Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich darf zunächst mitteilen, daß auf der Diplomatentribüne eine Delegation der Nationalversammlung der Republik Korea Platz genommen hat.
Ich habe die Ehre, den Vizepräsidenten der Nationalversammlung und Vorsitzenden der KoreanischDeutschen Parlamentariergruppe, Herrn Minister Chang, und die Mitglieder der Delegation zu begrüßen.
Wir freuen uns, daß die koreanische Delegation auch Berlin besuchen wird. Ich möchte ihr an dieser Stelle dafür danken und ihr einen angenehmen Aufenthalt in Deutschland wünschen.
Meine Damen und Herren, ich habe sodann die Freude, einigen Kollegen zum Geburtstag zu gratulieren: dem Herrn Kollegen Dr. Gradl zum 74. Geburtstag,
dem Herrn Kollegen Dr. Kiesinger zum 74. Geburtstag
und dem Herrn Kollegen und Bundesminister Egon Franke zum 65. Geburtstag.
Für den aus dem Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt ausscheidenden Abgeordneten Schmidt hat die Fraktion der CDU/CSU den Abgeordneten Dr. Pfennig benannt. Ist. das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete Dr. Pfennig als stellvertretendes Mitglied des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt gewählt.
Amtliche Mitteilung ohne Verlesung
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 11. April 1978 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Narjes, Kittelmann, Breidbach, Lenzer, Dr. von Geldern, Dr. Hoffacker, Dr. Hüsch, Dr. Köhler , Niegel und der Fraktion der CDU/CSU betr. Behinderung der Importe von Bohrtürmen und anderen OffshoreGroßanlagen in Erdöl- und Erdgasförderstaaten — Drucksache 8/1648 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/1698 verteilt.
Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 1 zur Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung über die Ergebnisse der NATO-Ratstagung vom 7. April 1978 in Brüssel und die Tagung des Europäischen Rates vom 7./8. April 1978 in Kopenhagen
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es haben am vergangenen Wochenende zwei für uns bedeutsame internationale Gremien getagt, wie der Bundestagspräsident eben schon gesagt hat. In Kopenhagen trafen sich die Staats- und Regierungschefs der neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft, in Brüssel der NATO-Rat. In beiden Gremien wurden vorausgegangene interne Beratungen zwischen den Partnerstaaten zu Ergebnissen geführt, die nun auch von der Bundesregierung öffentlich dargelegt und bewertet werden können. Die notwendige Zurückhaltung, die sich die Bundesregierung in der vorangegangenen Phase auferlegen mußte, hat verschiedentlich auch hierzulande publizistische oder politische Mißdeutungen erfahren. Die Bundesregierung hat dies bewußt in Kauf nehmen wollen; denn eine verantwortliche Außenpolitik sollte der internen Willensbildung in Partnerstaaten nicht hier öffentlich vorgreifen, und sie darf auch strategische Erwägungen innerhalb des Bündnisses nicht auf dem offenen Markte ausbreiten.
Die Bundesregierung nimmt deshalb aber heute, zum frühestmöglichen Zeitpunkt, die Gelegenheit wahr, das Parlament über die Entwicklung der letzten Wochen und Monate zu unterrichten.Im Mittelpunkt "der Gespräche der Regierungschefs und der Außenminister im Europäischen Rat in Kopenhagen haben die europäische und die weltweite Wirtschafts- und Währungsproblematik sowie die Direktwahlen zum Europäischen Parlament gestanden.Ich stelle mit großer Genugtuung fest, daß es dem Europäischen Rat nun gelungen ist, als gemeinsamen Termin für die Direktwahl zum Europäischen Parlament in allen neun Staaten der Gemeinschaft die Tage vom 7. bis 10. Juni 1979, also heute in 14 Monaten, festzulegen.
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6500 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Bundeskanzler SchmidtDiese Entscheidung hat den Weg zu einem neuen Abschnitt im Leben der Europäischen Gemeinschaft geöffnet — mehr als 20 Jahre nach ihrer Begründung —, einen Weg, an den die Bundesregierung große Hoffnungen knüpft. Wir sind zuversichtlich, daß es einem unmittelbar gewählten Parlament, gestützt auf die demokratischen Kräfte in allen Partnerstaaten, gelingen wird, den europäischen Gedanken noch stärker mit Leben zu erfüllen. Es sollte dem gewählten Europäischen Parlament gemeinsam mit den Regierungen möglich werden, den Einigungsprozeß zu beschleunigen.Im Zusammenhang mit der Festsetzung des Termins für die Direktwahl haben sich die Staats- und Ministerpräsidenten in feierlicher Erklärung darauf festgelegt und dazu bekannt, daß Achtung und Erhaltung der repräsentativen Demokratie und der Menschenrechte in jedem Mitgliedstaat wesentliche Elemente der Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft sind — eine für die Zukunft noch bedeutsam werden könnende Festlegung.Bei der Behandlung von Themen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit, im wesentlichen durch die Außenminister und im wesentlichen betreffend Namibia, Nahost, aber auch die Bekämpfung des Terrorismus, hat sich im Europäischen Rat eine erfreuliche Übereinstimmung ergeben.Auf dem Wirtschafts- und Währungssektor haben die Regierungschefs eine Zwischenbilanz der insgesamt wenig befriedigenden Lage gezogen. Die Europäische Gemeinschaft ist in allen Bereichen engstens mit der Weltwirtschaft verflochten und unter unserer Mitwirkung bemüht, Schranken im Welthandel abzubauen und sich dem Entstehen neuer protektionistischer Barrieren entgegenzusetzen. Die Gemeinschaft kann und will auch keine Wirtschaftspolitik verfolgen, die so tut, als ob die Gemeinschaft allein auf der Welt wäre.Das heißt dann auch, daß man Inflation und Arbeitslosigkeit in Europa nur in den Griff bekommen, verstärktes Wachstum in der ganzen Gemeinschaft nur zustande bringen kann, wenn es auch weltweit aufwärts geht. Daß dies nur im Zusammenwirken aller Weltwirtschaftspartner geschehen kann, haben uns die Auswirkungen der Dollarschwäche auf die Wechselkurse und die hiervon auf das Weltwirtschaftssytem als Ganzes ausgehenden Irritationen erneut ins Bewußtsein gerufen.Die Regierungschefs gingen davon aus, daß gemeinsame Überlegungen notwendig sind, um die unbefriedigende Lage zu verbessern. Dabei konnte allerdings keiner der versammelten Regierungschefs ein Patentrezept anbieten. Dennoch habe ich unseren Meinungsaustausch, der demnächst fortgesetzt wird, als sehr fruchtbar empfunden.Als Wachstumsziel für die Gemeinschaft als Ganzes ist in Kopenhagen eine Zahl von 41/2 % genannt worden. Ich möchte gern, daß sich hier keine Mißverständnisse einschleichen: Es handelt sich um eine Projektion dessen, was die Gemeinschaft als Ganzes etwa zur Jahresmitte 1979 als dann zu erreichende Jahresrate anstrebt. Ich habe im Rat meinen Zweifel geäußert, ob die zur Erreichung dieses durchaus ehrgeizigen Zieles von allen Partnern zu leistenden notwendigen Beiträge auch tatsächlich geleistet werden können.Die Bundesregierung — das möchte ich deutlich sagen — ist in Kopenhagen jedenfalls keine Verpflichtung zur Erreichung nationaler oder gar unrealistischer nationaler Wachstumsziele eingegangen. Solche Verpflichtungen führen leicht zu unnötigen Enttäuschungen. Wir denken, jeder Mitgliedstaat sollte nach seinen Notwendigkeiten und Möglichkeiten zur Konjunkturbelebung beitragen. • Die unterschiedlichen Ausgangspositionen erfordern unterschiedliche Ansätze und Dosierungen.Für unser Land haben Bundesregierung und Bundestag bereits gegen Ende 1977 mit hauptsächlicher Wirkung in diesem Jahr massiv gehandelt. Erfolge sind sichtbar. Im letzten Vierteljahr 1977 ist unser Bruttosozialprodukt mit einer Jahresrate von 6 % gewachsen. Über das erste Quartal 1978 sind unsere Informationen noch recht lückenhaft. Wir wissen insbesondere auch noch nicht, wie die Unternehmensleitungen auf die Währungsturbulenzen reagiert haben. Obwohl wir also noch etwas warten müssen, bis wir Sicherheit über den Grundtrend der wirtschaftlichen Entwicklung in den ersten drei Monaten dieses Jahres erhalten, vertraue ich auf die Wirkung der 1977 von uns eingeleiteten Maßnahmen. Es geht darum, sie jetzt auch zur vollen Auswirkung gelangen zu lassen.Um die Instrumente zur gemeinschaftlichen Abstützung und Flankierung nationaler Maßnahmen zu verstärken, haben die Regierungschefs beschlossen, das Kapital der Europäischen Investitionsbank zu verdoppeln. Mit dieser Maßnahme wird das verfügbare Investitionskreditvolumen der Europäischen Investitionsbank um etwa 22 Milliarden DM erweitert.Am Rande des Europäischen Rats ist natürlicherweise auch über währungspolitische Fragen gesprochen worden. Bei allen Beteiligten war die Sorge über die Dollarschwäche und die daraus resultierenden Gefahren für die Konjunkturbelebung gemeinsam festzustellen. Wir waren uns einig, daß wir uns auf die Dauer eine solche Unbeständigkeit der Wechselkurse nicht leisten können.Eine wichtige Rolle hat die Energiepolitik gespielt. Der Rat hat betont, daß der Abhängigkeit von Ölimporten durch verstärkte Anstrengungen auf allen Ebenen entgegengewirkt werden muß. Dies, so haben wir festgestellt, gelte für die Staaten der ?Gemeinschaft ebenso wie für die Partner außerhalb der Gemeinschaft. Es ist ganz klar, daß sich dies insbesondere auf unseren wichtigsten Partner bezieht.Dieser Europäische Rat war zugleich der erste Schritt der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zur Vorbereitung einer gemeinsamen Haltung für den Weltwirtschaftsgipfel, der Mitte Juli hier in Bonn stattfinden wird. Dem Abschluß der Vorbereitungen unter den EG-Partnern soll die für den 6. und 7. Juli dieses Jahres in Bremen vorgesehene Tagung des Europäischen Rates dienen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6501
Bundeskanzler SchmidtZu dem Weltwirtschaftsgipfel am 16. und 17. Juli erwarten wir in Bonn die Staats- bzw. Regierungschefs der USA, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens, Japans und Kanadas. Da am 1. Juli die Präsidentschaft im Europäischen Rat turnusmäßig auf die Bundesrepublik Deutschland übergeht, werde ich auf dem Weltwirtschaftsgipfel zugleich die Gemeinschaft — gemeinsam mit dem Kommissionspräsidenten Roy Jenkins — vertreten.Die Bundesregierung möchte darauf hinwirken, daß die Gespräche des Weltwirtschaftsgipfels zu einer engeren Abstimmung des wirtschafts- und des währungspolitischen Vorgehens der Teilnehmer in ,der gegenwärtigen Situation führen. Dies ist auch die Ansicht der übrigen Teilnehmer jenes Gipfeltreffens, das sich bereits in der substantiellen Vorbereitung befindet.Bei diesem Treffen wird gewiß auch eine Reihe weltpolitischer Fragen erörtert werden, zum Teil auch in bilateralen Gesprächen. Der Bundestag weiß, daß wir dem unmittelbar vorangehenden Besuch des amerikanischen Präsidenten in der Bundesrepublik Deutschland hohe Bedeutung beilegen.
Wir haben uns am Rande des Europäischen Rats, vornehmlich unter den Außenministern, auch darüber unterhalten, wie das neue amerikanische Gesetz, das einer Weiterverbreitung von Atomwaffen entgegenwirken soll, die zukünftigen Lieferbedingungen zwischen den Vereinigten Staaten und Euratom — „Euratom" ist auf Grund der historischen Entstehungsgeschichte nur ein anderer Firmenname für die Europäische Gemeinschaft — also der Europäischen Gemeinschaft, auf dem Felde der Lieferung spaltbaren Materials für die friedliche Nutzung der Kernenergie beeinflussen wird.Euratom und die Vereinigten Staaten von Amerika haben 1959 einen Rahmenvertrag abgeschlossen, der u. a. die Grundlage für die Lieferung angereicherten Urans geschaffen hat — 1959. Das am 10. März 1978 in Kraft getretene neue amerikanische Gesetz sieht eine Verschärfung der bestehenden Lieferbedingungen vor, z. B. insofern, als einem Vertragspartner gegenüber, der nicht innerhalb einer inzwischen abgelaufenen Frist von 30 Tagen nach Inkrafttreten dieses Gesetzes seine Bereitschaft zu Neuverhandlungen erklären sollte, Exportgenehmigungen nach jenem amerikanischen Gesetz nicht mehr erteilt werden sollen.Ich will dazu ausführen, daß wir wie auch andere Partner in der Europäischen Gemeinschaft bereit gewesen wären — natürlich bei Wahrung unserer Position in der Sache —, innerhalb jener 30-TageFrist den USA unsere Gesprächsbereitschaft mitzuteilen. Andere Partner innerhalb der Gemeinschaft waren dazu nicht bereit.Bundesminister Genscher hat die in diesem Zusammenhang zu stellenden Fragen bei seinem kürzlichen Besuch in Washington mit der amerikanischen Regierung erörtert.Von uns, übrigens auch von unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft, wird in den Diskussionen über diesen Komplex mit den Vereinigten Staaten das Folgende in den Vordergrund gestellt: Auf dem letzten, auf dem Londoner Weltwirtschaftsgipfeltreffen im Mai 1977 haben die Staats- und Regierungschefs die Einleitung einer internationalen Untersuchung des nuklearen Brennstoffkreislaufes beschlossen, einer Untersuchung, an der sich inzwischen 40 Staaten der Welt beteiligen. Die damals von den USA vom Präsidenten selbst anerkannte Voraussetzung für die Durchführung dieser Untersuchung ist, daß während der Dauer der Untersuchung keine neuen Maßnahmen getroffen werden dürfen, welche laufende Programme und bestehende Abkommen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie gefährden. Ich bin der Überzeugung, daß wir uns unter Berücksichtigung der bereits getroffenen Abmachung über die von mir erwähnte Untersuchung über die prozeduralen Fragen mit der amerikanischen Seite alsbald einigen werden. Wenn ich sage „wir", meine ich hier die Neunergemeinschaft: daß die Gemeinschaft sich mit den Amerikanern darüber bald einigen wird. Es geht hier um Gespräche unter Freunden und Verbündeten. Jedenfalls für uns besteht kein Grund, diese Angelegenheit zu dramatisieren.Das andere wichtige Ereignis war die Tagung des NATO-Rats am Freitag letzter Woche. Die Beratungen im NATO-Rat, wenn ich das hier einflechten darf, sind seit einiger Zeit geprägt von der bei uns und bei unseren Verbündeten wachsenden Besorgnis über gewisse Verschiebungen des militärischen Kräftegleichgewichts zugunsten des Warschauer Pakts in Europa. Solange es nicht gelingt, das notwendige militärische Gleichgewicht durch Maßnahmenn der Rüstungskontrolle — wenn irgend möglich auf einem niedrigeren Niveau als bisher — zu gewährleisten, bleibt das Bündnis darauf angewiesen, durch militärische Anstrengungen im konventionellen, übrigens auch im nuklearen Bereich seine Sicherheit zu gewährleisten. Nur auf diese Weise werden die Regierungen der Mitgliedstaaten des Bündnisses der Verantwortung gerecht, die sie für die Sicherheit ihrer Völker tragen.Diese Einsicht setzt sich keineswegs leichtfertig über den Schrecken hinweg, den jede der Waffen, die dabei notwendig sind, die aus politischer und militärischer Notwendigkeit heraus verfügbar sind, in sich trägt. Wir tun dies mit dem Ziel, unfriedliche Entwicklungen zu verhindern, die dazu führen können, daß diese Waffen zur gemeinsamen Verteidigung tatsächlich eingesetzt werden müssen.Es ist seit anderthalb Jahrzehnten übereinstimmende Auffassung aller Bündnispartner, daß taktische Nuklearwaffen und ihre Modernisierung ein unverzichtbares Mittel sind, um das ansonsten zahlenmäßig überlegene militärische Potential des uns gegenüberstehenden Warschauer Pakts auszugleichen. Die Diskussionen um die sogenannten Neutronenwaffen gehören in diesen Zusammenhang.Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika hat am 7. April seine Entscheidung bekanntgegeben, „die Produktion von Waffen mit gesteigerter Strahlungswirkung aufzuschieben". Die endgültige Entscheidung über die Einführung von Elementen
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6502 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Bundeskanzler Schmidtmit gesteigerter Strahlungswirkung in die modernisierten in Europa vorhandenen Gefechtsfeldwaffen nuklearer Qualität soll erst später erfolgen.Übrigens: Dieser Ausdruck „gesteigerte Strahlenwirkung" ist eine Übersetzung des gängigen amerikanischen Terminus enhanced radiation ins Deutsche. Deswegen werden die bei uns häufig Neutronenbombe oder Neutronenwaffen genannten militärischen Entwicklungen in Amerika auch als E. R. W., Enhanced Radiation Weapons oder Enhanced Radiation Warheads — ER-Waffen —, bezeichnet. Alle diese Bezeichnungen werden nebeneinander gebraucht. Sie meinen alle dasselbe.Die Entscheidung Amerikas, die erst später erfolgen soll, soll durch das Maß beeinflußt werden, in dem die Sowjetunion Zurückhaltung in ihren konventionellen und nuklearen Waffenprogrammen und Streitkräftedislozierungen zeigt, soweit sie die Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika und soweit sie die Sicherheit Westeuropas berühren.Präsident Carter hat gleichzeitig das amerikanische Verteidigungsministerium angewiesen, mit der Modernisierung des Lance- und des 203-mm-Waffensystems fortzufahren. Lance ist eine relativ kurze Strecken abdeckende Rakete. Das 203-mm-Waffensystem ist eine Artilleriekanone der Heeresstreitkräfte.Der Osten hat seit einigen Monaten eine große öffentliche Kampagne gegen die Produktion der ER-Waffen oder Neutronenwaffen und gegen deren mögliche Dislozierung in Europa gerichtet. Zu gleicher Zeit hat der Warschauer Pakt seinerseits neue weiterreichende nukleare Waffensysteme eingeführt.Über die Fragen der sogenannten Neutronenwaffen oder ER-Waffen fanden seit Herbst letzten Jahres im- NATO-Rat, aber auch bilateral, Konsultationen statt. Die Bundesregierung hat dabei von Anfang an den Zusammenhang zwischen den ER-Waffen und den das Kräftegleichgewicht gefährdenden Disparitäten im konventionellen Bereich und in wachsendem Maße im nuklearen Mittelstreckenbereich hier in Europa gesehen. Die Bundesregierung hat deshalb frühzeitig eine rüstungsbegrenzungspolitische Nutzung der Option auf Neutronenwaffen vorgeschlagen.Die wesentlichen Elemente unserer Haltung waren und sind:Erstens. Die Bundesregierung hat sich schon zu Zeiten Bundeskanzler Adenauers feierlich zum Verzicht auf Atomwaffen verpflichtet Wir haben diese Verpflichtung mit unserer Ratifikation des Nichtverbreitungsvertrages bekräftigt. Eine Teilnahme an der Entscheidung eines Kernwaffenstaats über die Produktion z. B. von Neutronenwaffen, über die Produktion von nuklearen Waffen insgesamt würde der Bundesrepublik Deutschland, die kein Kernwaffenstaat ist, entgegen aller bisherigen Praxis eine Mitentscheidung über die Herstellung nuklearer Waffen zuweisen. Deshalb mußte und deshalb muß eine etwaige Produktionsentscheidung eine souveräne Entscheidung der Vereinigten Staaten von Amerika bleiben.
Das war übrigens auch noch niemals anders. Es gibt einige, von denen ich weiß, daß sie es gerne anders haben möchten. Ich möchte zu diesen nicht gehören; ich möchte auch im Verhältnis zu unseren westlichen Freunden und Verbündeten diesen Eindruck nicht zulassen.
Zweitens. Nach einer etwaigen Produktionsentscheidung der USA sollten die sich bietenden Möglichkeiten zu Fortschritten bei Rüstungsbegrenzungsverhandlungen, insbesondere bis zur tatsächlichen Dislozierung der Neutronenwaffe, geprüft und solche Möglichkeiten in Verhandlungen sodann auch tatsächlich genutzt werden.Drittens. Die Bundesregierung hat in den Konsultationen ihre Bereitschaft erklärt, dann die Lagerung von ER-Waffen auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland zuzulassen, wenn nicht innerhalb von zwei Jahren nach amerikanischer Produktionsentscheidung die westliche Seite deshalb auf die Dislozierung verzichtet, weil inzwischen entsprechende Resultate von Rüstungsbegrenzungsverhandlungen vorliegen. Bei diesem letzten Punkt ging die Bundesregierung ausdrücklich davon aus, daß in solchem Fall darüber ein gemeinsamer Beschluß im Bündnis herbeigeführt werden würde. Sie hat gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, daß die Dislozierung von ER-Waffen nicht allein auf deutschem Territorium erfolgen könnte.Die in diesen drei Punkten, die ich Ihnen eben in Kürze zusammengefaßt dargetan habe, festgelegte Haltung hat die Bundesregierung frühzeitig formuliert, vor vielen Monaten, und sie hat daran bis heute festgehalten. Es gibt für mich keinen ersichtlichen Grund, diese Position zu verändern. Ich möchte betonen, daß sich die Bundesregierung bei ihrer Haltung zu den Fragen der rüstungsbegrenzungspolitischen Nutzung und bei den Fragen der Dislozierung von ER-Waffen grundsätzlich von der Erwägung leiten ließ, daß es sich hierbei um politische Entscheidungen des ganzen Bündnisses handeln muß.An den Beratungen haben wir uns sowohl bilateral mit den Amerikanern und Engländern als auch natürlich und vor allem multilateral in den Gremien des Bündnisses intensiv beteiligt. Unser NATO-Botschafter hat eindeutige Weisungen ausgeführt, wie auch die übrigen hohen Repräsentanten dieses Staates einschließlich des Außenministers und des Bundeskanzlers in diesen Punkten sehr eindeutig waren, gegenwärtig sind und bleiben werden.Bevor die laufenden Bündniskonsultationen über die Neutronenwaffen, über die ER-Waffen zu einem abschließenden Ergebnis gekommen waren, hat der amerikanische Präsident erkennen lassen, daß er die Frage der Produktionsentscheidung einer nochmaligen Prüfung unterziehen wolle. Ich selbst habe in einem Gespräch mit unseren amerikanischen Freunden am 31. März in Hamburg unsere unveränderte Situation vorgetragen, und ebenso hat Bundesminister Genscher sie am 4. April in Washing-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6503
Bundeskanzler Schmidtton so dargelegt, wie eben referiert. So viel zum Hergang.Nun ein Wort zur Bewertung. Die vom amerikanischen Präsidenten am 7. April getroffene Entscheidung hält Produktion, Einführung und Dislozierung von ER-Waffen in der Schwebe. Sie hält die Möglichkeiten einer abrüstungspolitischen oder besser gesagt: einer rüstungsbegrenzungspolitischen Nutzung der Neutronenwaffenoption bewußt und absichtlich offen. Sie schließt unabhängig davon eine weitere Modernisierung der hier vorhandenen nuklearen Waffen ein.Die Bundesregierung begrüßt diesen Beitrag des amerikanischen Präsidenten zur Politik der Rüstungsbegrenzung auf der Welt.
Die Bundesregierung teilt im übrigen die Auffassung Präsident Carters, daß die technologischen Möglichkeiten des Westens auch weiterhin erhalten und daß sie beim Ausgleich der in Europa bestehenden Disparitäten zwischen Ost und West optimal genutzt werden müssen. Wir können mit Genugtuung feststellen, daß sich auch in dieser schwierigen Frage, in diesem Komplex von Fragen Dialog und Konsultation im Bündnis bewährt haben.Ich sagte Ihnen vorhin: auf einigen Gebieten macht uns die Zunahme der zahlenmäßigen Überlegenheit des Warschauer Pakts besorgt. Dies gilt für den Vorsprung bei der Zahl der Panzer wie auch für den Ausbau und die Verbesserung sowjetischer Mittelstreckenraketen und Mittelstreckenflugzeuge. Man muß auf der Seite der Warschauer-Pakt-Staaten zur Kenntnis nehmen, daß eine Übersteigerung ihres eigenen Sicherheitsstrebens zur Verunsicherung auf unserer Seite führen kann. Der Westen kann nicht bereit sein, sich mit dem bestehenden unbefriedigenden Zustand abzufinden.
Deshalb beteiligt sich die Bundesregierung im Rahmen der gemeinsamen Position der Allianz aktiv und initiativ an den Wiener MBFR-Verhandlungen. Sie hat im Juli vorigen Jahres eine NATO-Initiative zu MBFR angeregt, die der Intensität des westlichen Eintretens für die Verwirklichung der beiden Kernelemente von MBFR, nämlich Parität • und Kollektivität, entspricht. Diese Initiative wird in Wien in diesen Tagen gemeinsam durch die westlichen Partner und uns eingebracht werden.Ebenso sind die SALT-Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion nach unserer Auffassung ein wichtiger Beitrag zur politischen Stabilisierung des Ost-West-Verhältnisses. Schließlich und endlich müssen ja der Entspannungsprozeß und der Entspannungswille auch im Verhältnis der militärischen Kräftepotentiale zum Ausdruck gebracht werden, insbesondere wenn sie dauerhaft vorherrschen sollen.
Die Bundesregierung sieht in SALT eine Chance, im Wege eines fortlaufenden Prozesses eine Eindämmung der beiderseitigen Rüstungsanstrengungen der beiden Weltmächte zu erreichen. SALT berührt übrigens durch die Ausweitung der Verhandlungsgegenstände in zunehmendem Maße auch die direkten Sicherheitsbelange Europas. Wir vertrauen darauf, daß die europäischen Sicherheitsinteressen bei SALT gewahrt bleiben, und bauen darauf, daß sie durch enge Konsultationen mit den Vereinigten Staaten von Amerika gesichert werden. Wir halten es in dem Zusammenhang für wichtig, daß die im Mittelstreckenbereich bestehenden Disparitäten bei jenen Verhandlungen berücksichtigt werden.Die Diskussion um Abrüstung, Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle findet in diesem Jahr nicht allein in SALT und nicht allein bei MBFR statt, sondern sie wird auch von einer Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen über Abrüstung mitbestimmt, die für das späte Frühjahr nach New York einberufen ist. Diese Sondergeneralversammlung über Abrüstung steht in starkem Maße- im Zeichen der Dritten Welt, die 1976 in Colombo die Initiative dafür ergriffen hat. Die Bundesregierung hat diese Initiative der Dritten Welt von Anfang an unterstützt. Wir hoffen,, daß die Sondergeneralversammlung wichtige Beiträge in Richtung auf eine weltweite Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Abrüstung erbringen kann. Wir wollen dort einen konstruktiven Beitrag zum Gelingen dieser Sondergeneralversammlung leisten. Ich werde deshalb Ende Mai vor der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen die Haltung der Bundesrepublik Deutschland zur Abrüstung und zur Rüstungskontrolle im einzelnen darlegen.
Der Entschluß Präsident Carters, die Entscheidung über die Produktion von Neutronenwaffen aufzuschieben, kann neue Ansatzpunkte für die einvernehmliche Stabilisierung des Kräfteverhältnisses zwischen NATO und Warschauer Pakt mit dem Ziele gleicher Sicherheit schaffen. Es ist ein Signal für die Gegenseite, ihrerseits Bereitschaft zum Abbau oder zur Begrenzung ihres wachsenden Potentials zu zeigen.Wir erwarten hier in Bonn in wenigen Wochen das sowjetische Staatsoberhaupt, Generalsekretär Breschnew, zu einem offiziellen Besuch. Ich freue mich darüber, daß dieser im Prinzip seit langem vereinbarte Besuch nunmehr verwirklicht werden kann. Ich betrachte den Besuch des sowjetischen Staatsoberhauptes als eine Bestätigung für meine Überzeugung, daß auch die Sowjetunion der Gestaltung der deutsch-sowjetischen Beziehungen eine große Bedeutung beimißt. Ich erwarte mir einen konstruktiven Meinungsaustausch nicht nur über unsere bilateralen Beziehungen, sondern auch über die Fragen der europäischen Entspannungspolitik und über aktuelle Probleme der Weltpolitik überhaupt. Ich habe die Zuversicht, daß ein solcher Meinungsaustausch dazu beitragen wird, den beiderseitigen Willen zur Fortsetzung der Entspannungspolitik zu dokumentieren und das gegenseitige Verständnis zu fördern.
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6504 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Bundeskanzler SchmidtIn dem Augenblick, in dem wir hier miteinander sprechen, geht der Besuch des tschechoslowakischen Präsidenten, des Generalsekretärs Dr. Husak, in der Bundesrepublik Deutschland zu Ende. Ich habe in eingehenden Gesprächen den persönlichen Dialog mit Dr. Husak fortsetzen können, den wir vor drei Jahren gelegentlich der Schlußkonferenz in Helsinki begonnen haben. In seinen Gesprächen mit dem Bundespräsidenten, dem Außenminister, mit anderen, mit mir ist insgesamt die Entschlossenheit beider Seiten erkennbar geworden, den 1973 mit dem Vertrage eingeschlagenen Weg einer Ausweitung und Intensivierung der bilateralen Beziehungen konsequent fortzusetzen. Die von Präsident Husak und von mir unterzeichnete gemeinsame Erklärung und das von den beiden Außenministern unterzeichnete Kulturabkommen sind sichtbarer Ausdruck unseres gemeinsamen Bestrebens, gutnachbarliche Beziehungen zwischen unseren Staaten herzustellen.
Zum Schluß: Ich begrüße den Entschließungsantrag, der von den Fraktionen der SPD und der FDP vorgelegt worden ist. Ich halte ihn für eine wertvolle Bekräftigung und Unterstützung der Haltung, welche die Bundesregierung eingenommen hat und welche sie weiterhin vertreten wird.Der Entschließungsantrag der Opposition dagegen vereinfacht, er simplifiziert komplexe Problemstellungen
in einer für die Wahrung unserer Sicherheitsinteressen unzulässigen Weise.
Die Formulierung, der Wortlaut des Entschließungsantrages der Opposition verfälscht im übrigen die Entscheidungen des Bundeskabinetts und des Bundessicherheitsrates.
Das letztere ist den Verfassern auch durchaus bekannt.
Besonders vermisse ich bei diesem Entschließungsantrag vollständig jegliche rüstungsbegrenzungspolitische Zielsetzung.
Die rüstungsbegrenzungspolitische Zielsetzung ist nun aber gerade der Kern der von Präsident Carter getroffenen Entscheidung. Idh kann keinen Sinn darin erkennen, unser Parlament in erklärten Gegensatz zur Politik unseres wichtigsten Verbündeten setzen zu wollen.
Ich muß, Herr Präsident, in diesem Zusammenhang die Betroffenheit und die Sorge erwähnen, welche der Wortlaut von Ausführungen des Abgeordneten Strauß in einem Interview in der „Welt" in mir hervorgerufen hat; die gleichen Ausfälle sind ja jetzt im „Bayernkurier" erneut verbreitet worden. Wer es fertigbringt, in einem einzigen Satz zwei Staatsoberhäupter, die der USA und der Sowjetunion, zu verunglimpfen, und wer dann schließlich das Verhalten der Bundesregierung als „verlogen" bezeichnen läßt, der verliert den Anspruch, als Gesprächspartner für seriös gehalten zu werden.
Das gilt sowohl hier im Parlament als auch für die Außenpolitik. Er verletzt deutsche Interessen.
Solch maßloser Polemik fehlt jegliche sachliche Berechtigung.
Die deutsch-amerikanische Freundschaft ist so fest verankert, daß ihr tagespolitische Meinungsverschiedenheiten, zu denen es bei bester Zusammenarbeit immer auch wieder kommen kann, nichts anhaben können.
Ich habe jüngst hier festgestellt: Das Fundament unserer Freundschaft sind die geschichtlichen, die geistesgeschichtlichen und die menschlichen Bindungen sowie die weitgehende Identität unserer politischen und sozialen Wertvorstellungen. Daraus ergibt sich: Der deutsch-amerikanische Konsensus ist breit und tief fundiert; er ist nicht zu erschüttern. Er ist ein Element der politischen Stabilität, mit dem die Welt fest rechnet und mit dem sie rechnen kann.
Gute deutschamerikanische Beziehungen waren und bleiben eine der wichtigsten Grundlagen unserer Existenz als eines freien Gemeinwesens. Das gilt auch für Berlin.
Diese Freundschaft vor leichtfertiger Beeinträchtigung zu schützen, halte ich seit Jahrzehnten für meine Aufgabe. Dies ist ebenso die Haltung der Bundesregierung. Auch die Opposition sollte diese Einschätzung nicht gefährden, sondern sie gemeinsam mit uns beherzigen. - Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers, die wir soeben hör-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6505
Dr. Kohlten, brachte im wesentlichen einen Überblick und eine Sammlung über viele längst bekannte Vorgänge der letzten Monate. Der Beifall, den Sie fanden, Herr Bundeskanzler, war ja auch bemerkenswert: Ihre eigene Fraktion hat nur dort geklatscht, wo Sie den politischen Gegner beschimpft haben. Zur Sache war nichts weiter von Ihrer Seite zu erwarten.
Herr Bundeskanzler, man gewinnt den Eindruck, daß die Aufzählung vieler längst bekannter Ereignisse — zum Teil ohne jede Wertung — vor allem den Zweck hat, vom eigentlichen Thema dieser heutigen Debatte abzulenken, von dem Thema Neutronenwaffe, von dem Thema Verhalten der Bundesregierung im Zusammenhang mit den deutschamerikanischen Beziehungen in den letzten Monaten. Ich will mich deswegen diesem Thema zuwenden, weil dies das Thema ist, das unsere Mitbürger bewegt und das auch aus gutem Grunde — dieser Grund liegt vor allem in Ihrer Politik, Herr Bundeskanzler — im Ausland enorme Bedeutung gewonnen hat.Herr Bundeskanzler, es ist Ihre Aufgabe, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden. Ihre Regierungserklärung hat bewiesen, daß es Ihnen im Augenblick zunächst nur noch darum geht, bereits angerichteten Schaden einzugrenzen. Ihre Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, kommt zu spät, denn in diesem Hause wurde im zurückliegenden Jahr immer wieder über AuBen- und Sicherheitspolitik diskutiert. In diesen Debatten fand sich auch immer die Neutronenwaffe im Mittelpunkt des Geschehens. Es wäre für die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland gut gewesen, wenn Sie in diesen Monaten klar und deutlich und mutig und mannhaft Ihre Haltung und die Haltung Ihrer Regierung deutlich gemacht hätten.
Sie haben geschwiegen, Herr Bundeskanzler — nicht aus jenen Gründen, die Sie heute hier vorgetragen, sondern wegen des inneren Zustandes Ihrer eigenen Partei, der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
— Herr Kollege Wehner, Sie wissen doch so gut wie ich: Sie haben geschwiegen, wie auch in anderen wichtigen Fragen — wir beraten heute noch abschließend die Gesetzgebung zum Terrorismus —, weil Sie Angst um den Machterhalt und Angst vor den Linken in der eigenen Partei haben müssen.
Herr Bundeskanzler, was muten Sie uns eigentlich zu, wenn Sie uns in Ihrem Schlußappell zur hier vorgelegten Resolution der CDU/CSU bezichtigen, die deutschen Interessen nicht hinreichend zu vertreten?
Herr Bundeskanzler, hätten Sie in den letzten Monaten mehr Mut bewiesen, wäre es dem amerikanischen Präsidenten Carter leichter gefallen, die notwendige Entscheidung zu treffen.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben auch in Ihrer Funktion als stellvertretender Vorsitzender der SPD
jenen in Ihrer Partei das Wort überlassen, die schon nach der ersten Diskussion in der amerikanischen Presse die Neutronenwaffe zu einem Gegenstand öffentlicher Polemik in der deutschen Innenpolitik gemacht haben. Sie tragen damit Mitverantwortung dafür, daß die Diskussion über die Neutronenwaffe eine Dimension erhielt, die weder dem Gegenstand angemessen noch dem Atlantischen Bündnis und den amerikanisch-deutschen Beziehungen im besonderen dienlich sein konnte.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie es heute für erforderlich gehalten haben, die Notwendigkeit einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten zu unterstreichen, so sagt dies mehr über den tatsächlichen Zustand der deutschamerikanischen Beziehungen aus, als Sie der deutschen Offentlichkeit glauben machen wollen. Auch die Aktivität, der Verleumdungsfeldzug aus den Reihen der Sozialdemokratischen Partei gegen die Opposition können über diese Tatbestände nicht hinwegtäuschen. Meine Damen und Herren, denjenigen, der die jüngste deutsche Geschichte miterlebt und mitgestaltet hat, berührt es mehr als eigenartig, wenn gerade Sie von der SPD CDU und CSU des Antiamerikanismus bezichtigen wollen. Das nimmt Ihnen nicht ein einziger in der deutschen Offentlichkeit ab. Sie wissen selbst, wie töricht dieser Vorwurf ist.
— Ich komme noch darauf, Herr Kollege Wehner, obwohl Sie beim Begriff des Zaren viel mehr Assoziationen verspüren müßten als ich.
Herr Kollege Wehner, zu einer Zeit, als Sie in der Antiatomtddkampagne die Straße mobilisierten,
in einer Zeit, als Sie nationalistische Gefühle hochpeitschten, sind CDU und CSU unter der Führung Konrad Adenauers für das Bündnis, für die Partnerschaft, für die Freundschaft mit den Vereinigten Staaten eingetreten. Den Nachholbedarf vor der deutschen Geschichte haben Sie und nicht wir.
Wir haben unsere Freundschaft und Bündnistreue zu den Vereinigten Staaten in einer Zeit unser Beweis gestellt, als Sie noch in heftigster Weise gegen die Politik der Westintegration, gegen den Eintritt in die Atlantische Allianz kämpften. Aber nicht nur zu diesem Zeitpunkt, sondern noch in den letzten Jahren haben Sie doch aus dem Antiamerikanismus billiges politisches Kapital schlagen wollen. Ich
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Dr. Kohldenke beispielsweise an das Verhalten führender Repräsentanten Ihrer Partei während des Vietnamkrieges. Damals waren es doch Sie von der SPD, die die Diffamierungskampagne gegen die amerikanische Politik in der Bundesrepublik tatkräftig unterstützt haben.
— Herr Kollege Wehner, wenn es um die Erfindung von Legenden geht, sind Sie unbestreitbar der Meister dieses Hauses.
Warum soll ich mich in einer solchen Lage mit Ihnen messen wollen? Die Tatsache, daß Sie heute wieder so unentwegt auf Ihre Weise in die Debatte eingreifen, zeigt doch, wie unbequem Ihnen das Thema ist, das wir gegenwärtig behandeln.
Herr Bundeskanzler, dazu noch ein offenes Wort. Wenn Sie in diesem Zusammenhang in der Ihnen eigenen Weise hier wieder öffentlich Rügen erteilen und andere abkanzeln, muß ich Sie fragen: Was denken Sie sich eigentlich, wenn Sie solche Äußerungen mit diesem Pathos wie eben gegenüber Franz Josef Strauß vortragen?
Herr Bundeskanzler, lesen Sie eigentlich oder lassen Sie wenigstens deutsche und internationale Zeitungen lesen? Lesen Sie doch bitte die neueste Nummer der „Time". Dort werden Sie all das aufgelistet finden, was in den Vereinigten Staaten über Ihre Unfreundlichkeiten gegenüber dem amerikanischen Präsidenten und der amerikanischen Administration berichtet wird.
Es ist doch schon ganz erstaunlich, wenn ein Mann wie der Bundeskanzler Helmut Schmidt, der sich ohne jede Not in den amerikanischen Wahlkampf einmischte, hier andere rügt,
ein Mann, der schon vor der Entscheidung der amerikanischen Wähler den Amerikanern signalisierte, welchen Präsidenten er haben möchte,
der bei jeder nur denkbaren Gelegenheit im Inland und Ausland in Wort und Schrift — schauen Sie doch einmal Ihre gesammelte Briefsammlung in diesem Zusammenhang an, Herr Bundeskanzler — unseren Partnern mitteilt, was er, der Meister aller Dinge, dazu zu sagen hat. Herr Bundeskanzler, wenn Sie dann kommen und andere rügen, ist das weder überzeugend noch glaubwürdig. Ich bin dafür, daß Sie Ihren für unsere deutschen Interessen dringend erforderlichen Beitrag zur Bereinigung auch mancher persönlichen Auseinandersetzung im Ausland. leisten. Überlassen Sie es anderen, ihrerseits dasselbe zu tun. Das ist das, was in diesem Zusammenhang zu sagen ist.
— Herr Kollege Wehner, ich bin Ihnen für den Zwischenruf dankbar.
Herr Kollege Wehner, Franz Josef Strauß hat für die deutsch-amerikanische Freundschaft schon gekämpft, als Sie sich noch sehr überlegten, wie Sie die Dinge steuern wollen. Auch das gehört in diesen Zusammenhang.
Es ist unter Freunden nicht nur möglich, sondern gelegentlich nötig, Meinungsverschiedenheiten auszutragen. Das ist im privaten Leben nicht anders als im Leben der Völker. Nur, Herr Bundeskanzler, in Ihrer Amtszeit haben diese Auseinandersetzungen drastisch zugenommen: vom Brasilien-Abkommen angefangen über die Menschenrechtsfrage bis hin zu den währungs- und sicherheitspolitischen Differenzen unserer Tage.Wir, die CDU/CSU, als Opposition haben nie gezögert, Ihnen und der Bundesregierung in wichtigen Fragen, die auch die nationale Gemeinsamkeit berühren, auch gegenüber der amerikanischen Regierung Unterstützung zu geben, wenn es darum ging, zentrale deutsche Interessen wie die Nuklearversorgung oder den Brasilien-Vertrag entscheidend zu unterstützen. Wir haben dabei nie einen Zweifel aufkommen lassen, daß die Freundschaft und die enge Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten als Grundlage unserer Außen- und Sicherheitspolitik unverzichtbar bleiben. Daran werden wir wie in der Vergangenheit auch in Zukunft jede Entscheidung Ihrer Regierung im Verhältnis zu den USA und in der Gesamtpolitik messen. Wer die Freundschaft und die Partnerschaft zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten in Frage stellt, gefährdet die wichtigsten Fundamente unserer Freiheit und die Sicherheit nicht nur der Bundesrepublik, sondern auch des ganzen freien Europas.
Freundschaft und Partnerschaft sind aber im Verhältnis zweier Staaten keine schlichte Selbstverständlichkeit. Auch und gerade freundschaftlich partnerschaftliche Beziehungen bedürfen der Pflege und der gegenseitigen Aufmerksamkeit.Sie, Herr Bundeskanzler, und Ihre Partei, die SPD, müssen sich angesichts der aktuellen Belastung der deutschamerikanischen Beziehungen nach Ihrer auch sehr persönlichen Verantwortung für diese Entwicklung fragen lassen. Es ist die Frage zu stellen: Wo bleibt Ihr Konzept für die Stabilisierung und Fortentwicklung des Atlantischen Bündnisses?Die Diskussion um die Neutronenwaffe beinhaltet doch mehr als die Auseinandersetzung um ein einzelnes Waffensystem. Sie berührt im Kern den Inhalt unserer gemeinsamen Verteidigungsstrategie.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6507
Dr. KohlDer Schaden, den die Herren Brandt, Bahr und andere führende Mitglieder Ihrer Partei, Herr Bundeskanzler, mit ihrer Irreführung der Offentlichkeit über die Neutronenwaffe verursacht haben, •
liegt doch gerade darin, daß sie letztlich mit dieser Diskussion eine verantwortungsbewußte, nüchterne Entscheidung verhindert haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das klar auch für meine Fraktion aussprechen:
Wir haben durchaus Respekt vor denen, die die Diskussion über die Neutronenwaffe zum Anlaß genommen haben, um sich die unmenschliche Vernichtungswirkung aller Kernwaffen erneut bewußtzumachen und nach Auswegen suchen. Wir nehmen die Frage der Abrüstung und der Rüstungskontrolle, Herr Bundeskanzler, sehr ernst.
Wovor ich keinen Respekt habe, ist die Haltung führender Politiker der Sozialdemokratie, die seit Jahr und Tag die Politik der atomaren Abschreckung als die Grundlage militärischer Sicherheit im Ost-West-Verhältnis bejaht und öffentlich vertreten haben und hier jetzt im Zusammenhang mit der Diskussion um die Neutronenwaffe plötzlich erklären, hier würden die menschlichen Werte auf den Kopf gestellt. Meine Damen und Herren, wer dies als Politiker tut, führt die Offentlichkeit wider besseres Wissen in die Irre.
Obwohl Sie dies alles wußten, Herr Bundeskanzler, haben Sie beredt dazu geschwiegen. Es ist zu spät, wenn Sie erst heute auf den Zusammenhang mit den wachsenden Ungleichgewichten im Kräfteverhältnis in Mitteleuropa hinweisen. Die Kampagne Ihrer Partei, der SPD, unter Anführung von Brandt und Bahr hat dazu geführt, daß der Westen möglicherweise auf eine wirkungsvolle Verstärkung seines Abschreckungspotentials gegenüber der konventionellen Überlegenheit des Warschauer Paktsverzichten muß.Gerade Sie, Herr Bundeskanzler, als langjähriger Verteidigungsminister wissen dies ganz genau. Ihre Ausführungen hätten diesen Schaden für unsere Sicherheitsinteressen verhindern können, wenn Sie mit uns gemeinsam — hier gibt es die Notwendigkeit der Gemeinsamkeit der Demokraten zur Verteidigung der Freiheit in Deutschland — dies in den letzten Monaten mit Mut und Entschiedenheit getan hätten.
Mit Recht verweisen Sie heute auf das Kommuniqué der Ministertagung des Verteidigungsplanungsausschusses vom 6./7. Dezember des letzten Jahres in Brüssel. Dort wird unmißverständlich darauf verwiesen, welche Bedrohung von der militärischen Schlagkraft des Warschauer Pakts ausgeht. Ich darf zitieren:In diesem Zusammenhang zeigten sich die Minister besorgt über das unverminderte Tempo der Rüstungsanstrengungen des Warschauer Pakts ...Sie stellten fest, daß die militärische Schlagkraft der Streitkräfte des Warschauer Pakts weit 'über das zur Verteidigung erforderliche angemessene Maß hinaus verstärkt wird ...Die Minister äußerten ihre Besorgnis darüber, daß die Lücke in der konventionellen Schlagkraft zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt nach wie vor wächst.Herr Bundeskanzler, warum haben Sie dieses Zitat heute nicht in Ihre Regierungserklärung aufgenommen?Ein Weiteres: Kann ich davon ausgehen, daß Sie während des Besuches von Herrn Breschnew auch über diese Fragen mit ihm sprechen werden?Am 15. September 1977, wiederum nur vor wenigen Monaten, hat der amerikanische Verteidigungsminister Brown in diesem Zusammenhang auch eine interessante Erklärung abgegeben. Er sagte:Jedenfalls hält der Sowjetblock seine Kapazitätfür einen Großangriff auf Westeuropa bei undist weiterhin bestrebt, sie zu verbessern . . Wir können die Möglichkeit nicht ausschließen, daß die mächtigen Streitkräfte des Paktes, die in Osteuropa bereits aufgestellt sind, ohne Verstärkung und nahezu ohne taktische Warnung mitten in einer Ost-West-Krise angreifen.Kein Geringerer als der amerikanische Präsident Carter hat diese Einschätzung der Lage in einer sehr wichtigen Rede vor der Wake-Forest-Universität am 17. März — wiederum vor wenigen Tagen — aufgenommen. Carter sagte:Diese Truppen könnten zur politischen Erpressung benutzt werden und unsere lebenswichtigen Interessen bedrohen, sofern wir und unsere verbündeten Freunde nicht unsere eigene konventionelle Stärke als Gegengewicht verfügbar haben.Präsident Carter sprach dabei ausdrücklich von der Notwendigkeit, „konventionelle und nukleare Streitkräfte miteinander verbinden, damit kein Aggressor das Territorium der Freiheit bedrohen kann".Dies allein, meine Damen und Herren — und gar nichts anderes —, ist der Zusammenhang, in dem die Frage der Neutronenwaffe entschieden werden muß.Ich darf Sie selbst, Herr Bundeskanzler, zitieren. Sie sprachen — wiederum vor wenigen Monaten — im Oktober des vergangenen Jahres in einer bemerkenswerten Rede in London „von der wachsenden Bedeutung der Disparitäten auf nukleartaktischem und konventionellem Gebiet zwischen Ost und West". Meine Damen und Herren von der SPD- und FDP-Fraktion: Warum haben Sie dieses Zitat Ihres Regierungschefs nicht in Ihren Entschließungsantrag aufgenommen? Das ist doch eine ganz andere Sprache. Diese Sprache muß von Ihnen hier im
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6508 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Dr. KohlBundestag und nicht nur auf einer Konferenz in London gesprochen werden!
Herr Bundeskanzler, Sie selbst haben im Zusammenhang mit diesen Ausführungen, die ich zitierte, die Neutronenwaffe ausdrücklich in diesen Zusammenhang gestellt. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, können dieser Einschätzung voll zustimmen. Wir werfen Ihnen aber vor, daß Sie es trotz besserer Einsicht unterlassen haben, gegen die öffentliche Kampagne Ihrer eigenen Partei, der SPD, einzuschreiten. Ihr Schweigen war unverantwortlich. Es hat unseren nationalen Sicherheitsinteressen geschadet, weil es dem Präsidenten der Vereinigten Staaten die Beurteilung der Haltung der europäischen Verbündeten — hier vor allem der Bundesrepublik — nachteilig erschwert hat.
Lassen Sie mich noch ein Zitat, das im amerikanischen Senat gerade in diesen Tagen zunehmend an Bedeutung gewinnt, zitieren. Wie dringend der amerikanische Präsident auf klare europäische Meinungen und Stellungnahmen angewiesen war und ist, zeigt die Stimme des Verteidigungsexperten im amerikanischen Senat, des Senators Sam Nunn, der doch sehr zu Recht erklärt hat:Wir haben keine Verwendung für diese Waffe im Pazifik oder anderswo, außer in Westdeutschland. Wenn wir die Waffe nicht in Deutschland für die NATO bereithalten können, haben wir überhaupt keinen Grund, sie herzustellen. Präsident Carter hat völlig recht: Warum sollen wir etwas bauen, wenn wir es nicht gebrauchen können?Wer sich gegen diese Waffe entscheidet, der gibt uns das Signal, daß unsere NATO-Verbündeten sich gegen die Modernisierung unserer atomaren Abschreckung sträuben.Senator Nunn ist heute ein Mann, der im Zusammenhang mit unserem Thema für die Schlußentscheidung von größter Bedeutung ist.
Herr Bundeskanzler, hätten Sie klar gesprochen, hätten Sie die Linken in Ihrer eigenen Partei, einschließlich des Parteivorsitzenden Willy Brandt, in ihre Schranken gewiesen, dann hätten Sie — mit einer breiten Unterstützung der Bürger der Bundesrepublik Deutschland — im Sinne der Aufforderung des Senators Nunn gehandelt.
Herr Bundeskanzler, unmittelbar nach Ihrer Rückkehr aus den Vereinigten Staaten im Juli des vergangenen Jahres — das war doch kein Zufall — hat der Bundesgeschäftsführer der SPD, Herr Egon Bahr, im Zentralorgan der SPD, im „Vorwärts", die Neutronenbombe als Symbol der Perversion des Denkens bezeichnet.
Meine Damen und Herren, er hat diese Meinungauf dem SPD-Parteitag in Hamburg im Novemberbekräftigt. Sie, Herr Bundeskanzler, haben zu alldem geschwiegen. Sie haben zugelassen, daß der gleiche Herr Bahr der Opposition Gier nach Atomwaffen vorgeworfen hat.
Meine Damen und Herren, dieser ungeheuerliche Vorwurf beweist doch nur eines: daß es den maßgeblichen Repräsentanten der SPD überhaupt nicht mehr daran gelegen ist, in so zentralen Fragen der nationalen Existenz, der Verteidigung der Freiheit ein Gespräch zwischen demokratischen Parteien zu ermöglichen. Sie wollen Brücken zerstören.
Herr Bundeskanzler, hier drängt sich natürlich noch eine andere Frage auf. Angesichts Ihrer Minimehrheit, angesichts der Tatsache, daß Sie jede Stimme in monatelangem Bemühen zusammenbringen müssen, um dann triumphierend zu sagen: „Ich bin noch einmal davongekommen", sollten Sie sich doch einmal fragen, ob das, was Bahr, Brandt und andere getan haben, was als ein Stoß gegen die Opposition erscheint, nicht letztlich ein Stoß gegen Sie und Ihre Politik ist. Denn es gibt doch zwischen diesen Politiken offensichtlich gar keine Gemeinsamkeit mehr. Die einzige Gemeinsamkeit, die Sie noch demonstrieren — heute mittag wieder —, ist doch, dranzubleiben. Das ist die Gemeinsamkeit, in der Sie sich wirklich einig sind.
Sie wissen doch so gut wie ich, daß das Tun der Herren Brandt, Bahr und anderer der Bundesrepublik Deutschland, dem Bündnis und der deutschamerikanischen Freundschaft überhaupt nichts nützt. Es hat in Wahrheit nur der Sowjetunion und ihren Verbündeten genützt. Es kann auch niemand überraschen, daß die Sowjetunion sehr rasch die Kampagne aus der SPD gegen die Neutronenwaffe für ihre eigenen Interessen einsetzt, und zwar weltweit. Die Sowjetunion ist sich natürlich längst der Bedeutung taktischer Kernwaffen für die westliche Allianz bewußt. Es liegt ausschließlich im sowjetischen Interesse, diesen Bestandteil der westlichen Abschrekkung auszuschalten. Moskau weiß sehr genau, daß die Neutronenwaffe ein außerordentlich wirksames Mittel gegen die massierte, gänzlich unbestrittene sowjetische Panzerüberlegenheit sein kann. Genau-sowenig haben die Sowjets ein Interesse daran, ihr eigenes Potential an Mittelstreckenraketen vom Typ SS 20, das zentral auf Mitteleuropa, auf uns, gerichtet ist, in eine Abrüstungsdiskussion einzubeziehen. Es konnte deshalb — Sie können es doch nachlesen — für die weltweite Kampagne der Sowjetunion gegen die Neutronenwaffe keinen willkommeneren Kronzeugen geben als den Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei und Vorsitzenden der Sozialistischen Internationale, Willy Brandt,
als den Architekten der Ostpolitik der Regierungskoalition, Egon Bahr.Zu alledem haben Sie, Herr Bundeskanzler, geschwiegen,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6509
Dr. Kohlobwohl doch all dies die Glaubwürdigkeit Ihrer eigenen Politik in Zweifel zieht. Ja, Sie sind sogar in einer Lage, in der Sie sich hier in einer Pflichtübung von eigenen Überlegungen, die Sie doch im Zusammenhang mit der Neutronenwaffe angestellt haben und die nicht falsch, sondern richtig sind und die unsere Unterstützung finden, öffentlich distanzieren müssen.
