordnungen vorgelegt werden. Erst dann kann die Tragweite der gesetzgeberischen Entscheidung klar werden,
erst dann kann man über eine Änderung der §§ 1 und 14 entscheiden, erst dann kann man übersehen, bei welcher Regelung es Chancengleichheit oder ungerechtfertigte Wettbewerbsverzerrungen gibt.Auch die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit der Novelle sollte eingehend geprüft werden. Auch dem Nichtjuristen muß mehr, als es Frau Minister Huber hier getan hat, verdeutlicht werden, warum der inhaltlich ähnliche Entwurf der 7. Wahlperiode zustimmungsbedürftig war und warum dies in der 8. Wahlperiode anders ist, anders sein muß.
Noch ein Wort zum Inkrafttreten. Art. 4 des Entwurfs sieht vor, daß das Änderungsgesetz am Tage nach der Verkündung in Kraft tritt. Ich habe bereits bei meiner Einbringungsrede zu dem Entwurf in der 7. Wahlperiode davor gewarnt, ein solches Gesetz, auf das sich der Betroffene einstellen muß, ohne eine ausreichende Anlauffrist in Kraft zu setzen.
Gerade im Bereich der Arzneimittel und Apotheken sind in den letzten Jahren zahlreiche Verordnungen und Gesetze ohne eine solche Vorlauffrist in Kraft gesetzt worden.
Wir sollten diese ungute Praxis nicht fortsetzen.
— Die Verordnungen wurden auch mit Zustimmung des Bundesrates erlassen.Dem Wunsch des Bundesrates, ein Verbot der stillen Gesellschaft in das Gesetz aufzunehmen, stimmen wir im Prinzip — ebenso wie die Bundesregierung — zu. Hierbei werden allerdings der Rechts-und der Wirtschaftsausschuß ein entscheidendes Wort mitzusprechen haben.Insgesamt, meine Damen und Herren, sollten wir uns bei der Beratung dieses alles andere als nebensächlichen Änderungsgesetzes die Mühe machen, die gegenwärtige Arzneimittelversorgungslage im ambulanten und stationären Bereich zu analysieren. Dabei müssen auch steuer- und wettbewerbsrechtliche Aspekte des zwischen öffentlichen und Krankenhausapotheken aufgeteilten Marktes einbezogen werden, was wir bei der Beratung in der 7. Legislaturperiode leider unterlassen haben. Deshalb werden wir auf die Mitberatung durch den Wirtschafts- und den Rechtsausschuß nicht verzichten.Ich glaube, daß wir an der Drucksache 8/1812 einige Arbeit vor uns haben. Möge diese geschichtsträchtige Zahl nicht zum bösen Omen für den Erfolg dieser Novelle werden! Tschaikowskis Ouvertüre „1812" mit dem Motiv der ersterbenden Marseillaise stimmt hier melancholisch. Doch, meine Damen und Herren, trotzdem bin ich optimistisch. Warum sollte die Novelle keine breite Mehrheit finden, wenn feststeht, daß sich Zielsetzung, die auf dem Vorblatt genannt ist, und Inhalt des Gesetzes in harmonischer Deckung befinden!
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Die Überweisungsempfehlung des Ältestenrates können Sie der Tagesordnung entnehmen. Sie wird um eine interfraktionelle Vereinbarung ergänzt. Danach soll der Gesetzentwurf an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend — und an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Rechtsausschuß sowie den Ausschuß für Wirtschaft— mitberatend — überwiesen werden. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen.— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe nun Punkt 6 der Tagesordnung auf:a) Erste Beratung des von den AbgeordnetenDr. Warnke, Röhner, Dr. Zimmermann, Dr. Dregger, Böhm , Dr. Mende, Dr. Althammer, Regenspurger, Niegel, Lintner, Glos, Frau Benedix, Dr. von Bismarck, Eymer (Lübeck), Dr. Fuchs, Haase (Kassel), Handlos,
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8716 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Vizepräsident Frau FunckeDr. Jahn , Dr. Jobst, Dr. Klein (Göttingen), Dr. Köhler (Wolfsburg), Klinker, Dr. Kunz (Weiden), Dr. Narjes, Rainer, Dr. Rose, Sauer (Salzgitter), Schröder (Lüneburg), Dr. Sprung, Dr. Starke (Franken), de Terra, Baron von Wrangel, Würzbach, Dr. Jenninger und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes— Drucksache 8/2146 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für innerdeutsche BeziehungenHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOb) Erste Beratung des von den Abgeordneten Büchler , Batz, Friedrich (Würzburg), Gansel, Haase (Fürth), Hauck, Heyenn, Hofmann (Kranach), Junghans, Koblitz, Konrad, Dr. Kreutzmann, Kühbacher, Dr. Linde, Lutz, Männing, Mattick, Möhring, Müller (Nordenham), Müller (Schweinfurt), Rappe (Hildesheim), Frau Schlei, Sieler Stockleben, Stöckl, Wittmann (Straubing), Wuttke, Zebisch, Dr.. Wendig, Angermeyer, Eimer , Engelhard, Kleinert, Ludewig, Paintner, Wolfgramm (Göttingen), Wurbs, Zywietz und der Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes— Drucksache 8/2164 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für innerdeutsche BeziehungenHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOIch gehe davon aus, daß das Wort zur Begründung nicht gewünscht wird, sondern daß wir gleich in die Aussprache eintreten.Das Wort in der Aussprache hat der Herr Abgeordnete Warnke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit den Entwürfen der Union und der Koalitionsfraktionen zum Investitionszulagengesetz bietet der Deutsche Bundestag — wahrscheinlich zum erstenmal in seiner Geschichte — das Schauspiel, daß ein Gesetz geändert wird, das überhaupt noch nicht verkündet ist. Das ist ein Beweis für einen unerträglichen Leerlauf der Gesetzgebungsmaschine, und es ist ein Schulbeispiel für schlechten Parlamentarismus in der Form und für kraftlose Politik in der Sache.
Eine große Bonner Tageszeitung bezeichnet das, was wir heute hier bieten, in der Uberschrift als „Bonner Affentheater". Ich möchte mir diese Bezeichnung nicht zu eigen machen, habe aber mit Genugtuung festgestellt, daß ein hier anwesendes Mitglied des Bundeskabinetts sie für seine Person übernommen hat. Die Verantwortung tragen die Koalitionsfraktionen.Was war geschehen? 1969 hat Franz Josef Strauß als Finanzminister die Investitionszulage eingeführt. 1973 hat sie Helmut Schmidt gekürzt. Seit damals erhebt die Union den Wiedergutmachungsanspruch für die Menschen in den betroffenen Gebieten. Sie hat diesen Wiedergutmachungsanspruch mit der Vorlage eines eigenen Gesetzes zu Beginn dieses Jahres erneut geltend gemacht. Sie, meine Damen und Herren aus den Koalitionsfraktionen, haben bei der Beratung ein Dreivierteljahr lang jede, aber auch jede Wiedergutmachung — sei es für alle strukturschwachen Gebiete, sei es für den Zonenrand allein — konsequent abgelehnt. Sie haben fünfmal im Bundestag und im Bundesrat gegen jede, aber auch jede Rücknahme der Schmidtschen Kürzungen von 1973 gestimmt.
Noch am 23. Juni 1978 hat der Bundesfinanzminister Matthöfer namens der Bundesregierung im Bundesrat wörtlich erklärt — ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin —: Ich weiß nicht mehr, wo ich das Geld hernehmen soll. Wenn ich diese 170 Millionen DM hier zulege, um dem Zonenrand etwas zu geben, dann muß ich sie woanders wegnehmen.Die Mehrheit der unionsgeführten Länder hat über den Bundesrat ein Vermittlungsverfahren erzwungen. So konnte der Bundesregierung und der Koalition 11/4 % — 1 und 25/10o Prozent; jetzt wird das schon nach hundertstel Prozent zugemessen — Verbesserung der Investitionszulage abgerungen werden. Unter dem Druck der Landtagswahlen in Hessen und in Bayern haben Sie dann 14 Tage später unseren Antrag wortwörtlich abgeschrieben und die zur vollen Wiedergutmachung im Zonenrandgebiet notwendigen 11/4 % nun Ihrerseits auch noch nachgeschoben.Wie kam es denn dazu?
Das ist ein Musterbeispiel, wie man aus der Opposition heraus, wenn man es nur richtig anpackt, Gesetze gegen eine Mehrheit erzwingen kann; denn daß es dazu kam, ist entscheidend dem Zusammenwirken zwischen der CDU/CSU im Parlament und draußen sowie der Heimatpresse in den betroffenen Gebieten zu verdanken, die zusammen Sie so in den Schwitzkasten genommen haben, daß Sie am Schluß nicht mehr heraus konnten.
Dieser Heimatpresse, insbesondere der im bayerischen und hessischen Zonenrandgebiet, möchte ich deshalb einmal vor dem Plenum des Deutschen Bundestages ausdrücklich den Dank der CDU/CSU-Fraktion aussprechen.
Als parlamentarisches Verfahren jedoch war und ist diese Gesetzgebung auf Stottern, die Sie praktiziert haben, unwürdig und ungerecht.
Sie ist ungerecht, weil Sie Milliarden und Abermilliarden — zusätzlich, wohlgemerkt — für Berlin,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8717
Dr. Warnkefür Kohle und Stahl an Ruhr und Saar ausgegeben haben
— nationale Anliegen, denen wir zugestimmt haben —, aber im gleichen Augenblick dem Zonenrand die Millionen verweigert haben, die auch nur zur Wiedergutmachung notwendig gewesen wären.
Die Verunsicherung der Investoren, die eingetreten ist, da im Laufe des letzten dreiviertel Jahres insgesamt drei verschiedene Investitionszulagensätze zur Debatte stehen, ist überhaupt nicht mehr zu überbieten. Das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft sieht sich nicht mehr in der Lage, die Investitionszulagenanträge zu bearbeiten, weil die Entscheidung wegen schwebender Gesetzgebung völlig offen ist. Sie stapeln sich dort halbmeterweise. Das ist für die von uns angestrebte Schaffung neuer Arbeitsplätze kontraproduktiv, und das geht auf Ihr Konto, meine Damen und Herren von SPD und FDP.
Unwürdig ist dieses Verfahren, weil sich hinter den Arbeitsplätzen Menschenschicksale verbergen und es darum geht, daß diese Menschen in ihrer Heimat Arbeit finden und wohnen bleiben können. Diese Menschen haben es verdient, daß wir uns rasch und wirksam um sie kümmern und ihnen nicht auf Raten und mit Hängen und Würgen in einem halben Jahrzehnt wenigstens das wiedergeben, was sie in Zeiten der Hochkonjunktur bereits gehabt haben.Eines sagt die Union mit aller Deutlichkeit: Wenn dieses Gesetz so verabschiedet wird und darin 11/4 °/o mehr für den Zonenrand enthalten sind, so ist das keine Förderpräferenz für den Zonenrand. Dies ist keine strukturpolitische Großtat, dies ist lediglich Wiedergutmachung, und das zu spät und unzulänglich. Die Fördergebiete außerhalb des Zonenrandgebietes werden ihren Wiedergutmachungsanspruch im Laufe der parlamentarischen Beratungen sicher noch anmelden. Aber unabhängig davon sind durch die Kürzungen in den vergangenen fünf Jahren 750 Millionen DM an Fördermitteln für die strukturschwachen Gebiete ausgefallen. Dies stellt eine schwere Benachteiligung dar, die auf die Dauer wirkt und die nicht wieder gutzumachen ist. Sie treiben Regionalpolitik nach dem alten österreichischen Bauernspruch: Heute mache ich meinem Hund einmal eine Freude, erst haue ich ihn recht, und dann höre ich wieder auf. Mit diesem Flick- und Stückwerk, mit diesem stop and go, erst die Dinge zu kürzen und sie nach fünf Jahren mit Hängen und Würgen auf die alte Höhe zu bringen, muß Schluß sein.Die Union bekräftigt die Rangfolge der Förderung: Erstens kommt Berlin, zweitens das Zonenrandgebiet und drittens die übrigen strukturschwachen Gebiete. In dieser Rangfolge ist dieses Gesetz nicht geeignet, dem Zonenrandgebiet mit lächerlichen 11/40/0 eine Präferenz zu geben. Wir werden es nicht zulassen, daß irgend jemand der Bevölkerung das als einen wirklichen Vorteil aufschwatzt. Unser Vorschlag ist daher:1. Wiedergutmachung bei der Investitionszulage.2. wirksame Zonenrandpräferenz durch Einführung übergeordneter Schwerpunkte mit Fördersätzen von 30 % dort, wo es dringend notwendig ist. Das ist gleichzeitig ein Einstieg in die Bereinigung der ausgeuferten Förderung, damit wir uns auf die Fälle konzentrieren, in denen eine Hilfe wirklich notwendig ist.
3. Berücksichtigung der Konsequenzen für Berlin im Rahmen der Berlin-Beschlüsse der Parteivorsitzenden und des Bundespräsidenten.4. die Finanzierung dieser erhöhten Präferenz, die erst die eigentliche Zonenrandpräferenz ist — dann wird sich zeigen, ob die SPD bereit ist, das mitzutragen —, durch Bereitstellung der Rückflußmittel aus dem europäischen Regionalfonds, entsprechend dem einstimmigen Beschluß dieses Plenums vom 20. Januar dieses Jahres, dem die Bundesregierung bei der Vorlage des Haushaltsentwurfes 1979 wieder nicht Rechnung getragen hat. Wir müssen dafür sorgen — ich appelliere an alle Fraktionen —, daß wir die Respektierung unserer einstimmig gefaßten Beschlüsse auch erzwingen.Wenn wir diesen Weg gehen, können wir wenigstens die Lehre aus dem ziehen, was sich hier im letzten dreiviertel Jahr abgespielt hat. Die Union erklärt sich zum wiederholten Male zur Zusammenarbeit mit den Koalitionsfraktionen bereit, zum Wohle der Menschen im Zonenrandgebiet und in den strukturschwachen Gebieten und zur Vermeidung weiterer Akte dieses parlamentarischen Trauerspiels.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Büchler.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Warnke;Sie haben, wie Sie es immer machen, auch heute wieder die Tatsachen auf den Kopf gestellt, um das ganz deutlich zu sagen. Nicht wir haben ein Schauspiel hinsichtlich der Investitionszulage gegeben, sondern Sie haben das getan. Ich werde Ihnen das an Hand einiger Tatsachen nachweisen.Was mich wieder gestört hat, nachdem wir einen Schritt weiterkommen wollten, ist, daß Sie wieder mit neuen Vorschlägen, mit neuen Forderungen kommen und so die Eskalation ins Unendliche treiben. Das ist das, was mich an dieser Politik insgesamt stört.Eines ist doch auch deutlich: wer in diesen Fragen glaubwürdig ist, das hat doch der Wähler bei den Wahlen in Hessen und Bayern ganz deutlich gezeigt. Daran gibt es doch gar keinen Zweifel.
Mit geht es jetzt nicht um Polemik, sondern mir geht es um die Sachaussage. Ich muß Ihnen auch
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8718 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Büchler
sagen, was Sie als Schauspiel gegeben haben; Herr Röhner sitzt hier vor mir. Wir sollten uns bei den Wählern entschuldigen, haben Sie gesagt. Sie müssen sich entschuldigen, weil sie die Wähler in der Sache der Investitionszulagen falsch informiert haben.
Ich werde Ihnen das nachweisen.Der Gebietsstreifen des Zonenrandgebietes, der einst im Herzen Deutschlands lag, ist durch die Teilung Deutschlands an den Rand gedrückt worden mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen. Wir wissen, daß wir auch nach 30 Jahren die Aufgabe haben, das Zonenrandgebiet entsprechend zu fördern. Darüber dürfen auch die fraglosen Erfolge des Zonenrandförderungsgesetzes — auch dies muß einmal deutlich gesagt werden — und des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" nicht hinwegtäuschen. Natürlich wissen wir — auch dies muß eingestanden werden —, daß Teile des Zonenrandgebietes heute zu den besten Regionen mit großer Wirtschaftskraft in der Bundesrepublik Deutschland zählen. Wir sind froh darüber. Aber wir wissen auch, daß der Großteil dieses Gebietsstreifens unter starker Abwanderungstendenz, unter Monostruktur und Überalterung leidet. Das Fehlen einer entsprechenden Dienstleistungsstruktur macht sich vor allem im Lohnniveau bemerkbar.Unbestritten ist, daß die Maßnamen der sozialliberalen Bundesregierungen — wie das Zonenrandförderungsgesetz, wie die Weiterentwicklung der regionalen Strukturpolitik, wie die Steuermaßnahmen — dem Zonenrandgebiet geholfen und dieses Gebiet vorangebracht haben. Wir sind ein gutes Stück weitergekommen, seit wir hier in Bonn regieren. Leistungskraft, Infrastruktur und auch die Wirtschaftsstruktur des Zonenrandgebietes wurden gestärkt.
Aber neue Entwicklungen verlangen neue Antworten.Da muß zum einen festgestellt werden, daß sich die bereits bestehenden Standortnachteile um so größer bemerkbar machen, je mehr sich das Zentrum des wirtschaftlichen Geschehens durch die zunehmende Wirksamkeit des europäischen Marktes nach dem Westen verlagert und aus der Lage am Zonenrand der Bundesrepublik Deutschland eine Lage am Ostrand der EG wird. Dies ist eine Entwicklung, der wir durch den vorliegenden Gesetzentwurf entgegenwirken wollen. Eine andere Entwicklung ist die ständige Ausdehnung der Fördergebiete, die inzwischen über zwei Drittel der Bundesfläche umfassen. Unter diesen Umständen ist die Erhaltung eines Präferenzvorsprunges für das Zonenrandgebiet ein zwingendes Gebot regionalpolitischer Gerechtigkeit.Ich freue mich aufrichtig, daß endlich auch die Opposition eingesehen hat, daß für das Zonenrandgebiet, und nur für das Zonenrandgebiet die zehnprozentige Investitionszulage kommen muß. Aber ich habe heute schon wieder andere Töne von Herrn Dr. Warnke gehört. Ich bin gespannt, wie das im Bundesrat dann laufen wird.
— Es geht um unsere Zonenrandländer. — Sie haben damals im Wahlkampf auch die Wähler falsch informiert, indem Sie behauptet haben, Sie hätten die Forderung nur für das Zonenrandgebiet aufgestellt. Dies ist nicht richtig. Sie haben in der Zwischenzeit eine ganze Menge Anträge gestellt, ich würde sagen, einen Wust von Anträgen. Mich wundert also dieser Gesetzentwurf ein wenig.Die Opposition hat in fast allen Anträgen immer für die gesamten Fördergebiete gleiche Anhebung gefordert. Gut, man könnte einwenden, daß Sie jetzt eingesehen haben, daß aus deutschlandpolitischen Gründen, aus der Verantwortung für dieses Gebiet ein Präferenzvorsprung gegeben werden muß und daß er dringend erforderlich ist. Aber es ist auch klar, daß diese Einsicht relativ spät kommt,
eigentlich erst seit dem 21. September 1978, als ich hier für die SPD-Fraktion die weitere Anhebung der Investitionszulage auf 10 % allein für das Zonenrandgebiet gefordert habe. Darum geht es doch. Dies ist der Punkt, zu dem wir sagen müssen: Wir haben dies allein für das Zonenrandgebiet gefordert.Diese Einsicht ist bei Ihnen aber nicht einhellig. Ein Blick auf die Politik der Bundesratsmehrheit zeigt deutlich die Widersprüchlichkeit der Unionspolitik in dieser Frage auf. Dort fordern die Zonenrandländer — um die geht es jetzt einmal —Bayern und Schleswig-Holstein und, wie man weiß, auch das Land Niedersachsen, vereint mit Baden-Württemberg
— es geht um die Zonenrandländer — nach wie vor, die Investitionszulage auf 10 % für alle Fördergebiete anzuheben. Das ist eben das, was diese Diskussiori so unschön macht, und dies ist das Schauspiel, das den Wählern von der Union draußen geboten wird, und nichts anderes.
Wir bräuchten diese Gesetzentwürfe, die heute eingebracht worden sind, überhaupt nicht mehr, wie allgemein bekannt ist, wenn die Zonenrandländer mitgestimmt hätten. Dies ist doch die Tatsache, um die es geht. Es geht um Ihre Zonenrandländer beim Vermittlungsverfahren:
Und dann haben Sie draußen noch eine Falschmeldung verbreitet. Auch die muß hier ausgeräumt werden.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8719
Büchler
Sie haben am 11. Mai 1978 behauptet, zur dritten Lesung des Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes eine zehnprozentige Investitionszulage allein für das Zonenrandgebiet gefordert zu haben. Dies ist entschieden falsch.
— Herr Warnke, ich habe leider keine Zeit. Ich komme sonst nicht durch mit dem, was ich sagen möchte. Sonst würde ich sehr gern Ihre Zwischenfrage zulassen. Wir werden sicher noch Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren.Ich will Ihnen jetzt nur sagen: Bei diesem Antrag ist es nicht um die Schaffung von weiteren Arbeitsplätzen im Zonenrandgebiet gegangen, sondern darum, die Investitionszulage für Rationalisierung und grundlegende Umstellung zu erhöhen. Sie, meine Herren von der Opposition, wollten der Rationalisierung einen deutlichen Präferenzvorsprung gegenüber der Neuschaffung von Arbeitsplätzen im Zonenrandgebiet geben. Dies ist also die Tatsache, mit der wir es zu tun haben. Ihre Wahlredner in Bayern haben etwas anderes behauptet, ich würde sagen: die Bevölkerung bewußt irregeführt.Der Verdacht, daß Sie mehr eine Zonenrandbehinderungspolitik betreiben, hat sich bei mir nach dem Studium Ihrer Initiativen zur Gewißheit erhärtet.
— So ist das!Wir Sozialdemokraten meinen, daß gerade die Fördermaßnahme Investitionszulage die innere Dynamik der Zonenrandgebiete positiv beeinflussen kann. Dadurch, daß sie steuerfrei ist, wird ihr Subventionswert nicht unerheblich erhöht. Damit wird ein starker Anreiz für volkswirtschaftlich sinnvolle Investitionen im Zonenrandgebiet gegeben. Um den Sog der Ballungsgebiete und deren Umfeld — das sind ja oft bereits Fördergebiete — nicht noch stärker werden zu lassen, ist es nun dringend geboten, das Präferenzgefüge wieder in Ordnung zu bringen. Die Erhöhung der Investitionszulage von 8,75 % auf 10 °/o ist ein wichtiger Schritt dazu.Da es in der Zonenrandpolitik darum geht — wie es Herbert Wehner einmal formuliert hat —, Menschen zu helfen, die ohne eigene Schuld an den Rand des Geschehens gedrängt worden sind, müssen wir alles tun, um ihnen das Schicksal zu erleichtern, um ihnen zu helfen, mit anderen mithalten zu können. Zu dieser Hilfe gehört eben auch die Überprüfung der Förderungsmaßnahmen im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten, des finanziell Machbaren.Das Instrument Investitionszulage hat seine Griffigkeit durch die Ausweitung und durch die Nivellierung verloren. Das ist gar keine Frage. Aber ich möchte hier auch ganz deutlich sagen, weil Sie das schon wieder indirekt angekündigt haben: Wir werden dem Versuch eines Draufsattelns durch den Bundesrat entschieden Widerstand entgegensetzen.Der Vorsprung für das Zonenrandgebiet muß geschaffen werden. Dies ist unsere Politik.
•
Die Zonenrandförderung ist mit ihren gesetzlich fixierten Bestimmungen eine Maßnahme, die langfristig angelegt ,ist. Darin liegt der besondere Wert der Zonenrandförderung. Ich sage dies, weil mir vollkommen klar ist, daß die Bundesregierung aus volkswirtschaftlich vernünftigen Gründen von Fall zu Fall manchmal besondere Maßnahmen bei regionalen Einbrüchen anwenden muß, um größeren Schaden zu verhindern. Dies sollte nicht als Prioritätenverschiebung in der Förderung zu ungunsten des Zonenrandgebietes verstanden werden, wie das unterschwellig von der Opposition — und Sie haben es heute wieder getan — draußen im Zonenrandgebiet oftmals versucht wird. Die erste Stelle in der Förderung nimmt Berlin ein, die zweite Stelle das Zonenrandgebiet, und anschließend kommen die übrigen Fördergebiete. Die besondere Förderung des Zonenrandgebiets steht außer Frage. Überzogene Forderungen führen höchstens dazu, daß Ganze zu gefährden.Die Bundesregierung hat seit 1969 Enormes für das Zonenrandgebiet geleistet. Das spürt die Bevölkerung; sie spürt, daß 'sie sich auf diese sozialliberale Regierung und auf die Koalitionsfraktionen verlassen kann. Die Sozialdemokraten nehmen für sich in Anspruch, die Zonenrandförderung eingeleitet zu haben.
Sie nehmen für sich in Anspruch, gradlinig, ohne Schaukelpolitik, für die Interessen dieses Zonenrandgebiets einzutreten.Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Stück dieser Politik. Die SPD-Fraktion stimmt der Überweisung der Entwürfe zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Warnke, ich will mich in diesen Streit um das Erstgeburtsrecht nicht einmischen. Das ist sowieso ein bißchen problematisch. Wenn Sie die Sache mit Esau und Jakob in der Bibel nachlesen, stellen Sie ganz überraschende Effekte fest.Ich glaube, es ist legitim — und wir haben das sehr ernst genommen —, daß der Finanzminister haushaltsrechtliche und haushaltsmäßige Bedenken erhoben hat. Wir möchten noch einmal unterstreichen, daß er seine Meinung auf Drängen der Koalitionsfraktionen geändert hat. Daß er seine Bedenken zurückgestellt hat, begrüßen wir sehr.Die haushaltsmäßige Frage ist ein Problem, das die Opposition leider auch nicht im Gleichgewicht austarieren kann. Sie stehen ja auch immer unter der Spannung zwischen Ihren Mehranforderungen an den Haushalt und ihren Wünschen von Haus-
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8720 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Wolfgramm •haltseinsparungen. Wir haben dies auch in der Frage der Zonenrandförderung jedenfalls sehr ernstgenommen.Sicher ist die Lage im Zonenrandgebiet nach wie vor unbefriedigend. Wir meinen, daß sich die tiefgreifenden Strukturveränderungen, die Arbeitslosigkeit und der Sog der Ballungsgebiete besonders nachteilig auf das Zonenrandgebiet auswirken. Aus deutschland- und wirtschaftspolitischer Verantwortung heraus ist es für uns geboten, die Strukturschwäche dieser Region am Rande des Bundesgebiets und am Rande der Europäischen Gemeinschaft zu verbessern.Ich möchte aber darauf hinweisen, daß sich angesichts der gesamtwirtschaftlichen Wachstumsprobleme und der tiefgreifenden Strukturveränderungen auch in anderen Regionen Deutschlands, außerhalb des Zonenrandgebiets, erhebliche Anpassungs-und Entwicklungsschwierigkeiten ergeben haben. Schon Fritz Reuter hat übrigens beklagt, wie unterschiedlich die deutschen Lande „ausstaffieret" seien.Ich darf einige Beispiele nennen: Ostfriesland, westliches Mittelfranken, Saarland, Westküste von Schleswig-Holstein. Diese Problembereiche sind augenfällig und dringlich. In Schleswig-Holstein wird es nach einer auf das Zonenrandgebiet begrenzten Erhöhung des Zulagensatzes zu einer Fördersatzgrenze durch das ganze Land hindurch kommen. Die stärkeren Landesteile an der Ostküste werden mit 10 °/o Zulage gefördert, an der nach wie vor schwächeren Westküste können die Unternehmer nur 8,75 %Zulage in Anspruch nehmen.Es muß daher unserer Ansicht nach sorgfältig geprüft werden, welche Entwicklung für die regionalen Fördergebiete absehbar ist und wie die Wirksamkeit der gegenwärtig verfügbaren Hilfen auch angesichts der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und des verschärften Strukturwandels zu beurteilen ist. In diesem Zusammenhang will ich gar nicht auf das nach wie vor sicher relevante und sich gewiß nicht verringernde Problem der Stadtstaaten und deren Umland eingehen, jedenfalls des Umlands, das von den Zonenrandpräferenzen profitieren kann.Wir fordern die Bundesregierung auf, die Präferenzstruktur der regionalen Wirtschaftsförderung mit dem Ziel zu überprüfen, ob eine allgemeine Erhöhung der regionalen Investitionszulage auf 10 % ein geeignetes Mittel zur Lösung der auch außerhalb des Zonenrandgebiets anstehenden Aufgaben ist. Das müssen wir ganz unbefangen prüfen, Herr Kollege Büchler. Ich meine, wir sollten da nicht von vornherein negative Präferenzen vorgeben.Damit würde der Förderungsvorsprung des Zonenrandgebietes gegenüber den anderen Fördergebieten nicht verlorengehen; denn der Vorsprung besteht darin, daß nur im Zonenrandgebiet die Investitionszulage auch für Umstellungs- und Rationalisierungsinvestitionen gewährt wird, deren Zahl in den letzten Jahren im übrigen ganz erheblich angestiegen ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Ja, bitte.
Herr Kollege Wolfgramm, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß diese Überprüfung im Hinblick auf die an das Zonenrandgebiet angrenzenden Gebiete, die in anderen Bundesländern liegen, eine Einladung an die Bundesratsmehrheit ist, den von uns gewollten Präferenzvorsprung zu egalisieren, und wir damit im Bundesrat genau das Gegenteil dessen erreichen, was hier in zwei Anträgen gewollt ist?
Herr Kollege, ich werde darauf zum Schluß meiner Ausführungen noch eingehen. Sie werden feststellen, daß wir der Meinung sind, daß wir die Präferenzstruktur grundsätzlich überprüfen müßten, damit wir zu einer Schwerpunktbildung kommen. Die Ausweisung von 60 °/o der Fläche der Bundesrepublik als Fördergebiet bedeutet, daß man die Ausnahme zur Regel macht. Das ist sicher keine Basis, auf der man in Zukunft Förderpolitik betreiben kann.
Der Präferenzvorsprung würde auch durch eine Anhebung des Zulagensatzes für alle Fördergebiete erhalten bleiben, weil das ebenfalls für die Förderung von Umstellungs- und Rationalisierungsinvestitionen gelten würde. Außerdem darf ich in diesem Zusammenhang noch erwähnen, daß bestimmte steuerrechtliche Sonderabschreibungen und Frachthilfezahlungen nur für das Zonenrandgebiet in Frage kommen.Für die geforderte Zielsetzung einer Überprüfung der regionalen Präferenzstruktur sprechen aber • auch noch andere Gründe: Mit der Erhöhung würden die zwischen 1969 und 1973 vorhandenen Fördermöglichkeiten wiederhergestellt. Die Erhöhung staatlicher Zuschüsse zur Verbilligung von Investitionen im gewerblichen Bereich dient der Erhöhung der Zahl der Arbeitsplätze und der Kapazitätsausweitung, was der gegenwärtigen konjunkturellen Lage angemessen ist. Dabei möchte ich anmerken, daß wir uns hier davor hüten müssen, zu einer absolut statischen Betrachtung aller Förderbereiche zu kommen. Ich glaube,' daß wir das jeweils nicht nur allein unter strukturpolitischen Gesichtspunk- ten, sondern auch unter konjunkturellen Gesichtspunkten immer wieder überprüfen müssen.Der durch die Erhöhung der regionalen Fördersätze geschaffene Status darf nicht auf unabsehbare Zeit unverändert bleiben.Der Anteil der effektiveren, weil steuerfreien Förderungsmittel — eben die Investitionszulage — wird erhöht und dazu beitragen, die Wünsche auf Erhöhung der Förderungshöchstsätze, die auch im Hinblick auf die EG-Regionalpolitik nicht unproblematisch sind, mit besseren Argumenten abzuwehren.
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Wolfgramm
Die Bereitstellung der zusätzlich erforderlichen Mittel für die Erhöhung der Investitionszulage wirkt wie eine Aufstockung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, so daß damit der Wunsch des Deutschen Bundestages auf zusätzlichen Rückfluß der Mittel aus dem EG-Regionalfonds weitgehend als erfüllt angesehen werden kann.Lassen Sie mich zum Abschluß in diesem Zusammenhang noch eines feststellen: Die von der FDP-Fraktion vorgeschlagene Erörterung der Präferenzstruktur der regionalen Fördergebiete — ich habe eben in der Antwort auf die Zwischenfrage schon darauf hingewiesen, daß zur Zeit 60 °/o der Fläche des Bundesgebiets als Fördergebiet ausgewiesen werden — ist unumgänglich. Wir müssen prüfen, ob das immer so bleiben muß.Wir, Bundesregierung und Fraktionen des Deutschen Bundestages, sollten deshalb gemeinsam darüber nachdenken, ob nicht eine Konzentration auf eine geringere Fördergebietsfläche den Zielen der regionalen Wirtschaftspolitik und damit dem Gedanken der Schwerpunktförderung mehr entspricht und effizienter ist als die gegenwärtige Förderungspolitik.
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wir kommen zur Überweisung gemäß den Vorschlägen des Ältestenrates. Er schlägt Ihnen die Überweisung an den Finanzausschuß — federführend —, an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen — mitberatend — und an den Haushaltsausschuß — mitberatend und gemäß § 96 der Geschäftsordnung — vor. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 31 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen mit Statistik über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 14. Dezember 1976 bis 30. September 1978 eingegangenen Petitionen
— Drucksache 8/2169 —
Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Beschlußfassung. Wer den Empfehlungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 8 der Tagesordnung:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung.
Bericht der Wahlkreiskommission für die 8. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gemäß § 3 Bundeswahlgesetz
— Drucksachen 8/1876, 8/2166 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Krey
Abgeordneter Wittmann
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Haushaltsgesetzes 1978
hier: Einzelplan 11
Geschäftsbereich des Bundesministers
für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksachen 8/1468, 8/1873 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe nun Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
— Drucksache 8/2081-
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 8/2163 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Stavenhagen
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft
— Drucksache 8/2160 —
Berichterstatter: Abgeordneter Vogelsang
Hierzu ist interfraktionell eine Aussprache mit Kurzbeiträgen mit einer Gesamtdauer von 30 Minuten vereinbart. Das Wort zur Aussprache hat Herr Abgeordneter Daweke.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion möchte ich erklären, daß wir dem vom Land Niedersachsen vorgelegten Gesetzentwurf zustimmen werden.Ich möchte eine zweite Bemerkung machen und erklären, weshalb wir zustimmen. Wir glauben, daß
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8722 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Dawekedieses Gesetz sozialpolitisch und bildungspolitisch richtig ist. Sozialpolitisch deshalb, weil es eine Gleichstellung derjenigen bringt, die sich für eine berufliche Grundbildung entscheiden und, aus welchen Gründen auch immer, nicht in eine Lehre gehen. Bildungspolitisch deshalb, weil mit der Einbeziehung von Schülern in der beruflichen Grundbildung in das BAföG ein Schwerpunkt in der Bildungspolitik gesetzt wird, den wir für richtig halten. Hier wird bezüglich des 10. Schuljahres ein Vorrang der beruflichen Bildung _gegenüber einem allgemeinbildenden Schuljahr gesetzt.
Ich möchte gern noch zu einem weiteren Punkt Stellung nehmen, und zwar zu der von der Bundesregierung in den Gesetzentwurf des Landes Niedersachsen eingebrachten Begrenzung dieser gesetzlichen Regelung bis zum Jahre 1981. Es ist uns völlig unverständlich, weshalb diese Begrenzung von der Bundesregierung in das Gesetz eingebracht worden ist und weshalb die Koalitionsfraktionen dieser Begrenzung zustimmen.Wir haben erst gemeint, das sei deshalb gekommen, weil der Bildungsminister sonst nicht in der Lage gewesen wäre, dem Finanzminister die Zustimmung zu diesem Gesetz abzuringen. Das ist aber deshalb unsinnig, well Jahr für Jahr beim BAföG einige Zigmillionen — die Höchstsumme war einmal 160 Millionen DM — übrigbleiben, da durch den zweijährigen Anpassungsmechanismus jeweils eine große Zahl von BAföG-Empfängern aus derFörderung herausfällt. Insofern hätte der Bildungsminister ein gutes Argument gehabt, zu sagen, daß eben diese Einbeziehung der neuen Empfängergruppe überhaupt nicht zu einer Ausweitung des Finanzvolumens geführt hätte.Es gab aber einen zweiten Grund, und ich glaube, er ist wohl der wirkliche Grund gewesen, weshalb die Koalition die Begrenzung bis 1981 in das Gesetz eingebaut hat. Es ist nämlich eine Tatsache, daß es innerhalb der SPD zu einem großen Streit über die Frage gekommen war, wie man das 10. Bildungsjahr ausgestalten will, ob mit einem Vorrang der beruflichen Bildung, wozu der Bundeskanzler beispielsweise bei jeder Meisterfeier immer erklärt, daß er selbst ein großer Anhänger dieser Idee ist, oder, siehe z. B. Berlin, mit dem 10. Bildungsjahr als Pflichtbildungsjahr im allgemeinbildenden Schulwesen. Im Grunde genommen ist also dieser inhaltliche Streit als Erklärung dafür heranzuziehen, weshalb die Koalition bis 1981 diese Begrenzung haben will.Es ist auch nicht so, daß hier etwa rechtliche Bedenken bestehen könnten, wie sie von der Bundesregierung noch als Vorwand genannt worden sind. Es ist versucht worden, uns zu erklären, eine solche Begrenzung sei deshalb notwendig, weil es verfassungsrechtliche Bedenken gebe. Das ist nun völlig unverständlich. Denn es kann doch nicht etwas bis 1981 verfassungsrechtlich in Ordnung und danach aus verfassungsrechtlichen Gründen zu bekämpfen sein.
Das paßt überhaupt nicht. Ich kann nicht drei Jahre lang die Verfassung brechen und schon von Anfang an in das Gesetz schreiben, daß ich die Verfassung ab 1981 wieder respektieren werde. Da muß sich die Regierung ein anderes Argument ausdenken. Es wäre vielleicht sinnvoller, zu sagen: Wir haben große politische Schwierigkeiten; die können wir intern noch nicht lösen; wir hoffen, Ihnen die Lösung bis 1981 anbieten zu können. — Aber das geschieht nicht.Wir werden deshalb — wir haben Ihnen dafür einen Entschließungsantrag auf den Tisch gelegt — beantragen, die Begrenzung zu streichen.Ich sehe nun die SPD- und FDP-Kollegen in großer Zahl in den. Saal kommen. Es ist immer so: Wenn wir hier sinnvolle Anträge stellen, werden wir niedergestimmt. Deshalb müssen sie alle kommen. Sonst kommen sie bei' Bildungsdebatten nicht.
Das interessiert die doch gar nicht. Wir sind guten Mutes, daß wir zum Schluß mit unseren guten Argumenten dennoch durchkommen, weil wir nämlich Verbündete gefunden haben, wo wir sie sonst gar nicht finden.Wenn Sie Ihre Unterlagen genauer durchsehen, werden Sie auch noch einen Antrag finden, den das Land Hamburg im Bundesrat eingebracht hat. Das Land Hamburg hat dort gesagt, daß sämtliche Argumente, die die Bundesregierung für die Begrenzung dieses Gesetzes bis 1981 vorgebracht hat, sinnlos sind und daß sich die Bundesregierung ständig widerspricht. Wenn Sie unserem Antrag nicht folgen wollen, würde ich Ihnen empfehlen, die Bundesratsvorlage des Landes Hamburg zu lesen. Wenn Sie uns dann immer noch niederstimmen, dann sehen wir uns bei Philippi, im Bundesrat, wieder, und dann wird das BAföG, von dem wir glauben, daß es für die Berufsschüler gut ist, diesen auch über 1981 hinaus gewährt.Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, muß ich diesen Änderungsantrag hier bekanntgeben; denn ich höre, daß er noch nicht verteilt ist. Ich darf den Antrag . hier rein formal bekanntgeben; er wird noch verteilt werden.Der Antrag lautet:Der Bundestag wolle beschließen:1. Artikel 2 wird gestrichen.2. Artikel 5 wird wie folgt geändert:.. .„ Dieses Gesetz tritt mit Wirkung vom 1. August 1978 in Kraft . . .Dieser Abs. 1 geht dann noch weiter. Und dannheißt es:Absatz 2 wird gestrichen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8723
Vizepräsident Frau FunckeIch glaube, inhaltlich ist nun wohl klar, worum es geht, jedenfalls den Eingeweihten. ich versuche, den Antrag rechtzeitig verteilen zu lassen.Das Wort hat nunmehr Herr Vogelsang.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte erst einmal darauf hinweisen, daß wir bezüglich der Ausschußanträge im wesentlichen zu einer einstimmigen Empfehlung gekommen sind. Es gibt einen Punkt, den Herr Daweke eben schon angesprochen hat, wo wir unterschiedlicher Meinung sind. Mir scheint es aber auch sinnvoll zu sein, einmal hervorzuheben, was wir mit diesem Gesetz tatsächlich beschließen.Wir beschließen damit, daß ca. 70 000 Berufs- und Berufsfachschüler ab 1. August dieses Jahres Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG haben.
Das müssen wir uns einmal vergegenwärtigen. Das bedeutet bei einer Familie, in der der Vater der Alleinverdiener ist, wo ein Kind gefördert wird und ein anderes, weil es jünger als 15 Jahre ist, noch nicht, einen Förderungsbetrag im Monat von 235 DM, wenn das Nettoeinkommen des Vaters im Jahre 1976 nicht höher ist als 1 480 DM, und eine Teilförderung, wenn das Nettoeinkommen 1976 eine Höhe bis zu 1 870 DM hatte. Ich meine, das ist in der Tat auch eine Unterstreichung dessen, was in der Regierungserklärung zum Ausdruck kommt: daß wir damit die berufliche Bildung fördern wollen.
— Lassen Sie mich darauf sofort kommen! Ich denke auch, daß es wert wäre, in diesem Zusammenhang erwähnt zu werden, daß wir in den Übergangsvorschriften, weil ja dieses Gesetz rückwirkend am 1. August 1978 in Kraft treten soll, eine Regelung gefunden haben, die verwaltungsfreundlich ist. Einmal ergangene Bescheide für die anderen Kinder behalten nämlich ihre Rechtskraft, einschließlich der landesrechtlichen Regelungen.
— Nein, ich gebe das nicht zu, sondern ich wollte nur unterstreichen, daß wir auch in diesem Falle verwaltungsfreundlich gewesen sind.
Nun zu dem Punkt, in dem es eine Auseinandersetzung gibt. Wir werden als SPD-Fraktion Ihrem Entschließungsantrag, soweit ich ihn eben zur Kenntnis nehmen konnte, nicht zustimmen.
Zu Ihrer Bemerkung, Herr Daweke, daß unser Interesse an Bildungsfragen nur dann bestehe, wenn es sich um strittige Abstimmungen handelt, muß ich sagen: Wenn ich Ihre Teilnahme hier sehe, muß ichja wohl schlußfolgern, daß bei Ihrer Fraktion selbst dann, wenn Sie selber Anträge einbringen, nicht einmal Interesse an Bildungsfragen besteht.
Ich denke aber, es gibt in einigen Punkten trotzdem den Versuch einer Einigung. Wir fördern Schüler des 10. Schuljahres in beruflicher Grundausbildung. Wir fördern mit diesem Gesetz nicht Schüler im 10. Schuljahr in den allgemeinbildenden Schulen. Ich denke, wenn wir das 10. Schuljahr generell förderten, würde das einen finanziellen Aufwand bedeuten, zu dem wir uns zur Zeit, meine ich, einheitlich, wohl kaum bereit finden könnten. Wenn die Länder aber in Zukunft dazu übergehen — da sind sie ja autonom —, ein 10. Pflichtschuljahr einzuführen, und in einer solchen Situation könnte einem Schüler, der sich für ein Berufsgrundbildungsjahr entscheidet, ein solcher Platz nicht angeboten werden, dann besteht in der Tat ein verfassungsrechtliches Bedenken, daß dieser Schüler, obwohl er sich für das Berufsgrundbildungsjahr einschließlich der Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz entschieden hat, aber auf das allgemeinbildende Schuljahr abgedrängt wird, sagt, er wolle jetzt auch Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz haben.
— Es besteht erst, Herr Pfeifer, in dem Augenblick, in dem es eine Bildungspflicht im 10. Schuljahr geben kann. Da wir im Augenblick nicht übersehen können, was bis zum Jahr 1981 in diesem Punkt geschehen wird, sind wir der Auffassung, daß wir dieses Gesetz aus der heutigen Sicht eben bis zum Jahre 1981 begrenzen sollten.
Alle Punkte, die Sie aus Ihrer Fraktion angesprochen haben — Streit, Meinungsverschiedenheiten zwischen SPD-regierten Ländern —, bestehen in diesem Punkte nicht.
— Nehmen Sie Nordrhein-Westfalen! Dort wird nach wie vor erklärt, daß im 10. Schuljahr, wenn es obligatorisch eingeführt wird, die Ausrichtung auf die berufliche Bildung Vorrang haben soll.
So möchte ich, wenn Sie sich auch weiterhin dieser Argumentation verschließen, daraus doch den Schluß ziehen, Sie seien der Auffassung, Ihnen könne die finanzielle Situation des Bundesausbildungsförderungsgesetzes nach 1980 im Grunde genommen völlig egal sein, weil Sie davon ausgehen, daß dies dann weiterhin ein sozialdemokratischer Finanzminister zu vertreten hat. Ich könnte mir vorstellen, daß das bei Ihren Überlegungen auch eine Rolle gespielt hat, insbesondere nach dem Ergebnis der letzten Landtagswahlen.
— Nicht nur Bayern, sondern auch Hessen.
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8724 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
VogelsangIch kann für die Fraktion der SPD hier erklären:Wir werden Ihrem Änderungsantrag nicht zustimmen, aber dem Gesetzentwurf in der vom Ausschuß beschlossenen Fassung unsere Zustimmung geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, hier noch sehr umfangreiche Ausführungen zu diesem fast nicht strittigen Thema zu machen. Herr Daweke, Sie haben davon gesprochen, daß wir große politische Schwierigkeiten hätten. Sie haben solche Schwierigkeiten auch gehabt. Denken Sie nur daran, daß Ihr Vorschlag betreffend das Berufsgrundbildungsjahr innerhalb der CDU zunächst Konsens fand, in München dann aber, wie dies öfters vorkommt, plötzlich auf etwas eigenartige Schwierigkeiten stieß. Der Fall ist im Maximilianeum ja nie so ganz aufgeklärt worden. Wir können bei der Diskussion über den Föderalismus-Bericht vielleicht auf derart freundliche bayerische Schmankerln noch eingehen. Zumindest kann man sagen: Politische Schwierigkeiten gab es bei Ihnen sicher auch.
