Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.Ich habe zunächst die Freude, dem früheren Präsidenten dieses Hauses, unserem Kollegen von Hassel, herzliche Glückwünsche auszusprechen, der am 21. April seinen 65. Geburtstag gefeiert hat.
Sodann darf ich die herzlichen Glückwünsche des Hauses unserem Kollegen Scheu aussprechen, der gestern, am 26. April, seinen 71. Geburtstag gefeiert hat.
Als Nachfolger für den verstorbenen Abgeordneten Ollesch hat am 20. April 1978 der Abgeordnete Merker die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kollegen sehr herzlich und wünsche ihm eine erfolgreiche Mitarbeit im Deutschen Bundestag.
Gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht rückt der Abgeordnete Dr. Schmitt-Vockenhausen für den Abgeordneten Dr. Schmude, der sein Mandat im Wahlmännerausschuß niedergelegt hat, aus der Reihe der nicht mehr Gewählten als Mitglied im Wahlmännerausschuß nach. Ich darf dies dem Hause bekanntgeben.Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen — Stand: 18. April 1978 — vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen.Erhebt, sich gegen die vorgeschlagenen Überweisungen Widerspruch? — Das ist offenbar nicht der Fall. Ich stelle fest, daß so beschlossen ist.Ich habe nun die besondere Freude, eine Delegation des Nationalrats und des Bundesrats der Republik Osterreich hier im Hause zu begrüßen, die sich seit einigen Tagen als unser Gast in der Bundesrepublik Deutschland aufhält.
Die Delegation steht unter Leitung des Vizepräsidenten des Nationalrats, Herrn Otto Probst.Ich möchte Ihnen sehr herzlich danken, daß Sie unserer Einladung gefolgt sind. Ich freue mich, daß Sie schon, wie ich weiß, einige für Sie angenehme und interessante Tage in unserem Lande haben erleben können.Sie bringen damit die engen und freundschaftlichen Beziehungen zum Ausdruck, die zwischen unseren beiden Ländern und unseren Parlamenten bestehen. Es ist uns eine besondere Freude, Sie in Deutschland und im Deutschen Bundestag willkommen zu heißen.Amtliche Mitteilungen ohne VerlesungDer Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 26. April 1978 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Jentsch , Dr. Dregger, Dr. Eyrich, Spranger, Krey, Dr. Jobst, Schwarz, Dr. Miltner, Biechele, Regenspurger, Dr. Langguth, Berger (Herne), Gerster (Mainz), Erhard (Bad Schwalbach), Broll, Dr. Wittmann (München), Dr. Möller, Gerlach (Obernau), Dr. Laufs und der Fraktion der CDU/CSU betr. Bundesgrenzschutz — Drucksache 8/1623 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/1748 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 26. April 1978 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Eyrich, Spranger, Erhard , Schwarz, Broll, Berger (Herne), Dr. Müller, Dr. Langguth, Wohlrabe, Dr. Möller und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Russell-Tribunal über die Repressionen in der Bundesrepublik Deutschland — Drucksache 8/1622 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/1750 verteilt.Der Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 20. April 1978 unter Bezugnahme auf § 17 Abs. 5 des Postverwaltungsgesetzes den Voranschlag der Deutschen Bundespost für das Rechnungsjahr 1978 übersandt. Der Voranschlag liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus.Betr.: Dritter Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Rückstellungsfonds, insbesondere über die Möglichkeiten einer Ermäßigung der laufenden Zuschüsse und der Ausgleichsabgabe
Bezug: § 2 Abs. 4 des Altölgesetzes vom 23. Dezember 1968 — Drucksache 8/1676 —zuständig: Ausschuß für Wirtschaft , Innenausschuß, Finanzausschuß, HaushaltsausschußBetr.: Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über „Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahre 1976"Bezug: Beschluß des Deutschen Bundestages vom 14. März 1975— Drucksache 8/1682 —zuständig: Innenausschuß , Ausschuß für Forschung und TechnologieBetr.: Halbjahresbericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarats und der Westeuropäischen Union für die Zeit vom 1. Oktober 1977 bis 31. März 1978Bezug: Beschlüsse des Deutschen Bundestages vom 22. Februar und 28. April 1967— Drucksache 8/1688 — zuständig: Auswärtiger AusschußDer Vorsitzende des Finanzausschusses hat mit Schreiben vom 25. April 1978 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehende EG-Vorlage zur Kenntnis genommen hat:
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6896 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Präsident CarstensVorschlag einer Verordnung des Rates zur Durchführung des Beschlusses Nr. .../77 des Gemischten Ausschusses EWG/... (1) zur Ergänzung und Änderung des Protokolls Nr. 3 über die Bestimmung des Begriffs .Erzeugnisse mit Ursprung in" oder „Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen und zur Aufhebung einiger Beschlüsse des Gemischten Ausschusses.
Österreich, Finnland, Island, Norwegen, Portugal, Schweden, Schweiz
— Drucksache 8/1477 Nr. 9 —Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 2 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes
— Drucksache 8/1735 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOWird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihnen liegt der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zehnten Anpassungsgesetz in der Kriegsopferversorgung vor. Die Regierungsvorlage enthält erstens die Anpassung der Versorgungsbezüge nach dem Bundesversorgungsgesetz für die Jahre 1979, 1980 und 1981 mit den Anpassungssätzen von 4,5 % zum 1. Januar 1979 und jeweils 4 % zum 1. Januar 1980 und 1981 — das sind für diesen Zeitraum insgesamt Verbesserungen von rund 13 % — und zweitens eine Reihe wichtiger struktureller Leistungsverbesserungen bei der Heilbehandlung, im Rentenrecht und in der Kriegsopferfürsorge.DerGesetzentwurf sieht vor, daß die Kriegsopferrenten, wie die Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung, in den nächsten drei Jahren steigen und daß sie sich ab 1982 wieder an der Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter orientieren.
Diese Anpassung der Kriegsopferrenten beruht auf § 56 des Bundesversorgungsgesetzes, wonach die laufenden Versorgungsleistungen durch Gesetz entsprechend dem Vomhundertsatz angepaßt werden, um den die Renten aus der Arbeiterrentenversicherung jeweils verändert werden. Dementsprechend ist im Gesetzentwurf eine Erhöhung der Versorgungsrenten für 1979 — wie im Einundzwanzigsten Rentenanpassungsgesetz — um 4,5 % vorgesehen.
— Verehrter Herr Abgeordneter Franke, dieser Vorschlag entspricht genau der Rechtslage des Bundesversorgungsgesetzes. Das steht dort im Gesetz; das hat das damit zu tun. — Damit nehmen die Kriegsopferrenten im gleichen Umfang am Zuwachs der wirtschaftlichen Entwicklung teil, wie dies auch fürdie Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung gilt.Auch die Kriegsopferversorgung ist untrennbar mit der wirtschaftlichen Entwicklung verbunden. Die Leistungen müssen aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert werden. Langsameres Wirtschaftswachstum bedeutet geringeren Einnahmezuwachs und verlangt — ohne Überstrapazierung der Steuerzahler — entsprechende Anpassungen auf der Ausgabenseite.Ein paar Größenordnungen mögen nochmals verdeutlichen, wie sehr die wirtschaftliche Entwicklung und das Leistungsvermögen der Rentenversicherungsträger und der Bundeskasse zusammenhängen: 1 °/o weniger Lohnzuwachs bedeutet rund 1 Milliarde DM weniger an Beitragseinnahmen. 200 000 Beschäftigte weniger bringen Einnahmeausfälle in der gleichen Größenordnung.Bedingt durch die weltwirtschaftliche Rezession beschäftigt die deutsche Wirtschaft heute 1,2 Millionen Arbeitnehmer weniger als auf dem Höhepunkt der Konjunktur 1973. Dies bedeutet aber auch 1,2 Millionen weniger Beitragszahler und 1,2 Millionen weniger Steuerzahler. Gegenüber 1973 ist das rund ein Zwanzigstel, was hier an Leistungsaufbringern ausfällt. Wenn wir auch einen Teil dieser Ausfälle für die Rentenversicherung über die Verpflichtung der Bundesanstalt für Arbeit aufgefangen haben, für die Bundeskasse treten diese Ausfälle voll ein. Vor allem auch die rund 600 000, inzwischen ohne Rückfahrkarte abgewanderten ausländischen Arbeitnehmer, die im Vergleich zu 1973 weder als Steuerzahler noch als Beitragszahler vorhanden sind, fallen hier ins Gewicht.
— Es ist zwar nicht üblich, bei Einbringungsreden Zwischenfragen zu stellen, aber ich will trotzdem darauf eingehen, Herr Franke.
— Ich will sie Ihnen ja gern beantworten.
Nicht der DGB, sondern das WSI kommt zu anderen Zahlen, aber nicht bei den abhängig Beschäftigten, die hier als Beitragszahler in Frage kommen, sondern bei der Zahl der Erwerbstätigen, Herr Franke. Da sind die Veränderungen bei den mithelfenden Familienangehörigen und Selbständigen mitgerechnet. Nur können Sie die bei den Ausfällen nicht als Beitragszahler mitrechnen.
— Eben nicht!
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6897
Bundesminister Dr. Ehrenberg— Aber, verehrter Herr Kollege Franke, wenn das Beitragszahler wären, wären sie ja in der Statistik der abhängig Beschäftigten erfaßt.
— So viele freiwillig Versicherte, wie da verschwunden sind, haben wir gar nicht. Aber ich möchte die Debatte über die Statistik mit Ihnen gern im Ausschuß weiterführen; sie führt uns hier mit Sicherheit nicht weiter, zumal Ihre Angaben nicht richtig sind.
— Verehrter Herr Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, Sie nehmen das als meinen Rückhalt, Herr Franke bezweifelt, daß die Zahlen richtig sind. Ich schlage vor, Sie einigen sich darüber, was wir denn nun mit der Statistik machen.
- Über intellektuelle Problembewältigung brauche ich mit mir selber nicht zu diskutieren;
ich überlasse es Ihnen gern, Ihre intellektuellen Probleme selbst zu bewältigen.
— Das können wir guten Gewissens, und das werden wir auch guten Gewissens tun.
— Dem auch! Das ist eine gewählte Versammlung, die sich so benimmt wie manche Verbände gelegentlich auch: laut und unsachlich.
Meine Damen und Herren, vielleicht sind Sie ja geneigt, diesem Beispiel zu folgen. Ich weiß es nicht. Vielleicht sind Sie auch geneigt — und das würde diesem Hause entsprechen —, das anzuhören, was zur Sache zu sagen ist.Zur Sache ist zu sagen, daß ja wohl unbestreitbar ist, daß diese Veränderung der Zahlen die Einnahmen der öffentlichen Haushalte gravierend verlangsamt hat. Damit sind Anpassungen unausweichlich, damit ökonomisches Leistungsvermögen und Stabilität in der sozialen Sicherheit wie bei den öffentlichen Finanzen gewährleistet bleiben.Aber trotz dieser Schwierigkeiten kann mit Genugtuung festgestellt werden, daß sich der. seit Einführung der Dynamisierung der Kriegsopferversorgung im Jahre 1970 bestehende Dynamisierungsverbund zwischen Rentenversicherung und Kriegsopferversorgung bewährt hat; er wird auch in Zukunft beibehalten werden. Was bei der Einführung der Dynamisierung galt — nach 20 Jahren der Unsicherheit wurde sie eingeführt —, das muß auch in Zukunft gelten. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus der Zeitschrift „Die Fackel", der Zeitschrift des VdK, vom 1. November 1972 zitieren:Kriegsopferversorgung muß nach demselben Maßstab wie die gesetzliche Rentenversicherung angepaßt werden . . . Dazu zwingt die Verflechtung der Anpassungsregelung in der Kriegsopferversorgung mit derjenigen in der gesetzlichen Rentenversicherung, an deren Fortbestand festgehalten werden muß.Was damals als richtig erkannt wurde, sollte heute nicht leichtfertig in Frage gestellt werden.
— Mit diesem Dynamisierungsverbund, Herr Kollege Katzer, haben die Kriegsopfer eine ganz entscheidende Verbesserung ihrer sozialen und materiellen Position erfahren. In den zwölf Jahren seit der Rentenreform und vor dem Dynamisierungsverbund, in den zwölf Jahren von 1957 bis 1969, sind die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer um 116 %, die Sozialversicherungsrenten um 111 %, die Leistungen für die Kriegsopfer um 103 % erhöht worden.
In den neun Jahren nach dem Dynamisierungsverbund, in der Zeit von 1969 bis 1978, sind die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer um 98 0/o, die Renten um 124 %, die Kriegsopferrenten um 139 °/o und die Witwenrenten um 158 % gestiegen. Das sind die Erfolge des Dynamisierungsverbundes für die Leistungen an die Kriegsopfer.Und, meine Damen und Herren, auch eine in diesen Tagen veröffentlichte Untersuchung des Verbandes der Rentenversicherungsträger bestätigt, daß Rentner in den letzten Jahren einen wesentlich höheren Kaufkraftzuwachs als Arbeitnehmer erhalten haben. Allein im Jahre 1977 betrug die durchschnittliche reale Kaufkraftzunahme dieser Haushalte 6,8 %, während die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer real nur um 2 % gestiegen sind.Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, daß die Leistungen für die Kriegsopferversorgung aus dem allgemeinen Steueraufkommen, also in erster Linie auch von den Arbeitnehmern, finanziert werden müssen, erscheint ein vorübergehend verlangsamter Zuwachs bei den Anpassungen analog zur Rentenversicherung nicht nur sozial ausgewogen, sondern auch sachlich geboten.
— Weil es im Gesetz so steht, verehrter Herr Kollege, daß ab 1982 die Anpassung wieder nach der Bruttolohnentwicklung erfolgt, und selbstverständlich gilt auch dann der Dynamisierungsverbund.
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6898 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Bundesminister Dr. Ehrenberg— Selbstverständlich gilt er auch dann, und Ihren Zwischenruf auf Herrn Farthmann sollten Sie in Düsseldorf bringen und nicht in Bonn!
— Herr Blüm, Sie sollten sich doch nicht über gelegentlich unterschiedliche Meinungen in unserer Partei beklagen, die haben Sie doch selber so satt und genug, daß Sie uns da auch ruhig mal differenziert nachdenken lassen dürfen!
Einigen Sie sich doch einmal über die Fragen einer Beitragserhöhung; dann können wir ja weiter miteinander diskutieren!
— Vielleicht! Ich halte es nicht für unangemessen, wenn die FDP dem Koalitionspartner Beifall spendet. So ist das nicht.
Aber, meine Damen und Herren, kommen wir doch von Herrn Farthmann wieder zur Kriegsopferversorgung zurück, denn alle vermeintlichen Alternativen, die auf sofortige Beitragssatzanhebung in der Rentenversicherung und auf höhere Bundeszuschüsse abzielen, können doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß dies in einer konjunkturell schwierigen Phase konkrete zusätzliche Belastungen für die arbeitende Generation sind, Belastungen, die die Solidarität zwischen Beitragsleistenden und Leistungsempfängern sehr strapazieren können. Aber eine Festigung und nicht eine Strapazierung dieser Solidargemeinschaft ist zur Zeit von größter Bedeutung gerade für die Leistungsempfänger.Wer den Dynamisierungsverbund in Frage stellt, der stellt die bisher größten Erfolge für die Kriegsopferversorgung in Frage.
Wenn die Sozialministerin des Landes Baden-Württemberg am letzten Freitag im Bundesrat gefordert hat, die Kriegsopferversorgung müsse wieder aus dem Schatten der Rentenversicherung herausgeführt werden, und wenn nahezu zeitgleich dazu, und bis heute undementiert geblieben, Äußerungen des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses des Bundestages, des Abgeordneten Windelen, zur Kenntnis genommen werden müssen, wonach die Sozialausgaben abgebaut werden müssen — —
— Verehrter Herr Fraktionsvorsitzender, das stand in allen Zeitungen.
Ich habe es im Bundesrat genannt, und es ist bisheute von Herrn Windelen nicht dementiert worden.
— Ich warte dann auf das Dementi des Herrn Windelen, es ist bisher nicht erfolgt!
Wenn es so erfolgt wäre, wie die Äußerungen selber publiziert worden sind, hätte ich es sicher erfahren!
Wenn Ihr Fraktionsvorsitzender das jetzt hier für Herrn Windelen dementiert, will ich das nicht wieder verwenden. Ich nehme dieses Dementi hier zur Kenntnis. Vorher gab es keins.
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Meine Herren, ich bitte Sie, Ihre Zwischenrufe zu zügeln und unparlamentarische Zwischenrufe zu unterlassen!
Aber auch ohne diese inzwischen hier in diesem Hause dementierten Äußerungen kann sich jeder sehr leicht ausrechnen, was es bedeuten würde, dem Aufruf der Sozialministerin von Baden-Württemberg zu folgen und die Renten aus dem vermeintlichen Schatten der Rentenversicherung herauszuführen. Das würde sehr schnell zu einer Wachstumsdürre für die Kriegsopferversorgung führen, wie es bis 1969 der Fall gewesen ist.
Meine Damen und Herren, wir schlagen Ihnen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zugleich eine lange Reihe struktureller Leistungsverbesserungen in der Heilbehandlung, beim Rentenrecht und in der Kriegsopferfürsorge mit einem Gesamtvolumen von jährlich 160 Millionen DM vor. Wir sind mit diesen Leistungsverbesserungen zusätzlich zur laufenden Anpassung der Versorgungsrenten bis an die Grenze dessen gegangen, was angesichts der derzeitigen weltwirtschaftsbedingten Beanspruchung des Bundeshaushalts finanziell verantwortbar ist.Zur Verdeutlichung, wie sehr das Gewicht der finanziellen Leistungen für Kriegsopfer im Bundeshaushalt unter Berücksichtigung der rückläufigen Zahl der Leistungsempfänger seit 1969 im Vergleich zu früher zugenommen hat, wäre es gut, wenn Sie sich folgende Zahlenangaben aus den Bundeshaushalten anhörten. Während der Anteil des Kriegsopferhaushalts am Gesamthaushalt des Bundes zwischen 1957 und 1969 von 10,9 % auf 6,5 % abgesunken ist, ist er, obwohl die Zahl der Leistungsemp-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6899
Bundesminister Dr. Ehrenbergfänger in gleicher Weise weiter abnahm, seit 1969 so gut wie konstant geblieben. 1969 betrug die Zahl der Leistungsempfänger rund 2,6 Millionen; gegenwärtig sind es rund 2 Millionen. Im Jahre 1979 sind für die Kriegsopferleistungen im Bundeshaushalt 12,5 Milliarden DM veranschlagt worden. Im Jahre 1969 waren es rund 6,3 Milliarden DM. Das ist eine Verdoppelung der Leistungen bei gleichzeitig um ein Viertel geringer gewordener Zahl der Leistungsempfänger.
Daran wird deutlich, welche Bedeutung diese Bundesregierung den berechtigten Interessen der Kriegsopfer beimißt, mehr als alle Bundesregierungen vorher, wie diese Zahlen seit 1969 eindeutig beweisen.
Auch die Sozialpolitik — das muß in diesem Hause angesichts der Zwischenrufe ja wohl besonders deutlich gesagt werden — muß ihr Leistungsvermögen in die Möglichkeiten der öffentlichen Finanzen einpassen. Hier helfen keine isolierten Rechnungen von Einzelleistungen gegenüber früheren Erwartungen. Wir müssen die Sozialpolitik und das soziale Leistungssystem als Gesamtheit sehen und deshalb in unsere Beurteilung die Tatsache miteinbeziehen, daß der Bund erhebliche Liquiditätshilfen an die Bundesanstalt für Arbeit zu leisten hat.Es war deshalb notwendig, Prioritäten in den Leistungsbereichen zu setzen. Wir haben das getan, indem wir das Schwergewicht auf die strukturelle Weiterentwicklung des entschädigungsrechtlich bedeutsamen Rechts des Berufsschadensausgleichs und des Rechts der Kriegsopferfürsorge gelegt haben. Die vorgeschlagenen Verbesserungen werden vór allem den durch die Schädigung gesundheitlich, beruflich und wirtschaftlich besonders betroffenen Geschädigten und Hinterbliebenen zugute kommen.Im einzelnen ist folgendes vorgesehen. In der Heilbehandlung erhalten Personen, die einen Schwerbeschädigten unentgeltlich pflegen, einen Anspruch auf Kuren, und zwar während der Pflegezeittätigkeit und bis zu fünf Jahren nach dem Tode des Pflegebedürftigen. In der Kriegsopferfürsorge werden künftig alle Eltern mit Rücksicht auf ihr hohes Durchschnittsalter in die Kriegsopferfürsorge einbezogen, wenn sie allein wegen der Höhe ihres Einkommens keine Elternrente beziehen. Voraussetzung für die Leistungen der Kriegsopferfürsorge soll künftig allein der Nachweis eines schädigungsbedingten Hilfebedarfs sein. Damit soll auf den problematischen Nachweis, daß wegen der Schädigung keine angemessene Lebensstellung erreicht wurde, verzichtet werden.Die Einkommensgrenzen für die Leistungen der Kriegsopferfürsorge orientieren sich künftig sachgerecht an der allgemeinen Einkommensentwicklung. Die Vermögensschonbeträge für den Einsatz von Bar- und von Grundvermögen werden erhöht und wie die Einkommensgrenze entsprechend der allgemeinen Einkommensentwicklung dynamisiert.Jugendliche Geschädigte, die noch nicht berufstätig waren, sollen während der Durchführung vonMaßnahmen der beruflichen Rehabilitation der Kriegsopferfürsorge als neue Leistung eine Unterhaltsbeihilfe erhalten. Sie entspricht dem nach dem Arbeitseinkommen vor der Berufsförderung bemessenen Übergangsgeld der Kriegsopferfürsorge, ist jedoch auf die Sicherung des angemessenen Lebensunterhalts der Jugendlichen während der Berufsförderung beschränkt. Diese neue Leistung wird vor allem den impfgeschädigten Jugendlichen, aber auch jugendlichen Opfern von Gewalttaten zugute kommen.Im Rentenrecht wird der entschädigungsrechtlich wichtige Berufsschadensausgleich für Geschädigte und der Schadensausgleich für Witwen verbessert. Vorgesehen ist die Ausdehnung des Anspruchs auf Berufsschadensausgleich für alle rentenberechtigten Beschädigten, deren Erwerbseinkommen durch ihre Schädigung gemindert ist, der Wegfall der starren Höchstgrenze für den Berufsschadens- und Schadensausgleich, um bei besonders hohem Einkommensverlust eine bessere Abgeltung zu erreichen, und eine verbesserte Schadensabgeltung bei Berufsschadens- und Schadensausgleich durch Berücksichtigung aktueller zeitnäherer und damit höherer Vergleichseinkommen.Die Pflegezulage für besonders schwer betroffene Beschädigte wie Taubblinde und blinde Ohnhänder wird durch die Einführung einer neuen Pflegezulagestufe verbessert. Die Beihilfen für Hinterbliebene von erwerbsunfähigen Beschädigten werden von einer Zweidrittelversorgung auf eine Vollversorgung aufgestockt. Witwen und Waisen von erwerbsunfähigen Beschädigten erhalten damit künftig ohne Rücksicht auf die Todesursache des Beschädigten eine volle Hinterbliebenenversorgung.Zum Recht der Kriegsopferfürsorge möchte ich betonen, daß wir auch eine rechtssystematische Überarbeitung mit dem Ziel vorgenommen haben, eine bessere Transparenz für den hilfesuchenden Bürger zu erreichen. Dabei ist besonders hervorzuheben, daß der Rechtsgedanke auch für diesen Leistungsanspruch im besonderen Opfer für die Allgemeinheit zu sehen ist.Meine Damen und Herren, die mit dem Zehnten Anpassungsgesetz in der Kriegsopferversorgung vorgeschlagenen Maßnahmen und Regelungen, nämlich die Wahrung des Dynamisierungsverbundes und die gezielten strukturellen Leistungsverbesserungen, sind Bestandteil unserer auf finanzielle Sicherheit und Sicherung eines hohen Leistungsniveaus ausgerichteten Sozialpolitik. Wir sind aus unserer Verantwortung gegenüber den 2,1 Millionen Kriegsopfern, die von den Folgen zweier Kriege am härtesten betroffen wurden, sehr bewußt. Den Interessen der Kriegsopfer dient aber niemand, der nicht erfüllbare Forderungen stellt, und erst recht nicht, wer den Dynamisierungsverbund zwischen der Rentenversicherung und der Kriegsopferversorgung in Frage stellt. Wer verantwortungsbewußt für die Interessen der Kriegsopfer eintritt und nicht nach kurzfristigem Tagesbeifall schielt, der muß für diesen Dynamisierungsverbund eintreten und der muß auch erkennen, welch große soziale Leistung es bedeutet, unter ökonomisch schwierigen Bedingungen
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6900 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Bundesminister Dr. Ehrenbergund den gegenwärtigen Arbeitsmarktnöten Jahr für Jahr reale Verbesserungen der Leistungen zu gewährleisten, in einer Zeit, in der anderswo die Inflationsraten die Leistungssteigerungen längst überrollt haben.
Hierauf können die steuerzahlenden Arbeitnehmer und die gewerbliche Wirtschaft stolz sein. Es stünde Verbandspräsidenten und Politikern gut an, ausdrücklich anzuerkennen, welche Leistung hier erbracht wird. Im Gefolge der tiefgreifenden Weltmarktverzerrungen sind seit 1973 die Beschäftigungsmöglichkeiten in der ganzen Welt geschrumpft; in der Bundesrepublik sind 1977 durch die Folgen der Weltrezession rund 1,2 Millionen Arbeitsplätze weniger als 1973 besetzt gewesen, und das heißt auch, daß es 1,2 Millionen Steuerzahler und Beitragszahler weniger gegeben hat. Wer, meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund Steigerungsraten von netto 4,5 % und 160 Millionen DM zusätzlich für Strukturverbesserungen mit dem abqualifizierenden Wörtchen „nur" versieht oder „Trostpflästerchen" — wie hier gerade gesagt wurdenennt, der diskreditiert die deutschen Arbeitnehmer, die bei einer um ein Zwanzigstel geschrumpften Zahl diese Leistungen mit ihren Steuern und Beiträgen möglich machen.
Im wohlverstandenen Interesse der Empfänger dieser Leistungen kann ich nur hoffen, daß mehr Nachdenklichkeit und mehr Gemeinschaftssinn in diese so sehr auf kurzfristige Beifallseffekte abgestellten Verbands- und Oppositionsäußerungen einkehren.
Die Bundesregierung jedenfalls wird sich von ihremgradlinigen Kurs einer langfristigen Stabilisierung
bei gleichzeitig durchzuführenden strukturellen Verbesserungen nicht abbringen lassen.
Im Interesse der Kriegsopfer, die, wie ich aus vielen persönlichen Gesprächen weiß, hierfür nicht nur Verständnis haben, sondern im Gegensatz zu ihrem Präsidenten auch ausdrücklich Zustimmung bekunden, wird die Bundesregierung dies so fortsetzen.
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Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Minister für Arbeit und Sozialordnung hat soeben erneut mit dem ihm eigenen brutalen Charme
Er hat erneut Zensuren ausgeteilt.
Meine Damen und Herren, ich möchte diesen Schmetterball nicht zurückgeben, möchte aber dem Herrn Minister empfehlen, seine eigenen Reden, Behauptungen, Projektionen und Unterstellungen der letzten drei Jahre zum Thema „Renten" einmal nach diesen strengen Maßstäben sorgfältig zu überdenken.
Es ist doch offensichtlich, daß die Kritiker und die CDU/CSU von Anfang an die richtige Position hatten.
— Herr Wehner, die CDU/CSU und die Kritikeraus dem Bereich der Verbände und der Gewerkschaften waren keine unchristlichen Schwarzmaler.
Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung dagegen war kein Meister der Projektion; jedenfalls kann die Treffsicherheit seiner Aussagen rückblickend nicht hoch eingeschätzt werden.
Die Folge ist, meine Damen und Herren: Keine soziale Einrichtung hat so sehr das öffentliche Vertrauen verloren wie die Rentenversicherung.Was nun die Bemerkung von Frau Griesinger im Bundesrat anlangt, so war sie doch eindeutig dahin gehend zu verstehen, daß die Kriegsopferversorgung aus dem Schatten der Rentenpleite herausgenommen werden müßte.
Hier geht es nicht um eine Abkopplung; hier geht es doch darum, daß Kriegsopfer und Rentner von Anfang an daran geglaubt und darauf gehofft haben, daß es bei der bruttolohnbezogenen Anpassung ihrer Renten bleibt.
Um gar nichts anderes geht es hier, meine Damen und Herren!
Das Zehnte Anpassungsgesetz in der Kriegsopferversorgung sieht eine Anhebung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes für die nächsten drei Jahre lediglich im gleichen Umfange vor, wie sie auch in den Rentengesetzen vorgenommen werden soll. Zugleich sind strukturelle Verbesserungen vorgesehen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6901
BurgerDie Krise der Rentenversicherung mit der Folge erheblich gekürzter Anpassungssätze der Bestandsrenten nach dem 21. Rentenanpassungsgesetz greift dadurch leider auch auf die Kriegsopferversorgung über.
— Die CDU/CSU, Herr Kollege Glombig, lehnt die im Gesetzentwurf vorgesehene, vom bisherigen Anpassungsmaßstab und vom bisherigen Anpassungsverfahren abweichende Änderung ab. Sie fordert, daß die Leistungen der Kriegsopferversorgung für 1979 in der Höhe angepaßt werden, die sich aus der Entwicklung der Bruttolöhne in dem maßgebenden Zeitraum ergibt.
— Das entspricht dem Sinn unserer Anträge, die wir zur Rentenversicherung einbringen werden. Sie enthalten klipp und klar das, was die CDU/CSU mit ihrer Konzeption will.
— Die Anträge werden im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung vorgelegt werden.
Wir werden auch zur Kriegsopferversorgung Anträge vorlegen.
Die CDU/CSU fordert, daß die Leistungen der Kriegsopferversorgung für 1979 in der Höhe angepaßt werden, wie sie sich aus der Entwicklung der Bruttolöhne in dem maßgebenden Zeitraum ergibt.Schon durch das Neunte Anpassungsgesetz vom 27. Juni 1977 wurden die zukünftigen Rentenanpassungen um jeweils sechs Monate hinausgeschoben, und zwar aus Gründen, die außerhalb des sozialen Entschädigungsrechts oder des Bundeshaushalts lagen.Kriegsopferrenten — und darum geht es doch — sind aber Leistungen aus einer anderen Begründung. Gesundheitsschäden und der Verlust des Ernährers
müssen mit Mitteln des Bundeshaushalts abgegolten werden, Herr Kollege Wehner.
Grundrenten haben keine Lohnersatzfunktion.
Grundrenten sind ein Ausgleich für Mehraufwendungen.
Die Erbitterung und Enttäuschung der betroffenen Kriegsopfer ist nur allzu verständlich, wenn sie fest- stellen müssen, daß durch die übernommenen Kürzungen des 20. und 21. Rentenanpassungsgesetzes bis 1981 im Kriegsopferetat Einsparungen von über 2 Milliarden DM entstehen werden.
Keine andere Gruppe — das ist doch richtig und wahr — muß so viele Opfer für die Stabilisierung der Bundesfinanzen erbringen.
Es gab während der CDU-Zeit keine Kürzungen —
— Es gab während der CDU-Zeit keine Kürzungen von Rentenansprüchen
im Kriegsopferrecht.
— Die Dynamisierung der Kriegsopferrenten wurde eingeleitet durch den § 56,
den die CDU/CSU-Regierung zwei Jahre vor Ihrem Regierungsantritt in das Bundesversorgungsgesetz hineingebracht hat.
Und die erste dynamische Anpassung, Herr Kollege Wehner, war im Jahr 1970 und nicht, wie Sie immer behaupten, erst 1971.
Wir haben das mit dem § 56 eingeleitet. Nicht die Regierung, sondern das Parlament hat — ganz klipp und klar soll das gesagt werden — auf einen Vorschlag des Kollegen Schellenberg die Dynamisierung einstimmig eingeführt. Das ist die Wahrheit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glombig?
Ja. — Bitte, Herr Kollege Glombig.
Herr Kollege Burger, weil Sie von dem § 56 reden, in dem ja die Dynamisierung der Kriegsopferrenten geregelt ist, frage ich Sie: Stimmt es, daß der Ausgestaltung dieses § 56 des Bundesversorgungsgesetzes während der Ausschußberatungen im Dezember 1969 von seiten der CDU/CSU massiver Widerstand entgegengesetzt und verlangt wurde, den Finanzminister nach Berlin herbeizuzitieren, um klarzumachen, daß eine Finanzierung der Renten der Kriegsopfer auf diesem Weg unmöglich sei?
Herr Kollege Glombig, ich habe an jener Sitzung in Berlin teilgenommen. Ich habe nichts von einem massiven Widerstand meiner Fraktion festgestellt,
: Das erfindet der! —
Lachen bei der SPD — Zurufe von der SPD)
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6902 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
BurgerHerr Kollege Glombig, und das Parlament hat einstimmig zugestimmt. Der § 56, ich darf es noch einmal sagen, mit seiner Berichtspflicht war der erste Schritt zur Dynamisierung.Im übrigen wollen wir doch einmal klipp und klar über die Dynamisierung reden. Kriegsopferrecht und Sozialversicherung sind natürlich sehr unterschiedliche Dinge. Es war so, daß viele Jahre zunächst einmal niemand an einer ähnlichen Dynamisierung der Kriegsopferrenten wie der Sozialversicherungsrenten ein Interesse hatte —
viele Jahre, auch die Betroffenen nicht. Ich bin Kriegsbeschädigter, gehöre einem Verband an; ich kenne die Entwicklung sehr genau.
— Ich lasse mir hier nichts vormachen.
— Herr Kollege Wehner, ich habe hier als Vertreter der CDU/CSU, als frei gewählter Abgeordneter das Recht, meine Meinung zu formulieren.
— Herr Kollege Wehner, Herr Kollege Rappe, nur keine Aufregung! Die Wahrheit kann im Protokoll nachgelesen werden.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Kollegen Gansel?
Gern, Herr Kollege Gansel.
Herr Präsident, ich bin doch daran interessiert, daß Herr Burger jetzt fortfährt und erzählt, wie das mit der Dynamisierung war.
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Herr Abgeordneter, Sie haben jetzt eine Gelegenheit, Ihre Zwischenfrage zu stellen. Wenn Sie darauf verzichten, ist das Ihre Sache.
Herr Kollege Gansel, ich berichte aus meinen Erfahrungen. Ich berichte, daß man sich, wenn auch nur sehr zögerlich, dazu entschlossen hat, auf eine gleiche Dynamisierung einzugehen wie bei den Sozialversicherungsrenten, weil man gesehen hat, daß sich diese Regelung bewährt hat. Auch bei uns war man zunehmend der Auffassung, daß dieser Weg einer kontinuierlichen Anpassung richtig sei. Schwierig war die Frage: welches ist der richtige Weg? Und wir sehen ja heute bei diesen Problemen, daß auch dieser Weg der Anpassung an die Sozialversicherungsrenten seine Probleme hat.
Nun, Herr Kollege Gansel!
Herr Kollege Burger, ist es denn durch diese zögerliche Haltung zu erklären, daß noch — wenn ich, Herr Präsident, zitieren darf — im Sozialpolitischen Schwerpunktprogramm der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 20. August. 1969 — also nur knapp ein Jahr, bevor dann die sozialliberale Koalition die Dynamisierung durchgesetzt hat —
vorgeschlagen wurde, die Leistungen für die Kriegsopfer an die wirtschaftliche Entwicklung auf der Grundlage der im Abstand von zwei Jahren von der Bundesregierung vorzulegenden Berichte anzupassen? Also keine Dynamisierung, sondern nur eine Prüfung im Ermessen der Bundesregierung auf Grund von Berichten alle zwei Jahre.
Herr Kollege Gansel, jedem Parlamentarier, auch Ihnen, mußte doch klar sein, daß mit der Berichtspflicht — im Bericht sollte die ganze Entwicklung der zwei Jahre aufgezeigt werden — natürlich die Konsequenz der Anpassung im Rahmen dieser Daten kommen sollte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine weitere Frage des Abgeordneten Gansel?
Kann ich diese Antwort so verstehen, daß Sie sich noch dazu bekennen und meinen, daß nach den Vorstellungen der CDU/CSU von 1969 erst zwei Jahre später, also 1971, die Bundesregierung darüber befinden sollte, ob eine Dynamisierung vorzuschlagen sei, — wohingegen wir das schon 1970 getan haben?
Herr Kollege, man kann das so oder so sehen. Die CDU/CSU-Fraktion ist eindeutig der Auffassung, daß wir mit dem § 56 die Dynamisierung eingeleitet haben. Mit der Berichtspflicht war automatisch eine Anpassung verbunden.
Ich komme wieder zum Thema. Zunehmende Kritik, zunehmende Ablehnung, ja Verbitterung müssen wir draußen in den Kundgebungen und Veranstaltungen, auch in den kleinen Veranstaltungen vor Ort, gegen diese Ihre Konzeption zur Rentensanierung feststellen. Wir sollten diese Kritik ernst nehmen. Wir sollten sie nicht verdrängen.Herr Kollege Glombig, Sie haben vor einigen Tagen vor einer großen Rentnerkundgebung öffentlich erklärt: „Ja, was wollt Ihr denn, Ihr kriegt doch etwas mehr!" Diese Einstellung, diesen Zynismus kann ich nicht verstehen. Die Renten sind
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6903
Burgerdoch kein Geschenk. Die Rentner haben doch ihre Beiträge geleistet.
Mir ist auch das Austeilen der harten Kritik des Bundesarbeitsministers auf jener Kundgebung unbegreiflich. Er ist im Austeilen ja nicht pingelig. Aber im Nehmen ist der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung anscheinend empfindlich wie eine Mimose.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glombig?
Gerne.
Herr Kollege Burger, Sie haben eben von meinem „Zynismus" anläßlich der VdK-
Kundgebung am letzten Montag gesprochen. Sind Sie tatsächlich der Meinung, daß es einem Zynismus und einem Leistungsabbau entspricht, wenn ich hier im Namen der SPD-Fraktion sage, daß von 1969 bei damals vier Millionen Kriegsopfern und einer Ausgabe für die Kriegsopfer in Höhe von 5 Milliarden DM die Ausgaben für die Kriegsopferversorgung auf über 12 Milliarden DM im Jahre 1978 bei 2 Millionen Kriegsopfern gestiegen sind?
Herr Kollege Glombig, Gegenstand meiner Kritik waren Ihre Äußerungen. Und die waren insofern überzogen, als viele Leute den Eindruck hatten, als ob die Rentner beinahe Schuldgefühle haben müßten, weil sie soviel Rente bekommen. Dies ist eben falsch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller ?
Ja.
Herr Kollege Burger, können Sie mir bestätigen, daß die Steuerzahler durch die Einführung der Kriegsopferrente im Jahre 1950 mit 2,5 °/o des Bruttosozialprodukts von 98 Milliarden DM belastet wurden, heute nur noch mit 1 %?
Das ist richtig, Herr Kollege.Meine Damen und Herren, ich möchte weiterfahren. Ich jedenfalls bedauere die schmerzliche Kränkung durch den Bundesarbeitsminister, die dieser mit seiner Bemerkung in Bad Godesberg den Kriegsopfern gegenüber geäußert hat. Ich möchte die SPD einmal fragen, wo denn der Geist geblieben ist, den Sie mit der ersten Regierungserklärung von Willy Brandt hervorgezaubert haben, als Sie kritische Mitarbeit gefordert haben. Wo ist er denn geblieben?Sie haben doch diese Kritik herausgefordert. Nun kommt sie. Nun sollten Sie sie auch annehmen. Sie sollten sie überdenken und auch berücksichtigen.Der frühere Bundesarbeitsminister Walter Arendt — er ist heute unter uns — hatte einst vor einem großen Kriegsopferkongreß im Mai 1970 versprochen — ich war auch dabei und habe Ihre Rede gehört, Herr Minister Arendt —, daß mit der Übernahme der Rentenformel die Kriegsopferversorgung für immer auf eine solide Basis gestellt worden sei.
Kriegsopfer, so wurde versprochen, bräuchten in der Zukunft nie mehr zu demonstrieren. Meine Damen und Herren, es ist anders gekommen. Innerhalb eines Jahres sind die Kriegsopfer dreimal in Bad Godesberg zu Demonstrationen angetreten. Die Sicherheit dauerte nur wenige Jahre. Mit einem Stufenplan durch das Haushaltsstrukturgesetz und mit dem Neunten Anpassungsgesetz gab es erhebliche Eingriffe in das Bundesversorgungsgesetz mit spürbaren finanziellen Auswirkungen. Das Zehnte Anpassungsgesetz erfordert weitere Opfer.Als ganze und halbe Unwahrheiten müssen es die Kriegsopfer, insbesondere aber auch die Kriegerwitwen, empfinden, wenn Bundesregierung und Koalitionsparteien ständig wiederholen und dies mit irreführenden Prozentzahlen zu beweisen suchen, wie stark die Renten in den letzten Jahren angestiegen seien. Dabei wird bewußt überdeckt, daß zwischen Renten aus den Rentenversicherungen und der Kriegsopferversorgung Anrechnungsvorschriften bestehen, daß Erhöhungen der Versicherungsrenten an den Ausgleichsrenten der Kriegsopfer gekürzt werden, daß Erhöhungen der Grundrenten am Schadensausgleich gekürzt werden und daß der jeweilige Kriegsbeschädigte und die betroffene Kriegerwitwe durch diese Prozentzahlen völlig falsch bewertet werden.Es gab 4,5 Millionen Kriegsopfer unmittelbar nach Ende des Krieges. 2,1 Millionen Kriegsopfer waren es 1977. Die Zahl der Versorgungsberechtigten nimmt jährlich um etwa 60 000 ab. Der Anteil der Gesamtaufwendungen in der Kriegsopferversorgung am Bundeshaushalt betrug 1950 2,1 Milliarden DM. Das waren 16 % des Gesamthaushaltes, der damals ganze 16 Milliarden DM betrug. Die große Not der Nachkriegszeit spiegelt sich in diesen Zahlen wider. Für die große Zahl der Versorgungsberechtigten waren natürlich diese 2,1 Milliarden nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Im Jahre 1977 — Herr Kollege Glombig, das soll gesagt werden — standen 11,2 Milliarden DM zur Verfügung. Das sind aber nur noch 6,6 % eines 171-Milliarden-DM-Haushaltes.Das BVG ist durch drei Neuordnungsgesetze, zahlreiche Novellierungen und Anpassungsgesetze auf den heutigen Stand gebracht worden. Trotz noch bestehender Härten war die Entwicklung im Kriegsopferrecht im allgemeinen als relativ befriedigend zu beurteilen. Wenn nun aber einerseits die Versicherungsrenten und andererseits die Kriegsopferrenten durch die vorgesehenen Maßnahmen Einbußen erleiden müssen, würde für die betroffenen
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6904 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
BurgerKriegsopfer eine mehrfache Benachteiligung entstehen. Das Rentenniveau in der Kriegsopferversorgung ist schwer vergleichbar, jedoch kann man beweisen, daß das Rentenniveau, verglichen mit dem Nettoeinkommen der Aktiven, zurückgeblieben ist. Wer die Rente eines hundertprozentig Kriegsbeschädigten mit dem Durchschnittseinkommen aller Erwerbstätigen in den letzten zwanzig Jahren vergleicht, muß feststellen, daß der Abstand zwischen der Vollrente eines Kriegsbeschädigten und dem Durchschnittseinkommen aller Erwerbstätigen immer größer geworden ist. Das Abweichen von der Bruttolohnformel würde diese Entwicklung — das ist eindeutig — noch zuungunsten der Kriegsopfer verschlechtern.Es muß auch berücksichtigt werden, daß die Kriegerwitwen auch dadurch benachteiligt sind, daß ihre Witwenrente aus der Sozialversicherung auf den Vorkriegseinkommen ihrer Männer basiert. Niedrigere Löhne begründen aber auch niedrigere Renten. Ähnliches gilt auch für die Kriegsbeschädigten, die nach dem Zweiten Weltkrieg meist ohne berufliche Rehabilitation oft auf typischen Behindertenarbeitsplätzen eingesetzt worden sind. Auch das bedeutet Einkommensminderungen.
— Das ist eine Tatsache, für die ich niemandem eine Schuld gebe, Herr Kollege Wehner. Das geht aus meinen Erklärungen eindeutig hervor.
— Herr Kollege Wehner, Sie beurteilen mich völlig falsch. Ich habe hier ganz objektiv Tatsachen in den Raum gestellt.
In den Jahren bis 1969 war es in erster Linie der Leistungskraft der Sozialen Marktwirtschaft zu verdanken, daß die Aufwendungen für die Kriegsopfer und Sozialrentner von Jahr zu Jahr gesteigert werden konnten.
Dies ist nicht das Verdienst der heute Regierenden, sondern derjenigen, die seinerzeit die Soziale Marktwirtschaft mit freiem Unternehmertum und freier Konsumwahl, oft gegen den harten Widerstand der SPD, durchgesetzt haben.
Die heutige Misere ist zu einem großen Teil auch auf die von der sozialliberalen Koalition zu verantwortende Wirtschaftspolitik zurückzuführen, die nur allzuoft von sozialistischer Ideologie. bestimmt ist.
Auf die Zusammenhänge zwischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik haben wir wiederholt hingewiesen. Ich möchte noch einmal betonen, daß die Grundlage für die Dynamisierung der Kriegsopferrenten entgegen der Auffassung der Bundesregierung bereits mit dem 1. Januar 1967 von der CDU/CSU im Rahmen des Dritten Neuordnungsgesetzes zum BVG über den hier neu geschaffenen § 56 gelegt worden ist. Auf dieser Basis wurde 1970 zum ersten Male angepaßt. Es ist also nicht zutreffend, wenn die Koalition den Beginn der Dynamisierung erst auf das Jahr 1971 legt.Die strukturellen Verbesserungen des Zehnten Anpassungsgesetzes sind zu begrüßen. Es sind Verbesserungen im Bereich der Heilbehandlung, der Kriegsopferfürsorge, der Elternrenten, des Schadensausgleichs für Kriegsbeschädigte unter fünfzig Prozent und vor allem auch die Einführung einer weiteren Stufe der Pflegezulage für Schwerstkriegsbeschädigte. Die Mehrkosten werden mit jährlich ca. 150 Millionen DM beziffert. Dies kann nicht genügen, wenn man von Einsparungen in Höhe von 2 Milliarden DM im Bundeshaushalt ausgeht. Die CDU/ CSU wird deshalb im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung weitergehende Anträge einbringen. Sie betreffen als erstes den Berufsschadensausgleich für Beschädigte. Sinn und Zweck des Berufsschadensausgleichs ist es, die wirtschaftlichen Einbußen derjenigen Beschädigten auszugleichen, die wegen ihrer Schädigungsfolge nicht oder nicht in vollem Umfang in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden können.Auch der Schadensausgleich für Witwen soll verbessert werden. Die Witwenrente kann ihre Unterhaltsersatzfunktion nur dann voll erfüllen, wenn ihre Höhe im Einzelfall geeignet ist, den nachgewiesenen wirtschaftlichen Schaden durch den Verlust des Ehemannes annähernd auszugleichen. Deshalb kommt dem Schadensausgleich eine vorrangige Bedeutung zu. Ein entsprechender Antrag wird von uns vorgelegt werden.Auch im Bereich der Elternrenten halten wir gewisse Verbesserungen für erforderlich.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat in den Zeiten ihrer Regierungsverantwortung mehrfach unter Beweis gestellt, daß auch ihre eigenen Abgeordneten in Auseinandersetzungen als Anwälte der Kriegsopfer gegenüber der von ihr gestellten Regierung für die Kriegsopfer Partei genommen haben. Wir erwarten die gleiche Haltung auch von den Abgeordneten der SPD und FDP; denn das ganze Parlament ist aufgerufen, als Anwalt der Kriegsopfermaßnahmen von größtmöglicher sozialer Ausgewogenheit zu beschließen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Sieler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wohl unbestreitbares Verdienst der sozialliberalen Koalition und der von ihr getragenen Bundesregierung, daß wir uns heute hier zum zehntenmal mit einer Anhebung der Leistungen in der Kriegsopferversorgung und Kriegsopferfürsorge beschäftigen können. Es ist nicht unangebracht, bei allen begründet erscheinenden Vorstellungen und Wünschen der Kriegsopfer und ihrer Verbände, noch einmal darauf hinzuweisen, daß es meine po-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6905
Sielerlitischen Freunde waren, die 1969 dafür gesorgt haben, daß die bis dahin veranstalteten jährlichen Protestmärsche der Kriegsbeschädigten, Kriegerwitwen und -waisen überflüssig geworden sind.
— Meine Damen und Herren, wenn heute die Kriegsopferverbände zu Protestkundgebungen nach Bonn einladen, dann geschieht das nicht deshalb, weil sie um eine Anpassung der Kriegsopferleistungen an die Einkommensentwicklung aller anderen Gruppen in unserer Gesellschaft streiten müssen, sondern weil ihnen diese Leistungsverbesserungen nicht weit genug gehen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt den Entwurf eines Zehnten Anpassungsgesetzes zur Kriegsopferversorgung, weil damit in konsequenter Weiterentwicklung des Kriegsopferrechts ein beachtlicher Schritt nach vorn getan wird.Gleichgültig, wie man heute über das 21. Rentenanpassungsgesetz denken mag: in der Kriegsopferversorgung haben wir seit Jahren eine alte Forderung der Kriegsopferverbände erfüllt. Im Rechtsgutachten des VdK zur Anpassung der Kriegsopferleistungen von 1973 heißt es — ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten —:Die Lage der Sozialrentner und die Lage der Kriegsopfer sind im Hinblick auf die Gesichtspunkte, die eine Anpassung der Versorgungsleistungen verlangen, als wesentlich gleiche Tatbestände zu beurteilen.Wenn diese Auffassung damals richtig war, meine Damen und Herren, ist sie dies doch auch heute. Die Notwendigkeit, die Kriegsopferrenten in demselben Umfange anzupassen wie die Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung, wird daher auch von meiner Fraktion uneingeschränkt anerkannt.Für das Zehnte Anpassungsgesetz gilt nach übereinstimmender Auffassung meiner Freunde das — und dies kommt im Entwurf zum Ausdruck —, was mein Kollege Glombig über den Verbund von Versorgungsleistungen für Kriegsopfer und Sozialrentner hinsichtlich der Höhe und des Zeitpunktes auf der Veranstaltung des VdK am 24. April dieses Jahres ausgeführt hat — ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten —:Die Kriegsopfer können keine höheren Steigerungen als Sozialrentner erwarten. Sie dürfen und sie werden aber auch keine geringeren Steigerungen ihrer Versorgungsleistungen erhalten; denn die Dynamisierung der Kriegsopferrenten kann nicht nur eine Schönwetterangelegenheit sein.
Die Anpassung der Sozialrenten und die Anpassung der Versorgungsleistungen haben dieselbe Funktion. Diese Funktion wird auch in den kommenden drei Jahren erfüllt.Wer ernsthaft diese systemgerechte Grundlage in Zweifel zieht und Abweichungen in der Anpassung der Kriegsopfer- und Sozialrenten will, müßte eigentlich — konsequenterweise — diese auch für die Knappschaftsrentner, für die Bezieher von Altersgeld aus der gesetzlichen Altershilfe für Landwirte und für die Bezieher entsprechender Leistungen aus dem Lastenausgleich verlangen. Wer aber immer solches fordert, muß sich vorhalten lassen, unser System aus dem Gleichgewicht zu bringen und gleichzeitig neue soziale Ungerechtigkeiten zu schaffen, vielleicht ungewollt.Der Opposition dürfte es durchaus nicht schwerfallen, diesem Gesetzentwurf die Zustimmung zu geben, zumal wir in diesem Gesetz die wertgleiche und zeitgleiche Anpassung erneut festgeschrieben haben. Dies entspricht ja auch Ihren Intentionen.Für den Bereich der Kriegsopferfürsorge im Entwurf zum Zehnten Anpassungsgesetz — KOV — machen wir uns gern die positive Stellungnahme der Vertreterin von Baden-Württemberg, Frau Griesinger, in der Bundesratssitzung vom 21. April 1978 zu eigen.
— Einen kleinen Moment; ich komme gleich darauf. Sie sollten dieses einmal nachlesen. Das ist auch für Sie ganz interessant. — Danach konnte in diesem Punkt eine Anpassung an die Erfordernisse des sozialen Entschädigungsrechts weitgehend erreicht werden.Die Bundesregierung hat mit dem Entwurf des Zehnten Anpassungsgesetzes strukturelle Leistungsverbesserungen vorgeschlagen, und zwar solche, die wir in ihrer Bedeutung für die Fortentwicklung des Kriegsopferrechts keineswegs unterschätzen sollten. Mit Recht unterstreicht der Bund der Kriegsblinden diese Strukturverbesserungen mit den Worten — ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten —:Bundesarbeitsminister Ehrenberg und Staatssekretärin Fuchs hielten Wort. Der BKD weiß dies richtig einzuschätzen in Anbetracht der Tatsache, daß Haushaltsmittel für die strukturellen Verbesserungen nur in beschränktem Umfange zur Verfügung stehen.
Gewiß, Herr Kollege, kompensiert die dafür notwendige Mehraufwendung nur teilweise die im Kriegsopferhaushalt durch die Rückverlegung des Anpassungstermins erzielten Minderausgaben. Gewiß hätte es uns auch gefreut, wenn die Situation unseres Gesamthaushalts eine noch größere Ausgestaltung der strukturellen Verbesserungen zugelassen hätte.
Sicher gibt es noch eine ganze Reihe von Wünschen und Forderungen.
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6906 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
SielerGleichwohl sollten wir uns einmal die Frage stellen, Herr Kollege Franke, ob es aus sozialpolitischer Sicht wirklich richtig ist, den Wert einer solchen Vorlage nur nach dem finanziellen Volumen dieser Verbesserungen zu beurteilen.
Mir erscheint es, meine sehr verehrten Damen und Herren, jedenfalls sinnvoller — gerade auch im Hinblick auf die besonderen Bedürfnisse der Kriegsopfer —, sehr gezielte Leistungsverbesserungen vorzusehen, die sich vielleicht nicht immer in hohen Zahlen niederschlagen, für den einzelnen Versorgungsberechtigten jedoch von außerordentlicher Bedeutung sind.Der Herr Bundesarbeitsminister hat bereits die wichtigsten dieser strukturellen Leistungsverbesserungen aufgezählt. Wir meinen, daß Schwerpunkte und Prioritäten damit richtig gesetzt sind. Dies gilt im Blick auf den konsequenten Ausbau des Bundesversorgungsgesetzes als eines Leistungsmodells des sozialen Entschädigungsrechts zunächst für die Verbesserungen im entschädigungsrechtlich vorrangigen Bereich des Berufsschadensausgleichs und des Schadensausgleichs.Die Öffnung des Berufsschadensausgleichs für alle rentenberechtigten Beschädigten ebenso wie der Wegfall der gegenwärtigen Höchstgrenzen sind ein entschädigungsrechtlich logischer Schritt in Richtung auf eine verbesserte individuelle Abgeltung der beruflichen und wirtschaftlichen Folgen für die Kriegsbeschädigten. Gleiches gilt für die im Regierungsentwurf vorgesehene Aktualisierung der Vergleichseinkommen bei Berufsschadensausgleich und Schadensausgleich, genauso für die Erweiterung der Witwen- und Waisenhilfen durch die vorgeschlagene generelle Einbeziehung der Hinterbliebenen von erwerbsunfähigen Kriegsbeschädigten und die Vollversorgung.Alles in allem kann sich das Bündel gezielter Maßnahmen zur strukturellen Weiterentwicklung des Bundesversorgungsgesetzes sehr wohl sehen lassen. Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei sieht in der Regierungsvorlage einen überzeugenden Beweis dafür, daß sich die Bundesregierung den Problemen der Kriegsopferversorgung. mit großem Ernst und Verantwortungsbewußtsein stellt.Damit, meine Damen und Herren, ist für mich und meine Freunde die Entwicklung im weiteren Ausbau des Behindertenrechts keineswegs abgeschlossen.Erstens. Noch in diesem Jahr wird die sozialliberale Koalition einen verbesserten Gesetzentwurf über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten und anderen Behinderten im Nahverkehr einbringen.
Nach unseren Vorstellungen sollen zukünftig alle Behinderten — ohne Rücksicht auf den Grund ihrer Behinderung — in die unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr einbezogen werden. In der vergangenen Legislaturperiode haben die Länder diesesgleiche Vorhaben auf Grund finanzieller Bedenken scheitern lassen.
Bei erneuter Vorlage eines Gesetzentwurfs, Herr Kollege, werden die Länder die Nagelprobe bestehen
und zeigen müssen, ob sie bereit sind, ihren finanziellen Anteil zur Verwirklichung dieses sozialpolitischen Anliegens zu leisten; der Bund wird es auf jeden Fall tun.
Wir werden zweitens, meine Damen und Herren, erneut die Frage der Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte aufgreifen und prüfen.
Auf dem letzten Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im Herbst vergangenen Jahres ist diese alte Forderung nach weiterer Herabsetzung der Altersgrenze für Schwerbehinderte erneut bestätigt und bekräftigt worden.
— Einen kleinen Moment, Herr Kollege, ich komme noch darauf. — Wir Sozialdemokraten stehen zu dieser Forderung. Wer allerdings jetzt eine weitere Herabsetzung der Altersgrenze will und dafür eintritt, muß, um glaubwürdig zu bleiben, zugleich sagen, wie er dies finanzieren will.
Eine weitere Belastung der Rentenversicherung ist im Hinblick auf ihre gegenwärtige Finanzsituation nicht möglich. Zur Realisierung diese sozialpolitisch, aber auch arbeitsmarktpolitisch sinnvollen Zieles müssen andere Finanzierungsmöglichkeiten geprüft werden; nur darum geht es ja.Mit dem Entwurf zum Zehnten Anpassungsgesetz in der Kriegsopferversorgung nehmen die Kriegsopfer auch weiterhin an der wirtschaftlichen Entwicklung teil. Außerdem, meine Damen und Herren, sieht dieser Gesetzentwurf vor, daß vor allem den Kriegsopfern geholfen wird, die ein besonders schweres Los zu tragen haben. Bei der Vertretung der berechtigten Interessen der Kriegsopfer lassen wir uns — damit möchte ich zum Schluß kommen — von niemandem übertreffen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP hat seit dem Ende des Zweiten
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6907
EimerWeltkrieges immer wieder unter Beweis gestellt, welchen Stellenwert die Kriegsopferversorgung für uns hat — aus der besonderen Verantwortung heraus, die das deutsche Volk der Schicksalsgruppe der Kriegsopfer schuldet. Auf Forderung dieser Koalition wurde 1970 die Dynamisierung der Kriegsopferrenten — analog den gesetzlichen Renten — eingeführt, damit Kriegsopfer nicht jährlich als Bittsteller auftreten müssen.Diese Verknüpfung zwischen Sozialrenten und Kriegsrenten haben auch die Kriegsopfer und deren Verbände gewollt. Nun haben wir diese Verknüpfung. Wenn wir mit dem 21. RAG von 1979 bis 1981 vorübergehend von der bisherigen Praxis abgehen — mein Kollege Cronenberg wird darauf noch eingehen —, dann kann das logischerweise nur bedeuten, daß wir beim Zehnten Anpassungsgesetz in der Kriegsopferversorgung parallel verfahren müssen. Wir wollen nicht, daß Kriegsrentner der allgemeinen Entwicklung der Renten nachhinken. Wir wollen nicht, daß Sozialrentner den Kriegsopfern nachhinken. Wir wollen, daß sich die Renten beider Personengruppen nicht schlechter, aber auch nicht besser entwickeln als das Einkommen derer, die durch ihre Arbeit die Renten finanzieren.Der Zuwachs wird allerdings nicht mehr wie in früheren Jahren über dem Zuwachs der verfügbaren Arbeitnehmereinkommen liegen können. Unterschiedliche Behandlung hätte zwangsläufig eine Schädigung der Solidargemeinschaft der Rentner zur Folge. Egoismus beeinträchtigt den sozialen Frieden. Diese Solidarität muß auch zwischen Rentnern und Beitragszahlern bestehen.In diesem Zusammenhang muß ich den Funktionären von Bad Godesberg sagen: Ich habe den Eindruck, daß sie und andere Funktionäre den Kontakt zur Basis verloren haben.
Die Basis denkt anders als jene, die in Bad Godesberg waren. Ich halte es für unverantwortlich, wenn man versucht, seine Mitglieder wider besseres Wissen emotional aufzuheizen. Es sollten eigentlich sachliche Argumente ausgetauscht werden.Das Folgende sage ich nicht für mich, weil ich davon nicht in dem Maße betroffen war: Wer austeilt, muß auch einstecken können. Wer als Präsidium eine Kundgebung zu leiten hat, der trägt besondere Verantwortung dafür, daß eingeladene Gäste reden können — auch wenn deren Meinung nicht genehm ist.
Lassen Sie mich auf den vorliegenden Gesetzentwurf zurückkommen, der insgesamt 21 Millionen Versorgungsberechtigte betrifft. Unter diesen 21 Millionen Betroffenen befinden sich — das ist in der Offentlichkeit nicht in dem Maße bekannt — auch Wehrdienstopfer, Opfer von Gewalttaten und Impfgeschädigte.Neben der vorgesehenen Steigerung von insgesamt 13 O/o in den Jahren 1979 bis 1981 — es wird immer wieder verschwiegen, daß es ja nicht weniger, sondern mehr gibt; nur steigt dieses Mehr nicht mehr so schnell — erfüllen wir mit dem ZehntenAnpassungsgesetz in der Kriegsopferversorgung aber eine Zusage an die Kriegsopfer, die wir im Vorjahr im Zusammenhang mit der Verschiebung des Anpassungstermins abgegeben haben.Die frei werdenden Haushaltsmittel werden zum Ausgleich noch bestehender sozialer Härten in der Kriegsopferversorgung eingesetzt. Vorgesehen sind vor allem folgende Strukturverbesserungen: 1. Verbesserung des Berufsschadensausgleichs für Beschädigte und des Schadensausgleichs für Witwen, 2. die Einführung einer neuen Pflegezulage Stufe VI für Taubblinde und blinde Ohnhänder, 3. in der Heilbehandlung Leistungen von Kuren auch für Pflegepersonen, 4. Verbesserung der Leistungen der Kriegsopferfürsorge durch Einbeziehung aller Eltern in die Leistungen; weiter: Erleichterung der Kausalitätsvoraussetzungen, Neuregelung der Einkommensgrenzen und der Vermögensschonbeträge, für jugendliche Beschädigte Unterhaltsbeihilfen zur Sicherung des angemessenen Lebensunterhaltes während einer Berufsförderung.Mit diesen gezielten Strukturmaßnahmen wollen wir den Interessen der Kriegsopfer noch besser als bisher gerecht werden. Nun wurde uns hier auch wieder vorgeworfen, wir würden die Rentner verunsichern. Herr Burger, ich möchte Sie fragen, ob das von Ihnen gebrauchte Wort von der Rentenpleite zur Befriedung auf dem Gebiet oder zur Verunsicherung beiträgt?
Herr Müller, Sie behaupten, daß die Leistungen für Kriegsopfer prozentual zurückgegangen seien. Können Sie diese Behauptung auch noch aufrechterhalten, wenn Sie die Leistungen pro Kopf der Begünstigten umrechnen?Ich möchte zum Abschluß noch einmal betonen: Die von uns eingeführte Dynamisierung der Kriegsopferrenten entsprechend den gesetzlichen Renten bleibt erhalten. Die Kriegsopfer nehmen auch weiterhin am allgemeinen Anstieg des Lebensstandards teil.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Windelen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Kollege Minister Ehrenberg hat in seiner Rede gesagt, der Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Bundestages habe erklärt, daß Sozialausgaben abgebaut werden müßten. Dieser Behauptung wurde durch meine politischen Freunde entschieden widersprochen.
Minister Ehrenberg hat dann gesagt, ich hätte Zeitungsmeldungen, in denen dies festgestellt worden sei, nicht dementiert, Minister Ehrenberg warte auf ein Dementi von mir, dies sei nicht erfolgt.Ich stelle dazu folgendes fest: Ich habe am 14. April 1978 eine Presseerklärung abgegeben, in der ich mich auf den einstimmigen Beschluß dieses Hauses vom 13. April 1978 bezogen habe, der auf einen einstimmig gefaßten Beschluß im Haushalts-
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6908 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Windelenausschuß zurückgeht. Dort heißt es, daß mit der Vorlage des Entwurfs des Haushaltsplans für das Jahr 1978 und der Fortschreibung der Finanzplanung bis zum Jahre 1982 darauf hinzuwirken sei, daß der Haushalt des Bundes unter Berücksichtigung des Art.115 des Grundgesetzes, der bindend vorschreibt, daß die Schuldaufnahme die Höhe der investiven Ausgaben nicht übersteigen darf, dauerhaft konsolidiert wird. Dazu müsse der Schuldenzuwachs mittelfristig abgebaut werden und die Neuverschuldung niedriger liegen als bisher. So hat der Bundestag einstimmig beschlossen.Daraufhin haben Journalisten gefragt, wie man dies machen könne. In diesem Zusammenhang habe ich gesagt, daß sich die Ausgaben der gesamten staatlichen Haushalte wie folgt zusammensetzen: ca. 46 % Transferleistungen, 42 % Staatskonsum, 7 % Investitionen und 3,7 % Zinsendienst. Da im Bereich der Investitionen nicht nur keine Einsparungen möglich sind, sondern nach übereinstimmender Auffassung des ganzen Hauses mehr aufgewendet werden muß, bliebe nur noch der Bereich Transferleistungen und Staatskonsum. Transferleistungen werden heute selbst im mittleren Einkommensbereich bis zu etwa 45 % von den Begünstigten selbst finanziert.
Zwischenergebnisse bei der Untersuchung der Struktur der Transferausgaben haben ergeben, daß die Transferströme, d. h. die staatlichen Einkommensübertragungen, nicht mehr, wie wir es wünschen, durchgängig von den Leistungsfähigen zu den Leistungsschwachen fließen, sondern teilweise umgekehrt. Ich habe daraufhin gesagt, diese Dinge müssen wir überprüfen, d. h., wir müssen zu einer Neufestsetzung der Prioritäten im Transferbereich kommen, damit wir das sozial Gebotene auch in Zukunft noch leisten können.
Dies, Herr Ehrenberg, war ein Angebot der Opposition, das Angebot, dabei verantwortlich mitzuwirken. Ihre Reaktion habe ich hier zur Kenntnis genommen. Ich habe zu meinem Bedauern jetzt nicht mehr die Möglichkeit, wozu wir bereit waren.
Ich nehme auch das zur Kenntnis. Ein Vertreter derOpposition erklärt hier, daß sich die Opposition bereit erklärt hat, Mitverantwortung zu übernehmen,
und das hat mir in meiner Fraktion, besonders .. bei den Kollegen, Herr Ehrenberg, die Sie besser kannten als ich, eine Reihe von kritischen Bemerkungen eingetragen. Es wurde mir angekündigt, daß dieses Angebot mißbraucht werden würde, um die Opposition zu diskriminieren.
Ich stelle zu meinem Bedauern fest, daß die besorgten Kollegen, die Sie, Herr Ehrenberg, besser kannten als ich, leider recht behalten haben, daß hier ein wichtiger Ansatz zur gemeinsamen Lösung schwieriger Fragen für die Zukunft unseres ganzen Volkes unnütz vertan worden ist. Ich bedaure dies und weise Ihre Unterstellungen, Herr Ehrenberg, mit Empörung zurück.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 8/1735 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend — sowie zur Mitberatung und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.Ich rufe nunmehr den Tagesordnungpunkt 3 auf:Beratung des Gutachtens des Sozialbeirats zu den Anpassungen der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen und der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung in den Jahren 1979 bis 1981 sowie zu den Vorausberechnungen der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherungen von 1978 bis 1992— Drucksache 8/1665 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für WirtschaftHaushaltsausschußWeiter rufe ich Tagesordnungspunkt 4 auf:Beratung des Berichts der Bundesregierung über die gesetzlichen Rentenversicherungen, insbesondere über deren Finanzlage in den künftigen 15 Kalenderjahren, gemäß §§ 1273 und 579 der Reichsversicherungsordnung, § 50 des Angestelltenversicherungsgesetzes und § 71 des Reichsknappschaftsgesetzes
— Drucksache 8/1615 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für WirtschaftHaushaltsausschußIm Ältestenrat ist zu den beiden Tagesordnungspunkten eine verbundene Debatte vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich stelle fest, daß das Haus einverstanden ist; dann ist so beschlossen.Wünscht ein Mitglied der Bundesregierung das Wort? — Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6909
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neben dem gerade behandelten Entwurf des Zehnten Anpassungsgesetzes in der Kriegsopferversorgung liegen Ihnen der Rentenanpassungsbericht 1978 und das Gutachten des Sozialbeirats vor. Lassen Sie mich hier wenige einführende Bemerkungen zum Rentenanpassungsbericht und zum Gutachten des Sozialbeirats machen.Der Rentenanpassungsbericht bietet auch in diesem Jahr eine Fülle von Zahleninformationen über die Rentenversicherung, die Versicherten, die Rentenbestände, die Rentenzu- und -abgänge und insbesondere über die Einnahmen, die Ausgaben und das Vermögen der Versicherungsträger.
— Danke sehr, die sind tatsächlich vorhanden.