Sie haben dazu geschwiegen, als die sowjetische Presse damit begann, den Vizekanzler, Ihren Koalitionspartner und Außenminister, im Zusammenhang mit der Diskussion um die Neutronenwaffe zu beschimpfen. Sie haben geschwiegen, obwohl Sie doch damit rechnen mußten, daß die Sowjetunion nach all den Erfahrungen, die wir gemacht haben, die deutsch-amerikanischen Schwierigkeiten als Schwäche und für sich als Chance zu weiterem Handeln nutzen wird.Meine Damen und Herren, es war allein die CDU/ CSU, die mehrfach im Bundestag und in einer einstimmigen Erklärung der Fraktion am 21. Februar dieses Jahres eine klare, eindeutige Position zur Neutronenwaffe als Element sowohl der Abschrekkung als auch der Friedenssicherung bezogen hat.Sie, Herr Bundeskanzler, verstecken sich heute in Ihrer Regierungserklärung hinter der Formel — und es wird auch noch Konrad Adenauer bemüht —, nur der amerikanische Präsident könne über die Produktion entscheiden. Kennen Sie eigentlich jemanden hier in diesem Hause, der diesen Tatbestand in Zweifel gezogen hat? Führende Mitglieder Ihrer Partei haben doch in diesen Monaten immer in einer Weise lauthals gegen diese Waffe polemisiert, als läge die Entscheidung in Europa.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Warum haben Sie geschwiegen? Ich will Ihnen die Antwort geben, in jener Form, aus jenem Blatt, 'das Sie hier so gerne zitieren: weil — so hat „Die Zeit" geschrieben — „Sie Angst vor den Linken hatten" .
Das war- doch jedem klar und nicht zuletzt Ihnen und dem Außenminister, daß diese ganze Kampagne auch auf die recht schwierige öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten nicht ohne Wirkung war. Präsident Carter stand von Anfang an vor einer schwierigen Entscheidung mit weitreichenden Folgen. Die europäischen Bündnispartner und Sie an der Spitze haben ihn bei dieser Entscheidung in der Offentlichkeit weitgehend im Stich gelassen. Sie haben damit die Entscheidungsfindung erschwert, obwohl hier nicht nur amerikanische, sondern in gleichem, vielleicht sogar noch in stärkerem Maße nationale Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland berührt sind. Dies war die der Offentlichkeit bekannte Lage bis zur vergangenen Woche.Als sich die Nachrichten verdichteten, Präsident Carter wolle auf die Produktion der Neutronenwaffe verzichten, brach innerhalb der Bundesregierung eine große Hektik aus. Wir wurden jetzt auch informiert und in den Stand gesetzt, wenigstens einige der Überlegungen nachzuvollziehen. Das alles wurde verständlicherweise mit dem Hinweis gesagt, daß diese Tatsachen streng geheim seien. Ich kann dennoch darüber reden, weil das, was als streng geheim erklärt wurde, in den letzten Tagen fast alles in nationalen oder internationalen Presseorganen nachzulesen war. Nach diesen Berichten, meine Damen und Herren, soll der Bundessicherheitsrat am 20. Januar und am 14. März unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers die Dislozierung der Neutronenwaffe auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland befürwortet haben. Sie verstehen sicher die Frage, Herr Bundeskanzler, die einem dann durch den Kopf schießt: Haben Sie das im Wege der klassischen Kabinettsdiplomatie des frühen 19. Jahrhunderts gemacht, und Ihre eigene Partei nicht informiert? Das wäre ein bemerkenswerter Vorgang in einer politischen Gruppierung, die unentwegt mehr Demokratie wagt.
Oder, Herr Bundeskanzler, Sie haben Herrn Brandt informiert. Dann stellt sich doch gegenüber Herrn Brandt die Frage: Was ist das für eine politische Schizophrenie, wenn der Bundessicherheitsrat so entscheidet und Brandt, Bahr und andere den Eindruck erwecken, als hätten sie mit dieser Entscheidung überhaupt nichts zu tun? Ich bin nicht dafür, meine Damen und Herren — das ist ja eine der großen Gefahren, die man überall in der SPD-Filzokratie mit Händen greifen kann —, daß Staat und Partei eins sind. Aber daß die Regierung wenigstens noch in etwa Informationskontakte zur eigenen Fraktion unterhält, scheint mir doch notwendig zu sein. Wie eine Reihe von Kollegen, Verteidigungsexperten — ich will die Namen gar nicht nennen, weil das vielleicht Heiterkeit erwecken könnte —, bis in die letzten Tage hinein zu diesen Themen sprachen, das war entweder unbedarft, fern von jeglicher Information
oder, Herr Kollege Wehner, bösartig in der Täuschung der deutschen Offentlichkeit. Es gibt nur diese Alternativen.
Herr Kollege Wehner, Herr Kollege Brandt, entweder haben diese Kollegen keine Informationen gehabt,
dann haben sie mildernde Umstände. Oder sie haben Informationen gehabt, dann haben sie bewußtdie deutsche Offentlichkeit und ihre eigenen Parteifreunde und -anhänger getäuscht. Das ist die Feststellung, die hier zu treffen ist.
Wir hören weiter, der Herr Bundesaußenminister soll bereits im Januar, also noch vor diesem letztgenannten Termin, seinem amerikanischen Kollegen die Zustimmung der Bundesregierung signalisiert haben. Wir hören und lesen: Der Bundeskanzler soll dem Vizeaußenminister der Vereinigten Staaten, Christopher, nachdrückliche Bedenken gegen eine
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6510 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Dr. Kohlmögliche negative Entscheidung von Präsident Carter vorgetragen haben. Wir lesen und hören: Der Bundesaußenminister soll auf seiner Blitzreise nach Washington noch einmal die positive Haltung der Bundesregierung zur Neutronenwaffe übermittelt und vor einem Nein, einem Produktionsstopp, gewarnt haben.Meine Damen und Herren, die „Herald Tribune" hat es schlicht unid einfach damit kommentiert, daß sie sagte: Dies alles kam zu spät. Ich will nicht glauben, daß dies so richtig ist. Aber, Herr Bundeskanzler, wenn es nicht zu spät kommen soll, ist doch heute der späteste Zeitpunkt gekommen, an dem Sie hier von diesem Pult — was immer in Ihrer Fraktion gesagt wird — etwas entschiedener Ihre doch offenkundige Position in dieser Frage — wenn ich es recht interpretiere — deutlich machen.Lassen Sie sich doch bitte nicht in dieser Frage nationaler Existenz, der Freiheitssicherung und der Friedenssicherung im Blick auf die Abrüstungsgespräche von der Überlegung leiten, ob alle aus Ihrer Fraktion zustimmen. Das ist für einen Regierungschef ein legitimes Denken. Ich lehne dies nicht ab. Nur: Es gibt doch Situationen, wo Sie den Mut haben sollten, auch über die Grenzen Mehrheiten zu finden — und Sie können sie doch finden, wenn Sie unsere Entschließung betrachten.
Meine Damen und Herren, was sich offenkundig — und ich rüge das nicht; ich will es deutlich loben — auf diplomatischer Ebene vollzogen hat, muß doch hier im Bundestag eine öffentliche Entsprechung in der Erklärung des Kanzlers finden. Ihre Regierungserklärung schweigt sich zu diesem Thema im wesentlichen aus. Zu deutlich ist der Widerspruch zwischen der Haltung Ihrer Regierung zur Neutronenwaffe, lierr Bundeskanzler, und der öffentlichen Antikampagne der eigenen Partei.Die CDU/CSU-Fraktion bejaht mit Nachdruck Verhandlungen über gegenseitige und ausgewogene Abrüstung und Rüstungskontrolle. Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß bei solchen Verhandlungen keine Ebene der Waffensysteme ausgeklammert werden darf, insbesondere auch nicht die sowjetische Mittelstreckenrakete SS 20, die zentral auf Mitteleuropa gerichtet ist.Sie, Herr Bundeskanzler; haben mit Recht und wiederholt darauf hingewiesen, daß die Neutronenwaffe als Gegenstand von Rüstungsbegrenzungsverhandlungen nur dann tauglich sei, wenn die Entscheidung für die Produktion erfolgt sei. Das ist ganz einfach logisch; denn wenn ich über einen Gegenstand nicht verfügen kann, kann ich ihn auch nicht in Verhandlungen einführen.
— Sie mögen anderer Meinung sein. Aber die Logik ist Gott sei Dank etwas, was jenseits von Parteipolitik liegt.
Die Verhandlungen mit der Sowjetunion können nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn dieSowjetunion — und, Herr Bundeskanzler, diesen Kernsatz müssen Sie doch auch bekräftigen; Sie müssen dazu Stellung beziehen, hier und heute — unmißverständlich weiß, daß im Falle des Scheiterns der Rüstungskontrollverhandlungen der Bau — das ist zunächst die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten — und die Dislozierung — und das ist unsere Entscheidung — der Neutronenwaffe in der Bundesrepublik Deutschland und in Mitteleuropa definitiv erfolgt. Wenn Sie diese Voraussetzungen nicht haben, brauchen Sie gar nicht in die Verhandlungen zu gehen.
Demgegenüber — und darüber, meine Damen und Herren, sind Sie uns und dem deutschen Volk eine Antwort schuldig — hat Herr Bahr, der Bundesgeschäftsführer der SPD, vor wenigen Monaten auf Ihrem Parteitag in Hamburg erklärt:Dieser Parteitag will mit seiner gesamten Diskussion die Einführung der Neutronenwaffe in der Bundesrepublik Deutschland verhindern.Mit diesem erklärten politischen Willen ist doch die Voraussetzung und der Wert der Verhandlung im vorhinein zerstört worden.Jetzt, Herr Bundeskanzler, frage ich mich: Was ist eigentlich in Ihnen vorgegangen — ich beziehe mich auf viele Berichte deutscher Zeitungen aus jenen Tagen —, daß Sie auf dem Parteitag nicht nur geschwiegen haben — das sind wir inzwischen gewöhnt —, sondern nach den Berichten in der deutschen Tagespresse bei dieser Passage des Herrn Bahr ausdrücklich laut applaudierten? Ich frage Sie: Wie wollen Sie das mit Ihren heutigen Äußerungen vereinbaren?
Gerade weil uns die Rüstungsverhandlungen so wichtig sind, halten -wir es für ein Gebot der Stunde, daß der Deutsche Bundestag in dieser wichtigen Frage heute eine klare Position bezieht. Deshalb darf ich namens der CDU/CSU-Fraktion die folgende Entschließung einbringen:Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:Die Bundesregierung wird aufgefordert, entsprechend ihrer eigenen Entscheidung im Bundessicherheitsrat ihre Bereitschaft zur Stationierung der Neutronenwaffe auf dem Gebiet europäischer NATO-Staaten, einschließlich der Bundesrepublik Deutschland, gegenüber dem Präsidenten der Vereinigten Staaten zu bekräftigen.Ich bitte auch und gerade die Kollegen der Fraktionen der SPD und der FDP, dieser Entschließung aus den dargelegten Gründen zuzustimmen. Vor allem bitte ich die stimmberechtigten Mitglieder des Bundessicherheitsrats, dieser Entschließung zuzustimmen; denn wenn Sie zustimmen, wird es eine Mehrheit für diese Entschließung geben.
Damit hätten wir einen wichtigen Schritt zur Bekräftigung der Partnerschaft und der Freundschaft mit
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6511
Dr. Kohlden Vereinigten Staaten und zur Verteidigung der Freiheit in Europa getan.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Pawelczyk.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal können wir feststellen, daß der Abgang nett war, Herr Kollege Kohl.
Ich möchte namens meiner Fraktion dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Außenminister ausdrücklich für die Art und Weise danken, in der sie dafür gesorgt und ihren Beitrag dazu geleistet haben, daß die Solidarität im Bündnis voll erhalten geblieben ist und daß das Bündnis seine volle Handlungsfähigkeit natürlich in keinem Augenblick ver- loren hat.
Ich will darauf hinweisen, daß die NATO gestern bei den MBFR-Gesprächen in Wien eine neue, gemeinsam getragene, also solidarische Initiative eingebracht hat. Der Dissens kann also so groß nicht sein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen und dem Redner zuzuhören.
Herr Kollege Kohl, ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört. Aber ich habe Ihren Beweis vermißt, daß sich der amerikanische Präsident anders entscheiden wollte, als er sich entschieden hat.
— Nein, da brauchen Sie nicht zu lachen. Dieser Beweis ist nicht erbracht worden.Sie haben sich zweitens in Ihrer Argumentation unfair verhalten. Die Bundesregierung hat zu einem sehr frühen Zeitpunkt, nämlich bereits am Montag, den Auswärtigen Ausschuß und den Verteidigungsausschuß in einer geheimen Sitzung gründlich informiert.
Sie hätten es besser wissen müssen. Bei diesen wirklich wichtigen Fragen reicht es nicht aus, einen Beitrag unter die Überschrift „Schaden vermehren" zu stellen.Ich habe drittens vermißt, daß Sie — das wäre ja wohl der richtige Augenblick gewesen — hier die sicherheitspolitische Konzeption Ihrer Fraktion eingebracht haben. Die verteidigungspolitischen Notwendigkeiten und die entspannungspolitischen Notwendigkeiten als zwei Seiten derselben Medaille gegenüberzustellen und daraus die Schlüsse für die Politik zu ziehen, das haben Sie hier nicht getan. Ich verweise auf die Schlußkritik des Herrn Bundeskanzlers, bezogen auf Ihre Resolution; auch in ihr sind Ansätze dieser Art überhaupt nicht zu finden.Wir wollen uns zur Substanz dieser Politik äußern. Wir werden unsere Argumentation nicht auf Pressezitaten aufbauen. Alle Belege, die Sie für sich herangezogen haben, sind Pressezitate. Wo haben Sie eine Regierung eines NATO-Staates zitieren können? Nicht an einer Stelle. Nur Pressezitate.Die Ziffer 1 des Entschließungsantrages der Koalitionsfraktionen bezieht sich ausdrücklich und nicht zufällig auf ein Zitat aus der Regierungserklärung, das da lautet:Wir begreifen die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an der Sicherung des Friedens in der Welt auch im Jahre 1978 als wichtige Aufgabe unseres Staates vor unserem eigenen Volk und gegenüber den Nachbarn.
Nach dieser Notwendigkeit richten wir unsere Politik ein.Die gegenwärtige Auseinandersetzung um die Neutronenwaffe verdeutlicht einmal mehr die grundsätzlichen Unterschiede in den Auffassungen über eine verantwortungsbewußte Sicherheitspolitik zwischen Ihnen und uns. Die Sicherheitspolitik, die Frieden und Freiheit aufrechterhalten soll, ist das gemeinsame grundsätzliche Ziel. Aber die Konzeptionen liegen weit auseinander. Wir meinen, die Frage muß beantwortet werden, ob der Versuch fortgesetzt werden soll, Ungleichgewichte im militärischen Bereich weiterhin durch Herunterrüsten auszugleichen, zumindest den Versuch dazu am Verhandlungstisch zu unternehmen, oder ob man unter Verzicht auf diesen Versuch den Ausgleich durch Heraufrüsten vornehmen soll. Das scheint die grundsätzliche Unterscheidung zwischen uns zu sein.Durch eine Politik der weiteren Aufrüstung ohne den vorhergehenden Versuch würden wir in die außenpolitischen Auseinandersetzungen der frühen 60er Jahre zurückfallen. Wir wissen doch alle, daß diejenigen, die am meisten dabei Schaden nehmen, die Deutschen in Berlin, in der Bundesrepublik und in der DDR sind.
Wir Sozialdemokraten verfolgen eine auf Stabilität ausgerichtete Sicherheitspolitik, die auf der einen Seite die Verteidigungsfähigkeit nicht vernachlässigt. Ich denke, jeder wird unterschreiben können, daß wir uns seit 1969 im Bündnis mustergültig verhalten haben und daß niemand diese Seite so ernst genommen hat wie wir. Das verlangt aber auch von uns — gerade wegen der besonderen Lage, in der wir stehen, auch geographisch —, das andere Anliegen, das rüstungskontrollpolitische, mit demselben Ernst zu verfolgen und uns dafür einzusetzen.
Wir stimmen im Ansatz mit den Vereinigten Staaten völlig überein. Wir müssen genau ausloten,
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6512 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Pawelczykwo die gemeinsamen Interessen beider Bündnisse liegen, wenn wir Ergebnisse haben wollen und wenn wir die Beziehungen weiterentwickeln wollen. Wir wissen und gehen auch davon aus, daß die Sowjetunion genauso wenig erpreßbar ist wie wir.Solange die Opposition davon ausgeht, daß man der Sowjetunion etwas abtrotzen könne, wird sie in ihrer außenpolitischen Position isoliert bleiben. Ich finde, so lange haben Sie nicht das Mandat für die Führung der deutschen Außenpolitik verdient.Die äußere Sicherheit der Bundesrepublik beruht auf einer militärischen und auf einer politischen Stabilität zwischen beiden Bündnissystemen. Die sozialliberale Koalition hat seit 1969 diese Konzeption entscheidend beeinflußt. Wir verstehen Politik und auch Sicherheitspolitik als einen dynamischen Prozeß.Sicherheitspolitik ist eingebunden in die qualitativen und quantitativen rüstungstechnologischen Entwicklungen beider Seiten, in die politische Veränderung im Ost-West-Verhältnis, in die psychologisch-politische Entwicklung zwischen beiden Bündnissen und zunehmend auch in die ökonomischen Rahmenbedingungen. Zusätzlich beeinflußt die Lage außerhalb Europas diese Entwicklung. Die Neutronenwaffe und die Debatte über sie wird von den ersten drei Gründen beeinflußt, die ich dazu nannte.Über die militärische Bedeutung der Neutronenwaffe ist seit Juli vorigen Jahres viel gesagt worden.
Es gibt' viele unterschiedliche Argumente. Was das Einsatzprofil dieser Wafe angeht, sammeln wir laufend und auch in den letzten Tagen wieder, Herr Kollege Mertes, neue Erkenntnisse und Bewertungen auch aus der amerikanischen Presse.Die Entscheidung Präsident Carters vom 7. April, die Produktion von Neutronenwaffen aufzuschieben, und die Ankündigung, daß seine endgültige Entscheidung beeinflußt werde durch den Grad der Zurückhaltung, den die Sowjetunion in ihrem Entwicklungsprogramm für konventionelle und nukleare Waffen, die die Sicherheit der Vereinigten Staaten und Westeuropas berühren, und bei deren Indienststellung, übe, hat die militärische Diskussion über die Neutronenwaffe einem übergeordneten sicherheitspolitischen Konzept untergeordnet. Ich muß hier noch einmal in aller Deutlichkeit sagen, daß der amerikanische Präsident diese Position nicht für die Vereinigten Staaten allein vertreten, sondern ausdrücklich das Sicherheitsinteresse Westeuropas einbezogen hat.Wir Sozialdemokraten begrüßen diese Entscheidung. Das fällt uns auch nicht schwer, weil wir seit Sommer 1977 auf dieser Basis argumentieren und auf unserem Parteitag eine Entschließung verabschiedet haben, die politisch inhaltlich genau dies aussagt. Im Gegensatz zu Ihnen haben wir uns die Entscheidung nicht leicht gemacht. Wir haben auf dem Bundesparteitag drei Stunden über dieses Thema debattiert. Es lagen zwei Anträge mit unterschiedlichen Auffassungen zugrunde: Der eine Antrag wollte die Option offenhalten, der andere nicht. Das Abstimmungsergebnis lautete so, daß ein Delegierter dagegen gestimmt hat, wenige sich enthalten haben und die ganz überwältigende Mehrheit der Partei sich für das Offenhalten dieser Option ausgesprochen hat.Die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten, wie sie der Sicherheitsberater Brzezinski, jüngst, nämlich im „Panorama"-Interview, noch einmal wiederholt hat, liegt genau auf dieser Ebene. Er hat in diesem Interview bestätigt, daß dies das Ergebnis gemeinsamer Beratungen ist. Sie stellt, so Brzezinski, eine Lösung dar, die den Sicherheitsbedürfnissen der Verbündeten entspricht und optimale Möglichkeiten gibt, Fragen der Rüstungsbegrenzung auszuloten und zugleich die Allianz zu stärken. Was wir auf dem Bundesparteitag verabschiedet haben, nämlich das Offenhalten dieser Option, finden Sie im übrigen im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen in der Ziffer 4 wieder.Es bleibt zu fragen, was die Opposition mit der Kampagne, die sie hier angezettelt hat, eigentlich erreichen will. Mir ist eigentlich nur eines eingefallen, daß sie nämlich von der krassen Fehlentscheidung ablenken will, mit der sie wieder einmal außenpolitisch allein dasteht.
Die Diskussion beweist, daß die Opposition isoliert steht. Wäre die Bundesregierung der Auffassung gefolgt, stände ihr Ja zum gegenwärtigen Zeitpunkt gegen das Nein der Vereinigten Staaten.
Sie haben sich von verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten einer Entscheidungsmöglichkeit ausgerechnet wieder die für die Bundesrepublik schlechteste und ungünstigste herausgesucht.
Die Bundesrepublik stände allein gegen die NATO und also auch gegen die übrigen Staaten. Ausgerechnet der Staat, der den außenpolitischen Ausgleich für seine Existenz am dringendsten benötigt, wäre als einziger zur UNO-Sonderkonferenz über Abrüstung mit einem Votum für die Fortsetzung des Wettrüstens gekommen, ohne vorher durch außenpolitische Aktivitäten einen Ausgleichsversuch unternommen zu haben.Niemand von uns kennt die Ergebnisse eines rüstungskontrollpolitischen Versuchs, den die NATO gemeinsam unternehmen will. Wir wissen nur, daß verantwortungsbewußte Politik von uns verlangt, diesen Versuch vor einer anderen Entscheidung ernsthaft zu unternehmen. Wir haben einen Weg beschritten, der es ermöglicht, unsere Sicherheit mit außenpolitischen Mitteln zu stabilisieren, ohne den verteidigungspolitischen Weg zu verbauen.Die Auffassung der Opposition, die Neutronenwaffe sei als Gegengewicht gegen die Überlegenheit des Warschauer Paktes in Mitteleuropa unverzicht-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6513
Pawelczykbar, wird vom amerikanischen Verteidigungsminister nicht geteilt. Ich werde jetzt Zitate eben nicht aus der Presse, sondern der amerikanischen Regierung bringen. Der amerikanische Verteidigungsminister Brown erklärte, die Neutronenwaffe könne zwar eine nützliche militärische Funktion erfüllen, sei aber bei weitem nicht das einzige Mittel, mit der in Europa existierenden Bedrohung fertig zu werden.
Er erklärte weiter, die Entscheidung könne nicht nur unter militärischen Gesichtspunkten gefällt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Präsident, ich möchte vorgehen wie der Herr Abgeordnete Kohl vor mir.
Wenn Sie — wie wir — die Pressekampagne seit Sommer letzten Jahres, bezogen auf die politische Haltung der Sozialdemokratischen Partei, die dekkungsgleich mit den Entscheidungen, wie sie im Bündnis getroffen worden sind, ist, hätten über sich ergehen lassen müssen, wären auch Sie sicherlich der Auffassung, daß wir hier Gelegenheit haben müssen, unsere Position im Zusammenhang darzustellen.
Wir teilen die ernsthafte Sorge über sicherheitspolitische Instabilitäten. Wir beobachten die sowjetischen Rüstungsanstrengungen, die nach unserer Meinung über das für die Verteidigung Notwendige hinausgehen. Im Bereich der eurostrategischen Waffensysteme besteht eine Disparität zugunsten der anderen Seite; ich denke an Backfire, ich denke an SS 20. Sie können den Bereich der Unkalkulierbarkeit vergrößern. Wenn dieser Trend ohne Gegenmaßnahmen auf der westlichen Seite fortgesetzt wird, ist es möglich, daß daraus eine zusätzliche Option erwächst. Aber niemand wird beweisen können, daß der Warschauer Pakt zur Zeit eine zusätzliche Option hat. Dies ist politisch entscheidend, und hier liegt unser Ansatz für das politische Vorgehen. Es gibt ein Gleichgewicht der Optionen und Fähigkeiten. Für keine Seite ist ein politisches Ziel mit direktem oder indirektem Einsatz militärischer Mittel erreichbar; keine Seite ist für die andere erpreßbar. Das weiß jede Seite.Ich meine im übrigen, daß die sicherheitspolitische Diskussion zu sehr auf der Basis der Wahrscheinlichkeit schockierender Kriegsereignisse geführt wird. Wir definieren den Sicherheitsbegriff zu eng.
Wer auf die Sicherheitsfrage eine gültige Antwort geben will, kann sich nicht auf das Abzählen der militärischen Einheiten beschränken; er muß die technologische Situation, die wirtschaftspolitische Situation und die innenpolitische Situation in den verschiedenen Bereichen mit in seine Gesamtrechnung hinsichtlich der Beantwortung der Frage nach der Parität zwischen beiden Bündnissen einbeziehen.
— Nein, beider Seiten! Der Unterschied zwischen Ihrem Ansatz, Herr Kollege Mertes, und unserem ist, daß wir beide Seiten der Bewertung ganz ernst nehmen.
Die Haltung der CDU zur Einführung der Neutronenwaffe ist die Position der Druckausübung zum gegenwärtigen Zeitpunkt
— wir reden doch vom gegenwärtigen Zeitpunkt! — und ist nicht geeignet, den außenpolitischen Versuch, hier zu einer Lösung beizutragen, zu unterstützen. Eine Verhärtung der Fronten im gegenwärtigen Zeitpunkt hilft nicht dem Ansatz der Politik, auf den sich die NATO verständigt hat. Dieser Handlungsraum muß ausgelotet werden, und dann ist die Entscheidung fällig. Wir Sozialdemokraten begrüßen ausdrücklich den Versuch.Im Unterschied zu einer solchen Vorgehensweise verharrt die Opposition, wie ihr Sprecher am 10. April mitteilte, in der Kontinuität der bisherigen Außenpolitik. Ich muß Ihnen sagen, Herr Kollege Kohl, ich habe den Text überhaupt nicht verstanden.
Sie unterstreichen positiv, daß Sie auch mit dieser Entscheidung in der Kontinuität Ihrer Außenpolitik bleiben. Wie sieht denn die Kontinuität dieser Außenpolitik, an der Sie als Opposition seit 1969 teilnehmen, eigentlich aus? Bei der parlamentarischen Entscheidung über den Nichtverbreitungsvertrag war die Fraktion gespalten.
Die ein Hälfte war dafür, die andere Hälfte war dagegen. Sie haben sich, was den Beitritt der Bundesrepublik zur UNO angeht, genauso verhalten:
die eine Hälfte war dafür, die andere Hälfte war dagegen. Bei der Abstimmung über die Ostverträge haben Sie sich der Verantwortung durch Stimmenthaltung entzogen.
Bei der KSZE waren Sie die einzigen in Europa
— Entschuldigung außer Albanien —,
die sich dagegen ausgesprochen haben. Ich wagenicht, mir auszumalen, in welcher außenpolitischen
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6514 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
PawelczykLage unsere Bundesrepublik wäre, wenn sie sich als einziger europäischer Staat nicht an der Politik zunehmender Konsensbildung beteiligt hätte.
Während Sie sich bei der KSZE-Entscheidung, nämlich bei einer politischen Entscheidung, auf das Nein festgelegt haben, haben Sie sich, bei der Neutronenwaffe als einzige zur Unzeit auf das Ja festgelegt. Gut, ich erkenne darin eine Kontinuität der Politik der CDU/CSU, nämlich in der Linie, die ich hier erklärt habe. Aber ich sehe nicht den Boden einer Gemeinsamkeit bei Ihnen selber. Aber das ist Ihr Problem. Ein anderes Problem ist aber, wie Sie denn mit dieser Haltung die Konsensfähigkeit im Bündnis herstellen wollen.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich die 14 NATO-Staaten dieser Ihrer Grundsatzforderung unterordnen würden.
— Wenn das stimmt, was Sie sagen, dann hätte Ihr Kollege Kohl sicherlich mehr als nur amerikanische Zeitungen als Zeugen angeführt. Er hat es aber nicht getan. Er ist doch ganz schlecht beraten, wenn er Zeitungszitate und nicht Äußerungen der Regierung zur Untermauerung seiner Position verwendet.
Dr. Kohl nimmt in einer Erklärung vom 6. April für sich in Anspruch, „sich immer für eine Politik des Friedens und der allgemeinen Abrüstung und für Maßnahmen begrenzter Rüstungskontrolle eingesetzt" zu haben. Herr Kollege Mertes, ich spreche Sie an, weil Sie ein paarmal dazwischengerufen haben. Wir wären doch die letzten, die nicht daran interessiert wären, hier eine gemeinsame Haltung zu entwickeln. Nur, wo bleiben die Taten, die den Worten zu folgen haben?
Hier kann ich mich voll dem anschließen, was der Bundeskanzler am Schluß seiner Regierungserklärung vorgetragen hat. Sie legen eine Entschließung zu einer hochpolitischen Frage vor und berücksichtigen die rüstungskontrollpolitische Seite mit keinem einzigen Wort.
— Ich habe die Entschließung doch hier.
Wo bleibt die Tat, die den Worten zu folgen hat? Aus diesem Entschließungsantrag geht sie nicht hervor.
Statt dessen — das verfolge ich mit zunehmender Sorge — werden nicht haltbare Bedenken geäußert, daß die Stabilisierung der nuklearen strategischen Systeme bis zu einem gewissen Grade die Sicherheit beeinflusse, daß durch die Erreichung der strategischen Parität diese Potentiale neutralisiert würden. Meine Damen und Herren, ich persönlich möchte sehr davor warnen, auf dieser Basis zu argumentieren. Es ist nicht die auf Waffensystemen beruhende Stabilität einer der drei — zwischen West und Ost aufeinander abgestimmten — Ebenen der Abschreckungstriade, die hier Probleme schafft. Es sind auch nicht die Waffensysteme, die Probleme schaffen, sondern es ist das politische Handeln. Es ist die Frage: Handelt das Bündnis oder nicht?
Es steht außer Frage, daß die.Zusammensetzung des Potentials — insonderheit im Nuklearbereich — der Vereinigten Staaten zur Zeit ausreicht, um auch das taktisch-nukleare Einsatzpotential der Sowjetunion mit abzudecken. Wenn in der Diskussion in der genannten Weise angesetzt wird, so empfinde ich dies als ein Mißtrauen gegenüber den Bündnisversprechungen der Vereinigten Staaten. Dies wäre eine Sicherheitsgefährdung und leider kein Beitrag zur Sicherheitsstabilisierung.
— Wieso? Das ist überhaupt keine Verfälschung.Die verteidigungspolitische Absicherung des von Carter vorgeschlagenen Weges einer politischen Handhabung der Neutronenwaffe gewährleistet die Sicherheit im Bündnis, gewährleistet die Abschrekkung und gewährleistet auch die Bündnisgarantie der Vereinigten Staaten uns gegenüber. Der Versuch, zu einer politischen Lösung beizutragen, ist kein Signal zur generellen Unterbrechung der laufenden Waffenmodernisierungsprogramme. Niemand — ich finde, auch kein amerikanischer Politiker; vorhin ist von Herrn Kollegen Kohl einer zitiert worden — sollte sich zu einer solchen Argumentation verleiten lassen. Gerade wir haben in unserer Regierungsverantwortung seit 1969 alles getan, um uns an der Modernisierung der Systeme zu beteiligen. Wir werden auch in Zukunft so handeln.Der Versuch, zu einer politischen Lösung beizutragen, steht auch nicht im Widerspruch zu der Anfang der 70er Jahre von seiten der europäischen NATO-Staaten gegenüber den Vereinigten Staaten angesprochenen Bitte, Entwicklungen einzuleiten, deren Ergebnis ein nukleares Einsatzmittel vom Profil der Neutronenwaffe sein sollte. Inzwischen haben sich NATO und Warschauer Pakt darauf verständigt, zu versuchen, am Verhandlungstisch — KSZE, SALT, MBFR — Lösungen zu erreichen. Wenn Entwick-
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Pawelczyktisch Produktionsentscheidungen werden, frage ich mich: Was soll dann die Politik? Wo hat dann die Politik ihren Raum? Deswegen besteht, wie ich meine, überhaupt kein Widerspruch zwischen der Bitte an die Vereinigten Staaten, solche Entwicklungen einzuleiten, und dem politischen Zwischenschritt, zu versuchen, eine politische Lösung bei Offenhalten der Option zu erreichen. Durch die Vorgehensweise, die Neutronenwaffe in ihrem jetzigen Entwicklungsstadium in Rüstungskontrollverhandlungen einzubeziehen, haben NATO und Warschauer Pakt zum erstenmal die Möglichkeit, bei einer bestehenden Option am Verhandlungstisch anzusetzen. Ich frage mich, wie wir die berechtigte gemeinsame Kritik — Sie üben sie ja auch —, die darauf abzielt, über Instrumente nachzudenken, um den qualitativen Rüstungswettlauf zu hemmen, zu einem positiven Ziel führen können, wenn wir nicht mit unseren Überlegungen ansetzen, bevor die Systeme eingeführt sind. Dies ist doch ein Versuch dazu, der unternommen wird.
— Das werden wir ja sehen. Politische Kompromißerwägungen werden weder in der „Prawda" noch in der „New York Times" unternommen. Sie erfolgen an anderer Stelle. Das werden Sie als ehemaliger Diplomat ja wohl nicht bestreiten wollen.
Ich weiß nur so viel — und das muß ein Politiker ja wohl unterschreiben können —, daß am Beginn eines Versuchs, der durch die Carter-Entscheidung ermöglicht ist, nicht das Entweder-Oder stehen darf, nicht ein eng verknüpftes Junktim die Ouvertüre sein darf. Dort hat der faire Versuch zu stehen.Die NATO-Partner müssen einen Konsens bilden. Sie müssen dann ausloten, welche Möglichkeiten es gibt. Dann stehen am Schluß die Forderungen der einen Seite und die Forderungen der anderen Seite gegenüber, die im Kompromiß, also einem politischen Ergebnis, enden — oder leider negativ ausgehen. Das ist die richtige Verfahrensweise. Im übrigen ergibt sich diese Vorgehensweise aus der Nummer 5 unseres Entschließungsantrags; dort führen wir das ausdrücklich auf.Mit dieser Vorgehensweise werben wir nicht dafür, die Rahmenbedingungen der gemeinsamen NATO-Politik zu verändern. Wir stehen auf dem Boden dieser gemeinsamen sicherheitspolitischen Absprachen. Sie finden die Einzelheiten in den Nummern 5 bis 7 unseres Entschließungsantrags.Es ist also zu prüfen, ob die Sowjetunion die nötige Kompromißbereitschaft in der Sache zeigt. Wenn das der Fall wäre, würde die Chance, von der ich eben gesprochen habe, sich eröffnen. Wir Sozialdemokraten sind bereit, einen Versuch dieser Art zu nutzen und zu versuchen, Chancen dieser Art nutzbar werden zu lassen.Für den Fall, daß die Sowjetunion nicht zu einem fairen Kompromiß bereit ist, gebietet verantwortungsbewußtes politisches Handeln bei einer möglilungsentscheidungen ein Jahrzehnt später automachen Produktions- und Dislozierungsentscheidung, diese in einen Stufenplan einzuordnen. Wer gegen den qualitativen Rüstungswettlauf Instrumente entwickeln will, muß bei einem außenpolitischen Fehlversuch und bei einer Produktions- und Dislozierungsentscheidung sich einen politischen Stufenplan zurechtlegen und nach einem Stufenplan vorgehen, der bei Einsichtigkeit der anderen Seite das sofortige Umschalten an den Verhandlungstisch wieder ermöglicht. Das ist eine Forderung, die ich in diesem Zusammenhang erheben möchte.Die Bundesregierung hält wie alle Bundesregierungen vor ihr an der Selbstverpflichtung der Bundesrepublik Deutschland fest, nicht nach der Verfügungsgewalt über nukleare Waffen zu streben. Ich denke, da gibt es keine unterschiedlichen Auffassungen. Das hat sich auch aus dem Beitrag des Herrn Kollegen Kohl ergeben. Sie hat stets und in kontinuierlicher Übereinstimmung mit den Vereinigten Staaten diese Auffassung bekräftigt.Nun muß ich sagen: Ich verstehe den Herrn Kollegen Kohl nicht. Der Bundeskanzler hat in einer sehr sauberen, ausführlichen Information mit einer anschließenden langen Diskussion am Montag im Auswärtigen Ausschuß die einzelnen Schritte exakt erklärt. Er hat deutlich zum Ausdruck gebracht, daß es beim amerikanischen Partner gar keinen Zweifel gegeben hat, also die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten auf dem klaren Wissen über die Auffassung der Bundesrepublik beruhen konnte. Ich finde, Herr Kollege Kohl, Sie sollen hier nicht in Ihrem Beitrag insoweit Zweifel anmelden.Wir, die Sozialdemokraten, unterstützen die Bundesregierung ausdrücklich in dieser grundsätzlichen Haltung. Sie finden in Nummer 2 des Entschließungsantrags der Koalitionsfraktionen diese Position beschrieben.Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sind heute in der gleichen Lage wie schon mehrmals seit 1969. Sie müssen aufs neue feststellen, daß Sie die Weichen der Politik mit Ihrer Entscheidung falsch gestellt haben. Sie versuchen nicht, selbstkritisch diese Position zu korrigieren, sondern Sie gehen in die Offentlichkeit mit einer Argumentationsweise, die geeignet ist, die Atmosphäre im Bündnis zu belasten.Die jüngsten Äußerungen der Opposition sind ein Beispiel dafür. Am 6. April, also einen Tag vor der Entscheidung des amerikanischen Präsidenten über den Bau der Neutronenwaffe, schreibt Herr Dr. Kohl im Pressedienst seiner Fraktion — ich zitiere —:Wer die enge Partnerschaft und die freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Amerika in Frage stellt, gefährdet das wichtigste Fundament unserer Freiheit und Sicherheit, des freien Europas insgesamt.Da gibt es, glaube ich, keine unterschiedlichen Auffassungen.
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PawelczykAm 8. April, zwei Tage später — also einen Tag nach der Entscheidung des Präsidenten der Vereinigten Staaten —, sagt in einem „Welt"-Zitat Ihr Kollege Strauß:In meiner Kenntnis der amerikanischen Geschichte und nach dem Zweiten Weltkrieg ist dies das erste Mal, wo ein amerikanischer Präsident offen und erkennbar vor einem russischen Zaren gekuscht hat.
Herr Dr. Kohl, die Oppositionsfraktionen operieren ja, wie Sie immer betonen, abgestimmt, gleichgerichtet, gehen konzeptionell in gleicher Weise vor.
Wie paßt das eigentlich zusammen? — Das ist vielleicht Absicht; ich will das gerne aufgreifen.Man muß natürlich fragen, was hier im Grunde gemeint ist. Wenn ich mir dieses Interview von Herrn Strauß ansehe und andere Interviews hinzufüge, frage ich mich, ob Sie die innenpolitische Situation in der Bundesrepublik derart belasten wollen, daß zu erwartende Besuche ausländischer Repräsentanten atmosphärisch erheblich belastet werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Mertes?
Nein.Auch ich bekomme den Eindruck, daß das gewollt sei. Genau diese Äußerungen von Franz Josef Strauß sind es, die das freundschaftliche Verhältnis zu den Vereinigten Staaten belasten.Es gäbe hier viele Möglichkeiten, auf tatsächliche Dissense zwischen der Bundesregierung und den Vereinigten Staaten hinzuweisen, nämlich zu einer Zeit, als Sie die Bundeskanzler gestellt haben. Ich will mir das hier ersparen. Sie sollten den ersten Absatz der Regierungserklärung von Herrn Dr. Kiesinger zu Beginn der Großen Koalition noch einmal nachlesen. Er gibt dort zu, daß am Ende Ihrer alleinigen Verantwortung gravierende Mißverständnisse auch im außenpolitischen Bereich bestehen. Das hat er damals selber — er war auch noch Vorsitzender seiner Partei — in der Regierungserklärung höchstpersönlich zum Ausdruck gebracht.Wir Sozialdemokraten haben die verteidigungspolitische Seite der Sicherheitspolitik und der Außenpolitik immer sehr ernst genommen. Wir werden mit derselben Gründlichkeit die andere Seite der Medaille, nämlich die entspannungspolitische Seite, ernst nehmen.
Gerade jetzt kommt es darauf an, sich darum zu kümmern, damit die Staaten nicht die politische Kontrolle über neue, qualitativ sehr hochstehende nukleare Waffensysteme, die fertig entwickelt und einführbereit vorhanden sind, verlieren. Wir werden darauf hinwirken, daß alle nuklearen Waffensysteme und -entwicklungen in den Verhandlungsprozeß eingebaut werden. Das ist immer noch nicht der Fall. Die dadurch gegebene Möglichkeit, frei und ungebunden, ungehemmt den qualitativen Rüstungswettlauf fortzusetzen, ist eine der großen Gefahren unserer Zeit. Es wäre eine gute gemeinsame Aufgabe für alle Fraktionen des Bundestags, hier mit nachzudenken, wie wir eine konzeptionelle Weiterentwicklung derart bekommen, daß alle Entwicklungen im nuklearen Bereich am Verhandlungstisch einer Regelung zugeführt werden. Das ist bis jetzt nicht der Fall.Lassen Sie mich abschließend das Ziel unserer Außen- und Sicherheitspolitik folgendermaßen umreißen. Wir Europäer sollten einen geschichtlichen Auftrag darin sehen, ein Netz von Abkommen schaffen zu helfen, welches imstande ist, krisenhafte Situationen zwischen den Staaten ohne Gewaltanwendung zu überwinden. Die Staaten müssen immer unfähiger werden, Konflikte mit Hilfe von Streitkräften auszutragen. Auf diese ständig zu verbessernde Ordnung könnten andere Staaten und Kontinente zu ihrem und unserem Vorteil zurückgreifen. Unsere gesamte Politik seit 1969 ist so aufgebaut. Von Abkommen zu Abkommen sind zusätzliche Bindungen geschaffen worden, sind zusätzliche, gegenseitige Abhängigkeiten entstanden, sind also friedensfördernde Maßnahmen getroffen worden.
Aber es läßt sich nicht übersehen, daß wir alle aus dem Vollzug dieser Politik haben lernen müssen.Erstens. Ohne Kompromiß ist es nicht möglich, Rüstungskontrollvereinbarungen zu erzielen. In diesen Kompromiß muß das Interesse der anderen Seite einbezogen werden.Zweitens. Abkommen, die gegen die Grundinteressen des jeweils anderen verstoßen, kommen entweder nicht zustande oder werden nicht von Dauer sein.Drittens. Langwierige Verhandlungen sind nicht grundsätzlich ein Zeichen fehlender Bereitschaft. Im Grunde sind beide Seiten noch nicht fähig genug, Steuerungsverfahren einzusetzen, die dem raschen technologischen Wandel gerecht werden können.Viertens. Wir sind noch nicht fähig, uns von der Vorstellung zu lösen, daß Machtpotentiale nur zahlenmäßig definiert werden können.Fünftens. Wichtiger als die Frage nach der Zahl der Waffen und Soldaten ist die Frage, wie diese Potentiale jeweils genutzt werden können. Wenn wir diese Überlegung nicht zur Grundüberlegung machen, werden wir die Entwicklung zu gemeinsamen Abkommen, zur Verständigung nicht schaffen.Sechstens und letztens: Unser Nahziel muß es sein, die Fähigkeit zum überraschenden Angriff zu reduzieren. Das ist das Ziel und muß das Ergebnis
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PawelczykNummer eins in einer Politik sein, die es geschafft hat, in die auswärtigen Verträge den Gewaltverzicht aufzunehmen, die es aber noch nicht geschafft hat, den Gewaltverzicht in den militärischen Bereich hineinzubekommen.
Die Bundesrepublik Deutschland ist an langfristigen, guten Beziehungen auch zu den Staaten Osteuropas, also auch der Sowjetunion, interessiert. Der Bundesrepublik Deutschland kommt hier als dem Staat an der Naht zwischen beiden Systemen, nämlich zwischen NATO und Warschauer Pakt, .und als dem Staat, der von den positiven und negativen Ergebnissen jeweils am meisten betroffen ist, eine Anregerfunktion für das Bündnis zu. Wir Sozialdemokraten stellen uns dieser Aufgabe. Wir haben das in dem vorliegenden Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zum Ausdruck gebracht. Wir bitten darum, dieser Entschließung zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bangemann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat eine Erklärung zu zwei Themen abgegeben: nicht nur zu der Ratstagung der NATO, sondern auch zum Europäischen Rat in Kopenhagen. Meine Fraktion legt Wert darauf, daß auch das Thema des Europäischen Rats in diese Diskussion einbezogen wird. Ich habe kein Verständnis dafür, daß der Oppositionsführer auf dieses Thema nicht eingegangen ist.
Man kann das unterschiedlich interpretieren. Man könnte es bösartig interpretieren und sagen: So wie der Oppositionsführer der Regierung vorwirft, sie sei nur daran interessiert, dranzubleiben, kann es dann ja wohl auch so sein, daß die Opposition nur interessiert ist, dranzukommen.
— Herr Kohl, ich habe gesagt, man könnte es bös. artig interpretieren. Aber ich interpretiere es gar nicht so. Meine Interpretation sieht so aus, daß Sie überhaupt nur bei dem einen Thema eine Möglichkeit erkannt haben, die Regierung anzugreifen, während Sie bei dem anderen Thema mit den Ergebnissen, die die Regierung erzielt hat, voll zufrieden sind.
Ich kann es mir nicht anders erklären, wieso Sie sonst an den Themen des Europäischen Rats vorübergegangen sind. Sie können doch nicht sagen, daß die wirtschaftliche Situation einschließlich der Industriesektorenpolitik, die Arbeitslosigkeit, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, die Energiefrage, Fragen des Welthandels, die Direktwahl, daß das alles für Sie keine Themen sind. Das müssen doch Themen sein, die in der Aussprache über eine Regierungserklärung auch von der Opposition aufgegriffen werden, wenn sich die Hälfte der Regierungserklärung damit befaßt.
Ich will mich mit diesen Themen befassen, aber zuvor einige kurze Bemerkungen zu der Frage machen, die bis jetzt im Mittelpunkt der Debatte stand. Diese Frage wird später von meinen Kollegen noch unter spezifischen Aspekten aufgenommen. Ich möchte sie in den Gesamtkomplex des Verhältnisses der Bundesrepublik zu den Vereinigten Staaten einordnen.Wenn man sich einmal den Entschließungsentwurf der Opposition ansieht und mit dem vergleicht, was die Regierungserklärung zu der wichtigen Kernfrage sagt, dann stellt man einen fundamentalen Unterschied fest. In der Regierungserklärung heißt es zu dieser Kernfrage — ich zitiere —, daß die Bundesregierung in den Konsultationen ihre Bereitschaft erklärt hat, „dann die Lagerung von ER-Waffen auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland zuzulassen, wenn nicht innerhalb von zwei Jahren nach amerikanischer Produktionsentscheidung die westliche Seite auf die Dislozierung verzichtet, weil inzwischen entsprechende Resultate von Rüstungsbegrenzungsverhandlungen vorliegen.
— Also ich bitte Sie, Herr Mertes! Das ist ja nun eine Frage, ob die Regierung dazu noch stehe! Das ist der Text — Seite 27 —, den der Bundeskanzler hier heute vorgetragen hat. So weit kann das Mißtrauen der Opposition in die Regierung doch nicht gehen, daß sie die Frage stellt, ob die Regierung noch zu dem stehe, was sie vor zwei Stunden gesagt hat. Das geht ein bißchen weit.
In Ihrem Entschließungsantrag dagegen wird die Bundesregierung lediglich „aufgefordert, entsprechend ihrer ... Entscheidung im Bundessicherheitsrat, ihre Bereitschaft zur Stationierung der Neutronenwaffe auf dem Gebiet europäischer NATO-Staaten, einschließlich der Bundesrepublik, gegenüber dem Präsidenten erneut zu bekräftigen". Kein Wort von der Möglichkeit und der Notwendigkeit, die Frage der Dislozierung in die Abrüstungsbemühungen einzubeziehen!
Das, meine Damen und Herren, ist der entscheidende Unterschied zwischen Ihrer Position und der Position der Regierung und der Bundestagsfraktionen, die diese unterstützen.
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Dr. BangemannDas ist der entscheidende Unterschied. Dieser Unterschied, meine Damen und Herren von der Opposition, ist während der ganzen Zeit der Debatte von der Bundesregierung nie verheimlicht worden.Die FDP-Fraktion hat lange vor der Entscheidung des amerikanischen Präsidenten ihre Position genau in diesem Sinne festgelegt und damit die Position der Bundesregierung erneut bekräftigt. Ich wiederhole es hier jetzt ganz bewußt: Wir haben öffentlich erklärt, daß wir der Dislozierung der Waffe konditioniert zustimmen, nämlich unter der Bedingung, daß zuvor Abrüstungsbemühungenscheitern. Daran kann doch nun nicht gerüttelt werden. Das ist doch nicht zu kritisieren. Sie können die Frage der Neutronenwaffe nicht auf eine zu simple Form bringen, nämlich auf ein Ja oder Nein zur Dislozierung. Die Frage muß vielmehr lauten: Ja oder nein zur Dislozierung, wenn feststeht, ob in diesen Abrüstungsverhandlungen ein für uns vernünftiges Ergebnis zu erzielen ist oder nicht. Für den Fall, daß es nicht zu erzielen ist, haben wir bereits ja gesagt.
— Ich kenne Ihre Erklärung, die Sie uns heute hier vorgelegt haben, Herr Mertes, und von der Herr Kohl wünscht, daß ich ihr zustimme.
— Ich würde ja gern etwas Gutes tun, Herr Kohl, das wissen Sie. Idh bin permanent damit beschäftigt, etwas Gutes zu tun. Nur, wenn Sie diese Erklärung für die Fraktion der FDP zustimmungsfähig machen wollen, dann müssen Sie zuvor diesem Text der Regierungskoalition zustimmen. Dann stimmen wir auch Ihrer Erklärung zu.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kohl?
Bitte sehr! Da ich vorher gesagt habe, daß ich Gutes tun will, will ich auch Ihnen etwas Gutes tun.
Ich will Ihnen gerade etwas Gutes tun, Herr Kollege. Würden Sie mir zustimmen, daß es klug gewesen wäre, wenn Sie uns in der Frage der Wehrpflichtnovelle zugestimmt hätten? Dann hätte heute das Bundesverfassungsgericht nicht entschieden, daß die Novelle verfassungswidrig ist.
Herr Kohl, Sie wehren sich mit Recht — und das unterstütze ich — dagegen, daß die Frage der Einführung eines neuen Waffensystems ausschließlich unter moralischen Gesichtspunkten gewertet wird. Die Einführung von neuen Waffensystemen muß unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, ob sie den Frieden sicherer machen. Die Frage, die Sie angeschnitten haben, ist aber für mich eine zutiefst moralische Frage, in welcher Weise nämlich Kriegsdienstverweigerer ihr Recht ausüben können. Das ist für mich eine Frage nach der Gewissensfreiheit. Deswegen hat diese Frage mit der Einführung eines Waffensystems überhaupt nichts zu tun.
Das Verhältnis der Vereinigten Staaten zur Bundesrepublik wird von zwei Seiten bestimmt, einmal von unseren politischen Erklärungen und Taten und von den politischen Erklärungen und Taten und Absichten der Vereinigten Staaten selbst. Das ist nicht etwas, was allein wir gestalten können. Es kann niemand bestreiten, daß die Beispiele, die Herr Kohl zitiert hat, in denen sich die Bundesregierung im übrigen, wie er selber gesagt hat, im Sinne der Bundesrepublik standfest erwiesen hat, auch gegenüber massivem Druck der Vereinigten Staaten, entstanden sind durch politische Absichten der Vereinigten Staaten. Der neue Präsident hat die Menschenrechtsfrage aufgegriffen und in seine außenpolitischen Überlegungen einbezogen. Die Frage unseres Liefervertrages mit Brasilien wurde von der neuen amerikanischen Administration aufgegriffen. Der Kongreß selbst hat in dem berühmten Bingham-Act einen Fakt gesetzt, den wir einfach vorfinden, so daß wir uns allenfalls so oder so darauf einstellen können. Deswegen bitte ich darum, wenn wir das Verhältnis der Bundesrepublik zu den Vereinigten Staaten beurteilen, daß wir immer auch mit in Rechnung stellen, welche schwierigen Situationen durch das Handeln der Vereinigten Staaten entstanden sind und möglicherweise in Zukunft noch entstehen können.
Wir haben uns mit dieser Frage vom Europäischen Parlament aus kürzlich in einer gemeinsamen Tagung mit Vertretern des amerikanischen Kongresses und des Senats befaßt und haben in dieser gemeinsamen Diskussion — alle, ganz gleich, aus welchem Mitgliedsland die Abgeordneten stammten, ganz gleich, welche parteipolitische Richtung sie repräsentierten — den Amerikanern erklärt, daß eines auf jeden Fall nicht geht: daß durch einen Akt nationaler Gesetzgebung internationale Verpflichtungen und Abmachungen, die bereits getroffen sind, außer Kraft gesetzt werden oder abet durch einen Akt nationaler Gesetzgebung zukünftige internationale Verpflichtungen präjudiziert werden.
Das ist eine einhellige Position. Ich glaube, diese Position wird auch in diesem Hause sicher nicht bestritten werden.
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Dr. BangemannNur ergibt sich jetzt für uns die Situation: Wenn in einem freundschaftlichen Verhältnis — das wird hier ja unterstrichen — der eine Teil in einem bestimmten Moment etwas tut, was dem anderen Schwierigkeiten macht, dann darf ich das nicht zum Anlaß von wüsten Beschimpfungen nehmen. Wenn ich diesem freundschaftlichen Verhältnis gerecht werden will, muß ich vielmehr diesen Punkt der Kritik sachlich aufgreifen. Was der Herr Strauß in dem gemacht hat, was hier zitiert worden ist, war nicht im Geiste der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Das war auch keine Kritik, die dort so aufgefaßt worden ist, wie sie aufgefaßt werden sollte, nämlich als sachlicher Beitrag.
— Herr Strauß, wir haben uns in dieser Frage mit den Amerikanern sehr sachlich auseinandergesetzt und haben mit einer sachlichen Kritik offene Ohren gefunden. Hätten wir uns so verhalten, wie Sie sich verhalten haben, hätten die Amerikaner in der Tat an dem Geist, an 'der echten Bereitschaft zu einem freundschaftlichen Verhältnis mit Recht zu zweifeln angefangen. Das muß man Ihnen vorwerfen.
Herr Kollege Bangemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Bitte sehr.
Herr Kollege Bangemann, ist Ihnen zur Substanz der Frage der Neutronenwaffe eine heftigere und giftigere Kampagne gegen die amerikanische Bündnispolitik bekannt als die wiederholte moralische Abwertung der amerikanischen Neutronenwaffe als einer Perversion des Denkens durch den SPD-Politiker Egon Bahr?
Herr Mertes, ich habe vorhin schon auf den Einwand des Kollegen Kohl gesagt, daß ich glaube, Wir sollten die Einführung oder Nichteinführung dieses Waffensystems ausschließlich unter dem Gesichtspunkt beurteilen, ob dadurch der Frieden, den wir hier sichern wollen, sicherer oder unsicher wird. Für mich ist z. B. die Frage „Wird die Einführung dieser Waffe die nukleare Schwelle heben oder senken?" entscheidender als alles andere, was Sie jetzt zitiert haben.