Wir leugnen gar nicht, daß wir die Befristung deshalb wollen, weil es in der Bildungspolitik nach unserer Auffassung in sinnvoller Weise langsam vorangehen soll und nicht Festlegungen getroffen werden sollen, die irreversibel sind, da die Entwicklung, wie Sie wissen, noch nicht abgeschlossen ist. Ich muß mich immer wieder über den Gegensatz zwischen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Kultusministerinnen und Kultusministern der CDU wundern. Letztere fordern in ihren politischen Aussagen immer wieder, eben nichts Endgültiges zu schaffen, sondern langsam voranzugehen, Modelle ausreifen zu lassen und dann schließlich bildungspolitisch sinnvoll zu entscheiden. Hier erwecken Sie dagegen immer den Eindruck, daß Sie fürchterlich schnell handeln müßten und Endgültiges schaffen wollen.
— Herr Pfeifer,, es mag ja sein, daß sie dies ausnahmsweise einmal wollen, weil es politisch gerade wieder in ihre Vorstellungswelt paßt, hier Endgültiges zu schaffen. Sie wissen aber genausogut wie ich, Herr Pfeifer, daß wir Anträge von den verschiedensten Gruppierungen auf dem Tisch haben, die jetzt schon sagen: Es ist nicht richtig, das zehnte Hauptschuljahr auf Dauer zu benachteiligen. Die Entwicklung in diesem Bereich ist in der Bundesrepublik noch nicht beendet. Wir würden es alle begrüßen, wenn es letztlich zu einer einheitlichen Regelung käme. Ich hoffe, es kommt dazu. Im Augenblick kann man, wie ich glaube, aber nicht so tun, als gebe es hier nur auf der einen Seite politische Schwierigkeiten, aber auf der anderen Seite-nicht.
— Herr Daweke, es wird ja nichts endgültig festgelegt. Wir können 1981 weiter befinden. Warten Sie doch erst einmal ab.
— Ich sage hier doch nur: Sie können nicht so tun, als würden wir Entwicklungen aus totaler Unsicherheit abbremsen. Wir wollen einer vernünftigen schrittweisen Weiterentwicklung in diesem umstrittenen Bereich das Wort reden. Von daher und sonst nirgends rührt die Befristung.
Ich meine, wir sind in der Kernfrage einig. Wir sollten uns wegen dieses einen Punktes hier nicht sinnlos zerstreiten und uns nicht gegenseitig Vorwürfe machen, die, wie ich glaube, ein bißchen an der Sache vorbeigehen.
Ich möchte für meine Fraktion erklären, daß wir dem Änderungsantrag der CDU/CSU nicht zustimmen, daß wir die im Ausschuß erarbeitete Fassung des Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes gutheißen und uns in der Abstimmung dafür aussprechen werden.
Das Wort hat Herr Bundesminister Schmude.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Drei Wochen nach der ersten Lesung sind wir bereits in der Lage, heute das Gesetzgebungsverfahren über diese wichtige Erweiterung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes im Bundestag abzuschließen.
Ich begrüße diese zügige Bearbeitung ausdrücklich. Sie schafft für die Betroffenen schnelle Klarheit. Sie ermöglicht auch die schnelle Verwirklichung dieses Gesetzes im Verwaltungsvollzug; das Gesetz soll ja rückwirkend zum 1. August in Kraft treten.Es handelt sich bereits um die dritte Ausweitung des Förderungsbereichs des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, die wir heute beschließen. Das erste Änderungsgesetz von 1973 sah vor, daß alle Schüler der Klasse 11 der Berufsfachschulen Förderungsleistungen erhielten — nicht nur in bestimmten Fällen, wie vorher vorgesehen. Das zweite Änderungsgesetz von 1974 sah vor, daß jene Schüler der Klasse 10, die auswärts untergebracht sein müssen, gefördert werden. Nun erweitern wir die Förderung um einen anderen Bereich. Darin wird sichtbar, daß der Ausbau des Systems der individuellen Ausbil-
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Dr. Schmudedungsförderung beharrlich vorangetrieben wird. Ich begrüße ganz besonders, daß diesmal der Ausbau im Sekundarbereich I liegt und daß ein Schwerpunkt bei der beruflichen Bildung gesetzt wird.Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem Streitpunkt der Befristung sagen. Hier ist ausreichend deutlich geworden, daß es nicht darum geht, den Sinn dieser Förderungsmaßnahme in Frage zu stellen, daß es aber zugleich darum geht, den weiteren Ausbau des Angebots der beruflichen Grundbildung mitzuverfolgen, und weiterhin zu verfolgen, wie der Ausbau des 10. Pflichtschuljahrs sein wird. Heute ist sicherzustellen, daß man nicht ohne eigenes Zutun in eine Förderungsausweitung hineinrutscht, die heute noch nicht gewollt wird.
Ich sage nicht, daß sie überhaupt von allen Seiten abgelehnt wird. Denn wenn wir an die Debatte in der ersten Lesung denken, erinnern wir uns, daß es da den Hinweis gab, man könne in Betracht ziehen, auch das 10. allgemeinbildende Pflichtschuljahr zu fördern. Ich sage: Wir haben die finanziellen Mittel dafür zur Zeit nicht. Wir wollen uns das nicht unwillentlich aufladen. Wir sollten gemeinsam einen Sinn darin sehen, diese Frage noch einmal aufzugreifen und dann zu entscheiden, wie es weiterhin mit dieser Förderung sein wird. Diese Entscheidung wird dem Bundestag sowieso nicht erspart bleiben, wenn das Jahr 1981 naht. Es geht also nicht darum, etwas stillschweigend verschwinden zu lassen.Wenn man sich in dieser Weise bescheidet und für Sicherheit in der Ausweitung der Ausbildungsförderung sorgt, dann ist das auch ein guter Beitrag zu dem ja bereits so gut wie vorbereiteten weiteren Vorhaben des 6. Ausbildungsförderungsänderungsgesetzes.Ich bitte Sie, diesen Beitrag heute zu leisten, indem Sie es mit der Befristung auf drei Jahre zunächst bewenden lassen.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung.
Ich rufe Art. 1 auf. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Inzwischen liegt, glaube ich, allen Mitgliedern des Hauses der Änderungsantrag der CDU/CSU vor, den Art. 2 zu streichen. Über einen Streichungsantrag wird nicht abgestimmt, sondern wir stimmen über den Art. 2 ab, und wer ihn gestrichen haben möchte, muß mit Nein stimmen. Ich rufe also den Art. 2 auf. Wer ihm die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Mit Mehrheit ist der Art. 2 angenommen.
Ich rufe die Art. 3 und 4 auf. Wer ihnen die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — So beschlossen.
Zu Art. 5 liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU auf Drucksache 8/2215 Ziffer 2 vor. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über den Art. 5 in der Ausschußfassung ab. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Artikel 5 ist angenommen.
Wir stimmen noch über Einleitung und Überschrift ab. — Ich höre keinen Widerspruch. So beschlossen.
Wir treten nunmehr in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Gesetzentwurf in der dritten Beratung zustimmen möchte, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Nun haben wir noch über Punkt 2 der Beschlußempfehlung zu beschließen, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit ist das, was der Ältestenrat uns für den Vormittag aufgegeben hat, abgeschlossen. Wir treten in die Mittagspause ein. Die Beratung wird um 14 Uhr fortgesetzt.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Wir treten ein in die
Fragestunde
— Drucksache 8/2186 —
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatsminister Wischnewski zur Verfügung. Wir kommen zunächst zur Frage 1 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe:
Treffen Meldungen zu, daß mit Hilfe versteckter Tonbänder Besucher der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin kontrolliert werden?
Bitte.
Herr Kollege Wohlrabe, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Bundesregierung ist bekannt, daß Besucher der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in geraumer Entfernung des Dienstgebäudes einer Ausweiskontrolle unterzogen werden. Nach den Erkenntnissen unserer Ständigen Vertretung sind von dieser Kontrollpraxis der DDR
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8726 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Staatsminister WischnewskiBewohner der DDR und von Ost-Berlin betroffen. Diese Personen werden aber nicht in jedem Einzelfalle kontrolliert. Besucher der Ständigen Vertretung, die nicht aus der DDR oder aus Berlin kommen, werden allem Anschein nach nicht kontrolliert.Wie der Bundesregierung bekanntgeworden ist, werden bei der Ausweiskontrolle bestimmte Personaldaten aus dem Personalausweis, insbesondere Name, Geburtsdatum und auch die Wohnanschrift, von dem kontrollierenden DDR-Beamten laut abgelesen. Es ist möglich, daß diese Daten über ein Mikrophon weitergeleitet oder festgehalten werden. Das ist eine Möglichkeit; ich kann nicht sagen, daß die Erkenntnisse hundertprozentig genau sind.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, gibt es Bemühungen der Bundesregierung, die — bei Würdigung aller schwierigen Umstände, die wir kennen — vielleicht sicherstellen könnten, daß derartige Abfragemechanismen auf der östlichen Seite unterbleiben?
Wischnewski, Staatsminister: Ich glaube, die Antwort auf diese Zusatzfrage ergibt sich aus der Antwort auf Ihre zweite Frage, Herr Kollege Wohlrabe.
Eine
weitere Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.
Sind der Bundesregierung über das hier genannte Ehepaar aus Sachsen hinaus Personen bekannt, die in irgendeiner Weise nachteilige Folgen im Gebiet der DDR oder Ost-Berlin auf Grund der Angabe ihrer Personalien gehabt haben?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung hat Erkenntnisse darüber, daß Personen, wenn sie an ihren Wohnort wieder zurückgekehrt sind, durch Behörden der DDR angesprochen worden sind. Es liegen keine konkreten Erkenntnisse darüber vor, daß sich daraus für diejenigen Nachteile ergeben haben, die die Ständige Vertretung der Bundesrepublik aufgesucht haben.
Eine
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Broil.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, haben Sie den Eindruck, daß diese Befragungspraxis zumindest auch dazu dient, eventuelle Besucher der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik aus der DDR einzuschüchtern?
Wischnewski, Staatsminister: Ich muß einen Unterschied machen: Es gibt ganz klare Erkenntnisse darüber, daß niemand daran gehindert wird, die Ständige Vertretung aufzusuchen. Das ist eindeutig. Insoweit wissen wir sehr genau Bescheid.
Aber es gibt, wie gesagt, hinterher diese Kontrollen in entsprechender Entfernung. Es muß der Eindruck entstehen, daß das geschieht, um Besucher abzuhalten. Vorherige Maßnahmen, Besucher aus der DDR daran zu hindern, die Ständige Vertretung zu betreten, gibt es nicht.
Ich rufe die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf:
Was gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls gegen eine derartige Schnüffelpraxis zu unternehmen?
Herr Staatsminister.
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung hat durch den Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland, Staatssekretär Gaus, diese Kontrollpraxis gegenüber der DDR mißbilligt. Die DDR vertritt jedoch den Standpunkt, daß es sich bei diesen außerhalb des Dienstgebäudes der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland vorgenommenen Kontrollen um eine innere Angelegenheit der DDR handele. Die Bundesregierung hält diese Antwort der DDR für unbefriedigend. Sie bleibt deshalb weiter darum bemüht, die DDR zu einer Aufhebung dieser Kontrollpraxis zu bewegen. Die Bundesregierung legt in diesem Zusammenhang jedoch Wert auf die Feststellung, daß Besucher der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland nicht gehindert werden, die Ständige Vertretung aufzusuchen.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 3 des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann ist vom Fragesteller zurückgezogen worden. Herr Staatsminister, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Staatsminister Dr. von Dohnanyi zur Verfügung.
Ich- rufe die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Kittelmann auf:
Hat die Bundesregierung, wie vom Bundeskanzler in der Haushaltsdebatte zugesagt, zwischenzeitlich Verhandlungen mit den zuständigen Alliierten und den betroffenen Fluggesellschaften aufgenommen, und gegebenenfalls mit welchem Ergebnis?
Bitte, Herr Staatsminister.
Die Bundesregierung hat die vom Bundeskanzler zugesagten Verhandlungen aufgenommen. Sie werden zügig durchgeführt. Sie sind jedoch noch nicht abgeschlossen.
Eine
Zusatzfrage. .
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß der Zeitraum, der bisher verstrichen ist, den Eindruck erweckt, als hätte die Bundesregierung gezögert, die Verhandlungen
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Kittelmannzügig zu führen, um zu einem Ergebnis zu kommen,das in der Öffentlichkeit seit langem erwartet wird?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung hat die Verhandlungen zügig aufgenommen. Wenn bei Ihnen ein anderer Eindruck entstanden sein sollte, Herr Kollege, kann ich den Eindruck bei dieser Gelegenheit korrigieren.
Eine
weitere Zusatzfrage.
Wenn der Eindruck nicht nur bei mir, sondern auch in der Öffentlichkeit entstanden ist, würden Sie mir dann zustimmen, daß im Hinblick auf die Wichtigkeit des Problems auch die Bundesregierung darauf hinwirken sollte, in der Öffentlichkeit die Vermutung zu beseitigen, die Bundesregierung habe dieses Problem durch Vorwegäußerungen, die die Fluggesellschaften emotional beladen, unnötig verschärft?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich will hier nichts über die Fluggesellschaften sagen; aber Sie haben mir durch Ihre Frage Gelegenheit gegeben, auch der Öffentlichkeit — soweit bisher ein anderer Eindruck entstanden sein sollte — klarzumachen, daß die Bundesregierung hier in der Tat zügig und im Interesse der Betroffenen verhandelt.
Eine
Zusatzfrage, Herr Kollege Wohlrabe.
. Herr Staatsminister, ist auf der Basis der von Ihnen soeben geschilderten Verhandlungen sichergestellt, daß zumindest in diesem Monat der Bericht der Bundesregierung abschließend vorliegt, damit der zuständige Haushaltsausschuß in seiner dafür vorgesehenen Sitzung am 30. November die Sache für den Etat 1979 endgültig beraten kann?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Wohlrabe, die Bundesregierung wird versuchen, die Verhandlungen so schnell wie möglich zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen.
Ich rufe die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Kittelmann auf:
Wurde der Senat von Berlin vor Veröffentlichung seines Regelungsvorschlags durch die Bundesregierung von dem Stand der Gespräche mit den Alliierten unterrichtet?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Gespräche sind, wie ich soeben sagte, noch nicht abgeschlossen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eines Regelungsvorschlages war der Senat von Berlin über den damaligen Stand der Verhandlungen mit den Alliierten unterrichtet.
Eine
Zusatzfrage.
Ich kann also davon ausgehen, daß die Veröffentlichung des Senats von Berlin im Hinblick auf die Vorstellung, die der Senat von einer Flugplatzregelung hat, auch von Ihnen nicht gerade als glücklich empfunden worden ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Davon können Sie bei der Antwort, die ich Ihnen soeben gab, in keiner Weise ausgehen. Sie können davon ausgehen — ich wiederhole das —, daß zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Regelungsvorschlages, nämlich
am 11. Oktober 1978, der Senat über den damaligen Stand der Verhandlungen mit den Alliierten unterrichtet war.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Sie würden also die Veröffentlichung von eigenen Vorschlägen des Senats, ohne daß die Verhandlungen mit den Alliierten abgeschlossen wurden, für begrüßenswert halten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Auch das hatte ich nicht gesagt, Herr Kollege. Aber Sie werden mich nicht dazu veranlassen, noch einmal das zu wiederholen, was ich gesagt habe. Ich habe festgestellt, daß der Senat über den Stand der Verhandlungen mit den Alliierten zu dem Zeitpunkt informiert war, in dem er seine Veröffentlichung gemacht hatte.
Eine
Zusatzfrage, Herr Kollege Straßmeir.
Herr Staatsminister, da die Bundesregierung in ihrem Zwischenbericht einen interministeriellen Entwurf vorgelegt hat, der mit den Worten „unter Beteiligung des Landes Berlin" unterschrieben ist, frage ich: Glauben Sie, daß es zweckmäßig ist, daß der Senat von Berlin noch unterschiedliche Regelungsvorschläge unterbreitet, und teilen Sie diese, wenn Sie sie gelesen haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung kann sich eine Auffassung zu der Sache erst dann endgültig bilden, wenn die Verhandlungen zu einem entsprechenden Ergebnis geführt haben. Zu diesem Zeitpunkt wird dann auch die erforderliche Abstimmung möglich sein.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Herr Staatsminister, würden Sie im Rahmen der Beantwortung dieser Fragen uns vielleicht mitteilen können, welchen Niederschlag die Vorschläge der CDU/CSU zur Verbesserung der Flugpreissubventionen bisher gefunden haben?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Wohlrabe, ich habe Ihre Frage vielleicht nicht richtig verstanden. Wenn Sie fragen wollen, wel-
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Staatsminister Dr. von Dohnanyichen Niederschlag Ihre Vorschläge bei den Überlegungen der Bundesregierung gefunden haben, so würde ich sagen: es gibt keinen Vdrschlag, den die Bundesregierung nicht mit Interesse studiert, und es gibt auch keinen Vorschlag, den die Bundesregierung nicht bei den Überlegungen einbezieht, die sie anstellt.
Letzte
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mit mir darin überein, daß bessere Flugmöglichkeiten von und nach Berlin keine Frage des besonders tiefen Studiums sind, sondern eine Frage der unmittelbaren praktischen Verwirklichung in baldiger Zeit, damit die Vorschläge noch in die Haushaltsfestlegung 1979 eingebaut werden können?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Kunz, ich habe Sie sicherlich richtig verstanden, daß Sie nicht das Gegenteil behaupten wollen, nämlich: daß vorschnelle und nicht gut studierte Vorschläge richtig wären. Also werden Sie sicherlich auch mit meiner Antwort übereinstimmen, daß wohlfundierte, wohldurchdachte Vorschläge notwendig sind.
Frau Ab-
geordnete Erler hat die nächste Frage — Nr. 6 — eingereicht:
Trifft es zu, daß entgegen den Erklärungen der Bundesregierung, es gebe keine nukleare Zusammenarbeit mit der Republik Südafrika, sechs deutsche Atomwissenschaftler auf Kosten der Deutschen Forschungsgemeinschaft Anfang dieses Monats in die Republik Südafrika geschickt worden sind, und wenn ja, welche Folgerungen zieht die Bundesregierung daraus?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, es trifft nicht zu, daß zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika eine nukleare Zusammenarbeit besteht. Dies ist von der Bundesregierung wiederholt nicht nur unterstrichen, sondern auch belegt worden.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat lediglich als Selbstverwaltungskörperschaft der deutschen Wissenschaft auf individuellen Antrag die Teilnahme von acht deutschen Wissenschaftlern an einer internationalen multilateralen Konferenz vom 31. Juli bis 11. August in Johannesburg möglich gemacht. Thema dieser Tagung war: Dynamische Eigenschaften von Schwerionenreaktionen; ich füge als Interpretation hinzu: International Conference on Dynamical Properties of Heavy-Ion Reactions. Hierbei ging es um Fragen der Grundlagenforschung, z. B. um Schwerionenbeschleuniger als analytisches Instrument für archäologische Datierungen. Die Thematik hatte keinerlei Bezug zu militärischen Bereichen.
Dies - so bin ich sicher — kann man schon daraus erkennen, Frau Kollegin, daß der Kongreß von der „Internationalen Vereinigung für theoretische und angewandte Physik" veranstaltet wurde und daß dem internationalen Beratungsausschuß u. a. auch je ein Vertreter der Niederlande, Schwedens, Japans, Polens und Großbritanniens angehörten. 200 Wissenschaftler aus vielen Nationen nahmen an diesem Kongreß teil.
Haben
Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Herr Staatsminister, wie erklären Sie dann die Tatsache, daß deshalb, weil dieser Kongreß von der Atomenergiebehörde der Südafrikanischen Republik veranstaltet wurde — einer von drei Veranstaltern die französischen und die holländischen Wissenschaftler geschlossen ihre Teilnahme abgesagt haben, auch ein Teil der USA-Wissenschaftler?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, ich sagte schon, daß im Beratungsausschuß für die Einladung auch je ein Vertreter der Niederlande, Schwedens, Japans usw. teilgenommen haben. Ich gehe also davon aus, daß die Wissenschaftler, von denen Sie hier eben sprachen, als Personen nur für sich bestimmte Entscheidungen getroffen haben, aber ich gehe zugleich davon aus, daß die Niederlande in dem Beratungsausschuß bei der Entscheidung vertreten waren und daher auch die Entscheidung mitgetragen haben.
Haben
Sie noch eine Frage?
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung nicht bekannt, daß erstens Teilnehmer an dieser Konferenz sehr direkt auch mit Atombombenforschung zu tun hatten, wie es etwa einer der Teilnehmer im „Star Weekly", einer südafrikanischen Zeitung, am 5. August geschrieben hat, und daß zweitens die Schwerionenforschung sehr direkt mit der Atombombenforschung — und nicht bloß mit archäologischer Forschung — zu tun hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, ich kann das so in keiner Weise akzeptieren. Sie wissen z. B., daß die Bundesrepublik Deutschland auf die Herstellung nuklearer Waffen seit jeher • verzichtet hat und daß dennoch der hier in Frage kommende Forschungsbereich auch bei uns eine erhebliche Rolle spielt. Der Grund ist folgender: Diese Forschung ist eben in zivilen Bereichen von großer Bedeutung. Würde man alles das, was auch für nukleare Waffen nutzbar gemacht werden kann, in jedem Fall wegen dieser möglichen Nutzbarmachung abschneiden, dann könnte in der Tat z. B. auch im zivilen medizinischen Bereich eine Arbeit nicht mehr stattfinden. Das würden wir nicht für richtig halten.
Herr Kol-lege Kiechle, einmal auf einem ganz anderen Gebiet, bitte.
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Herr Staatsminister, halten Sie es mit mir für möglich, daß die von der Frau Kollegin Erler genannten Wissenschaftler, die ihre Teilnahme wieder absagten, schlicht und einfach in der Zwischenzeit andere Terminverpflichtungen eingegangen hatten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es ist alles möglich. Wenn ich bedenke, wieviel Termine ich selber hin- und herschieben muß, kann ich mir das durchaus vorstellen.
Damit
kann ich die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja, die Frage 7, aufrufen, die ja zum Teil bereits in der gestrigen Fragestunde eine Rolle gespielt hat:
Welche neuen Sofortmaßnahmen zur humanitären und Katastrophenhilfe im Sinne der entsprechenden Richtlinien hat die Bundesregierung zugunsten der aufs schwerste betroffenen Teile der zivilen christlichen Bevölkerung im Libanon im Zusammenhang mit der dramatischen Zuspitzung der Notlage ergriffen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Präsident, ich würde in der Tat hier erneut vortragen, was ich gestern schon einmal vorgetragen habe.
Sie haben jetzt aber Zusatzfragen?
Wünschen Sie noch einmal eine Wiederholung der Antwort von gestern?
— Wenn Sie nicht darauf bestehen, dann haben Sie die Möglichkeit der Zusatzfragen. Sie haben ja an der Sitzung teilgenommen.
— Bitte, erste Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da ich nicht zu verantworten habe, daß Sie gestern die Notizzettel verwechselten und auf eine andere Frage von mir dies, was hier zu beantworten wäre, antworteten, frage ich Sie zusätzlich, ob die Bundesregierung nicht der Auffassung ist, daß angesichts der dramatischen Notlage' die bisherigen Leistungen für die über 600 000 hungernden und frierenden Flüchtlinge in den Bergen des Libanon nun verstärkt werden müssen, da praktisch bisher nur etwa 1 DM pro Kopf dieser Flüchtlinge bereitgestellt ist, und ob Sie dafür Zusagen des Finanzministeriums haben.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, zunächst: Ich habe die Zettel gestern nicht verwechselt, sondern Ihnen eine Antwort auf eine Frage gegeben, die Sie gestellt hatten. Aber ich will hier
auf Ihre Frage antworten: Die Bundesregierung wird sich bemühen, die Hilfe für den Raum im Rahmen der uns gesetzten Möglichkeiten zu verstärken.
Herr Kollege!
Sehen Sie eine Möglichkeit, Herr Staatsminister, daß — wie beispielsweise in Namibia — angesichts der Tausenden von verletzten und getöteten Zivilisten auch eine Außenministerintervention erfolgt und insbesondere die Durchsetzung des humanitären Völkerrechts bei der Zuleitung von Hilfsmaßnahmen für die notleidenden Zivilisten ermöglicht wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe zu dieser Frage gestern auch Stellung genommen und habe dabei gesagt, daß es darauf ankommt, für die jeweilige Region das jeweils Notwendige zu tun. Sie können versichert sein, daß die Bundesregierung, daß der Bundesaußenminister und daß unsere Kollegen in der Gemeinschaft bemüht sind, im Libanon zu helfen.
Herr Abgeordneter Dr. Hupka hat für die beiden von ihm eingereichten Fragen 8 und 9 um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Staatsminister, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes beantwortet.
Ich kann den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft aufrufen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner steht zur Verfügung.
Frau Kollegin Dr. Martiny-Glotz, Sie haben die Frage 35 eingereicht:
Wird die Bundesregierung die Schwierigkeiten des Kartellamts bei der Mißbrauchsaufsicht der unverbindlichen Preisempfehlung in der Möbelindustrie zum Anlaß nehmen, die Frage des Verbots der unverbindlichen Preisempfehlung im Rahmen der Kartellgesetznovelle erneut zu prüfen, und wird sie dabei die Ansicht des Möbelhandels berücksichtigen, der nach seinen Angaben auch ohne Preisempfehlungen seine Kalkulationen durchführen kann?
Die Bundesregierung hat in ihrem Bericht vom Juni 1977 über die unverbindliche Preisempfehlung festgestellt, daß nach ihrer Auffassung die bisher vorliegenden Erfahrungen noch keine hinreichend sichere Grundlage bieten, um ein generelles Verbot der Preisempfehlungen für Markenwaren vorzuschlagen. Sie hat jedoch gleichzeitig betont, daß sie — neben den in der 4. Kartellnovelle vorgeschlagenen Verbesserungen der Mißbrauchsaufsicht — auch in Zukunft eine eingehende Beobachtung der Entwicklung der unverbindlichen Preisempfehlung für erforderlich hält und daß sie auf Grund eines hinreichenden weiteren Erfahrungszeitraums die Notwendigkeit grundlegender Gesetzesänderungen in diesem Bereich erneut überprüfen werde. Hierbei werden selbstverständlich auch etwaige neue Erkenntnisse berücksichtigt werden, die sich aus den noch nicht abgeschlossenen
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8730 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Parl. Staatssekretär GrünerVerfahren des Bundeskartellamtes gegen Möbelpreisempfehlungen ergeben könnten.Es versteht sich von selbst, daß die Bundesregierung wie bisher auch die Auffassungen der beteiligten Wirtschaftskreise in ihre Überlegungen einbeziehen wird. Bei der Vorbereitung des Berichts der Bundesregierung hat sich der Bundesverband des deutschen Möbelhandels in Übereinstimmung mit der Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels dafür ausgesprochen, Preisempfehlungen zur Rationalisierung des Vertriebs im Handel beizubehalten. Nach Auskunft des Verbandes besteht diese Auffassung unverändert fort und ist auf der Delegiertenversammlung im Juni dieses Jahres erneut bestätigt worden.
Zusatz-
frage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, fühlt sich die Bundesregierung nicht ein bißchen durch die Möbelindustrie an der Nase herumgeführt, da die Möbelindustrie vor der Erstellung dieses Berichts über die Erfahrungen mit der Preisempfehlung ein Punktesystem angekündigt hat, um selbst die Preisgestaltung in der Möbelindustrie zu überwachen, dieses aber, nachdem der Bericht nun ein bißchen in ihrem Sinne ausgefallen ist, offensichtlich spontan fallengelassen hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Frau Kollegin. Diese Bemühungen sind sehr ernsthaft unternommen worden. Sie sind allerdings leider erfolglos geblieben. Es hat sich insbesondere keine Regelung gezeigt, mit der sich unter Wegfall der Preisempfehlung vergleichbare Kostenersparnisse und sonstige Rationalisierungswirkungen beim Möbelkauf durch den Handel hätten erzielen lassen.
Nach Auffassung der Bundesregierung unterstreicht diese Erfahrung die Vielschichtigkeit der Preisempfehlung, die zweifellos sowohl positive als auch negative Marktwirkungen hat.
Eine
weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung denn die Tatsache, daß zwei Drittel aller Hersteller ohne Preisempfehlung auskommen und ein Drittel behauptet, dringend auf die Preisempfehlung angewiesen zu sein?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das hängt mit der Unterschiedlichkeit der Sortimente und mit der differenzierten Unternehmensgröße und Unternehmensstruktur zusammen. Die Vielfältigkeit der Probleme ist ja auch schon in meiner vorhergehenden Antwort angedeutet worden.
Ich rufe
die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Tillmann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, in der gesetzlich vorgeschriebenen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung — zum besseren
Schutz der Verkehrsopfer und im Interesse der Versicherungspflichtigen an einem ausreichenden Versicherungsschutz — künftig unbegrenzte Deckungen im Angebot der Kraftfahrzeugversicherer zuzulassen, und ist der Bundesregierung bekannt, daß ein Versicherungsunternehmen bereits am 10. Dezember 1976 einen Antrag auf Genehmigung unbegrenzter Deckungen in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung beim Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen gestellt hat und über diesen Antrag bis heute — ohne sachliche Begründung — nicht entschieden wurde?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist richtig, daß zwei Versicherungsunternehmen am 10. Dezember 1976 die Genehmigung für Tarife mit unbegrenzter Deckung in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung beantragt haben. Die eingereichten Anträge waren unvollständig. Vollständige Anträge wurden erst im April dieses Jahres vorgelegt.
Da es sich bei der Entscheidung über diese Anträge um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung handelt, hat das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen die Problematik den beteiligten Bundesressorts vorgelegt. Eine gründliche Überprüfung durch die Ressorts lag nicht zuletzt im Interesse der Antragsteller an einer nach allen Seiten abgesicherten Entscheidung des Aufsichtsamts.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß nach geltendem Tarifrecht die Genehmigung von Beiträgen für unbegrenzte Deckung nicht möglich ist. Sie hat die Frage, ob durch eine Änderung der Tarifverordnung künftig in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Beiträge für unbegrenzte Deckung zugelassen werden sollen, dem beim Bundeswirtschaftsministerium bestehenden Beirat für Tariffragen in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung vorgelegt.
Die Bundesregierung wird die Anfang dieses Monats dort vorgetragenen unterschiedlichen Stellungnahmen sowie die sonstigen — insbesondere rechtspolitischen Argumente — abwägen und alsbald über die Frage entscheiden. Das Ergebnis werde ich Ihnen gerne mitteilen.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, es ist also so, daß Sie die Frage noch prüfen und daß es nicht zutrifft, daß der Bundesminister für Wirtschaft beabsichtigt, die Verordnung über die Tarife in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung vom 20. November 1967 in der Fassung vom 7. Dezember 1976 dahin gehend zu ändern, daß nur noch summenmäßig begrenzte Deckungssummen in der gesetzlichen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung genehmigungsfähig sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es ist richtig, Herr Kollege, daß wir uns in der Frage der unbegrenzten Deckungsmöglichkeit noch in der Prüfung befinden.
Eine
zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß es — insbesondere
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8731
TillmannI nach dem spektakulären Tanklastwagenunfall in Spanien in diesem Sommer — gerechtfertigt, ja sogar notwendig ist, daß es unbegrenzte Deckungssummen in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung gibt, damit gegebenenfalls zu Schaden kommende Bürger auch in ausreichendem Umfang entschädigt werden können?Grüner, Parl. Staatssekretär: Es gibt sehr gute Gründe für diese Auffassung, die aber abgewogen werden müssen. Wir befinden uns noch in der Prüfung des Für und Wider.
Ich rufe
die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Tillmann auf:
Ist der Bundesregierung in diesem Zusammenhang bekannt, daß unbegrenzte Deckungen in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung bereits in den europäischen Ländern Belgien, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Luxemburg, Norwegen, Schweiz, Spanien, Tschechoslowakei und 'Zypern entweder gesetzlich vorgeschrieben sind oder von den Versicherern angeboten werden und darüber hinaus in einer Vielzahl außereuropäischer Länder dieser Versicherungsschutz Praxis ist, und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nach den mir vorliegenden Informationen trifft es zu, daß in den genannten Ländern — obligatorisch oder fakultativ, unbeschränkt oder beschränkt auf Personenschäden bzw. auf Fahrzeuggruppen — unbegrenzte Deckung gewährt wird. In Spanien, Japan und Neuseeland gibt es allerdings nur den Ausschluß einer Leistungsgrenze pro Schadensereignis, aber gleichzeitig eine Leistungsobergrenze für den Einzelschaden pro Person.
Die Bundesregierung wird bei der in der Antwort auf die Frage 36 angekündigten Entscheidung auch die Frage zu berücksichtigen haben, inwieweit die rechtlichen und rechtspolitischen Voraussetzungen in den genannten Ländern mit der deutschen Situation vergleichbar sind.
Zusatz-
frage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß es die Verkehrssicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland rechtfertigen würde, daß, ebenso wie in den von Ihnen genannten Ländern, auch bei uns die Möglichkeit gegeben sein sollte, daß Kraftfahrzeughalter eine summenmäßig unbegrenzte Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung abschließen können?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es gibt gute Gründe für diese Auffassung. Ich betone noch einmal, daß wir uns in der Prüfung dieser Frage befinden — weil es auch gute Gründe dagegen gibt.
Zweite
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie in etwa sagen, bis zu welchem Zeitpunkt die von
Ihnen hier angeführte Prüfung abgeschlossen sein wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich nehme an, daß das noch im Laufe dieses Jahres möglich sein wird. Ich betone allerdings: Die Notwendigkeit der Beteiligung anderer Ressorts macht mir diese Voraussage etwas schwer.
Ich rufe
die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Krey auf:
Hält die Bundesregierung die Verordnung über allgemeine Tarife für die Versorgung mit Elektrizität vom 26. November 1971 und ihre gesetzlichen Grundlagen noch für zeitgemäß, oder ist angesichts verschiedener Konfliktsituationen zwischen Verbrauchern und Versorgungsunternehmen — wie sie jüngst in Bergisch Gladbach zu einer .Verdunkelungsaktion" geführt haben — an einer Neufassung gedacht?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung beabsichtigt, die Bundestarifordnung Elektrizität zu ändern und dabei insbesondere verbrauchsfördernde Elemente in der Tarifstruktur zu beseitigen.
Nach § 8 der Bundestarifordnung Elektrizität ist der Kunde verpflichtet, dem Elektrizitätsversorgungsunternehmen unverzüglich die zur Bildung des Grundpreises erforderlichen Angaben zu machen und entsprechende Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse mitzuteilen. Die Unternehmen sind auf Grund des Versorgungsvertrages berechtigt, die Einhaltung dieser Vorschrift zu kontrollieren. Dies hat offensichtlich in Bergisch-Gladbach zu Meinungsverschiedenheiten geführt. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß die Kunden auch weiterhin verpflichtet sein sollten, die für die Tarifbildung maßgeblichen Änderungen von sich aus den Unternehmen mitzuteilen; dies nicht zuletzt deshalb, weil andernfalls Mehrkosten durch erhöhte Lastanforderungen nicht von ihren Verursachern, sondern von den übrigen Kunden mitgetragen werden müßten. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Versorgungsunternehmen ihre Kontrollrechte so ausüben, wie es dem partnerschaftlichen Verhältnis zwischen Versorgungsunternehmen und Kunden entspricht.
Im übrigen wird die Bundesregierung in Kürze dem Bundesrat einen Verordnungsentwurf zur Neugestaltung der Allgemeinen Versorgungsbedingungen für Strom und Gas zur Zustimmung zuleiten. Ziel dieser Entwürfe ist es, die Geschäftsbedingungen der Versorgungsunternehmen an die heutigen wirtschaftlichen, technischen und rechtlichen Verhältnisse anzupassen. Insgesamt soll ein angemessener Interessenausgleich zwischen Versorgungswirtschaft und Verbrauchern herbeigeführt werden.
Zusatz-
frage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob bei einer solchen Änderung auch die Möglichkeit besteht, im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Förderung der Energieeinsparung Verwaltungsvereinfachungen herbeizuführen?
8732 Deutscher Bundestag 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das wird e i n Bemühen sein. Im Vordergrund steht natürlich, wie bei allen Änderungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die Position der Verbraucher zu stärken.
Darf ich Sie fragen, welche Zeitvorstellungen die Bundesregierung hinsichtlich der Vorlage einer neuen Verordnung hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wir werden dem Bundesrat in Kürze einen entsprechenden Verordnungsentwurf zuleiten. Ich kann Ihnen jetzt keine genaueren Zeitangaben machen. Aber es wird eine kurze Zeit sein.
Eine
Zusatzfrage, Herr Kollege Bindig.
Hat die Bundesregierung . die Absicht, bei der Änderung der Bundestarifordnung Elektrizität auch die sogenannte Bestabrechnung zu berücksichtigen oder gar als verbindliche Regelung für die Elektrizitätsunternehmen zu empfehlen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Diese Absicht besteht.
Der Herr
Abgeordnete Lenzer hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Fragen 39 und 40 gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft beantwortet Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Gallus zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 41 des Abgeordneten Heyenn auf:
Was will die Bundesregierung gegen die Entwicklung in der europäischen Milchpolitik unternehmen, die den Steuerzahler der Europäischen Gemeinschaft inzwischen eine Million DM stündlich oder ca. 10 Milliarden DM jährlich kostet?
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, die Kosten der Milchmarktordnung für den europäischen Steuerzahler können nur im größeren Zusammenhang bewertet werden:
Erstens. Die Milchviehhaltung stellt in weiten Teilen der Gemeinschaft, vor allem in den von der Natur benachteiligten und wirtschaftlich schwach entwickelten Regionen, eine wesentliche Einkommensgrundlage dar. In der EG entfallen fast 20 %
des Wertes der landwirtschaftlichen Erzeugung auf die Milch.
Zweitens. Milcheiweiß und Milchfett stehen in der menschlichen Ernährung und in der Fütterung in
Konkurrenz zu pflanzlichem Fett und Eiweiß, die aus verbraucher-, entwicklungs- und außenhandelspolitischen Gründen zu Weltmarktpreisen eingeführt werden. So trägt das billig eingeführte Kraftfutter wesentlich zur Steigerung der Milcherzeugung je Kuh in der EG bei.
Drittens. Aus gesamtpolitischen Gründen hat sich die Gemeinschaft vertraglich zur Einfuhr von Butter und Käse aus Drittländern zu Sonderbedingungen verpflichtet.
Zur Lösung der Milchmarktprobleme sind nach Auffassung der Bundesregierung gleichermaßen produktionseinschränkende wie absatzfördernde Maßnahmen notwendig. So umfaßt das Aktionsprogramm Milch 1977 bis 1980, das im Frühjahr 1977 — nicht zuletzt auf deutsches Drängen — vom EG-Ministerrat beschlossen wurde, eine Kombination verschiedener Maßnahmen, die inzwischen verwirklicht wurden: vorsichtige Milchpreispolitik, Einschränkung der Milchviehhaltung durch Nichtvermarktungs- und Umstellungsprämien, Beteiligung der Landwirtschaft an der finanziellen Last des EGMilchmarktes durch die Mitverantwortungsabgabe sowie schließlich Ausweitung des Absatzes von Milch und Milcherzeugnissen durch Verbilligungsmaßnahmen, z. B. Schulmilch, Molkereibutteraktion.
Die Kommission hat Ende September 1978 einen Bericht zur Lage auf dem Milchsektor vorgelegt. In diesem Bericht wird dargelegt, daß die bisher ergriffenen Maßnahmen in die richtige Richtung gehen, daß aber eine Bindung des Instrumentariums, vor allem der Preispolitik, an die Produktionsentwicklung erforderlich ist. Auf Grund dieses Berichts will die Kommission im Rahmen der Preisvorschläge für 1979/80 auch Vorschläge für im Milchsektor zu ergreifende Maßnahmen vorlegen.
Die Bundesregierung wird wie in der Vergangenheit geeignete Schritte zur Wiederherstellung des Gleichgewichts auf dem EG-Milchmarkt unterstützen.
Eine
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, daß die bisherigen Maßnahmen in die richtige Richtung gehen. Haben die bisherigen Maßnahmen eine Abnahme oder eine Zunahme des jährlichen Zuschußbedarfs bewirkt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Die Situation ist die, daß insbesondere die Abschlachtaktion noch nicht voll zur Wirksamkeit gekommen ist, da den Landwirten nach Genehmigung des Antrages eine Frist von sechs Monaten eingeräumt wird, innerhalb derer sie die Milchanlieferung einzustellen haben. Das Ergebnis ist also erst zu einem späteren Zeitpunkt feststellbar.
Andererseits können wir sagen, daß die Maßnahmen wohl zu einer Verminderung des Problems insgesamt geführt haben, auch wenn auf Grund des diesjährigen guten Futterwuchses eine zusätzliche Steigerung der Milchproduktion in der EG eingetreten ist.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — W. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8733
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es in der Bundesregierung Überlegungen, die bestehende Situation dadurch zu verbessern, daß man die bisherigen staatlichen Preisgarantien für Milch lockert?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß das System der EG-Marktordnungen grundsätzlich geändert werden sollte. Sie hält jedoch, wie ich in meiner Antwort dargelegt habe, gewisse Korrekturen, die die EG-Kommission ja auch angedeutet hat, für notwendig.
Herr
Abgeordneter Dr. Ritz, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die von Ihnen skizzierten Schritte in die richtige Richtung auch deshalb an Effizienz verlieren, weil einige Länder der Gemeinschaft aus ganz anderen, für sie selbst durchaus legitimen Gründen an einer Ausweitung der Produktion interessiert sind, etwa um Devisen einzusparen, um die Handelsbilanz zu verbessern, und daß eben von dieser Seite Maßnahmen im Rahmen der Milchmarktordnung unterlaufen werden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies gilt wohl für ein oder zwei Länder in der EG, aber insgesamt können wir doch heute sagen, daß sich auf Grund der großen Schwierigkeiten, die auf dem Milchsektor in der EG allenthalben bestehen, eine große Bereitschaft abzeichnet, das Problem im Sinne eines Ausgleichs am Markt zwischen Angebot und Nachfrage intensiv anzupacken.
Herr Abgeordneter Bindig, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie die in der Antwort auf die Frage des Kollegen Heyenn eben angedeuteten möglichen Korrekturen noch etwas präzisieren?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Nun, einen Teil dessen, was wir machen, habe ich schon angesprochen. Zum anderen glaube ich, daß es klug ist, zunächst einmal abzuwarten, welche Vorschläge die Kommission in bezug auf die weitere Bereinigung der Überschußsituation am europäischen Milchmarkt macht.
Ich rufe Frage 42 des Abgeordneten Heyenn auf:
Wieviel ist für die letzte Abschlachtaktion von der Europäischen Gemeinschaft bzw. der Bundesrepublik Deutschland aufgewendet worden, und wie beurteilt die Bundesregierung den Erfolg dieser Maßnahme?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach Angaben der Kommission der EG wurden in der Zeit vom 1. Juli 1977 bis zum 30. September 1978 in der Gemeinschaft Anträge für etwa 520 000 Milchkühe genehmigt. Davon entfallen rund 260 000 Milchkühe auf die Bundesrepublik Deutschland. Dies entspricht einer jährlichen Milchmenge von ca. 2 Millionen t In der EG. Die Prämien, die sich nach der Höhe der Milchanlieferung richten, wurden bzw. werden in mehreren Raten in den Jahren 1977 bis 1983 gezahlt. Für die bisher génehmigten Anträge ist insgesamt rund 1 Milliarde DM aus EG- Mitteln aufzuwenden.
Auswirkungen auf den Markt treten erst mit zeitlicher Verzögerung ein, da den Landwirten nach Genehmigung des Antrags eine Sechs-Monate-Frist bis zur Einstellung der Milchanlieferung eingeräumt ist. Nach den bisherigen Erfahrungen kann die Nichtvermarktungs- und Umstellungsprämie als ein konstruktiver Beitrag zur Wiederherstellung des Gleichgewichts auf dem Milchmarkt angesehen werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Stutzer.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wieviel Melker als Folge dieser Abschlachtaktion bisher ihren Arbeitsplatz verloren haben? Falls Sie die Zahl nicht im Kopf haben sollten, können Sie sie mir schriftlich mitteilen.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe sie nicht im Kopf. Aber entsprechend der Struktur der europäischen Landwirtschaft werden es nur sehr wenige hauptberufliche Melker sein, die dadurch den Arbeitsplatz verlieren, da es sich weitgehend um bäuerliche Familienbetriebe handelt, in denen bisher der Betriebsleiter selber das Melken besorgt hat. Ich bemühe mich jedoch, diese Zahl zu ermitteln. Ich werde sie Ihnen dann mitteilen.
Herr Kollege, ich glaube, zu einer politischen Abschlachtaktion wird es nicht reichen.
Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Dr. Ritz auf:Treffen nach dem Erkenntnisstand der Bundesregierung Informationen zu, nach denen die niederländische Regierung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Investitionszuschüsse in Höhe von 27 bis 47 v. H. auch für Investitionen der landwirtschaftlichen Veredelungswirtschaft gewährt, und sieht die Bundesregierung gegebenenfalls hierin einen Zusammenhang zu der überdurchschnittlichen Ausweitung sowohl der niederländischen Eier- und Geflügelproduktion als auch der Milchproduktion?GallUs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Ritz, es trifft zu, daß die niederländische Regierung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Investitionszuschüsse gewährt. Sie dürften im Schnitt an der Untergrenze der zitierten Prozentsätze liegen.Die Kommission der EG hat das niederländische Investitionshilfegesetz nach eingehenden Verhandlungen mit der niederländischen Regierung gebilligt. Ich darf insoweit auf die Mitteilung der Kommission im Amtsblatt Nr. C 114 vom 17. Mai 1978, Seite 3, hinweisen.Für die Ausweitung der niederländischen Milch-, Eier- und Geflügelproduktion gibt es eine ganze
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8734 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
die niedrigen Preise für importierte Futtermittel und den günstigen Standort der holländischen Veredler für den Zukauf der Futtermittel, die Entwicklung der Preisrelationen innerhalb der landwirtschaftlichen Produkte, gezielte Produktions- und Absatzstrategien der einschlägigen Wirtschaft usw.
Ohne daß man die Wirkung der Investitionsbeihilfen genau ermitteln kann, wird man davon ausgehen müssen, daß sie bei der beobachteten Kapazitätsausweitung nicht ohne Bedeutung sind. Die Bundesregierung hat die Kommission bereits im September eindringlich auf die möglichen Auswirkungen der holländischen Regelung auf den deutschen und den EG-Markt hingewiesen. Wegen des Gesamtkomplexes wird die Bundesregierung die Kommission erneut befassen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sehen nicht auch Sie in solchen Maßnahmen wie derjenigen der holländischen Regierung entscheidende Wettbewerbsverzerrungen, gerade angesichts der Tatsache, daß etwa für Investitionen im Geflügelbereich im Rahmen der einzelbetrieblichen Förderung in der Bundesrepublik keinerlei Investitionshilfen gewährt werden und daß es ja konkrete Überlegungen gibt, Investitionen im Bereich der Milchviehhaltung abzubauen bzw. radikal zu vermindern?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, ich habe deutlich gemacht, daß wir mit der jüngsten holländischen Maßnahme nicht einverstanden sind. Diese Maßnahme allein kann andererseits nicht als bestimmend für den harten Wettbewerb zwischen den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland auf dem Veredelungssektor angesehen werden.