— Auch ein paar gute neue.Am 31. Dezember 1977 betrug die Schwankungsreserve der Rentenversicherung, also der Arbeiter- und der Angestelltenversicherung zusammen, 25,3 Milliarden DM bzw. 3,3 Monatsausgaben. Sie wird nach heutigen gesamtwirtschaftlichen Annahmen bis 1980 auf eine Monatsausgabe, die gesetzliche Mindestgröße, zurückgehen, um dann bis 1982 infolge der vorgesehenen Beitragserhöhung wieder auf 1,8 Monatsausgaben anzusteigen.Auch in diesem Jahr wird im Rentenanpassungsbericht die Entwicklung der nächsten 15 Jahre, die niemand exakt voraussehen kann — weder heute noch zu früheren Zeiten, noch wird das künftig möglich sein —, an Hand von neun Modellrechnungen untersucht, die sich aus der Kombination von drei Alternativen über die Entwicklung der Versichertenentgelte und drei Alternativen über die Entwicklung der Beschäftigten ergeben.In der Sitzung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung ist die damals aus dem Stegreif nicht zu beantwortende Frage gestellt worden, ob die in diesen Übersichten dargelegten Entwicklungen in sich plausibel sind, weil das auf den ersten Blick verblüffende Ergebnis herauskommt, daß die Einnahmezuwächse bei geringeren Entgeltannahmen größer sind als bei größeren Entgeltannahmen. Das erklärt sich aus der Tatsache, daß auch der Liquiditätsausgleich zwischen den Rentenversicherungsträgern in diese Berechnungen eingeht und in den Zahlenreihen mit geringeren Entgeltannahmen ein größerer Liquiditätsausgleich übertragen wird, also als zusätzliche Einnahme erscheint, in den anderen Jahren nicht. Ich habe dem Kollegen Becker, der diese Frage gestellt hat, einen ausführlichen Brief mit Detailangaben dazu geschrieben, die ich hier im Plenum nicht vortragen will. Ich wollte aber darauf hinweisen, daß sich hier auch nach nochmaliger Überprüfung eine in sich schlüssige, plausible Erklärung findet.Meine Damen und Herren, diese Vorlage langfristiger Alternativrechnungen wird auch vom Sozialbeirat begrüßt. Auch der Sozialbeirat stellt fest, daß es vernünftig ist, die möglichen Tendenzen der finanziellen Entwicklung in Alternativrechnungen darzustellen, die ablesbar machen, wie die finanzielle Entwicklung bei unterschiedlichen Annahmen verläuft. Darüber hinaus stimmen Bundesregierung und Sozialbeirat in der Beurteilung der finanziellen Situation und über die erforderliche finanzielle Reichweite der Konsolidierung überein. Ich will das hier gerne ansprechen: Es hat sich dann im Sozialbeirat eine gleichgewichtige Verteilung der Meinungen ergeben. Die eine Hälfte des Sozialbeirats einschließlich des Vorsitzenden, Professor Meinholt, spricht sich zur Konsolidierung des übereinstimmend festgestellten Bedarfs von 32 Milliarden DM bis einschließlich 1982 für das Regierungsprogramm als die plausibelste, zuverlässigste Methode aus, die andere Hälfte bevorzugt ein anderes Modell — im Gutachten des Sozialbeirats als Variante 2 dargestellt —, wo statt dessen vorgeschlagen wird, einen Krankenversicherungsbeitrag im Abzugsverfahren in der Größenordnung 2 % 1979, 4 % 1980 und 5,5 % 1981 einzuführen und — da das aber für den Konsolidierungsbedarf nicht reicht — zum Ausgleich des verbleibenden Bedarfs die von der Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf und im Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen vorgesehene Beitragserhöhung von einem halben Prozent nicht erst am 1. Januar 198f, sondern bereits am 1. Januar 1979 vorzunehmen.Dieser Vorschlag ist in sich schlüssig und tragfähig. Er bedingt eine unterschiedliche konjunkturelle Einschätzung der Rückwirkungen einer Beitragserhöhung. Ich glaube, wir haben guten Grund, nach den vorliegenden Gutachten der Konjunkturforschungsinstitute von unserer Einschätzung der Rückwirkungen einer schon jetzt vorzunehmenden Beitragserhöhung nicht abzugehen, sondern bei dem Regierungsvorschlag oder auch der Variante 1 des Sozialbeirats zu verbleiben.Es sei aber nochmals gesagt, auch die Variante 2 des Sozialbeirats, die auch der DGB-Konzeption entspricht, ist in sich tragfähig und deckt den Konsolidierungsbedarf. Alle anderen Vorschläge, die auf eine Beitragserhöhung verzichten, entsprechen dagegen diesem unabdingbaren Erfordernis nicht. Und auf eine Beitragserhöhung verzichten können erst recht nicht die, die einen Krankenversicherungsbeitrag fordern und seine Größenordnung nicht beziffern.Wir können für die Bundesregierung feststellen, daß in Übereinstimmung mit der einen Hälfte des Sozialbeirats das Programm, das die Bundesregierung vorgelegt hat, und das jetzt auch als Gesetzentwurf beraten wird, geeignet ist, das finanzielle Gleichgewicht in der Rentenversicherung in sozialer Ausgewogenheit herzustellen. Dieses Gleichgewicht ist nicht mit politischen Formeln und Entschließungen herbeizuführen, sondern nur mit einem klar durchgerechneten Konzept.Ich bitte Sie, das Gutachten des Sozialbeirats und den Rentenanpassungsbericht als wichtige Informationsquellen für die einzelnen Größenordnungen in
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6910 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. April 1978
Bundesminister Dr. Ehrenbergder Rentenversicherung in diesem Sinne mit in die Beratungen einzubeziehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Franke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Ehrenberg, Ihre geschönte Interpretation — um es vorsichtig auszudrücken — dessen, was die Mitglieder des Sozialbeirates festgestellt haben, will ich, wenn der Herr Präsident das gestattet, einfach mit einem Zitat aus dem Bericht des Sozialbeirats widerlegen:Will man nämlich die Anpassung zum 1. Januar 1979, die erst mit einem Abstand von eineinhalb Jahren der letzten Anpassung folgt, nicht niedriger ansetzen, als sie in Variante I bzw. Variante II vorgesehen ist, so sind im Hinblick auf die den Versicherungsträgern verbleibende Schwankungsreserve 1979 und 1980 die kritischen Jahre; bei etwas ungünstigerer Wirtschaftsentwicklung, als unterstellt, würde auch das Jahr 1981 noch in den kritischen Bereich gelangen. Um den insgesamt in den Vorausberechnungen noch enthaltenen Risiken Rechnung zu tragen und damit die Gefahr zu vermindern, daß weitere Konsolidierungsmaßnahmen notwendig werden, sind nach übereinstimmender Meinung des Sozialbeirats stärkere Maßnahmen zur finanziellen Verbesserung unerläßlich, als aus dem Endbetrag von 32 Mrd. DM hervorgeht, so wie es auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht.Ich kann mich nur fragen, verehrter Herr Minister, woher Sie diese optimistische und geschönte Annahme nehmen, die Sie hier gerade dargestellt haben. Sie müssen das einfach überlesen haben, oder Ihre Mitarbeiter müssen es Ihnen nicht vorgelesen haben. Ich glaube, Sie erwecken hier einen ganz falschen Eindruck von dem, was der Sozialbeirat insgesamt an kritischen Feststellungen getroffen hat.
Das erinnert mich auch an die Art, wie Sie mit der längst dementierten Pressemeldung unseres Kollegen Windelen umgegangen sind. Ich habe die Befürchtung, Sie, Herr Ehrenberg, und ein Teil Ihrer Parteifreunde haben das Flugblatt mit dieser Falschmeldung längst gedruckt,
und Sie nehmen diese Erklärung hier überhaupt nicht zur Kenntnis;
genauso, wie Sie alles verschönt darstellen undsich nicht mit den Realitäten auseinandersetzen,auf die die Sachverständigen immer eingehen unddie wir hier im Hause Ihnen und Ihrem Vorgänger immer dargestellt haben.Lassen Sie mich dem, was der Sozialbeirat gesagt hat, noch einige Bemerkungen hinzufügen. Das „Handelsblatt" stellte vorgestern fest: Die Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland befindet sich in einem Zustand hoher Labilität. Das ist das, was wir auch den Sachverständigenanhörungen gestern vor 14 Tagen entnommen haben. Insbesondere die Vertreter der Bundesbank oder der Rentenversicherungsträger oder aber in einigen Punkten auch der Gewerkschaften und des Arbeitgeberverbandes sind mit Ihrer Darstellung, wie sich die wirtschaftliche Lage entwickeln wird, überhaupt nicht einverstanden; ich verweise noch einmal auf mein Zitat aus dem Bericht des Sozialbeirats.Wenn man annimmt, daß auch nur ein Teil der Befürchtungen stimmt oder eintrifft, die die fünf wirtschaftswissenschaftlichen Institute am Wochenanfang geäußert haben, dann stimmen die ganzen Annahmen nicht mehr, die die Bundesregierung im 21. Rentenanpassungsgesetz unterstellt; dann ist alles auf Sand gebaut.
Es wird dort u. a. festgestellt — ich nenne nur die wichtigsten Daten —: Erstens. Das Bruttosozialprodukt steigt nicht, wie von der Bundesregierung noch am Jahresanfang unterstellt, um 3,5 %, sondern um 2,5 %. Ich verweise hier auf die Auseinandersetzung in der Offentlichkeit zwischen dem Bundeskanzler und dem Bundeswirtschaftsminister, bis sie nach 14 Tagen in der Bewertung dieser 2,5 % eine einheitliche Sprachregelung gefunden haben. Sie glauben selber nicht, daß 3,5 % in diesem Jahr erreicht werden.Zweitens. Trotz steigender Bundeszuschüsse wird sich das Defizit der Haushalte der Sozialversicherungsträger nur um rund 1 Milliarde DM auf 4 Milliarden DM verringern.Drittens. Die Bedingungen für die Preisstabilität, so meinen die wirtschaftswissenschaftlichen Institute, werden wahrscheinlich schlechter. Die Ausweitungen der Geldmengenpolitik und des Geldvolumens werden sich — so die Sachverständigen — mittelfristig immer noch preistreibend auswirken,
vielleicht noch nicht in diesem Jahr, aber schon mit Beginn des nächsten Jahres. Und das ist genau der Zeitpunkt, wo Sie den Rentnern, nachdem Sie ihnen die bruttolohnbezogene Rente weggenommen haben, vielleicht 4,5 % geben, während diese 4,5 % durch die preissteigernden Tendenzen auch der Auswirkung Ihrer Politik einen Renteneinkommenszuwachs von Null letztlich bewirken werden.
Die Erhöhungen der Einkommen aus unselbständiger Arbeit werden von den Sachverständigen auf 6 % geschätzt. Ich glaube nicht, daß das eintreffen wird. Die Einkommenssteigerungen werden eher bei 5 % in diesem Jahr und in den nächsten Jahren liegen. Das ist eine sehr wichtige Feststellung, die
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6911
Frankedie Sachverständigen in der vorletzten Woche getroffen haben, die aber letztlich auch im Bericht des Sozialbeirats zu lesen ist.Die Konsequenz aus einer geringeren Steigerung der Entgelte in den nächsten Jahren ist, daß die Einnahmen der Rentenversicherungsträger geringer werden, als von der Regierung angenommen. Und die Konsequenz daraus ist, daß nicht die von Ihnen errechneten, bei Ihrer Wirtschaftspolitik entstehenden 33 Milliarden DM als Defizit in der Rentenversicherung auftreten, sondern daß das Defizit Summen in der Gegend von 45 bis 50 Milliarden DM ausmachen wird. Wenn allein 1 % pro Jahr geringere Einkommenssteigerungen auftreten wird, dann ist das nach Meinung der Sachverständigen und auch der Vertreter Ihres Hauses ein Einnahmeverlust von mehr als 15 Milliarden DM.In dem Augenblick, wo wir miteinander reden und über das 21. Rentenanpassungsgesetz im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung beraten, ist diese Ihre Rechnung so falsch wie die Rechnung vom 12. Mai 1977, also von vor elf Monaten.
Es ist richtig: Die Hälfte der anwesenden Mitglieder des Sozialbeirats — — Man beachte: die Hälfte der anwesenden Mitglieder des Sozialbeirats! Es gibt da einige Spekulationen: Was wäre gewesen, wenn alle da gewesen wären?
Wenn wir da richtig informiert sind, dann wäre die Mehrheit der Mitglieder des Sozialbeirats gegen Ihren unsozialen Vorschlag gewesen. Zu verzeichnen ist, daß besonders die Gewerkschaften den Vorschlag, den Sie hier auf den Tisch gelegt haben, nicht tragen.
Es ist richtig, daß — wie Sie gesagt haben — die andere Hälfte der Anwesenden - und zu dieser Hälfte gehören ein Teil der Vertreter der Wissenschaft und die Vertreter der Gewerkschaften — sich für den Erhalt der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente ausgesprochen hat.
Sie haben sich allerdings für einen gestaffelten Krankenversicherungsbeitrag mit einer ab 1981 enormen Höhe ausgesprochen und für eine, wie Sie mit Recht gesagt haben, Beitragserhöhung schon ab 1. Januar 1979.Sie können sich an diesem Haken nicht festhalten. Der Sozialbeirat hatte nur festzustellen, welche Sanierungsmaßnahmen bei der vorhandenen wirtschaftlichen Situation zu treffen sind, um das Defizit zu beheben. Er hatte keine Vorschläge zu machen, wie wirtschaftliche Nachfrage, binnenwirtschaftliche Nachfrage erzeugt werden kann. Sondern er hatte sich nur damit zu beschäftigen, wie das Rentenloch, das Defizit bei der vorhandenen wirtschaftlichen Entwicklung, der Annahme der Arbeitslosenzahl und der Entgeltsteigerung zu beheben sei. Er hatte keine Vorschläge bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung zu machen. Das, meine Damen und Herren, kann für Sie kein Rettungsanker sein. Daran können Sie sich nicht emporranken. Sie werden hier im Parlament nicht aus der Verantwortung entlassen, dafür zu sorgen, daß die Ursachen der Schwierigkeiten beseitigt werden. Die Ursachen dér Schwierigkeiten sind eine Million Arbeitslose, sind 1,6 Millionen weniger Beitragszahler oder Arbeitsplätze seit 1973. Und das haben Sie zu verantworten.
Einstimmig hat sich der Sozialbeirat für eine Konkretisierung der Bundesgarantie ausgesprochen. Darauf sind Sie nicht eingegangen, weil Sie das nicht gerne hier sagen. Sie haben irgendeinen Halbsatz aus dem Zusammenhang als positiv herausgerissen. Ich werfe Ihnen hier etwas vor. Ich muß vorsichtig sein, um mir nicht einen mit Recht dann vom Präsidenten ausgesprochenen Ordnungsruf einzuhandeln. Aber Sie wissen jetzt, wo ich es nicht ausspreche, was ich meine.
Einstimmig spricht sich der Sozialbeirat für eine Konkretisierung der Bundesgarantie aus. Der Sozialbeirat sagt, die Konkretisierung der Bundesgarantie sei unerläßlich. Sie reden davon mit keinem Wort, weil Ihnen das unangenehm ist, weil Sie nämlich die Verantwortung dafür tragen, die Konkretisierung der Bundesgarantie in Form eines Gesetzentwurfs hier vorzulegen. Das verschweigen Sie. Das, meine Damen und Herren, können wir hier ansprechen. Sie kommen mit diesem Verschweigen nicht durch.
Daß Sie das konkretisieren müssen, ist auch unsere Meinung. Der Sozialbeirat sagt, dies sei unerläßich.
— Einstimmig. Einstimmig spricht sich der Sozialbeirat, einstimmig sprechen sich die Sachverständigen — das war vor vierzehn Tagen, wenn ich das richtig im Gedächtnis habe — für die Konkretisierung der Bundesgarantie aus. Sie verschweigen das in Ihrer Darstellung hier und heute.Im übrigen spricht der Sozialbeirat zum wiederholten Male seine Sorge aus, daß eine Mindestrücklage von einer Monatsausgabe zu Lasten der Rentenversicherungsträger nicht ausreichend sei.Der Sozialbeirat beschäftigt sich in seinem Bericht auch mit der mittelfristigen finanziellen Entwicklung bis 1982. Hier trifft der Sozialbeirat eine Feststellung, die von der CDU/CSU wiederholt, auch an dieser Stelle, vorgetragen worden ist. Er sagt, daß die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen — nämlich die Verlangsamung der Rentenexpansion und die Beitragssteigerung um 0,5 % — nicht ausreichen, um gefährliche Engpässe in der Rentenfinanzierung zu vermeiden. Ich verweise auf das, was ich am Eingang hier zitiert habe: die kritischen Jahre seien, was die kurzfristigen Annahmen angeht, die Jahre 1979, 1980 und 1981.
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6912 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
FrankeHier muß ich an die Forderung der Union erinnern, daß Rentensanierung ohne wirtschaftliche Belebung überhaupt nicht betrieben werden kann.
Das kann man nicht oft genug wiederholen. Wir haben bei der Sanierung nicht die Symptome zu kurieren, sondern wir als Parlament, Sie als Regierung haben die Ursache der Schwierigkeiten zu beseitigen.
Bei einer etwas ungünstigeren wirtschaftlichen Entwicklung als unterstellt wankt das ganze Gebäude, auf dem die Schätzungen der Bundesregierung aufgebaut sind. Sie schätzen genauso falsch wie 1977. Dieses Gebäude ist nach wie vor auf Sand gebaut.Wir werden 1978 vielleicht die erwarteten Entgeltsteigerungen von 5,5 % erhalten. Ich sagte es eben schon, ich schätze sie eher bei 5 % als bei 5,5 %. In den folgenden Jahren von 1979 bis 1981 werden die erwarteten Entgeltsteigerungen und der Arbeitsmarkt erstmals, Herr Volkswirt Ehrenberg, durch außenwirtschaftliche Einflüsse massiver Art, tangiert. Sie dürfen die Exportleistungen und -überschüsse der vergangenen Jahre hier nicht einfach wegmanipulieren. Die deutsche Wirtschaft, die Tüchtigkeit unserer Arbeiter und Unternehmer, hat dafür gesorgt, daß wir, wenn auch mit Erlöseinbußen, so doch mit unserem Export einen riesengroßen Anteil am Welthandel erreicht haben.
Jetzt wird die wirtschaftliche Entwicklung, erstmals bedingt durch stärkere negative außenwirtschaftliche Einflüsse, etwas enger werden. Daraus folgt, daß der Sanierungsbedarf bei den Rentenfinanzen, wie ich eben schon sagte, wahrscheinlich, wenn Sie nicht zu einer binnenwirtschaftlichen Belebung schreiten, 45 bis 50 Milliarden DM statt der von Ihnen unterstellten etwa 33 Milliarden DM ausmachen wird.Ich habe immer auf einen Zwischenruf von der linken Seite gewartet.
Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten ein kurzes Zitat aus der Pressemitteilung der SPD von gestern bringen.
— Sie wissen, daß ich die Zitate nicht brauche. Aber sie passen immer so schön in die Gesamtdarstellung.
— Herr Kollege Biermann, zu Ihrem Zwischenruf, wenn ich ihn richtig verstanden habe: Wie kann der Bundeskanzler, der Mitglied Ihrer Partei ist, vor der Fraktion folgendes sagen — laut einer Pressemitteilung —:Nach wie vor beengen bürokratische Verfahren,rechtliche Erfordernisse und gerichtliche Auseinandersetzungen die Möglichkeiten zur Investition. Ich möchte die Abgeordneten bitten— SPD-Schmidt —und aufrufen, in ihrem Wahlkreis ganz konkret für die Überwindung von Investitionsbarrieren zu sorgen, notfalls auch im Einzelfall die Einschaltung der Bundesregierung auszulösen.Meine Damen und Herren, wer hat denn die Gesetze gemacht, die die Beamten draußen zwingen, sie anzuwenden? Sie haben doch die Mehrheit hier im Deutschen Bundestag. Sie können doch darüber nicht klagen, daß administrative Barrieren da sind. Sie haben die Verantwortung für den Investitionsstau, und nicht irgendein anonymes Institut.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Cronenberg?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Immer gern.
Herr Kollege Franke, ich wäre Ihnen sehr dankbar — es ist eine reine Informationsfrage —, wenn Sie einmal erläutern würden, woher die von Ihnen eben genannten 45 Milliarden DM eigentlich kommen. Sie haben es im Ausschuß schon einmal erwähnt. Uns ist überhaupt nicht klar — wir würden natürlich gerne dazu Stellung nehmen —, wie diese 45 Milliarden DM Defizit von Ihnen errechnet wurden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Verehrter Herr Kollege Cronenberg — ich meine es auch so, wie ich es eben gerade gesagt habe —, ich weiß, daß Sie an den Sitzungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung immer teilgenommen haben, und zwar sowohl bei der Sachverständigenanhörung wie aber auch bei den Beratungen gestern und in der letzten Woche. Es mag sein, daß Ihnen das entgangen ist. Sie waren da. Ich weiß das. Darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Äußerungen des Vertreters der Regierung und auf das Protokoll der Sachverständigenanhörung lenken. Der Kollege Blüm gibt Ihnen mein Exemplar des Protokolls über die Sachverständigenanhörung. Wenn ich wieder da unten bin, gebe ich Ihnen gleich noch die Seite. Lesen Sie es bitte nach. Dort steht es drin. Das haben wir aufgegriffen. Nichts anderes haben wir getan. Wir rechnen bei den Sachverständigenangaben lediglich hoch. Ein Prozent geringeres Entgelt in den nächsten Jahren ergibt 15 bis 20 Milliarden DM pro Jahr. Darauf habe ich mich zu beziehen, auf nichts anderes.Glauben Sie mir wirklich, Herr Kollege Cronenberg, ich habe etwas mehr Zutrauen zu meiner eigenen Rechenart. Ich habe nicht mit Mengenlehre angefangen, sondern ich habe noch richtig rechnen gelernt.
Wie ich es in der Volksschule gelernt habe, habeich seit 1975 in diesem Hause mit zwei Mitarbeitern unserer Fraktion die Zahlen hochgerechnet.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6913
FrankeWir sind schon ab 1975 genau zu diesem Ergebnis gekommen, das wir heute auf dem Tisch liegen haben. Daher haben wir 1975 vorgeschlagen: Fangt jetzt mit der Frage an, nicht im letzten Augenblick und nicht, wie ich Ihnen immer vorgeworfen habe, nach der Wahl, weil es vorher „Problemchen" waren! Jetzt ist das Kind so tief in den Brunnen gefallen, daß kurzfristige Maßnahmen nicht reichen werden, sondern Sie werden permanent die Rentner und die Beitragszahler zur Ader lassen müssen, wenn Sie die wirtschaftliche Belebung nicht erreichen.
Eine stärkere Entlastung in dem erhofften Umfang findet in den nächsten Jahren durch die Beitragszahlung der Bundesanstalt für Arbeit an die Rentenversicherungsträger nicht statt; denn bis zum 1. Juli 1978 machen 200 000 Arbeitslose 1 Milliarde DM weniger Einnahmen für die Rentenversicherungsträger aus. Künftig wird es so sein, daß 400 000 Arbeitslose 1 Milliarde DM weniger Beitragseinnahmen bedeuten. Verehrter Herr Minister — es geht jetzt um die 15 Milliarden DM; ich weiß es —, wir hatten hier bei einer Ihrer letzten Reden einen Disput. Ich stellte eine Frage, und Sie bezweifelten, daß diese Zahl — daß 400 000 Arbeitslose zu einem Einnahmeausfall in Höhe von 1 Milliarde DM führen — richtig sei. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten eine Äußerung der Rentenversicherungsträger vom 5. Januar 1978 zitieren:Obwohl ab 1979 die Beiträge für die anspruchsberechtigten Arbeitslosen durch die Bundesanstalt entrichtet werden, bedeuten 100 000 Arbeitslose im Jahr Mindereinnahmen von rund 250 Millionen DM.Das sind also bei 100 000 Arbeitslosen 250 Millionen DM. Wenn man das mal vier nimmt — das ist immer noch eine Grundrechenart —, dann entsprechen 400 000 Arbeitslose 1 Milliarde DM, Herr Ehrenberg.Dies erklärt sich aus der Tatsache, daß nur ca. 72 Prozent der Arbeitslosen anspruchsberechtigt sind und darüber hinaus nur 75 Prozent des durchschnittlichen Versichertenentgeltes der Beitragsberechnung zugrunde liegt. Somit beträgt die Beitragsleistung der . Bundesanstalt nur etwa 50 Prozent derer eines Beschäftigten.Ich stelle fest: Sie haben mit der Beitragszahlung der Bundesanstalt an die Rentenversicherungsträger die Finanzkalamität der Rentenversicherungsträger nicht gelöst, sondern das Problem ist nur etwas verzögert, hinausgeschoben worden.Wenn Sie die binnenwirtschaftliche Nachfrage nicht induzieren, erzeugen, werden Sie weiterhin an den Symptomen herumschnippeln. Sie werden weiterhin die Beitragszahler und die Rentner unsozial und unberechtigt zur Ader lassen. Die bezahlen die Zeche Ihres Unvermögens in der Gestaltung wirtschaftspolitischer Maßnahmen.
Ich darf für die Opposition hier feststellen: Erstens. Der Entwurf der Fraktionen der SPD und FDP und der Bundesregierung über die Anpassung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie über die Anpassung der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung und der Altersgelder in der Altershilfe für Landwirte wird von uns zurückgewiesen.Zweitens. Die Anpassung der Bestandsrenten erfolgt nach dem bisherigen Rentenanpassungsverfahren, nach der Vorstellung der CDU/CSU, d. h., die Bestandsrenten werden aus Anlaß der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage zum 1. Januar 1979 um 7,2 Prozent erhöht.Drittens. Die Berechnung der Zugangsrenten im Jahre 1978 erfolgt nach dem bisherigen Verfahren, d. h., orientiert sich an der allgemeinen Bemessungsgrundlage des Jahres 1978.Viertens. Das bisherige Anpassungsverfahren für die Geldleistungen und das Pflegegeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung wird beibehalten. Was die Unfallversicherung mit der Rentensanierung zu tun hat, müssen Sie uns hier noch einmal klarmachen, genauso, was die Kriegsopferversorgung mit der Rentensanierung zu tun hat.
Fünftens. Die Anpassung der Kriegsopferrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz und der Altersgelder aus der Altershilfe für Landwirte erfolgt nach dem bisherigen Rentenanpassungsverfahren.Sechstens. Die Risikoabsicherungsklausel, § 17 Ihres Entwurfes, entfällt.Siebtens. Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltene Neuregelung der Krankenversicherung der Rentner entfällt. Statt dessen wird ein die Leistungsfähigkeit des Rentners berücksichtigender Krankenversicherungsbeitrag der Rentner eingeführt.Achtens. Lassen Sie mich hinzufügen, meine Damen und Herren: Die investitionshemmenden Maßnahmen müssen beseitigt werden. Wir müssen mehr Beitragszahler für die Rentenversicherung haben. Die Arbeitslosigkeit wollen wir nicht finanzieren, sondern wir wollen das Geld dafür verwenden, daß Arbeitslose wieder in Arbeit und Brot kommen. Dann sind die Probleme der Sanierung der Rentenversicherung auch mittelfristig erledigt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Franke hat in seiner unnachahmlichen Art, mit dem politischen Gegner umzugehen, heute, wie ich meine, wieder einen Höhepunkt erreicht.
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6914 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Glombig— Ich behaupte ja gar nicht, daß ich liebenswürdig bin.
Aber wenn Sie mich länger kennen, werden Sie mich auch in dieser unterkühlten liebenswürdigen Art schätzen lernen. Ich hoffe es jedenfalls.
— Ja, das ist nun mal so. Ihrer ist auch nicht besonders gut entwickelt. Sie sind doch Westfale. Wir wollen uns darüber aber nicht streiten, das lohnt sich nicht.Die Aussagen des Herrn Kollegen Franke im Zusammenhang mit dem, was sich um die Äußerung des Herrn Kollegen Windelen abgespielt hat, kann so nicht stehenbleiben, meine ich. Ich akzeptiere das, was Herr Kollege Windelen gesagt hat, wenngleich ich die Erklärung so, wie sie hier abgegeben worden ist, für sehr blumig halte und es immerhin genug Anhaltspunkte dafür gibt, daß der Kern der Aussage des Herrn 'Arbeitsministers nach wie vor nicht widerlegt ist. Trotzdem akzeptiere ich das, was Herr Windelen gesagt hat.Aber ich finde, es ist wirklich ein Ausdruck menschlicher Unanständigkeit — wenn ich das einmal so sagen darf; ich hoffe, daß das nicht unparlamentarisch ist —, wenn Herr Franke sagt — mit solchen Mittelchen arbeitet er, solange ich ihn kenne, vor allem in Plenarsitzungen; sonst ist er viel ordentlicher als in Plenarsitzungen, wie der Hamburger sagt —,
wir hätten das Flugblatt gegen den Kollegen Windelen bereits gedruckt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, der Ausdruck „menschliche Unanständigkeit" bewegt sich an der Grenze des parlamentarisch Zulässigen.
An der Grenze, also es war noch genehmigt. Gut. Wir können also das Thema verlassen.
Wir sollten uns jetzt dem sachlichen Thema Rentenanpassungsbericht zuwenden. Da hat Herr Kollege Franke zu Eingang seiner Ausführungen gesagt, daß stärkere Maßnahmen als die, die wir mit einem Mitteleinsatz von über 32 Milliarden DM vorsehen, notwendig seien, um den Konsolidierungsbedarf in der gesetzlichen Rentenversicherung zu dekken. Da muß der Kollege Franke erst einmal zur Kenntnis nehmen, daß die Konsolidierung — wenn Sie ihr so zustimmen, wie wir sie vorschlagen — auf Grund der Beitragssatzerhöhung, die Sie nicht mitmachen wollen, weit über 32 Milliarden DM hinausgehen wird. Wir werden dann mit einem Konsolidierungserfolg von etwa 40 Milliarden rechnen können.
Ich muß den Kollegen Franke fragen: Wo sind denn nun eigentlich die stärkeren Maßnahmen der CDU/CSU, die über die Vorschläge der Koalition hinausgehen? Ich habe bis heute davon nichts gehört; denn Sie haben sich auch heute wieder zur Beitragssatzerhöhung nicht geäußert.
Da gibt es so einen bescheidenen Versuch des Kollegen Hasinger. Ich bedaure ihn, weil er es wirklich gut mit uns meint. Er scheint aber in seiner Fraktion noch nicht durchgedrungen zu sein. Ich komme darauf noch zu sprechen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hasinger, Herr Abgeordneter?
Bitte schön.
Herr Kollege Glombig, wären Sie bereit, korrekt aus der „Frankfurter Rundschau" zu zitieren, wo ich davon gesprochen habe, daß wir etwa gut die Hälfte des von Ihnen verursachten Defizits von 32 Milliarden DM mit einem Krankenversicherungsbeitrag decken wollen und es im übrigen auf eine gezielte Konjunktur- und Vollbeschäftigungspolitik ankommt, während alles übrige Spekulationen der Zeitung sind?
Ich möchte dem entgegenhalten, daß in der „Frankfurter Rundschau" vom 26. April 1978 unter der Überschrift „CDU freundet sich mit höheren Versicherungsbeiträgen an; wachsende Zahl von Abgeordneten schließt diesen Weg zur Verbesserung der Rentenfinanzen nicht mehr aus" auch steht, die Schließung des sogenannten Loches im Zusammenhang mit der Rentenfinanzierung könnte entweder durch eine Erhöhung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung — das ist nämlich der einfachste Weg — oder durch eine Beitragsanhebung geschehen.
— Gut. Ich bin auf die „Frankfurter Rundschau" angewiesen, Herr Kollege Hasinger; Sie nicht, Sie wissen, wie es tatsächlich gewesen ist. Ich kann nur aus der „Frankfurter Rundschau" zitieren.Nun zu dem, was Herr Kollege Franke über die Ursachen der wirtschaftlichen Entwicklung gesagt hat, die angeblich bei der Bundesregierung liegen. Wissen Sie, diese Aussagen, die ich immer wieder von Vertretern der „freien" Marktwirtschaft höre, erstaunen. mich sehr. Sie bedeuten, davon auszugehen und anzunehmen, daß wirtschaftliche Entwicklungen allein zu Lasten von Regierungen — in diesem Fall der Bundesregierung — gehen. Das von den Vertretern der „freien" Marktwirtschaft zu hören, die so stolz darauf sind, könnte mich fast dazu verleiten, anzunehmen, wir säßen hier — geographisch gesehen — ganz woanders als in der Bundesrepublik Deutschland, was die Verantwortlichkeit für die Wirtschaft und ihre Entwicklung angeht.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6915
GlombigOder ist es wirklich so, daß die Wirtschaft für ihre Entwicklung selbst keine Verantwortung mehr trägt, sondern nur diese Bundesregierung?
Man könnte es fast meinen. Bisher haben Sie auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft immer besonderen Wert gelegt, und Sie sind darauf auch besonders stolz gewesen.
Wir sähen es sehr gern, wenn sich die Wirtschaft selbst mehr darauf besänne.
Jedenfalls, Herr Kollege Franke, haben Sie die Auswirkungen dieser Selbstheilungskräfte der Wirtschaft als einen Deckungsvorschlag und damit einen utopischen Deckungsvorschlag bei der Konsolidierung der Rentenfinanzen eingesetzt. Mehr ist Ihnen dabei nicht eingefallen. Sie haben dabei die Rückwirkung der weltwirtschaftlichen Entwicklung auf unsere nationale Wirtschaft nicht berücksichtigt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke?
Ja.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Glombig, ist Ihnen entgangen, daß der Bundeskanzler, der der SPD-Fraktion angehört, diese Sorgen, wenn auch nur auf einem begrenzten Raum, teilt und bittet, dafür Sorge zu tragen, daß diese investitionshemmenden Maßnahmen abgebaut werden? Ergibt sich aus einem solchen Abbau nicht mehr Beschäftigung?
Vorhin haben Sie bezweifelt, daß diese investitionshemmenden Umstände, die wir in den Ländern und bei der Bürokratie haben, bestehen. Wenn sie bestehen, dann ist das nach Ihrer Meinung nur auf einen bestimmten Teil des Parlaments als Gesetzgeber zurückzuführen.
Jetzt gehen Sie selbst davon aus, daß es solche Investitionshemmnisse gibt. Die gibt es allerdings nicht nur bei der Bürokratie, sondern auch bei der Wirtschaft selbst, die, so meine ich, nicht immer bereit ist, die Hilfen, die wir geben wollen, anzunehmen.
Herr Kollege, würden Sie eine weitere Zusatzfrage zulassen?
Ich glaube, das Kapitel können wir jetzt beenden.Ich möchte nun noch ein Wort zur Kriegsopferversorgung sagen. Sie haben erklärt, daß Sie gar keinen Zusammenhang zwischen der Kriegsopferversorgung und der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten sehen. Ich meine, es war bisher immer unbestritten, daß es sich hier um eine Wertgleichheit und Zeitgleichheit handelt. Jedenfalls haben Sie bisher dafür gestritten. Das heißt, wenn die Anpassungsformel in der Rentenversicherung geändert wird, muß zwangsläufig eine ebensolche Änderung in der Kriegsopferversorgung eintreten. Wir sind dafür angetreten, gleiches Recht für beide Gruppen in Anwendung zu bringen: für die Sozialrentner und für die Kriegsopfer. Daran hat sich nie etwas geändert. Das sind die notwendigen Konsequenzen; das ist doch wohl völlig klar. Es ist doch völlig undenkbar angesichts dieser politischen Entscheidung, die wir damals getroffen haben, daß die Kriegsopferrentner eine höhere Rentenanpassung bekommen als die Sozialrentner. Vielmehr wollten wir eine Rentenanpassung in gleicher Höhe. Das ist durch die gesetzlichen Entscheidungen herbeigeführt worden.Meine Damen und Herren, der Rentenanpassungsbericht 1978 bietet wiederum eine Fülle von wichtigen quantitativen Informationen über Versicherte der Rentenversicherung, über Rentenbestände, über Rentenzugänge und -abgänge und insbesondere über Einnahmen, Ausgaben und Vermögen der Versicherungsträger.
— Was die Höhe der Renten angeht, so ist daraus u. a. zu ersehen, Herr Kollege Hasinger, daß eine Rente, die im Jahre 1957 festgesetzt wurde, nach den inzwischen vorgenommenen 20 Rentenanpassungen — eine fehlt, nämlich im Jahre 1958; vielleicht können Sie sich daran erinnern — heute das 4,7fache der Rente von 1957 beträgt. Dies nur, weil Sie nach der Rentenhöhe gefragt haben. Ich finde, das ist eine stolze Bilanz. In der gleichen Zeit hat sich der Index für die Lebenshaltungskosten der Rentenempfänger etwa verdoppelt.
— Da können Sie einmal sehen, wie niedrig sie damals war und wie hoch wir sie, verglichen mit dem Ausgangspunkt, inzwischen gebracht haben. Ich gebe zu: noch nicht hoch genug. Deswegen wollen wir hier ja auch — ich hoffe, mit Ihrer Hilfe — eine Reform durchführen. — Aber wegen des Umstandes, den ich soeben genannt habe, konnte sich der Lebensstandard der Rentner in diesem Zeitraum mehr als verdoppeln.Dieser Rentenanpassungsbericht der Bundesregierung untersucht und erläutert die finanzielle Lage der Rentenversicherung in der Gegenwart und in der Zukunft. Die Schwankungsreserve in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten betrug am 31. Dezember 1977 zusammen 25,3 Milliarden DM bzw. 3,3 Monatsausgaben. In dem Zeitraum, für den auch der Entwurf zum 21. Rentenan-
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Glombigpassungsgesetz Regelungen vorsieht, wie wir sie bereits in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs besprochen haben, nämlich für den Zeitraum 1979 bis 1982, werden die Finanzen der Rentenversicherung nach heutigen gesamtwirtschaftlichen Annahmen die gesetzlich vorgeschriebene Höhe der Schwankungsreserve von mindestens einer Monatsausgabe in jedem Jahr erreichen bzw. nicht unerheblich überschreiten.
— Ich sage: nach heutigen gesamtwirtschaftlichen Annahmen, über die ich gleich noch etwas sagen werde.
— Das ist doch nachzurechnen und nachzusehen.— Im Jahre 1980 wird die Schwankungsreserve nach diesen Vorschätzungen der Bundesregierung genau eine Monatsausgabe erreichen. Die Schwankungsreserve wird — in Monatsausgaben ausgedrückt — 1981 und 1982 entsprechend denselben Annahmen kontinuierlich bis auf 1,8 Monatsausgaben steigen.Diese Entwicklung ist allerdings, Herr Kollege Hasinger, in erheblichem Maße auf die vorgesehene Beitragssatzerhöhung in der Rentenversicherung um 0,5 % auf 18,5 % zurückzuführen, die Sie — ich sage es noch einmal — gar nicht vorsehen. Ich möchte einmal sehen, wie bei Ihrem Konsolidierungskonzept die Schwankungsreserve letztendlich aussehen müßte.
— Das haben Sie nun schon ein paarmal gesagt. Ich habe Ihnen dann darauf geantwortet: Die wirtschaftliche Entwicklung kann nicht befohlen werden. Vielmehr ist sie in einem System der Marktwirtschaft auch Sache der Wirtschaft selbst. Selbst dort, wo sie befohlen wird, ist es ja wohl nicht entscheidend anders als bei uns, vielleicht sogar eher schlechter.
— Sie haben uns noch nicht klarmachen können, in welcher Weise das geschehen könnte. Aber vielleicht hören wir das noch von Ihnen.
Die finanzielle Entwicklung der Rentenversicherung in den nächsten 15 Jahren wird, Herr Kollege Franke, an Hand von neun Modellrechnungen untersucht, die sich aus der Kombination von drei Alternativen über die Entwicklung der Versicherungsentgelte und von drei Alternativen über die Entwicklung der Beschäftigten ergeben. Daran wird deutlich, wie sehr die Entwicklung der Rentenversicherung von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abhängt. Dies wird von uns auch nicht bestritten, im Gegenteil.
Jede Veränderung gesamtwirtschaftlicher Daten schlägt unmittelbar auf die Vorausberechnungen der Rentenfinanzen durch. Wir wissen sehr wohl, daß das zum Beispiel auch mit der 15-Jahre-Rechnung, mit dem System der Vorausberechnung, das hier zugrunde liegt, zu tun hat. Ich meine, man sollte nicht nur dauernd miteinander über Konsolidierungsvorschläge reden, sondern man muß auch überlegen, ob diese Konsolidierungsnotwendigkeiten allein aus der wirtschaftlichen Entwicklung kommen oder ob sie nicht auch mit dem System 15jähriger Vorausberechnung zu tun haben, das hier zugrunde liegt. Darüber sollten wir uns gemeinsam Gedanken machen.Durch den Rentenanpassungsbericht wird jedem, meine Damen und Herren, der diesen Bericht liest — es lohnt sich, ihn zu lesen; er ist sehr interessant —, deutlich vor Augen geführt, daß die gesamtwirtschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre — nicht nur in unserem Lande, sondern in der ganzen Welt — unweigerlich einen Konsolidierungsbedarf in der Rentenversicherung nach sich zogen, nicht nur wegen der wirtschaftlichen Entwicklung bei uns und in der Welt, sondern das wäre auch eine Notwendigkeit für jede andere Regierung, auch für eine CDU/CSU-Regierung — Sie bestreiten das, aber das sind die Fakten —, gewesen. Von diesen objektiven Fakten konnte die Rentenversicherung nicht unberührt bleiben. Die einzigen, die von dieser Entwicklung ungerührt geblieben sind, scheinen die Politiker der CDU und CSU zu sein.Ich meine, eine Verinnerlichung dieser Zusammenhänge stünde auch der Opposition gut zu Gesicht. Alle diese Maßnahmen für die künftige Entwicklung der Rentenfinanzen basieren auf diesen Annahmen, die Bundesregierung, Bundesländer und alle übrigen Gebietskörperschaften ihren Finanzplanungen für die kommenden Jahre zugrunde legen. Andere als diese Annahmen sind bisher in die politische Diskussion nicht eingebracht worden — auch nicht von der Opposition.Nun können aber für die Rentenversicherung keine davon abweichenden Annahmen zur Grundlage ihrer Vorausberechnungen gemacht werden. Alle Annahmen über die künftige wirtschaftliche Entwicklung und ihre Auswirkungen auf die Finanzen der Rentenversicherung sind wichtige Orientierungswerte, aber sie sind keine Glaubenssätze. Das wissen wir seit langem. Übrigens sind sie nie Glaubenssätze gewesen. Diese Dinge, die heute in der Rentenversicherung eine Rolle spielen, haben im Grunde genommen immer, zu jeder Zeit, eine Rolle gespielt. Der Herr Kollege Katzer sitzt hier; ich rufe ihn als Zeugen auf. Ich selbst bin seit dem Ende des letzten Krieges mit diesen Dingen beschäftigt, und ich muß sagen, daß wir zu jeder Zeit solche und ähnliche Probleme gehabt haben. Wir
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Glombighaben sie gelöst. Nur: Diese Probleme sind zu fast keiner Zeit in der Weise, wie das heute geschieht, politisiert worden — mitunter künstlich. Man mag das auf der einen Seite begrüßen, auf der anderen Seite bedauern. Wir sind jedenfalls immer und zu jeder Zeit mit diesen Schwierigkeiten fertig geworden.
— Das ist durchaus vergleichbar.Herr Kollege Katzer, was ich eben gesagt habe, gilt im übrigen auch für die Frühjahrsgutachten der fünf wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute, die Herr Kollege Franke hier angesprochen hat. Unfehlbare Prognosefähigkeit kann nach den Erfahrungen der letzten Jahre niemand für sich beanspruchen, Herr Katzer nicht für sich, jeder andere nicht für sich,
— der auch nicht —, niemand, der sich in kompetenter Weise zur künftigen Wirtschaftsentwicklung und damit auch zu den Daten für die Entwicklung der Rentenfinanzen äußert.Zu denjenigen allerdings, die sich in kompetenter Weise zur künftigen Wirtschaftsentwicklung geäußert haben — in kompetenter Weise! —, gehören keinesfalls die Vertreter der CDU/CSU und heute auch nicht Herr Franke. Die CDU/CSU hat keine brauchbaren Prognosen abgegeben, die solche Prognosen hätten ersetzen können, die von gesetzlich dazu verpflichteten oder anderen kompetenten Stellen vorgelegt wurden. Sie hat die vorgelegten Zahlen stets unter dem Gesichtspunkt parteipolitischer Opportunität — vor allem auch in den letzten Tagen; auch heute wieder — ausgeschlachtet.
Das gilt insbesondere auch für die Frühjahrsgutachten der Forschungsinstitute. Ich glaube, daß das wohl erwiesen ist.Trotzdem sind rechnerische Annahmen dieser Art keineswegs überflüssig. Jedoch scheint zweifelhaft, ob ein fünfzehnjähriger Vorausberechnungszeitraum auf die Dauer auch unter sachlichen Gesichtspunkten sinnvoll ist.
— Ich glaube, daß das nicht sinnvoll ist,
weil ich davon überzeugt bin, daß ein 15-JahreZeitraum uns zwingt, papierene Defizite auch papieren auszugleichen, und zwar mit Gesetzesmaßnahmen, die im Augenblick, jedenfalls im Hinblick auf das Ende eines solchen 15-Jahre-Zeitraums, nicht in jedem Falle notwendig sind.
Wer die mit dem Rentenanpassungsbericht 1978 vorgelegten und die dem Entwurf eines 21. Rentenanpassungsgesetzes zugrunde liegenden Annahmen für unrichtig hält, meine Damen und Herren, der muß andere Zahlen vorlegen. Das heißt, die Opposition steht auch in diesem Punkte in der politischen Verantwortung. Wenn sie diese Zahlen kritisiert und anzweifelt, muß sie eine rechnerische Alternative vorlegen. Lediglich Befürchtungen oder Hoffnungen oder sogar wirtschaftspolitische Visionen, wie wir sie immer wieder hören — von Herrn Kollegen Franke heute wieder —,
den Berechnungen zugrunde zu legen, ist eine ganz und gar unsolide Art der Politik, Herr Franke. Dieser Zwischenruf hat mir bewiesen, wie unsolide das ist, was Sie hier machen!
Die Sozialpolitik, insbesondere die Rentenversicherung, braucht zumindest in einem überschaubaren Zeitraum Orientierungsdaten, auch wenn wir alle um die Problematik der wirtschaftlichen Annahmen wissen.Vom Konsolidierungsbedarf von 32 Milliarden DM gehen alle aus, die ernstgemeinte Konsolidierungsvorschläge unterbreitet haben — zu denen, wie gesagt, die CDU/CSU nicht gehört —, nämlich die Koalition und die Bundesregierung, der DGB, die DAG und der Sozialbeirat. Übrigens gehen auch die Sachverständigen, Herr Kollege Franke, von diesen Annahmen aus, wie ,die Anhörung im Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung gezeigt hat. Allein die CDU/CSU weigert sich, anzugeben, welche Annahmen sie den Vorausberechnungen zugrunde legen will. Sie weigert sich auch, anzugeben, wie hoch sie das Finanzvolumen schätzt, das in den nächsten Jahren konsolidiert werden muß.
— Damit können wir nicht viel anfangen, wenn Sie nicht — — — Na ja, aber ich will es mir noch mal überlegen!
— Man muß das ja nicht so übertreiben, wie er es in der Beziehung hier macht. Ich fühle mich da schon fast verfolgt!
Ich sagte, daß Sie sich, meine Damen und Herren von der Opposition, weigern, anzugeben, wie hoch Sie das Finanzvolumen schätzen, das in den nächsten Jahren konsolidiert werden muß. Zu dieser Schlußfolgerung müssen wir deshalb kommen, weil Sie bei Ihren Konsolidierungsvorschlägen auf hal-
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Glombigbem Wege stehenbleiben. Sie scheuen sich nicht, als einzigen Vorschlag den finanziell nicht ausreichenden Konsolidierungsabschlag von den Renten zu fordern. Ihnen fehlt deshalb jede Berechtigung, an den Grundannahmen, die unserem Entwurf zum 21. Rentenanpassungsgesetz zugrunde gelegt worden sind, herumzukritteln, wie Sie es ständig tun. Die CDU/CSU drückt sich, meine ich, um die sozialpolitische Verantwortung; denn sie geht von überhaupt keinen Annahmen bei dieser Diskussion und bei den Berechnungen aus.Daß die Opposition damit politisch weder bei den Gewerkschaften und den Verbänden noch bei den Rentnern einen Blumentopf gewinnen kann, — —
— Ja, wissen Sie, das war aber doch nicht der Ausdruck dessen, daß man mit Ihnen in einem Boot sitzt, sondern das war doch ebenso die Kritik an Ihren Konsolidierungsvorschlägen. Haben Sie die überhört? Vielleicht war die Gewichtung etwas unterschiedlich, weil wir die Regierungsverantwortung tragen
— natürlich —, aber klargemacht worden ist ganz eindeutig, daß Sie nicht den Mut gehabt haben, eine Beitragssatzerhöhung zu fordern, und deswegen Ihr ganzer Konsolidierungsplan, wenn es einer ist, überhaupt nicht zum Tragen kommen kann, weil die Hälfte oder ein Großteil des Konsolidierungsbedarfs überhaupt nicht gedeckt wird.
— Natürlich muß der so entstehen. Wenn Sie keine Beitragssatzanhebung fordern, Herr Kollege Hasinger, dann wird der Krankenversicherungsbeitrag um so höher sein müssen, weil Sie sonst einen Ausgleich nicht herbeiführen. Das ist doch völlig klar! Darum sagen wir ja immer, daß Ihr Konsolidierungsplan ein einseitiger ist, der nur zu Lasten der Rentner geht.
— Das wird dann der höchste Stand dieser Entwicklung sein. Es wird unsere Aufgabe sein, das den Rentnern klarzumachen. Hoffentlich sagen auch Sie es den Rentnern, auch die Verbände, die glauben, in einer solchen Situation gegen die Bundesregierung und die Regierungskoalition protestieren zu müssen. Es wird unsere Aufgabe sein, nun endlich einmal die Unzulänglichkeit Ihres Planes klar- und offenzulegen.
— Ja, sicher, weil das ein Faktum ist. Sie können es doch nicht widerlegen. Ich habe doch heute von Herrn Kollegen Franke dazu nichts gehört. Sie haben am letzten Dienstag zur Vorbereitung dieserPlenarsitzung den Versuch gemacht, aus dieser schrecklichen Ecke, in der Sie sich befinden, herauszukommen. Das ist Ihnen doch nicht gelungen, weil Sie dazu zu schwach sind, weil der Wirtschaftsflügel Ihrer Fraktion es nicht zulassen wird, daß Sie eine solche Entscheidung treffen. Dann wollen wir uns zu gegebener Zeit noch einmal darüber unterhalten, was hier Glaubwürdigkeit ist, von der Sie im Zusammenhang mit unseren Vorstellungen zur Rentenkonsolidierung immer sprechen.
Ich habe gesagt, Herr Hasinger, daß Sie eine der ersten Stimmen aus den Reihen der CDU/CSU zur Beitragssatzerhöhung sind. Sie haben das jetzt bestritten. Ich nehme das dankbar zur Kenntnis. Also Sie sind auch nicht für eine Beitragssatzerhöhung, wenn ich Ihre Erklärung hier richtig gedeutet habe. Dann bin ich früher von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Trotzdem sind wir, Herr Kollege Hasinger, auf Ihr Eingeständnis gespannt — wenn es kommen sollte —, daß alles das, was Sie bis heute vertreten haben, finanziell unzureichend und sozial unausgewogen ist; das wäre nämlich das Eingeständnis einer solchen Konzession zur Beitragserhöhung. Sollte die Opposition sich zu einer Beitragssatzerhöhung durchringen können, dann wird in der Offentlichkeit deutlich werden: sie ist dazu durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen zum 21. Rentenanpassungsgesetz gezwungen worden, natürlich auch durch die eindeutige Haltung der Gewerkschaften und der Verbände.
— Ihr Zwischenruf war wieder nicht gut, was? Ich finde auch, den sollte man streichen.Aber aùch der Sozialbeirat stimmt mit den Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung überein, daß die Renten in den kommenden drei Jahren nur in einem verminderten Umfang steigen können. Auch die CDU/CSU will eine Verminderung der Rentenzuwächse. Sie wollen es doch auch? Na ja, Sie möchten das ein bißchen verschleiern. Aber ich will Ihnen einmal ganz deutlich sagen, was Sie wollen. Sie sagen im Gegensatz zum Sozialbeirat und 'den Gewerkschaften allerdings nicht, wie hoch nach Ihren Vorstellungen der sogenannte Krankenversicherungsbeitrag sein soll. Ich habe es vorhin bereits einmal erwähnt. Deswegen müssen wir den Rentnern sagen, wie hoch der Krankenversicherungsbeitrag für sie werden würde, wenn Ihre Vorstellungen zum Zuge kämen. Das ist beträchtlich mehr als das, was wir den Rentnern auf Grund der wirtschaftlichen Entwicklung zumuten zu müssen glauben.
— Herr Franke, Sie lassen die Offentlichkeit undvor allem die Rentner deshalb darüber im unklaren,
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Glombigweil Sie bisher eine Beitragssatzerhöhung als Maßnahme auf der Einnahmenseite der Rentenversicherung abgelehnt haben.
— Aber Sie haben es doch versäumt, hier Pläne auf den Tisch zu legen, wie man das Ziel anders als mit den Mitteln erreichen kann, die die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen bis heute vorgeschlagen haben.
Wenn Sie auf diesem Gebiet so tüchtig sind, dann müßte man von Ihnen einmal etwas Konkreteres gehört haben, als nur einen Fetisch anzubieten.
— Das war eine bedeutende Sache, die inzwischen in Vergessenheit geraten ist. Ich werde das beim nächsten Mal mitbringen.
— Die Opposition ist nicht in der Lage, die Probleme, mit denen wir es hier zu tun haben, zu lösen.Ich sage noch einmal: Sie lassen die Offentlichkeit und die Rentner im unklaren. Die Opposition will die Konsolidierungslast allein auf die Schultern der Rentner abladen. Sie hat am 14. März ausdrücklich erklärt:Eine Erhöhung des Rentenversicherungsbeitrages als Sanierungsmaßnahme scheidet für die derzeitigen Finanzprobleme der Rentenversicherung aus.
— Dann müssen wir die holen; Sie werden uns dieses Geheimnis noch verraten.Die realen Zuwächse der verfügbaren Renteneinkommen müßten nach diesen Vorschlägen der CDU/CSU geringer ausfallen als nach den Vorschlägen im Entwurf eines 21. Rentenanpassungsgesetzes.
— Ich kann es nur immer wiederholen.In unserem Gesetzentwurf hingegen sind für die Renten feste Zuwachsraten vorgesehen. Diese Zuwachsraten von 4,5 °/o im Jahre 1979 und jeweils 4 °/o in den Jahren 1980 und 1981 bieten den Rentnern Sicherheit und Klarheit über ihre künftigen Rentensteigerungen. Die festen Zuwachsraten für die Renten in den nächsten drei Jahren sind derHöhe nach in etwa vergleichbar mit dem Anstieg der Nettoarbeitseinkommen der aktiven Arbeitnehmer, wie er sich nach den gegenwärtig geltenden Annahmen über die künftige wirtschaftliche Entwicklung voraussehen läßt. Diese enge Lohnbezogenheit wird durch die sogenannte Risikoabsicherungsklausel lediglich zusätzlich unterstrichen. Diese Klausel würde also überhaupt nur dann greifen können, wenn die Steigerung der Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer in zwei aufeinanderfolgenden Jahren jeweils um mehr als ein Viertel von den Annahmen der Bundesregierung im Jahresbericht 1978 abweicht. Im übrigen können wir davon ausgehen, daß der Bund der Solidargemeinschaft der Rentenversicherung gegenüber zuallererst in der Pflicht steht, bevor sonstige Maßnahmen erwogen werden, und zwar auch ohne Konkretisierung der Bundesgarantie.Meine Damen und Herren, Koalitionsfraktionen und Bundesregierung sind ihrer Verantwortung gerecht geworden und haben im Entwurf zum 21. Rentenanpassungsgesetz für die Jahre 1979 bis 1981 feste Rentensteigerungen von insgesamt 13 °/o vorgeschlagen. Der Opposition fehlt für eine solche klare Aussage der Mut. Sie ist ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden, obwohl sie immer wieder vorgibt, die Regierungsverantwortung in diesem Lande übernehmen zu können. Ich bin der Meinung, auch dieses Beispiel zeigt, daß sie dafür noch nicht reif ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich kurz auf jenen Teil der Ausführungen des Kollegen Franke eingehen, der sich mehr mit dem Bereich des 21. Rentenanpassungsgesetzes beschäftigte, und erst später auf .das eigentliche Thema von heute, nämlich die beiden vorliegenden Berichte.Ein wenig enttäuscht war ich über diese Debattenbeiträge, weil ich von der wohl naiven Auffassung ausgegangen bin, daß wir uns heute bei diesem wichtigen Thema nicht einen verdünnten Aufguß der Debatte vom 16. März leisten.
Mit einigem Erstaunen habe ich aber einige neue Feststellungen von dem Kollegen Franke hören dürfen und möchte auf diese vorab kurz eingehen.Sie, Herr Kollege Franke, haben mir — natürlich mit Hilfe der Mengenlehre; wie konnte es anders sein — Nachhilfestunden in der Frage zu geben versucht, wie diese 45 Milliarden zustande gekommen sind, um deren Aufklärung ich in meiner Zwischenfrage gebeten hatte. Ich halte mich in solchen Dingen an den alten Spruch meines Mathematikprofessors, der immer gesagt hat: Junge, bevor du dich ans Rechnen begibst, mußt du wissen, was
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Cronenbergdabei rauskommt. — Wenn sie sich an diese selbstverständliche Weisheit gehalten hätten, wären Sie mit Ihrer Äußerung etwas vorsichtiger gewesen.Ich habe versucht, das Protokoll zu bekommen. Ihr Ratschlag, es bei dem Kollegen Blüm zu holen, war ein vergeblicher — ob bewußt oder unbewußt —; er hat mir prompt den falschen Teil des Protokolls in die Hand gedrückt. Aber immmerhin, gewissenhaft wie ich bin, habe ich mich dann um das richtige Protokoll bemüht und werde, damit auch die übrigen Kollegen nicht aus dem falschen Teil des Protokolls ihre Informationen beziehen,
mit der freundlichen Genehmigung des Präsidenten aus dem richtigen Teil des Protokolls zitieren. Daselbst heißt es in bezug auf das von Ihnen angesprochene Problem, daß der Beitragseingang für die ersten drei Monate des Jahres 1978 um 6,7 v. H. höher liege als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum; selbst wenn man davon ausgehe, daß die ersten drei Monate nicht repräsentativ seien, würden die Anzeichen doch auf eine Bestätigung der Voraussetzungen hindeuten; eine Verringerung des Lohnzuwachses würde eine Verminderung der Beitragseinnahmen von jährlich 1 Milliarde DM ausmachen; bis 1982 würden sich demnach rund 5 Milliarden Mindereinnahmen ergeben, und dazu käme dann noch ein gewisser Betrag für die Zinshochrechnungen.Wenn ich also dies alles zugrunde lege, würde sich möglicherweise das Defizit um diese Beträge èrhöhen. Nur, Herr Kollege Franke, ich bitte, auch zur Kenntnis zu nehmen, daß den Konsolidierungsvorschlägen der Bundesregierung eben nicht die Höhe des Defizits von 32 Milliarden DM, das wir vorausberechnet haben, zugrunde gelegt worden ist, sondern daß wir eine echte Reserve — etwa in der Größenordnung von 38 oder 39 Milliarden DM — zugrunde gelegt und somit einige Sicherheitsfaktoren in diese — zugegebenermaßen mit einigen Risiken belastete — Rechnung eingebaut haben. — Ich werde auf diesen Punkt gleich noch näher eingehen, was mich nicht daran hindert, Ihnen eine Zwischenfrage zu gestatten.
Bitte, Herr Kollege.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Cronenberg, sind Sie in der Lage, mit den sachverständigen Beamten im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu errechnen, daß dann, wenn in den nächsten Jahren 1 % Entgeltsteigerung pro Jahr eintritt, dies eine Summe in der Größenordnung von 15 bis 20 Milliarden DM ausmacht, und glauben Sie, daß die wirtschaftliche Entwicklung in den nächsten Jahren Tarifabschlüsse von über 6 °/o ermöglicht?
Zunächst einmal werden Sie mir ja nicht verübeln, daß ich ein uneingeschränktes Vertrauen in die mögliche Wirtschaftspolitik eines liberalen Wirtschaftsministers wie des Grafen Lambsdorff habe und davon ausgehe, daß die Zahlen, die wir in den Berichten zugrunde gelegt haben, mindestens möglicherweise eintreffen.
Und — darauf werde ich gleich noch eingehen — für den Fall, daß sich die Dinge, bedingt durch außenwirtschaftliche Umstände, wirklich verschlechtern, haben wir sinnvoller- und richtigerweise entsprechende Risikoabsicherungen eingebaut.Lassen Sie mich nun, bevor ich auf die übrigen Themen eingehe, noch ein Wort zu dem Streit Ehrenberg/ Windelen/ Franke sagen. Die Erklärungen des Kollegen Windelen zur Selbstbescheidung im Bereich der Ausgabenpolitik haben selbstverständlich unsere uneingeschränkte Zustimmung gefunden, und das hier formulierte Angebot hat selbstverständlich unsere Zustimmung gefunden. Nachdem der Minister — wie ich meine, eindeutig — seine mißverständliche Interpretation hier zurückgenommen hat, wäre die Angelegenheit an sich erledigt gewesen.
— Mit großem Bedauern hier an diesem Platz! Er hat gesagt: ich werde das nicht wiederholen, wenn ich mich geirrt haben sollte. Das ist im Protokoll festgehalten worden und steht eindeutig fest.
Ihre Erklärung, verehrter Herr Kollege Franke, zu der Erklärung von Herrn Ehrenberg war dann ein echter Rückzieher und ein Dementi, und hiermit wird, glaube ich, Herr Kollege Windelen sehr viel mehr Sorge haben als mit den Erklärungen, die vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung abgegeben worden sind.Nun möchte ich auf den Debattenbeitrag des Kollegen Franke zu den übrigen Bereichen eingehen. Auch mir ist das Sprichwort „Die Wiederholung ist die Mutter der Weisheit" durchaus bekannt. Aber die Wiederholungen, die hier vorgetragen worden sind, sind keine Weisheiten,. sondern Nicht-Weisheiten gewesen und führen meines Erachtens nicht zu der Weisheit, die wir in diesem Bereich benötigen.Bitte, verehrte Kollegen, verübeln Sie es mir nicht, wenn ich mich zunächst an den Tagesordnungspunkt halte, der mit den beiden Berichten zusammenhängt. Denn der Rentenanpassungsbericht dient, wie es dieses Parlament beschlossen hat, der finanziellen Begründung der 21. Rentenanpassung und der Darlegung der längerfristigen finanziellen Perspektiven bis 1992.Die Interpretationen dieser Perspektiven sind es offensichtlich, die eine Ursache für unsere unterschiedliche Betrachtung und unseren gelegentlich harten Streit liefern. Offen gestanden: Ihr Verhal-
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Cronenbergten in dieser Angelegenheit ist seit 1975/76 konsequent inkonsequent.1975/76 bezweifelten Sie die Richtigkeit der Grundannahmen. Ich hoffe sehr, daß Sie dies nicht nur deswegen vorgetragen haben, um die Regierung in Verlegenheit zu bringen, sondern auch, um die nach Ihrer Auffassung richtigen Daten zur Grundlage der Entscheidungen zu machen — der notwendigen Entscheidungen, wohlgemerkt.Natürlich weiß ich nicht, woher Sie Ihre Weisheiten gewonnen haben.
Unterstellen wir mal, Herr Kollege Franke, es habe sich um eine kurzfristige Erleuchtung durch den Heiligen Geist gehandelt. Was aber war das Ergebnis dieser Erleuchtung? Etwa die Forderung nach einer Beschränkung der Ausgaben oder einer Erhöhung der Einnahmen? Nichts von alledem. Die einzige erkennbare, lauthals vorgetragene Antwort des CDU-Rentenkonzepts war nichts anderes als bruttolohnbezogener Erhöhungsfetischismus, garniert mit einem kleinen Krankenversicherungsbeitrag, und zwar nicht mit einem systematisch richtigen Krankenversicherungsbeitrag, wie wir ihn vorschlagen, sondern mit einem einfachen Rentenabschlag.Das Ganze lief unter dem Motto: Laßt uns mal machen. Denn wir machen natürlich die bessere Politik. Wir wissen zwar genau, daß die Einnahmen sinken. Aber ausgeben werden wir genauso viel wie die Koalition, oder noch mehr.Dies hat Ihr heutiger Debattenbeitrag, Herr Kollege Franke, bestätigt. Sie haben sich ja auf jene Bemerkungen in der Anhörung berufen, die von den Vertretern, die Sie genannt haben — Bundesbank, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften —, hier gemacht worden sind.Aber, Herr Kollege Franke, erinnern Sie sich freundlicherweise auch daran, daß unsere klare und eindeutige Frage „Ist denn das von der Opposition vorgelegte Konzept eher in der Lage, dieses Defizit abzudecken, das möglicherweise etwas höher wird?" ebenso klar, ebenso eindeutig und ebenso unmißverständlich mit einem klaren Nein beantwortet worden ist und dieselben von Ihnen zitierten Sachverständigen in eindeutiger Weise dieser Bundesregierung bestätigt haben, daß sie unter den gegebenen außenwirtschaftlichen Umständen nicht eine bessere oder andere Wirtschaftspolitik machen könnte.Bei diesem Sachverhalt Ihnen Gutgläubigkeit zu unterstellen, fällt selbst mir schwer, der ich, wie Sie wissen, immer bereit bin, der Opposition ehrenwerte Motive, gute Absichten und ehrliches Bemühen zu unterstellen.
In konsequenter Verfolgung dieser Ihrer 1975/76 vertretenen Position verhalten Sie sich heute genauso. Sie halten die Finanzierungslücke für größer als die Koalition. Sie lassen sich, wie Sie hier soeben nochmals gesagt haben, in der Anhörung bestätigen, daß — —
- Entschuldigung! Zu den Fragen der Wirtschaftspolitik und ihrer Möglichkeiten habe ich mich eben eindeutig geäußert. Ich bin nicht bereit, das zu wiederholen.
Dann kommen Sie, Herr Kollege Franke, mit einem Lösungsvorschlag, der noch nicht einmal die Hälfte des von uns vermuteten Defizits abdeckt, geschweige denn des von Ihnen vermuteten höheren Defizits. Eine solche Verhaltensweise kann man zurückhaltend nur als widersprüchlich bezeichnen.Bitte, vergegenwärtigen wir uns — noch einmal —, daß es sich bei den längerfristigen Perspektiven des Rentenanpassungsberichts um reine Modellrechnungen handelt. Der akute Konsolidierungsbedarf von zirka 32 Milliarden ist dagegen auf Grund der derzeitigen wirtschaftlichen Annahmen der Bundesregierung errechnet worden.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? — Bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Cronenberg, glauben Sie, wenn sich die Bundesregierung, insbesondere der Bundesarbeitsminister, innerhalb von zwölf Monaten um 30 bis 40 Milliarden DM verschätzt, daß dieses bei den zugrunde gelegten Zahlen für die nächste Zukunft nicht auch eintreten kann?
Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß sich weitere Korrekturen durch sich verändernde Vorgaben möglicherweise ergeben. Wie angedeutet, Herr Kollege Franke, haben wir deswegen, wenn Sie so wollen, eine gewisse Überkonsolidierung vorgenommen. Genau auf diesen Punkt möchte ich einmal zu sprechen kommen.Wir begrüßen es, daß in diesem Zusammenhang diesmal wie auch im vergangenen Jahr kein Widerspruch zwischen den Rentenversicherungsträgern, dem Bundesarbeitsminister, dem Bundesfinanzminister und dem Wirtschaftsminister besteht, was die Daten anlangt.
Die Daten wurden auf Grund der Sachverständigenerkenntnisse gewissenhaft erarbeitet. Dabei kann és sich aber nur um Prognosen handeln, die natürlich laufend den wirtschaftlichen Gegebenheiten angepaßt werden müssen. Wer will und kann denn schon die Lohnerhöhungen und die Beschäftigtenzahlen und damit das Beitragsaufkommen für 1982 genau hochrechnen und festschreiben?
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6922 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
CronenbergEine redliche Würdigung der Jahreswirtschaftsberichte muß meines Erachtens zu der Feststellung kommen, daß es sich um sinnvolle Hilfsmittel handelt, die zugegebenermaßen mit vielen Risiken behaftet sind. Konsequenterweise können aus solchen Prognosen keine klagbaren Ansprüche auf Rentenleistungen nach Heller und Pfennig abgeleitet werden. Dies muß deutlich gemacht werden, damit das törichte Gerede vom sogenannten Rentnerbetrug einmal aufhört.Damit ich nicht mißverstanden werde, Herr Kollege Franke: ich bin wohl der Meinung, daß Vorausberechnungen notwendig sind, sie sind ein sinnvolles Hilfsmittel. Verschlechtern sich aber die wirtschaftlichen Grundlagen, dann ist dies kein Betrug oder kein Betrugsversuch, sondern ein Alarmsignal für die Verantwortlichen, richtig und sozial ausgeglichen zu reagieren und zu handeln. Deswegen haben wir jeweils bei einer solchen Veränderung unmittelbar gehandelt. Das kann ich Ihnen versichern — egal, ob Ihnen das paßt oder nicht —: wir werden in Zukunft genauso verfahren. Dies ist die einzig mögliche und richtige Antwort auf unvermeidliche Risiken.Als Antwort auf diese Risiken gibt es für die Liberalen allerdings keine Patentrezepte. Deswegen lehnen wir Beitragserhöhungsautomatik ebenso wie Bruttoerhöhungsautomatik ab.