Ich möchte mich jetzt mit dem zweiten Thema befassen, weil Kollegen meiner Fraktion, Herr Möllemann u. a., darauf noch eingehen werden, wie ich Ihnen schon angekündigt habe. Dieser Gipfel in Kopenhagen hat eine Reihe von sehr bedeutsamen Entscheidungen getroffen. Zuerst ist sicher die Entscheidung zu nennen, mit der die Unsicherheit über den Wahltermin beseitigt wurde. Wir werden alle bei den Vorbereitungen für diese Wahl festgestellt haben, daß sie zunehmend deswegen schwierig wurden — auch gegenüber den eigenen Parteifreunden, die man letzten Endes auch einmal motivieren muß, sich auf einen solchen Wahlkampf vorzubereiten —, weil die erste Frage immer war: Wann wählt ihr denn? Wir konnten dann immer nur sagen: Das wissen wir noch nicht so genau; da gibt es in Großbritannien Schwierigkeiten. Das ist natürlich nicht besonders geeignet, um jemanden zu motivieren. Diese Ungewißheit ist beseitigt.Der Rat hat auch den richtigen Zusammenhang mit dieser Entscheidung hergestellt,
als er darauf verwiesen hat, daß die gemeinsame Erklärung von Rat, Kommission und Parlament zu den Grundrechten in der Europäischen Gemeinschaft eine wichtige Grundlage auch für seine zukünftige Politik ist.Das gibt uns genau den Ansatzpunkt, an dem wir in der Wahl und nach der Wahl beginnen müssen.
— Der Rat hat zu dieser Entschließung bis jetzt noch nicht Stellung genommen, Herr Kohl, weil diese Entschließung aus den letzten Monaten stammt und seitdem ein Europäischer Rat noch nicht stattgefunden hat. Daß er gerade diese Entschließung aufgegriffen hat, finde ich gut, weil darin ein Bekenntnis auch der Regierungschefs zu dem demokratischen Charakter der Gemeinschaft liegt. Diese Gemeinschaft muß ihre Identität definieren.
Diese Identität kann nicht in einer Wirtschaftsgemeinschaft liegen. Sie kann nicht nur in dem Bemühen liegen, Zollschranken abzubauen.
Sie muß in dem Bemühen liegen, die Demokratie in Europa zu stärken. Das kommt hier zum Ausdruck.
Zweitens. Ich glaube, es ist ein nicht geringer Erfolg der Bundesregierung, daß sie mindestens bei den Partnern in Europa die Vorstellung ausräumen konnte, daß die Bundesrepublik allein in der Lage sei, als Lokomotive einen Zug wieder in Gang zu setzen, der wirtschaftlich ins Stocken geraten ist. Sie wissen, daß das auch eine Frage im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten ist. Ich will darauf jetzt nicht zurückkommen. Aber das war auch eine Frage im Verhältnis zu unseren europäischen Nachbarn. Durch den Übergang zum Bild des Konvois wird die wirtschaftliche Situation viel zutreffender beschrieben als vorher mit dem Bild von der Lokomotive.Die vier Schwerpunkte, die bei dieser Ratstagung zu Erklärungen geführt haben, sind exakt die Schwerpunkte, die auch in den Beratungen der eu-
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Dr. Bangemannropäischen Gremien bereits formuliert worden sind nämlich erstens eine Industriepolitik, die die strukturellen Schwächen der Gemeinschaft beseitigt und dadurch einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leistet, zweitens ein Schwerpunkt im Bereich der Energiepolitik, drittens Bemühungen, den Welthandel von protektionistischen Bestrebungen freizuhalten und auch den Nord-Süd-Dialog zu intensivieren, und viertens die Prüfung neuer Schritte zu einem Währungsverbund. Ich möchte diese vier Schwerpunkte behandeln, um deutlich zu machen, daß meine Fraktion diese vier Schwerpunktbereiche in der Tat als die zukünftigen Aufgaben der Europäischen Gemeinschaft in den nächsten Jahren betrachtet.Erstens. Zur Frage der Industriestrukturpolitik: Es ist ganz richtig, daß wir, je höher industrialisiert die Mitgliedsländer der Gemeinschaft sind, die Beseitigung von Strukturschwächen nicht mehr allein dem Markt überlassen dürfen. Es ist unmöglich, daß die Kräfte des Marktes in so kurzer Zeit auf strukturelle Schwächen reagieren, die durch unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen entstanden sind. Deswegen müssen wir in Bereichen wie der Textilindustrie, der Werftindustrie oder der Stahlindustrie, in denen in der letzten Zeit solche Strukturschwächen sichtbar geworden sind, auch mit Unterstützung der Europäischen Gemeinschaft reagieren. Nur — das möchte ich für meine Fraktion dick unterstreichen —, alle diese Maßnahmen dürfen nicht die Grundprinzipien unserer Wirtschaftsordnung berühren. Wir dürfen nicht, um Strukturschwächen im Stahlsektor zu beseitigen, ein Beispiel für Protektionismus geben, weil wir nämlich mit diesem schlechten Beispiel für Protektionismus nur Strukturschwächen in anderen Bereichen begünstigen würden.Wir dürfen solche Maßnahmen auch nicht zu einem dauernden Zustand machen. Sie müssen vorübergehenden Charakter haben. Es kann nicht angehen, daß wir in Europa eine Staatsstahlindustrie aufbauen, die ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Effizienz und volkswirtschaftliche Kosten produziert, was wir nicht gebrauchen können. Das darf dabei nicht herauskommen.Deswegen ist auch nicht richtig, was mein Freund Dahrendorf in einer Zeitung von England her erklärt hat.
Ich sage das ausdrücklich, weil mich sonst vieles mit ihm verbindet, gerade auch in der Europapolitik, um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen. Aber in diesem Punkt muß ich ihm ausdrücklich widersprechen. Die Tatsache, daß in England mehr als bei uns über Europa diskutiert wird, ist leicht erklärbar. Sie ist nicht damit erklärbar, daß sich die Engländer etwa mit einem stärkeren Enthusiasmus der Europäischen Gemeinschaft zuwenden, als unsere Bevölkerung das tut, sondern mit der Neuheit der Mitgliedschaft und natürlich auch der stärkeren Ablehnung bestimmter wirtschaftspolitischer Überzeugungen in der Europäischen Gemeinschaft.Wenn wir für die Europäische Gemeinschaft wirtschaftliche Modellvorstellungen entwickeln, muß sie nicht so aussehen, wie wir uns das vorstellen. Es kann ja sein, daß andere mit Mehrheit anders entscheiden. Aber daß wir unsere eigenen Vorstellungen über eine Wirtschaftsordnung in diese Debatte einführen, ist notwendig, ist vernünftige Politik und behindert die europäische Integration überhaupt nicht.
- Da ich vermute, daß Sie, Herr Barzel, das Thema Dahrendorf in den vor uns liegenden Debattenrunden aufgegriffen hätten, habe ich es hiermit gleich erledigt.
Das fällt alles unter die Kategorie „Gutes tun".
Zweites Thema: Energie. Wir haben den letzten statistischen Zahlen entnommen, daß eine Politik der Energieeinsparung sehr wohl Effekt macht; denn die Rate des Wachstums unseres Energiebedarfs, und zwar sowohl des Primärenergiebedarfs wie auch des privaten Energiebedarfs, hat sich erheblich verlangsamt. Deswegen glaube ich, daß die Europäische Gemeinschaft nicht nur bei der Erforschung alternativer Energiequellen ansetzen sollte — so farbenprächtig es sich ausmacht, wenn man sagt, wir wollen Geothermie oder Sonnenenergie ausbeuten —, sondern sich stärker auf die Möglichkeiten der Energieeinsparung konzentrieren sollte, weil wir dort schneller zu aktuellen und praktikablen Ergebnissen kommen können.Dritter Punkt: die Handelsbeziehungen, insbesondere auch mit Blick auf die noch laufenden GATT-Verhandlungen. Die Europäische Gemeinschaft muß sich nach Ansicht meiner Fraktion in diesen Verhandlungen unbedingt darauf konzentrieren, jeglichem Versuch zu widerstehen, protektionistische Mechanismen einzuführen, und sie muß — das betone ich, weil das nämlich von uns eigenes Handeln verlangt — ihre eigenen politischen Maßnahmen, auch, ihre agrarpolitischen Mechanismen daraufhin überprüfen, ob sie nicht selber protektionistische Züge tragen und wieweit sie damit ihre eigene Position bei diesen Verhandlungen unglaubwürdig macht.Vierter und letzter Punkt: Die währungspolitischen Fragen. Dazu haben wir noch keine konkreten Beschlüsse. Es liegt nur eine Absichtserklärung vor, die etwas wolkig formuliert ist.
— Aber, Herr Kohl — jetzt darf ich einmal etwas böswillig sein —, wenn Sie zu wolkigen Formulierungen sprechen, halte ich das durchaus für angemessen.Diese Erklärung ist etwas wolkig formuliert. Diese Erklärung bedarf der Interpretation. Diese Interpretation kann in unterschiedliche Richtungen ge-
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Dr. Bangemannhen. Sie kann in die Richtung des nach meiner Meinung untauglichen Versuchs gehen, .die Währungsschlange zu beleben. Sie kann zu dein richtigen Versuch führen, über den Gedanken der ständigen Ausweitung der Europäischen Rechnungseinheit einen Währungsverbund zu schaffen, dessen Keim bereits vorhanden ist.Wir haben in der Tat in der europäischen Rechnungseinheit im Keim eine europäische Währung, die nicht unbedingt an die Stelle der nationalen Währungen treten muß, um wirksam zu sein, sondern die durchaus als Parallelwährung eine Reihe von wirtschaftspolitischen und währungspolitischen Vorteilen haben kann. Ich kann das jetzt nicht im einzelnen ausbreiten, möchte aber davor warnen, daß bei uns der Versuch, diese europäische Rechnungseinheit stärker in ihrem Anwendungsbereich fortzuführen, als ein verschleiertes Manöver bezeichnet wird, an unsere Währungsreserven heranzukommen. Das wäre eine sehr vordergründige Betrachtung der Dinge. Diese Währungseinheit existiert. In ihr wird der europäische Haushalt ausgedrückt. In ihr werden Zahlungen vorgenommen. Wir können sie ohne Schwierigkeiten z. B. auf bestimmte Zahlungen der Mitgliedsländer an die europäische Gemeinschaft ausdehnen. Wir können sie auf Aktionen der europäischen Investitionsbank ausdehnen; das Kapital ist ja auch in Kopenhagen verdoppelt worden, was vernünftig und richtig ist.Wir können auf diese Weise durch den gewogenen Mittelwert des Währungskorbes eine Währung anbieten, die jedenfalls im Verhältnis zu jeder anderen Mitgliedswährung in ihren Schwankungen nicht so heftig reagiert. Das müssen sogar diejenigen zugeben, die dem Gedanken skeptisch gegenüberstehen. Denn wenn in diesem gewogenen Korb eine Währung sinkt, nehmen wir mal an, die Lira, und eine andere Währung, z. B. die D-Mark, entsprechend steigt, dann wird diese Bewegung definitionsgemäß in dem gewogenen Mittel ausgeglichen. Das ist also eine Währung, die sicher Währungsschwankungen mitmacht, weil sie eben auch floatet wie jede andere Währung, auch gegenüber den nationalen Mitgliedswährungen, aber ihre Schwankungen sind sowohl nach oben wie auch nach unten weniger ausgeprägt. Das heißt, sie könnte einen Anreiz darstellen, auch für Schuldner und Gläubiger langfristiger Verbindlichkeiten, die ein solches Mittel gerne übernehmen würden.Möglicherweise — aber das ist vielleicht noch Zukunftsmusik — kann sie auch zu einem Teil die Leitwährungsfunktionen übernehmen, die heute allein der Dollar übernommen hat. Die Dollarschwäche hat eine Reihe von Gründen: das Zahlungs- und Handelsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten, die vergangene Politik der Vereinigten Staaten, die sich wenig um ihre Währung gekümmert haben. Aber eine Ursache des Dollarverfalls ist auch zu nennen, nämlich die, daß der Dollar als Leitwährung Verpflichtungen übernehmen mußte, die weit über die nationalen Einflußmöglichkeiten hinausgegangen sind. Das war im übrigen auch das Schicksal des britischen Pfundes, als es noch Leitwährung war.Wir können also mit diesem Gedanken durchaus einen neuen und besseren Währungsverbund aufbauen, der für die europäische Integration große Vorteile hätte. Der eine Vorteil besteht schon darin, daß wir aus dem unfruchtbaren Durcheinander und Gegeneinander herauskommen, das immer dann entsteht, wenn diejenigen ihre Fahne aufpflanzen, die zunächst für eine Vereinheitlichung der Wirtschaftspolitik sind, und dann daraufhin sofort die anderen ihr entgegengesetztes Banner flattern lassen, die sagen: wir müssen erst einmal eine gemeinsame Währung haben, dann können wir die Wirtschaftspolitik vereinheitlichen.
Herr Kollege Bangemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rapp?
Ja, ich habe schon die ganze Zeit gesehen, daß der Kollege als Experte nur mühsam seine Erregung darüber zurückhalten konnte, daß ein Europapolitiker hier über Währungsangelegenheiten spricht.
Herr Kollege Bangemann, würden Sie sich bitte zu meiner Besorgnis äußern, daß jede Parallelwährung natürlich jede dann schlechtere Währung von den Märkten verdrängt, so daß wir am Ende doch einen D-MarkBlock haben und die D-Mark dabei überfordern würden?
Das hängt davon ab, wie die rechtlichen Verpflichtungen aussehen und in welchem Tempo eine solche Währung eingeführt wird, bis hin zum alltäglichen Zahlungsverkehr. Wir haben heute schon einen Anwendungsbereich der europäischen Rechnungseinheit, Herr Kollege, der allerdings beschränkt ist. Ich wiederhole noch einmal: der Haushalt wird in ihm ausgedrückt, finanzielle Transaktionen der EGKS werden in ihr vorgenommen, auch werden Zahlungen an Empfänger in dieser Währung ausgedrückt, die im Haushalt vorgesehen sind. Das ist ein rechtlicher Anwendungsbereich, der eng ist. Je weiter Sie den Anwendungsbereich machen, um so stärker ist natürlich die Attraktion dieser Währung. Das bestreite ich nicht. Aber das ist ja gerade der Sinn der Übung. Darin liegt ja gerade der faszinierende Gedanke der Parallelwährung, daß sie, obwohl nur parallel eingeführt, eine Attraktivität entfalten kann, die der Integration nützt. Um es noch einmal zu wiederholen: Wir kommen aus dem unfruchtbaren Streit heraus, in dem die einen sagen, daß erst die Wirtschaftspolitik einschließlich der Finanz-, Haushalts- und Steuerpolitik vereinheitlicht werden müsse und dann eine gemeinsame Währung geschaffen werden solle, während die anderen sagen: Nein, umgekehrt ist es richtig, nämlich erst müsse eine gemeinsame Währung vorhanden sein, und dann könne man schrittweise das tun, was notwendig sei, um eine solche Währung zu halten. Ich wiederhole es noch einmal: Ich halte den Gedanken der Parallelwährung, der offenbar vom französischen Staatspräsidenten in die Debatte eingeführt
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6522 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Dr. Bangemann worden ist, für einen Gedanken, den wir sowohl im Europäischen Parlament als auch hier im Bundestag ernsthaft prüfen sollten.Ich habe mich bemüht, verehrte Kollegen — lieber Herr Kohl, gestatten Sie, daß ich das noch anfüge —, vielleicht noch das zu ergänzen, was Sie heute morgen hätten sagen wollen, wenn Sie sich nicht so stark durch das Bemühen, die Regierung in Verlegenheit zu setzen, auf ein Thema konzentriert hätten, das auch wichtig ist, neben dem aber dieses europäische Thema nicht ganz aus dieser Debatte verschwinden sollte. Ich füge hinzu: Das sollte nicht geschehen, weil Sie der Bundesregierung in diesem Bereich das eine oder andere Lob hätten aussprechen müssen, sondern weil — so wichtig die Entscheidung über die Neutronenwaffe jetzt ist — diese anderen wichtigen Entscheidungen ebenfalls zu unserer europäischen Sicherheit gehören. Es ist gemeinsame Überzeugung dieses Hauses und auch der Opposition, daß man Sicherheitspolitik nicht allein auf Militärpolitik einschränken darf, sondern daß Sicherheitspolitik das Ensemble unserer gesamten politischen Bemühungen ist. Dazu gehört der Kopenhagener Gipfel, und dazu gehören die Bemühungen der Bundesregierung in Kopenhagen, die meine Fraktion begrüßt, weil wir in diesen Bemühungen und in den Ergebnissen einen Beweis dafür sehen, daß die Bundesregierung auf dem richtigen Weg ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selbstverständlich ist es nicht allein die Aufgabe des Parlaments, strittige Fragen zu erörtern, es kommt ihm durchaus auch zu, solche Fragen, in denen eine Übereinstimmung zwischen Regierung und Opposition besteht, in diesem Hause zu behandeln. Wir haben auch nie ein Hehl daraus gemacht, wo wir, wie Helmut Kohl es heute morgen betont hat, der Regierung zustimmen, u. a. bei sehr kritischen Fragen, wie dem deutsch-brasilianischen Kernenergievertrag oder wie bei der Ablehnung eines sich inflationär auswirkenden Konjunkturprogramms als angebliche Rettung für internationale Wirtschaftsschwierigkeiten. Aber wenn wir als Opposition heute die Frage der Neutronensprengköpfe in den Mittelpunkt der Diskussion stellen, dann geschieht das deshalb, weil es sich hier um eine aktuelle Frage handelt, bei der die Regierung fast ein Jahr Zeit gehabt hätte, ihren Standpunkt öffentlich darzulegen,
statt um die Frage herumzureden, und weil jetzt ein Zeitpunkt eingetreten ist, in dem über diese Frage sine ira et studio, aber auch in aller Offenheit und Deutlichkeit gesprochen werden muß.Wenn wir nicht über die Konferenz in Kopenhagen reden, dann ist das nicht etwa so, weil wir nicht mit dem einverstanden wären, was dort an Beschlüssen gefaßt oder an guten Absichten bekundet worden ist. Es ist allerdings schon ein mageres Ergebnis, wenn sich der Fortschritt des europäischen Einigungsprozesses praktisch in der Festlegung eines Wahltermins erschöpft. Alles andere ist die Bekundung guter Absichten. Ich möchte nicht im einzelnen darauf eingehen. Wer aber diesem Hohen Hause seit einer Reihe von Jahren angehört, der wird wissen, welche großartigen Beschlüsse die europäische Gipfelkonferenz im Herbst 1969 in Den Haag gefaßt hat. Beinahe hätte man damals im Bundestag ob dieses großen, monumentalen, historischen Ereignisses die Glocken läuten lassen. Was ist herausgekommen? Gar nichts.
— Ich weiß, daß Sie wahr, ganz wahr, beinahe wahr, halbwahr und — —
— Aber sonst unterscheidet Sie einiges von Adenauer; das ist für uns sehr beruhigend.
Ich sage das ohne polemische oder gehässige Zuspitzung.Es kann doch aber niemand bestreiten, daß wir damals mit unserer Skepsis in der Frage, was aus den großen Worten von Den Haag in der Praxis werden wird, leider recht gehabt haben.
Es ist ja auch nicht die damalige Regierung des Kanzlers Willy Brandt schuld daran gewesen, daß nichts daraus geworden ist, aber die Opposition ist bestimmt nicht schuld daran gewesen.Dasselbe haben wir damals auch zu den bombastischen Ankündigungen einer europäischen Gipfelkonferenz von • Kopenhagen gesagt. Und wenn wir jetzt gar nichts sagen, so warten wir ab, was in Wirklichkeit herauskommen wird, was z. B., Herr Bangemann, aus der europäischen Währungsschlange werden wird usw.Heute reden wir über das Thema „Sicherheit". Wir haben uns in diesem Hause schon seit dem Jahre 1949 und in verstärktem Maße seit dem Jahre 1952 über Sicherheitsprobleme — nicht beschränkt auf militärische Fragen, aber natürlich häufig mit militärischen Fragen im Mittelpunkt — unterhalten; ich denke an die großen Debatten der 50er Jahre im Zusammenhang mit der Einführung der Wehrpflicht, an die großen Debatten im Zusammenhang mit der Aufstellung der Bundeswehr. Die Fronten von damals sind uns noch bekannt. Ich habe nicht die Absicht, hier militärpolitische Archäologie zu betreiben, etwa den Werdegang dieser Debatten noch einmal wiederzukäuen; aber manche Dinge wiederholen sich mit einer beklemmenden und besorgniserregenden Deutlichkeit und Eindringlichkeit.Helmut Kohl hat vorhin in einer Zwischenfrage auf das hingewiesen, was sich heute ereignet hat. Daran kann man auch nicht so mit einem höhnischen Lachen vorbeigehen oder es mit einer Handbewe-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6523
Straußgung abtun. Dann, wenn das Bundesverfassungsgericht heute festgestellt hat, daß die Wehrpflichtnovelle aus formellen und materiellen Gründen verfassungswidrig ist, ist damit festgestellt worden, daß die Bundesregierung und die hinter ihr stehende Mehrheit abermals drauf und dran waren, die Verfassung zu verletzen, die Verfassung zu brechen. Die Begründung des Bundesverfassungsgerichts sagt aus, daß die Novelle aus formellen und materiellen Gründen verfassungswidrig ist, formell, weil sie der Zustimmung des Bundesrates bedurft hätte, diese jedoch nicht erhalten hat —
der Herr Bundespräsident wird vielleicht in Zukunft seine Juristen auf einen besonderen Ausbildungskurs schicken müssen —,
materiell, weil diese Novelle durch die Gewährung der Möglichkeit, sich vom Wehrdienst — ich sage das in meiner Formulierung — per Postkarte abzumelden, auf die für die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zwingend vorgeschriebene Gewissensentscheidung verzichtete, damit das vom Grundgesetz gewollte Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Wehr- und Zivildienst in eine vom Grundgesetz nicht gewollte Wahlfreiheit zwischen den beiden Diensten umwandelte
und so die allgemeine Wehrpflicht faktisch abschaffte.
Das ist, kurz zusammengefaßt, der Inhalt der materiellen Ablehnung dieses Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht. Wir als Opposition wären wahrlich unsere Mandate nicht wert, wenn wir hier darauf verzichteten, der Regierung in Sachen Ernsthaftigkeit in der Sicherheitspolitik die Leviten zu lesen!
Wir wissen natürlich, daß der Kollege Leber seinerzeit schweren Herzens auf Widerstand verzichtet hat. Wir wissen auch, warum, Herr Kollege Leber; ich werfe Ihnen das hier auch gar nicht vor. Es ist wieder einmal — genau wie bei den Neutronensprengköpfen — die innerparteiliche Situation der SPD, die eine klare Haltung und eine klare Aussage dieser Partei in Sicherheitsfragen unmöglich macht.
Ich bin durchaus der Meinung, daß man sich als Mitglied der einen Partei nicht unbedingt in die Verhältnisse einer anderen Partei einmischen soll.
Wenn das auf Gegenseitigkeit getan wird, bin ich zu jeder Konzession bereit. Dann aber, wenn sich eine Partei als Staatspartei betrachtet, wenn sie den Staatsapparat praktisch usurpiert hat,
wenn sie ihn zu einem Gelände für ideologische Exerzierübungen gemacht hat,
zu einem Karrierevehikel für alle möglichen Funktionäre und Außenseiter,
wie wir es ja zur Genüge erlebt haben,
— ja, es stimmt, es gibt ein rühmliches Gegenbeispiel; Bayern meine ich —, und wenn diese Partei die stärkste Regierungspartei ist — wobei man nur wieder von einer Regierung „Coppick/Schmidt" sprechen kann, weil die vier den Handlungsspielraum bestimmen, innerhalb dessen Herr Schmidt sich noch bewegen darf, und weil sie auch bestimmen, wie lange er noch bleiben darf —, ist das nicht mehr eine Parteiangelegenheit der SPD, sondern eine Angelegenheit von nationaler Tragweite, eine Angelegenheit, die den ganzen Staat betrifft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Problem der Neutronenwaffe — der Bundeskanzler spricht von „ER-Waffe" ; ich glaube, er meint enhanced radiation, wenn ich ihn richtig verstehe; die Offentlichkeit wird das im allgemeinen nicht so ohne weiteres verstehen — ist ja nur im Zusammenhang der gesamten militärpolitischen Diskussion — man kann ruhig sagen: der letzten '25 Jahre — zu verstehen, und nur in diesem Zusammenhang. Diese Diskussion ist in der Offentlichkeit nicht zuletzt durch den Beitrag des Hauptgeschäftsführers der SPD, des Herrn Bahr, in eine völlig falsche Richtung gelenkt worden.
Aus welchen Motiven Herr Bahr das getan hat, mag man der Würdigung seiner Person und den Intentionen seiner politischen Linie überlassen. Aber die Diskussion ist auf ein völlig falsches Geleise gebracht worden. Ich sage Ihnen auch, warum.Wir hatten den ersten großen Dissens, die erste große Auseinandersetzung mit unseren amerikanischen Freunden im Jahre 1956. Es ist beklemmend, heute nachzulesen, wie damals die Fronten verlaufen sind: zwischen uns hier in diesem Hause und den Amerikanern. Dabei soll man in der Außenpolitik nicht so viel von Freundschaft reden. Natürlich sind die Amerikaner für uns Freunde. Sie stehen uns nach ihrer ganzen Geschichte, Kultur, Tradition und Mentalität sicherlich näher als viele andere Völker, ohne daß damit ein abwertender Beigeschmack verbunden ist. Aber in der Außenpolitik sind Interessen viel bedeutsamer als Freundschaften. Freundschaften vergehen über Nacht, aber Interessen bleiben. Es war für uns immer ein Hauptanliegen, zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland möglichst viele gemeinsame Interessen zu schaffen. Freundschaft ist eine Gefühlsangelegenheit, Interessen sind eine handfeste Angelegenheit.Damals im Jahre 1956 tauchte am Horizont ein merkwürdiger Begriff auf, der sogenannte Radford-
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6524 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
StraußPlan. Der damalige Bundeskanzler schlug Alarm. Es war das erste Jahr, in dem Bundeswehreinheiten aufgestellt wurden. Der Radford-Plan war zwar genausowenig offiziell, wie es etwa jemals eine Hallstein-Doktrin gegeben hat; aber man hat darunter eine ganz bestimmte militärische strategische Doktrin verstanden. Ich habe im Herbst 1956 kurz nach meiner Ernennung zum Bundesverteidigungsminister, den damaligen Chairman der Joint Chiefs of Staff, Admiral Radford, bei der NATO-Konferenz in Paris gefragt: Herr Admiral, was ist eigentlich der Radford-Plan? Die Antwort war bezeichnend. Ich versuche, sie auf deutsch korrekt wiederzugeben: Es gibt keinen Radford-Plan; es gibt eine offizielle Strategie. Diese Strategie bedeutet: Wenn der Gegner angreift, gleichgültig wo, gleichgültig wann, gleichgültig in welcher Größenordnung, werden wir, falls er sich nicht bis zum Sonnenaufgang des nächsten Tages auf seine Ausgangslinie zurückgezogen hat, mit allen Waffen zuschlagen, über die wir verfügen. So lautete die wörtliche Erklärung Admiral Radfords damals in kleinem Kreise. Meines Wissen waren General Dr. Speidel, Botschafter Blankenhorn und zwei amerikanische Generäle auf der anderen Seite dabei.Als der Radford-Plan damals in der Offentlichkeit auch durch eine Presseverlautbarung oder durch eine Pressedarstellung bekannt wurde, entsandte Adenauer General Heusinger nach USA, und Adenauer gab einige drastische Erklärungen ab. Diese Erklärungen haben sein sehr freundschaftliches Verhältnis zu John Foster Dulles in keiner Weise getrübt. Er hat sich damals mit allem Nachdruck gegen die nukleare Totalstrategie der Amerikaner gewandt. Die Bundesrepublik Deutschland hatte sich im Jahre 1955 der NATO gegenüber verpflichtet, konventionelle Streitkräfte in einer Stärke von 500 000 Mann aufzustellen. In der Debatte vom 16. Juni 1955 über das sogenannte Vorschaltgesetz -über die Aufstellung von Streitkräften begründete der damalige Verteidigungsminister diese Streitmacht unter anderem damit, daß ihr Aufbau die Chance für ein realistisches Abrüstungsgespräch auf dem Gebiete der Atomwaffen erhöhe. Im Sommer 1956 kam der Radford-Plan. Er wurde auf amerikanischer Seite wie folgt begründet: angeblich Fortschritte in der Entspannung, neue Waffen, Schwierigkeiten für die USA, gleichzeitig modernste Kernwaffen und starke konventionelle Streitkräfte zu finanzieren. Es wurde gesagt, dies führe zu der Notwendigkeit, eine nukleare Totalstrategie einzuführen. Ich verweise auf die Formulierung, die Admiral Radford einige Monate später mir gegenüber in Paris wörtlich gebrauchte.Adenauer machte damals die ernstesten Bedenken geltend und schickte Heusinger nach Washington, um Protest gegen diesen Redford-Plan einzulegen. Er sagte damals: Dieser Plan ist nicht nur für Deutschland und Europa, sondern für die ganze Menschheit außerordentlich bedenklich. Die SPD vertrat damals immer wieder die Auffassung, daß eine konventionelle deutsche Armee überhaupt keinen sicherheitspolitischen Sinn habe. Die SPD vertrat damals den Standpunkt, daß angesichts derExistenz nuklearer Waffen konventionelle Streitkräfte überhaupt keinen Sinn hätten.
Natürlich hatte die SPD nicht etwa die Absicht, Atomwaffen für die Bundeswehr zu verlangen. Ihre Absicht war, die Sinnlosigkeit der Aufstellung einer konventionellen Armee im Bewußtsein der Offentlichkeit — auch für wahlwerbewirksame Zwecke — so weit wie möglich zu verbreiten. Ich spreche nicht über das, was geschehen wäre, wenn . . . Die Argumentation der SPD zu Beginn der Militärdiskussion in unserem Lande war diese:
Normale Streitkräfte haben überhaupt keinen Sinn mehr. Es ist militärischer Größenwahn Adenauers und seiner Mitarbeiter, eine Armee von 500 000 Mann aufzustellen. Diese Armee ist überflüssig, gefährlich und schädlich. Wir brauchen sie nicht. Sie vermindert eher unsere Sicherheit, als daß sie sie erhöht. Im Atomzeitalter haben normale klassische Armeen keinen Sinn mehr. Das ist zusammengefaßt — ich habe es in den letzten Tagen nachgelesen — die Argumentation gewesen, die von dieser Seite des Hauses vertreten worden ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich freue mich immer, wenn Herr Wehner mich etwas fragt.
Verehrter Herr Kollege, würden Sie bei dieser Gelegenheit hier auch den Abschluß dieser für uns zugegebenermaßen qualvollen Diskussion mit meiner Rede vom 30. Juni 1960 zur Kenntnis bringen?
Ich bin zwar kein Prophet, aber als Sie aufgestanden sind, habe ich mir gedacht, daß Sie diese Frage stellen werden.
Ich komme darauf zurück.Natürlich war es nicht die Absicht der SPD, die Bundeswehr etwa mit atomaren Waffen auszurüsten. Ihre Absicht war vielmehr, die Aufstellung einer Bundeswehr überhaupt zu verhindern. Sie sagen: Wir haben unsere Haltung geändert. Das wissen wir alle. Ich habe Ihre Rede, Herr Wehner, damals gehört. Das war Ihr großer strategischer Schachzug. Seit dieser Zeit sage ich immer, Sie seien der einzige echte strategische Kopf — es gibt ansonsten noch ein paar nachgemachte —, den die SPD hat.
— Wenn man — wie ich — 62 Jahre alt ist, Herr Kollege Wehner, handelt es sich bei uns nicht mehr um eine Diskussion zwischen Generationen.
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Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6525
StraußIch fahre fort. Was wäre geschehen, wenn wir damals den Vorstellungen der damaligen Opposition gefolgt wären? Daß Sie von der SPD später Ihre Meinung geändert haben, war ja nichts anderes als der Respekt vor dem Fait accompli, nichts anderes als die Berücksichtigung der von uns im Jahre 1956 gegen den Willen der SPD geschaffenen Tatsachen. Was wäre geschehen, wenn wir damals auf die Aufstellung einer konventionellen Armee von 500 000 Mann verzichtet und den Amerikanern erklärt hätten: Eure Atomwaffen reichen aus, um einen Krieg zu verhindern; mehr brauchen wir nicht? In welcher militärpolitischen Lage befänden sich heute die Bundesrepublik Deutschland und alle Staaten Europas, wenn wir damals Ihrer Fehleinschätzung der militärtechnischen und der militärpolitischen Lage gefolgt wären, die genauso verhängnisvoll war wie die Fehleinschätzung, die auch heute wieder bei der Diskussion um die Neutronenwaffe zutage tritt? Es kann doch gar keine Rede mehr davon sein, daß die Amerikaner die Last starker konventioneller Streitkräfte in Europa anstelle der Bundesrepublik auf sich genommen hätten. Die Aufstellung der Bundeswehr war doch damals gewissermaßen unser Beitrag mit der Rückversicherungsgarantie, daß dafür die nukleare Garantie gilt und Amerika das Bündnisgebiet einschließlich der Bundesrepublik mit seinen Waffen zu verteidigen bereit ist.Schon im Jahr 1956 habe ich als damaliger Verteidigungsminister die erste Andeutung gemacht, daß die amerikanische Strategie im Wandel begriffen sei und daß man im Fall eines kleineren militärischen Angriffs — wobei man es sehr schwer hat, hier genaue Kriterien zu nennen — nicht mehr mit dem Einsatz der strategischen Atomwaffen der Amerikaner rechnen könne.Das hing mit der Tatsache zusammen, daß zum erstenmal in der amerikanischen Geschichte im Fall eines Kriegs das amerikanische Territorium selber in schwerster Weise vom Kriegsgegner in Mitleidenschaft gezogen werden könnte. Man muß sich ja vorstellen, was das für die Amerikaner bedeutet. Sie haben den Ersten Weltkrieg militärisch entschieden. Sie haben den Zweiten Weltkrieg militärisch entschieden. Keiner der beiden Weltkriege wäre ohne den massiven Einsatz der amerikanischen industriellen und militärischen Macht in Europa und, im Zweiten Weltkrieg, im Pazifik gegen das Deutsche Reich gewonnen worden. Damals ist kein Ziegelstein von einem Dach eines amerikanischen Hauses durch Kriegshandlungen heruntergefallen. Und heute müssen die Amerikaner die Vernichtung ihrer Industriezentren und ihrer Großstädte für den Fall der Einlösung ihrer Sicherheitsgarantie als eine gespenstische Wahrscheinlichkeit in Kauf nehmen.Aus diesem Grund, so sagte Foster Dulles damals bei einem Gespräch mit Bundeskanzler Adenauer, bei dem Außenminister von Brentano und ich beigezogen waren, sind wir nicht mehr in der Lage, euch den Schutz mit strategischen Atomwaffen in jedem Fall zu gewährleisten. Wir müssen euch bitten, taktische Atomwaffen in Europa zu stationieren, vornehmlich in der Bundesrepublik Deutschland angesichts ihrer militärgeographischen Lage. Es hat keinen Sinn, daß wir Amerikaner unsere Divisionen damit ausrüsten. Denn im Fall eines breit angelegten Angriffs würde der militärische Gegner zur rechten und linken Flanke an unseren Divisionen durchstoßen und die nicht atomar bewaffneten Verbände unserer Verbündeten, darunter die der Bundeswehr überrennen. Deshalb brauchen wir in der ganzen Frontbreite taktische Atomwaffen. Ihr müßt die Waffenträger einführen. Die Sprengköpfe werden von uns geliefert, bleiben under American custody and control — so hieß die offizielle Formel —, und den Einsatzbefehl kann nach unserem Recht — das heute noch gilt —, nämlich der McMahon Act, nur der amerikanische Präsident geben.Diese Konferenz hat im Frühjahr 1957 — wahrscheinlich im Monat Mai — stattgefunden; die Akten des Bundeskanzleramts müssen darüber noch Auskunft geben können.Was haben wir damals getan? Wir haben noch während dieser wenige Stunden dauernden Konferenz mit Foster Dulles die Zustimmung der Bundesregierung zur Stationierung taktischer Atomwaffen und zur Einführung der A-Waffen-Träger in Aussicht gestellt. Die Amerikaner wußten ganz genau, woran sie waren. Da gab es kein Hin und Her, da gab es kein Finassieren und kein Taktieren, da gab es kein Lavieren und kein innerparteiliches Schwarzer-Peter-Geschiebe, sondern unter Freunden — wir waren Freunde; und wir sind es heute noch — die ganz klare Auskunft: Wir nehmen zur Kenntnis: Strategische Atomwaffen werden nicht mehr eingesetzt außer im äußersten Fall; konventionelle Waffen allein reichen nicht aus, ein abgestuftes Abschreckungsarsenal dem potentiellen Gegner gegenüberzustellen; also ziehen wir aus dieser Lage die Konsequenzen.Es war — wenn ich Sie freundlich anreden darf, Herr Kollege Wehner — die Zeit, als die Sozialdemokratische Partei eine Große Anfrage im Bundestag einbrachte, die zu beantworten ich die Ehre hatte — weil solche Aufträge ja lieber auf den Verteidigungsminister abgeladen als von anderen ausgeführt werden —. Der Sinn Ihrer Anfrage und der Zweck Ihres Antrags war, die Bundesregierung solle gewährleisten, daß keine taktischen Atomwaffen, keine Sprengköpfe für taktische Atomwaffen, daß überhaupt keine Atomsprengköpfe — so muß ich umfassend sagen — aur deutschem Boden gelagert werden, weder für die amerikanischen Streitkräfte, noch etwa für deutsche Streitkräfte; und daß, wenn eine solche Zustimmung bereits erteilt worden sei, sie unverzüglich wieder zurückgenommen werden sollte.Das war damals der Sinn der Großen Anfrage. Das war der Sinn des Antrags im Mai 1957. Das war in derselben Periode — ich kann nicht sagen, ob es vor oder nach dem Gespräch im Bundeskanzleramt war; das könnte man nur den Akten entnehmen, und darum habe ich mich nicht bemüht —, in der Sie den Amerikanern auch die Lagerung von Atomsprengköpfen für ihre eigenen Streitkräfte unmöglich machen wollten. In der Zeit mußten wir uns schon gegenüber den Amerikanern verpflichten, die Lagerung von Atomsprengköpfen
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6526 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Straußfür amerikanische Truppen auch weiterhin zu erlauben und für die deutschen Truppen in Aussicht zu stellen, sobald der NATO-Rat darüber beschlossen hat.Wenn wir hier, gelinde gesagt, skeptisch sind — Kollege Kohl denkt hier kein Haar anders als ich zu dieser Frage —, dann beruht das auf folgendem. Im Jahre 1956 wollten Sie die Aufstellung einer konventionellen Armee mit der Begründung verhindern, nur die Atomwaffen könnten heute noch einen Krieg verhindern; aber da sie niemals in deutscher Hand sein sollten, brauchten wir überhaupt nichts zu tun.Im Jahre 1957 wollten Sie der Bundesregierung verbieten, den Amerikanern die Stationierung ihrer Atomwaffen für die amerikanischen Streitkräfte zu erlauben. Vorsorglich wollten Sie es auch gleich für die deutschen Streitkräfte verbieten. Dahinter steckte eben keine Logik, genausowenig wie heute hinter der Haltung der SPD zur Neutronenwaffe auch nur die geringste Logik steckt.Wir haben in diesem Hohen Hause im März 1958 eine gespenstische, fast vier Tage dauernde Diskussion — ich glaube, es war die längste Diskussion, die wir überhaupt jemals in diesem Hause im Zusammenhang mit einem Thema hatten — durchgeführt. In dieser Diskussion sind bemerkenswerte Reden gehalten worden. Eine der bemerkenswertesten Reden hat damals der Kollege Helmut Schmidt gehalten. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß das Ergebnis der großen Pariser NATO-Konferenz vom Dezember 1957 ein Appell an die Sowjetunion zur Mitarbeit an der Wiedervereinigung Deutschlands war, für die Unabhängigkeit und Souveränität der Staaten im Nahen Osten, für die Bereitschaft zur Förderung der Wohlfahrt der Völker Afrikas, für die Verbesserung der politischen Konsultation der NATO-Staaten, für die Bereitschaft zur Abrüstung, für die Konferenz der Außenminister zur Überwindung des toten Punktes bei der Abrüstung, für die Vorräte von Atomladungen für die Verteidigung des Bündnisses im Notfall, für die engere Koordinierung der Streitkräfte.Ich habe damals auch bekanntgegeben, daß ein NATO-Dokument zur Entscheidung ansteht. Das geschah dann im Mai 1958. Es handelt sich um das berühmte Dokument MC 70. Ich glaube, das ist heute nicht mehr in Kraft, aber seine Substanz gilt auch noch heute.Dieses NATO-Dokument MC 70 war nichts anderes als die Konsequenz aus dem, was Foster Dulles uns im Mai 1957 gesagt hatte: Wir brauchen taktische Atomwaffen, und ihr müßt die Waffenträger nehmen, wir lagern für euch auch die Sprengköpfe; der amerikanische Präsident hat allein die Verfügungsgewalt.Schon damals, im März 1958, hat die SPD mit vollen Breitseiten gegen die Einführung der taktischen Atomwaffenträger bei der Bundeswehr geschossen, allerdings mit einer merkwürdigen Begründung, die der Irreführung der Offentlichkeit diente: gegen die „Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen".Ich habe damals gesagt: Es geht nicht um die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen — das ist eine doppeldeutige und deshalb irreführende Formulierung —, es geht um die Einführung von A-Waffenträgern zur Verwendung für amerikanische Sprengkörper, die in amerikanischem Eigentum bleiben, unter amerikanischer Bewachung und Kontrolle sind und nur durch den amerikanischen Präsidenten freigegeben werden können.In einer späteren Fernsehdiskussion sagte mir der heutige Bundeskanzler, er habe das gar nicht begriffen. Er habe mich so verstanden, daß es um die Einführung von Atomwaffen in deutschem Besitz und mit deutscher Verfügungsgewalt gehe. Das war ja damals die Irreführung der Offentlichkeit.Er hat damals eine bemerkenswerte Rede gehalten.
— Sagen wir: ein Suchender! — Ich muß vieles überschlagen.
— Aber ich kann doch noch lesen, Herr Kollege Wehner. — In dieser Rede hat er auf mich gezeigt und sinngemäß gesagt: Dieser Mann ist gefährlich, weil er intelligent ist. Jedenfalls ging Helmut Schmidt in seinem Widerstand gegen die offizielle NATO-Planung damals sogar so weit, daß er einen Generalstreik von 24 Stunden Dauer als Protestaktion befürwortet hat. Das waren die Jahre 1957/58— ich kann sie nicht vergessen, weil sie ein wichtiger Abschnitt meines persönlichen und politischen Lebens sind —, in denen Sie mit der Aktion „Kampf dem Atomtod" die deutsche Offentlichkeit gegen die Erfüllung unserer Bündnispflichten aufwiegeln wollten.
Es war für jedermann klar, daß der Verbleib der Amerikaner in Europa nicht zuletzt von der Haltung der Bundesrepublik, der damaligen Bundesregierung und ihrer politischen Mehrheit, abhängen würde. Im Interesse unserer Gleichberechtigung, unseres Mitbestimmungsrechtes in der NATO haben wir — auch im Interesse unserer militärischen Sicherheit — dieser Planung zugestimmt. Sie dagegen haben damals alles unternommen, um die deutsche Offentlichkeit so aufzuwiegeln, daß für den Fall Ihres Erfolges der Abzug der Amerikaner und die Ausklammerung der Bundesrepublik aus der militärischen Sicherheitsgarantie zum Schluß die einzig mögliche Folgerung gewesen wären.Sie erinnern sich doch an die großen Kundgebungen, so in Hamburg mit 100 000 Teilnehmern. Alle städtischen Beamten, Angestellten und Arbeiter wurden auf der Straße mobilisiert. Sie erinnern sich doch an Hannover, Bielefeld, die berühmten Ostermärsche, an die „Kampf dem Atomtod"-Demonstrationen in Frankfurt, an die Demonstrationen in Lon-
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Straußdon. Seid ihr für den Atomtod? — Nein! — Seid ihr für den konventionellen Tod? — Nein! — Seid ihr für den Tod überhaupt? — Nein!
— So etwa war damals die Logik der Agitation, die ich hier nur zusammengefaßt wiedergeben kann. Ich sage das nicht — das habe ich ausdrücklich gesagt —, um hier militärpolitische Archäologie zu betreiben, sondern ich sage das im Zusammenhang mit dem Thema Neutronensprengköpfe heute und im Zusammenhang mit dem amerikanisch-europäischen Verhältnis heute.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt keinen Zweifel, daß bei den Amerikanern — auch wenn es frühere Administrationen und frühere Präsidenten waren — ein tiefes Trauma im Zusammenhang mit dem Vietnam-Krieg zurückgeblieben ist. Ich rede jetzt nicht über die Richtigkeit oder Nichtrichtigkeit der amerikanischen Intervention in Vietnam. Ich habe mich darüber mit amerikanischen Verteidigungs- und Außenministern in jenen Jahren viel unterhalten. Meine Meinung war nicht geeignet, publiziert zu werden. Darum habe ich sie auch zurückgehalten. Es hat auch jetzt keinen Sinn mehr, darüber zu reden. Aber die Tatsache, daß die Bundesgenossen den Amerikanern damals psychologisch, politisch und propagandistisch in illoyalster Weise in den Rücken gefallen sind, daß insbesondere die SPD in Deutschland, vor allen Dingen ihre Jugendorganisation, die Amerikaner als Mörder, als Kriegsverbrecher dargestellt hat, hat tiefe Wunden geschlagen. Ihre Rede damals, Herr Bundeskanzler, die Sie taktvollerweise
während einer Amerika-Reise gehalten haben und in der Sie nach Wiederaufnahme der Luftangriffe auf gewisse Ziele in Nordvietnam Ihre Meinung, Ihre Belehrung dem amerikanischen Präsidenten durch eine öffentliche Ansprache haben zuteil werden lassen, hat den Grund für eine tiefreichende Verstimmung gelegt, die nicht nur etwa einzelnen Personen, sondern dem Bündnispartner Deutschland allgemein galt.Da ich das Glück habe, nicht Regierungsmitglied zu sein
— darüber werden wir uns in absehbarer Zeit in einem anderen Theater unterhalten —, und auch nicht in den diplomatischen Dienst berufen werden möchte, Herr Kollege Genscher, sage ich: Es wäre nicht nur der Wahrheit, sondern auch den guten Beziehungen gedient, wenn man sich im gegenseitigen Umgang einerseits öffentlich stärker zurückhalten würde
— ich weiß, warum ich das sage — und andererseits vor allen Dingen ehrlicher miteinander wäre.
Wenn der amerikanische Präsident z. B. Herrn Schmidt als seinen Lehrer bezeichnet, dann kann er natürlich nicht Herrn Schmidts Selbsteinschätzung zerstören, der nicht begreifen kann, daß das schwarzer Humor ist,
daß das die mildestmögliche Bezeichnung ist für seine dauernde Belehrungshaltung. Denn Schmidts Politik ist so eine Mischung zwischen propagandaträchtiger Geheimdiplomatie einerseits,
Verkündung volkswirtschaftlicher Lehrsätze andererseits. Es ist sozusagen kostenlose Überlassung seiner politischen Lebenserfahrungen auf dem offenen Markt. Damit haben Sie, Herr Bundeskanzler, sehr geteilten Beifall geerntet. Ihre Bezeichnung als „Feldwebel" - vielleicht werden Sie demnächst befördert;
in dieser Laufbahn gibt es noch ein paar Stufen — hängt doch auch damit zusammen.Wenn Sie den Artikel in „Time" lesen, den Helmut Kohl heute morgen erwähnt hat, dann sollten I Sie einmal prüfen, ob Sie der deutschen Öffentlichkeit, dem Deutschen Bundestag und einer Opposition, die nur beansprucht, vernünftige Politik und eine seriöse Opposition zu betreiben, dieses Märchenspiel wirklich zumuten können, das Sie heute morgen hier aufgeführt haben. Das stimmt doch hinten und vorn nicht.
Es gibt unter Umständen psychotherapeutische Wirkungen, z. B. die, daß man eine ursprünglich nicht geglaubte Legende nach öfterer Wiederholung zum Schluß für Wahrheit hält. Aber das ist nur ein sozusagen selbstreinigender Prozeß; er strahlt nicht auf die Umwelt aus.
Dann zu Ihrem Schweigen zu dem ungeheuerlichen Angriff des Hauptgeschäftsführers der SPD gegen den amerikanischen Präsidenten . Das ist doch fast unerträglich. Wenn irgendein Abgeordneter, irgendein Funktionär so etwas macht, gut, in einer politischen Partei sind wir viel gewöhnt, muß man viel in Kauf nehmen. Wenn aber der Hauptgeschäftsführer, also der Generalsekretär bei Abwesenheit seines Herrn eigentlich sogar der eigentliche Einpeitscher der Partei — —
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich bitte um Entschuldigung. Könen Sie mir eine Nachhilfe geben durch Beantwortung meiner Frage: Ist es mir entgangen, daß der es war, der den Präsidenten des „Kniefalls vor dem Zaren" bezichtigt hat?
Sie müssen mich wörtlich zitieren. Ich habe auch nicht von der Knute gespro-
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Straußchen; es ist aber sehr interessant, daß Sie darauf zu reden kommen; das ist aber nur etwas für Sie, Herr Wehner.
Ich habe gesagt, das sei der erste Fall in der amerikanischen Geschichte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, daß der amerikanische Präsident vor dem roten Zaren gekuscht habe.
— Das habe ich auch nicht behauptet.
— Ich leide ja nicht an Bewußtseinsspaltung, Herr Kollege Wehner.
Aber Herr Kollege Bahr hat dem amerikanischen Präsidenten moralische Perversion vorgeworfen. Er hat das später auf dem Parteitag der SPD wiederholt.
Der amerikanische Präsident war immerhin bereit, das Startsignal zur Produktion dieser Waffe zu geben, und wurde deshalb von dem obersten Funktionär der stärksten deutschen Regierungspartei der moralischen Perversion des Denkens bezichtigt.
— Ja, was ist denn an „Perversion"?
Herr Kollege Strauß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehmke?
Herr Kollege Strauß, würden Sie mir einmal vorlesen, wie sich Herr Bahr zum amerikanischen Präsidenten, dem er mit großem Respekt gegenübersteht, geäußert hat? Sie wollen hier doch etwas verdrehen. Sie wollen das, was er zur Natur einer Waffe gesagt hat — ich teile das nicht ---, jetzt auf die Person des amerikanischen Präsidenten beziehen. Auch das kann den deutschamerikanischen Beziehungen kaum guttun.
Herr Ehmke, Sie sind ein großer Dialektiker, ein großer Kasuistiker,
aber Ihre ganze Rabulistik, auch wenn sie mit professorenhafter Gönnermiene vorgetragen ist, reicht nicht aus, um diesen Tatbestand aus unserem Gedächtnis löschen zu können.
„Perversion des Denkens" heißt doch die Überschrift. Also ist der amerikanische Präsident, weiler den Bundesgenossen die Neutronenwaffe angeboten hat, einer Perversion unterlegen.
— Ich muß es aus meinen vielen Unterlagen heraussuchen. Vielleicht kann ich es während meiner Rede noch tun, dann lese ich es vor.Jetzt lassen Sie mich einmal zur Neutronenwaffe etwas sagen, nicht weil ich mich für einen kompetenten Kernphysiker oder für einen militärpolitischen Fachmann halte — da gibt es schon viel zu viele in diesem Hause —, sondern einfach im Lichte der Tatsachen. Wir haben damals im Jahre 1957 der Lagerung von Atomsprengkörpern zugestimmt. Wir haben ab 1958 taktische Atomwaffenträger in die Bundeswehr eingeführt. Für die Zwecke der Bundeswehr befinden sich auf deutschem Boden unter den bekannten Bedingungen Tausende von Atomsprengkörpern in Form von Granaten, in Form von Bomben, in Form von Raketen. Alle diese Waffen, die in der Zwischenzeit wahrscheinlich sogar mehrmals gewechselt worden sind, weil sie modernisiert worden sind, mit geringerem Gewicht eine größere Leistungsfähigkeit erreicht worden ist, auch weil man sich nicht zuletzt unter unserem Einfluß bemüht hat, den sogenannten Yield, die Gesamtwirkung, abzuschwächen, kleinere Waffen, präziser treffende Waffen herzustellen, um diese schrecklichen Flächenvernichtungen und damit auch die Auslöschung von Menschenleben geradezu in Flächenbränden zu verhindern, alle diese Waffen sind da. Jede dieser Waffen ist in ihrer Wirkung scheußlicher, furchtbarer und ekelhafter als die Neutronenwaffe. Wo ist denn dann bei Ihnen die Logik?
Die Logik kann doch bei Ihnen nur darin bestehen: Wir sind gegen die Neutronenwaffe, weil wir uns dann wirksamer verteidigen können, da sie angewandt werden könnte, und wir sind für den Verbleib von Waffen, die so furchtbar sind, daB sie nie angewandt werden können, und deshalb entscheiden wir uns gegen die Einführung der Neutronenwaffe.Wenn es darum ginge zu fragen: „Hängt von unserer Entscheidung die Einführung der A-Waffen in der Welt ab, ja oder nein?, ich glaube, es gäbe niemanden im Hause, der ja sagen würde. Ich möchte die Verantwortung vor mir selbst, vor den Mitmenschen und vor Gott für die Einführung der A-Waffen nicht tragen. Andere haben sie aber in die Welt gesetzt, und wir müssen mit diesem Problem zurechtkommen. Wir haben in diesem Hause 20 Jahre um dieses Thema gerungen. Ganze Bände von Protokollen sind seinerzeit mit den Reden gefüllt worden. Jetzt geht es uns darum, den Einsatz dieser massiven, schweren Atomwaffen, die auch die taktischen Atomwaffen sind, dadurch noch weiter hinauszuschieben, ohne eine militärische Lücke zu schaffen, daß eine Waffe, deren Wirkung wesentlich geringer ist, dazwischengeschoben werden kann.Natürlich ist der Entschluß zum Einsatz der Neutronenwaffe in der Verteidigung leichter zu fassen
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Straußals der Entschluß, A-Waffen mit 20 Kilotonnen, 50 Kilotonnen oder 100 Kilotonnen anzuwenden. Die Vorstellung aber, die in dem Artikel von Herrn Bahr offensichtlich zutage tritt, ist ja eine ScienceFiction-Grusel-Story. Die Vorstellung — es ist eine wirksame Propagandavorstellung — ist die: Intakte Städte, Geisterstädte, in denen die Menschen in großen Leichenhaufen am Boden liegen. Das heißt, der Mensch wird zerstört, die Materie überlebt. Auch im Fernsehen ist neulich gekommen, was wäre, wenn eine solche Bombe fiele: Dann wären alle Studios in Ordnung, die Fernsehanlagen und die Videoeinrichtungen. Das ist alles Unsinn. Tatsache ist bei der Neutronenwaffe, daß ihre Hitze- und Druckwirkung wesentlich geringer ist, während ihre Strahlungswirkung erhalten bleibt, vielleicht sogar stärker ist. Die Reichweite ist aber begrenzt, und der Umkreis, in dem sie wirkt, ist wesentlich kleiner als etwa der Umkreis der Hiroshima-Bombe, die für uns immer eine vorstellbare Größenordnung gewesen ist. Es kann also keine Rede davon sein, daß hier Geisterstädte übrigbleiben, in die dann der militärische Sieger einziehen kann, um die Menschen zu beerdigen und dann die intakten Fabriken oder Wohnhäuser zu übernehmen.Die technische Entwicklung der Neutronenwaffe ist seit Ende der 50er Jahre innerhalb gewisser NATO-Gremien erörtert worden. Sie wurde damals von allen militärischen und technischen Fachleuten als eine Möglichkeit betrachtet, mit der man eine wirksame Verteidigung mit abschreckender Wirkung sicherstellen und trotzdem von der furchtbaren Entscheidung, A-Waffen einzusetzen, noch weiter wegrücken kann. Das heißt, sie ist eine Möglichkeit, die Schwelle für den Einsatz der bekannten A-Waffen noch wesentlich höher zu hängen. Das allein ist die Entscheidung, die wir zu treffen haben.Wenn heute der Herr Bundeskanzler sagt, daß das in die Abrüstungsproblematik einbezogen werden müsse, dann wird dem niemand widersprechen. Aber Moskau hat doch die Antwort schon längst gegeben.