Noch
eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da möchte ich noch einmal nachbohren. Meinen Sie nicht, daß angesichts der beachtlichen Investitionskosten Investitionszuschüsse in der Größenordnung von 35 %im Schnitt doch ganz erheblich sowohl zur Produktionsausweitung als auch zu unerträglichen Wettbewerbsverfälschungen führen? Reicht einfach ein verbaler Protest aus, oder muß hier nicht die notwendige Brücke zwischen den agrarpolitischen Zielen einerseits und nationalen und wirtschaftspolitischen Zielen andererseits viel energischer in Angriff genommen werden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, im Grundsatz teile ich Ihre Auffassung. Aber es ist doch wohl so, daß in den einzelnen Mitgliedstaaten — also nicht allein auf die Bundesrepublik Deutschland und die Niederlande bezogen — sehr unterschiedliche Förderungsmaßnahmen in bezug auf die Konjunktur bestehen. Ich muß mich indes dagegen ver-
wahren, daß dies allein die Wettbewerbssituation zwischen den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland kennzeichnet.
Herr
Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantwortet.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Buschfort zur Verfügung.
Ich rufe Frage 44 des Herrn Abgeordneten Dr. Becker auf:
Wie hat sich durch die Einführung der flexiblen Altersgrenze in der Rentenversicherung die durchschnittliche Rentenbezugsdauer seit 197Z verändert?
Herr Präsident, wenn es gestattet ist, möchte ich gerne die Fragen 44 und 45 gemeinsam beantworten.
DerHerr Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe daher auch die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Dr. Becker auf:Welche finanziellen Mehrbelastungen sind durch die Einführung der flexiblen Altersgrenze in der Rentenversicherung bisher bei den Rentenversicherungsträgern eingetreten, und wie schätzt die Bundesregierung die finanziellen Mehrbelastungen für die Dauer der nächsten 15 Jahre ein?Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Becker, die durch das Rentenreformgesetz 1972 eingeführte flexible Altersgrenze ist fast ausschließlich von Männern in Anspruch genommen worden, so daß nennenswerte Auswirkungen auf die durchschnittliche Rentenbezugsdauer auch nur bei Versichertenrenten an Männer erwartet werden können. Im Laufe der Zeit werden sich wegen der flexiblen Altersgrenze die durchschnittlichen Rentenbezugszeiten tendenziell erhöhen. Im Augenblick kann sich das aber in den Statistiken noch nicht niederschlagen, da flexible Altersruhegelder erst seit maximal fünf Jahren laufen können. Die durchschnittliche Erhöhung wird sich langfristig bei den Versichertenrenten an Männer auf ein viertel bis ein halbes Jahr belaufen. Die relativ geringe Erhöhung erklärt sich daraus, daß für die Berechnung der durchschnittlichen Rentenbezugszeiten nicht nur alle Altersruhegelder, sondern auch die Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten mit einbezogen werden müssen.Zu Ihrer zweiten Frage bemerke ich: Die durch die Einführung der flexiblen Altersgrenze bedingten Mehrausgaben beliefen sich bis Ende 1977 schätzungsweise auf knapp 15 Milliarden DM einschließlich der Zinsausfälle. Das entspricht den Vorausberechnungen für das Rentenreformgesetz 1972. In die Vorausberechnungen des Rentenanpassungsberichts 1978 sind die von 1978 bis 1992 entstehenden Mehraufwendungen durch die flexible Altersgrenze mit knapp 100 Milliarden DM eingegangen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8735
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie würde sich bei einer weiteren Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze in der Altersversicherung. eine entsprechende Ausweitung der Rentenbezugsdauer auswirken?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann Ihnen die genaue Zahl jetzt nicht mitteilen. Ich will sie gerne nachreichen. Aber tendenziell müßte man hier sagen, daß mit jedem weiteren Jahr eine verhältnismäßig größere Steigerung eintreten muß, da die jüngeren Jahrgänge von der Zahl her größer sind.
Zweite Zusatzfrage.
Sind in die finanziellen Mehraufwendungen auch die Belastungen für die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen worden, die durch die Ausfälle von Krankenversicherungsbeiträgen entstanden sind?
Buschfort, Parl. Staatsekretär: Herr Kollege, würden Sie Ihre Frage bitte wiederholen?
Sind bei den Angaben über die Mehrbelastung durch die Einführung der flexiblen Altersgrenze auch die Ausfälle in der gesetzlichen Krankenversicherung mit berücksichtigt worden, die durch die geringere Beitragszahlung entstanden sind?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Becker, ich gehe davon aus, daß jedenfalls die Kosten für die Krankenversicherung der Rentner in die Gesamtberechnung für die flexible Altersgrenze einbezogen sind. Ich will aber Ihre Frage noch einmal überprüfen lassen und eine Antwort nachreichen. Es hat ja insofern auch Rechtsänderungen gegeben.
Dritte Zusatzfrage.
Dr. Becker (CDU/CSU)': Wie würde sich die finanzielle Mehrbelastung bei einer weiteren Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze in der Altersversicherung auswirken, wenn Sie jetzt schon gesagt haben, daß die Mehrbelastung bis 1992 100 Milliarden DM betragen werde?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Becker, dies müßte sich im Zusammenhang mit der vorhin gemachten Zusage ergeben, nach der wir Ihnen Berechnungen für eine weitere Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze vorlegen wollen.
Ich bitte darum.
Herr Abgeordneter Müller, Sie wollten noch eine Zusatzfrage stellen.
Herr Staatssekretär, haben Sie bei Ihren Berechnungen auch die längere Lebenserwartung, die auf Grund der flexiblen Altersgrenze in Erscheinung tritt, und auf lange Sicht auch die eventuell geringere Zahl an Beitragszahlern mit berücksichtigt?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, natürlich setzen wir die Lebenserwartung bei unseren Berechnungen ein. Wenn Sie allerdings mit Ihrer Frage meinen, durch die Einführung der flexiblen Altersgrenze steige die Lebenserwartung, dann muß ich gestehen, daß ich Ihnen das nicht beantworten kann. Ich glaube kaum, daß • es jemanden gibt, der das heute schon könnte.
Herr Abgeordneter Höpfinger, Sie wollten noch eine Zusatzfrage stellen. Danach gehen wir zu der Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup weiter.
Herr Staatssekretär, stellt die Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze die Regel dar, oder ist sie noch eine Ausnahme?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Die Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze ist keine Ausnahme. Im Jahre 1972 sind wir bei der Schätzung der Inanspruchnahme von 70 °/o ausgegangen. Ich kann heute wohl bestätigen, daß die Inanspruchnahme zwischen 70 und 80 % liegt.
Ich rufe die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup auf:Kann die Bundesregierung mitteilen, wie hoch für 1976, 1977 und das erste Halbjahr 1978 die Arbeitslosenzahl und die Arbeitslosenquote wäre, wenn die im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Beschäftigten sowie die in Umschulungs-, Fortbildungs- und ähnlichen Einriditungen befindlichen Personen mit zu der Zahl der Arbeitslosen hinzugezählt würden?Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Zahl der Beschäftigten im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sowie die Zahl der Teilnehmer an Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen sind das sichtbare Ergebnis einer aktiven Arbeitsmarktpolitik. Eine Vermischung dieser Zahlen mit der Zahl der Arbeitslosen halte ich für problematisch. Die beträchtlichen Entlastungswirkungen arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen gehören auf die Aktivseite der Bilanz und können nicht einfach als Passivposten abgebucht werden. Ich bin jedoch gern bereit, Ihnen die absoluten Teilnehmerzahlen für die von Ihnen angegebenen Jahre zu nennen.Die durchschnittliche Zahl der in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigten Arbeitnehmer betrug 28 842 im Jahre 1976, 37 754 im Jahre 1977 und 45 727 im ersten Halbjahr 1978. Die entsprechenden Zahlen für die Teilnehmer an Maßnahmen zur beruflichen Fortbildung, Umschulung und Einarbei-
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8736 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
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1976: 143 395, 1977: 112 327, im ersten Halbjahr 1978: 116 633. Diese Werte basieren auf vierteljährlichen Stichtagsangaben.
Der Fragesteller wünscht keine Zusatzfrage zu stellen. Herr Abgeordneter Stutzer zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie nannten eben unter anderem Zahlen von Teilnehmern an Fortbildungsmaßnahmen. Können Sie auch die Zahl von Teilnehmern an Maßnahmen in Werkstätten für Behinderte nennen, die eine Arbeitsvermittlung anstreben und die gegebenenfalls — ich möchte hierbei die Intensivgruppen, also die Schwerstbehinderten ausklammern — auch unter Anrechnung eines Pflichtplatzes nach dem Schwerbehindertengesetz für eine Arbeitsvermittlung in Betracht kommen? Können Sie mir sagen, wie groß diese Zahl ist? Wenn Sie es nicht im Kopf haben: Können Sie es mir schriftlich mitteilen?
Herr
Kollege, einen Augenblick. Zunächst bin ich ganz sicher, daß der Herr Staatssekretär die Zahlen nicht im Kopf haben kann. Die Ursprungsfrage war auf einen ganz konkreten Personenkreis gerichtet. Ich bitte um Verständnis, daß ich Ihre Zusatzfrage dann, wenn der Herr Staatssekretär die zur Beantwortung erforderlichen Zahlen nicht hier hat, nicht zulassen kann. Sie müßten sich dann entweder schriftlich oder in der Fragestunde an das Ministerium wenden. Bitte, Herr Staatssekretär.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will dies gern überprüfen lassen und Ihnen die Angaben schriftlich nachreichen.
Die Fra-
ge 47 ist von dem Herrn Abgeordneten Lutz eingereicht:
Ist nach der Auffassung der Bundesregierung der DienstblattRunderlaß Nr. 230/78 vom 8 August 1978 der Bundesanstalt für Arbeit mit den Zumutbarkeitskriterien nach § 103 des Arbeitsförderungsgesetzes vereinbar, und ist die Bundesregierung bereit, sich im Wege der Rechtsaufsicht dafür einzusetzen, eine Korrektur des Erlasses herbeizuführen?
Herr Staatssekretär, haben Sie die Absicht, die beiden von Herrn Abgeordneten Lutz eingebrachten Fragen gemeinsam zu beantworten?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Ja, gern. Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Der Herr
Kollege Lutz ist einverstanden. Dann rufe ich noch seine Frage 48 auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die DienstblattRunderlaßNr. 230/78 vom 8. August 1978 der Bundesanstalt für Arbeit einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen des Arbeitslosen auf weitgehende Berücksichtigung seiner sozialen und beruflichen Verhältnisse und Vorstellungen und den arbeitsmarktpolitischen Erfordernissen herbeizuführen geeignet ist, und wenn nein, welche Folgerungen zieht sie daraus?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Der Runderlaß des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit vom 8. August 1978 hält sich im Rahmen des zur Zeit geltenden § 103 des Arbeitsförderungsgesetzes. Für eine
Korrektur im Wege der Rechtsaufsicht besteht daher gegenwärtig keine rechtliche Möglichkeit.
Die Bundesregierung bereitet jedoch im Rahmen der 5. Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes eine Neufassung des § 103 vor. Darin sollen auch die Fragen der beruflichen und regionalen Mobilität so konkretisiert werden, daß ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitslosen — insbesondere unter Berücksichtigung ihrer familiären und persönlichen Verhältnisse — und den arbeitsmarktpolitischen Erfordernissen herbeigeführt wird. Ich gehe davon aus, daß die Bundesanstalt den Runderlaß spätestens mit Inkrafttreten dieser Novelle dem geltenden Recht anpassen wird. Die Bundesregierung ist bereits jetzt bemüht, in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit diejenigen Formulierungen zu überarbeiten, die insbesondere hinsichtlich der Fragen der beruflichen und der räumlichen Mobilität in der Öffentlichkeit zu Mißdeutungen geführt haben.
Zusatz-
frage.
Herr Staatssekretär, ich bin für die Antwort sehr dankbar. Aber ist der Bundesregierung bekannt, ob die Bundesanstalt für Arbeit bei der Entscheidung über den Runderlaß die Beschlüsse des zuständigen Ausschusses des Deutschen Bundestags in ausreichendem Maß in die Meinungsbildung einbezogen hat? Denn wir hatten ja beim Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur exakt formuliert, was nach unserer Ansicht möglich ist und was nicht möglich ist.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lutz, die Bundesanstalt für Arbeit erhält nach Kenntnis der Bundesregierung die Gesetzgebungsmaterialien der sie betreffenden Gesetze. Die. Bundesregierung geht deshalb davon aus, daß die Bundesanstalt auch bei der Abfassung des Runderlasses Nr. 230/78 die Begründung des Regierungsentwurfs des Haushaltsstrukturgesetzes und den schriftlichen Bericht des federführenden Ausschusses beigezogen und berücksichtigt hat.
Eine wei-
tere Zusatzfrage.
Herr Präsident, ich möchte den Herrn Staatssekretär gern fragen, ob die Bundesregierung nicht prinzipiell der Meinung ist, daß obere Bundesbehörden sich bei der Auslegung von Gesetzen darüber informieren müssen, was in den Berichten der Bundestagsausschüsse als auch im Plenum des Bundestages diskutiert worden ist. Wenn das so ist, dann muß ich, Herr Staatssekretär, noch mal insistierend sagen — —
Insistierend fragen, Herr Kollege!
Danke schön, Herr Präsident! — — insistierend fragen, ob Sie nicht der Meinung sind,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8737
Lutzdaß die Bundesanstalt für Arbeit dies nicht getan hat.Buschfort, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege Lutz, die Bundesregierung teilt Ihre Auffassung, daß die Bundesanstalt für Arbeit die Beschlüsse des Bundestags und auch den Inhalt von Ausschußberichten bei der Auslegung zu berücksichtigen hat.
Herr Kol-
lege, wollen Sie eine dritte Zusatzfrage stellen?
Ja. Ich habe noch zwei Fragen, Herr Präsident, wenn es recht ist. Die nächste Frage lautet, Herr Staatssekretär: Ist die Bundesregierung der Meinung, daß der von Ihnen jetzt vorgelegte Referentenentwurf der 5. AFG-Novelle eine Möglichkeit bietet, auf parlamentarischem Weg diesen Dienstblatt-Runderlaß außer Kraft zu setzen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wie ich bereits sagte, gehen wir davon aus, daß der Bundestag die 5. Novelle zum AFG alsbald verabschieden wird. Ich kann noch mitteilen, daß wir davon ausgehen, daß das Kabinett diese 5. AFG-Novelle noch im November behandeln wird. Bei zügiger Beratung könnte die Bundesanstalt für Arbeit auch insofern den Runderlaß alsbald entsprechend anpassen.
Ihre
letzte Zusatzfrage, Herr Kollege Lutz.
Herr Staatssekretär, der Referentenentwurf der 5. AFG-Novelle ist ja bereits den Ver- bänden zugeleitet worden; auch die Fraktionen haben ihn. Sind Sie der Meinung, daß die Definition des Begriffs Zumutbarkeit in dieser 5. Novelle dem entspricht, was die Regierung und was wir wollen, und daß dieser Text ausreicht, die Bundesanstalt von anderen exzessiven Auslegungen abzuhalten?
Diese
Wertung wollen wir streichen, nicht wahr. Bitte, Herr Staatssekretär.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lutz, wie schon in dem Wort deutlich wird, handelt es sich um einen Referentenentwurf. Er ist den Verbänden zugeschickt worden. Wir gehen davon aus und erwarten, daß die Verbände und Organisationen Stellungnahmen abgeben. Sie wissen, daß Entwürfe nach den Anhörungen immer noch korrigiert wurden. Wenn das nicht bei den Anhörungen der Organisationen erfolgte, dann hat spätestens der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Änderungen vorgenommen. Ich gehe davon aus, daß wir gemeinsam die bestmögliche Regelung anstreben, und rechne schon heute damit, daß der Entwurf der 5. AFG-Novelle noch an mancher Ecke korrigiert werden wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stutzer.
Herr Staatssekretär, können I Sie Presseberichte bestätigen, laut denen in der Beurteilung des Runderlasses 230/78 Differenzen zwischen dem Bundeskanzler und dem Bundesarbeitsminister bestehen; wenn ja, wieso bestehen sie?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann das nicht bestätigen. Denn ich weiß, daß der Herr Bundesarbeitsminister und der Herr Bundeskanzler sich über diese Frage inhaltlich voll verständigt haben. Wenn ich aber einen Schritt weitergehen darf, möchte ich hinzufügen: Ich habe den Eindruck gewonnen, daß zwischen der Auffassung des Herrn Abgeordneten Müller und des Herrn Abgeordneten Schedl aus Ihrer Fraktion beachtliche Differenzen bestehen.
Ich schlage vor, daß wir die Äußerungen von Kollegen nicht in Fragen und Antworten einbeziehen. Bitte, Herr Abgeordneter Müller.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, mir zu bestätigen, daß • der jetzige Wortlaut des § 103 des Arbeitsförderungsgesetzes, insbesondere was den Absatz 1 a betrifft, der die Kriterien der Zumutbarkeit einer Beschäftigung enthält, von der SPD und der FDP beantragt, von diesen im federführenden Ausschuß bei Stimmenthaltungen der CDU/CSU angenommen und von dem Kollegen Lutz — wenn ich mich nicht irre — u. a. wie folgt begründet wurde — ich zitiere —
Herr Kol-
lege, ich bitte um Verständnis. Im Rahmen einer Zusatzfrage können Sie hier jetzt nicht auch noch lange Zitate bringen.
Das ist hier für die Beurteilung aber wichtig.
Herr Kol-
lege, ob das wichtig ist, ist nicht das Kriterium. Das nach der Geschäftsordnung entscheidende Kriterium ist, daß die Zusatzfrage knapp und klar ist. Also, einen Satz oder zwei Sätze noch, bitte.
Ich zitiere:Es sei jedoch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu prüfen, ob dem Arbeitslosen der erhöhte zeitliche oder finanzielle Aufwand, unter Umständen sogar ein Umzug zuzumuten sei.Dies enthält der Runderlaß.Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, der Streit geht nicht um den Text des § 103 AFG. Die Diskussion geht vielmehr um den Runderlaß, und da gibt es nun in der Tat mißverständliche Formulierungen. Weil deshalb Mißdeutungen möglich waren oder auch noch möglich sind, beabsichtigen wir mit dem 5. AFG eine Neuformulierung, damit mehr Sicherheit eintritt.
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8738 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Eine
letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Höpfinger. Dann gehen wir zur nächsten Frage über.
Herr Staatssekretär, liegt dem Runderlaß 230/78 der Bundesanstalt für Arbeit keinerlei Weisung oder kein Fingerzeig Ihres Hauses zugrunde?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Nein. Unser Haus ist an diesem Runderlaß eigenständig nicht beteiligt. Dies ist Aufgabe der Selbstverwaltung. Wenn Sie jetzt allerdings fragen würden, ob wir im Rahmen der Selbstverwaltung beteiligt waren, dann müßte ich sagen: ja.
Ich lasse
noch, weil 'ich es übersehen hatte, eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kirschner zu. Dann ist aber Schluß.
Herr Staatssekretär, bei der Beratung zum AFG kam in den Ausschußberatungen klar zum Ausdruck, daß der Ausschuß zwar will, daß z. B. ein Techniker eine Facharbeitertätigkeit oder ein Betriebswirt eine Tätigkeit als kaufmännischer Gehilfe ausüben kann, daß er aber nicht will, daß ein Diplom-Volkswirt oder ein Diplom-Ingenieur eine Tätigkeit als Hofkehrer auszuüben hat; eine solche Interpretation ließe dieser Runderlaß ja zu. Sind Sie nicht auch der Auffassung, daß der Runderlaß in diesem Punkt eindeutig gegen den Willen des Ausschusses verstößt?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Wort „eindeutig" würde ich nicht unterstreichen wollen. Ich will aber wohl zugestehen, daß wir diese Frage ganz behutsam behandeln müssen und daß es schon einer längerfristigen Beobachtung, Beratung und Betreuung bedarf, bevor man einen Arbeitnehmer herunterstuft. Das gilt sowohl für eine erste Stufe als auch — möglicherweise unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktsituation — für weitere Stufen. Hier muß man aber, glaube ich — es kommt mir darauf an, das noch einmal zu sagen —, die persönlichen Umstände des einzelnen besonders berücksichtigen.
Die Fra-
gen 49 und 50 sind vom Abgeordneten Augstein eingebracht. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich 'beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung beantwortet. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Ich komme nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Bülow zur Verfügung.
Die Fragen 51 und 52 sind vom Herrn Abgeordneten Pawelczyk eingebracht. Der Herr Abgeordnete hat um schriftliche Beantwortung der eingereichten Fragen gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 53 der Frau Abgeordneten Krone-Appuhn auf:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach sich die Inbetriebnahme des Mehrzweckkampfflugzeuges MRCA „Tornado" durch technische Probleme mit den Triebwerkschaufeln um ein halbes Jahr verzögert, und was bedeutet diese Verzögerung gegebenenfalls vor allem für die Präsenz der Bundesmarine?
Herr Staatssekretär.
Gestatten Sie, daß ich beide Fragen im Zusammenhang beantworte?
Die Frau
Fragestellerin ist einverstanden. Ich rufe also auch die Frage 54 der Frau Abgeordneten Krone-Appuhn auf:
Was gedenkt das Bundesverteidigungsministerium zu tun, um ähnliche Pannen in Zukunft zu verhindern, und wie wird die Zeit bis zur Auslieferung des Kampfflugzeugs „Tornado" überbrückt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es ist richtig, daß sich, gemessen an der ursprünglichen Planung, die Erstauslieferung des „Tornado" verzögert. Der Zulauf der ersten. Serienflugzeuge war ab Juni 1979 vorgesehen und kann nunmehr erst Ende 1979/Anfang 1980 erwartet werden. Diese Verzögerung ist fast ausschließlich auf Produktionsschwierigkeiten unseres britischen Partners zurückzuführen.
Die angesprochenen technischen Probleme des Triebwerks verzögern den Zulauf nicht. Die weitergeführte Entwicklung technisch noch unbefriedigender Bauteile soll vorwiegend die bisherige Lebensdauer der Triebweikskomponenten erhöhen.
Die erkannten Verzögerungen in der Produktion wirken sich auf den Umrüstplan dahin gehend aus, daß das Marinefliegergeschwader 1 mit dem Zulauf der Flugzeuge etwa sechs Monate später rechnen muß. Eine Beeinträchtigung der militärischen Präsenz ist jedoch durch den unveränderten Einsatz der F-104 gewährleistet. Das war von vornherein als Sicherheit mit berücksichtigt.
Zu Ihrer zweiten Frage, Frau Kollegin: Produktionsverzögerungen bei einem trinationalen Programm können nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Nach Bekanntwerden der britischen Industriesituation sind eine Reihe von Maßnahmen veranlaßt worden, die die Verzögerung bis etwa 1983 aufholen sollen. Danach ist damit zu rechnen, daß das Marinefliegergeschwader 2 im ursprünglichen Planungszeitraum, d. h. vom November 1984 bis November 1985, umrüsten kann. Bis zur Einführung des „Tornado" werden die Geschwader unverändert die F-104 einsetzen. Besondere Überbrückungsmaßnahmen sind aus militärischer Sicht nicht erforderlich.
EineZusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8739
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß das Triebwerk, das von Rolls-Royce in Zusammenarbeit mit MTU entwickelt worden ist, noch nicht zuverlässig ist?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Sie wissen ja, Frau Kollegin, daß beim „Tornado" zum erstenmal der Weg beschritten wurde, die drei wichtigsten Komponenten — die Zelle, die Avionik und das Triebwerk — gleichzeitig nach neuester Technologie zu entwickeln. Das brachte eine gewisse Problematik mit sich.
Wir bewegen uns bei der Entwicklung des Triebwerks des „Tornado" an sich mehr oder weniger in dem vorgegebenen Rahmen. Die Abweichungen betragen etwa 3 bis 5 % Es wird versucht, das noch aufzuholen. Das Triebwerk hat in einigen Bereichen Leistungen, die unsere Erwartungen übertreffen, während es in anderen Bereichen Leistungen erbringt, die um 3 bis 5 % noch unterhalb unserer Erwartungsgrenze bzw. der Sollgrenze liegen.
Eine
weitere Zusatzfrage.
Bedeutet es nicht eine Gefahr für die Sicherheit der auszubildenden Mannschaft in Südengland, wenn man noch nicht ganz sicher sein kann, daß das Kampfflugzeug MRCA „Tornado" wirklich voll ausgereift ist?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Es wird kein Flugzeug in die Truppe gehen, das nicht den voll ausgereiften Zustand erreicht hat.
Die Fragen 55 des Abgeordneten Würtz und 56 des Abgeordneten Dr. Langguth werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Nunmehr kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Zander zur Verfügung.
Der Abgeordnete Dr. Reimers hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage 57 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Kann die Bundesregierung darüber Auskunft geben, welche und wieviel der zu den sogenannten Jugendreligionen zu zählenden Gemeinschaften in der Bundesrepublik Deutschland den Status eines gemeinnützigen eingetragenen Vereins haben?
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Herr Abgeordneter Ey, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung bereits heute endgültige Erkenntnisse darüber vor, ob die regional unterschiedlichen Versuche mit dem neuen Eilzugsystem zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt haben?
Haar, Parl. Staatssekretär: Sie konnten bereits meiner Antwort auf die letzte Frage entnehmen, daß wir die bisher vorliegenden Ergebnisse nicht so werten, daß dieses Regionaleilzugsystem sich bereits in allen Phasen bewährt hat. Hier gibt es unterschiedliche Erfahrungen, Herr Kollege.
Ich rufe die Frage 72 des Abgeordneten Straßmeir auf:
Ist die Bundesregierung in der Lage, die dringend erforderliche Neuregelung der Subventionen für den Flugverkehr von und nach Berlin rechtzeitig zu den Beratungen des Bundeshaushalts 1979 vorzulegen?
Es wäre höchst reizvoll, ob der Herr Staatssekretär etwas anderes sagt als der Herr Staatsminister im Auswärtigen Amt. Die Frage ist heute mittag schon behandelt worden. Aber ich rufe sie auch formell auf.
Haar, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat den Vorsitzenden der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien zur Neugestaltung der Flugpreissubventionierung im Berlin-Verkehr auftragsgemäß einen Zwischenbericht vorgelegt. Sie wird zur Gesamtproblematik abschließend berichten, wenn die Gespräche mit den Fluggesellschaften der Alliierten geführt sind und wenn im Anschluß hieran alle anstehenden Fragen einer eingehenden Prüfung unterzogen worden sind.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, dies war keine Beantwortung der gestellten Frage. Deswegen will ich noch einmal präzisieren — —
.Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Herr Kollege, eine solche Bewertung haben Sie nicht vorzunehmen. Sie dürfen nur erneut fragen — um das ausdrücklich zu sagen.
Ich frage erneut. Herr Staatssekretär, wenn die Bundesregierung jetzt erst mit den Alliierten gesprochen hat, die Verhandlungen mit den beteiligten Fluggesellschaften ausstehen, der Bundesverkehrsminister grundsätzliche verkehrspolitische Erwägungen noch anstellen will und der Senat von Berlin trotz Konsultation in sich divergierende Auffassungen zu diesem Problem
vorgetragen hat: Wie, glauben Sie, soll rechtzeitig zu den Haushaltsberatungen 1979 ein exakter Vorschlag vorliegen?
Haar, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich beziehe mich auf die bereits abgegebene Stellungnahme des Herrn Kollegen von Dohnanyi und darf Ihnen sagen: Bei der Prüfung einer Neugestaltung der Subventionierung der Flugpreise sollen nach dem Zwischenbericht, der bereits vorliegt, die zukünftige Entwicklung des Berlin-Luftverkehrs, die Auswirkungen der gegenwärtigen Struktur der Flugpreissubventionierung auf den Fluglinienverkehr, die Zielsetzungen für eine Neugestaltung der Flugpreissubventionierung, die Auswirkungen einer neu gestalteten Flugpreissubventionierung auf den Schienen- und den Straßenverkehr — ich verweise da auch auf die laufenden Verhandlungen — und die Auswirkungen auf die Tarifbildung im Flugverkehr berücksichtigt werden. Wir werden trotz Drängens im Rahmen der bestehenden zeitlichen Möglichkeiten versuchen, unter den Aspekten, die ich dargestellt habe, zu einem Ergebnis zu kommen.
Ich rufe die Frage 73 des Herrn Abgeordneten Straßmeir auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Bundesverkehrsministers Gscheidle, daß die Regelung der Flugpreissubventionen im Berlin-Verkehr deshalb nicht dringlich erforderlich sei, weil der Anteil im Flugverkehr auf den Berlin-Routen im Verhältnis zum Verkehr zu Lande um 12 v. H. höher liegt, als der Anteil des innerdeutschen Flugverkehrs im übrigen Bundesgebiet?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Haar, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hält es für selbstverständlich, daß, bevor eine politische Entscheidung in dieser Angelegenheit gefällt wird, alle Argumente — und dies gilt auch für die verkehrspolitischen Fakten — zusammengetragen und erörtert werden. Dazu gehören natürlich auch die Auswirkungen auf den Personenverkehr mit der Eisenbahn. Hieraus bereits eine negative Haltung des Bundesverkehrsministers hinsichtlich einer Neugestaltung der Berlin-Flugpreissubventionierung ableiten zu wollen, widerspricht diesem Prüfungsauftrag.
Der Bundesminister für Verkehr hat mehrfach betont, daß die Höhe der Subventionierung nicht rein haushaltsmäßig, sondern unter Berücksichtigung des Gesamtkomplexes Berlin zu betrachten ist.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß es wegen der fundamentalen Bedeutung der Luftkorridore für den freien Zugang nach Berlin absolut unzulässig ist, ohne Rücksicht auf die besonderen politischen Probleme Berlins mechanisch rein verkehrswirtschaftliche Vergleiche mit anderen Regionen der Bundesrepublik Deutschland anzustellen?Haar, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mechanische Betrachtungsweisen liegen der Bundesregierung in diesem Zusammenhang fern. Ich habe bereits
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8745
Parl. Staatssekretär Haarin der letzten Antwort auf die politische Bedeutung, die die Bundesregierung dieser Frage zumißt, hingewiesen.Da wir hier im übrigen auf Fakten abstellen — und ich gehe davon aus, daß auch Sie bereit sind, Fakten zu akzeptieren —, darf ich darauf hinweisen, daß im Zwischenbericht ausgeführt ist, daß der derzeitige Marktanteil des Luftverkehrs von und nach Berlin mit rund 20 °/o im Verhältnis zum Straßen- und Schienenverkehr unter Berücksichtigung der politischen und geographischen Lage Berlins als angemessen zu betrachten ist. Die entsprechende. Quote des Fluglinienverkehrs im Bundesgebiet in Höhe von rund 8 % ist eben nur bedingt vergleichbar.
Herr Kollege Dr. Pfennig, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung im Zusammenhang mit den von Ihnen zitierten Zahlen bewußt, daß nach den Berechnungen der Fluggesellschaften der Anteil ohne Charterverkehr nur 10% statt 20 % beträgt und dieser Anteil von 10 % — wenn man ihn schon mit der Relation zwischen dem Fluggastaufkommen der Lufthansa und dem Aufkommen im Straßenverkehr vergleicht — besonders gefährdet ist, weil im Berlin-Verkehr der Anteil der Geschäftsreisenden geringer ist als beim Fluggastaufkommen der Lufthansa, so daß es um so eher einer Subvention bedarf?
Haar, Parl. Staatssekretär: Sie können davon ausgehen, daß diese Zahlen — die ich im Augenblick nicht überprüfen und deren Richtigkeit ich daher nicht bestätigen kann — in jedem Falle bei der Entscheidungsfindung mit berücksichtigt werden.
Ich rufe
noch die Frage 74 des Abgeordneten Kunz auf, bitte aber um Verständnis dafür, daß ich, da wir fast am Ende der Fragestunde sind, anschließend nur eine Zusatzfrage zulassen kann:
Sind die veröffentlichten Vorschläge des Senats von Berlin hinsichtlich der Flugpreissubventionen mit der Bundesregierung in irgendeiner Form abgestimmt, und teilt sie diese?
Haar, Parl. Staatssekretär: Die vom Senat von Berlin vorgelegten Vorschläge zur Neugestaltung der. Flugpreissubventionen im Berlin-Verkehr werden in den Prüfungsauftrag der Bundesregierung eingehen, der, wie im Zwischenbericht der Bundesregierung bereits ausgeführt ist, noch nicht abgeschlossen ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, mir mitzuteilen, ob vielleicht der Katalog der Prüfungen auch deshalb so umfangreich ist, damit man wegen der erheblichen Meinungsverschiedenheiten sowohl innerhalb der Bundesregierung als auch innerhalb des Senats von Berlin vorläufig nicht zu irgendeiner Entscheidung kom-
men muß, was allerdings zu Lasten der Regelung dieser sehr wichtigen Frage geht?
Haar, Parl. Staatssekretär: Diese Frage wird von der Bundesregierung als sehr wichtig betrachtet, sie eignet sich aber nicht für parteipolitische Auseinandersetzungen.
MeineDamen und Herren, wir stehen damit am Ende der Fragestunde. Die weiteren Fragen werden schriftlich beantwortet, und die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Punkte 11 bis 14 der Tagesordnung auf:11. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Gewerbesteuergesetzes, des Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze
— Drucksachen 8/2118, 8/2116 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/2207 —Berichterstatter:Abgeordneter LöfflerAbgeordneter Dr. Riedl
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksachen 8/2200, 8/2201- Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Kreile Abgeordneter Dr. Spöri
12. Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neugestaltung des steuerlichen Kinderlastenausgleichs— Drucksache 8/2130 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/2208 —Berichterstatter:Abgeordneter LöfflerAbgeordneter Dr. Riedl
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 8/2202 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Kreile Abgeordneter Dr. Spöri
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8746 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen13. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung für Schwerbehinderte
— Drucksache 8/2119 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/2210 —Berichterstatter:Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinb) _Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 8/2181 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. George
14. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes— Drucksache 8/2120 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/2209 — Berichterstatter: Abgeordneter Glosb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 8/2183 —Berichterstatter: Abgeordneter Köster
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir behandeln diese Punkte in verbundener Aussprache. Zunächst frage ich, ob von den Herrn Berichterstattern Ergänzungen der vorgelegten Berichte gewünscht werden. — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich danke den Herrn Berichterstattern für die uns vorgelegten Berichte.Wir treten in die Aussprache in zweiter Beratung ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kreile.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ende August, also vor gut sechs Wochen, habe ich die SPD/FDP-Koalition aufgefordert, ihr diesjähriges Sommertheater zum Thema „Steuern" zu beenden.
Nun ist es Herbst, und das klägliche Schauspiel geht weiter.
Die Äpfel der Steuererleichterungen verdorren und verfaulen am Baum.
Man muß sich nochmals vergegenwärtigen, wie sich hier guter und böser Wille, politische Artistik und schierer Dilettantismus miteinander verbanden und verwoben, um ein Steuergesetz wie dieses hier vorzulegen.
— Das ist ein herber Vorwurf; er soll deswegen auch sehr sorgfältig begründet werden.Dies ist ein Gesetz zur scheinbaren Steuerermäßigung. Die längst erforderliche Tarifanpassung zum Zwecke des Ausgleichs der heimlichen Steuererhöhungen wird durch eine ungerechtfertigte Umsatzsteuererhöhung erkauft und wird damit vom Staatsbürger selbst bezahlt.
Das ist weiter ein Gesetz zur Einführung und gleichzeitigen Neutralisierung des Realsplittings. Die unterhaltsverpflichteten geschiedenen Eheleute werden sehr bald merken, daß ihnen hier wenig wirkliche steuerliche Hilfe gegeben Wird, der Gesetzgeber ihnen aber unzuträglichen zivilrechtlichen Unterhaltsstreit per Bundesgesetzblatt ins Haus schickt.
Und dies ist letztlich — um an die Tragödie dieses Gesetzes ein Satyrspiel anzuhängen — ein Gesetz zur gleichzeitigen Aufhebung und Nichtaufhebung der Lohnsummensteuer. Man muß sich hier nochmals vor Augen führen, was geschehen sollte und was nicht geschieht: Da tritt eine Bundesregierung— und die sie mehr oder weniger stützende Regierungskoalition — an, um, wie es in der Bundestagsdrucksache heißt, einen deutschen Beitrag zur Ab- wehr der weltweiten Störungen des wirtschaftlichen Gleichgewichts zu leisten. Man versucht zwar vor- her, der CDU/CSU den Mund zu verbieten, damit der Weltwirtschaftsgipfel nicht gestört wird
— nach dem Muster „Über allen Wipfeln ist Ruh" und „Die Olympier dürfen nicht genieret werden" —,
aber in dem Gesetz, das dann vorgelegt wird, übernimmt man die alte Forderung der Union, die Lohnsummensteuer abzuschaffen. Die FDP spricht zu Recht — wie wir das längst getan haben — von Lohnsummensteuer als einer Arbeitsplatzvernichtungssteuer,
bezeichnet sie sehr treffend — wie wir das ebenfalls auch schon getan haben — als ein Monstrum. Und weil es nun auf einmal so eilig mit ihrer Abschaffung ist, bringen SPD und FDP die Regierungsvorlage als Fraktionsentwurf nochmals in den Bundestag ein, provozieren damit den Bundesrat, unterlaufen dessen Rechte, und unablässig schwört man
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8747
Dr. Kreilesich innerhalb der Regierungskoalition nochmals Solidarität, die Abschaffung der Lohnsummensteuer tatsächlich durchzuhalten. Nach und mit diesen Schwüren zieht man in die Landtagswahlen von Hessen und Bayern und versichert allerorten — die FDP ganz laut und mit unüberhörbarer Drohgebärde zum Koalitionspartner, die SPD etwas leiser und ziemlich dissonant —, man werde es nicht zulassen, daß etwa die Abschaffung der Lohnsummensteuer vom sonstigen Steuerpaket abgekoppelt wird.
Und was geschah dann gestern im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages? SPD und FDP haben die Abschaffung der Lohnsummensteuer mit einer Kaltschnäuzigkeit ohnegleichen von dem dann als Torso verbleibenden Einkommensteuersenkungs-und Umsatzsteuererhöhungsgesetz abgekoppelt.
Man verschiebt die Abschaffung der Lohnsummensteuer auf einen ungewissen Tag, und manche befürchten — auch die SPD in Nordrhein-Westfalen möglicherweise: hoffen —, daß dies der Sanktnimmerleinstag sei. Nach den Wahlen, meint offenbar diese Koalition, könnten alle Zusagen und alle Schwüre gebrochen werden,
der Wähler habe seine Schuldigkeit getan, er könne gehen. Das aber wird er nicht. Er wird sich diesen erneuten Umfall der FDP merken,
und er wird sich wieder in Erinnerung rufen, daßdies ja nicht das erste Mal war, daß man vor denWahlen anders sprach, als man hinterher handelte.
So war es bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen im Jahre 1970: Die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrags und die Abschaffung der Ergänzungsabgabe wurden in diesem Parlament durchgepeitscht, und nach der Wahl galt das alles nicht mehr; es wurde vielmehr die Einkommensteuer um 10 °/o erhöht. Und wie die SPD und die FDP vor der Bundestagswahl den Wähler in der Rentenfrage beschwindelt haben, getäuscht haben, das läßt sich auch nicht mit dem Satz des Bundeskanzlers entschuldigen, er und sein Kabinett hätten aus Unwissenheit gesprochen und gehandelt;
dann sei es keine Täuschung.
Diesmal kann diese Ausrede nicht greifen. Denn dies hier, die effektive Abkoppelung der Abschaffung der Lohnsummensteuer, ist nun eine bewußte Täuschung,
und der Trick, mit dem dies gesetzgeberisch verdeckt werden soll, soll hier nicht verschwiegen, sondern dargelegt werden.Nachdem das Steueränderungsgesetz 1979 mehrfach im Finanzausschuß des Bundestages beraten worden war, legten die Fraktionen der SPD und der FDP in der Schlußabstimmung einen Änderungsantrag zu den Inkrafttretensvorschriften vor. Bis dahin sahen Bundesregierung und SPD/FDP in ihrem Gesetzentwurf die Abschaffung der Lohnsummensteuer zum 1. Januar 1980 vor. Nun soll dies nicht mehr gelten. Die im Steueränderungsgesetz 1979 materiell geregelte Abschaffung der Lohnsummensteuer soll vielmehr noch durch ein erst zu erlassendes Gesetz in Kraft treten. 'Mit anderen Worten: Es wird dem Deutschen Bundestag zugemutet, ein Gesetz zu verabschieden, dessen Inkrafttreten erst durch ein anderes, in die Zukunft gerichtetes, vielleicht kommendes, vielleicht nicht kommendes Gesetz geregelt werden soll.
Dazu sind drei Bemerkungen zu machen. Gesetzgebungstechnisch ist dieses Verfahren ein Skandal.
Ein Steuergesetz ist eine Eingriffsnorm, durch die dem Staatsbürger etwas genommen oder gewährt, etwas gegeben oder erlassen wird. Deshalb bedarf jedes Steuergesetz der Bestimmung, ab wann es gilt.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner berühmten Contergan-Entscheidung vom 8. Juli 1976 auf Art. 82 des Grundgesetzes verwiesen, in dem das Grundgesetz vorschreibt, daß ein Gesetz den Zeitpunkt seines Inkrafttretens mit hinreichender Bestimmtheit regeln müsse.
Diese Bestimmtheit fehlt hier. Dieses Gesetz macht sein Inkrafttreten nicht von einer Bedingung, von einem zukünftigen Ereignis abhängig - darüber könnte man ja noch sprechen —, sondern von einer erneuten Willensentscheidung des Parlaments. Damit aber läßt sich jetzt von niemandem, wie es das Bundesverfassungsgericht fordert, der Termin des Inkrafttretens ermitteln. Deswegen ist ein Gesetz wie dieses, in dem kein Inkrafttretenstermin festgelegt wird, ein Nichts, ein Nullum.
Ich bin der Ansicht, daß dieser Teil des Gesetzes, weil er keine Gesetzeskraft erlangen kann, nicht einmal abstimmungsfähig ist.
Wirtschaftspolitisch ist dieses Gesetz aber in gleicher Weise skandalös. Der Bundeswirtschaftsminister, der noch vor wenigen Wochen gesagt hat, wenn die Lohnsummensteuer abgekoppelt werde, dann knalle es,
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Dr. Kreileder wird dies in seinem Bereich bald zu spüren bekommen.
Dieses Gesetz hat nicht einmal einen Ankündigungseffekt.
— Außerhalb des Parlaments, wie üblich. In Asien.
— In Neuseeland.
Ich hoffe, daß er mit der Lufthansa gereist ist, nachdem er einmal anderen vorgeworfen hat, sie täten dies nicht.Ein Gesetz aber, 'dessen Inkrafttreten der Gesetzgeber von Bedingungen abhängig macht, die er selbst zu schaffen hat, wozu er bisher aber noch nicht in der Lage war, ist für ein wirtschaftspolitisches Klima schlechter als gar keines.Drittens. Ein Parlament, das ein solch unvollständiges Gesetz, geradezu die klassische lex imperfecta, verabschiedet, taugt nicht einmal mehr zum Notar von in Koalitionszirkeln an den Fraktionen, auch an den Fraktionen der SPD und der FDP vorbei ausgehandelten Kompromissen.Man hat uns im Ausschuß erklärt, man müsse jetzt mit den betroffenen Gemeinden reden. Ja, warum hat man das 'denn nicht vorher getan? Warum bringt sich der Bundeskanzler in eine Lage, die sein Parteifreund, der 'ab nächstem Mai mit derart trostlos bürgerfernen Steuergesetzgebungen aufräumen will, treffend wie folgt glossiert hat:Zunächst einmal hätte man hier vorher mit den Betroffenen sprechen müssen. Aber unser Bundeskanzler,— meint sein Parteifreund —der ja immer alles sehr schnell machen will, um damit glänzen zu können, dem der lange Atem und die Geduld fehlen, hat es wieder einmal nicht für notwendig gehalten, sondern diese „Hoppla, da bin ich" —, diese Hau-RuckPolitik betrieben.Was bleibt nach diesem Hauruck? Welcher Torso von einem Gesetz steht also nun heute wirklich zur Verabschiedung an: Eine längst überfällige Tarifreform, ein nur mäßig erfüllter Auftrag des Bundesverfassungsgerichts zur Neuregelung des Familienlastenausgleichs und die hier und jetzt nicht zu rechtfertigende Umsatzsteuererhöhung!Zur Tarifreform muß ganz deutlich klargestellt werden, daß es die Union war, die sie seit langer Zeit gefordert hat, und daß ihre Forderung es war, auf Grund 'deren Sie jetzt durchgesetzt wird.
Mit welcher Vehemenz hat sich die Bundesregierung, mit welcher Vehemenz haben sich SPD und auch die FDP gegen den Abbau der heimlichen Steuererhöhungen gewandt und ihn verzögert! Ich zitiere:Ich will hier aber auch klarstellen, daß die Regierung keine Möglichkeit sieht, Vorschläge für weitere— gemeint ist: über 1977 bereits beschlossene hinaus — 'Steuersenkungen zu realisieren. Die Regierung wird solche Forderungen mit der ihr gegebenen Möglichkeit abwehren.Dies meinte der 'Bundeskanzler 1977.Ich erinnere an einige Reden hier von diesem Pult im Zusammenhang mit dem Steuerpaket 1977. Da wurde erklärt:Diese Stelle in der Regierungserklärung — das sage ich mit Gewicht — wird bei 'den Beratungen innerhalb der Koalition künftig einen besonderen Rang einnehmen.Das Protokoll verzeichnet hier Beifall der Abgeordneten der SPD für den Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Böhme.
Dann kam ein weiterer Redner hier herauf und sagte:Die Grenze des finanziell Machbaren ist erreicht. In der Regierungserklärung ist klargestellt, daß solche Maßnahmen in dieser Legislaturperiode nicht in Betracht kommen.Dies sagte Frau Matthäus-Maier am 16. Juni 1977. Heute, am 19. Oktober 1978, wird sie wahrscheinlich hier herauftreten und diese Tarifreform — das, was sie offenbar gegen ihre eigene Bundesregierung ertrotzt haben will — als ihren eigenen Beitrag feiern.