— Das wäre schön, ist aber leider nicht zutreffend, Herr Kollege Franke. Ihre Liberalität wird zwar gelegentlich verkündet, aber selten praktiziert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Verbesserung der Rentenleistungen
— ich zitiere, Herr Präsident —
ist in Zukunft nur dann gesichert, wenn die angestrebten gesamtwirtschaftlichen Ziele erreicht werden. Das Risiko wirtschaftlichen Vorausdenkens ist bei der überaus komplizierten Materie außerordentlich stark. Unsere Vorschläge im Bereich der Rentenversicherung sind wegen der Ungewißheit über die Entwicklung noch mit zusätzlichen Risiken behaftet.
Ich nehme an, daß die Opposition diesen Ausführungen beipflichten wird, denn sie stammten aus der Haushaltsdebatte 1968 vom Kollegen Franz Josef Strauß.
Wir sollten daher den Rentenanpassungsbericht als das betrachten, was er ist, nämlich ein sinnvolles, mit vorgegebenen Risiken behaftetes Hilfsmittel. Denaturieren wir uns doch nicht selbst zu Prognosefetischisten. So gesehen sind die Befürchtungen, die im Frühjahrsgutachten geäußert worden sind, für den Rentenanpassungsbericht sogar ein Stück Normalität. Mit vorsorglich vorgesehenen Beitragserhöhungen für 1981 und mit der Risikoabsicherungsklausel als Warngerät wollen wir diesen Unsicherheiten noch wirksamer begegnen, als es bisher möglich war. Ehrliche Darstellung der Risiken, realistische und sozial ausgewogene Lösungen zur Sicherung des Generationenvertrags sind Motiv und Grundlage dessen, was wir Ihnen vorgeschlagen haben. Sie werden Beitragszahlern und Rentnern in weitaus höherem Umfange gerecht, als einige Oppositionspolitiker und einige Verbandspolitiker der Offentlichkeit klarmachen wollen. Für die Koalition kann ich daher zum Schluß erfreulicherweise folgendes feststellen. Die Durchsetzung unseres Konzepts wird nicht durch eine praktikable Oppositionsalternative gestört, denn es ermangelt der• selben.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Ich schlage Ihnen vor, das Gutachten des Sozialbeirats auf der Drucksache 8/1665 dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend — und dem Ausschuß für Wirtschaft und dem Haushaltsausschuß — mitberatend — zu überweisen. Ich schlage ferner vor, den Rentenanpassungsbericht 1978 auf Drucksache 8/1615 dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, dem Ausschuß für Wirtschaft und dem Haushaltsausschuß — mitberatend — zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Einundzwanzigsten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie über die Anpassung der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung und der Altersgelder in der Altershilfe für Landwirte
— Drucksache 8/1734 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GODas Wort zur Begründung und zur Aussprache wird nicht begehrt, so daß ich Ihnen vorschlage, die Vorlage an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, dem Ausschuß für Wirtschaft, dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und dem Haushaltsausschuß — mitberatend und gemäß § 96 der Geschäftsordnung — zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr Punkt 6 der Tagesordnung auf:Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Barzel,Schmidhuber, Dr. Biedenkopf, Dr. Dollinger,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6923
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenDr. Narjes, Kittelmann, Pieroth, Dr. Unland, Dr. Köhler , Landré, Breidbach, Kiechle, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Kolb, Sick, Dr. von Bismarck und Genossen der Fraktion der CDU/CSUSektorale Strukturpolitik— Drucksachen 8/1397, 8/1607 —Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Wir stehen vor dem 1. Mai.
Die Gewerkschaften haben mit Recht zu Kundgebungen und Demonstrationen aufgerufen. — Herr Kollege Wehner, wir sind sicher beide der Hoffnung, daß es da etwas voller sein wird als hier. Dabei steht das Recht auf Arbeit als Forderung Nummer eins. Manch einer, sicher auch mancher Arbeitslose und mancher Rentner, wird sich erinnern, daß hierzulande 20 Jahre lang Vollbeschäftigung selbstverständlich war, daß man über Recht auf Arbeit nicht demonstrierte und zu Kundgebungen aufrief, daß niemand vom Recht auf Arbeit sprach, weil alle Arbeit hatten. Herr Kollege Wehner, dies hat eben alles mit Wirtschaftspolitik zu tun. Von der ist hier heute zu reden. Nach Ludwig Erhard kann man die Güte einer Wirtschaftspolitik besser an ihren Früchten als an ihren Sprüchen erkennen.
Die Ergebnisse der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung sind unzureichend, wie z. B. die andauernde Arbeitslosigkeit, die fortbestehende Sorge um die Renten, die doch eben deutlich geworden ist, und die ungenügenden Chancen junger Menschen beweisen. Keines dieser Probleme wird gelöst sein, selbst wenn, was kaum noch jemand erwartet, die Bundesregierung ihre subjektiv ehrgeizigen, aber objektiv ungenügenden Wachstumsziele für 1978 noch erreichen sollte.Trotzdem behauptet die Bundesregierung immer wieder, sie habe alles für .die Wirtschaftspolitik Erforderliche getan. Wir bestreiten dies und werden es heute dartun, indem wir sagen: Die Möglichkeiten der deutschen Wirtschaftspolitik für 1978/79 sind nicht voll ausgeschöpft.Vorausschauende, sektorale Strukturpolitik, das Thema, das den Einstieg in diese wirtschaftspolitische Debatte bietet, droht zu einem Modewort mit nebelhaftem, verharmlosendem Gehalt zu werden. Bald meinen einige damit lediglich die Wachstumsbedingungen, wie man das bisher etwas bescheidener genannt hat; bald verbirgt sich dahinter die Absicht, der Marktwirtschaft zugunsten einer neuen Planwirtschaft den Garaus zu machen; und bald wird dieses Modewort zum modernistischen Schutzvorhang, der schlechte Ergebnisse der Wissenschafts-, Wirtschafts- und Konjunkturpolitik verstecken soll.Wer sich um ursachengerechte, zielentsprechende und rationale Wirtschaftspolitik bemüht, der kann dieses Nebelfeld des Irrationalen nicht dulden. Auch deshalb stellen wir unsere Anfrage.Die Bundesregierung bezeichnet in der Drucksache 8/1471 diese „strukturellen Anpassungen" als Ursachen für das, was sie „sektorale Strukturpolitik" nennt: Wechselkurse, Rohstoffpreise, Energiekosten, Lohnkosten, Lohnkostenniveau, Produktion aus Entwicklungsländern, Technologischer Fortschritt, veränderte Nachfragestruktur. Reicht das für solche Überschriften aus? Hatten wir das nicht mehr oder weniger immer? Begleitet das eine dynamische Wirtschaft nicht eigentlich ständig, und hat nicht der Sachverständigenrat recht, wenn er sagt— ich zitiere —: Unsere Volkswirtschaft mußte „in den ersten beiden Jahrzehnten der Nachkriegszeit mit größeren strukturellen Problemen fertigwerden" als in jüngster Zeit. Hat er nicht auch recht, wenn er hinzufügt, das Tempo des Strukturwandels habe keineswegs zugenommen, und wenn er dann sagt — ich zitiere ihn nun wieder wörtlich —: Manche mit „Strukturen" begründete Sorgen schienen mehr „einem allgemeinen Unbehagen, einer allgemeinen Unsicherheit, möglicherweise auch dem Gefühl zu entspringen, unbekannten Aufgaben der Zukunft, wie sie der ganz normale Strukturwandel der Wirtschaft ständig mit sich bringt, weniger als früher gewachsen zu sein, als einem realen Problembefund" .So müssen wir aufpassen: Mit dem Wort „Strukturkrise" wird bei denjenigen draußen, die da nicht durchgucken, natürlich Angst erzeugt. Nachdem die „Weltwirtschaftskrise" als Ursache für alle Übel abgegriffen ist — die Weltwirtschaftskrise ist nach Meinung der Bundesregierung eigentlich an allem schuld: von den Renten über die Arbeitslosigkeit bis zu den geringen Chancen der jungen Generation, bis zur Reformunfähigkeit des Staates —, kommt nun die „Sektorale Strukturpolitik" als Nebelwand für neue Verschleierung der Wahrheit.
Manch faule Ausrede verbirgt sich hinter diesem gebildet erscheinenden Wort.
— Herr Jens, ich ahne fast, was Sie zurufen wollen.— Natürlich gibt es weltwirtschaftliche Einflüsse. Natürlich gibt es strukturelle Probleme. Wer will dies leugnen? Wir nicht. Natürlich gibt es da auch ein paar Probleme, die den sozialen und wirtschaftlichen Erfolg auch hierzulande beeinflussen; aber sie sind doch nicht an allem schuld, und vor allem entschuldigen sie nicht die wesentlichen binnenwirtschaftlichen und innenpolitischen Ursachen unserer Malaise, insbesondere die ordnungspolitischen Ursachen — und von denen wird hier heute zu reden sein.
Denn dies ist eine Malaise, und ich verstehe die Regierung nicht, die im Anblick von 1 Million Arbeitslosen im dritten Jahr, bei 2 Prozent Wachstum, bei ungesicherten Renten und nicht genügenden
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6924 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Dr. BarzelChancen der jungen Generation behauptet, sie habe alles ihr Mögliche getan.
Damit dies vollkommen klar ist und wir wirklich wissen, über was wir nachher streiten werden oder jetzt streiten, sage ich: Wir haben nichts gegen mehr Transparenz wirtschaftlicher Abläufe, nichts gegen die Transparenz von Umverteilung. Dazu hat mein Kollege Biedenkopf hier einmal eine bedeutende Rede gehalten.
— Er h a t sie gehalten, Herr Kollege Wehner. Möglicherweise ist dies an Ihnen vorbeigegangen. Das kann selbst bei größter Aufmerksamkeit passieren.
— Er wird nachher Gelegenheit haben, das wieder aufzufrischen. Da bin ich ganz sicher.Wir haben nichts gegen mehr Transparenz und mehr Information. Wir haben — dies sage ich ausdrücklich an die Adresse der Bundesregierung — nichts gegen Ex-post-Analyse, auch nichts gegen Ex-post-Analysen zu strukturellen Problemen, welche wissenschaftliche Institute im Wettbewerb zueinander aufstellen. Wir haben aber — dies muß hier gesagt werden — alles gegen amtliche Prognosen, die Dirigismus erzwingen. Niemand nämlich, verehrte Damen und Herren — dies ist unsere Erfahrung und unsere Überzeugung —, hat seine Augen und Ohren besser im künftigen Markt als das Unternehmen, das sich auf morgen in diesem Markt mit dem Produkt seiner Mitarbeiter erfolgreich behaupten will. Die genialste Behörde und der begabteste Politiker können nicht schneller und besser sein als der, der nicht nur alle Verästelungen des Marktes kennt und selber Neuerungen entwickelt, sondern auch zugleich das Risiko für sein Wagnis trägt.
Unsere Große Anfrage soll einmal die Bundesregierung veranlassen, hier ihre Vorhaben zur sektoralen Strukturpolitik öffentlich und verbindlich zu erklären. Sie hat zum anderen im Sinn, durch eine parlamentarische Debatte mehr Klarheit in ordnungs- und wirtschaftspolitischen Grundfragen zu gewinnen und schließlich von daher auch aktuelle wirtschaftspolitische Antworten zu geben.Ich verschweige überhaupt nicht, daß wir diese Große Anfrage — als ein Instrument der parlamentarischen Kontrolle — unmittelbar im Anschluß an die letzten Parteitage der beiden Koalitionsparteien beschlossen haben; denn wir meinten, daß vor allem hier im Deutschen Bundestag selbst solche Grundfragen erörtert werden sollten, und zwar mit festlegenden Aussagen, zumal wir uns der Einsicht nicht verschließen konnten — und es immer weniger können —, daß hier verschiedene Wahrheiten — je nach Zuhörern und Zweck — zur freien Verfügung ausgegeben werden. Wir haben leider feststellen müssen, daß Soziale Marktwirtschaft, die wir im Vollsinne unserer Definition gar nicht mehr haben, von einigen zunehmend als Mitursache für die unzureichenden wirtschaftlichen Ergebnisse dargestellt, ja sogar hier und da als Prügelknabe dafür mißbraucht wird.Wir hoffen, daß nicht nur die Bundesregierung die Erklärungen gibt, auf die wir warten, sondern wir sagen mit großem Freimut, daß uns vor allem die Erklärungen der beiden Koalitionsfraktionen, besonders die der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, sehr interessieren.Ich will gleich den Kollegen Wolfgang Roth direkt ansprechen. Ihm gebührt das Verdienst, ehrlich mitgeteilt zu haben, was mit Strukturpolitik, wie Sozialisten sie verstehen, wirklich gemeint ist. Ich zitiere Sie, Herr Kollege Roth, aus Ihrer Arbeit „Strukturpolitik und überbetriebliche Mitbestimmung" in dem Sammelwerk „Mitte links", 1977, Seite 77 ff.: Der Kollege Roth verwirft die Soziale Marktwirtschaft. Er fordert eine „staatliche Planung, die nicht nur als datensetzende Rahmenplanung zu verstehen ist". Das ist etwas Neues.Die „vorausschauende Strukturpolitik" — so sagt er — müsse die „Globalpolitik" ergänzen und diene weitgehend der „Beeinflussung der Investitionsabsichten und -maßnahmen". Die hierfür erforderlichen und vorgesehenen paritätisch mitbestimmten Gremien sollten „über einen eigenen Apparat verfügen können".So wie früher — vielen von uns unliebsam in Erinnerung — Herr Steffen auf dem steuerlichen Gebiet dafür plädiert hat, die „Belastbarkeit der deutschen Wirtschaft" zu erproben, so empfiehlt nun der Kollege Roth auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik und der Investitionspolitik ebenfalls eine Roßkur: Zur Investitionslenkung — so sagt er — müsse durch „politische Praxis als Lernprozeß" geprüft werden, „inwieweit die bestehenden Steuerungsinstrumente des Marktes und der staatlichen Intervention den anstehenden komplexen Problemen jeweils gerecht werden können". „Intervention" heißt das Wort. Das heißt: die Wirtschaft, die ohnehin über zuviel Steuern und Paragraphen und Genehmigungsvoraussetzungen klagt, soll nun noch einen Schlag auf den Kopf bekommen. Ich fürchte, Herr Kollege Roth: Sie walzen da etwas nieder, wo Sie morgen Blumen, Früchte und Ernte erwarten.Sie müssen mir dann schon erlauben, zu zitieren, was uns Karl Schiller am 17. Februar dieses Jahres hierzu mit dem Blick auf diese Debatte in Ihrer Partei, in der Offentlichkeit und im Blick auf die bevorstehende Debatte im Plenum zugerufen hat. Er rief uns zu — und wir machen uns dies zu eigen —: „Wehret den Anfängen!"Ob nun— so argumentierte er —sehr barsch von Investitionskontrolle gesprochen wird oder ob, milder ausgedrückt, von vorausschauender Strukturpolitik geredet wird, ... Es geht um die gleiche Chose: Für bestimmte neue Investitionen, für bestimmte neue Strukturen, für neue Produkte sollen die be-
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Dr. Barzelwährten Signale des Marktes abgeschaltet werden oder überhaupt abgeschafft werden.
— Gewiß, Herr Kollege — auf Ihren Zuruf hin —, es gibt jetzt auch als Ausnahme hie und da — das leugnet doch keiner — eine regionale Strukturpolitik. Es gibt für einzelne Sektoren eine Herausnahme aus der Sozialen Marktwirtschaft, z. B. von Anfang an für den landwirtschaftlichen Bereich. Aber es ist doch ein Unterschied. Ob ich das, was als Ausnahme hier und da für eine Zeit notwendig war, nun zur Regel mache und ob ich private Entscheidungen durch öffentliche Auflagen manipuliere. Das ist doch die Frage, vor der wir hier stehen. Und wir warten auf die Antwort, die hier gegeben werden soll.
Dieser öffentliche Eingriff, die Intervention, wie der Kollege Roth das ehrlich nennt, gefährdet doch die freie Gestaltung. Die Folge ist natürlich: noch mehr staatliche Genehmigungen, noch mehr Ämter, noch mehr Paragraphen, noch mehr Verzögerungen, noch mehr Investitionshemmnisse; auf der anderen Seite: weniger Kreativität, weniger Spontaneität, weniger Flexibilität und als Folge davon: weniger Arbeitsplätze, mehr Arbeitslose, weniger soziale Sicherheit, weniger Reformfähigkeit und weniger Chancen für junge Menschen. Das hängt doch alles miteinander zusammen.Es hängt alles ab von der Wirtschaftskraft. Das ist doch die Quelle, aus der die Steuern sprudeln wie die Vollbeschäftigung wie die Chancen der jungen Generation. Statt die Quelle freizulegen, kommen Sie her und wollen mit neuen Paragraphen diese Quelle weiter einengen. Sie wundern sich, daß auf diese Weise die Quelle versiegt. Wenn sie denn nicht genug Wasser gibt, klagen Sie noch die Quelle an, statt sich anzuklagen, daß Sie Dreck und Steine in die Quelle geworfen haben.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich zunächst wieder der Regierung zuwenden. Der Herr Bundeskanzler hat selbst unsere Neugier auf diesem Gebiet erweckt, als er am 16. Dezember 1976 in seiner Regierungserklärung die bekannte Passage — ich brauche sie hier nicht vorzulesen — zur Strukturberichterstattung und über Branchenanalysen aufstellte. Das war — gelinde gesagt — apokryph formuliert, es war offenbar eine Koalitionsformel. Hinter ihr konnte sich dieses wie jenes verbergen. Wir wurden ganz hellwach, als an dieser Stelle, was auch das Protokoll verzeichnet, nur die sozialdemokratische Fraktion, nicht aber auch die Fraktion der Freien Demokraten dem Kanzler Beifall zollte.Wir haben natürlich darauf geachtet, was auf diesem Gebiet weiter kam. Es kam der in dieser Frage dürftige Jahreswirtschaftsbericht 1977. So fingen wir — zuerst im Ausschuß — zu fragen an, was dieses ganze neue Instrument soll. Die Antwort — man darf das heute zitieren, weil das inzwischen alles öffentlich gesagt wurde — war, nicht die Bundesregierung, sondern wirtschaftswissenschaftliche Forschungsinstitute würden diese Arbeit im Wettbewerb zueinander übernehmen. Es handele sich um Ex-post-Analysen, nicht um amtliche Strukturprognosen. Man sei sich darüber klar, „daß die Strukturberichterstattung dann ein problematisches Instrument würde, wenn amtliche Strukturprognosen beabsichtigt werden".Soweit die Bundesregierung. Diese Antwort hat uns kurzfristig etwas beruhigt. Sie warf aber zugleich mittel- und langfristig neue Fragen auf. Der Parteitag der SPD legte dann natürlich diesen Koalitionsriß und diese fundamentale Frage für uns alle — und diese Frage ist entscheidend — auf den Tisch.Wir haben damals die Regierung angeregt, sie möchte doch ihre Vorhaben auch der Öffentlichkeit und dem Hause mitteilen. Das geschah dann im Jahreswirtschaftsbericht 1978. Wir erkennen dies an. Dieser lag uns freilich erst vor, nachdem wir unsere Große Anfrage eingebracht hatten.Nun haben wir diese beiden Papiere da. Wir müssen leider sagen: Dieses Ganze ist ausweichend, dieses Ganze ist nichtssagend. Es bestätigt deshalb in seinem Wortreichtum nur die Dringlichkeit unserer Initiative.Karl Schiller, um das noch einmal zu sagen, hat das alles, als er noch auf diesem Platz dort saß, präziser und verläßlicher formuliert. Er erklärte im Jahre 1968 zu einer damaligen Anfrage — Bundestagsdrucksache V/2469 — :In der marktwirtschaftlichen Ordnung hat der Unternehmer seine Entscheidungen selbstverantwortlich zu treffen: Seine Aufgabe ist es daher, Strukturveränderungen rechtzeitig zu erkennen und sich auf sie einzustellen ... Von der staatlichen Politik muß erwartet werden, daß sie den Strukturwandel erleichtert und fördert.Wir haben — der Kontinuität wegen — die Bundesregierung in unserer Anfrage als erstes gefragt, wie sie dazu stehe. Die Bundesregierung hat dazu ja gesagt. Bei der Beantwortung dieser Frage müssen die sozialdemokratischen Minister entweder körperlich oder geistig abwesend gewesen sein. Denn Sie als Partei haben auf dem Parteitag doch einen ganz anderen Beschluß gefaßt.Aber auch sonst kann die Bundesregierung insgesamt das nicht so ganz gemeint haben. Denn wie sonst könnte sie sich ganz konkret und prinzipiell auch sehr wohlwollend z. B. zu einer Brüsseler Initiative hinsichtlich Totaldirigismus im Schiffsbau positiv äußern, zu einer Initiative, die, wie alle, die das kennen, wissen, von amtlichen Auflagen alles und von privater Entscheidung nichts hält!Auch an anderer Stelle erweisen sich die Antworten der Bundesregierung mehr als ein Versuch, eine verschönte Fassade vorzuführen. So fragen wir z. B. in der Ziffer 4 nach Gefahren, welche die marktwirtschaftliche Ordnung sprengen. Die Bundesregierung sieht in ihrer Antwort keine — trotz der SPD-Beschlüsse, trotz anderer Erklärungen, z. B. im Ausschuß, über gefährliche Instrumente in diesem Zusammenhang.
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6926 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Dr. BarzelWir fragen dann unter der Ziffer 8 nach der Grenze zwischen Investitionslenkung und subsidiärer Strukturberichterstattung. Die Antwort ist ein reiner Verbalismus, eine Nicht-Antwort, ein Ausweichen, eine „Null-Ware", wie man in der DDR dazu sagen würde.Nur ein einziges Mal — bei Ziffer 17, Herr Bundeswirtschaftsminister — läßt die 'Bundesregierung erkennen, daß sie nicht alles von dieser Diskussion vollkommen übergangen oder verschlafen hat, daß hier der Marktwirtschaftler herausgefordert wird. Sie rafft sich zu der Kühnheit auf zu sagen — ich zitiere —:Sektorale Strukturprognosen sind daher im allgemeinen mit größeren Risiken verbunden als gesamtwirtschaftliche Prognosen.Das ist wenigstens ein zaghaft erhobener Zeigefinger. Aber für den Ordnungspolitiker, Graf Lambsdorff, ist das zu wenig! Warum eigentlich hat Ihr Vorgänger immer säuberlich zwischen Projektion und Prognose unterschieden? Er wollte nicht einmal die Prognose. Hier ist eine Veränderung auch bei Ihnen passiert, die wir festhalten.Die Antwort der Bundesregierung zeichnet sich durch Ausweichen, durch Verweise auf den Jahreswirtschaftsbericht, durch Nichtssagen, durch hinfällige Dürftigkeit aus. Hier hat sich, wenn ich das so sagen darf, Herr Bundeswirtschaftsminister, der Marktwirtschaftler in Ihnen wohl hinter dem Koalitionspolitiker versteckt, hier hat sich wohl, wenn ich das in Ihrem Wochenenddeutsch sagen darf, der „Schriftgelehrte" hinter dem „Pharisäer" zu verbergen versucht.
Der Parteitag der Sozialdemokraten, von dem hier die Rede war — wir hoffen, daß wir hier heute ein bißchen Klarheit diesbezüglich haben werden —, beschloß am 18. November 1977 nicht das, was zu diesen Fragen die hier erklärte Politik der Koalition und der Bundesregierung ist, sondern das, was man uns — durch dieselbe Bundesregierung — als ein „problematisches Instrument" bezeichnet und deshalb abgelehnt hatte, also: statt einer Ex-postAnalyse eine Prognose.Gegen diesen Beschluß wehrten sich nicht etwa die anwesenden Mitglieder der Bundesregierung. Im Gegenteil, sie führten diesen Beschluß selbst herbei. Denn er beruht, wie man in dem Parteitagsprotokoll unschwer nachlesen kann, auf einem Antrag des Parteivorstandes der SPD. Ich möchte gern diesen Beschluß im Zusammenhang und an Hand der verbindlichen Unterlagen in diese Debatte einfügen. Denn ich glaube, es hat nur Zweck, sich über verbindliche Aussagen zu unterhalten und nicht irgendwelche Popanze hier aufzubauen, damit wir dann auch wirklich wissen, wovon hier die . Rede ist.In dem Beschluß wird — warum, das kann ich hier im einzelnen nicht ausführen; das wird ja nachher noch kommen — eine „vorausschauende Strukturpolitik" gefordert. Es heißt dann: Globalsteuerung allein reiche nicht aus, es sei eine vorausschauende Strukturpolitik nötig. Diese könne nur betrieben werden, wenn die Quantität, Qualität und Zeitabfolge geplanter Investitionen durchsichtig seien.Um die Erfassung der Investitionen zu sichern, wird dann verschiedenes vorgeschlagen, u. a.: Meldepflicht für Investitionsplanungen, Meldepflicht für Personalplanungen.
Die Bundesregierung sei zu einer regelmäßigen — also amtlichen — Strukturberichterstattung zu verpflichten.
An anderen Stellen wird gefordert, sie solle Strukturprognosen abgeben. Dazu sei ein entsprechender Ausbau der Prognosekapazität erforderlich. Die Diskussion um die Investitionslenkung werde im Orientierungsrahmen 85 nicht abgeschlossen, sondern ihre Konkretisierung werde ausdrücklich gefordert. Hierzu gehöre eine Überprüfung der Steuerungsmöglichkeiten zur Orientierung und Bindung öffentlicher und privater Investitionsentscheidungen an gesamtwirtschaftliche und sozialpolitische Ziele.Man schlägt dann als eines der Mittel dazu — wir diskutieren hier ja fair, so denke ich — Verknüpfung von Subventionsvergabe mit Auflagen beschäftigungspolitischer Art vor; offene Subventionen statt Steuervergünstigungen; Weiterentwicklung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes durch Einführung des Strukturrats der öffentlichen Hand, einen Strukturrat der öffentlichen Gruppen. Dazu heißt es:Bessere Abstimmung zwischen staatlicher Wirtschaftspolitik und privaten Unternehmensplanungen. Für branchenspezifische Probleme können Ausschüsse gebildet werden. Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden durch Gewerkschaften und Verbände paritätisch vertreten.Verehrte Damen und Herren, wenn das deutsche Wirtschaftspolitik würde, was hier in diesem verbindlichen Antrag, der nicht auf Grund eines Zufalls zustande gekommen ist, sondern der von der sozialdemokratischen Führung — nach jahrelanger gedanklicher Vorbereitung auch durch Wolfgang Roth — herbeigeführt worden ist, müßten Sie sich darauf einrichten, an den Tagen des 1. Mai von nun an immer über mangelnde Vollbeschäftigung und über Recht auf Arbeit zu debattieren, denn dieses würde in die „andere Republik" führen; weg von der Sozialen Marktwirtschaft hin zu einem geplanten und gegängelten öffentlich bestimmten Ablauf unserer Wirtschaft. Dieses, verehrte Damen und Herren, hätte die Folgen, von denen ich sprach.
Woher — so frage ich Sie — nehmen Sie den traurigen Mut — das müßte die Debatte eigentlich doch ergeben —,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6927
Dr. Barzelin dieser Zeit, in der fast alle Unternehmen über zu viele fremdbestimmte Daten klagen, über Daten, die die Entscheidungsfreiheit unserer Unternehmen zu ersticken drohen; in der fast alle die Schwächung des Wettbewerbs durch die Vernichtung der Zahl der Wettbewerber beklagen; in der fast alle — nun auch der Kanzler — über politische Hemmnisse gegen Aufschwung und Vollbeschäftigung sowie über ein Zuviel an Ungewißheit bei Zukunftsplänen klagen; in der bei sehr vielen die Erkenntnis wächst, nicht mehr Staat, sondern mehr Markt, nicht mehr Behörden, sondern mehr Freiheit, nicht mehr Paragraphen, sondern mehr Wagnis, mehr Vertrauen, mehr Leistung seien geboten, — woher nehmen Sie in dieser Zeit den traurigen Mut, das Gegenteil des Notwendigen zu tun und die Übel, die wir schon haben, noch zu potenzieren und zu vermehren, indem Sie hier solche Anträge stellen?
Die Arznei, die Sie hier verordnen, verschlimmert doch alles. Jemandem, der schon eine Kreislaufschwäche hat, soll vielleicht noch eine Lungenentzündung beigebracht werden. Sie wollen das nicht, aber Sie werden das durch diesen realitätsfernen Antrag, sollte er je die Zustimmung der Wähler erhalten, erreichen.Es hat doch nicht die marktwirtschaftliche Ordnung versagt, vielmehr hat man diese zunächst überfordert, dann behindert und scheibchenweise abgebaut. Wir haben das hier in Debatten dargetan — ich will das nicht wiederholen —, der Sachverständigenrat hat das bestätigt. Ich denke, jeder praktische Blick quer durch die Industrienationen genügt doch, um zu belegen: je mehr Eingriffe, je mehr Gängelei, je mehr Dirigismus, desto geringer der wirtschaftliche und soziale Ertrag.„Bremsklötze weg", wäre — wie wir meinen — die richtige Politik. Statt dessen vergrößern Sie und zementieren Sie diese Eingriffe. Neue Ämter sollen noch mächtiger werden, neue Formulare und Genehmigungen werden Initiativen erdrosseln. Wachsen werden die Behörden, wachsen wird nicht die Wirtschaftskraft. Dabei ist doch — wenigstens nach meiner Meinung — die Grenze des Wachstums an Eingriffen, von Vorschriften erreicht, wenn die Quantität der Normen und Ämter und Auflagen nicht in die Qualität des Erstickens der wirtschaftlichen und sozialen Freiheit umschlagen soll.
Ich finde Ihren Mut, gegen diese Erkenntnis, gegen den Rat der Erfahrung zu handeln, eigentlich fatal. Ihr Konzept ist — so auch die „Süddeutsche Zeitung" — „gefährlich und fortschrittsfeindlich". Dieses ist eine Politik des Mißtrauens gegen freie Entscheidungen, denn das ist doch der anthropologische Bezug, der Ihnen überhaupt erst den Zugang zu dieser Politik verschafft,
weil Sie empirisch doch nicht dartun können, daß irgendwo dort, wo man noch mehr plant, noch mehr gängelt, noch mehr privates Recht durch öffentliches Recht zurückdrängt, bessere Erfolge hat. Das kommtdoch aus der anderen Kiste. Wenn Sie diese Politik des Mißtrauens gegen die freie Entscheidung betreiben — ich bin einmal gespannt, was der Bundeswirtschaftsminister dazu sagt, falls er überhaupt etwas dazu sagt —, dann behindert und verhindert das natürlich Investitionen. Das hemmt Beweglichkeit, Modernität und Anpassung. Das vermehrt die Kosten und vergrößert mit der Arbeitslosigkeit die soziale Unsicherheit. Auf diese Weise werden Sie Fortschritt und Wandel aufhalten. Auf diese Weise werden Sie Kräfte, Arbeitskräfte und Geld, da binden, wo es für morgen keinen Ertrag bringt, Sie werden es an gestern binden.Der Sachverständigenrat — auch hierzu ist er zu zitieren — sagt doch mit Recht — ich zitiere ihn —:Strukturpolitik läuft Gefahr, zu einem Instrument der Strukturerhaltung zu werden. . . Die sektorale Strukturpolitik, die in der Bundesrepublik Deutschland bisher betrieben wurde, trägt überwiegend dirigistische und konservierende Zuge. . . Die Mehrheit der Maßnahmen verfolgt das Ziel, die Einkommensniveaus und die Beschäftigung in Bereichen zu verteidigen, die durch die Marktkräfte gefährdet sind. . . Den Kosten, die den Steuerzahlern und Verbrauchern daraus erwachsen, stehen längerfristig keine volkswirtschaftlichen Gewinne gegenüber, eher Nachteile für Effizienz und Wachstum.Wenn wir nun über Abbau von sozialer Marktwirtschaft diskutieren, dann haben wir hierfür einen hervorragenden Zeugen, und er wird wissen, daß ich ihn darauf anspreche, nämlich den Bundeswirtschaftsminister selbst, der ja an dieser Stelle am 20. Januar 1977, noch nicht im jetzigen Amt, aber ich nehme an, es ist seine Meinung geblieben, denn er hat ja selbst auf die Kontinuität der Amtsführung und der Aussagen hingewiesen, gesagt hat — ich zitiere ihn —:In den letzten 10 bis 12 Jahren haben wir zuviel an marktwirtschaftlichen Einrichtungen, an marktwirtschaftlichen Funktionsabläufen demontiert, sie manipuliert, in sie eingegriffen.
Hören Sie noch einen anderen Herrn, der sicherlich auch den Freien Demokraten nicht ganz unbekannt ist, nämlich Herrn Professor Stützel, dazu. Ich zitiere ihn auch mit zwei Sätzen:Die Auffassung, wir hätten besonders große Strukturprobleme, beruht auf einer optischen Täuschung: Nicht die Anpassungsaufgaben sind im Übermaß vergrößert, die Mechanismen zur Lösung dieser Aufgaben, das freie Spiel von Preisen und Löhnen, ist an allzu vielen Stellen verklemmt worden.Soweit Herr Stützel.Wir fragen den Bundeswirtschaftsminister, wir fragen den Kollegen Graf Lambsdorff: was hat er eigentlich getan aus dieser Einsicht, was konkret, was schlägt er vor, um diesen Abbau marktwirtschaftlicher Mechanismen, von dem er selber spricht, diese Manipulation, diese Dirigierung wieder zu beenden?Ich räume Ihnen ein, daß Sie es da schwierig haben, denn der Bundeskanzler hat doch gleich drei-
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6928 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Dr. Barzelmal, nämlich am 6. Oktober, von dieser Stelle hier die „Soziale Marktwirtschaft" für ein Schlagwort erklärt — im Vorgelände zu Ihrem Parteitag. Herr Eppler — wir haben das hier früher erörtert — will doch, daß der Staat bestimmt, welche Wirtschaft wo und wann und wie wachsen soll und welcher Energiebedarf dem dann angemessen ist. Das haben wir in einer früheren Debatte erörtert. Der Parteivorstand der SPD glaubt, „das Steuerungsinstrument Markt" — so wörtlich — „reicht ohne Planung und Lenkung nicht aus. Deshalb kann die Entwicklung zukunftsträchtiger Branchen oder die Schrumpfung bestimmter Produktionen nicht allein den Marktkräften überlassen bleiben." Stellen Sie sich vor, wir hätten mit dieser Politik nach dem Kriege angefangen, dann wäre z. B. unsere Computerindustrie jetzt nicht imstande, sich im Weltmarkt gut zu behaupten, sondern sie wäre wahrscheinlich in den Zahlen, über die Herr Grüner uns hinsichtlich der Luftfahrtindustrie hier ebenso kostspielige wie schmerzliche Auskünfte geben könnte.
Nun frage ich Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, sehr direkt und konkret, anspielend auch auf den Satz Ihres Bundeskanzlers, der gesagt hat: „Unsicherheit ist Gift", ich frage den verantwortlichen Bundeswirtschaftsminister, ob er diese ganzen Pläne, die nun landauf, landab erörtert werden, diese neuen Instrumente, dieses Abgehen von Sozialer Marktwirtschaft, ob er dies als eine Förderung oder als eine Hemmung von Investitionen und in deren Folge als eine Förderung etwa des Abbaus von Arbeitslosigkeit betrachtet. Verehrte Damen und Herren, auf diese Antwort warten wir.Wir wissen, und ich sage dies noch einmal: Soziale Marktwirtschaft, solange es sie gab, war sicherlich das beste und erfolgreichste System, was man sich vorstellen kann. Ich möchte in diese Debatte, in dem Versuch, daß doch in dieser Debatte vielleicht der eine oder andere nachdenklich wird, ein Zitat von Herrn Hajek einführen, das auch keiner wird bestreiten können. Er definiert das marktwirtschaftliche System in seinem Vorteil gerade damit — ich zitiere ihn wörtlich —, daß dieses System erlaube, „Millionen einzelner Fakten und Wünsche zu herücksichtigen, weil es mit Tausenden von feinen Fuhlern jeden Winkel und jede Ritze der Wirtschaftswelt auslotet" und „die ständig auf den neuesten Stand gebrachten Informationen über die sich ständig ändernden relativen Knappheiten" erbringt. Das ist doch einfach wahr.Keine Behörde, Herr Kollege Roth, verehrte Damen und Herren, kann das doch ersetzen. Jede Behörde mit den begabtesten Beamten muß sich im Rechtsstaat nach Vorschriften richten, Vorschriften, die die Summe der Erfahrung von gestern sind. Unternehmerische Entscheidung ist Wagnis in die Zukunft, die man noch nicht mit der Erfahrung belegen kann. Dies sind zwei verschiedene Schuhe. Beides braucht der Rechtsstaat. Aber wenn Sie beides so miteinander verknüpfen, wenn sie das eine unter die Käseglocke des anderen packen, kann dabei nichts Vernünftiges herauskommen.
Deshalb gehört das eben auch in die aktuelle wirtschaftspolitische Debatte, die zu führen wir ja auch nach dem Frühjahrsgutachten wohl allen Anlaß haben. Sie werden ja sicher, Herr Bundeswirtschaftsminister, dazu etwas sagen. Ich glaube — ich sage dies mit großem Nachdruck und hoffe, daß man das in künftigen Debatten nicht immer wieder wird wiederholen müssen —, das erste was zu tun ist, ist: Soziale Marktwirtschaft wiederherzustellen, ihre Dynamik ins Spiel zu bringen. Diese Voraussetzung ist unerläßlich. Denn natürlich ist es so, daß ein ganzer Teil Ihrer Programme mit vielen Milliarden, auch ein Stück von Steuersenkungen, nicht so gegriffen hat, wie Sie sich das vorgestellt haben, weil sie eben in einer Luft von Mißtrauen und von Ungewißheit stattgefunden haben, weil sie Hand in Hand mit Schritten gegangen sind, die, wie der Bundeswirtschaftsminister sagt, hier Soziale Marktwirtschaft abbauen.Deshalb sagen wir noch einmal, alle unsere Vorschläge, auch die, die wir etwa zur Steuerpolitik machen, haben natürlich einen Sinn im Rahmen einer Gesamtpolitik, die wieder Vertrauen und Verläßlichkeit gibt und zur Sozialen Marktwirtschaft zurückkehrt.
In dieser Situation, verehrte Damen und Herren, wo Sie doch auf diesem Gebiet Vertrauen verloren haben, können Sie doch, wenn ich ein Bild gebrauchen darf, Herr Kollege Wehner, beinahe in einer offenen Kutsche durchs Land fahren und Goldstücke unter die Leute werfen. Ich glaube, die Leute würden sich nicht bücken, weil sie dies für Blech halten würden.
Diese Politik — ich sage das auch an die Adresse des Bundeswirtschaftsministers mit dem Blick auf das, was uns in Bonn im Sommer bevorsteht — ist ein ganzes Stück unerträglich: Wenn die Amerikaner uns sagen: Tut etwas für Wachstum! und wir sagen: Können wir nicht! und wenn Sie dann den Amerikanern sagen: Tut etwas für den Dollar! und sie zunächst auch sagen: Können wir nicht: Jetzt fängt das ein bißchen besser an.Sollte man nicht darüber nachdenken, daß man — auch um dieser Diskussion willen, aber auch wegen der Renten und der Arbeitslosen — den Mut haben sollte, das zu tun, was in der Bundesrepublik Deutschland ursachengerecht wäre? Wir haben doch hier nicht ein quantitatives Problem der Ökonomie, wir haben doch nicht zuwenig Verschuldung des Staates, nicht zuwenig Staatsaufgaben. Das haben wir doch alles eher übertrieben. Das, was hier vorliegt, ist vielmehr ein qualitatives Problem. Sie würden es vielleicht Verbesserung der Rahmenbedingungen nennen. Lassen wir uns nicht über das Wort streiten. Das Problem ist doch nicht, daß wir
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6929
Dr. Barzelhier noch mehr Wasser durch den Gartenschlauch an die Blätter des Baumes bringen, sondern wir brauchen Dünger an die Wurzeln. Wir haben Substanzprobleme. Die Volkswirtschaft muß von innen gestärkt werden.
— Nun rufen Sie mit Recht: Steuersenkung. Jawohl, Herr Kollege, Sie haben vollkommen recht, dauerhafte Senkung der Steuern, um hier wieder etwas zu erreichen. Ich lade Sie ein — das ist nicht mein erster Punkt, aber ich nehme es jetzt vorweg —, Herr Kollege Roth, an dieser Stelle nicht statisch, sondern dynamisch zu denken. Das, was Sie heute an Wirtschaftskraft nicht fördern, fehlt Ihnen doch morgen wieder in der Steuerkasse. Hier muß doch endlich einmal der Anfang für etwas Vernünftiges und Dynamisches gemacht werden.
Ich hätte aber gern als ersten Punkt — dies war mein zweiter Punkt — Ihnen gern den Abbau politisch bedingter Hemmnisse genannt, die gegen Investition und Wachstum wirken. Dazu hat in der anderen Debatte mein Kollege Franke ja einiges gesagt. Die Bundesregierung kann doch hier nicht herumlaufen und sagen: 25 Milliarden, andere sagen, 40 Milliarden im Jahr sind wegen solcher Hemmnisse nicht investiert worden. Die Hemmnisse haben sich doch nicht selbst ernannt, die Beamten doch auch nicht. Die sind doch Folgen von Politik. Wenn ich sehe, was diese Bundesregierung bisher an Papieren dazu produziert, dann ist das doch dürftig. Dann ist doch Fehlanzeige, weil es an den Ursachen liegt — da nehme ich gar keinen aus —, nämlich zu viele Gesetze, Verdreifachung des Umfangs des Bundesgesetzblatts seit 1969. Das kann den' Bürgern nicht bekommen. 130 unentgeltliche Dienstleistungen macht ein Handwerksbetrieb im Jahr für den Staat. Auch das kann nicht bekommen. Weg mit politisch bedingten Hemmnissen! Ich glaube, das ist dann eine Entscheidung in Ludwig Erhardscher Dimension. Etwas anderes wird hier gar nicht möglich sein.Es ist notwendig, die Anreize zu verstärken, sich selbständig zu machen. Da wird der Bundeswirtschaftsminister kommen und sagen: „Das machen wir doch schon." Wir werden darüber zu debattieren haben, wenn wir das Mittelstandsförderungsgesetz konkret beraten.
— Das eine Fülle von anderen Vorschriften entbehrlich machen wird, Herr Kollege Reuschenbach,
wenn wir miteinander ein vernünftiges Gesetz machen. Ich denke, wir sind auf dem Wege dazu. Ich will das hier jetzt nicht etwa verbauen.
Das vierte ist die Hilfe für Forschung und Innovation. Ich kann das nicht im einzelnen ausführen, sondern will nur noch einmal sagen: Z. B. in diesen vier Punkten wird deutlich, daß die Möglichkeiten der deutschen Wirtschaftspolitik für 1978 und 1979 nicht voll ausgeschöpft sind, weshalb sich die Folgerungen im sozialen Bereich ergeben, wie ich das betonte.Verehrte Damen und Herren, vielleicht — und ich räume dies ein — sind die Möglichkeiten der Koalition erschöpft. Wir sehen immer mehr, daß kleine Gruppen ideologische Indoktrination betreiben und die Skala des Handelns, die der Kanzler hat, einengen. Ich will ihn deshalb nicht in Schutz nehmen, er muß sich eben durchsetzen gegen diese Gruppen, — ob sie nun beim Terrorismus oder bei der Steuerpolitik oder in anderen Fragen Tabuerklärer sind. Mit den objektiven Möglichkeiten stimmen aber die Möglichkeiten der Koalition nicht überein. Ich habe vier Punkte genannt, die auf diesem Gebiet zu den objektiven Möglichkeiten gehören.Indem Sie, verehrte Damen und Herren auf dieser Seite, diese Übel vermehren, statt sie zu mindern, tragen Sie zu den Ergebnissen bei, die Sie nicht wollen. Ich sage ja nicht, daß Sie Arbeitslosigkeit wollen, daß Sie dies alles wollen, aber Sie führen sie herbei, indem Sie unsere Wirtschaftspolitik Schritt für Schritt auf den Kopf stellen. Das muß man Ihnen hier sagen. Sie bewirken, was Sie beklagen.
Die Koalition wird an dieser Stelle noch tünchen können, wird flicken können, sie wird es nicht in Ordnung bringen können, weil das ein ordnungspolitischer Konflikt ist, über den andere Redner von uns weiter sprechen werden.Ich glaube, an dieser Stelle, mindestens an dieser Stelle, ist klar: Die Opposition hat eine Alternative— es mag nicht die Ihre sein —, aber wir sagen ausweislich von Erfahrung und Geschichte: Es ist die bessere Politik, und wir werden dafür antreten.Ich sprach zu Beginn vom 1. Mai. Zum Schluß möchte ich einen anderen Hinweis geben: Wir werden bald, am 20. Juni, erleben, daß es Worte zum dreißigsten Jahrestag der D-Mark, der Währungsreform regnet. Das könnte einen Sinn haben, wenn dann über gesellschafts- und wirtschaftspolitische Grundfragen und Voraussetzungen nachgedacht würde, wenn z. B. klar würde, daß vor die Vollbeschäftigung, vor die soziale Sicherheit, vor die Reform, vor den Fortschritt unerläßlich die richtige Wirtschaftspolitik als die Voraussetzung des sozialen Ertrages zu setzen ist. Ich denke, es wird erlaubt sein, hierzu am Schluß aus dem berühmten Streitgespräch zu zitieren, das Nölting — er war der Einladende — damals mit Erhard hatte. Das scheint mir nachdenkenswert zu diesem 1. Mai wie zum kommenden 20. Juni.
— Den kann man zitieren, das tun Sie auch ganz gerne, und Sie wären froh, Sie könnten ihn so unbeschwert zitieren wie dieser Teil.
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6930 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Dr. Barzel— Herr Kollege Wehner, Sie verbreiten hier Märchen, von denen Sie wissen, — —
— Ich freue mich ja, — —
— Für dumm habe ich Sie nie gehalten. Eigentlich, Herr Kollege Wehner, nachdem Sie mit dieser Methode der Lautstärke in Ihrer eigenen Fraktion keinen Erfolg mehr haben, verstehe ich, daß Sie es hier versuchen. Doch: Hier haben Sie, bei mir, auch keinen Erfolg damit, Herr Kollege Wehner.
— Nun bin ich da wenigstens doch noch eins raufgekommen.Ich war dabei, und das störte den Kollegen Wehner, und deshalb sage ich es noch einmal mit aller Ruhe, den Kollegen Erhard aus dem Streitgespräch mit Nölting zu zitieren. Er hat recht geraten: es ist erneut an der Zeit, diese grundsätzliche Debatte zu führen, und deshalb dieses Zitat:Je stärker der staatliche Eingriff in die Wirtschaft ist, je mehr der Staat durch die Mittel der Planung und Lenkung glaubt, die Dinge zum Besseren wenden zu können, desto ungünstiger werden sie tatsächlich für das Arbeitseinkommen.Das war sein Maßstab! Und er sagt weiter, der Staat müsse „die Wirtschaft dorthin führen, wohin er sie bringen muß", nicht „am Gängelband", sondern „durch Eröffnung von Chancen", auch durch „Setzen von Barrieren", aber „immer in freier Entscheidung" ; nur das sei die Ordnung, die zu freien Menschen und zu freien Persönlichkeiten passe und führe.Ich glaube, das sollte eigentlich nicht nur in Sonntagsreden von allen beschworen werden, sondern in Werktagsarbeit umgesetzt werden, damit wir — spätestens am 1. Mai des nächsten Jahres - zu besseren sozialen Ergebnissen kommen.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Darf ich, Herr Präsident, mit einem Zitat beginnen:Man dürstet nach Gehalt, man sehnt sich nach Inhalt, nach Begründung. Man hat Hunger nach Vertrauen. Man will es ja so gerne schenken, aber wem und wozu?„Auf dem Drahtseil", Seite 19, Verfasser: Rainer Barzel.
Verehrter Herr Kollege, nach dieser. Rede kann ich die Frage jedenfalls nicht damit beantworten, daß man Ihnen dieses Vertrauen schenken sollte oder schenken müßte.
— Es kommen noch ein paar Zitate, keine Sorge. Das ist eine unerschöpfliche Fundgrube.Meine Damen und Herren, der Kollege Barzel hat es für richtig befunden, der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Opposition hinfällige Dürftigkeit zu bescheinigen;
sie sei ausweichend, nichtssagend und durch Wortreichtum gekennzeichnet.
Dies, Herr Kollege Barzel, ist ein ungerechtes und sachlich unzutreffendes Urteil. Ich gebe zu, daß wir uns darum bemüht haben, eine so knappe, so kurze und wenig wortreiche Darstellung wie nur irgend möglich zu liefern. Meine Bedenken richteten sich in der Tat darauf, daß die Kritik käme, dies sei zu kurz, zu apodiktisch und nicht ausführlich genug
Zum zweiten behaupten Sie, Herr Kollege Barzel— ich will das nicht persönlich nehmen —, der Marktwirtschaftler Lambsdorff verstecke sich hinter dem Koalitionspartner. Ich nehme das deswegen nicht persönlich, weil Sie im gleichen Atemzuge vortrugen, die SPD-Kollegen im Kabinett müßten wohl sämtlich abwesend gewesen sein, als diese im wesentlichen marktwirtschaftliche Antwort verabschiedet worden sei. — Das paßt nicht ganz zusammen, und ich glaube, Sie wissen von mir, daß ich nicht die Absicht habe, mich hinter irgend jemandem oder hinter irgendwas zu verstecken.Im übrigen, meine Damen und Herren, finde ich es fehl am Platze, daß wir hier eine Diskussion führen, die wir wohl besser auf Podiumsveranstaltungen und Foren der drei Parteien miteinander zu führen hätten,
mit anderen Wortei, daß wir hier im Bundestag eine Diskussion über Parteiprogramme veranstalten, statt eine Diskussion über das zu führen, was Ihnen auf Ihre Große Anfrage von der Bundesregierung als Antwort gegeben worden ist.
Aber ich muß gestehen, es wäre für mich schwierig, in der Programmdiskussion bei Ihnen anzusetzen. Ich könnte Ihnen von Herrn Stützel und seiner Einflußnahme auf die Kieler Thesen und von was weiß ich sonst noch berichten; das alles wissen Sie sehr gut. Nur finde ich bei Ihnen nichts Rechtes, Herr Barzel. Da gibt es immer noch das vorläufige Ergebnis des Grundsatzforums Berlin. Und wie ernst Sie diese Fragen nehmen, wie ernst der Bundesvorstand und das Präsidium der CDU diese Fragen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6931
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffnehmen, hat ja der gestrige Bericht über die Klausurtagung in der „Welt" deutlich gemacht: 8 von 32 sind noch dagewesen, darunter 2 Präsidiumsmitglieder; die übrigen hatten das Weite gesucht. Tun Sie doch nicht so, als würden Sie diese Fragen so vital interessieren, wenn Sie in Ihrer eigenen Partei nicht einmal in den Führungsgremien die Kraft finden, darüber zu diskutieren oder wenigstens dazubleiben!
Hier geht es nicht um einen Wettstreit über Parteitagsreden und Programmreden, sondern hier geht es um die tatsächliche Politik der Bundesregierung. Und diese Politik ist und bleibt unverändert marktwirtschaftlich. Sie wird es auch in dieser Koalition bleiben.Wenn schon gestritten werden muß — und dazu bin ich jederzeit bereit —, dann sollten wir lieber über konkrete politische Entscheidungen streiten, aber nicht über bloße Worte und Formulierungen, noch dazu über solche, zu denen Sie sich in Ihrer eigenen Partei bisher nicht bekennen und durchringen konnten.
In den Antworten zur Großen Anfrage und im Jahreswirtschaftsbericht 1978 hat die Bundesregierung ihre Strukturpolitik noch einmal skizziert: Die Steuerung der Wirtschaftsstruktur erfolgt grundsätzlich über die Marktkräfte und die staatlichen Rahmenbedingungen. Diese Grundkonzeption ist auch Bestandteil der Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976, die Sie zitiert haben, Herr Kollege Barzel. Sie gilt unverändert. Daß diese Politik zukunftsorientiert sein muß und zukunftsorientiert ist, darüber werden wir in diesem Hause sicher nicht zu streiten haben.Ich gestehe ganz offen, daß ich selber mich mit dem Gebiet der Strukturpolitik in den früheren Jahren nicht so recht befreunden konnte. Aber es geht nicht, daß wir uns, wie die kleinen Kinder es tun, die Hände vor die Augen halten und dann annehmen, es gebe gewisse Tatsachen nicht. Es gibt das Problem der Strukturpolitik — auch dann, wenn Marktwirtschaftler es zunächst mit Zögern angehen. Einen Verzicht auf Strukturpolitik können wir uns nicht leisten. Daß sie notwendig geworden ist, ist wegen der weltwirtschaftlichen und der binnenwirtschaftlichen Bedingungen deutlicher geworden.
Strukturpolitik ist ein wesentlicher und unverzichtbarer Bestandteil der Wirtschaftspolitik. Aber es bleibt dabei, daß sie primär die Förderung des Strukturwandels zum Ziel hat. Die Umstrukturierung unserer Wirtschaft, die Anpassung an neue Gegebenheiten der Nachfrage, des Wettbewerbs, der Außenbeziehungen ist und bleibt die Aufgabe derjenigen, die am Wirtschaftsprozeß unmittelbar beteiligt sind. Der Staat kann nach Auffassung der Bundesregierung den Strukturwandel lediglich generell erleichtern und ihn in bestimmten Fällen unterstützen. Ziel der Strukturpolitik ist es deshalb auch,Interventionen, etwa zur Streckung struktureller Anpassung, sachlich und zeitlich zu begrenzen. Dies halte ich für einen der Kernpunkte, der bei der Strukturpolitik und ihrer Anwendung und ihrem Instrumentarium nicht vergessen werden darf.Aber, Herr Kollege Barzel, bei dem Bemühen, Interventionen einzudämmen, hat uns ja auch die Opposition nicht selten im Stich gelassen. Die Politik Ihrer Branchenexperten — Sie kennen sie alle — steht häufig in auffälligem Widerspruch zu marktwirtschaftlichen Bekenntnissen.
Ich könnte eine Reihe von Beispielen nennen. Ich will nicht Beispiele nennen, die ich nur in meinem Amtszimmer erfahre. Das ist eine Erfahrung, die ich erst seit sieben Monaten mache. Wie viele streiten draußen für Marktwirtschaft und fordern dann in den vier geschlossenen Wänden Eingriffe!
Die Marktwirtschaft zeigt sich nicht in Sonntagsreden, auch nicht, Herr Kollege Barzel, in noch so häufigem Zitieren des — wie Sie genau wissen — von mir ebenso wie von Ihnen verehrten Ludwig Erhard. Sondern sie zeigt sich bei der Lösung der Probleme des Alltags, d. h. an den konkreten Vorschlägen, die von den politisch Verantwortlichen gemacht werden.Wir orientieren uns an den Grundsätzen der sektoralen Strukturpolitik, die von einer Koalition zwischen CDU/CSU und SPD 1968 nach jahrelangen Vorarbeiten im Wirtschaftsministerium verabschiedet worden sind.Ich kann es nicht billigen, Herr Barzel, daß Sie es übelnehmen, daß hier über sektorale Strukturpolitik überhaupt gesprochen wird, daß das nur erwähnt wird, obwohl Sie eine Anfrage zu dem gleichen Thema stellen und wir Ihnen pflichtgemäß die Antwort geben. Wozu ist diese Anfrage eigentlich beantwortet worden? Doch nicht nur, um der Geschäftsordnung zu genügen, sondern um eine Diskussion über das herbeizuführen, was Inhalt und Thema dieser Antwort und dieser Politik und nicht der Parteitagsbeschlüsse dieses oder jenes Partners ist.
Ich würde mir herzlich wünschen, Herr Kollege Barzel, daß sich die Opposition auch in schwierigen Situationen bei eigenen Vorschlägen an den von Ihnen vertretenen Grundsätzen ausrichten würde.Ich darf noch einmal zitieren. Ich bin ja zum Zitieren aufgefordert worden.
— Sie müssen sie mal bis zum Ende hören und erst dann werten, ob sie flach oder weniger flach ist, Herr Kollege. Nun das Zitat: „Prinzipien sind kein Käse mit Löchern." — Rainer Barzel, „Auf dem Drahtseil", Seite 184.Wenn ich mir dann ansehe, was der Kollege Müller-Hermann mit ausdrücklicher Unterstützung Ih-
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6932 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffres Fraktionsvorsitzenden bei der Diskussion um die Weiterführung des Projekts VFW 614 von der Bundesregierung verlangt hat, dann allerdings kann ich vor lauter Loch den Käse nicht mehr sehen, der hier Strukturwandel und Strukturpolitik sein soll, Herr Barzel.
Die Einsetzung eines Sonderbeauftragten im Zuge einer umfassenden und regional ausgewogenen Strukturbereinigung der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie ...Und dann:die Voraussetzungen seien dafür zu schaffen, daß das Projekt VFW 614 auf einer erneuerten soliden Grundlage fortgesetzt wird.Das sind die Dinge, Herr Barzel, die Sie sich vor Augen führen müssen und bei denen wir zusammenwirken können, wenn es darum geht, solche Initiativen — ich unterstreiche: mit ausdrücklicher Unterstützung Ihres Fraktionsvorsitzenden — zu ergreifen. Hören wir doch auf, uns gegenseitig die Sündenfälle vorzuwerfen! Dieses, glaube ich, führt uns nicht weiter.Gegenwärtig wird über den Strukturwandel viel diskutiert. Es wird darüber, diskutiert, ob er sich beschleunigt oder nicht. Ich will in diese akademischen Erörterungen nicht eingreifen, weil das meßbare Tempo des Strukturwandels ganz wesentlich von den Indikatoren abhängt, die man für diese Messung verwendet. Aber so viel läßt sich mit Gewißheit sagen — das wissen wir alle —, daß die strukturellen Veränderungen heute Unternehmer und Arbeitnehmer stärker berühren als in früheren Jahren, daß dafür insbesondere das schwächere Wirtschaftswachstum entscheidend ist und daß es dafür eine Reihe von Gründen gibt, die ich hier nur beispielhaft und ohne Anspruch auf Vollständigkeit wenigstens in die Diskussion einführen will: die Schwankungen im Wechselkursgefüge, der Aufbau von Kapazitäten in Entwicklungsländern, sprunghafte Verteuerung von Rohstoffen, Kostenentwicklung und Veränderungen in der Binnennachfrage. Alle diese Umschichtungen haben einen erheblichen Bedarf an Strukturwandel in unserer Wirtschaft entstehen lassen.Die Bundesregierung unterstützt diesen Umstrukturierungsprozeß mit ganz erheblichen Mitteln. Ich erinnere an die Programme zur Wachstumsförderung und Nachfragebelebung, an das Programm zur Förderung von Zukunftsinvestitionen, an die steuerliche Entlastung der Einkommen, an die verstärkte Förderung von Forschung und Entwicklung, an die Verbesserung der degressiven Abschreibung und die Erleichterung der Existenzgründung, aber auch an spezielle Unterstützungshilfen wie für Stahl und Schiffbau. Nur, Herr Kollege Barzel, gerade bei den beiden letzten Bereichen sollten wir einmal versuchen, eine vorurteilsfreie Diskussion strukturpolitisch sauber über diese beiden Bereiche in diesem Hause quer über die Fraktionen hinweg zu führen. Dann würden wir viele Sünder auf allen Bänken finden, die gerade in den Bereichen Stahl und Schiffbau nun wirklich nicht das Banner unbefleckter Empfängnis der Sozialen Marktwirtschaft vor sich hertragen können.
Die Bundesregierung lehnt Strukturdirigismus und -protektionismus nach wie vor ab. In diesem Zusammenhang will ich meine Besorgnis über die Forderung einiger Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, die ihren Niederschlag dann in Vorschlägen der Kommission findet, hier überhaupt nicht unterdrücken. Aber, Herr Barzel, daß Sie uns hier vorhalten, auf die Totaldirektive Schiffbau in Brüssel hätten wir positiv geantwortet, kann ich wohl nur mit mangelndem Kenntnisstand entschuldigen.
Wir sind die einzigen, die sich im Konzert in Brüssel 8 : 1 gegen die quantitative Festsetzung und die Vorschläge der Kommission zur Wehr gesetzt haben. Wir sind leider nahezu total isoliert in diesem Punkt. Es wäre besser, Herr Kollege Barzel, Sie würden uns in dieser Haltung unterstützen, statt uns vorzuwerfen, daß wir auf diesem Gebiet das mitspielen würden und wollten, was uns die Kornmission vorschlägt. Wenn Sie es bis heute nicht gewußt haben, so teile ich Ihnen zu Ihrer Beruhigung mit: dem ist nicht so.
— Herr Kollege Barzel, ich sage Ihnen hier noch einmal: so ist die Situation. Wir werden vielleicht, wahrscheinlich auch hier, einen Kompromiß eingehen müssen — aus europapolitischen Überlegungen —, aber einen Kompromiß, den wir — das weiß ich schon heute — miteinander, wie ich hoffe, nicht besonders erfreulich finden werde. Es ist nun einmal so, daß wir in einem Konzert der Neun, in dem Einstimmigkeit gefordert ist, zu Kompromissen bereit sein müssen. Aber: diese Kompromißmöglichkeit auch in Europa hat dort ihre Grenzen, wo durch gemeinschaftlichen Dirigismus und Protektionismus die Anpassungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft behindert und die Weltoffenheit dés Gemeinsamen Marktes in Frage gestellt wird. Ziel unserer Politik muß es sein, höhere Beschäftigung und mehr Wachstum zu ermöglichen. Was wir brauchen, ist eine Förderung der Dynamik der Wirtschaft, und nicht mehr Statik und nicht mehr vorgegebene quantifizierende Richtlinien und Grenzen.
— „Sehr gut", sagen Sie, Herr Kollege Barzel. Ich bedanke mich für diesen Zwischenruf. Aber es ist Ihr Fraktionsmitglied, der CSU-Abgeordnete Dr. Starke, der auf der Tagung von Gesamttextil im Januar 1978 in Bonn erklärte, das Welttextilfaserabkommen könne ein Modell für ähnliche Regelungen sein. Dieses Multifaserabkommen sei im ganzen großartig, für Europa und auch für die Textilindustrie bei uns in Deutschland gut. Ist das die Politik, die wir mit Ihrer Unterstützung betreiben sollen? Meine ist es nicht. Wir haben diesem Welttextilabkommen mühsam, ungern, aus Kompromißgründen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6933
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffzugestimmt. Wir halten nichts davon, daß hier scheinheilig argumentiert wird, als lägen die Fehler ausschließlich bei uns, und der Balken im eigenen Auge wird schlichtweg übersehen.
Für die Strukturpolitik -- darin sind wir mit Herrn Barzel offensichtlich einig — ist Transparenz unentbehrlich. Deswegen hat die Bundesregierung den Aufbau einer Strukturberichterstattung durch die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute in die Wege geleitet. Deswegen haben wir in der Konzertierten Aktion einen Gesprächskreis eingerichtet, der den Aufbau dieser Strukturberichterstattung begleiten soll. In der Konzertierten Aktion selbst wollten wir den strukturpolitischen Themen ein besonderes Gewicht beimessen, was nun leider im Augenblick, weil, wie Sie wissen, die Konzertierte Aktion nicht funktionsfähig ist, nicht möglich ist. Aber gerade auch aus diesem Grunde wäre es gut, wenn die Konzertierte Aktion wieder zusammenkommen könnte, um sich mit diesem Themenkreis, der ja wichtig ist, zu beschäftigen.
Was die Strukturberichterstattung angeht, so werden Staat und Wirtschaft gleichermaßen Nutznießer dieser Ex-post-Analysen sein. — Ex-post, und dabei bleibt es. Zu meinem Erstaunen, meine Damen und Herren, spricht die Opposition auch bei diesem Vorhaben nicht immer mit einer Zunge. Einerseits ordnungspolitische Bedenken — ich halte sie für unbegründet —, andererseits wird sogar eine frühzeitige Regionalisierung der Berichterstattung gefordert. Meine Damen und Herren, wir müssen uns hier darauf einigen, daß es schwierig und mühsam genug ist, zu diesen Prinzipien zu stehen, und daß es notwendig ist, daß diejenigen, die diese Prinzipien für richtig halten, sich nicht gegenseitig das Leben unnütz schwermachen, sondern sich darum bemühen, miteinander auf den Wegen zu gehen, die sie für richtig halten.Lassen Sie mich hier ganz deutlich sagen: Die Strukturberichterstattung, wie sie von der Bundesregierung konzipiert wurde, ist in unseren Augen ein Beitrag zur Förderung des notwendigen Strukturwandels und zur Verbesserung der Transparenz der staatlichen Strukturpolitik. Diese Berichterstattung liegt deswegen auch im Sinne der Absicherung unserer marktwirtschaftlichen Ordnung.Ordnungspolitische Probleme würden sich dann ergeben, wenn die Strukturberichterstattung durch amtliche Strukturprognosen oder gar -projektionen ergänzt würde. Die Bundesregierung lehnt derartige Vorhaben insbesondere wegen der hohen Unsicherheiten, die ihnen anhaften, und wegen der gesamtwirtschaftlich nachteiligen Wirkungen von unvermeidlichen Fehleinschätzungen unverändert ab. Wenn 'sich unternehmerische Dispositionen in einer Branche an amtlichen Prognosen oder staatlichen bzw. kollektiven Investitionsempfehlungen orientieren, so verlieren unternehmerische Fehlentscheidungen die Qualität einer nur einzelwirtschaftlichen Entscheidung. Dies ist ein wesentliches Merkmal einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Wenn die zugrunde liegenden Prognosen nämlich falsch sind, dann potenzieren sich die Fehlentscheidungen bei kollektiver Orientierung der Unternehmen einer ganzen Branche oder bei Orientierung der staatlichen Strukturpolitik an solchen Prognosen.Meine Damen und Herren, wenn man die Frage stellt, wie hoch denn wohl die Treffsicherheit von längerfristigen Branchenprognosen sei, dann kann man doch nur antworten, jedenfalls als einer, der schon bei den gesamtwirtschaftlichen Prognosen leidgeprüfte Erfahrungen gemacht hat: Einen Glauben an eine solche Treffsicherheit kann es nicht geben; der wäre naiv.
Dies gilt, meine Damen und Herren, zu meiner Überraschung auch für diejenigen, die sich in Grundsatzerklärungen gerne gegen Prognosen aussprechen, die sie kritisieren, die immer wieder beklagen, wie fehlerhaft sie sind, die aber im Einzelfall dann offenbar doch keine Bedenken haben, dieses Prognoseinstrument in einem solchen Sinne einzusetzen. In meinen Augen sind Branchenprognosen vor allem deswegen so fragwürdig, weil eine Vorausschätzung der in- und ausländischen Nachfragestruktur vorangestellt werden muß und weil hierbei Zeitpunkt und Stärke von Trendeinbrüchen einfach nicht oder nur ganz selten vorhersehbar sind.Es kommt hinzu, daß Änderungen der internationalen Wettbewerbsverhältnisse sich wegen der en- ger werdenden weltwirtschaftlichen Verflechtung mit zunehmend kürzeren Zeitverzögerungen von Land zu Land übertragen. Diese zunehmende Schnelligkeit des Strukturwandels, die uns auch vor erhebliche ausbildungs- und bildungspolitische Probleme stellt, die erheblich mehr Reaktionsvermögen und Reaktionsfähigkeit der Unternehmen verlangt, halte ich für eine der am schwersten zu bewältigenden Aufgaben derer, die in der Wirtschaft tätig sind. Ich meine nicht, daß der Staat sie übernehmen sollte, sondern er sollte durch Information, die er zur Verfügung stellen kann, helfend zur Hand gehen. Aber bei nationaler Fehlorientierung gingen ganze Marktanteile an ausländische Konkurrenten verloren und Arbeitnehmer würden beschäftigungslos. Dies sichert nicht Beschäftigung, dies gefährdet Beschäftigung.Selbst wenn die Branchenprognosen richtig sein sollten, was natürlich möglich sein kann, so bleibt immer noch die Frage, welche Schlüsse aus solchen Prognosen zu ziehen sind. Die Prognosen einer entstehenden Überkapazität bedeutet im Einzelfall eines Unternehmens noch keineswegs, daß neue Investitionen nicht mehr notwendig sind. Sie können genauso notwendig werden, um die Modernisierung zu erreichen, um die Arbeitsplätze, die vorhanden sind, zu sichern. Aber dies ist eine einzelwirtschaftliche Entscheidung. Wer soll diese, etwa von Staats wegen, treffen? Das ist ausschließlich Sache des Risikoträgers. Andernfalls würde der Staat nämlich zunehmend gezwungen, die Risiken abzunehmen und Verluste zu sozialisieren. Aber ich füge hinzu — Herr Kollege Barzel, ich hoffe, wir sind auch hier-
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6934 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffin einig —: Dieses Risiko, das wir wie die Chance bei denjenigen lassen, die die einzelwirtschaftlichen Entscheidungen treffen, muß auch bei ihnen verbleiben. Das übernehmen wir nicht. Wir weden. uns hart und hartnäckig wehren, wenn es darum geht, daß uns, der Gemeinschaft, dem Steuerzahler, dem Staat die Risiken für Fehlentscheidungen der Unternehmensseite aufgebürdet werden sollen.. Das kann nicht in Frage kommen. Man kann den Kuchen nicht gleichzeitig aufessen und ihn behalten wollen.Hüten wir uns deswegen hier wie in Brüssel davor, bei aller Notwendigkeit von mehr Transparenz— einverstanden — und mehr Voraussicht — notwendig — einen solchen Irrgarten zu betreten!Herr Kollege Barzel, Ihre Partei und auch Sie hier heute noch einmal, haben sich in der vergangenen Woche mit der Bürokratisierung in unserem Land befaßt. Ich halte dies in der Tat für eine sehr ernste Sache. Ich glaube, wir sind auch in der Breite des Hauses darüber einig. Wenn ich mich recht entsinne, war Herr Kollege Wehner einer der ersten, der dieses Thema angesprochen hat. Die Diskussion ist keineswegs neu.