Sie laufen doch einer Fiktion, einer Utopie nach. Um Ihrem parteipolitischen Dilemma zu entgehen, träumen Sie, Herr Bundeskanzler, statt zu entscheiden. Sie träumen davon.
Es ist doch absurd, zu glauben, daß die Sowjets auf die Modernisierung ihres Mittelstreckenraketenarsenals, das jetzt von ortsfest auf mobil umgestellt wird und das eine Reichweite von 4 000 km hat, mit der sie ganz Europa abdecken können, wegen des Verzichts auf die Neutronenwaffe ihrerseits verzichten werden.Es ist es doch wirklich einmal wert, die Frage zu stellen: Warum legen die Sowjets so großen Wert darauf? Das ist doch ein völlig ungewöhnlicher Vorgang — auf den Sie leider nicht eingegangen sind —, daß der mächtigste Mann der Sowjetunion Briefe an alle Verbündeten der Amerikaner schreibt, in diesen Briefen drohend die Faust erhebt, furchtbare Konsequenzen ankündigt, wenn die Bundesgenossen diese von den Amerikanern angebotene Waffe annehmen. Ich halte es durchaus für möglich, daß der amerikanische Präsident nicht vor dem Zaren in Moskau gekuscht hat. Aber was ist denn dann die Wirkung? Überlegen Sie sich doch einmal das zeitliche Zusammentreffen der Drohbriefe Breschnews und der weltweiten Kampagne, die zum Teil im Stil der Science Fiction Story, der Horror Story betrieben wird. Der Vergleich ist nämlich falsch. Die Neutronenwaffe ist zwar scheußlich, aber weniger scheußlich als die anderen Waffen, die schon in unseren Depots für den hoffentlich nie eintretenden Ernstfall bereit sind. Das ist doch die technische und militärische Wahrheit.Warum haben Sie, Herr Bundeskanzler, nichts von dieser in der Geschichte der Diplomatie der Welt unerhörten Einmischung des mächtigsten Mannes der Sowjetunion gesagt? Ich weiß nicht: Hat er einen Brief geschrieben, hat er zwei Briefe geschrieben? Aber warum?Wer von uns weiß denn, meine Damen und Herren, ob die Russen diese Waffe nicht schon längst haben? Ich warne vor dem Irrglauben, den ich auch aus der Feder eines Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion gelesen habe, die Russen seien deshalb gegen die Einführung dieser Waffe, weil sie nicht das wissenschaftlich-technische Potential hätten, sie in absehbarer Zeit ebenfalls herzustellen. Ich bin nicht davon zu überzeugen. Das wissenschaftlich-technische Potential der Sowjetunion in der Waffenentwicklung und Waffenfabrikation reicht durchaus aus.Hier haben wir uns in der Vergangenheit doch furchtbar getäuscht. Niemand wollte es glauben, als die Russen ihre erste A-Waffe im Jahre 1949 gezündet haben. Man dachte, daß das frühestens fünf Jahre später geschehen könnte. Als sie im Jahre 1953 die erste Wasserstoffbombe gezündet haben, war das Jahre früher, als man es erwartet hatte. Auch in NATO-Kreisen war man höchst überrascht, als sie im Jahre 1957 den ersten Sputnik auf die Reise um die Erde schickten. Idh warne vor dem Aberglauben, daß die Sowjetunion diese Waffe nicht herstellen könne. Ich warne vor der Sicherheit der Überzeugung, daß sie die Sowjetunion nicht heute schon hat. Das ist durchaus möglich.Warum dann der Widerstand auf sowjetischer Seite, würde die logische Anschlußfrage lauten. Auf die Frage gibt es nur eine plausible Antwort: Weil diese Waffe den Verteidiger einseitig und mit Masse, sozusagen, begünstigt. Die politisch-militärische Führung der Sowjets glaubt nicht, daß vom Westen her jemals ein Angriff gegen sie unternommen werden würde.
Ein Landangriff in Europa, etwa im Stile Napoleons oder Hitlers, gehört der Vergangenheit an, auch wenn der Komplex noch tief in der russischen Mentalität ist. Aber die Sowjetführung weiß ganz genau, daß bei der Stärke der NATO, bei der politischen Zusammensetzung der NATO und den in der NATO geltenden inneren Regeln ein Angriffskrieg weder vorbereitet noch durchgeführt werden kann.
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StraußWir kennen aber auch die sowjetische Militärdoktrin. Das ist ein Muster der Kombination von Feuerkraft und Beweglichkeit. Die Sowjets sind so weit, daß sie selbst im normal atomar verseuchten Gelände, das viel schlimmer zugerichtet ist als von der Neutronenwaffe, innerhalb weniger Tage mit ihren Panzern vorstoßen können. Das bereitet ihnen nicht die geringsten Schwierigkeiten. Sie sind die einzigen, die Schützenpanzer haben, die ABC-sicher sind. Auf diesem Gebiete haben sie ungeheuer viel geleistet, mehr als wir ihnen jemals zugetraut haben.Der drohende Widerstand der Sowjetunion gegen die Einführung der Neutronenwaffe ist nur so zu erklären, daß damit die Verwendung großer Panzerverbände, die in der Offensive viel wirksamer als in der Defensive sind, wie wir wissen, in Frage gestellt wird, daß Konzentrationen nicht mehr möglich sind, große Aufmärsche nicht mehr abgeschirmt werden können, kurzum: daß ein Angriff im Stil des Blitzkrieges, wie ihn auch die sowjetische Militärdoktrin, natürlich unter Modernisierung ihrer Ausrüstung übernommen hat, dann nicht mehr möglich ist. Weil diese Möglichkeit und damit das Druckmittel im Bewußtsein, in der Psychologie der Europäer entfällt, verliert die Sowjetunion eine psychologische Waffe, wenn auf unserer Seite die Neutronenwaffe eingeführt wird, die — ich bitte um Entschuldigung, wenn ich das sage; ich weiß, wie scheußlich sie ist — viel harmloser als die Waffen ist, die zu Tausenden, auch für die Bundeswehr, auf deutschem Boden lagern.Wir haben damals, Herr Kollege Wehner, nachdem die Entscheidung gefallen war — ich habe das Abkommen im Frühjahr 1959 unterzeichnet —, über die Lagerung von Atomsprengkörpern in der Bundesrepublik gesprochen. Man tut immer so, als ob man eine neue tragische Entscheidung fällen, als ob man neue Standorte suchen, Raumordnungsverfahren usw. einleiten müßte. Es ist alles da. Es handelt sich lediglich darum, in den bereits bestehenden Atomwaffendepots Neutronensprengkörper zu lagern und dafür andere Atomsprengkörper herauszunehmen, falls der Raum nicht ausreicht. Aber wahrscheinlich sind die Depots nicht einmal voll, weil sie seinerzeit sehr umfangreich gebaut worden sind. Das ganze Drama mit der Stationierung von Neutronenwaffen ist doch nichts anderes als Glasperlenspiele der SPD zur Bewältigung des Dilemmas in ihren eigenen Reihen.Ich bezeichne das nicht als einen ideologischen Vorwurf. Ich mache Ihnen aber einen anderen Vorwurf, von dessen Richtigkeit ich leider zutiefst überzeugt bin und von dem ich auch gleichzeitig betroffen bin, nämlich daß Sie in der SPD nie ein wirkliches Verhältnis zur militärischen Wirklichkeit, zu den militärpolitischen Realitäten und zu den technischen Zwangsläufigkeiten gefunden haben.
Interessant war, was der Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten in der Sendung „Panorama" zu der heute so kritisierten Formulierung in meinem Interview in der „Welt" gesagt hat. Er sagte — die Fragestellung war übertrieben, es war nicht die genaue Formulierung —: „Ich weiß nicht, ob Herr Strauß das gesagt hat. Wenn er es gesagt hat, dann deutet er die Motivierung des amerikanischen Präsidenten falsch; denn die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten ist das wohlüberlegte Ergebnis der Beratungen mit den europäischen Bündnispartnern."
Es gibt nicht den geringsten Zweifel, daß die enttäuschende Haltung der Europäer, die zum Teil auch mit moralischen Belehrungen gegenüber dem amerikanischen Präsidenten verbunden war, der eigentliche Anlaß war, nicht sein Nachgeben vor der Sowjetunion. Davon bin ich jetzt voll überzeugt. Aber es wirkt wie ein Nachgeben, weil es zeitlich zusammenfällt. Und das hat auch eine psychologisch verheerende Wirkung in der Dritten Welt: Moskau hebt drohend die Faust, und die andere große Weltmacht tut das, was Moskau verlangt. Aber das wirkliche Motiv ist weniger die Drohung Moskaus gewesen als die blamable, enttäuschende, versagende Haltung der europäischen Bündnispartner, auch der Bundesrepublik Deutschland.
In dem von Helmut Kohl erwähnten Artikel in der „Time" steht ja ebenfalls: „Schmidt hat darauf bestanden, daß die Produktion erst aufgenommen wird, wenn Abrüstungsverhandlungen ergebnislos verlaufen sind." Außerdem sei das allein Sache des amerikanischen Präsidenten — das haben wir auch heute wieder gehört —, und im übrigen nur dann, wenn noch ein zweiter Bündnispartner hinzukommt, mithin nicht nur auf deutschem Boden. Wenn also , Luxemburg mitmacht, dann haben auch wir sozusagen die moralische Legitimation, ja sagen zu können. Herr Bundeskanzler, ich kann nur sagen: Das ist eine erbärmliche Haltung.Es ist auch völlig falsch zu sagen: Das ist eine rein amerikanische Entscheidung. Rechtlich haben Sie natürlich recht. Niemand kann den amerikanischen Präsidenten rechtlich zwingen, eine Waffe zu bauen oder nicht zu bauen. Das ist allein seine Sache. Das ist eine Binsenweisheit, die brauchen wir gar nicht zu wiederholen. Aber wir sind ja Bündnispartner, Freunde sind wir sogar. Wie sehr Sie besorgt sind, daß diese Freundschaft gestört werden könnte, haben sie ja heute laut betont. Diese Waffe ist doch nur für die europäische Verteidigung gedacht. Sie paßt weder nach Afrika noch nach Asien. Sie paßt weder zur 6. Flotte noch zur 7. Flotte. Sie ist allein dazu gedacht, das militärpolitische Gleichgewicht in Europa angesichts der starken sowjetischen Panzerverbände und Schützenpanzerverbände durch eine Abwehrwaffe wiederherzustellen.Ich würde, wenn ich an Ihrer Stelle wäre, dem amerikanischen Präsidenten doch nicht sagen: „Es ist allein Ihre Sache." Wir müssen doch wissen: was ist notwendig? Als Bündnispartner, als zweitstärkste Wirtschaftsmacht der NATO, auf deren wirtschaftliche Kraft sich der Bundeskanzler immer gern zu berufen pflegt, wenn er seinen Bizeps bei den Konferenzen zeigt — das ist auch schon öfter aufgefallen —, müssen wir doch wissen — wir sind
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Straußdoch auch nicht militärpolitische Idioten —, was wir brauchen, und man muß den Mut haben, das dann zu vertreten.
In der „Time" — es stammt nicht von mir — steht: „Schmidt's waffling annoyed the White Hause." Das ist ein Ausdruck der Umgangssprache. Ich habe erst im Lexikon nachschlagen müssen. „Waffle", als Verbum, heißt „schwafeln" Die „Time" schreibt: „Das Geschwafel Helmut Schmidts hat das Weiße Haus verärgert." Sie können ruhig davon ausgehen, Herr Bundeskanzler, daß trotz aller Freundschaftsbeteuerungen, trotz aller Höflichkeitsfloskeln das lavierende, finassierende, taktierende, ausweichende, blamable versagende Verhalten der Bundesregierung und anderer europäischer Partner der eigentliche Grund dafür ist, warum Washington vorerst auf die Produktion dieser Waffe verzichtet.
Ich weiß, daß Sie ein hartes Wort von mir in meinem letzten Debattenbeitrag hier noch härter gedeutet haben, als es gemeint war. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie haben doch nicht den Amtseid für die SPD geschworen. Sie haben den Amtseid für das deutsche Wolk geschworen, für unseren freiheitlichen Rechtsstaat, für die Verteidigung seiner Sicherheit, seiner Freiheit .und für die Verteidigung des Friedens in Europa.
Da ist es nicht Sache des deutschen Bundeskanzlers, zu sagen: Du, amerikanischer Präsident, entscheidest allein; wie froh bin ich, daß ich damit nichts zu tun habe. Solltest du dich aber wider Erwarten doch dafür entscheiden, dann müssen wir zuerst einmal diese Waffe zum Gegenstand von Abrüstungsverhandlungen machen — darüber habe ich mich schon geäußert —, und wenn es dann zu keinem guten Ergebnis kommt, dann können wir die Lagerung in der Bundesrepublik in Betracht ziehen, wenn sie auch noch auf einem anderen Territorium als dem der Bundesrepublik stationiert wird.Herr Bundeskanzler, ich behaupte nicht, daß die früheren Regierungen aus Helden und Genies bestanden haben, die Regierungen der Zeit AdenauerErhard-Kiesinger. Aber in solchen Fragen haben wir schnell und sachgerecht entschieden, und wir haben alle Widerstände in der öffentlichen Meinung, auch Widerstände innerhalb der eigenen Reihen in Kauf genommen und ausgetragen, von der Wehrpflicht bis zur Einführung der taktischen Atomwaffenträger. Denn daß Sie an der Macht bleiben wollen und daß wir hin wollen, das ist selbstverständlich. Das gehört' zum normalen demokratischen Spiel zwischen Regierung und Opposition. Aber die Regierung hat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, nach geschichtlichen Maßstäben mit langem Atem und im Lichte ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen harte Sachentscheidungen zu treffen. Was ist das für ein Zustand, daß über die Einführung von Waffensystemen an Parteitagen entschieden wird, wie es heute zu gehen pflegt, und mit Rücksicht auf Parteitage! Ich meine die Resolution, die Sie in Hamburg dann zum Schluß einstimmig verabschiedet haben. Es war noch die „Tauben"-Resolution. Da lachen doch die Hühner, wenn sie das lesen, was da alles gemacht werden soll. Sagen Sie ja oder nein! Das Schlimme ist, daß Sie lauwarm sind.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß ein bekannter sowjetischer Besucher in der Bundesrepublik, Herr Poljanow, der sicherlich nicht immer so geheißen hat, von einem Treffen mit dem Hauptgeschäftsführer der SPD berichtet und seine Haltung natürlich lobt und sagt: Mir hat Egon Bahr — das Zitat kann jedermann bei mir abholen, aber ich kann meine Rede jetzt nicht unterbrechen, um es aus den vielen Dokumenten herauszusuchen — gesagt, daß er gegen die Einführung der Neutronenwaffe sei, weil sie die politische Handlungsfreiheit der Bundesrepublik noch weiter einengen werde; sie sei ohnehin leider schon durch die Stationierung taktischer Atomwaffen zum Nachteil der Bundesrepublik eingeengt worden.
Es wäre gut, wenn Herr Bahr hier erklären würde, ob Herr Poljanow — Sie kennen wahrscheinlich diese Verlautbarung, da Sie ein besseres Archiv als wir haben — hier die Wahrheit gesagt hat. Ich bin nicht der Meinung, daß die Einführung der taktischen Atomwaffenträger und die Stationierung von Atomsprengkörpern für die Zwecke der Bundeswehr unsere politische Handlungsfreiheit eingeengt hat. Ich bin umgekehrt der Meinung, daß die Erfüllung unserer Bündnispflichten ohne Lavieren und Taktieren, daß klare, mutige, harte und auch in der Offentlichkeit zu verantwortende Entscheidungen unseren politischen Spielraum sowohl im Westen als auch gegenüber dem Osten und auch in der Dritten Welt wesentlich erhöhen:
Die Amerikaner haben immer noch das Trauma des Vietnam-Krieges zu verkraften. Sie sind damals nicht materiell, aber moralisch schwer angeschlagen worden. Die Europäer und auch die damalige Bundesregierung haben Herrn Kissinger auf seine New Yorker Rede mit der Neufassung der AtlantikDoktrin eine höhnische, abweisende Antwort erteilt. Herr Brandt sprach davon, daß sich die Amerikaner daran gewöhnen müßten, daß die Europäer eine werdende Großmacht seien. Sie sind ein bleibender Zwergenhaufen, aber nicht eine werdende Großmacht, und gerade das führt heute den Abstiegsprozeß der Europäer herbei, beschleunigt ihn und macht ihn so besorgniserregend, daß sie sich nämlich in Fragen ihrer eigenen Sicherheit mehr nach parteipolitischen Opportunitäten, nach innenpolitischen Gefälligkeiten verhalten, daß sie die Augen vor der geschichtlichen Wirklichkeit verschließen, daß sie die technischen Realitäten nicht mehr sehen wollen und daß sie die politischen oder militärpolitischen Konsequenzen aus moralischer Schwäche und Mangel an Einsicht nicht mehr zu ziehen vermögen. Dies hat den Niedergang der Europäer herbeigeführt, dies macht uns vom amerikanischen Präsidenten so abhängig, ein Zustand, über den er alles an-
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Straußdere als glücklich ist. Die Amerikaner wären froh und würden Gott jeden Tag dafür danken, wenn die Europäer mehr Verantwortungsbewußtsein, mehr Selbständigkeit hätten. Hier kommt der Macht in Europa, die nach den Amerikanern die größte Wirtschaftskraft hat, automatisch eine Verantwortung zu. Dieser Verantwortung können wir nicht ausweichen. Wir bitten Sie, Herr Bundeskanzler, unbeschadet der Schärfe der heutigen Auseinanderzung, sagen Sie dem amerikanischen Präsidenten: Wir halten aus Gründen unserer Sicherheit die Einführung dieser Waffe zur Ergänzung unseres Atomwaffenarsenals, sicherlich auch mit der Möglichkeit, es an anderer Stelle abzubauen, für notwendig, und wir bitten Sie, diese Waffe zu produzieren und uns in Europa zur Verfügung zu stellen! Das wäre eine mutige, klare Antwort, und Sie würden im deutschen Volke das gewinnen, was Sie in der SPD dadurch verlieren würden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Genscher.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Aussprache, die heute über die Regierungserklärung zu führen ist und die sich mit Recht nicht nur mit der gewiß zentralen Frage der Neutronenwaffe befaßt, sondern in deren Mittelpunkt das Bündnis, das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten und die Situation in Europa zu stehen haben, sollten erstens, wie überhaupt die öffentliche Diskussion, unter der Leitlinie stehen, unsere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten auf keinen Fall zu schädigen, sondern sie im Gegenteil zu stärken und auszubauen.
Zweitens. Die Diskussion über die hier anstehenden schwerwiegenden sicherheitspolitischen Fragen sollten von dem Bewußtsein getragen werden, daß wir alles tun müssen, um den Zusammenhalt des Bündnisses als Ganzen zu fördern. Meine Damen und Herren, ich warne davor, die atlantische Verteidigung, die Sicherheit Europas und einzelne Entscheidungen einschließlich so bedeutungsvoller wie der über die Neutronenwaffe als eine rein deutschamerikanische Entscheidung erscheinen und behandeln zu lassen.
Drittens. Vor dem Hintergrund der Erklärung des Präsidenten der Vereinigten Staaten, die hier noch einmal wiederholt werden muß, ist ein weiteres zu beachten. Der Präsident hat gesagt:
Ich habe entschieden, die Produktion von Waffen mit gesteigerter Strahlungswirkung aufzuschieben; die endgültige Entscheidung, ER-Elemente zu einem Bestandteil unserer modernisierten Gefechtsfeldwaffen zu machen, wird später erfolgen und wird durch das Maß beeinflußt sein, in dem die Sowjetunion Zurückhaltung zeigt in ihren konventionellen und nuklearen Waffenprogrammen sowie bei Streitkräftedislozierungen, die die Sicherheit Nordamerikas und Westeuropas berühren.
Meine Damen und Herren, der Präsident der Vereinigten Staaten hat damit die Option offengehalten. Wir als Bündnis haben das begrüßt, und wir sollten alles tun, um den Wert dieser Option nicht zu mindern, sondern so zu erhalten, wie ihn der Präsident ernsthaft gemeint hat.
— Herr Kollege Mertes, es ist nicht ganz unbestritten! Denn es gibt auch Kommentierungen der Entscheidung des Präsidenten, die besagen, das komme ja einem versteckten Verzicht gleich.
Ich möchte dem Präsidenten weder dies noch andere Motive unterstellen, sondern nehme die Erklärung so, wie sie abgegeben worden ist.
Meine Damen und Herren, die Politik der Bundesregierung will zur Sicherung des Friedens in Europa und der Welt beitragen. Diese Politik steht auf den Fundamenten des Atlantischen Bündnisses und der Europäischen Gemeinschaft. Von dieser Grundlage aus streben wir nach beiderseits vorteilhafter Zusammenarbeit mit dem Osten und nach gleichberechtigter Partnerschaft mit den Staaten der Dritten Welt. Das deutsch-amerikanische Verhältnis ist — das haben alle Debattenbeiträge gezeigt —von grundlegender und zentraler Bedeutung, und zwar für uns als Verbündeten und Freund der Vereinigten Staaten, für uns als Mitglied der atlantischen Allianz, für uns als Teil der Europäischen Gemeinschaft und für uns als Partner der Dritten Welt.
Einen Augenblick, bitte, Herr Bundesminister! Ich glaube, wir sollten generell ein wenig mehr Ruhe halten.
Es ist sehr schwer, sich hier durchzusetzen.
Ich meine, daß wir uns alle darin einig sein sollten, daß das deutsch-amerikanische Verhältnis organisch gewachsen, fest gegründet und auf Dauer angelegt ist. Es besteht auf der Grundlage gemeinsamer Wertvorstellungen und gemeinsamer Interessen.Ich kann Herrn Kollegen Strauß zustimmen: Es kommt nicht allein auf persönliche Freundschaften an, sondern darauf, daß die Interessen deckungsgleich sind. In der hier entscheidenden Frage, nämlich der europäischen Sicherheit, besteht das gemeinsame Interesse in der Sicherheit Westeuropas.
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Bundesminister GenscherDeshalb ist die Sicherheit Westeuropas gleichbedeutend auch mit der Sicherheit der Vereinigten Staaten. Wir dürfen nicht eine Sicherheitsdebatte führen und so tun, als gäbe es Waffen, die nur für die Vereinigten Staaten gut sind, und als gäbe es Waffen, die für uns gut sind. Damit würden wir die Vorstellung nähren, als könnte man unterscheiden, als könnte man trennen zwischen den Sicherheitsinteressen der Partner.In Wahrheit hat das Bündnis, meine sehr verehrten Damen und Herren, immer zur Grundlage seiner Entscheidungen gemacht, daß die Sicherheit der Vereinigten Staaten auch hier in Europa gewahrt wird, daß die Anwesenheit amerikanischer Streitkräfte nicht nur der Sicherheit der europäischen Partner, sondern auch der Sicherheit der Vereinigten Staaten selbst dient. Das ist doch der Grund dafür, warum wir auch in dieser Frage in so enge Konsultationen mit den Vereinigten Staaten getreten sind.Die Tatsache, daß die Bundesregierung ihre Auffassung zu den Notwendigkeiten der Verteidigung, zu den Disparitäten im konventionellen Bereich, zu den Disparitäten im Mittelstreckenbereich geäußert hat, ändert nichts daran, daß seit eh und je die Entscheidung im atomaren Bereich über die Produktion eine souveräne amerikanische Entscheidung ist und auch bleiben wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist nicht nur die Auffassung der Bundesregierung, das ist auch die Auffassung des Präsidenten der Vereinigten Staaten — er hat das kürzlich zum Ausdruck gebracht —, und es ist die Auffasung des britischen Premierministers. Ich denke, daß die Bundesregierung deshalb gut beraten war, diese Auffassung auch zum Ausdruck zu bringen.Der Bundeskanzler hat heute morgen in klarer Form die Position der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht. Ich will sie noch einmal wiederholen, weil sie ganz offensichtlich im Laufe der Debatte vor Fragestellungen, die nicht unmittelbar zum Thema gehören, in den Hintergrund getreten ist. Der Bundeskanzler hat gesagt — ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin —:Die wesentlichen Elemente unserer Haltung waren und sind:Erstens. Die Bundesregierung hat sich schon zu Zeiten Konrad Adenauers feierlich zum Verzicht auf Atomwaffen verpflichtet. Wir haben diese Verpflichtung mit unserer Unterschrift• unter den Nichtverbreitungsvertrag bekräftigt. Eine Teilnahme an der Entscheidung des amerikanischen Präsidenten über die Produktion von Neutronenwaffen würde den Verbündeten, insbesondere der Bundesrepublik Deutschland, die kein Kernwaffen-Staat ist, entgegen der bisherigen Praxis eine Mitentscheidung im Bereich der Produktion nuklearer Waffen zuweisen. Deshalb mußte und muß eine etwaige Produktionsentscheidung eine souveräne Entscheidung der USA bleiben.Zweitens. Nach einer etwaigen Produktionsentscheidung der USA sollten alle sich bietendenMöglichkeiten zu Fortschritten bei Rüstungsbegrenzungsverhandlungen, insbesondere bis zur tatsächlichen Dislozierung der Neutronenwaffe, geprüft und sodann in Verhandlungen tatsächlich genutzt werden.Drittens. Die Bundesregierung hat in den Konsultationen ihre Bereitschaft erklärt, dann die Lagerung von ER-Waffen auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland zuzulassen, wenn nicht innerhalb von zwei Jahren nach amerikanischer Produktionsentscheidung die westliche Seite auf die Dislozierung verzichtet, weil inzwischen entsprechende Resultate von Rüstungsbegrenzungsverhandlungen vorliegen.Die Bundesregierung ging dabei ausdrücklich davon aus, daß in solchem Fall darüber ein gemeinsamer Beschluß im Bündnis herbeigeführt werden würde. Die Bundesregierung hat gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, daß die Dislozierung von ER-Waffen nicht allein auf deutschem Territorium erfolgen könnte.Der Bundeskanzler hat diesen Punkt mit der Feststellung beschlossen:Die in diesen drei Punkten festgelegte Haltung hat die Bundesregierung frühzeitig formuliert und daran bis heute festgehalten. Es gibt keinen ersichtlichen Grund, diese Position zu verändern.Ich bekräftige diese Haltung der Bundesregierung, die unzweifelhaft ist, unzweifelhaft war und mit unseren Verbündeten besprochen war, hier erneut vor dem Deutschen Bundestag.
Wenn jetzt im Verlauf der Debatte in der Rede von Herrn Kollegen Strauß — in der Rede von Herrn Kollegen. Kohl ist dies heute morgen nicht angeklungen — die Frage aufgeworfen wird „Warum nur in der Bundesrepublik Deutschland?" und wenn der Bundeskanzler kritisiert wird, daß er sich nicht bereit erklärt, nur in der Bundesrepublik Deutschland zu dislozieren, muß ich mich doch fragen, Herr Kollege Strauß, warum Ihre Fraktion einen Antrag einbringt, in dem es heißt:Die Bundesregierung wird aufgefordert, entsprechend ihrer eigenen Entscheidung im Bundessicherheitsrat,. ihre Bereitschaft zur Stationierung der Neutronenwaffe auf idem Gebiet europäischer NATO-Staaten, einschließlich der Bundesrepublik Deutschland, gegenüber dem Präsidenten der Vereinigten Staaten zu bekräftigen.Sie verlangen also sogar noch mehr von uns, als wir verlangt haben, nämlich daß wir hier über das beschließen, was die souveräne Entscheidung anderer Verbündeter in Europa ist.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Strauß?
Bitte schön.6534 •Metadaten/Kopzeile:
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Herr Bundesminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der von mir vertretene Standpunkt der gemeinsame Standpunkt der Fraktion der CDU/CSU ist, daß wir aber, um Ihnen die Zustimmung zu unserer Entschließung nicht zu erschweren, das geschluckt haben, was von der Bundesregierung an Bedingungen gestellt worden ist — in der Hoffnung, daß Sie wenigstens dann unseren Entschließungsantrag in der Öffentlichkeit unterstützen und sich offen dazu bekennen würden?
Herr Kollege Strauß, das ist eine wichtige Erläuterung, die indessen nicht alle Unterschiede zwischen Ihrem Antrag, indem Sie sich auf den Beschluß des Bundessicherheitsrates beziehen, und der hier vom Bundeskanzler vertretenen Position der Bundesregierung aufhebt. So fehlt die außerordentlich wichtige rüstungskontrollpolitische Komponente der Haltung der Bundesregierung.
Ich glaube, nachdem das gesamte NATO-Bündnis in Übereinstimmung mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten die rüstungskontrollpolitische Nutzung der glaubwürdig aufrechterhaltenen Option für die Produktion bejaht hat, sollte die Bundesregierung und sollte auch der Deutsche Bundestag hier heute nicht mit einem Beschluß von dieser gemeinsamen Haltung des Bündnisses abweichen.
Wir sollten uns im Gegenteil — dann hat diese Debatte einen Nutzen — auf die Frage konzentrieren, wie denn die Position, die der amerikanische Präsident mit seiner Entscheidung und das Bündnis mit seiner Stellungnahme geschaffen haben, rüstungskontrollpolitisch genutzt werden kann.Meine Damen und Herren, in der Debatte hat es zwischen der Bundesregierung, den Rednern der Koalition und den Vertretern der Opposition eine übereinstimmende Einschätzung an der Stelle gegeben, an der von der Überlegenheit der anderen Seite im konventionellen Bereich — vor allem im Bereich der Panzerrüstung — und des Mittelstreckenpotentials die Rede war.Wir würden nach meiner Überzeugung einen Fehler machen, wenn wir jetzt erste Erklärungen zu der Entscheidung des amerikanischen Präsidenten als das letzte Wort der Sowjetunion nähmen. Im Gegenteil: Jetzt geht es darum, daß die westlichen Staaten jeden Versuch unternehmen, um diese Option zu nutzen und um auszusprechen, daß es jetzt Sache der Sowjetunion ist, einen positiven Rüstungskontrollpolitischen und rüstungsbegrenzungspolitischen Beitrag für die weitere Entwicklung der Sicherheitslage in Europa in Richtung auf das Gleichgewicht zu leisten.
Hier liegt der Ansatzpunkt für die Haltung der Bundesregierung. Ich kann der Kritik nicht zustimmen, daß die Position der Bundesregierung in dieser Frage nicht klar und eindeutig sei.
Der Bundeskanzler hat, wie von mir heute verlesen, diese Position öffentlich deutlich gemacht. Die rüstungskontrollpolitische Komponente, Herr Kollege Mertes, habe ich bereits im Sommer des vorigen Jahres erwähnt, als die Diskussion begann.Es gibt auch andere Verlautbarungen. Der Herr Kollege Leber hat noch in seiner Eigenschaft als Verteidigungsminister in der Debatte am 8. September 1977 — wenn ich es richtig übersehe — eine erste Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Fragenkomplex abgegeben und dabei auf die Probleme hingewiesen, die sich für unsere Sicherheit stellen und deren Lösung notwendig ist, wenn es sich nicht als erforderlich erweisen soll, zur Produktion und Dislozierung der Neutronenwaffe zu schreiten.Das bedeutet: Der interne Meinungsbildungsprozeß im westlichen Bündnis — und das ist nicht eine Sache von heute auf morgen, und das ist, ich betone es noch einmal, nicht eine Sache allein der Bundesrepublik Deutschland und der Vereinigten Staaten — ist von klaren, den jeweiligen Stand der Meinungsbildung in der Bundesregierung wiedergebenden öffentlichen Erklärungen auch von Mitgliedern der Bundesregierung begleitet worden, die sich nicht in Widerspruch zur Auffassung des Bundeskanzlers gestellt haben, sondern darin mit ihm auf Grund der Beratungen im Sicherheitsrat und außerhalb übereinstimmten.Ich lege die Betonung jetzt auf den rüstungskontrollpolitischen Aspekt, weil wir die Diskussion über die Neutronenwaffe, über die Herstellung einer Parität im konventionellen Bereich und über die Bedrohung durch das sowjetische Mittelstreckenpotential im Gesamtzusammenhang der Abrüstungs- und Rüstungskontrollgespräche führen müssen, die auf den verschiedenen Ebenen stattfinden. Gerade jetzt beginnen die SALT-Verhandlungen wieder ins Zentrum der amerikanisch-sowjetischen Politik zu treten.Bei unseren Gesprächen in Washington hat sich gezeigt, daß die Vereinigten Staaten bereit sind, die spezifischen europäischen Interessen, die in diesem Zusammenhang zu wahren sind, zu berücksichtigen. Das ist ein entscheidender Faktor und Ausdruck der Solidarität im Bündnis und des Verantwortungsbewußtseins der Vereinigten Staaten für die europäische Sicherheit.Hier ist heute morgen erwähnt worden, daß wir in diesen Tagen bei den MBFR-Verhandlungen durch eine Initiative neue Bewegung in diese Verhandlungen bringen wollen. Es muß ja unser gemeinsames Ziel sein, auch im konventionellen Bereich zu einer Parität zu kommen. Daran, daß es jetzt darum geht, bei den Wiener Verhandlungen über die Fragen der Parität zu sprechen und das Paritätsziel unter Aufrechterhaltung unserer essentiellen Forderungen nach Kollektivität zu erreichen, zeigt sich, daß die abrüstungspolitische Diskussion in Gang gekommen ist. In diese abrüstungspolitische
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6535
Bundesminister GenscherDiskussion gilt es jetzt den Stand der Entscheidung der amerikanischen Regierung über die Produktion der Neutronenwaffe einzuführen und rüstungskontrollpolitisch für uns zu nutzen. Auf diese Weise können wir der Sicherheit unseres Landes am besten Genüge tun.Wir würden es deshalb begrüßen — ich sage das hier für die Bundesregierung —, wenn der ganze Deutsche Bundestag angesichts der klaren Haltung der Regierung in der Sache sich entschließen könnte, über diese Kurzfassung im CDU-Antrag hinaus sich zu dieser wichtigen rüstungskontrollpolitischen Komponente der Bemühungen des ganzen Bündnisses durch Zustimmung zum _Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zu bekennen.
Meine Damen und Herren, es wäre ein Zeichen. der Solidarität im Bündnis, es wäre ein Zeichen der Übereinstimmung in der Sicherheitspolitik, es wäre ein Zeichen für unseren Willen, einen Beitrag zur Abrüstung und Rüstungskontrolle zu leisten, wenn der Antrag der Fraktionen von SPD und FDP, der heute hier zur Abstimmung vorliegt, mit den Stimmen aller Mitglieder des Hohen Hauses angenommen werden könnte. Das würde unsere Verhandlungsposition stärken, und es würde zeigen, meine Damen und Herren, daß wir bereit sind, konstruktiv bei der Rüstungskontrolle mitzuwirken, aber auch mit Festigkeit die Sicherheitsinteressen unseres Landes zu vertreten.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe damit die Aussprache.
Es liegen uns zwei Entschließungsanträge vor. Ich rufe zunächst den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD/FDP auf Drucksache 8/1697 auf. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der SPD/FDP auf Drucksache 8/1697. Wer die Zustimmung geben will, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe!
Meine Damen und Herren, darf ich noch einmal um das Handzeichen bitten. Wer zuzustimmen wünscht, bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe!
Meine Damen und Herren, es besteht keine Einigkeit unter den Schriftführern.
Darf ich einmal bitten aufzustehen. Wer zuzustimmen wünscht, möge sich erheben. — Gegenprobe!
— Es besteht hier keine Einigkeit. Wir müssen auszählen. Ich bitte, den Saal zu verlassen..
Ich gebe das Abstimmungsergebnis bekannt. Insgesamt 465 Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. -Mit Ja haben 240, mit Nein 225 Abgeordnete gestimmt. Damit ist die Entschließung angenommen.
Ich rufe nun den Entschließungsantrag der CDU/ CSU-Fraktion auf Umdruck 8/1700 auf. Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung über diesen Entschließungsantrag. Wer seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich bitte, noch einen Augenblick sitzenzubleiben. Herr Abgeordneter Bahr hat zu einer persönlichen Bemerkung nach § 35 der Geschäftsordnung um das Wort gebeten.
Bitte schön, Herr Bahr.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu dem einen Punkt, wo Herr Kollege Strauß mich gefragt hat, eine persönliche Bemerkung machen.
Erstens. Ich kenne den Artikel von Herrn Poljanow, auf den er abgestellt hat, nicht.
Zweitens. Ich kann hier erklären, daß ich die mir von Herrn Strauß unterstellten Bemerkungen nicht gemacht habe.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche jetzt die Sitzung bis 14 Uhr. Wir treten dann zur Fragestunde zusammen.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Meine Damen und Herren, wir fahren in den Beratungen fort.Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksache 8/1689 —Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Herr Staatsminister Wischnewski steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Ich rufe die Frage 109 des Herrn Abgeordneten Luster auf:Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der seit Jahren erkennbare und fortschreitende Bevölkerungsrückgang in Berlin und ein weiteres Absinken unter die Zahl von zwei Millionen Einwohnern langfristig zu einer Existenzgefährdung des freien Berlin führen können und wegen der historischen und aktuellen politischen Rolle Berlins für Deutschland verhindert werden müssen, und wird die Bundesregierung sicherstellen, daß die Stabilisierung der Bevölkerungsentwicklung -von Berlin (West) durch außergewöhnliche Maßnahmen des Bundes gefördert, diesbezügliche Vorschläge Berlins vorrangig unterstützt und weitere Maßnahmen der Länder koordiniert werden?Bitte schön, Herr Staatsminister.
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6536 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Ich bitte, Frau Präsident, zu den Fragen 109 bis 117 vorab einige allgemeine Bemerkungen abgeben zu dürfen, weil die Fragen alle im Zusammenhang stehen und auch einen Zusammenhang mit anderen Überlegungen erkennen lassen. Falls die Fragesteller damit einverstanden sind und Sie, Frau Präsident, das zulassen, würde ich mit den einleitenden Ausführungen beginnen.
Dagegen ist nichts einzuwenden. Das Fragerecht der Fragesteller bleibt davon natürlich unberührt.
Herr Kollege, sind Sie damit einverstanden?
Ich frage mich, Frau Präsident, wieso der Herr Staatsminister meint, daß ich als Fragesteller mein Einverständnis dazu geben muß, daß er jetzt mit einer Einleitung beginnt.
Das Verfahren weicht von der sonst üblichen Form der Beantwortung von Fragen ab. Insofern müßten die Fragesteller damit einverstanden sein. Ich sehe, das ist der Fall.
— Herzlichen Dank, Herr Kollege. Bitte schön, Herr Staatsminister.
Wischnewski, Staatsminister: Frau Präsident, ich möchte nur sagen: Ich habe diese Frage auf Grund meines Respekts vor dem Hohen Hause gestellt.
Die Fragen 109 bis 117 betreffen die Bevölkerungsentwicklung in Berlin und damit einen Teilbereich der Wirtschaftsentwicklung Berlins im weitesten Sinne. Um die Einstellung der Bundesregierung zu diesem Thema zu verdeutlichen, möchte ich zunächst zwei Sätze aus der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 16. Dezember 1976 zitieren:
Im Mittelpunkt unserer Anstrengungen für Berlin muß in den nächsten Jahren die Wirtschaft im weitesten Sinne stehen. Unser Ziel wird es sein, die Unternehmen und die, Wirtschaftsbetriebe in Berlin voll zu entfalten und dort zusätzliche produktive Arbeitsplätze zu schaffen.
Die Bundesregierung ist sich ihrer Verpflichtung bewußt, die wirtschaftliche, geistige, politische und kulturelle Anziehungskraft Berlins zu erhalten und zu stärken. Sie wendet hierfür erhebliche Mittel auf, allein in diesem Jahr nahezu 10 Milliarden DM. Diese Summe setzt sich zusammen aus der Bundeshilfe, aus sonstigen Leistungen aus dem Bundeshaushalt und aus steuerlichen Hilfen. Im Jahre 1978 beträgt allein die Bundeshilfe für Berlin 7,781 Milliarden DM. Sie ist damit seit 1969 um mehr als 5 Milliarden DM gestiegen, anders ausgedrückt: Sie ist seit 1969 um 193 % gestiegen, während im Vergleich dazu das Volumen des Bundesetats im gleichen Zeitraum nur um 130 % stieg.
Trotz dieser massiven Hilfe verkennt die Bundesregierung nicht, daß in Berlin keinesfalls alle Probleme gelöst sind. Der Senat und das Abgeordnetenhaus, die Industrie- und Handelskammer und die Gewerkschaften, andere Institutionen wie das DIW befassen sich sich seit Jahren mit diesen Fragen. Sorge bereitet insbesondere der Bevölkerungsrückgang. Er ist langfristig ein Problem für die ganze Bundesrepublik Deutschland. Wir verkennen jedoch nicht, daß dieses Thema für Berlin ganz besondere Bedeutung hat.
Mit der weiteren Entwicklung Berlins befaßt sich derzeit eine Arbeitsgruppe beim Herrn Bundespräsidenten. Alle im Bundestag vertretenen Parteien arbeiten in dieser Gruppe mit. Die Arbeiten in diesem Gremium sind noch nicht abgeschlossen. Die Beteiligten haben Vertraulichkeit vereinbart. Im Hinblick hierauf möchte ich die Fragesteller bitten, dafür Verständnis zu haben, daß sich die Bundesregierung bei der Beantwortung der Fragen auch von der von allen Beteiligten vereinbarten Vertraulichkeit leiten läßt.
Ich will noch einmal versichern, daß die Bundesregierung nicht nur die mit einem Bevölkerungsrückgang einhergehenden Probleme Berlins sieht, sondern daß sie darüber hinaus gemeinsam mit dem Senat auch künftig ,das Erforderliche tun wird, um die Vitalität der Stadt zu erhalten.
Diese Vorbemerkung wollte ich für alle Fragen 109 bis 117 machen.
Nunmehr komme ich zur Beantwortung der Frage 109. Die Bundesregierung beobachtet die Bevölkerungsentwicklung in Berlin mit Sorge. Viele erkennbare wirtschafts- und bevölkerungspolitische Symptome hat der Bundeskanzler zum Anlaß genommen, 1974 und 1975 in zwei ganz speziellen Berliner Wirtschaftsgesprächen verstärkte Aktivitäten zugunsten der Berliner Wirtschaft anzuregen, nachdem die politische Zukunft der Stadt und die Sicherheit der Zufahrtswege durch die Vertragspolitik der Bundesregierung und speziell auch durch das Viermächteabkommen auf Dauer sichergestellt werden konnten.
Die Bundesregierung weiß, daß außer ihr auch die Arbeitsgruppe Berlin beim Herrn Bundespräsidenten, der Berliner Senat, das Abgeordnetenhaus und Institutionen wie die Berliner Industrie- und Handelskammer die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Berlins und in diesem Zusammenhang auch die Frage der Bevölkerungsentwicklung aufmerksam verfolgen. Die sich aus all dem ergebenden Aktivitäten unterstützen die Bundesregierung und den Senat in ihrem gemeinsamen Bemühen, die Attraktivität und Lebensfähigkeit Berlins auf eine noch breitere Grundlage zu stellen.
Bitte, Herr Kollege Luster, eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, nicht eingehend auf Ihre Vorbemerkungen und auf Ihren Abschweifungsversuch: Wann beabsichtigt die Bundesregierung zur nachhaltigen sowohl strukturellen
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Lusterwie zahlenmäßigen Stabilisierung der Bevölkerungsentwicklung Berlins ein Programm vorzulegen, das zeitlich und dem Umfange nach insbesondere die erforderlichen wirtschaftlichen, sozialen, finanziellen und familienpolitischen Maßnahmen im einzelnen beschreibt?Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung ist an den Gesprächen der Arbeitsgruppe beim Herrn Bundespräsidenten beteiligt. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß die von Ihnen angesprochenen Fragen dort eine ganz besondere Rolle spielen. Ich gehe von der Voraussetzung aus, daß die Arbeiten dort bald abgeschlossen werden können. Dann wird die Bundesregierung ihre Entscheidungen in den von Ihnen angesprochenen Fragen treffen. Auf einige Leistungen und Aktivitäten der Bundesregierung habe ich bereits hingewiesen.
Zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Luster.
Herr Staatsminister, da Sie einen Termin auch jetzt nicht angeben können: Warum ist die Bundesregierung bisher nicht den vielfältigen Maßnahmenvorschlägen des Senats von Berlin zur Stabilisierung der Bevölkerungsentwicklung gefolgt, oder wurden solche Maßnahmenvorschläge vom Senat von Berlin nicht gemacht?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung wird auch Vorschläge des Berliner Senats, aber auch des Berliner Abgeordnetenhauses — Sie wissen ja, daß es solche auch gibt —, aufgreifen und darum bemüht sein, das, was in ihre Zuständigkeit fällt, in die Tat umzusetzen. Daß jetzt, wenn erfreulicherweise alle vier Parteien darum bemüht sind, Berlin zu helfen, die Bundesregierung hier auf das Ergebnis wartet, zumal es unmittelbar bevorsteht, wenn ich über den Fortgang der Gespräche richtig informiert bin, scheint mir eine Selbstverständlichkeit zu sein. Das sage ich auch im Respekt vor denjenigen, die an den Gesprächen beim Herrn Bundespräsidenten beteiligt sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz.
Herr Staatsminister, warum ist die Bundesregierung den jahrelang bekannten Berliner Vorschlägen, insbesondere den aus der CDU heraus entwickelten Vorschlägen, nicht gefolgt, zur Lösung dieser Probleme, ihrer eingehenden Untersuchung und Analyse einen Planungsstab im Bundeskanzleramt einzurichten?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung verfügt über die Zahl von Mitarbeitern, die notwendig ist, um diese Arbeiten zu bewältigen. Die Zusammenarbeit der Ressorts in dieser Frage ist ausgezeichnet. Auf die besonderen Aktivitäten des Bundeskanzlers habe ich hingewiesen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Straßmeir.
Herr Staatsminister, soeben wurde auf die Vorschläge des Senats abgehoben, die auch der Bundesregierung bekannt sind. Ich möchte Sie fragen, ob es Punkte gibt, in denen die Bundesregierung mit dem Senat von Berlin in Dissens steht.
Wischnewski, Staatsminister: Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und dem Berliner Senat sind ausgezeichnet.
— Die Bundesregierung und der Berliner Senat befinden sich, wie jedem bekannt ist, in einem ständigen Dialog. Der Berliner Senat ist jetzt genauso an den Gesprächen beteiligt, an denen auch Sie beteiligt sind. Ich muß sagen, daß ich es etwas sonderbar finde, wenn sich einige Kollegen aus Ihrer Fraktion an den Gesprächen beim Bundespräsidenten beteiligen, dort die Vertraulichkeit vereinbaren und andere dann meinen, anders handeln zu können. Ich werde in dieser Frage das tun, was der Sache dient.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Egert.
Herr Staatsminister, können Sie mir bestätigen, daß auch in anderen Großstädten —Ausnahme: München — die Bevölkerungsentwicklung rückläufig ist, z. B. in Frankfurt und Hamburg, daß sich also die besondere Besorgnis, die hier in Frage 109 mit dem Bevölkerungsrückgang verbunden wird, relativiert, wenn man sich die zahlenmäßige Entwicklung der Bevölkerung insgesamt ansieht?
Wischnewski, Staatsminister: Ich möchte ausdrücklich bestätigen, daß es eine solche Entwicklung auch in anderen Großstädten gibt. Ich habe in meiner Antwort auf die Frage 109 ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dieses Problem für die Bundesrepublik in ihrer Gesamtheit besteht, daß es aber natürlich aus den uns allen bekannten Gründen für Berlin seine besondere Bedeutung hat, und dies wird berücksichtigt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Diederich.
Herr Staatsminister, können Sie mir bestätigen, daß die Existenzfähigkeit einer Stadt wie Berlin nicht allein von der Bevölkerungszahl abhängt, sondern daß es im wesentlichen auf die Struktur und die Zusammensetzung der Bevölkerung, insbesondere auf ihre ökonomische Leistungsfähigkeit ankommt?
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6538 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Wischnewski, Staatsminister: Für die Existenzfähigkeit der Stadt Berlin spielen viele Faktoren eine Rolle. Ich glaube, die Bundesregierung und der Berliner Senat müssen alle Faktoren, die für die Existenzfähigkeit von Berlin von Bedeutung sind, berücksichtigen. Das gilt in besonderem Maße für diejenigen, die von Ihnen angesprochen worden sind.
Eine Zusatzfrage des Herr Abgeordneten Kittelmann.
Herr Staatsminister, können Sie mir im Hinblick auf die von Ihnen genannten Zahlen der Steigerung seit 1969 und auf den sehr viel stärkeren Anstieg der Bundeszuschüsse für Berlin in ihrer Gesamtheit zustimmen, daß es angesichts der uns allen gemeinsam obliegenden Verpflichtung, Berlin zu helfen, zur Vermeidung eines noch stärkeren Anwachsens der Zuschüsse vor allem notwendig ist, den Bevölkerungsrückgang in Berlin zu stoppen?
Wischnewski, Staatsminister: Nein, ich sehe da keinen unmittelbaren Zusammenhang. Mir lag daran, mit der Nennung der Zahlen nachzuweisen, daß auch die bisherige Politik der Bundesregierung und übrigens, wenn ich richtig informiert bin, des ganzen Hauses davon ausgeht, daß für Berlin etwas Besonderes und Zusätzliches geschieht und daß sich diese Politik auch weiter derart entwickeln wird. Das geschieht jetzt stärker unter den Gesichtspunkten, die hier in dieser Frage und in den nächsten angesprochen worden sind.
Eine Zusatzfrage des Herr Abgeordneten Dr. Kreutzmann.
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß den Bemühungen um die Stärkung Berlins wenig gedient ist, wenn man in dieser Form, in der es hier geschieht, die Lebensfähigkeit der Stadt in Frage stellt?
Wischnewski, Staatsminister, Herr Kollege Dr. Kreutzmann, ich gehe von der Voraussetzung aus, daß derjenige, der von diesem Platz aus redet, in der Beurteilung bestimmter Fragen darum bemüht sein sollte, sich eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen. Ich tue das.
Ich rufe Frage 110 des. Herrn Abgeordneten Luster auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der fortschreitende Bevölkerungsrückgang in Berlin in seinem Ausmaß und in seinen Ursachen nicht mit der Bevölkerungsentwicklung anderer westdeutscher Großstädte vergleichbar und in seinen Wirkungen für die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Stadt ungleich gefährlicher ist, und wird die Bundesregierung deshalb dafür Sorge tragen, daß die Stabilisierung der Bevölkerungsentwicklung von Berlin (West) durch Aufrechterhaltung eines Präferenzgefälles der Wirtschaftsförderung gegenüber anderen Regionen des Bundesgebiets unterstützt wird?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß der Bevölkerungsrückgang in Berlin angesichts der geographischen Lage der Stadt nicht ohne weiteres mit der Bevölkerungsentwicklung anderer westdeutscher Großstädte vergleichbar ist. Auch daher nimmt die Frage des Präferenzgefälles bei den Gesprächen der vier Parteien beim Herrn Bundespräsidenten einen hohen Stellenwert ein. Ich möchte, wie ich bereits vorhin gesagt habe, dem Ergebnis dieser Gespräche nicht vorgreifen, möchte aber darauf hinweisen, daß die Bundesregierung derzeit prüft, ob und in welcher Weise der Präferenzvorsprung Berlins sichergestellt werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staaatsminister, darf ich Ihrer Antwort zu dem letzten Teil entnehmen, daß die Bundesregierung zur Zeit nicht in der Lage ist, anzugeben, in welchem konkreten Punkt das Präferenzgefälle inzwischen so flach geworden ist, daß es zugunsten Berlins wieder verstärkt werden muß?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung hat zu allen Fragen ihre konkrete Meinung, aber sie wird die Gespräche der Parteien beim Bundespräsidenten jetzt nicht stören.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Auf welche Weise, Herr Staatsminister, verschafft sich im Vorfeld dieser eben von Ihnen genannten Meinungsbildung die Bundesregierung einen methodischen und kontinuierlichen Überblick darüber, ob und inwieweit die Wirtschaftsförderung Berlins jeweils noch ausreichend ist?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung ist, wie Sie wissen, mit den Fragen der Wirtschaftsförderung Berlins ständig beschäftigt. Sie wissen, daß sich in dieser Frage — auf einige Teilaspekte komme ich ja noch bei der Beantwortung der übrigen Fragen zurück — der Bundeskanzler selbst in sehr hohem Maße engagiert hat. Wenn die Ergebnisse der Arbeitsgruppe vorliegen, wird die Bundesregierung zu dem, was die vier Parteien vorschlagen, sehr konkret Punkt für Punkt ihre Meinung sagen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Diederich.
Herr Staatsminister, würden Sie mir darin zustimmen, daß zur wirtschaftlichen Förderung eines Gebildes wie Berlin nicht nur das Angebot von Präferenzen gehört, sondern auch die Annahme dieses Angebots durch die freie Wirtschaft und daß sich daraus eine besondere Verpflichtung und auch Mitverantwor-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6539
Dr. Diederich
tung der freien Wirtschaft, insbesondere der Großunternehmen, für die Zukunft, die Entwicklung und die Existenzfähigkeit Berlins ergibt?Wischnewski, Staatsminister: Ich möchte das, was in Ihrer Frage zum Ausdruck kommt, ausdrücklich unterstreichen. Dies war auch der Grund dafür, daß sich der Bundeskanzler darum bemüht hat, daß besonders in Großunternehmen der deutschen Wirtschaft Berlin-Beauftragte eingesetzt werden. Dies ist ja in der Zwischenzeit — und zwar mit positiven Ergebnissen — geschehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kittelmann.
Herr Staatsminister, kann man also Ihrer Beantwortung der eben gestellten Frage entnehmen, daß Sie die in der Frage zum Ausdruck kommende Ansicht, an der Wirtschaft sei im Hinblick auf einen Mangel an Engagement in Berlin Kritik zu üben, nicht teilen?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe in dieser Frage keine Kritik entdeckt, sondern den Eindruck gewonnen, daß der Fragesteller wissen wollte, ob das Engagement der Wirtschaft notwendig ist. Dazu kann ich sagen: selbstverständlich. Die Probleme der Wirtschaftsentwicklung in Berlin sind nur mit einem entsprechenden Engagement der Wirtschaft lösbar — neben den Präferenzen, die auf der politischen Ebene geschaffen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß in engstem Zusammenhang mit der Bevölkerungsentwicklung in Berlin die Mobilisierung und Förderung zukunftsträchtiger wirtschaftlicher Unternehmungen in Berlin zu sehen ist, und hat die Bundesregierung diesbezüglich neue Pläne?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung teilt erst einmal die grundsätzliche Auffassung. Im übrigen gibt es, was die Zukunftssicherung betrifft, insbesondere in bezug auf die Forschungspolitik eine Reihe konkreter Vorstellungen und Pläne der Bundesregierung.
Ich rufe Frage 111 des Herrn Abgeordneten Kunz auf:
Wie wird die Bundesregierung der Gefahr begegnen, daß der fortschreitende Bevölkerungsrückgang in Berlin die Chancen der Stadt gefährdet, sich in der andauernden OstWest-Auseinandersetzung gegenüber dem mit Vorrang und systematisch zur „Hauptstadt der DDR" ausgebauten östlichen Teil der Stadt als europäische Metropole zu behaupten?