— Ja.Ich erinnere daran, daß noch am 21. Juni 1978, also vor einigen Monaten, unser Antrag von der SPD und der FDP abgelehnt wurde, mit Wirkung zum 1. Januar 1979 einen neuen Einkommensteuertarif in Kraft zu setzen, der den Steuerprogressionssprung mildert und insbesondere den Tarifsprung beseitigt.Jetzt ist wenigstens eine gewisse Tarifreform, eine gewisse Tarifkorrektur vorgelegt worden, und zwar — ich bin dieser Meinung und sage es noch einmal — von uns und unseren Argumenten erzwungen. Die jetzt vorgesehene Tarifkorrektur beseitigt das gröbste Ärgernis, baut den unsinnigen Tarifsprung bei 16 000 DM von 22 % auf 30,8 % ab. Der durchgehende Progressionstarif wird aber erneut nicht verwirklicht. Im Gegenteil, die im bisherigen Einkommensteuerrecht enthaltene Selbstbindung des Gesetzgebers, einen durchgehenden Progressionstarif zu schaffen, wird ersatzlos ge-
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Dr. Kreilestrichen. Es kam nicht einmal ein Entschließungsantrag zustande, der sichergestellt hätte, daß der neue Tarif regelmäßig an die Geldentwertung angepaßt wird.Es wird also erneut versucht, alles zu verhindern, was einen modernen und gerechten Einkommensteuertarif wirklich auszeichnen würde, nämlich zu verhindern, daß der Steuertarif regelmäßig der Geldentwertung angepaßt wird. Mit anderen Worten: Bei Einkommensteuer- und Lohnsteuerpflichtigen, die nicht der Proportionalstufe von 22%unterliegen, leugnen Sie die Notwendigkeit einer ständigen Anpassung. Das heißt, Sie steuern auch mit diesem Gesetz ganz bewußt eine kontinuierliche Erhöhung der Steuerlast an. Auch bei diesen Einkommen, von denen wir hier sprechen, wird die Mark doch weniger wert. Auch diese Bevölkerungsgruppen — ich verstehe ohnehin nicht, warum die FDP, die immer glaubt, das sei ihre Zielgruppe, dies nicht verstehen will — brauchen eine Anerkennung ihrer Leistungen und nicht eine immer schärfere steuerliche Bestrafung.Die Weigerung, bei Gruppen mit mittleren und oberen Einkommen den Steuertarif auf den realen statt auf den nominalen Einkommenszuwachs abzustellen, hat darüber hinaus eine weitere, ganz gefährliche Folge: Die Progression des Steuertarifs wird immer schärfer. Heimliche Steuererhöhungen sind also für die nächsten Jahre in einem größeren Ausmaß vorprogrammiert. Im Grund genommen wird also derselbe Fehler gemacht, der bereits 1975 gemacht und erst 1977 im Ermittlungsverfahren mit der Einführung des Tariffreibetrags wenigstens zum Teil gemildert wurde.Die Union verlangt von diesem Bundestag, von diesem Gesetzgeber eine wirklich familienfreundliche Politik und Gesetzgebung. Aber alle diesbezüglichen Anträge, die wir gestellt haben, wurden von der SPD und der FDP abgelehnt.Wir werden heute — wie gestern im Finanzausschuß — beantragen, die vom Bundesverfassungsgericht festgestellte partielle Verfassungswidrigkeit der seit 1975 geltenden steuerlichen Nichtberücksichtigung von Kindern dadurch zu beheben, daß wieder steuerliche Kinderfreibeträge eingeführt werden.
Aufwendungen für Kinder mindern die steuerliche Belastungsfähigkeit. Es widerspricht dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, wenn Familien mit Kindern praktisch ebenso hoch wie kinderlose Ehepaare besteuert werden.
Die Unterstellung, die Union wolle das allgemeine Kindergeld verdrängen, ist unwahr und, mit Verlaub gesagt, mit Vorbedacht böswillig.
Die Union fordert Kinderfreibeträge neben dem Kindergeld und nicht anstelle des Kindergeldes. So-lange das Kindergeld die üblichen Lebenshaltungskosten eines Kindes nicht voll abdecken kann — und das kann es nicht und wird es auch in Zukunft nicht können —, sind Kinderfreibeträge aus Gründen der steuerlichen Gerechtigkeit notwendig.
Die SPD und die FDP haben gelegentlich im Wahlkampf gegen die Wiedereinführung der Kinderfreibeträge polemisiert und — Herr Huonker, ich merke es ja schon — werden es sicher auch in dieser Debatte wieder tun — aber, mit Verlaub gesagt, mit völlig unverständlichen Argumenten.So wird behauptet, die Kinderfreibeträge begünstigten die Bezieher hoher Einkommen. Das Wort „Begünstigung", das hier fällt, ist völlig fehl am Platz. Wenn der Staat künftig darauf verzichten würde, das Existenzminimum von Kindern mit einer Steuer zu belegen, so wäre dies keine Begünstigung, sondern nur das Rückgängigmachen von Benachteiligungen. Das Rückgängigmachen einer noch stärkeren Benachteiligung, nämlich der progressiven Besteuerung des Existenzminimums, kann deshalb keine größere Begünstigung sein. Die derzeitige Rechtslage hat zur Folge, daß z. B. von 200 DM, die die Eltern eines Kindes für dessen Mindestlebensunterhalt erhalten und aufwenden müssen, dem Kind des sogenannten Reichen nach Abzug der darauf lastenden Steuern nur 78 DM verbleiben, dem Kind eines Normalverdieners 152 DM und dem Kind eines Steuerbefreiten volle 200 DM. Entsprechen diese unterschiedliche Belastung und Begünstigung der Gerechtigkeit und der Chancengleichheit? Nein.Grotesk wird es, wenn SPD und FDP auf der einen Seite Kinderfreibeträge ablehnen und auf der anderen Seite das Realsplitting befürworten, das auf der Ebene Geschiedener oder getrennt lebender Ehegatten doch genau die gleiche Wirkung wie die Kinderfreibeträge hat.
Ich frage mich, warum Sie diese Inkonsequenz nicht erkennen — Sie erkennen sie natürlich; Sie wollen sie bloß nicht erkennen —, diese ideologische Verklemmung nicht auflösen, Ihre ideologische Denksperre hier nicht überschreiten.Damit bin ich bei einem weiteren unübersehbaren Mangel dieses Gesetzentwurfs: bei den sich aufdrängenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie bestehen leider gegen das sogenannte Realsplitting in der bisherigen Ausgestaltung und auch gegen die vorgeschlagene Regelung hinsichtlich der steuerlichen Kinder-Additive. Das Realsplitting ist vom Ansatz her eine gute Sache. Dem Grundsatz der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit, für den auch wir mit Entschiedenheit eintreten, wird durch das Realsplitting besser als durch die derzeitige Rechtslage Rechnung getragen. Unsere Bedenken richten sich aber dagegen, daß das Realsplitting nach den Vorstellungen der SPD und FDP auf einen engen Teilbereich beschränkt werden soll, während andere Bereiche, z. B. die Unterhaltsverpflichtungen zwischen Eltern und Kindern und
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Dr. Kreilezwischen Kindern und Eltern, von dieser Regelung des Realsplittings ausgeschlossen sein sollen.Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen weiter gegen den Teil des Gesetzentwurfs, mit dem den Beanstandungen des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der steuerlichen Kinder-Additive Rechnung getragen werden soll. Hier wird die intakte Familie eindeutig benachteiligt. Deshalb kann man die vorgesehene Lösung nicht als Vollzug des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts akzeptieren. Man kann nur sagen: Es ist auf dem Weg dazu. Notwendig aber wäre eine Neubesinnung über den richtigen und vernünftigen steuerlichen Kinderlastenausgleich. Ich weiß — weil das Argument kommt, will ich es gleich sagen —, daß auch wir der Streichung des Kinderfreibetrages 1974 zugestimmt haben, gemeinsam mit SPD und FDP. Aber ich meine, wenn man einen Fehler gemeinsam erkennt — und wir haben ihn erkannt —, dann muß man diesen Fehler auch wieder berichtigen; und dies geschieht hier.Der schwerwiegendste Einwand betrifft die vorgesehene Finanzierung der steuerlichen Erleichterungen. Mit dem Steueränderungsgesetz 1979 werden die heimlichen Steuererhöhungen, die der Staat in den letzten Jahren kassiert hat, dem Bürger nur scheinbar zurückgegeben. Tatsächlich aber wird dem Steuerbürger ein Teil der Entlastungen über die Mehrwertsteuererhöhung wieder aus den Taschen geholt. Den anderen Teil wollen Sie durch Schulden abdecken. Ein Wort ist aus dem Sprachschatz die• ser Regierungskoalition völlig verschwunden, das Wort „Sparsamkeit". Zur Rückgängigmachung der heimlichen Steuererhöhungen gehört aber, daß man eben nicht versucht, die Steuern durch irgendwelche Tricks wieder hereinzuholen, sondern daß man sich bei den Ausgaben so einrichtet, wie die vorhandenen Mittel es erlauben. Schulden machen kann jeder, aber ein Staat sollte sich nicht wie ein Schuldenmacher verhalten.
— Nun rufen Sie, Herr Huonker — es war zu erwarten —, danach, wo gespart werden soll. Darf ich Ihnen Ihre Frage abnehmen und sagen: Für die Sparsamkeit muß in erster Linie derjenige sorgen, der den Geldbeutel verwaltet.
Das ist in der Familie so, für die Sie so wenig übrig haben, und das ist bei den staatlichen Finanzen nicht anders. Ich meine, hier müßte man sich Mühe geben. Wenn Sie das tun, dann wird Ihnen unsere Mitwirkung hierbei nicht versagt werden. Den Weg aber, den Sie beschritten haben, den Weg der Umsatzsteuererhöhung zur Abgeltung der Steuerermäßigung bei der Einkommensteuer
und den Weg der Zwischenfinanzierung und Endfinanzierung mit Schuldenmachen, gehen wir nicht mit.
Bei der Umsatzsteuer allerdings muß darauf hin- I gewiesen werden — ich will das hier auch in aller Deutlichkeit tun —: Immer und unter allen Umständen haben wir uns nie gegen Mehrwertsteuererhöhungen ausgesprochen. Aber wir sind der Auffassung, daß dieses Instrument nur für strukturelle Verbesserungen unseres Steuersystems verwendet werden darf, für strukturelle Verbesserungen, die den Teil der Kostensteuern angehen, und für strukturelle Verbesserungen, die eine Harmonisierung im EG-Bereich, im Bereich der Europäischen Gemeinschaften, gewährleisten.
Bloße Steuersatzerhöhungen. aber sind keine Harmonisierung. Wohl aber wäre ein echter und unbedingter Abbau der Lohnsummensteuer und der Gewerbekapitalsteuer — die es außer in Deutschland, von Luxemburg einmal abgesehen, in der Europäischen Gemeinschaft nicht gibt — ein Beitrag zur Harmonisierung im EG-Bereich. Dies wäre nicht nur die Beseitigung einer Wettbewerbsverfälschung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, sondern eine konjunkturfördernde Maßnahme von größter, nicht zuletzt auch von Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff — allerdings immer wieder in Reden außerhalb dieses Parlaments — erkannter Bedeutung. Der Abbau der Gewerbekapitalsteuer zusammen mit dem Abbau der Lohnsummensteuer würde die Investitionsfähigkeit und damit die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft fördern. Das brächte einen Teil der Schubkraft zur finanziellen und investitionspolitischen Umkehr, zu einer Umkehr, die von der deutschen Poli- tik und von der deutschen Wirtschaft allenthalben erwartet wird. Wir brauchen, wie die „Wirtschaftswoche" ganz treffend gesagt hat, nicht nur „Krümel für den Aufschwung", wir brauchen Kraft und Mut.Da das diesem Gesetz fehlt, kann es trotz des begrüßenswerten Einkommensteuersenkungsteils, trotz des im Grundsatz zu begrüßenden Realsplittings — das aber auf halbem Wege stehenbleibt —, trotz mancher vernünftiger Einzelmaßnahmen wie der Fristverlängerung für Sonderabschreibungen bei Handelsschiffen und Luftfahrzeugen, wie der Fristverlängerung bei der Erfindervergünstigung unsere Zustimmung nicht finden. Doch der Steuerbürger kann darauf bauen, daß wir unsere Vorstellungen, nämlich eine familiengerechte und eine investitionsfördernde Steuerpolitik, im Laufe des weiteren Verfahrens auch noch bei diesem Steueränderungsgesetz 1979 durchsetzen werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Westphal.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Opposition über das Gipfel-Paket und seine gesetzgeberischen Auswirkungen, über die wir heute zu reden haben, zu diskutieren hat deshalb seinen besonderen Reiz, Herr Kreile, weil die Opposition den Zusammenhang mit dem Gipfel nach wie vor völlig verdrängt — das ist bei Herrn Kreile ja sehr deutlich geworden —, weil die
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WestphalOpposition die Grenzen unserer gemeinsamen finanziellen Möglichkeiten auf allen Ebenen der öffentlichen Hände weiterhin völlig verkennt. Das wird aus Ihren Draufsattel-Anträgen sehr, sehr deutlich. Es ist auch deshalb von besonderem Reiz, mit der Opposition darüber zu diskutieren, weil sie sich ständig selbst widerspricht, wenn sie einerseits immer noch mehr fordert — Herr Kreile, ich brauche Sie eigentlich nur zu zitieren —, aber andererseits sagt, wir müßten sparen; weil sie einerseits sagt, wir müßten die Verschuldung zurückfahren, und andererseits Forderungen stellt, die nur mit neuen Krediten finanziert werden könnten,
weil es keine Sparvorschläge gibt bzw. eventuell in Haushaltsberatungen auftauchende Vorschläge — ich kenne sie noch nicht — eben in Bereichen ansetzen würden, wo wir aus unserer Verantwortung gerade für das Soziale und Wirtschaftliche unseres Staatswesens nein sagen müßten.Was hier geschieht, ist die prompte und bewußt schnelle Erfüllung der Gipfel-Zusage unter deutlicher Einhaltung ihrer umfangsmäßigen Begrenzung. Die Zusage lautet: Auch wir Deutschen bemühen uns erneut, mit der Bereitstellung öffentlicher Mittel die Wirtschaft zu beleben, und zwar in einer kombinierten Aktion von der Seite der Investitionsanregung, von der Seite des Konsums und von der Seite der Entlastung des Arbeitsmarktes.Die Begrenzung, von der ich gesprochen habe, besteht darin, daß mit unseren Maßnahmen und der daraus resultierenden notwendigen weiteren Verschuldung der öffentlichen Hände — Mehrzahl! — das Limit von 60 Milliarden DM Kreditaufnahme durch die öffentlichen Hände im Jahre 1978 nicht überschritten werden darf, weil wir verhindern wollen, verhindern müssen, daß Zinsen wieder steigen oder daß sich gar Inflationstendenzen zeigen könnten.Wir setzen die Inhalte des Gipfel-Pakets mit den Mitteln der Sozialpolitik, der Familienpolitik und der Steuerpolitik durch. Die Ergebnisse aller Ausschußberatungen in der insgesamt zu führenden Debatte über alle Teile dieses Paketes, die wir hier beschließen wollen, sind, in einer knappen Aufzählung noch einmal zusammengefaßt, folgende.Erstens. Wir verbessern das Kindergeld in zwei Stufen, für alle dritten und weiteren Kinder einer Familie bereits ab 1979, für alle zweiten Kinder ab 1980 in deutlichen und hohen Beträgen.
Herr Kreile, ich möchte es hier gleich einfügen: Ihren Versuch, die 1975 übrigens mit Ihrer Zustimmung vorgenommene Reform des Familienlastenausgleiches, jedem Kind gleichermaßen und nicht nach dem Einkommen seiner Eltern gestaffelt Kindergeld zu gewähren, rückgängig zu machen, indem Sie wieder Kinderfreibeträge einführen wollen, und dabei zu sagen, das habe nur nebenbei eine Einzelfunktion und sei nicht der Sinn des Umkehrens derdamaligen Reform, widerlegen Sie selbst mit Ihren'Aussagen der CDU/CSU-Fraktion, dies sei für Sie nur als „ein Einstieg" zu betrachten. Ich zitiere in diesem Sinne wörtlich.
Auch wenn sich noch so viele anstrengen werden, wird es mir nicht begreiflich werden, warum ein Kind, das sich nicht aussuchen kann, ob es in einer reichen oder armen Familie geboren wird, bei seinen Eltern für sein Aufwachsen in unterschiedlicher Höhe entlastet werden soll.
Dies ist unsozial, und — lassen Sie mich dieses Wort sagen — es ist reaktionäre Politik, die Sie vorhaben. Wir machen sie nicht mit.
Im zweiten Punkt komme ich zu dem Inhalt dessen, was hier zur Beschlußfassung ansteht. Wir setzen die flexible Altersgrenze für die Schwerbehinderten in zwei Stufen, 1979 und 1980, auf 61 und 60 Jahre herab und helfen damit gerade auch, den Arbeitsmarkt bei einer Gruppe zu entlasten, die es auf diesem Arbeitsmarkt besonders schwer hat.
Drittens. Wir schaffen einen echten Mutterschaftsurlaub, der es einerseits — dies ist pädagogisch wohl ein ganz entscheidender Fortschritt — den Müttern möglich macht, in der ersten Lebensphase ihres Kindes bei ihm zu sein und es zu betreuen, und andererseits sozialpolitisch — —
— Ich weiß, daß Sie noch mehr fordern. Ich kenne Ihre Forderungen.
— Ach, Sie fordern nicht mehr? — Wenn ich vom Gipfelpaket spreche, gehört dies in den Zusammenhang.
— Ich muß jetzt nicht noch einmal in aller Ausführlichkeit erklären, wo der Zusammenhang ist;
das habe ich vor diesem Haus getan.
Lassen Sie mich bitte in meinen Ausführungen fortfahren. Auch dies gehört zu unserem Paket und wird Ihnen rechtzeitig zur Beratung vorliegen.
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WestphalViertens. Wir schaffen den ärgerlichen Tarifsprung aus der Welt. Ich erinnere daran, daß Sie uns dabei helfen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie den Redner wenigstens die Sätze aussprechen; es ist wirklich sehr schwierig, ihn zu verstehen.
Diese Änderung unserer. Tarifstruktur bewirkt, daß Millionen von Steuerzahlern nicht mehr, wie das bisher als eine Konsequenz von Entscheidungen der Fall gewesen ist, die 1975 gemeinsam geschaffen und getragen worden sind, jede zusätzlich verdiente Mark nicht mit einem Steuersatz von 22 °/o, sondern gleich mit 30,8 °/o versteuern müssen.
— Wir haben das jetzt zur Abstimmung vor uns. Zehn Millionen Steuerzahler sind davon betroffen, darunter eine große Millionenzahl von Arbeitnehmern, insbesondere in solchen Familien, in denen auch die Ehefrau zu den Arbeitnehmern gehört.Fünftens. Wir erhöhen den Grundfreibetrag erneut und entlasten dabei erneut die kleineren Einkommen.Sechstens. Wir heben den Freibetrag für Vorsorgeaufwendungen an. Das wirkt vor allem bei den Selbständigen. Dazu kommt siebentens, daß wir die Situation der Zahlväter verbessern. Inhaltlich werden zu dieser Thematik meine Kollegen hier Ausführungen machen.
Achtens. Wir schaffen das Realsplitting als eine Wahlmöglichkeit, um denjenigen, die dort betroffen sind, die Möglichkeit zu geben, von sich aus den für sie gangbaren und für sie günstigeren Weg zu wählen und danach zu entscheiden.Neuntens. Wir bereiten eine Entlastung der Wirtschaft im Bereich der ertragsunabhängigen Steuern vor.
— Ich komme auf dieses Thema. Sie brauchen darauf nicht lange zu warten. Ich muß nur erst einen Punkt hinzufügen, der sicher keiner ist, der nur Freude auslöst:Zehntens. Wir müssen im Wege einer langfristigen und sinnvollen Umschichtung zwischen Verbrauchsteuern einerseits, also indirekten Steuern, und direkten Steuern andererseits einen Teil der Kosten des Gesamtpakets durch eine moderate Anhebung im Bereich der Umsatzsteuer ausgleichen. Wir haben hier über die Wirkungen gesprochen, die sich dann zeigen könnten, wenn der Markt es ermöglicht, die Erhöhung in die Preise abzuwälzen. Über den Vorgang können wir erst reden, wenn er sichereignen würde. Der letzte Vorgang dieser Art war bekanntlich nicht so. Wir wissen, daß auch die Entwicklungen, die uns in ihrer Gesamtheit bevorstehen, wohl nicht das Zeichen dafür setzen, daß die Umsatzsteueranhebung in ihrer vollen Größe in die Preise abwälzbar wäre. Im übrigen — das hat, glaube ich, sogar auch Herr Kreile hier festgestellt —: ein Aufzehren der Entlastungen an anderer Stelle, sei es beim Kindergeld, sei es bei Einkommensteuerentlastungen, findet nicht statt.Es ist doch ein unsinniger Streit, meine Damen und Herren von der Union, wofür die Umsatzsteuereinnahmen verwendet werden sollen. Sie sagen: Das darf nur für den Abbau ertragsunabhängiger Steuern geschehen. Wenn ich das richtig verstehe, kommt dabei eine Entlastung der Wirtschaft allein zu Lasten der Verbraucher heraus. Das ist doch die Logik.
— Aber sicher ist es die Logik. — Wir sagen umgekehrt: Für alle sozialpolitischen, familienpolitischen, steuerlichen Entlastungen und Verbesserungen für Verbraucher und Wirtschaft benötigen wir einen Teil zum Ausgleich. Die zeitliche Plazierung für das Inkrafttreten der Umsatzsteuererhöhung um einen Punkt in der Mitte des Jahres 1979 macht im Grunde plastisch, daß dies von diesem oder jenem Teil des Pakets abgehoben ist. Vielmehr muß für das Ganze, für alle Teile des Pakets wohl oder übel ein Teilausgleich geschaffen werden. Wenn wir heute so beschließen, wie von den Ausschüssen vorbereitet, dann wird die Frage sowieso obsolet. Denn alle Teile des Pakets liegen auf dem Tisch. Geben Sie also Ihren Scheinwiderstand auf, meine Damen und Herren von der Union, und verschaffen Sie sich selber dabei ein ehrlicheres Image gerade bei den Verbrauchern!
— Ja, wir sind in dieser Frage sehr ehrlich gewesen. Da kann man uns ja wohl keine Vorwürfe machen.Nun zu der vorgesehenen Wirtschaftsentlastung. Der von der Koalition vorgesehene Weg, die Lohnsummensteuer abzuschaffen, verbunden mit einer Erhöhung des Freibetrages in der Gewerbeertragsteuer, ist -- warum soll man das leugnen, jeder weiß es — auf einen breiten Widerstand bei Kommunalpolitikern aller Art und Richtungen, aber auch bei Ländern gestoßen, die die Verantwortung für ihre Gemeinden wahrnehmen. Ich sage „bei Ländern" — ich habe nicht „die Länder" sagen können, weil es leider nicht so aussieht. — Alle, unsere Kommunalpolitiker und auch die Länder, sind mit uns bereit, zur Wirtschaftsentlastung ja zu sagen. Aber sie weisen darauf hin, daß die Entlastung der Wirtschaft durch die Abschaffung der Lohnsummensteuer und die damit entstehenden Einnahmeausfälle bei Gemeinden, die sie bisher erhoben haben, für viele dieser Gemeinden die Existenzfrage stellt, ein Loch reißt in die Gemeindefinanzen, das wieder aufgefüllt werden muß.Ich will Ihnen die Schwierigkeiten einfach einmal offen ausbreiten. Warum sollen wir hier darüber nicht miteinander reden?! Die Lohnsummensteuer
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Westphalwird in etwa 800 von unseren insgesamt 8 500 Gemeinden erhoben. Aber diese Zahl täuscht, wenn man nicht sieht, daß es sich vielfach gerade um die großen Städte handelt und damit einwohnerzahlmäßig viel, viel mehr betroffen sind, als es das Verhältnis 800 zu 8 500 zum Ausdruck bringt.Die Lohnsummensteuer ist in Nordrhein-Westfalen ein besonderes Problem, weil sie in allen kreisfreien Städten außer Aachen erhoben wird, ebenso in 116 von 373 kreisangehörigen Gemeinden. Die Ruhrgebietsstädte können bei anderen Teilen der Gewerbesteuer, also bei der Ertrag- und Kapitalsteuer, sich wenig oder keinen Ersatz schaffen wegen ihrer besonderen Abhängigkeit von Stahl und Kohle, um es auf eine einfache Formel z u bringen. Der Anteil der Lohnsummensteuer am Steueraufkommen der Gemeinden ist sehr unterschiedlich. Er reicht von 20 % des Steueraufkommens in der einen Stadt bis zu 60 % des Steueraufkommens— im Bereich der Gewerbesteuern — in einer anderen Stadt.Die weitere Problematik: Drei Länder des Bundesgebiets kennen die Lohnsummensteuer nicht oder nicht mehr. Berlin schafft sie mit Hilfe des Bundes in zwei Stufen ab. Die Wirkungen über Nordrhein-Westfalen hinaus sind in Bremen, sind in anderen großen Städten — ich nenne Hannover, ich nenne Frankfurt nur als Beispiele — außerordentlich hart. Zur Problematik gehört auch, daß es eben andere Gemeinden in unserer Republik gibt, die keine Lohnsummensteuer erheben, die aber auf der anderen Seite deshalb oder aus anderen Gründen wesentlich höhere Hebesätze für die Gewerbeertragsteuer und die Gewerbekapitalsteuer haben.Da haben Sie die ganze Problematik auf dem Tisch, und dann muß ja wohl ein Stadtverordneter oder ein Oberbürgermeister sagen: Dies ist ein Punkt, der uns beschäftigt; ich kann dazu nur ja sagen, wenn ich weiß, daß es dafür einen befriedigenden Ausgleich gibt, an dem sich alle beteiligen.
— Wir kommen noch dazu. Nun hören Sie noch ein bißchen zu!Wenn das so schwierig ist, kann man dann
— ich breite ,das hier offen vor Ihnen aus — einen anderen Weg gehen, der die Wirtschaft entlastet, der Steuervereinfachung durch die Abschaffung einer ganzen Steuer bringt und der im Bereich der ertragsunabhängigen Steuern ansetzt? Es gibt Leute, die kommen auf die Idee: Das Aufkommen der Gewerbekapitalsteuer ist ähnlich. hoch, es liegt auch in dieser Größenordnung; die wird überall erhoben; also wäre der Vorgang des Abschaffens und Ausgleichens von der Technik her leichter, und es entstünde nicht das Problem der — wie wir sagen— windfall profits, der Tatsache, daß in Gemeinden, die gar keine Lohnsummensteuer erheben und die deshalb kein Ausgleichsproblem haben, trotzdem durch Entscheidungen des Bundesgesetzgebers, die ja für alle gleichermaßen gelten, Geld fließt und wir diesen Gemeinden „bitte, bitte!" sagen müssen, damit sie ihre Hebesätze heruntersetzen.
— Ich komme noch zu dieser Frage. Bitte, hören Sie noch einen Moment zu; ich bin ja mittendrin.Es gibt Leute, die sich dieses haben denken können. Aber ihnen gilt es doch wohl entgegenzuhalten: Wer diese Gewerbekapitalsteuer abschaffen will, der entzieht den Gemeinden die Basis ihrer Finanzautonomie.
Herr Waffenschmidt, das ist in besonderer Weise an Ihre Adresse gerichtet, weil wir erwartet hatten, daß Sie als Kommunalpolitiker in der Union wenigstens aufstehen und darauf hinweisen würden. Aber nein, Sie sind hingegangen und haben noch das Doppelte dazugefordert.
Der Entzug dieser Basis ist es, der nicht in Frage kommen darf, wenn wir den Gemeinden nicht die verfassungsmäßige Garantie der Realsteuern wegnehmen wollen. Wenn wir durch eine solche Maßnahme das fast letzte Element von Realsteuern aus dem Teil der Gewerbesteuern herausnehmen, dann kann uns jeder kommen und das vor die Verfassungsrichter bringen, und das wir dazu führen, daß den Gemeinden ein entscheidendes Element eigener Steuerautonomie weggenommen wird.Aber nicht nur dies. Die Abschaffung dieser Steuer wäre darüber hinaus so geartet, daß die Großen der Wirtschaft einen ganz bedeutenden Brocken Entlastung bekämen, während der Mittelstand und die Kleinen vielleicht um ein paar hundert Mark im Jahr entlastet würden. Das heißt, dieses ist eine mittelstandsfeindliche Regelung. Einen solchen Entschluß können wir nicht mittragen.
— Lesen Sie heute die Wirtschaftsnachrichten des Wirtschaftsministers. Da können Sie sehen, was von dieser Regierung für den Mittelstand allein in einem Haushalt an erheblichen Mitteln bereitgestellt wird.
Auch eine Wirkung der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer wäre es, daß der Trend in Richtung Rationalisierungsinvestitionen, mit dem wir sowieso alle Probleme haben, eine Verstärkung von einer Seite her erfährt, die wir in einer so gearteten Arbeitsmarktsituation nicht gutheißen könnten. Dann gingen die Investitionen noch mehr in Maschinen statt in Menschen und Arbeitnehmer. Dies kann nicht sinnvoll und richtig sein.Damit würde darüber hinaus das Interesse der Gemeinden an der Ansiedlung von Betrieben abge-
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Westphaltötet. Man würde sagen: Es wäre ja ganz schön, wenn dieser Betrieb käme, wenn er bloß nicht soviel Umweltbelastung schaffte! Gehe doch lieber woanders hin, meine Steuern werden dadurch nicht tangiert! — Dies kann kein sinnvoller Ansatz für Politik sein.Ein solcher Weg war also nicht gangbar, weil er gemeindefeindlich ist, weil er mittelstandsfeindlich ist und weil er arbeitsplatzbehindernd im Wege steht. Das ist unzumutbar für die Gemeinden. Dies kann von uns nicht mit einem Ja belegt werden.
Wir aber wollen hier auch noch deutlich machen, daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, dies nicht etwa als eine Alternative, sondern als etwas Zusätzliches sehen. Wo sollen denn da die Gemeinden bleiben? Ein hartes Nein der SPD steht dem entgegen.Deswegen — so will ich zum Ausgang zurückkehren — ist es sehr nüchtern gerade auch für denjenigen erkennbar, der draußen als Kommunalpolitiker zuhört oder es nachliest, daß man bei Abwägung dieser Fragen zu dem Resultat kommt, daß es vernünftiger ist, den schwierigen Weg zu gehen, die Lohnsummensteuer abzuschaffen und damit den eben von mir in seiner drastischen Auswirkung beschriebenen gefährlichen Weg der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nicht zu beschreiten.Nun steht aber die Frage nach dem Ausgleich im Raum. Bundesfinanzminister Matthöfer hat eine Modellidee vorgetragen und zur Beratung gestellt.
— Er hat zunächst e in en Vorschlag gemacht.
Dieser Vorschlag lief darauf hinaus, daß die Bundesregierung einen Teil ihres Anteils an der Umsatzsteuer an die Länder abgibt, die dann den Ausgleichsvorgang abwickeln. Dies ist auf den Widerstand vieler gestoßen, gerade auch der Gemeindepolitiker. Sie haben dies als einen für sie nicht angenehmen Weg betrachtet. Er hat auch seine Probleme. Die Gemeinden waren also dagegen.Sagen wir es so: Der Bundesfinanzminister mußte sich bewegen, um eire Ausgleichsregelung mit den Betroffenen zustande zu bringen. Dazu war er bereit, und er hat dies getan.
Aus seinem Munde kommt ein gemeindefreundlicher Vorschlag, der folgende Elemente enthält: Wir reden mit den Gemeinden und Ländern, die mitzuentscheiden haben über einen Weg, der da heißt: alle Gemeinden bekommen einen höheren Anteil an der Einkommensteuer als bisher.
Die Umlage, die von der Gewerbeertrag- und -kapitalsteuer an die Länder und an den Bund abzuführen ist, wird zugunsten der Gemeinden gesenkt.
Von den Gemeinden erwarten wir, daß sie von sich aus einen Teil des Ausgleichs dadurch zustande bringen, daß sie bei der Abschaffung der Lohnsummensteuer die anderen Hebesätze so erhöhen, daß ein Teil des Ausgleichs — etwa in der Größenordnung von 50 % — von ihnen aus zustande gebracht wird.
Weil das immer noch nicht alle Problemfälle lösen kann, gehört zu diesem gesamten Paket der Spitzenausgleich für die Problemgemeinden. Teile davon, die Regelung im Zusammenhang mit dem Einkommensteueranteil und die Regelung der Umlageabsenkung, kann der Bund durch Gesetze regeln. Das andere muß er mit den Ländern und mit den Gemeinden verabreden.Klar sind, wir uns darüber, daß hinter einer Lösung, die wir anstreben, die Bereitschaft des Bundes stehen muß, auch mit seinen finanziellen Mitteln diese Hilfe zu gewähren.Meine Damen und Herren, nun haben wir eine seltsame Situation.
Seltsam ist die Situation insofern, als Herr Häfele gestern und Herr Kreile heute hier vom Podium sagten, daß die Abschaffung der Lohnsummensteuer nicht komme und daraus gewisse Folgerungen für das Verhalten einer Partei gezogen würden — nach seiner Aussage.
Unsere nordrhein-westfälischen Kommunal- und Landespolitiker dachten, es sei schon alles beschlossen. Angesichts eines solchen Gegensatzes in der Bewertung muß irgend jemand etwas falsch verstanden haben.
— Sicher, wir müssen es erläutern.
Was ist die Konzeption?
Erstens. Die Koalition. steht zu ihrer Absicht, die Wirtschaft zu entlasten. Das kann jeder aus der Ihnen vorliegenden Vorlage herauslesen. In dem Text heißt es, daß es um die Abschaffung der Lohnsummensteuer gehe.
Zweitens. Über den Ausgleich dafür, der für die Gemeinden erforderlich ist, ist es noch nicht zu einem Einvernehmen gekommen. Da wir aber an einem einvernehmlichen Abschluß über den Ausgleich nicht nur interessiert sind, sondern ihn zugesagt haben, und zwar durch den Kabinettsbeschluß vom 30. August dieses Jahres und unter uns Sozial-
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Westphaldemokraten durch den Kanzler in einem Gespräch mit unseren Politikern auf der Gemeinde- und Landesebene, sogar durch einen Beschluß unseres Parteirates,
heißt das: Wir brauchen zur Erreichung des Einverständnisses der kommunalen Spitzenverbände, der Länder, insbesondere Nordrhein-Westfalens, und unseres eigenen Kreises die Beratung und Verhandlung.Das dritte Element: Die Abschaffung der Lohnsummensteuer und die Erhöhung des Freibetrages bei der Gewerbeertragsteuer, um den es als einen Teil dieses Pakets geht, — —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Waffenschmidt?
Ich würde gerne zum Ende kommen, denn ich habe nur noch wenige Minuten Redezeit.
Ich wiederhole: Die Abschaffung der Lohnsummensteuer und — als ein weiterer Teil des Pakets
— die Erhöhung des Freibetrages bei der Gewerbeertragsteuer in dem Maße, wie Mittel zur Verfügung stehen, können nur zusammen mit dem Ausgleich, von dem ich gesprochen habe, in Kraft treten. Auch dies läßt sich aus dem Artikel, in dem das Inkrafttreten geregelt ist, Wort für Wort herauslesen.
— Wenn wir ein Ergebnis im Hinblick auf den Ausgleich erreicht haben.
Die Elemente dieses Ausgleichs habe ich Ihnen inhaltlich angedeutet.
Nun wird es darum gehen, zu den grundsätzlichen Elementen die Zahlen hinzuzufügen. Dies ist ein Prozeß mit Verhandlungen und Beratungen auf verschiedenen Ebenen. Dafür werden wir noch ein bißchen Zeit brauchen. Vielleicht brauchen wir auch noch etwas mehr Zeit.
Aber wir haben Zeit;
denn das, was es hier zu realisieren gilt, war vom ersten Moment an für das Jahr 1980 vorgesehen.
Das vierte Element möchte ich hier gern noch einmal hervorheben. Das vierte Element dieses Pakets ist: Der Ausgleich muß die Züge einer selbstverwaltungsfreundlichen Regelung tragen, — so,
wie wir es auch in dem Paragraphen, der die Regelung des Inkrafttretens enthält, verdeutlichen. Meine Damen und Herren, unsere Freunde haben das verstanden. Es war gestern und vorgestern ein bischen hitzig, als wir über diese Frage miteinander zu sprechen hatten. Aber sie haben das verstanden und haben das inzwischen durch Herrn Ministerpräsident Rau im Landtag von Nordrhein-Westfalen auch zum Ausdruck gebracht.
Herr Kreile und sicher auch Herr Häfele, Sie werden oder wollen es nie verstehen; das entnehme ich auch Ihren Reaktionen hier.
Nun, Herr Kreile, Sie haben auch das Thema der Verfassungsmäßigkeit zur Sprache gebracht, und da muß man natürlich noch eine Überlegung ansetzen, denn das, was Sie gesagt haben, war ja nicht ein zusammenfassend richtiges Zitat aus dem, was das Bundesverfassungsgericht zu dieser Problematik entschieden hat.
Meine Damen und Herren, Sie erinnern sich: Im Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind" wurde — auch Herr Kreile hat darauf abgehoben — 1971 bestimmt, daß das Gesetz in Kraft tritt, sobald sichergestellt ist, daß die vorgesehenen Mittel der Stiftung in vollem Umfange zur Verfügung gestellt werden, und daß der Bundesjustizminister den Tag des Inkrafttretens bekanntgibt.
Die Bestimmung wurde vor dem Bundesverfassungsgericht angefochten. Dieses hat entschieden, daß die Vorschrift mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Verfassungsrichter führten aus, weder der Wortlaut noch der Sinn von Art. 82 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes forderten, daß der maßgebliche Zeitpunkt des Inkrafttretens eines Gesetzes unter allen Umständen wörtlich und unter genauer Bezeichnung eines Termins im Gesetz angeführt werde. Durch die grundgesetzliche Regelung soll sichergestellt werden, daß über den Zeitpunkt der Verbindlichkeit der Rechtsnorm Klarheit herrscht. Wenn aber idas Bundesverfassungsgericht es für grundgesetzmäßig ansieht — und durch sein Urteil angesehen hat —, daß — im damaligen Falle — der Bundesjustizminister den Tag des Inkrafttretens bekanntgibt, gilt das um so mehr, wenn in unserem Falle das Parlament selbst durch besonderen Gesetzesbeschluß den Zeitpunkt des Inkrafttretens bestimmen soll.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kreile?
Nein, ich möchte zum Ende kommen.
Gut, die Redezeit ist auch gleich zu Ende.
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8756 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Dem Herrn Kollegen Kreile als Fachmann in Finanzfragen ist sicher bekannt, daß es in Art. 3 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom August 1965 eine vergleichbare Regelung gegeben hat, in der der Zeitpunkt des Inkrafttretens nicht kalendermäßig bestimmt war, sondern durch besonderes Gesetz geregelt werden sollte. Dieses Gesetz trug übrigens u. a. die Unterschriften von Herrn Adenauer und von Herrn Mende.
Hier behält der Bundestag durch die Vorschrift des Art. 15 die Kontrolle über das Inkrafttreten der Lohnsummensteuerbestimmungen; Unklarheit über den Zeitpunkt des Inkrafttretens kann es nicht geben. Wer die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts durch ein erneutes Urteil bestätigt haben will, der mag Klage erheben; wir können einem solchen Verfahren mit großer Gelassenheit entgegensehen.
Nun zum Schluß, meine Damen und Herren: Warum die Aufregung? Lassen Sie uns so beschließen, wie die Ausschüsse es uns vorgelegt haben; dann nutzen wir die Zeit, um daraus die Notwendigkeit herausnehmen zu können — —
— Entschuldigung, man kann sich auch einmal im Wort verirren. — Dann nutzen wir die Zeit zum Aushandeln des Ausgleichs. Darum geht es!
Inzwischen setzen wir gemeinsam den neuen Tarif und auch die Umsatzsteuerregelung in Kraft,
und dann machen wir rechtzeitig Nägel mit Köpfen, die alle Betroffenen mittragen. Darauf kommt es an: daß es eine Regelung gibt, die alle Betroffenen mittragen.
Damit entlasten wir die Wirtschaft so, wie wir die Absicht haben und auch keinen Moment zögern, das zu verwirklichen.
Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Funcke.
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Herr Kollege Kreile ist allen als ein Freund der Muse und des Theaters bekannt. Er hat hier eben eine Vorstellung gegeben, die gewisse Anleihen an diese Kunst gemacht hat. Sein steuerhistorischer Teil könnte unter der Überschrift stehen: „Dichtung und ..." — ich hatte hier „Halbwahrheiten" stehen, aber sagen wir mal: jene Verzerrungen, die sich bei Darstellungen im Zeitraffer-tempo ergeben und falsche Assoziationen wecken.Er hat gesagt, wir hätten 1970 die Abschaffung der Ergänzungsabgabe zugesagt. — Nun, meine Damen und Herren, zahlen wir sie etwa noch? Und wir haben Steuersenkungen zugesagt, Auch diese Zusage wurde gehalten. Denn es ist die Steuerreform in die Wege geleitet worden — parallel zu den Arbeiten der Kommission. Herr Kreile hat dann gesagt: 1973 habt ihr 10 % auf die Steuer aufgeschlagen. — Herr Kollege Kreile, wir haben hier gemeinsam ein Stabilitätsgesetz beschlossen. Danach sind Steuererhöhungen unter besonderen Umständen nicht aus fiskalischen, sondern aus konjunkturpolitischen Gründen bei Überkonjunktur notwendig, allerdings nur befristet. Der Zuschlag wurde beschlossen und nach Ablauf der Frist zurückgenommen. Sie können doch jetzt unmöglich mit solcherlei — entschuldigen Sie — Mätzchen vergessen machen wollen, was wir Ihnen immer mit Recht vorhalten: daß Sie zu der Zeit, als Sie den Finanzminister stellten, in zweieinhalb Jahren acht Steuererhöhungen beschlossen haben. Einige haben wir in der Zwischenzeit redressiert.Die Steuerlastquote ist jedenfalls seit 1969 — darum kommen Sie nicht herum — gefallen und wird durch dieses Gesetzesbündel weiterhin fallen.Meine Damen und Herren, die Fraktion der FDP begrüßt es, daß wir in den Ausschüssen rechtzeitig die vorliegenden Beschlüsse gefaßt haben, die sich aus dem Paket vom Sommer dieses Jahres ergeben haben: die Anhebung des Kindergeldes, die frühere Zurruhesetzung. Schwerbehinderter, die Beseitigung des Tarifsprungs, im Lohn- und Einkommensteuertarif die Anhebung des Grundfreibetrags, die Anhebung des Vorwegabzugs bei Sonderausgaben von Selbständigen und Freiberuflern, die Anhebung des Pauschbetrags für Unterhaltszahlungen an Dritte, die Einführung des wahlweisen Realsplittings, die gerechte steuerliche Behandlung der unterhaltsverpflichteten Elternteile, die Verlängerung der Sonderabschreibungen bei Seeschiffen, der Grundsatzbeschluß zur Abschaffung der Lohnsummensteuer und die Anhebung der Umsatzsteuer; von einigen kleineren Änderungen einmal abgesehen, die wir gemeinsam beschlossen haben.Dieses Paket — so haben wir zu Beginn der Beratungen gesagt, und dabei bleiben wir — ist ausgewogen. Es ist finanzierbar, wenn auch nicht leicht. Und es ist ein Beitrag aller öffentlichen Hände zur Verbesserung der Konjunkturlage.Die FDP hat sich rechtzeitig, und zwar vor dem Gipfel, Gedanken gemacht, welche grundsätzlichen steuerlichen Forderungen in den nächsten zwei Jahren bis zum Abschluß der Legislaturperiode verwirklicht werden sollten. Diese Überlegungen haben wir in die Beratungen des Kabinetts im Juli eingebracht.Einmal ging es um die Umgestaltung des Tarifs. Nun besteht die CDU darauf, daß das ihr Werk sei.
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Frau FunckeIch möchte Ihnen diese Freude nicht nehmen. Meine Damen und Herren, für eine parlamentarische Fraktion ist es allerdings ein bißchen ärmlich, wenn ihre gesamte Initiative darin besteht, die Bundesregierung aufzufordern, irgend etwas vorzulegen, was auf jeden Fall am 1. Januar 1979 in Kraft tritt.
Nichts anderes haben Sie uns doch vorgelegt. Sie haben uns nicht einmal Elemente des Inhalts vorgelegt, sondern lediglich gefordert, die Bundesregierung möge etwas vorlegen, egal, was, jedenfalls etwas, das zu einem bestimmten Zeitpunkt in Kraft tritt. Wenn Sie uns jetzt vorwerfen, wir hätten den Termin des Inkrafttretens der Abschaffung der Lohnsummensteuer nicht festgelegt, aber alles andere, dann halten Sie offensichtlich das Inkrafttreten für wichtiger als den Inhalt. Meine Damen und Herren, dies halten wir allerdings für ein recht bescheidenes Selbstverständnis für einen Abgeordneten oder eine Fraktion.Der jetzt vorliegende Tarif gefällt Ihnen ja auch. Aber zu sagen, Sie hätten diesen Tarif bewirkt ist wohl zuviel behauptet; dazu gehört doch ein bißchen mehr, auch wegen der Glaubwürdigkeit gegenüber der Bevölkerung, als nur zu sagen, welcher Termin Ihnen gelegen kommen würde. Dieser Tarif mit der Absenkung des Tarifsprungs, wie er jetzt vorgeschlagen wird, ist leistungsgerecht und entlastet durch die Anhebung des Grundfreibetrages auch die Steuerzahler in der Proportionalzone.Wir mußten und müssen allerdings weitergehende Vorschläge, die Sie von der CDU/CSU vorlegen — gestern im Ausschuß, heute hier —, ablehnen.Da sind zunächst die Kinderfreibeträge. Die historische Wahrheit — Herr Köster, Sie mögen hier einmal als Kronzeuge auftreten — ist doch, daß Teile der CDU, insbesondere die Familienpolitiker, sehr nachdrücklich nicht nur zugestimmt, sondern gefordert haben, daß das Kindergeld gleichmäßig an alle Familien ausgegeben wird. Dies kann doch wohl nicht bestritten werden. Es kann schon deswegen nicht bestritten werden, weil der Antrag aus Bayern, der dann vom Bundesrat kam, auf Einführung eines Kinderfreibetrages von 600 DM pro „Halbkind" in Ihrer Fraktion gerade von den Familienpolitikern heftig angegriffen wurde und man diesen Streit schließlich in einer grandiosen Weise erledigt hat, indem man nämlich gesagt hat: Machen wir nur die Hälfte, d. h. Kindergeld und nur ein „bißchen" Freibetrag, nämlich nur 300 DM — für jeden Elternteil. Dieser Freibetrag wirkt sich sehr unterschiedlich aus, nämlich mit 0 %bei dem einen und bis zu 56 % bei anderen. Das ist die Wirkung.