-- Ich will darüber gerade ein paar Worte sagen, Herr Kollege. Schon in der Regierungserklärung vom 16. Dezember heißt es deswegen — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten: „Verteidigung der privaten Sphäre, der eigenen Sphäre der Person bedeutet auch, daß die Person nicht abhängig gemacht wird von einer für sie völlig undurchsichtigen, anonymen Bürokratie und Großorganisation, ob nun im staatlichen Bereich, im wirtschaftlichen Bereich oder im privaten."Diese zunehmende Bürokratisierung, die einen Liberalen ganz besonders stört, ist nicht nur das Ergebnis der letzten Jahre. - Das Anwachsen von Gesetzen, Verordnungen und. Erlassen läßt sich schon über eine lange Periode beobachten, und diese Entwicklung hat objektive Ursachen, wie z. B. die komplexer werdenden Lebensbedingungen. Das ist nicht alles nur gesetzgeberische, verordnungsgeberische Willkür. Zweifellos hat auch das Streben nach mehr Gerechtigkeit zu differenzierteren, leider damit fast immer komplizierteren Regelungen geführt. Auch dies ist gewollt gewesen.Wir Politiker haben, wie ich meine, alle nicht in jedem Fall die Probleme so scharf gesehen wie heute. Es geht uns in diesem Bereich wie in anderen so, daß viele im einzelnen sinnvolle, nützliche, brauchbare, erstrebenswerte Regelungen in der Addition vieler Regelungen sich zu einem Netz entwickelt haben, das lähmt, das erstickt, das Bewegungsfreiheit nimmt. Da liegt das Problem. Wir haben nicht immer berücksichtigt, daß eben solche Entwicklungen, die manchmal auch auf Initiative unserer Bürger erfolgt sind, insgesamt gesehen,. das Gemeinwohl behindern können und müssen. I i Ich bitte Sie aber auch, nicht zu übersehen — und, Herr Barzel, wir sollten uns am Ende einer Legislaturperiode einmal ansehen, wie viele von den immer dicker werdenden Gesetz- und Verordnungsblättern darauf zurückzuführen sein werden —, daß eine starke Bürokratisierungswelle von der Europäischen Gemeinschaft auf uns zukommt. Jeder von Ihnen in jedem Ausschuß weiß das. Man muß kein schlechter Europäer sein, so glaube ich, um diese Entwicklung mit großer Skepsis zu beobachten.
Ein Europa der Vorschriften würde langsam die Freiheit seiner Bürger ersticken. Es gilt, alles zu versuchen, um dem entgegenzuwirken.
Meine Damen und Herren, es ist leicht, von der Entrümpelung des Paragraphenwaldes zu sprechen, sie zu fordern, dafür Beifall zu bekommen - auf jedem Kongreß draußen. Das Bewußtsein für diese Frage ist geschärft. Aber es ist elend schwierig, das zu verwirklichen.
Vor allem, meine Damen und Herren, ist dies wirklich nur zu schaffen — und ich bitte, das nicht als eine Binsenweisheit zu betrachten —, wenn dabei alle politischen Kräfte zusammenarbeiten. Dann allerdings würden wir ein Stück zur Verbesserung der Rahmenbedingungen leisten, das ich persönlich für wichtiger halte als die — wie Sie wissen — von mir für wünschenswert gehaltene Senkung der ertragsunabhängigen Steuern. Wenn wir das zuwege bringen könnten — alle, wie wir hier miteinander sind —, wäre das tatsächlich ein entscheidender Punkt.Aber wir werden nur dann Erfolg haben, wenn es uns gelingt, in unseren eigenen Reihen, hier im Deutschen Bundestag, auch in der Regierung, in der Ressortzuständigkeit, Partikularinteressen zurückzudrängen und das Gemeinschaftsinteresse in den Vordergrund zu stellen. Anders ist das nicht zu erreichen. Wir sind alle gefordert. Ich meine, auch die Opposition ist gefordert.Herr Kollege Barzel, Sie hatten erwähnt, ich würde ein paar Worte zu dem Gemeinschaftsgutachten sagen. Ich war etwas verwundert, weil Sie doch gemeinhin eine struktürpolitische mit einer konjunkturpolitischen Debatte nicht verwechseln. Das unterstelle ich Ihnen nicht.
— Aus Gründen der Aktualität will ich die Anregung aufgreifen und wenige Sätze dazu sagen. Sie wissen, daß ich immer ein Anhänger der Gepflogenheit gewesen bin, daß sich die fünf Forschungsinstitute
— die Interpretation wird Herr Barzel sicher gern hinnehmen, Herr Kollege —, die im Wettbewerb miteinander stehen — und es ist gut, daß sie im Wettbewerb miteinander stehen —, zweimal im Jahr zusammensetzen und ihre Meinung zu Papier bringen. Das hat zur Diskussion beigetragen. Das hat geholfen, die Diskussion zu versachlichen. Das ist eine gute Sache.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6935
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffIch muß allerdings sagen, daß ich diesmal mit dem Gemeinschaftsgutachten für die praktische Politik — Diskussionsanregungen bleiben unbestritten — herzlich wenig anfangen kann; denn mit einer Analyse, die im Ansatz mindestens drei Gedankengänge erkennen läßt, die einander ausschließen, und mit mehreren Rezepten, die einander ebenfalls ausschließen, ist — das ist nicht Schelte der Wissenschaftler; ich bin davon weit entfernt; aber das ist ein Teil Sachkritik, ein Teil Enttäuschung desjenigen, der gerne etwas an die Hand bekommen möchte, mit dem er arbeiten kann — nicht viel anzufangen.Was nun die 3,5 %, die 2,5 %, die 3 % anbelangt: Herr Kollege Barzel, diese Diskussion wird die Bundesregierung erst führen, wenn gesicherte Erkenntnisse über die Entwicklung des ersten Quartals 1978 vorliegen. Ich möchte nur daran erinnern, daß auch die Ausgangsposition des Herbstgutachtens der Wirtschaftsforschungsinstitute 3 % lautete, nicht 3,5 %, wie die Bundesregierung das im Jahreswirtschaftsbericht niedergelegt hat. Die Kürzung um einen halben Punkt muß auch in dieser Relation gesehen werden.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen, daß ich über die Art und Weise, Herr Kollege Barzel, wie dieser Debattenbeitrag von Ihnen angelegt worden ist, nicht sehr begeistert war.
— Ich verstehe ihn deswegen, weil Sie diese Auseinandersetzung suchen. Aber Sie suchen diese Auseinandersetzung auf einem Felde, das jedenfalls nicht mit einer von der Bundesregierung beantworteten Großen Anfrage in unmittelbarem Zusammenhang steht.
Ich glaube, meine Damen und Herren, Sie sollten diese Politik und diese Diskussion auf den Punkt und mit denjenigen führen, die dafür Ihre eigentlichen Gesprächspartner sind. Dies, so scheint mir, wäre richtig. Wenn Sie dann dazu noch konstruktive Vorstellungen brächten, könnte das ein fruchtbarer Dialog werden.Nur: Heute, Herr Kollege Barzel, muß ich zu dem Ergebnis kommen — ich schließe mit einem ZitatNur wer zur Opposition taugt, wird morgen regieren.Quelle: Rainer Barzel, Seite 190 des Buches „Auf dem Schlappseil" — Entschuldigung, „Auf dem Drahtseil".
Meine
Damen und Herren, wir unterbrechen die Aussprache über die Große Anfrage „Sektorale Strukturpolitik. Wir treten in die Mittagspause ein. Wir fahren um 14 Uhr mit der Fragestunde fort
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 8/1728 —
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Dr. von Dohnanyi zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Höffkes auf:
Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung zur Zeit die Zahl militärischer Berater, Ausbilder und Experten, die von Kuba, von der Sowjetunion, von der DDR bzw. von allen Warschauer-Pakt-Staaten insgesamt nach Äthiopien, Angola, Mozambique, Sambia, Tansania, Schwarzafrika insgesamt, den NahMittelost-Raum bzw. Indochina entsandt wurden?
Exakte Zahlen über militärische Berater, Ausbilder und Experten, die die Sowjetunion und andere Staaten des Warschauer Pakts, insbesondere in jüngster Zeit aber Kuba in die verschiedensten Staaten der Dritten Welt entsandt haben, liegen nicht vor. Der britische Außenminister Owen hat allerdings kürzlich in einer Rede vor dem Unterhaus festgestellt, daß sich derzeit etwa 16 000 kubanische und etwa 1 000 sowjetische Militärberater in Äthiopien und etwa 20 000 kubanische Soldaten in Angola aufhalten. Aber auch in anderen afrikanischen Staaten hat die Zahl solcher militärischen Berater. oder Soldaten in jüngster Zeit zugenommen. Die Bundesregierung wird allerdings ihrerseits die Praxis fortsetzen, Detailangaben nur in dem zuständigen Ausschuß des Bundestages zu machen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da hier nur wenig Zahlenmaterial bekanntgegeben worden ist, darf ich mir doch die Frage erlauben, ob die Bundesregierung den hier vorgetragenen und ihr sonst bekannten Sachverhalt für friedensfördernd hält.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß es zweckmäßig ist, daß die Probleme in den afrikanischen Staaten, die sich dort zwischen den Staaten ergeben, von diesen selbst bewältigt werden. Insofern halten wir Interventionen von außen niemals für friedensfördernd.
Eine weitere Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, sieht sich die Bundesregierung auf der Grundlage der
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6936 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Höffkesvorgetragenen Erkenntnisse zu irgendwelchen politischen Konsequenzen veranlaßt, falls ja, zu welchen?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat von hier aus, aber auch im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit wiederholt darauf hingewiesen, daß sie für die Selbständigkeit der Entwicklung in Afrika eintritt. Mit diesen Schritten, mit diesen Entscheidungen und Erklärungen unterstützt sie die Entwicklung der Selbständigkeit der afrikanischen Staaten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatsminister, stimmt mit den Zahlen und Größenordnungen, über die die Bundesregierung verfügt, das überein, was man in der Presse lesen kann, daß nämlich allein die Zahl der Militärberater und Militärpersonen, die Kuba in die genannten afrikanischen Länder entsandt hat, im Verhältnis zur Gesamtstärke des kubanischen Militärs von einer Größenordnung sein soll, wie sie bisher noch nirgendwo beobachtet worden ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, es ist sicherlich richtig, daß die Zahl der nach Afrika entsandten Kubaner im Verhältnis zur Größe des Landes Kuba oder im Verhältnis zu seiner militärischen Stärke einen relativ hohen Anteil ausmacht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hüsch.
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung bei dem nächsten sich bietenden Anlaß, nämlich dem Besuch des Herrn Breschnew, Gelegenheit nehmen, entsprechend der von Ihnen soeben dargestellten Auffassung darzutun, daß Interventionen nicht als friedensfördernd angesehen werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat auch schon in der Vergangenheit bei allen politischen Gesprächen, die sie auch mit wichtigen Personen aus dem Warschauer Pakt geführt hat, auf diese Position der Bundesregierung hingewiesen. Ich bin sicher, daß diese Fragen auch im Zusammenhang mit dem Besuch von Herrn Breschnew angeschnitten werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatsminister, liegen der Bundesregierung Erkenntnisse über die fachlichen Schwerpunkte der Beratergremien vor?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Es gibt dort für einige Fälle und für einige Zeitabschnitte wohl
detailliertere Übersichten. Ich kann sie hier nicht wiedergeben; ich könnte insbesondere nicht feststellen, ob das, was zu einem bestimmten Zeitpunkt gegolten hat, auch heute noch gilt.
Ich rufe die Frage 56 des Abgeordneten Höffkes auf:
In welcher Höhe wurden nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 1977 und in den vergangenen fünf Jahren von den Warschauer-Pakt-Staaten Waffen in Entwicklungsländer geliefert bzw. Abkommen über Waffenlieferungen an Entwicklungsländer abgeschlossen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich möchte hier in erster Linie auf die Veröffentlichungen des Londoner Internationalen Instituts für Strategische Studien hinweisen und dort auf die Veröffentlichung „The military balance 1977/78". Nach Auffassung des Instituts lieferten die Sowjetunion und die anderen Warschauer-Pakt-Staaten in den letzten fünf Jahren Waffen und militärische Ausrüstung an Länder der Dritten Welt im Wert von jährlich bis zu 3 Milliarden Dollar. Es handelt sich dabei um eine Schätzung. Als Berechnungsbasis wurden Preise vergleichbarer westlicher Waffensysteme zugrunde gelegt. Die Sowjetunion und andere kommunistische Staaten Osteuropas haben seit 1975 Abkommen über Waffenexporte mit ca. 29 Ländern der Dritten Welt in einer Gesamthöhe von ca. 11,7 Milliarden US-Dollar geschlossen, wobei der größte Teil dieser Abkommen bisher wohl nur teilweise abgewickelt worden ist. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang — auch für weitere Zahlen — ganz ausdrücklich auf die Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU vom 4. Mai 1977, Drucksache 8/345, beziehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Höffkes.
Herr Staatsminister, sind in den eben von Ihnen vorgetragenen Zahlenmaterialien und den Hinweisen auf verschiedene Veröffentlichungen auch Leistungen und Lieferungen an sogenannte Befreiungsbewegungen — wenn ja, an welche — enthalten? Können Sie dazu detaillierte Angaben machen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann das an dieser Stelle nicht tun. Ich kann auch die Zusammensetzung der statistischen Zahlen des Londoner Instituts nicht im einzelnen wiedergeben. Aber es ist ja bekannt, daß Waffen, die geliefert werden, auch in die verschiedensten Hände kommen können. Insofern läßt sich hier über die Endbestimmung niemals eine verbindliche und in jedem Falle verifizierbare Auskunft geben.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Höffkes!
Herr Staatsminister, besteht seitens der Bundesregierung die Bereitschaft, das hier öffentlich nicht vorgelegte Zahlenmaterial dem zuständigen Ausschuß vorzulegen?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6937
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich habe das vorhin bereits unterstrichen: Wir sind jederzeit gern bereit, das zu tun. Aber ich verweise noch einmal darauf, daß die Quelle für derartige Informationen in erster Linie in den Studien des Londoner Instituts zu suchen ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voigt!
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, sich aktiv an der Vorbereitung internationaler Abkommen zur Beschränkung des Waffenhandels bzw. des Waffenexports in bezug auf die Dritte Welt zu beteiligen, und trifft es zu, daß zwischen den USA und der Sowjetunion bereits Gespräche auch über diesen Tatbestand geführt werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, was die Bundesregierung angeht, so besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß wir die von Ihnen skizzierte Politik unterstützen. Es ist auch richtig, daß über diese Frage im internationalen Rahmen und auf den verschiedenen Ebenen bereits Gespräche geführt werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Todenhöfer.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, zuzugestehen, daß die kriegerische Politik der Sowjetunion in Afrika einerseits und die angebliche Entspannungspolitik der Sowjetunion im Ost-West-Verhältnis andererseits in sich bereits einen logischen Widerspruch darstellen und damit die angebliche Entspannungspolitik der Sowjetunion unglaubwürdig machen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung ist der Auffassung — das sagte ich vorhin —, daß es darauf ankommt, in Afrika den selbständig gewordenen afrikanischen Staaten eine Chance für Ihre Entwicklung in Selbständigkeit und zur Lösung ihrer Probleme miteinander in Selbständigkeit zu geben. Wir sind der Auffassung, daß jeder Versuch von außen, hier zu intervenieren, nicht der Entspannung in der Welt dienen kann.
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatsminister, ist die von Ihnen skizzierte Größenordnung der Waffenlieferungen der Sowjetunion in Höhe von, wie Sie angeben, jährlich rund 3 Milliarden DM für die Bundesregierung nicht ein Anlaß, darüber nachzudenken, in welchem Verhältnis dieser gewaltige Aufwand mit den von der Sowjetunion gegenüber westlichen Industrienationen, also auch der Bundesrepublik Deutschland, geäußerten Kreditwünschen zu sehen ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, für uns kommt es doch darauf an, unsere Interessen zu wahren. Unsere Interessen liegen in der Entspannung, und wir verweisen deswegen bei Fragen des Waffenhandels allgemein, nicht nur hinsichtlich der Sowjetunion, auf eine Entwicklung, die der Sicherheit in dieser Welt und der Entspannung, die wir anstreben, nicht förderlich ist. Insofern muß man wohl die Vergleiche auf einem anderen Hintergrund sehen, als Sie sie hier eben gezogen haben.
Eine Zusatzfrage Frau Abgeordnete Erler.
Herr Staatsminister, können Sie uns mitteilen, in welchem Verhältnis die Größenordnung der Waffenlieferungen aus der Sowjetunion an die afrikanischen Länder zu der Größenordnung der Waffenlieferungen aus der westlichen Welt stehen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, ich könnte das tun, aber ich würde bitten, daß ich das entweder schriftlich tun kann oder es in den zuständigen Ausschüssen geschieht, weil ich die Zahlen, die ja eine sehr differenzierte Interpretation notwendig machen, hier so differenziert nicht vortragen kann.
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hupka.
Herr Staatsminister, können Sie uns auf Grund der Ihnen vorliegenden Unterlagen Auskunft darüber erteilen, in welche Entwicklungsländer der größte Anteil der Waffenexporte läuft?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich vermute, daß Sie mit Ihrer Frage den Waffenexport der Sowjetunion meinen.
Ich könnte Ihnen das auflisten und sagen, aber ich bitte noch einmal darum, daß dies entweder in den Ausschüssen geschehen kann oder in Form eines Briefes. Das würde hier einer differenzierten Aufgliederung bedürfen.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe auf die Frage 88 des Abgeordneten Dr. Hüsch:Hat die Bundesregierung Anhaltspunkte dafür, daß die Sowjetunion, Kuba oder die DDR in weitere Entwicklungsländer militärisches Personal und Material zu entsenden beabsichtigen?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Der Bundesregierung liegen in der Tat Meldungen vor, wonach die Sowjetunion und Kuba ihr militärisches Engagement in Äthiopien weiter verstärken. Auch Kuba soll sein Engagement im Mozambique verstärkt haben. Der Bundesregierung liegen jedoch keine Anhaltspunkte dafür vor, daß auch die DDR ihr Engagement in diesem Raum verstärkt hat.
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6938 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Eine Zusatzfrage bitte.
In welcher Weise bewertet die Bundesregierung Nachrichten, daß Führer der Swapo für den Fall, daß sie nicht in der Lage seien, die Macht in Namibia zu übernehmen, die Hilfe der Sowjetunion, Kubas oder anderer Ostblockländer in Anspruch zu nehmen beabsichtigen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung vertritt die Auffassung, daß die friedliche Lösung in Namibia nur unter Einbeziehung aller politischen Kräfte möglich ist. Sie wissen, wir haben uns um eine Einbeziehung friedlicher Kräfte der Swapo bemüht. Ich will deswegen von dieser Stelle unterstreichen, daß wir von der Swapo erwarten, daß sie sich mit friedlichen Mitteln und im friedlichen Wettbewerb um die Zustimmung der Bevölkerung an einer friedlichen Lösung für Namibia beteiligt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Hat die Bundesregierung diesbezüglich eine Zusicherung der Swapo erhalten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, nach dem jetzigen Stand gehen wir davon aus, daß alle beteiligten Kräfte eine friedliche Lösung in Namibia anstreben. Die Auffassung darüber, wie die Ziele im einzelnen gesetzt werden sollen, ist noch nicht einheitlich, aber Sie wissen, gewisse Fortschritte in der Abstimmung sind gemacht worden.
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Petersen.
Herr Staatsminister, halten Sie die Einschätzung und die Hoffnung, die Sie eben zum Ausdruck gebracht haben, daß die Swapo zu einer friedlichen Kooperation bereit sei, für besonders realistisch angesichts der letzten Aussagen des Führers der Swapo, Nujoma, wonach er Macht und nicht Mehrheit will?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich will noch einmal unterstreichen: In einer Situation, in der es um die Befreiung eines Landes geht — und das ist die Lage Namibias —, gibt es natürlich Kräfte, die sich mit unterschiedlichen Mitteln an dieser Befreiung beteiligen. Wir gehen aber davon aus, daß, wenn diese Befreiung jetzt durch die Einschaltung der Vereinten Nationen an ganz entscheidenden Punkten möglich gemacht wird, dann alle Kräfte bereit sein werden, sich mit friedlichen Mitteln im Wettbewerb um die Zustimmung der Bevölkerung an einer friedlichen Lösung für Namibia zu beteiligen. Das gilt nach unserer Überzeugung auch für die Swapo.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kiechle.
Herr Staatsminister, da Sie davon ausgehen, daß sich alle Beteiligten mit friedlichen Mitteln dem friedlichen Ziel, das hier gesetzt wird, zuwenden wollen, nehmen Sie auch an, daß unter dem Wort „friedlich" alle dasselbe verstehen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Sie werden von mir jetzt doch nicht noch erwarten, daß ich eine Exegese über den Wortschatz aller Beteiligten in der Namibia-Frage vornehme. Wir haben uns ohnehin, Herr Präsident, so scheint mir, ein wenig von dem unmittelbaren Thema entfernt;
aber ich bin ja, wie die Kollegen wissen, mit Zustimmung des Präsidenten immer bereit, alle Auskünfte zu geben, die mir zur Verfügung stehen; aber ich kann hier wohl kaum interpretieren, welche Begriffe von welchen Kräften in dieser Frage wie verwendet werden. Ich bitte Sie, mir hier eine Antwort auf diese Frage zu ersparen.
Sind wir uns einig, daß — —
Herr Abgeordneter Kiechle, es gibt in der Fragestunde keine Diskussion vom Mikrophon aus zur Regierungsbank.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Präsident, ich muß dennoch an dieser Stelle, weil hier gefragt worden ist: „Sind wir uns einig, daß — —", feststellen, daß ich auf jeden Fall mit dem nicht einig bin, was Sie gesagt haben; sonst wäre das Protokoll am Ende mißverständlich.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatsminister, hat die Intensität der Lieferung von militärischem Material und Personal in der jüngsten Zeit zugenommen, ist sie gleichgeblieben oder aber ist sie von abnehmender Tendenz?
Herr Abgeordneter, ich muß jetzt hier etwas strenger vorgehen; das ist im allgemeinen gar nicht meine Absicht. Es handelt sich um die Frage, ob beabsichtigt ist, weiteres militärischel Material und Personal zu entsenden. Ich bitte, dies bei Zusatzfragen zu berücksichtigen.
Die nächste Zusatzfrage hat Abgeordneter Hoffacker.
Herr Staatsminister, liegt der Bundesregierung eine Mitteilung darüber vor, daß auch die Transkei Waffenlieferungen aus der Sowjetunion erbeten hat?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Entwicklung in der Transkei ist, wie Sie wissen,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6939
Staatsminister Dr. von Dohnanyigegenwärtig unübersichtlich. Ich kann die Frage von dieser Stelle aus jetzt nicht beantworten, bin aber auch hier gerne bereit, in den zuständigen Ausschüssen oder auf schriftlichem Wege Auskunft zu geben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
— Wenn sich jemand ans Mikrophon stellt und sich zu einer Zusatzfrage meldet, dann aber darauf verzichten will, bitte ich, dies dem Präsidium kenntlich zu machen. Normalerweise wären Sie dran, Frau Kollegin Erler. Wollen Sie noch eine Zusatzfrage stellen? — Nein, danke schön.
Herr Staatsminister, nachdem Sie die Absicht der DDR aus der Kenntnis der Bundesregierung bestätigt haben, ihr Engagement zu Waffenlieferungen zu verstärken, frage ich Sie, wie die Bundesregierung eine solche Absicht angesichts der deutschen Vergangenheit bewertet, daß nunmehr ein neuer Staat, der sich deutsch nennt, die Welt mit Waffen unsicher zu machen beginnt.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, es tut mir ja leid, wenn ich gelegentlich Ihr Weltbild stören muß; aber das ist ja zum Teil auch meine Aufgabe. Nur hatte ich genau das Gegenteil von dem gesagt, was Sie gerne verstanden hätten. Ich hatte gesagt: Der Bundesregierung liegen jedoch keine Anhaltspunkte dafür vor, daß auch die DDR ihr Engagement in diesen Staaten verstärkt hat.
— Herr Abgeordneter Jäger — —
Auch für die Mitglieder der Bundesregierung gilt die Ordnung der Fragestunde, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Präsident, ich nehme das zur Kenntnis.
Es gibt auch keine Diskussion mit mir.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatsminister, müßte der Zusammenhang zwischen der deutschen Geschichte und neuerlichen deutschen Waffenexporten nicht nur für die DDR, sondern auch für die Bundesrepublik gelten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Gansel, die Bundesrepublik verfolgt, wie Sie wissen, eine äußerst restriktive Politik des Waffenexportes. Sie läßt sich von diesem Kurs auch nicht abbringen. Insofern darf ich Ihre Frage so verstehen, daß Sie diese restriktive Politik der Bundesregierung bestätigen wollen.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Todenhöfer.
Herr Staatsminister, können Sie uns vielleicht klarmachen, welchen Hintergrund die Frage des Abgeordneten Gansel hat?
Herr Abgeordneter Todenhöfer, diese Dreiecksfragen werden nicht mehr zugelassen.
Ich rufe Frage 90 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:
Besteht die von der Bundesregierung in der Fragestunde vom 17. Juni 1977 angedeutete mangelnde Kooperationsbereitschaft der argentinischen Behörden mit der deutschen Botschaft in Buenos Aires bezüglich der inhaftierten und verschwundenen Deutschen weiterhin, und wenn ja, was hat die Bundesregierung unternommen, um die argentinischen Behörden von der Notwendigkeit einer besseren Zusammenarbeit zu überzeugen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Wenn die Botschaft in der Mehrzahl der Haftfälle ohne Gerichtsverfahren eine Freilassung erreichen konnte, so ist dies nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die Botschaft in ständigen und engen Kontakten mit argentinischen Behörden steht. Insofern besteht auch eine Kooperation.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Besteht nach wie vor die Beurteilung, die auf eine Frage des Abgeordneten Voigt in einer Fragestunde vor einigen Wochen wie folgt getroffen wurde:
Die Bundesregierung ist beunruhigt über den Mangel an Kooperation, den die argentinischen Behörden bei der Zusammenarbeit mit der Deutschen Botschaft in Buenos Aires bei der Aufklärung dieser Fälle gezeigt haben.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich möchte den allerletzten Teil Ihres Zitats aufgreifen. Da heißt es: . . bei der Aufklärung dieser Fälle gezeigt haben". Wir haben uns — ich möchte das unterstreichen — in der Zwischenzeit in einer Reihe von Fällen imstande gesehen, durch Gespräche mit den Behörden auch gewisse Fortschritte zu machen. Insofern verweise ich auf das, was ich zuvor sagte: Es gibt hier eine Kooperation.
Keine weiteren Zusatzfragen.Dann rufe ich Frage 91 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des deutschen Botschafters in Argentinien, Jaenicke, daß die 5 000 bundesdeutschen Schlachtenbummler, die zu der Fußballweltmeisterschaft erwartet werden, ohne Sorgen kommen können, obwohl — nach Angaben von amnesty international — noch in den Monaten Oktober 1977 und Januar und Februar 1978 wieder drei Deutsche in Argentinien verschwunden sind?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Zur Beurteilung der Lage durch Botschafter Jaenicke in seinem Interview im • Deutschlandfunk ist anzumerken, daß es sich bei den bisher in Argentinien verschwundenen Deutschen nicht um Touristen, sondern stets um
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6940 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Staatsminister Dr. von Dohnanyidort länger ansässige Personen handelt, die meist auch Doppelstaatler sind.Die Bundesregierung hat im übrigen der argentinischen Regierung ihre besondere Sorge um deutsche Staatsangehörige auch im Hinblick auf deutsche Touristen bei der Weltmeisterschaft mitgeteilt. Wir gehen davon aus, daß die argentinische Regierung dem Rechnung tragen wird.
Zusatzfrage, bitte!
Wie beurteilt die Bundesregierung im Zusammenhang mit dieser Frage die Auskunft des Botschafters Jaenicke im gleichen Interview, daß für die innere Situation in Argentinien der internationale Terrorismus, die internationale Terrorsituation verantwortlich sei?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich würde dem aus meiner Sicht der Lage so nicht zustimmen können. Ich habe von Herrn Jaenicke keine Begründung für diese Feststellung erhalten.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Heyenn.
Herr Staatsminister, was plant die Bundesregierung, um die erwarteten mehr als 5 000 deutschen Schlachtenbummler auf die besondere Gefahrensituation in Argentinien vorzubereiten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich möchte aus diesem Grunde noch einmal auf die Auskunft von Frau Hamm-Brücher vom 20. Oktober 1977 verweisen, auf die der Herr Kollege Thüsing hier soeben auch schon Bezug genommen hat, in der darauf hingewiesen wird, daß wir uns um die Sicherheit der Touristen — natürlich durch Informationen — bemühen und dies auch, je näher die Daten heranrücken, weiter tun werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hüsch.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung irgendeinen Anlaß, einem Fußballfreund von der Reise nach Argentinien aus Anlaß der Weltmeisterschaft abzuraten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung geht davon aus, daß ein jeder nach seinem Urteil und nach seinem Gewissen und nach seinen Interessen aus der Bundesrepublik Deutschland ausreisen kann. Insofern werden wir in dieser Beziehung natürlich keine Ratschläge erteilen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, können Sie mir darin zustimmen, daß unsere Botschaft in Buenos Aires bisher alles getan hat, für die Deutschen, die inhaftiert worden sind, tätig zu werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe das an verschiedener Stelle bestätigt und auch hier soeben noch einmal auf die Kooperation hingewiesen. Es ist richtig, daß sich die Botschaft bemüht, den Inhaftierten zu helfen, und für die Menschenrechte eintritt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung den argentinischen Behörden deutlich gemacht, daß wir nicht nur erwarten, daß unsere Touristen dort als Gäste liebenswürdig und gastfreundlich aufgenommen werden, sondern daß die Bundesregierung auch erwartet, daß die argentinischen Behörden alles unternehmen, damit diese deutschen Touristen ungeschoren wieder nach Deutschland zurückkommen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Abgeordneter Conradi, das ist selbstverständlich. Wir haben — ich beziehe mich noch einmal auf die Auskunft auch von Frau Hamm-Brücher — gegenüber den argentinischen Behörden und auch gegenüber den Veranstaltern von Reisen dorthin alles Notwendige getan, um für die Sicherheit der Touristen zu sorgen, und zur Sicherheit gehören ja nicht nur Hinfahrt und Aufenthalt, sondern auch Rückkehr.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 92 der Abgeordneten Frau Erler auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob sich unter den Toten bei der angeblichen Gefangenenmeuterei im Gefängnis von „Villa Devoto" in Buenos Aires im vergangenen März auch deutsche Staatsangehörige befanden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Unter den Toten und Verletzten bei Vorfällen in der Abteilung für nichtpolitische Häftlinge des Gefängnisses Villa Devoto befanden sich nach Kenntnis der Botschaft in Buenos Aires keine deutschen Staatsangehörigen.
Danke. Keine Zusatzfragen. — Ich rufe Frage 93 des Abgeordneten Jungmann auf:
Welche Namen von Deutschen sind der Bundesregierung bekannt, die in Argentinien verschwunden oder inhaftiert sind, und wie viele von ihnen sind in einem Gerichtsverfahren verurteilt worden, und welche Strafen wurden verhängt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Der Bundesregierung sind die Namen von 13 verschwundenen und 8 inhaftierten Deutschen bekannt. Vermißt werden zur Zeit 9 Deutsch-Argentinier, 2 Deutsch-Paraguayer und 2 deutsche Staatsangehörige. 6 Inhaftierte haben schwebende Verfahren, 5 davon in der Berufungsinstanz. 2 Deutsch-Argentinier befinden sich seit über einem Jahr in Untersuchungshaft. In der ersten Instanz wurden 3 Deutsche wegen illegaler Waffenherstellung zu 6 bis 8 Jahren Haft, 2 Deutsch-Argentinier zu 31/2 Jahren Haft verurteilt.
Eine Zusatzfrage? — Bitte.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6941
Herr Staatsminister, sind Sie in der Lage, hier mitzuteilen, vor welchen Gerichten diese Verfahren abgelaufen sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, das kann ich Ihnen, da es sich, wie Sie aus meiner Antwort ersehen haben, um eine Vielzahl unterschiedlicher Fälle handelt, nur auf schriftlichem Wege mitteilen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben mehrmals von „Deutsch-Agentiniern" gesprochen. Sind das Argentinier mit doppelter Staatsangehörigkeit, mit der argentinischen und der deutschen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, wenn jemand doppelte Staatsangehörigkeit hat, ist er Argentinier und Deutscher, und deswegen habe ich hier von Deutsch-Argentiniern gesprochen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.
Herr Staatsminister, Ihre Antwort unterscheidet sich in einem Punkt von einer Mitteilung von amnesty international vom 13. April 1978, in der in einer Auflistung der bekannten Namen von 26 verschwundenen Deutschen nicht 2, sondern 5 Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit aufgeführt sind, nämlich Peter Falk, Rudolf Stalzer, Ernst Eugen Müller, Hans Emil Scherzer und Johann Wolfgang Lichtenegger. Wie erklären Sie sich den Unterschied?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe ja auf verschiedene Gruppierungen hingewiesen. Ich müßte jetzt feststellen können, inwieweit sich hier Überschneidungen zwischen denen mit doppelter Staatsangehörigkeit und anderen Personen niederschlagen. Ich kann Ihnen die Frage von. dieser Stelle aus so nicht beantworten, aber ich vermute, daß sich die Diskrepanz durch die Frage „Staatsangehörigkeit und Doppelstaatsangehörigkeit" erklären läßt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kiechle.
Herr Staatsminister, sind die von Ihnen als „Deutsch-Argentinier" bezeichneten Personen nun Argentinier mit deutscher Abstammung, oder sind es Deutsche, die sich in Argentinien befanden, oder sind es solche, die beide Staatsangehörigkeiten haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich hatte gesagt, der Bundesregierung sind die Namen von 13 verschwundenen und 8 inhaftierten Deutschen bekannt, und dann hatte ich aufgezählt, daß sich darunter 9 Deutsch-Argentinier, 2 Deutsch-Paraguayer und 2 deutsche Staatsangehörige befinden.
Ich muß sagen, daß mich Ihre Nachfrage im Augenblick selber unsicher macht, ob es sich in der Tat in all diesen Fällen um Doppelstaatler handelt oder nicht. Aber ich muß nach meiner Unterlage eigentlich davon ausgehen, daß es so ist. Ich werde das klären.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatsminister, was bedeutet eigentlich der Ausdruck „verschwundene Deutsche"? Bedeutet das, daß die argentinischen Behörden auf Drängen der deutschen Behörden und deutscher Familienangehörigen intensiv nach diesen Personen suchen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Das bedeutet natürlich in erster Linie, Herr Kollege Gansel, daß die deutsche Botschaft und andere Institutionen, die sich um diese Personen bemühen, versucht haben, Aufenthalt und Verbleib dieser Menschen in Erfahrung zu bringen. Wir gehen dabei davon aus, daß sich in diesen Fällen auch die argentinische Regierung auf Grund unserer Intervention darum bemüht, die Fälle aufzuklären. Aber ich kann natürlich nicht in jedem einzelnen Fall eine sichere Aussage darüber machen, wie intensiv diese Bemühungen der anderen Seite sind. Ist das eine Antwort auf Ihre Frage?
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Erler.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, ob einige der Verfahren vor Militärgerichten stattgefunden haben, und ob noch Verfahren vor Militärgerichten in Aussicht stehen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Es hat Verfahren wohl auch vor Militärgerichten gegeben. Aber ich kann es Ihnen im Augenblick nicht für den Einzelfall erklären. Hier ist eine Gruppe von Fällen herausgesucht worden, für die nach dem Verbleib der einzelnen gefragt wurde. Darauf habe ich zu antworten versucht. Ich kann natürlich nicht für jeden einzelnen Fall sagen, auf welche Weise das Verfahren stattgefunden hat oder stattfinden wird.
Die letzte Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Staatsminister, da ich die Bemühungen der deutschen Botschaft in Argentinien nicht in Abrede stellen will und da ich weiter davon ausgehe, daß es sich bei Argentinien um
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6942 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Frau Simonisein halbwegs zivilisiertes Land handelt, frage ich: Darf ich aus Ihrer Antwort an Herrn Gansel schließen, daß sich die argentinische Seite nicht recht bemüht, verschwundene Personen zu finden?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, so ohne weiteres kann man das, glaube ich, deswegen nicht beantworten, weil es unzweifelhaft in Argentinien auch ein Verschwinden gibt, das nicht von staatlichen Stellen verursacht worden ist. Dort findet ja, wie Sie wissen, eine Auseinandersetzung auch zwischen Gruppen und nicht nur zwischen bestimmten Gruppen und dem Staat statt. Deswegen ist es nicht in jedem Fall sicher, daß eine verschwundene Person — wie Sie das unterstellen — notwendigerweise auf einem Weg verschwunden ist, den der Staat aufklären kann.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 94 des Herrn Abgeordneten Jungmann auf:
Was hat die Bundesregierung in den vergangenen sechs Monaten unternommen, um die Freilassung dieser Deutschen zu erreichen oder das Schicksal der Verschwundenen aufzuklären, deren Zahl sich nach Angaben von amnesty international mittlerweile auf 15 erhöht hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Das Auswärtige Amt und die Botschaft in Buenos Aires haben auch in den letzten sechs Monaten versucht, das Schicksal der Verschwundenen aufzuklären. Wir sind jedem Hinweis nachgegangen. Im Rahmen unserer Möglichkeiten tun wir das Mögliche, um den Inhaftierten und deren Angehörigen zu helfen.
Im übrigen verweise ich an die jüngste gemeinsame Demarche, die die Dänische Präsidentschaft im Auftrag der neun EG-Mitgliedstaaten gegenüber der argentinischen Regierung unternommen hat und in der sie ihre größte Besorgnis über das Schicksal von EG-Staatsangehörigen erklärt hat, die in Argentinien verschwunden sind oder ohne Anklageerhebung inhaftiert bleiben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hoffacker.
Herr Staatsminister, für wie zuverlässig halten Sie die Angaben von amnesty international, und sind diese schon nachgeprüft worden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir gehen auf Grund unserer Erfahrung davon aus, daß amnesty international sich in der Tat bemüht, nicht gewalttätigen politisch Verfolgten in der ganzen Welt zu helfen. Natürlich kann auch amnesty international in dem einen oder dem anderen Fall ein Irrtum unterlaufen. Aber im großen und ganzen müssen wir jedem Hinweis, den amnesty international gibt, nachgehen, weil diese Hinweise nicht nur ernst gemeint, sondern auch ernsthaft begründet sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Minister, kann ich Ihren Hinweis darauf, daß ein Verschwinden in Argentinien aus verschiedenen Gründen möglich ist, so verstehen, daß Sie nicht die Auffassung des deutschen Beobachters in Argentinien teilen, daß es für die Sicherheit deutscher Touristen ausreichend ist, sich wie ein Gast zu benehmen und ständig den Reisepaß bei sich zu tragen?
Herr Abgeordneter Gansel, ich muß auch Sie darauf aufmerksam machen, daß diese Frage schon in einer vorherigen Frage enthalten ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.
Herr Staatsminister, im Zusammenhang mit dieser Frage bitte ich um Auskunft: Ist es der Bundesregierung inzwischen, wie am 23. März angekündigt, gelungen, die näheren Umstände des Todes von Elisabeth Käsemann aufzuklären?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, diese Frage ist noch zu beantworten, ich glaube, unter der Nummer 101. Ich würde vorschlagen, Herr Präsident, daß ich im Zusammenhang mit der Frage 101 auf die Zusatzfrage des Kollegen Thüsing antworte.
Ich rufe die Frage 95 — des Abgeordneten Heyenn — auf:
Wie steht die Bundesregierung zu der Forderung von amnesty international, 500 politischen Gefangenen aus Argentinien Asyl in der Bundesrepublik Deutschland zu gewähren?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit bewiesen, daß sie in der Gewährung politischen Asyls eine humanitäre und politische Verpflichtung sieht. Die Bundesregierung prüft daher den Vorschlag von amnesty international. Entscheidend wird dann allerdings auch die Bereitschaft der Bundesländer und ihre Aufnahmekapazität sein.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, was plant die Bundesregierung in Anbetracht der Tatsache, daß internationale Proteste auch vereinzelt zur Freilassung von in Argentinien Inhaftierten geführt haben, so z. B. zur Freilassung des Ex-Sozialministers Obeioas auf Regierungsebene in Argentinien zur Unterstützung dieser Forderung von amnesty international zu tun?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir haben uns ja, ich sagte das eben, z. B. durch die dänische Präsidentschaft der neun EG-Mitgliedstaaten in dieser Weise an die argentinische Regierung gewandt. Die argentinische Regierung weiß, daß
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6943
Staatsminister Dr. von Dohnanyidie Bundesrepublik Deutschland die Menschenrechte in allen Staaten der Welt zu schützen versucht, und dies gilt selbstverständlich auch für Argentinien.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit zu sagen, wie viele in Argentinien lebende Menschen sich um Hilfe an die deutsche Botschaft gewendet haben und wie viele in Argentinien lebende Menschen in der deutschen Botschaft Zuflucht gesucht haben? Und was hat sie zugunsten dieser Menschen getan?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung ist selbstverständlich bereit, hierüber Auskunft zu geben. Ich kann die Zahl der Hilfesuchenden hier natürlich nicht nennen. Aber, Herr Präsident, es bleibt mir nichts anderes übrig, als in diesem Zusammenhang immer wieder auf meine Bereitschaft hinzuweisen, dies an anderer Stelle oder auf schriftlichem Wege zu erklären.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung der argentinischen Regierung durch ihren Botschafter die Bereitschaft mitteilen lassen, in Argentinien Inhaftierte auf dem Weg des Asyls nach Deutschland zu holen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir haben dies ja — ich habe das eben erklärt — durch unsere Antwort gegenüber dem Antrag von amnesty international hier deutlich gemacht. Wir betrachten das politische Asyl als eine humanitäre und politische Verpflichtung. Wir sind dabei, den Vorschlag zu prüfen. Es wird darauf ankommen, in welchem Umfang die Aufnahmekapazität der Bundesländer besteht.
Herr Kollege Conradi, Sie wissen, daß wir dies ja nachweislich in vielen Fällen in anderen lateinamerikanischen Staaten und in anderen Staaten der Welt getan haben, und wir werden es selbstverständlich auch hier tun.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 96 des Abgeordneten Heyenn auf.
Ist die Bundesregierung bereit, und wenn ja, in welcher Form, die weiteren Forderungen von amnesty international, die im Rahmen einer Kampagne zur Fußballweltmeisterschaft in Argentinien erhoben werden, zu unterstützen, wonach die argentinischen Behörden eine vollständige Liste aller politischen Gefangenen, einschließlich der verschwundenen, veröffentlichen sollen und wonach eine unabhängige internationale Untersuchung aller argentinischen Gefängnisse und-Konzentrationslager stattfinden soll?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung hat sich ebenso wie ihre europäischen Partner seit Jahren darum bemüht, daß die Menschenrechte auch in Argentinien respektiert werden. In einer gemeinsamen Demarche haben die
Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft jüngst der argentinischen Regierung ihre größte Besorgnis über das Schicksal von Staatsangehörigen der EG-Mitgliedsländer erklärt, die in Argentinien verschwunden oder ohne Anklageerhebung inhaftiert sind.
Die Bundesregierung wird weiterhin bemüht sein, unter Ausschöpfung der ihr völkerrechtlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auf ein Verhalten anderer Regierungen — und das gilt nicht nur für Argentinien — hinzuwirken, das den international anerkannten Menschenrechten entspricht. Die Bundesregierung würdigt das Engagement und die humanitäre Tätigkeit von amnesty international zugunsten politischer Gefangener in aller Welt. Die von Ihnen, Herr Abgeordneter, genannten beiden Forderungen haben ohne Zweifel ihr Gewicht. Im Rahmen ihrer offiziellen Politik wird die Bundesregierung sich an den völkerrechtlichen Möglichkeiten und dem erfolgversprechendsten praktischen Vorgehen — wie auch in allen anderen Fällen bisher orientieren.
Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung auch auf der Ebene der Vereinten Nationen in dem Sinne tätig werden, wie Sie es eben angesprochen haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich wiederhole, wir müssen versuchen, in jedem einzelnen Fall und bezogen auf jedes einzelne Land den erfolgversprechendsten Weg zu wählen. Ich kann hier im Augenblick keine Zusage machen, welchen Weg wir im einzelnen wählen werden. Aber — wie in der Vergangenheit — werden wir den Weg suchen, der nach unserer Auffassung dafür spricht, daß wir den betroffenen Menschen am ehesten helfen können.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen besteht ja auf Initiative der Bundesrepublik eine Unterrichtungspflicht für alle dort einlaufenden Beschwerden an alle Mitglieder. Hat sich diese Pflicht zur Unterrichtung über alle auflaufenden Fälle auch zugunsten von in Argentinien inhaftierten politischen Gefangenen ausgewirkt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich bedauere, Herr Kollege, ich kann Ihnen das im Augenblick nicht sagen. Ich werde das feststellen.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe die' Frage 97 des Herrn Abgeordneten Gansel auf.Verfügt die Bundesregierung über Erkenntnisse darüber, ob die Liste von 7 500 Namen politischer Gefangener, mit der Us-Außenminister Vance im vergangenen November nach Argentinien reiste und über deren Schicksal er Aufklärung forderte, auch die Namen von in Argentinien inhaftierten und verschwundenen Deutschen enthielt?
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6944 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Gansel, die Antwort lautet: Ja.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, welcher Art sind Ihre Erkenntnis?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Gansel, ich weiß jetzt nicht, ob Sie durch eine ebenso kurze Frage meine etwas kurze Antwort beantworten wollen. Ich unterstreiche noch einmal, daß mein Ja bedeutet, daß die Liste von 7 500 Namen, die Sie in Ihrer Frage zitiert haben, auch die Liste von in Argentinien inhaftierten und verschwundenen Deutschen enthielt.
Wie viele Namen von „Verschwundenen" enthielt diese Liste?
Einen Augenblick, Herr Staatsminister. — Herr Abgeordneter Gansel, Ihre Frage ist geradezu klassisch und vollinhaltlich beantwortet worden. Darf ich daher bitten, zu Ihrer Frage Ihre Kollegen, die hinter Ihnen stehen, zum Zuge kommen zu lassen?
Herr Präsident, sind es klassische Antworten, wenn ja, ja oder nein, nein — außer im biblischen Sinne — geantwortet wird?
Herr Abgeordneter Gansel, Sie haben noch eine Zusatzfrage. Wenn also eine Ergänzung überhaupt noch möglich ist, bitte.
Danke sehr. Herr Staatsminister, wie viele Namen „verschwundener" deutscher Staatsangehöriger standen auf der Liste, die der amerikanische Außenminister in Argentinien überreicht hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Liste umfaßte die uns bekannten Namen verschwundener Deutscher. Eine Ermittlung eventueller weiterer deutscher Staatsangehöriger, insbesondere Doppelstaatler, war nach der reinen Namensliste bisher nicht möglich, weil deutsche Namen auch bei Argentiniern nicht unüblich sind, da es, wie Sie wissen, dort ja eine ganz erhebliche deutsche Einwanderung gegeben hat. Wir waren also bisher nicht in der Lage, aus dieser Liste von 7 500 bzw. 7 300 Namen das, was Sie hier erfragen, voll herauszulesen. Sicher ist, daß die auch von uns gesuchten Namen in dieser Liste enthalten waren.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Dann rufe ich die Frage 98 des Herrn Abgeordneten Gansel auf.
Hat sich die Bundesregierung vor dem Besuch des US-Außenminister um dessen Hilfe bei der Freilassung inhaftierter deutscher Staatsbürger und bei der Auffindung der verschwundenen Deutschen in Argentinien bemüht?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung steht mit der amerikanischen Regierung auch in diesen Fragen in einem Informationsaustausch. Die amerikanische Regierung hat die Bundesregierung vor dem Argentinien-Besuch von Außenminister Vance allerdings nicht unterrichtet gehabt, daß eine solche Liste übergeben werden würde. Eine ausdrückliche Bitte an die amerikanische Regierung, sich konkret für Deutsche einzusetzen, wurde deswegen von der Bundesregierung nicht ausgesprochen, zumal auch zahlreiche Staatsangehörige anderer befreundeter Länder in Argentinien inhaftiert oder verschollen sind. Unsere Botschaft in Buenos Aires ist laufend um die betroffenen deutschen Staatsangehörigen bemüht. Wir setzen auch andere Möglichkeiten der Einflußnahme ein, wenn sie sich eröffnen. Wie gesagt, wir versuchen so zu handeln, daß wir im Einzelfall helfen können.
Zusatzfrage.
Hat sich die Bundesregierung beim amerikanischen Außenminister für seinen Einsatz für deutsche Staatsbürger bei den besonderen amerikanisch-argentinischen Beziehungen bedankt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Das ist doch selbstverständlich, Herr Kollege.
Noch eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung in der Lage sein, in Kürze, möglicherweise schriftlich, darüber Auskunft zu geben, welche Erfolge die Bemühungen des amerikanischen Außenministers über die Bemühungen der Bundesregierung hinaus, das Schicksal verschwundener Deutscher in Argentinien aufzuklären, gehabt haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir werden das versuchen; aber - ich möchte hier feststellen, daß es natürlich niemals leicht ist, am Ende zu beurteilen, welche Intervention, welchen Einsatz ein bestimmtes Ergebnis herbeigeführt hat. Die Bundesregierung hat sich durch die Botschaft hier eingesetzt. Wir sind dankbar, daß sich der amerikanische Außenminister hier noch einmal eingesetzt hat. Wir berichten natürlich immer wieder über die Ergebnisse unserer Bemühungen, die verschwundenen Deutschen aufzufinden und die Freiheit für die inhaftierten wiederzuerlangen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, sind die Bemühungen der Bundesregierung beim amerikanischen Außenminister, über die Sie soeben berichteten, für die Bundesregierung ein Vorgang, der Sie veranlassen wird, die Reisen des amerikanischen Außenministers auch in anderen Ländern, wo
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Jäger
Deutsche in schwierigen Situationen, verfolgt oder inhaftiert sind, um ähnliche Hilfestellungen zu bemühen?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, um es noch einmal präzise zu sagen: Ich hatte zunächst berichtet, daß dies eine amerikanische Initiative war, die vorher nicht mit uns abgesprochen war. Unser Dank gilt dem amerikanischen Außenminister deswegen natürlich in besonderem Maße. Im übrigen unterstützen wir immer diejenigen, die von uns aus in Länder reisen und den Versuch machen, einzelnen Personen oder verfolgten Gruppen zu helfen. Dies ist bekannt, und selbstverständlich werden wir, wenn demnächst eine Reise ansteht, Konsultationen führen und, wenn ein besonderer Fall dazu geeignet erscheint, mit Hilfe des amerikanischen Außenministers gelöst zu werden, auch an diesen herantreten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 99 des Herrn Abgeordneten Hansen wird schriftlich beantwortet, da er nicht im Saal ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 100 des Herrn Abgeordneten Kuhlwein auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in den letzten Tagen in Argentinien von ca. 15 000 Verschwundenen 232 von den Polizeibehörden wiederaufgefunden wurden, und hat die Bundesregierung Informationen, ob sich auf der soeben bekanntgegebenen Liste auch deutsche Staatsbürger befinden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Nach Ermittlung unserer Botschaft in Buenos Aires befinden sich auf der am 13. April 1978 publizierten Liste keine deutschen Staatsangehörigen.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 101 des Herrn Abgeordneten Weisskirchen auf:
Ist es der Bundesregierung gelungen, alle Unklarheiten über die Ermordung der deutschen Staatsbürgerin Elisabeth Käsemann am 8. März 1977 in Argentinien auszuräumen, und ist die Bundesregierung bereit, das endgültige Ergebnis ihrer Untersuchungen zu veröffentlichen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Es ist der Bundesregierung nicht gelungen, alle Unklarheiten über den Tod von Frau Elisabeth Käsemann am 24. Mai 1977 auszuräumen. Das Auswärtige Amt hat bisher die ihm zugegangenen Informationen an alle, die sich mit der Bundesregierung um Aufklärung des Schicksals von Frau Käsemann bemüht haben, weitergegeben. Es wird dies auch in Zukunft tun. Die Frage einer Veröffentlichung müßte unter dem Gesichtspunkt geprüft werden, ob sie der Aufklärung dienlich ist.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung auf Grund der bisherigen unbefriedigenden Untersuchungsergebnisse in diesem Fall Anlaß, bei der argentinischen Regierung vorstellig zu werden und sich über eine unbefriedigende Erledigung der Auskünfte und des Sachverhalts zu beklagen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat das getan. Es gibt — auch das kann ich hier nicht im einzelnen auflisten — eine Vielzahl von Interventionen durch die Regierung und durch die Botschaft, die zunächst der Rettung von Frau Käsemann und dann der Aufklärung ihres Todes dienen sollten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Herr Staatsminister, gilt Ihre eingangs in einem anderen Zusammenhang gemachte Feststellung, daß die Kooperation mit den argentinischen Behörden besser geworden sei, auch noch angesichts der Tatsache, daß es bei der Aufklärung des Todes von Frau Käsemann immer noch erhebliche Schwierigkeiten gibt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich hatte am Anfang davon gesprochen, daß es in bestimmten Fällen Kooperationen gibt. Aber ich habe nicht bestritten und will nicht bestreiten, daß die Bundesregierung bemüht ist, in allen Einzelfällen, die entweder noch offenstehen oder die, wie hier der Fall von Frau Käsemann, der Aufklärung bedürfen, eine noch bessere Kooperation von Seiten der argentinischen Regierung zu bewirken.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Staatsminister, ist Ihre zurückhaltende Antwort auf die Frage einer Veröffentlichung darauf zurückzuführen, daß die Kooperation der argentinischen Behörden in dem hier vorliegenden Fall alles andere als gut zu bezeichnen ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, wir versuchen, uns in jedem Einzelfall am Ergebnis zu orientieren. Die Bundesregierung hat dies bei humanitären Fragen und bei Fragen der Menschenrechte immer wieder unterstrichen. Dies ist auch der Grund dafür, warum wir nicht pauschal sagen können, ob wir veröffentlichen oder nicht veröffentlichen. Wir müssen vielmehr prüfen, ob wir in einem konkreten Einzelfall durch eine bestimmte Maßnahme eher helfen oder eher schaden würden. Ich glaube, die Bundesregierung muß sich an diesem Prinzip orientieren. Dies gilt nicht nur für Argentinien.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatsminister, in welcher Form hat die Bundesregierung ihren Protest gegen die mangelnde Kooperationsbereitschaft der argentinischen Behörden bei der Aufklärung des Todes
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Conradivon Frau Käsemann vorgebracht, hat die Bundesregierung beispielsweise erwogen, den Botschafter für längere Zeit zum Bericht zurückzubeordern?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Conradi, der Botschafter hat uns damals in einer Vielzahl von Berichten zur Aufklärung des Falles zur Verfügung gestanden. Der Botschafter hat seinerseits in einer Vielzahl von Vorsprachen bei der argentinischen Regierung versucht, Aufklärung zu erlangen.Wir haben also auf verschiedenen Ebenen mit der argentinischen Regierung gesprochen und auch deutlich gemacht, welche Erwartungen die Bundesregierung an die argentinische Regierung hat.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatsminister, ist das argentinische Militärregime nicht vorbehaltlos bereit, das Schicksal „verschwundener" deutscher Staatsangehöriger aufzuklären und die Sicherheit deutscher Besucher zu garantieren, obwohl es für Waffenlieferungen Hermes-Bürgschaften der Bundesregierung erhalten hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß die Bemühungen der Bundesregierung um die Aufklärung der Einzelfälle von der argentinischen Regierung verstanden werden. Ich gehe auch davon aus, daß von seiten einiger Kräfte in der argentinischen Regierung im Einzelfall möglicherweise nicht alles das aufgeklärt wird, was wir gern aufgeklärt hätten. Deswegen gibt es dort Meinungsverschiedenheiten, die wir auch vorgetragen haben. Ich glaube aber, wir sollten darüber hinaus an dieser Stelle keine Zusammenhänge herstellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyenn.
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung die Behauptung eines Vorstandsmitgliedes der Organisation amnesty international, daß das Bonner Auswärtige Amt eher in freundschaftlicher Gutgläubigkeit auf die Worte von Militärdiktaturen vertraue, als daß es Verfolgten schnell helfe?
Die Zusatzfrage steht nicht mehr in unmittelbarem Zusammenhang mit der gestellten Frage.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Erler.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung jemals erwogen, die Waffenlieferungen von der Aufklärung des Schicksals der verschwundenen Deutschen abhängig zu machen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, jetzt wird hier von Waffenlieferungen gesprochen. Vorher war von Hermes-Krediten die Rede. Ich lege Wert darauf, noch einmal festzustellen, daß die Bundesregierung jeden Weg sucht, der es uns möglich macht, Unrecht und die Verletzung von Menschenrechten zu bekämpfen. Wir versuchen das auf den Wegen zu tun — ich habe das im Zusammenhang der Beantwortung einer dieser Fragen auch gesagt —, die uns zur Verfügung stehen. Wir sollten — das haben wir wiederholt in die verschiedenen Richtungen dieses Hauses gesagt — unsere Möglichkeiten hier nicht überschätzen. Für die Regierung kommt es immer wieder darauf an, daß im Einzelfall das jeweils bestmögliche Ergebnis erzielt wird.
Ich meine, es sollte ein Interesse daran bestehen, daß die Bundesregierung diese Politik im humanitären Bereich aufrechterhält.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 102 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Was gedenkt die Bundesregierung unter Berufung auf die gemeinsame deutsch-rumänische Erklärung vom 7. Januar 1978, „daß humanitäre Fragen im Bereich der Familienzusammenführung weiterhin wohlwollend behandelt werden", dafür zu tun, daß den ausreisewilligen Deutschen wenigstens die Formulare zum Stellen eines Antrags auf Ausreise ausgehändigt werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung geht davon aus, daß die wohlwollende Behandlung von Ausreiseanliegen im Bereich der Familienzusammenführung selbstverständlich auch die Möglichkeit zur Antragstellung einschließt. Die Bundesregierung ist bereit, sich auch im Einzelfall für die Überwindung aufgetretener Schwierigkeiten einzusetzen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, wäre es nicht auf Grund der Fülle von Einzelfällen geboten, daß hier eine generelle Klärung, und zwar durch ein Spitzengespräch der Unterzeichner der Bukarester Erklärung vom 7. Januar 1978, herbeigeführt wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir gehen davon aus, daß sich die rumänische Seite voll an die von Ihnen zitierte Erklärung hält. Selbstverständlich -- ich unterstreiche das noch einmal von dieser Stelle aus — gehört zur Durchführung dieser Absichtserklärung auch die Möglichkeit der Antragstellung. Wo immer wir erfahren, daß es darin Schwierigkeiten gibt, wird sich die Bundesregierung bemühen, die Antragstellung zu ermöglichen.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wenn Sie davon ausgehen, daß die rumänische Seite die gemeinsame Erklärung vom 7. Januar erfüllt: Wie erklären Sie es sich, daß neuerdings sogar eine neue Prozedur, die die Ausreise erschwert, einge-
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Dr. Hupkaführt worden ist, indem zuerst Anträge gestellt werden müssen, um überhaupt ein Formular für einen Ausreiseantrag zu erhalten?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Hupka, ich gehe davon aus, daß die rumänische Seite für sich entscheiden muß, welche administrativen Verfahren sie wählt, um die Ausreise zu ermöglichen. Aber ich unterstreiche noch einmal: Wir möchten, daß dabei ein möglichst einfaches und überschaubares Verfahren für die Ausreisewilligen besteht. Selbstverständlich können nicht dadurch Schwierigkeiten gemacht werden, daß man keine Antragsformulare erhält. Wie man aber an die Antragsformulare herankommt, müssen wir der rumänischen Regierung überlassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß sich die Lage der ausreisewilligen Deutschen in Rumänien nach der gemeinsamen Erklärung vom 7. Januar 1978 verbessert hat, oder ist sie der Meinung — ich verweise insbesondere auf die Rede des Staats- und Parteichefs Ceaucescu vor dem Rat der Werktätigen der deutschen und ungarischen Nationalität im März dieses Jahres —, daß sich ihre Lage verschlechtert hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Es ist wahrscheinlich zu früh, dies wirklich zu beurteilen. Wenn ich eine erste Zahl nennen soll, so kann ich sagen, daß die Zahl der Ausreisen im März deutlich über den Zahlen von Januar und Februar lag. Aber dies ist als solches keine schlüssige Auskunft über die Entwicklung.
Lassen Sie uns also zu einem späteren Zeitpunkt beurteilen, welche Wirkung diese gemeinsame Erklärung gehabt hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung nicht mit mir der Meinung, daß es ratsam ist, sofort zu Beginn der Wirksamkeit der deutsch-rumänischen Erklärung — in dieser Zeit sind wir ja — beginnenden Mißverständnissen vorzubeugen und insofern dem Vorschlag des Kollegen Hupka zu folgen, diese Mißverständnisse von vornherein auszuräumen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, sicherlich. Wenn sich in einem Einzelfall ein Problem ergibt, helfen wir. Wenn sich die Einzelfälle häufen und sich ein bestimmtes Verfahren als erschwerend erweist, werden wir auf diese Fälle insgesamt hinweisen.
Die Bundesregierung ist daran interessiert — dessen können Sie doch versichert sein —, die Durchführung der Absichten der gemeinsamen Erklärung zu ermöglichen und zu erleichtern. Wir werden alles tun, um das zu bewirken.
Ich rufe die Frage 103 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Hat die Bundesregierung die Note der UdSSR an das Auswärtige Amt betr. Einbeziehung des Generalkonsulats der UdSSR in Berlin-West in das Verzeichnis der konsularischen Vertretungen in der Bundesrepublik Deutschland vom 21. März 1975 beantwortet und gegebenenfalls wie?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Verbalnote der Botschaft der UdSSR vom 21. März 1975 betreffend die Aufnahme des Generalkonsulats der UdSSR in das Verzeichnis der konsularischen Vertretungen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin wurde nicht beantwortet.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, kann man aber dann angesichts der Note des Auswärtigen Amts vom 16. Januar 1975 und der darin festgestellten und von den Alliierten gebilligten Mitarbeit der Bundesrepublik Deutschland bei der Akkreditierung des sowjetischen Generalkonsuls in Berlin davon ausgehen, daß die Aufnahme des Generalkonsuls in das amtliche Verzeichnis der konsularischen Vertretungen im vollen Einklang mit den Bestimmungen des Viermächteabkommens über die Bindungen des Landes Berlin an die Bundesrepublik Deutschland erfolgte?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, davon gehe ich aus.
Noch eine Zusatzfrage, bitte.
Bedeutet das auch, daß in neuen amtlichen Verzeichnissen konsularischer Vertretungen in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin bezüglich des sowjetischen Generalkonsulats ebenso verfahren wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich hatte soeben gesagt, daß ich von einer bestimmten Rechtslage ausgehe, nämlich von der, wie wir sie verstehen. Ich gehe weiter davon aus, daß man in der Zukunft so verfährt, wie man in der Vergangenheit verfahren ist.
Keine weiteren Zusatzfragen.Dann rufe ich die Frage 104 des Herrn Abgeordneten Czaja auf:Hat der politische Menschenrechtsakt der Vereinten Nationen in ganz Berlin volle rechtliche Wirkung?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die DDR hat bei Hinterlegung ihrer Ratifikationsurkunde am 8. November 1973 eine entsprechende Erklärung für Berlin nicht abgegeben. Die DDR sieht allerdings alle von ihr geschlossenen Verträge auch als für Berlin (Ost) gültig und rechtsverbindlich an.
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Eine Zusatzfrage, bitte.
Ist die Ratifikationsurkunde, die die Bundesrepublik Deutschland mit Bezug auf das Land Berlin bei den Vereinten Nationen hinterlegt hat, in vollem Wortlaut rechtswirksam, und haben einseitige Verwahrungen der UdSSR und der DDR, wonach der Menschenrechtspakt in Berlin rechtswidrig und unzulässig sei, keinen Einfluß auf die Verbindlichkeit des politischen Menschenrechtspaktes in ganz Berlin?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde für die Bundesrepublik Deutschland am 17. Dezember 1973 erklärt, daß der Pakt von dem Tage an, an dem er für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft treten wird, auch für Berlin gilt.
Zusatzfrage.
Dr. Czaja CDU/CSU) :: Herr Staatsminister, es ist also der politische Menschenrechtspakt auf dem Gebiete des Landes Berlin in allen seinen Bestimmungn rechtswirksam, z. B. auch bezüglich gesetzlicher, eindeutig festgelegter überprüfbarer Einschränkungen von Freiheitsregeln aus Gründen der Sicherheit und der öffentlichen Ordnung?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, wir haben über die mittelbare Rechtswirkung des hier zur Diskussion stehenden Paktes in diesem Hause schon mehrfach gesprochen. Ich habe auch schon mehrfach auf die Grenzen hingewiesen, die hier gezogen sind.
Im übrigen wiederhole ich meine Antwort, daß die Erklärung der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde deutlich gemacht hat, daß der Pakt, soweit er für die Bundesrepublik Deutschland gilt, auch für Berlin gilt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Wittmann.
Herr Staatsminister, hat dieser Weltpakt für Menschenrechte im Land Berlin die gleiche Geltungskraft wie die 1950 unterzeichnete Europäische Menschenrechtskonvention?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, soweit sich ratifizierte Verträge auf Berlin erstrecken, haben sie dort die — entsprechend dem Status von Berlin — ihnen zustehende Rechtswirksamkeit.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, hat eine der vier für Berlin zuständigen Mächte bei
Inkrafttreten oder vor dem Inkrafttreten dieses Paktes, was Berlin oder eines seiner beiden Teile betrifft, einen Vorbehalt angemeldet?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich möchte am liebsten wiederholen, was ich gesagt habe, nämlich unterstreichen, daß die Bundesregierung bei Hinterlegung erklärt hat, daß der Pakt, wenn er für die Bundesrepublik Deutschland gelten wird, auch für Berlin gelten wird. Dies scheint mir der entscheidende Tatbestand zu sein.
Ich rufe die Frage 105 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann auf:
Wurde und gegebenenfalls wann mit der Tschechoslowakei eine gemeinsame Grenzkommission gebildet, und welche Aufgaben hat diese?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Mit der Tschechoslowakei wurde keine gemeinsame Grenzkommission gebildet. Es haben Gespräche mit der Regierung der CSSR stattgefunden, die nach Auffassung der Bundesregierung zur Ernennung von Grenzbevollmächtigten führen sollen. Deren Aufgaben würden sich aus dem ihnen jeweils erteilten Mandat ergeben.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist nicht geplant, so etwas ähnliches wie eine Grenzkommission aus diesen Bevollmächtigten und den zugehörigen Beamten zu bilden? Warum wird diese gebildet, und wer hat die Initiative dazu ergriffen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es ist das beabsichtigt, was ich dargestellt habe, nämlich die Ernennung von Grenzbevollmächtigten; diese hätten dann die Aufgaben, die Sie offenbar einer Kommission zuschreiben möchten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben eben von möglichen Mandaten für derartige Grenzbevollmächtigte gesprochen. Können Sie dem Hohen Hause sagen, welche Vorstellungen die Bundesrepublik Deutschland oder die Tschechoslowakei von Mandaten für derartige Grenzbevollmächtigte hat?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, das kann ich erst dann tun, wenn die nächste Phase erreicht sein wird, wenn wir nämlich imstande sein werden, festzustellen, inwieweit das von uns eingeschlagene und von mir hier beschriebene Verfahren erfolgreich sein wird.
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Die letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wittmann.
Herr Staatsminister, hat die Tschechoslowakei hinsichtlich der Kompetenz dieser Bevollmächtigten konkrete Wünsche geäußert?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Das kann ich im Augenblick nicht sagen. Aber selbst wenn das der Fall wäre, möchte ich hier unterstreichen, daß wir zunächst warten wollen, bis diese Phase, dieser Abschnitt abgeschlossen ist. Dann werden wir im einzelnen über die Aufgaben und das Mandat zu reden haben.
Ich rufe die Frage 108 des Herrn Abgeordneten Eickmeyer auf. Die Frage wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 109 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die sowjetische Politik gegenüber der Dritten und Vierten Welt insbesondere im südlichen Afrika und am Horn von Afrika Krisen verschärft und den internationalen Frieden gefährdet, und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung verfolgt die Politik der Sowjetunion und ihrer Verbündeten in Afrika mit Besorgnis. Sie gibt der Hoffnung Ausdruck, daß die Staaten des Warschauer Paktes die Bemühungen um friedliche Konfliktlösung auch in Afrika unterstützen.
Zusatzfrage, Herr Dr. Kunz.
Herr Staatsminister, welche afrikanischen Staaten und Organisationen erhalten gleichzeitig sowjetische Militärhilfe und von der Bundesrepublik finanzielle oder wirtschaftliche Hilfe?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann Ihnen auf diese Frage im Augenblick keine abschließende Antwort geben.