Bitte, Herr Staatsminister.
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung mißt die Erhaltung der Lebensfähigkeit und Attraktivität der Stadt nicht am Ausbau des östlichen Teils von Berlin, sondern an der wirtschaftlichen und kulturellen Konkurrenzfähigkeit Berlins gegenüber anderen europäischen Metropolen. Dazu hat Berlin gute Voraussetzungen. Nicht nur ist die Stadt voll in die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland und damit auch der Europäischen Gemeinschaft integriert, sondern Berlin hat bekanntlich auch eine ausgezeichnete Infrastruktur. Ich verweise auf die öffentlichen Versorgungsbetriebe und beispielsweise auch darauf, daß die Schulen und Krankenhäuser von hohem Niveau sind. Vom Bildungsstand her sowie vom technischen und industriellen Wissen her besitzt Berlin eine Bevölkerung, die unternehmerisch hochqualifiziert ist und deren Facharbeiter den Herausforderungen einer modernen Industriegesellschaft gewachsen sind. Die Anstrengungen der Bundesregierung und des Berliner Senats zielen darauf ab, auch für die Zukunft dieses Niveau zumindest zu erhalten.
Herr Abgeordneter Kunz, bitte, Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da es mir um die Stärkung Berlins als einer europäischen Metropole geht, frage ich Sie, ohne daß ich viele Dinge, die Sie soeben zur Qualität unserer Stadt gesagt haben, etwa leugne — ich möchte sie ausdrücklich bestätigen — : Was wird die Bundesregierung tun, um insbesondere stärkere europäische kulturelle Aktivitäten nach Berlin zu verbringen?
Wischnewski, Staatsminister: Erstens darf ich feststellen, daß es in Zukunft zusätzliche kulturelle Aktivitäten, auch internationale Aktivitäten, geben wird. Wenn Sie in den Bundeshaushalt schauen, werden Sie feststellen, daß schon für dieses Jahr entsprechende Voraussetzungen geschaffen worden sind. Wir sollten abwarten, wie die Erfahrungen in bezug auf dieses Jahr aussehen werden. Daraufhin sollte über die weitere Entwicklung zusätzlicher internationaler kultureller Veranstaltungen in Berlin entsprechend entschieden werden.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Indem ich, Herr Staatsminister, einen weiteren Punkt anspreche, über den nicht beim Herrn Bundespräsidenten verhandelt wird, frage ich Sie, was die Bundesregierung unternehmen wird, um die Funktion Berlins als eines europäischen Entwicklungshilfezentrums auszubauen.Wischnewski, Staatsminister: Es gibt in Berlin eine ganze Reihe von Aktivitäten der deutschen Entwicklungspolitik. Ich erinnere an die Deutsche Stiftung für internationale Zusammenarbeit, ich erinnere an das Entwicklungsinstitut, ich erinnere an den Deutschen Entwicklungsdienst. Das heißt, Berlin beherbergt bereits jetzt eine Reihe von Institutio-
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6540 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Staatsminister Wischnewskinen der deutschen Entwicklungspolitik. Wenn es neue Institutionen überhaupt geben sollte, wird darüber zu entscheiden sein. Mir ist nicht bekannt, daß sich zur Zeit die Notwendigkeit ergibt, neue Institutionen der deutschen Entwicklungspolitik zu schaffen. Aber ich möchte darauf hinweisen, daß Berlin hier in den vergangenen Jahren bereits in ganz besonders starkem Maße berücksichtigt worden ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Luster.
Herr Staatsminister, Sie werden sich noch erinnern, daß Sie auf dem letzten Landesparteitag der SPD in Hamburg mitgeteilt haben, die Bundesregierung beschäftige sich mit der Einrichtung eines europäischen Krebsforschungszentrums in Berlin und werde das der KSZE vortragen. Frau Hamm-Brücher hat uns hier mitgeteilt, daß. das nicht der Fall sei. Ich weise Sie darauf hin, daß vor wenigen Tagen der Senatssprecher auf eine FDP-Anfrage mitgeteilt hat, daß das doch zum Zuge komme.
Würden Sie bitte fragen.
Wie steht es mit dem europäischen Krebsforschungszentrum? Ist das eine Maßnahme der Bundesregierung, die in diesem Zusammenhang getroffen wird oder nicht?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung ist selbstverständlich daran interessiert, daß es im Rahmen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa viele Aktivitäten gibt, die sich direkt in positiver Weise für die Menschen in Europa auswirken. Deswegen gehören zu den generellen Überlegungen über ,die Fortsetzung der Arbeit der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa auch Überlegungen über gemeinsame Probleme der Gesundheitspolitik. Dazu würde dann eine solche Aufgabe gehören. Die Bundesregierung wird eine Initiative dann entwickeln, wenn sie den Zeitpunkt für geeignet hält, in einer solchen Frage einen Schritt nach vorne zu tun.
Im übrigen wollte ich ausdrücklich feststellen, daß ich leider noch nie die Chance gehabt habe, auf einem Hamburger Landesparteitag zu sprechen.
— Ich bedanke mich.
— Ja, ich wollte nur nicht, daß hier ein falscher Eindruck entsteht.
Zusatzfrage, Herr A b-geordneter Kittelmann.
Herr Staatsminister, kann man davon ausgehen, daß Sie bei der Beantwortung der Frage 111 des Abgeordneten Kunz vielleicht auch darauf hätten eingehen können, wieweit die politische Idee, die Ihre Regierung, speziell einige ihrer Vertreter, einmal vertreten haben, Berlin zur Drehscheibe zwischen Ost und West zu machen, immer mehr in Vergessenheit geraten ist, weil man der Wucht, mit der Ost-Berlin seine Funktion als Hauptstadt der DDR entwickelt hat, nichts entgegenzuhalten hatte?
Wischnewski, Staatsminister: Ich glaube nach wie vor, daß Berlin in den Fragen des Ost-West-Handels immer eine ganz besondere Rolle spielen sollte und daß für die Weiterentwicklung der Ansätze, die deutlich erkennbar sind, auch gute Voraussetzungen gegeben sind.
Ich rufe die Frage 112 der Abgeordneten Frau Berger auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der fortschreitende Bevölkerungsrückgang in Berlin , der nicht nur gegenwärtig durch einen hohen Sterbeüberschuß, sondern langfristig auch durch einen starken Rückgang der Zahl der Kinder und Jugendlichen bestimmt wird, über die Zuzugswerbung hinausgehende und auch von der Bundesregierung zu treffende Maßnahmen erfordert, und was gedenkt die Bundesregierung insoweit zu veranlassen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Wischnewski, Staatsminister: Verehrte Frau Kollegin, auch dieser Fragenkomplex wird gegenwärtig eingehend von der Arbeitsgruppe Berlin beim Herrn Bundespräsidenten behandelt. Ich möchte den möglichen Ergebnissen nicht vorgreifen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Berger.
Herr Staatsminister, ohne daß dadurch der Aufgabenkatalog und die Vertraulichkeit der Arbeitsgruppe beim Herrn Bundespräsidenten berührt werden, frage ich Sie, ob der Bundesregierung bekannt ist, daß die 1. Enquete-Kommission der 7. Wahlperiode des Abgeordnetenhauses von Berlin in ihrem Ausschußbericht — Drucksache 7/1171 — in Mehrheit und Minderheit nachdenkenswerterweise übereinstimmend festgestellt hat, daß die rückläufige Bevölkerungsentwicklung soweit wie nur möglich durch geeignete bevölkerungspolitische Maßnahmen und andere wirksame Maßnahmen aufgehalten werden muß.
Wischnewski, Staatsminister: Ich möchte die Auffassung, die dort in der Enquete-Kommission offensichtlich erfreulicherweise von allen Beteiligten vertreten wurde, ausdrücklich unterstützen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Berger.
Herr Staatsminister, wird sich die Bundesregierung, wenn das so ist, zu den von der 1. Enquete-Kommission des Abgeordnetenhauses als Bündel von Maßnahmevor-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6541
Frau Berger
schlägen zusammengetragenen 112 Anregungen äußern? Wenn ja: Für welchen Termin können wir auf diese Äußerung hoffen?Wischnewski, Staatsminister: Wie Sie wissen, ist das Berliner Abgeordnetenhaus in der Arbeitsgruppe genauso wie der Senat vertreten. Dort werden alle Fragen behandelt. Ich hoffe, daß die Arbeit bald zum Abschluß kommt. Selbstverständlich wird sich die Bundesregierung dann zu jedem einzelnen Punkt äußern.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fiebig.
Ist Ihnen die Institution der Familiengründungsdarlehen in Berlin bekannt, Herr Staatsminister, und können Sie bestätigen, daß dies einmalig ist und andere Städte und Bundesländer in der Bundesrepublik über diese Einrichtung nicht verfügen, sie somit Modellcharakter für die Familienpolitik in der Bundesrepublik hat?
Wischnewski, Staatsminister: Ich möchte diese Auffassung ausdrücklich unterstützen. Ich freue mich im übrigen darüber, daß es in Berlin eine ganze Reihe von Einrichtungen gibt, die vorbildlich sind und Modellcharakter für viele andere Städte in der Bundesrepublik haben sollten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Luster.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, Ihre letzte Antwort zu korrigieren, wenn ich Sie auf zwei Dinge hinweise, nämlich erstens darauf, daß das Saarland — —
Darf ich Sie bitten, eine Frage zu stellen.
Ist Ihnen, Herr Staatsminister, bei Ihren Überlegungen und bei der Beantwortung der Frage eben bewußt gewesen, daß das Saarland eine so hohe Familiengründungsunterstützung wie das Land Berlin Jahre vorher hatte und das Land Bayern eine gleich hohe hat und sie auf das Doppelte anzuheben derzeit sich anschickt?
Vizepräsident. Frau Renger: Bitte, Herr Staatsminister.
Wischnewski, Staatsminister: Verehrter Herr Kollege, ich muß korrekterweise hier sagen, daß ich den Unterschied erst feststellen müßte. Ich kann nicht aus dem Handgelenk sagen, welcher Unterschied in dieser Frage zwischen dem Saarland und Berlin besteht.
— So sehe ich es auch. Denn wenn das im Saarland jetzt so der Fall ist — das muß ich Ihren Ausführunge entnehmen —, dann hätte es in der Tat Modellcharakter.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Diederich.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung Berechnungen darüber angestellt oder ist sie bereit, dies in Zukunft zu tun, welchen Anteil die Mitglieder dieses Hauses im Hinblick auf eine beispielgebende Wirkung geleistet haben, dem Rückgang der Bevölkerung in Berlin entgegenzuwirken?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung nimmt alle Anregungen, die aus dem Haus kommen, natürlich sehr ernst. Aber sie führt keine Statistik über die Anregungen und Initiativen, die aus dem Haus kommen. Sie weiß aber, wo es bereits seit vielen Jahren ständige Bemühungen darum gibt, Berlin in bestimmten Fragen behilflich zu sein.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kittelmann.
Herr Staatsminister, nachdem Sie nun in allen möglichen Lobeshymnen die Bevölkerung Berlins dargestellt und außerdem hier angeführt haben, daß es genügend Förderungsmaßnahmen gibt, frage ich Sie: Kann man davon ausgehen, daß der Pessimismus, der sich in Berlin darin ausdrückt, daß die Bevölkerungszahl trotzdem überdurchschnittlich zurückgeht, auch an der schlechten politischen Führung der Stadt liegt?
Wischnewski, Staatsminister: Der Bundesregierung ist von einer schlechten politischen Führung in Berlin nichts bekannt,
Ganz im Gegenteil.
Wir gehen von der Voraussetzung aus, daß diese in Berlin in den besten Händen liegt.
Im übrigen gehöre ich zu denjenigen, die dei Auffassung sind, daß die Berliner nicht zum Pessimismus neigen, sondern eher zum Optimismus Wenn es einige Berliner Oppositionspolitiker gibt, die in dieser Frage eine Ausnahme bilden, dann entspricht das nicht der Berliner Mentalität.
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6542 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Es ist ziemlich schwer, immer gleich den Zusammenhang mit der ursprünglichen Frage festzustellen. Es tut mir leid, wenn das nicht immer so klappt.
- Herr Straßmeir, muß das noch zu dieser Frage sein? Es kommen noch viele Fragen.
— Ach, das wäre sehr freundlich von Ihnen. Dann kann ich nämlich die nächste Frage aufrufen, die Frage 113 der Frau Abgeordneten Pieser:
Wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß die zur Stabilisierung der Bevölkerungsentwicklung von Berlin notwendigen Kenntnisse von der Wirkung familienpolitischer Maßnahmen, beispielsweise der besonderen Förderung der Zwei- und Dreikinderfamilie, beim Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung umgehend beschafft und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden?
Bitte sehr.
Wischnewski, Staatsminister: Verehrte Frau Kollegin, die Bundesregierung wird alle Vorschläge prüfen — nicht nur jene des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung —, aus denen sich geeignete Maßnahmen herleiten können. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Untersuchungen hinweisen, die der Berliner Senat in Auftrag gegeben hat. Bekanntlich hat auch das Berliner Abgeordnetenhaus durch seine Enquete-Kommission im vergangenen Monat Untersuchungen angestellt, die ebenfalls eine Reihe entsprechender Vorschläge enthalten. Ich konnte vorhin bereits darauf hinweisen.
Ich gehe davon aus, daß auch die Arbeitsgruppe Berlin beim Herrn Bundespräsidenten die so gewonnenen Ergebnisse in ihre Überlegungen mit einbezieht.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Pieser.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung nach Beginn der öffentlichen Diskussion um die Frage im Zusammenhang mit dem Bevölkerungsrückgang in West-Berlin und den damit verbundenen besonderen politischen Hintergründen in der Bewertung dieser Frage dem genannten Bundesinstitut einen entsprechenden Forschungsauftrag gegeben, aus dem zu ermitteln wäre, zu welchen analytischen Ergebnissen hier Unterlagen zur Verfügung gestellt werden können?
Wischnewski, Staatsminister: Ich bin gern bereit, festzustellen, ob es neben den laufenden Aktivitäten zusätzliche Initiativen gibt. Ich bin gern bereit, Ihnen das mitzuteilen.
Zweite Zusatzfrage.
Würde die Bundesregierung insbesondere im Zusammenhang mit dem Projekt Nr. 4 dieses genannten Bundesinstituts aus dem
Bericht vom Dezember 1977 ergänzende Angaben zusammenstellen lassen?
-Wischnewski, Staatsminister: Ich kenne die Reihenfolge der Projekte nicht. Ich bitte, damit einverstanden zu sein, daß ich Ihnen die Frage schriftlich beantworte.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Straßmeir.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung aus dem Bericht der Enquete-Kommission bekannt, daß sich die deutsche Bevölkerung in Berlin im Alter bis zu 15 Jahren, die im Jahre 1973 noch 304 000 betrug, nach den Prognosen im Jahre 1990 halbieren wird und ist dies nicht ein Zeichen für die Notwendigkeit von Maßnahmen, abgesehen davon, daß diese Zahlen schon vor der Bundespräsidentenrunde bekannt waren?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung kennt, wie ich bereits gesagt habe, den Bericht der Enquete-Kommission sehr genau. Sie prüft und behandelt ihn sehr ernst und wird im Zusammenhang mit der Arbeitsgruppe, von der ich geredet habe, die Konsequenzen ziehen, die sich als notwendig erweisen und der Entwicklung in Berlin hilfreich sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Luster.
Falls die Frau Präsidentin diese Frage zuläßt: Herr Staatsminister, wie haben Sie sich in der Lage gesehen, den Optimismus der CDU anzuzweifeln, wenn in der Drucksache 7/1171 des Abgeordnetenhauses von Berlin steht — ich darf zitieren —:
Die Mehrheit in der Kommission vertritt die Auffassung, daß ein Rückgang der absoluten Bevölkerungszahl in den kommenden Jahren unausweichlich ist. Die Minderheit in der Kommission (CDU) vertritt die Auffassung, daß ein weiterer Bevölkerungsrückgang nicht unausweichlich ist.
Ich muß trotzdem darum bitten, daß wir nicht solche Vorlesungen halten; es sollen kurze Fragen gestellt werden. Ich bitte, das für die Zukunft zu berücksichtigen.
Herr Staatsminister, bitte sehr.
Wischnewski, Staatsminister: Ich hoffe, daß der von Ihnen angesprochene Pessimismus — er ist ja nicht von mir angesprochen worden — ungerechtfertigt ist.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe dann die Frage 114 des Herrn Abgeordneten Kittelmann auf:Wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß die Stabilisierung der Bevölkerungsentwicklung von Berlin u. a. auch durch ein stärkeres Engagement des Bundes auf wirtschaftlichem Gebiet und die davon ausgehende Signalwirkung auf die private Wirtschaft positiv beeinflußt wird?Bitte, Herr Staatsminister.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6543
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung hat zu dieser Frage bereits in ihrer Antwort vom 22. März 1977 — Bundestagsdrucksache 8/220 — auf die Kleine Anfrage betreffend Bundesbeteiligungen in Berlin ausführlich Stellung genommen. Ich darf darüber hinaus erwähnen, daß als Folge der Berlin-Gespräche des Herrn Bundeskanzlers auch mit dem BDI Vorstandsmitglieder von mehr als 50 westdeutschen Unternehmen zu Berlin-Beauftragten bestellt worden sind. Die Aktivität dieser Beauftragten hat bereits zu einem stärkeren Engagement der Wirtschaft in Berlin geführt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kittelmann.
Herr Staatsminister, würden Sie die begrüßenswerte Gelegenheit der hier gestellten Fragen benutzen, um einmal über die allgemeine Aussage hinaus, daß hier 50 Großunternehmen Berlin-Beauftragte benannt haben, zu sagen, was sich in letzter Zeit konkret im Hinblick auf Zahlen der Berliner Wirtschaft durch eine Signalwirkung, die der Bund gegeben hat, positiv verändert hat?
Wischnewski, Staatsminister: Ich glaube, die Tatsache, daß innerhalb der letzten Zeit in 50 Unternehmungen, und zwar sehr wichtigen Unternehmungen, Berlin-Beauftragte tätig sind, die in ihren Unternehmungen Vorstandsmitglieder sind, ist ein deutliches Zeichen, ein durch den Bundeskanzler gesetztes Signal dafür, in Berlin zusätzliche wirtschaftliche Aktivitäten zu entwickeln. Auch Ihnen ist bekannt, daß speziell in Berlin eine Reihe zusätzlicher Arbeitsplätze durch Unternehmungen aus dem Bundesgebiet geschaffen werden konnten.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kittelmann.
Herr Staatsminister, welche konkreten Zahlen können Sie dafür nennen, daß hier von Bundesunternehmen, die wirtschaftspolitisch tätig sind und auch in Berlin tätig sind, positive Signalwirkungen für die Wirtschaft ausgegangen sind?
Wischnewski, Staatsminister: Sie wissen, wie viele Bundesunternehmungen in Berlin tätig sind. Ich habe deshalb ja ausdrücklich auf die umfangreiche schriftliche Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage hingewiesen. Die Bundesregierung ist bei den Unternehmungen mit Bundesbeteiligung oder mit überwiegender Bundesbeteiligung weiterhin darum bemüht, daß es auch entsprechende Engagements in Berlin, soweit sie möglich sind — soweit sie möglich sind! —, gibt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Herr Staatsminister, ein Anliegen der deutschen Wirtschaft und von uns allen ist, daß sich Betriebe in Berlin ansiedeln. BMW z. B. tut dies beispielhaft. Würden Sie uns bitte sagen, welche Bundesunternehmungen sich in den letzten zwei bis drei Jahren in Berlin neu angesiedelt haben?
Wischnewski, Staatsminister: Ich könnte über eine Reihe von Aktivitäten auch von Bundesunternehmungen in Berlin berichten, die — mit einer Ausnahme — auch von gutem Erfolg gekrönt sind. Ich bin gern bereit, auf diese Frage auch schriftlich einzugehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller .
Herr Staatsminister, Sie sprachen soeben von zusätzlichen Arbeitsplätzen, die geschaffen worden sind. Können Sie Angaben darüber machen, auf welchen Gebieten diese zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen wurden, weiß man doch, daß in den letzten Jahren in der Industrie 27 000 Arbeitsplätze verlorengegangen sind?
Wischnewski, Staatsminister: Sie und ich wissen ganz genau, daß durch Förderung von außen auch zusätzliche Arbeitsplätze, insbesondere in Berlin, geschaffen worden sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Roth.
Herr Staatsminister, würden Sie mir zustimmen, daß es wegen der Struktur des Bundesbesitzes — ich erinnere nur an VEBA — relativ schwierig ist,
den Standort Berln zu wählen, und würden Sie mir zustimmen, daß Berlin beispielsweise als Standort für eine Ölraffinerie kaum in Frage kommt?
Wischnewski, Staatsminister: Es gibt unter den Bundesunternehmungen natürlich solche, die ihren Standort — aus den unterschiedlichsten Gründen — nicht in Berlin haben können. Daß dies bei einigen Bundesunternehmungen in besonderem Maße eine Rolle spielt, ist klar. Sie haben die VEBA erwähnt. Ich brauche nur andere Industriezweige zu erwähnen, z. B. den Bergbau. Auch hier ist eine Ansiedlung in Berlin nicht möglich. Aber es gibt Unternehmungen, bei denen diese Möglichkeit besteht, die dann auch wahrgenommen werden muß.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatsminister, erwägt die Bundesregierung, für Berlin eine deutlich herausgehobene, höhere und langfristig gesicherte materielle Förderung von Ein- und Mehrkinderfamilien einzuführen?
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6544 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe gesagt, daß sich mit diesen Fragen die Arbeitsgruppe beschäftigt, an der Ihre Partei mit Vertretern Ihrer Fraktion und des Berliner Abgeordnetenhauses beteiligt ist. Wir werden zu dieser Frage dann Stellung nehmen, wenn wir einen entsprechenden Bericht vorliegen haben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß z. B. die Deutsche Bundespost durch die Vergabe von Mehrmilliardenaufträgen nach Berlin zur Sicherung der Arbeitsplätze in der Fernmeldeindustrie ständig sehr wesentlich beiträgt?
Wischnewski, Staatsminister: Ich glaube, daß gerade dies ein Beispiel ist, das ganz besondere Beachtung verdient. Ich möchte das, was hier gesagt worden ist, ausdrücklich bestätigen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pfennig.
Herr Staatsminister, ich möchte auf die Frage des Kollegen Roth zurückkommen, der die Sache ja etwas zu karikieren versuchte.
Bitte keine Bewertung der Fragestellung eines Abgeordneten!
In welcher Branche hat denn die Bundesregierung in den letzten zwei Jahren versucht, Bundesunternehmen zur Verlegung nach Berlin zu bewegen?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung beschäftigt sich mit deren Akvitität, soweit die Voraussetzungen gegeben sind. Hier möchte ich ausdrücklich unterstreichen, was Herr Kollege Roth dazu gesagt hat. Soweit die Voraussetzungen gegeben sind, ist sie im ständigen Gespräch mit den Unternehmungen — über ihre Vertretungen — und trägt dazu bei, daß diese Unternehmungen, soweit die Möglichkeit gegeben ist, auch besondere Aktivitäten in Berlin entwickeln.
Zur letzten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Jens.
Herr Staatsminister, sind denn schon private deutsche Großunternehmen dem Vorschlag gefolgt, ihre Verwaltungen oder zumindest Verwaltungsabteilungen nach Berlin zu verlegen?
Wischnewski, Staatsminister: Im Augenblick kann ich über besondere Aktivitäten in dieser Frage nicht berichten.
Zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, ob größere deutsche Unternehmen dem Aufruf gefolgt sind, ihre obersten Verwaltungsetagen nicht von Berlin wegzuverlegen?
Wischnewski, Staatsminister: Ich glaube, daß in dieser Frage Appelle doch eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben.
Ich rufe die Frage 115 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf:
Wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß die Stabilisierung der Bevölkerungsentwicklung von Berlin durch die anhaltende Anteilnahme der deutschen und internationalen Öffentlichkeit an den Problemen der Stadt und deren Bereitschaft zur Unterstützung Berlins gefördert wird?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung wird wie bisher dafür Sorge tragen, daß Berlin unabhängig von der Bevölkerungsentwicklung in die deutsche und internationale Kommunikation eingebunden bleibt. Es geht aber nicht nur darum. Die Bundesregierung hat auch ihre Bemühungen verstärkt, verbündete und befreundete Staaten zu einem stärkeren wirtschaftlichen und kulturellen Engagement in Berlin zu bewegen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Herr Staatsminister, für die Darstellung der Berlin-Situation ist die publizistische Resonanz sehr wichtig. Können Sie uns vielleicht mitteilen, wie es kommt, daß die Berichterstattung aus Ost-Berlin sowohl im ersten als im zweiten Programm -des deutschen Fernsehens einen viel breiteren Raum einnimmt als die Berichterstattung aus West-Berlin, und sehen Sie darin irgendwelche politischen Gründe, die für West-Berlin auf Dauer abträglicher Natur sein könnten?
Wischnewski, Staatsminister: Zuerst muß ich hier auf die Unabhängigkeit der Rundfunk- und Fernsehanstalten in der Bundesrepublik hinweisen. Das ist ein sehr wichtiger Gesichtspunkt. Hier bestimmt nicht die Bundesregierung.
Die Bundesregierung verfolgt das aber natürlich mit großer Aufmerksamkeit. Ich kann aus der bisherigen Berichterstattung, ohne daß nun ein besonderer, konkreter Prüfungsauftrag dafür vorliegt, nicht ersehen, daß die Berichte aus Ost-Berlin zu einer Zurückstellung all dessen beitragen, was aus West-Berlin berichtenswert ist. Ich kann das ohne eine genaue Untersuchung nicht feststellen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Die Entwicklung der Bevölkerungszahl ist in erster Linie auch ein psycho-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6545
Wohlrabelogisches Problem. Deshalb kämpfen wir so darum, daß die Gesamtbevölkerungszahl nicht absinkt. Ich möchte gern einmal wissen, welche Möglichkeiten die Bundesregierung sieht, über ihre vielfachen Wege der Öffentlichkeitsarbeit — hierfür stehen enorme Mittel zur Verfügung — Berlin hier helfend zur Seite zu stehen.Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung wird auch, wenn es darum geht, die Öffentlichkeitsarbeit für Berliner Interessen zu verwenden und in der psychologischen Situation, von der Sie gesprochen haben, mitzuhelfen, ihre Möglichkeiten voll nutzen.
Ich rufe die Frage 116 des Abgeordneten Straßmeir auf:
Trifft es nach den Erkenntnissen der Bundesregierung zu, daß der fortschreitende Bevölkerungsrückgang in Berlin , der durch einen erheblichen Wanderungsverlust mit herbeigeführt wird, auch in engem Zusammenhang mit dem im Vergleich zu anderen Großstädten qualitativ unzureichenden Wohnungsangebot steht?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß auch ein quantitativ und qualitativ günstiges Wohnungsangebot eine Voraussetzung dafür ist, daß Arbeitnehmer nach Berlin kommen und dort bleiben. Sie ist über Verbesserungsmöglichkeiten ständig im Gespräch und auch in aktuellen Verhandlungen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Straßmeir.
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung den Umstand, daß in Berlin über 500 000 Wohnungen über keine Zentralheizung verfügen, 150 000 weder über Bad noch Toilette und 100 000 ohne ein Bad sind, und wie glaubt sie, das daraus resultierende Gebot zur Hilfe zu erfüllen?
Wischnewski, Staatsminister: Ich nehme an, daß Sie wissen, daß die Frage der Wohnungen auch in der Arbeitsgruppe bei dem Herrn Bundespräsidenten ein ganz besonderes Kapitel darstellt und daß es dafür ein ganz besonderes Projekt gibt. Ich hoffe, daß wir sehr bald über dieses Projekt reden können.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß in bezug auf die Aufbauleistung von Neubauwohnungen nach dem Kriege Berlin auch im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten zurückliegt, und welche Schlußfolgerung ziehen Sie denn daraus?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe akustisch das eine Wort nicht verstanden.
Ob der Bundesregierung die Tatsache bekannt ist, daß in bezug auf die Wiederaufbauleistung von Neubauwohnungen nach dem Kriege Berlin auch im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten zurückliegt, und welche Schlußfolgerungen Sie daraus zieht.
Wischnewski, Staatsminister: Es gibt aus den Zahlen, die mir bekannt sind, nicht den geringsten Anlaß, die Wiederaufbauleistung, die sich in Berlin ergeben hat, hier kleinzumachen. Dazu bin ich jedenfalls nicht bereit.
Diese Stadt hat eine hervorragende Aufbauleistung vollbracht, und es wäre schlecht, wenn im Deutschen Bundestag etwas anderes behauptet würde.
Dies würde dieser Stadt überhaupt nicht nützen.
— Das ist doch versucht worden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Roth.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekant, daß in der Wohnungsmodernisierung, insbesondere in der Verbesserung der Wohnqualität und der Wohnquartiere Berlin derzeit Beispielhaftes leistet und inzwischen zum Zielort der Städtebauer und Wohnungspolitiker von ganz Europa geworden ist?
Wischnewski, Staatsminister: Mir ist das bekannt, und die Bundesregierung begrüßt das außerordentlich.
Herr Abgeordneter Luster.
Herr Staatsminister, sind Sie zum Zwecke der Besserung der Verhältnisse auch bereit, Daten zur Kenntnis zu nehmen wie jene des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von vor etwa zwei Jahren, wonach im Städtevergleich von 1949 bis 1974 Berlin pro 1 000 Wohnungen 125 Wohnungen und München, Hamburg und Köln etwa 180 bis 190 Wohnungen neu gebaut haben?
Bitte, Herr Staatsminister.Wischnewski, Staatsminister: Dies hat sicher mit unterschiedlichen Altersstrukturen und der Zahl an Wohnungen insgesamt zu tun. Ich bin aber gerne bereit, mir die Zahlen noch einmal sehr genau an-zuschauen.
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6546 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kittelmann.
Herr Staatsminister, sind nicht auch Sie mit mir der Meinung, daß statistische Zahlen, die vorliegen und die eben konkret von einem Abgeordneten genannt wurden, nichts mit Miesmacherei zu tun haben und daß Ihre Reaktion darauf in diesem Zusammenhang als Überreaktion gewertet werden muß?
Wischnewski, Staatsminister: Nein. Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß ich nicht bereit bin, dies als Überreaktion zu werten. Wenn ich den Eindruck habe, daß hier versucht wird, die Situation in Berlin mieszumachen, dann gehört es auch zur psychologischen Situation, für Berlin etwas zu tun. Dann wehre ich mich hier dagegen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Herr Staatsminister, teilen Sie mit mir die Auffassung, daß auch eine in der Darstellung der Sachverhalte unterschiedliche Position Berlin nutzen kann und dies deshalb nicht mit Polemik Ihrerseits hier verbessert wird?
Wischnewski, Staatsminister: Ich verwahre mich gegen das Wort Polemik. Gegen eine sachliche Darstellung hat niemand etwas. Wenn aber bei mir der Eindruck entsteht, daß Berlin bewußt miesgemacht werden soll, dann muß ich mich dagegen wehren.
Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Herr Staatsminister, wenn es sich eben herausgestellt hat, daß der Neubauzugang in Berlin gegenüber anderen Großstädten relativ gering ist, ist das nicht vielleicht darauf zurückzuführen, daß in Berlin 90 % der Wohnungen im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus gefördert werden, während in anderen Großstädten ein größerer Anteil frei finanzierter Wohnungen vorhanden ist?
WisChnewski, Staatsminister: Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich im Augenblick nicht genau weiß, wieviel Prozent der Wohnungen in Berlin mit Hilfe des sozialen Wohnungsbaus entstanden sind und wie viele frei finanziert sind und wie das in anderen Städten ist. Ich bin gerne bereit, mich dafür zu interessieren. Im übrigen habe ich — und natürlich die Bundesregierung — nichts gegen die sachliche Feststellung von Zahlen. Aber wenn der Wiederaufbau insgesamt angesprochen wird, wie das geschehen ist, dann werde ich mich im Interesse Berlins dagegen wehren.
Ich rufe die Frage 117 des Herrn Abgeordneten Dr. Pfennig auf:
Wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß die Stabilisierung der Bevölkerungsentwicklung von Berlin , insbesondere hinsichtlich der Steigerung der Zuwandererzahlen, dadurch erleichtert wird, daß z. B. die finanziellen Voraussetzungen für die Beibehaltung der Neubautätigkeit, die Beschleunigung der Sanierung und für die Ausweitung der Modernisierung, insgesamt für die Bereitstellung von mehr und preisgünstigen familiengerechten Wohnungen geschaffen werden?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Wischnewski, Staatsminister: Herr Kollege, eine wichtige Voraussetzung für eine verstärkte Zuwanderung von Arbeitnehmern nach Berlin ist — wie schon gesagt — ein ausreichendes Wohnungsangebot. Die Bundesregierung ist bereit, unter Beachtung finanzverfassungsrechtlicher Grundsätze des Grundgesetzes, wonach der Bund keine alleinige Finanzierungskompetenz für den Wohnungsbau in den Ländern hat, gemeinsam mit dem Senat die Frage der finanziellen Voraussetzungen für weitere Hilfen auf diesem Gebiet zu prüfen.
Im übrigen wird, wie ich vorhin bereits gesagt habe, auch dieser Problemkreis — gerade in dieser speziellen Frage mit einem besonderen Projekt —in der Arbeitsgruppe beim Herrn Bundespräsidenten behandelt.
Zusatzfrage, Herr Dr. Pfennig.
Herr Staatsminister, weiß die Bundesregierung, daß von den insgesamt 500 000 modernisierungsbedürftigen Wohnungen in Berlin 270 000 sofort modernisiert werden müssen, weil sie aus den Jahren vor 1918 stammen, und teilt sie meine Auffassung, daß das nicht allein durch staatliche Direktzuschüsse zu bewältigen ist?
Wischnewski, Staatsminister: Sie wissen, daß die Bundesregierung auch aus ganz anderem Anlaß daran interessiert war, hier ein besonderes Programm zu entwickeln. Wenn es nach ihr gegangen wäre, wäre das auf dem Verwaltungswege in der Zwischenzeit längst erfolgt. Dies wäre auch Berlin sehr schnell zugute gekommen. Ich bedaure außerordentlich, daß das nicht geschehen ist, weil einige Länder dafür Sorge getragen haben, daß es verhindert worden ist. Dies hätte auch dem gedient, was Sie hier angesprochen haben.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Pfennig, bitte.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, nachdem in Berlin für den Erwerb von Einfamilienhäusern besondere steuerliche Vergünstigungen bestehen und gleiches
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6547
Dr. Pfennigwohl auch für den Erwerb von unbeweglichen Wirtschaftsgütern eingeführt werden soll, sich nunmehr auch für eine großzügige Förderung der Modernisierung der Berliner Altbaumietwohnungen dadurch einzusetzen, daß sie den Erwerb dieser Mietshäuser zu Modernisierungszwecken steuerlich begünstigt?Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung wird die von Ihnen angesprochene Frage im Zusammenhang mit allen Problemen, in besonderem Maße denen des Wohnungsbaus, prüfen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Luster.
Herr Staatsminister, wird bei dieser Prüfung der Bundesregierung auch eine Rolle spielen, daß gerade jüngst die Enquete-Kommission im Abgeordnetenhaus von Berlin eine Zahl von 18 000 bis 22 000 jährlich neu zu bauenden, zu modernisierenden und zu sanierenden Wohnungen als wünschenswert angegeben hat, und wird die Bundesregierung versuchen, der Stadt Berlin das entsprechende Finanzvolumen in den dafür geeigneten Weisen zur Verfügung zu stellen?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung wird bei ihrer Prüfung alle wichtigen Dokumente heranziehen. Selbstverständlich ist der Bericht der Enquete-Kommisison ein wichtiges Dokument, das in diese Prüfung mit einbezogen wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Amrehn.
Herr Staatsminister, teilen Sie die Überzeugung, daß ungeachtet der Ergebnisse der Beratungen der Kommission beim Herr Bundespräsidenten die Gesamtheit aller Maßnahmen kultureller, wirtschaftlicher, psychologischer Art zugunsten Berlins eine politische Strategie erfordert, die nur auf Grund einer Führungsentscheidung des Bundeskanzlers geschaffen werden kann, und können Sie in Aussicht stellen, daß er in dieser wichtigen Frage für eine weitreichende Zukunft von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen wird?
Wischnewski, Staatsminister: Der Bundeskanzler hat viele Male den Beweis dafür erbracht, daß den hier angeschnittenen Fragen sein ganz besonderes Engagement gilt. Das wird auch in der Zukunft klar und eindeutig so sein.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller .
Herr Staatsminister, können Sie mir bestätigen, daß eine Bereitstellung von mehr preisgünstigen familiengerechten Wohnungen ein besonderer Anreiz für Zuwanderer nach Berlin wäre?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe bereits auf die Bedeutung der Wohnungen für die Bevölkerungsentwicklung und die Zuwanderung nach Berlin hingewiesen. Ich möchte ausdrücklich bestätigen, daß das eine ganz besonders wichtige Rolle spielt.
Ich rufe die Frage 118 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Hat Bundeskanzler Schmidt in seinen Dank an Österreichs Bundeskanzler Kreisky auch die Formulierung „für eine glückliche Zukunft des Volks der Deutschen Demokratischen Republik" einbezogen oder sich dazu kritisch geäußert?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß Herr Bundeskanzler Kreisky durch sein Auftreten in Ost-Berlin und die von ihm dort abgegebenen Erklärungen dem Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten und damit der Entspannung in Europa einen Dienst erwiesen hat.
Das hat der Bundeskanzler gegenüber Bundeskanzler Kreisky zum Ausdruck gebracht, als er sich bei ihm für rasche Unterrichtung über seinen Besuch in der DDR bedankte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka, bitte.
Herr Staatsminister, können Sie auch Auskunft geben, wie sich der Herr Bundeskanzler in seinem Dankschreiben an Herrn Kreisky bezüglich dessen Auslassung verhalten hat, daß es ein Volk der DDR geben soll?
WisChnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung hält es für unangebracht, sich in der Öffentlichkeit mittelbar oder unmittelbar zu Erklärungen zu äußern, die vom Regierungschef eines anderen Landes gegenüber dem Regierungschef eines dritten Landes abgegeben worden sind. Im übrigen gehen wir von der Voraussetzung sehr -freundschaftlicher Beziehungen mit unserem österreichischen Nachbarn aus und hoffen, daß niemand die Absicht hat, diese freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern zu stören.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, können Sie mir darin zustimmen, daß der Bundeskanzler der Republik Osterreich nicht im Einklang mit unserem Selbstverständnis gehandelt hat, als er von einem Volk der DDR gesprochen hat?Wischnewski, Staatsminister: Der österreichische Bundeskanzler hat die Formulierung gebraucht, die er für richtig gehalten hat. Ich weigere mich, hierzu
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6548 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Staatsminister Wischnewski eine Stellungnahme abzugeben, weil ich nicht das will, was Sie offensichtlich erreichen wollen, nämlich daß es eine Belastung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Osterreich gibt. Etwas Derartiges kommt nicht in Frage.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, auch wenn ich Gefahr laufe, mir von Ihnen — wie andere Kollegen auch — ebenfalls eine Rüge und Zurechtweisung zuzuziehen, frage ich Sie, ob nicht gerade die Äußerung seitens des Bundeskanzlers der Republik Osterreich, nach der der Kollege Dr. Hupka gefragt hat, eine Einmischung in deutsche Angelegenheiten gewesen ist und damit von seiner Seite die Gefahr einer Belastung des deutsch-österreichischen Verhältnisses ausgegangen ist.
Wischnewski, Staatsminister: Von einer solchen Einmischung kann überhaupt gar keine Rede sein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir zu, daß es um die Freundschaft mit Osterreich schlecht bestellt wäre, wenn bereits ein Hinweis auf die Verfassungswirklichkeit in Deutschland diese Freundschaft gefährden könnte?
Wischnewski, Staatsminister: Es geht darum, ob kritische Bemerkungen gegenüber dem Bundeskanzler eines Nachbarlandes gemacht werden, der sich in hervorragender Weise darum bemüht hat, einen Beitrag zur Verbesserung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten zu leisten. Darum geht es.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wehner.
Herr Staatsminister, wäre es nicht vielleicht nützlich, wenn Sie sich zur Klärung dieser Verhältnisse überlegten, diesen Teil der Fragestunde einem österreichischen Kabarett zur Verfügung zu stellen?
Wischnewski, Staatsminister: Ich möchte das gerne unterstreichen.
Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister, für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. von Dohnanyi zur Verfügung. Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, mit welchen Schwierigkeiten und unzumutbaren Auflagen die Ablegung der polnischen Staatsangehörigkeit für diejenigen Aussiedler verbunden ist, die ohne die Entlassung aus der polnischen Staatsangehörigkeit in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, und was gedenkt sie für diese Mitbürger zu tun?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Die Zahl derjenigen Personen ist gering, die Polen mit Genehmigung der Behörden verlassen haben und dennoch noch nicht aus der polnischen Staatsangehörigkeit entlassen worden sind. Hierbei handelt es sich meist um Ehefrauen oder Kinder von Aussiedlern. Diese Personen können bei der polnischen Botschaft in Köln einen Antrag auf Entlassung aus der polnischen Staatsangehörigkeit stellen. Dem Antrag wird in der Regel stattgegeben.
Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Entlassung von solchen Personen aus der polnischen Staatsangehörigkeit, die ohne Genehmigung in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, schwierig sein kann. Wie meine Kollegin Frau Hamm-Brücher Ihnen bereits in der Fragestunde am 23. Februar mitgeteilt hat, ist die Bundesrepublik darum bemüht, diese Schwierigkeiten jeweils im konkreten Fall zu überwinden und zu mildern.
Zusatzfrage, Herr Abgeordnete Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung dafür Verständnis, daß jemand, der vor zwanzig Jahren als Flüchtling hierhergekommen ist, nunmehr als Vater von Kindern, die hier geboren worden sind, in polnischer Sprache den Nachweis über seine familiären Verhältnisse erbringen muß, weil die polnische Regierung auf dem Standpunkt steht, daß seine Kinder die polnische Staatsangehörigkeit besitzen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich verweise noch einmal auf das, was ich eben sagte: die Bundesregierung hat natürlich Verständnis für diese Schwierigkeiten, und sie ist deswegen bemüht, im jeweils konkreten Fall zu helfen und die Schwierigkeiten, die entstanden sind, zu überwinden und zu mildern.
Zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, unabhängig von dem Helfen von Fall zu Fall: wäre es nicht möglich und notwendig, einmal generell durch Absprachen zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Volksrepublik Polen solche Fälle auszuschließen, daß jemand für seine Kinder, die hier geboren sind, nunmehr den Antrag auf Entlassung aus der polnischen Staatsangehörigkeit stellen muß?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6549
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, die Volksrepublik Polen hat das Recht, ihr Staatsangehörigkeitsrecht nach den internationalen Regeln zu bestimmen. Die Bundesregierung kann also nur versuchen zu helfen, kann aber an den Grundsätzen, die hier bestehen, nichts ändern.
Ich rufe Frage 119 des Herrn Abgeordneten Milz auf:
Kann die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Flugzeugunglück in Zagreb Auskunft darüber geben, wann mit dem rechtskräftigen Abschluß des Strafverfahrens gegen den Hauptangeklagten der Bezirksflugkontrolle Zagreb gerechnet werden kann, zumal dies für die Klärung der Schadensersatzansprüche wichtig ist?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Berufungsverhandlung in dem Verfahren gegen die Fluglotsen der Bezirksflugkontrolle Zagreb vor dem Obersten Gerichtshof der Republik Kroatien in Zagreb hat nach einem Bericht unseres Generalkonsulats in Zagreb am 7. April 1978 begonnen. Das Generalkonsulat Zagreb wird das Berufungsverfahren beobachten und über seinen Ausgang sofort berichten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneten Milz.
-Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, zur Regelung vergleichbarer Fälle in der Zukunft etwa mit Jugoslawien ein Gegenseitigkeitsabkommen abzuschließen, und weshalb ist etwas Derartiges bis heute nicht geschehen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich kann Ihnen diese Frage hier aus dem Stegreif nicht beantworten. Ich will gerne prüfen, ob das sinnvoll erscheint.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Milz.
Herr Staatsminister, das schreckliche Unglück geschah am 19. September 1976. Mir liegen Unterlagen des Amtsgerichts Köln vor, aus denen hervorgeht, daß heute noch in Zagreb eine große Zahl von Eigentum der Verunglückten liegt. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den Angehörigen zu helfen, endlich in den Besitz dieser Fundsachen zu kommen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich kann diese Frage im Augenblick nicht beantworten. Ich gehe davon aus, daß das Vorhandensein dieses Eigentums in Zagreb vermutlich mit Beweisfragen zusammenhängt. Wenn das der Fall wäre, müßte man dies natürlich berücksichtigen. Aber ich bin gern bereit, wenn Sie mir den Fall im einzelnen zur Kenntnis geben, der Sache nachzugehen.
Ich rufe Frage 120 des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer auf.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Präsident, darf ich die Fragen 120 und 121 zusammen beantworten?
Dann rufe ich 120 und 121 auf:
Hält die Bundesregierung den Zeitpunkt für gekommen, die Frage der Errichtung und Betreuung von Soldatenfriedhöfen mit den ost- und südosteuropäischen Staaten zu regeln?
Welche Maßnahmen ist die Bundesregierung bereit diesbezüglich zu treffen, und mit welchem Zeitraum rechnet sie bis zum Abschluß der Regelung?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung ist in enger Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge seit vielen Jahren bestrebt, die Frage der Errichtung und Betreuung von Soldatenfriedhöfen mit den ost- und südosteuropäischen Staaten zu regeln. Sie hat wiederholt in ihren Kontakten auf hoher und höchster Ebene auf das humanitäre Problem der Kriegsgräberfrage hingewiesen und ist auch willens, dies bei jeder geeigneten Gelegenheit in Zukunft wieder zu tun.
Die Bundesregierung hat bei ihren Bemühungen folgendes erreicht: Zwei Soldatenfriedhöfe am Stadtrand von Moskau wurden instandgesetzt und für Besucher freigegeben. In Bulgarien und Ungarn unterstützt die Bundesregierung die Bemühungen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, eine angemessene Grabpflege sicherzustellen. In Ungarn werden etwa 2 000 Soldatengräber gepflegt. Mit Jugoslawien befindet sich die Bundesregierung über die Lösung der Kriegsgräberfürsorge im Gespräch. Im September 1977 konnte der damalige Präsident des VdK, Professor Thiele, diese Frage erstmals mit den zuständigen jugoslawischen Partnern besprechen. In Rumänien bahnt sich eine Lösung der Verlegung des Soldatenfriedhofs in Braila an. Rumänien hat darüber hinaus zu erkennen gegeben, daß es gewillt ist, diese Frage im gesamten rumänischen Staatsgebiet zu lösen. In der Tschechoslowakei konnte eine Gräberpflege bisher nur in Einzelfällen erreicht werden. Gleiches gilt für Polen.
Zusammengefaßt und insbesondere in Antwort auf Ihre zweite Frage, Herr Kollege Althammer: Ob und wann eine endgültige Regelung der Kriegsgräberfürsorge in den ost- und südosteuropäischen Staaten zu erreichen ist, hängt von der Gesamtentwicklung der Beziehungen zu diesen Staaten ab.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, wie hoch der Prozentsatz der Gefallenen ist, die bisher in diesen Ländern keine würdige Bestattung gefunden haben?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Althammer, das kann ich im Augenblick nicht beantworten; ich bin aber gern bereit, festzustellen, ob die Bundesregierung hierüber Zahlen hat.
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6550 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wenn Sie sagen, das hänge von dem weiteren Fortgang der allgemeinen Beziehungen zu diesen Ländern ab, dann muß ich die Frage stellen, ob die Bundesregierung nicht angesichts der intensiven bisherigen Bemühungen endgültig zu einer positiven Lösung kommen könnte.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, das ist der Grund dafür, daß wir für die vergangenen Jahre auf die relativen Erfolge verweisen können, die ich hier verlesen habe. Die Verbesserung der Beziehungen zu den südosteuropäischen und osteuropäischen Staaten hat bereits dazu beigetragen, daß die Lage verbessert werden konnte; aber wir sind mit Ihnen der Meinung, daß hier noch viel Arbeit zu leisten ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sehen Sie eine Möglichkeit, die besondere Dringlichkeit dieser Frage den ausländischen Partnern dadurch nahezubringen, daß, bevor andere Punkte, die die Gegenseite interessieren, zur Sprache kommen, diese Frage von unserer Seite zu einer Lösung gebracht wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich unterstreiche: Bei den verschiedenen Gesprächen und Besuchen, die auf politischer Ebene stattgefunden haben, hat dieses Thema eine wesentliche Rolle gespielt. Die Tatsache, daß diese Gespräche stattgefunden haben, hat sich wiederum in gewissen — wie ich zugebe: noch nicht voll befriedigenden — Erfolgen niedergeschlagen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hupka.
Herr Staatsminister, können Sie mir darin zustimmen, daß es zu den Voraussetzungen der vielgerühmten Normalisierung gehören würde, daß endlich — 33 Jahre nach Kriegsende — erlaubt wird, daß wir uns um unsere Kriegsgräber kümmern?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich glaube, es ist nicht Voraussetzung, es ist ein Bestandteil der Normalisierung, um die sich die Bundesregierung und die Koalition in diesem Hause besonders bemühen. Ich unterstreiche: Es ist eine Normalisierung, die Sie uns nicht immer erleichtern.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hupka.
Herr Staatsminister, haben Sie eine Erklärung dafür, daß, entsprechend Ihrer
Auskunft gerade in der Tschechoslowakei und in Polen, es bis jetzt nicht möglich war, der Bundesrepublik Deutschland eine Sorge für die Kriegsgräber zuzubilligen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Hier hat es, wie Sie wissen, im Prozeß der Verständigung gewisse Schwierigkeiten gegeben. Deswegen sind wir dabei, hier nachzuholen, was mit anderen Ländern bereits möglich geworden ist. Ich unterstreiche allerdings: Die Bundesregierung ist bemüht, auch hier die entsprechenden Schritte zu ermöglichen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, da Sie die besonderen Schwierigkeiten in der Tschechoslowakei erwähnt haben, frage ich: Hat die Bundesregierung bei den gerade geführten Gesprächen mit dem Präsidenten der tschechoslowakischen Republik diese Frage angesprochen, und, wenn ja, mit welchem Erfolg geschah das? Ich frage das, da darüber im Schlußkommuniqué nichts zu lesen war.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe versucht, dies von mir aus kurzfristig festzustellen, weil ich Ihre Frage erwartet habe. Ich konnte nicht feststellen, in welchem Zusammenhang die Frage angeschnitten worden ist. Ich will Ihnen das gerne schreiben.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 122 der Abgeordneten Frau Erler auf:
Trifft die Meldung der Rhein-Zeitung" vom 16. März 1978 zu, daß das Auswärtige Amt einer Schülerin aus Simmern ein 4-Wochen-Stipendium für eine Südafrikareise gewährt, und wie ist dies gegebenenfalls angesichts der politischen Lage in der Republik Südafrika zu rechtfertigen?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Das Auswärtige Amt gewährt deutschen Schülern keine Stipendien für Ferienaufenthalte in der Republik Südafrika. Die Schülerin, auf die sich die Zeitungsnotiz bezieht, hat vielmehr ein Stipendium der Republik Südafrika in Anspruch genommen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Erler.
Herr Staatsminister, trifft es dann zu, daß diese Stipendien der Republik Südafrika durch den Pädagogischen Austauschdienst bei der Kultusministerkonferenz vermittelt werden und daß die KMK vom Auswärtigen Amt beraten wird, und wie beurteilen Sie den Vorgang in Anbetracht dieser Information?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, die von der Republik Südafrika selbständig vergebenen Stipendien beziehen sich auf Stipendien, die
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Staatsminister Dr. von Dohnanyiandererseits von deutscher Seite für solche Schüler aus Südafrika gegeben werden, die besonders qualifiziert in deutscher Sprache sind, und insofern sind natürlich beim Austausch auf beiden Seiten Institutionen eingeschaltet.
Noch eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete?
— Bitte.
Herr Staatsminister, sehen Sie eine Möglichkeit, daß die Bundesregierung angesichts ihrer erklärten Anti-Apartheid-Politik darauf hinwirken könnte, daß solche Werbungsveranstaltungen der südafrikanischen Republik nicht mehr mit Unterstützung dieser Bundesregierung stattfinden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich unterstreiche noch einmal, daß die Reise der Schülerin, auf die sich die Zeitungsnotiz bezieht, ja auf Initiative der Republik Südafrika stattgefunden hat. Wir sind, Frau Kollegin, der Meinung, daß es zweckmäßig ist, wenn von Menschen, auch von jungen Menschen, ein unmittelbarer Eindruck von der Republik Südafrika in der Republik Südafrika gesammelt werden kann — so wie wir daran interessiert sind, daß insbesondere aus der schwarzen Mehrheit Südafrikas Schüler die Bundesrepublik Deutschland besuchen können.
Ich rufe Frage 123 des Herrn Abgeordneten Männing auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussichten des deutschbrasilianischen Reaktorabkommens nach Inkrafttreten des neuen amerikanischen „Anti-Proliferations-Gesetzes" das Bedingungen festgelegt hat, die den Zugang von Nicht-Kernwaffen-Staaten zur sensitiven nuklearen Technologie erheblich einschränken?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Das neue Gesetz der Vereinigten Staaten von Amerika, genannt „Nuclear Non-Proliferation Act of 1978", enthält u. a. eine Bestimmung in Abschnitt 307, wonach gegenüber einem Land, das nach Inkrafttreten des Gesetzes — Termin ist der 10. März 1978 — Wiederaufbereitungsanlagen oder -technologie exportiert, ein Lieferstop verhängt wird. Nach dem Wortlaut des Gesetzes berührt diese Bestimmung also das deutsch-brasilianische Abkommen vom 27. Juni 1975 nicht, weil es ja bereits vorher geschlossen wurde. Außenminister Vance bestätigte dies kürzlich ausdrücklich gegenüber Bundesaußenminister Genscher.
Keine Zusatzfrage dazu? — Dann rufe ich Frage 124 des Herrn Abgeordneten Biehle auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die polnische Regierung deutschen Staatsangehörigen aus Ostdeutschland jenseits von Oder/Neiße die nun in der Bundesrepublik Deutschland wohnen, die Einreise zu Besuchen bei zurückgebliebenen engsten Angehörigen in Oberschlesien verweigert, weil beim Visumantrag wegen doppelter Staatsbürgerschaft im Personalausweis die Angabe des Geburtsorts nicht nach der polnischen Ortsbezeichnung, sondern nach der alten deutschen Bezeichnung erfolgte, und welche wird sie gegebenenfalls daraus ziehen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Präsident, darf ich wiederum zwei Fragen gemeinsam beantworten, in diesem Falle 124 und 125?
Einverstanden; ich rufe zusätzlich Frage 125 des Herrn Abgeordneten Biehle auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Entlassung aus der polnischen Staatsbürgerschaft für deutsche Staatsbürger nur dann erfolgt, wenn der bundesdeutsche Personalausweis mit polnischen Geburtsortsangaben zusätzlich beim Visumantrag vorgelegt wird, und was gedenkt die Bundesregierung gegen diese Maßnahmen zu unternehmen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Eine Person mit doppelter Staatsangehörigkeit wird grundsätzlich von dem jeweiligen Staat als sein Staatsbürger behandelt. Die polnischen Behörden können also nach internationalen Grundsätzen verlangen, daß ein polnischer Staatsangehöriger in polnisches Staatsgebiet mit einem polnischen Reisedokument einreist. Die Erteilung eines Visums in einen deutschen Reisepaß kann abgelehnt werden.