— Deswegen haben ja Ihre Familienpolitiker und Sozialpolitiker das nicht gewollt.Zweitens. Eine doppelte Berücksichtigung der Kinder, einmal beim Arbeitsamt und dann in der Steuerkarte und beim Finanzamt, ist nun wahrlich kein Beitrag zur Vereinfachung von Gesetzen und Verwaltung. Man kann nicht immer sonntags und in Wahlkämpfen von Vereinfachung und Abbau von Verwaltung reden und alltags Anträge stellen, die eine Erschwernis und Komplizierung mit sich bringen.
Aber die dritte Frage — und sie ist noch nicht beantwortet — ist doch, wer denn diesen Freibetrag bekommt. Es ist so schön einfach in der intakten Familie. Da wirken sich die 600 DM Freibetrag in der gemeinsamen Veranlagung aus. Aber wie ist es denn, wenn die Familie nicht beieinander wohnt? Soll hier etwa die sorgeberechtigte Mutter, die sich schwer genug tut, den Unterhalt für sich, und das Kind zu erwerben, wenn der Mann nicht zahlt, steuerlich schlechter stehen als ein Ehepaar?
— Ja, sicher, für diesen Fall sieht der Bundesrat keine Lösung vor. Sie haben nur vorgesehen, daß eine Witwe oder ein Witwer nachher hingehen und sagen kann: Mein Partner ist tot; ich möchte seinen Freibetrag haben. Das muß man erst beim Finanzamt beantragen. Aber für einen Elternteil, der keinen Unterhalt von dem anderen Elternteil bekommt, ist nichts vorgesehen. Das heißt, da kann einer, der überhaupt nicht zahlt, den Freibetrag verlangen, während derjenige, der das Kind zu versorgen hat, nur einen halben Freibetrag bekommt. Meine Damen und Herren, in der so schwierigen Diskussion, die wir um die Kinderadditive bei den unterhaltsverpflichteten Elternteilen hatten und bei der wir bis jetzt noch keine verwaltungstechnisch durchführbare und absolut gerechte Lösung gefunden haben, kann man doch wirklich nicht die Problematik durch weitere Freibeträge weiter verschärfen.Nein, wir halten die Anhebung des Kindergeldes für den besseren Weg und begrüßen es sehr, daß zum 1. Januar 1979 das Kindergeld für das dritte und folgende Kind generell so angehoben wird, wie es das Verfassungsgerichtsurteil für Beamte als richtig und notwendig beurteilt hat. Für das Jahr danach ist dann auch für das zweite Kind eine Erhöhung des Betrages von 80 auf 100 DM im Monat vorgesehen.Ich begrüße es sehr und bin als Vorsitzende des Finanzausschusses — dies möchte ich einschieben — sehr dankbar, daß es gelungen ist, im Rahmen der sowieso knappen Beratungszeit auch das Steueränderungsgesetz 1978 mit zu beraten und zu verabschieden. Es geht hier darum, das Ergebnis der Verfassungsklage der unterhaltsverpflichteten Elternteile im Steuerrecht zu berücksichtigen. Denn ich glaube, wir konnten es den Betroffenen nicht zumuten, noch länger auf das Ergebnis ihrer Klage zu warten. Wir haben nun einen Weg gefunden, der sicherlich nicht ideal ist und auch unvermeidlich kleinere Ungereimtheiten enthält, aber vertretbar ist. Bei den Kinderadditiven im Bereich der Lohn-und Einkommensteuer soll der erhöhte Sonderausgabenhöchstbetrag für den sorgeberechtigten Elternteil nicht gekürzt werden. Dem unterhaltsverpflichteten Elternteil soll diese Vergünstigung, wenn er Unterhalt zahlt, wenigstens entsprechend seinem An-
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Frau Funcketeil zusätzlich eingeräumt werden. Dies ist zunächst die einzige Möglichkeit, dieses schwierige Problem für diejenigen, die geklagt haben und noch nicht veranlagt worden sind, rückwirkend bis 1975 und für alle übrigen Betroffenen ab 1976, dem Jahr des Urteils, zu lösen.Der Vorwegabzug für die Selbständigen und Freiberufler wird ab 1. Januar 1980 angeboten. Wir wissen, daß es auch keine Ideallösung des Problems ist, wie wir insgesamt die unterschiedliche Art und Weise der Vorsorge für Alter, Krankheit und Unfall bei den verschiedenen Bevölkerungsgruppen steuerlich behandeln. Eine absolut gerechte Regelung ist nahezu unmöglich. Immerhin wird aber jetzt denjenigen, die die Mittel für die Altersversorgung und für Krankheitsvorsorge allein aufbringen müssen, ein höherer steuerlicher Höchstbetrag zuerkannt als den anderen, die vom Staat oder vom Arbeitgeber Beitragsanteile oder Pensionen bekommen.Lassen Sie mich nun ein paar Worte zu der ,Lohnsummensteuer sagen. Sie ist ja hier zum Reizthema geworden. Es kann kein Zweifel bestehen, daß die Abschaffung der Lohnsummensteuer, die wir aus beschäftigungspolitischen und mittelstandspolitischen Gründen für notwendig halten, in den Gemeinden ungleiche Steuerausfälle bewirkt, bei manchen gar keine, bei manchen viele, bei manchen einige. Ein Ausgleich ist ungewöhnlich schwierig, und zwar nicht nur deshalb, weil es Gemeinden mit Lohnsummensteuereinnahmen und Gemeinden ohne solche Einnahmen gibt. Er ist auch deshalb schwierig, weil in der Gruppe der Gemeinden, die bisher Lohnsummensteuer erhoben haben und erheben, das Gewicht der Einnahmen aus der Lohnsummensteuer im Verhältnis zu den anderen Einnahmen ungleich ist, .wie auch im Bereich der Einnahmen aus der Gewerbekapital- und Gewerbeertragsteuer sehr unterschiedliche Relationen bestehen. Daß Gemeinden auch ohne Lohnsummensteuer auskommen können, ist erwiesen. Doch die plötzliche Umstellung führt zweifellos zu Beschwernissen. Darüber kann kein Zweifel bestehen. Daß dies insbesondere in den Ruhrstädten der Fall ist, braucht kaum erläutert zu werden. Denn dort erwirtschaftet ein nicht unerheblicher Teil von Betrieben keinen Gewinn; und auch die Gewerbekapitalsteuer ist begrenzt, weil es im Bergbau Vergünstigungen bei der Kapitalbewertung gibt. Hier entsteht tatsächlich ein erheblicher Ausfall. Man muß die geäußerten Sorgen verstehen. Die FDP hat sich deswegen frühzeitig Gedanken darüber gemacht, wie ein vernünftiger Ausgleich erreicht werden könnte. Man kann diesen Ausgleich nicht auf einer einzelnen Schiene vornehmen. Wir brauchen ein Bündel von Maßnahmen, um einen einigermaßen gerechten und ausgewogenen Ausgleich zu erreichen. Zum einen wird man erwarten können, daß die Städte ihre Hebesätze bei der Gewerbekapital- und der Gewerbeertagsteuer um etwa 15 % anheben. Im Einzelfall wird auch eine Anhebung um 20 % möglich sein; aber höher kann es wohl kaum gehen. Zweitens handelt es sich um den Anteil an der Einkommensteuer. Wir denken uns, daß er um 1 % angehoben werden müßte, nämlich von 14 auf 15 %, und es müßte die Umlage zurückgenommen werden, vielleicht um ein Viertel. Was dann noch an Restausfallbleibt, müßte durch die Länder gezielt ausgeglichen werden. Ich habe einmal durchgerechnet, was es für Nordrhein-Westfalen ausmachen würde — dessen Vertreter offensichtlich nicht so sehr interessiert sind, aber das vielleicht doch nachlesen —, und habe festgestellt, daß für die Gemeinden, die nicht durch die genannten Maßnahmen die Lohnsummensteuer schon ausgeglichen haben, ein Restausgleich von ungefähr 400 bis 500 Millionen DM insgesamt erforderlich wäre. Dafür wird der Finanzminister in Verhandlungen mit den Ländern Lösungsmöglichkeiten suchen.Nun sagen Sie: die Verabschiedung der Abschaffung mit offenem Termin des Inkrafttretens ist ein ganz tolles und sehr merkwürdiges Verfahren. Nun, der Kollege Westphal hat schon gesagt: Es ist gar nicht so ungewöhnlich, daß man das Inkrafttreten einer Bestimmung in einem Gesetz von anderen Tatbeständen abhängig macht. Das haben wir zum Beispiel auch beim Contergan-Gesetz, beim Strafvollzugsgesetz und beim Bewertungsgesetz so gemacht.Man muß doch folgende Schwierigkeit sehen. Wenn wir den Föderalismus wollen, und zwar einen Föderalismus mit eigenen Zuständigkeiten und Betroffenheiten, dann kann es gar nicht ausbleiben, daß man, wenn der eine über die Gewerbesteuer beschließen kann und dies andere betrifft, in dieser seltsamen Lage zunächst einmal in einer vernünftigen Weise die Möglichkeiten, die sich in Verhandlungen anbieten, ausschöpft, um zu wissen, was man zumuten kann und wie man es mit dem Ausgleich hält. Es ist ein richtiges Verständnis des Föderalismus, daß man in diesem schwierigen Feld nicht einfach von oben runter ohne ausreichende Verständigung über die Auswirkungen beschließt. Wenn wir das richtig sehen, kann das eigentlich nicht merkwürdig erscheinen.Ihren Antrag, meine Herren und Damen von der CDU/CSU, nun auch noch die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen, lehnen wir ab. Ich könnte es mir leichtmachen, indem ich den Vorsitzenden des Städtetags, Herrn Rommel, mit seinem nachdrücklichen Appell zitiere. Es gibt viele der CDU angehörende Kämmerer — ich habe mit einigen gesprochen —, die händeringend bitten: lehnt das aber mal schön ab, denn das noch oben drauf können wir wirklich nicht mehr verkraften; wo sollen unsere Hebesätze schließlich noch bei der Ertragsteuer hin? Ja, sollen denn zum guten Schluß die Handelsvertreter, die Handwerker und die Einzelhändler die ganze Last der Gemeindefinanzierung. tragen?
Das geht wirklich nicht. Hier muß man doch zunächst einmal prüfen, wie die Gemeinden durch eine neue Finanzverfassung in eine Lage versetzt werden können, bei der die Rücknahme weiterer gewerbesteuerlicher Belastung vernünftigerweise ausgeglichen werden kann.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8759
Frau FunckeAber die wollen Sie ja gerade halbieren; dann haben Sie ja wiederum keine Mittel zur Angleichung oder zum Ausgleich.
— Ich habe Sie akustisch nicht verstanden. Wenn Sie wollen, bin ich gern bereit, eine Frage zu beantworten.Was Sie an zusätzlichen Steuerentlastungen fordern — Kinderfreibeträge, 7 b, Gewerbekapitalsteuer — bedeutet eine Senkung der Einkünfte bei Bund, Ländern und Gemeinden um zusätzliche 5 Milliarden DM. Ich komme gleich darauf zurück.Wer immer von den Schulden des Staates kritisch spricht, muß sich fragen, wer sie denn eigentlich verursacht. Wir haben vorgesehen, die Umsatzsteuer ab dem 1. Juli um einen Prozentpunkt anzuheben. Sie wollen das ablehnen, ohne zu sagen, wie der Ausgleich denn sonst erfolgen soll. Sie sagen etwas plakativ: Da nimmt man mit der einen Hand, was man mit der anderen gibt. Nun, allein über Steuern und Kindergeld ist mit einem Nettoentlastungseffekt von 9 Milliarden DM im Jahr 1979 und von 11,5 Milliarden DM im Jahr 1980 zu rechnen. Dies kann ja wohl doch nicht übersehen und nicht wegdiskutiert werden.Sie verlangen nach wie vor Mehrausgaben des Staates — das Erziehungsgeld und vieles andere ist wieder im Gespräch —, bringen aber keinen einzigen Einsparungsvorschlag. Sie wollen weniger Staatseinnahmen, wollen also, daß statt der 9 Milliarden DM gleich 14 bis 15 Milliarden DM weniger in die Staatskassen fließen. Und Sie kritisieren, daß der Staat Schulden macht. Ja, wie soll's denn gehen, meine Damen und Herren?
Herr Kreile sagt übrigens: Schulden machen kann jeder. Herr Kreile, nicht jeder ist kreditwürdig. Wenn die Bundesregierung aber Schulden machen kann, dann zeigt das, daß sie kreditwürdig, d. h. vertrauenswürdig, ist, und zwar im Inland und im Ausland,
d. h. in der Welt und bei ihren eigenen Bürgern. Darüber kann doch wohl kein Zweifel bestehen. Sonst würden wir das Geld ja nicht bekommen. Nur, meine Damen und Herren von der Opposition, da wir nicht so viele Schulden machen wollen, können wir Ihre Anträge auch nicht annehmen.
Denn wenn wir weniger Schulden haben wollen, müssen wir eben Ihre Anträge ablehnen. Sie können nun wirklich nicht alles durcheinander wollen. Das findet nämlich zum guten Schluß der Wähler nicht ganz seriös. Denn der Wähler weiß, selbst wenn er die komplizierten Steuergesetze und Haushaltspläne nicht durchschaut, daß man nicht mehr ausgeben, weniger einnehmen und keine Schulden machen kann; dies weiß er.
Ich habe das Gefühl, daß dann, wenn es Ihnen beim Wähler nicht gelingt, die Regierungsgewalt zu be- kommen, vielleicht dieses mangelnde Verständnis für eine unabgestimmte Finanzpolitik dabei eine Rolle spielen könnte.Wir sagen zu dem Steuerpaket, der Kindergelderhöhung und den übrigen heute und morgen zu verabschiedenden Gesetzesbestimmungen uneingeschränkt ja. Sie belassen die Steuerlastquote unterhalb der Marge, die 1969 bestanden hat, sie verbessern die Lage des Steuerzahlers. Alles zusammen ist ein Schritt in Richtung europäischer Steuerharmonisierung und auch ein Schritt zur Steuervereinfachung. Denn bei einer Steuer, die man abschafft, kann man weder neue Paragraphen einbauen noch Hebesätze, verändern. Allerdings, meine Damen und Herren, ist es kein durchgreifender Beitrag zur Steuervereinfachung. Dies geben wir unumwunden zu. Aber man muß es ja, so wie die Dinge liegen, tatsächlich schon als einen Erfolg ansehen, wenn man Gesetze der CDU ablehnt, die noch weitere Komplizierungen mit sich brächten.Dies werden wir tun.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Geisenhofer.Geisenhofer : Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist jetzt ein. Jahr vergangen, seitdem die CDU/CSU-Fraktion durch ihren Gesetzentwurf vom 26. Oktober 1977 die Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte auf das 60. Lebensjahr gefordert hat. Darum sage ich — auch an die Adresse der Schwerbehinderten und ihrer Verbände gerichtet —: Den heute zur zweiten und dritten Beratung vorliegenden Gesetzentwurf der Koalition hätte es ohne die Gesetzesinitiative der Union nicht gegeben.
Meine Damen und Herren, wir erkennen in Text und Inhalt des Koalitionsentwurfs unsere Handschrift wieder. Sie, meine Damen und Herren von der SPD und FDP, haben von uns abgeschrieben.
Dort, wo Sie unseren ursprünglichen Gesetzentwurf verändert haben, bedeutet das eine wesentliche Verschlechterung für die Schwerbehinderten. Es ist doch eine Benachteiligung vieler Tausender Schwerbehinderter des Jahrgangs 1919, wenn nach dem vorliegenden Gesetzentwurf der Koalition die Altersgrenze nicht in einem Zug am 1. Januar 1979 auf das 60. Lebensjahr vorverlegt wird, wie es die CDU/CSU immer gefordert hat, sondern nur stufenweise am 1. Januar 1979 auf das vollendete 61. Le-
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Geisenhoferbensjahr und erst am 1. Januar 1980 auf das vollendete 60. Lebensjahr.Wesentlich verschlechtert haben Sie von der Koalition auch die Bestimmungen über die Hinzuverdienstgrenze. Es ist bezeichnend, wenn es in der Begründung zum Gesetzentwurf der Koalition heißt:Mit der Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte soll ein Anliegen verwirklicht werden, das von der Bundesregierung seit langem verfolgt wird.
Ich widerspreche dieser Formulierung nicht, Herr Egert, aber ich ergänze sie: Dieses Ihr Anliegen, meine Damen und Herren von der SPD/FDP, wäre auch in Zukunft noch lange verfolgt worden, wenn nicht die CDU/CSU diesem Verfolgen und Warmhalten durch ihren Gesetzesantrag ein jähes Ende bereitet hätte. Wer etwas so dringend Notwendiges für Schwerbehinderte so lange verfolgt wie Sie, ohne zu handeln, macht sich doch in den Augen der betroffenen Schwerbehinderten unglaubwürdig.
Wer wenige Monate vorher, genau am 8. Juni 1978 — ich betone das — sein angeblich eigenes Anliegen im Deutschen Bundestag in namentlicher Abstimmung deswegen niederstimmt, weil es von der CDU/CSU-Opposition kommt, muß doch sein Gesicht verlieren.Die Koalitionssprecher begründeten damals dieAblehnung unseres Gesetzentwurfs damit, daß die finanzielle Lage der Rentenversicherung und des Bundeshaushalts die Annahme des CDU/CSU-Gesetzentwurfes nicht zulasse. Dagegen liest man heute, einige Monate später, in der Begründung des eilig nachgeschobenen Gesetzentwurfs der Koalition, daß die jetzt vorgesehene Maßnahme mit der finanziellen Lage der Rentenversicherung wie auch mit der Arbeitsmarktsituation voll in Einklang stehe. Jetzt auf einmal, weil das von der SPD kommt, ist die Welt in Ordnung.
Jedermann. im Hohen Hause weiß, daß seit der Ablehnung der CDU/CSU-Gesetzesinitiative am 6. Juni 1978 bis zur Vorlage des abgeschriebenen Koalitionsgesetzentwurfes am 14. September 1978 nur 98 Tage verstrichen sind und daß sich die Finanzlage im Bereich der Rentenversicherung und des Bundeshaushalts in so kurzer Zeit nicht geändert hat. Das ist doch die Situation. Aber geändert hat sich etwas: nicht die Finanzlage, sondern die Stimmung der betroffenen Schwerbehinderten in bezug auf die unmögliche Haltung der SPD/FDP. Die Kriegsopfer- und Behindertenverbände waren über Ihre Haltung ebenfalls zutiefst enttäuscht. Schließlich gab es in Ihren eigenen Koalitionsreihen Mißstimmung — sie ist uns bekannt —, und im Ausschuß gab es sogar eine Stimmenthaltung auf seiten der SPD bei der Ablehnung unseres Gesetzentwurfes.Die Wahrheit ist, daß Sie in Zugzwang gekommen sind. Das war die Ursache, warum Sie sichwenige Monate später des abgelehnten Unions-Gesetzentwurfes bemächtigten und ihn als Ihr Werk im Bundestag eingebracht haben, und zwar als eilbedürftig zur ersten Lesung mit Fernsehübertragung am 20. September 1978, um noch rechtzeitig für die Hessen- und Bayernwahl wahlwirksam zu werben. Das ist doch die Situation. Mit solchen taktisch fragwürdigen Methoden haben Sie viel Vertrauen bei den Behinderten und viel Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung verloren.Auch der Bundesrat ist der Auffassung, daß es dem Ansehen der Gesetzgebungsorgane abträglich ist, wenn eine von der Opposition ergriffene Gesetzesinitiative von der Bundesregierung im Deutschen Bundestag zunächst abgelehnt und nach drei Monaten bei unveränderter Sachlage als besonders eilbedürftige Regierungsvorlage erneut eingebracht wird. Meine Damen und Herren von der SPD/FDPFraktion, da haben Sie sich richtig danebenbenommen.
Die Sprecher der Unionsfraktionen haben sowohl bei der ersten Lesung hier im Plenum wie auch bei der Ausschußberatung die SPD/FDP-Kollegen dringend gebeten, doch auf ihren Stufenplan zu verzichten und sich dem Unionsvorschlag der Vorziehung der Altersgrenze für Schwerbehinderte auf das 60. Lebensjahr ab 1. Januar 1979 anzuschließen.Wir von der CDU/CSU finden weder eine sozialpolitische Begründung noch eine arbeitsmarktpolitische Begründung, noch eine gesundheitspolitische Begründung gegenüber diesem Stufenplan. Und wenn Sie sagen, es sei die finanzielle Lage, um die es gehe, dann sage ich Ihnen: Die zusätzlichen finanziellen Belastungen des Bundeshaushalts um zirka 90 Millionen DM — um diesen Betrag handelt es sich —, die durch den Wegfall der Stufenregelung entstehen, könnten bei gutem Willen, meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, durch Umschichtung des Bundeshaushalts abgedeckt werden. Die Union bedauert, daß die SPD/FDP-Fraktion unseren Vorziehungsantrag im Ausschuß abgelehnt hat. Die CDU/CSU-Fraktion wird mit der soeben von mir gegebenen Begründung diesen Antrag, die flexible Altersgrenze für Schwerbehinderte in einem Zug zum 1. Januar 1979 auf das 60. Lebensjahr herabzusetzen, erneut im Plenum stellen.Meine Damen und Herren, den Stufenplan der Koalition halten wir angesichts der Milliardenprogramme der Bundesregierung für kleinlich. Kollege Burger hat das bei der ersten Lesung am 20. September 1978 im Plenum deutlich gemacht.Mit diesem Gesetzentwurf soll ferner die Höhe des zulässigen Hinzuverdienstes so geregelt werden, daß den Schwerbehinderten vor Vollendung des 62. Lebensjahres nur ein Hinzuverdienst von 425 DM monatlich statt 1 000 DM gestattet wird. Aus der Erfahrung wissen wir, daß die Renten der Schwerbehinderten oft so niedrig sind, daß ein höherer Betrag als 425 DM im Monat hinzuverdient werden muß, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können.
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GeisenhoferDen von der SPD/FDP-Koalition vorgelegten Entschließungsantrag, wonach die Bundesregierung aufgefordert wird, an Stelle der unterschiedlichen Verdienstgrenze für Rentenempfänger vom 60. bis 65. Lebensjahr eine einheitliche Verdienstgrenze bis zum Jahre 1982 zu schaffen, findet dann auch die Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion, wenn diese Grenze nicht auf der untersten Basis von 425 DM gefunden wird; sie muß wesentlich höher liegen.Nicht befriedigend ist die indirekte und sehr komplizierte Regelung der Kostenerstattung durch den Bund in den nächsten drei Jahren. Daher stellten wir im Ausschuß den Antrag, daß der Bund den Rentenversicherungsträgern die Mehraufwendungen nach diesem Gesetz in voller Höhe erstattet und nicht nur in der von der Bundesregierung vorausgeschätzten Höhe. Leider ist dieser Antrag im Ausschuß abgelehnt worden, weshalb wir ihn im Plenum erneut stellen werden.Die Union bedauert, daß wir auf die von uns aufgeworfene Frage einer Einbeziehung der Spätheimkehrer und der politisch Verfolgten von der Bundesregierung keine genügende Auskunft erhalten konnten. Wir von der Union sind stolz darauf, die Initiatoren dieses Gesetzentwurfes für die Schwerbehinderten zu sein.
Sie, meine Damen und Herren von der SPD/FDPKoalition, müssen sich leider sagen lassen: Der Gesetzentwurf trägt eine falsche Etikette; der Inhalt ist Eigentum der CDU/CSU. Sie schmücken sich mit fremden Federn.
Der ursprüngliche Gesetzentwurf der Union ist aus der Erfahrung und der Sorge entstanden, daß die Schwerbehinderten in diesem Alter auf Kosten ihrer Gesundheit arbeiten, so daß das Vorziehen des Altersruhegeldes auf das 60. Lebensjahr auf Antrag wirklich gerechtfertigt ist. Ich betone aber: auf Antrag; denn kein Schwerbehinderter darf — weder von der Betriebsleitung noch von den Betriebs- und Personalräten — gedrängt werden, vom Vorziehungsrecht Gebrauch zu machen, wenn er nicht will.
Meine Damen und Herren, ich sage das, damit die gute Zielsetzung des Gesetzes nicht ins Gegenteil verkehrt und zum Nachteil der Schwerbehinderten mißbraucht wird.
Wir haben diesem Gesetzentwurf vorwiegend eine sozial- und gesundheitspolitische Begründung gegeben. Aber es wird auch nicht verkannt werden dürfen, daß durch dieses Gesetz eine Anzahl von Behinderten-Arbeitsplätzen frei wird, die dann von jüngeren Arbeitslosen eingenommen werden können. Sie, meine Damen und Herren von der SPD/ FDP-Koalition, könnten sich in dieser Stunde Verdienste erwerben, wenn Sie unserem Antrag, die Stufenregelung aufzugeben, Ihre Zustimmung gäben.
Wenn Sie das nicht tun — ich sage das fast aus innerer Erregung —,
müssen Sie die Verantwortung dafür auf sich nehmen, daß ein Jahrgang der Kriegsgeneration von der Vergünstigung ausgeschlossen wird.
Der Dank vieler Tausender von Behinderten, denen durch Ihre Zustimmung, meine Damen und Herren, von der SPD/FDP, geholfen werden könnte, wäre Ihnen und dem Hohen Hause sicher.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lutz. •
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten scheuen an sich die großen Worte.
— Ja, auch wenn Sie es nicht glauben! Wir scheuen sie!
— Vielleicht hören Sie auch einmal zu! Wir Sozialdemokraten pflegen nämlich auch zuzuhören. Das unterscheidet uns von Ihnen!
Diesmal darf gesagt werden, daß die Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte von uns als sozialpolitischer Meilenstein angesehen wird.
Wir haben über Jahre darum gerungen. Wir haben nach Finanzierungsmöglichkeiten gesucht, und wir sind als Sozialpolitiker — ich sage das mit allem Freimut — unserer Fraktion auf die Nerven gefallen. Morgen wird der Deutsche Bundestag in seiner Mehrheit die stufenweise Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte beschließen. Er wird gleichzeitig auch die Weichen für ein solides finanzielles Konzept einer solchen Regelung gutheißen.
— Ein solides Konzept!Der Bundesrat wird das Gesetz nicht zu Fall bringen können. Wir werden etwas mehr Menschlichkeit mit dieser Abstimmung im Deutschen Bundestag verwirklichen. Unsere schwerbehinderten älteren Arbeitnehmer wissen, daß sie ab 1979 mit Lebensalter 61 in Rente gehen können und daß ab 1980 auch die 60jährigen Schwerbehinderten sich aus dem aktiven Berufsleben vorzeitig zurückziehen dürfen.Wir haben darum gerungen; jetzt haben wir's erreicht. Sie werden verstehen, daß wir mit Stolz und Genugtuung
in einer solchen Stunde hier Rechenschaft legen.
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8762 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Lutz— Ich hatte Sie ja gebeten, auch einmal zuzuhören, wie wir dem Vorredner zugehört haben. Vielleicht schaffen Sie das noch.
In unsere Freude mischt sich allerdings Bitterkeit. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die über Jahrzehnte hinweg das Problem nicht gesehen haben oder nicht lösen konnten,
stehen jetzt auf der Matte und lassen verlautbaren, Sie würden, wenn es nach Ihnen ginge, noch viel 'schneller die Altersgrenze für Schwerbehinderte herabsetzen. Mein verehrter Vorredner hat es gerade wieder demonstriert. Ich darf seine Worte nicht qualifizieren, sonst würde ich mir wahrscheinlich eine faustdicke Ordnungsstrafe einhandeln.
Es wäre nicht parlamentarisch, diese miese Hase-und-Igel-Rhetorik mit kräftigen Luther-Worten zu demaskieren. Also halte ich mich an Fakten und halte fest:Erstens. Die flexible Altersgrenze wurde erst von der sozialliberalen Koalition 1972 eingeführt.Zweitens. Damals haben Sie das Gesetzeswerk von 1972 mit haarsträubenden finanziellen Risiken belastet, und wir haben das in der letzten Legislaturperiode korrigieren müssen.Drittens. Bei dem heutigen Schritt handeln Sie genauso unseriös. Sie wollen den zweiten vor dem ersten Schritt tun und nehmen dafür eine um knappe 100 Millionen DM steigende Staatsverschuldung in Kauf.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller ?
Nein, das möchte ich eigentlich nicht.
— Nein, das, glaube ich, brauchen Sie wirklich nicht zu befürchten.Viertens. Ihr ebenso naiver wie windiger Finanzierungsvorschlag lautet: Im Gipfelgeld — so haben Sie es im Ausschuß gesagt, was immer das wäre — wären noch 100 Millionen drin.Fünftens. Derartige Rechnungen muten wir den Schwerbehinderten und der Versichertengemeinschaft nicht zu. Im jetzt vorliegenden Gesetzentwurf wird der Bund die finanziellen Lasten für die Rentenversicherung ausgleichen. Man kann darüber streiten, ob er das ausreichend tut. Aber er tut es. Sie dagegen wedeln mit einem ungedeckten Wechsel herum und offenbaren damit, daß Sie auch über 1980 hinaus nicht mit der Übernahme der politischen Macht in Bonn rechnen. Sie sind, mit Verlaub gesagt und mit aller Zurückhaltung, eine sehr merkwürdige Opposition. Ihr Reden ist nicht Silber — es wäre etwas anderes, aber das darf ich auch nichtsagen —, und schweigen können Sie sowieso nicht, was manchmal sehr bedenklich stimmt.Wir dagegen tragen die Verantwortung,
und das zwingt uns, den Schwerbehinderten offen und frei zu erklären:Erstens. Nur unser Stufenplan garantiert ein solides finanzielles Fundament für die jetzt beabsichtigte soziale Reform.Zweitens. Wäre es anders — wäre es wirklich anders —, wir würden nicht zögern, im Hauruckverfahren die flexible Altersgrenze für Schwerbehinderte sofort auf das Lebensalter 60 zu senken.Drittens. Unser Bemühen geht dahin, allen älteren Mitbürgern die Möglichkeit zu eröffnen, früher aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Das ist derzeit noch nicht machbar, weil nicht finanzierbar.Aber wir beschließen — viertens — heute, einenrealistischen Zwischenschritt in der als richtig erkannten Richtung. Wir eröffnen unseren schwerbehinderten älteren Mitbürgern heute die Möglichkeit, früher in Rente gehen zu können. Es bleibt deren freie Entscheidung; darauf legen wir Wert. Es kommt uns darauf an, daß niemand nach diesem Gesetz aus dem Erwerbsleben gezwungen werden darf. Jeder Schwerbehinderte entscheidet ganz persönlich, ob er weiterarbeiten will oder in den Ruhestand gehen will.Wir appellieren an die Betriebe, dieses Gesetz nicht zu unzulässigen und vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Pressionen zu nutzen. Wir appellieren an die Unternehmensleitungen, jeden freigewordenen Arbeitsplatz eines Schwerbehinderten umgehend auch wieder mit einem Schwerbehinderten zu besetzen. Wir werden auch — lassen Sie mich das in allem Freimut sagen — nicht zögern, die Ausgleichsabgabe für nicht besetzte Schwerbehindertenplätze heraufzusetzen, wenn dieser Appell mißverstanden werden sollte.
Wir rechnen dabei mit der Unterstützung aller Fraktionen dieses Hauses.
Gleichzeitig mit diesem Gesetz liegt Ihnen einEntschließungsentwurf des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vor, um dessen Zustimmung ich bitte. Es ist das leidige Problem der Zuverdienst-grenzen, das wir damit in Angriff nehmen wollen. Wir meinen, daß jeder ältere Arbeitnehmer — sei er nun 63, sei er schwerbehindert, Beamter, sei es eine Frau, sei es ein Arbeitsloser und Erwerbsunfähiger gleichbehandelt werden sollte. Das ist der-zeit nicht der Fall. Die Möglichkeit, auch als Rentner oder Pensionär einer Teilzeitbeschäftigung nachzugehen, ohne daß dies auf die Altersversorgung durchschlägt, ist höchst unterschiedlich geregelt. Wir bitten die Bundesregierung in dem Entschließungsentwurf, gleiches Recht für alle zu setzen. Wir wissen, daß das schwer ist, aber es wäre machbar. Ich glaube, alle Seiten dieses Hauses müßten uns da zustimmen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8763
LutzLassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort zu der Frage sagen, wie es denn in der Rentenversicherung weitergeht. Ich glaube, Bundesarbeitsminister Ehrenberg kann mit Genugtuung feststellen, daß sich die finanzielle Lage der Rentenversicherung exakt so entwickelt, wie er es vorausgesagt hat. Die Zahlen sind eher noch etwas besser. Die Rentner, wir alle brauchen also um die Sicherheit unserer Altersversorgung nicht zu bangen. Die nächsten Rentenanpassungen werden planmäßig vorgenommen werden können, und wir werden 1982, wie im 21. Rentenanpassungsgesetz vorgesehen, zur bruttolohnbezogenen Rentenanpassung zurückkehren.
— Hie und da hört man andere Stimmen. Unser temperamentvoller Kollege Schmidt hat laut nachgedacht und gewisse Zweifel angemeldet.
Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Wir Sozialdemokraten stehen unter dem Gesetzesbefehl des 21. Rentenanpassungsgesetzes,
und wir denken nicht im Traum daran, uns dieser Verpflichtung zu entziehen.Eine ganz andere Frage ist es, wie überhaupt auf lange Frist gesehen unser Rentenrecht neu zu ordnen wäre. Bis 1984 — das wissen Sie alle — muß die große Rentenreform stattfinden. Das Bundesverfassungsgericht hat uns diesen Termin gesetzt. Meine Partei wird noch im Laufe des nächsten Jahres klar und unmißverständlich darstellen, wie wir uns die Zukunft der Rentenversicherung vorstellen. Diesem Reformwerk vorzugreifen, Einzelstücke herauszunehmen oder auf dem öffentlichen Markt zu zerreden, hielten wir für gänzlich unangebracht.Wir haben Ruhe an der Rentenfront geschaffen. Wir schaffen jetzt ein bedeutendes soziales Werk. Wir werden nichts tun, mit immer neuen Gedanken und Überlegungen unsere älteren Mitbürger zu verunsichern. Wir schaffen — und Sie sind aufgefordert, sich daran zu beteiligen — mehr Menschlichkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.
Frau Präsident! Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen! Ich möchte darauf verzichten, hier einiges von dem, was an richtigen Begründungen von beiden Seiten des Hauses vorgebracht worden ist, zu wiederholen. Im Grunde genommen ist von allen Sprechern für die Begründung dieses Gesetzes schon in der ersten Lesung alles klar zum Ausdruck gebracht worden.Lediglich den Appell des Kollegen Lutz an Arbeitgeber, an Betriebsräte und auch an die Nachdrängenden in den Betrieben, dieses Gesetz nicht dazu zu mißbrauchen, Behinderte aus ihren Arbeitsverhältnissen herauszudrängen, möchte ich noch einmal ausdrücklich unterstützen.
Herr Kollege Geisenhofer, Sie haben eigentlich das getan, von dem ich gehofft hatte — dies habe ich auch in der ersten Lesung zum Ausdruck gebracht —, daß es nicht eintritt: Sie haben nämlich die Vorlage dieses Gesetzes dazu gebracht — ich möchte mich mäßigen und nicht sagen: mißbraucht —, um eigene Leistung, eigenes sozialpolitisches Engagement besonders herauszustellen. Ich muß mich in diesem Punkt insoweit aus der ersten Lesung wiederholen.
Ich muß sagen: Dieses berechtigte sozialpolitische Anliegen, unterstützt von allen drei Fraktionen, sollte nicht zur eigenen Profilierung mißbraucht werden.Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen — ich bitte Sie, das auch nachzulesen —, daß der Kollege Hölscher und auch ich bei der Lesung des ersten Gesetzentwurfs, den Sie damals eingebracht haben, sehr deutlich gemacht haben, daß wir dieses Anliegen inhaltlich voll und ganz unterstützen. Wenn ich Ihnen als Kronzeuge nicht seriös oder vertrauensvoll genug bin, bitte ich Sie, doch noch einmal die Rede des Kollegen George nachzulesen, der mit sehr großer Redlichkeit, sehr objektiv, sehr sauber dargestellt hat, wie alle drei Fraktionen hinter dem Inhalt dieses Gesetzes stehen.Aber, Herr Kollege Geisenhofer, es gibt sehr wohl einen Unterschied, den Sie, wie ich meine, nicht mit der notwendgen Deutlichkeit dargestellt haben. Das ist die Tatsache, daß sich Ihr Gesetzentwurf von damals und der jetzige in einem Punkt — wie ich meine — erfreulicherweise unterscheiden. Daß es hier nun auch keinen Unterschied in den Auffassungen mehr gibt, beweist mir Ihr Entschließungsantrag.Sie hatten damals vorgeschlagen — und ich sage das ganz wertfrei —, die Kosten, die durch die Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbeschädigte entstehen würden, aus der Solidargemeinschaft der Rentenversicherung zu decken.
Ich stelle dies hier nicht als einen indiskutablen Vorschlag hin, weil ich weiß, daß in Ihrer Fraktion um die Frage, wie man so etwas finanzieren kann, durchaus ernsthaft gerungen worden ist. Ich respektiere —
— Nein, nein, Ihr Finanzierungsvorschlag lautete damals anders. Das wollen wir nun einmal festhalten. Ich respektiere beide Meinungen, die innerhalb Ihrer Fraktion geäußert worden sind, auch wenn Sie dann zu einer anderen Mehrheitsmeinung gekommen sind.
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8764 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
CronenbergUm so mehr, Herr Kollege Geisenhofer, freut es mich, daß Sie uns heute einen Entschließungsantrag vorlegen, der inhaltlich nunmehr noch weitergeht als die Koalition mit ihrem jetzigen Finanzierungsvorschlag. Sie sagen nunmehr, daß der Bund die Finanzierung auch über eine mögliche Höchstgrenze hinaus übernehmen soll.Es ist festzustellen — und dies freut mich sehr —, daß die Grundfinanzierung nunmehr auf jeden Fall — und dies ist auch systematisch richtig — aus Haushaltsmitteln erfolgen soll.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Jawohl.
Herr Kollege Burger, bitte sehr.
Herr Kollege Cronenberg, ich unterstütze das, was Sie sagen, voll und ganz. Darf ich Sie aber fragen, ob Sie die Erregung meines Kollegen Geisenhofer nicht doch verstehen können, wenn Sie überlegen, ob es in der Geschichte dieses Parlaments ein vergleichbares Beispiel gegeben hat, daß eine Oppositionspartei einen Gesetzentwurf eingebracht hat, der in namentlicher Abstimmung abgelehnt wurde, und dann von den Mehrheitsparteien wenige Wochen später fast gleichlautend wieder eingebracht wurde?
Herr Kollege Burger, ich verfüge nicht über die Parlamentserfahrung wie Sie und weiß also nicht, ob es einen vergleichbaren Tatbestand gibt. Lassen Sie mich aber zwei Dinge bemerken: Erstens ist mir in Erinnerung, daß von Ihnen in namentlicher Abstimmung — und da war ich Zeuge — Anliegen, die von Ihnen über Jahre postuliert worden sind, abgelehnt worden sind. Ich erinnere an die Senkung der Vermögensteuer und an die Erhöhung des Kindergeldes. Das wurde hier in namentlicher Abstimmung von Ihnen abgelehnt.
Zweitens unterstellt Ihre Fragestellung etwas, was im Grunde genommen nicht richtig ist. Es ist zwar richtig, daß der Gesetzentwurf inhaltlich im wesentlichen dem entspricht, was Sie damals vorgeschlagen hatten, aber es gibt zwei Punkte
— okay, da läßt sich auch drüber reden; das ist nicht das Problem —, von denen ich einen, den Finanzierungsmechanismus, erwähnt habe — und auf den zweiten komme ich jetzt zu sprechen —, in denen es Unterschiede gibt.
Dieser zweite Punkt ist der folgende: Sie müssen sehen — und dies, Herr Kollege Geisenhofer, möchte ich auch Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen —, daß dieses Gesetz hier in einem Gesamtpaket dargestellt wird. Das heißt, die Dinge, die die Bundesregierung, die der Kanzler anläßlich des Gipfeltreffens zur Ankurbelung der Gesamtkonjunktur auf dieser Welt als Verpflichtung auf sich genommen I hat, werden in diesem Zusammenhang bei dieser Gelegenheit erfüllt. Mit anderen Worten, wir machen genau das, was, so meine ich, die Aufgabe eines Parlaments ist: Wir führen eine — in diesem Falle von allen Seiten als wünschenswert betrachtete — Maßnahme, die obendrein auch noch in das Gesamtkonzept vernünftiger Konjunkturpolitik paßt, zu dem Zeitpunkt durch, zu dem sie finanzierbar, zu dem sie machbar ist. Dies sollte nun meines Erachtens nicht in einen Streit darüber ausarten, wer sich die Federn anzustecken hat, zumal immer wieder deutlich gemacht worden ist — hier berufe ich mich auf den Kollegen George, und auch der Kollege Hölscher hat dies in den Debatten deutlich gemacht —, daß hier nun wirklich auch beim allerbesten Willen kein Dissens herbeizureden ist. Es geht wirklich nicht darum, jetzt festzustellen, wer in dem Chor „Ich bin der Schönste" den Vogel abschießt.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? — Bitte schön, Herr Kollege Burger.
Wir wollen nicht die Schönsten sein, aber trotzdem, Herr Kollege Cronenberg, noch eine Frage: Halten Sie es für berechtigt, daß Ihr Vorredner, Herr Lutz, erklärt hat, das, was die CDU gefordert hat, sei unseriös, aber das, was Sie heute vorlegen, sei mehr Menschlichkeit? Ist das nicht ungerecht, ist das nicht hart, und dient das nicht weiß Gott nicht was, nur nicht der Menschlichkeit im Parlament?
Ich bin davon überzeugt, daß der Kollege Lutz hier mißverstanden worden ist. Ich kann mir nicht vorstellen — und so habe ich es auch nicht verstanden —, daß der Inhalt dieses Gesetzes dann, wenn er von der Opposition vorgeschlagen wird, von ihm als unseriös bezeichnet worden ist. Im Gegenteil, ich meine, er hat eben von dieser Stelle aus deutlich gemacht, daß er und seine Freunde das Anliegen, die Herabsetzung der Grenze, immer befürwortet haben. Wenn ich den Kollegen Lutz richtig verstanden habe, hat er lediglich zum Ausdruck gebracht, daß der Finanzierungsvorschlag, der damals mit unterbreitet worden ist, nicht als seriös zu bezeichnen ist
und er ihn nicht als seriös bezeichnet.
Und dem — es tut mir schrecklich leid — müßte ich, ohne falsche Schärfe hineinbringen zu wollen, beipflichten. Denn eines möchte ich doch noch einmal zum Ausdruck bringen: — —
— Einen Moment, darf ich den Gedanken eben zuEnde führen! Schauen Sie, das ist für uns doch eineungeheuer schwierige Position. Wir alle haben im
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8765
CronenbergZusammenhang mit dem 20. und dem 21. Rentenanpassungsgesetz gemeinsam darum gerungen, es mit seriös finanzierten Rentenversicherungsträgern zu tun zu haben.
Gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage?
Frau Präsidentin, ich gestatte die Zwischenfrage gern, aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich diesen einen Gedanken in diesem Zusammenhang — auch mit Genehmigung des Kollegen Höpfinger — zu Ende bringen dürfte.
Schauen Sie, wir haben für die Rentenversicherungsträger einen Finanzierungsvorschlag vorgelegt, von dem wir überzeugt sind, daß er unter bestimmten Voraussetzungen — Voraussetzungen, was die wirtschaftliche Entwicklung anlangt, Voraussetzungen aber auch, die beinhalten, daß diesen Rentenversicherungsträgern keine zusätzlichen Kosten zugemutet werden — seriös ist. Wir haben hieran bestimmte Bedingungen geknüpft; Herr Kollege Lutz hat dies in seinen Schlußworten noch einmal verdeutlicht. Aber hierzu hat es eine Geschäftsgrundlage gegeben, und die Geschäftsgrundlage lautet, daß nicht etwa Arbeitszeitverkürzungen in großem Umfange die Einnahmen senken oder daß nicht durch Gesetzesvorhaben wie dieses zusätzliche Belastungen der Rentenversicherung vorgenommen werden. Sie wären ja dann die ersten gewesen, die uns mit Recht vorgeworfen hätten, wir finanzierten die Rentenversicherung nicht seriös; diese so unangenehmen und so unwahren Vorwürfe — „Betrug" und ähnliches — wären wieder auf uns zugekommen.
Dies alles ist doch — wenn ich das einmal als Zwischenbemerkung sagen darf — für meinen Kollegen Hansheinrich Schmidt — und wen gibt es wohl, der mit mehr Redlichkeit und mit mehr Ernst an diese Dinge herangeht? — die Ursache gewesen, warum er darauf aufmerksam gemacht hat, daß zusätzliche Belastungen der Rentenversicherungsträger für ihn und für seine Freunde nicht in Frage kommen, weil dies nämlich die Ursache dafür wäre, von Ihnen wieder zu hören, daß wir nicht seriös gewirtschaftet und die Dinge nicht sauber gestaltet hätten. Insofern müßten Sie unsere Vorschläge konsequenterweise unterstützen.
Ihr Entschließungsantrag in dieser Frage ist für mich der Beweis, daß Sie auf dem richtigen Wege sind.
Zu einer Zwischenfrage Herr Kollege Höpfinger.
Herr Kollege Cronenberg, Sie betonen so sehr den seriösen Finanzierungsvorschlag. So viel Unterschied liegt ja darin nicht. Denn wenn ich recht informiert bin, kommt gerade aus Ihrer Fraktion der Vorwurf, daß auch der jetzt vorliegende Finanzierungsvorschlag ungenügend ist.
In der Tat ist es doch so, daß die 410 Millionen DM ab 1982 ausschließlich auf die Rentenversicherungsträger abgewälzt werden, ohne daß gesagt wird, wie das finanziert werden soll.
Herr Kollege Höpfinger, Sie sprechen zunächst einmal die Frage an, inwieweit die sich möglicherweise ergebenden Mehrbelastungen — gegenüber den im Etat vorgesehenen — zu Lasten der Rentenversicherungsträger gehen. Dies ist für uns in der Tat ein ernst zu nehmendes Problem. Wenn Sie damit allerdings die Diskussion meinen, die sich bezüglich der bruttolohnbezogenen Anpassung zu einem späteren Zeitpunkt an diese Frage angeschlossen hat,. dann muß ich darauf aufmerksam machen, daß das in diesem Zusammenhang gar nichts zu suchen hat. Denn hier ist klar und deutlich gemacht worden, daß wir es einmal mit der Finanzierung bis zum Jahre 1981 zu tun haben. Zum anderen ist darauf hingewiesen worden, daß zusätzliche Belastungen, die sich möglicherweise ergeben, Finanzierungsprobleme aufwerfen würden. Es ist das Selbstverständlichste von der Welt, daß jemand, •der gezwungen wird, mehr auszugeben, als er einkalkuliert hat, darüber nachdenken muß, wie er mehr Einnahmen bekommt oder Ausgabeneinschränkungen vornehmen kann.Ich bitte Sie, diese Dinge um der Sauberkeit willen auseinanderzuhalten. Ich bin sicher, daß wir diesen Fragenkomplex noch einmal sehr ausführlich im Ausschuß diskutieren können, wenn wir an die Regelung der Fragen nach 1982 bzw. 1984 gehen.