Aber im Prinzip ist sicherlich festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland Wert darauf legen muß, Beziehungen zu afrikanischen Staaten nicht dadurch unterbrechen zu lassen, daß diese auch zu anderen Staaten in der Welt, die nicht zum Bereich des sogenannten Westens gehören, Beziehungen aufnehmen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Dr. Kunz.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, mir eine komplette schriftliche Aufstellung der von meiner Frage angesprochenen Länder und Organisationen zu geben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ja, Herr Kollege, das bin ich sicherlich. Ich möchte nur noch einmal das unterstreichen, was ich zum Hintergrund Ihrer Frage gesagt habe und möchte das eigentlich für den wesentlichen Teil der Antwort erklären.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Todenhöfer.
Herr Staatsminister, Sie sprachen von Ihrer Besorgnis über die Politik der Sowjetunion in der Dritten Welt. Ich möchte nachfragen: Mit welchen Mitteln will die Bundesregierung der sowjetischen Expansionspolitik in Afrika konkret entgegentreten, und- wird Bundeskanzler Schmidt dieses Herrn Breschnew bei seinem Deutschlandbesuch mit aller Deutlichkeit sagen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Todenhöfer, das wichtigste Mittel, das die Bundesrepublik hier in der Hand hat, ist die Stärkung der Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten und auch die Stärkung derjenigen in Afrika, die noch um ihre Unabhängigkeit ringen. Aber für uns muß es darauf ankommen, niemandem einen Anlaß zu geben, sich in Dinge einzumischen, die zwischen Afrikanern auf friedliche Weise gelöst werden könnten. Die Bundesregierung wird auf diese ihre Politik, die Unabhängigkeit in Afrika zu stärken, allen Gesprächspartnern gegenüber immer wieder hinweisen; selbstverständlich so auch in den Gesprächen, die mit Generalsekretär Breschnew in Bonn geführt werden.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Erler.
Herr Staatsminister, beurteilt die Bundesregierung die sowjetische Intervention in Afrika in genau der gleichen Weise wie die französischen Interventionen etwa in der Westsahara oder im Tschad?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin Erler, wir sind der Auffassung, daß es darauf ankommt, die Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten zu stärken und, wie ich dem Kollegen Todenhöfer eben gesagt habe, nicht Anlässe zu geben für eine Intervention dritter Staaten, also nichtafrikanischer Staaten, z. B. indem man die Entwicklung zur Selbständigkeit nicht ausreichend fördert.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage, die Sie eben über die Besorgnis der Bundesregierung gemacht haben, angesichts der Tatsache, daß der sowjetische Partei- und Staatschef Breschnew vorgestern vor dem Komsomol erklärt hat, alles, was über die Afrikapolitik der Sowjetunion im Westen gesagt werde, seien üble Verleumdungen?
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6950 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Sie oder Ihre Kollegen haben darauf hingewiesen, daß die Möglichkeit eines Gespräches über die hier offenbar unterschiedlichen Auffassungen in den allernächsten Tagen gegeben sein wird. Es ist ganz sicher, daß der Bundeskanzler und die Vertreter der Bundesregierung, die diese Gespräche führen werden, diese unsere Besorgnis erläutern werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Berger .
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Aktivitäten der Sowjetunion bzw. ihrer Steilvertreter in der Dritten und Vierten Welt, insbesondere am Horn von Afrika, auch die Sicherheit Europas und damit die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betreffen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: In einer so verflochtenen Welt, wie wir sie heute haben, ist die Sicherheit jedes Landes immer dann gefährdet, wenn es in Teilen dieser Welt Unsicherheiten gibt. Deswegen ist natürlich auch die Entwicklung am Horn von Afrika für Europa von erheblicher sicherheitspolitischer Bedeutung.
Für eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben vorhin gesagt, man sollte keine Anlässe bieten, daß die Selbständigkeit der afrikanischen Staaten gefährdet wird. Welchen Anlaß hat Äthiopien dafür gegeben, daß Kuba und die Sowjetunion interveniert haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, wenn ich das richtig verstanden habe, hat unter anderem Präsident Carter im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zwischen Somalia und Äthiopien darauf hingewiesen, daß die ersten Schritte der kriegerischen Auseinandersetzung nicht von Äthiopien gemacht worden sind. Selbstverständlich kommt es darauf an, daß man in einer solchen Auseinandersetzung dafür Sorge trägt, soweit man Einfluß hierauf nehmen kann, daß die Sicherheit der Grenzen in Afrika, die ja dort auf Grund ihres künstlichen Ursprungs eine besondere Rolle spielen, nicht in Frage gestellt wird.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 110 und 111 sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich rufe auf die Frage 112 des Abgeordneten Dr. Hoffacker:
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß die Politik der Sowjetunion im Hinblick auf deren Maßnahmen am Horn von Afrika und im Hinblick auf ihre Zusammenarbeit mit Kuba in Afrika nach Art und Umfang geeignet ist, konstruktive Beiträge zur Entwicklung dieser Länder in Afrika zu erbringen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Probleme Afrikas durch die afrikanischen Staaten gelöst werden müssen. Aus diesem Grunde ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Intervention der Sowjetunion durch Waffenlieferungen und andere militärische Unterstützung am Horn von Afrika eine solche Entwicklung erschwert. Nur eine Rücknahme dieser Unterstützungen kann zu einer friedlichen Lösung der regionalen Probleme durch die betroffenen Staaten selbst führen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, was wird die Bundesregierung tun, um die guten Beziehungen zu Somalia weiter zu fördern — Mogadischu ist ja nicht vergessen —, und was wird die Bundesregierung tun, um Somalia vor einem Zugriff durch die Sowjetunion zu schützen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, was die Bundesregierung hier tun kann, ist in erster Linie der politische Hinweis darauf, daß es in Afrika um die Respektierung bestehender Grenzen geht, und zwar jeweils auf beiden Seiten. Die Bundesregierung hat das im Rahmen der europäischen politischen Zusammenarbeit getan. Sie hat gemeinsam mit ihren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft auf beide Parteien am Horn von Afrika Einfluß zu nehmen versucht, und sie tut dies durch vielerlei Aktivitäten. Uns ist, selbstverständlich nicht nur wegen der Ereignisse in Mogadischu, an der Integrität, an der Unverletztheit Somalias gelegen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung in den Bemühungen der Sowjetunion um eine Föderation von Somalia und Äthiopien nicht den ersten Schritt für einen solchen Zugriff durch die Sowjetunion?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich könnte mir vorstellen, daß Sie hier gewisse Nachrichten mißverstanden haben. Es gibt am Horn von Afrika eine Überschneidung von Stämmen, der Bevölkerung auf der einen Seite und bestehenden Grenzen auf der anderen Seite. Dies ist in den verschiedenen umstrittenen Regionen des Horns von Afrika von besonderer Bedeutung und war und ist auch der Anlaß für die Auseinandersetzung. Es wird darauf ankommen, Wege zu finden, bei Aufrechterhaltung bestehender Grenzen den jeweils in den anderen Staaten lebenden Angehörigen anderer Sprachkreise, also dem, was man Minderheiten nennt, zu einer Sicherheit und Eigenständigkeit im Rahmen der bestehenden Staatsordnung zu verhelfen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hüsch.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung, die auch vom
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Dr. Hüschfrüheren amerikanischen Außenminister Kissinger zum Ausdruck gebracht worden war, daß das Horn von Afrika genau der Platz ist, an dem man die Sowjetunion zur eindeutigen Wahl zwischen Entspannung und Frieden auf der einen Seite und Expansion auf der anderen Seite veranlassen sollte?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich glaube, Herr Kollege, man kann sich nicht in dieser Weise auf ein bestimmtes Zitat reduzieren lassen. Wir würden ja dann fast eine Einladung aussprechen, als ob an anderer Stelle dies weniger bedeutsam sei. Für die Bundesrepublik Deutschland kommt es darauf an, Entspannung in allen Teilen der Welt voranzutreiben, in Europa, in Afrika, und dies durch Selbstbestimmung und durch die Stärkung der Selbstbestimmung zu ermöglichen. Ich möchte mich hier nicht auf ein bestimmtes Zitat eingrenzen und reduzieren lassen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Erler.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß, solange sich die Bundesrepublik nicht selber als imperialistischen Staat versteht, es nicht ihre Aufgabe ist, für irgendeinen anderen souveränen Staat Schutzmacht zu spielen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, das ist sicherlich richtig. Auf der anderen Seite sind wir natürlich daran interessiert, daß keine kriegerischen Auseinandersetzungen in anderen Teilen der Welt stattfinden. Soweit wir darauf Einfluß nehmen können, werden wir versuchen, dies auf friedlichem Wege und im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten zu tun.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Berger .
Herr Staatsminister, würde die Bundesregierung die Stärkung der Selbständigkeit der afrikanischen Staaten am Horn von Afrika als imperialistisch bezeichnen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Aber selbstverständlich nicht, und ich bin sicher, auch die Kollegin Erler nicht.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 113 des Abgeordneten Petersen auf:
Welche politischen Interventionen in internationalen Institutionen — z. B. in der UNO — beabsichtigt die Bundesregierung, um eine nachhaltige Ablehnung des kommunistischen Interventionismus in der Dritten Welt herbeizuführen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung wird weiterhin in allen internationalen Institutionen eine Politik verfolgen, die einmal durch demokratische Selbstbestimmung der Länder der Dritten Welt die Voraussetzungen für Interventionen dritter Mächte beseitigt und die zum anderen durch politische und wirtschaftliche Unterstützung der Länder der Dritten Welt dafür Sorge trägt, daß diese Selbständigkeit dann auch bewahrt werden kann.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 114 des Abgeordneten Dr. Hennig auf:
In welchem Verhältnis steht nach Ansicht der Bundesregierung die Tatsache, daß es zur Zeit wesentlich leichter ist, nach Peking, Kapstadt oder Santiago de Chile zu reisen als nach Königsberg oder anderen Orten im nördlichen Ostpreußen, zu den eindeutigen Absichtserklärungen der KSZE-Schlußakte von Helsinki?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Präsident, mir würde daran liegen, die Fragen 114 und 115 zusammen zu beantworten.
Einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 115 des Abgeordneten Dr. Hennig auf:
Ist die Bundesregierung bereit, bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit über die Erleichterung von Reisemöglichkeiten ins nördliche Ostpreußen zu sprechen und nachdrücklich zu fragen, warum hier die Sowjetunion so eklatant hinter dem zurückbleibt, was die polnische Regierung für das südliche Ostpreußen schon lange zugesteht, und auf diese Weise zumindest touristische Besuche im ganzen Ostpreußen zu ermöglichen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung beteuert die Tatsache, daß es nicht möglich ist, das nördliche Ostpreußen zu besuchen. Die Botschaft in Moskau hat sich schon wiederholt im sowjetischen Außenministerium dafür eingesetzt, daß Besuchsreisen auch in das nördliche Ostpreußen möglich werden.
Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatsminister, ist Ihnen ein anderes vergleichbares Land in der ganzen Welt bekannt, in das einzureisen so schwierig, um nicht zu sagen, unmöglich ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es gibt in jedem Land Regionen, in die zu reisen schwer ist. Hier im Westen, bei uns, spielt es faktisch keine Rolle. In anderen Ländern gilt dies in stärkerem Umfange. Ich kann einen solchen Vergleich nicht ziehen und daher Ihrer Zusatzfrage so nicht zustimmen, weil mir dieser Vergleich nicht möglich erscheint.
Eine weitere Zusatzfrage.
Sind nach Meinung der Bundesregierung hierfür militärische Gründe in der Gänze des Gebietes maßgebend oder möglicherweise eine Unsicherheit der Sowjetunion?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann das nicht beantworten. Es gibt, wie gesagt, Sperrgebiete in einer Vielzahl von Ländern. Ich kann nur unterstreichen: Die Bundesregierung bemüht sich, die Einreise ins nördliche Ostpreußen zu ermöglichen.
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6952 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Weitere Zusatzfrage.
Muß nicht die Bundesregierung nach Ihrer Antwort, die Sie mir gegeben haben, dieses für ein wichtiges Thema halten, das sie mit Herrn Breschnew bei seinem bevorstehenden Besuch in Bonn besprechen wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, daß wir das für ein wichtiges Thema halten, ergibt sich ja daraus, daß wir in dieser Frage versucht haben, im Außenministerium in Moskau vorstellig zu werden. Ob der anstehende Besuch Gelegenheit geben wird, darüber zu sprechen, kann ich im Augenblick nicht sagen.
Noch eine Zusatzfrage.
Darf ich Sie danach fragen, ob sich die Bundesregierung prinzipiell für berechtigt hält, dieses Thema mit Herrn Breschnew zu besprechen, oder ob sie das gar für eine Einmischung in die Angelegenheiten eines anderen Landes halten würde?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann Ihre Frage insofern nicht verstehen, als ich eben gerade gesagt habe, daß wir sogar auf diplomatischem Wege bereits versucht haben, in dieser Frage unser Interesse deutlich werden zu lassen. Es steht also nicht zur Diskussion, daß wir das als eine Einmischung betrachten würden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben von diplomatischen Kontakten gesprochen, darum die Frage: Welche Antwort und welche Gründe hat die Sowjetunion mitgeteilt, warum es nicht möglich sein kann, als Besucher in den Norden Ostpreußens zu reisen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Soweit uns bekanntgeworden ist, sind im nördlichen Ostpreußen zahlreiche Gebiete zu sogenannten Sperrgebieten erklärt worden. Die Beschränkungen für Reisen in diese Gebiete gelten auch für Vertreter ausländischer Botschaften und, soweit uns bekanntgeworden ist, selbst für Sowjetbürger. Darüber hinaus kann ich Ihnen hier im Augenblick keine Auskunft geben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß das nördliche Ostpreußen nicht aus dem Bereich ausgeklammert werden kann, für den die Vereinbarungen der Schlußakte von Helsinki und die dort vereinbarte Verbesserung des Reiseverkehrs gelten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, das ist sicher richtig, aber ich unterstreiche noch einmal, daß auch die Schlußakte davon ausgeht, daß es Reisebeschränkungen für gewisse Gebiete gibt. Dies ist, wie gesagt, in den meisten Ländern der Welt in dem einen oder anderen Fall üblich. Insofern wird man sich hier nur begrenzt auf die Schlußakte selbst beziehen können.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatsminister, Sie hatten vorhin berichtet, daß die Bundesregierung diplomatische Bemühungen um die Eröffnung der Möglichkeit von Besuchsreisen bei der sowjetischen Seite unternommen habe. Wurden in Beantwortung dieser Bemühungen von sowjetischer Seite überhaupt keine Argumente in die Antwort einbezogen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, ich hatte eben gesagt, soweit uns auch aus diesen Gesprächen bekanntgeworden ist, sind im nördlichen Ostpreußen zahlreiche Gebiete zu Sperrgebieten erklärt worden. Ich habe hinzugefügt, daß diese Beschränkung der Reisen für die Vertreter ausländischer Botschaften und sogar für Sowjetbürger gilt. Das sind die Argumente, von denen wir hier auszugehen haben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, da schon keine Reisen in den Norden Ostpreußens möglich sind, besitzt die Bundesregierung wenigstens Informationen, wie es um die Statten in Königsberg bestellt ist, die mit dem Namen Immanuel Kant verbunden werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, es gab immer wieder Berichte, und diese Berichte, die zum Teil auch veröffentlicht worden sind, sind natürlich auch der Bundesregierung bekannt. Mir ist im Augenblick nicht geläufig, ob darüber hinaus Berichte vorliegen, die der Öffentlichkeit bisher nicht zugänglich waren. Wenn Sie an solchen Berichten interessiert sein sollten und es derartige Berichte gibt und ich sie Ihnen zugänglich machen kann und darf, will ich das gern tun.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weisskirchen.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, ob Herr Ministerpräsident Goppel anläßlich der Ausstellung des Freistaates Bayern in Moskau die hier behandelten Fragen angeschnitten hat?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, das ist mir nicht bekannt.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6953
Herr Abgeordneter, dies war genau eine der Dreiecksfragen, von denen ich eingangs der Fragestunde gesagt habe, daß es sie bei uns nicht mehr geben sollte. — Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir haben in der Fragestunde noch fünf Minuten. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe Frage 30 des Abgeordneten Dr. Jobst auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Wettbewerbsverzerrungen auf dem süddeutschen Stahlmarkt, die durch Niedrigpreispolitik ausländischer Hersteller und durch Nichteinhaltung der EG-Mindestpreisregelung entstanden sind, zu beseitigen, um damit zu verhindern, daß weitere Arbeitsplätze in der süddeutschen Stahlindustrie verlorengehen?
Herr Kollege, die Bundesregierung verfolgt mit wachsender Sorge, daß eine Reihe von Stahlunternehmen der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft die von der EG-Kommission festgesetzten Mindestpreise für Beton- und Stabstahl insbesondere auf dem süddeutschen Markt unterbieten und sich so gegenüber den deutschen Unternehmen, die die Vorschriften der EG-Kommission respektieren, beträchtliche Wettbewerbsvorteile verschaffen.
Die Bundesregierung hat in den letzten Monaten im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft wiederholt darauf hingewiesen, daß eine derartige Praxis, die zu Lasten unserer Unternehmen geht, nicht hingenommen werden kann und daß das Verhalten der illoyalen Unternehmen die Wirksamkeit der gesamten Krisenmaßnahmen in Frage stellt. Sie hat die Kommission mehrfach dringend aufgefordert, ihre obligatorischen Preisregelungen gegenüber allen Unternehmen der Gemeinschaft im Wege der Verhängung von Geldbußen durchzusetzen, damit nicht die loyalen Unternehmen auf Grund dieser Bestimmungen schwer geschädigt werden. Erst vor wenigen Tagen ist die Bundesregierung erneut an die Kommission herangetreten.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat wiederholt wirksame Maßnahmen zugesagt. Es laufen auch Bemühungen auf der Ebene der Stahlindustrie, um die Schwierigkeiten zu mildern. Die Bundesregierung wird mit Nachdruck weiter tätig bleiben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn der Bundesregierung bekannt ist, daß die einschneidenden Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der süddeutschen Stahlindustrie andauern, möchte ich Sie fragen: Gibt es dagegen nationale Schritte, und ist die Bundesregierung willens, solche Schritte zu tun, um zu verhindern, daß in der Stahlindustrie im süddeutschen Raum noch mehr Arbeitsplätze gefährdet werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es gibt keine Rechtsgrundlagen für nationale Maßnahmen der Bundesregierung; diese Rechtsgrundlagen stehen vielmehr lediglich der Kommission zur Verfügung.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte.
Dr. Jobst Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung der Tatsachen bewußt, daß durch die Krise der Stahlindustrie im süddeutschen Raum und durch die erfolgte Umstrukturierung im Unternehmen Max-Hütte bereits einige tausend Arbeitsplätze verlorengegangen sind, daß der Verlust weiterer Arbeitsplätze droht, daß Arbeitsplätze in diesem Raum dadurch verlorengehen werden, daß das vorhandene Braunkohlevorkommen ausläuft, und daß in der Bevölkerung große Sorgen um die Arbeitsplätze vorhanden sind, und was will die Bundesregierung hier tun?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung kennt die außerordentlich schwierige Lage der Stahlunternehmen, wie sie in Ihrer Frage ja auch geschildert wurde, und ich kann nur noch einmal betonen, daß wir alles in unserer Macht Stehende tun, um die Kommission zu veranlassen, die von ihr ergriffenen Maßnahmen auch mit Sanktionen durchzusetzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wolfram.
Herr Staatssekretär, da es sich in erster Linie um Stahllieferungen aus einem EG-Mitgliedsland handelt, frage ich Sie, ob Sie auch schon bilaterale Gespräche mit dem Lieferland mit dem Ziel geführt haben, derartige wettbewerbsverzerrende Stahlexporte zu unterbinden.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist geschehen, sowohl auf der Ebene der Regierungen als auch auf der Ebene der Unternehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kiechle.
Herr Staatssekretär, haben Sie in Ihre bisherigen Bemühungen auch die Tatsache einbezogen, daß aus Drittländern wie etwa Jugoslawien, aber auch aus dem EG-Land Italien insbesondere auf dem Gebiet der Profilstähle Stahlsorten, die bis zu 50 % billiger sind, als sie in Deutschland hergestellt werden können, im süddeutschen Raum angeboten werden?Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist bekannt, und diese Tatsache war ja auch der Grund für die Maßnahmen, die die Kommission getroffen hat, wobei man sich allerdings bewußt auf die besonders gefährdeten Produktionsbereiche beschränkt hat.
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Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Roth.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir darin zustimmen, daß die Anfragen der Opposition auf eine Verstärkung der sektoralen Strukturpolitik auf nationaler und internationaler Ebene gerichtet sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe diese Anfragen so verstanden und auch so beantwortet, daß einmal getroffene Maßnahmen tatsächlich auch mit Sanktionen durchgesetzt werden sollten; sonst wirken sie kontraproduktiv und erreichen das Gegenteil von dem, was sie eigentlich erreichen sollten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 59 und 60 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die übrigen wegen Zeitablaufs nicht aufgerufenen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind am Ende der Fragestunde.
Wir fahren in der Aussprache zum Tagesordnungspunkt 6 — sektorale Strukturpolitik — fort.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Biedenkopf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Gegenstand der Großen Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur sektoralen Strukturpolitik war nicht nur eine Klärung der konkreten Position, die die Bundesregierung zu Einzelfragen einnimmt, sondern vor allen Dingen auch eine Klärung der Trennungslinie, die nach Auffassung der Bundesregierung zu ziehen ist und auch nach unserer Auffassung gezogen werden muß zwischen der globalen Wirtschaftssteuerung, der globalen Wirtschaftspolitik und der sektoralen Intervention.Es geht uns bei der politischen Auseinandersetzung über diese Frage vor allem um drei Dinge: einmal, die Möglichkeiten sektoraler Beeinflussung der Wirtschaftsentwicklung durch die staatliche Politik zu ermitteln und vor allen Dingen deren Grenzen zu beschreiben; zum zweiten, die Zusammenhänge zwischen der Diskussion über die Instrumente der sektoralen Strukturanalyse und Strukturpolitik einerseits und der arbeitsmarktpolitischen Zielsetzung einer solchen Politik andererseits herzustellen; und zum dritten, die Tragfähigkeit der Erklärungen und Äußerungen zu analysieren, die die Bundesregierung zu diesem Thema abgegeben hat.Ich möchte mit dem dritten Punkt beginnen. Der Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff hat in seiner Rede eine ganze Reihe von Aussagen zu den Grenzen sektoraler Strukturanalyse und sektoraler Strukturpolitik gemacht, die unsere Zustimmung finden können. Diese Aussagen, die zum Teil substantiell und konkret waren, sind wesentlich über das hinausgegangen,
was in der schriftlichen Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage enthalten war.
Die Kritik, die der Herr Kollege Barzel an der schriftlichen Antwort der Bundesregierung geübt hat, wäre zweifellos anders ausgefallen, wenn der wesentliche Inhalt dessen, was der Bundeswirtschaftsminister dem Hohen Hause vorgetragen hat, bereits in der schriftlichen Antwort enthalten gewesen wäre.
Ich möchte mir jetzt eine Einzelanalyse der Frage ersparen, warum diese Differenz entstanden ist. Ich möchte aber auf einen Punkt eingehen, den der Bundeswirtschaftsminister an den Anfang seiner Ausführungen gestellt hat, weil er mir nicht nur für diese Frage, sondern auch für andere wichtige politische Fragen, die wir in diesem Hohen Hause diskutieren, entscheidend zu sein scheint. Das ist das Verständnis des Bundeswirtschaftsministers vom Zusammenhang bzw. Nichtzusammenhang zwischen der von der Bundesregierung formulierten Politik und den von Parteitagen beschlossenen Programmen.Der Bundeswirtschaftsminister hat in Abwehr der von Herrn Kollegen Barzel vorgetragenen Argumente zu den Beschlüssen insbesondere des SPD-Parteitags festgestellt, ein Wettstreit über Parteiprogramme sei hier nicht angezeigt; hier sei über die Politik der Bundesregierung zu sprechen.Ich stimme dieser Auffassung zu, bin aber im Unterschied zum Herrn Bundeswirtschaftsminister der Meinung, daß für die Politik der Bundesregierung die Beschlüsse der Parteitage nicht ohne Bedeutung sein können.
Ich orientiere mich dabei an dem Parteiverständnis, das z. B. in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem von der Opposition angestrengten Verfahren wegen der nach unserer — vom Bundesverfassungsgericht dann bestätigten — Auffassung über die verfassungswidrige Verwendung von Steuermitteln für Parteipropaganda enthalten ist. Dort hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig festgestellt, es sei die Aufgabe der politischen Parteien, politische Auffassungen zu formulieren, mehrheitsfähig zu machen und die Funktionen zu übernehmen, die mit der Auswahl und politischen Unterstützung von Mandatsträgern und Koalitionen verbunden sind. Es ist für mich überhaupt kein Zweifel, daß sich der politische Bewegungsspielraum dieser Bundesregierung — wie jeder Bundesregierung — natürlich auch an den von Parteitagen formulierten politischen Zielen orientieren muß.Es mag richtig sein, daß die Bundesregierung nicht die Absicht hat, den von Herrn Kollegen Barzel zitierten Beschluß des SPD-Parteitages vom November des vergangenen Jahres — so wie er beschlossen worden ist — in die politische Praxis umzusetzen. Das ist aber auch gar nicht behauptet worden. Vielmehr ist festgestellt worden — und diese Feststellung möchte ich wiederholen —, daß solche Partei-
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Dr. Biedenkopftagsbeschlüsse der Bundesregierung auch ein anderes — nämlich diesen Beschlüssen widersprechendes — politisches Handeln unmöglich machen. Die Folge des Vorliegens solcher Parteitagsbeschlüsse, insbesondere wenn die Parteitagsbeschlüsse der beiden Koalitionsfraktionen in unüberbrückbarem Gegensatz zueinander stehen, ist die, daß die Bundesregierung durch die Person des Bundeswirtschaftsministers marktwirtschaftliche Politik zwar verbal vertreten, aber in der Praxis nicht verwirklichen kann.
Diese nicht nur von uns, sondern von vielen beklagte Stagnation des politischen Handelns ist nach meiner Überzeugung und der Überzeugung meiner politischen Freunde eben auf diesen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen den wirtschaftspolitischen Beschlüsse des SPD-Parteitages und den kurz zuvor in Kiel- verabschiedeten wirtschaftspolitischen Thesen der FDP zurückzuführen. Während der SPD-Parteitag unter Mitwirkung des Bundeskanzlers und anderer führender Sozialdemokraten, die Kabinettsämter innehaben, sich auf einen Weg in die dirigistische Interventionssteuerung und damit die Ablösung unternehmerischer Initiative und der Kräfte des Marktes durch bürokratische Gruppenparität und Bevormundung begeben hat, hat die FDP in Kiel eine marktwirtschaftliche Politik zu dem Gegenstand, den wir hier behandeln, beschlossen, die zahlreiche Berührungspunkte mit den wirtschafts- und ordnungspolitischen Vorstellungen der Union aufweist.
Aber gerade dieser Umstand macht es der Regierung unmöglich, in wesentlichen Fragen politische Entscheidungen zu treffen, die in die Zukunft weisen und über ein tagesbezogenes Krisenmanagement hinausreichen. Die SPD-Parteitagsbeschlüsse zeigen insbesondere, daß die Sozialdemokratische Partei einschließlich ihres Bundesvorstandes und damit ihrer Führung der Meinung ist, die Globalsteuerung sei unzureichend und müsse durch ein umfangreiches Instrumentarium, ein Instrumentarium sowohl des Staates als auch nichtstaatlicher Gruppen, ersetzt werden.Ich möchte aus diesem Programm zur näheren Erläuterung der Gefahren, die wir sehen, und zur gleichzeitigen Analyse der Politik, die dort vorgeschlagen wird, nur wenige Punkte herausgreifen. Der erste Punkt ist der der sogenannten Transparenz der Investitions- und Unternehmensentscheidungen. Eine, wie es heißt, „vorausschauende Strukturpolitik für Vollbeschäftigung und humanes Wachstum" soll — ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten — „zur Wiederherstellung der Vollbeschäftigung weitere Strategien sozialdemokratischer Beschäftigungspolitik verfolgen", nämlich unter anderem eine Arbeitsmarktpolitik, insbesondere Arbeitszeitpolitik und verteilungspolitische Maßnahmen, die innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer den unteren Lohngruppen zugute kommen soll.Diese Zielvorgabe, insbesondere die Zielvorgabe einer Arbeitszeitpolitik und einer vorausschauenden Strukturpolitik ist ohne Intervention in die unternehmerische Entscheidungskompetenz und in die Kompetenz der Tarifparteien überhaupt nicht zu verwirklichen.
Denn insbesondere eine Arbeitszeitpolitik, die von der Bundesregierung ausgehen soll — die Tarifparteien sind hier mit keinem Wort erwähnt, auch in der Folge nicht —, läßt sich nur verwirklichen, wenn die Bundesregierung, d. h. wenn die Gesetzgebung die Arbeitszeitregelungen vorschreibt. In der Tat sind auch die konkreten Vorschläge, die an späterer Stelle çles Programmes gemacht werden, solche gesetzgeberischer Art. Die Transparenz, mit der nun diese Politik ermöglicht werden soll, bedeutet im Ergebnis — ich habe schon aus früherem Anlaß auf diesem Zusammenhang hingewiesen — eine völlige Aufdeckung der Einzelentscheidungen der Unternehmen, und zwar mit dem Ziel ihrer Beeinflussung. Das heißt, die Unternehmensentscheidungen werden nicht nach den vollzogenen Entscheidungen transparent gemacht, sondern vor dem Vollzug der Entscheidungen. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Forderung nach einer solchen sektoralen Strukturpolitik und die ebenfalls verfolgte Vorstellung von der Autonomie der Unternehmen, auf der ja die Mitbestimmung der Betriebsräte und der Arbeitnehmervertreter ebenso beruht, wie die Selbständigkeit der Unternehmensentscheidungen miteinander unvereinbar sind. Man kann nicht auf der einen Seite Mitbestimmung der Arbeitnehmer fordern und auf der anderen Seite den Arbeitnehmern eben die Mitbestimmung, die sie im Betrieb kraft der Autonomie der Unternehmen haben, durch eine staatliche Interventionspolitik wieder nehmen.
— Herr Kollege, wenn Sie es nicht verstehen, dann bin ich dafür nicht verantwortlich. Ich hatte nicht das Vergnügen, Sie zum Studenten zu haben.
Der zweite Punkt, auf den es mir hier ankommt, ist die in dem SPD-Beschluß enthaltene Feststellung, daß man nicht Steuervergünstigungen wünsche, sondern offene Subventionen. Hier kehrt die in vielen Äußerungen der Politik der Koalitionsfraktionen enthaltene Vorstellung wieder, ein Abbau der Überlastung der Betriebe mit Steuern sei eine Begünstigung, die Wiederherstellung eines normalen Zustandes also eine sozial ungerechte Wohltat zugunsten der Unternehmer, auf die man politisch verzichten müsse. Statt dessen wird empfohlen, die Unternehmen von offenen Subventionen abhängig zu machen. Wer mehr Selbständigkeit, mehr Selbstbestimmung haben will, der muß daran interessiert sein, daß die Unternehmen über den Einsatz ihrer Mittel selbst entscheiden und daß nicht der Staat darüber entscheidet, wie diese Mittel im praktischen Fall eingesetzt werden sollen. Die einzige Möglichkeit, den Entscheidungsspielraum der Unternehmen und damit den Entscheidungsspielraum der Märkte zu erweitern, ist eine Entlastung der Unternehmen mit der Folge, daß sie selbst über die Investition der so bereitgestellten Mittel verfügen, und
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Dr. Biedenkopfnicht eine Politik, die eine neue Bürokratie aufbaut und dann das den Unternehmen in Form von Subventionen wieder zuteilt, was sie ihnen vorher in Form von Übersteuerungen abgenommen hat.
Der dritte und für mich zentrale Beschlußgegenstand, der nach meiner Auffassung auch einer der Hauptursachen für den Stillstand der Politik der Bundesregierung in diesem Bereich ist, ist die von der SPD geforderte Einrichtung weiterer Mitbestimmungsgremien im Bereich der sektoralen Politik. Der Beschluß des Sozialdemokratischen Parteitages fordert die Einrichtung von Strukturräten der öffentlichen Hand und einen Strukturrat der sozialen Gruppen. Bei dem zweiten Punkt ist entscheidend, daß dieser Strukturrat der sozialen Gruppen Ausschüsse für Sektoren bilden soll, eine branchenspezifische Ausschußgliederung, was im Ergebnis auf sektorale Strukturräte hinausläuft. Die Einrichtung solcher sektoraler Strukturräte bedeutet im Ergebnis — daran besteht jedenfalls unter Sachkundigen kein Zweifel —, daß die Beratungen und Beschlußfassungen in diesen sektoralen Strukturräten die Investitionspolitik und die Kreditpolitik der betroffenen Unternehmen gestalten und bestimmen. Daß hier der Arbeitgeber und die Arbeitnehmer paritätisch mitbestimmen sollen, aber weder von Kunden noch Abnehmern noch Zulieferern noch Vertretern der Öffentlichkeit oder der Allgemeinheit auch nur gesprochen wird, zeigt, daß man im Ergebnis die Wirtschaftspolitik auf sektoraler Ebene einem paritätischen Kartell der beiden direkt beteiligten Gruppen anvertrauen will — eine Situation, die mit Sicherheit dazu führt, daß die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts, des Kartellrechts, des Wettbewerbsgedankens und damit des machtverteilenden Prinzips des Wettbewerbs in auf diese Weise organisierten Bereichen versagen muß, und deshalb an die Stelle freier Märkte reglementierte Märkte durch die die direkt Beteiligten treten. Es ist aber ein Irrtum zu glauben, daß nur deshalb, weil man die direkt Beteiligten mit solchen Aufträgen versieht, die demokratische Verfassung oder die Freiheitlichkeit der Märkte gesichert sei; denn alle die Interessen, die sich im Markt letztlich verwirklichen sollen, insbesondere die Interessen der breiten Bevölkerung, soweit sie nicht unmittelbar beteiligt sind, sind in einem solchen System nicht mehr vertreten. Es ist also im Ergebnis nicht demokratischer, sondern weniger demokratisch als der offene Markt.
Entscheidend ist schließlich nach meiner Auffassung in dem Beschluß des sozialdemokratischen Parteitages, daß die Verbindung zwischen den Fragen der sektoralen und der allgemeinen Strukturpolitik und den Konsequenzen der Tarifpolitik überhaupt nicht angesprochen wird. Die Philosophie, die diesen Beschlüssen zugrunde liegt, will den Staat verpflichten, die Fehlentwicklungen, die sich möglicherweise aus Fehlentscheidungen der Tarifparteien ergeben, mit öffentlichen Mitteln zu korrigieren. Die Folge einer solchen Politik ist: die Interventionen und Korrekturen wachsen, der Umfang der Fehler wächst, die Tarifparteien handeln weiter unabhängig von den staatlichen politischen Zielvorstellungen, was zu einem immer größeren Durcheinander des Entscheidungsprozesses führt, mit der Folge weiterer struktureller Fehlentwicklungen und Verwerfungen, die dann weitere staatliche Interventionen begründen.Auch in der Antwort der Bundesregierung — um zur Antwort der Bundesregierung zurückzukehren — vermisse ich, daß die Äußerungen zur sektoralen Strukturanalyse und Strukturpolitik nicht ausführlich auf den Zusammenhang zwischen den strukturellen Entwicklungen und der Tarifpolitik eingehen. Dies gilt im übrigen auch für den Jahreswirtschaftsbericht 1978, den die Bundesregierung bei der Beantwortung der Großen Anfrage in erheblichem Umfang herangezogen hat. Dort werden zwar Ausführungen über die Verantwortung der Tarifparteien gemacht, aber der enge Zusammenhang zwischen den Schwierigkeiten, in die eine zunehmende Zahl von Betrieben gerade in regional schwächeren Gebieten oder in gefährdeten Sektoren der Wirtschaft gerät, und der Tarifpolitik wird auch im Jahreswirtschaftsbericht 1978 nicht hergestellt.
— Es ist nicht ein Lieblingsthema von mir, sondern eines der Themen, verehrter Herr Kollege, die uns insbesondere dann allen auf den Nägeln brennen sollten, wenn man sieht, wie gegen die Vernunft, gegen den Sachverstand aller Sachverständigen in diesem Lande tarifpolitische Forderungen gegen Betriebe durchgesetzt werden, die dann einen wesentlichen Teil ihrer Arbeitnehmer nicht mehr bezahlen können, so daß daraus eine Arbeitslosigkeit erwächst, die die Gewerkschaften bekämpfen wollen, indem sie z. B. am 1. Mai die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit fordern.
— Daß Sie den Zusammenhang zwischen Lohn- und Gehaltspolitik auf der einen Seite und Beschäftigungspolitik auf der anderen Seite ablehnen müssen, Herr Kollege Roth,
ergibt sich aus dem ganz einfachen Umstand, daß Sie völlig außerstande wären, die kritische Distanz zu den Gewerkschaften zu wahren, die es Ihnen erlauben würde, objektive Urteile zu fällen. Das ist doch ganz unmöglich.
— Das finanzieren eine große Zahl von Leuten, die der Auffassung sind, daß es dringend notwendig ist, einmal wieder etwas objektivere Meinungen in diesem Land zu hören.
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Dr. Biedenkopf— Wenn ich nur ein Viertel der Mittel zur Verfügung hätte, die die Gewerkschaften Ihnen zur Verfügung stellen, wäre ich wahrscheinlich einer der reichsten Institutsleiter in der Bundesrepublik Deutschland.
— Vielleicht haben Sie die Güte, mich jetzt einmal weiterreden zu lassen. Andernfalls muß ich annehmen, daß Sie die Wahrheit nicht ertragen können.
Diese Zusammenhänge zwischen Arbeitsmarktpolitik, Einkommenspolitik und Strukturpolitik sind gestern von dem auch vom Bundeswirtschaftsminister zitierten Professor Stützel auf einem Symposium der Ludwig-Erhard-Stiftung wieder eindrücklich dargestellt worden. Es ist sehr interessant — und ich begrüße das —, daß der Bundeswirtschaftsminister in seiner Rede auch auf den Umstand hingewiesen hat, daß Herr Professor Stützel maßgeblich an der Formulierung der „Kieler Thesen" der FDP beteiligt war. Aber gerade dieser Zusammenhang zwischen dem Einfluß von Professor Stützel auf die FDP-Thesen auf der einen Seite und den Beschlüssen des sozialdemokratischen Parteitages auf der anderen Seite macht deutlich, warum die Bundesregierung diesem politischen Zusammenhang zwischen sektoralen Strukturschwierigkeiten und der Einkommenspolitik nicht wirksam nachgehen kann: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und die Sozialdemokratische Partei verhindern mit ihrem Einfluß auf die Bundesregierung jede wirkliche Auseinandersetzung mit diesem Zusammenhang.
Die Folge ist, daß die allgemeine Strukturpolitik und die sektorale Strukturpolitik sowie in wachsendem Maße öffentliche Subventionen eingesetzt und in Anspruch genommen werden müssen, um die Fehlentwicklungen zu korrigieren, die sich aus einer falschen Einkommens- und Sozialpolitik ergeben.
Ich stimme der Auffassung von Professor Stützel und insofern auch den Auffassungen, die in den Thesen der FDP niedergelegt sind, zu. Ich teile die Auffassung, daß es notwendig ist, bei der Beurteilung der strukturellen Entwicklung wichtiger Industriezweige den engen Zusammenhang zwischen der Lohn- und Einkommenspolitik mit der Leistungsfähigkeit der betreffenen Wirtschaft zu beachten.Wenn insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe nicht von den wachsenden Kosten entlastet werden, die sich aus der Verlagerung sozialer Risiken vom Arbeitnehmer auf den Arbeitgeber ergeben, wenn wir nicht für die kleinen und mittleren Betriebe die Möglichkeit schaffen, die sozialen Lasten, die aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit nicht von den Arbeitnehmern getragen werden können, auf größere Einheiten zu übertragen, dann ist der Zeitpunkt vorauszusehen, zu dem eine immer größere Zahl von kleinen und mittleren Betrieben der Überlastung durch Lohnkosten, Sozialkosten und Steuern nicht mehr gewachsen ist.Das Angebot, diese Überlastung im Rahmen der sektoralen Strukturpolitik durch staatliche Subventionen auszugleichen, ist gleichbedeutend mit einem Angebot der langfristigen Vergesellschaftung eben dieser Industrien; denn in dem Maße, in dem der Staat aus arbeitsmarktpolitischen Gründen gezwungen wird, sich durch Subventionen an der Erhaltung von Arbeitsplätzen zu beteiligen, muß auch sein Einfluß auf die unternehmerischen Entscheidungen wachsen, die in diesen Betrieben getroffen werden.
Es kann keine dauerhafte Finanzierung wirtschaftschaftlicher Unternehmen mit staatlichen Mitteln geben, ohne daß die staatliche Verwaltung, die staatliche Bürokratie, auch die Verwendung dieser Mittel kontrolliert und beeinflußt.Nach sozialdemokratischen Zielvorstellungen, so wie sie in den Parteitagsbeschlüssen zum Ausdruck kommen, wird dieses Ergebnis zumindest in Kauf genommen, wenn nicht angestrebt. Die Bundesregierung ist umgekehrt der Auffassung, daß solche Subventionen und eine derartige Strukturpolitik nicht erwünscht sind — wenn ich der Antwort auf die Große Anfrage und dem folge, was der Bundeswirtschaftsminister dazu gesagt hat. Wir begrüßen diese Antwort.Folgerichtig müssen wir dann jedoch feststellen: Dauerhafte Subventionen, also Subventionen, deren Zweck über das Auffangen von Strukturveränderungen und damit über das hinausgehen, was von der Regierung der Großen Koalition 1968 als strukturpolitische Aufgabe des Staates festgestellt wurde, können nur vermieden werden, wenn die Lebensfähigkeit der Unternehmen auf andere Weise, nämlich durch eine sinnvolle Begrenzung der Belastungen, d. h. durch eine sinnvolle Steuerpolitik und sinnvolle Einkommenspolitik, sichergestellt wird. In dem Vortrag von Herrn Stützel ist der zutreffende Satz enthalten — ich wiederhole ihn, weil ich ihn selbst schon öfter ausgesprochen habe, auch als eigene Meinung —, daß es abwegig ist, vom einzelnen Unternehmer eine Sozialpflichtigkeit seines Handelns zu verlangen, aber eben eine solche Sozialpflichtigkeit bei den beiden Tarifparteien zu bestreiten.Die Durchsetzung der Sozialpflichtigkeit der Tarifparteien bedeutet zu einem ganz wesentlichen Teil die politische Verwirklichung staatlicher Zielvorstellungen im Sinne der Vorgabe wirtschaftspolitischer Daten, die den Zweck haben, die Beseitigung von Arbeitsplätzen durch die Überlastung von Unternehmen mit Kosten, die sie nicht erwirtschaften können, zu verhindern. Wenn man die sektorale Strukturpolitik schon, wie die Sozialdemokraten das tun, unter die Überschrift „Recht auf Arbeit" stellt, dann muß man sich die Frage stellen lassen, wie die Leistungsfähigkeit der Unternehmen im Markt wirklich gesichert werden muß, um das Recht auf Arbeit zu verwirklichen.Wir sind so der Meinung, daß eine sektorale Strukturanalyse sinnvoll sein kann, soweit sie uns
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6958 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Dr. BiedenkopfAuskunft gibt über die strukturellen und wirtschaftspolitischen Zusammenhänge, auf denen Entwicklungen in einzelnen Sektoren der Wirtschaft beruhen. Wir sind der Meinung, daß alle Maßnahmen, die darüber hinausgehen, den Staat in einem Umfang in Einzelentscheidungen der Unternehmen einbezieht, dem er niemals gerecht werden kann.Damit möchte ich zum Schluß ein generelles Bedenken gegen sektorale Strukturpolitik anmelden. Im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung wird auf Seite 18 unter Ziffer 39 auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die sich daraus ergeben, die unterschiedlichen Entscheidungsebenen im staatlichen und gesellschaftlichen Bereich wirkungsvoll miteinander zu koordinieren. Es heißt dort — ich darf zitieren —:Auf Grund der föderativen Struktur und der kommunalen Selbständigkeit sind der Abstimmung der öffentlichen Haushalte enge Grenzen gezogen. Dies gilt auch für die Finanzplanungen. Insbesondere die Koordinierung der großen Zahl gemeindlicher Haushalte ist äußerst schwierig.Wenn diese ohnehin schwierige Koordination¡ jetzt durch die Entwicklung weiterer Gremien, weiterer Zuständigkeiten und weiterer Bürokratien weiter erschwert werden soll, so ist der Zeitpunkt ab- zusehen, zu dem die Entscheidungsgeschwindigkeit dieser Koordinationsprozesse weit hinter der Entwicklungsgeschwindigkeit der Märkte zurückbleibt.
Wenn vom „Investitionsstau" die Rede ist, wird von der Bundesregierung vielfach auf die Gerichte und die schwierigen administrativen Prozesse verwiesen. Diesen administrativen Verfahren sind die Unternehmen ausgesetzt, nachdem sie ihre Investitionspläne entwickelt und die Investitionsdurchführung beschlossen haben. Wenn jetzt im Vorfeld dieser Entscheidungen weitere bürokratische Hindernisse aufgebaut werden, wenn weitere „Transparenz" in Form umfangreichen Abfragens statistischer Unterlagen, Fragebögen und anderes eingeführt wird, ist ein weiteres Anwachsen des von der Bundesregierung beklagten Investitionsstaus unvermeidlich.
Wir können einer sektoralen Strukturpolitik deshalb dann nicht zustimmen, wenn sie über die reine Analyse der Zusammenhänge hinausgeht und wenn sie den Anspruch erhebt — ich stimme hier dem zu, was Herr Kollege Barzel gesagt hat , klüger zu sein als der Markt. Jede solche Entwicklung wird auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen. Dort, wo staatliche Eingriffe aus übergeordneten politischen Gründen notwendig sind, müssen sie in ihrer Wirkung begrenzt und vor allem zeitlich befristet sein. Sie dürfen nicht zu einem Instrument der dauerhaften Beteiligung des Staates an unternehmerischer Verantwortung werden, weil diese dauerhafte Beteiligung des Staates letztlich zur Vergesellschaftung dieser Bereiche und damit zu einer Zerstörung von Verantwortung und Zuständigkeit führt.Der Bundeswirtschaftsminister hat zum Schluß seiner Rede die Verbürokratisierungstendenzen beklagt, die vom europäischen Markt ausgehen. Ich möchte dazu ein Wort sagen. Auch das Parlament, auch meine Fraktion ist zunehmend beunruhigt durch die wachsende Zahl von Vorschriften, die dieses Parlament durchlaufen und innerdeutsches Recht werden, ohne daß eine ausreichende Zahl von Parlamentariern sich je wirklich ernsthaft mit diesen Vorschriften hätte befassen können. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir von den Bürgern Gesetzesgehorsam nicht gegenüber einer wachsenden Flut von Vorschriften verlangen können, über deren Sinn, Inhalt und Zweck Mitglieder dieses Hauses keine Auskunft mehr geben können, weil diese Gesetze im administrativen Durchlaufverfahren beschlossen werden.Dies ist ein generelles Problem, das über die hier diskutierte Materie weit hinausreicht, das aber zu einem wesentlichen Teil zur Stagnation unserer Wirtschaft beiträgt. Selbst kleine und kleinste Betriebe sind auf immer unsinnigere Weise von Harmonisierungsbestrebungen der europäischen Bürokratie betroffen und müssen die so erlassenen Vorschriften als Teil ihrer unternehmerischen Tätigkeit umsetzen, ohne daß sie sich darauf verlassen können, daß der gesunde Menschenverstand und die Sachkenntnis des nationalen Parlaments Unsinn von Notwendigem geschieden haben.Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß uns diese wachsende Flut der Vorschriften politisch zugerechnet wird und daß sich weder die Bundesregierung noch dieses Hohe Haus von der Mitverantwortung für diese Flut unter Hinweis auf europäische Verpflichtungen freisprechen kann. Mir scheint es notwendig zu sein — das halte ich für eine Aufgabe, die uns alle betrifft —, daß wir dieser Entwicklung Einhalt gebieten und daß wir insbesondere erneut prüfen, was unter Harmonisierungsgesichtspunkten nun wirklich vereinheitlicht werden muß und wo die Vielfalt der Entwicklung eher ein Vorteil für die Lebendigkeit unseres Marktes ist als ein Nachteil.Wir sind der Meinung, daß die Wirtschaftspolitik große Anstrengungen machen muß, die Hemmnisse abzubauen, die sich wirtschaftlichen Entscheidungen — der privaten Haushalte ebenso wie der Unternehmer — in den letzten Jahren zunehmend entgegenstellen. Dieser Abbau der Hemmnisse, über den wir uns im Prinzip ja offenbar einig sind, wenn ich die Erklärungen der Bundesregierung zugrunde lege, ist eine Aufgabe, hinsichtlich der die Bundesregierung — das kann und muß die Opposition erwarten — eine Führungsrolle übernehmen muß. Dafür hat sie das politische Mandat, dafür hat sie die politische Verantwortung.
Deshalb wünschen wir uns, und deshalb erwarten wir, daß die Bundesregierung jetzt unverzüglich konkrete Vorschläge macht, wie sie denn die Gasrechnungen vereinfachen will, die der Bundeskanzler nicht mehr lesen kann, wie sie die Vorschriften vereinfachen will, die jetzt die Investitionen stop-
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Dr. Biedenkopfpen, und wie sie das Gestrüppp lichten will, in dem die Initiative der Wirtschaft erstickt, von deren Leistungsfähigkeit wir alle abhängen.
Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Zur Gasrechnung nur eine Bemerkung: Ich bin sicher, daß wir genug Bedienstete in der Bundesverwaltung hätten, die einen Gesetzentwurf betreffend diese Problematik machen könnten. Ich bin auch sicher, daß wir als Koalition dieses Gesetz durch den Bundestag bringen würden.
Ich bin auch sicher, daß Sie versuchen würden, es über das Bundesverfassungsgericht zu Fall zu bringen.
Im übrigen gehört zur Durchsichtigkeit von parlamentarischen Prozessen und von Willensbildungsprozessen, Herr Dr. Biedenkopf, auch, daß die politische Willensbildung in diesem Lande nicht auf die Ebene des Vermittlungsausschusses zwischen Bundesrat und Bundestag,
nicht auf die Ebene des Bundesverfassungsgerichtes rutscht.
Gerade für mich als jungen Abgeordneten will ich sagen: Ich werde Sie in Ihrem Kampf — es ist mein Kampf — gegen eine Überbürokratisierung auf europäischer Ebene unterstützen. Und ich hoffe, daß Sie uns durch ein vernünftiges Verhalten von Opposition bei der Abwendung dieser anderen Gefahr, von der ich gesprochen habe, unterstützen.
Herr Professor Biedenkopf, Sie haben das Recht in Anspruch genommen — das kann ich Ihnen nicht nehmen, das kann Ihnen niemand nehmen —, direkt auf die Regierung zu antworten. Sie haben das Recht in Anspruch genommen, weil es so parlamentarischer Brauch ist. Wir halten uns daran.Ich fand es wenig erfreulich, daß Sie es nicht zustande gekriegt haben, daß Sie nicht den nötigen Großmut gehabt haben, zu warten, bis jedenfalls ein Redner der von Dr. Barzel bereits oft angesprochenen sozialdemokratischen Bundestagsfraktion Gelegenheit gehabt hat, hier Stellung zu nehmen.
— Sie brauchen hier nicht auf die Regierungsbank zu weisen. Sie hätten selbst die ausreichende Größe haben müssen. Sie haben sie nicht gehabt. Ich stelle das nur fest.Die Große Anfrage von Abgeordneten der CDU/ CSU zur sektoralen Strukturpolitik gibt uns also Anlaß, strukturelle Fragen von Wirtschaft und Wirtschaftspolitik zu diskutieren. Das ist das Positive an dieser Sache, aber — wie ich meine — das einzig Positive an dieser Anfrage bzw. an den bisherigen Reden der Opposition. Denn das Mißtrauen, die ordnungspolitische Beckmesserei und die Unsicherheit gegen jede Art von Strukturpolitik wird sowohl in der Anfrage der CDU/CSU-Fraktion wie jetzt in den Reden von Dr. Barzel und Professor Biedenkopf deutlich. Ich halte das angesichts unserer wirtschaftlichen Probleme für verhängnisvoll.Es war für mich nicht überraschend, daß von den wirklichen Problemen eben dieser Wirtschaft, von Arbeitslosigkeit, von Krisenerscheinungen in verschiedenen Sektoren, in den Beiträgen der beiden Redner der Opposition kaum die Rede war.
Aus der Anfrage wird erkennbar, daß sich die CDU/CSU in ideologische Scheinwelten der reinen Lehre von Marktwirtschaft flüchtet,
während Arbeitnehmer und Arbeitgeber angesichts der Strukturwandlungen — ob sie nun beschleunigt sind oder nicht; das ist nicht die Frage; sie sind in einigen Bereichen krisenhaft — Antworten auf diese Krisenerscheinungen verlangen.Was sollen denn Beschwörungsformeln aus der ordoliberalistischen Vorzeit, Herr Dr. Barzel, wenn große Teile der deutschen Stahlindustrie in einem der härtesten Überlebenskämpfe stehen, die sie bisher gehabt haben? Davon muß bei der sektoralen Strukturpolitik die Rede sein. Und ich bin der Bundesregierung dankbar, daß sie an diesem Mittwoch Entscheidungen getroffen hat.
Meine Damen und Herren, Sie können doch nicht einerseits durch Herrn Ministerpräsidenten Röder und seinen Wirtschaftsminister hier sektorale Strukturhilfen für die Stahlindustrie an der Saar abholen und anschließend so tun, als seien Sie gegen das Ganze.
Sonst ist das reine Subventionsstrategie. Wir lehnen reine Subventionsstrategien ab. Wir fordern gerade in diesem Bereich sektorale Überlegungen.Sie können doch nicht, wenn die Maschinenbauindustrie der Bundesrepublik Deutschland — und dabei vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen — in einem internationalen Konkurrenzkampf steht, dessen Ausgang vor allem auf die spä-
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Rothtere deutsche Marktstruktur ungewiß erscheint, in dieser Weise über sektorale Strukturpolitik reden. Sie können es nicht tun, wenn wichtige Industriebranchen — beispielsweise die chemische Industrie und die Elektroindustrie —, obgleich sie in den letzten Jahren insgesamt ein relativ gutes Wachstum gehabt haben, durch ein schnelleres Tempo des Wachstums der Arbeitsproduktivität ständig weniger Arbeitsplätze bieten. Sie können es nicht tun, wenn in Dienstleistungs- und Verwaltungsbereichen, die früher immer mehr Arbeitsplätze anboten, Rationalisierungsprozesse eingesetzt haben, die heute unter dem Strich Verluste von Arbeitsplätzen bedeuten.
Nach meiner Auffassung bewegen Sie sich, meine Damen und Herren von der Opposition, auf einer Ebene, die mit unserer Wirklichkeit, mit unseren Aufgaben, die uns als Politiker gestellt sind — genauso wie den Unternehmern und den Gewerkschaften —, fast nichts zu tun hat. Sie tun so, als gebe es den Markt, die Marktwirtschaft im Staats- oder gesellschaftsfreien Raum. Sie sind sich nicht einmal im klaren darüber — so scheint es mir jedenfalls; bei Professor Biedenkopf klang mir das an —, daß auch der Markt, wenn er funktioniert — und wir sind für funktionierende Märkte —, Ergebnis staatlicher Leistung ist. Es ist ja kein Zufall, daß Sie in Ihrer ganzen Regierungszeit es nicht zustande gebracht haben, ein wirksames Kartellgesetz zu machen,
und daß wir in dieser Legislaturperiode mit der FDP gemeinsam eine weitere Stärkung der Effizienz des des Marktes in dieser Bundesrepublik Deutschland durchsetzen werden. Hier werden wir dann sehen, wo die Interessenpolitik steht, die bisher in diesen Fragen bei Ihnen jeweils durchgeschlagen hat.Die Entscheidung, wo und in welchem Umfang der Markt die Wirtschaft regelt und in welchem Umfang andere gesellschaftliche, nicht notwendigerweise staatliche Steuerungselemente durchgreifen müssen, ist eine Zweckmäßigkeitsfrage und kann nie eine Heilsfrage sein, schon gar keine religiöse Frage wie bei Herrn Professor Biedenkopf. Gerade weil Sie jedoch die Marktwirtschaft im Jenseitigen ansiedeln, haben Sie zu der prakschen Frage, in welchem Umfang staatliche und gesellschaftliche Strukturpolitik notwendig ist, niemals einen nüchternen Zugang gefunden, so auch heute nicht. Bei der Opposition hat Strukturpolitik noch immer den Charakter des Anrüchigen, ja des Obszönen. Strukturpolitik ist für Sie immer nur Ausnahme und findet insoweit keine Ordnung. Damit marschieren Sie nach meiner Auffassung ganz konsequent an der Wirklichkeit vorbei. Nichtanerkennung der Realitäten ist das alte Leiden der konservativen Politik. Dieses Leiden hat auch hier ansteckend gewirkt.Dasselbe gilt übrigens auch für Ihre Dauerpolemik gegen Investitionslenkung. Dabei hat die öffentliche Hand seit sehr langer Zeit unmittelbaren Zugang und mittelbaren Zugang zur Strukturgestaltung und natürlich zur Investitionsbeeinflussung. Gibt es nicht vielfältige Finanzhilfen als Investitionszuschüsse? Wollen Sie die investitionsbeeinflussende Förderung von Bergbau, Luftfahrt, Schiffahrt oder Landwirtschaft einstellen? Was soll Ihr Wehklagen eigentlich über zu vorausschauende Strukturpolitik angesichts der notwendigen Förderung von Forschung und Entwicklung in Schwerpunktbereichen auf der einen Seite und bei kleinen und mittleren Unternehmen auf der anderen Seite?
Natürlich wird hier vorausschauend Strukturpolitik gemacht, und es werden ohne Zweifel auf diesen Gebieten Investitionen gelenkt. Allerdings werden keine Investitionen oder Innovationen kommandiert, weder durch Funktionäre noch durch Strukturräte, wie Sie behaupten. Wer in der Strukturpolitik vor Keuschheit die Realität verdrängt, wind von der Realität eingeholt. Das Ergebnis sind Einzeleingriffe ohne Konzeption und ohne Systematik.Wir kennen diese Art von Eingriffen aus den 50er und 60er Jahren, ja, wir kennen sie aus den letzten Tagen. Ein Beispiel aus der Sitzung des Wirtschaftsausschusses gestern nachmittag. Da lag ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion vor, man wolle die Solartechnik besonders fördern. Das ist ja wohl Investitionslenkung, oder irre ich mich? Es wurde verlangt erstens eine Solarprämie, speziell eine neue Subvention, zweitens ein neues Töpfchen im ERP-Sonderprogramm, im ERP-Wirtschaftsplangese.tz 1978, und drittens — das hat immer noch nicht ausgereicht — verlangte man zusätzlich Verstärkung von Markteinführungs-Subventionen für die Solartechnik vom Bundeswirtschaftsminister. Das war ein Beispiel von unüberlegten Einzelaktivitäten. Herr Lenzer, Ihr technologischer Experte, durfte mal in Investitionslenkung machen, und es war etwas mühsam, Ihre Gruppe im Wirtschaftsausschuß von diesem Wege abzubringen.Oder schauen wir das Energiesparprogramm und die Diskussion darüber an. Die SPD hat zusammen mit dem Koalitionspartner ein klares Konzept einer Zuschußregelung vorgesehen. Dann kam die Landesregierung Niedersachsen, und ihr zu Hilfe Herr Filbinger, und sagte: Nein, das reicht nicht aus. Wir machen das ganz anders. Jetzt soll die Steuerpolitik in den Vordergrund rücken, nämlich Abschreibungsmöglichkeiten. Anschließend haben Landesregierungen Ihrer Provenienz noch zusätzliche Landessubventionen für diesen Zweck vorgesehen.Das Ergebnis wird sein, daß wir nicht einen klaren, eindeutigen Förderungsweg haben. Nein, wir werden erstens Zuschüsse haben, wir werden zweitens im Steuerrecht Veränderungen haben, und drittens machen auch noch die Länder ein mit dem Bund nicht abgestimmtes Programm. Und jetzt, Herr Professor Biedenkopf, erinnern Sie sich an Ihren Kongreß der letzten Woche. Ich sage nur, fangen Sie bei der Entbürokratisierung bei Ihren Länderstrategen Dr. Filbinger und Herrn Albrecht an; das wäre sehr hilfreich für diesen Deutschen Bundestag.
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RothWie gesagt, es ist die falsche Tendenz, Einzeleingriffe vorzunehmen und nachträgliche Reparaturen zuzulassen und dann groß zu reden. Nach unserer Überzeugung müssen wir frühzeitig Fehlentwicklungen und auch neue Chancen in der Wirtschaft erkennen und diese Chancen klar und eindeutig durch Förderung wahrnehmen. Dazu bedarf es nach meiner Auffassung vorausschauender Politik.Unstrittig ist — und ich möchte auf diesem Gebiet der Antwort der Bundesregierung ausdrücklich zustimmen —, daß die statistischen und informativen Grundlagen der sektoralen Strukturpolitik verbessert werden müssen. Vorausschauende Strukturpolitik braucht bessere Prognosen. Wir brauchen bessere Prognosen über die Entwicklung des Kapitalstocks wichtiger Sektoren — nicht aller, aber wichtiger Sektoren —, über die Investitionstendenzen und über die Entwicklung der Produktivitäten.Was interessiert bei diesem Thema die Opposition? Sie will, so sagt sie, keine amtlichen Prognosen; das ist ihr Hauptanliegen. Welche Einfalt drückt sich im Hervorheben dieser Einzelfrage aus! Wogegen ist sie eigentlich? Ist sie dagegen, daß der Bundeswirtschaftsminister einen Stempel auf derartige Prognosen von Instituten draufdrückt. Da kann ihr geholfen werden. Wir wollen das auch nicht. Wir wollen übrigens auch nicht den Weg, den wir bei den Konjunkturgutachten von den Instituten haben, daß die sich zusammensetzen, den allgemeinsten Pfad der Tugend zu formulieren versuchen, sondern wir wollen gerade bei den Branchenprognosen Konkurrenz zwischen Instituten; wir wollen Strukturberichterstattung nicht durch ein einzelnes Institut oder durch ein einziges Gutachten, wollen keine einzelne Prognose, sondern divergierende Prognosen, die zeigen, wo Tendenzen liegen, keine amtlichen. Aber das war nicht das Problem. Gewicht werden diese Prognosen bekommen; da können Sie sich wehren, Herr Professor Biedenkopf, soviel Sie wollen.
— Ich kommen auch noch zu diesem Aspekt, Herr Professor.Herr Dr. Barzel, Sie werden sich damit abfinden müssen, daß wir in Zukunft Branchenprognosen differenzierter Art haben, und wir werden sie in aller Offenheit diskutieren. In dieser Diskussion wird allmählich die Plausibilität der verschiedenen Auffassungen erkannt werden. Nicht anders geht es auch in der konjunkturellen Diskussion.Wir unterstützen also die Bundesregierung bei ihren Bemühungen, eine Verbesserung der Informationsbeschaffung und der Verarbeitung dieser Informationen herbeizuführen. Ein Anfang ist bekanntlich in der Strukturberichterstattung gemacht. Es kommt nun auf weitere Verbesserungen an.Folgendes steht dabei für mich im Vordergrund. Erstens muß die Investitionstätigkeit der Sektoren, insbesondere der strukturbestimmenden Sektoren, frühzeitiger analysiert werden können, als es bisher möglich ist. Dabei kommt es mir — um die Antwort auf den Zwischenruf zu geben — nicht darauf an, ob man das über ein Verfahren der Investitionsmeldepflicht oder über eine Verbesserung und Erweiterung der Investitionstests macht, die wir in der Bundesrepublik Deutschland entwickelt haben. Das ist zunächst eine praktische Frage. Da wir ein Instrument haben, nämlich die Investitionstests, halte ich es für gut, wenn wir vorläufig diesen Weg weiter gehen. Das gleiche gilt für die Abschätzung von Personalplanungen.Wer hier unter dem Vorzeichen „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß" und mit der Ausrede, diese Datenerfassung sei systemwidrig, wer also die Verbreitung des Wissens über Wirtschaftspolitik aus ideologischen Gründen ablehnt, wird im Hinblick auf die Lösung von Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsproblemen unglaubwürdig.
Zweitens. Wir müssen uns schnell einen Überblick über die sektoralen Strukturwirkungen der öffentlichen Hände verschaffen. Ich bin froh, daß das in einer Rede angesprochen wurde. Ich glaube in der Tat, daß wir allen Grund haben, bevor wir das Instrumentarium auf anderer Ebene erweitern, uns zu bemühen, im Bereich der wissenschaftlichen Durchdringung genauso wie in der politischen Analyse, die sektoralen Wirkungen unserer politischen Entscheidungen genauer zu erfassen. Es darf nicht angehen, daß wir Maßnahmen im Bereich der sektoralen Strukturpolitik haben, die sich gegenseitig aufheben oder aufschaukeln, so daß im Anschluß ein Verstärkung von Fehlentwicklungen stattfindet.Drittens. Strukturpolitik benötigt eine bessere Fundierung der Willensbildung in den gesellschaftlichen Kräften. Sie wissen, die Sozialdemokratische Partei hat die Konzertierte Aktion nicht nur unterstützt, sondern mit eingeführt. Es hat sich gezeigt, daß die Konzertierte Aktion vorn Teilnehmerkreis und von der Thematik her zu eng und zum Teil zu unverbindlich war. Strukturwandlungen und Tendenzen der sektoralen Arbeitsmärkte müssen mit in den Vordergrund der Erörterung rücken, wenn die Ursachen des Stukturwandels und der Arbeitslosigkeit früher erkannt werden sollen.Ich sehe eine gute Chance, diese Ziele zu erreichen. Gestern hat der Bundeswirtschaftsminister eine Erklärung abgegeben, daß er beabsichtige, nach vorläufigen Überlegungen zehn Vertreter der Gewerkschaften, zehn Vertreter der Unternehmensverbände und dann entsprechend Vertreter der öffentlichen Hand in der weiterentwickelten Konzertierten Aktion zusammenzuführen. Wir wären als sozialdemokratische Bundestagsfraktion daran interessiert, wenn der bevorstehende DGB-Bundeskongreß auf diesen Vorschlag des Bundeswirtschaftsministers eine positive Antwort fände.
In diesem neuen weiterentwickelten Gremium werden dann strukturelle Fragen eine vorrangige Rolle spielen, die Vollbeschäftigungspolitik mit ihren strukturellen Aspekten.Sie wissen, die SPD hatte auf ihrem Parteitag — und das ist die Zielsetzung unserer Partei — gesamt-
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6962 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Rothwirtschaftliche, keine branchenmäßigen, Strukturräte in Weiterentwicklung der Konzertierten Aktion vorgeschlagen. Dieser Vorschlag steht weiterhin zur Diskussion. Polemische oder tendenziöse Verzerrungen führen an dieser Problematik nicht vorbei. Wir sind froh, daß ein konkreter Vorschlag auf dem Tisch liegt, der einen Zwischenschritt bedeutet.Sie kommen als Opposition auch nicht um zwei Fragen herum. Erstens: Sind alle sozialen Gruppen und alle politischen Kräfte bereit, der Notwendigkeit einer gesamtgesellschaftlichen Koordinierung und Förderung des Strukturwandels zuzustimmen, oder wollen Sie die Entscheidungen vorwiegend dem diskreten Zusammenspiel zwischen Interessengruppen und Bürokratie überlassen? Ich will hier nicht in Beispiele gehen, aber jeder, der im wirtschaftspolitischen Bereich Verantwortung trägt, weiß, wie viele derartige Fälle im Zusammenspiel zwischen einzelnen Verbänden und der Bürokratie es gibt. Durch die Entwicklung nach Europa ist diese Gefahr nur noch größer geworden. Wir wissen, wie stark sich die Europa-Lobby verbreitet hat.Zweitens müssen Sie beantworten: Sind wir bereit, die Diskussion mit den Tarifparteien auf alle arbeitsmarktbestimmenden und investitionsbeeinflussenden Faktoren auszudehnen, oder wollen wir zusehen, wie sich Verteilungskämpfe verschärfen, weil die ausreichende gesellschaftliche Fundierung der Wirtschaftspolitik fehlt? Ich glaube, das ist die entscheidende Frage. Wir können doch nicht während dieser Verstärkung der Strukturwandlungen die Verschärfung der Verteilungskämpfe, der Auseinandersetzungen bei den Tarifen beklagen und keine Alternative vorschlagen. Wir schlagen sie vor. Wir schlagen eine Weiterentwicklung der Konzertierten Aktion vor.