Allerdings hat die polnische Botschaft — worauf Sie in Ihrer zweiten Frage hinweisen — die von der Antragstellerin eingeleitete Entlassung aus der polnischen Staatsangehörigkeit dadurch kompliziert, daß sie die Vorlage des deutschen Personalausweises mit der polnischen Bezeichnung des Geburtsortes verlangte. Im konkreten Fall hat das Auswärtige Amt mitgeteilt, daß unsere Botschaft in Warschau den von Ihnen angesprochenen Fall beim polnischen Außenministerium aufgegriffen hat; sie wird ihre Bemühungen um die Lösung dieses Falles mit Nachdruck fortsetzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Biehle.
Herr Staatsminister, sind Ihnen ähnlich gelagerte Fälle der Ablehnung der Erteilung eines Visums durch Polen in der geschilderten Form bekannt, und was gedenkt man neben der Vorsprache in Warschau generell zu unternehmen; um dabei zu helfen, daß bei einer deutsch-polnischen Doppelstaatsbürgerschaft die polnische Staatsbürgerschaft aufgelassen wird, damit den in der Bundesrepublik wohnenden Familienangehörigen die Erteilung von Visa zu Familienbesuchen in Gebiete jenseits von Oder und Neiße ermöglicht wird, ohne daß die polnischen Forderungen nach Angabe des Geburtsortes in polnischer Sprache — die, weil es ja den Bundespersonalausweis betrifft, ein Eingriff in die deutsche Gesetzgebung wäre — erfüllt werden müßten?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung weiß, daß die polnische Botschaft in diesem konkreten Fall, wie auch in mehreren anderen Fällen, die in Übereinstimmung mit der 1970 getroffenen Paßabsprache stehende deutsche Bezeichnung des Geburtsortes eines nach dem
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Staatsminister Dr. von Dohnanyi8. Mai 1945 in den Oder-Neiße-Gebieten geborenen Paßinhabers in Klammern hinter dem polnischen Ortsnamen beanstandet und diesen Paßinhabern das Visum verweigert hat. Wir wissen also, daß es mehrere solche Fälle gibt.Die deutsche Bezeichnung des Geburtsortes in Pässen von Personen, die vor dem 8. Mai 1945 in diesen Gebieten geboren worden waren, wird nach unserer Kenntnis nicht beanstandet.Die Bundesregierung hat die aufgetretenen Schwierigkeiten auf politischer Ebene mit der polnischen Seite aufgenommen und dabei unterstrichen, daß diese Frage zwischen den Regierungen zu behandeln ist. Sie hat die Erwartung geäußert, daß Meinungsverschiedenheiten hierüber nicht auf dem Rücken von Einzelpersonen ausgetragen werden dürfen. Die Bundesregierung wird sich weiter mit Nachdruck für die Lösung dieser Frage einsetzen.Die Bundesregierung ist auch der Auffassung — und damit beziehe ich mich auf den letzten Teil Ihrer Frage —, daß der Personalausweis ein Ausweispapier ist, das vorrangig für den innerstaatlichen Gebrauch, jedenfalls aber nicht für den außerstaatlichen Gebrauch, z. B. im Verkehr mit Polen, bestimmt ist. Die Form der in einem solchen Papier einzutragenden Bezeichnung des Geburtsortes unterliegt daher in erster Linie, ja allein der Entscheidung deutscher Behörden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Biehle.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß bei den geschilderten Visumanträgen neben den hohen Anfahrtskosten der Betroffenen, die nach Köln gebeten worden sind, vom polnischen Konsulat zusätzlich auch noch 320 DM Kosten für die Bearbeitung des Visumantrags verlangt worden sind, danach aber die Ablehnung erfolgte, ohne daß es zu einer Kostenrückerstattung kam, obwohl bei der persönlichen Vorsprache jegliche Möglichkeit zur Auskunft durch die Betroffenen in Köln gegeben war?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, uns sind diese Tatbestände bekannt. Das ist einer der Gründe, warum sich die Bundesregierung bemüht, die Klärung dieser Frage durch die Regierungen und nicht auf dem Rücken von Einzelpersonen durchführen zu lassen.
Eine weitere Zusatzfrage bitte.
Herr Staatsminister, halten Sie es für vertretbar, daß die Visumanträge beim polnischen Konsulat in Köln deswegen nicht bearbeitet wurden, weil das Begleitschreiben in deutscher Sprache abgefaßt war, und daß die Bearbeitung erst dann erfolgte, als dieses Begleitschreiben auch in polnischer Sprache vorgelegt wurde?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Im Prinzip kann natürlich eine polnische Behörde die Vorlage von
Dokumenten und Papieren zur Bearbeitung durch diese Behörde nach ihren eigenen Vorschriften regeln. Wir würden es natürlich für zweckmäßig halten, wenn in solchen Fällen die Mehrsprachigkeit genutzt werden könnte. Aber wir müssen auch sehen, daß es hier offenbar Regeln gibt, die aufzustellen allein im Rahmen der Zuständigkeit der polnischen Behörden liegt.
Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Biehle.
Herr Staatsminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die geschilderte Ablehnung von Visumanträgen durch das polnische Konsulat in Köln mit den genannten Gründen und Formalitäten gegen den Geist und auch gegen den formellen Inhalt der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen getroffenen Vereinbarungen verstößt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir glauben, daß diese Anträge im Zuge der Vereinbarungen und der Absprache, die hier getroffen wurde, an sich in der vorgelegten Form hätten bewilligt werden müssen. Aber ich möchte von dieser Stelle aus nicht sagen, daß ein mögliches Mißverständnis auf der polnischen Seite, über das man sich zu einigen versucht, notwendigerweise gegen den Geist unserer Vereinbarungen verstößt. Wir müssen sehen, daß wir diese Fragen mit der Volksrepublik Polen auf politischer Ebene klären. Offenbar bestehen Meinungsverschiedenheiten in der Interpretation.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hupka.
Herr Staatsminister, wie erklärt es sich die Bundesregierung, daß polnische Dienststellen in Köln, wie Sie auch gesagt haben, wiederholt gegen deutsch-polnische Absprachen gehandelt haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann hier nicht für die polnischen Behörden sprechen. Ich kann nur sagen, daß nach unserer Interpretation die vorgelegten Unterlagen eindeutig waren. Wir sind dabei zu klären, welche Gründe auf polnischer Seite bestehen, und wir versuchen, den Antragstellern durch unsere Intervention zu helfen. Aber ich glaube, wir helfen ihnen am besten, wenn wir zunächst das Gespräch mit den polnischen Behörden und Dienststellen hier zu Ende führen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung nicht schon seit langem bekannt, daß polnische Dienststellen bezüglich der Bezeichnung der Ortsnamen entgegen den deutsch-polnischen Absprachen handeln?
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Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, es gibt solche Einzelfälle. Es gibt auch eine Vielzahl von Fällen, wo diese Probleme nicht auftreten. Die Fälle werden jeweils einzeln begründet. Es kommt uns wirklich darauf an, dieses mit den Dienststellen, Behörden und auf politischer Ebene mit der Regierung der Volksrepublik Polen zu klären. Ich hoffe, daß wir auf diese Weise in der Lage sein werden, den Antragstellern zu helfen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker .
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß die polnische Botschaft in einer Vielzahl von Fällen die Absprachen sehr großzügig ausgelegt und den Betroffenen direkt und sehr kurzfristig geholfen hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Becker, das ist richtig, und das ist einer der Gründe, warum ich versuche, hier keine Diskussion auszulösen, die es schwieriger machen würde, mit den Problemen fertig zu werden, als es bisher der Fall ist.
Ich rufe die Frage 126 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Gefangene, unter denen sich auch Deutsche befinden sollen, die Pressemitteilungen zufolge in Gefängnissen der Volksrepublik Mozambique festgehalten werden, und was wird die Bundesregierung gegebenenfalls gerade im Hinblick auf die Menschenrechte unternehmen, um das Schicksal dieser Gefangenen aufzuklären und ihnen gegebenenfalls zur Freiheit zu verhelfen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Nach Kenntnis der Bundesregierung befinden sich gegenwärtig keine deutschen Staatsangehörigen in Gefängnissen der Volksrepublik Mozambique.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sind Sie dem Artikel in der „Neuen Zürcher Zeitung" nachgegangen, den ein ehemaliger Staatsangehöriger der Republik Mozambique, der lange Jahre in der DDR studiert hat, geschrieben hat und in dem er auch darauf hingewiesen hat, daß u. a. Deutsche in den Gefängnissen von Mozambique gefangengehalten werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege bei Eröffnung unserer Botschaft in Maputo im August 1976 befanden sich drei deutsche Staatsangehörige in Haft. Ihnen wurde unerlaubter Grenzübertritt, Waffenbesitz und illegaler Goldtransfer vorgeworfen. Sie wurden nach Intervention der Botschaft im Oktober 1976 aus der Haft entlassen und abgeschoben. Dies ist alles, was mir im Augenblick bekannt ist. Ich bin gerne bereit, dem von Ihnen genannten Artikel in der „Neuen Zürcher Zeitung" noch einmal ausdrücklich nachzugehen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel.
Herr Staatsminister, trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, daß es heute in Mozambique mehr Insassen in Gefängnissen gibt, als es je zur Zeit der Portugiesen der Fall war?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Präsident, Herr Kollege, wenn ich mir den Hinweis erlauben darf: Ich glaube, diese Frage steht wirklich nicht im Zusammenhang mit der Frage nach Deutschen in Gefängnissen. Ich bin gerne bereit, auch darauf eine Antwort zu geben. Aber ich glaube, das .geschähe nicht im Rahmen der gestellten Frage.
Das wird bei anderer Gelegenheit noch möglich sein, nehme ich an, Herr Kollege Niegel. Die Zeit ist zu knapp, um jetzt noch lange Ausführungen zu machen, und die Kollegen strömen zur Stimmabgabe in den Saal. — Danke schön, Herr Kollege Niegel.
Treffen die publizierten Äußerungen des Präsidenten der sozialistischen Republik Rumänien, Ceausescu vor dem Plenum des ungarischen und deutschen Arbeitervolkrats am 15. März 1978 zu, in denen unter anderem er zur Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland entschlossene Deutsche neben anderen Beleidigungen als „schwache, moralisch entartete Elemente" bezeichnet, „die geradewegs in das feindliche Lager überwechseln und mit Verachtung gestraft werden müssen", zu, und wenn ja, wie wird die Bundesregierung darauf reagieren?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Sauer, die Ausführungen bezogen sich als solche nicht auf zur Ausreise entschlossene Deutsche. Präsident Ceausescu hat sich gegen die Förderung von Auswanderungstendenzen im allgemeinen gewandt, aber in derselben Rede auch die Bereitschaft zur Lösung humanitärer Probleme bekräftigt.
Zu einer Reaktion der Bundesregierung besteht also keinerlei Veranlassung.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer?
Wegen der vorgeschrittenen Zeit werde ich schriftliche Fragen einreichen.
Danke schön. Wir sind am Ende der Fragestunde. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr von Dohnanyi.Die Fragen 56, 57 und 60 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die übrigen wegen Zeitablauf nicht mündlich beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich warte einige Minuten, damit sich das Plenum füllt, weil wir die volle Stimmenzahl brauchen, um über den nächsten Antrag abzustimmen.
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6554 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Vizepräsident Frau RengerIch unterbreche die Sitzung für zwei, drei Minuten.
Wir setzen die Sitzung fort. — Ich bitte Sie herzlich, Platz zu nehmen, damit ich übersehen kann, ob wir eine ausreichende Stimmenzahl, also die Mehrheit der Abgeordneten, bei der nächsten Abstimmung haben.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP — Parlamentarische Kontrollkommission —— Drucksache 8/1695 —
Dazu wird das Wort nicht erbeten. Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung.
Nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes vom 11. April 1978 ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt. Das sind 260 Stimmen. Ich gehe davon aus, daß wir über den Antrag insgesamt abstimmen können. — Es erhebt sich kein Widerspruch.
Wer dem Antrag auf Drucksache 8/1695 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angesichts der Besetzung des Hauses stellt der Sitzungsvorstand übereinstimmend fest, daß damit die gesetzlich geforderte Mehrheit erreicht ist und die Vorgeschlagenen gewählt sind. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung
— Drucksache 8/1690 —
Hierzu werden Erklärungen der Fraktionen abgegeben. Das Wort zu einer Erklärung hat der Abgeordnete Vogel .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Abstimmung über den Einspruch des Bundesrats gegen das am 16. Februar 1978 vom Deutschen Bundestag mit 245 Ja-Stimmen gegen 244 Nein-Stimmen verabschiedete Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung gebe ich namens der Fraktion der CDU/CSU gemäß § 92 der Geschäftsordnung folgende Erklärung ab.Die heutige Abstimmung wird ein unrühmliches Kapitel der Gesetzgebung beenden, bei der es zuletzt nicht mehr um eine wirksame Antwort der Volksvertretung auf die schlimme Herausforderung des Terrorismus ging, sondern nur noch um die Machterhaltung der in wichtigen Fragen handlungsunfähig gewordenen Koalition.
Dabei bestand noch im Herbst des vergangenen Jahres die große Hoffnung, daß die drei Fraktionen des Deutschen Bundestages in der Lage sein würden, bei den wichtigsten der vorliegenden gesetzlichen Vorschläge einen eindrucksvollen Beweis der Solidarität der Demokraten zu erbringen. Die Verabschiedung des Kontaktsperregesetzes war Vorbild.Es ist bedrückend, wie schnell und gründlich nach den großen Heimsuchungen des letzten Jahres diese Hoffnung auf Solidarität zerstört worden ist.
Am 19. Oktober 1977 hatten sich alle drei Fraktionen im Rechtsausschuß auf die Punkte verständigt, die vordringlich behandelt werden sollten. Es waren das erstens die Frage der Überwachung der Besuche des Verteidigers bei inhaftierten Terroristen; zweitens die Verschärfung der Bestimmungen über den Verteidigerausschluß; drittens die Änderung der Bestimmungen über die Sicherungsverwahrung; viertens die Änderung der Bestimmungen über die Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung; fünftens die Einstufung des § 129 a des Strafgesetzbuches — Tatbestand der kriminellen terroristischen Vereinigung — als Verbrechen; sechstens die Verschärfung des Haftrechts bei der Straftat des § 129 a des Strafgesetzbuches; siebentens die Einrichtung von Kontrollstellen und die Zulässigkeit von Identitätsfeststellungen. Später wurde achtens noch die Frage der Erweiterung von Durchsuchungsmöglichkeiten bei unverdächtigen Personen hinzugenommen. Von den zahlreichen Gesetzesinitiativen wurde die Beratung also auf diejenigen konzentriert, die als die wichtigsten und vordringlichsten angesehen wurden. Es ist notwendig, darauf hinzuweisen, daß es auch heute nur um diese gemeinsam als vordringlich angesehenen Vorschläge geht.Unmittelbar nach der Ermordung Hanns Martin Schleyers hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am 20. Oktober -1977 zu diesen Bemühungen der Fraktionen um Gemeinsamkeit in der Antiterrorgesetzgebung folgendes ausgeführt — ich zitiere —:Allerdings würde ich es begrüßen, wenn der schon eingeleitete Versuch, einzelne Vorschläge zur besseren Bekämpfung des Terrorismus nach sorgfältiger Prüfung in einer gemeinsamen Gesetzesinitiative der drei Fraktionen zusammenzufassen, fortgesetzt und zu einem konstruktiven Ende geführt würde.Heute müssen wir von der CDU/CSU feststellen, daß wir und die gesamte deutsche Offentlichkeit damals getäuscht worden sind.
Wir müssen feststellen, daß die Koalitionsmehrheit dieses Hauses zu keinem Zeitpunkt den Willen und die Fähigkeit besessen hat, jenen im Rechts-
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Vogel
ausschuß vereinbarten Katalog mit uns gemeinsam zu verabschieden oder auch nur ernsthaft zu prüfen. Aus dem Paket, das eine eindrucksvolle Antwort auf die Herausforderung des Terrorismus gewesen wäre, ist am Ende, wie ein angesehener Journalist es kommentiert hat, ein „Jammerpäckchen" geworden. Nichts ist von dem Versprechen des Bundeskanzlers übriggeblieben, das er angesichts der Opfer der Terroristen gegeben hat. Ich darf auch hier zitieren:Wer den Rechtsstaat zuverlässig schützen will, der muß innerlich auch bereit sein, bis an die Grenzen dessen zu gehen, was vom Rechtsstaat erlaubt und geboten ist.Wir müssen heute feststellen: Diese Bundesregierung und diese Koalition von SPD und FDP haben es versäumt, ihre Pflicht zu tun.
Statt auf die überzeugende Mehrheit zurückzugreifen, die die Verabschiedung des Kontaktsperregesetzes ermöglicht hat und die auch für die Verabschiedung des Antiterrorpakets zur Verfügung gestanden hätte, haben sie aus Gründen der Machterhaltung durch eine kleine Gruppe extrem linker Abgeordneter bestimmen lassen, was geht und was nicht geht. Der Bundeskanzler und die Mehrheit der Koalition sind vor den Herren Coppik, Hansen, Meinike, Lattmann und ihren Anhängern in die Knie gegangen, um eine angeschlagene Koalition über die nächste Runde zu bringen; heute versuchen sie wortreich, diesen Tatbestand zu verschleiern. Allein hierauf und auf nichts anderes aber ist das beschämend magere Ergebnis der Antiterrorgesetzgebung zurückzuführen. Das muß der deutschen Offentlichkeit heute noch einmal mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt werden.Zu der jetzt von allen Abgeordneten der Koalition abgelehnten Möglichkeit einer Überwachung der Besuche von Verteidigern bei inhaftierten Terroristen hat der Bundeskanzler noch am 20. April 1977 in diesem Hohen Hause ausgeführt — ich zitiere —:Die Bundesregierung hatte allerdings auch vorgeschlagen, unter bestimmten Voraussetzungen auch den mündlichen Verkehr zwischen Häftlingen und ihren Verteidigern zu überwachen. Für meine Personso damals der Herr Bundeskanzler — vertrete ich diese Meinung heute noch.
Die Gruppe um Coppik hat ihn gezwungen, seine Meinung zu ändern.Am 9. Mai 1977 berichtete die Deutsche Presseagentur über Überlegungen des der SPD angehörenden hessischen Justizministers Günther zur Antiterrorgesetzgebung. Danach plädierte Günther dafür, bei der Sicherungsverwahrung die „Open-end- Methode" einzuführen, d. h. zur Sicherungsverwahrung verurteilte Täter so lange unterzubringen, „als sie noch gefährlich sind". Er plädierte weiter dafür, die Frage zu prüfen, ob eine vorzeitige Entlassung von Straftätern nicht an verschärfte Voraussetzungen gebunden werden sollte.Auch der Berliner FDP-Justizsenator Baumann ist in einem Briefwechsel mit dem Bundesjustizminister, den er meiner Fraktion zur Kenntnis gebracht hat, für eine wirksamere Sicherungsverwahrung eingetreten. Unter dem Druck der Gruppe Coppik mußte Herr Kollege Emmerlich zu dahin gehenden Vorschlägen der CDU/CSU am 16. Februar die Auffassung kundtun, ihrer Annahme hätten verfassungsrechtliche bzw. unüberwindliche rechtsstaatliche Bedenken entgegengestanden. Das ist ein Vorwurf, Herr Kollege Emmerlich, der ebenso absurd wie unbelegbar ist.
Wie sehr der Bundeskanzler durch seinen Mitregenten Coppik in seiner Handlungsfähigkeit schon eingeengt ist, hat sich zuletzt im Vermittlungsverfahren gezeigt. Im Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat war nicht einmal für die Veränderung eines Kommas eine Mehrheit zu gewinnen. Letztlich überwog die Angst davor, daß dann die linke Sperrminorität das Gesetz im Bundestag endgültig durchfallen lassen könneMan kann sich vorstellen, wie dem Bundeskanzler zumute sein muß, daß er bei der Hürde, die das Gesetz heute im Bundestag zu nehmen hat, ausgerechnet der Gnade und Barmherzigkeit dieser Gruppe ausgeliefert ist. Wie diese Herren mit ihren noch am 16. Februar 1978 hier bekundeten Gewissensbedenken ins reine kommen, wird wohl ihr Geheimnis. bleiben. Oder folgen Sie Ihrem Kollegen Schwencke, der sich nicht geschämt hat, in diesem Hause erklärtermaßen gegen sein Gewissen zu stimmen?
Die CDU/CSU-Fraktion ist nicht bereit, den Polizeibeamten, Staatsanwälten und Richtern ein gänzlich unzulängliches, gesetzliches Instrumentarium zur Verfügung zu stellen. Leider müssen wir die Befürchtung äußern: Nach dem nächsten Terroranschlag wird wiederum zu beklagen sein, daß der Gesetzgeber seine Pflicht versäumt hat. Die Schuld daran tragen ausschließlich SPD und FDP.Deshalb lehnen wir eine Mithaftung für dieses Gesetz ab. Wir stimmen gemäß dem Einspruch des Bundesrats.Namens meiner Fraktion beantrage ich namentliche Abstimmung.
Das Wort zu einer Erklärung hat Herr Abgeordneter Dr. Emmerlich.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung am 16. Februar 1978 verabschiedet. Dieses Gesetz sieht folgende Änderungen der Strafprozeßordnung vor:1. Verbesserung der Vorschriften über den Verteidigerausschluß,
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6556 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Dr. Emmerlich2. Vorrichtungen, die die Übergabe von Schriftstücken und anderen Gegenständen beim Gespräch zwischen dem einer Straftat nach § 129 a StGB verdächtigen inhaftierten Beschuldigten und seinem Verteidiger unterbinden,3. Modernisierung der Vorschriften über die Durchsuchung,4. Schaffung einheitlicher, d. h. in der gesamten Bundesrepublik geltender Rechtsvorschriften über die Zulässigkeit von Identitätsfeststellungen und über die Einrichtung von Kontrollstellen bei der Strafverfolgung.Der Bundesrat hat am 17. März 1978 mit Mehrheit beschlossen, den Vermittlungsausschuß anzurufen, weil das vom Bundestag beschlossene Gesetz den Erfordernissen einer wirksamen Bekämpfung des Terrorismus nicht genüge und er Änderungen und Ergänzungen für notwendig halte, wie sie die Fraktion der CDU/CSU in der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs mit der Drucksache 8/1511 beantragt hatte.Der Vermittlungsausschuß hat das vom Deutschen Bundestag am 16. Februar 1978 beschlossene Gesetz in seiner Sitzung vom 23. März 1978 bestätigt. Am 7. April 1978 hat der Bundesrat gleichwohl mit Mehrheit beschlossen, gegen das Gesetz Einspruch einzulegen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, was soll mit diesem Einspruch erreicht werden? Vordergründig verfolgt die Bundesratsmehrheit mit dem Einspruch das Ziel weiter, das sie bei der Anrufung des Vermittlungsausschusses im Auge gehabt hat, nämlich Änderungen und Ergänzungen des Gesetzesbeschlusses im Sinne der Anträge der Opposition zu erreichen. Ihr eigentliches Ziel ist aber, wie sich bei näherer Betrachtung erweist, ein ganz anderes. Hätte nämlich der Einspruch des Bundesrates Erfolg, so würde das vom Bundestag beschlossene Gesetz zunächst einmal nicht in Kraft treten. Aber auch die Änderungen und Ergänzungen, die die Opposition beantragt und die die Bundesratsmehrheit übernommen hat, würden dann nicht Gesetz werden. Wer heute den Einspruch der Bundesratsmehrheit nicht zurückweist, bewirkt, ob er das will und wahrhaben will oder nicht, daß in absehbarer Zeit weder die von der Bundesregierung und der Koalition für erforderlich gehaltene Komplettierung des gesetzlichen Instrumentariums zur Bekämpfung des Terrorismus stattfindet noch daß die darüber hinausgehenden Forderungen der Opposition realisiert werden.Daß die Situation so und nicht anders ist, hat die Bundesratsmehrheit natürlich gewußt. Das weiß auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und davon ist selbstverständlich auch die sogenannte Strategiekommission von CSU und CDU ausgegangen, als sie im Februar dieses Jahres den Schlachtplan für die weitere Behandlung des Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung austüftelte und die Bundesratsmehrheit zu ihrem Erfüllungsgehilfen degradierte.Wenn es beim Einspruch des Bundesrates und bei der heutigen Entscheidung des Bundestages über diesen Einspruch nicht um eine Verbesserung des gesetzlichen Instrumentariums zur Terrorismusbekämpfung geht, was ist es dann, was die Strategiekommission der CSU und der CDU sowie die Bundesratsmehrheit und die CDU/CSU-Fraktion als ihre Vollzugsorgane beabsichtigen? Auf Grund des Abstimmungsergebnisses am 16. Februar 1978 im Deutschen Bundestag hat die Strategiekomission von CSU und CDU eine Chance gewittert, nämlich daß die Koalition die zur Zurückweisung eines Einspruches erforderliche absolute Mehrheit verfehlen und es der Opposition infolgedessen gelingen könnte, eine politisch wichtige Gesetzesvorlage der Regierung und der Koalition zum Scheitern zu bringen. Diese Chance haben die Herren Strauß & Co. begierig aufgegriffen, um der Regierung und der Koalition eine Niederlage beizubringen und dadurch ein Stück näher an ihr eigentliches Ziel heranzukommen, diese vom deutschen Volk in der Bundestagswahl 1976 bestätigte Regierung während der laufenden Legislaturperiode zu Fall zu bringen und am Wähler vorbei die Regierungs- und Gesetzgebungsmacht für CDU und CSU zu ergattern.Diese Tendenz, sich an der Wählerentscheidung vorbei an die Macht zu mogeln, wurde schon unmittelbar nach der Bundestagswahl deutlich. Obwohl der damalige Kanzlerkandidat der Unionsparteien die Zustimmung der Mehrheit der Wähler nicht gefunden hatte, machte er mit fadenscheinigen Begründungen dreist den Anspruch auf die Kanzlerschaft geltend.
Mit Strauß im Nacken und einem Dregger, der ihm schon auf den Füßen steht, weiß er, daß er nur noch Kanzler werden kann, wenn es ihm gelingt, die Regierung ohne Rücksicht auf das Wahlergebnis 1976
noch vor 1980 zu stürzen. Auf dieses Ziel ist seine gesamte Politik ausgerichtet. Auch die Fragen der inneren Sicherheit und der Terrorismusbekämpfung werden diesem Ziel untergeordnet.
Der Einspruch der Bundesratsmehrheit und das heutige Abstimmungsverhalten der Opposition hat nichts zu tun mit dem Kampf gegen den Terrorismus, sondern dient nichts anderem als der Eroberung der Regierungsmacht.
Die Parallelität zum Verhalten der Opposition in den Jahren 1969 bis 1972 ist unverkennbar. Die Union hat nichts dazugelernt. Ihr böses Spiel mit • dem Wählerwillen hat sich damals nicht ausgezahlt.
Heute, im Jahre 1978, versucht sie eine Neuauflage dieses Spiels in einer anderen Kulisse und mit einer anderen Dramaturgie. Der Erfolg wird jedoch ebenso ausbleiben wie 1972.Übrigbleiben wird lediglich die Erkenntnis der fortbestehenden Unfähigkeit der Union, für die Bun-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6557
Dr. Emmerlichdesrepublik die Regierungsverantwortung tragen zu können.
Daß die Unionsstrategen mit ihrer destruktiven Haltung das Inkrafttreten von verbesserten gesetzlichen Vorschriften zur Terrorismusbekämpfung um nahezu zwei Monate verzögert und damit bewußt ein unübersehbares Risiko für die innere Sicherheit in unserem Lande heraufbeschworen haben, unterstreicht das bisher Gesagte nachdrücklich.
Mancher, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird vielleicht meinen, hier sei ein zu negatives Bild von der Unionsstrategie gezeichnet und zuwenig der Versuchung widerstanden, den politischen Gegner schlechtzumachen.Dazu einige wenige Zitate aus der Rede des CSU-Vorsitzenden im November 1974 in Sonthofen. Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten:
Die Auflösung der jetzigen Bundesregierung ist das vorrangige Ziel und hier besteht durchaus die Möglichkeit, daß noch vor dem Jahre 1976 es zu einer Änderung kommt ... Wir müssen die Auseinandersetzung hier im Grundsätzlichen führen. Da können wir nicht genug an allgemeiner Konfrontierung schaffen ... Da muß man die anderen immer wieder identifizieren damit, daß sie den Sozialismus und die Unfreiheit repräsentieren, daß sie das Kollektiv und die Funktionärsherrschaft repräsentieren und daß ihre Politik auf die Hegemonie der Sowjetunion über Westeuropa hinausläuft ... Und jetzt hier in demokratischer Gemeinsamkeit zu sagen, wir Demokraten in SPD/FDP und CDU/ CSU, wir halten also jetzt nun zusammen in dieser Situation, hier müssen wir den Rechtsstaat retten — das ist alles blödes Zeug.
Wir müssen sagen, die SPD und die FDP überlassen diesen Staat kriminellen und politischen Gangstern.Meine sehr geehrten Damen und, wo gibt es in der deutschen Nachkriegsgeschichte eine Aussage von größerer Skrupellosigkeit,
von geringerer politischer Moral und von zynischerer Machtbesessenheit?
Eine abschließende Bemerkung zu der Behauptung, das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung genüge den Erfordernissen einer wirksameren Bekämpfung des Terrorismus nicht und es bedürfe der von der Opposition vorgeschlagenen Änderungen und Ergänzungen: Niemand kann ernsthaft bezweifeln, daß der erweiterte Verteidigerausschluß, die Trennscheibe, die erweiterte Durchsuchungsmöglichkeit und eine sichere bundeseinheitliche Rechtsgrundlage für Kontrollstellen und Identitätsfeststellungen das rechtliche Instrumentarium zurBekämpfung des Terrorismus und auch der Gewaltkriminalität verbessern.Die Frage kann nur lauten, ob die darüber hinausgehenden Forderungen der Opposition einen zusätzlichen Gewinn an Sicherheit bringen, ohne in unverhältnismäßiger Weise die individuellen Grundfreiheiten und die freiheitliche Grundordnung zu beschneiden. Diese Frage haben wir in den vergangenen Monaten immer und immer wieder — bis zum heutigen Tage — mit größter Sorgfalt geprüft. Wir können zu keinem anderen Ergebnis gelangen als dem: Zusätzliche Sicherheit ist durch die Realisierung der Vorschläge der Opposition nicht zu gewinnen. Die geforderten weiteren Kompetenzen der Strafverfolgungsbehörden bei Durchsuchungen, Kontrollstellen und Identitätsfeststellungen sowie zur Verteidigerüberwachung würden die Strafverfolgung nicht effektiver machen, sondern ihre Effektivität vermindern, weil z. B. die Inhaftierung zum Zwecke der Identitätsprüfung — auch bei Nichtverdächtigen — bis zur Dauer von 48 Stunden sehr bald auf breiten Widerstand stoßen und die unbedingt notwendige Unterstützung der Strafverfolgungsbehörden durch die Bevölkerung untergraben würde. Ähnliches gilt für die den Bogen überspannenden Vorstellungen der Opposition über die Zulässigkeit von Flächenrazzien und von Kontrollstellen bei Straftaten außerhalb der gemeingefährlichen Gewaltkriminalität.
Die Verteidigerüberwachung ist nach nahezu einhelliger Meinung aller Fachleute weder effektiv noch praktikabel. Überdies greift sie, weil sie mit einem weitgehenden Ausschluß des Verteidigergesprächs kombiniert ist, zu sehr in das Grundrecht auf ungehinderte Verteidigung ein. Schließlich ist sie bei einer wirksamen Regelung des Verteidigerausschlusses, wie wir ihn vorsehen, auch überflüssig, weil sich bei einem ausgeschlossenen Verteidiger die Frage der Verteidigerüberwachung gar nicht mehr stellt.Die Opposition ist in dieser Frage total isoliert. Die deutschen Richter, die deutschen Rechtsanwälte und auch der Generalbundesanwalt stehen auf der Seite der Koalition und nicht hinter der Opposition.
Wer die Möglichkeiten zur Anordnung der Sicherungsverwahrung so ausweiten will wie die Opposition, der hat den ersten Schritt zu einem Strafrecht getan, das nicht mehr straft, weil eine Straftat begangen worden ist, sondern weil angenommen wird, es könnten Straftaten begangen werden. Eine solches Strafrecht wäre das Ende des Rechtsstaats. Wir sind nicht bereit, diesen ersten Schritt in Richtung auf eine solche Entwicklung zu gehen.
Für die Bundestagsfraktion der SPD beantrage ich, den Einspruch des Bundesrates zurückzuweisen und darüber namentlich abstimmen.
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6558 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Den Anspruch, den die Oppositionsparteien durch ihren Sprecher erhoben haben, haben wir wohl vernommen. Einiges am Handeln der Opposition in der Vergangenheit läßt Zweifel daran, ob dieser Anspruch, so wie er erhoben ist, gerechtfertigt ist. Es fehlt einfach an der schlüssigen Darlegung, in welchen Punkten das, was heute zum wiederholten Male hier verabschiedet werden soll, hinter dem zurückbleibt, was Ihnen vorschwebt. Ich will mich dieser klarstellenden Aufgabe gerne an Ihrer Stelle unterziehen.
Wir folgen Ihnen nicht, soweit es sich um die Einführung der Überwachung des Verteidigergesprächs handelt. Wir folgen Ihnen nicht, soweit es sich um die Einführung einer weitergehenden Sicherungsverwahrung handelt, als sie bereits besteht. Wir folgen Ihnen schon gar nicht bei Ihrem Bemühen, für bereits bestehende Straftatbestände lediglich ein höheres Strafmaß einzuführen, was nur rein plakative Bedeutung haben kann.
In den beiden ersten Punkten hat es Auseinandersetzungen gegeben, die — ich glaube, sagen zu können — von großem Verantwortungsbewußtsein auf allen Seiten des Hauses getragen waren. Wir sind zu einem anderen Ergebnis als Sie gekommen. Herr Emmerlich hat soeben mit Recht darauf hingewiesen, daß Sie eben auch nicht vor die von Herrn Vogel zitierten Richter mit Ihren Vorschlägen treten können, um ihnen ein besseres Handwerkszeug zu geben. Gerade diese Richter lehnen die Verteidigerüberwachung wegen der damit verbundenen unwürdigen Zumutungen an den durchführenden Richter und darüber hinaus, wie wir, auch wegen ihrer offenbaren Nutzlosigkeit ab.
Die Erweiterung der Sicherungsverwahrung lehnen wir in Übereinstimmung mit den Sozialdemokraten deshalb ab, weil Sie an die Stelle des Richterspruches, an die Stelle der Würdigung des einzelnen Täters und des von ihm gesetzten Tatbestandes ein ganz allgemeines Verdikt setzen, das sich im Grunde jeder weiteren Nachprüfung entzieht. Wir folgen Ihnen also einerseits wegen der enormen Beeinträchtigung rechtsstaatlicher Grundsätze durch eine Erweiterung der Sicherungsverwahrung nicht, andererseits aber auch deshalb nicht, weil die Überprüfung des vorhersehbaren Nutzens hier ebenfalls ergibt, daß diese Maßnahme nichts nützen würde. Fast alle wegen terroristischer Taten Abzuurteilenden verdienen sehr hohe Strafzumessungen. Diese Strafen sind auch ausgesprochen worden. Nach einer Strafverbüßung kann die Anordnung der Sicherungsverwahrung nur dann sinnvoll sein, wenn es sich um kürzere Strafen handelt, die auf diese Weise verlängert werden. Warum aber, so frage
haben dann in diesen Fällen die Richter in dem ordentlichen Gerichtsverfahren, auf das wir mit Recht stolz sind, eine kürzere Strafe verhängt, um hintenherum über das Institut der Sicherungsverwahrung darüber hinauszugehen? Doch nur deshalb, weil sie auch die Gefährlichkeit des entsprechenden Täters nicht so hoch einschätzen. Deshalb auch hier wegen erkennbarer Nutzlosigkeit und einer Fülle rechtspolitischer Nachteile unsere Ablehnung.
Zu dem dritten Punkt, der an tatsächlich gravierenden Differenzen zwischen uns noch übrig bleibt, hatte ich bereits etwas gesagt.
Es bleibt also festzustellen, daß das Bemühen um ein Vermittlungsverfahren, das Bemühen, an dem Gesetzesbeschluß, den wir Koalitionsfraktionen hier beschlossen hatten, etwas zu ändern, tatsächlich Gründe hat, die eben nicht nur dem Schutz vor terroristischen Umtrieben dienen, die eben nicht nur Ihrer Sorge um diesen Staat entsprechen, einer Sorge, die wir wahrlich genauso haben wie Sie. Darüber hinaus verfolgen Sie vielmehr die hier bereits angesprochenen Ziele, die Koalitionsparteien in eine von Ihnen vermutete Schwierigkeit dadurch zu bringen, daß Sie sie zwingen, hier die sogenannte Kanzlermehrheit für das vorzuführen, was sie beschlossen haben.
Dazu kann man nur sagen: das ist Ihr gutes Recht. Ich glaube allerdings, daß Sie, je näher der Zeitpunkt dieser Abstimmung herankommt, die nun in wenigen Minuten vor uns steht, um so mehr bezweifeln, daß Sie taktisch so gut beraten waren, wie einige Ihnen das einzureden versucht haben.
Denn die Koalition wird nunmehr wegen einer veränderten Ausgangsposition die Gelegenheit haben, Ihnen zu beweisen, daß sie noch ein paar Stimmen mehr als beim letztenmal bringt. Das ist nun allerdings ein Nachteil, den Sie sich selber zuzuschreiben haben bei der Ausnutzung des Ihnen zustehenden Rechtes.
Wir Freien Demokraten haben jedenfalls — besonders in den Koalitionen im Saarland und in Niedersachsen — bei dieser Gelegenheit nach Kräften mitgeholfen, Ihnen die Ausnutzung der rechtlichen Möglichkeiten zu erleichtern und die heutige Abstimmung herbeizuführen,
erstens, damit dieses Ergebnis hier vorgewiesen werden kann, und andererseits, um zu beweisen, daß wir in solchen Koalitionen sehr gute Möglichkeiten kennen, daß jeder zu seinem Recht kommt; die Christdemokraten dazu, diese Abstimmung herbeizuführen, und die Freien Demokraten dazu, daß genau das verabschiedet wird, was wir rechtsstaatlich und strafrechtlich für wünschenswert halten, und das mit der größtmöglichen Mehrheit.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Platz nähmen.Es liegt noch eine Wortmeldung vor. Zu einer Erklärung zur Abstimmung erteile ich dem Herrn Abgeordneten Hansen das Wort.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6559
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur bevorstehenden Abstimmung gebe ich — zugleich im Namen meiner Kollegen Coppik und Meinike — folgende Erklärung ab.
Der Bundestag hat am 16. Februar das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung beschlossen. Aus Sorge um den Erhalt des demokratischen Rechtsstaates
und im Wissen, daß ein allgemeines, weiter ausgreifendes Mehr an staatlicher Härte keine politische Antwort auf die Herausforderung des Terrorismus ist, haben wir diesem Gesetz nicht zustimmen können. Wir halten das Gesetz nach wie vor für falsch und gefährlich.
Das Kontaktsperregesetz hat die Selbstmorde von Stammheim nicht verhindern können. Sie waren die Folge sträflicher Versäumnisse im Strafvollzug unter der Aufsicht des Landes Baden-Württemberg.
Die Pannen von Erftstadt-Liblar haben überdies gezeigt, daß durch bloße Ausweitung des Fahndungsapparates mehr Fahndungserfolge nicht erreicht werden.
— Herr Kohl, wer in Ihren Reihen den Terror in Chile befürwortet, sollte sich aus dieser Diskussion heraushalten. Alle Erfahrungen belegen, daß Gesetzesänderungen zur Bekämpfung des Terrorismus unwirksam sind.
Noch verhängnisvoller ist es, daß Gesetzesänderungen von der Notwendigkeit ablenken, mit allen Mitteln nach den gesellschaftlichen Ursprüngen und politischen Ursachen der Entstehung des Terrorismus in der Bundesrepublik zu forschen. Das nunmehr vorliegende Votum des Bundesrates mit dem Ziel einer Verschärfung des Gesetzes macht deutlich, daß konservative Kräfte in unserem Lande nichts unversucht lassen, unter dem Vorwand des besseren Kampfes gegen 'den Terrorismus die Qualität unseres Rechtsstaates und unserer Verfassung zu ändern.
Der Einspruch des Bundesrates zielt nicht auf das Scheitern, sondern auf eine wesentliche Verschärfung des Gesetzes ab. Die Erfüllung der Forderung des Bundesrates nach weiterer Strafverschärfung, nach Erweiterung der Sicherungsverwahrung, nach weiterer Einschränkung der Verteidigerrechte und nach weitergehenden Befugnissen Eingriffen in die Grundrechte unbeteiligter Bürger würde die demokratischen Freiheitsrechte und rechtsstaatlichen Garantien in unerträglicher und verhängnisvoller Weise einschränken. Diese Forderungen sind die Grundlage des heute zur Abstimmung stehenden Bundesratseinspruches. Mit politischen Kräften, die solche Forderung erheben, haben wir nichts, aber auch nichts gemein.
Die Erinnerung an die deutsche Vergangenheit ist uns Verpflichtung in der Gegenwart, auch wenn sich Geschichte niemals genau wiederholt. Aus diesem Grund hat niemand mehr Veranlassung, sich dem Einspruch zu verweigern, als 'diejenigen, die aus Sorge um die Qualität unserer Demokratie schon die Änderung der Strafprozeßordnung am 16. Februar nicht gewollt haben.
Heute wird nicht noch einmal über das Gesetz abgestimmt,
sondern es geht darum, den Versuch des Bundesrates, das Gesetz noch schärfer zu gestalten, endgültig zurückzuweisen.
Wir werden gemeinsam mit allen anderen Kollegen der SPD-Fraktion für die Zurückweisung des Bundesratseinspruches stimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen zur Abstimmung. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag lautet: Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates, den dieser mit der Mehrheit seiner Stimmen beschlossen hat. Dafür bedarf es nach Art. 77 Abs. 4 des Grundgesetzes der Mehrheit der Mitglieder des Hauses. Das sind 249 Stimmen. Wer den Einspruch zurückweisen will, muß mit Ja stimmen.Ich eröffne die namentliche Abstimmung.Befindet sich noch ein Mitglied des Hohen Hauses im Saal, das seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Damit schließe ich die namentliche Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung über den Einspruch des Bundesrats gegen das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung — Drucksache 8/1690 — bekannt. Insgesamt haben 495 uneingeschränkt stimmberechtigte Mitglieder des Hauses und 22 Kolleginnen und Kollegen aus Berlin an der Abstimmung teilgenommen. Es haben mit Ja gestimmt 252 Mitglieder des Hauses und 11 Berliner Abgeordnete; mit Nein 243 und 11 Berliner Abgeordnete.ErgebnisAbgegebene Stimmen 495 und 22 Berliner Abgeordnete; davonja: 252 und 11 Berliner Abgeordnete, nein: 243 und 11 Berliner AbgeordneteJa Dr. Ahrens AmlingSPD Dr. Apel ArendtAdams AugsteinAhlers Baack
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6560 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenBahrDr. BardensBatzDr. BayerlBecker BiermannBindig BlankDr. Böhme BrandtBrandt BrückBuchstallerBüchler
Büchner
Dr. von BülowBuschfortDr. BußmannCollet ConradiCoppikDr. CorterierCurdtFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDr. von DohnanyiDürrDr. EhmkeDr. EhrenbergEickmeyerFrau Eilers
Dr. EmmerlichDr. EndersEngholmFrau ErlerEsters Ewen FellermaierFiebigDr. Fischer'FlämigFrau Dr. FockeFranke Friedrich (Würzburg) GanselGerstl
GertzenDr. GeßnerGlombigGobrechtGrobeckerGrunenbergGscheidleDr. HaackHaarHaase
HaehserHansenFrau Dr. Hartenstein HauckDr. HauffHenke Heyenn HöhmannHoffmann Hofmann (Kronach)Dr. HoltzHornFrau HuberHuonkerIbrüggerImmer Jahn (Marburg)JaunichDr. Jens JunghansJungmannJunker Kaffka KirschnerKlein
KoblitzKonradKratzKretkowskiDr. KreutzmannKrockert Kühbacher Kuhlwein Lambinus LangeLattmannDr. LauritzenLeberLempLendersFrau Dr. LepsiusLiedtkeDr. Linde LutzMahneMarquardt MarschallFrau Dr. Martiny-Glotz MatthöferDr. Meinecke Meinike (Oberhausen) MeininghausMenzelMöhringMüller
Müller
Müller
Müller
Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumann Dr. Nöbel Offergeld OostergeteloPaternaPawelczyk PeiterDr. Penner PenskyPeterPolkehn PorznerRapp
Rappe RavensFrau Renger ReuschenbachRohdeRosenthal RothSaxowskiDr. SchachtschabelSchäfer
Dr. Schäfer SchefflerScheuSchirmer Schlaga SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (München) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf)Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchreiber Schulte
Dr. Schwencke Dr. Schwenk (Stade) SeefeldSielerFrau Simonis SimpfendörferDr. Sperling Dr. SpöriStahl Dr. StaudtDr. StegerFrau Steinhauer StocklebenStöckl Sybertz Thüsing Frau Dr. TimmTönjes Topmann Frau TraupeUeberhorstUrbaniakDr. Vogel VogelsangVoigt WaltematheWaltherDr. Weber
WehnerWeißkirchen WendtDr. WernitzWestphal Wiefel WilhelmWimmer WischnewskiDr. de WithWittmann Wolfram (Recklinghausen) WredeWürtzWüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. Diederich
Dr. DübberEgertLöfflerMänning Mattick Frau SchleiSchulze SieglerschmidtFDPAngermeyerDr. BangemannBaumCronenbergEimer
EngelhardErtlFrau FunckeGärtner GallusGattermannGenscher GrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannHölscher HoffieJungKleinertDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff LudewigDr. Dr. h. c. MaihoferFrau Matthäus-Maier MischnickMöllemannOllesch PaintnerPeters Schäfer (Mainz)Schmidt
von Schoeler Frau Schuchardt SpitzmüllerDr. Vohrer Dr. WendigWolfgramm WurbsZywietzBerliner Abgeordnete HoppeNeinCDU/CSUDr. AbeleinDr. van AerssenDr. Aigner AlberDr. AlthammerDr. Arnold Dr. Barzel BayhaDr. Becher
Dr. Becker Frau BenedixBenzBerger
Berger BiecheleDr. BiedenkopfBiehleDr. von BismarckDr. Blüm BlumenfeldBöhm
Dr. Bötsch BraunBreidbach BrollBühler
BurgerCarstens Carstens (Fehmarn) Conrad (Riegelsberg)Dr. Czaja DammDawekeDr. DollingerDr. Dregger DreyerEngelsbergerErhard ErnestiDr. Evers Ey.Eymer
Dr. Eyrich FeinendegenFrau Fischer Francke FrankeDr. FriedmannDr. FrühDr. Fuchs Frau Geier GeisenhoferDr. von GeldernDr. George Gerlach GersteinGerster Gierenstein Glos
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6561
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenDr. Gruhl Haase
HaberlDr. Häfele Dr. HammansHandlosHanzHartmann Hasinger von Hassel
Dr. Hennigvon der Heydt Freiherrvon Massenbach HöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. Hornhues HorstmeierDr. Hubrig Frau HürlandDr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Dr. Jaeger Jäger
Dr. Jahn Dr. Jahn (Münster)Dr. JenningerDr. Jentsch Dr. JobstJostenFrau KarwatzkiKatzerKiechleDr. h. c. KiesingerDr. Klein Klein (München)Dr. Klepsch KlinkerDr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) KösterDr. KohlKolbKrampeDr. Kraske KrausDr. Kreile KreyKroll-SchlüterFrau Krone-AppuhnDr. Kunz Lagershausen LampersbachLandréDr. LangguthDr. Langner Dr. Laufs LemmrichDr. Lenz LenzerLinkLintnerLöherDr. LudaLückenDr. Marx Dr. MendeDr. Mertes MetzDr. Meyer zu Bentrup Dr. MikatDr. Miltner MilzDr. Möller Dr. MüllerMüller Müller (Wadern)Dr. Müller-HermannDr. Narjes NeuhausFrau Dr. NeumeisterNiegelNordlohne Frau Pack PetersenPfeffermann PfeiferPicardPierothDr. Pinger Pohlmann Prangenberg Dr. Probst RainerRaweReddemann RegenspurgerDr. ReimersFrau Dr. Riede Dr. Riedl (München)Dr. RiesenhuberDr. RitzRöhnerDr. RoseRüheRusseSauer
Sauter
Prinz zu SaynWittgenstein-Hohenstein Dr. SchäubleSchantz
SchedlFrau Schleicher SchmidhuberSchmidt Schmitz (Baesweiler) SchmöleDr. SchneiderDr. Schröder Schröder (Luneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Dr. Schulte (SchwäbischGmünd) SchwarzDr. Schwarz-SchillingDr. SchwörerSeitersSickDr. Freiherr Spies von BüllesheimSpilkerSpranger Dr. Sprung Stahlberg Dr. Stark
Dr. Starke
Graf StauffenbergDr. StavenhagenDr. Stercken StommelStraußStücklenStutzerSussetde TerraTillmannDr. TodenhöferFrau Tübler Dr. Unland Frau VerhülsdonkVogel
Vogt VolmerDr. VossDr. WaffenschmidtDr. Waigel Frau Dr. WalzDr. WarnkeDr. von WartenbergWawrzikWeber Weiskirch (Olpe) Dr. von Weizsäcker WernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissebachWissmannDr. Wittmann Dr. WörnerBaron von Wrangel WürzbachDr. WulffDr. ZeitelZeyerZieglerDr. Zimmermann ZinkBerliner AbgeordneteAmrehnFrau Berger Dr. GradlKittelmann Kunz LusterMüller
Dr. Pfennig Frau Pieser StraßmeirWnhlraheDamit ist die nach Art. 77 Abs. 4 des Grundgesetzes erforderliche Mehrheit von 249 Stimmen erreicht. Der Einspruch des Bundesrats ist damit zurückgewiesen.
Ich rufe nunmehr Punkt 4 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSUAusgleich von Steuerausfällen bei den Gemeinden
— Drucksachen 8/593, 8/1596 —Berichterstatter: Abgeordneter Spilker dazuBericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/1621 — Berichterstatter: Abgeordneter LöfflerMit der Beratung dieses Punktes soll die Beratung des Punktes 5 der Tagesordnung verbunden werden:Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes
— Drucksache 8/923 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/1663 —Berichterstatter: Abgeordneter Löfflerb) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 8/1662 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Traupe
Ich frage die Berichterstatterin und die Berichterstatter, ob eine Ergänzung der schriftlich vorgelegter' Berichte gewünscht wird. — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich danke für die Berichterstattung.
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6562 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenWir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Waffenschmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf Grund der Initiativen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion befaßt sich der Deutsche Bundestag heute erneut mit den Notwendigkeiten für eine aufgabengerechte Finanzausstattung unserer Gemeinden. Das Ergebnis der Ausschußberatungen ist für die deutschen Gemeinden — das muß man hier feststellen — unbefriedigend.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Platz nehmen würden, soweit Sie nicht durch andere Verpflichtungen außerhalb des Saales festgehalten werden.
Die bisherigen Ablehnungen unserer Gesetzesinitiative, den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer von 14 auf 15 °/o anzuheben, und auch die gleichzeitige Ablehnung unserer Aufforderung an die Bundesregierung, sich ihrerseits weiter für einen Ausgleich der erheblichen Steuerausfälle bei den Gemeinden aus den Steuergesetzen 1977 einzusetzen, zeigen leider, daß die Koalitionsparteien SPD und FDP nicht bereit sind, das jetzt und heute dringend Notwendige für die Gemeinden zu tun. Das muß man leider feststellen.
Dies wiegt für uns um so schwerer — und ich meine: auch für alle beteiligten kommunalen Körperschaften —, weil ja gerade auch die Sozialdemokraten immer wieder betont haben, auch in ihrem Kommunalprogramm und zuletzt in den Wahlkämpfen, daß sie sich für die Anhebung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer einsetzen wollten. Man muß zusammengefaßt leider sagen: Wenn die SPD heute bei der Ablehnung bleibt, dann ist das ein weiteres Kapitel in dem traurigen Buch der SPD „Versprochen und nicht eingehalten". Dies muß man deutlich aussprechen.
Wenn der Bundesfinanzminister — das habe ich gestern mit Interesse gelesen — in einem Interview der Bild-Zeitung „Batterien von Möglichkeiten" — so drückte er sich aus — „für die Konjunkturbelebung" anspricht und dann von neuen Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt redet, so möchte ich ihm heute hier aus Anlaß dieser Beratungen sagen: Das Allerbeste ist, die Gemeinden, Herr Bundesfinanzminister, als Träger der öffentlichen Investitionen jetzt finanziell so zu unterstützen, daß sie das Ihre tun können. Verfallen Sie nicht wieder darauf, neue große Programme mit langen Antrags- und Bewilligungsverfahren zu machen. Das bringt ja nur zusätzlichen bürokratischen Aufwand.
Die Koalitionsparteien haben in die Ausschußberatungen einen Entschließungsantrag eingebracht, der die Bundesregierung auffordert, bei der nächsten Umsatzsteuerverteilungsverhandlung mit den Ländern zu prüfen, ob der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer erhöht werden kann. Die CDU/CSU- Bundestagsfraktion wird diesem Entschließungsantrag zustimmen; sie hat ihm auch in den Ausschußberatungen zugestimmt. Denn er ist ja für die Gemeinden immerhin besser als gar nichts. Ohne unsere Initiative wäre ja nicht einmal dieser Entschließungsantrag auf dem Tisch des Hauses.Hier muß aber auch gleich hinzugefügt werden: Wenn aus dieser Aufforderung — das sollten wir heute hier feststellen —, wirklich etwas werden soll, dann sollte sich die Bundesregierung — hier spreche ich auch die Verantwortung des Bundeskanzlers persönlich an — mit den Ländern alsbald in Verbindung setzen, damit das, was der Entschließungsantrag will, auch Realität wird. Denn die Erfahrung lehrt uns ja, daß die Umsatzsteuerverhandlungen zwischen Bund und Ländern selbst so hart sind, daß für Absprachen zur unmittelbaren Finanzverbesserung der Gemeinden in der Regel wenig Raum ist.Wir fordern deshalb hier den Bundeskanzler auf, mit den Ländern alsbald in Verhandlungen im Sinne des Entschließungsantrages einzutreten. Ich sage hier für unsere Fraktion: Die gesamtstaatliche Verantwortung für eine aufgabengerechte Steuerverteilung unter den Gebietskörperschaften und für die Erhaltung der Investitionskraft der Gemeinden verpflichtet den Kanzler geradezu, seine Untätigkeit in dieser Frage aufzugeben und nach vielen schönen Worten einmal konkret etwas für die Gemeinden initiativ zu unternehmen.
Das beste Verfahren für die Gemeinden wäre freilich, wenn bei Beginn der nächsten Umsatzsteuer-runde ein verabschiedeter Gesetzentwurf über 15 % Gemeindeanteil an der Einkommensteuer schon vorläge.