— Herr Kollege Franke, entschuldigen Sie. Wenn Sie mir unterstellen wollen, ich hätte dem Kollegen Höpfinger Unsauberkeiten nachgesagt, dann habe ich mich sicher falsch ausgedrückt. Nichts liegt mir ferner, als gerade dem Kollegen Höpfinger solches zu unterstellen. Ich wollte lediglich darauf hinweisen, daß die saubere Trennung der Finanzierungsabschnitte notwendig ist, um die Dinge sauber und ordnungsgemäß zu behandeln.Nun möchte ich noch ein paar Bemerkungen machen, die mir in diesem Zusammenhang vom Grundsätzlichen her wichtig zu sein scheinen.Die erste Bemerkung. Wir haben hier sehr deutlich gemacht, daß das spezielle sozialpolitische Anliegen der Senkung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte keine Verpflichtung für die Solidargemeinschaft der Versicherten, sondern eine Aufgabe von allgemeiner sozial- und gesellschaftspolitischer Bedeutung ist. Es ist richtig — ich wünsche mir das auch für andere Bereiche —, daß dieser Grundsatz in Zukunft überall respektiert wird. Wenn wir zwischen Leistungen, die durch Versicherte finanziert werden müssen, und Leistungen, die von der Allgemeinheit, d. h. durch Staatszuschüsse finanziert werden müssen, sauber unterscheiden, werden wir auch eine bessere und anständigere Diskussion im Zusam-
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Cronenbergmenhang mit der Finanzierung . der Rentenversicherung haben.Im übrigen hoffe ich, daß der Streit, der hier heute noch einmal aufgebrochen ist, die Begünstigten, in diesem Fall die Schwerbehinderten, nicht davon abhalten wird, allen drei Fraktionen den guten Willen in dieser Angelegenheit zu bescheinigen.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Buschfort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf zur Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte liegt Ihnen heute zur abschließenden Beratung vor. Dieser Entwurf zeigt, daß sozialer Fortschritt auch- unter schwieriger gewordenen ökonomischen Rahmenbedingungen möglich bleibt. Die Bundesregierung freut sich darüber, daß es draußen und auch bei den Beratungen in den Ausschüssen eine breite Zustimmung gegeben hat.Kern der Regelung ist die Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte auf das 61. Lebensjahr ab 1979 und auf das 60. Lebensjahr ab 1980. Bereits bei der Einführung der flexiblen Altersgrenze im Jahre 1972 haben wir die Altersgrenze für Schwerbehinderte auf das 62. Lebensjahr festgesetzt; denn gerade dieser Personenkreis hat unter den Belastungen des Arbeitslebens und der Kriegsfolgen besonders zu leiden. Aber schon damals haben wir immer wieder betont, daß dies nur ein erster Schritt sein könne und daß die politische Absicht bestehe, im Rahmen der Finanzierungsmöglichkeiten weitere Fortschritte zu erzielen.Im Jahre 1974 haben wir durch die weitere Entwicklung des Schwerbeschädigtenrechts zum Schwerbehindertenrecht den Kreis der Personen, die schon mit 62 Jahren das flexible Altersruhegeld beantragen können, erheblich erweitert. Die nunmehr vorgesehene weitere Herabsetzung der Altersgrenze setzt den seit 1972 eingeschlagenen Weg folgerichtig fort. Sie ist Teil unserer Gesamtpolitik für Behinderte, die sich an den drei Schwerpunkten Rehabilitation, Integration, Ausgleich spezifischer Nachteile orientiert. Auf allen drei Gebieten ist seit 1969 Wesentliches geleistet worden.
— Auf das, was vorher war, will ich gleich noch an anderer Stelle eingehen; aber ich glaube, vorher ist denkbar wenig geschehen.Ich erinnere an das Aktionsprogramm für Schwerbehinderte aus dem Jahre 1970. Es wurde damals als erstes umfassendes Konzept zur Eingliederung der Behinderten entwickelt. Dieser groß angelegte Entwurf ist Schritt für Schritt, Jahr für Jahr und auch in den Jahren der erschwerten ökonomischen Rahmenbedingungen seit .1974 verwirklicht worden. Allein schon die steigende Förderung der beruflichen Rehabilitation durch den Bund beweist das. In der Zeit von 1962 bis 1969 wurden nur knapp 30 Millionen DM ausgegeben. Die Ausgaben zur Förderungder beruflichen Rehabilitation in der Zeit von 1970 bis 1977 haben das Zwölffache dieses Betrages, nämlich 364 Millionen DM, erreicht.Die Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft und die damit verbundenen Hilfen sind seit 1974 nicht mehr von den Ursachen der Behinderung abhängig. Es kommt nunmehr ausschließlich auf die Art und die Schwere der Behinderung an. In zwei Sonderprogrammen haben wir 1976 und 1978 jeweils rund 100 Millionen DM für die Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen für Schwerbehinderte zur Verfügung gestellt. Die Beträge flossen aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe nach dem Schwerbehindertengesetz. Damit konnten jeweils 9 000 Arbeitsplätze für Schwerbehinderte neu geschaffen werden.Die weitere Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte trägt ihre Rechtfertigung in sich selbst. Sie ist darüber hinaus aus arbeitsmarktpolitischen Gründen besonders geboten. 70 000 Schwerbehinderte werden hierdurch in den nächsten drei Jahren die Gelegenheit erhalten, auf Grund ihrer freien Entscheidung früher in Rente zu gehen. Dies gibt den arbeitslosen Schwerbehinderten bessere Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden.Ich möchte an dieser Stelle an alle öffentlichen und privaten Arbeitgeber appellieren, die Erwartungen der arbeitslosen Schwerbehinderten nicht zu enttäuschen, ja ich will sagen: Bedenken Sie, daß die vorhandenen behindertengerechten Arbeitsplätze auch wieder mit Schwerbehinderten besetzt werden.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat für die Forderung Verständnis, die flexible Altersgrenze für Schwerbehinderte nicht stufenweise, sondern sofort auf das 60. Lebensjahr herabzusetzen. Sie würde dieser Forderung aus sozialpolitischen und arbeitsmarktpolitischen Gründen gerne ihre Zustimmung geben. Aber die Bundesregierung muß auch die Frage nach der Finanzierbarkeit einer solchen weitergehenden Maßnahme stellen. Auf diese Frage gibt es zur Zeit keine positive Antwort. Aus den Mitteln der gesetzlichen Rentenversicherung — ich glaube, darin stimme ich mit allen überein — wären die damit verbundenen Mehraufwendungen nicht zu finanzieren. Natürlich könnte man auch an die Übernahme der zusätzlichen Mehraufwendungen durch den Bund denken. Hier sollte man sich aber vergegenwärtigen, daß der Bund sich in diesen Wochen nicht nur im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern auch in anderen Bereichen der sozialen Sicherung außerordentlich stark engagiert hat. Ich meine die Erhöhung des Kindergeldes sowie die Verbesserung des Mutterschutzes durch die Gewährung eines zusätzlichen viermonatigen Mutterschaftsurlaubs zu Lasten des Bundes und die Übernahme der vollen Rentenversicherungs- und Krankenversicherungsbeiträge durch den Bund. Alle sozial- und familienpolitischen Maßnahmen im Rahmen' der Beschlüsse vom 28. Juli 1978 zusammen — also die Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte, die Erhöhung des Kindergeldes und die Verbesserung des Mutterschutzes — haben ein Volumen von 2 Milliarden DM im Jahre 1979 und von rund 3,7 Milliarden DM im
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Parl. Staatssekretär BuschfortJahre 1980. Ich meine, diese Zahlen zeugen von einem bemerkenswerten Engagement des Bundes im sozialen Bereich. Hinzu kommt die geplante Einführung der unentgeltlichen Beförderung für Schwerbehinderte im öffentlichen Nahverkehr.Mit der Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf setzen Sie einen weiteren Markstein in der Behindertenpolitik.Abschließend möchte ich den Kolleginnen und Kollegen in den Ausschüssen, aber ganz besonders den Mitgliedern des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung für die zügige und gründliche Beratung recht herzlich danken.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Köster.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion stimmt der Erhöhung des Kindergeldes für das dritte und jedes weitere Kind zum 1. Januar 1979 von 150 auf 195 DM und der Erhöhung des Zweitkindergeldes zum 1. Januar 1980 von 80 auf 100 DM monatlich selbstverständlich zu. Unsere Bedenken im Hinblick auf die Gesamtsituation des Familienlastenausgleichs sind durch unsere Anträge zum Steuerrecht deutlich geworden, besonders soweit die Wohnbauförderung zugunsten kinderreicher Familien betroffen war.Frau Minister Huber behauptet allerdings im Pressedienst der SPD vom 3. Oktober und noch einmal in den Verlautbarungen ihres Ministeriums vom 5. Oktober, daß wir erst durch die familienpolitischen Beschlüsse der Bundesregierung wach geworden seien und nun mit eigenen Forderungen nachzögen. Die Auslassungen von Frau Huber zu unserem Programm lassen eine beschämend geringe Sachkenntnis des Gesamtproblems „Familienlastenausgleich" und eine unberechtigte Frivolität gegenüber den Anliegen kinderreicher Familien erkennen.
Wir haben seit Jahren immer wieder darauf hingewiesen, daß kinderreiche Familien aus allen gesellschaftlichen Verbindungen unserer Leistungsgesellschaft herausfallen, weil die der Familie zur Verfügung stehenden Mittel, verglichen mit dem Markteinkommen der Unterhaltsverpflichteten, wenn auch vermehrt um den Familienlastenausgleich, bei weitem nicht ausreichen, um einen Lebensstandard aufrechtzuerhalten, der auch nur entfernt dem von Familien ohne Kinder vergleichbar ist. Für unsere Vorstellungen und Appelle vergangener Jahre haben Sie immer taube Ohren gehabt, bis Ihnen schließlich das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 30. März 1977 Beine gemacht hat. Unser höchstes Gericht bezeichnet es als verfassungswidrig, wenn Beamte, auch unabhängig von ihrem Einkommen, für das dritte Kind und weitere Kinder einen zu hohen Anteil aus ihrem Leistungseinkommen ver-wenden müssen. Die Regierung ist durch das Bundesverfassungsgericht gezwungen worden, im 7. Besoldungserhöhungsgesetz diesen Forderungen gerecht zu werden.Es ist eine selbstverständliche Forderung sozialer Gerechtigkeit, dafür zu sorgen, daß dritte Kinder von Beamten nicht generell Anspruch auf mehr Kindergeld haben als dritte Kinder derer, die den Wirtschaftsprozeß und die Güterproduktion an vorderster Stelle selber aktiv tragen.In der Begründung der Bundesregierung für ihren Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes auf Drucksache 8/2120 geben Sie diesen Zusammenhang unumwunden zu. Dort findet man den Satz:Durch die Erhöhung des Kindergeldes für dritte und weitere Kinder auf 195 DM wird ein Leistungsstand des allgemeinen Familienlastenausgleichs geschaffen, der es ermöglicht, die für Beamte, Richter und Soldaten im Entwurf eines Siebenten Bundesbesoldungserhöhungsgesetzes vorgesehene überproportionale Anhebung des für dritte und weitere Kinder bestimmten Ortszuschlagteils wieder rückgängig zu machen.Sie haben für die Drittkinder nicht mehr gegeben, als Sie für alle nach höchstrichterlichem Urteil geben mußten, weil alle Kinder gleichzubehandeln sind. Die Familien verdanken also die Erhöhung des Kindergelds für Drittkinder eher dem Bundesverfassungsgericht als Ihnen.
— Die Schwäche Ihrer Familienpolitik, Herr Egert und auch Frau Minister, läßt sich durch Polemik nicht vertuschen.
Sie nennen unsere Vorschläge unsozial und wenig durchdacht, weil wir gefordert haben, Kinderfreibeträge wieder einzuführen. Sehr verehrte Frau Minister, wo waren Sie eigentlich, als im Kabinett die Einführung der Freibeträge nach § 33 a Abs. 1 a des Einkommensteuergesetzes beschlossen wurde?
Und wo waren Sie, als die eineinhalbfache Berücksichtigung bei den Kinderadditiven und den Sonderausgaben beschlossen wurde?
— Das bedeutet, daß ein Freibetrag von 600 DM auch dem von der Frau Minister immer angeführten legendären Generaldirektor mit dem Steuersatz von 56 0/o, wenn er sich von seiner Ehefrau getrennt hat, gewährt wird und sich bei ihm mit 336 DM auswirkt,
während ein arbeitsloser Arbeitnehmer aus diesem Freibetrag keinerlei Vorteile erzielt.
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8768 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
KösterWelche Regierung eigentlich hat die Freibeträgewieder eingeführt, die angeblich so ungerecht sind?
Hat das Bundesverfassungsgericht Sie nicht durch Urteil gezwungen, eine verminderte Steuerleistungsfähigkeit bei denen zu berücksichtigen, die kein Kindergeld bekommen und zu Unterhaltsleistungen verpflichtet sind? Sie bezeichnen Freibeträge als unsoziale Einrichtung aus der Mottenkiste der CDU/ CSU-Familienpolitik und führen selber Freibeträge ein, um der Verfassungswidrigkeit Ihrer Steuergesetzgebung abzuhelfen. Was soll man einem Bundeskanzler glauben, der in einer Anzeige zum hessischen Wahlkampf schreibt, daß die CDU-Länder wieder Freibeträge wollten, was schön klinge, aber sozial ungerecht sei, wenn er selber durch Kabinettsbeschluß gleich hohe Freibeträge eingeführt hat?
Nicht die Freibeträge an sich sind falsch, sondern ihre Handhabung und Anwendung durch die SPD/FDP-Koalition sind ungerecht.
In der Bundesrepublik werden intakte Familien durch die Steuergesetzgebung der SPD/FDP-Koalition benachteiligt.
Unter Umständen genügt eine Postkarte an das Finanzamt mit der Mitteilung, daß man sich von seiner Ehefrau und den Kindern getrennt habe, um berechtigt zu sein, einen Freibetrag von jährlich 600 DM abzusetzen und weitere Steuerfreibeträge bei den Kinder-Additiven in Anspruch zu nehmen. Die Union will mehr Gerechtigkeit für intakte Familien. Wenn Sie Freibeträge nur für geschiedene, alleinstehende und getrenntlebende Elternteile geben, wollen wir das gleiche erst recht für intakte Familien.
Die CDU-Familienpolitik der 60er Jahre hatte höchst aktuelle Ansätze, die Ihre Familienpolitik bis heute nicht im entfernten erkennen läßt. Schon 1961 hat die CDU/CSU Familien mit geringem Einkommen, denen der damals geltende Freibetrag von 1 680 DM im Jahr für das zweite Kind keine steuerliche Erleichterung brachte, eine Ausgleichszahlung von 25 DM pro Monat zuerkannt. Das hieß damals nicht, wie man heute sagt, Sockelgarantie oder Negativsteuer, sondern „einkommenabhängiges Kindergeld". Diese Grundsätze aus der angeblichen Mottenkiste der CDU/CSU sagen doch, daß wir damals schon gewillt waren, denen einen Einkommenssockel zu garantieren, die wegen ihres niedrigen Einkommens aus Freibeträgen keinen Ausgleich gefunden haben.Der Freibetrag rettet in Zeiten der Teuerung bei steigenden Löhnen und sinkender Kaufkraft einen Rest von dynamischer Anpassung des Familienlastenausgleichs an die wirtschaftliche Lage der Familien mit Kindern. Sogar die Lage der Erstkinder läßt sich bei dieser Regelung durch einen Freibetrag mit Sockelgarantie und gegebenenfalls Wahlmöglichkeit zwischen beiden besser sichern als über 1 das Kindergeld aus dem Bundeshaushalt. Wenn sich nach Ausführungen vieler SPD-Abgeordneter die Gerechtigkeit auf das Kind beziehen soll, muß doch jeder Vergleich der Kinderlasten von der Lage eines Ehepaares mit Kindern zu der Lage eines Ehepaares ohne Kinder bei gleichem Einkommen ausgehen.Wenn ein drittes Kind, wie es ein Institut in München ausgerechnet hat, in 18 Jahren 113 702 DM kostet, muß dieser Betrag von den Eltern zunächst voll versteuert werden. Als Kindergeldleistung steht dem bei ungünstiger Geburtenfolge unter Umständen nur ein staatlicher Beitrag von 13 000 DM für 18 Jahre als Kindergeld für das dritte Kind gegenüber. Wenn sich ein anderes Ehepaar ohne Kinder statt dessen als Vermögensanlage ein Mietshaus für 113 000 DM kauft, kann es über 40 000 DM Steuerfreiheit nach § 7 b und bei Kreditaufnahme und normaler Tilgung über weitere 110 000 DM Steuerfreiheit für Zinsen absetzen, was eine Steuerersparnis von 45 000 DM erbringt. Ich setze dabei keine ungewöhnlichen Einkommensverhältnisse voraus. Bei einem Spitzensteuersatz von 30 % und zwei Erwerbstätigen ist das schon erreichbar.Ihre Familienpolitik wird von den Konsequenzen aus Gerichtsurteilen des Bundesverfassungsgerichts geprägt. Dort, wo es möglich ist, relatives Unrecht zu beseitigen, sagen Sie nein. Wenn § 7 b auch kinderreichen Familien rein theoretisch das Recht gibt, gleich zwei Häuser steuerbegünstigt zu bauen oder zu kaufen, halten wir es für richtig, daß die kinderreichen Ehepaare ihre Berechtigung hinsichtlich eines eigengenutzten Eigenheimes kumulieren können.
Dies hat die Regierungskoalition abgelehnt. Wieder lehnte sie somit eine familienfreundliche Ausprägung des § 7 b ab. Immer wieder vertrösten uns Regierung und Mitglieder der Koalition auf ferne Berichte von Transferkommission und Steuerexperten zum § 7 b. Lösungsvorschläge für die Eigenkapitalbeschaffung für kinderreiche Familien zur familiengerechten Versorgung mit Wohneigentum werden von Ihnen offensichtlich nicht einmal bedacht.Das heutige Steuersystem und die Sozialleistungsgesetzgebung sind so wenig aufeinander abgestimmt, daß es zu gräßlichen, fast unmenschlichen Ungerechtigkeiten kommt: Hier eine Familie, die durch Aufteilung bestimmter Einkünfte durch Vertrag mit ihren Kindern diesen selbständige Einkünfte ermöglicht und damit jedem Kind neben dem Kindergeld noch mehrere tausend Mark zusätzlicher Freibeträge pro Jahr vermittelt, dort kinderreiche Eltern oder Eltern von behinderten Kindern, die durch ihre Kinder oder die Behinderung der Kinder finanziell schwer belastet sind. Ihnen aber mutet unser Steuer- und Sozialleistungssystem zu, jede Mehreinnahme durch Mehrleistung zu 70, 80, ja 100 %und mehr wieder abzuführen über Steuern, Sozialabgaben und verminderte Sozialleistungen. Es gibt Beispiele, die zeigen, daß in unserem System der Sozialleistungen und Steuern Familien weniger Nettoeinkommen haben, wenn sie das höhere Lei-
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Kösterstungsenkommen haben, als andere mit niedrigerem Leistungseinkommen bei gleicher Kinderzahl.
Sie, Frau Minister, hätten alle Ursache, stumm in Ihr Ministerium zurückzugehen, um über diese Probleme nachzudenken und Lösungsvorschläge vorzulegen.
Im Ausschuß haben wir — anders, als es in Ihren Presseverlautbarungen zum Ausdruck kam — Übereinstimmung darin gefunden, daß eine gute Familienpolitik in ihren Auswirkungen auch eine gute Politik für die Kinder und für die gesamte Bevölkerungsfrage sei. Wir waren uns einig darüber, daß die Hilfe für eine intakte Familie immer die beste Form für die Hilfe des Kindes ist.Noch ein Wort zum Mutterschaftsurlaub, für den die Bundesregierung eine gesetzliche Vorlage angekündigt hat. Wir wollen mit unserem Vorschlag, Familiengeld zu zahlen, sicherstellen, daß auch Familien, in denen Mütter und Alleinerziehende nicht in der Lage sind, einem Erwerb nachzugehen, anläßlich der Geburt eines Kindes die gleiche finanzielle Entlastung erfahren wie. Erwerbstätige.
Wir sind uns einig, daß es keine Familienpolitik ist, Geburtsprämien in irgendeiner Form zu zahlen. Wir brauchen einen Familienlastenausgleich, der so ausgestaltet ist, daß die wirtschaftiche Selbständigkeit der Familie erhalten bleibt, die Fähigkeit der Familie, ihre Daseinsvorsorge selber wahrzunehmen, gestärkt wird und eine einfache, unbürokratische Abwicklung der Zuwendungen erfolgt.
Eine Neugestaltung des Familienlastenausgleichs unter Berücksichtigung aller Arten von Transfereinkommen kann nur mit Hilfe des Finanzamtes unkompliziert und bürgernah verwirklicht werden.
Dabei werden wir uns alle überlegen müssen, ob die alte Diskussion zwischen Anhängern von Kindergeld und Freibeträgen nicht dadurch beendet werden kann, daß man Freibeträge und Sockelgarantien in ihrer Höhe gerecht so aufeinander abstimmt, daß jeder, der einen Anspruch auf Familienlastenausgleich hat, sich leicht entweder für einen Freibetrag oder die Sockelgarantie, sprich Kindergeld, entscheiden kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Kuhlwein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe schon bei den Beratungen des Kindergeldgesetzes im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit den Eindruck gehabt, daß es die intellektuellen Höhenflüge des Kollegen Köster sicherlich wert sind, ernsthaft diskutiert zu werden, daß aber die Voraussetzung dafürdie sein muß, daß Sie sich zunächst in Ihrer Fraktion einigen, was Sie genau wollen. Sie sollten z. B. die Frage Arbeitsamt oder Finanzamt in Ihren Reihen erneut aufwerfen. Wenn Sie dann Lösungsvorschläge auf den Tisch legen, sollten Sie auch sagen, was das kostet und zu wessen Lasten das Gesamtkonzept gehen wird.Die Schwierigkeit, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen, besteht darin, daß wir dazu überhaupt nichts auf dem Tisch liegen haben, daß ich auch meinen Taschenrechner nicht dabei habe. Deswegen, glaube ich, wäre es nicht sehr klug, jetzt auf die Einzelheiten einzugehen. Was mich gefreut hat, Herr Kollege Köster: daß die Union offensichtlich aus ihrem Verhalten bei der Kindergeldänderung 1978 gelernt und dieses Mal von vornherein offen erklärt hat, sie werde der Kindergelderhöhung zustimmen. Da haben wir schon in einem Punkt Einigkeit erzielt, daß das nämlich ganz sicher eine wichtige familienpolitische Maßnahme ist, die mit diesem Gesetz zur Abstimmung steht.Die Jugend- und Familienpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion sind angenehm enttäuscht gewesen, als der deutsche Beitrag zur internationalen Konjunkturbelebung auch einige Milliarden für die Familienpolitik reserviert hatte.
Andere, die bei uns mit den Problemen der Familien zu tun haben, waren es sicherlich nicht weniger. Wer von den Chefideologen der Sozialen Marktwirtschaft immer wieder damit konfrontiert wird, daß die Grenzen des Sozialstaates erreicht wären — —
— Das kommt von Herrn Stoltenberg. Das kommt mindestens von Herrn Stoltenberg; bei Biedenkopf habe ich es auch schon gehört.
Dem Bundeskanzler werden Sie so etwas Leichtfertiges sicherlich nicht in den Mund schieben können.
Wer immer wieder damit konfrontiert wird, daß die Grenzen des Sozialstaats erreicht seien, der freut sich um so mehr, wenn dann doch noch einmal etwas geht.
So hat das z. B. auch der Vorsitzende des Kinderschutzbundes, Herr Professor Nitsch, empfunden, als er in einem Interview mit „PPP" erklärte:Daß in ein Steuerpaket Kindergeldverbesserung und Mutterschutzfrist hineinkommen, hat mich vor Freude einmal kurz und heftig durchatmen lassen.
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KuhlweinBei solchen Äußerungen wird man den Eindruck nicht los, daß die Betroffenen mehr Verständnis dafür haben, was politisch und finanziell machbar ist, als die familienpolitischen Nörgler von der Union, die am Ende der Parlamentsferien flugs die Spendierhosen angezogen und vorverlegtes Weihnachten gespielt haben,
wobei sie dann natürlich keinen Augenblick außer acht ließen, daß die ideologische Schlagseite bei allen Vorschlägen gewahrt bleiben muß.Mit dem familienpolitischen Teil des Gipfelpakets beweist die sozialdemokratische Koalition, daß sie ihre. mit der Reform des Familienlastenausgleichs eingeleitete Politik zur wirtschaftlichen Stärkung der Familien konsequent und gezielt fortsetzt. Vergleicht man das Sozialeinkommen einer Familie mit vier Kindern mit dem Status von 1975, dann ist es ab 1. Januar 1979 um 44,44 °/o,
vom 1. Januar 1980 sogar um 50 °/o gestiegen. Die neuen Leistungen mit Mehrkosten beim Kindergeld von 1,5 Milliarden DM ab 1979 und weiteren 1,1 Milliarden DM ab 1980 kommen insgesamt 4,7 Millionen Familien zugute. Herr Kollege Franke, auf ihre bahnbrechenden Vorschläge komme ich nachher auch noch zu sprechen.Die Behauptungen einiger, im Manipulieren mit Statistiken geschickter Unionspolitiker, Kinderreichtum in der Bundesrepublik bedeute Armut und soziale Deklassierung, sollten heute jedenfalls so nicht mehr stehenbleiben. Sie waren auch in der Vergangenheit nur mit großer Böswilligkeit so Zu konstruieren.
Legt man Kosten für ein Kind von 235 DM monatlich zugrunde, dann werden diese Kosten ab 1979 in der Ein-Kind-Familie zu 21,27 %, in der ZweiKinder-Familie zu 27,66 °/o, in der Drei-Kinder-Familie zu 43,33 %, bei vier Kindern zu 55,32 °/o, in der Fünf-Kinder-Familie sogar zu 60,85 °/o gedeckt. Ich glaube, wir halten wohl alle gemeinsam daran fest, daß Kindergeld immer nur einen Teil der Kosten der Kindererziehung ausgleichen kann. Es geht darum, daß eine Familie nicht allein wegen des Unterhaltsbedarfs, wegen der Ausbildungswünsche oder wegen der Gestaltung der notwendigen Lebensbedingungen einen wesentlich geringeren Lebensstandard als eine Familie der gleichen Einkommensschicht ohne Kinder hat. Aber wir wollen wohl auch die Kinder nicht zu kleinen Staatspensionären und die Familiengründung nicht zu einem Anspruch auf soziale Leistungen machen.
— Ich meine nur, daß auch diese Fragen hier einmal diskutiert werden müssen.Herr Kollege Burger, zur Freiheit gehört es sicherlich auch, freiwillig zwischen dem zweiten Kind, der Urlaubsreise nach den Bahamas oder dem Wochenendhaus entscheiden zu können, und sich, wenn man C sich für die Bahamas entscheidet, nicht diffamieren lassen zu müssen, am Untergang der deutschen Art mitschuldig zu sein.
Für uns ist Familienpolitik und die Sicherung der ökonomischen Grundlagen der Familie auch keine Funktion von Bevölkerungspolitik. Sie brauchen sich den Schuh nicht anzuziehen, aber so wird heute schon argumentiert. In den letzten Monaten ist in der Öffentlichkeit sehr heftig die Frage diskutiert worden, ob die Deutschen ein sterbendes Volk seien, wer im Jahre 2030 die Renten zahlen solle und ob der Kanzler nicht endlich etwas gegen den Geburtenrückgang tue.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burger?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine und die auch nur, wenn sie mir möglichst nicht von der Redezeit abgezogen wird.
Sie wird abgezogen. KuhlweinSPD
Trotzdem.
Herr Kollege, ich möchte unterstreichen, was Sie zur Freiheit gesagt haben. Meinen Sie nicht, daß auch Eltern von kinderrei- then Familien gelegentlich eine Reise machen und sich erholen sollten?
Da sind wir völlig einer Meinung. Deswegen erhöhen wir jetzt erneut das Kindergeld.
Es gibt im Grundgesetz einen Konsens über sozialstaatliche Absicherungen für wirtschaftlich Schwache. Es gibt keinen gemeinsamen Grundwert, aus dem sich ableiten ließe, . daß die deutsche Art in ihrem Bestand erhalten oder gar der Zahl nach gesteigert werden müsse. Abgesehen von der Fülle falscher Annahmen und unberücksichtigter Zusammenhänge bei allen vorliegenden Bevölkerungs- und Problemhochrechnungen: ich halte es persönlich mit der Würde des Menschen für nicht vereinbar, zwischenmenschliche Beziehungen zum Instrument für die Aufrechterhaltung einer gegebenen Infrastruktur, für stetiges Wirtschaftswachstum oder für die Sicherung der Altersversorgung in 50 Jahren zu machen.Wenn es darum geht, die soziale Benachteiligung von Eltern und Kindern vor allem in der Mehrkinderfamilie auszugleichen, kann die sozialliberale Koalition eine ganze Menge vorweisen. Wir haben das Wohngeld erhöht, wir haben den Mieterschutz verbessert, wir haben die Leistungen nach dem BA.föG verbessert — gerade heute erst wieder —, wir haben Adoptionen erleichtert, wir haben Schul-
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Kuhlweinkinder in die gesetzliche Unfallversicherung einbezogen und vieles mehr.Wir werden bald in diesem Haus über ein neues Jugendhilfegesetz beraten, in dem wir gerade audi den Familien zusätzliche Hilfen für die Erfüllung ihrer Aufgaben anbieten wollen. Leider ist Frau Karwatzki nicht da, die gestern im DeutschlandUnion-Dienst skeptische Bemerkungen über die Zukunft des Jugendhilfegesetzes gemacht hat. Ich kann sie beruhigen: das Jugendhilfegesetz wird kommen. Wir hoffen, daß sie dann genauso engagiert mitargumentiert, wenn es um die Sache geht, wie sie es in ihrer Stellungnahme gestern im DeutschlandUnion-Dienst getan hat.
Wir wären manchmal froh, wenn in den Ländern den vielfältigen Bekenntnissen zur Familie Taten auch dort folgen würden, wo Länder selbstverantwortlich zu handeln in der Lage sind. Da kann man sich auch nicht damit herausmogeln, daß man einen Modellversuch für ein Erziehungsgeld macht. Vielmehr geht es dann um die Problembereiche: Schaffung einer kinderfreundlichen Schule, Partizipationsmöglichkeiten für Eltern und Schüler, es geht um Kinderspielplätze oder auch um die Höhe der Elternbeiträge in den Kindergärten. Dort sollten alle diejenigen, die auch in den Ländern etwas zu sagen haben, sich mal sehr viel engagierter einsetzen. Wer in Bonn eine bessere Familienpolitik predigt, darf zu Hause nicht untätig bleiben.Den Kollegen von der CSU — ich weiß nicht, ob einige noch hier sitzen, Herr Geisenhofer — möchte ich gerne mit auf den Weg geben, daß sie ihren designierten Ministerpräsidenten doch einmal über die Arbeit der Erziehungsberatungsstellen informieren sollten, bevor er sich wieder dazu äußert. Es macht ein schlechtes Bild, wenn die Fraktionsvorsitzendenkonferenz der CDU im April fordert, wir bräuchten auch mehr Erziehungsberatung, und König Franz Josef argwöhnt dann — wie in „Report" am Dienstag —: Erziehungsberatungsstellen —1 200, hat er gesagt, in der Bundesrepublik! — sollten wohl nur als ein Einfallstor in den Staatsdienst für „eine Reihe von sonst nicht unterzubringenden Soziologen oder Pädagogen oder Psychologen" geschaffen werden.
Nein, das ist im Zusammenhang gewesen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Höpfinger?
Ich will keine weitere Zwischenfrage beantworten, weil die Zeit leider von meiner Redezeit abgezogen wird, obwohl ich es nicht gut finde, daß Zwischenfragen nach dem neuen Modus, den wir hier gefunden haben; nicht mehr spontan ausgetauscht werden können, wie es früher war.Offenbar ist ja Franz Josef Strauß sowohl der familien- als auch der finanz- als auch der wirtschafts- als auch der außen- und auch der allgemeinpolitische Sprecher der Union, und er wird das auch in München bleiben.Die Offensive der Koalition im Bereich der Familienpolitik hat die Union insgesamt aber offenbar unvorbereitet getroffen. Man wird den Eindruck nicht los, als hätten da noch mehr Leute bei der Union während der Sommerpause geschlafen. Noch am 21. August wird über die Nachrichtenagenturen berichtet, zwischen CDU und CSU sei es zu einer Kontroverse vor allem um die Gestaltung eines Erziehungsgeldes gekommen. Gleichzeitig werden dann wieder die seit dem 1. Januar 1975 in der Versenkung verschwundenen Kinderfreibeträge aufpoliert. Dann dauert es vier Wochen, bis der sozial- politische Sprecher der Unionsfraktion, der Kollege Franke, am 27. September einem staunenden Publikum die, wie er wörtlich sagt, bahnbrechenden Vorschläge vorträgt. So etwas liest man häufig im „Neuen Deutschland", wenn die was verkaufen wollen, was sie wieder nicht geschafft haben. Bahnbrechende Vorschläge zur Familienpolitik präsentierte er. Es ist müßig, darüber zu grübeln, ob Strauß gerade in Bayern im Wahlkampf war, als die Entscheidung fiel, oder ob er sich gesagt hat, daß Helmut Schmidt schon dafür sorgen wird, daß weitere Begehrlichkeiten keine Chancen haben. Aber fest steht, daß die Vorschläge, die Herr Franke gemacht hat, in sich unausgewogen sind, daß sie neue Ungerechtigkeiten produzieren und daß sie finanziell in jeder Hinsicht unsolide sind.Die Frage nach der Finanzierung, die wir der Union auch im Ausschuß gestellt haben — Herr Kollege Burger wird sich erinnern —, wurde mit dem Versprechen beantwortet, Deckungsvorschläge würden nachgereicht. Unsere Haushaltspolitiker warten heute noch darauf. Nun kann man es sich vielleicht so einfach machen wie der Kollege Kreile mit seinem Beispiel aus der Familie Er sagte: der Vater oder die Mutter, wer die Kasse verwaltet, hat eben dafür zu sorgen, daß Geld da ist, wenn Vorschläge kommen. Der würde sich wahrscheinlich bloß wundern, Herr Kollege Kreile, wenn sein Sohn ankäme und sagte: Papi, ich will ein neues Fahrrad haben, und wie du das finanzierst, ist deine Sache. So einfach geht's eben nicht.
Bei vorsichtigen Berechnungen kommt man zu dem Ergebnis, daß die „bahnbrechenden" Vorschläge der Unionsweihnachtsmänner — allein die Einführung eines steuerlichen Freibetrages von 600 DM würde einen Steuerausfall in Höhe von 4,5 Milliarden DM 'im Entstehungsjahr bedeuten; die Mittel für das Familiengeld und für den Mutterschaftsurlaub würden über den von uns veranschlagten Betrag vermutlich um 1 Milliarde DM hinausgehen —, nicht zu finanzieren sind, es sei denn, Sie sagten, wie Sie das machen wollen.
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8772 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
KuhlweinAuf die offenen Fragen beim sogenannten Familiengeld will ich jetzt nicht näher eingehen, auch wenn mir die Frage erlaubt ist, wie lange denn die Arbeiterin von ihren 3 000 DM zehren soll, wenn sie ihren Arbeitsplatz aufgibt, um sich vorübergehend ganz ihrem Kind widmen zu können. Herr Kollege Franke, das wird doch dann wohl auch nicht länger als vier Monate reichen, wenn diese Arbeiterin vorher darauf angewiesen war, zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Wir werden darüber sicherlich im Zusammenhang mit den Beratungen über den von uns geplanten Baby-Urlaub von Ihnen deutlicher hören, wohin nach Ihrer Auffassung die Reise gehen soll.Was uns viel stärker schockiert hat, ist die versuchte Rückkehr zu Kinderfreibeträgen im Einkommensteuerrecht. Offenbar ist das der Beitrag der Union zur Lösung der Neuen Sozialen Frage:
daß man den schwachen Familien nichts oder wenig gibt und den finanziell starken Familien entsprechend mehr.
In seiner Erklärung vom 27. September dieses Jahres stellt der Kollege Franke beinahe richtig fest, daß die Ersparnis je Monat und Kind bei einem jährlichen Freibetrag von 600 DM bei mindestens 11 DM liegen würde. Er hat vergessen: Es gibt ja auch Leute, die zahlen gar keine Steuern. Die haben dann auch nicht diese 11 DM. Aber sie haben in der Erklärung schamhaft verschwiegen,
daß die Ersparnis bis auf 28 DM steigt, wenn es der Familie so gut geht, daß sie den Spitzensteuersatz bezahlen kann.Ich wundere mich, daß Sie mit solchen Schritten wieder Kinder unterschiedlicher Klassen einführen wollen. Ich wundere mich auch, daß die Sozialausschüsse das mitgemacht haben, wo der Kollege Vogt laut dpa noch im September etwas ganz anderes erklärt hat. Ich wundere mich, daß Sie die Erklärung der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen vom 16. Mai dieses Jahres beiseite geschoben haben, in der die Wiedereinführung von Kinderfreibeträgen als Rückschritt bezeichnet worden ist.
— Die gelbe Lampe leuchtet schon.
Herr Abgeordneter, da Sie einen Abgeordneten des Hauses unmittelbar angesprochen haben, wird diese Zwischenfrage nicht auf Ihre Redezeit angerechnet. — Bitte schön!
Herr Kollege, würden Sie bitte die Liebenswüdigkeit besitzen, mich korrekt zu zitieren und zu sagen, daß ich die Kinderfreibeträge in einem additiven System als nicht angemessene Lösung angesehen habe, daß aber Kinderfreibeträge als Instrument der Förderung der Familie durchaus angemessen sind, wenn die Kinder eine gleiche Förderung erhalten?
Ihr Zitat .ist nur in indirekter Rede überliefert. Danach haben Sie deutlich — —
— Ich habe es ja nicht zitiert; ich habe gesagt: Der Kollege Vogt hat gesagt . . ., ohne ihn wörtlich zu zitieren.Dabei haben Sie gesagt, daß bei der Wiedereinführung von Kinderfreibeträgen die steuerliche Entlastung um so größer sei, je höher das Einkommen sei, und daß die CDU bisher dafür eingetreten sei, daß die Ausgleichsleistungen für Kinder gleich hoch sollten. Die Erklärung der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen vom 16. Mai dieses Jahres haben Sie beiseite geschoben. Selbst Ausarbeitungen aus dem Konrad-AdenauerHaus haben Sie in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt.Ich will nur noch einen Punkt ansprechen, der mir wichtig erscheint, damit er nicht vergessen wird. Bei den Beratungen im Ausschuß haben wir uns eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, warum ausgerechnet Sozialhilfeempfänger nicht in den Genuß der Kindergelderhöhung kommen sollen. Die Erklärung dafür ist einfach, das Ergebnis dennoch unbefriedigend. Sozialhilfe orientiert sich am Bedarf; sie wird nur subsidiär gezahlt. Wird der Bedarf durch andere Einkünfte, wie z. B. Kindergeld, gedeckt, werden die Sozialhilfeleistungen entsprechend gekürzt. Wenn wir erreichen wollen, daß eine künftige Erhöhung des Kindergeldes auch der alleinstehenden Arbeiterin mit drei Kindern zugute kommt, die das zweifellos nötiger hat als ein Millionär, dessen Kinder in der Schweiz studieren, dann müssen wir von dem Prinzip im BSHG begründete Ausnahmen schaffen. Meine Fraktion will diese Frage bei der vierten Novelle zum Bundessozialhilfegesetz erneut prüfen:Die Union hat zur Begründung ihres 600-DM-Vorschlages als Hilfsargument herangezogen, daß ja im Steueränderungsgesetz 1977 ein Freibetrag in Höhe von 600 DM für die unterhaltspflichtigen Väter eingeführt worden sei und daß jetzt daraus— dann kam wieder der ideologische Hammer — eine Benachteiligung intakter Ehen gegenüber geschiedenen Ehen konstruiert werden müsse, nach dem Motto — Herr Kollege Köster —: „Postkarte' genügt; trenne mich von meiner Familie; jetzt kriege ich Freibetrag!"
Ich will in diesem Zusammenhang nicht auf die Probleme des Realsplittings bei Geschiedenen ein- . gehen; das wird ja noch diskutiert werden.
— Es ist auch sehr schwierig, Herr Kollege Franke, da eine gerechte Lösung zu finden, völlig richtig!
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KuhlweinAber eines dürfte der Aufstand der geschiedenen Väter und Mütter nach der Steuerreform von 1974 doch auch Ihnen deutlich gemacht haben, Herr Kollege Köster: daß es hier in vielen Fällen wirklich soziale Not gegeben hat, weil — ob schuldig oder unschuldig — zwei Haushalte nun einmal mehr kosten als einer. Wenn sich Familienpolitik vor allem an den wirtschaftlichen Bedürfnissen von Eltern und Kindern orientieren soll, dann mußten Sie den Versuch machen, bei den Geschiedenen wenigstens ein bißchen zu helfen, zusätzliche Lasten mitzutragen, und ihnen zu ermöglichen, den Kontakt zu ihren Kindern besser aufrechtzuerhalten, als sie das bei ihrem schmaler geschnittenen Geldbeutel sonst können.
Dabei bin ich auch nicht glücklich darüber, daß wir da eine Freibetragsregelung gefunden haben, weil Freibetragsregelungen — ganz gleich, in welchem Feld der Steuerpolitik — ungerechte Auswirkungen haben, weil sie gleiche Tatbestände in der Regel unterschiedlich behandeln.
— Im Prinzip ist auch der Arbeitnehmerfreibetrag insofern ungerecht. Wir haben bei uns 1971 Parteitagsbeschlüsse gefaßt, die davon ausgegangen sind: feste Steuererstattung für alle in gleicher Höhe! Leider hat sich das schon bei der Steuerreform 1974 nicht durchsetzen können. Wir haben sicherlich heute ein sehr gemischtes System. Aber das heißt doch nicht, daß man dieses in vielen Bereichen nicht sehr gerechte System nun zusätzlich durch Schaffung neuer Freibeträge noch ungerechter gestalten muß.Meine Damen und Herren, ich möchte zusammenfassen. Wir haben uns für die heutige Beratung in der Frage der Sozialhilfe damit zufriedengegeben, über die Bundesregierung an die Länder zu appellieren, zum 1. Januar 1979 die Regelsätze in der Sozialhilfe zu erhöhen, damit wenigstens ein Teil der Kindergelderhöhung indirekt weitergegeben wird. Immerhin sparen die Sozialhilfeträger durch die Kindergelderhöhung rund 40 Millionen DM ein. Es wäre nicht zuviel verlangt, wenn sie wenigstens einen Teil davon an die Familien weitergeben würden, die Hilfe am nötigsten haben. Ich darf deshalb die vorliegende Beschlußempfehlung Ihnen allen wärmstens zur Zustimmung empfehlen. Meine Fraktion sieht in der Verabschiedung der achten Novelle zum Bundeskindergeldgesetz einen großen familienpolitischen Fortschritt. Zusammen mit dem geplanten Baby-Urlaub ist dieses Gesetz ein Beweis dafür, daß auch in schwierigen Zeiten sozialpolitische Strukturveränderungen möglich sind. Wir sind für weitere Diskussionen offen, wie diese Strukturen optimal gestaltet werden können, aber wir werden keine Rückschritte zu einer Umverteilung in die Taschen der Reichen mitmachen.
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Genau ein Monat wird morgen vergangen sein zwischen der ersten Beratung des achten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes und der Abstimmung in zweiter und dritter Lesung hier in diesem Hause. Die Einigkeit zwischen Koalition und Opposition im Ausschuß in dieser Frage hat sicher zu dieser zügigen Behandlung beigetragen, wenn man auch von dieser Einigkeit heute hier im Plenum leider nichts mehr oder fast nichts mehr sehen kann.Die Anhebungsbeträge, die zum neuen Kindergeld von 195 DM für Drittkinder ab 1979 und für Zweitkinder von 100 DM ab 1980 führen, wurden von meinen Vorrednern schon angesprochen, so daß ich darüber nicht sehr viele weitere Worte verlieren möchte. Wir Liberalen begrüßen diese Anhebung von 25 °/o beim Zweitkindergeld und 30 % beim Drittkindergeld. Betrachtet man diese Erhöhungen seit Beginn dieser Legislaturperiode, so sind das 43 % mehr für das Zweit- und über 62 % mehr für jedes dritte und weitere Kind.
— Sie wissen genau, wie viele Jahre in dieser Legislaturperiode bisher vergangen sind; die Frage können Sie selbst beantworten.
Es ist jedoch notwendig, neben der Erhöhung noch auf einige Punkte aufmerksam zu machen, so z. B. nochmals auf den Entschließungsantrag besonders einzugehen.Wenn wir das Kindergeld zum 1. Januar 1979 erhöhen, wird bei den Familien, die Sozialhilfe beanspruchen, dieser Betrag von der Sozialhilfeleistung wieder abgezogen, weil in der Sozialhilfe von dem Prinzip ausgegangen wird, daß nur insoweit geholfen wird, wie das Einkommen unter den Richtsatz der Sozialhilfe absinkt. Unter diesem Gesichtswinkel ist dies zwar gerechtfertigt, für die Betroffenen jedoch nicht einsichtig, daß sie von dieser Erhöhung des Kindergeldes ausgeschlossen sein sollen.Die Länder werden deshalb von dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, daß sie die Verpflichtung zur Überprüfung und gegebenenfalls zur Neufestsetzung der Regelsätze in der Sozialhilfe haben, damit — ich zitiere den Entschließungsantrag die zu diesem Zeitpunkt wirksam werdenden Rentenerhöhungen und die Anhebung des Kindergeldes sich auch zugunsten der Familien auswirken, die Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen. Es wäre auch zweckmäßig, wenn die Regelsätze bundesweit einheitlich und zu festen Terminen erhöht würden, z. B. zum 1. Januar 1979 und zum 1. Januar 1980, damit die Sozialhilfeempfänger diese Kindergelderhöhung spüren.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einmal etwas laut denken: Wir sollten uns fragen, ob die jetzige Form der Sozialhilfe nicht den Willen der
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Eimer
Betroffenen zur Selbsthilfe etwas dämpft, weil alles, was die Betroffenen dazuverdienen, so lange von der Sozialhilfeleistung abgezogen wird — also im Einkommen nicht wirksam wird —, bis die Sozialhilfeleistung ganz wegfällt. Wir sollten uns überlegen, ob nicht andere Formen der Sozialhilfe eingeführt werden sollten, bei denen der Wille zur Selbsthilfe nicht unterdrückt wird und das Leistungsprinzip erhalten bleibt. Nur so könnte eine übertriebene wohlfahrtsstaatliche Regelung vermieden werden.