Die CDU behauptet nun — vor kurzem in einem Papier, das in Bonn verteilt wurde —, unsere Vorstellung auf diesem Gebiet ziele darauf, „als Alternative zur Marktwirtschaft ein syndikalistisches Wirtschaftssystem" einzuführen. Dies ist ein Zitat aus einem Papier der Opposition.Wo leben Sie denn eigentlich? Sie tun so, als ob es die Macht der Wirtschaftsverbände nicht gäbe; Sie tun so, als ob es die Großorganisationen in der Gesellschaft nicht gäbe. Die Erfahrung zeigt, daß derartige Machtzusammenballungen die Regelung von sozialen Konflikten verlangen. Wir haben bereits — nicht zuletzt im Tarifstreit — einige Zwischenstufen erreicht. Im Wirtschaftspolitischen gibt es noch ein Defizit. Wir müssen die gesamtwirtschaftlichen Überlegungen mit den sozialen Kräften zusammenbinden. Wegen der Beschleunigung des Strukturwandels muß nach meiner Auffassung die Konzertierte Aktion weiterentwickelt werden.Sie als Opposition stehen vor einer klaren Alternative, und mich würde gerade auch die Meinung der Leute interessieren, die nicht unmittelbar die Interessen vertreten, die zu vertreten mein Vorredner üblicherweise die Tendenz hat. Die Opposition kann in ihrer destruktiven Haltung gegen die Erneuerung der Konzertierten Aktion verharren oder unseren Weg — nämlich eine vertiefte Abstimmung zwischen den sozialen Kräften in Richtung auf eine Mitbestimmung beim Strukturwandel und natürlich bei der Verteilung der Opfer — mitgehen.Wer hier die Gewerkschaften fernhalten will, spielt mit dem Feuer. Die deutschen Gewerkschaften haben bisher — trotz aller Folgen, die mit ihm verbunden sind — zum Strukturwandel prinzipiell ja gesagt. Wer sie nicht in Formen der gesamtwirtschaftlichen Mitbestimmung an der Willensbildung beteiligt, wird sie dazu zwingen, zum Strukturwandel immer dann zuerst einmal nein zu sagen, wenn die Arbeitsplatzeffekte ungewiß sind. Wir kennen diese Haltung aus einigen Ländern in Europa. Die deutschen Gewerkschaften haben bisher den notwendigen Zusammenhang zwischen Rationalisierungs- und Erweiterungsinvestitionen erkannt. Das ist eine positive Haltung, die sich sehr von der anderer unterscheidet. Sie haben damit den sozialen und den wirtschaftlichen Fortschritt mit garantiert, und dafür sollten wir ihnen dankbar sein.
Wenn sich allerdings der Strukturwandel auch und vor allem in Richtung auf Arbeitsplätze auswirkt, ist es notwendig, im wirtschaftspolitischen Bereich, im Bereich der überbetrieblichen Mitbestimmung die Gewerkschaften verstärkt Anteil nehmen zu lassen.Es war für mich kein Zufall, daß Sie, Herr Dr. Barzel, als der Hauptredner Ihrer Fraktion in der ganzen Rede zur Strukturpolitik — in der ganzen Rede! — keine Bemerkung zu Aufgabe, Stellung und Funktion, zum Beitrag der Gewerkschaften und der Arbeitnehmerschaft zum Strukturwandel gemacht haben.
Das ist bezeichnend. Ich kann nur sagen, Sie gehen in diesem Bereich in die falsche Richtung.
Die Hauptaufgaben der künftigen sektoralen Strukturpolitik machen die Notwendigkeit der Beteiligung der Gewerkschaften deutlich genug. Erstens. Die Sanierung und Konsolidierung einiger Krisensektoren wie Stahl, Schiffbau und Flugzeugbau wird nur dann gelingen, wenn die Unternehmensleitungen, die Betriebsräte und ihre Gewerkschaften in eine strukturelle Aktion der Sanierung eingebunden werden. Öffentliche Subventionen, Geld allein reichen für diese Sanierung und Konsolidierung nicht aus.Zweitens. Die strukturelle Entwicklung von Angebots- bzw. Nachfragefeldern, wie sie vor kurzem das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin — übrigens in voller Übereinstimmung mit den Vorstellungen der SPD — vorgeschlagen hat, erfordert die Festlegung öffentlicher Mittel auf Entwicklungsfeldern. Ich stimme dem DIW ausdrücklich darin zu, daß wir die öffentlichen Mittel auf folgende Aufgaben konzentrieren müssen: die Wiedergewinnung und Verbesserung der Umweltqualität, den Ausbau der Lebensqualität in den Städten und Gemeinden, die Durchsetzung neuer Technologien zur rationellen Verwendung von Energie und Rohstoffen und zur Anwendung alternativer Ener-
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Rothgie und Rohstoffquellen, die Integration und bessere Versorgung von benachteiligten Gruppen unserer Gesellschaft und schließlich die Entwicklungspolitik, insbesondere auch die Entwicklung angepaßter Technologien für Entwicklungsländer. — Wie gesagt, das bedeutet Konzentration der öffentlichen Mittel auf diese Felder, und das bedeutet logischerweise Opfer und Zurückhaltung bei der Ausgabe öffentlicher Mittel auf anderen Feldern.Wie soll denn dies auf Dauer realisiert werden ohne Vorbereitung einer derartigen offensiven Marktentwicklungspolitik und Infrastrukturpolitik, ohne Willensbildung mit den entscheidenden gesellschaftlichen Gruppen? Sowohl die Entwicklung neuer Märkte für alternative Energien unter Einschluß des Energiesparens wie die Finanzierung von Märkten verbesserter Umwelt- und Kommunikationstechnologien binden also Mittel. Wir müssen sie bereitstellen. Das erfordert Opfer.Drittens. Die prinzipielle Ablehnung jedes Protektionismus und die Ablehnung von Behinderungen des Kapitalexports in Drittländer wird auch in Zukunft den Strukturwandel beschleunigen. Ich freue mich, dáß ich an diesem Punkt darauf hinweisen kann, daß alle Redner in dieser Debatte in dieser Frage übereinstimmende Auffassungen vertreten haben.Strukturwandel auf Grund von Ablehnung des Protektionismus bedeutet natürlich für Arbeitnehmer — gestern in der Textilindustrie und der optischen Industrie, heute im Schiffbau und Stahl, morgen in der Elektroindustrie — Probleme. Wer wird erwarten wollen, daß die Gewerkschaften sich weiter gegen Protektionismus und für Kapitalmobilität aussprechen, wenn sie ausgeschaltet werden, weil sie angeblich syndikalistische Interessen vertreten!
Gerade dieses Beispiel zeigt, wie fortschrittsfeindlich und strukturkonservierend in der Wirkung die Politik der CDU/CSU sein muß.Viertens. Berechnungen zeigen, daß bei Fortschreibung des Status quo Mitte der 80er Jahre 3 Millionen Arbeitsplätze fehlen werden. Selbst eine umfassende Modernisierung der Volkswirtschaft, die wir wünschen, die wir vielfältig unterstützen, der wir Raum lassen für Innovations- und Investitionsentscheidungen der Unternehmer, wird nicht unmittelbar zur Vollbeschäftigung führen.Damit ist Arbeitszeitverkürzung nach meiner Auffassung ein logisches, ich füge hinzu: auch ein humanes Thema und Mittel der Arbeitsmarktpolitik und der Tarifdiskussion.Sie, Herr Professor Biedenkopf, haben gesagt, die Politiker sollten sich nicht in die Arbeitszeit-Diskussion einmischen. Ich widerspreche Ihnen in diesem Punkt ausdrücklich. Es ist ganz sinnvoll, wenn wir durch Änderung der Arbeitszeitordnung oder durch Einführung eines Arbeitszeitgesetzes ein positives Signal für Arbeitszeitverkürzungen setzen. Das wollen wir tun.
Es ist nicht sinnvoll, daß die Regelarbeitszeit nach dem Gesetz 48 Stunden und die durchschnittlich erreichte knapp über 40 Stunden beträgt. Wir Sozialdemokraten wissen aber sehr genau, weil wir die Gewerkschaften kennen wahrscheinlich besser als Sie —, daß es die Aufgabe vor allem der Gewerkschaften ist, das im konkreten Tarifkampf durchzusetzen.Hier gibt es etwas Erfreuliches festzustellen. Ich bin froh, daß ich das heute, wenige Tage nach der Aussage, hier im Deutschen Bundestag wiedergeben kann. Ich hätte mir sehr gewünscht — aber vielleicht kommt das noch; man kann sich das ja aufgehoben haben —, daß man positiv vermerkt hätte, was Heinz Oskar Vetter in diesen Tagen zur Arbeitszeitverkürzung gesagt hat.
Wer — so sagte er — Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich will, reduziert natürlich den Arbeitsmarkteffekt in Richtung auf Vollbeschäftigung. Aus diesem Grund müsse man, meinte er, Kostenaspekte berücksichtigen. Und eben dies schlage er den Gewerkschaften für die nächsten Tarifrunden vor. Dies sagte Heinz Oskar Vetter nicht in einem Interview irgendwo und irgendwann in einer Zeit, wo es niemanden angeht. Dies sagte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes wenige Tage vor dem ordentlichen Bundeskongreß des DGB in vollem Bewußtsein der Schwierigkeit der Diskussion darüber im Gewerkschaftsbereich.Ich hätte mir gewünscht, daß ein kleines Stück dieses Mutes zu unbequemen Antworten auf Grund der Krisensituation in den Reden der Opposition gewesen wäre, wie ihn Heinz Oskar Vetter hier gezeigt hat.
Wir jedenfalls halten es für eine politische Aufgabe, ihn in dieser Zeit bei seiner Aussage zu unterstützen. Wir tun es hier als sozialdemokratische Bundestagsfraktion. Und wir werden die flankierenden Maßnahmen zur Tarifpolitik der Gewerkschaften auf diesem Gebiet ergreifen.Wir Sozialdemokraten begrüßen jede Entscheidung der Bundesregierung, die die Strukturpolitik verbessert. Bei Wahrung unserer eigenen Zielvorstellungen als Sozialdemokratie stellen wir fest: Die Bundesregierung ist mit der Entwicklung der Strukturberichterstattung auf dem richtigen Wege. Die Weiterentwicklung der Konzertierten Aktion steht bevor. Wir werden uns durch weltfremde Ideologien der Opposition nicht von unserem Hauptziel abbringen lassen.
Strukturpolitik muß Anpassungsprozesse erleichtern, um Arbeitsplätze zu sichern. — Sie rufen hier dazwischen, wer die Ideologen seien. Verehrter Herr Kittelmann, wenn Sie den Reden zugehört hätten — in Sorgfalt; ich weiß, Sie haben das nicht getan, jedenfalls nicht bei der letzten —, dann hätten Sie erkannt, daß in meiner Rede und in der Rede des Herrn Wirtschaftsministers von den heutigen
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6964 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
RothProblemen am Arbeitsmarkt und in den Sektoren unserer Volkswirtschaft die Rede war, während hier von den beiden Rednern der Opposition nur von Ordnungsstrategien langfristiger, perspektivischer, ja ideologischer Art gesprochen wurde. Das ist der Unterschied.
Wir stellen uns den Themen, die uns gestellt sind, und werden uns auch durch diese Scheindebatte nicht davon abbringen lassen.Letzte Bemerkung zur -aktuellen wirtschaftspolitischen Lage! Wir haben die Gutachten gelesen. Wir sagen: ein bißchen mehr Konkurrenz zwischen den Instituten wäre besser, wäre mehr Beratung für die Politik als diese verschwommene Gemeinschaftsgutachten. Wir freuen uns, daß das DJW positive Ansätze für Arbeitsmarktpolitik gesehen hat. Wir halten die Forderung nach Steuersenkungen nicht nur für problematisch, sondern für unerträglich. Sie muß neuen Attentismus in der Wirtschaft zeugen. Wir sagen ganz klar: Ruhe an der Steuerfront, keine pauschalen Steuersenkungen.
Wir werden über wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Stabilisierung einzelner Sektoren in den nächsten Wochen ausreichend debattieren können. Die gestrigen Entscheidungen des Bundeskabinetts zur Stahlindustrie und zur Kohle werden von uns begrüßt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Haussmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Etwas paradox ist es schon: Während die CDU gerade draußen in der wirtschaftspolitischen Debatte das Eingreifen des Staates in Sachen -Steuerpolitik sehr stark fordert, während Herr Biedenkopf stärkere Eingriffe des Staates in die Tarifpolitik fordert, soll heute hier im Plenum aufgezeigt werden, daß der Staat sich eigentlich aus Fragen der Bewältigung des Strukturwandels möglichst heraushalten sollte.
Man versteht diese Haltung der Unionsparteien besser, wenn man sieht, daß der Antrag zur Strukturpolitik im Dezember des letzten Jahres gestellt wurde, d. h. direkt im Anschluß an die Parteitage der Freien Demokraten und der Sozialdemokraten. Die Absicht war klar: man möchte Dissens aufzeigen.Nun — dies gebe ich zu — ist es gar keine Frage, daß gerade im Bereich der sektoralen Strukturpolitik unterschiedliche Akzente zwischen Sozialdemokraten und Liberalen da sind. Auf diese soll auch heute eingegangen werden. Dies ist meines Erachtens im Sinne zweier selbständiger Parteien mit eigenständiger Geschichte und Programmatik legitim.
Bevor dies aber geschieht, müssen einige Fragen an die Union selbst erlaubt sein.Erstens. ' Warum lesen wir nur Fragen? Wo finden wir denn eigene unionspolitische Grundsätze zur Strukturpolitik? Gibt es diese überhaupt in der Union? Nach welchen Grundsätzen fördert denn z. B. der CDU-Landeswirtschaftsminister in Baden-Württemberg, wenn Herr Eberle immer wieder so wolkig von der Förderung zukunftsorientierter Industrien redet? Oder ist es etwa so, wie der frühere Generalsekretär Biedenkopf in einem Grundsatzartikel im „Deutschland-Union-Dienst" im Jahre 1974 schrieb — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:Es liegt in der Natur der Sache, daß im Bereich der sektoralen Strukturpolitik die Rolle des Staates bedeutend geringer ist als in der Regionalpolitik. Hier steht die Initiative des Unternehmers eindeutig im Vordergrund. Dem Staat kommt im wesentlichen nur die Aufgabe zu, im Einzelfall unter überragenden sozialen Gesichtspunkten tätig zu werden.Soweit stimmen wir mit Ihnen völlig überein. Aber dann folgt der Satz:Häufig geht es für den Staat nur darum, einen geordneten Rückzug vom Markt zu unterstützen.Ich wiederhole: Nach Biedenkopf geht es darum, in der Strukturpolitik „einen geordneten Rückzug vom Markt zu unterstützen". Hier haben Freie Demokraten eine diametral andere Auffassung. Unsere Auffassung ist es gerade, daß Strukturpolitik dazu beitragen soll, daß Prozesse unterstützt werden, daß einzelne Unternehmen oder Branchen wieder zurück zum Markt kommen, also nicht weg vom Markt.Die zweite Frage an die Union: Warum äußert sie ihre Anfragen nur in der Form des Ideologieverdachts? Warum wird hier nicht ganz konkret Kritik an den bisher postulierten strukturpolitischen Grundsätzen geübt? Oder warum wird nicht Kritik an ganz konkreten strukturpolitischen Einzelmaßnahmen des Bundeswirtschaftsministers geübt? Ist diese konkrete Politik nicht möglich, frage ich.Drittens. Warum greift man denn nur eine Form der Strukturpolitik heraus? Warum geht man nicht auf den zentralen Zusammenhang zwischen sektoraler, regionaler und betriebsgrößenorientierter Strukturpolitik ein?Viertens. Warum definiert man nicht zunächst klar die eigene Auffassung von Strukturpolitik? Man definiert negativ, man verdächtigt. Demnach wird zunächst ein Monstrum von Strukturpolitik in dieser Anfrage aufgestellt — ein Monstrum, wie es nach meiner Auffassung im Deutschen Bundestag noch nie von einem Vertreter beider Koalitionsfraktionen aufgestellt wurde. Nach der Anfrage — ich summiere hier lediglich die Adjektive — bedeutet für die CDU Strukturpolitik vor allem eine enge Verbindung mit Steuerung um ihrer selbst willen, mit dem Begriff der Investitionslenkung; man versteht darunter Einzeleingriffe, man versteht
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6965
Dr. Haussmanndarunter Voraussagen; es wird ein künstlicher Gegensatz zur Politik der staatlichen Rahmensetzung konstruiert. Man spricht davon, daß möglichst keine außerökonomischen Ziele in den Rahmenkatalog der Strukturpolitik eingehen sollten.Meine Damen und Herren, diese Art der Negativdefinition von Strukturpolitik führt die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland bei ihrer wichtigen Aufgabe, nämlich der Bewältigung des strukturellen Wandels, nicht weiter. Genau in diesem Punkt herrscht dann wieder Einigkeit zwischen allen drei Fraktionen: Man gibt zu, daß der vielzitierte Strukturwandel notwendig ist. Man ist aber nicht bereit, als eine der Antworten hierauf eine aktive Strukturpolitik des Staates zu akzeptieren. Wäre es denn nicht logisch, zunächst auch auf die Gründe für diesen aufgestauten Strukturwandel einzugehen und damit die Mitverantwortung der Union zuzugeben, z. B. bei dem Festhalten an falschen Wechselkursen?Auf diesen Strukturwandel müssen die Unternehmen reagieren. Dies macht die Schwierigkeit aus. Nur wenn wir diesen strukturellen Wandel mit möglichst wenig Friktionen bewältigen, können wir unser hohes Maß an Wohlfahrt aufrechterhalten. Auch nur dann sind wir in der Lage, weitere Arbeitsplätze mit weiteren Arbeitsplatzchancen zu schaffen, um den Wettlauf mit dem Freisetzen von Arbeitsplätzen durch technologische Entwicklungen zu gewinnen.Wenn man dies aber zugibt, dann darf man unter Strukturpolitik nicht eine verengte, ideologieträchtige Auffassung verstehen. Nein, dann hilft nur eine Auffassung von Strukturpolitik weiter, die im weitesten Sinne eine Antwort auf den strukturellen Wandel zu geben vermag. Die Freien Demokraten haben diese Antwort nach einer sehr intensiven Diskussion auf ihrem Parteitag in Kiel gegeben. Sie bekennen sich dazu, daß die Steuerung der Strukturen und des Strukturwandels grundsätzlich über den Markt zu erfolgen hat, der eben dem Wandel der Verbraucherbedürfnisse am besten nachgeht. Aufgabe des Staates ist es in unserem Programm demnach, die Rahmenbedingungen für diesen Prozeß zu setzen, um vor allem auch diejenigen Faktoren zu berücksichtigen, die nicht oder nur ungenügend über den Markt zur Geltung kommen, wie z. B. der Umweltschutz, Fragen der Infrastruktur oder aber auch die Nachfrage späterer Generationen nach wichtigen Ressourcen. Liberale Strukturpolitik hat daher nach unserer Auffassung die Wirtschaft für Strukturänderungen offenzuhalten und ihre Anpassungsfähigkeit zu unterstützen. Das heißt für uns, daß der Staat nur grundsätzlich den Strukturwandel erleichtern kann, daß aber die Unternehmen selbst ihre Chancen und Gefahren abschätzen müssen. Dies kann und darf der Staat ihnen in einer dezentralen Wirtschaftsordnung nicht abnehmen.Der Staat kann aber z. B. die Informationsbasis zur besseren Risikoabschätzung der Unternehmen verbessern. Sektorale Strukturpolitik im besten Sinne wäre es demnach, in verschiedenen Sektoren oder Branchen gleichberechtigte Chancen durch verbesserte Rahmendaten zu geben und im Sinne einer gesamtwirtschaftlichen Effizienz diese Prozesse zwischen den Sektoren zu erleichtern. Dazu gehört aber auch — dies ist die Schwierigkeit — ein ehrliches Bekenntnis, daß einzelne Wirtschaftszweige in diesem Strukturwandel schrumpfen werden, daß sogar einzelne Unternehmen aus dem Strukturwandel ausscheiden müssen. Dies ist ein normaler wettbewerbspolitischer Vorgang und darf grundsätzlich kein Anlaß dafür sein, die Spielregeln des Marktes außer Kraft zu setzen.Die Bundesregierung — der Bundeswirtschaftsminister hat darauf verwiesen — hat in den letzten Monaten wichtige wirtschaftspolitische Rahmendaten verändert, um diesen Strukturwandel für unsere Unternehmen zu erleichtern. Ich erinnere an die Frage der Steuererleichterungen, des Infrastrukturprogramms, an die Verbesserung der Möglichkeiten der Existenzgründung, an eine verbesserte Forschungs- und Innovationsförderung. Umgekehrt gilt aber auch, daß Strukturpolitik aus - bestimmten übergeordneten Gründen Investitionen lenkt, wie im Bereich des Umweltschutzes, im Bereich der Energiesicherung oder aus Gründen der Raumordnung einschränkt oder fördert. Wenn dies aber so ist, ist es sehr wichtig, Grundsätze für diese Ausnahmebereiche zu entwickeln.Wir Liberalen sagen daher in unserem Kieler Programm, daß diese staatlichen Anpassungshilfen erst das letzte Mittel nach Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten der Selbsthilfe sein dürfen. Wir fordern daher, daß Anpassungshilfen von vornherein zeitlich befristet und möglichst degressiv gestaltet sein müßten, damit die Motivation zur Anpassung erhalten bleibt und keine auf die Dauer nicht mehr wettbewerbsfähige Struktur zementiert wird.Ich glaube, gerade in diesem Punkt gilt es, das Problem aller drei Fraktionen in diesem Hause aufzuzeigen. Wo gibt es denn von uns ehrlich gemeinte und konkrete Vorschläge, z. B. Förderungen oder Anpassungshilfen endlich auslaufen zu lassen? Aufnahmebereiche sind immer wieder zu prüfen, aber wo ist die gemeinsame Kraft der drei Fraktionen in diesem Hause, dann auch eine entsprechend harte Entscheidung zu fällen? Wir alle kennen doch sehr genau den Druck, der auf uns ausgeübt wird, um einen an sich befristeten Eingriff immer mehr zu verlängern. Wir kennen die Gefahr der sogenannten Ölflecktheorie: daß ganz bestimmte Eingriffe in Einzelbereichen andere Eingriffe in benachbarten Bereichen nach sich ziehen.Neben diesem politischen Problem der sektoralen Strukturpolitik gibt es sehr wichtige und sehr gravierende methodische Probleme. Die Prognoseunsicherheit wird desto größer, je kleiner und differenzierter die einzelnen Aggregate sind, für die eine sektorale Schätzung vorgenommen werden soll. Wir möchten daher die Strukturberichterstattung im generellen Bereich vorantreiben, aber — dies ist hier schon betont worden — als nachträgliche Informationsbasis für die Unternehmen. Wir möchten, daß sich die Opposition dazu auch unter dem Aspekt der Mittelstandspolitik offensiver bekennt;Dr. Haussmanndenn es gibt sehr viele Großunternehmen, die auf Grund ihrer eigenen volkswirtschaftlichen Abteilungen in der Lage sind, wichtige interne Informationen für strukturpolitische Anpassungsentscheidungen zu geben, während kleine und mittlere Unternehmen sehr darauf angewiesen sind, durch Institute in dieser zentralen Aufgabe unterstützt zu werden.
Auch wir möchten keine amtliche Berichterstattung. Wir wollen den Wettbewerb der Institute. Wir glauben, daß damit mehr Transparenz, mehr Pluralität für die betroffenen Unternehmen und den Staat geschaffen werden.Meine Damen und Herren, wir warnen aber auch eindringlich vor einem technokratischen Irrglauben von der vollständigen Gestaltbarkeit unserer Wirtschaftsstruktur. Auch die Union hat ihren Erkenntnisprozeß hinter sich, wenn wir an die Sozialisierungsforderung des Ahlener Programmes denken — ein Programm, das der damalige Generalsekretär Biedenkopf historisch nach wie vor für sehr wichtig hielt.Freie Demokraten sind auch gegen die Neubildung von Gremien, die sich mit Strukturpolitik beschäftigen sollen. Wir sehen in diesem Zusammenhang die große Gefahr einer weiteren Entmachtung unserer Parlamente. Wir sind für jede vernünftige Verbesserung der Informationsbasis, und wir sind für jede Verbesserung der Instrumente staatlicher Strukturpolitik. Wir möchten sie aber im Verantwortungsbereich der Gewählten halten.Auch bei beratenden Gremien sehen wir die Gefahr, daß Kapazitäten abgestimmt werden und damit tendenziell Wettbewerb ausgeschaltet wird. Wir möchten auch nicht den natürlichen Wettbewerb, ja den Machtausgleich zwischen den Tarifpartnern ausschalten. Wir befürchten, daß dies zu Lasten des öffentlichen Interesses und der Verbraucherinteressen gehen würde.Branchenausschüsse z. B. wären Ausschüsse für Etablierte. Wer aber würde sich für Innovationshilfe für Förderhilfen für neue, bisher noch gar nicht verbandsmäßig etablierte Branchen oder Einzelunternehmen verwenden?Wir geben zu: Es gibt im institutionellen Teil der sektoralen Strukturpolitik zwischen Freien Demokraten und Sozialdemokraten Unterschiede in der Programmatik. Aber es ist der Union nicht möglich, in dieser Debatte diese Unterschiede in der bisherigen Praxis der Politik der beiden Koalitionsfraktionen nachzuweisen.Schwieriger ist aber der Vergleich unserer Vorstellungen mit denen der Union. Hier gibt es eben keine allgemeinverbindlichen Grundsätze der Strukturpolitik. Es gibt hehre Bekenntnisse von Grundsatzdenkern, von Ordnungspolitikern der Union. Dies ist die eine Seite. Auf der anderen Seite der Union werden aber auch handfeste Forderungen nach sektoralen Eingriffen an den Wirtschaftsminister herangetragen — von dem Kollegen Köhler in der Abteilung Kohle und Stahl, von dem Kollegen Müller-Hermann im Bereich der Werften, von den Kollegen Starke und Schwörer im Bereich der Textilindustrie.Meine Damen und Herren, dies ist die Diskrepanz in der wirtschaftspolitischen Wirklichkeit. Ich halte eine Partei für ehrlicher, die Grundsätze aufstellt und mit sich darüber diskutieren läßt, als eine, die auf der einen Seite hohe persönliche ordnungspolitische Bekenntnisse abgibt, sich aber auf der anderen Seite von Fall zu Fall die Forderung nach Einzelmaßnahmen offenläßt.
Ich möchte daher der Union ausdrücklich für ihre Anfrage danken. Sie gibt den Freien Demokraten nach unserer Auffassung eine sehr gute Gelegenheit, einmal ihre wichtige Rolle als politische Kraft der wirtschaftlichen Vernunft darzustellen.Wir glauben weder an die Wunderwaffe Strukturpolitik noch glauben wir an die Dämonisierung staatlicher Strukturpolitik. Wir bekennen uns vielmehr zu einer aktiven Rolle des Staates im Bereich der Rahmensetzung, um den Unternehmen den schwierigen Wandel zu erleichtern. Wir lehnen direkte Marktinterventionen ab. Wir wissen nur zu gut, daß vor allem die autonomen Partner eine sehr hohe Mitverantwortung bei der Bewältigung des strukturellen Wandels zu tragen haben. Diese Verantwortung kann ihnen der Staat nicht abnehmen.Erlauben Sie mir ganz zum Schluß dieser Debatte über sektorale Strukturpolitik eine mehr persönliche Fußnote, eigentlich ein Infragestellen des gesamten Ansatzes: Ich halte die Branche, den einzelnen Industriezweig nicht mehr für das Kriterium schlechthin, das uns Auskunft über Strukturprobleme oder Strukturchancen geben kann. Ich kenne inzwischen zu viele Einzelbetriebe, die in eigentlich schlechten Branchen immer wieder weitere Arbeitsplätze schaffen können, während andere Unternehmen in sogenannten Wachstumsbranchen stagnieren. Ich glaube vielmehr, daß wir uns andere Indikatoren schaffen müssen, um Entwicklungs- und damit Förderchancen für den Staat beurteilen zu können. Ich glaube, Verbrauchernähe, Managementqualifikation, Innovations- und Risikobereitschaft, Faktorkostenintensität, Potential an innerbetrieblichen Beteiligungsmöglichkeiten wären bessere Maßstäbe, die uns anzeigen können, wo sich Wachstumschancen abzeichnen und wo es sich für den Staat lohnt, fördernd einzugreifen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schedl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mir erlauben, mich eingangs mit einigen Einlassungen des Kollegen Roth auseinanderzusetzen.Herr Roth hat mit der bekannten Gasrechnung begonnen, die vor gar nicht allzu langer Zeit der Herr Bundeskanzler hier eingeführt hat. Nur: In Ihrer Folgerung, die, wenn sie Humor war, zumindest derber Humor war, Herr Roth, haben Sie zwei
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6967
SchedlFehler begangen. Erstens haben Sie mit Ihrer Würdigung, wir könnten Vereinfachungsvorschläge von Ihnen in den Vermittlungsausschuß und in den Bundesrat abrutschen lassen, eine nicht besonders gute Wertung dieser beiden Verfassungsorgane vorgenommen. Zweitens haben Sie völlig übersehen, Herr Kollege Roth, daß gerade der Bundesrat ein ganzes Paket an Vorlagen der Bundesregierung, die Sie zu tragen haben, in den hinter uns liegenden Jahren mit der Begründung zurückgeben mußte, daß sie wegen der Verkomplizierung der Verwaltung, wegen mehr Schwierigkeiten und mehr Vorschriften unvernünftig seien. Deswegen war diese Wertung schlecht.Ich möchte einen weiteren Punkt erwähnen, meine verehrten Damen und Herren. Herr Kollege Roth hat hier davon gesprochen, daß wir uns lediglich zur reinen Lehre bekennen würden und daß uns der Eingang zur Wirklichkeit und zur Erkenntnis in der Wirtschaft fehle. — Herr Kollege, Sie stimmen dem mit kräftigem Kopfnicken bei. Herr Kollege Roth, Sie haben an einer anderen Stelle, weiter hinten im Katalog, der mehr für draußen gedacht war — —
— Der Witz hatte ungefähr dieselbe Qualität, wie das in allen Bereichen bei Leuten aus dieser Ecke der Fall zu sein pflegt. Wir haben sehr viel Verständnis für Humor; nur sollten Sie nicht meinen, daß Sie sich aus peinlichen Überlegungen herausflachsen können.Nun wieder zu Ihnen, Herr Kollege Roth. Sie haben davon gesprochen, daß wir wenig Eingang in die Wirklichkeit und die tatsächlichen Verhältnisse hätten und uns lediglich zur reinen Lehre bekennen würden. Sie haben an anderer Stelle an jegliche Überlegungen zur Steuersenkung eine sehr deutliche Absage erteilt. Damit haben Sie sich, wenn ich den Herrn Bundeswirtschaftsminister heute früh richtig verstanden habe, in einen deutlichen Widerspruch zu ihm gebracht.Aber jetzt kommt die eigentliche Frage von mir in diesem Zusammenhang: Wer regiert hier denn eigentlich seit etlichen Jahren? Wer hat denn in den Fragen des Arbeitsmarktes, wer hat denn in den Fragen der Steuerpolitik über Jahre hinweg die Möglichkeit gehabt, seine Vorstellungen durchzusetzen? Es ist doch ganz anders, Herr Roth: Ihre gewünschte Wirklichkeit und die tatsächlichen Verhältnisse und die Mehrheiten in ihren Parteien sind völlig konträr zueinander. Das ist doch der Punkt, warum Sie hier nichts Vernünftiges vorlegen können.
— Die hätte bei Ihnen auch keinen Sinn mehr; die müßte nur mehr die Abwicklung beraten, verehrter Herr Kollege. Anderes haben Sie wahrscheinlich nicht mehr zu beraten.Sie haben eine vorausschauende Politik, Sie haben bessere Prognosen gefordert. Und Herr KollegeRoth hat an dieser Stelle wieder sehr entlarvend vom „Einheitsbrei" des soeben vorgelegten Gutachtens gesprochen. Warum paßt Ihnen denn der „Einheitsbrei" nicht? — Weil er an ganz markanten Punkten die Thesen vertritt, die wir Ihnen gegenüber nicht nur hier immer wieder vertreten haben, für die wir Ihnen sogar Unterstützung angeboten haben, die in vielen Teilen dieser Wirtschaftsminister vertreten würde, aber hier nicht vertreten kann, weil Sie die Mehrheiten verweigern. Das ist doch der entscheidende Punkt.
Und deswegen ist es Einheitsbrei, deswegen brauchen Sie Konkurrenz, deswegen brauchen Sie konkurrierende Gutachten, um sich dann vielleicht das eine noch heraussuchen zu können, das sogar Ihren wirtschaftspolitischen Einheitsbrei, um einmal Ihr Wort zu übernehmen, weiter nach vorne tragen würde.Herr Kollege Roth, Sie haben hier in der Debatte eine interessante Einlassung zur Konzertierten Aktion gemacht, schriftlich allerdings haben Sie sich etwas deutlicher geäußert. In der „Neuen Gesellschaft" haben Sie dazu — ich möchte mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren — folgendes geschrieben:In diesem Zusammenhang hat der Rückzug der Gewerkschaften aus der Konzertierten Aktion in den letzten Monaten im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestanden. Gerade weil aber innerhalb der Konzertierten Aktion auf Grund der Konstruktion dieses Gremiums kein ausgewogenes Verhältnis von Macht zu Gegenmacht vorhanden ist, sondern ein offensichtlicher oder auch versteckter Zwang zum gemeinsamen Konsens über das Thema Lohnpolitik vorliegt, ...Das, Herr Kollege Roth, ist das eine.An einer anderen Stelle haben Sie — entweder in der vorhergehenden oder in der darauffolgenden Nummer — noch viel Interessanteres dazu geschrieben. Sie haben nämlich folgendes erläutert:Die von der Gewerkschaftsbewegung früher vorgeschlagenen Formen der überbetrieblichen Mitbestimmung sind als Willensbildungsorgane der Strukturpolitik am besten geeignet. Eine vorausschauende Strukturpolitik muß also in Gremien der überbetrieblichen Mitbestimmung vorbereitet werden, obgleich sie dann letztlich vom Staat ausgeführt werden muß.Für diese Strukturräte haben Sie in Ihrem Beitrag eigene, durchläufige Apparaturen und Gremien auf allen Ebenen gefordert. Das ist der Grund, Herr Kollege Roth, warum Sie mit diesem Wirtschaftsminister niemals übereinstimmende Wirtschaftspolitik betreiben können.Herr Kollege Roth, Sie haben im zweiten Teil Ihrer Rede in katalogisierter Darstellung geschickt versucht, Probleme und Kriegsschauplätze anzuleuchten, die sich in Wirklichkeit ganz anders darstellen. Sie wollen die Verwirklichung von Zielen
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6968 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Schedlerreichen, für die Sie — Gott sei Dank — auch in Ihrem Lager noch keine Mehrheit haben. Weil Sie aber diese Ziele ohne die Mehrheit nicht erreichen können, lassen Sie die Öffentlichkeit in Unklarheit über die wirklichen Probleme, zu deren Verbesserung Sie im Sinne vieler Bürger arbeiten könnten. Ich nenne hier als Stichwort: Arbeitsmarkt.Graf Lambsdorff, Sie haben heute früh dem Kollegen Barzel erklärt: „Meine Damen und Herren, Herr Kollege Barzel, ich glaube, Sie sollten diese Diskussion mehr auf den Punkt und mehr mit denen führen, die dafür Ihre eigentlichen Gesprächspartner sind."
Herr Bundeswirtschaftsminister, an dieser Stelle muß man Sie sehr wohl fragen: Haben Sie, als Sie vor sieben Monaten Regierungsverantwortung übernommen haben, diese grundsätzliche Diskussion in dem Maße mit denen geführt, wie Sie das von uns verlangen und wie wir das tun? Im übrigen habe ich den Dank Ihres Kollegen Haussmann gerade dahin verstanden, daß wir dieses Thema hier überhaupt eingeführt haben. Weiter muß man Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, fragen: Haben Sie sich, wenn Sie diese Diskussion geführt haben, durchgesetzt, oder war die Minimalposition auch ein Grund für die knappe Beantwortung der Fragen, die wir Ihnen vorgelegt haben? So könnte man es nämlich durchaus auch auffassen.Als letzten Punkt möchte ich hier noch die zunehmende Bürokratisierung ansprechen, die von Graff Lambsdorff ja auch gar nicht bestritten worden ist. Er hat hier vielmehr erklärt: Wir müssen vor allen Dingen darauf achten, nicht ein „Europa der Vorschriften" zu werden. Herr Bundeswirtschaftsminister, dies vermeiden wir am leichtesten dann, wenn wir eine Bundesrepublik der Vorschriften vermeiden.
Auf diesem Weg können wir die Entwicklung Europas eher und vernünftiger beeinflussen.Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, haben gesagt, daß nicht nur Ihre Regierung für die Fehlentwicklung in Sachen Bürokratisierung auf europäischer Ebene verantwortlich sei. Das wollen wir gar nicht bestreiten. Nur, wenn Sie uns auch nur ein Beispiel dafür anführen könnten, wo Ihre Regierung in den Jahren der Verantwortung Hemmnisse, Vorschriften, Dickicht, Bürokratie abgebaut hat, statt an allen Ecken und Enden mehr Hemmnisse aufzubauen, dann wüßten wir, daß diese Feststellung mehr als ein verbales Lippenbekenntnis ist. Chancen, Hemmnisse abzubauen, gibt es in vielen Bereichen. Sie haben genügend Möglichkeiten, an denen Sie ansetzen können, um die Dinge zu entwirren, zu entflechten und für viele von uns zu verbessern.Herr Kollege Barzel hat am Schluß seiner Rede in vier Punkten wesentliche Kernsätze unserer Alternativüberlegungen aufgezeigt. Herr Kollege Roth hat gegen Schluß seiner Rede einen Katalog all dessen aufgestellt, was politisch angegangen werden müßte. Sie haben darin Maßnahmen aufgezählt, die i. E. geeignet sein können, Investitionshemmnisse aus dem Weg zu räumen, und zu Steuerhemmnissen haben Sie sich hier deutlich eingelassen, Herr Kollege Roth. Hier denken Sie anders als Verantwortliche Ihrer Regierung. Zu den Bereichen Anreize und mehr Selbständigkeit, die ja der Kollege Barzel deutlich herausgestellt hat, ist von Ihrer Seite — das hat uns nicht gewundert — nichts gekommen, was als ein positiver Ansatz betrachtet werden könnte.Meine verehrten Damen und Herren, um dieses abzurunden, zu zeigen, wie wichtig und richtig es war, diese Frage überhaupt wieder einmal in das Plenum des Deutschen Bundestags zu bringen, und um noch klarer zu machen, Herr Bundeswirtschaftsminister, wo die Gesprächspartner sitzen, möchte ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten noch ein Zitat des Kollegen Roth mit in die Debatte einführen. Er hat in der gleichen Ausgabe der „Neuen Gesellschaft", die ich vorhin bereits zitiert habe ausgeführt: „Es ist zu wünschen, daß er sowohl die politische Arbeit von Bundestagsfraktion" — damit wird er seine gemeint haben — „und Bundesregierung stützt und fördert, wie eine konkrete Phase der SPD-Wirtschaftsdiskussion einleitet". Und jetzt kommt es: „Das anarcho-liberale Gezeter in manchen Teilen der veröffentlichten Meinung ... , das mit Verdächtigungen wie ,antimarktwirtschaftlich die Erörterungen stören soll, müssen wir wohl hinnehmen. Wir können uns damit trösten, daß es immer weniger ernstgenommen wird."Meine verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Roth, mich würde eigentlich intern noch interessieren, wo anarcho-liberales Gezeter beginnt. Was ist antimarktwirtschaftlich? Oder glauben Sie, daß Sie hier — wie in vielen anderen Bereichen der Politik auch — mit einem langen Marsch in einem verbalen Feldzug, mit einem unwürdigen Marsch in Verbalstrategie Mehrheiten oder zumindest größeren Gruppierungen glaubhaft machen zu können, daß Sie, wenn Sie von Marktwirtschaft reden, das auch meinen? In wesentlichen Ansätzen wollen Sie doch etwas ganz anderes. Das war der Grund, warum wir mit Ihnen, mit Ihnen allen, darüber reden wollten.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Reuschenbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sprecher der Union, Dr. Barzel, Professor Biedenkopf und Herr Schedl, haben sich mit einer ganzen Reihe von Themen und Sachverhalten befaßt: Herr Professor Biedenkopf insbesondere mit der Einschränkung der Tarifautonomie, Dr. Barzel mit anthropologischen Motiven für die Wirtschaftspolitik und Herr Schedl mit überwiegend polemisch aufgemachter Interpretation von Parteitagsbeschlüssen. Andere haben sich wiederum mit Konjunkturpolitik und mit Bürokratisierung beschäftigt.
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ReuschenbachNur: Ich muß sagen, zum eigentlichen Thema, wie und ob man zweckmäßigerweise ,der Strukturpolitik auch das Bein „sektorale" hinzufügt und wie man das tut, hat jedoch kaum einer mehr als zwei, drei reichlich oberflächliche Sätze gesagt.
Es ging dabei ein bißchen rundum: Markt kontra Staat. Das hört sich in manchen Ohren sicherlich gut an, sagt aber zum Tagesordnungspunkt wenig.Ich will ein programmatisches Zitat in die Debatte einführen, und Sie dürfen raten, wer das vor drei Tagen gesagt hat. Es lautet:Der Rückweg zur Vollbeschäftigung führt deshalb nur über eine angebotsorientierte Wachstums- und Strukturpolitik.U n d Strukturpolitik! Dieser Satz stammt nicht etwa aus dem Munde eines strukturpolitisch fixierten Sozialdemokraten, sondern dies schrieb vor wenigen Tagen der Vorsitzende des Bundesfachausschusses für Wirtschaftspolitik der CDU, Ihr Kollege Herr Pieroth. Da können Sie es drehen und wenden, wie Sie wollen, und können der Strukturpolitik dieses oder jenes schmückende Beiwort hinzufügen oder wegnehmen, angebotsorientiert oder nicht, es bleibt, daß entgegen den beinahe wütenden Attacken gegen sozialdemokratische Erwägungen über sektorale Strukturpolitik der Vorsitzende eines so wichtigen Ausschusses der Christlich Demokratischen Union programmatisch — und damit hat er doch weitgehend auch für die Partei gesprochen — von der Strukturpolitik als einem unverzichtbaren Element, wie er es formuliert hat, für eine Vollbeschäftigung gesprochen hat.Damit ist auch der merkwürdige Widerspruch angesprochen, der bei der Union herrscht, daß sie nämlich strukturpolitische Absichten und Zielsetzungen anderer als Teufelswerk verdammt, in ihren eigenen Aussagen zum Teil, aber noch viel stärker in der praktischen Politik bei Einzelanträgen und bei Forderungen im Parlament — vor allem in Ausschüssen, wo das nicht so öffentlich ist — mehr oder weniger sachgerecht zugunsten einzelner Branchen und Sektoren interveniert.Es sind schon ein paar Beispiele dafür genannt worden. Ich will dem ganz allgemein hinzufügen: Es gab und gibt überhaupt keine Fraktion in diesem Parlament, die stärker und häufiger als die Union früher noch durchgesetzt, heute gefordert hat die Begünstigung einzelner Wirtschaftszweige, was sich dann auch in den Haushalten niedergeschlagen hat. Nur hatte das nach unserer Überzeugung verhältnismäßig wenig mit überlegter und an den Notwendigkeiten und Zukunftsentwicklungen orientierter Zielsetzung von Strukturpolitik zu tun, sondern erschöpfte sich weitgehend in Gefälligkeitsinterventionen. Aber das spielt auch keine Rolle. Auch eine falsch angelegte Förderung von Sektoren, eine falsch angelegte Förderung von Strukturpolitik ist ja ein Bekenntnis zu diesem Instrument, auch dann, wenn es nicht erfolgreich ist und nicht gelingt.Ich wundere mich über dieses harte Nein, über die Abwehr solcher Erwägungen zur sektoralenStrukturpolitik um so mehr, als das überhaupt keine neue Aufgabenstellung ist. Es ist jetzt zehn Jahre her, daß eine Bundesregierung, deren 'Bundeskanzler Kiesinger hieß, eine Erklärung unter der Überschrift „Grundsätze sektoraler Strukturpolitik" abgegeben hat. In dieser Erklärung steht viel,
aber für unsere Debatte ist es wohl zweckmäßig, sich ein paar Sätze daraus in die Erinnerung zu rufen. Da heißt es:Von der staatlichen Politik muß erwartet werden, daß sie den Strukturwandel erleichtert und fördert.— Ja, durch Nichtstun bestimmt nicht. Weiter heißt es:Die Grundsätze sollten in sämtlichen Bereichen der Wirtschaft als Leitlinie dienen und bei allen wirtschaftspolitischen Entscheidungen beachtet werden.An anderer Stelle:... steht die Entwicklung zukunftsweisender, für den gesamtwirtschaftlichen Fortschritt wichtiger Produktionszweige im Vordergrund unserer Wirtschaftspolitik.Dies, auf heute übertragen, ist kein wesentlicher Unterschied zu dem, was Sozialdemokraten für vernünftig und zweckmäßig halten. Aber daß Sie sich von einem Mann, den Sie einmal so geschätzt haben, von diesem damaligen Bundeskanzler, so entschieden abwenden, spricht nicht für die Weiterentwicklung Ihrer Erkenntnisse und Einsichten.
Wissen Sie, in der praktischen Politik dieses Hauses und in den verschiedenen Regierungen war und ist sektorale Strukturpolitik eine in der Praxis von allen akzeptierte Methode der Wirtschaftspolitik gewesen. Sicher ist es wahr, daß man zu Zeiten der Hochkonjunktur auf diese Seite der Wirtschaftspolitik weniger Schwergewicht gelegt hat und auch zu legen brauchte; die Auswirkungen des Strukturwandels sind im Boom weniger sichtbar und weniger dramatisch als heute.Aber eine Partei, die einmal wesentlichen Anteil an der Bildung der europäischen Agrarmarktordnung hatte und sie als einen großen Erfolg auf ihre Fahnen geschrieben hat, hat in Wirklichkeit die strukturpolitische Jungfernschaft verloren. Sie hat diese Agrarmarktordnung als ein leuchtendes Beispiel von Wirtschaftspolitik dargestellt und ihre Ordnung begrüßt. Daraus ergibt sich jetzt, daß diese Partei überhaupt keine Veranlassung hat, ein konsequentes und klares Nein zu jeglicher Strukturpolitik zu sagen.Wissen Sie, ohne jegliche Wertung: dieses Gebilde, diese Agrarmarktordnung mit Mengenpreisen, Vorräten und Interventionen ist ja nun wirklich das zur Zeit gigantischste Unternehmen sektoraler Strukturpolitik. Oder nehmen Sie doch ein anderes Beispiel, über das wir heute vor einer Woche debattiert haben, den ganzen Bereich der Ener-
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6970 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Reuschenbachgiepolitik. Wenn ich mich recht erinnere, haben sich die Sprecher der Union, Herr Dr. Narjes und Herr Spies von Büllesheim, in keinem einzigen Satz und mit keinem einzigen Wort in jener Debatte vor einer Woche gegen diese Energiepolitik gewandt. Ganz im Gegenteil, sie haben die Bundesregierung kritisiert, weil sie ihre Projektionen und Zielsetzungen nicht entschiedener durchgesetzt habe; sie haben die Bundesregierung kritisiert, weil die Instrumente nicht scharf genug seien.Ich erinnere mich gut an die Bemerkung des Kollegen Spies von Büllesheim zur Ölraffineriestruktur. Da sagte er, nun wird es aber doch allerhöchste Zeit, daß die Bundesregierung diese arme Ölwirtschaft nicht allein läßt, sondern sich ihrer Raffineriestrukturen annimmt, um die Strukturveränderungen dort in den Griff zu bekommen. Also, wenn dies nicht eine Aufforderung zum staatlichen Engagement zur Überwindung von Strukturproblemen und zur Förderung strukturpolitischer Entwicklungen ist, dann weiß ich nicht mehr, was eine noch deutlichere Aufforderung sein könnte, sich so zu engagieren.
— In der Tat, das Wort Doppelstrategie ist hier ganz zweifellos angebracht.Oder ich nenne die Förderung der Luftfahrt. Einer Ihrer großen Politiker, der sich hier bald verabschiedet, ist doch eines der hervorragendsten Beispiele. Ich erinnere daran, wie sehr er den Staat, staatliche, finanzielle und Gesetzesmittel eingesetzt hat, um auf dem Sektor der Luftfahrt voranzukommen. Ich kritisiere ihn gar nicht deswegen. Das ist ja auch ganz vernünftig, den Sektor der Luft- und Raumfahrt mit staatlichen Mitteln und auch mit Geld zu fördern. Nur, wer dieses in seiner Praxis tut, sollte doch bitte anderen nicht den Vorwurf machen, sie hätten da irgendein Teufelswerk im Sinn.
In den Jahren der Krise in der Textilindustrie waren es vorwiegend und lautstark Sprecher der Union, die den Schutz vor ausländischer Konkurrenz um der heimischen Industrie willen, um des Schutzes von Arbeitsplätzen willen, gefordert haben.Ich kann mich auch nicht erinnern, daß es in den letzten zwei, drei Jahren in irgendeiner der Fraktionen hier im Hause Protest gegeben hat, als die Bundesregierung vorschlug und Ausschüsse berieten und beschlossen und dann der Bundestag zustimmte, daß der immer schwieriger werdenden Lage der Werftindustrie mit staatlichen Mitteln, bezogen auf diese Branche, begegnet wird. Das Werftprogramm ist doch nichts anderes als eine branchenbezogene Förderung. Ihr Nein und Ihren Protest gegen angeblichen Staatsdirigismus müssen Sie, wenn Sie ihn überhaupt ausgesprochen haben, in irgendeiner Hinterstube, aber nicht in den Versammlungen an der norddeutschen Küste geäußert haben.Ich bin aber gerne bereit, der Union mildernde Umstände zuzubilligen; denn natürlich ist nicht alles, was sie an Branchenbegünstigungen für richtig gehalten und in ihrer Regierungszeit auch getan hat, ausschließlich auf ihrem Mist gewachsen. Es ist schon so, daß solche Forderungen, berechtigt oder unberechtigt, überwiegend aus der Wirtschaft selbst kommen. Und da ist die Frage, wie weit man diesen Forderungen nachgibt oder wie weit man ihnen nicht erliegt. Auf jener Bühne ist es halt so, daß vor dem Vorhang auch die Führer der Wirtschaftsunternehmen und der Verbände das Hohelied des Marktes singen und daß hinter dem Vorhang das Gerangel um Durchsetzung handfester Brancheninteressen vor sich geht.- Einige von Ihnen — auch einige hier aus dem Hause — haben in der vorigen Woche zwei Beispiele dafür erlebt, wie zwar hier auf der Bühne Marktwirtschaft gepriesen, Staatsdirigismus abgelehnt, sektorale Strukturpolitik verdammt wird, dies aber in einem Raum in Aussprache mit Wirtschaftsverbänden ganz anders beurteilt wird. Wir waren dort beim Verband der Deutschen Reeder. Dieser hat dargelegt, wie schwierig die Situation geworden sei, wie hart die Konkurrenz sei, auch wie schlimm die Comecon-Linien seien, und hat gesagt: Da muß doch die Politik etwas zu unseren Gunsten machen, um uns zu schützen. Es war einer Ihrer Kollegen — ich haben den Namen leider vergessen, aber das ist wirklich wahr —, der gesagt hat: „Wir haben das in den beteiligten Ausschüssen, im Auswärtigen und im Wirtschaftsausschuß und im Verkehrsausschuß, längst zur Sprache gebracht. Wenn es nach uns ginge, wäre schon völlig klar, daß in der Seeschifffahrt Quoten zugeteilt worden wären: Die machen soviel, und die dürfen soviel machen. Wenn es nach uns ginge, würde diese Branche schon längst unter das schützende Dach des deutschen Staates gekommen sein."Eine andere Veranstaltung, ohne daß ich auch hier eine Wertung vornehmen, mit einem Werturteil kommen will, betrifft den Edeka-Verband. Er hat den Kollegen dieses Hauses eine Schrift vorgestellt, in der es folgendermaßen heißt:In den letzten Jahren hat das Bewußtsein in Wirtschaft und Gesellschaft zugenommen, daß mit den Veränderungen der Struktur- und Wettbewerbsverhältnisse wesentliche ökonomische, raumwirtschaftliche, gesellschaftspolitische und versorgungspolitische Probleme verknüpft sind. Diese Gefahr verstärkt negativer Folgewirkungen ist auf längere Sicht nicht auszuschließen . . . Daraus leitet sich die Notwendigkeit einer kontrollierenden politischen Steuerung des Prozesses ab.Solche Forderungen aus dem Raum der Wirtschaft, an die Parteien herangetragen, veranlassen die einen mehr, die anderen weniger, ihnen nachzugeben. Insofern meinte ich, gebe es mildernde Umstände für die Union. Ich will damit sagen, daß die Forderungen nach sektoralen, nach branchenbezogenen politischen Maßnahmen nicht aus irgendeinem kranken Kopf und nicht aus irgendeinem Fanatismus kommen, sondern in den tatsächlichen und wirklich vorhandenen ökonomischen Verhältnissen geboren werden. Ob man die Schlußfolgerungen immer teilt, die der eine oder andere Wirtschaftsverband zieht, ist eine völlig andere Sache.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6971
ReuschenbachSie haben wirklich keine Veranlassung, den Sozialdemokraten Planungsgläubigkeit vorzuwerfen und schon gar nicht Prognosefetischismus, denn niemand von uns plädiert für die die gesamte Wirtschaft umfassende Planung mit Produktionskapazität, Beschäftigungs- und Absatzzielen. Nicht umsonst haben Sozialdemokraten sowohl in ihr Grundsatzprogramm wie auch in den Orientierungsrahmen '85 hineingeschrieben bzw. den wichtigen Satz unserer Programmatik zur Grundlage gemacht: Wettbewerb und freie Unternehmerentscheidung sind unverzichtbarer Bestandteil unserer Wirtschaftspolitik. Da, wo es um Verbesserungen des Kartell- und Wettbewerbsrechtes geht, standen und stehen immer die Sozialdemokraten und die Liberalen an der Spitze der Bewegung. Das ist doch kein Zufall. Aber wir sagen auch: Wettbewerb so weit wie möglich und Planung so weit wie nötig. Planung nämlich nicht um ihrer selbst willen und auch in Abhängigkeit von der Fähigkeit, zukünftige Entwicklungen einigermaßen zutreffend zu erkennen. Ganz zweifellos, diese Fähigkeit, künftige Entwicklungen zu erkennen, ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, mit welcher Intensität und welcher Verantwortung des Staates man sich an die Förderung sektoraler Branchen heranmachen darf. Wenn man da keine ausreichenden Prognosekenntnisse und -fähigkeiten hat, darf man nicht politische Verantwortung auf den Staat laden, die er nicht tragen kann. Sich daran heranzuarbeiten ist aber eine wichtige Aufgabe.Theoretisch ist bei ihren Sprechern, z. B. bei Professor Biedenkopf, in der Analyse oder in der Bestandsaufnahme oft vieles klar. Da gibt es dieses kleine Büchlein — das erste Produkt seines neuen Instituts —, zu dem er hier in seiner Rede nicht näher Stellung nehmen wollte, trotz einiger Zwischenfragen, in dem er sich über Arbeitslosigkeit ausläßt. Im Vorwort stehen ein paar bemerkenswerte Sätze. Da heißt es:Eine der entscheidenden Schwächen unserer Politik ist ihre völlige Beschränkung auf Probleme der Gegenwart. Zukunftsaufgaben werden vernachlässigt. Wohl selten hat eine Generation so ausschließlich für sich selbst gesorgt wie die gegenwärtige.Nun lasse ich es einmal dahingestellt, ob er mit „unserer Politik" unsere oder seine oder die der sozialliberalen Koalition meinte. Wenn er es aber mit dieser Analyse ernst nimmt, dann bitte nicht nur den Mund spitzen, sondern auch pfeifen. Dann muß er, so gut und so weit es geht, auch in der Wirtschaftspolitik bereit sein, den Weg mitzugehen, so weit wie nur irgend möglich vorauszuschauen und daraus Konsequenzen zu ziehen und dann auch, soweit unsere Prognosefähigkeit es zuläßt, zu helfen, eine positive Strukturentwicklung mit auf den Weg zu bringen.Zum Schluß: Es gibt in der Union ja immer noch einige, die sich der in ihrem Programm und in ihren Grundsatzerklärungen selbst gegebenen sittlichmoralischen Grundlage ihrer Gesellschafts- und Wirtschaftspolitk verpflichtet fühlen. Und den anderen schadet es sicherlich auch nichts, wenn sie sich gelegentlich zentraler Positionen der katholischenSoziallehre erinnern. Zur Aufgabe des Staates in der Wirtschaft hat Johannes XXIII. in „Mater et Magistra" — jedenfalls gemessen an den Außerungen christlicher Wirtschaftspolitiker hierzulande und hier heute — Revolutionäres festgestellt; und ich glaube, es ist nicht überflüssig, Ihnen das in Erinnerung zu rufen. Da heißt es:Es ist wahr, die Fortschritte der wissenschaftlichen Erkenntnis und Produktionstechnik geben augenscheinlich der staatlichen Führung heute in umfassenderem Maße als früher die Möglichkeiten an die Hand, Spannungen zwischen den verschiedenen Wirtschaftszweigen, zwischen den verschiedenen Gebieten einer und derselben Nationen sowie zwischen den verschiedenen Nationen auf der Weltebene zu mildern, die aus den Konjunkturschwankungen der Wirtschaft sich ergebenden Störungen zu begrenzen und durch vorbeugende Maßnahmen den Eintritt von Massenarbeitslosigkeit wirksam zu verhindern. Darum ist es von der staatlichen Führung, die für das Gemeinwohl verantwortlich ist, immer wieder zu fordern, daß sie sich in vielfältiger Weise umfassender und planmäßiger als bisher wirtschaftspolitisch betätigt.An anderer Stelle wird gesagt:Darum ist von der staatlichen Führung zu fordern, daß sie dafür— für diese Aufgabe nämlich —angepaßte Einrichtungen, Zuständigkeiten, Mittel und Verfahrensweisen ausbildet.Schließlich heißt es, es könne ebenso festgestellt werden,daß, wo in der Wirtschaft die gebotene wirtschaftspolitische Aktivität des Staates gänzlich fehlt oder unzureichend ist, es schnell zu heilloser Verwirrung kommt. Da herrscht die freche Ausbeutung fremder Not durch von Skrupeln wenig gehemmte Stärkere.Oswald von Nell-Breuning, der dieses Büchlein geschrieben hat, fügt hinzu:150 Jahre Geschichte der Arbeiterbewegung sprechen hier eine deutliche Sprache.Wissen Sie, es wäre für den Stil und die Ergebnisse unserer wirtschaftspolitischen Erörterungen viel gewonnen, wenn sich diejenigen, die das C im Namen ihrer Partei tragen, auch solche Festpunkte der katholischen Soziallehre mindestens gelegentlich in Erinnerung rufen ließen und darüber nachdächten. Nachdenklichkeit in diesem Punkte würde unserer künftigen Arbeit sicherlich zugute kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordneter Angermeyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir uns heute mit der sektoralen Strukturpolitik beschäftigen, sollten wir dies nicht darauf beschränken, daß wir
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6972 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Angermeyeruns mit den binnenwirtschaftlichen Problemen auseinandersetzen; denn seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft stehen wir mit unseren Sorgen nicht allein in unseren vier Wänden, sondern müssen gemeinsam mit unseren Partnern Lösungen für unsere gemeinsamen Probleme suchen.Im Bereich der gesamten Gemeinschaft haben wir ein geringeres Wirtschaftswachstum; der letzte Gipfel in Kopenhagen hat dies festgestellt und dazu auch das Entsprechende gesagt. Wir haben 6 Millionen Arbeitslose in der Gemeinschaft, und wir müssen dabei auf die sektoralen Probleme Rücksicht nehmen.Die Bundesrepublik hat sich bei Lösungen in diesen Bereichen und in bestimmten Ausnahmefällen bereit gezeigt, neue und besondere Wege mitzugehen. Ich darf hier auf den Stahlbereich und auf den Textilbereich hinweisen. Wir dürfen nur nicht daran glauben, daß man mit dem Patentrezept einer Massierung von Interventionen Lösungen, die dann letztlich das Geschehen bestimmen, finden kann. Denn hierdurch werden die Möglichkeiten der Gemeinschaft auf wirtschaftlichem Gebiet insgesamt strapaziert, überstrapaziert. Auch im Bereich der Gemeinschaft müssen wir uns an bestimmte Grundsätze halten.Die Wirtschaft der Gemeinschaft steht weltweit veränderten Bedingungen gegenüber. Wir alle wissen, wieweit die weltweite Inflation uns zu europäisch-binnenwirtschaftlichen Maßnahmen gezwungen hat, die wir in dieser Form sicher alle nicht gewollt haben. Hierzu zählen die schwankenden Wechselkurse, die Währungsschlange, die Frage der Rohstoffe und alles, was mit den Hilfen für die Entwicklungsländer zu tun hat. Auf der einen Seite wollen und müssen wir die Exportmöglichkeiten dieser Länder fördern. Andererseits wissen wir und müssen in Kauf nehmen, daß dadurch im eigenen Bereich strukturelle Akzente neu gesetzt werden müssen.Eine Folge der weltwirtschaftlichen Verflechtung ist in bestimmten Sektoren auch eine Änderung des Lohnkostenniveaus sowie eine •neue Beurteilung der technologischen Möglichkeiten, die sehr tiefgreifende strukturelle Anpassungen unsererseits erforderlich machen.Auf diese Herausforderung hin dürfen wir vieles machen, nur einen Fehler nicht: hierauf mit protektionistischen und vielleicht sogar isolationistischen Maßnahmen zu reagieren. Wenn wir eine Marktwirtschaft weltweit wollen — und wir gehen doch wohl alle davon aus, daß sich dieses Prinzip, das sicher viele Fehler hat, bisher immer noch als das beste bewährt hat —, dann müssen wir auch bereit sein, den Preis zu zahlen, den dieses System von uns fordert.Wir müssen uns rechtzeitig Wege überlegen, wie marktkonforme Innovationen gestaltet werden können. Verschließen wir uns diesen Problemen, werden Hilfslösungen nur Prothesencharakter haben, und wir werden unter kurzfristiger Bewahrung des Erreichten langfristig nur draufzahlen, da wir insgesamt die notwendigen Fortschritte im Bereich der Technologie, der Wirtschaftsentwicklung und der Sozialpolitik nicht für uns positiv werden verbuchen können.Das gilt ganz besonders für den Bereich der Arbeitsmarktpolitik, auf den ich schon hingewiesen habe. Daß auch hier die Tarifpartner eine besondere Verantwortung haben, sei ausdrücklich erwähnt.Wir sind uns alle klar darüber, daß ein Protektionismus nach außen eine Menge Nachteile bringt. Wir sind aufgefordert, im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft als eine der stärksten Wirtschaftsmächte der Welt ein Beispiel für das Gelingen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit des Welthandels zu geben. Unser negatives Vorbild würde andere Handelsnationen ihrerseits zum Protektionismus verleiten. Die gesamte Wirtschaftspolitik im Bereich des Nord-Süd-Dialogs wäre stark gefährdet. Es könnte sogar innerhalb des Gemeinsamen Markts zu Beeinträchtigungen des freien Handels kommen.In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß den Maßnahmen zur Einfuhrregulierung im Bereich der Stahlerzeugung von seiten der Bundesrepublik nur mit erheblichen Vorbehalten zugestimmt wurde. Hier soll kein Präzedenzfall geschaffen werden.
Diese Maßnahmen sind ausschließlich als Medizin und nicht als Dauertherapie anzusehen.
— Schönen Dank, Herr Barzel!
Das beste Regulativ für Strukturprobleme muß der Markt bleiben. Hier ist die vordringliche Aufgabe der Unternehmen. Der Staat oder der Rat kann dies nicht leisten. Mit Planung ist hier nicht geholfen.
Wie groß die Initiative, der Einfallsreichtum und die Risikobereitschaft der Unternehmen sein müssen, um mit diesen Dingen fertig zu werden, ist allgemein bekannt. In der erfolgreichen Lösung der Probleme liegt jedoch die Bestätigung für das marktwirtschaftliche System. Keine Behörde kann dies besser machen als die freien Unternehmen im freien Wettbewerb.
— Ich habe hier nicht die Auffassung von Frau Schuchardt zu vertreten, sondern ich vertrete die, die ich habe und die meine Fraktion mit mir teilt und die wir in Kiel beschlossen haben.
Lassen Sie mich kurz auf die Möglichkeiten eingehen, den Strukturwandel besser zu beobachten. Hier muß sicher mehr als bisher getan werden, um Entwicklungen abschätzen zu können, die zu strukturellen Verwerfungen führen können. Hierbei müssen wir aber darauf bestehen, daß es sich nicht um
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6973
Angermeyerstaatlich ermittelte Ergebnisse und Analysen handeln darf, da sonst die Gefahr der Erstellung von Prognosen ex cathedra entsteht, die gleichzeitig zu einer verbindlichen Richtschnur für alle Unternehmen werden können. Eine staatlich verordnete Planung — ich wiederhole dies noch einmal lehnen wir ab. Sie paßt nicht in das System der freien Marktwirtschaft. Sie hemmt oder verhindert sogar den Wettbewerb.In diesem Zusammenhang müssen die Unternehmen darauf hingewiesen werden, daß der Wettbewerb, der am ehesten zur Aufdeckung von Strukturschwächen führt, nicht durch Marktabsprachen oder unzulässige Kartelle behindert werden darf. Für die Gründung neuer Unternehmen und für zukunftweisende Innovationen muß eine bessere Unterstützung in jeder und nicht nur in finanzieller Form gewährt und gefunden werden.Hierbei werden sicherlich auch funktionsfähige weltweite Abkommen eine große Bedeutung haben. Eine ähnliche Bedeutung kommt der Unterstützung der Forschungen und der Innovationspolitik zu. Diese staatliche Unterstützung sollte jedoch vorrangig dort eingesetzt werden, wo es um die Schaffung langfristiger und neuer Strukturen geht, und nicht dort, wo überalterte Bereiche zu Lasten aller Steuerzahler künstlich am Leben erhalten werden sollen.Auch für diesen Bereich — damit möchte ich schließen — gilt der Grundsatz: Nur so viel staatliche Eingriffe wie unbedingt nötig und so viel freie Initiative und freier Wettbewerb wie irgend möglich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es ein bißchen eigenartig, daß die Opposition eine Große Anfrage einbringt und selbst nur mit zehn, elf Abgeordneten hier im Saal vertreten ist.
Und Herr Biedenkopf hält eine große Rede und verschwindet sofort danach erst mal in die Cafeteria.
— Da irren Sie sich, Herr Biedenkopf. Also, das ist mir ein bißchen hart, der Tobak.
Aber Sie haben uns ja hier sowieso mit einem Seminar für Studenten im dritten Semester, gewissermaßen privatissime und gratis, gelangweilt.
Wir sind natürlich froh darüber, daß dieser akademische Vortrag zum Ende gekommen ist.Die Große Anfrage der CDU/CSU zur sektoralen Strukturpolitik hat offensichtlich den politischenSinn, einen Keil in die sozialliberale Koalition zu treiben. Hier werden von der Opposition Meinungsunterschiede in der Regierung vermutet, die es überhaupt nicht gibt.
Es gibt in dieser Frage zweifellos Meinungsunterschiede zwischen den Parteien. Aber wenn wir die nicht mehr hätten, dann könnten wir uns ja gleich zusammenschließen. Es ist auch gut so, daß wir hier Meinungsunterschiede haben. Die sollen auch offen und ehrlich ausgetragen werden. Polemische Fragen und Äußerungen seitens der Opposition sind, finde ich wenigstens, deshalb völlig unangebracht, zumal sektorale Strukturpolitik keine Erfindung dieser Regierung ist. Dieses nehmen wir gar nicht für uns in Anspruch.Anpassungshilfen für bestimmte Wirtschaftszweige wie z. B. für die Werftindustrie und die Textilindustrie oder die Luft- und Raumfahrtindustrie hat es schon unter CDU-Regierungen gegeben. Allerdings bestand damals die Gefahr, daß ein völlig unsystematisches Eingreifen in die Entwicklung der Wirtschaftsstrukturen sich ölfleckartig ausbreiten könnte. Seit eh und je findet die Lobby der Wirtschaft bei der Opposition ja bekanntlich wesentlich offenere Ohren als bei uns. Das wissen die Herren der Wirtschaft auch. Herr Köhler ist ja nicht mehr im Saal, aber der würde sich sicherlich direkt angesprochen fühlen.Das Verdienst der Sozialdemokraten ist es aber, in der sektoralen Strukturpolitik Grundsätze aufgestellt zu haben, damit Gschaftlhuberei oder ein Rückfall in den punktuellen Interventionismus vermieden werden. Grundsätze sind unabdingbar, obwohl dies zur gleichen Zeit heißt, daß es Ausnahmen gibt. Denn die Ursachen von wirtschaftlichen Störungen sind von Wirtschaftszweig zu Wirtschaftszweig häufig sehr unterschiedlich. Unterschiedliche Ursachen für Strukturprobleme erfordern aber auch unterschiedliche Antworten in der Politik.Wenn die Opposition der Regierung vorwirft, daß die Antworten auf Ihre Anfragen dünn ausgefallen seien, so ist das zunächst sogar verständlich. Denn die Kenntnisse über Strukturentwicklung sind in der Tat in diesem Lande noch immer sehr dünn, und es gilt, diese Kenntnisse zu erweitern.Wenig sinnvoll ist z. B., daß Bund, Länder und Gemeinden, jeder auf seine Weise, sektorale Strukturpolitik betreiben, ohne sie zu koordinieren. Wie unsinnig ist es, daß regionale und sektorale Strukturpolitik sich gegenseitig zum Teil konterkarieren. Was wir zunächst brauchen, sind mehr Informationen über die Entwicklung der Wirtschaftszweige in unserem Lande. Die Strukturberichterstattung, die in dieser Legislaturperiode von der Regierung in Angriff genommen wurde, ist ein sinnvoller Beitrag, um mehr Licht in das strukturelle Dunkel zu bringen. So wird mehr Transparenz auch für die Unternehmen geschaffen, die über Fehlinvestitionen in den vergangenen Jahren bekanntlich nicht klagen können. Wenn Herr Biedenkopf kritisiert, daß wir hier wieder weitere Prognosen
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6974 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Dr. Jenshätten, die möglicherweise falsch sein könnten, so liefert sein Institut, das er jüngst aus der Taufe gehoben hat, wahrscheinlich erneut zusätzliche Prognosen, die sehr wohl auch falsch sein können. Warum sollten zusätzliche Prognosen eigentlich nicht sinnvoll sein? Kein Unternehmer wird eine Investitionsentscheidung fällen, ohne vorher selbst eine Prognose über die zukünftige Entwicklung zu machen. Zusätzliche Informationen sind deshalb notwendig und für die Unternehmen auch erforderlich.Um dirigistische Eingriffe zu vermeiden, die wir auch nicht wollen, ist es auf alle Fälle wichtig, die Flexibilität der Preise für Produktionsfaktoren und für Produkte zu erhalten. Die CDU will allerdings mit der jetzt vorgelegten Novelle zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb diese Flexibilität der Preise durch die Beschränkung der Information über Preisentwicklung eindämmen. Dies ist kein Beitrag zum Ausbau unserer marktwirtschaftlichen Ordnung, ganz im Gegenteil. Wir werden darüber ja noch zu reden haben.Zweifellos müssen wir die Strukturpolitik ausbauen, aber ohne die Dezentralisierung der Entscheidungen aufzuheben und ohne die Verluste zu sozialisieren, weil dies die Freiheit in unserer Wirtschaft zerstören würde.