Diese Gesetzesregelung könnte dann auch bei der Umsatzsteuerverteilung berücksichtigt werden. Es muß hier deutlich gesagt werden — das sage ich einmal an die Adresse der Kollegen von SPD und FDP —: Bei den die Gemeinden belastenden Gesetzen warten Sie ja auch nicht bis zur nächsten Umsatzsteuerrunde, sondern da werden die Lasten sogleich, und zwar ohne Ausgleich, wirksam.
Ich muß hier, um auch auf die neuesten Entwicklung einzugehen, sagen: Ihr bisheriges Vorgehen beim Verkehrslärmschutzgesetz und auch im Hinblick auf den Entwurf zum neuen Jugendhilferecht beweist das aufs Neue. Denn hier kommen auf die Städte und Gemeinden erneut Milliardenlasten zu; von einem Ausgleich jedoch ist nicht die Rede. Sogar das, was der Bundesrat beim Verkehrslärmschutzgesetz vorgeschlagen hat, nämlich Möglichkeiten aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz vorzusehen, wurde von der Bundesregierung bisher abgelehnt. Im Blick auf diese Verfahrensweise muß ich hier sagen: Es wird inzwischen leider
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6563
Dr. Waffenschmidt.unerträglich, wie die Bundesregierung und die Koalitionsparteien weiterhin unbekümmert Politik zu Lasten- der Gemeinden betreiben und hier auch zur Beschlußfassung bringen. Das sollten wir alle miteinander, die wir gerade auch für die Investitionskraft der kommunalen Körperschaften Verantwortung verspüren, sehr ernst nehmen.Meine Damen und Herren, warum ist das alles so wichtig? Es geht ja nicht allein darum, daß hier kommunalen Körperschaften Finanzen im örtlichen Interesse zugewiesen werden. Vielmehr ist das Ganze von gesamtstaatlichem Interesse. Die kommunalen Spitzenverbände haben zu Beginn des Jahres 1978 nachdrücklich deutlich gemacht, daß die Gemeinden für ihre Aufgaben den besseren Steueranteil dringend brauchen. Sie haben darauf hingewiesen, daß die Investitionen, die 1978 noch einmal sehr stark angekurbelt worden sind — 30 Milliarden DM tragen die kommunalen Körperschaften bei —, wieder nachhaltig schrumpfen werden, wenn nicht eine aufgabengerechte Beteiligung der Gemeinden an den Steuereinnahmen erfolgt. Dabei muß man im Blick haben: Die Gemeinden haben für 1978 einen Steuerzuwachs von nur 2,1 % - gegenüber 4 % beim Bund und 3,9 % bei den Ländern — zu erwarten. Der Rückgang der Investitionen der Gemeinden seit 1974 ist ein Kennzeichen ihrer Finanzschwäche. Sie ist zugleich Folge der eingetretenen Verschuldungsunfähigkeit.Man muß hier heute einmal sagen: Hätten sich die Gemeindeinvestitionen seit 1974 normal weiterentwickeln können, dann hätten die deutschen Gemeinden von 1974 bis 1978 rund 30 Milliarden DM mehr investiert. Dies entspricht genau dem Umfang aller Konjunkturprogramme, die in diesem Zeitraum vorgelegt worden sind.
Hieraus ist ganz deutlich die Schlußfolgerung zu ziehen, daß die konjunkturpolitische Bedeutung zerrütteter Kommunalfinanzen an allen Orten sichtbar ist. Es ist ganz deutlich: 1971 hatten wir noch Anteil der Investitionen an den kommunalen Haushalten von 40 %; 1977 sind es nur noch 30 %.Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn Sie — wir haben das auch in den Ausschüssen immer wieder vorgetragen — schon in den vor- angegangenen Jahren unsere Bitten und Anträge, die für eine aufgabengerechte Finanzausstattung der Gemeinden hier eingebracht wurden, positiv aufgenommen hätten, dann hätten wir vieles schaffen können. Das betrifft sowohl öffentliche Investitionen als auch private Folgeinvestitionen. Wir hätten uns dann viel an Konjunkturprogrammen mit langen Antrags- und Bewilligungsverfahren und einem riesigen bürokratischen Aufwand erspart, die heute in manchen Bereichen in ihrer Wirkung leider völlig verpufft sind.
Aus diesen Zahlen ergibt sich: Zerrüttete Kommunalfinanzen wirken destabilisierend auf die Konjunktur. Eine Erhöhung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer von 14 auf 15 °/o, wie sie dieUnion vorschlägt, wäre daher auch ein ganz wichtiger konjunkturpolitischer Schritt. Man kann sogar so weit gehen zu sagen: Eine Erhöhung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer wäre auf der Ausgabenseite des Staates das beste Konjunkturprogramm, das wir uns denken können. Deshalb müßte der Bundestag hier heute eigentlich geschlossen zustimmen.
Die Nachteile mangelnder Investitionskraft der Gemeinden treffen die Konjunktur, die Beschäftigungslage und damit letztlich alle Bürger. Gerade die Gemeinden können nämlich auch durch viele kleine Aufträge, z. B. im Bauunterhaltungsbereich, die Konjunktur stabilisieren helfen. Insbesondere beschäftigungsintensiven mittelständischen Betrieben können die Gemeinden, wenn sie eine auskömmliche Finanzkraft haben, auch durch kleinere und mittlere Investitionen Aufträge zukommen lassen. Wir wollen dies unterstützen und fördern. Denn wir wollen auch mit dieser Initiative helfen, durch Investitionspolitik Arbeitslosigkeit zu überwinden.Meine Damen und Herren, ich will einmal mit guten Gründen folgende Rechnung aufmachen: Wenn mit zusätzlichen Gemeindeinvestitionen schon rund 100 000 Arbeitslose wieder Arbeit bekämen — was auf diesem Wege gut möglich ist —, so würde dieser Vorteil dem Gesamtstaat jährlich rund 2 Milliarden DM an zusätzlichen Einnahmen und ersparten Ausgaben erbringen. Dies ist fast doppelt so viel wie das eine Prozent Erhöhung des kommunalen Einkommensteueranteils, das Bund und Länder aufzubringen haben. Hier wird einmal sichtbar, daß wir nicht weiter über die Verteilung des Mangels nachdenken dürfen, sondern eine offensive Investitionspolitik machen müssen, um Arbeitslosigkeit zu beseitigen.
Nun haben die Koalitionsparteien in den Ausschußberatungen immer wieder zwei Einwände vorgebracht. Sie haben gesagt, dem Bund gehe es finanziell noch schlechter als den Gemeinden.
Dann haben sie gesagt, die Länder sollten den Gemeinden Geld geben. Meine Damen und Herren, der erste Einwand, daß es dem Bund noch schlechter gehe, kann in dieser Form nicht akzeptiert werden. Denn wenn die gegenwärtige Regierungskoalition durch ihre verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik den Bund in eine solch große Misere hineingebracht hat, wie wir es neulich bei den Haushaltsberatungen wieder feststellen mußten, dann ist es doch eine unverantwortliche Haltung, auch noch zu verlangen, daß es den Gemeinden ebenfalls erst noch erheblich schlechter gehen müsse, bis sie Hilfe bekämen.
— Doch! — Das würde dazu führen, daß wir das Draufloswirtschaften zum finanzpolitischen Leitbild erheben. Da sind wir als CDU/CSU dagegen. Dies muß deutlich ausgesprochen werden.
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6564 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Dr. WaffenschmidtIch möchte in dem Zusammenhang sagen, die Gemeinden sind dann zweimal betroffen, denn einmal bekommen sie das Geld nicht, und zum anderen trifft die Bundespolitik, die wir in vielen Bereichen als verfehlt kennzeichnen müssen, durch höhere .Sozialausgaben und durch höhere andere Ausgaben und vermehrte Aufgaben, die den Gemeinden übertragen werden, zweimal die Ausgaben- und Einnahmenseite der Städte, Gemeinden und Kreise.Meine Damen und Herren, um auch dies hier noch einmal bündig und klar auszusprechen: Wenn in unserem Land Soziale Marktwirtschaft wieder ohne Wenn und Aber offensiv unterstützt und gefördert wird, wie wir das als Union immer wieder gefordert und in unserer Zeit in der Regierungsverantwortung auch praktiziert haben, dann wäre auch genug an Finanzmitteln da, um eine gerechte Finanzpolitik gegenüber den Steuerzahlern zu machen und eine gerechte Finanzpolitik gegenüber allen Gebietskörperschaften. Soziale Marktwirtschaft ist eben die Grundforderung, die wir hier auch als Kommunalpolitiker noch einmal erheben.
Nun noch ein Wort zu den Ländern. Was die Länder angeht so haben sie vor allem durch die Bundespolitik auch eine Menge Ausgaben aufgetragen bekommen. Es liegt natürlich in der Natur der Sache, daß sie auch zunächst daran denken, ihre eigenen Finanzlöcher zu stopfen. So bekommen die Gemeinden 1978 nur rund 500 Millionen DM zum Ausgleich der Steuerausfälle aus den Steueränderungsgesetzen 1977. Die Steuerausfälle belaufen sich aber bei den Gemeinden auf über 3 Milliarden DM. So bleibt bei den Gemeinden eine Menge offen, weshalb wir auch unseren entsprechenden Antrag aufrechterhalten haben.Übrigens möchte ich in dem Zusammenhang hier einmal deutlich darauf hinweisen, daß die letzte Statistik des Deutschen Städtetages ausweist, daß die von der Union geführten Länder seit 1970 prozentual ihre Leistungen an die Gemeinden am besten entwickelt haben; Schlußlichter sind hier Hessen und Nordrhein-Westfalen. Das hat der Städtetag in seiner Statistik sehr deutlich nachgewiesen.Deutlich möchte ich auch hier hervorheben, daß die Mehrheit im Bundesrat für unsere Initiative auf Anhebung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer gegeben ist. Das beweisen die klaren Aussagen der entsprechenden Landesregierungen. Zuletzt hat es noch Ministerpräsident Stoltenberg sehr deutlich ausgesprochen. Dies ist wichtig, weil die Länder ja fast die Hälfte der Initiative, die wir vorgelegt haben, finanzieren müssen.
Herr Kollege, gestatten Sie, bevor Sie zum Schluß kommen, noch eine Zwischenfrage?
Ja, bitte schön!
Herr Kollege Waffenschmidt, finden Sie nicht das Klopfen auf Ihre eigenen Schultern ein wenig übertrieben, nachdem gerade gestern die kommunalen Spitzenverbände einhellig bedauert haben, daß durch die Anträge der CDU/CSU-regierten Länder im Bundesrat und die Initiative Ihrer Fraktion im Bundestag die Heizenergiesparmaßnahmen über steuerliche Regelungen unterstützt werden sollen und dadurch den Gemeinden erneut Steuerausfälle im Bereich der Einkommensteuer entstehen?
Ich kenne die Verhandlungen ganz genau und weiß, daß die Einlassung der Spitzenverbände sehr differenziert war. Das ist eben der Unterschied zwischen Ihnen und uns: Wir legen parallel dazu auch Vorschläge vor, wie bei den Gemeinden auch ein Ausgleich herbeigeführt werden kann, während Sie nur belastende Initiativen vorlegen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Die Gemeinden brauchen im gesamtstaatlichen Interesse dringend Hilfe. Der Bund ist aus gesamtstaatlicher Verantwortung dazu auch mit Nachdruck gefordert. Der beste erste Schritt dazu ist der Gesetzentwurf unserer Fraktion zur Anhebung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer. Wir bitten erneut um Zustimmung zu dieser wichtigen Initiative für die deutsche kommunale Selbstverwaltung.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Traupe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwar ist der Zeitpunkt, die heutige Nachmittagsstunde, vielleicht nicht sehr günstig für diese Debatte, aber der Monat ist meines Erachtens für das Thema Gemeindefinanzen recht geeignet.Unseren heutigen Beratungen liegen der Antrag der CDU/CSU-Fraktion vom 2. Juni 1977 und der Gesetzentwurf vom 21. September 1977 zugrunde. Der Zeitraum wird von uns deshalb als günstig angesehen, da ab Juni/Juli dieses Jahres die Umsatzsteuerneuverteilung zwischen Bund und Ländern für den Zeitraum ab 1. Januar 1979 ansteht.Liest man aber nun den von Ihnen im Juni 1977 eingebrachten Antrag und seine Begründung heute unvoreingenommen, so merkt man doch die vordergründige Absicht, hier ein eigentlich ernstes Thema mehr zur eigenen Profilierung „Wie gut ist die CDU" nutzen zu wollen.
— Ich will Ihnen das gleich beweisen. Es heißt in Ihrem Antrag:Die Bundesregierung wird aufgefordert, bei denVerhandlungen über die Steuerneuverteilung
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Frau Traupedarauf hinzuwirken, daß den Gemeinden ... der Steuerausfall ersetzt wird, der ihnen durch steuergesetzliche Maßnahmen des Jahres 1977 entsteht.Wenn Sie diesen Antrag ganz besonders damit begründen, daß der Ausgleich notwendig wäre — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —, „um die Notwendigkeit weiterer Erhöhungen der kommunalen Steuern und Abgaben und um einen weiteren Verfall der kommunalen Investitionskraft zu vermeiden", so ließen sich diese Behauptungen bereits in der Kommunaldebatte im November 1977 entkräften. Auf der Grundlage heute bekannter Finanzdaten kann man nur noch ein Kopfschütteln dafür haben.Soweit ich mich informiert habe — und der Kollege Dr. Waffenschmidt wird das sicherlich bestätigen können —, hat die große Mehrzahl der Städte, Gemeinden und Kreise in der Bundesrepublik keineswegs die Notwendigkeit der Erhöhung der kommunalen Steuern und Abgaben für das Jahr 1978 vorgesehen.
Im Gegenteil, sehr verehrter Herr Kollege, es gibt eine Reihe von Gemeinden, die über die Senkung der Gewerbesteuerhebesätze nachdenken, freilich auch mit dem Hintergedanken
— ich komme dazu; nun warten Sie doch ab —, mit dieser Maßnahme in ihren Gemeindegrenzen vielleicht neue Betriebe ansiedeln zu können, aber doch kaum aus dem Grunde, um ihre Haushaltsdefizite zu vergrößern.Von einem Verfall der kommunalen Investitionskraft kann seit 1976 weiß Gott keine Rede mehr sein. Ich kann hier einen ganz unverfänglichen Zeugen anführen. Die kommunalen Spitzenverbände haben im Oktober des Jahres 1977 in einer Entschließung festgestellt, daß eine relativ günstige Entwicklung der effektiven Steuereinnahmen seit 1976 die Konsolidierungsanstrengungen der Kommunen unterstützt habe.
Die 1976 begonnene und von seiten der Gemeinden und Länder zugegebene Konsolidierung der Gemeindefinanzen nach der immerhin schweren Ölkrise läßt sich durch die Zahlen der Jahre 1977 und 1978 nur noch untermauern. So ging der Finanzsaldo der Kommunen von 3,9 Milliarden DM im Jahre 1976 auf 2,1 Milliarden DM im Jahre 1977 zurück. Hauptursache war der überproportionale Anstieg der Gemeindeeinnahmen nicht nur durch den Anstieg der Steuereinnahmen, sondern auch durch die laufenden Zuweisungen des Bundes und der Länder. Der Überschuß des Verwaltungshaushalts, der ein bedeutendes Kriterium für eine gesunde kommunale Investitionsfähigkeit darstellt, stieg 1977 auf bisher noch nicht erreichte 13 Milliarden DM an. Selbst in den Jahren der Hochkonjunktur, 1972 und 1973, war der Überschuß des Verwaltungshaushalts mit 10,5 Milliarden DM bzw. 12,1 Milliarden DM geringer. Wie Sie trotz der 1976 wieder steigendenTendenz hinsichtlich des Überschusses der kommunalen Verwaltungshaushalte noch in der Mitte des Jahres 1977 die Aussage begründen wollten, ein weiterer Verfall der kommunalen Investitionskraft müsse vermieden werden, bleibt Ihr Geheimnis.Für 1978 rechnet das Bundesfinanzministerium mit einem Anstieg der kommunalen Einnahmen um 7,5 °/o auf 116,5 Milliarden DM. Die gegenüber den hohen Zuwachsraten früherer Jahre geringe geschätzte Zuwachsrate der Steuereinnahmen der Kommunen — sie beträgt nach Ihrer Schätzung, Herr Kollege Waffenschmidt, 2,1 %, nach der des Finanzministeriums 2,3 % — ist auf die Steuerentlastungen der beiden Steuerpakete zurückzuführen, die auch Bund und Länder getroffen haben.Erfreulicherweise wollen die Gemeinden mit einer Steigerung ihrer Ausgaben für 1978 um 8,5 % auf 120 Milliarden DM die konjunkturellen Ankurbelungsmaßnahmen des Bundes und der Länder unterstützen. Die Sachinvestitionen werden voraussichtlich um 11,5 % auf das Volumen von 32 Milliarden DM in 1978 steigen und überträfen damit den bisherigen Höchststand bei den Kommunen aus dem Jahre 1974. Auch der Deutsche Städtetag geht in seinem Finanzbericht 1978 von einer zweistelligen Zuwachsrate der Sachinvestitionen aus; bei den Bauausgaben spricht er sogar von einer Zuwachsrate von plus 15 %. Sind das alles — fragen wir Sie, meine Kollegen von der CDU/CSU — Zeichen eines weiteten Verfalls der kommunalen Investitionskraft?Noch eine weitere Zahl soll im Plenum des Deutschen Bundestages nicht unerwähnt bleiben. Die Konsolidierungserfolge der Gemeinden im Jahre 1977 werden auch an ihren Rücklagen sichtbar. Nach der Statistik der Deutschen Bundesbank — ich habe den Monatsbericht vom Februar 1978 zugrunde gelegt — hatten die Kommunen 1977 rund 17 Milliarden DM angelegt. Das ist seit 1974 das beste Ergebnis und ist auch Ursache dafür, daß die Gemeinden und Landkreise ihre Investitionen 1978 um mehr als 10 % ausdehnen können bei einem Finanzierungsdefizit von rund 4 Milliarden DM, wohingegen der Bund — das sei nur erwähnt — aus Konjunkturgründen ein Defizit von 31,5 Milliarden DM und die Länder ein solches von 16,5 Milliarden DM in diesem Jahr in Kauf nehmen.Unter den Finanzdaten der Gemeinden dürften auch die Deckungsquoten der Jahre 1975 bis 1978 nicht uninteressant sein. Während die Einnahmen die Ausgaben 1975 zu 89,3 %, 1976 zu 96,3 % und 1977 sogar zu 98,0 % abdecken, wird für 1978 eine Deckungsquote von 96,8 °/o erwartet. Beim Bund sank sie 1977 — nur als Vergleich — auf 86,8 °/o, bei den Ländern auf 95,0 %. Ob angesichts der Tatsache, daß der Bund einen Einnahmeausfall von 6 Milliarden DM, 'die Länder von 2,7 Milliarden DM hinnehmen mußten, ein voller Ausgleich des durch die Steuerentlastungsmaßnahmen des Jahres 1977 entstandenen Ausfalls von 2,6 Milliarden DM für die Gemeinden wirklich berechtigt erscheint, bleibt doch zu fragen.Das ist auch der Hintergrund jener Entschließung des Innen-, Finanz- und Haushaltsausschusses zum
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6566 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Frau TraupeGesetzentwurf der CDU/CSU hinsichtlich der Anhebung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer von 14 v. H. auf 15 v. H. vom 21. September 1977. Eine von Ihnen als Opposition gewünschte isolierte Anhebung der Gemeindeeinnahmen haben alle drei Ausschüsse nicht befürworten können.
Der Innenausschuß des Deutschen Bundestages hat am' 18. Januar 1978 auf den gemeinsamen Vorschlag der Abgeordneten Dr. Waffenschmidt, Wolfgramm und Brandt an den federführenden Finanzausschuß einstimmig die folgende Empfehlung beschlossen — ich zitiere —:Die Erhöhung des Anteils der Gemeinden an der Einkommensteuer von 14 auf 15 % soll deren Finanzsituation quantitativ und qualitativ verbessern. Der Innenausschuß empfiehlt, diese Erhöhung in die Bund-Länder-Verteilung 1978 über die Neuverteilung der Umsatzsteuer ab 1. Januar 1979 einzubeziehen.
Eine isolierte Erhöhung des Gemeindeanteils auf 15 v. H. ab 1. Januar 1979 fand im Finanzausschuß wie im Haushaltsausschuß aus finanzpolitischen Überlegungen keine Mehrheit.
Aber die Mitglieder des Finanzausschusses empfahlen am 22. Februar 1978 einstimmig:Die Bundesregierung wird aufgefordert, gemeinsam mit den Ländern zu prüfen, ob im Zusammenhang mit den kommunalen Bund-Länder-Verhandlungen über die Neuverteilung der Umsatzsteuer unter Berücksichtigung der Grundsätze des Art. 106 des Grundgesetzes eine Erhöhung des Gemeindeanteils auf 15 v. H. durchgeführt werden kann.Dieser Empfehlung schlossen sich am 8. März die Mitglieder des Haushaltsausschusses einstimmig an.Damit, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, komme ich nun zu Ihnen und Ihrer wiederholt vorgebrachten Behauptung, die SPD und die FDP lehnten eine Anhebung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer von 14 auf 15 °/o ab.
Zuletzt schrieb der Kollege Dr. Waffenschmidt im Deutschland-Union-Dienst Nr. 66:Das Nein von SPD und FDP im Finanzausschußdes Bundestages zum Gesetzentwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, den Gemeindeanteilan der Einkommensteuer von 14 auf 15 % anzuheben, ist ein schwerer Schlag gegen die kommunale Selbstverwaltung und verhindert dringend notwendige Investitionen zur Überwindung der Arbeitslosigkeit.
— Es wird ja noch besser. —Dies gilt um so mehr, als die neuesten Steuerschätzungen für 1978 den Gemeinden nur einen Steuerzuwachs von 2,1 % zumessen gegenüber 4 % für den Bund und 3,9 % für die Länder.
— Dieses stimmt nicht ganz. Die Zahlen sind nicht ganz korrekt. —Die Bereitschaft der Gemeinden, unter Inkaufnahme hoher zusätzlicher Verschuldung 1978 ihren Beitrag zur Konjunkturpolitik mit Sachinvestitionen von rund 30 Milliarden zu leisten, ist von der Koalition nicht anerkannt worden.Ich frage mich, sehr verehrter Herr Kollege Dr. Waffenschmidt, wie Sie zu solch einer Aussage kommen können.
— Ich schätze Ihr Engagement für die Sache der Gemeinden sehr. Aber ich meine, Sie sollten die Wahrheit nicht unter den Tisch kehren.
In allen drei zuständigen Bundestagsausschüssen haben sich die Vertreter der Koalitionsparteien für eine Verbesserung der Gemeindeausstattung ausgesprochen.
In allen drei Gremien haben Opposition und Koalitionsparteien gemeinsam der Bundesregierung den Auftrag erteilt, die Anhebung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer im Zusammenhang mit der Umsatzsteuerneuvertellung 1979 in die Gespräche von Bund und Ländern einzubringen. Im Klartext gesprochen: eine Anhebung des Einkommensteueranteils der Kommunen kommt dann in Frage, wenn die finanzielle Belastung zwischen den drei Ebenen der Gebietskörperschaften dabei ausgeglichen wird bzw. sich nicht zuungunsten einer Ebene verschlechtert.Wir erwarten von der CDU/CSU-Fraktion auch noch eine Antwort auf die Frage, wie sich isolierte Anträge, die zu weiteren Mindereinnahmen des Bundes führen, mit Ihrer Behauptung vertragen, Sie stellten keine kostenwirksamen Gesetzesanträge mehr, während Sie noch vor einigen Wochen bei der Haushaltsberatung 1978 die hohe Verschuldungsquote des Bundes vehement beklagt haben. Da der Bund bei einer isolierten Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes nach dem jetzigen Stand die Hauptlast mit 730 Millionen DM Mindereinnahmen tragen müßte, kann eine Lösung nur im Zusammenhang
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Frau Traupemit den bald beginnenden Umsatzsteuer-Neuverteilungen 1979 zwischen Bund und Ländern gefunden werden.Es stellt sich die Frage — sie kam mir eben bei Ihrem Vortrag, Herr Dr. Waffenschmidt —, ob Sie der vorgeschlagenen Gesetzesänderung in den Bund-Länder-Verhandlungen überhaupt eine Chance einräumen. Sollten wir Ihre im DeutschlandUnion-Dienst wider besseres Wissen aufgestellte Behauptung,
die Koalitionsparteien verhinderten im Bundestag den Anstieg des gemeindlichen Einkommensteueranteils, dahin gehend verstehen, daß Sie schon wissen, die Länder würden diesen Wunsch der Kommunen bei ihren Verhandlungen über die Verteilung der Umsatzsteuer nicht berücksichtigen?
— Das werden wir ja sehen.Dies ist der Grund, warum ich den heutigen Beratungstermin Ihres Gesetzesentwurfs als günstig ansehe. Da im Bundesrat die von der CDU/CSU geführten Länder die Mehrheit bilden, können Sie als Mitglieder der Opposition, die Sie ja die bereits erwähnte Empfehlung an die Bundesregierung in den drei zuständigen Bundestagsausschüssen einstimmig mit beschlossen haben, nun Ihre Einflußmöglichkeiten auf Ihre politischen Freunde in den Ländern nutzen, um dort die Bereitschaft für. eine weitere Verbesserung der kommunalen Finanzen zu steigern. Sie sind am Zuge, meine Damen und Herren von der Opposition.
Freilich, wenn man gerade die mangelhafte Bereitschaft von CDU-geführten Bundesländern sieht — der sehr verehrte Herr Kollege Stoltenberg ist da besonders anzuführen —, schon 1977 und 1978 die Gemeinden an der in diesen beiden Jahren eintretenden finanziellen Besserstellung der Länder durch die augenblickliche Umsatzsteuerverteilung zu beteiligen, dürfte man auch für 1979 kaum eine größere Bereitschaft erwarten.Um so klarer möchte ich eines herausstellen. Wir Sozialdemokraten halten an unserer Absicht fest, eine Verstetigung der kommunalen Einnahmen über die Anhebung des Einkommensteueranteils zu erreichen. Wir sehen die Notwendigkeit von umfangreichen Investitionen durch die Gemeinden auch heute und in den nächsten Jahren. Ich darf sagen, die Wasserwirtschaft, die Entwässerung der Umwelt- und der Lärmschutz, Gewerbeansiedlung, Freizeit- und Gesundheitsbereich, der Ausbau des Berufsschulwesens, Stadt- und Ortskernsanierung
sind Aufgaben, die auch wir weiterhin gefördert und finanziert sehen möchten.
Wir nehmen für uns in Anspruch, daß eine Verbesserling der kommunalen Finanzausstattung erst nach dem Eintritt der SPD in die Bundesregierung möglich war. Dafür gibt es keinen unverfänglicheren Zeugen als den damaligen Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß, der bei der Verabschiedung des Finanzreformgesetzes 1969 im Deutschen Bundestag besonders die Verdienste des Sozialdemokraten Alex Möller herausstellte, von dem er sagte: Er —Alex Möller — war es, der damals bei den Koalitionsverhandlungen die Koalition — also beide Koalitionspartner, die CDU/CSU wie die SPD — darauf festgelegt hat, daß diese Koalition nicht in den Bundestagswahlkampf 1969 gehen dürfe, wenn sie nicht vorher die Finanzverfassungsreform und die dazu gehörenden Gesetze verabschiedet hat. Ich möchte Ihnen das nur in Erinnerung bringen.
Wir haben außerdem durch die jährlichen Leistungen des Bundes an die Gemeinden und Gemeindeverbände dafür gesorgt, daß Anfang der siebziger Jahre die kommunale Investitionstätigkeit stark anstieg und damit eine gemeindliche Infrastruktur geschaffen werden konnte, die es kaum ein zweites Mal in Europa gibt. Nicht nur die Schaffung von Schulräumen, der Ausbau der Sportstätten, das dichte Netz an Hallen- und Freibädern, die gemeindlichen Verkehrswege, sondern auch der Ausbau des Gesundheitswesens und die Altstadtsanierung wurden in den siebziger Jahren unter einer von Sozialdemokraten geführten Bundesregierung möglich wie nie zuvor.
Deshalb paßt der Stempel mangelnder Gemeindefreundlichkeit, den Sie uns immer wieder aufdrükken wollen, nicht.
Doch unsere Haltung bleibt, wie in der Debatte vom November 1977, die, daß eine bessere Finanzausstattung der Gemeinden dann möglich wird, wenn dadurch der Bund nicht einseitig stärker als die anderen Gebietskörperschaften belastet wird.Wie widersprüchlich die Finanzpolitik der CDU/ CSU-Fraktion ist, hat der Haushaltsobmann meiner Fraktion, Lothar Löffler, kürzlich so ausgedrückt — ich zitiere —: Im gleichen Atemzug fordert sie — die Opposition —, die Nettokreditaufnahme des Bundes auf ein normales Maß zurückzuführen und die Steuern drastisch zu senken. Das paßt nicht zusammen.Es paßt dann schon gar nicht zusammen, wenn man Gesetzentwürfe einbringt, die, so wie sie vorliegen, den Bund einseitig finanziell belasten.Ich sage deshalb noch einmal: Eine isolierte Erhöhung des Gemeindeanteils auf 15 v. H. ab 1. Januar 1979 lehnt die Mehrheit des Parlaments ab.
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Frau TraupeDie Bundesregierung ist aufgefordert, wie wir es einstimmig in den zuständigen Ausschüssen be-. schlossen haben, gemeinsam mit den Ländern zu prüfen, ob im Zusammenhang mit Bund-Länder-Verhandlungen über die Umsatzsteuerverteilung eine Erhöhung des Gemeindeanteils auf 15 v. H. durchgeführt werden kann.
Meine
Damen und Herren! Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spilker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Ausgleich von Steuerausfällen bei den Gemeinden — Drucksache 8/593 —und dem Entwurf des Gemeindefinanzreformänderungsgesetzes — Drucksache 8/923 — wurden von der Opposition notwendige Initiativen ergriffen, mit denen den Gemeinden der Ausgleich von Steuerausfällen gewährt werden soll, die durch die Steuergesetzgebung im letzten Jahr entstanden sind. Die Gelder, über die wir hier reden, sind von einer Größenordnung, an die die Gemeinden jetzt und morgen gewiß denken werden, wenn sie ihre wichtigen Aufgaben zu erfüllen haben. So muß man doch die Problematik sehen. Hier geht es doch nicht um eine Selbstdarstellung, wie Frau Kollegin Traupe vorhin sagte, sondern um die eminent wichtige Frage, wie wir sicherstellen können und sicherstellen wollen, daß die Gemeinden das tun, was wir doch alle gemeinsam von ihnen erwarten.
In der Tat ist dieses Problem von zwei Seiten zu sehen, wenn wir daran denken, — über den Zeitpunkt wird noch zu sprechen sein — den Anteil der Gemeinden an der Einkommensteuer anzuheben. Einmal ist diese Frage vom Grundgesetz her, vom Staatsaufbau oder von der Staatsorganisation dieser Bundesrepublik her zu sehen. Zum anderen ist sie von unserer wirtschaftlichen Situation her zu sehen, die doch eine traurige ist. Die Frage, die für Sie immer noch offen ist, wer dafür also die Verantwortung zu tragen hat, ist bei uns geklärt.
Bei der Beratung der erwähnten Vorlagen im Finanzausschuß zeigte sich, daß eigentlich alle Fraktionen darüber einig waren, ,daß die Steuerausfälle in irgendeiner Form abzudecken sind. Als ein geeignetes Mittel wurde dabei auch die Erhöhung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer angesehen, eine Erhöhung von 14 auf 15 Prozent. Soweit, so gut. Aber schon in der Frage, wann und in welchem Zusammenhang das zu geschehen hat, gab es keine einvernehmliche Meinung. So kommt es zu dieser Debatte, in der es in der Tat zwei Standpunkte gibt. Weil dem so ist und wir Anhänger einer vorweggenommenen Erhöhung des Gemeindeanteils sind, lassen Sie mich noch einmal die Notwendigkeit hervorheben, die uns zu dieser Auffassung gebracht hat, und zwar nicht nur anhand von Zahlen, sondern auch ausgehend von unserer Verantwortung, die wir für die gesamte Staatsorganisation haben. Schließlich haben wir auch dafür zu sorgen, daß die Arbeitsfähigkeit der Kommunen sichergestellt bleibt.
— Es kommt darauf an, wovon Sie reden, Herr Kollege Wolfram. Ich spreche auch nicht allein von Recklinghausen, sondern ich habe noch einige andere Gemeinden im Kopf, deren Bürgermeister oder Oberbürgermeister in den letzten Monaten abgewählt wurden. Das wird sicherlich auch seine Gründe gehabt haben.
Lassen Sie mich einmal einige Jahrzehnte zurückblättern. Mit der Entscheidung über den föderativen Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland im Grundgesetz, vor allen Dingen in den Artikeln 20 und 28, wurden doch gleichzeitig Garantien verankert, die es den Gebietskörperschaften ermöglichten, selbständig ihre ihnen zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Darüber kann es doch hier überhaupt keinen Zweifel geben. Das ist doch anerkannt und daran schließt sich doch eine unmißverständliche Finanzverfassung an. Wie in einem Rezeptbuch wird im einzelnen klargestellt, wie die Mittel aufzuteilen sind, die gemeinsam von allen öffentlichen Händen eingenommen werden. Das gilt sowohl für Steuern und für Zölle als auch für andere Einnahmen. Es geht um die Aufteilung der Einnahmen auf alle öffentlichen Hände je nach den Aufgaben der einzelnen Gebietskörperschaften in Bund und Ländern.Dazu treten die Regulationsmechanismen des vertikalen und horizontalen Finanzausgleichs — das ist uns allen bekannt —, mit denen dafür Sorge getragen wird, daß unterschiedliche Einnahmeaufkommen zwischen den Ländern und zwischen den Ländern und Gemeinden in einer den wirtschaftlichen Bedürfnissen angemessenen Weise ausgeglichen werden.Meine Damen und Herren, es besteht doch gar kein Zweifel: Diese Regeln sind eindeutig und unabdingbar darauf gerichtet, den zeitlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen und den öffentlichen Händen in allen Ebenen den Anteil an den vorhandenen Mitteln zur Verfügung zu stellen, der zur Wahrnehmung der anfallenden Aufgaben gebraucht wird.Bei unserem Bekenntnis zum Grundgesetz — darüber sollte es hier keinen Zweifel geben —, zur parlamentarischen Demokratie und zum Föderalismus darf es einfach nicht dazu kommen, daß sich zwischen Bund und Kommunen ein Verhältnis entwickelt, bei dem die Gemeinden wie Petenten um die Mittel zur Wahrnehmung ihrer spezifischen Aufgaben zu betteln haben,
während der Bund aus seinen normalen Einnahmen seinem jeweiligen Ermessen entsprechend —
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Spilkervielleicht sogar noch unter Bedingungen — seine finanzielle Gunst verteilt.
— Herr Professor, das Laienmäßige schreiben wir uns gegenseitig nicht ins Gesetzbuch. Ich könnte Ihnen einiges mehr dazu sagen.
Lassen Sie uns einmal über die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kommunen reden. Da weiß ich nicht, wer über mehr Erfahrungen verfügt, Ihre Repräsentanten oder die meiner Fraktion. Ich glaube, wir können es hier gern auf eine Debatte ankommen lassen.
Herr Kollege Spilker, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Professor Schäfer?
Herr Kollege, sind Sie mit mir darin einig, daß man die Betrachtung Bund — Gemeinden nicht ernsthaft zu Ende denken kann, ohne dabei die Rolle der Länder mit einzubeziehen?
Es sollte mich wundern, wenn Sie glauben, daß ich auf diesen Punkt nicht noch zurückkomme. Es kann aber ganz gewiß, lieber Herr Kollege Schäfer, nicht ausschließlich Aufgabe der Länder sein, dafür zu sorgen daß den Gemeinden Steuerausfälle in irgendeiner Form ersetzt werden. Ich glaube, das ist eine Gesamtaufgabe und nicht nur Aufgabe der Länder.
Dies — das wissen Sie aus beruflichen Gründen — ergibt sich auch aus dem Grundgesetz und nicht nur aus den Verfassungen unserer deutschen Bundesländer.
Ich möchte noch ein Wort zu den Ausführungen meiner Vorrednerin sagen. Sie erwähnte, daß es ein Vorhaben der Koalitionsfraktionen gebe, den Gemeinden auch bei der Anhebung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer behilflich zu sein. Liebe Frau Kollegin, das ist eigentlich nicht unser Problem. Das Problem besteht darin, doch endlich einmal etwas zur richtigen Zeit 211 tun, denn die praktischen Auswirkungen zeigen sich doch nicht morgen oder übermorgen. Da haben wir doch Erfahrungen. Zu dem Zeitpunkt, in dem wir Hilfen erwarten, bekommen wir keine. Dann beklagen wir uns darüber, daß wir zu spät reagiert haben. Es ist doch ein Vorwurf an die Mehrheit hier im Hause, daß wir in vielen Fragen, die mit der Konjunktur. zusammenhängen, zu spät und darüber hinaus noch falsch reagiert haben.
Im übrigen bleibt es dabei: Es nützt uns ja nichts, wenn Sie sagen: Wir wollen das tun. Wann tun Sie es denn? Das Handeln steht hier nämlich zur Diskussion und nicht das Versprechen, meine Damen und Herren.
— Ich habe so einiges von Ihrem Herrn Fraktionsvorsitzenden gelernt.
Ich bin ja lange genug im Hause und war immer ein aufmerksamer Zuhörer. Wenn ich dann einmal versuche, nicht nur auf Tagespolitik hinzuweisen, weil es eben hier nicht um eine Selbstdarstellung geht, von der eben die Rede war, und mir erlaube, an unser Grundgesetz zu erinnern, an einige Artikel, die uns alle binden und nicht nur diejenigen, die glauben, für irgendeinen kommunalen Bereich daraus Nutzen ziehen zu können, Herr Kollege, meine ich, daß ich eigentlich auf dem richtigen Wege bin. Wenn Sie glauben, ich sei es nicht, habe ich erst recht das Gefühl, daß ich auf dem richtigen Wege bin.
Aber fragen Sie ruhig weiter. Sie machen mich damit nicht nervös.
Ich bin ein überzeugter Anhänger eines Ausgleichs, eines Vertrauensverhältnisses zwischen den Kommunen und den Ländern und dem Bund. Sie, meine Herren Kollegen, von der Koalition, haben für ein Vertrauensverhältnis kein Gespür. Sonst gäbe es auf anderen Gebieten in unserem Vaterland eine bessere Entwicklung. Ich denke dabei z. B. an unsere Situation auf wirtschaftlichem, auf sozialem und finanziellem Gebiet.
Wenn Sie mit Recht sagen, daß die Kassen leer seien, müssen wir doch gegenfragen: Wer hat sie denn leergefegt?
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, ich möchte — ob Sie es nun wollen oder nicht — noch einmal darauf zurückkommen, daß die Frage der Gemeindeentlastung eigentlich doppelseitig gesehen werden muß oder sollte. Davon hängt schließlich auch das Votum zu unserem Antrag ab. Es handelt sich hier auch um eine Frage der Einstellung zum Grundgesetz, zur Gliederung des Bundes mit den Ländern und logischerweise auch den Gemeinden. Wer zu dieser Gliederung ja sagt, müßte unserem Antrag eigentlich zustimmen. Wer hier eine andere Einstellung hat, wird, so fürchten wir jedenfalls, übermorgen — im nächsten oder im übernächsten Jahr — auch etwas anderes praktizieren.
Herr Kollege Spilker, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Es ist mir eine Freude.
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Herr Kollege Spilker, wir sind im Finanzausschuß ja gemeinsam Zahlenkinder. Ihnen dürfte der Monatsbericht der Deutschen Bundesbank nicht entgangen sein. Haben Sie aus den Anlagen der Gebietskörperschaften in Geld nicht auch — wie ich — entnehmen können, daß die Gemeinden mit 16,8 Milliarden DM an Finanzmitteln bei den Banken den Höchststand seit Gründung der Bundesrepublik erreicht haben, und halten Sie es mit mir dann nicht für unangemessen, hier laut von leeren Kassen zu reden?
Ich habe, soweit ich es in Erinnerung habe, von leeren Kassen in diesem Hohen Hause, also in einer Institution des Bundes, gesprochen. Wenn Sie den Versuch machen sollten, darauf hinzuweisen, daß in den Kassen noch etwas ist, so kann ich nur antworten: Sie strafen damit diejenigen Lügen, die seit Wochen, seit Monaten und seit Jahren etwas anderes sagen. Sie sind mit unserem Geld doch restlos am Ende.
— Meine Damen und Herren, wollen Sie das denn auch noch bestreiten? Sie haben beim Geldausgeben doch nicht nur Überstunden gemacht. Es sind Dauerarbeitsstunden, die Sie hier eingeführt haben. Darin sind Sie doch wirklich Meister gewesen. Darüber kann es doch gar keinen Zweifel geben.
Herr Kollege Spilker, lassen Sie noch zwei Zwischenfragen zu?
Lassen Sie mich zum Schluß kommen.
Meine Herren, der Kollege Spilker will zum Schluß kommen.
Warten Sie nur! Ich bin ja gar nicht fertig. Sie überschätzen oder unterschätzen mich; das überlasse ich ganz Ihnen.
Es ist ja für mich nicht so ganz überraschend, von Ihnen zu hören, daß Sie auch irgend etwas für die Gemeinden tun wollen. Es hat ja Repräsentanten Ihrer Partei gegeben, die sich sehr über -die finanzielle Ausstattung der Gemeinden beschwert haben. Denken Sie einmal an Herrn Arndt. Ich weiß nicht, Herr Oberbürgermeister, ob Sie das auch getan haben. Ihre Stadt Recklinghausen ist vielleicht in einer besseren Situation.
Wie war denn aber der Weg unserer Gemeinden? Wir betrachten die Gemeinden — und dies mit vollem Recht — immer als wirksame Investitionsträger. Darüber kann es kaum einen Zweifel geben. Wir haben von den Gemeinden in den letzten Jahren eine zurückhaltende Haushaltspolitik erwartet. Ich glaube, diese Erwartung haben sie auch erfüllt. Dahinter steckt viel Sparsamkeit, die wir nicht hoch genug bewerten können. Die Gemeinden haben offensichtlich etwas anderes gelernt als diejenigen, die hier mit Geld umzugehen haben. Wenn von uns jetzt aber mit Recht erwartet wird, daß bei den Gemeinden — vielleicht im Gegensatz zu anderen Institutionen — die Investitionsschallmauer durchbrochen wird, so ist dafür doch zwingende Voraussetzung, daß wir den Gemeinden auch die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen. Sonst wird eben nicht investiert. Das ist doch eine alte Spielregel. Um das zu wissen, brauche ich doch nicht erst in diesen Bundestag zu gehen.
Wenn Sie, meine Damen' und Herren von der Koalition, trotzdem bei Ihrem Votum bleiben, dann können wir nichts dafür. Immerhin wollten wir wenigstens versuchen, Sie zu überzeugen, zum einen unter dem Gesichtspunkt des Grundgesetzes und zum anderen unter dem Gesichtspunkt unserer Konjunktursituation, die Sie wohl selber als schlecht empfinden, und in Anbetracht der Arbeitslosigkeit, die unter Ihrer miserablen Führung zu einer Dauerarbeitslosigkeit geworden ist.
Wenn Sie darüber wenigstens einige Minuten nachdenken, haben Sie vielleicht doch noch einen Glücksgriff in Reserve. Ein Ja möge Ihnen überlassen bleiben.
Ich jedenfalls bitte um Zustimmung zu dieser Gesetzesänderung. Sie kommt unseren Bürgern unmittelbar und sicher auch unseren Gemeinden zugute, auf die wir uns bisher immer verlassen konnten. Geben wir ihnen weiter die nötigen Möglichkeiten!
Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute geht es hier um zwei Anträge der CDU/CSU-Fraktion, nämlich um den Antrag, den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer von 14 auf 15 % zu erhöhen — was ab 1979 zu Mehreinnahmen bei den Gemeinden von etwa 1,2 Milliarden DM und zu Mindereinnahmen beim Bund von 730 Millionen DM und bei den Ländern von 470 Millionen DM führen würde —, und um den Antrag, die Bundesregierung solle den Gemeinden einen Ausgleich für die Steuerausfälle gewähren, die durch die verschiedenen steuerlichen Maßnahmen im Jahr 1977 entstanden sind.Mir scheint, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie wieder einmal nach der bisher schon dauernd praktizierten Doppelstrategie verfahren: Einerseits beklagen Sie den hohen Schuldenstand des Bundes — in der Haushaltsdebatte vor
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Frau Matthäus-Maierwenigen Wochen haben Sie sogar behauptet, mit der Neuverschuldung verstoße der Bund gegen die Verfassung —, andererseits überrollen Sie uns mit einer Flut von sehr teuren — weil publikumswirksamen — Anträgen und Forderungen, die die von Ihnen beklagte Verschuldung des Bundes selbstverständlich wesentlich erhöhen würden.Darf ich es einmal salopper ausdrücken: Mir scheint, Sie verfahren erneut nach der Devise: Erst ziehen Sie dem Bund die Hosen aus, und dann beklagen Sie lautstark, daß er nackt dasteht.
Sie wollen ihm sogar die Unterhosen ausziehen.
Sie werden ja wohl nicht ernsthaft erwarten, daß wir dieses Spiel mitmachen. Denn dieses Spiel ist wirklich unseriös.
Was ist der finanzverfassungsrechtliche Hintergrund der heutigen Debatte? Erstens: An der Einkommensteuer haben heute die Gemeinden einen Anteil von 14 %, Bund und Länder einen von je 43 %. Die Erhöhung des Gemeindeanteils auf 15 % ist eine alte FDP-Forderung,
von mehreren Parteitagen in den Ländern und auf Bundesebene unterstützt. Wir halten eine solche Erhöhung des originären Steueranteils der Gemeinden für einen wichtigen Beitrag zur kommunalen Selbstverwaltung.
— Darauf komme ich noch; das können Sie sich ja denken. Das ist doch nur die Einleitung, Herr Kollege.Zweitens ist nicht zu übersehen, daß es ein zweites wichtiges finanzielles Bein für die Finanzausstattung der Gemeinden gibt, nämlich den Anteil an der Umsatzsteuer. Nach Art. 106 des Grundgesetzes haben Bund und Länder gleichmäßig Anspruch auf Deckung ihrer Ausgaben aus der Umsatzsteuer. Auf Grund dieser Verfassungsbestimmung ist völlig klar, daß zu den Ausgaben und Einnahmen der Länder, die hier gemeint sind, die der Gemeinden hinzugehören. Das bedeutet: Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland einen zweistufigen föderalen Aufbau, nach dem die Länder für die Finanzausstattung der Gemeinden zuständig sind. Das bedeutet nun mal leider, daß nach einer Umsatzsteuerneuverteilung sowohl der Bund als auch die Gemeinden auf den guten Willen der Länder angewiesen sind, einen Teil ihres Anteils an die Gemeinden weiterzugeben.Wenn Sie nun angesichts dieser finanzverfassungsrechtlichen Situation Ihre beiden Anträge stellen, so muß man, glaube ich, folgendes entgegenhalten.Erstens. Die finanzielle Lage der Gemeinden ist sicher nicht gut — das hat hier auch überhaupt niemand behauptet —, nur: die finanzielle Lage des Bundes ist deutlich schlechter. Seit der Finanzreform 1969 haben sich die Einnahmen und Ausgaben der Gemeinden per Saldo wesentlich besser als die des Bundes entwickelt. Ich möchte hier, um die Debatte zu verkürzen, nicht die vielen Zahlen nennen, die Ihnen ja bekannt sind und die zum Teil z. B. von Frau Traupe hier vorgetragen worden sind. Jedenfalls stiegen im Ergebnis in den Jahren von 1970 bis 1977 die Ausgaben der Gemeinden im Jahr durchschnittlich um 10,1 °/o, ihre Einnahmen wuchsen demgegenüber im Jahre durchschnittlich um 11,5 °/o. Diese längerfristige Verbesserung der Finanzlage schlägt sich auch in der Erhöhung der Deckungsquote nieder. Sie schlägt sich weiter darin nieder, daß die Nettokreditaufnahme des Bundes 1977 mehr als doppelt so hoch war wie die von Gemeinden und Ländern zusammen.Zweitens muß man den CDU/CSU-Anträgen folgendes entgegenhalten. Die Opposition bemängelt, daß die Einnahmenausfälle der Gemeinden, die durch Steuererleichterungen entstanden sind, nicht gleichzeitig wieder durch den Bund an sie zurückgegeben worden sind. Dazu muß man dreierlei sagen.Erstens glaube ich nicht, daß man hier ein Verfahren einführen kann, das dazu führt, daß die Gemeinden an einer dynamischen Höherentwicklung der Einkommensteuer teilnehmen, aber dann, wenn sich hier auch einmal Verminderungen ergeben, automatisch von den Verminderungen ausgenommen werden. Es ist doch so, daß die hohen Zuwachsraten beim Steueraufkommen der Gemeinden in den letzten Jahren gerade auf die Beteiligung an der dynamischen Einkommensteuer zurückzuführen sind. Dann kann man aber nicht umgekehrt jede Verminderung des Steueraufkommens an der Einkommensteuer automatisch nur zu Lasten des Bundes und der Länder gehen lassen. Grundsätzlich müssen sich daran auch die Gemeinden beteiligen, sonst können wir die Gemeinschaftsteuern abschaffen.
Es ist zweitens nicht zu übersehen, daß bestimmte steuerpolitische Maßnahmen, die zu einer Senkung des Aufkommens der Gemeinden bei der Einkommensteuer geführt haben, indirekt auch den Gemeinden zugute kommen. Ich meine z. B. die Anreize, die wir für Private geschaffen haben, damit diese insbesondere im Altbereich der Städte und Gemeinden investieren und damit zur Verbesserung der Lage in den Städten und Gemeinden beitragen. Ich möchte hier nur nennen: die Erweiterung des § 7 b auf Altbauten, die entsprechende Befreiung von der Grunderwerbsteuer, die zehn mal 10%ige Abschreibungserleichterung für die Erhaltung und Herstellung denkmalgeschützter Gebäude, schließlich die zehn mal 10%ige Abschreibungserleichterung im Bereich der Energieeinsparung. Das sind alles Maßnahmen, die zwar zur Verminderung der Einkommensteuereinnahmen der Gemeinden führen, ihnen aber gleichzeitig auch wieder über private Investitionen zugute kommen.
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6572 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Frau Matthäus-MaierSchließlich muß man den Antragstellern entgegenhalten, daß es doch wirklich unglaubwürdig von der Opposition ist, wenn sie einerseits die Einkommensteuerausfälle der Gemeinden beklagt, andererseits aber, z. B. im letzten Jahr, im Vermittlungsausschuß nicht nur ein Steuerpaket durchgesetzt hat, das — wie Sie wissen — teurer, und zwar deutlich teurer geworden ist, als die Koalitionsfraktionen es gewollt haben, sondern sogar einen Konjunkturabschlag gefordert hat, der noch einmal mindestens 4 Milliarden DM gekostet hätte. Das sind Maßnahmen, die selbstverständlich auf die kommunalen Finanzen negativ durchgeschlagen wären.
Ein anderes Beispiel: Sie fordern eine Tarifreform ab 1979, die Sie nicht im einzelnen beziffert haben, die aber auch wieder Milliarden kosten würde, ohne daß Sie sagen, wie sich das denn auf die kommunalen Finanzen auswirkt.
— Doch, wir wollen die Tarifreform; das haben wir oft gesagt, und zwar noch in der vorletzten Woche im Finanzausschuß. Wir wollen sie. Jedoch sind wir der Ansicht, daß auf Grund der Höhe der Steuererleichterungen vom Herbst 1977 die Tarifreform zum 1. Januar 1979 leider nicht mehr möglich ist.Noch ein letztes Beispiel von dieser Woche. Sie fordern, daß der Zuschuß für heizenergiesparende Maßnahmen etwa zur Hälfte durch steuerliche Erleichterungen ersetzt wird. Da der Zuschuß in Höhe von 4,3 Milliarden DM nicht zu Lasten der Gemeinden gegangen wäre, bedeutet das doch, wenn Sie rund die Hälfte, also etwa 2,17 Milliarden DM, durch eine steuerliche Regelung ersetzen, daß die Gemeinden auch hieran wieder durch Ausfälle beteiligt sind. Eine Berechnung ergibt, daß allein diese Ihre Forderung zu Einkommensteuerausfällen bei den Gemeinden in Höhe von 303 Millionen DM führen würde.
[ch kann das nicht als glaubwürdige Politik ansehen.
Drittens. Herr Waffenschmidt, Sie haben gesagt, die Gesetzgebung im Bund habe zur Belastung bei den Gemeinden geführt. Das ist an verschiedenen Stelen sicher der Fall, unbestritten. Auf der anderen Seite aber hat es in den letzten Jahren erhebliche Leistungen des Bundes zugunsten der Gemeinden gegeben. Ich möchte hier als nur ein Beispiel die großzügige Förderung von öffentlichen Investitionen durch das Programm für Zukunftsinvestitionen erwähnen.
— Aber selbstverständlich zieht das! Fragen Sie doch einmal in Ihren Gemeinden nach!
— Entschuldigen Sie, in meinem Wahlkreis, in dem es fast nur CDU-regierte Gemeinden gibt, rühmt man sich doch, welche Maßnahmen man mit diesem Programm für den Bürger ergriffen hat. Sie müssen da schon glaubwürdig bleiben.
Mittel, die z. B. zur Beseitigung höhengleicher Bahnübergänge, zum Bau von Ortsumgehungen oder für andere Infrastrukturmaßnahmen im innerstädtischen Bereich zur Verfügung gestellt werden, dienen doch selbstverständlich auch der Entlastung der Gemeinden. Allein für diese Maßnahmen wird der Bund bis 1981 mehr als zwei Milliarden DM aufbringen.
— Ich glaube, es kann doch wohl niemand bestreiten, daß dies zusätzliche investive Maßnahmen zugunsten der Gemeinden sind, über die sie auch froh sind und die sie gern in Anspruch nehmen.
Viertens. Es gibt natürlich auch Entlastungen ganz anderer Art, die der Bund durch die Gesetzgebung der letzten Jahre geschaffen hat und die indirekt zu einer Entlastung der Gemeinden führen. — Wie gesagt, ich will gar nicht verhehlen, daß es auch Belastungen durch Bundesgesetze gegeben hat; das ist unstreitig. Nur sollte man nicht alles so einseitig darstellen. — Dazu gehören z. B. die Einführung der beruflichen Rehabilitation im Arbeitsförderungsgesetz, das Bundesausbildungsförderungsgesetz, die Dynamisierung und Verbesserung der Kriegsopferleistungen, das Krankenversicherungsleistungsverbesserungsgesetz mit der Einführung der zeitlich unbegrenzten Krankenhauspflege, die Einführung des Konkursausfallgeldes, das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung usw., Maßnahmen, die die Finanzlage der Gemeinden selbstverständlich indirekt verbessern, weil diese von entsprechenden Leistungen, etwa in der Sozialhilfe und auf anderen Gebieten, entlastet werden.Auf ein Letztes, meine Damen und Herren, möchte ich hinweisen — das haben wir aber schon so oft besprochen, daß ich dazu nur einen Satz sagen muß: Schließlich hat der Bund durch die Umsatzsteuerneuverteilung vom letzten Jahr von seinen Einnahmen an die Länder einen großen Teil abgegeben mit der Zusicherung der Länder, daß sie davon Teile an die Gemeinden weitergeben. Wenn manche Länder das tun, z. B. Nordrhein-Westfalen, und andere nicht, z. B. Schleswig-Holstein, ist das schließlich nicht unser Fehler.