— Sie kennen die Problematik ganz genau. Wir können uns gern darüber unterhalten, daß das nicht so eintreten wird, wie Sie es hier befürchten.Hier ist noch auf einen anderen Punkt einzugehen, der im Ausschußbericht nicht angesprochen worden ist. Die im Hinblick auf Art. 1 vorgesehene Änderung bewirkt, daß Kinder, die nicht im Geltungsbereich des Bundeskindergeldgesetzes eben, kein Kindergeld nach diesem Gestz erhalten. Auf Grund der zwischenstaatlichen Vereinbarungen und Ausgleichsregelungen erscheint dies uns auch allen gerechtfertigt. Es ist jedoch nicht angesprochen worden, daß der § 33 a des Einkommensteuergesetzes auf dieses Kindergeld Bezug nimmt und nach Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzentwurfs Ausbildungsfreibeträge für Kinder, die z. B. im Ausland studieren, wegfallen werden. Mit der im Art. 2 vorgesehenen Übergangsfrist — bis zum Dezember 1979 — hat jedoch das Finanzministerium Zeit, die Koppelung des Freibetrages an das Kindergeld, wie sie heute besteht, zu beseitigen und somit möglicherweise auftretende Härten zu verhindern. Aus dem Finanzministerium verlauten der Wille und die Bereitschaft dazu.Ich möchte noch auf ein weiteres Thema, das im Ausschußbericht von Herrn Köster angesprochen wurde, eingehen: Herr Köster berichtet über seine Anregung — und er hat auch hier in der Debatte darüber gesprochen —, die Inanspruchnahme steuerlicher Freibeträge an Stelle von Kindergeldzahlungen wahlweise zu ermöglichen. Ich meine, daß dieser Vorschlag für Familien mit geringen Einkommen keine Vorteile bringt. Für solche Familien, die wegen hohen Einkommens dem Spitzensteuersatz unterliegen, würde eine solche Regelung die gleichen Begünstigungen bringen, die bei einer reinen Freibetragsregelung vorliegen würden. Ich habe mich bereits vor einem Monat bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs im Namen der Freien Demokraten gegen eine derartige Regelung ausgesprochen. Das Geld, das der Bund für eine solche steuerliche Regelung mehr ausgeben müßte, sollte, wenn wir es zur Verfügung hätten, besser angewendet werden. Ich denke da vor allem an die Erhöhung des Kindergeldes für das erste Kind. Solange die Finanzmasse nicht ausreicht, um das Kindergeld so auszustatten, wie wir alle, Koalition und Opposition, es gerne hätten, sollten wir nicht diejenigen, die es von ihrem Einkommen her nicht nötig haben, gegenüber denen, die nur ein niedriges Einkommen haben, durch Freibeträge begünstigen. Aber auch für denFall, daß das Kindergeld für alle Kinder gleich hoch sein sollte, halte ich persönlich den Vorschlag des Finanzministers von Rheinland-Pfalz, Herrn Gaddum, bezüglich des Familiensplittings für besser als die hier von der Union geforderte Freibetragsregelung.
In der Argumentation zum Thema „Freibeträge" tut Herr Köster so, als wolle diese Regierung die intakte Familie gegenüber der sogenannten nicht intakten Familie benachteiligen. Ich glaube, Sie vergessen, Herr Köster, daß aus einer geschiedenen Ehe sehr oft zwei neue intakte Familien entstehen, die ihrerseits durch die heutige Regelung benachteiligt sind.
Sie sprachen weiter zum § 7 b und zur familiengerechten Ausstattung. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang nur daran erinnern, daß Frau Matthäus hier ja einen Vorschlag unterbreitet hat, wie man den 7 b durch eine andere, familiengerechtere Lösung ersetzen kann.Wir Liberalen wissen genau, daß die Erhöhung des Zweit- und des Drittkindergeldes nötig war.
— Ich weiß, Herr Kollege; ich kenne genau Ihren Etikettenschwindel zum Thema „Liberalismus".
Sie bezeichnen sich als konservativ, als fortschrittlich, als liberal, als sozial. Das erinnert mich manchmal an die Geschichte vom mopsgedackelten Windhund. Wir jedenfalls werden uns niemals als politische Bastarde bezeichnen;
wir sind nur eines, wir sind liberal.
— Das habe ich nicht dazugesagt.
Lassen Sie mich zum Thema „Kindergeld" fortfahren; bei der Frage waren wir ja stehengeblieben. Ich möchte nochmals betonen, daß für uns der Unterschied zwischen Erst- und Zweitkindergeld sowie der zwischen Zweit- und Drittkindergeld allmählich so hoch geworden ist, daß bei allen zukünftigen gesetzlichen Änderungen vor allem an die Erhöhung des Erstkindergeldes zu denken ist. Wir dürfen nicht vergessen, daß gerade bei der Geburt des ersten Kindes die Familien schmerzlich feststellen, wieviel ein Kind kostet, und den Wunsch nach weiteren Kindem dann sehr oft zurückstellen. Nur dann, wenn
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beim ersten Kind entsprechend geholfen wird, wird der Wunsch nach einem zweiten und nach weiteren Kindern erhalten bleiben. Wer aus Gründen der Bevölkerungspolitik die Mehrkinderfamilie wünscht, muß vor allem beim ersten Kind helfen, um, wie ich bereits in der ersten Lesung ausführte, den Erstkinderschock zu verhindern.Ein Kindergeld in gleicher Höhe für alle Kinder, also für Erst-, Zweit- und Drittkinder, würde auch den Unterschied in der Höhe des Kindergeldes je nach Geburtenfolge — den Sie, Herr Köster, ja vorhin angesprochen haben — beseitigen, also jene Tatsache, daß dann, wenn eine schnelle Geburtenfolge vorliegt, ein sehr hohes Kindergeld gezahlt wird, aber dann, wenn die Geburtenfolge langgestreckt ist, das Kindergeld nur sehr niedrig ist. Auch das spricht dafür, daß' wir das Kindergeld allmählich für alle Kinder, also für Erst-, Zweit- und Drittkinder, angleichen.Lassen Sie mich abschließend und zusammenfassend feststellen: Das vorliegende Gesetz liegt voll auf der Linie der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsparteien, den Familienlastenausgleich zu verbessern und Schritt für Schritt dem Zustand näherzukommen, den wir Familienpolitiker aus allen Parteien als gerecht bezeichnen können. Für die sachliche und zügige Behandlung in den Ausschüssen — leider nicht im Plenum — möchte ich deswegen allen Kollegen aus allen Parteien sehr herzlich danken.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Köhler .
Ich bitte um Nachsicht, Frau Minister; der Präsident hat so entschieden.
Herr Abgeordneter, es lag keine Wortmeldung der Frau Minister vor.
Dann brauche ich mich auch nicht zu entschuldigen.Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir führen hier eine verbundene Debatte. Deswegen möchte ich wieder zu einem steuerlichen Aspekt zurückkehren, der eine Verbindung zwischen dem hier zu beratenden Kindergeldgesetz und dem Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion Drucksache 8/2216 herstellt. Der Antrag bezweckt die Wiedereinführung des steuerlichen Kinderfreibetrags.Wenn man sich die Drucksache ansieht, kann man über das Gesetzesdeutsch nur verzweifeln. Deswegen muß ich den Inhalt erst einmal ins Deutsche übersetzen. Was bedeutet der Antrag? Er bedeutet, daß das Kindergeld künftig aus zwei Komponenten bestehen soll. Zu dem leistungsunabhängigen, höheren Sockelbetrag als der sozialen Komponente soll additiv ein Zuschlag hinzukommen, der sich nachder Leistungsfähigkeit des Steuerzahlers bemißt. Diese zweite Komponente ist dabei unter dem Gesichtspunkt der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit eher bescheiden bemessen, wie die folgenden Zahlen verdeutlichen sollen.Wenn man einmal von dem beabsichtigten Kindergeld von 150 DM für zwei Kinder ausgeht, dann bedeutet der Vorschlag meiner Fraktion, daß einem Steuerpflichtigen mit einem Steuersatz von 22 %jährlich 2 064 DM zugerechnet werden, einem Steuerpflichtigen mit dem Höchststeuersatz von 56 O/0 dagegen 2 575 DM. Anders ausgedrückt: Die soziale Komponente wiegt noch immer fünfmal schwerer als die leistungsabhängige. Wieder anders ausgedrückt: Ein Steuerpflichtiger mit dem Spitzensteuersatz würde ein nur um ein knappes Viertel höheres Kindergeld erhalten, obwohl er zweieinhalbmal höher besteuert wird als derjenige, dessen Einkommen mit 22 %besteuert wird. Bei drei Kindern verschlechtert sich übrigens die Relation noch weiter zu Lasten der Leistungskomponente.Meine Fraktion hält den Wiedereinstieg in den steuerlichen Kinderfreibetrag aus mehreren Gründen für notwendig. Die finanzielle Hauptquelle für Umverteilungen, die der Gesetzgeber vornimmt, ist längst nicht mehr der sogenannte Reiche oder die sogenannte Wirtschaft. Angesichts des Übergewichts der Lohn-, der Einkommen- und der Mehrwertsteuer am Gesamtaufkommen spielt sich der Umverteilungsvorgang heute vorwiegend zwischen den immer weniger werdenden Selbständigen, den qualifizierten Angestellten, den Meistern, den Facharbeitern und den ungelernten Arbeitern ab, andererseits zwischen diesen fleißigen, in geordneten Familienverhältnissen lebenden Bürgern und der anderen Gruppe der Nichtarbeitenden, wobei ich sowohl diejenigen meine, mit denen wir uns aus sozialer Verantwortung solidarisch verbunden fühlen, wie auch die Leistungsverweigerer und diejenigen, die die Sozialgesetze mißbräuchlich ausnutzen, etwa „mit freundlichen Grüßen aus Mallorca an den Bundeskanzler", wie ich neulich gelesen habe.In einem Staat, in dem die überwältigend große Gruppe der arbeitenden Bevölkerung heute von jeder mehrverdienten Mark 50 Pfennig an Steuern und anderen Abgaben abzuführen hat, muß sich der Gesetzgeber bei jedem Gesetzesvorhaben erneut fragen, ob er nicht die Leistungsbereitschaft, die Motivation des Bürgers immer weiter beeinträchtigt.Einen Verzicht auf diesen Einstieg in den Kinderfreibetrag hielte ich aber auch für unsozial. Mit Recht hat mein Kollege Kreile darauf hingewiesen — und es ist auch in der Öffentlichkeit gesagt worden —, daß der Kinderreiche oder jemand mit zwei oder drei Kindern, wenn er sich mit einem kinderlosen Steuerpflichtigen der gleichen Steuerklasse vergleicht, feststellen muß, daß er steuerlich ganz erheblich schlechter gestellt ist als der Kinderlose. Wenn dann ein solcher Steuerpflichtiger auch noch Einblick in die Sorgerechtsvorschriften unseres Bürgerlichen Gesetzbuches nimmt, dann wird er dem § 1610 über den sogenannten angemessenen Unterhalt entnehmen müssen, daß sich dieser Unterhalt nach
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Dr. Köhler
der Lebensstellung des Bedürftigen richtet, der Lebenszuschnitt der Kinder also nach dem der Eltern. Immer mehr Eheleute müssen sich angesichts dieser Rechtslage dafür bestraft sehen, Kinder in die Welt gesetzt zu haben.
Schließlich ist eine Kindergeldregelung ohne diesen Wiedereinstieg in den Steuerfreibetrag auch steuersystematisch unlogisch. Wenn die Zeitungen richtig berichtet haben, dann ist der stellvertretende Parteivorsitzende Schmidt in der Fraktion denen, die bei der heute zur Entscheidung stehenden Korrektur der Lohn- und Einkommensbesteuerung eine absolut gleiche Entlastung für alle wollten, mit dem Argument begegnet, daß man nicht progressiv besteuern, aber linear entlasten könne. Ich kann ihm in diesem Falle nur recht geben, verstehe aber dann nicht den Widerstand gegen unseren Vorschlag.
Bekanntlich gibt es eine Fülle von Steuerfreibeträgen — auf einige ist schon hingewiesen — mit der gleichen Wirkung. Ich werde sie hier nicht alle noch einmal aufführen. Die Bundesregierung selbst hat nämlich in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage über heimliche Steuererhöhungen, an der sich eine Reihe von Kollegen zusammen mit mir beteiligt haben, unter dem 13. April 1977 — das ist die Bundestagsdrucksache 8/282 — auf mehreren Seiten mindestens 50 — ich habe sie nicht gezählt — solcher Freibeträge aufgeführt, ohne daß dabei jemals das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit auch für Fälle der Entlastung in Frage gestellt worden wäre.
Liebe Freunde, ich ärgere mich maßlos, daß jetzt kein Zwischenruf kommt,
weil ich gern sagen möchte: Gegen meine Stimme haben Sie auch noch im Diätengesetz kräftig in die gleiche Richtung für sich und Ihre eigene Tasche gearbeitet. Da haben Sie keinerlei Skrupel gehabt.
Sie von der Koalition säßen nämlich nicht nur aus diesem Grunde im Glashaus. Sie sind ja inzwischen dazu übergegangen, von Jahr zu Jahr die . Mehrwertsteuerbelastung zu erhöhen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie sehr Sie sie noch bis vor kurzer Zeit deshalb als besonders unsozial angeprangert haben, weil sie die wenig Verdienenden, also die Niedriglohnbesteuerten relativ erheblich mehr zur Kasse bittet als die mehr Verdienenden. Ich kann Ihnen das vorrechnen. Wenn das, was Sie hier vorhaben, ohne die übrigen Maßnahmen wirklich Gesetz wird, dann rechnen Sie einmal für einen wenig Verdienenden aus, welche Mehrwertsteuerzusatzbelastung er bekommt, während seine Steuerentlastung nur von kleinem Ausmaß ist. Ich gehöre nicht zu den Gegnern von Mehrwertsteuererhöhungen. Ich bin aber wenigstens sauber in der Argumentation. Das möchte ich Ihnen auch anraten. Ich rate Ihnen das aus folgendem Grunde: Ihre Glaubwürdigkeit wird nämlich immer mehr untergraben, wenn Sie vergleichbare Fälle nicht mit vergleichbaren Maßstäben messen, wenn Sie also nur ideologisch verklemmt argumentieren.Nun wird auch diese leistungsfeindliche, unsoziale und unlogische Kindergeldregelung ohne diesen Wiedereinstieg mit dem Argument verteidigt, es handele sich um eine Subvention, die Gleichbehandlung verlange. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir klingt in diesem Zusammenhang noch heute etwas in den Ohren, was in der letzten Legislaturperiode ein — ich hoffe: de s ha l b inzwischen wieder abgewählter — Abgeordneter der SPD dazu gesagt hat, allerdings, wie ich zugestehen will, in einem Zustand hoher Erregung. Er verstieg sich nämlich zu der Bemerkung, daß im Steuerrecht Subvention alles das sei, was unterhalb von 100 °/o Besteuerung liege.
Für mich hat der sozialistische Staatskapitalismus da einmal deutlich ausgedrückt,
daß die Menschen nämlich offenbar dazu da sind, für den Staat zu arbeiten, und von seinen Gnadenerweisen leben.
Ich weiß natürlich: Dies ist eine Einzelerscheinung gewesen. Ich werde hier keinem diesen Vorwurf machen, wenn er nicht ausdrücklich bestätigt, was ich zitiert hab Ich erwähne das also nicht deswegen, sondern weil ich in den Beratungen feststellen mußte, daß neuerdings aus der FDP solche Töne in Richtung auf Subventionscharakter kommen. Ich sage das mit Erschrecken, weil wir ja demnächst eine Diskussion über § 7 b führen werden. Dann werden wir feststellen, wie es läuft.Als das sogenannte Jahrhundertwerk der großen Steuerreform — das ist das mit dem ganz großen Pferdefuß — in der voraufgegangenen Legislaturperiode zur Abstimmung stand, habe ich — ich bitte auch meine Kollegen, das mit Nachsicht zu behandeln — als einziger Abgeordneter dieses Hauses auch noch dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses die Zustimmung versagt. Ich hatte damals vier Gründe: erstens die Vermögensteuererhöhung, zweitens die ungenügende Tarifanpassung, drittens die Kindergeldregelung und viertens die Behandlung von Ausländerkindern. Die fehlerhafte Vermögensteuerbelastung haben Sie inzwischen wieder rückgängig gemacht. Heute folgt ein weiterer Schritt in der Frage der Tarifkorrektur, der, wenn er auch noch nicht voll unserer Auffassung entspricht, von uns als ein Schritt in die richtige Richtung mitgetragen wird.Unser Antrag, für den ich hier werbe, soll auch den dritten Punkt, der damals fehlerhaft war, wenigstens zu einem Teil korrigieren und in die Kindergeldregelung den Leistungsgedanken wieder einführen. Denken Sie bitte daran, daß, wenn Sie damals
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8777
Dr. Köhler
schon meinem Rat gefolgt wären, der Finanzminister ganz gewiß nicht dermaßen getreten worden wäre. Ich sage das auch im Blick auf unseren heute amtierenden Finanzminister, der es mit seinen eigenen Genossen ja ohnehin schwer genug hat. Heute hat hier der erste Redner der SPD, Herr Westphal, das Gipfelwerk zitiert. Dies, was wir hier beraten, ist nicht ein Jahrhundertwerk; es ist ein „Gipfelwerk"!Ich möchte mit der gütigen Erlaubnis des Präsidenten jetzt zitieren. Ich kann mich mit dem Zitat nicht identifizieren, weil ich mir eine solche Wortwahl noch niemals habe zu eigen machen können. Es ist ein Zitat aus der Berichterstattung der „Rheinischen Post" über die gestrige Fraktionssitzung der SPD.
— Ich lese ja nur ein Zitat. Dort steht:Gestern morgen gab es ... einen Aufstand gegen die Bundesregierung, als die Genossen von dem neuen Matthöfer-Vorschlag und dem Termindruck erfuhren. Der Bundesfinanzminister wurde— das ist nicht mein Wort —als „Strolch" bezeichnet, der „Wortbruch" begangen . .. habe.— Dann folgt etwas, was ich hier nicht weiter vorlesen kann, weil das ganz ungezogen wäre. Auch der Kanzler habe seinen Teil abgekriegt, und es wurde die Gefahr beschrieben, daß „der tumbe Riese NRW mal wieder den Kopf einzieht" . Meine Damen und Herren, Sie können sich davor bewahren, wenn Sie unseren Ratschlägen folgen.Lassen Sie mich abschließend noch einige Sätze zu dem vierten Punkt sagen, der mich seinerzeit zur Ablehnung veranlaßt hatte, nämlich zur Behandlung von Ausländerkindern. In meinem Wahlkreis lebe ich in einem Stadtteil, in dem inzwischen etwa 30 % Gastarbeiter aus der Türkei wohnen. In einigen Schulklassen dieser Gegend erreicht der Anteil der Türkenkinder inzwischen 70 und manchmal noch mehr Prozent. Es ist deshalb kein Wunder, daß ich dieser Problematik meine besondere Aufmerksamkeit zuwende. Übrigens gilt das auch für eine ganze Reihe von Kollegen aus der SPD-Fraktion.Wenn man sich mit dieser Frage beschäftigt, muß man die Überlegungen zunächst auf diejenigen ausländischen Arbeitskräfte konzentrieren, die aus Drittländern kommen; denn die EG ist für uns hier kein Thema. Aber auch bei diesen Arbeitskräften muß man wohl zwei Gruppen unterscheiden. Die eine kommt mit dem Ziel hierher, wenn irgend möglich nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer zu bleiben. Auch die steht hier nicht in Rede.Ich konzentriere mich auf jene Gruppe ausländischer Arbeitskräfte aus Drittländern, die nach ihrer erklärten Absicht mit dem festen Willen nach Deutschland gekommen sind, in einer begrenzten Zeit möglichst viel Geld zu verdienen, manchmal
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— Ich glaube, da gibt es noch andere Wege, und so einfach ist der Zusammenhang zwischen Kindern und Gerechtigkeit nicht.
Für uns jedenfalls ist die Diskussion seit der Einführung eines gleichmäßigen Kindergeldes für alle im Januar. 1975 zum Abschluß gekommen. Die Bundesregierung will den Lebensstandard von Familien, wie das Gesetz zeigt, insbesondere von sonst benachteiligten größeren Familien, nachhaltig verbessern. Aber sie will nicht einen vorhandenen höheren Lebensstandard noch durch Freibeträge prämiieren.Ich habe sehr viel Verständnis dafür, daß Sie, Herr Köster, die besondere Lage von Familien hier aufgreifen und meinen, das Anderthalbfache bei den Sonderausgaben sei vielleicht nicht ganz gerechtfertigt. Dies ist eine Übergangsregelung und allein durch verwaltungstechnische Gründe bedingt. Aber nicht verstehen kann ich, wie Sie überhaupt auf dieIdee kommen können, jemand könnte sich beim Finanzamt als getrenntlebend melden, damit er 600 DM Freibetrag bekommt. Denn dann verliert er nämlich das Splitting, und der Vorteil aus dem Splitting ist im allgemeinen wesentlich höher als das, was er durch den Freibetrag einheimsen kann.
Ich will die Situation der ausländischen Kinder gern prüfen, mich aber keineswegs der alten Mehrwertsteuerideologie anhängen, die ja auch in Fachkreisen inzwischen überwunden ist.Da Sie die Vorschläge zum Wohnungsbau hier eingeführt haben, möchte ich gern sagen — —
— Dies waren zwei Punkte; vielleicht habe ich etwas zu schnell geredet, Herr Kollege Kroll-Schlüter.
— Ja, es sind zwei Punkte. — Ich möchte jetzt noch etwas zu den wohnungspolitischen Vorschlägen sagen. Ich habe nichts dagegen, wenn z. B. bald darüber diskutiert wird, ob auch die Kinderzahl ein ernsthaftes Kriterium zur Gewährung des § 7 b sein kann.
— Die Kinderzahl, aber nicht die Vorschläge, die Sie zur einfachen Verdoppelung der Laufzeiten gemacht haben.
Ich habe nichts dagegen, wenn man als Kriterium einbaut, daß die Kinderzahl relevant ist. Aber ich habe etwas dagegen, daß man eine schlichte Ausweitung auf das Doppelte macht.
— Wir werden das selber überlegen, und Sie werden sehen, daß wir das einbringen werden.
— Nein, wir werden dazu Vorschläge unterbreiten, die anders sein werden als Ihre.
— Nein, es handelt sich darum, welchen Grundsatz man hier verfolgt. Es soll nicht nach dem Grundsatz verfahren werden: Wer hat, dem wird gegeben.
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Bundesminister Frau HuberI Vielmehr muß es eine gezielte Maßnahme für die schlechter Verdienenden sein.
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Köster?
Bitte schön.
Frau Minister, können Sie bestätigen, daß unser Vorschlag, § 7 b für eigengenutzte Familienheime ab drei Kindern zu verdoppeln, eine gezielte Maßnahme ist, die nicht mit einem Freibetrag für die Anschaffung einer Maschine zu vergleichen ist, die man deswegen höher abschreiben darf, weil etwa der Handwerksmeister drei oder vier Kinder hat?
Das Beispiel, das Sie bringen, kann sicherlich jeder bestätigen. Die Frage, ob man die Freibeträge verdoppeln muß, ist eine andere Frage. Man kann sich doch einen anderen Modus denken, und an den denke ich.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Frau Minister, können Sie dem Abgeordneten Köster bestätigen, daß wir uns im Finanzausschuß bei der strittigen Frage des § 7 b einig waren, dies im Zusammenhang mit einem von der Bundesregierung zu erarbeitenden Bericht über die Neugestaltung des § 7 b erneut aufzugreifen, daß unsere Ablehnung insoweit zunächst nur bis Dezember gegolten hat?
Ja, Herr Abgeordneter.
Einen Moment, Frau Bundesminister! — Herr Abgeordneter Kühbacher, diese Dreiecksfragen sind nicht zulässig. Da diese Dreiecksfrage aber von einem Abgeordneten gestellt worden ist, der noch viele Jahre Praxis in diesem Parlament vor sich hat, habe ich sie zugelassen.
Meine Damen und Herren, es wird immer vom Generationenvertrag gesprochen: Wir meinen damit meistens die Solidarität der arbeitenden Menschen mit den schon aus dem Arbeitsleben ausgeschiedenen älteren Mitbürgern. Aber die Bundesregierung nimmt den Generationenvertrag nach allen Seiten hin ernst. Er umfaßt drei Generationen. Es geht sowohl darum, die Erziehung und Ausbildung unserer Kinder zu fördern, wie darum, dieBelastung der arbeitenden Menschen soweit wie möglich zu begrenzen und den Lebensabend der älteren Bürger zufriedenstellend zu sichern. Daß das keine einfache Aufgabe ist, konnte man auf dem Hintergrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der vergangenen Jahre besonders deutlich sehen. Das 21. Rentenanpassungsgesetz mit den Beschlüssen der Bundesregierung vom 28. Juni dieses Jahres trägt dazu ebenso bei wie die neuen Einkommensteuerbeschlüsse und die familienpolitischen Verbesserungen, die wir heute beschließen. Das zeigt Handlungsfähigkeit und Augenmaß. Ich glaube, davon haben die Bürger mehr als von einer langen Liste unerfüllbarer Forderungen.So wie solidarisches Verhalten über drei Generationen hinweg eine kluge Gesamtstrategie verlangt, so braucht auch die Familienpolitik viele Bausteine, die sich zu einem Gebäude zusammenfügen. Das Kindergeld ist einer dieser Bausteine, die das Fundament bilden. Daneben treten Wohngeld, Ausbildungsförderung und andere Leistungen, z. B. im Bereich der Steuer, der Sparförderung usw. Zum wiederholten Male möchte ich aber sagen, daß materielle Hilfen allein nicht genügen. Deshalb sind unsere Anstrengungen ebenso darauf gerichtet, negative Entwicklungen für die Entfaltung der Kinder in der Gesellschaft zu korrigieren oder, anders gesagt, an der Gestaltung einer kinderfreundlichen Gesellschaft mitzuwirken. Die besondere Bedeutung dieser achten Novelle liegt darin, daß strukturell gezielte Hilfe für die größere Familie, für die junge Familie und ab 1980 ein Zuschlag für das zweite Kind geleistet werden. Außerdem wird die Differenz ausgeglichen, die beim Zuschuß für die Rentner-Kinder entsteht.Wenn Sie nun sagen, das sei alles nur Ergebnis des Druckes, der durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Beamten entstanden sei, will ich Ihnen sagen: Noch nie hat das Bundesverfassungsgericht verlangt, daß alle Kinder dasselbe Kindergeld kriegen. Es hat nur verlangt, daß für Beamte eine bessere Regelung geschaffen werde. Für uns war es ganz unerträglich, nur für Beamte eine besondere Regelung zu schaffen, an der andere nicht teilhaben. So wird ein Schuh daraus.
— Die Unerträglichkeit lag darin, daß wir beinahe zu einer Ungleichbehandlung gekommen wären. Aber es muß ja auch erlaubt sein, Regelungen zu kritisieren, die nicht gerecht sind.Das Kindergeld wird nun bald ein Volumen von über 17 Milliarden DM ausmachen. Die kräftigsten Erhöhungen haben wir in den wenigen Jahren seit 1975 zu verzeichnen. Für die Drei-Kinder-Familie betrug das Kindergeld 1975 monatlich 240 DM, jährlich 2 880 DM. 1980 wird das Kindergeld nach Anhebung des Betrages für das zweite Kind 345 DM monatlich und 4 140 DM jährlich betragen. Es wird also eine Steigerung von 44%erfahren. Darin
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Bundesminister Frau Hubeisteckt auch dann ein beachtlicher realer Zuwachs, wenn man die Steigerung der Lebenshaltungskosten berücksichtigt. Der Preisindex für die einfache Lebenshaltung eines Kindes stieg in 33/4 Jahren, nämlich von Januar 1975 bis jetzt, um 12,5 %. Auch wenn wir eine Preissteigerung im kommenden Jahr einkalkulieren, wird sich ein durchschnittlicher jährlicher Nettoanstieg des Kindergeldes ergeben, der sich, gemessen etwa an der Entwicklung des Löhne und Gehälter, durchaus sehen lassen kann.Wenn man sich vor Augen hält, daß 1978 der durchschnittliche Bruttomonatslohn eines Industriearbeiters oder einer Industriearbeiterin bei 2 000 DM liegen wird und der Bruttomonatsverdienst eines Angestellten oder einer Angestellten in Industrie und Handel, bei Banken und Versicherungen z. B. bei 2 500 DM, wird deutlich, daß bereits bei den geltenden Kindergeldsätzen, die ja Nettobeträge sind, bei einer Mehr-Kinder-Familie von drei Kindern mit 280 DM Kindergeld und später 345 DM Kindergeld eine wesentliche monatliche Hilfe zugunsten der Erziehung von Kindern geleistet wird. In Familien mit niedrigem Einkommen stellt das Kindergeld bereits jetzt einen wichtigen Beitrag zum verfügbaren Einkommen im Arbeitnehmerhaushalt dar, wobei der Kostendeckungsgrad mit der Kinderzahl entscheidend zunimmt. Der jährliche Kindergeldaufwand wird, wie gesagt, auf 17,3 Milliarden DM klettern, und ergänzend möchte ich erwähnen, daß auch die Erhöhung des einkommensteuerlichen Grundfreibetrages, die Beseitigung des Tarifsprunges natürlich von familienpolitischer Bedeutung sind.Keine Bundesregierung hat, materiell gesehen, in so wenigen Jahren so viel für die Familie getan wie diese. Ich will damit aber nicht sagen, daß wir uns selbstzufrieden darstellen. Es gibt noch Aufgaben genug, und ich wende mich keineswegs gegen alle Vorschläge, die jetzt in der Öffentlichkeit zu längerfristiger Verwirklichung gemacht werden. Es sollte nur in der heftigen und manchmal ideologisch etwas verfälschten Diskussion nicht untergehen, daß die in allen Schichten eingetretene Verbesserung des Lebensstandards, die verbesserte, wenn auch noch nicht überall ausreichend gute Wohnsituation, der stark gestiegene Ausbildungsstand unserer Kinder, die gute soziale Sicherung nicht von ganz allein, sondern auch mit Hilfe staatlicher Politik gekommen sind.Neben den Maßnahmen zur wirtschaftlichen Entlastung, wie gesagt, müssen wir künftig sicherlich mehr Maßnahmen anbieten, die die Erziehungskraft der Familie stärken, da Eltern sich bei Erziehungsfragen und -problemen vielfach überfordert sehen. Bildungs- und Beratungsangebote werden zunehmend besser angenommen. Durch rechtliche Regelungen im Bundesbaugesetz haben wir Sorge dafür getroffen, daß Familien im Rahmen bürgerschaftlicher Beteiligung auch besser darauf einwirken können, wie das Wohnumfeld der Familie gestaltet wird.Verstärkte Hilfe zur Konfliktbewältigung soll nun das neue Jugendhilfegesetz geben. Ich habe imPressedienst der CDU/CSU gestern gelesen, daß die Opposition „aus zuverlässiger Quelle" — so wörtlich — weiß, daß der Bundesfinanzminister dem Entwurf nicht zustimmt und daß er deshalb für das Kabinett „gestorben" sei. Nicht erst gestern hat Herr Finanzminister Matthöfer mir die Mitteilung gemacht, daß er zustimmt, und der Entwurf wird nunmehr eingebracht. Ich habe mich gefreut, ganz am Schluß Ihrer Mitteilung zu lesen, daß Sie ein Scheitern der Reform für untragbar halten. Ich hoffe, daß sich das bei der Abstimmung zum Jugendhilferecht nachher in diesem Hause zeigen wird.
Vieles, was Familien das Leben schwer macht — das möchte ich zum Schluß sagen ist natürlich von der Bundesregierung nicht steuerbar. Ich sehe daher in dem Internationalen Jahr des Kindes, also im nächsten Jahr, das gut vorbereitet und von über 100 Organisationen getragen wird, eine Chance, daß sich alle gesellschaftlichen Gruppen beteiligen und daß sich jeder, einzelne aufgerufen fühlt, für das Kind etwas zu tun. Es werden sich daraus neue Ideen und Initiativen für Verbände, Elterngruppen, öffentliche und freie Träger ergeben.Die Bundesregierung wird sich mit einer gezielten Familienpolitik weiterhin bemühen, die veränderten Anforderungen in der Gesellschaft unserer Zeit mit den Bedürfnissen des Einzelnen in Einklang zu bringen. Dabei werden wir nicht rückwärts gehen, sondern vom Staat her ergänzen, was die Gesellschaft aus eigener Kraft an größerer Gerechtigkeit, mehr Humanität und Lebensqualität nicht erbringen kann.Ich danke allen Ausschußmitgliedern für die zügige Beratung und hoffe, daß der Entwurf bald im Bundesrat verabschiedet wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spöri.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich vor dem Austausch kontroverser Argumente ganz kurz ein Dankeswort an die Mitarbeiter des Finanzausschusses und im Finanzministerium und vor allen Dingen auch in der Technik richten, die uns in der gedrängten Beratungsphase in den letzten Tagen und auch Nächten intensiv unterstützt haben und denen wir in den letzten Tagen und Nächten wirklich eine Menge zugemutet haben.
Wie meine Vorredner festgestellt haben, ist das jetzt vorliegende Steueränderungspaket 1979 als Teil eines Bündels von Maßnahmen zur Stärkung der Nachfrage zu betrachten, das auf die Zusage zurückgeht, die von der Bundesregierung auf dem Bonner Weltwirtschaftsgipfel gemacht worden ist. Die Diskussionen und die Spekulationen um umstrittene Teile dieses Pakets, die wir auch heute
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Dr. Spörihier erlebt haben, die aber vom Haushaltseffekt, von der Haushaltsbelastung her gesehen weniger . gewichtige Teile des Steuerpakets darstellen, haben das Herzstück dieses Steueränderungsgesetzes 1979 in den letzten Wochen sehr stark in den Hintergrund gedrängt. Das Herzstück ist nach meiner Meinung die Tarifkorrektur.
Ich möchte daher ganz bewußt zunächst auf diesen Schwerpunkt, auf diesen zentralen Maßnahmenbereich eingehen, der in den nächsten Jahren eine entscheidende Verbesserung des Einkommensteuertarifs bringen wird.In diesem Zusammenhang darf ich zunächst auf einige Anmerkungen eingehen, die Herr Kreile in seiner Rede gemacht hat, vor allen Dingen auf seinen Versuch — Herr Kreile, ich wollte gern auf Ihre Anmerkungen zum Tarif eingehen —, gewissermaßen unter dem Motto: „Das haben wir schon immer gesagt", diese Tarifkorrektur „haben wir schon zur Jahresmitte hier gefordert", einige Pünktchen in der Öffentlichkeit zu machen. Ich halte ja ansonsten eine Menge von Ihrer süffisanten und charmanten Art in den Ausschußberatungen. Aber hier haben Sie sich doch ein bißchen am Kern der Angelegenheit vorbeigeschlängelt, um den es zur Jahresmitte im Zusammenhang mit der Tarifdiskussion ging. Ich gebe zu, elegant vorbeigeschlängelt. Ich möchte jetzt auf diesen Kern der Sache zu sprechen kommen.Sie haben behauptet, wir hätten versucht, Ihnen vor diesem Gipfel einen Maulkorb in der Steuerpolitik umzuhängen.
Um was ist es denn damals gegangen, Herr Kreile? Niemand von Ihnen, Herr Kreile, war zu dieser Zeit so naiv, anzunehmen, daß die von Ihnen geforderte Ankündigung von Entlastungen im Einkommensteuerbereich im Vorfeld des Wirtschaftsgipfels anschließend beim Gipfel von den Verhandlungspartnern noch als nationaler Beitrag zu den dortigen Vereinbarungen abgenommen würde. Sie haben doch mit Ihrer Forderung nach einer Festlegung in der Frage der Tarifkorrektur vor dem Bonner Gipfel riskiert, daß ein Großteil der knappen nationalen finanziellen Manövriermasse noch vor dem ersten Gipfelgespräch verfrühstückt wird.
Sie haben darauf hingearbeitet, daß der Bundesregierung der nötige finanzielle Bewegungsspielraum für eine internationale Konferenz genommen wird, die für die Weltwirtschaft und damit auch für ein so stark exportorientiertes Land wie die Bundesrepublik ungeheuer wichtig war.Meine Damen und Herren von der Opposition, wir würden Ihnen gern einmal ein gelungenes steuerpolitisches Lusterlebnis gönnen. Aber Ihre Einlassung zur Tarifkorrektur, daß Sie früher schon immer am Ball gewesen wären, war nicht überzeugend. Frau Funcke hatte vorher richtigerweise darauf hingewiesen, daß Sie in den letzten Monaten nie im-stande waren, tatsächlich selbst eine konkrete Tarifkorrektur vorzuschlagen,
trotz aller Materialien, die Ihnen die Bundesregierung auf Ihren Wunsch zur Verfügung gestellt hat. Jetzt, wenn die Bundesregierung einen solchen Vorschlag wieder macht, sagen Sie: Ja, wir stimmen zu, aber wir haben weiterhin Unlustgefühle.Die Bundesregierung hat ihr Konzept einer Tarifkorrektur im Rahmen des haushaltspolitisch Vertretbaren nunmehr vorgelegt. Wir freuen uns, Herr Kreile, wenn die Tatsache, daß Sie bereits vor dem Gipfel einen neuen Tarif gefordert haben, den positiven Folgeeffekt gehabt hat, daß wir jetzt im Ausschuß blitzschnell diesen wichtigen Teil des Steuerpakets über die Bühne gebracht haben. Dies war zugegeben ein positiver Folgeeffekt Ihrer Forderung vom Juli 1978.Nun zur Tarifkorrektur selbst, zur Substanz! Die Beseitigung des berühmten Tarifsprungs, die Abflachung der sogenannten „Eigernordwand" ist nicht etwa nur für die 10 Millionen schon jetzt in der Progression befindlichen Steuerzahler eine wichtige Entlastung. Schon in drei bis vier Jahren wird das Gros aller Arbeitnehmer die kritische Verdienstzone von bisher 16 000 DM bzw. 32 000 DM zu versteuerndes Jahreseinkommen übersprungen haben.
Gerade jenen 8 Millionen Arbeitnehmern, die heute noch verdienstmäßig in der Proportionalzone des Tarifs mit 22 % Grenzsteuersatz liegen, wird die von uns getragene Tarifkorrektur in den nächsten Jahren den abrupten Sprung auf 30,8 °/o Grenzsteuersatz und dann eine zu schnell wachsende steuerliche Grenzbelastung ersparen. Ich meine daher, daß wir die Optik zu sehr verengen
— ich war immer dafür, dieses Problem anzugehen, Herr Häfele —, wenn wir uns statistisch einseitig auf die Entlastungswerte in den verschiedenen Verdienststufen im Jahre 1979 konzentrieren. Die Qualität dieser Tarifkorrektur kommt nicht nur durch Entlastungswerte allein im Jahre 1979 zum Ausdruck, Die bisher öffentlich vernachlässigte Qualität dieser Operation zeigt sich vor allem auch darin, daß der überwiegenden Mehrheit der Lohn- und Einkommensteuerzahler in den Jahren nach 1979, also im Jahre 1980, im Jahre 1981, im Jahre 1982, entweder ein psychologisch belastender Tarifsprung oder aber eine zu scharf greifende Progression erspart bleibt. Ich glaube, gerade diese mittelfristige Perspektive über das Jahr 1979 hinaus und nicht etwa nur die 79er Entlastungswerte sollten stärker in das Blickfeld der Diskussion um den neuen Einkommensteuertarif gerückt werden.Meine Damen und Herren, der Vorschlag für diese Tarifkorrektur wurde doch nicht etwa aus dem Gedanken heraus gemacht: jetzt verteilen wir irgendwelche Bonbons möglichst querbeet überall hin, sondern der Gedanke zu dieser Tarifreform ist aus der Einsicht entstanden, daß es in einer bestimmten Passage des bisherigen Einkommensteuertarifes eine
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Dr. Spöri Verdrußquelle gibt, weshalb wir die Mittel in diesem Bereich konzentriert einsetzen müssen.
Diese Tarifkorrektur wird, wenn man sie statistisch nur als Entlastungsoperation für 1979 betrachtet, unter ihrem Wert diskutiert. Sie ist kein kurzfristiger steuerpolitisch entlastender Einjahresakt, sie ist vielmehr eine für die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer wirksame mittelfristige Strukturverbesserung des Einkommensteuertarifs.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf, der Ihnen hier vorliegt, sieht auch eine Mehrwertsteuererhöhung vor. Sie von der Opposition versuchen permanent, diesen Punkt zum Ansatz für Mobilisierungsversuche gegen das gesamte Paket zu machen. Ich meine, die vorgesehene Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Juli 1979. Die Opposition stellt hier immer wieder eine künstliche Verbindung zwischen Mehrwertsteuererhöhung und Tarifkorrektur her. — Sie lachen, Herr Häfele, aber es Ist so. Herr Späth hat das hier auch versucht.
— Herr Häfele, Sie wissen doch ganz genau, daß dies argumentative Tricks sind, die Sie als Fachmann auf diesem Gebiet gar nicht nötig haben sollten. Sie wissen doch ganz genau, wie willkürlich, gekünstelt diese Beziehung hergestellt wird. Sie wissen doch, daß die Mehrwertsteuererhöhung — das wurde hier mehrfach betont — einnahmepolitisch dazu dient, den Nettobelastungseffekt des Gesamtmaßnahmenbündels, also auch der sozial- und familienpolitischen Maßnahmen, auf 12 bis 13 Milliarden DM Nettowirkung im Haushalt zu begrenzen. Sie wissen auch ganz genau, was es bedeuten würde, wenn eine zusätzliche Belastung des Kapitalmarkts über das Maß hinaus, das die Bundesbank akzeptiert hat, eintreten würde. Diese Zusatzbelastung würde zu Steigerungen im Zinsniveau führen und wäre konjunkturpolitisch gefährlich.Selbst wenn man einmal auf diesen optischen Trick, diesen Aufrechnungstrick mit der Mehrwertsteuererhöhung und der Tarifkorrektur hereinfiele, wären doch 10,6 Milliarden DM Kosten der Tarifkorrektur z. B. im Jahre 1979 nicht durch die Mehrwertsteuereinnahmen von 2,5 Milliarden DM schon abgedeckt.
Das ist doch hochgradig unseriös, Herr Schäuble, wie Sie mit diesem Rechenkunststück wider besseres Wissen versuchen, dem Bürger zu suggerieren, es gäbe in diesem Paket keinen Nettovorteil. Da werden doch laufend Slogans ausgestreut: Man gebe auf der einen Seite und nehme auf der ande- ren Seite alles wieder weg. Sie wissen, daß dies per Saldo überhaupt nicht zutrifft, meine Herren von der Opposition.
Herr Schäuble, der Widerspruch in Ihrer Argumentation liegt doch schon darin, daß Sie den „armen" Durchschnittsbürgern, die Sie im Rahmen dieses Pakets verteilungspolitisch so bemitleiden, weil sie durch die Mehrwertsteuererhöhung angeblich geschröpft werden, jederzeit eine Mehrwertsteuererhöhung zumuten, wenn es darum geht, die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer zu finanzieren. Das stellt diese Bürger überhaupt nicht besser.
Herr Abgeordneter Dr. Spöri, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kreile?
Gerne.
Herr Kollege Dr. Spöri, haben Sie denn nicht erkannt, daß die Abschaffung der Gewerbesteuer im Bereich der Lohnsummensteuer und der Gewerbekapitalsteuer dazu beiträgt, die Kosten und damit die Preise für ein Produkt zu ermäßigen, während die Mehrwertsteuererhöhung die Preise auch für den „Armen", wie Sie ihn nennen, erhöht?
Herr Kollege Kreile, ich kann jetzt nicht mit Ihnen ein volkswirtschaftliches Kolleg über die Weitergabe von Steuersenkungen an den Konsumenten und an den Verbraucher abhalten. •
Aber ich möchte Ihnen sagen, daß ich sehr kritisch bin im Hinblick auf die Preissenkungseffekte, die anschließend herauskommen, wenn man heutzutage in der Wirtschaft Steuererleichterungen zuläßt. Es ist wirklich so, daß wir in der Steuergeschichte verschiedene Beispiele von Steuersenkungsmaßnahmen im Bereich der Wirtschaft haben, die nicht weitergegeben wurden. Ihre Aussage beruht auf einer Hypothese, die ich auf der Basis meiner Kenntnis über die Vermachtung vieler Märkte und über die Preisstarrheit dort nicht akzeptiere.
Wer sich einmal konjunkturpolitisch und wachstumspolitisch mit den Aspekten dieses Steuerpakets befaßt — das muß man auch einmal tun —, wer einmal die neuesten Bundesbankberichte liest,
wird sehen, daß dort recht interessante Aussagen über die aktuelle Konjunktur enthalten sind. Er wird einsehen, meine Damen und Herren von der Opposition, daß die 24 Milliarden DM Nettoentlastung steuerlicher und sonstiger Art, die die Bundesregierung seit 1977 für Arbeitnehmer und Wirtschaft beschlossen hat, vor dem Hintergrund dieser Konjunkturdaten nicht einfach wachstumspolitisch und beschäftigungspolitisch von Ihnen zerredet werden können.
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Dr. SpöriDies zeigt nicht zuletzt die Tatsache — Sie lieben ja sonst immer die Zahlen in diesem Bereich —, daß die gesamten Konsumausgaben im zweiten Berichtsquartal 1978 nominal um 7 % und real um 4 %gegenüber dem Vorjahreswert gestiegen sind. Die Ausgaben — Sie von der Opposition sprechen ja immer viel über Investitionen — für Ausrüstungsinvestitionen haben im ersten Halbjahr 1978 nominal um 9 % und real um 7 % zugenommen — und das trotz Ihrer permanenten psychologischen Negativpropaganda.Diese Ihre Negativpropaganda geht immer in die Richtung: Unter einer sozialliberalen Bundesregierung verlören die Investoren jegliches Vertrauen in die Zukunft. Sie zeichnen doch permanent wirtschafts- und konjunkturpolitisch ein Zerrbild der Realität, der wirtschaftlichen Fakten, die wir gegenwärtig haben.
Sie kümmern sich, salopp formuliert, einen Dreck darum,
was Ihre Miesmacherei an konjunkturpolitisch negativen Effekten auslöst.