Die Globalpolitik, so wie wir sie seit 10 Jahren hier in diesem Lande betrieben haben, hat zweifellos ihre Fehler; denn sie hat nicht unmittelbar, aber mittelbar mit dazu beigetragen, daß die Konzentration in unserer Wirtschaft weiter wächst. Globale Politik trifft eben Reiche und Arme, Starke und Schwache sehr unterschiedlich. Deshalb müssen wir vielleicht, um diese Ordnung zu erhalten, verstärkt zu einer differenzierten Förderung kommen, die Bezieher kleiner Einkommen und kleine Unternehmer überdurchschnittlich begünstigt. Im übrigen verläuft die Entwicklung in den Wirtschaftszweigen häufig sehr unterschiedlich. Dies ist auch ein Argument gegen die Globalpolitik. Die Automobilindustrie prosperiert, und in der Stahlindustrie haben wir eine Krise. Mit globalen Ankurbelungsbemühungen werden die einen zwar richtig getroffen, aber die anderen völlig falsch. Bei den einen schaffen wir Arbeitsplätze, bei den anderen tragen wir dazu bei, daß die Preise steigen können.Globalpolitik setzt im übrigen zwingend voraus, daß der Wettbewerb in unserer Wirtschaft funktioniert: Die Monopolkommission hat allerdings gerade festgestellt, daß die Konzentration in der Wirtschaft wiederum kräftig fortgeschritten ist.
Ich hoffe, Sie werden bei der Kartellgesetznovelle mit dazu beitragen, daß wir hier gegensteuern können.
Wichtig für die Globalpolitik ist ferner, daß sich die Wirtschaftssubjekte ökonomisch und nur ökonomisch sinnvoll verhalten. Gerade in unserer Situation kommt es deshalb darauf an, daß sich alle Teilnehmer am Wirtschaftsprozeß flexibler und risikobereiter verhalten. Das Streben nach Sicherheit auch der Unternehmer ist zwar verständlich, aber nicht mit unserer liberalistischen Wirtschaftsordnung, die von der Eigeninitiative lebt, vereinbar.Viele Probleme, mit denen Wirtschaftszweige in unserem Lande zu kämpfen haben, resultieren eben aus den weltwirtschaftlichen Turbulenzen der letzten Zeit. Die Stahlindustrie, die Chemiefaserindustrie, die Düngemittelindustrie erleiden heute das Schicksal der Textilindustrie von vor zehn Jahren. Genauso wie die Textilindustrie wird sich aber auch die Stahlindustrie umstellen müssen. Massenstahl können bereits heute die Entwicklungsländer produzieren, und zwar wesentlich billiger als wir, hochwertige Spezialstähle aber noch lange nicht. Die Weltwirtschaft wird im übrigen auch mit unserer Entwicklungshilfe in einem Tempo umstrukturiert wie die Wirtschaftsstruktur in Europa am Ende des vorigen Jahrhunderts. Diese Entwicklung ist unaufhaltsam. Wichtig erscheint mir nur, daß man verstärkt auf die Entwicklungsländer einwirkt, auch für den eigenen Markt zu produzieren und nicht alles zu exportieren. Der Bedarf dieser Länder ist nahezu grenzenlos, wenn nur genügend Kaufkraft vorhanden wäre.In dem Maße, wie wir anderen Entwicklungsländern beim Aufbau von Industrien helfen, müssen wir unseren Industrien helfen, sich umzustrukturieren. Nur Produktionen mit viel technischem Knowhow werden auf längere Zeit von uns auf dem Weltmarkt abgesetzt werden können. Leider kann man den Schumpeterschen Unternehmer in unserer Wirtschaft kaum noch finden. Weil das so ist, werden wir nicht darum herumkommen, daß im Bereich der Forschung und Technologie auch der Staat verstärkt die Weichen stellt.
Bei Aufwertungssätzen von 7 bis 8 Prozent in den letzten Jahren braucht man sich auch nicht darüber zu wundern, daß die deutschen Unternehmen ins Ausland gegangen sind und dort investiert haben. Jahrelang ist es allerdings umgekehrt gewesen: Jahrelang sind deutsche Unternehmen von den Amerikanern aufgekauft worden, weil diese für sie besonders billig waren. Die abrupte Abwertung des Dollars in den letzten Jahren kann manchmal Erinnerungen an die unselige „beggar-my-neighbourpolicy" der zwanziger Jahre wachrufen. Eine falsche Antwort auf diese Herausforderung wäre nach meinem Dafürhalten allerdings die Flucht in den Protektionismus, der sich vor allem in Europa in der letzten Zeit breitgemacht hat und der vor allem in den Kreisen der Opposition Befürworter hat. Nachdem die Stahlindustrie ihre Mengen- und Preiskartelle unter Dach und Fach gebracht hat, steht jetzt die Mineralölwirtschaft in Brüssel bereits vor
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6975
Dr. Jensder Tür; aber protektionistische Maßnahmen sind leichter eingeführt als wieder abgeschafft. Sie haben die übliche und üble Eigenschaft, sich wie ein Krebsgeschwür auszubreiten, das eines Tages nicht mehr beherrscht werden kann. Vor dieser Reise in den Protektionismus ist laut und deutlich zu warnen.Mitunter beschleicht einen angesichts der steigenden Arbeitslosenzahlen in Europa das Gefühl, daß sich die Geschichte wiederholen könnte. Aber wir Sozialdemokraten werden auch mit der sektoralen Strukturpolitik dagegen kämpfen, daß unsere Republik ein solches Ende wie damals die Republik von Weimar finden wird. Ich hoffe allerdings zunächst, daß es in allen Industrienationen der westlichen Welt gelingen wird, sich durch einen internationalen Pakt zur Wiedererlangung der Vollbeschäftigung, der jüngst von unserem Fraktionsvorsitzenden vorgeschlagen wurde, aus dem weltwirtschaftlichen Sumpf zu ziehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidhuber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich als letzter Redner meiner Fraktion das Ergebnis der heutigen Debatte zusammenfassen.Zunächst möchte ich noch ein Wort zu meinem lieben Kollegen Jens sagen. Herr Kollege Jens hat angemerkt, daß der Herr Kollege Professor Biedenkopf kurzfristig den Saal verlassen hat. Wir freuen uns, daß er zurückgekehrt ist; aber leider fällt mir schon seit einiger Zeit auf, daß sich der Herr Bundeswirtschaftsminister offenbar wegen wichtiger Staatsgeschäfte zurückgezogen hat.
Das müssen wir dann auch anmerken. Ich halte im übrigen von solchen Einleitungen, mit denen uns der Herr Kollege Jens immer beglückt, nicht allzuviel.
Nun komme ich aber zu dieser Debatte. Der Herr Bundeswirtschaftsminister und die Vertreter der Koalition haben es sorgfältig vermieden, auf die Kernfrage unserer parlamentarischen Initiative einzugehen. Diese Frage möchte ich wie folgt formulieren: Wird die neue Welle des wirtschaftspolitischen Interventionismus, die unter der Bezeichnung Strukturpolitik anrollt, die Qualität unserer Wirtschaftsordnung verändern, wird der Markt, das dezentrale Steuerungssystem unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung, durch ein Stakkato wirtschaftspolitischer Eingriffe gelähmt, und soll in Zukunft die Steuerung, d. h. die Signalsetzung für wirtschaftliche Betätigung, nicht mehr über den Markt, sondern durch eine Vielzahl von Räten erfolgen? Daß dies so ist, dafür gibt es genügend Belege. Viele sind in dieser Debatte genannt worden.Die Koalition hat unsere Große Anfrage in äußerst dürftiger Weise beantwortet.
— Ich komme schon noch darauf.Dies war offenbar der kleinste gemeinsame Nenner der Unverbindlichkeit, auf den sich die Koalitionspartner, gerade noch einigen konnten.
Die Opposition ist bei dieser Beantwortung der Anfrage mit „benign neglect behandelt worden. Die Antworten waren kürzer als die Fragen.
Es ist nur die Frage, wie lange Sie sich das noch leisten können.Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat dann in seiner Rede unsere Bedenken aus dem Plenarsaal des Deutschen Bundestages in die Versammlungssäle der politischen Parteien verwiesen, auf Diskussionsforen, wie er sich ausgedrückt hat. Meine Damen und Herren, dies ist natürlich ein billiger rhetorischer Trick und offenbart im übrigen ein merkwürdiges — ich möchte beinahe sagen — gräfliches Verständnis der Verfassungswirklichkeit. In diesem Haus sitzen die Repräsentanten der politischen Parteien als die Vertreter des deutschen Volkes. In den politischen Parteien vollzieht sich die Vorformung des politischen Willens, der in diesem Hause exekutiert wird. Man kann es sich nicht so leicht machen, zu sagen: Das erledigen wir auf der Forumsdiskussion, und hier machen wir das, was Sie, meine Herren von der Koalition, unter praktischer Politik verstehen. Meine Damen und Herren, die Regierung schwebt nicht über den Parteien. Sie besteht aus den Parteien.
— Ich kann Ihnen nur dazu gratulieren, daß Sie sich an Ihren eigenen Sprüchen festhalten.
Meine Damen und Herren, der Kollege Roth hat heute zu einem mittleren Rundumschlag ausgeholt und uns gesagt, was wir für ordnungspolitische Sünder seien. Sie haben sich einen Buhmann aufgebaut, dem Sie dann die erforderlichen Ohrfeigen erteilt haben. Aber Sie sind nicht darauf eingegangen, was der Kollege Dr. Barzel und der Kollege Professor Dr. Biedenkopf gesagt haben.Natürlich wissen wir, daß wir eine gemischte Wirtschaftsordnung haben.
— Das haben wir immer gesagt. Wir haben eine gemischte Wirtschaftsordnung, in der nach unserer Auffassung das dezentrale Steuerungssystem das entscheidende ist. Wir machen doch seit 1949 Wirtschaftspolitik und haben dazu beigetragen, daß die-
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Schmidhuberser Wirtschaft das enorme Wachstum der 50er und 60er Jahre gehabt hat.Die entscheidende Frage ist doch, ob die Investitionslenkung, d. h. die Beeinflussung der Investitionsströme, durch entsprechende Rahmensetzung über den Markt erfolgt, oder ob der Markt ersetzt werden soll durch eine progressiv fortschreitende Wirtschaftsplanung, und das ist das, was wir aus Ihren Papieren herauslesen, meine Herren von der SPD.
— Ich bleibe bei dieser Interpretation.Nun noch ein Wort zum Kollegen Dr. Jens. Er hat die hochinteressante Frage gestellt: Wo bleibt denn der Typ des Unternehmers, den Joseph A. Schumpeter in seinem hervorragenden Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" beschrieben hat? Den findet er heute nicht mehr. Ich kann Ihnen schon sagen, Herr Kollege Dr. Jens, warum Sie den nicht mehr finden. Den haben Sie, meine Herren von der SPD, von der Bildfläche verdrängt durch die Androhung sogenannter Reformen, und Sie haben ihn entmutigt durch einen enormen Gesinnungsdruck, den Sie seit 1969 ausgeübt haben.
Diese Art Unternehmer wird auch wieder in Erscheinung treten, wenn die Rahmenbedingungen anders sind, wenn er wieder etwas unternehmen kann, meine Herren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat nunmehr der Herr Abgeordnete Steger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, zunächst ebenso wie Herr Schmidhuber ein kurzes Fazit dieser Debatte zu ziehen, um dann vielleicht noch Ihre Aufmerksamkeit auf einen Punkt zu lenken, bei dem vieles, was heute von der Opposition in Frage gestellt wurde, längst schon erfolgreich praktiziert wird.Die Anlage der Debatte durch die Opposition sah ja so aus, daß man einen Keil zwischen die Koalitionsfraktionen treiben wollte, daß man sagen wollte: Nun guckt doch mal, staunendes Publikum, wir, die CDU, sind ja mit der FDP viel mehr einer Meinung, als die Sozialdemokraten das sind.Man hat dabei insbesondere, Herr Barzel, sorgfältig vermieden, sich mit der von der Bundesregierung tatsächlich praktizierten sektoralen Strukturpolitik auseinanderzusetzen. Sie haben viel Lyrik geboten, Zitate von Hayek. Mich wundert, daß Sie nicht auch noch Adam Smith hier in die Debatte eingeführt haben. Nur wäre es sicherlich sehr viel besser gewesen, wenn Sie auch einmal in Keynes geschaut hätten, denn dann hätten Sie eine profundere Leitlinie für das, was heute an wirtschaftspolitischen Ansätzen notwendig ist, als wenn Sie es ausgerechnet bei abgehalfterten Ordoliberalen tun.
Meine Vermutung, warum Sie es nicht riskiert haben, sich hier mit der praktizierten sektoralen Strukturpolitik auseinanderzusetzen, geht dahin, daß Sie es einfach, Herr Barzel, an Mannesmut vor Grafenthronen haben fehlen lassen, denn nachdem Herr Probst letztens in der energiepolitischen Debatte so schlecht ausgesehen hat, wollten Sie sich vermutlich ein ähnliches Schicksal ersparen.Dafür blieb es Herrn Biedenkopf vorbehalten, in einer Art und Weise die Marktwirtschaft hochzujubeln, daß einem geradezu noch die Tränen in die Augen kommen mußten. Nur, Herr Biedenkopf: Die Unterschiede zu den anderen Rednern der Opposition sind, glaube ich, allzu deutlich geworden. Sie gingen sogar so weit, dem Markt Intelligenz zuzusprechen. Wahrscheinlich haben Sie in Ihrem pseudowissenschaftlichen Institut dessen IQ gemessen. Sie haben gesagt, der Markt sei klüger als Bürokraten.
— Herr Biedenkopf, nach der Rede, die Sie heute gehalten haben, die ein sehr schlechtes Proseminar war, kann ich mir soviel Einsicht bei Ihnen gar nicht vorstellen, daß Sie den Bundeskanzler zustimmend zitieren.Sie haben den Markt hochgejubelt, wie es im Widerspruch zu allem steht, was Vertreter Ihrer eigenen Fraktion hier gesagt haben. Damit kommen wir, glaube ich, zum interessanteren Teil der Diskussion. Ich will Ihnen gern zugeben: Der interessantere Teil der Debatte findet innerhalb und zwischen den Koalitionsfraktionen statt.Graf Lambsdorff hat hier ausgeführt — das fand ich sehr bemerkenswert —, daß auch er die sektorale Strukturpolitik lange Zeit verdrängt habe, aber nach dem Einarbeiten in die Probleme sehr klar sehe, daß sie notwendig sei. Was sind denn die Erfordernisse dieser sektoralen Strukturpolitik, was steht in diesen von Ihnen so viel geschmähten Parteitagsbeschlüssen? Übrigens: Wenn Sie, Herr Schmidhuber, diese einmal gelesen und nicht nur etwas herausgelesen hätten, dann hätten Sie in den Kieler Thesen einiges entdecken können, was zumindest in Herrn Biedenkopfs ordnungspolitisches Scheuklappenleitbild nicht hineingepaßt hätte.Worum geht es bei diesem Punkt? Wir sind in einer weltweiten Wachstumskrise, die dadurch gekennzeichnet ist, daß die frühere, fast problemlose, einmalig hohe Wachstumsphase der Nachkriegszeit vorbei ist und wir zu Wachstumsraten zurückkehren, die — im historischen Vergleich - als durchschnittlich zu bezeichnen sind. Dies schafft uns viele Anpassungsprobleme, die weder durch strukturkonservierende Maßnahmen noch durch eine defensive Strategie des Lohnverzichts zu lösen sind. Erforderlich ist vielmehr, daß in die notwendigen staatlichen Maßnahmen mehr Transparenz und mehr Rationalität hineinkommt, als es mit diesen fallweisen Eingriffen einer konservativen Strukturpolitik — denken Sie doch einmal an Ihre eigenen Maßnahmen, die Sie in den 50er Jahren und Anfang der 60er Jahre ergriffen haben — bislang der Fall gewesen
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Dr. Stegerist. — Da können Sie ruhig den Kopf schütteln. Aus diesem Zwiespalt zwischen den ordnungspolitischen Glaubensbekenntnissen von Herrn Biedenkopf und diesen fallweisen Eingriffen — pragmatisch kann man die gar nicht nennen; das ist der fehlende Mut, Herr Barzel, wenn es schon um Mut geht, zu einer konzeptionellen Wirtschaftspolitik — kommen Sie nicht heraus. Und dann beschimpfen Sie die Koalition, weil wir versuchen, in die notwendigen strukturpolitischen Entscheidungen mehr Transparenz, mehr Rationalität, bessere Informationsgrundlagen, eine bessere Willensbildung hinein- und diese Entscheidungen aus dem Gemauschel der Interessenverbände mit einzelnen Regierungsbürokraten herauszubringen.
Dies ist der Kern; darüber können Sie auch nicht hinweg. Vor allen Dingen können Sie deswegen nicht darüber hinweg, weil es entgegen der negativen Einschätzung, die Sie hier gegeben haben, durchaus Bereiche gibt, in denen die staatliche sektorale Strukturpolitik alles andere als erfolglos war. Ich nenne Ihnen drei Bereiche: die Datenverarbeitung, die Luft und Raumfahrt und die Kernenergie. Natürlich haben sich nicht alle mit der Förderung verbundenen Erwartungen und Hoffnungen erfüllt. Aber es wäre doch wohl verkehrt, diese Mißerfolge, die es gegeben hat, jetzt der staatlichen Förderung zuzuschreiben. Da muß man z. B. über Mißmanagement im Bereich der Luftfahrtindustrie und nicht so sehr über falsche Datensetzung durch den Staat reden.Im übrigen: Da herrscht oder herrschte — ich muß das vorsichtig sagen — zumindest in unserem Ausschuß Einigkeit darüber — Herr Riesenhuber, Sie sind Kronzeuge —, daß es für die staatliche Förderung in diesen sektoralen Bereichen konstitutiv ist, daß ein besonderes Entwicklungsrisiko besteht, das die privaten Unternehmen zu tragen nicht bereit wären — denn nur dieses Entwicklungsrisiko rechtfertigt eine solche staatliche Förderung —, daß auch. das Risiko von Fehlentwicklung oder sogar das des Scheiterns besteht.Letzter Punkt: Was ist auf der Basis des bisher Erreichten künftig notwendig? Wir haben in diesen Anträgen — das ist ein Punkt, an dem wir, glaube ich, auch keine Meinungsverschiedenheiten mit den Liberalen haben — gesagt, daß die Wachstumsbedingungen unserer Volkswirtschaft ständig verbessert werden müssen, daß .dies nur in einem mittelfristigen Zeithorizont geschehen kann, daß in diesem Rahmen die Forschungs- und Technologiepolitik und die damit verbundene Innovationsförderung einen zentralen Stellenwert einnehmen und daß sich das — anders als die von Ihnen geforderten pauschalen Steuererleichterungen — sehr viel mehr an 'den zentralen Bedürfnissen dieser Gesellschaft und seiner einzelnen Mitglieder orientiert, als wenn jede Familie 8 DM mehr im Monat hätte.Ich nenne drei Bereiche:Der erste Punkt sind neue Technologien zur Lösung der Energie-, Rohstoff- und Umweltprobleme — nicht nur für uns, sondern auch für die Entwicklungsländer. Was z. B. Solarkollektoren oder Windmühlen betrifft, denken wir nicht nur immer an die Verwendung im eigenen Land, sondern wir denken dann auch daran, wie dieses dezentral organisiert in verschiedenen, Entwicklungsländern eingesetzt werden kann. Man sollte hier ja wohl mittlerweile auch unterstellen können, daß selbst die Opposition begriffen hat, daß hier neue Märkte liegen, daß hier Wachstumschancen liegen, die aber eben nicht von selber kommen, sondern für die es einer gezielten staatlichen Hilfe und Förderung bedarf. Die Opposition hat jedenfalls auch schon entsprechende Anträge eingebracht. Von daher darf ich wohl davon ausgehen, daß sie dort mit uns einer Meinung ist.Der zweite Bereich betrifft die Förderung der kommunalen Technologien. Ich nenne hier die neuen Verkehrssysteme, Systeme des Gesundheits- und Betreuungswesens, Ver- und Entsorgungssysteme wie etwa Müllverbrennungsanlagen und ähnliches. Dies ist ebenfalls ein Bereich, der zur größeren Produktivität im öffentlichen Sektor beiträgt und neue Wachstumschancen eröffnet. Ich nenne hier ferner den Bereich der Information und Dokumentation sowie der technischen Kommunikation.Als letzten, aber vielleicht doch wichtigsten Punkt nenne ich die Strategien zur Humanisierung der Arbeit und zur Steuerung des technischen Fortschritts; denn — ich glaube, das ist der Punkt, Herr Biedenkopf, den Sie völlig verkennen — in der gegenwärtigen Situation sind die Arbeitnehmer in diesem Lande nicht mehr bereit, quasi als Versuchskarnickel die sozialen Konsequenzen des technischen Wandels an sich ausprobieren zu lassen.
Sie wollen, damit der technische Wandel zum Fortschritt wird, diesen von gesellschaftspolitisch und arbeitsplatzorientierten Kriterien gesteuert wissen. Dieses — das muß ich Ihnen auch sagen, Herr Biedenkopf — haben Ihre Kollegen im Forschungs- und Technologieausschuß anerkannt, indem sie die Forderung nach einer Technologiebewertung gestellt haben. Genau darum geht es ja im Kern: Wie steuere ich den technischen Wandel im Hinblick auf gesellschaftspolitische Ziele, damit er wirklich Fortschritt genannt werden kann und nicht nur eine bloße Produktivitätsverbesserung ist.In diesem Zusammenhang möchte ich auch ein kritisches Wort an das Wirtschaftsministerium richten, weniger an die Leitung, sondern mehr an die gehobenen Beamten, die auf sehr sicheren und wohldotierten Arbeitsplätzen sitzen und von denen ich mir etwas mehr Verständnis für die Situation der Arbeitnehmer in der Metallindustrie und in der Druckindustrie erhofft habe. Soweit es in der Presse bekanntgeworden ist, muß man nämlich davon ausgehen, daß dort diese Tarifverträge sehr negativ beurteilt worden sind. Ich muß hier sagen, daß ich diese Beurteilung nicht teilen kann, denn gerade wenn man die Marktwirtschaft für einen effizienten Rechenmechanismus hält, muß man derartige Tarifverträge begrüßen, weil sie nämlich ähnlich wie beim Umweltschutz dazu führen, daß die sozialen Kosten
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6978 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Dr. Stegeroder externen Effekte in die Unternehmenskalkulation eingehen. Insofern arbeitet der marktwirtschaftliche Rechenzusammenhang, weil er eben Kosten und Erträge des technischen Fortschritts erfaßt, sehr viel präziser, als wenn sich in der Unternehmenskalkulation nur die positiven Effekte des technischen Fortschritts niederschlagen, die negativen sozialen Kosten aber dann ausschließlich von der öffentlichen Hand übernommen werden. Ich wäre jedenfalls dankbar, wenn auch diese Überlegung bei der anstehenden Studie mit einbezogen würde.Fazit der Debatte hier und heute: Die CDU/CSU hat mal wieder mit vollen Backen — Herr Schmöle, dieses Bild fällt mir ein, wenn ich Sie so vor mir sitzen sehen — —
— Ja, das muß ich Ihnen sagen: Wenn ich Sie mir in Gelsenkirchen begucke, fällt mir wirklich nicht mehr viel ein.
Die CDU hat hier zum ordnungspolitischen Generalangriff gegen die wirtschafts- und strukturpolitischen Vorstellungen der Bundesregierung und der SPD geblasen. Nimmt man das Ende dieser Debatte, dann muß man sagen: anders als seinerzeit in Jericho sind nicht die Mauern eingefallen.
Im Gegenteil. Ich fühle mich bei dem, was hier von der Opposition praktiziert worden ist, mehr an tibetanische Gebetsmühlen erinnert. Vielleicht kann Herr Biedenkopf zu deren Anwendung in der Politik auch einmal einen Forschungsauftrag vergeben.Ich glaube, daß die Alternativen klar sind: auf der einen Seite die vorausschauende Strukturpolitik für Vollbeschäftigung und humanes Wachstum, auf der anderen Seite eine Politik, bei der durch etliche staatliche Maßnahmen zwar offenbar das Recht auf Gewinne gesichert werden soll, das Recht auf Arbeit aber irgendwo von hintenrum durch die kalte Küche den Tarifparteien zugeschanzt wird, und dann noch so zugeschanzt wird, daß die Gewerkschaften keine Chance haben, ihr Marktstellung auch wirklich zu entfalten. Ich schließe mich vor allen Dingen Herrn Reuschenbach an, der darauf hingewiesen hat, daß diese Politik den fundamentalen Erfordernissen der christlichen Soziallehre nicht genügt. Ich möchte hinzufügen, sie hat die ökonomischen Lehren, die die westlichen Industriestaaten seit Keynes begriffen haben, auch nicht berücksichtigt. Aber Sie haben ja einen kompetenten Professor in Ihren Reihen. Vielleicht gibt der einmal in der einen oder anderen Frage Nachhilfe-Stunde; so sozial, wie er ist: privatissime et gratis, versteht sich. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um folgenden Punkt ergänzt werden:
Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zum Terrorismus — Drucksache 8/1753 —
Das Haus ist damit einverstanden, daß wir die Tagesordnung so erweitern? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich möchte vorschlagen, daß dieser Punkt sofort behandelt wird. Das Haus ist damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch.
Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage an den Rechtsausschuß — federführend — und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß und den Innenausschuß zu überweisen. Wer dieser Überweisung zustimmt, den bitte ich ums Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist so beschlossen.
Ich rufe nun auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Hauser , Dr. Zeitel, Schmidhuber, Lampersbach, Dr. Pinger, Dr. Eyrich, Stücklen, Dr. Bötsch, Erhard (Bad Schwalbach), Engelsberger, Schedl, Helmrich, Dreyer, Landré, Dr. Hammans, Dr. Stavenhagen, Sick, Biehle, Niegel und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb
— Drucksache 8/1670 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Herr Abgeordneter Schmidhuber hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion legt Ihnen heute den Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vor. Damit wollen wir einen Beitrag zur Fortentwicklung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs leisten. Daß dies notwendig ist, hat auch die Bundesregierung in der Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 bereits zum Ausdruck gebracht.Der Schwerpunkt dieser Vorlage, aber, wie ich ausdrücklich hinzufügen möchte, nicht ihr einziger und ausschließlicher Zweck, ist die Sicherung der Institution „Leistungswettbewerb". Daß das UWG auch noch in einer anderen Richtung reformbedürftig ist, nämlich in bezug auf den Verbraucherschutz, haben wir nicht nur in politischen Erklärungen, sondern durch die Einfügung eines Schadenersatztatbestandes für Abnehmer von Waren, gewerblichen Leistungen und Rechten, die durch einen schuldhaften Verstoß gegen die in § 13 UWG aufgeführten Bestimmungen zur Abnahme bestimmt worden
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6979
Schmidhubersind, zum Ausdruck gebracht. Damit ist der berechtigten rechtspolitischen Forderung, den Verbraucher vor den Folgen täuschender Werbung zu schützen, Rechnung getragen.Die Bundesregierung hat die vor ihr angekündigte UWG-Novelle noch nicht verabschiedet. Daher kann sich das Plenum heute nur mit unserer Vorlage befassen. Von seiten der Regierung liegt nur ein Referentenentwurf vor, der den Akzent ausschließlich auf den Verbraucherschutz legt und die wettbewerbspolitische Problematik ausklammert.Meine Fraktion bejaht beide Zielsetzungen. Wir sehen daher die beiden Initiativen — unseren Entwurf und die Vorstellungen, die die Bundesregierung bisher zu erkennen gegeben hat — nicht so sehr als kontrovers, sondern eher als komplementär an. Dies bedeutet allerdings nicht, daß wir schon heute einen Blankoscheck auf das Reformvorhaben des Bundesjustizministeriums ausstellen wollen oder daß wir alle Vorschläge des Referentenentwurfs billigen. Aber dies ist heute nicht das Thema. Solange die Bundesregierung eine politische Entscheidung noch nicht getroffen hat, kann hier über diese Vorstellungen nichts gesagt werden. Aber ich möchte an die Bundesregierung appellieren, daß sie möglichst bald ihre Vorstellungen präzisiert und diesem Hohen Hause vorlegt.Wie die Geschichte des UWG beweist, hat sich die ordnungspolitische Bedeutung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb gewandelt. Der Schutzzweck des UWG hat sich wesentlich erweitert. Stand am Anfang nur der Schutz des lauteren Mitbewerbers, so sind aus heutiger Sicht noch als gleichberechtigte Ziele der Verbraucherschutz und der Schutz der Institution Wettbewerb hinzugekommen.In dieser letzteren Zielvorstellung ergeben sich Berührungspunkte zu dem anderen wichtigen wettbewerbspolitischen Gesetz, dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Eine ausgewogene Weiterentwicklung des UWG — und nur darum kann es gehen — muß von einer gleichgewichtigen Berücksichtigung aller drei Ziele ausgehen.Es gilt, das UWG an die veränderten ökonomischen Bedingungen anzupassen. Der Wettbewerb ist wesentlich härter geworden. Dies hat konjunkturelle und strukturelle Ursachen. Die Zunahme der Intensität des Wettbewerbs ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Sie steigert die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft und dient dem Verbraucherinteresse. Der härtere Wettbewerb, insbesondere auf bestimmten Märkten, hat aber auch bestimmte negative, ordnungspolitisch bedenkliche Begleiterscheinungen. Es wächst bei manchen Wettbewerbern die Neigung, am Rande des Erlaubten zu operieren oder sogar die Grenzlinie zur Unlauterkeit zu überschreiten.Machtbedingte Komponenten spielen im Wettbewerb eine größere Rolle. Der immer häufiger verwendete Begriff der Verdrängungskonkurrenz ist ein Indiz dafür. Das Vordringen machtbedingter Komponenten ist keine zwangsläufige Folge der Zunahme der Intensität des Wettbewerbs. Diese machtbedipgten, nicht mit den Prinzipien eines fairen Leistungswettbewerbs zu vereinbarenden Praktiken müssen im langfristigen Interesse aller Marktteilnehmer eingedämmt werden. Eine darauf gerichtete Politik ist unerläßlich, um die Wettbewerbsordnung zu sichern. Wettbewerbspraktiken, die die Wettbewerbsstruktur als solche gefährden, indem sie an sich leistungsfähige Wettbewerber mittels Verdrängungsstrategie aus dem Markt werfen, steigern weder die Leistungsfähigkeit des Wettbewerbssystems insgesamt noch dienen sie dem langfristigen Konsumenteninteresse.Die aktuellen Vorgänge in bestimmten Bereichen des Einzelhandels beweisen dies. Hier hat der Verdrängungswettbewerb bereits zu einer Veränderung der Wettbewerbsstruktur geführt, die nicht nur die Voraussetzung für eine Monopolisierung oder Oligopolisierung von Teilmärkten geschaffen hat, sondern darüber hinaus auch andere wichtige volkswirtschaftliche Ziele wie z. B. eine ausreichende Nahversorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln gefährdet hat. Aus statistischen Erhebungen wissen wir, daß die Zahl der Gemeinden, die keinen eigenen Lebensmittelladen mehr besitzen, ständig zunehmen.Selbstverständlich soll in diesem Zusammenhang nicht gegen eine notwendige Rationalisierung des Vertriebsapparates Stellung genommen werden, auch kann es nicht darum gehen, einen Bestandsschutz für kleine und mittlere Unternehmen einzuführen. Dies wäre das Ende jeder ökonomischen Dynamik. Aber auch hier gilt es zu bedenken, daß es ordnungs- und strukturpolitische Zielkonflikte gibt. Es geht lediglich darum, dem Leistungswettbewerb stärkere Geltung zu verschaffen und das leistungswidrige Wettbewerbsverhalten klarer zu erfassen, um es auch mit den Instrumenten des UWG besser bekämpfen zu können. Dies gilt im übrigen nicht nur für die Stufe des Einzelhandels, sondern auch für andere Produktionsstufen und für die Beziehungen zwischen den Produktionsstufen.Ein erster Anstoß zur Kennzeichnung des Nichtleistungswettbewerbs ist durch das Sündenregister des Bundeswirtschaftsministeriums und durch die sogenannte gemeinsame Erklärung der Wirtschaftsverbände gegeben worden. Jetzt geht es darum, das Instrumentarium zu vervollständigen und den Klärungsprozeß der Rechtsprechung dadurch zu beschleunigen.Durch unseren Gesetzentwurf wollen wir also einen weiteren Beitrag zur Sicherung des Leistungswettbewerbs leisten. Zentrales Element unseres Konzepts ist die Erweiterung des Tatbestandes des § 1 UWG, wonach auch ein Unterlassungsanspruch gegenüber Handlungen begründet werden soll, die geeignet sind, der Wirksamkeit eines leistungsgerechten Wettbewerbs entgegenzuwirken.Wir sind uns der Schwierigkeiten, die die Erweiterung des § 1 UWG, der zentralen Generalklausel dieses Gesetzes, mit sich bringt, durchaus bewußt. Damit wird aber nicht etwas völlig neues aufgetischt, sondern es wird auf einen Rechtsbegriff zurückgegriffen, der bereits zum Bestand des GWB
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Schmidhubergehört. Er findet sich in § 28 Abs. 2 GWB. Schon dadurch ergibt sich eine Verzahnung mit den einschlägigen Vorschriften des GWB über die Wettbewerbsregeln und über das Diskriminierungsverbot.Gegen diese Lösung ist der Einwand vorgetragen worden, daß die gegenwärtige Formulierung der Generalklausel des § 1 UWG ausreichend sei, daß die Rechtsprechung mit dieser Klausel alle wichtigen Fälle lösen könne. Dies trifft nicht zu, denn gerade die neueren Entscheidungen des BGH, wie etwa die beiden Urteile bezüglich der Schaufenstermiete und des Eintrittsgeldes vom Dezember 1976 zeigen, daß man an die Grenzen der Interpretationsmöglichkeiten der derzeitigen Fassung des § 1 UWG stößt. Wir haben mit der von uns gewählten Ergänzung des § 1 UWG einen Vorschlag aufgegriffen, der von einem erfahrenen Richter des Bundesgerichtshofes in der juristischen Literatur gemacht und eingehend begründet worden ist. Es würde allerdings den üblichen Rahmen der ersten Beratung eines Gesetzentwurfes sprengen, wenn ich jetzt auf die Einzelheiten der juristischen Argumentation, auf das Für und Wider der Erweiterung der sogenannten großen Generalklausel des UWG weiter einginge. Dazu wird während der Ausschußberatungen ausreichend Gelegenheit bestehen.Der von seiten der SPD erhobene Vorwurf, daß es sich hierbei um das Ergebnis interessengebundenen Schutzzaundenkens handle, ist absurd. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie müssen sich doch fragen lassen, was Sie eigentlich gegen den Konzentrationsprozeß, den Sie bei jeder Gelegenheit beklagen, tun, außer daß Sie Lippenbekenntnisse ablegen. Eine Verschärfung der Fusionskontrolle — vor allen Dingen auf die unprofessionelle Weise, wie sie jetzt im Referentenentwurf vorgesehen ist — allein genügt sicher nicht. Das ist in vielen Fällen doch nur ein Kurieren an Symptomen. Die Praxis der Fusionskontrolle seit 1973 beweist doch dies. Wesentlich wichtiger ist es, die Ursachen des Konzentrationsprozesses zu beseitigen. Die von uns vorgeschlagene 'Änderung ist ein nicht unwesentlicher Beitrag hierzu, sicherlich kein Allheilmittel.Ich habe ausgeführt, daß die Erweiterung des § 1 UWG das Kernstück einer Kombination gesetzlicher Änderungen ist. Es treten nämlich die Kodifizierung der vom Bundesgerichtshof entwickelten Beweislastumkehr in UWG-Sachen und die Möglichkeit einer Streitwertherabsetzung hinzu. Diese Kombination von Änderungen hat zum Ziel eine beschleunigte Sanktionierung von Praktiken des Nichtleistungswettbewerbs auf privatrechtlicher Grundlage — d. h. mit den Mitteln des Zivilrechts — herbeizuführen, indem die Erfolgsaussichten von Unterlassungsklagen erheblich verbessert werden.Diese drei Vorschriften müssen also in einem engen Zusammenhang gesehen werden. Wenn z. B. der Kollege de With gegen die Kodifizierung der Beweislastumkehr ins Feld geführt hat, damit werde nichts Neues erreicht, geht dieser Einwand fehl. Die Kodifizierung stellt ein Signal für die Rechtsprechung dar und führt zu deren Verfestigung durchNormsetzung. Wenn man das Argument des Kollegen de With ernst nähme, müßte man ja die Frage stellen, warum dann der Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches neu kodifiziert worden ist; hier ging es doch ebenfalls in erster Linie darum, die Ergebnisse der Rechtsprechung in Gesetzesform zu bringen. Es entspricht nun einmal deutscher Rechtstradition, daß der Charakter unserer Rechtsordnung vom Gesetzesrecht und nicht vom Richterrecht geprägt wird.Diese Kombination von Vorschriften stellt die privatrechtliche Alternative zu den öffentlich-rechtlichen Lösungen der Bekämpfung des Nichtleistungswettbewerbs dar. Es ist kein Geheimnis, daß wir einige Zeit geschwankt haben, welcher Lösungsmöglichkeit wir den Vorzug geben sollten. Wir haben ursprünglich einmal ein Klagerecht der Kartellbehörden in bestimmten UWG-Sachen erwogen. Von anderer Stelle ist eine öffentlich-rechtliche Untersagungsbefugnis bezüglich der leistungswidrigen Wettbewerbshandlungen im Rahmen des § 37 a GWB ins Gespräch gebracht worden. Wir haben schließlich der jetzt vorgelegten Lösung den Vorzug gegeben, weil sie dem überwiegend privatrechtlichen Charakter des UWG am besten entspricht.Ob neben der von uns vorgeschlagenen Lösung noch ein Beteiligungsrecht der Kartellbehörden, wie es im Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums vorgeschlagen wird, sinnvoll und notwendig ist, wird im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens noch zu prüfen sein.Neben dieser generellen Erweiterung der Unterlassungsansprüche des UWG soll mit einer Reihe von Sondertatbeständen gegen aktuelle leistungswidrige Praktiken vorgegangen werden. Dies gilt für das Verbot der öffentlichen Werbung mit Preisgegenüberstellungen — einer der derzeitigen Hauptmißbrauchsfälle — und für die Einschränkung der Preisgegenüberstellung innerhalb der Verkaufsräume, für das Verbot der werbemäßigen Herausstellung von Waren, die mengenmäßig beschränkt werden, und schließlich für die Neuregelung des Rechts der Aus- und Räumungsverkäufe. Hier geht es darum, für die Rechtsprechung neue Signale zu setzen und deutlich zu machen, daß der Gesetzgeber diesen Ausuferungen des Wettbewerbs, die zumindest eine täuschende Komponente haben, aber mit den bisherigen Tatbeständen nur unzureichend erfaßt werden konnten, entgegentritt.Wir geben uns dabei nicht der Illusion hin, man könnte allein dadurch die Praktiken unseriöser Geschäftsleute zurückdrängen. Sie werden neue, ebenfalls anfechtbare Praktiken ersinnen. Neben der Regelung aktueller Mißstände kommt aber diesen Sondertatbeständen insofern, als sie entsprechende Hinweise für die Rechtsprechung darstellen, eine gewisse Bedeutung zu, weil an Hand dieser Beispiele die wirtschaftspolitische Zielsetzung des Gesetzgebers klarer wird. Es kommt darauf an, die zeitliche Lücke zwischen dem aktuellen Wettbewerbshandeln und der Sanktionierung durch die Rechtsprechung zu verkleinern. Der Erfindungsreichtum aggressiver Geschäftsleute kann und soll nicht unterbunden, aber kanalisiert werden.
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SchmidhuberMeine Damen und Herren, mit der von uns vorgelegten Novelle wollen wir einen Beitrag zur Festigung der marktwirtschaftlichen Ordnung leisten. Wir weisen die Unterstellung zurück, daß es uns bei der Reform des UWG um den Schutz überholter Strukturen ginge, um ein Einzelhandelsschutzgesetz in Neuauflage oder um einen Import der strukturkonservierenden Zielsetzung des Loi Royer. Wir halten nichts von einem solchen Schutzzaundenken, weder in der allgemeinen Wirtschaftspolitik noch in der Wettbewerbspolitik. Wir wollen aber gar nicht leugnen, daß für uns die Wettbewerbspolitik im Rahmen der Sicherung einer gesunden Wettbewerbsstruktur auch eine mittelstandspolitische Komponente hat.Unser Entwurf bringt auch eine wichtige Verbesserung eines weiteren Schutzbereiches des UWG, nämlich des Schutzes des Konsumenten. Der in den Fällen täuschender Werbung bisher nur dem Mitwettbewerber zustehende Schadenersatzanspruch soll auch dem Abnehmer von Waren, gewerblichen Leistungen oder Rechten gewährt werden, sofern er durch die Zuwiderhandlung zur Abnahme bestimmt worden ist. Dies bedeutet eine konsequente Fortentwicklung der verbraucherpolitischen Komponente des UWG. Der Schadensersatzanspruch ist als Individualanspruch ausgestaltet. Er umfaßt gemäß dem in § 249 niedergelegten Prinzip der Naturalrestitution auch das Recht zur Rückgängigmachung des Vertrags, zu dessen Abschluß der Abnehmer durch die täuschenden Angaben des Anbieters veranlaßt worden ist.Es stellen sich in diesem Zusammenhang — das wollen wir gar nicht verschweigen — allerdings eine Reihe schwieriger Fragen, die im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens geprüft und entschieden werden müssen, etwa die, wie die Abwicklung des Schadensersatzanspruchs erfolgt, wenn der Verkäufer der Ware und der Verbreiter der täuschenden Werbeaussage nicht identisch sind. Im übrigen steht der Referentenentwurf vor demselben Problem. Auch der Referentenentwurf hat dieses Problem bisher nicht vollkommen lösen können.Es ist unsere Absicht, dem aufgeklärten Verbraucher, der sich seiner wichtigen Rolle in der Marktwirtschaft bewußt ist, mit dem neuen Schadensersatzanspruch ein Instrument zur Durchsetzung seiner berechtigten Interessen an die Hand zu geben. Auch dies ist ein Beitrag zur Festigung unserer Wettbewerbsordnung.
— Immerhin noch früher als Sie, meine Herren von der SPD.Die Aufrechterhaltung und Stärkung unserer Wettbewerbsordnung und damit die Sicherung der Funktionsfähigkeit des primären Steuerungssystems unserer Volkswirtschaft, des Marktes, ist eine ordnungspolitische Daueraufgabe. Wir haben uns bei dem vorherigen Tagesordnungspunkt schon darüber unterhalten.Die Gutachten der Monopolkommission weisen darauf hin, daß mehr Wettbewerb möglich und nötig ist. Fusionskontrolle und Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen sind wichtige, aber allein nicht ausreichende Instrumente, um eine sinnvolle Wettbewerbsstruktur zu erhalten. Die Stärkung des Wettbewerbs ist eine umfassendere Aufgabe.Dazu kann und wird das UWG in Zukunft einen größeren und wirkungsvolleren Beitrag leisten, wenn die von uns vorgelegte Novelle zum UWG verabschiedet wird.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weber.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition erfüllt mit diesem Gesetzentwurf sicher eine Pflichtaufgabe, nämlich gegenüber den vielen Gruppen innerhalb der Union. Etwas anderes ist dieser Gesetzentwurf nicht. Sie dient mit diesem Gesetzentwurf sicher nicht der Rechtsfortentwicklung und auch nicht dem Bürger in unserem Land, der an dem Wettbewerb interessiert ist.Sie haben am 21. Februar in einer Pressekonferenz diesen Entwurf in wesentlichen Punkten als Papier des Diskussionskreises Mittelstand vorgelegt. Dann hatten Sie aber offenbar doch etwas Bedenken, daß Ihr Entwurf zu mager und zu gruppenegoistisch sei; denn Sie haben — insofern stimmt das gar nicht, was Sie soeben gesagt haben, Herr Schmidhuber — aus dem Referentenentwurf des Justizministeriums wörtlich die Vorschrift über den Schadensersatzanspruch zusätzlich abgeschrieben; der stand in Ihrem Entwurf bis dahin überhaupt nicht drin.
— Daraus haben Sie das wörtlich abgeschrieben.
Dieser Entwurf zeichnet sich nicht durch das aus, was er enthält — denn davon ist einiges abzulehnen und das meiste völlig unnötig —, sondern durch das, was er nicht enthält. Ursprünglich enthielt er überhaupt keine Vorschläge zur Verbesserung der Rechtsstellung der Verbraucher. Es stand kein Wort von Schadensersatz und Rücktrittsrecht darin, obwohl dahin gehende Forderungen von den Rechtspolitikern der Union erhoben worden waren — wenn auch an anderer Stelle und nicht von Ihrem Arbeitskreis, der für diesen Entwurf verantwortlich zeichnet. Wir meinen, darin liegt gerade das Kernstück eines modernen Wettbewerbsrechtes, und deswegen ist es auch zum Kernpunkt des Referentenentwurfs geworden.Schließlich berücksichtigt Ihr Entwurf überhaupt nicht das, worauf Sie sonst immer so sehr pochen, nämlich die Angleichung an das europäische Recht. Mit keinem einzigen Wort wird darin etwas davon gesagt, daß mittlerweile eine Richtlinie — der Entwurf zur Angleichung des Rechts der Mitgliedstaa-
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Dr. Weber
ten zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs — gegeben ist. Mit keinem Wort wird etwas davon erwähnt, daß sich diese Richtlinie gerade mit der täuschenden Werbung, mit der vergleichenden Werbung befaßt, alles Dinge, die Sie hier angesprochen haben und die dort völlig anders geregelt sind. Der Entwurf enthält auch nicht das von Ihnen früher angekündigte Klagerecht der Kartellbehörden in diesen UWG-Streitsachen. Damit haben Sie — wie das auch nicht anders zu erwarten war; denn Sie haben sich mittlerweile zwischen alle Stühle gesetzt — den Bedenken der Industrie- und Handelskammern Rechnung getragen. Wir begrüßen, daß Sie diesen Rückzieher gemacht haben, weil ein solches Klagerecht von Kartellbehörden im privatrechtlichen UWG-System fremd wäre und kaum behebbare Folgen hätte.Zurückweisen muß ich die Behauptung meines Vorredners, der Entwurf des Justizministers enthalte keine wettbewerbsrechtlichen Vorschriften. Ich verweise auf § 4 dieses Entwurfs, der eine weit stärkere Pönalisierung vorsieht, als das bisher der Fall war, und wovon Sie auch gar nichts in Ihrem Entwurf erwähnen.Nun zu Ihren Vorschlägen im einzelnen.Erstens. Sie wollen eine Erweiterung des § 1 UWG um das Verbot von Handlungen, die — so heißt es dann wörtlich — der Wirksamkeit eines leistungsgerechten Wettbewerbs entgegenzuwirken geeignet sind. Das ist doch die Formulierung, die in § 28 Abs. 2 GWB steht. Die Formulierung ist dort entnommen. Diese Formulierung mag für die Zulassung von Wettbewerbsregeln zwischen einzelnen Unternehmen ausreichen. Für die Beschreibung des gegen jeden gerichteten Verbots der UWG-Generalklausel ist sie dagegen viel zu unbestimmt und untauglich. Sie ist außerdem völlig unnötig, soweit damit eine stärkere Berücksichtigung des Interesses an der Wettbewerbserhaltung im UWG angestrebt wird. Denn die Rechtsprechung ist dabei ein ganzes Stück weiter, als Sie es wollen. Die Rechtsprechung hat gerade in den letzten Jahren dieses Interesse bei der Auslegung des § 1 UWG zunehmend berücksichtigt.Der von dem Bundesrichter Dr. Merkel stammende — Sie haben es erwähnt — und von Ihnen dann abgeschriebene Vorschlag ist inzwischen auf fast einhelligen Widerstand aller Fachleute gestoßen. Beispielsweise haben sich alle anderen Mitglieder des I. Zivilsenats des BGH dagegen ausgesprochen. Die Studienvereinigung Kartellrecht hat sich dagegen ausgesprochen. Zahlreiche Wissenschaftler, an der Spitze der führende Wettbewerbsrechtler Professor Ulmer, haben sich gegen eine solche Formulierung ausgesprochen. Wir tun es auch.Zweitens. Sie wollen ein Verbot der Preisgegenüberstellung in öffentlichen Bekanntmachungen und ein Verbot der Preisgegenüberstellungen in Verkaufsräumen, wenn der höhere Preis vom Werbenden nicht eine angemessene Zeit hindurch gefordert werden kann.Der zweite Teil dieser Forderung ist zwar völlig in Ordnung; aber er entspricht der Rechtsprechung zu Preisgegenüberstellungen allgemein und ist daher völlig unnötig. Der erste Teil des Verbots, nämlich ein generelles Gegenüberstellungsverbot in der Werbung, wäre eine wirtschaftspolitische Maßnahme. Das gerade aus Ihrem Mund zu hören, klingt nach der Debatte von heute mittag doch sehr eigenartig, wäre aber keine Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs; denn die werbemäßige Herausstellung einer echten Preissenkung kann doch niemals unlauter sein. Das UWG wäre, selbst wenn man ein solches Verbot für zweckmäßig hielte — wir halten es nicht für zweckmäßig —, jedenfalls nicht der richtige Ort für eine solche Regelung. Dann müßten Sie das Rabattgesetz ändern. Ich habe allerdings auch erhebliche Zweifel daran, daß ein solches generelles Werbeverbot wettbewerbspolitisch zweckmäßig und politisch wünschbar ist.Drittens. Dann wollen Sie ein Verbot der Werbung für Waren, die nur in geringen Mengen zur Verfügung stehen oder deren Abgabe mengenmäßig beschränkt ist. Auch hier handelt es sich um einen den Mittelstand schützenden Vorschlag — so meinen Sie wenigstens —, der nicht unlauteres — so meinen wir —, sondern allenfalls aus der Sicht des mittelständischen Handels unerwünschtes Verhalten verbieten soll. Eine Irreführung über die Menge der Vorräte ist doch schon heute nach dem Wortlaut der §§ 3 und 4 UWG ausdrücklich verboten. Warum wollen Sie es also ändern? Wird aber in der Wer- . bung unmißverständlich darauf hingewiesen, daß die Vorräte oder die Abgabe mengenmäßig begrenzt sind, dann fehlt doch ein ausreichender, auch aus der Sicht der Allgemeinheit akzeptabler Grund für ein Werbeverbot. Dieses Verbot würde im übrigen doch praktisch auf ein Verbot der günstigen Abgabe aus begrenzten Vorräten oder in begrenzten Mengen hinauslaufen — eine Maßnahme, meine ich, die nicht begrüßt werden kann.Dann wollen Sie viertens Änderungen im Recht der Ausverkäufe und der Räumungsverkäufe. Der Arbeitskreis Mittelstand der CDU/CSU greift damit einen Vorschlag auf, der schon einmal in der vorigen Wahlperiode Gegenstand eines Gruppenantrages der Opposition war und von der Hauptgemeinschaft des Einzelhandels ausgearbeitet worden war, genauso wie auch jetzt von dieser Arbeitsgemeinschaft des Einzelhandels Ihr Gesetzentwurf vorgeschrieben worden ist. Gestern ist er uns frisch auf den Tisch gelegt worden. Die von Ihnen propagierten Änderungen richten sich also doch offensichtlich gegen die sogenannten Orientteppichhändler, die ihre Zweigstellen oder auch Hauptgeschäftsstellen oft schon nach wenigen Wochen wegen sogenannten Ausverkaufs schließen. Diese gewünschten Änderungen hat schon in der vorigen Legislaturperiode die Bundesregierung abgelehnt, weil sie in. der Sache nicht nötig sind. Eine Anwendung des jetzt bestehenden § 4 UWG regelt alles das, was Sie wollen. Wenn Sie mehr wollen, über das Ziel hinausschießen, dann kommt es zu Ungereimtheiten. Zu weit geht, meine ich, insbesondere — das ist einmal an die Mittelstandspolitiker der CDU gerichtet —, daß ein Ausverkauf nach Ihrem Gesetz-
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Dr. Weber
entwurf nur nach dreijähriger Geschäftstätigkeit möglich ist. Dies würde dann auch z. B. „gute" Fälle gerade aus dem Mittelstand treffen. Sie brauchen nur einmal daran zu denken, daß ein soeben gegründetes kleineres Geschäft schließen will, weil in seiner Nähe irgendein Discountladen oder ein Supermarkt aufmacht. Dann wollen Sie ihm den Ausverkauf verbieten.Sie wollen fünftens die Umkehr der Beweislast — etwas völlig Unnötiges. Der § 13 a entspricht der sogenannten Bärenfangformel des BGH. Da zeigt sich also mit Gewißheit, daß Sie nur für Ihre Leute, Ihre vermeintlichen Wähler etwas tun wollten, daß Sie etwas hingeschmiert haben, was in der Rechtsprechung längst abgeklärt ist.Dann kommen Sie sechstens zum Regelstreitwert und zur Streitwertherabsetzung. Da übernehmen Sie auch — das war im Februar auch nicht in dieser Form in Ihrem Entwurf — die Klarstellungsvorschläge des Referentenentwurfs, fordern aber gleichzeitig eine Bestimmung, nach der ein Regelhöchststreitwert mit 50 000 DM eingeführt werden soll. Das ist sicherlich eine falsche juristische Bezeichnung; denn Sie meinen wohl eine obere Begrenzung des herabgesetzten Streitwertes. Mit diesem Zusatzvorschlag werden Sie aber sicherlich keine Freude bei den Anwälten finden, die Sie üblicherweise auch zum Mittelstand rechnen.Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen: Insgesamt handelt es sich bei Ihrem Entwurf um eine unbrauchbare und unnütze Vorlage. Der Entwurf ist nicht ausgedacht, er wärmt längst geklärte Rechtsfragen auf, er verfolgt keine sachlichen Ziele, sondern enthält eine ins Parlament gebrachte Anhäufung von Wunschvorstellungen einzelner Gruppen innerhalb der Gesellschaft. Wir werden diesen Entwurf im Rechtsausschuß sicherlich beraten. Nachdem sich der Rechtsausschuß aber in der Vergangenheit — in der Zukunft wird es sicherlich nicht anders sein -- über zu wenig Arbeit nicht beklagen konnte und Sie von der Opposition erst einmal das Feigenblatt des Handelns nach außen für sich — für Ihren bestimmten Kreis — in Anspruch nehmen können, werden wir im Ausschuß sicherlich eine zufriedenstellende Beratung finden, wenn der Entwurf des Justizministeriums gleichzeitig mitberaten werden kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pinger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hätten erwarten können, Her Kollege Weber, daß Sie sich mit einer Problematik, wie wir Sie hier vor uns liegen haben, ernsthafter als in dieser Art von Polemik beschäftigt hätten. Ich komme nachher darauf zurück.
Verbesserte Spielregeln müssen dafür sorgen, daß es im Wettbewerb fairer als bisher zugeht. Leistungswidrige Wettbewerbspraktiken haben zu einem existenzvernichtenden Verdrängungswettbewerb geführt. In den letzten Jahren sind Zehntausende von leistungfähigen mittelständischen Unternehmen vom Markt verdrängt worden, und zwar letztlich zum Schaden der Verbraucher.
Wir fordern daher ein gesetzliches Verbot des leistungswidrigen Wettbewerbs, d. h. ein Verbot der Benachteilung von kleinen und mittleren Unternehmen beim Einkauf, ohne jeden sachlichen Grund und allein unter unter dem Druck von marktmächtigen Unternehmen. Auch unseriöse Lockvogelangebote und Preisgegenüberstellungen müssen verboten werden, da diese Methoden geeignet sind, den Verbrauchern Sand in die Augen zu streuen. Es reicht nicht aus, dem Verbraucher in diesem Gesetz einen Schadenersatzanspruch oder ein Rücktrittsrecht zuzuerkennen. Das wollen wir auch. Aber der beste Verbraucherschutz ist die Herstellung eines funktionsfähigen Leistungswettbewerbs. Es geht darum, nicht nur Schmerztabletten zu verabreichen, sondern den Krankheitsherd selbst zu bekämpfen, d. h., wir müssen die Lücken im Wettbewerbsrecht schließen, wir müssen die Maschen im Gesetz enger knüpfen, damit die Haie im Wettbewerb nicht in einem mörderischen Wettbewerbskampf zu Lasten der seriösen Geschäftsleute obsiegen, die sich an die Regeln des Leistungswettbewerbs halten.Herr Kollege Weber, Sie haben offensichtlich die Diskussion der letzten Jahre nicht mit verfolgt.
Ende 1974 wurden im sogenannten Sündenregister des Bundeswirtschaftsministeriums diejenigen Methoden exemplarisch aufgezählt, deren zunehmende Anwendung wettbewerbsverzerrend wirkt. Daraufhin gab es die gemeinsame Erklärung der Spitzenverbände der Wirtschaft Ende 1975. Dann kam der Versuch, mit Wettbewerbsregeln diese Wettbewerbsverzerrungen und die wettbewerbswidrigen Praktiken in den Griff zu nehmen. Ich nenne die Wettbewerbsregeln des Markenverbandes, die beim Bundeskartellamt angewendet worden sind.Nun haben wir die Entwicklung, daß sich sehr viele, ja die meisten, die Seriösen, an diese Wettbewerbsregeln halten, die Außenseiter aber nicht. Da taucht die Frage auf, wie wir es schaffen, diese Außenseiter dazu zu zwingen, sich an eben dieselben Regeln eines fairen Wettbewerbs zu halten. Wenn die nach wie vor die Möglichkeit haben, zu Lasten der anderen ihre Methoden anzuwenden, dann kann man doch von den Seriösen nicht erwarten, daß sie sich weiter an die Regeln halten.Also müssen wir das Problem in den Griff bekommen. Da bieten sich nur zwei Möglichkeiten an. Einmal — das wird dauernd diskutiert — könnten die Wettbewerbsregeln, die in den verschiedenen Branchen aufzustellen wären — unterstellt, das wäre möglich —, für allgemeinverbindlich erklärt
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6984 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Dr. Pingerwerden. Wir meinen, daß das nicht der gute Weg ist, und zwar deshalb, weil wir dann eine Quasirechtsetzung durch die Verbände bekämen. Diese Probleme zu lösen ist Aufgabe des Gesetzgebers. Wir brauchen uns nicht über mangelnde Autorität des Gesetzgebers zu beschweren, wenn er dauernd auf der Flucht vor den wesentlichen Problemen ist.Daß da verschiedene Interessen im Spiel sind, haben wir bei den Beratungen zu unserem Gesetzentwurf in der Tat auch erfahren. Wir haben manches davon berücksichtigt. Das werfen Sie uns jetzt vor. Aber wir meinen, daß wir wirklich an die Probleme herangekommen sind.Die Wettbewerbsregeln sind nach unserer Auffassung ein Weg; der bessere Weg ist aber der, daß hier die Entscheidung getroffen wird, nämlich, daß ein Verbot nicht nur — wie bisher — nach § 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb ausgesprochen wird, sondern auch in Anlehnung an nach § 28 Abs. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, wo es um Beeinträchtigungen des leistungsgerechten Wettbewerbs geht.
Wir müssen dann versuchen, die Problematik von zwei Seiten her in den Griff zu bekommen. Die eine Seite ist die des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in dem die Mißbrauchsaufsicht und das Diskriminierungsverbot im Zusammenhang mit marktbeherrschenden Unternehmen geregelt sind. Unterhalb der Schwelle der marktbeherrschenden Unternehmen und der marktstarken Unternehmen gilt es, das Gesetz, das Privatleuten ihr Recht gegenüber dem Mitbewerber sichert, das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, anzuwenden.Insofern ist es wichtig, daß wir die Lücke, die sich ergeben hat und in diejenigen hineingehen, die sich an die Regeln des fairen Wettbewerbs nicht halten wollen, schließen. Wir stellen dann fest, daß nicht nur das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, sondern auch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb die Funktion hat, den Mitbewerber, den Verbraucher zu schützen, aber auch den Wettbewerb selbst zu sichern. Was nützt der beste Verbraucherschutz, wenn wir es erleben, daß der Verdrängungswettbewerb mit diesen Praktiken auf regionalen Märkten dazu führt, daß dort überhaupt kein ausreichendes konkurrierendes Angebot mehr da ist? Dann haben wir zwar den perfekten Verbraucherschutz mit Schadenersatzansprüchen, aber der Verbraucher hat nicht mehr die Auswahl unter den Produkten verschiedener Unternehmen.
— Herr Kollege Weber, wir sind nicht grundsätzlich gegen Betriebsformen des Handels unter Verwendung großer Flächen. Wir sind aber dagegen, wenn sich einzelne dieser großen Vertriebsorganisationen genau dieser Praktiken bedienen.Welcher Praktiken? Ich nenne da den Druck auf den Hersteller, um ihn zu einer Diskriminierung, d. h. einer Ungleichbehandlung seiner Abnehmer, zu zwingen. Das führt dann zu Einstandspreisen für Großabnehmer mit der Folge, daß an sich leistungsfähige mittlere und kleine Unternehmen nicht mehr mitkommen.Wir müssen also die Diskriminierung unterhalb der Marktbeherrschungsschwelle in den Griff nehmen. Gleichzeitig müssen wir die unseriösen Methoden der Werbung unterbinden. Ich meine jene Lockvogelwerbung, die überhaupt nichts mehr damit zu tun hat, dem Verbraucher eine Information über das Angebot zu geben. Wir brauchen nur irgendeine Zeitung an irgendeinem Tage aufzuschlagen. Da steht in den Anzeigen: Abgabe nur in Haushaltsmengen. Was heißt das? Das heißt, daß es um den Verkauf dieser 30 bis 40 Waren, die hier angeboten und im Preis so sehr herausgestellt werden, überhaupt nicht geht. Man will sie gerade nicht verkaufen und nur den Verbraucher anlocken, um ihm dann die andere, teurere Ware zu verkaufen. Das sind die Praktiken, die tagtäglich angewendet werden, und auch dagegen gilt es vorzugehen.
— Herr Kollege Weber, wenn dies auf dem Gebiet des Wettbewerbs nach unserem geltenden Wettbewerbsrecht nach wie vor möglich bleibt, dann werden wir in der Tat noch sehr viele leistungsfähige mittelständische Unternehmen verlieren. Wir wollen das nicht.Wir wollen keinen Mittelstandsschutz im Sinne von Schutzzaunpolitik und im Sinne der Privilegierung des Mittelstands. Das wollen wir nicht. Aber wir nehmen es ernst auch auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts, wenn wir sagen: Wir wollen eine Chancengleichheit. Wenn aber die Chancengleichheit deshalb nicht mehr gegeben ist, weil einzelne, vor allen Dingen marktmächtige Unternehmen meinen, nach wie vor wettbewerbswidrige Praktiken anwenden zu können und zu müssen, dann müssen wir die Chancengleichheit durch eine Lückenschließung in unserem Wettbewerbsrecht wiederherstellen.Insofern ist dann allerdings Wettbewerbsrecht auch Mittelstandsschutz. In gleicher Weise sind wir der Meinung, daß das dann nicht nur ein sachgerechter Mittelstandsschutz ist. Ich möchte dazu noch einmal sagen: Der beste Verbraucherschutz ist der funktionsfähige Wettbewerb, ein Wettbewerb, bei dem auch mittelständische Unternehmen eine Chance haben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kleinert.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Eine weise Regie hat es so gefügt, daß wir vorhin zu dem vorhergegangenen Punkt Herrn Schmidhuber hören konnten mit zu Herzen gehenden Ausführungen über die Notwendigkeit, den Unternehmern Lust am Unternehmen zu belassen — was die sozialliberale Koalition nach Kräften verhütet, so Ihre Behauptung —; und anschließend haben wir Sie dann gehört bei dem Versuch, weite Zweige der Werbewirtschaft und der werbenden Wirtschaft strangulierend einzuengen
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Kleinertmit einem Gesetz, das wahrscheinlich am wesentlichsten für die Gerichte sein wird, das ihnen nämlich ungeheure Schwierigkeiten machen wird, insbesondere mit dem von Ihnen vorgeschlagenen § 1, das aber das, was Ihr Arbeitskreis „Mittelstand" dem betroffenen Mittelstand glaubt geben zu können, nicht erfüllt. Wir halten es auch für wünschenswert, manche Auswüchse zu beseitigen. Ich behaupte aber, daß das auf dem gewählten Wege nicht möglich ist. So wie Herr Pinger seine Ausführungen geschlossen hat, daß nämlich das beste Regulativ des Wettbewerbs der funktionierende Markt sei, paßte das nicht zu dem meisten dessen, was er vorher gesagt hat.Herr Pinger, Sie haben Herrn Weber vorgeworfen, er gehe nicht ernsthaft genug an die Dinge heran. Man kann das auch ganz anders betrachten und sagen, Herr Weber hat, wie es seines und meines Berufes ist, als praktizierender Anwalt die Sache zunächst einmal auf ihre praktische Machbarkeit abgeklopft, während Sie, wie es nunmehr Ihres Berufes ist, die Dinge etwas mehr von der professoralen Warte aus betrachtet haben. Das aber hindert Sie dann häufig, über den wünschenswerten Zielen einer theoretischen Lösungsmöglichkeit auch die praktische Lösungsmöglichkeit anzudienen, um die wir uns vereint bemühen.
Das wird der Grund dafür sein, daß sowohl Herr Schmidhuber als auch Sie die Sache auf einem bemerkenswert hohen intellektuellen und wissenschaftlichen Niveau abgehandelt haben — bei derartigen Höhenflügen wird nämlich nicht so leicht sichtbar, wie sich die Sache nach Bodenlandung, nach Bodenberührung, vor Gericht, im Prozeß, weiterentwikkeln wird und was dann an zusätzlichen Schwierigkeiten entsteht —, statt mit mehr Bezug zur Praxis zu überlegen, wie die Schwierigkeiten, die wir gemeinsam beklagen, beseitigt werden können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pinger?
Bitte schön.
Ich darf Sie bitten, Herr Kleinert, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich jetzt zwar als Hochschullehrer tätig bin, aber immerhin 14 Jahre als Anwalt praktiziert habe und von daher auch etwas von der Praxis verstehe.
Ich bemühe mich ja immer, die Gegner möglichst genau zu kennen. Ich habe vorhin auch festgestellt, daß Sie keineswegs als Discount-Professor tätig sind. Vielmehr habe ich beim Durchlesen des Handbuchs mit Freude die Tatsache Ihrer Habilitation zur Kenntnis genommen. Sie sehen also, daß ich der Sache nachzugehen pflege. Genauso wenig ist es mir nicht entgangen, daß Sie früher als Anwalt praktiziert haben, wovon ja einiges noch nachklingen mag. Heute aber haben wir ganz eindeutig mehr den Professor gehört. Das allerdings ist bei dem Gegenstand eine gewisse Gefahr.Die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zu dem noch nicht vorliegenden Entwurf der Bundesregierung wie auch zu Ihren Überlegungen ist sehr lesenswert, zumal der Deutsche Richterbund ja nicht irgendeine Institution ist. Ich bin sehr froh, daß er sich wieder mehr, als das in früheren Jahren manchmal der Fall war, mit den Problemen der Gesetzgebung, und zwar rechtzeitig, befaßt und uns aus der Sicht seiner Mitglieder, nämlich derjenigen, die dieses Recht dann anzuwenden haben, seine Meinung kundtut. Die ist nun allerdings auch für den Regierungsentwurf, mit dem wir uns heute aber nicht zu befassen haben, nicht unbedingt freundlich. Der Deutsche Richterbund kommt in beiden Fällen zu dem Ergebnis, daß die Klauseln notwendigerweise sehr unbestimmt sein müssen, so daß der Rechtsprechung eine Fülle zusätzlicher Probleme aufgehalst wird, ohne daß übersehen werden kann, ob damit auch nur einer der mehreren gedachten guten Zwecke dieser Gesetzesänderung erreicht werden kann.Das ist meiner Meinung nach das, was wir ganz sorgfältig erforschen müssen. Es gibt kein ausreichendes Material, dem zu entnehmen wäre, in welchen Fällen, auf welche Weise hier geholfen werden kann. Es gibt auch kein ausreichendes Material, um auf diesen Punkt zu kommen, hinsichtlich des Schadensersatzanspruches, über den ja zur Zeit eine gewisse Einigkeit zu bestehen scheint.Hinsichtlich dieses Schadensersatzanspruchs frage ich mich sehr ernsthaft, ob hier ein Schutz des Konsumenten oder ein Schutz der Konsumverbände beabsichtigt ist. Denn wenn in dem Westerland-Beschluß allen Ernstes die Idee enthalten ist, man müsse den Schadensersatzanspruch des Konsumenten hier aufnehmen, wenn anschließend verblüffenderweise argumentiert worden ist, dieser Schadensersatzanspruch sei in der Regel aber so gering, daß es sich für den Konsumenten nicht lohne, ihn geltend zu machen, und daß man ihn deshalb einfacherweise gleich beim Verband belassen solle, dann, meine ich, ist das eine Darlegungskette, die gegen sich selber spricht, und zwar sehr deutlich.Nun ist nach mannigfachen Protesten gegen diese Idee einiger Verbände, die häufig im Wege der Parthenogenese entstehen, in der öffentlichen Diskussion so lange angegangen worden, bis wir den Schadensersatzanspruch übrigbehalten haben, von dem diejenigen, die den Verbraucher schützen wollen, seinerzeit gesagt haben, daß es für den einzelnen ja gar nicht interessant sei, ihn wahrzunehmen. Wollen wir also eine stärkere Institutionalisierung der Verbraucherverbände, insbesondere im Bereich der Rechtsberatung? Wollen wir — von der Verbraucherberatung in fachlicher, sachlicher Hinsicht abgesehen — bei diesen Verbänden das Personal im Rechtsbereich verstärken und damit zusätzliche Schwierigkeiten für den Bereich heraufbeschwören, von dem auch der nächste Tagesordnungspunkt handeln wird, oder wollen wir noch einmal ganz sorgfältig prüfen, in welchen Fällen dieser Schadenser-
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Kleinertsatzanspruch in nennenswerter Weise zum Zuge kommen kann?Der Deutsche Richterbund führt liberalerweise in seiner Stellungnahme aus, daß es sehr bedauerlich sei, daß immer mehr die Ansicht um sich greife, es gebe überhaupt keine Unglücksfälle, keine Zufälle und keine Schicksale, die der einzelne zu erleiden habe, die ihn auch manchmal unverschuldet träfen und mit denen er dann auch fertigwerden müsse. Es sei vielmehr eine Tendenz dahin festzustellen, daß man versuche — auch bei einer noch so geringen Widrigkeit —, eine Anspruchskette dafür zu finden, daß jemand Schadensersatz zu leisten habe, daß jemand für die Widrigkeit geradezustehen habe, und daß man dafür schleunigst ein Gesetz andiene. Wenn dazu die Kosten-Nutzen-Rechnung angestellt wird, dann wird sich der Verbraucher vielleicht bei sorgfältiger Kalkulation des ihm anderenfalls verbleibenden Risikos gegen einige der ihm zugedachten Wohltaten und die ihm schließlich in irgendeiner Weise aus solchen Wohltaten erwachsenen Kosten verwahren.Man muß doch sehen, daß es nicht ausreicht, auf dem Vorblatt eines Gesetzentwurfs zu schreiben „Kosten: keine", wenn vielleicht bei der öffentlichen Hand keine oder nur geringe Kosten entstehen. Ob ein Verband oder eine Gesellschaft oder eine Stiftung, die von der öffentlichen Hand mit MillionenBeträgen subventioniert werden muß, zu solchen Zwecken tätig wird oder ob das die öffentliche Hand selbst tut, das ist demjenigen, der in jedem Fall für diese Kosten aufzukommen hat, nämlich dem Steuerzahler und damit dem Verbraucher, ganz gleichgültig. Das ist bei all diesen Dingen zu bedenken. Das Ausweichen von der rein behördlichen Tätigkeit und die Verlagerung in diesen halböffentlichen Raum ändert an der Kosten-Nutzen-Frage, die sich hier stellt, überhaupt nichts.Zur Streitwertherabsetzung hat Herr Kollege Weber in schöner kollegialer Offenheit hier schon eine Andeutung gemacht. Ich meine aber, daß über das keineswegs zu verbergende berufliche Interesse hinaus — die geringerwertigen Prozesse müssen ja auch von irgend jemandem zu zweifellos nicht kostendeckenden Gebühren geführt werden — auch der Gesichtspunkt der Chancengleichheit eine Rolle spielt.Ich finde es nicht schön, wenn ausgerechnet Sie von der Opposition, von der ganz besonders marktwirtschaftlich verpflichteten und dem Wettbewerb das Wort redenden Partei, hier herangehen und dort hineinschreiben: Bei der Ansetzung der Bedürftigkeit eines Verbandes ist erst einmal die Gesamtzahl der von ihm in dieser Hinsicht zu führenden Prozesse und der daraus erwachsenden Belastungen zu berücksichtigen. Das heißt also, je fleißiger die Kameraden prozessieren, um so geringer wird für sie das Prozeßkostenrisiko und um so höher wird das Risiko für den zu beklagenden Unternehmer, der sich diesen Klagen gegenübersieht und dafür nicht nur Geld, und zwar in viel größerer Höhe, aufwenden muß, sondern auch sehr viel Zeit und Nervenkraft. Es ist doch nicht unbedingt gut durchdacht, hier eine Prämie auf möglichst häufiges Prozessieren auszuschütten, indem man einen Mengenrabatt bei der Gestaltung der Prozeßkosten gibt.Dann schreiben Sie obendrein noch in diese segensreiche Vorschrift: Staatliche Zuschüsse bleiben bei der Feststellung der Vermögenslage dieses Vereins außer Betracht. Das ist ja das Allerschärfste. Wen interessiert es denn, woher das Geld kommt, wenn es erst einmal da ist? Es fragt ja auch keiner danach, woher der andere diese Prozeßkosten nimmt. Außerdem stört mich schon seit längerem die zweifellos schon im geltenden Recht vorhandene Bestimmung, daß man einen Streitwert für den Fall, daß man verliert, niedrig festgesetzt bekommt, und für den Fall, daß man gewinnt, hinterher hoch festgesetzt bekommt. Das ist ja so, als dürfte man an einem Geldspielautomat mit Falschgeld spielen. Kommt was heraus, kassiert man richtiges, schönes, gutes Geld, und kommt nichts heraus, hat man nur sein Falschgeld eingebüßt. Wo ist da die Chancengleichheit? Wo sind da die selbstregelnden Automatismen, von denen Sie doch eher als andere sprechen müßten?Angesichts einer solchen Gesetzesvorlage frage ich mich überhaupt, wo hier in diesem Hause neuerdings die Fronten verlaufen. Was man draußen von Ihrer Stellung gegenüber dem Markt und von Ihrer Stellung gegenüber einem Zuviel an Gesetzen vermutet, wird hier mühsam von den Sozialdemokraten und den Freien Demokraten gegen Sie verteidigt. Das müssen wir den Verbänden, die sich damit befassen, einmal deutlich machen.
Der Einzelhandel ist, wie ich nachgelesen habe, über Ihre Vorschläge schon gar nicht glücklich. Abgesehen von einigen wenigen Punkten, über die es ja zwischen allen keinen Streit geben kann, Bereich Ausverkauf usw., sagt der Einzelhandelsverband zu dem Punkt Schadenersatz und auch zu dem Punkt Kostenherabsetzung sehr deutlich
— also ich kann es Ihnen vorlegen, ich habe es nicht mit hierher gebracht! —, daß dies sehr zweischneidige Schwerter sind, und er mag sich gar nicht entscheiden, ob er der Einführung der Sache das Wort reden will, während der Deutsche Richterbund so weit geht, daß er sagt, das Ganze ist überflüssig. Jedenfalls ist es nicht in Ordnung, daß Herr Stoltenberg, Herr Kohl, Herr Carstens und andere sich hinstellen und über die Gesetzesflut jammern und Sie dann herkommen und der Bundesregierung einen noch nicht fertigen Referentenentwurf abschreiben, damit Sie ja die ersten sind, die das neue Gesetz vorlegen können. Da stimmt doch auch etwas nicht in Ihrer Argumentation!
Die Bundesregierung ist ja sehr föderalistisch, sehr ländertreu, kann man sagen, so wie die Länder bundestreu sein sollen, und sie hat darum in ihre Geschäftsordnung hineingeschrieben, daß vor der Vorlage eines Entwurfs im Kabinett derselbe den Länderministern zuzuleiten ist. Wir haben also die
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Kleinertgroße Freude, daß wir hier wenigstens nicht nach undichten Stellen in dem einen oder anderen Hause suchen müssen, denn wir wissen, daß es hier einen ganz einwandfreien Dienstweg gibt, auf dem diese Entwürfe Ihnen zu Ihrer beliebigen Verfügung zugeleitet werden. Davon machen Sie dann allerdings auch den heute hier wieder zu beobachtenden Gebrauch, aber im Gegensatz zu Ihren Erklärungen zu derartigen Punkten, wenn es sich um pauschale Darlegungen handelt, wie man ja überhaupt heute wieder feststellen muß, daß Ihnen das Pauschale und das etwas höherfliegende Allgemeine weit mehr liegen als die Knochenarbeit, der wir uns auch in dieser Frage erst in Zukunft noch werden unterziehen müssen.
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Rechtsausschuß — federführend — und zur Mitberatung an den Wirtschaftsausschuß. — Ich höre keinen Widerspruch. Das ist so beschlossen.
Ich rufe nun auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Vogel , Dr. Langner, Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Eyrich, Dr. Stark (Nürtingen), Dr. Lenz (Bergstraße), Dr. Klein (Göttingen), Geisenhofer, Dr. Blüm, Dr. Möller, Dr. Jaeger und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die außergerichtliche Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen
— Drucksache 8/1713 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Darf ich annehmen, daß Sie die Begründung gleich mit in die Aussprache nehmen? — Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Herr Dr. Langner.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann anknüpfen an den vorangegangenen Tagesordnungspunkt, ich kann anknüpfen an die Ausführungen von Herrn Kleinert zu den Klagen über die Gesetzesflut in Deutschland. Ich meine, das wäre kein Thema, weder hier im Hause noch draußen, wenn man sich bei allen Gesetzen soviel Zeit lassen würde, wie wir das bei dem jetzt zu beratenden Gesetz getan haben. Denn hier liegt zwischen Problemerkenntnis und Einbringung eines Gesetzentwurfs ein Zeitraum von fast 100 Jahren. Ich darf erinnern etwa an die frühen Initiativen: so gab es beispielsweise 1890 schon eine Rechtsauskunftsstelle des Katholischen Volksvereins in Essen, die dann vorbildhaft für andere private Initiativen auf diesem Gebiet geworden ist.Worum geht es? Es geht um die vorgerichtliche, um die außergerichtliche Rechtsberatung und Vertretung, um Rechtsbesorgung für Mitbürger mit geringem Einkommen. Wir haben bekanntlich für dasStreitverfahren das Armenrecht und für Strafverfahren von Gewicht die Pflichtverteidigung. Wir haben aber kein Rechtsinstitut für die Rechtsbesorgung im vor- und im außergerichtlichen Bereich. Daß angesichts der Vorschriftenfülle — das Bundesgesetzblatt wird ja von Jahr zu Jahr dicker —, auch der Kompliziertheit, der Spezialisierung des Rechts, aber auch der oft unvollständigen und unklaren Gesetzessprache ein Bedürfnis besteht, darüber herrscht kein Streit.Man muß sich aber die Frage vorlegen, und das haben wir sehr gründlich geprüft, bevor wir diesen Entwurf eingebracht haben, ob es zur Regelung des Problems, das erkannt ist, unbedingt eines Gesetzes bedarf. Das ist eine Frage, die viel ernster zu nehmen ist, als es oft geschieht. Daß wir den Entwurf eingebracht haben, beweist eigentlich nur, daß wir die Notwendigkeit bejaht haben. Ich möchte den Begründungszwang ernster nehmen und einiges dazu sagen.Hier läge ein Einwand nahe, der Einwand nämlich, daß wir auf eine bunte Palette vielfältiger Einrichtungen privater oder öffentlicher Natur und auf Modellversuche blicken können. Ich darf daran erinnern, daß etwa der VdK seine Mitglieder im Bereich des Sozialrechts berät. Die Gewerkschaften beraten und vertreten ihre Mitglieder in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten. Wir haben öffentliche Rechtsauskunftsstellen in Hamburg, Lübeck und Berlin. Wir kennen die Rechtsberatung der Arbeitskammer Bremen. Wir haben ein weit gefächertes System freiwilliger Rechtsberatung der Anwaltsvereine. Ein Raum, der etwa 25 Millionen Einwohner unseres Landes abdeckt, wird von diesen freiwilligen Einrichtungen der Anwaltschaft erfaßt. Wir haben Lohnsteuerhilfevereine, wir haben Mietervereine. Sie erteilen jeweils auf gewissen Rechtsgebieten Rechtsrat.Diese Vielfalt ist nicht Zersplitterung und sicherlich für sich auch noch kein Argument dafür, daß wir eine vereinheitlichende bundesgesetzliche Regelung brauchen. Es geht auch gar nicht darum, daß wir den spezialisierten Rechtsrat irgendwie mit dem ablösen könnten, was wir heute hier vorlegen. Es geht um den allgemeinen Rechtsrat. Hier halten wir allerdings in der Tat ein Gesetz für erforderlich.Zunächst ist auf die Lücken hinzuweisen, die es trotz der Vielfalt von Einrichtungen noch gibt, insbesondere im ländlichen Raum. Es ist weiter darauf hinzuweisen, daß es eine Vielzahl von betroffenen Mitbürgern gibt, für die wir hier etwas zu regeln haben. Ich möchte nicht Partei in dem Streit ergreifen, wie hoch die Zahl der ärmeren Mitbürger in Deutschland anzusetzen ist, ob Herr Geißler mit der von ihm genannten Zahl von sechs Millionen recht hat; aber eines steht fest: daß der Kreis der betroffenen Mitbürger, die nur ein Einkommen im Sozialhilfeniveau zur Verfügung haben, nach Millionen zählt. Wenn eine Vielzahl von Mitbürgern betroffen ist, ist ein Gesetz ja auch nicht von vornherein die falsche Lösung.Es geht aber vor allen Dingen um eine harmonische Verbindung des gerichtlichen und vorgericht-
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Dr. Langnerlichen Verfahrens, um eine harmonische Verbindung des Armenrechts und, wenn Sie so wollen, des in den vorprozessualen Raum vorgezogenen vorgerichtlichen Armenrechts. Das Armenrecht ist in der ZPO, einem Bundesgesetz, geregelt. Aus diesem Sachzusammenhang empfiehlt sich hier eine bundesgesetzliche Regelung. Dadurch, daß von vornherein über die Aussichten eines Verfahrens belehrt wird, daß man vielleicht durch vorprozessuale Korrespondenz oder Telefonieren eine Sache erledigen kann, ist das, was wir vorschlagen, auch durchaus geeignet, Prozesse zu verhindern, während umgekehrt — und hier beziehe ich mich auf den Erfahrungsbericht des Saarlandes mit seinem Modellversuch — auch ein gewisser Prozentsatz der Fälle — im Saarland waren es ca. 12 % — aus dem Bereich der vorgerichtlichen Rechtsberatung dann in ein gerichtliches Verfahren übergeht.Wir schlagen die Anwaltslösung vor — und ich werde dazu noch etwas sagen — und müssen Anwälte verpflichten, zu verringerten Gebühren — zum Teil in Höhe eines Anerkennungssatzes, je nach Umfang der Tätigkeit — tätig zu werden. Für diese Verpflichtung brauchen wir zweifelsohne ein Gesetz.Wenn nun damit die Begründung dafür gegeben ist, daß ein Gesetz notwendig ist, so bedeutet dies doch keineswegs, daß hiermit eine Paragraphenflut zu begründen wäre. Es ist durchaus möglich — und ich glaube, unser Entwurf spricht dafür —, eine einfache, verständliche Lösung und ein unbürokratisches Verfahren zu wählen. Wenn ich unseren Entwurf einmal mit dem vergleichen darf, was als Referentenentwurf aus dem Justizministerium bekanntgeworden ist, so muß ich sagen, dieser Vergleich spricht ganz gewiß für unseren Entwurf, der viel einfacher, viel unkomplizierter, viel kürzer, viel knapper und auch verständlicher ist.
— Und nicht abgeschrieben, auch das.Warum war eine solche einfache und zweckmäßige Lösung möglich? Wir schauen ja auf eine lange Rechtsdiskussion und auf eine breite Entwicklung privater und öffentlicher Einrichtungen auf diesem Gebiet zurück. Juristen, Politiker und Arbeitskreise vielfältiger Art haben sich mit dem Thema befaßt. Die Literatur ist kaum mehr zu überschauen. Dankenswerterweise haben wir auch in den letzten Jahren zusätzliche Erfahrung durch praktische Modelle in den einzelnen Bundesländern gewonnen. Diese Erfahrung können wir verwerten; diese Erfahrung führt nun zu einer Kodifikationsreife. Ich glaube, das, was die Bundesländer in den letzten Jahren auf diesem Gebiet getan haben, ist ein gutes Beispiel für einen fruchtbaren Föderalismus. Sie haben wichtige Rechtstatsachen für das erprobt und geliefert, was wir heute hier zu regeln haben.Ich sagte schon, daß wir die Anwaltslösung vorschlagen. Dort, wo die freien Kräfte der Gesellschaft ein Beratungssystem anbieten, ist nach unserer Auffassung kein Raum für staatliches Tätigwerden. Wir nehmen das Subsidiaritätsprinzip auch bei diesem Gesetzentwurf sehr, sehr ernst. Es gibt das flächendeckende, weit gestreute Beratungssystem der Anwaltschaft unterdessen schon bis in die größeren Dörfer hinein.Wir haben in den letzten Jahren — das wird sich noch in den nächsten Jahren fortsetzen — Rekordzahlen von Neuzulassungen von Anwälten. Um es beiläufig zu sagen — es gehört ja nicht ganz zum Thema —. Die Anwaltschaft ganz sicherlich hat einen Teil dessen in den nächsten Jahren zu tragen, was die Bildungseuphorie, so möchte man schon fast sagen, in den letzten Jahren bewirkt hat. Eine wachsende Zahl von Abiturienten drängte zu den Hochschulen, und anderer Fächer — wenn ich das einmal so salopp sagen darf —, wie die medizinischen und die naturwissenschaftlichen, haben die Schotten etwas dichter gemacht. Viele junge Abiturienten haben — obwohl sie es sicherlich erst als zweite oder dritte Präferenz im Auge hatten — das juristische Studium gewählt. In den nächsten Jahren wird eine Rekordzahl von Absolventen auf den Arbeitsmarkt drängen. Kein Mensch wird befürworten, daß wir deshalb unsere Bürokratie auf dem staatlichen Sektor ausweiten sollten. Das ist überhaupt nicht zu finanzieren. Es bleibt vielfach nur die Anwaltszulassung. Wir können also — damit ist der Zusammenhang zum Thema gewahrt — damit rechnen, daß das Netz der anwaltlichen Beratung noch dichter werden und bis hinein in die kleineren Dörfer reichen wird. Dieses System steht zur Verfügung.Diese Bemerkung darf natürlich nicht dahin gehend mißverstanden werden, als würde mit diesem Gesetz oder mit dem, was im Bundesjustizministerium ausgedacht wird, ein Arbeitsbedarf für Anwälte geschaffen. Ich höre, daß die Zahl von 7 Millionen DM an Anwaltskosten im Referentenentwurf des Justizministeriums genannt ist. Dies ist natürlich — gäbe es eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung anwaltlicher Gebühren — eine zu vernachlässigende Größe. Damit ist überhaupt kein Arbeitsbeschaffungseffekt für Anwälte zu erreichen. Und wenn ich auch das aus meiner Erfahrung sagen darf: Ich glaube, die betroffene Klientel wird durchaus nicht zu jungen, frisch zugelassenen Anwälten gehen, um ihnen Mandate zu verschaffen, sondern sie wird im Gegenteil in jedem Fall ganz sicherlich einmal schauen, wo ein namhafter Anwalt zu finden ist, wenn sie eine Rechtsauskunft oder rechtliche Vertretung braucht.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es spricht ein weiteres entscheidendes Argument für die Anwaltslösung, nämlich das der Waffengleichheit, wenn ich es einmal so nennen darf. Weder pensionierte Richter, die ein Leben lang Streit geschlichtet haben und dann im Alter plötzlich Interessenvertreter werden sollen — das klappt nicht — sind die richtigen Personen, noch sind Amtsstuben der richtige Ort für Rechtsberatung und Interessenvertretung. Nein, dafür stehen Anwälte bzw. Anwaltskanzleien zur Verfügung, denn dort erhalten auch wirtschaftlich besser gestellte Mitbürger ihren Rechtsrat und ihre Rechtsvertretung.Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88.Dr. LangnerUnser Gesetzentwurf macht es nötig, daß wir die Anwaltschaft verpflichten, zu geringeren Gebühren tätig zu werden. Das kann im Einzelfall — dann, wenn die Sache nicht mit einer kurzen Beratung abgetan ist, sondern eine Korrespondenz erforderlich ist, wenn der Mandant ein-, zwei- oder dreimal kommen muß — dazu führen, daß das, was der Anwalt dafür erhält, sich allenfalls als Anerkennungsgebühr darstellt. Wir glauben, diese Verpflichtung aus der Stellung der Anwaltschaft als eines Organs der Rechtspflege ableiten zu können, und sind dankbar dafür, daß die Anwaltschaft nach allem, was man auf ihren Kongressen hört und was sie bisher schon in der Praxis getan hat, damit einverstanden ist. Wir sollten dies auch dankbar hervorheben. Die Anwälte sehen hier durchaus eine sozialverpflichtete Komponente ihres Berufs, und dies ist ja auch sehr geeignet, das Ansehen dieses Berufsstandes zu heben, das Ansehen, das ja in letzter Zeit durch einige wenige Komplizenverteidiger von Terroristen hier und da etwas gelitten hat.Nun, der Grundsatz ist klar; es sind noch einige Einzelfragen zu lösen. Wer ist bedürftig? Hier bildet sich immer mehr die allgemeine Meinung heraus, daß der doppelte Sozialhilfesatz für den Haushaltsvorstand mit einigen Ergänzungen für Haushaltsangehörige oder für Unterhaltsverpflichtungen nach außen der richtige Maßstab ist.Wir wollen ein einfaches und unbürokratisches Verfahren der Prüfung. Nach unserer Auffassung soll das Amtsgericht oder der Anwalt prüfen können. Wir haben in den Beratungen, die wir führten, bevor wir diesen Entwurf einbrachten, die Argumente sehr ernst genommen, die gegen eine Prüfung durch den Anwalt selbst vorgebracht worden sind, zuletzt auch wieder in dem Erfahrungsbericht des Saarlandes. Wir meinen aber, daß hier trotzdem auch der Anwalt die Möglichkeit haben soll, zu prüfen.Das Gesetz sieht dann noch eine Eigenbeteiligung vor. Diese ist notwendig, um Mißbrauch oder Querulantentum abzuwehren.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es handelt sich hier um ein Gesetz im Schnittbereich von Justiz- und Sozialrecht. Ich habe eingangs ausführliche Anmerkungen zur Notwendigkeit des Gesetzes gemacht; abschließen möchte ich damit, daß ich auch einiges zur Finanzierbarkeit sage.Es ist ja nicht damit getan, daß wir auf dem Vorblatt schreiben: Den Bund treffen keine Kosten. Das haben wir ja allzu oft, daß hier im Hause große Reformpläne und Gesetzeswerke gemacht werden, und die Länder oder die Gemeinden oder Sonstige haben die Kosten zu tragen.
Wir haben dies sehr wohl bedacht. Nach unserem Gesetzentwurf ist es so, daß die Sache dort, wo jetzt öffentliche Rechtsauskunftsstellen bestehen, billiger wird; ich betone: wenn unsere Lösung angenommen wird, denn dann gibt es keine sächlichen und personellen Vorhaltekosten des Staatesmehr. Im Saarland, wo es einen Flächenversuch gegeben hat, wird ein Mehrbedarf nicht entstehen, und in den anderen Bundesländern, die Modellversuche durchgeführt haben, sind Haushaltsmittel bereits ausgewiesen; sie werden sich allenfalls geringfügig erhöhen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf weist nach unserer Auffassung den Weg, wie wir einen trotz Haushaltsenge, die durch Anspruchsinflation verursacht ist, verbleibenden Gestaltungsspielraum noch nutzen können, wenn man ordnungspolitisch richtig handelt, wenn man die nichtstaatliche Lösung dort, wo sie möglich ist, wählt — das haben wir getan —, wenn man die Bereitschaft eines Berufsstandes, zu helfen, nutzen kann — .das haben wir getan — und wenn man eine Eigenbeteiligung vorsieht, die Mißbrauch und Ausnutzung ausschließt.Durch dieses Gesetz, meine verehrten Damen und Herren, erweist sich die Union einmal mehr als Anwalt der Bürger.
Die Politiker benutzen die Wendung, Anwalt für irgendeine Sache zu sein, sehr, sehr gern. Hier haben wir uns als Anwalt unserer ärmeren Mitbürger erwiesen. Wir hoffen auf eine sehr fruchtbare Beratung in den Ausschüssen. Wir sind für Anregungen dankbar und offen, allerdings nicht dafür, daß ein in der Lösung einfaches, klares und verständliches Gesetz verkompliziert wird. Diesen Weg würden wir allerdings nicht mitgehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schöfberger.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Langner, Sie haben Ihren Entwurf in einer sehr angenehmen und zuhörenswerten Weise begründet.Aber in einem möchte ich Ihnen widersprechen. Richtungweisend oder bahnbrechend ist Ihr Entwurf nicht gerade. Denn, auf wenige Sätze konzentriert, lautet Ihr Konzept der außergerichtlichen Rechtsberatung in fast allen Bundesländern: Erstens. Es machen die Anwälte. Zweitens. Die bekommen dafür 55 Mark. Drittens. Der einkommensschwache Bürger legt zehn Mark drauf. Und das Ganze ist eine gesetzliche Verpflichtung. Das ist nach dem jahrzehntelangem Bemühen auf diesem Gebiet eine sehr dünne Erkenntnis. Viel ist dabei an Versuchsergebnis offenbar bei Ihnen nicht herausgekommen.Aber Ihr übergeordnetes Grundziel deckt sich ohne Zweifel mit dem unsrigen. In der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 16. Dezember 1976 heißt es:Jeder Mensch soll bei der Durchsetzung seinerRechte möglichst gleiche Chancen haben. Des-
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Dr. Schöfbergerhalb streben wir im Zusammenhang mit den in einigen Ländern laufenden Versuchen unter Einbeziehung der Anwaltschaft eine durchgreifende Verbesserung der vorgerichtlichen und der außergerichtlichen Rechtsberatung und eine Neuregelung des Armenrechts an.Diese Ankündigung der Regierungserklärung entspricht dem Ziel der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Uns ist jede Anstrengung auf diesem Feld willkommen. Insofern begrüßen wir auch Ihren Entwurf als willkommenen Diskussionsbeitrag.Wir gehen davon aus — ich hoffe, daß es bei Ihnen ebenso ist —, daß es auch in einer marktwirtschaftlichen Ordnung elementare Lebensbereiche geben muß, die nicht dem Gesetz der Kommerzialisierung oder der Gewinnmaximierung unterliegen. Leben und Gesundheit, Bildung und Ausbildung, Umweltsicherung und Naturgenuß gehören dazu, aber eben auch Recht und Rechtspflege. Einfacher ausgedrückt: Es darf im Prinzip nicht von der Schwere des Geldbeutels oder von der Fülle der Brieftasche abhängen, ob ein Bürger sein Recht bekommt oder nicht. Im Prinzip nicht!Zwischen Recht haben und Recht bekommen liegt in der Praxis für die meisten Bürger ein weiter Weg mit vielen Hürden und Stolpersteinen. Sozialstaatliche Rechtspflege bedeutet, diesen Weg vom Recht haben zum Recht bekommen für alle Bürger gangbarer, also einkommens- und vermögensunabhängiger zu machen.Weil Sie von Rechtstatsachen gesprochen haben, Herr Kollege Langner, sollten wir uns an dieser Stelle überlegen, um welche Rechtsfälle es sich da denn eigentlich handelt. Wir beide sprechen aus der Praxis; wir beide sind Advokaten.Es geht dabei nicht um Vermögenstransfers, um Grundstücksgeschäfte en gros; es geht auch nicht um Spitzfindigkeiten aus dem Aktienrecht. Wie ich das beurteile, geht es vorwiegend um Mieterhöhung, um Arbeitsplatzkündigung, um Beleidigungen im Treppenhaus, um Lohnsteuerjahresausgleich, um Streit mit dem Gartennachbarn, um Haustürgeschäft, um Ratenvertrag, um Kreditvertrag mit den damit gelegentlich verbundenen Übervorteilungen, um Übervorteilung beim Gebrauchtwarenverkauf, um Verkehrsunfälle, um den Nachlaß der Tante Anna, und, wenn es hoch kommt, um die Scheidung, die sich der Einkommensschwächere sowieso selten leisten kann. Um diese Fälle geht es.So bereitwillig viele Anwälte auf diesem Gebiet auch waren — den meisten hat man damit ja bisher schon keine besondere Freude gemacht,
wenn solche Fälle ins Haus gestanden sind, und man wird es auch in Zukunft nicht gerne machen — mit und ohne 55 Mark. Ich befürchte also, daß der Großteil der Anwaltschaft gar nicht so scharf darauf ist, die Aufgabe zugewiesen zu bekommen.Auch das Folgende gehört zu den Rechtstatsachen: Viele Bürger aus den schwächeren Einkommensschichten verkünden uns ja immer mit einem gewissen Stolz, sie hätten im ganzen Leben mit Gerichten noch nie etwas zu tun gehabt. Soweit das die Strafgerichte betrifft, ist das Ausweis eines rechtstreuen Lebens. Aber soweit es andere Gerichte betrifft, ist das wohl auch der Beweis, daß sich der Bürger ein Leben lang alles hat gefallen lassen oder alles gefallen lassen mußte, was der Hausbesitzer, der Arbeitgeber, der clevere Vertreter, das Finanzamt, die Bußgeldstelle oder das Nachlaßgericht mit ihm angestellt haben. Er mußte sich manches gefallen lassen, weil er — bewußt oder unbewußt -wohl davon ausgeht, daß er sich das Recht-Bekommen doch nicht leisten könne. Ist es in einem Rechtsstaat nicht schrecklich, wenn viele Bürger davon ausgehen müssen, sich das Recht nicht leisten zu können? Das fordert uns auf den Plan.Ein weiteres Element aus der Rechtstatsachenforschung ist wohl unbestritten: Unterdurchschnittliches Einkommen, Geschäfts- und Rechtsungewandtheit, Schwellenangst vor Behörden und Anwaltskanzleien sind Geschwisterpaare. Sie treffen in der Mehrzahl der Fälle beim einzelnen Bürger zusammen. Ich glaube nicht, Herr Kollege Langner, daß man diese ganzen Hemmschwellen in der Praxis mit einer 55-Mark-plus-10-Mark-Lösung bewältigen kann. Da steckt zuviel an Problemen darin. Sie verweisen mit gutem Recht auf die Einfachheit Ihres Entwurfes. Aber wenn der so einfach ist, daß er auf den ersten Blick für die Fülle der angestauten Probleme und Hemmschwellen keine Lösung bieten kann, dann ist er halt zu einfach, um nicht zu sagen: zu simpel.Unser Ziel heißt -- darin ergänzen wir uns — Chancengleichheit aller Bürger in der Rechtspflege, denn Gerechtigkeit ist ohne Gleichheit aller Bürger vor dem Recht unvorstellbar.Unsere Strategie — als Sozialdemokraten — heißt dazu: Fortschreitender Abbau aller finanziellen, bürokratischen, psychologischen Hemmschwellen, die bei einkommensschwächeren Schichten aufzufinden sind.
— Ja, auch Sie kommen nicht ohne Bürokratie aus, Herr Vogel, wenn Sie die Amtsgerichte zur erneuten Prüfung der Erfolgschancen vorschalten, um dann den Bürger über diesen fakultativen Umweg zu einem Rechtsanwalt zu schicken. Also: ganz ohne Bürokratie und Prüfung der Erfolgsaussichten geht es auch bei Ihrem Entwurf nicht.
Aber das allein genügt ja wohl noch nicht. An die Stelle der bisherigen Hemmschwellen muß ein sozialstaatliches mehrgliedriges Gefüge von außergerichlichen und gerichtlichen Rechtshilfen treten. Unter diesem Aspekt ist Ihr Entwurf gut gemeint, in einem Teilbereich auch gelungen, aber im ganzen zu kurz gestrickt. Das möchte ich begründen.Eine Gesamtreform der außergerichtlichen und gerichtlichen Rechtsberatung einkommensschwächerer Schichten besteht nicht nur aus dem von Ihnen ange-
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Dr. Schöfbergersprodienen Teilstüdc. Zur Gesamtreform aus einem Guß gehört eine außergerichtliche Rechtsberatung, die von Ihnen audi so gesehene Nahtstelle der vorgerichtlichen Rechtsberatung, wenn es zum Prozeß kommt, auch die Prozeßkostenhilfe, zu der Sie noch einen Antrag einbringen müssen.Ich nehme an, daß Sie auch das seit der wilhelmischen Zeit überkommene Armenrecht reformieren wollen. Denn dieses Armenrecht ist längst zu einem Armutszeugnis des sozialen Rechtsstaats geworden.Dazu gehört aber zwangsläufig auch eine Überarbeitung des Rechtsberatungsmißbrauchsgesetzes aus dem Jahre 1935. Dieses Gesetz hat eine sehr zweifelhafte Vergangenheit. Es ist im Dritten Reich erlassen worden, um den vom damaligen Unrechtstaat aus dem Dienst entlassenen jüdischen Richtern, die sich dann als Anwälte niedergelassen und die keine Zulassung hatten, das Handwerk zu legen — eine sehr zweifelhafte Tradition. Dieses Gesetz ist bereinigt worden, aber es ist auf unsere Tage überkommen.Darf ich Ihnen dazu einmal kurz einen praktischen Fall nennen, der mich bewegt.
— Das ist ein Arzt, der in meinem Wahlkreis wohnt, Herr Dr. Weber, Psychotherapeut, der seinen Patienten gelegentlich geholfen hat, einen Antrag auf Sozialhilfe auszufüllen. Dieser Arzt ist vom Amtsgericht München wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsmißbrauchsgesetz zu einer Geldbuße von 1 000 DM verurteilt worden.
Nach der Rechtsbeschwerde zum Bayerischen Obersten Landesgericht ist es dann zu einer mehr symbolisch zu verstehenden Strafe von 50 DM herabgesetzt worden. Dieser Bürger hat eine Petition eingereicht. Er meint, es müsse sich nun alles um diesen Fall drehen. Sp wird es nicht sein. Aber diesen Fall müssen wir bei der außergerichtlichen Rechtsberatung und ihrer Neuorganisation sicher mit einbeziehen.
— Sicher ist das kein anderes Thema; denn wenn Sie die Mietervereine und ihre Tätigkeiten ansehen, wenn Sie die Lohnsteuerhilfen ansehen, wenn Sie sogar unsere Tätigkeit als Abgeordnete betrachten, dann ist das ein Thema. Wir haben als Münchner Abgeordnete mit unseren Mieterberatungsbüros eine. Beanstandung des Oberlandesgerichtspräsidenten bekommen, weil wir über das neue Wohnraumkündigungsschutzgesetz informiert - haben. Es ist dann zu einem erfreulichen Kompromiß gekommen: Der Herr Präsident des Oberlandesgerichts hat uns das ausnahmsweise angesichts des drohenden Rechtsberatungsmißbrauchsgesetzes genehmigt. Das sind also schon Fälle, die da hereinspielen.Aber auch der Fall der Rechtsschutzversicherung muß aufgegriffen werden. Es gibt ja revolutionäreVorschläge àuf diesem Gebiet: eine allgemeine Pflichtrechtsschutzversicherung, vergleichbar mit der Krankenversicherungspflicht, einzuführen.
— Ich habe ja den Vorschlag nicht gemacht, Herr Kollege Vogel. Ich sage nur, daß es ihn gibt. Wir haben doch die Pflicht, solche Vorschläge abzuklopfen, auch wenn sie auf den ersten Blick als unsinnig erscheinen. Ich weiß, daß die allgemeine Rechtsschutzpflichtversicherung unsinnig wäre — schon deswegen, weil die Prozeßflut auf das Drei- und Fünffache steigen würde. Ich weiß aus meiner Praxis, daß man bei einem Verkehrsunfall bei einer 50 %igen Regulierung durch die Versicherung sagt: Die anderen 50 % werden eingeklagt; ich bin ja rechtsschutzversichert. Man tut das, ob es Aussicht auf Erfolg hat oder nicht.Ich runde das jetzt ab: Seit der Regierungserklärung sind ein Jahr und vier Monate verstrichen. Bei aller Ungeduld, die ich teile, kann man ja nicht behaupten, daß die Regierung inzwischen saumselig gewesen sei. Die Referentenentwürfe des Bundesjustizministeriums zur Prozeßkostenhilfe und zur außergerichtlichen Rechtsberatung liegen derzeit bei den Länderjustizverwaltungen und bei den anzuhörenden Verbänden. Wie ich aus dem Ministerium höre, ist die Abstimmung mit dem Bundesministerium der Finanzen und mit den Länderfinanzministern sehr schwierig, weil das Ganze kostenträchtig ist. Ich bitte aber das Justizministerium, sich durch solche Berechnungen nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. Bei der Beratung des Gesetzes über Hilfen für Verbrechensopfer hat man mit Zahlen aufgewartet, die sich in der Praxis nicht bewahrheitet haben. Die angesetzten Beträge und befürchteten Ausgaben sind weit unterboten worden, so daß ich annehme, daß es auch in diesem Bereich nicht so schlimm werden wird.Die Opposition — das hat Herr Kleinert bei Tagesordnungspunkt 7 bereits ausgeführt — braucht sich ja mit solchen Anhörungen der Länderjustizbehörden und der Finanzbehörden nicht aufzuhalten. Sie braucht sich auch davon nicht beeindrucken zu lassen. Man kann einen parlamentarischen Schnellschuß abfeuern. _
— Sehr großer Überlegungen bedurfte dieser Schnellschuß ja wohl nicht. Ich glaube auch, daß Sie einen hintersinnigen Gedanken gehabt haben. Vor drei Wochen ist Ihr Entwurf im „Deutschen Anwaltsblatt" nicht nur veröffentlicht, ‘sondern auch gebührend beweihräuchert worden.
Ich glaube, daß Sie bei der deutschen Anwaltschaftderzeit etwas abzufeiern haben, daß Sie um gutesWetter anhalten müssen; denn nach Ihren vielfälti-
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6992 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Dr. Schöfbergergen Vorschlägen zur Verteidigerüberwachung und ähnlichem haben Sie Boden gutzumachen.
Deswegen konzentrieren Sie sich so krampfhaft auf das reine Anwaltsmodell und werfen die zehnjährigen Versuchserfahrungen in allen Bundesländern einfach weg.
Wie können Sie, Herr Kollege Langner, hier sagen, daß Sie die jahrelangen 'Erfahrungen nützen wollen, wenn Sie sie praktisch nicht nützen und das reine Anwaltsmodell herstellen? Insgesamt meine ich: Das Linsengericht der Erstgeburt haben Sie mit diesem Entwurf nicht gerade verdient.Nun komme ich noch kurz zum reinen Anwaltsmodell. Sie sagen in Ihrer Begründung — —
Herr Kollege, ich bitte, zum Abschluß zu kommen.
Ich komme zum Abschluß.
Sie sagen in Ihrer Begründung, das reine Anwaltsmodell sei angebracht, weil nur der Anwalt ortsnah und sachkundig sei. Das trifft in vielen Bereichen zu, sowohl unter geographischem Bezug als auch nach Rechtsmaterien, aber bei weitem nicht in allen Fällen. In Stadtstaaten ist das ÖRA-Modell, also das Modell der öffentlichen Rechtsantragsstellen, erprobt worden. Es hat sich bewährt, und es wird dort auch erhalten werden müssen. Deswegen sehen wir im Gesetzentwurf eine Bestandsgarantie, ja eine fakultative Öffnung für solche ORA-Modelle, vor,
Unsere Konzeption ist folgende: Wir sind für eine maßgebende Beteiligung der Anwaltschaft. Ohne Anwaltschaft geht es nicht, ohne Anwaltschaft wird es auch von uns nicht gemacht werden; aber ebenso unsinnig wäre es, alle bisherigen Länderversuche und die bewährten Einrichtungen wegzuwischen. Wir meinen, daß die Rechtsverhältnisse, das Rechtsleben und auch die Rechtshindernisse so vielgestaltiger Natur sind, daß wir ein Mehrfachangebot an Rechtshilfen brauchen. Wir erwarten nach der Sommerpause die enstprechenden Regierungsentwürfe. Wir sichern Ihnen zu, daß unsere Fraktion in den Ausschüssen für eine zügige Beratung sorgen wird. Wir hoffen, daß wir damit noch in diesem Jahr fertig werden.
Wir sind dafür, daß der Entwurf dem Rechtsausschuß und dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen wird. Das Ganze ist ein Stück Rechtspolitik und ein Stück Sozialpolitik. Es kommt jetzt darauf an, beides zu einem Stück sozialer Gerechtigkeit zu verbinden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kleinert.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Mit Rücksicht auf das kurz bevorstehende Abendessen besonders wichtiger Mitglieder des Hauses, von dem ich gehört habe, versuche ich, mich kurz zu fassen, zumal die Herren Vorredner das meiste bei der bestehenden Einigkeit über die Grundsätze so dargelegt haben, daß nicht mehr viel hinzuzufügen ist.Mir erscheint es ganz wesentlich, noch einmal, wie es auch schon die Vorredner getan haben, zu unterstreichen, daß seit vielen Jahren auf verschiedene Art und Weise, aber meist sehr wirksam, auf völlig freiwilliger Basis durch die Anwaltschaft in richtiger Erkenntnis ihrer sozialen Verpflichtung an den meisten größeren und auch an vielen kleineren Plätzen Beratung angeboten worden ist. Deshalb ist es etwas unangenehm, hier an der aus der Systematik sicher notwendigen Verpflichtung der Anwälte im Rahmen des Modells mitzuwirken, wie es im einzelnen auch immer ausgestaltet werden wird. Es ist natürlich bedeutend besser, wenn jemand eine derartige Leistung freiwillig erbringt, zumal wenn er bewiesen hat, daß das seit langem geschieht, als wenn man ihn dazu verpflichtet. Ich bedaure sehr, daß es mit dieser Freiwilligkeit insofern nun wohl formal ein Ende haben wird. Tatsache bleibt dann aber, daß von einer auch nur angemessenen Dekkung der Kosten bei den vorgesehenen Vergütungen nicht die Rede sein kann. Es handelt sich lediglich um einen Zuschuß zur Deckung derselben.Deshalb möchte ich für die weiteren Überlegungen des Bundesjustizministeriums anregen, sich doch noch etwas mehr der zweifellos imponierenden Kürze des heute hier vorgelegten Entwurfs anzunähern und insbesondere bei der Frage der Erstattung der Kosten — das tut übrigens auch noch der CDU-Entwurf ein wenig — gar nicht erst den Eindruck zu erwecken versuchen, daß hier etwas ausgerechnet und versucht werde, etwas Leistungsangemessenes zu ermitteln. Da hier im wesentlichen eine soziale Verpflichtung übernommen und ein Teil der Kosten abgedeckt werden soll, brauchte man, meine ich, nicht noch den ungewöhnlich lästigen und häufig sehr zählebigen Streit mit dem Rechtspfleger über die Angemessenheit von entweder 30 oder 40 DM zu führen. Dann sollte man hergehen und wenigstens diesen Teil der Operation abkürzen, indem man ohne Rücksicht auf Art und Umfang der Sache eine Pauschalsumme für sämtliche Fälle ansetzt. Das würde Arbeit sparen und unterstreichen, daß von einer leistungsangemessenen Vergütung nicht die Rede sein kann. Ob man da — wie der jetzige Entwurf der Bundesregierung - bis auf 300 DM hochgeht oder bei 55 DM — wie das im CDU-Entwurf geschehen ist — eine Obergrenze setzt, das spielt dabei keine Rolle. Ich wäre dankbar, wenn man diesen Gedanken einer völligen Pauschalierung noch einmal aufgreifen könnte — einmal aus dem Grund, daß eben kein Leistungsentgelt im eigentlichen Sinne vorliegt und die Angemessenheit deshalb gar nicht ermittelt werden kann, und zum anderen wegen der dadurch möglichen erheblichen Vereinfachung.Bei dem Entwurf der Bundesregierung spielen die 10 Mark, von denen hier die Rede gewesen ist, auch eine Rolle, nur mit dem feinen Unterschied, daß sie in die Kasse des Fiskus wandern sollen, während
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Kleinertsie nach dem CDU-Vorschlag zusätzlich noch in die Kasse des Anwalts fließen sollen. Das würde übrigens dazu führen, daß der Staat in den Fällen, in denen man an der Untergrenze des Vorschlages der Bundesregierung, nämlich bei 20 DM, bleibt, mit dem Anwalt sozusagen Kippe bei den Bemühungen um den Bürger, dem hier geholfen werden soll, macht. Die Mühe des Herausfindens, ob ein Rat zu geben ist, würde dann immerhin schon mit 50 % dessen bewertet werden, was dieser Rat hinterher selbst wert wäre. Das ist auch eine Ungereimtheit, die man vielleicht vermeiden sollte;Das sind Gründe, deretwegen die Kürze des CDU- Entwurfs durchaus erfreulich ist.Zu einigem anderen hatte ich mich bereits beim vorigen Tagesordnungspunkt geäußert, ohne daß ich etwa behaupten will, hier wäre wie in dem vorhergegangenen Fall etwas übernommen worden. Immerhin ist nicht zu verkennen, daß die Gedanken, von denen Sie hier nun einige ganz kurz zusammengefaßt haben, in aller Breite am Markte waren.
Ein Schlüsselerlebnis hatte ich übrigens im Zusammenhang mit dieser Rechtsberatung und den dazu erprobten Modellen bei der Vorstellung des niedersächsischen Modells für diesen Zweck durch den damaligen niedersächsischen Justizminister Hans Schäfer, seines Zeichens Sozialdemokrat. Er hat ein sehr offenes, liberales und — wie mir scheint — sehr praktikables Anwaltsmodell vorgestellt. Dazu sprach auch der Ehrengast dieser Veranstaltung hier in der niedersächsischen Landesvertretung, der schleswigholsteinische Justizminister, Herr Schwarz. Er stellte seinerseits ein strikt öffentliches Modell ohne jegliche Anwaltsbeteiligung vor. Diese Entdeckung Ihrer ausschließlichen und besonderen Liebe zum Anwaltsstand, die sich so durchgehend bei den bisherigen Modellen nicht belegen läßt — ganz im Gegenteil —, war wirklich ein Schlüsselerlebnis.Ich habe mich selten über den sonst so geschätzten Kollegen Schwarz so gewundert wie bei dieser Gelegenheit über seine Entscheidung.Im übrigen muß man wohl auch hier sagen, daß man nicht nur dogmatisch vorgehen und nicht nur reine Lehre walten lassen kann. Das ist von uns als Liberalen schon gar nicht zu erwarten. Da, wo seit Jahrzehnten ein öffentliches Modell praktiziert wird — wie z. B. in Hamburg und wohl auch in einigen anderen Großstädten —, wird man wohl von einer von der Bevölkerung angenommenen Einrichtung dieser Art nicht abgehen können — wenigstens nicht gegen den Willen der Beteiligten. Das könnte auch nicht geschehen, wenn wir wirklich der Meinung wären, daß alles, was Kollege Schöfberger über die Schwellenangst, die zu überwinden ist, und die mannigfachen Hemmnisse, die abzubauen sind, richtig wäre. Diese Schwellenangst wird insbesondere im Zusammenhang mit der freien Auswahl und dem freien Zugang zu einem unter mehreren zur Verfügung stehenden Anwaltsbüros vermieden werden. Die Räumlichkeiten, in denen bisher die freiwillige und unentgeltliche Beratung zum Teil durchgeführt wurde, waren nicht immer angetan, die Schwellenangst herabzusetzen, ganz im Gegenteil. Wie allerdings ein komplizierter Entwurf diese Schwellenangst gänzlich ausräumen soll, ist mir gerade im Hinblick auf die Praxis schwer vorstellbar.
Da wird man sich nur bemühen können.In diesem Zusammenhang komme ich noch einmal auf die insbesondere von Ihnen, Herr Langner, angestellten Überlegungen zurück, ob man so ein Gesetz überhaupt braucht. Da die Beratung in vielen Ländern schon sehr vernünftig läuft, könnten daran durchaus Zweifel bestehen. Ich meine aber, für ein solches Gesetz streitet in erster Linie die Vermutung, daß das Wissen um einen solchen Rechtsanspruch nach einiger Zeit auch einen Beitrag zur Überwindung der Schwellenangst darstellen würde. Das muß man einfach hier zur Begründung der Notwendigkeit dieses Gesetzes anführen.Zum Rechtsberatungsmißbrauchsgesetz und dort etwa notwendigen Reformen sehe ich sicherlich sehr interessante, aber keineswegs unkomplizierte Auseinandersetzungen mit dem Kollegen Schöfberger voraus; denn ich habe in mehreren Punkten völlig andere Auffassungen und halte auch die von ihm angeführten Fälle nicht für sehr hilfreich.
Der eine Fall ist namentlich bekannt. Ich habe mich sofort von sachkundiger Münchener Seite unterrichten lassen. Dieser Fall ist, glaube ich, als Beispiel hier nicht sehr geeignet. Im Einzelfall müßte das Gericht mit einiger Einsicht auch nach dem geltenden Recht helfen können — besser als eine Novelle, die auf jeden Grenzfall abstellt. Der Grenzfall ist zur Überprüfung des Sinnes einer Vorschrift im Ganzen meist wenig geeignet.Über die Rechtsberatung der Münchener Kollegen weiß ich nichts Näheres. Ich freue mich, daß die Münchener Bürger diese Beratung durch so hervorragende Juristen genießen können. Ich hoffe aber, daß Sie bei der Weiterleitung an die von Ihnen zitierten Anwälte nicht so verfahren wie einige andere Stellen, die zur Objektivität verpflichtet sein sollten, aber in einer ungewöhnlichen Einseitigkeit einige ganz wenige Anwälte mit der Weitergabe der Mandate zu beglücken pflegen, wobei die Zusammenhänge für den Kundigen unschwer aufzuspüren sind. Man sollte Veranlassung nehmen, bei einer etwa ins Auge zu fassenden Reform des Rechtsberatungsmißbrauchsgesetzes auch einmal derartigen Dingen nachzugehen, dann allerdings vermutlich in einem Sinn, an den Sie, Herr Schöfberger, weniger gedacht haben. Aber das wird uns ja ein anderes Mal beschäftigen. Ich habe es nur aufgenommen, damit hier gar nicht erst Zweifel über die etwa leichte Durchsetzbarkeit derartiger Vorstellungen aufkommen.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
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6994 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978
Vizepräsident Frau FunckeDer Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Rechtsausschuß — federführend —, an den Innenausschuß und, über die schriftliche Ankündigung hinaus, auch an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — mitberatend , außerdem an den Haushaltsausschuß nach § 96 der Geschäftsordnung. Wer dieser Überweisung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr Punkt 9 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Fraktion derCDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes— Drucksache 8/1716 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
RechtsausschußIch darf annehmen, Herr Kollege Stercken, daß wir die Aussprache gleich mit der Begründung verbinden können.Das Wort hat Herr Abgeordneter Stercken.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Annahme des Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland hat der Deutsche Bundestag zum erstenmal ein Gesetz beschlossen, das nicht nur alle Deutschen, die ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, zur Teilnahme an einer Wahl berechtigt. Er folgte damit dem Beispiel anderer Staaten der Europäischen Gemeinschaft und beugte sich der Einsicht, daß nicht diejenigen deutschen Staatsbürger von der Teilhabe an demokratischen Entscheidungsprozessen in Europa ausgeschlossen werden können, die durch ihre Tätigkeit in den europäischen Gebieten der Gemeinschaft bereits die Voraussetzungen für mehr Zusammenarbeit, insbesondere für wirtschaftlichen Erfolg, in Europa schaffen. Es ist schwer verständlich, daß Vertreter der deutschen Wirtschaft — Ingenieure ebenso wie Monteure —, die in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft in steigendem Maße an einer Steigerung deutscher Exporte wesentlich mitwirken und die auf diese Weise die Konjunkturabflachung in der Bundesrepublik verringern, helfen, dafür ihrer demokratischen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte verlustig gehen.
Die Frage, inwieweit sich alle Deutschen, die ihren ersten Wohnsitz nicht innerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes haben, an Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland beteiligen können, ist in diesem Hohen Haus seit Jahren Gegenstand kontroverser Bewertungen. Alle, die über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügen, sollten, meine Damen und Herren, das Recht haben, sich an demokratischen Entscheidungsprozessen in Deutschland zu beteiligen. Diese Forderung bleibt bestehen.Den vorliegenden Gesetzentwurf meiner Fraktion begründe ich daher als eine im Augenblick realisierbare Möglichkeit, die uns auf dem Weg, allen Deutschen die Beteiligung an der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland zu erschließen, entscheidend voranbringt. Wir können nicht erwarten, daß die zunehmende Mitwirkung deutscher Staatsbürger bei der Sicherung und gegebenenfalls Erweiterung des lebenswichtigen Handels mit dem Ausland gewährleistet bleibt, wenn die dadurch entstehenden Konsequenzen in einer Fülle von Benachteiligungen bestehen.Zu solchen Benachteiligungen gehört etwa die Bedrängnis, in die die Familien der Vertreter deutscher Interessen im Ausland geraten, wenn die deutschen Schulen nicht in der Lage sind, ihre Kinder aufzunehmen. Auf eine entsprechende Anfrage hat mir das Auswärtige Amt mitgeteilt, daß die kulturpolitische Aufgabe unserer Auslandsschulen vornehmlich darin bestehe, Begegnungen zwischen ausländischen und deutschen Schülern herbeizuführen. Ich bejahe diese Funktion einer deutschen Schule im Ausland, aber mir fehlt jedes Verständnis dafür, daß für die deutsche Schulpolitik im Ausland nicht die schulische Versorgung der Kinder deutscher Kaufleute, Ingenieure und Arbeiter ebenso wichtig ist, durch deren erfolgreiche Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland erst die materiellen Voraussetzungen für kulturelle Auslandsarbeit geschaffen werden.
Es ist mit dem Geiste Europas und der Wahrung deutscher Interessen nicht vereinbar, wenn der Deutsche Bundestag nicht wesentlich dazu beiträgt, die Rechtsstellung und die Lebensverhältnisse dieses Personenkreises erheblich zu verbessern. Dies muß ein vorrangiger deutscher Beitrag zur Freizügigkeit in der Europäischen Gemeinschaft sein.Insbesondere, meine Damen und Herren, an den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland zu den Nachbarstaaten der Europäischen Gemeinschaft ist in den letzten beiden Jahrzehnten von Europa insoweit Gebrauch gemacht worden, als Zehntausende von Bürgern — oft in beiden Richtungen — über die Grenze gesiedelt haben. Bei europäischen Feierstunden wird dies als ein wichtiger, ja, unverzichtbarer Beitrag zur Integration der Gemeinschaft bezeichnet. Nach dem Festakt jedoch wird die Fülle der Unzuträglichkeiten deutlich, die sich diejenigen einhandeln, die für Europa optiert haben. Obwohl sie oft nur einige Kilometer von ihrem alten Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland oder in einem Nachbarstaat entfernt wohnen, sind sie damit zu Zehntausenden von der Teilnahme am demokratischen Willensbildungsprozeß ausgeschlossen, erleiden im steuerlichen Bereich weitere Beeinträchtigungen und müssen neuerlich auch eine Fülle von durchaus berechtigten Sicherheitsmaßnahmen ertragen, die den Verkehr an der Grenze erheblich erschweren.Dieser Personenkreis wird sich nun im Juni kommenden Jahres in der Bundesrepublik Deutschland zum erstenmal an der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments beteiligen können. Diese Wähler empfinden damit die Tatsache noch bedrükkender, daß ihnen die Ausübung anderer und für für sie oft noch wichtigerer Rechte verwehrt bleibt.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6995
Dr. SterckenGewiß. kann man argumentieren, daß in einem Zeitalter erhoffter europäischer Freizügigkeit jeder letztlich doch am demokratischen Prozeß beteiligt sein soll, wo er innerhalb der Europäischen Gemeinschaft seinen ersten Wohnsitz genommen hat. Ich möchte aber unsere Burger, unsere deutschen Staatsbürger, nicht damit vertrösten, daß dies irgendwann einmal für sie möglich sein könnte. Wir hängen damit von vielen anderen Staaten ab, die dies vielleicht weniger zu einer Grundsatzentscheidung als zu einem Kalkül werden lassen könnten.Soweit also der deutsche Gesetzgeber diese Rechte erschließen kann, ist er dazu aufgerufen, dies zu leisten. Nach der Verabschiedung des Europawahlgesetzes gibt es aber auch noch einen anderen formalen wichtigen Grund im Bundeswahlgesetz, das für das Europawahlgesetz beschlossene Verfahren zu übernehmen. Das Bemühen in unserem Lande, die ausländischen Arbeitnehmer möglicherweise wenigstens an kommunalen Wahlen teilnehmen zu lassen, hat zu der rechtlich leider überzeugenden Feststellung geführt, daß die Ausübung des aktiven und des passiven Wahlrechts nach dem Grundgesetz auf allen Ebenen des Staates an die deutsche Staatsangehörigkeit geknüpft ist. Die Homogenitätsklausel des Grundgesetzes, Art. 28, verbietet es, unterschiedliche Voraussetzungen für die Ausübung des Wahlrechts im staatlichen und im kommunalen Bereich festzulegen.Man darf wohl davon ausgehen, daß die Ausübung des Europawahlrechts sinngemäß in diese Homogenität einzubeziehen ist. Dies heißt also, daß man nicht die Ausübung eines Wahlrechts nur auf einen Sektor dieses demokratischen Rechts begrenzen kann. Wahlrecht für ein Europäisches Parlament muß im Sinne der Homogenität, die der Verfassungsgeber anstrebt, bedeuten, daß dieser Personenkreis auch das Recht erhält, sich an den übrigen Wahlen im Bundesgebiet zu beteiligen.Es gibt dafür auch ein praktisches Argument, das diesen Anspruch begründet. Nicht nur im Grenzgebiet, sondern auch in den europäischen Gebieten der Europäischen Gemeinschaft ist die Regelung der Lebensverhältnisse dieser betroffenen Bürger in ganz wesentlichem Umfange von den legislativen und exekutiven Entscheidungen abhängig, die in der Bundesrepublik Deutschland gefällt werden. Auch die Entscheidungen der Gemeinschaft müssen in diesem Sinne als ein Bestandteil der Verantwortlichkeit angesehen werden, die Legislative und Exekutive in der Bundesrepublik Deutschland ihren Staatsbürgern gegenüber zu tragen haben. Auf Grund dieser Lage und angesichts dieser Verflochtenheit ist es nicht mehr verantwortbar, die demokratische Mitwirkung dieser Bürger auszuschlagen.Der Deutsche Bundestag würde sich nach meiner Überzeugung einen schlechten Dienst erweisen, wenn er diesen Anspruch auf demokratische Rechte durch ein erneutes Zerreden dieses Problems verhinderte. In einer repräsentativen Demokratie ist die Ausübung des Wahlrechts das umfassendste und originärste Mittel zur Übernahme demokratischer Verantwortlichkeiten und Mitwirkung am Gemeinwesen. Diese Überzeugung sollte sich bei den bevorstehenden Beratungen dieser Gesetzesvorlage in den Ausschüssen als bestimmend erweisen. Das Bessere ist der Feind des Guten. Tun wir zunächst das Erreichbare!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wittmann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Verabschiedung des Europawahlgesetzes ist den in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft wohnenden Deutschen das Wahlrecht zum Europäischen Parlament zugebilligt worden. Diese Regelung war eine logische Folge des bisherigen Prinzips, daß nur der wahlberechtigt ist, der im Geltungsbereich des Gesetzes wohnt. Wenn nun die CDU/CSU mit ihrem Änderungsantrag zum Bundeswahlgesetz diesen Grundsatz durchbrechen will, wird man sich bei den Ausschußberatungen mit diesem Anliegen der Opposition sehr eingehend beschäftigen müssen.Diese Frage wird im Deutschen Bundestag seit der 5. Legislaturperiode diskutiert, und es konnte bisher leider keine allen Wünschen entsprechende Lösung gefunden werden. Zum besseren Verständnis darf ich in die Erinnerung rufen, daß die Landeswahlgesetze eben nur in den einzelnen Bundesländern gelten und kein Mensch auf die Idee kommt, einem Bayern, der in Hessen wohnt, das Wahlrecht in Bayern einzuräumen, wenn der eine oder andere das auch sehr gern möchte. Bei der bisherigen Diskussion über die Ausweitung der Wahlberechtigung auf die im Ausland lebenden Deutschen stellte sich heraus, daß die im Bundeswahlgesetz geforderte Seßhaftigkeit im Wahlgebiet nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts gerechtfertigt ist.Wenn nun durch die gesetzgeberische Initiative der Opposition das aktive Wahlrecht zum Deutschen Bundestag auf die in den europäischen Gebieten der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft wohnenden Deutschen ausgedehnt werden soll, muß ich erneut auf die verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Problematik hinweisen.Wenn wir nur den in der EG lebenden Deutschen das Wahlrecht zugestehen, nehmen wir meines Erachtens eine unberechtigte Einschränkung des Wahlrechts z. B. der in Osterreich — aus Bayern gehen ja sehr viele hinüber nach Osterreich — oder in der Schweiz lebenden Deutschen vor und verletzen damit den Gleichheitssatz nach Art. 3 des Grundgesetzes. Wir schaffen damit auch eine Vielzahl weiterer Probleme. Ich denke z. B. an die West-Berliner, die in Frankreich leben und dann wählen sollen, aber nicht wählen können, weil eben die West-Berliner nicht wählen dürfen. Das muß man sehen. Ich denke, wenn ich das Problem der DDR ins Auge fasse, daß sich dann wieder die Frage hochschaukelt, ob ein Bürger aus der DDR dann nötigenfalls ein Wahlrecht in der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch nehmen kann.Wenn wir trotz dieser vielen Probleme in die Prüfung der Ausweitung des Wahlrechts eintreten,
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Wittmann
dann insbesondere deshalb, weil die Verflechtung der europäischen Staaten, verbunden mit der Niederlassungsfreiheit, auch andere Konsequenzen nach sich ziehen sollte. Der Idealfall wäre meines Erachtens — und Sie haben das auch angesprochen —, wenn den Staatsangehörigen der EG-Staaten das Wahlrecht im Lande ihres dauernden Aufenthalts eingeräumt werden könnte, wenn also die Deutschen in Frankreich und die Italiener in Deutschland mitwählen könnten. Damit würde der Grundsatz der Freizügigkeit folgerichtig weiterentwickelt. Ich bin hier aber nicht sehr optimistisch, daß uns das in naher Zukunft gelingt.Deshalb sollten wir auch prüfen, wie das Wahlrecht in den übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft geregelt ist, und hier sollte nach Möglichkeit eine einheitliche Regelung angestrebt werden. Wir wissen, daß die einen Staaten es nach wie vor wie auch wir vom ersten Wohnsitz abhängig machen. Es gibt aber auch Staaten in der Europäischen Gemeinschaft, die diese Dinge großzügiger regeln und handhaben. All diese Dinge müssen wir berücksichtigen und beachten, um zu einer. guten Lösung zu kommen.Meine Damen und Herren, ich darf zum Schluß kommen. Ich schlage vor, daß wir den Gesetzentwurf der CDU/CSU zur Änderung des Bundeswahlgesetzes in Verbindung mit dem Bericht der Wahlkreiskommission beraten. Dieser Bericht muß und wird ja Mitte des Jahres vorgelegt werden. Ich hoffe, daß wir eine Lösung finden, die allen Beteiligten gerecht wird, insbesondere den Deutschen im Ausland.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wolfgramm.
Frau Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Verehrter Herr Kollege Stercken, Ihre Überlegungen zur Schulpolitik des Auswärtigen Amts darf ich doch mit einer Bemerkung ergänzen. Ein Blick in den Haushalt macht deutlich, daß wir eine ganze Anzahl von Schulen im Ausland neu bauen oder erweitern und daß die entsprechenden Mittel eingestellt sind. Da Sie sich in diesem Bereich in besonderer Weise engagieren, nehme ich an, daß Sie in diesem Punkt Ihre Augen vor Ihrem Wissen verschlossen haben.
Die mehrfache Beschäftigung des Deutschen Bundestages und der Gerichte mit dem vor uns liegenden Problem, den im Ausland lebenden Deutschen auch das Wahlrecht zum Bundestag zu geben, hat immer wieder deutlich gemacht, daß die Anknüpfung des Wahlrechts an die Seßhaftigkeit im Wahlgebiet zu den traditionellen und verfassungsrechtlich zulässigen Beschränkungen der Allgemeinheit der Wahl nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes gehört und daß daher der Gesetzgeber nicht verpflichtet ist — weder aus dem Grundsatz der Allgemeinheit noch aus dem Grundsatz der Gleichheit —, das aktive Wahlrecht auf alle Deutschen im Ausland auszudehnen.
Auf der anderen Seite sehen wir aber, daß das Problem für die sich im Ausland befindlichen Deutschen eine besondere Härte darstellt. Die Frage ist allerdings, ob eine isolierte Ausdehnung des Wahlrechts auf ein räumlich bzw. regional abgegrenztes Gebiet im Ausland — und das beinhaltet ja Ihr Vorschlag — im Hinblick auf den Grundsatz der Wahlgleichheit nicht außergewöhnliche verfassungsrechtliche Probleme aufwirft. Ich weise in diesem Zusammenhang auf die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs vom 27. Mai 1977 hin, worin er gerade diese Bedenken noch einmal deutlich vorgetragen hat.
Im Hinblick darauf, daß wir zu einer verfassungssicheren Lösung kommen wollen, halten wir die Übernahme aus der Europaregelung für problematisch. Wir müssen prüfen, ob eine unbegrenzte räumliche Ausdehnung mit einer zeitlichen gekoppelt werden kann, das letztere deshalb, weil die Beteiligung an Wahlen, die sicher eines der vornehmsten Rechte in der Demokratie ist, letztlich doch auch voraussetzt, daß z. B. die Teilnahme an Wahlveranstaltungen im Hinblick auf die Bedeutung der politischen Willensbildung möglich ist. Die intime Kenntnis der jeweiligen Verfassungs- und politischen Situation im Bundesgebiet muß vorausgesetzt werden. Aber diese Kenntnis wird mit zunehmendem zeitlichen Abstand naturgemäß geringer. Wir meinen, daß dies in einer solchen Regelung berücksichtigt werden muß.
Es wird also darauf ankommen, mit einer denkbaren Lösung verfassungssicher zu sein, und da meine ich, Herr Kollege Stercken, daß Ihr Entwurf tatsächlich zu einfach ist und keine Sicherheit für die Verfassungskonformität bietet.
Der Bezugspunkt, an die Regelungen anderer Staaten anzuknüpfen — Herr Kollege Wittmann hat es schon vorgeschlagen — ist sicher nicht falsch, allerdings werden sie für unser Problem hier auch keine Lösungen bringen. Wir wissen, daß Norwegen und Schweden auf diesem Gebiet eine begrenzte Wahlmöglichkeit für im Ausland lebende Schweden oder Norweger vorsehen; wir wissen, daß die Italiener vorsehen, daß im Ausland lebende Italiener am Wahltag in Italien wählen können, wenn auch mit einer zeitlichen Begrenzung. Alle anderen Staaten haben sich bisher mit unserer Regelung praktisch identifiziert.
Wir meinen, daß die Ausübung dieses Rechtes ein besonderes Recht ist, das wir ernst nehmen. Wir wollen diese Möglichkeit in den Ausschüssen sorgsam prüfen, aber wir wollen sie auf jeden Fall verfassungssicher haben.
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage an den Innenausschuß — federführend — und an den Rechtsausschuß — mitberatend — zu überweisen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1978 6997
Vizepräsident Frau Funcke— Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 15. März 1976 — 76/308/ EWG — Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 73/18 vom 19. März 1976 - über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen im Zusammenhang mit Maßnahmen, die Bestandteil des Finanzierungssystems des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft sind, sowie von Abschöpfungen und Zöllen (Beitreibungsgesetz-EG — BeitrG-EG)Drucksache 8/1715 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenEine Einbringung scheint nicht vorgesehen zu sein. — Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.Der Ältestenrat empfiehlt, die Vorlage an den Finanzausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend — zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:a) Beratung der Sammelübersicht 23 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/1708 —b) Beratung der Sammelübersicht 24 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/1723 —Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.Der Petitionsausschuß empfiehlt, die in den Sammelübersichten jeweils enthaltenen Anträge des Petitionsausschusses anzunehmen. Wer dieser Empfehlung folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 4/78 — Zollkontingente für Walzdraht und Elektrobleche — 1. Halbjahr 1978)— Drucksachen 8/1631, 8/1720 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. UnlandWünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht.Wir kommen zur Beschlußfassung über die Ausschußempfehlung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.Ich berufe das Haus für Mittwoch, den 10. Mai, 13 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.