Meine Damen und Herren, die Arbeitslosenzahlen lagen ab Juni — wir sind damit nicht zufrieden, aber wir registrieren das — in jedem Monat um 40 000 bis 50 000 unter den jeweiligen Vorjahreswerten. Wir müssen hier weitermachen. Was der Arbeitsmarkt, der Arbeitnehmer und der Verbraucher, aber auch der Investor hierzu braucht, ist eine zügige Verabschiedung derjenigen steuerlichen Maßnahmen, die für 1979 vorgesehen sind.Konjunkturpolitik ist mindestens zur Hälfte Psychologie. Niemand könnte es verantworten, wenn jetzt nach dieser Beratung in diesem Hause durch unnötig verzögernde Beratungsprozeduren riskiert würde, daß die positiven konjunkturellen Erwartungseffekte, die die für 1979 vorgesehenen steuerpolitischen Maßnahmen insgesamt schon ausgelöst haben, auf dem Altar parteipolitischer Profilierungsstrategien geopfert werden.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sehe Herrn Köhler im Moment nicht. Ich finde es schade, daß etwas Zeit seit seinen Äußerungen vergangen ist.
Ich muß sagen, mich haben diese Äußerungen von Herrn Köhler zur Begründung des Antrags auf Wiedereinführung von Kinderfreibeträgen erschreckt.
Ich fand wenige den Antrag — darüber kann man sachlich diskutieren — als die Art und Weise, wie er das begründet hat, die Art und Weise, wie er über das Kindergeld hergezogen ist, schlicht lassen Sie mich das sagen — reaktionär, unsozial und peinlich.
Er hat den Eindruck erweckt, als ob nur diejenigen, die sich in der Progression befinden, etwas leisten und die anderen nicht, und er hat den Eindruck erweckt, als würden diejenigen —
— ich sage: er hat den Eindruck erweckt, und ich war erschrocken —, die in diesem Sinne etwas leisten, denjenigen, die eben nichts leisten, das' Kindergeld zahlen. Ich halte dies für eine schlimme Sache. Er hat das Kindergeld u. a. als leistungsfeindlich und unsozial bezeichnet.
Meine Damen und Herren, ich glaube, nicht nur die Sozialpolitiker in Ihrer Fraktion, sondern auch alle anderen sollten eine solche Art und Weise der Begründung eines Antrages nicht hinnehmen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte schön!
Frau Kollegin Matthäus-Maier, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß die Kinderfreibeträge zumindest ein dynamisches Element in sich bargen, daß das jetzt über das Arbeitsamt gezahlte Kindergeld dieses dynamische Element nicht beinhaltet, daß die Kinder wegen dieser Regelung nicht mehr in Steuerentlastungsmaßnahmen einbezogen werden können und daß deshalb das jetzige System des Kindergeldes im Interesse der Familien auf die, Dauer nicht aufrechtzuerhalten ist?
Immer [Altenkirchen] [SPD] : Wieso das
denn?)
Herr Vogt, Sie nehmen mit Ihrer Frage eine ganze Menge von dem vorweg, was ich sagen will. Ich kann sogleich antworten.Erstens. Es ist ja nicht so, als ob das Kindergeld die einzige Komponente des Kinderlastenausgleichs wäre, wie es Herr Köhler hier dargestellt hat. Wir haben doch schon heute auch im Steuerrecht eine zweite Komponente. Denken Sie daran, daß Kinder berücksichtigt werden. Wir haben das doch bei dem sogenannten Halbteilungsgrundsatz in geschiedenen Ehen durchgespielt, z. B. bei dem zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrag, bei den Pauschbeträgen
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8784 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Frau Matthäus-Maierfür Behinderte, bei den Ausbildungsfreibeträgen, beim Prämiensparen und anderem mehr.
Es gibt also durchaus eine zweite Komponente des Kinderlastenausgleichs. Der Unterschied dieser Komponente zu Ihrem Antrag besteht darin, daß es sich um Erleichterungen — auch steuerlicher Art — handelt, die jeweils mit einer ganz konkreten nachweisbaren Belastung zusammenhängen, z. B. bei den Vorsorgeaufwendungen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Lassen Sie mich das bitte zu Ende führen.
Das ist z. B. bei den Pauschbeträgen für Behinderte und bei den Ausbildungsfreibeträgen, die ich — nebenbei gesagt — überhaupt nicht verteidigen möchte, der Fall. Ich halte sie nicht für gut, aber das spielt jetzt hier keine Rolle. Das ist jeweils mit einer konkreten Belastung verbunden, während Ihr Antrag darauf abzielt, für die reine Existenz eines Kindes einen Kinderfreibetrag einzuführen. Das ist in der Tat eine neue Komponente, aber nicht eine zweite, sondern eine dritte.
Herr Abgeordneter Schäuble, bitte!
Frau Matthäus-Maier, Sie haben zwar versucht, die Antwort auf meine Frage vorwegzunehmen. Trotzdem will ich Sie fragen: Wenn Sie diese Berücksichtigung, die sich ja progressiv entlastend auswirkt bei den Kinderadditiven, als eine sozial richtige Maßnahme ansehen, können Sie. dann unter dieser Prämisse wirklich aufrechterhalten, daß Kinderfreibeträge sozial ungerecht sein sollen?
Herr Schäuble, ich habe ausdrücklich gesagt, daß ich z. B. den Ausbildungsfreibetrag für nicht richtig halte — aus den verschiedensten Gründen, u. a. deswegen, weil das heutige System der Ausbildungsförderung zu einem, wie ich finde, sehr unsozialen Mittelstandsloch führt. Da Sie es ansprechen, muß ich es nun einmal erwähnen. Die „kleineren" Verdiener — ich will das jetzt nicht näher darlegen — erhalten Ausbildungsförderung mit gewissen Höchstgrenzen; die Höchstverdiener, also diejenigen, die den höchsten Steuersatz zahlen, erhalten auf Grund des Ausbildungsfreibetrages bis zu 196 DM Steuerentlastung; und die, die in der Mitte liegen, die einerseits über den Einkommensgrenzen liegen, so ' daß sie keine Ausbildungsförderung mehr bekommen, andererseits aber vom Ausbildungsfreibetrag wegen einer geringeren Steuerprogression relativ weniger haben, sind diejenigen, die durch das heutige System am schlechtesten wegkommen. Dies halten wir in der Tat für schlecht.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Funcke?
Bitte schön.
Frau Kollegin, können Sie bestätigen, daß im Proportionalbereich ein Steuerabzugsbetrag überhaupt keine dynamische Wirkung hat und daß, je mehr Kinder da sind, desto weniger auch diejenigen, die über die proportionale Zone hinausgewachsen sind, für die Mehrkinder dynamische Vergünstigungen haben?
Es ist so, wie Sie es sagen, Frau Funcke,
und das weiß natürlich auch Herr Vogt. Was Herr Vogt anspricht, ist, daß selbstverständlich kein Automatismus in der Erhöhung des Kindergeldes liegt. Aber dies können wir ja dadurch ändern, daß wir hier in regelmäßigen Abständen das Kindergeld erhöhen, was wir tun, was wir vor einem Jahr getan haben, wo Sie bei der Kindergelderhöhung nicht zugestimmt haben!
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Sperling?
— Einen Moment! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sperling?
Ja, bitte schön.
Frau Kollegin, können Sie erklären, warum die Kollegen von der Doppelunion ihren früheren Stolz verloren haben, den sie einmal — —
Herr Abgeordneter Sperling, ich habe heute schon darauf hingewiesen, -daß Dreiecksfragen nicht zulässig sind. Fragen Sie die Frau Abgeordnete unmittelbar!
Ja! Ich frage sie, ob sie erklären kann, warum die Kollegen den Stolz verloren haben, den sie einmal empfunden hatten, als sie gemeinsam mit uns die Kinderfreibeträge abschafften und das Kindergeld einführten.
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Es gibt eine ganzeMenge Begründungen, die man sich denken kann. Ich möchte nicht die Art und Weise der Diskussion fortsetzen, wie Herr Köhler sie begonnen hat. Deswegen halte ich mich zurück. Ich finde es jedenfalls schade, daß sie sich davon distanzieren.
Ich möchte zur Sache selbst noch etwas sagen.Erstens. Ich habe ein Interview von Herrn Geißler von Ende September nachgelesen, wo er von einem Rundfunkkommentator gefragt worden ist, ob denn nicht die Union eigentlich für Anträge, die sehr viel mehr Geld kosten, auch Deckungsvorschläge machen muß. Dort hat er begrüßenswerterweise gesagt, daß die Union Deckungsvorschläge machen wird. Meine Damen und Herren, mir ist bis heute ein Deckungsvorschlag für die Einführung eines Kinderfreibetrages, der ja etwa 200 Millionen DM kosten wird, nicht bekannt. Ich halte dies für einen weiteren Grund, diesen Kinderfreibetrag hier nicht einführen zu können.Lassen Sie mich ein Letztes sagen. Ich glaube — deswegen war ich so empört über die Art und Weise der Begründung von Herrn Köhler —, daß man sehr wohl über die Familienbesteuerung nachdenken kann. Darauf hat z. B. Herr Rapp im Finanzausschuß, wie ich finde, recht deutlich hingewiesen. Man kann sich z. B. die Frage stellen, ob das heutige Ehegattensplitting, das ja an die bloße Heirat den Vorteil anknüpft, nicht aber an den Tatbestand der Kindererziehung, wirklich die beste Regelung der Familienbesteuerung ist. Man kann sich sicher die Frage stellen, ob man ein begrenztes Realsplitting nicht nur für geschiedene Ehen, sondern generell für Unterhaltsleistungen an nahe Verwandte einführt. Man kann sich sicher die Frage stellen, ob es nicht möglicherweise besser wäre, für jeden Unterhaltsberechtigten, also auch für Kinder, im Rahmen einer anderen Familienbesteuerung eine steuerliche Berücksichtigung vorzusehen. Das kann man alles tun. Man könnte a. B. überlegen, ob es für jeden, an den man Unterhalt zahlt, einen Freibetrag in Höhe des gesetzlichen Existenzminimums gibt, also etwa in Höhe des Grundfreibetrags. Ich meine, daß man alle diese Dinge legitimerweise diskutieren kann.Aber einen Freibetrag in dieser Höhe zusätzlich zum Kindergeld ohne die Diskussion dieser Grundsatzfragen einzuführen, halte ich für völlig unsystematisch. Ich meine, daß wir so etwas nicht tun können, abgesehen davon — darauf hat meine Kollegin Frau Funcke heute mittag bereits hingewiesen —, daß das zu einer starken Komplizierung des Steuerrechts führen würde, die wir doch nun gerade bei anderen Erleichterungen für Kinder, bei anderen Kinderadditiven, mitgemacht haben und wo wir alle gemeinsam versucht haben, eine Lösung für die Frage der Aufteilung der Kinderadditive in geschiedenen Ehen zu finden. Ein neues Problem einer solchen Aufteilung würde hier auf uns zukommen.Ich erwähne das deswegen, weil ich es eigentlich nicht gut finde, daß die steuerliche Behandlung der Geschiedenen, die uns im Ausschuß ein Mehrfaches an Zeit und gemeinsamer Sachdiskussion abverlangthat, als etwa das Thema Tarifreform oder das Thema Lohnsummensteuer, das wir dort in wenigen Minuten behandelt haben, in der Debatte bisher fast überhaupt nicht angesprochen worden ist.
— Ich sage etwas zum Wahlrecht, Herr Schäuble. Deswegen spreche ich es ja an.Als erstes ist hier zu erwähnen, daß wir mit der Regelung des Halbteilungsgrundsatzes für die sogenannte Kinderadditive dem Gebot des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juni 1976 nachgekommen sind. Es ist sicher sehr spät, und ich verstehe den Unmut mancher Betroffener. Nur sollten Sie nicht unterschätzen, daß die Regelung des Halbteilungsgrundsatzes, insbesondere die Problematik der Aufteilung des zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrags für ein Kind, äußerst kompliziert war und ist und zu einer enormen Verwaltungserschwerung führt. Das sollte man hier offen zugeben. In einer Zeit, in der wir alle von Verwaltungsvereinfachung sprechen, fällt es mir und, ich glaube, allen Kollegen im Finanzausschuß nicht leicht, eine solche höchst komplizierte Regelung einzuführen. Aber das Bundesverfassungsgericht hat uns den Weg vorgeschrieben; wir hatten keine andere Wahl.
— Doch, das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich das Stichwort „Halbteilungsgrundsatz" in die Diskussion geworfen, und die Regierung hat ihn eingeführt.Das entscheidendere Problem, das uns im Finanzausschuß sehr viel Zeit abverlangt hat, war die Regelung des sogenannten begrenzten Realsplittings. Sie wissen, daß dieser Vorschlag, d. h. die Absetzbarkeit der Unterhaltsleistungen bis zu einer gewissen Höhe beim Unterhaltsverpflichteten und Versteuerung der Unterhaltsleistungen beim Unterhaltsberechtigten, von der Eherechtskommission und auch der Steuerreformkommission vorgebracht worden ist. Wir halten es für einen Akt der Gerechtigkeit, daß der Unterhalt an geschiedene Ehegatten nicht voll oder überwiegend aus dem versteuerten Einkommen gezahlt wird.Die CDU/CSU hatte gegen die von uns vorgeschlagene Regelung verfassungsrechtliche Bedenken, weil sie glaubte, daß das eine Besserstellung der geschiedenen gegenüber der intakten Ehe und eine Besserstellung der Geschiedenen gegenüber sonstigen Verwandten bedeuten würde. Wir sind da folgender Ansicht.Zunächst zu der Behandlung der intakten Ehe. In der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle führt das begrenzte Realsplitting nicht zu einer Besserstellung der geschiedenen gegenüber der intakten Ehe. Rechnerisch können sich in der Tat einzelne Fälle ergeben das haben wir im Finanzausschuß durchgesprochen —, wo es so ist. Aber man kann Gesetze eben nicht so machen, daß sämtliche unerwünschten Wirkungen ausgeschlossen sind.Hinzu kommt ein weiteres Argument, das nach unserer Ansicht die verfassungsrechtlichen Beden-
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8786 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Frau Matthäus-Maierken entkräftet: Bis 1975 gab es bei einverständlicher Scheidung und einverständlicher Unterhaltsfestsetzung — ohne Schuldausspruch — die volle Absetzbarkeit der Unterhaltszahlungen an geschiedene Ehegatten, also eine sehr viel höhere Begünstigung des Unterhaltsverpflichteten als im jetzigen Recht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schäuble?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Geht das eigentlich von meiner Redezeit ab?
Das geht alles von Ihrer Redezeit ab.
Nein, dann kann ich das leider nicht zulassen, Herr Schäuble; das sehen Sie ja wohl ein.Ein Zweites: angebliche Besserstellung gegenüber Verwandten. Wir meinen schon, daß die Abwicklung einer Ehe, die früher bestanden hat, ein Tatbestand ist, den wir für einen begrenzten Zeitraum — in der Regel wird Unterhalt ja nur für einen begrenzten Zeitraum bezahlt — steuerlich mehr berücksichtigen dürfen als den 'Unterhalt an nahe Verwandte.Wir haben in den Ausschußberatungen ein sehr schwerwiegendes Problem gehabt, das zu lösen uns sehr viele Kopfschmerzen bereitet hat. Schon heute ist ja im Rahmen des § 33 a Abs. 1 EStG der Unterhalt zwischen Geschiedenen bis zu einem bestimmten Höchstbetrag absetzbar, ohne daß der Unterhaltsberechtigte dies zu versteuern hat. Der Regierungsentwurf und der Entwurf der Koalitionsfraktionen sah vor, daß für die Betroffenen in diesen Härtefällen, die ja in Zukunft den erhaltenen Unterhaltsbetrag hätten versteuern müssen, zusätzliche Abmilderungen eingeführt werden. Es gab zwei alternative Möglichkeiten, die wir überlegt haben: einmal eine Freibetragslösung — d. h., der Unterhaltsberechtigte bekommt einen zusätzlichen Freibetrag — und zum anderen die Wahllösung.Wir haben uns nicht für die Freibetragslösung entschieden, weil dann in der Tat die Gefahr bestünde, daß eine Besserstellung der Geschiedenen gegenüber anderen, sowohl gegenüber intakten Ehen als auch gegenüber nahen Verwandten, entstanden wäre. Wir haben uns für die Wahllösung entschieden. Wir meinen nämlich, daß die Wahlmöglichkeit, d. h. Realsplitting nur auf Antrag beider früherer Ehepartner, am besten die Möglichkeit bietet, im Laufe der nächsten Jahre das Problem, das ansonsten auf den Unterhaltsberechtigten zugekommen wäre, daß er nämlich hätte versteuern müssen, zu lösen.Vom 1. Januar 1979 an, also in wenigen Wochen, wären die Richter, die ja nach unseren Vorstellungen den Unterhalt der betroffenen Unterhaltsberechtigten um den Betrag hätten erhöhen sollen, um den die Steuer diesen Unterhalt gemindert hätte, in den Zwang versetzt worden, Beschlüsse zu diesem Thema zu fassen. Uns war diese Frist etwas kurz. Wir meinen, es sollte binnen einerÜbergangsfrist die Chance eröffnet werden, allgemeine Maßstäbe für die Behandlung des Unterhalts auf der Seite des Unterhaltsberechtigten zu gewinnen, Maßtsäbe, die es uns dann in einigen Jahren ermöglichen festzustellen, wie häufig das gemeinsame Realsplitting tatsächlich ausgeübt wird, wie die Ausgleichsregelung zwischen den Ehegatten, nämlich die Zahlung der Steuer vom Unterhaltsverpflichteten an den Unterhaltsberechtigten, läuft, und ob es tatsächlich schikanöses Verweigern der Zustimmung des Unterhaltsberechtigten gibt.Wir rechnen damit, daß es tatsächlich in Einzelfällen eine solche schikanöse Verweigerung geben kann. Dies ist nicht auszuschließen. Wir meinen, daß dies in der Tat auch ein Unterschied zu den sonstigen einverständlichen Regelungen ist, auf die wir uns berufen können; denn wir sehen einverständliche Regelungen auch bei Verteilung der Kinderadditive, z. B. des Ausbildungsfreibetrags, auf einen der beiden Ehepartner vor. Auch das heutige Ehegattensplitting ist ja nur auf Antrag beider Ehepartner möglich. Wir haben diese Wahllösung, d. h. Realsplitting nur auf gemeinsamen Antrag, trotzdem hier versucht, um eben die genannten Härten auszugleichen, und weil wir der Ansicht sind, daß zum einen notfalls über die Gerichte eine Zustimmungserklärung des Unterhaltsberechtigten herbeigeholt werden kann und daß zum anderen bei einem ausreichenden Angebot des Unterhaltsverpflichteten, dem Unterhaltsberechtigten etwas von dem Steuervorteil abzugeben, ein schikanöses Verweigern nur außerordentlich selten vorkommen wird. Aus diesem Grunde haben wir gemeinsam im Finanzausschuß — auch weil wir binnen einer bestimmten Übergangszeit Erfahrungen sammeln wollen — einen Entschließungsantrag gefaßt, in dem die Bundesregierung ersucht wird, bis zum 31. Dezember 1981 über die Auswirkungen des begrenzten Realsplitting zu berichten. Uns wäre es lieber gewesen — da kann ich hier ehrlich sagen —, wenn das Realsplitting auf zwei oder drei Jahre begrenzt worden wäre. Aber dies ist nicht geschehen.Lassen Sie mich zum Familienthema, das wir hier behandelt haben, ein Allerletztes sagen. Wir haben ja den Weg gewählt, das Kindergeld zu erhöhen, und zwar, wie ich finde, deutlich zu erhöhen. Ich muß allerdings sagen, daß wir es bedauern, daß die Entlastung der kinderreichen Familien, die wir hier vorgesehen haben, nicht tatsächlich in vollem Umfang an die kinderreichen Familien weitergegeben wird. Denn § 51 a des Einkommensteuergesetzes, nach dem die Einkommensteuer Maßstab für andere . Steuern ist, z. B. für die Kirchensteuer, ist nicht geändert worden. Dies aber führt dazu, daß die Entlastung der kinderreichen Familien, die wir im Einkommensteuerbereich vornehmen, im Kirchensteuerbereich nicht weitergegeben wird. Ich möchte hier nicht das Verhalten und die Stellung der Kirchen in dieser Frage beurteilen. Das ist nicht mein Problem. Ich meine aber, daß in einer Situation, in der uns die Kirchen — insbesondere die eine der beiden großen Kirchen, die katholische Kirche — immer wieder den Vorwurf machen, diese Regierung sei nicht kinderfreundlich genug, die Forde-
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Frau Matthäus-Maierrung, daß § 51 a nicht geändert werden solle, doch als außerordentlich erstaunlich anzusehen ist. Wir werden darauf achten, .daß eine Neuregelung in § 51 a in absehbarer Zeit nachgeholt wird. Spätestens dann, wenn die Auszahlung des Kindergeldes über die Finanzämter erfolgt, wird es überhaupt keine andere Möglichkeit mehr geben.Lassen Sie mich damit zum Schluß kommen. Das ist eben der Nachteil, wenn man die Kirchensteuer so streng akzessorisch an die Einkommen- und Körperschaftsteuer knüpft. Vielleicht wäre mancher Kämmerer in der Kirche — spätestens an dieser Stelle — ab und zu doch für das FDP-Kirchenpapier und seine Durchsetzung dankbar.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Zeitel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu einem wichtigen Teilelement des Steuerpaketes Stellung nehmen, nämlich zur Gewerbebesteuerung sowie den Finanzausgleichsmaßnahmen und damit zugleich zu dem Antrag unserer Fraktion , in dem eine konkretisierte Vorstellung über die Finanzausgleichsregelung enthalten ist.Gestatten Sie mir aber zunächst ein paar Vorbemerkungen:Frau Kollegin Matthäus, ich halte Sie eigentlich für hinreichend sachverständig, daß Sie die Problematik, die in der Einführung von Kinderfreibeträgen liegt, übersehen, die wir ähnlich in anderen Steuerbereichen schon haben. Ich halte es nicht für einen guten Stil, meinen Kollegen Köhler in diesem Zusammenhang mit solchen Ausdrücken zu belegen, wie Sie es getan haben. Dazu war auf Grund seiner Ausführungen und seines Antrags überhaupt keine Veranlassung gegeben. Ich bedaure, daß Sie dies getan haben.
Die Art und Weise, wie die Regierungskoalition das vorliegende Steuerpaket behandelt hat — da hilft kein darum Herumreden —, ist nicht geeignet, Vertrauen in der Bevölkerung und der Wirtschaft zu erwecken, sondern in hohem Maße geeignet, Vertrauen weiter zu zerstören.
Das zweite, was ich vorwegschicken möchte, ist dieses. Das Gesetzespaket — darüber täusche sich niemand —, das wir hier in Eile verabschieden, bringt nicht nur in einigen Bereichen erhebliche Verwaltungserschwernisse, sondern es ist auch bei einigen Sachproblemen mit mehr Ungerechtigkeit verbunden. Bei anderen Regelungen ist es auch verfassungspolitisch nicht unbedenklich.Drittens haben Sie gestern in einem für meinen Geschmack parlamentarisch unverantwortlichen Eilverfahren eine Abkoppelung eines zentralen Teilproblems vorgesehen. Was Sie in bezug auf den Finanzausgleich geregelt haben, ist Gesetzespoesie, aber keine klare Regelung. Sie haben damit viele Mittelständler und Kommunalvertreter, die dies erwartet haben, enttäuscht, denn die Finanzausgleichsregelung ist noch immer im Nebel verborgen.
Eine vierte Vorbemerkung: Die Art und Weise, in der jetzt die eigentliche Lösung verschoben worden ist, ist für die Gemeinden völlig unbefriedigend. Da die Koalition bis heute keine konkrete Lösung vorgelegt hat, wird die Haushaltsplanung der Kommunen — insbesondere im Bereich der Investitionen — nicht erleichtert, sondern sehr erschwert, weil Sie Ungewißheit bestehen lassen.
Meine Damen und Herren, ich möchte zur Hauptthematik darauf hinweisen, daß sich offensichtlich weder Herr Westphal noch Herr Spöri einmal die Mühe gemacht haben, in diesem Zusammenhang zu verdeutlichen, daß wir uns im Grunde genommen mit der Fortführung der Gemeindefinanzreform beschäftigen, die mit den Stimmen der SPD und FDP beschlossen worden ist. In der damaligen Debatte — Herr Spöri, machen Sie sich einmal die Mühe, die Ausführungen Ihrer Kollegen nachzulesen, statt hier einfach so unbedacht daherzureden — ist die Gewerbesteuer von Ihrer Partei als an Haupt und Gliedern reformbedürftig bezeichnet worden. Daran knüpfen wir indessen in unserer grundsätzlichen Stellungnahme an. Das Kapitel „Gewerbekapitalsteuerabbau" ist nicht völlig neu, sondern schon früher hier behandelt worden. Der weitgehende Gewerbesteuerabbau war die Grundlinie, die mit dem Gemeindefinanzreformgesetz, das vom Hause gemeinsam beschlossen wurde, anvisiert war. Nur zu diesem Zweck ist die Gewerbesteuerumlage eingeführt worden: als ein von allen Parteien des Hohen Hauses in Aussicht genommener Weg, um in der Frage der Gewerbesteuerbeseitigung ein Stück weiterzukommen.
Deshalb sind wir nach wie vor der Auffassung, daß es angesichts der damals erörterten Fehler der Gewerbesteuer — die ich nicht wiederholt darstellen möchte — wesentlich ist, daß neben der Lohnsummensteuer, die nur in bestimmten Regionen der Bundesrepublik erhoben wird, auch die Gewerbekapitalsteuer abgebaut wird.
Lassen Sie mich dazu einige Argumente nennen, Wir bestreiten überhaupt nicht, daß die Gewerbekapitalsteuer für viele Kleinstbetriebe keine Rolle spielt. Aber wir halten es für höchst bedeutsam, daß von 500 000 Unternehmen, die Gewerbekapitalsteuer zahlen, mindestens 80 % mittelständisch sind. Diese Betriebe sind heute vielfach in eine Ertragssituation hineingekommen, die ihnen das Entrichten der Gewerbekapitalsteuerbeträge nicht nur schwermacht, sondern sie zusammen mit den anderen ertragsunabhängigen Abgaben nicht selten in den Konkurs hineintreibt. Deshalb sind wir für die Beseitigung der Gewerbekapitalsteuer.
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Dr. ZeitelInsofern halten wir den Kapitalsteuerabbau auch mittelstandspolitisch für erwünscht und sehen die Zusammenhänge nicht so einseitig wie Sie. Wenn Sie schon mit der geringen Zahl betroffener Betriebe argumentieren, dann müßten Sie auch anerkennen, daß die Lohnsummensteuer unter diesem Blickwinkel noch viel weniger mittelstandspolitisch bewirkt.Wir sind — lassen Sie mich das hier deutlich sagen — auch der Auffassung, daß ein Kernstück dieses ganzen Steuerpakets, das der Herr Bundeskanzler im Sommertheater offensichtlich nicht richtig eingeschätzt hat, die Regelung des Finanzausgleichs ist.
Und die zweckmäßige Finanzausgleichsregelung gestaltet sich im Hinblick auf die fundamentalen Differenzen in Nord- und Süddeutschland, wo die Lohnsummensteuer gar nicht erhoben wird, eben einfacher, wenn beide Gewerbesteuerelemente in die Betrachtungsweise einbezogen werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Oostergetelo?
Ja, gern.
Herr Kollege, können Sie mir sagen, wieviel die von Ihnen zitierten 80 % Mittelständler vom Gesamtvolumen der Gewerbekapitalsteuer aufbringen?
Die Zahl habe ich nicht genau im Kopf. Aber ich weiß, Herr Kollege, daß der erdrückende Anteil bei den Großen liegt.
Das ist in der Tat richtig. Aber das ist noch kein Anlaß, daß Sie, wenn die Investitionsbelebung als entscheidend angesehen würde — wie der Herr Bundeskanzler auf dem Weltwirtschaftsgipfel betont hat —, dies nun zum Vorwand nehmen, in diesem Bereich keine Bereinigung herbeizuführen. Dann werden keine entscheidenden Veränderungen in den investitionspolitischen Rahmenbedingungen eintreten.
Ich will in diesem Zusammenhang auch auf ein Argument eingehen, das der Herr Bundesfinanzminister in seiner Entgegnung auf unsere Vorlage gebracht hat. Er hat nämlich ausgeführt, daß der Gewerbesteuer der Objektcharakter verlorengeht, wenn die Gewerbekapitalsteuer beseitigt wird. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben dies ein Hauptelement der Objektsteuergestaltung genannt.
Der Objektcharakter der Gewerbesteuer ist dadurch gewahrt, daß bei der Gewerbeertragsteuer die Dauerschuldzinsen hinzugerechnet werden und daß subjektivierende Elemente, wie sie die Einkommensteuer kennzeichnen, nicht vorhanden sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Matthöfer?
Gern.
Herr Kollege Zeitel, sind Sie bereit, das noch einmal nachzulesen, damit Sie feststellen, daß sich meine damalige Aussage genau auf die — übrigens auch von Ihnen geforderte — Abschaffung der Hinzurechnung der Dauerschuldzinsen bei der Berechnung der Gewerbeertragsteuer bezog? Dies würde allerdings den Realsteuercharakter, den auf den Betrieb bezogenen Charakter der Steuer, zerstören und mit der Abschaffung der Lohnsummensteuer, mit der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und mit der Zerstörung des Realsteuer- Charakters der Gewerbeertragsteuer das Ende der Gewebesteuer und damit einer segensreichen Einrichtung für unsere Gemeinden bedeuten.
Herr Bundesfinanzminister, ich will das gerne überprüfen. Aus dem mir zugänglichen Pressedienst geht eindeutig hervor, daß es nicht um die Dauerschulden ging, sondern daß Sie sich zur Gewerbekapitalsteuer als wichtigstem Element geäußert haben. Ich habe gerade ausgeführt — deshalb war die Frage überflüssig —, daß der Objektcharakter der Gewerbeertragsteuer durch die Hinzurechnung der Dauerschuldzinsen gewährleistet ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? Ich mache Sie allerdings darauf aufmerksam, daß Ihre Redezeit bald abgelaufen ist.
Herr Kollege Zeitel, Sie erwähnten die Gemeindefinanzreform des Jahres 1968.
1969!
Darf ich Sie unter Hinweis auf diese Beratungen fragen, ob Sie mir nicht zustimmen müssen, daß seinerzeit übereinstimmend festgehalten worden ist, daß zur Realsteuergarantie ein ertragsunabhängiger Bestandteil bei der Gewerbesteuer dazugehört?
Das war die Mehrheitsauffassung, das ist richtig, Herr Meinike. Das ändert nichts an der Gesamttendenz der Beurteilung der Gewerbesteuer, die damals einvernehmlich getroffen worden ist.Wir halten daran fest, daß die Kernfrage des Finanzausgleichs leichter geregelt werden kann, wenn man die Gewerbekapitalsteuer mit einbezieht. Sonst bleiben u. a. die großen Differenzen in der Gewerbebesteuerung zwischen Nord- und Süddeutschland.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8789
Dr. ZeitelDie CDU/CSU könnte auch sicher einer Regelung nicht zustimmen — das wird sich ja noch herausstellen —, bei der wegen der Sonderverhältnisse in Nordrhein-Westfalen ein zusätzlicher Finanzausgleich gewissermaßen zu Lasten der süddeutschen Länder zustande käme.Wir haben im Unterschied zu Ihnen — das ist ja immer beanstandet worden — einen konkreten Finanzausgleichsvorschlag vorgelegt.
Er besteht darin — und hier sind wir nicht sehr weit von der FDP-Linie entfernt —, daß der Anteil der Gemeinden an der Einkommensteuer von 14 % auf 16 °/o erhöht und daß die Gewerbesteuerumlage halbiert werden soll. Wenn Sie die Ausfallzahlen aus unseren Forderungen für die Gemeinden aufaddieren, dann werden Sie feststellen, daß damit im ganzen eine für die Gemeinden befriedigende Regelung gegeben ist. Auch die zwischen den einzelnen Gemeinden sehr unterschiedlichen Teilrelationen können bei diesem Verfahren befriedigender berücksichtigt werden als bei den Nebelvorstellungen, wie sie von Ihrer Seite bisher geäußert worden sind.
Deshalb glauben wir auch, daß wir mit unserem Antrag einen Beitrag zur Stärkung der kommunalen Finanzautonomie und nicht zu ihrem Abbau geleistet haben. Denn das war und das bleibt unsere Auffassung: die Selbstverwaltung der Gemeinden ist ein wesentliches Element unseres Staatssystems und damit auch in einer Finanzautonomie verwurzelt. Nur liegt die Finanzautonomie — und hier könnten wir Auffassungsdifferenzen haben — nicht allein in der selbständigen Gewerbebesteuerung begründet. Wenn man die kommunale Finanzautonomie richtig würdigen will, dann wird diese heute am meisten dadurch untergraben, daß den Gemeinden — zum Teil durch Bundesgesetze — immer neue Lasten aufgeladen werden und daß wir hundert Töpfchen haben, die den gesamten Prozeß der allgemeinen Mittelzuweisung und kommunalen Willensbildung denaturieren. Dadurch ist die Finanzautonomie viel mehr gefährdet als durch die Änderungen der Gewerbesteuer in Verbindung mit einer verminderten Gewerbesteuerumlage.
Wir möchten Sie herzlich bitten, daß Sie im Interesse einer möglichst baldigen Klarstellung unserem Antrag zustimmen, den Finanzausgleich auf diesem Wege zu regeln.
Das
Wort hat der Abgeordnete Kühbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Zeitel hat noch einmal in erster Linie den Änderungsantrag der CDU/CSU auf Drucksache 8/2217 begründet, der den Angriff der CDU/CSU auf die kommunale Finanzautonomie darstellt.
— Das ist so, Herr Kollege Schäuble. Mit der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer — das wissen Sie so gut wie ich — ist die Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuer selbst in Frage gestellt. Das wollen Sie; Sie wollen dahin. Sie wollen in die Richtung der Abschaffung der Gewerbesteuer überhaupt. Dazu hat der Kollege Zeitel beim letzten Steueränderungsgesetz hier bereits einige Ausführungen gemacht. Das ist die Linie. Das mag bundessteuerpolitisch vertretbar sein — das kann man denken —, nur bedeutet es den Tod der kommunalen Finanzautonomie. Das darf ich doch einmal feststellen.
Herr Professor Zeitel, es ist ja auch klar, woher das kommt. Es muß einem als Abgeordneten, der in diesem Hause neu ist, doch erschrecken, wenn man heute einen Brief vom Deutschen Industrie-und Handelstag bekommt, der beginnt, der Deutsche Industrie- und Handelstag sei nur bereit, etwas zu tragen, wenn — und dann begründet er das. Uns, der sozialliberalen Koalition, wirft er dabei vor — ich zitiere —:
Der Egoismus einer verfehlten rathausbezogenen Kommunalpolitik sollte eine bundesstaatlich richtige Steuerpolitik nicht durchkreuzen können.
Es wird mir völlig klar, woher der Druck auf Sie kommt, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen: vom Deutschen Industrie- und Handelstag.
Sie machen sich zu seinem Redner. Das müssen Sie selbst verantworten. Ich sage Ihnen aber, daß wir diesen Angriff auf die kommunale Finanzautonomie zurückschlagen werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zeitel?
Sehr gern.
Herr Kollege Kühbacher, ist Ihnen bekannt, daß das, was wir vertreten, im Grunde genommen die Linie der großen Steuerreformkommission ist, in der Vertreter der SPD mitwirken, und finden Sie es nicht ein bißchen billig, so zu argumentieren?
Herr Professor Zeitel, das mag so sein. Ich kenne die einzelnen Feinarbeiten die-
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8790 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978
Kühbacherser Steuerreformkommission nicht. Ich kann Ihnen hur die politische Willensbildung innerhalb unserer Koalition beschreiben: Wir lassen einen Angriff auf die kommunale Finanzautonomie durch die Industrie vertreten durch Sie, nicht zu.
— Herr Häfele, lenken Sie doch nicht ab. Ich weiß ja, daß Sie ein schlechtes Gewissen haben.Ich darf auf einen anderen Aspekt hinweisen. Am 16. Oktober 1978 hat die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände unter der Federführung von Dr. Waffenschmidt, den ich hier leider vermissen muß, folgendes formuliert — also nach der Finanzausschußsitzung, in der Sie angekündigt haben, die Gewerbekapitalsteuer abschaffen zu wollen; ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten aus III —:Mit Entschiedenheit wehrt sich der Gesamtvorstand der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände deshalb auch gegen die noch weitergehende Absicht, die Gewerbesteuern zu verstümmeln oder langfristig ganz zu beseitigen.
Er lehnt damit auch die vom Bundesrat geforderte Beseitigung der Gewerbekapitalsteuer ab. Der Gesamtvorstand appelliert nachdrücklich an den Bundesrat,— und damit an die CDU/CSU —- derartige Pläne fallenzulassen. Ohne Gewerbesteuer ist die kommunale Selbstverwaltung in der jetzigen Form nicht denkbar. Gleichzeitig geht das Interesse der Gemeinden an der Wirtschaftsentwicklung und an den in der Gemeinde ansässigen Unternehmen verloren.Das sollten wir beherzigen, wenn wir kommunalfreundliche Politik machen wollen. Man kann nicht draußen vor Ort etwas proklamieren und sich als Abgeordneter im Bundestag völlig anders verhalten. Das geht nicht.
Nun lassen Sie mich einige Worte zur Lohnsummensteuer sagen. Die Abschaffung der Lohnsummensteuer — Herr Schäuble, das verhehle ich nicht — macht Sozialdemokraten keine reine Freude. Wir sind in einer Koalition. Ich verhehle durchaus nicht, daß es in einer Koalition Kompromisse von Geben und Nehmen geben muß. Das ist eine Seite der Medaille, die man akzeptieren muß vor dem Hintergrund der Mehrheitsverhältnisse.Nun haben Sie beklagt, daß wir nicht wie Sie schnöde hingehen und die Abschaffung der Lohnsummensteuer und ihre künftige Ersatzregelung gleich mitbeschließen. Wir haben gesagt, wir würden ein Ausgleichsgesetz machen, in dem der Ausgleich festgelegt werde — an verschiedenen Eckpositionen haben wir das bereits deutlich gemacht —, und wir wollen dieses Ausgleichsgesetz mit den Betroffenen besprechen. Wir wollen insbesondere mit denjenigen sprechen, die betroffen sind, und auch mit den Ländern, die einen Spitzenausgleich machen müssen. Dieser Bundestag wäre schlecht beraten, Herr Professor Zeitel, wenn er Ad-hoc-Entscheidungen fällte, wie Sie sie insgesamt hier vorgetragen haben. Ich habe einmal nachgerechnet, Herr Professor Zeitel, was Ihre Einschränkung bringen würde. Haben Sie einmal mit den CDU-Ratsherren der Stadt Bonn gesprochen, was dabei herauskommt, wenn nach Ihrem Modell 51 Millionen DM kommunale Finanzmasse verlorengehen und davon nach Ihrem Modell nur 40 Millionen DM gedeckt werden können? Wo bleiben die restlichen 11 Millionen? Haben Sie die Zustimmung der CDU-Kommunalpolitiker aus Bonn oder aus Kiel, wo nach Ihrem Modell 9 Millionen DM fehlen, oder aus Frankfurt, wo 56 Millionen DM fehlen, oder aus Hannover, wo 68 Millionen DM fehlen? Wir nehmen uns Zeit dafür, mit den Betroffenen zu reden.
Werfen Sie uns nicht vor, daß wir ein Ausgleichsgesetz machen wollen, das mit den Betroffenen ernsthaft beraten wird! Dies ist unser gemeinsames Anliegen in der Koalition. Ich meine, es kann sich sehen lassen.
Unser Verständnis von Kommunalpolitik und von der Ausstattung der kommunalen Finanzmasse geht nicht davon aus, daß wir hier im Bundestag alles besser wissen, sondern daß wir mit den betroffenen Ländern und mit den Kommunen darüber zu sprechen haben. Die kommunalen Spitzenverbände sind ja bereit, einen wesentlichen Teil der Information, die dieser Bundestag braucht, zu liefern.Ich komme zur Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer zurück. Wir sehen durchaus, wohin die Reise geht. Sie sagen, Herr Professor Zeitel, dies sei mittelstandsfreundlich,
da Sie für sich selbst nur die Gewerbekapitalsteuer zahlenden Betriebe herausgreifen. Sie können aber nicht bestreiten, daß von allen gewerbesteuerpflichtigen Betrieben in der Bundesrepublik nur 33 °/o überhaupt betroffen sind.
76% bezahlen keine Gewerbekapitalsteuer. Ich will das nur deutlich machen. 67 % sind damit ausgenommen, und der Ausfall muß irgendwie geregelt werden. Wenn die wenigen Großbetriebe von der Gewerbekapitalsteuer erleichtert werden, wird, dieser Ausgleich beim Mittelstand stattfinden. Diese Politik kann ich gerade von Ihnen als Mittelständler überhaupt nicht verstehen.Dieses Gesetz wird ein weiteres Gesetz nach sich ziehen, nämlich das Ausgleichsgesetz. Ich darf den
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1978 8791
Kühbacherbetroffenen Kommunen versichern, daß wir mit allem Ernst die Finanzautonomie der Kommunen achten und bestrebt sein werden, einen vernünftigen, befriedigenden Ausgleich für alle Betroffenen zu finden.
Das
Wort hat Frau Kollegin Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich hatte vorhin schon in der Rede angedeutet, daß wir neben der Abschaffung der Lohnsummensteuer die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nicht für möglich halten, und zwar im Interesse der Gemeinden; denn es geht an die Substanz dessen, was sie zur eigenen Verfügung haben. Ich glaube, keiner von uns kann wünschen, wenn es statt dessen zu höheren Anteilen bei der Einkommensteuer kommt, daß die Gemeinden nicht mehr interessiert sind, Gewerbe zu haben. Dann wollen alle Gemeinden Luftkurort werden; denn da mögen besonders die Leute mit höherem Einkommen gern leben. Dies geht nicht.
Es geht aber auch aus einem anderen Grunde nicht. Wenn wir nur noch auf einer Basis, nämlich auf der Ertragsbasis, die Gewerbesteuer erheben, wird sich eine ungeheure Verwerfung innerhalb der Gemeinden mit ihrem Aufkommen ergeben. Es gibt Gemeinden, die mehr von der Gewerbekapitalsteuer leben, wie auch solche, die prozentual mehr Gewerbeertragsteuer haben. Da gibt es Gemeinden mit vielen kleinen Betrieben und solche mit kapitalintensiven Betrieben. In Ludwigshafen hat natürlich die Kapitalsteuer eine andere Bedeutung als etwa in der Oberpfalz. Der Fortfall der Gewerbekapitalsteuer neben der Lohnsummensteuer würde also zusätzlich zu einer erheblichen Verschiebung im Aufkommen innerhalb der Gemeinden führen und würde die Eigenfinanzierung der Gemeinden erheblich begrenzen. Das hätte den Erfolg — das wissen wir —, daß die Gemeinden versuchen, einen Teil des Ausgleichs über den Hebesatz wieder hereinzubekommen. Ich sagte vorhin schon: soll dann also der kleine Handwerker, der Handelsvertreter oder der Kaufmann an der Ecke nachher die ganze Last für die Gemeinde tragen?
Dies kann doch wirklich nicht der Wunsch der Opposition in diesem Hause sein.
— Aber das macht doch die Diskussion deutlich.
Wir meinen, wir brauchen eine Neuregelung im gemeindlichen Finanzbereich, eine auf längere Sicht angelegte Überprüfung des heutigen Systems. Aber das können Sie nicht mit ruckartigen, kumulierten Beschlüssen zur Abschaffung bestimmter Steuern erreichen, dazu braucht man eine sehr sorgfältige Analyse, eine sehr gemeindefreundliche Hand, viel Verständnis für die Eigenverantwortung der Gemeinden. Das geht nicht einfach mit dem Hauruck-Verfahren, wie Sie es jetzt machen wollen. Die Anträge, die
gestern von Ihnen im Ausschuß gestellt worden sind, würden bedeuten — einschließlich des Ausgleichs an die Gemeinden —, daß der Bund 5 Milliarden verliert, die Länder 4,5 Milliarden und die Gemeinden plötzlich 4,8 Milliarden mehr haben. Dies kann — bei aller Gemeindefreundlichkeit — wohl auch nicht der Sinn einer vernünftigen Umverteilung innerhalb unserer verschiedenen Ebenen sein.
— Entschuldigen Sie, dann müßten wir dazu übergehen — das kann doch gar nicht anders sein —, daß die Gemeinden von oben Aufgaben zugewiesen bekommen, die dann wieder zu neuen Ausgaben führen. Dann müßten wir — ein bißchen scherzhaft gesagt — das Kindergeld durch die Gemeinden auszahlen lassen. Wir haben doch ein gewisses System, bei dem sich Ausgaben und Einnahmen eingependelt haben. Sie können doch nicht einfach eine völlige Verschiebung in den Einnahmen bringen, ohne gleichzeitig über die Ausgabenstruktur und die Aufgabenstruktur nachzudenken. Ich glaube, dies brauchte ich ernstlich in diesem Kreise wohl nicht mit Beispielen belegen zu müssen.
Wir werden dem Antrag nicht zustimmen.
Frau
Kollegin, würden Sie die Zwischenfrage des Kollegen Zeitel noch beantworten?
Bitte. Selbstverständlich. Dafür komme ich noch einmal wieder.
Verehrte gnädige Frau, würden Sie vielleicht mal erklären, woher bei unseren Ausgleichsvorstellungen für die Gemeinden ein Überschuß von 4,8 Milliarden kommt?
Dieses ist errechnet worden. An Gewerbekapitalsteuer würde bei den Gemeinden ungefähr 1,8 Milliarden netto ausfallen. Hinzu kommen noch anteilige Ausfälle durch den Kinderfreibetrag, der ja auch bei den Gemeinden zu Buche schlägt, und Ausfälle auf Grund Ihrer Anträge zum § 7 b. Insgesamt fallen rund 2,2 Milliarden außer der Lohnsummensteuer aus: Auf der anderen Seite fallen 7 Milliarden an Mehreinnahmen an, und zwar über den höheren Anteil an der Einkommensteuer und durch die Halbierung der Umlage. Letztere macht allein schon über 4 Milliarden aus. Das ergibt insgesamt — ich habe es nachgerechnet, wir können es uns nachher begucken — ungefähr einen Betrag von 4,8 Milliarden DM, mit dem die Gemeinden als Plus aus dem Unternehmen herauskommen, gegenüber dem Lohnsummensteuerausfall von netto 2,8 Milliarden DM. Dies kann doch wirklich ernstlich nicht der Sinn einer solchen Umstrukturierung sein.
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Frau Funcke— Wir werden das prüfen, zusammen mit den Zahlen, die wir vorgelegt haben.
Aber wir können auch dann Ihren Antrag nicht annehmen.
Meine Damen und Herren, die zweite Beratung der verbundenen Tagesordnungspunkte 11 bis 14 wird an dieser Stelle unterbrochen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen früh, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.