Ich möchte damit zum Schluß kommen: Dies alles weiß auch die Opposition. Deswegen hat z. B. Finanz-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6573
Frau Matthäus-Maierminister Gaddum in der ersten Lesung Ihrer Anträge am 24. November 1977 folgendes festgestellt — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:Die CDU/CSU ist sich darüber im klaren, daß die öffentlichen Finanzmittel begrenzt sind und wir nicht einfach eines auf das andere türmen können.Dr. Waffenschmidt machte damals den Zuruf: So ist es!
Es geht darum, daß wir uns einmal überlegen, ob es nicht möglich ist, anstelle bestimmter Zuweisungen die originären Mittel der Gemeinden zu verstärken. Es geht nicht um ein Mehr, sondern es geht um ein aliud.
Hier stellt sich wirklich die Gretchenfrage: Wie halte ich es mit der kommunalen Selbstverwaltung? Hier liegt meines Erachtens der eigentliche Punkt der Auseinandersetzung.Hier sehe auch ich den Kern des Problems, aber nicht den eigentlichen Kern der Auseinandersetzung. Denn die FDP wünscht eine Stärkung der Selbstverwaltung. Deswegen wünscht sie eine Stärkung der originären Finanzmittel und eine Erhöhung des Anteils der Gemeinden.
— Sie will also das aliud. Aber auch Herr Gaddum sagte: anstelle der Zweckzuweisungen und nicht etwa zusätzlich.Deswegen sind wir der Ansicht: Sie können den Bund nicht zweimal zur Zahlung heranziehen. Wir wollen eine Erhöhung von 14 auf 15 %. Wir wollen dies bei den nächsten Umsatzsteuerneuverhandlungen erreichen. Wir wollen nicht, daß eine heute erbrachte Vorleistung dann bereits wieder vergessen ist. Deshalb können wir der Erhöhung von 14 auf 15 % nicht isoliert zustimmen. Wir sehen das in einem Zusammenhang. Dies ist genau der Inhalt der Entschließung, die wir hoffentlich gemeinsam mit Ihnen verabschieden werden.Meine Damen und Herren, da Sie erfahrungsgemäß — es ist leider so, aber es ist so — auf die Länder einen ganz erheblichen Einfluß haben, liegt es in Ihrer Hand, durch Einwirkung auf die Länder bei den nächsten Umsatzsteuerneuverhandlungen dazu beizutragen, daß wir hier zu einer einvernehmlichen Regelung kommen. Die Umsatzsteuerneuverhandlungen müssen so geführt werden, daß sie zu einem die Interessen von Bund, Ländern und Gemeinden gleichmäßig berücksichtigenden Ergebnis kommen. Dann können wir gemeinsam den Einkommensteueranteil der Gemeinden von 14 auf 15 % erhöhen.
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist erst fünf Monate her, daß der Deutsche Bundestag gründlich und umfassend über die finanzielle Lage der Gemeinden beraten hat. Die Bundesregierung hat damals ausführlich Stellung genommen. Ich kann darauf Bezug nehmen. An dieser Stellungnahme hat sich nichts geändert. Sie gilt unverändert fort.Die CDU/CSU-Fraktion hatte im Juni 1977 den Antrag eingebracht, .die Bundesregierung aufzufordern, bei den Verhandlungen mit den Bundesländern über die Steuerneuverteilung den Gemeinden den Steuerausfall zu ersetzen, der ihnen durch steuergesetzliche Maßnahmen des Jahres 1977 entsteht. Dies ist einer der beiden Anträge, über den wir heute noch zu beraten haben.Bei den Verhandlungen über die Neuverteilung des Steueraufkommens zwischen Bund und Ländern, bei denen es darum gehen muß, die Relation zwischen Bund und Ländern vernünftig zu gestalten, war selbstverständlich mittelbar auch die Finanzausstattung der Gemeinden zu berücksichtigen, in erster Linie seitens der Länder, denen nach unserer Verfassung die Verantwortung für die Finanzkraft der Gemeinden primär obliegt.Das bedeutet nicht, daß nicht auch die Bundesregierung die Bedeutung der Gemeinden und ihrer Leistungsfähigkeit erkennen und sich für ihre Erhaltung einsetzen würde. Die Gemeinden und ihre Finanzkraft sind von großer Bedeutung für die öffentliche Infrastruktur, für öffentliche Leistungen und damit letztlich für die Lebensbedingungen in unserem Land — oder, wenn ich Herrn Dr. Kohl ansehe, in „diesem unserem Lande".Dabei kommt der Investitionsfähigkeit der Gemeinden selbstverständlich auch erhebliche ökonomische und gegenwärtig auch konjunkturelle Bedeutung zu. Es ist in den letzten Jahren nicht zuletzt mit Hilfe erheblicher Zuschüsse aus dem Haushalt des Bundes — 1977 waren es 3,7 Milliarden DM — gelungen, im kommunalen Investitionsbedarf auf wichtigen Gebieten, von denen ich z. B. den Krankenhausbau nenne, einen gewissen Sättigungsgrad zu erreichen. Dennoch gilt es nach wie vor, in den Gemeinden erhebliche Aufgaben im Interesse der Bürger zu bewältigen. Ich erwähne die Ziele im Umweltschutz, Lärmbekämpfung, Altbausanierung, Stadtentwicklung, öffentlichen Nahverkehr, nicht zuletzt auch Maßnahmen zur Stärkung der örtlichen Wirtschaftskraft.Es wäre immerhin bemerkenswert, wenn die Unionsparteien bei der politischen Bewertung des öffentlichen Bedarfs der Gemeinden, also einer der drei Ebenen unseres Bundesstaates, mit der Koalition wetteifern wollten. Wenn dies allerdings ein Wetteifern in der Weise wäre, daß die CDU/CSU durch letztlich unverbindliche Forderungen ihrer verschiedenen kommunalpolitischen Sprecher Sympathien bei den Gemeinden sammeln wollte, ansonsten aber mit dem Motto „weniger Staat und weniger Steuern"
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6574 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Bundesminister MatthöferWahlkämpfe bestreitet, dann bliebe dieser Widerspruch bei unseren Bürgern gewiß nicht unbemerkt.
Nun bleibt die Frage, welcher Bedarf oder welche politisch wünschenswerten Investitionen oder Leistungen angesichts unserer finanziellen Möglichkeiten finanzierbar sind. Ich unterstelle, daß in dieser Legislaturperiode keine schwerwiegenden Eingriffe in Steuergesetze mehr erfolgen. Der CDU/CSU steht es frei, von allen möglichen Vorschlägen und von geringeren Steuereinnahmen auszugehen. Der Bundesminister der Finanzen muß sich an die Tatsachen halten und damit an folgende Zahlen. Die durchschnittliche jährliche Zuwachsrate der Einnahmen von 1970 bis 1977 betrug beim Bund 7,7 %, bei den Ländern 10,9 % und bei den Gemeinden 11,5 %. Die Anteile der Gebietskörperschaften am gesamten Steueraufkommen — Frau Matthäus hat schon darauf hingewiesen — haben sich zuungunsten des Bundes verändert. Der Anteil ides Bundes ging von 54,2 % 1970 auf 48,2 % im Jahre 1977 zurück, und die Anteile von Ländern und Gemeinden sind entsprechend gestiegen — die Anteile, nicht nur das absolute Aufkommen.Diese Entwicklung zugunsten der Gemeinden ist das Ergebnis der Gemeindefinanzreform, die den Gemeinden einen gleichbleibenden Anteil an der dynamischen Einkommensteuer und damit einen ständig wachsenden, von Zweckbindungen freien Anteil am staatlichen Finanzierungsaufkommen verschafft. Die Gemeindefinanzreform brachte den Gemeinden seit ihrem Inkrafttreten im Jahre 1977 insgesamt Mehreinnahmen von 43 Milliarden DM.Das gleichzeitige Anwachsen des Anteils der Länder zu Lasten des Bundes bei wachsenden internationalen Verpflichtungen des Bundes z. B. gegenüber der Europäischen Gemeinschaft hat demgegenüber zu einem wachsenden Ungleichgewicht geführt.Die Ausgaben der Gebietskörperschaften sind in den Jahren 1970 bis 1977 ziemlich gleichmäßig um 10 bis 11 % gestiegen. Das bedeutet eine schwerwiegende Veränderung der Deckungsquote. Auch darauf hat Frau Matthäus freundlicherweise schon hingewiesen.Diese Zahlen können es keineswegs rechtfertigen, die Finanzausstattung der Gemeinden zu Lasten des Bundes zu verbessern. Wenn man aber über eine Verbesserung der Finanzausstattung der Gemeinden hätte nachdenken wollen, dann im Verhältnis zu den Ländern. Durch mehrmalige Änderungen des Verhältnisses der Beteiligung an der Umsatzsteuer zu Lasten des Bundes und zugunsten der Länder ist die Finanzausgleichsmasse erhöht worden, an der die Gemeinden teilhaben. Die Länder haben die wohlbegründeten Forderungen des Bundes in den Umsatzsteuerverhandlungen leider abgelehnt und dabei auch den Investitionsbedarf der Gemeinden als Argument angeführt. Dies hätte die Länder dann aber auch dazu führen müssen, die so erstrittenen Anteile an die Gemeinden weiterzugeben, zumal die Finanzausstattung der Gemeinden primär Sache der Länder ist. Ich kann deshalb den Gemeinden, nicht nur denen in Schleswig-Holstein, Frau Matthäus, sondern z. B. auch denen an der Saar, nur empfehlen, sich einmal zu erkundigen, ob ihnen von den mehr als einer Milliarde DM, die der Bund in diesem Jahr den Ländern überlassen mußte, etwas zugute kommt.Der Antrag der CDU/CSU vom Juni 1977 ist jedenfalls nach Meinung der Bundesregierung, soweit es den Bund betrifft, durch das Ergebnis der Umsatzsteuerverhandlungen erledigt.Bemerkenswert erscheint mir noch die diesem Antrag zugrunde liegende Vorstellung, daß Änderungen von Steuergesetzen, seien sie nun bestimmt, die Steuerbelastung der Bürger zu vermindern, seien sie wirtschaftspolitisch oder energiepolitisch begründet, zu Lasten einer Ebene des Staates, gegenwärtig des Bundes, gehen müßten. Wenn, wie dies heute zu Recht der Fall ist, Bund, Länder und Gemeinden einen originären Anteil am Aufkommen aus Steuern erhalten, so teilen sie selbstverständlich Glück und Leid der Steuergesetze gemeinsam. Wenn der Deutsche Bundestag und der Bundesrat gemeinsam aus gesamtstaatlichen Gründen steuerliche Erleichterungen beschließen, dann müssen auch alle Ebenen des Staates die damit verbundenen Einnahmeausfälle tragen. Das wäre wohl die schönste aller Welten für die CDU/CSU, wenn sie sich durch immer neue Vorschläge für Steuersenkungen das Wohlgefallen der Wirtschaft und der öffentlichen Meinung erdienen könnte, alle Einnahmeausfälle beim Bund abladen könnte, höhere Anteile für die Gemeinden fordern, dem Bund dann schließlich Leistungsabbau vorwerfen und schließlich im Wahlkampf Kolossalgemälde von Staatsbankrott oder Verschuldung des Bundes malen könnte.
Wenn die CDU/CSU Steuererleichterungen zur Unzeit fordert, also zur Unzeit konjunkturpolitisch, zur Unzeit im Verhältnis zu vielen internationalen Forderungen an die Bundesrepublik, zur Unzeit im Hinblick auf die Haushaltslage und nicht zuletzt auch zur Unzeit im Hinblick auf die Möglichkeiten für eine wirklich dauerhafte und umfassende Steuerreform, dann werden wir ihnen halt immer wieder das gesamte Rechenwerk vor Augen führen müssen, in dem diese Widersprüche offenbar werden.
— Die wir alle gemeinsam beschlossen haben und die wir alle am gesamtstaatlichen Interesse beschlossen haben und die deshalb alle drei Ebenen des Staates in ihren Konsequenzen auch gemeinsam tragen müssen.
Herr Bundesfinanzminister, würden Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Huonker zulassen?
Bitte schön.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6575
Herr Bundesminister, können Sie mir in diesem Zusammenhang bestätigen, daß die Forderung der CDU/CSU nach einer Tarifreform die Gemeinden mit Steuerausfällen in Höhe von 1,5 bis 2,5 Milliarden DM pro Jahr belasten würde?
Das kann ich nicht nur bestätigen, das kann ich auch noch ergänzen, und zwar um die Forderungen nach völliger Abschaffung der Gewerbesteuer, der Lohnsummensteuer usw. Das würde die Gemeinden noch sehr viel stärker belasten.
Die CDU/CSU hat im September den weiteren Antrag eingebracht, den Anteil der Gemeinden an der Einkommensteuer von 14 auf 15 % zu erhöhen. Nach dem gegenwärtigen Stand würde das etwa 730 Millionen DM Mindereinnahmen des Bundes bedeuten. Ich weiß nicht, wie Sie einen solchen Einnahmeausfall der zugleich eine entsprechende Erhöhung der Nettoverschuldung bedeuten würde, rechtfertigen wollen.
Jedenfalls hat mich der Haushaltsausschuß — ich denke, die Entschließung liegt auch dem Bundestag vor; die werden Sie dann alle gemeinsam beschließen — zur Konsolidierung des Haushalts aufgefordert. Ich bin gerne bereit, dieser Aufforderung, soweit ich das kann und soweit das im wirtschaftspolitischen Gesamtinteresse möglich ist, nachzukommen. Nur verträgt sie sich nicht mit dem, was Sie hier vorschlagen.
In Wirklichkeit wollen Sie die Bundesregierung zu einer noch höheren Kreditaufnahme veranlassen, um sie dann publikumswirksam wegen einer angeblichen Schuldenpolitik anprangern zu können. Sie werden verstehen, daß sich die Bundesregierung auf eine solche Strategie nicht einlassen kann. Ebensowenig werden wir die berechtigten Anforderungen des Bundes an das gesamtstaatliche Steueraufkommen gegen die Gemeinden ausspielen lassen. Die Bundesregierung wird sich immer für eine ausreichende Finanzausstattung der Gemeinden aussprechen. Ob es dazu einer Verbesserung des Anteils der Gemeinden an der Einkommensteuer bedarf, kann nur im Gesamtzusammenhang der Entwicklung von Einnahmen und öffentlichen Ausgaben beurteilt werden.
Eine Erhöhung wird nur dann zu verwirklichen sein, wenn dabei die Gleichmäßigkeit der Finanzausstattung sowohl im Verhältnis der beiden staatlichen Ebenen zueinander als auch im Verhältnis dieser beiden Ebenen zu den Gemeinden hergestellt wird.
Der Bund hat im letzten Jahr mit 21,8 Milliarden DM 12,7 % seiner Ausgaben durch Kreditaufnahme gedeckt, die Länder mit 7,7 Milliarden DM nur 4,8 % und die Gemeinden mit 3 Milliarden DM nur 2,7 %. In diesem Jahr werden der Bund rund 31 Milliarden DM, die Länder dagegen nur 19 Milliarden DM und die Gemeinden 4,5 Milliarden DM an Krediten aufnehmen müssen.
Auf den Bund kommen weitere Haushaltsrisiken zu, die gesamtstaatlicher Art sind, z. B. in Kokskohlenbeihilfe und die Kohlesubvention im Interesse vor allem der Länder Nordrhein-Westfalen und Saarland, Hilfen für die deutsche Fischerei im Interesse der Küstenländer und nicht zuletzt wachsende Anforderungen aus Europa und aus einer Reihe von internationalen Entwicklungen.
Die Bundesregierung wird in der Offentlichkeit deutlich darlegen, wie der Bund seiner gesamtstaatlichen Verantwortlichkeit für die wirtschaftliche Wiederbelebung, für Wiederherstellung und langfristige Sicherung der Vollbeschäftigung, für Investitionen in die Zukunft, für die Energievorsorge, für ein leistungsfähiges Bildungssystem, für soziale Sicherheit, für innere und äußere Sicherheit, für die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und für eine solidarische internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit nachkommt. Sie wird ebenso deutlich darlegen, wie maßgebliche Kräfte in der CDU und in der CSU darauf hinarbeiten, daß die Länder dem Bund dabei im Stich lassen.
Herr Spilker, als Sie vorhin sagten, das Geld sei alle und die Kassen seien leergefegt, haben Sie vielleicht an die Parteikasse der CSU gedacht. Beim Bund ist das nicht so.
Ich füge ausdrücklich hinzu, daß es in den unionsgeführten Regierungen der Bundesländer Gott sei Dank auch Kräfte gibt, die sich einer kurzfristigen Parteistrategie der Konfrontation von Bund und Ländern nicht unterordnen wollen, sondern die gesamtstaatliche Verantwortung höher stellen. Ich hoffe, daß bei den nächsten Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über die Neuaufteilung der Umsatzsteuer dies der Maßstab sein wird.
Nur im Rahmen einer gesamtstaatlichen Betrachtung, im Rahmen eines Gesamtpakets, das sich an objektiven Gesichtspunkten ausrichtet, kann über eine Verbesserung der Gemeindefinanzen entschieden werden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zunächst zur Beschlußempfehlung auf Drucksache 8/1596. Der Finanzausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 8/593 abzulehnen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag des Finanzausschusses ist angenommen. Damit ist der Antrag auf Drucksache 8/593 abgelehnt.Wir kommen jetzt zur Abstimmung in zweiter Beratung über den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
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6576 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausendes Gemeindefinanzreformgesetzes — Punkt 5 der Tagesordnung —. Der Finanzausschuß empfiehlt auf der Drucksache 8/1662, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich rufe auf Artikel 1 bis 3, Einleitung und Überschrift. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt.Nach § 84 Abs. 3 der Geschäftsordnung unterbleiben deshalb jede weitere Beratung und Abstimmung.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses. Unter Nr. 2 wird die Annahme einer Entschließung empfohlen. Wer dem zustimmt, bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Der Ausschuß empfiehlt ferner, den Antrag auf der Drucksache 8/881 für erledigt zu erklären. Es erhebt sich kein Widerspruch? — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 20. September 1976 zum Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Portugiesischen Republik— Drucksache 8/1136 —Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/1702 —Berichterstatter: Abgeordneter Simpfendörferi) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 8/1572 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Narjes
Ich frage die Herren Berichterstatter, ob eine Ergänzung des Berichts gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. Ich danke den Herren Berichterstattern.Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe Art. 1, 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in zweiter Beratung und Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften— Drucksache 8/1606 — Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Ausschuß für Bildung und WissenschaftHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOWird eine Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Broll.
Meine Herren Präsidenten! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als gestern im Innenausschuß bekanntgegeben wurde, daß heute das „Müllgesetz" beraten werde, war mein Kollege Dr. Gruhl gleich hell begeistert. Erst als er erfuhr, daß es sich nicht um ein Gesetz mit dem Thema Abfallbeseitigung oder gar Atommüll handele, sondern um den Kosenamen, den die Beamten des Innenministeriums dem „Achten Gesetz zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften" gegeben haben, war er weniger begeistert. Er erklärte sich aber immerhin bereit, auch den „Beamtengesetzgebungsmüll" beiseite zu räumen. Wir waren allerdings der Meinung, daß das von Herrn Kollegen Dr. Gruhl vielleicht doch ein bißchen zu rigoros gemacht werden könnte. Deswegen stehe ich heute als Fraktionssprecher hier; denn nichts liegt uns mehr am Herzen, Herr Staatssekretär, als der Regierung dabei zu helfen, Abfall zu beseitigen, der übriggeblieben ist aus jenen glorreichen Jahren der Koalition, als noch jeden Tag eine Reform gemacht wurde.
So geht es in diesem Gesetz in der Tat um eine ganze Menge von Routineangelegenheiten, redaktionellen Änderungen, Anpassungen an den neuesten Stand der Rechtsprechung usw., die nur den Liebhaber interessieren. Der schwierige Kernpunkt dieses achten Besoldungs- und Beamtenrechtsänderungsgesetzes ist ganz zweifellos die Hochschullehrerbesoldung. Wenn es sich auch um eine Angelegenheit handelt, die vorwiegend die Länder bezahlen und bei der die Länder natürlich auch die Vorschläge ausgearbeitet bzw. zumindest Ratschläge gegeben haben für das, was das Innenministerium tut, so, meine ich, müssen wir uns im Innenausschuß und im Plenum mit diesen Dingen doch etwas genauer beschäftigen. Die bedeutende Reform der Hochschullehrerbesoldung, die Ablösung der H-Besoldung und deren Ersetzung durch die C-Besoldung, war ja die Folge des Hochschulrahmengesetzes und, wenn wir einmal grob sagen dürfen, der gesamten Hochschulreform. Damals war in dem Zweiten Gesetz zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts im Jahre 1975 für den 1. Januar 1977 die Einführung der neuen C-Besoldung beschlossen worden. Dann war der Termin durch das Haushaltsstrukturgesetz um ein Jahr und durch das Gesetz zur Änderung des Haushaltsstrukturgesetzes noch einmal um ein halbes Jahr verschoben worden.Dann aber sind die Länder noch entschlossener gewesen, die finanziellen Folgen der Bildungsreform nicht auf sich zu nehmen, die eigentlich in
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6577
Brollder Änderung des Hochschullehrerwesens und des Hochschulwesens insgesamt natürlich als Konsequenz enthalten waren. Damals hatte man bei dem Hochschulrahmengesetz den großen Kraftakt versucht, in einem Anlauf eine Reihe von Zielen zu verfolgen. Man wollte erstens Fachhochschulen und Hochschulen und die Lehrer dieser Hochschulen, deren Status sehr unterschiedlich war, in einem einzigen schematischen System unterbringen. Man wollte zweitens wirkliche oder vermeintliche Privilegien der Hochschullehrer beseitigen. Man wollte Unterschiede, die zwischen den Ländern bestanden haben mögen, beseitigen, damit auch nirgendwo noch etwa ein föderalistisches Blümchen blühte. Das alles wollte man mit ein wenig kulant geschnittenen Besoldungsgruppen versüßen.So fing man — abgesehen von C 1, der für die Hochschulassistenten, damals noch Hochschuldozenten genannt, vorgesehene Gruppe, von der wir jetzt nicht zu reden brauchen — bei C 2 mit A 14 an und endete nach 15 Dienstalterstufen bei A 15. Bei C 3 fing man bei A 15 an und endete bei A 16 nach der gleichen Zahl von Dienstaltersstufen. Bei C 4, dem höchsten Rang der Hochschullehrerbesoldung, fing man mit A 16 an und endete bei B 4.Hinzu kam bei den Hochschullehrern, die in der Gruppe C 4 waren, noch die Möglichkeit, durch verschiedene Berufungsverhandlungen bis zur Bezahlung von B 10 aufzusteigen, etwa einem Ministerialdirektor. Wer noch mehr verdienen wollte, wurde dann auf die literarische Tätigkeit oder andere Einnahmequellen verwiesen.Die Länder sind nun nicht mehr bereit, die rund 80 Millionen DM zu tragen, die die Einführung der C-Besoldung bringen würde oder gebracht hätte. Der Entwurf der Bundesregierung, der nun vorliegt, bringt Veränderungen in diesem Bereich. Man fängt in C 2 jetzt nicht mehr bei A 14 an und endet bei A 15, sondern man nimmt A 14, bleibt bei A 14 und legt nur in jeder Dienstaltersstufe 200 Mark darauf. Entsprechendes gilt bei C 3 und C 4. Das bedeutet, daß man am Anfang in den ersten Dienstaltersjahren zulegt, am Ende aber, da man ja an A 14 gebunden bleibt, heruntergeht und bis zu 350 bis 380 DM monatlich weniger in Aussicht stellt als vorher. Man gibt also in den unteren Gehaltsstufen hinzu, in denen sich ohnehin kein Professor an einer Hochschule befindet, weil man noch zu jung ist, und nimmt dort weg, wo man bezahlt.Nun scheinen tatsächlich die Professoren den besonders kunsthaften Charakter dieses sozialen Ausgleichs nicht begriffen zu haben. Man ist schwer enttäuscht, erbost, fühlt sich hintergangen oder betrogen um die Hoffnungen, die man sich gemacht hat. Wir müssen zugeben, daß die alte C-Besoldungsordnung der Ausgleich für eine ganze Menge von Beschneidungen im Status der Hochschullehrer sein sollte. Man wollte sie dafür entschädigen, daß die Emeritierung wegfiel, d. h. die Entpflichtung bei Beibehaltung des vollen Gehaltes. Man wollte dafür entschädigen, daß das Hörergeld seit 1965 überhaupt nicht mehr angehoben worden war, während alle anderen Beamteneinkünfte, wie wir wissen, zum Teil erheblich angehoben worden sind. Man wollte sie für mancherlei Erschwerungen entschädigen, die der Hochschullehrerdienst in den letzten Jahren mit sich gebracht hat. Man wollte sie auch für den Mangel an Aufstiegschancen entschädigen, die sie natürlich in diesem System nicht haben — im Unterschied etwa zu einem hierarchisch gegliederten Ministerialapparat. Man wollte sie dafür entschädigen, daß die Erreichung der Höchstbezahlung durch Berufungsverhandlungen in diesem Gesetz erheblich erschwert wird. Die jetzigen Hochschullehrer haben persönlich keinen Nachteil, weil ihnen natürlich die Bestandsgarantie gegeben wird; aber der Status des Hochschullehrers insgesamt wird durch die neu zugeschnittene C-Besoldung erheblich beeinträchtigt. Der Übergang zu entsprechenden Stellen, etwa eines Richters am Oberlandesgericht in eine entsprechende Professorenstelle, ist heute nicht mehr interessant, da der entsprechende Professor durchschnittlich etwa 500 DM — in den einzelnen Stufen etwas mehr oder weniger — weniger als der betreffende Richter oder Höhere Verwaltungsbeamte verdient. Das hat durchaus etwas mit der Qualität der Wissenschaft und der Lehre an den Hochschulen zu tun. Insofern verstehen und akzeptieren wir völlig die Kritik, die die Hochschullehrerverbände an dieser neuen C-Besoldung üben.Man kann — das müssen die Länder sich sagen lassen; es tut mir leid, daß ich nicht den Unterschied zwischen Freiheit und Sozialismus am Beispiel der Hochschullehrerbesoldung zeigen kann, weil hier leider Gottes CDU- und SPD/FDP-regierte Länder mehr oder weniger in einem Boot sitzen — und man muß den Ländern sagen, daß es nicht geht, Reformen anzufangen, etwa Rang der Fachhochschulen und Anforderungen an die Fachhochschulen zu erhöhen, die Fachhochschullehrer in die Besoldung einzubeziehen, wodurch sie von ihrer bisherigen Eingruppierung in A 14, A 15 nun in Zukunft nach C 2 und C 3 kommen sollen, auch spürbare Mehreinnahmen haben werden, um dann die Kostenneutralität dadurch zu erreichen zu versuchen, daß man die alten Hochschulprofessoren heranzieht und sie in ihrem Gehalt geschmälert werden. Das wäre — wir wollen diese Methoden durchaus nicht einführen —, als wenn in Zukunft die Gehälter der Staatssekretäre dadurch kostenneutral erhöht werden, daß man die Ministergehälter kürzt. Das ist eine Sache, die auch in den Ländern und in den Landtagen nicht so ohne weiteres akzeptiert werden würde.
Es ist ein Naturgesetz, daß, je mehr wir uns bemühten, die Beamtenbesoldung gerecht zu gestalten, die Beamtenschaft insgesamt desto unzufriedener geworden ist. Man muß sich aber dennoch nicht unbedingt an das Prinzip des alten österreichischen Ministerpräsidenten Graf Taaffe halten, der gesagt hat, es genüge schon, wenn es einem gelänge, ein gleichmäßig temperiertes Maß von Unzufriedenheit über das ganze Reich zu verbreiten. Zumindest hier scheint es so, daß die erhebliche Unzufriedenheit im Bereich der Hochschullehrer begründet ist. Wir müssen uns im Innenausschuß überlegen, ob wir nicht dem Antrag des Kulturausschusses des Bun-
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Brolldesrates folgen wollen, der die alte C-Besoldung zugrunde legt und nur eine Minderung um etwa 100 DM pro Gehaltsstufe oder um 2,5 % vorsieht. Das ist eine Sache, mit der sich die Hochschullehrer zwar mit „knirschenden Zähnen", aber doch wohl einverstanden erklären könnten.Wir begrüßen die Initiative des Bundesrates, die einmaligen Unfallentschädigungen, die das Beamtenversorgungsgesetz vorsieht, um 25 % zu erhöhen. Bei den Morden an den Begleitern von Siegfried Buback und Hanns Martin Schleyer ist der Offentlichkeit bekanntgeworden, wie bescheiden die Absicherung der Angehörigen der damals ermordeten Polizeibeamten ist. Somit ist dies ein vernünftiger Schritt, den wir begrüßen. Daß die Bundesregierung, dieser guten Anregung des Bundesrats folgend, dann noch den weiteren Vorschlag hinzugefügt hat, diese Anhebung auch auf das Soldatenversorgungsgesetz zu erweitern, ist selbstverständlich in Ordnung. Es ist leider so, daß manchmal erst spektakuläre Ereignisse dazu führen, daß der gesetzgeberische Apparat in Gang gesetzt wird und das - Notwendige geschieht.Wir sind nicht überrascht — damit komme ich zu einen dritten Punkt —, daß die Bundesregierung nun die Verlängerung der Sondergenehmigung vorschlägt, daß im Bereich der inneren Sicherheit beim Bund und in einigen anderen Bereichen bei den Ländern den Beamten zwischen 40 und 80 Überstunden pro Monat finanziell vergütet werden können. Beim BKA sollen sogar, wenn das nicht durch Freistunden abgegolten werden kann, Beamten über 80 Überstunden monatlich vergütet werden können.Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Mehrarbeitsvergütung ist ein notwendiges Übel. In der Debatte am Ende des letzten Jahres ist bereits darauf hingewiesen worden, daß sie alles andere als sympathisch ist und daß wir allen Grund haben, die Länder dringend aufzufordern, die Personalstellen im Bereich der inneren Sicherheit so auszuweiten, daß bei den ja bekanntermaßen auch noch in Zukunft drohenden Belastungen — etwa in der Bekämpfung des Terrorismus und beim Schutz von Kernkraftwerken vor gewalttätigen Demonstrationen — die Polizei ihre Pflicht tun kann, ohne daß die einzelnen Beamten über die Maßen gesundheitlich strapaziert werden.Wir sind dankbar dafür, daß uns die Gewerkschaft der Polizei, so sehr sie sich auch immer — natürlich auch in diesem Fall - für die Gesundheit und das Recht ihrer Mitglieder einsetzt, in dieser Beziehung unterstützt, weil sie die Notwendigkeit einsieht, den Ländern noch drei Jahre zu geben, bis die Ausbildungskapazität so ausgeweitet wird, daß dann eine Vergütung von mehr als 40 Überstunden pro Monat endgültig nicht mehr notwendig sein dürfte.Ich sagte schon, daß unsere Zustimmung, die ich in diesem Bereich schon in Aussicht stelle, nichts daran ändert, daß wir in den Überstundenvergütungen an sich ein großes Ärgernis sehen und daß wir die Länder auffordern, dafür zu sorgen, daß diese Notwendigkeit eines Tages beseitigt sein wird.Wir glauben auch — wir werden das im Ausschuß zu behandeln haben —, daß die Erlaubnis, sogar mehr als 80 Überstunden im Monat finanziell zu vergüten, auf Teile des Bundesgrenzschutzes und auch auf bestimmte Sicherheitsbereiche der Länder aus- gedehnt werden kann. Es ist eine Tatsache, daß die Polizei und der Bundesgrenzschutz sowohl die Ausbildung als auch den normalen Dienst nicht aufrechterhalten könnten, wenn sie gezwungen wären, allen Beamten die Stunden in Freizeit zu vergüten, die sie an Wochenenden und nachts häufig aufbringen müssen, um ihren Dienst an uns allen zum Zweck der Sicherheit zu tun.
Ich möchte bei der Gelegenheit auch nicht versäumen, darauf hinzuweisen, daß die Überstundenvergütung de facto minimal ist. Der Anreiz ist wirklich nicht sehr groß. Wenn etwa ein Polizeioberwachtmeister 40 Stunden pro Monat vergütet bekommt, so bekommt er brutto 10,30 DM, netto 6,22 DM pro Stunde; ein Oberkommissar bekäme 7,20 DM netto pro Stunde. Das ist ein gewaltiger Stundenlohn! Wenn wir ihn mit dem vergleichen, was der Betreffende normalerweise — wenn man sein Gehalt zugrunde legt — für eine Dienststunde bekommt, oder auch mit dem, was im privatwirtschaftlichen Bereich für Nachtarbeit und für Überstunden mehr als beim normalen Tariflohn gezahlt wird, müssen wir sagen: Auch dies muß einmal bedacht werden.Im übrigen habe ich den Eindruck, daß die Geringfügigkeit der Überstundenvergütungen mit die Ursache dafür ist, daß die Länder so wenig bereit sind, hinreichend mehr Stellen auszuwerfen.Sehr skeptisch sind wir, wenn wir hören, daß die Länder auch für den staatlichen Gesundheitsdienst und den ärztlichen Dienst in den Kliniken eine Vergütung von 40 bis 80 Überstunden bis zum Ende des Jahres 1980 wünschen. Ich bin wirklich nicht sicher, ob das nötig ist. Das Angebot an Medizinern zumindest ist hinreichend. Natürlich ist für die Ärzte der Anreiz, ins Krankenhaus zu gehen, wiederum größer, wenn sie Überstundenvergütungen bekommen können; sie verdienen ja wohl ohnehin etwas weniger, als wenn sie sich in einer Praxis niederlassen würden.Wir müssen auch akzeptieren, daß die Länder selbst als Krankenhausträger unter dem Druck der Kassen stehen, die sich offenbar, wie mir berichtet wird, immer noch nicht bereit erklären, bei den Plefgesatzverhandlungen hinsichtlich der Stellenpläne die Empfehlungen der Krankenhausgesellschaft von 1973 zu beachten; sie verlangen immer noch, daß man sich nach den sehr viel bescheideneren Empfehlungen des Jahres 1969 richtet. So stehen die Krankenhausträger, in diesem Falle die Länder, zwischen zwei Feuern, und wir werden im Ausschuß darüber zu reden haben, daß dies auf die Dauer unmöglich ist.Ich will auch noch darauf hinweisen, daß das ganze System der Überstundenbezahlung ständige Quelle von Unzufriedenheit ist. Bei der Bundeswehr, speziell beim Heer, leisten z. B. 60 % aller Soldaten 50 Stunden pro Woche, 12 % zwischen 50 und 60
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BrollStunden und 5 % über 60 Stunden pro Woche — nicht privat durch übermäßiges Engagement, sondern durch Dienstbefehl, nach offiziellem Dienstplan —, ohne eine einzige Stunde vergütet zu bekommen. Auch dies muß für die Länder Anlaß sein, die Ungleichheit zu beseitigen und durch Einrichtung von entsprechend mehr Stellen eine vernünftige Regelung zu schaffen.Lassen Sie mich zum Schluß, meine sehr verehrten Damen und Herren, darauf hinweisen, daß dieses achte Gesetz allerdings nicht nur mit dem schnöden Mammon zu tun hat, sondern auch, sagen wir, ein „bedeutendes" Dokument sprachgeschichtlicher Entwicklung ist. Nach Art. II soll das „Institut für angewandte Geodäsie" in „Institut für Angewandte Geodäsie" umbezeichnet werden. Wenn Sie gut hingehört haben, werden Sie gemerkt haben, daß der Unterschied darin besteht, daß im ersten Fall das Wort „angewandt" klein-, daß es jedoch zukünftig großgeschrieben werden soll.
Wenn Sie nun bedenken, daß Worte realitätsbildende und -verändernde Kraft haben
und Sie hier sehen, daß aus einer Qualitätsbezeichnung nichts als ein bloßer Titel wird, so müssen wir befürchten, daß in Zukunft in diesem Institut die Geodäsie nicht mehr angewandt wird; da habe ich also erhebliche Bedenken.
Andererseits bin ich sehr erfreut, daß in Artikel II Nr. 9 der Präsident der Deutschen Bundesbahn nicht mehr wie bisher als „Vorsitzender des Vorstandes", sondern als „Vorsitzer des Vorstandes" bezeichnet werden soll. „Vorsitzender", dieses Partizip, dieses Mittelwort der Gegenwart, drückt so richtig die Behäbigkeit aus, mit der jemand auf seinem Posten sitzen und kleben kann, während das Nomen agentis „Vorsitzer" allein schon das Dynamische, das Aktive, das Macherische ausdrückt, das wir ja von diesem Mann verlangen.
Diesem Vorschlag, meine Damen und Herren, werden wir bestimmt zustimmen. Das ist der Beitrag des Innenausschusses zur Sanierung der Bundesbahn.
Das Wort hat der Abgeordnete Liedtke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle fest, daß wir uns in dem an sich sehr schwierigen und in der Reflexion von außen fast immer wenig dankenswertem Gebiet der Besoldung des öffentlichen Dienstes noch immer einmütig in die gleiche Richtung bewegen. Anders wäre es 1971 wohl auch nicht möglich gewesen, eine Grundgesetzänderung zu erreichen. Ich kann mich also auf wenige zusätzliche Bemerkungen beschränken.Erstens. Es handelt sich um die erste Lesung. Ein Gesetzentwurf, der uns erreicht, ist immer verbesserungsfähig und auch änderungswürdig in einigen Teilen. Den Beschwerden der Hochschullehrer möchte ich freilich behutsam entgegenhalten, daß es geübter Stil dieses Hauses ist, weitgehend den Forderungen und dem Begehren der Länder zu folgen, wenn die Personalkosten ganz oder fast ausschließlich in ihrem Bereich auftreten. Das ist in diesem Hochschulbereich der Fall.Das Hochschulrahmengesetz löste, wie Sie richtig sagten, die Veränderung der Personalstruktur und in der Nachfolge logischerweise auch der Besoldungsstruktur aus. Der erste Entwurf, der uns mit den Wunschelementen der Länder angereicht wurde, war diesen im nachhinein zu teuer; sie wünschten eine Fassung, die sich gegenüber dem jetzigen Zustand kostenneutral darbietet. Das ist im wesentlichen, ohne daß ich die innere Gültigkeit und Gerechtigkeit dieses Entwurfs jetzt beurteilen will, der Fall. Gegenüber dem nicht in Kraft gesetzten ersten Entwurf werden rund 80 Millionen DM eingespart. Ein bißchen bemerkenswert — und dann will ich hier auch schon schließen — ist die Tatsache, daß wir 1971 in die allgemeine Besoldungsvereinheitlichung die Besoldungsordnung A — sie betrifft die aufsteigenden Beamten —, die Besoldungsordnung B — sie betrifft die höheren Beamten mit den Festgehältern —, die Besoldungsordnung R — sie gilt für Richter und Staatsanwälte — eingebunden haben und daß wir in diesem schwierigen Bereich immerhin bis zum Jahre 1978 brauchten, um nun die Letz- ten, d. h. die Hochschullehrer, in die allgemeine Norm eines einheitlichen Besoldungsgesetzes auf Bundesebene einzubinden. Ein Stück Besoldungsgeschichte in dieser Demokratie bringen wir damit zum Abschluß, wie gerecht oder weniger gerecht sie in einzelnen Teilen immer sein mag.Damit beginnt aber auch die zweite große Aufgabe, nämlich auf der Basis eines einheitlichen Besoldungsrechtes nun auch zu einer funktionsorientierten Bezahlung bundesweit von Schleswig-Holstein bis Bayern durchzustoßen — eine Arbeit, die diesen Bundestag in der zweiten Hälfte und wohl auch noch Teile des nächsten Bundestages beanspruchen wird. Schwierig ist dies halt allemal, wenn man sich dabei um möglichst viel Gerechtigkeit bemüht. Es geht immerhin um Millionen von Menschen in diesem Bereich. Dann muß man sehr nah an die einzelnen Aktivposten heran. Damit wird das Ganze nur immer schwieriger. Es ist auch gut, wenn wir als Bundestagsabgeordnete einmal sagen, daß es auch für uns immer schwerer wird, sich bis in die feinsten Verästelungen hineinzudenken und sie zu erkennen, denn was uns angereicht wird, ist immer subjektiv und standortgebunden.Ich teile und unterstreiche auch die von Ihnen dargestellte Ansicht, daß wir gemeinsam uns schwertun, angesichts der Arbeitsmarktsituation nun noch einmal für drei Jahre Sonderüberstunden zu gewähren. Ich betone lediglich, daß wir sie für den Bund begrenzt haben auf die Beschäftigten im engeren Bereich der inneren Sicherheit, Bundesnachrichtendienst, und, wie es so schön im Gesetz
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Liedtkeheißt, auf das eingeschiffte Personal auf Forschungsschiffen.Ich darf damit schließen und sage allen ungeduldigen Stimmen, die uns schon geschrieben haben: Es ist eine erste Lesung. Wir werden über die Vorschläge, die man uns eingereicht hat, noch nachdenken. Wir sind dankbar, wenn man uns das hier in der notwendigen Ruhe und Gelassenheit tun läßt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Nach den Ausführungen meiner beiden vorangegangenen Kollegen kann ich mich in meinen Ausführungen, wie ich glaube, recht kurz fassen, zumal, was den wesentlichen Inhalt des Entwurfs angeht, hier das Wesentliche bereits gesagt worden ist. Auch in der Tendenz vertrete ich für meine Fraktion in etwa die gleiche Auffassung.Bei der Debatte am 24. November des vergangenen Jahres, als wir über die Fristverlängerungen sprachen, habe ich für meine Fraktion damals an die Zustimmung die Erwartung geknüpft, daß die Bundesregierung zügig der Forderung des Bundesrates entspricht, die ursprünglich bereits zum 1. Januar dieses Jahres vorgesehene neue Hochschullehrerbesoldung mit dem Ziel der Kostenneutralität zu überprüfen. Diesem unserem Petitum ist die Bundesregierung mit der Vorlage dieses Entwurfes gefolgt. Wie schon zum Ausdruck gebracht, stehen im Vordergrund des Gesetzentwurfs Änderungen besoldungsrechtlicher Vorschriften, insbesondere für Professoren an Hochschulen und für die Hochschulassistenten. Diese Änderungen sind aus zwei Gründen notwendig geworden, nämlich erstens, wie schon von meinen Vorrednern erwähnt, befand sich das inzwischen in Kraft getretene Hochschulrahmengesetz bei den damaligen Beratungen noch im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren. Dies macht heute zum einen eine Reihe von mehr technischen Änderungen erforderlich, die auf den ersten Blick schwer zu übersehen sind. Vor allen Dingen aber waren neue Überlegungen notwendig, weil an Stelle des ursprünglich einmal vorgesehenen Amtes des Hochschuldozenten das nach Status und Verwendung abweichende Amt des Hochschulassistenten geschaffen worden ist. Da beide Ämter einander nicht gleichwertig sind, muß nun der Hochschulassistent besoldungsrechtlich entsprechend eingestuft werden. Das zweite sind die Regelungen des Haushaltsstrukturgesetzes, das hier insbesondere die Aussetzung der Geltung einzelner Vorschriften für Professoren an Hochschulen und Hochschuldozenten bis zum 31. Dezember 1977 angeordnet hat, was wir nun im vergangenen Jahr verlängert hatten.Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich im einzelnen wegen der Entstehungsgeschichte, die ja schon Gegenstand der Debatte war, nur kurz auf die Begründung des Gesetzentwurfs verweise. Ich möchte allerdings auch für mich noch einmal deutlich machen, daß es Wunsch der Länder war, die Besoldungsordnung C möglichst kostenneutral einzuführen. Dies hat die Bundesregierung bei den Beratungen des Haushaltsstrukturgesetzes im Vermittlungsausschuß am 11. Dezember 1975 zugesagt.Den Wunsch nach einer möglichen Kostenneutralität haben die Regierungschefs der Länder mehrmals in einschlägigen Beschlüssen unterstrichen. Ihnen ist die Bundesregierung gefolgt. Es war für die Bundesregierung in einem gewissen Sinn sicher folgerichtig, so zu verfahren, da die vorgesehenen gesetzlichen Änderungen fast ausschließlich den Bereich der Länder betreffen. Insoweit war und ist es konsequent, daß die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme überwiegend den Vorschlägen des Bundesrats zu diesem Entwurf gefolgt ist.Dies entbindet uns als Parlament indessen nicht von der Verpflichtung, den vorliegenden Entwurf unter allen Gesichtspunkten sorgfältig zu überprüfen. Ich stimme dem Kollegen Broll zu, daß die C-Besoldung so, wie sie einmal konzipiert war, in einem gewissen Gesamtzusammenhang stand, den wir heute nicht einfach schlicht leugnen können.Wir werden bei der Überprüfung, in die wir ganz offen eintreten werden, in gewissen Bereichen unter anderem die alternativen Vorschläge beispielsweise des Kulturausschusses des Bundesrats zu berücksichtigen haben, denen allerdings die Bundesratsausschüsse des Innern und der Finanzen nicht entsprochen haben. Gleiches gilt für die Erwägungen, die die betroffenen Verbände an uns herangetragen haben.Mir ist bewußt, daß den im Gesetz vorgesehenen Einsparungen Kritik seitens der Hochschullehrer begegnen wird. Dafür muß man Verständnis haben. Gerade in den nächsten Jahren werden von den Hochschulen, insbesondere von den Hochschullehrern, besondere Leistungen bei den Überlastprogrammen im Interesse der geburtenstarken Jahrgänge gefordert werden müssen. Wir können sicher nicht zulassen, daß die jungen Menschen der geburtenstarken Jahrgänge schlechter gestellt werden als die, die sich bereits in der Ausbildung befinden. Deswegen haben auch die Hochschullehrer und die Hochschulen einen Anspruch darauf, bei der Lösung der anstehenden Probleme nicht allein gelassen zu werden.Unsere Beratung, ganz gleich, wie ihr Ergebnis sein wird, sollte den falschen Eindruck vermeiden, hier könne eine Tendenz der Unterbewertung der Leistungen der Hochschullehrer im Gesamtsystem des öffentlichen Dienstrechts zum Ausdruck kommen. Aber auch der Zusammenhang mit dem Haushaltsstrukturgesetz, das auch andere Beamte betroffen hat, muß hier immer wieder deutlich herausgestellt werden.Mehr möchte ich zu diesem Komplex Hochschulbesoldung als dritter Redner in der ersten Lesung nicht sagen.Erlauben Sie mir noch einige kurze Bemerkungen zu den Vorschriften über die Verlängerung der Regelung über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung.
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Dr. WendigBereits in der zweiten Lesung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur, als es um die Verlängerung bis zum 31. Dezember 1977 ging, habe ich an dieser Stelle zum Ausdruck gebracht, daß wir dem wegen der zwingenden Notwendigkeiten besonders im Sicherheitsbereich nicht widersprechen können. Auch ich halte das für ein notwendiges Übel. Ebenso klar muß sein, daß nochmalige Verlängerungen u. a. aus arbeitsmarktpolitischen Gründen unerwünscht sind und im Grunde nicht in Frage kommen sollten.Ich unterstreiche deshalb nochmals meine bereits damals geäußerte Erwartung, daß die gesamte Problematik der Mehrarbeitsvergütung nach Auffassung meiner Fraktion noch einmal grundsätzlich erörtert und dann abschließend und vernünftig geregelt werden sollte. Vor allem kommt es darauf an, die notwendigen Stellen gerade im Sicherheitsbereich auszubringen und zu besetzen.Mehr möchte ich in der ersten Lesung zu diesem Entwurf nicht sagen.Die FDP-Bundestagsfraktion stimmt der vorgeschlagenen Ausschußüberweisung zu.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 8/1606 federführend an den Innenausschuß und mitberatend an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen.
Ich bemerke keine gegenteilige Meinung. Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die von ihr in den Rechnungsjahren 1973, 1974, 1975 gemäß § 96 BVFG getroffenen Maßnahmen
— Drucksachen 8/586, 8/1564 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Krey
Abgeordneter Dr. Nöbel
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sauer.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu dem Ihnen in der Drucksache 8/586 vorliegenden Bericht der Bundesregierung über die gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes getroffenen Maßnahmen und dem Ihnen in der Drucksache 8/1564 vorliegenden Ausschußbericht möchte ich für die CDU/CSU folgendes ergänzen.Nach dem Willen des Gesetzgebers ist der Bericht an sich jährlich zu erstatten. Erst später wurde durch einen Ausschußbeschluß eine Zweijahresberichterstattung vereinbart. Dieser Bericht für die Jahre 1973 bis 1975 erscheint jedoch mit erheblicher Verspätung. Seit dem Bestehen der Berichtspflicht, seit dem Jahr 1957, wurden regelmäßig Berichte vorgelegt, insgesamt sieben.Seit 1969 jedoch wurde innerhalb von acht Jahren einschließlich dieses Berichts leider nur zweimal seitens der Bundesregierung berichtet, und während der Amtszeit des Bundeskanzlers Willy Brandt ist nicht einmal ein Ausschußbericht gefertigt worden.Der eigentliche Zweck dieser jeweils zweijährigen Berichterstattung, nämlich über die aktuelle Lage Rechenschaft abzulegen, wurde durch diese Unterlassungen seit 1969 nicht erreicht. So müssen wir heute über das Geschehen in weit zurückliegender Zeit diskutieren. Daher begrüßt die CDU/CSU-Fraktion die Empfehlung des Ausschusses, künftig zu Beginn und in der Mitte jeder Legislaturperiode dem Bundestag einen solchen Bericht vorzulegen, also im Zweijahresrhythmus.Erfreulich ist, daß dieser Bericht jetzt dem Deutschen Bundestag erstmals als Bundestagsdrucksache vorliegt und die Bundesregierung im Gegegensatz zur zurückliegenden Zeit auf eine vertrauliche Behandlung des Berichts verzichtet hat. Diese Form der öffentlichen Berichterstattung über die Verwendung bescheidener 3,7 Millionen DM wird allen Kritikern im eigenen Lande, insbesondere aber auch den Agitatoren aus dem Ostblock, für ihre Vorwürfe, hier würden in einem Übermaß Steuermittel für Kriegshetze und Revanchismus hinausgeworfen, den Wind aus den Segeln nehmen.
Der Bundesinnenminister, Herr Professor Maihofer, hat durch all das, was dieser Bericht an erfreulichen Maßnahmen enthält, bewiesen, daß er es mit seiner Aussage in seiner Rede zum 20jährigen Bestehen des Bundes der Vertriebenen in der Frankfurter Paulskirche, ihm liege die Pflege des kulturellen Erbes der Vertriebenen besonders am Herzen, wirklich ernst meint. Dies soll an dieser Stelle dankbar anerkannt werden.Damit möchte ich für die CDU/CSU-Fraktion auch den Dank an alle jene Mitarbeiter verbinden, die in den beteiligten Ministerien die Grundlagen für diesen Bericht erarbeitet haben, ebenso den Berichterstattern, den Kollegen Krey und Nöbel.Insbesondere gebührt auch dem Kollegen Dr. Nöbel von der sozialdemokratischen Fraktion des Hauses Dank, da er als Vorsitzender der eigens für diesen Bericht berufenen Arbeitsgruppe erreicht hat, daß dieser Bericht, der in den intensiven Sachberatungen teilweise kontrovers diskutiert wurde, in einer Atmosphäre gegenseitigen Verständnisses so abgeschlossen werden konnte, daß wir Ihnen heute eine einstimmige Beschlußempfehlung vorlegen können.Der federführende Ausschuß und die mitberatenden Ausschüsse haben im übrigen von Anbeginn
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Sauer
j der Versuchung widerstanden, die ost- und mitteldeutsche Kultur von der gesamtdeutschen zu spalten und damit nationalistischen und chauvinistischen Forderungen der kommunistischen Seite, diesen Teil deutscher Kultur der Vergessenheit preiszugeben, eine Abfuhr erteilt. Damit haben wir auch gemeinsam gegen die Thesen des Nationalrats der Nationalen Front in der DDR Stellung bezogen; denn die DDR verfolgt unter Einsatz beträchtlicher Mittel beharrlich ihre politische Abgrenzungspolitik gegenüber der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Ziel ist eine Eigenprofilierung ihrer kulturellen Entwicklung, und gleichzeitig will sie ihre angebliche Überlegenheit als Sachwalterin eines nationalen und, wie sie sagt, eines zugleich sozialistischen Kulturerbes draußen propagieren.Ob und in welchem Ausmaß diese Bemühungen — ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Interpretation von Kurt Hager im „Neuen Deutschland" und auf die Veröffentlichung von Ruth Kähler im Dietz-Verlag in Ost-Berlin — Erfolg haben oder eines Tages sich selbst ad absurdum führen werden, hängt entscheidend davon ab, wieweit es uns gemeinsam gelingt, unsere kulturelle Auslandsarbeit einfallsreich und überzeugend voranzutreiben.Die Empfehlung des Auswärtigen Ausschusses, die Auslandsarbeit zu verstärken, wird von der CDU/CSU-Fraktion begrüßt und nachdrücklich unterstützt, denn hier wird eine langjährige Forderung meiner Fraktion übernommen.Die Bundesregierung hat in dem Bericht zu Recht festgestellt, daß die Förderung der ost- und mitteldeutschen Kultur eine Daueraufgabe ist. Denn es würde zu einer unverantwortlichen Verarmung der deutschen Kultur führen, wenn dieser Anteil im Bewußtsein unseres Volkes und des Auslandes nicht lebendig erhalten wird.Trotz der Teilung unseres Vaterlandes haben wir von der Einheit der deutschen Kultur auszugehen. In diesem Zusammenhang sollte man sich bewußt werden, daß es beim polnischen Nachbarvolk in Zeiten seiner Teilungen stets das kulturelle Erbe gewesen ist, das den Bestand der polnischen Nation auch ohne gemeinsamen Staat gesichert hat. Beachten sollten wir auch, daß die Förderungsmaßnahmen Brücken der Völkerverständigung im Osten sind. Freilich ist dies ein Beitrag als Teil der deutschen, der ostdeutschen Kultur und nicht einer interethnischen.Darüber hinaus aber werden die Förderungsmaßnahmen auch wesentlich zur Vertiefung des Europagedankens beitragen können. Deshalb ist die ostdeutsche Kultur nicht nur ein besonderer Bestandteil der gesamtdeutschen Nationalkultur, sondern auch ein wichtiger Teil gesamteuropäischer Kultur. Insbesondere jedoch soll durch diese Förderung nach § 96 den Heimatvertriebenen und Flüchtlingen weiterhin die Möglichkeit der Bewahrung, Fortentwicklung und Entfaltung ihrer Kultur gegeben, aber auch unseren Aussiedlern soll erleichtert werden, in der neuen Heimat Wurzeln zu schlagen.Die Erhaltung, Pflege, Entfaltung und Festigung des ost- und mitteldeutschen Kulturerbes birgt in sich,daß diese Aufgabe nicht aus unseren allgemeinen politischen Grundauffassungen herausgelöst werden kann. Um der guten Sache willen sollten wir auf allen Seiten des Hauses bemüht bleiben, Kulturpolitik von jeglicher Art der Macht- oder Parteipolitik fernzuhalten. Beachten wir bei der Vergabe der Mittel an einzelne Verbände und Organisationen auch die Mahnung des Bundesverfassungsgerichts, daß durch die Dosierung von Finanzmitteln unliebsame Verbände nicht an die Kette gelegt werden sollen!Wir gehen sicher auch darin einig, daß vor allem die Vertriebenen, Flüchtlinge und auch die Aussiedler selbst für diese Aufgabe der Kulturarbeit die Berufensten in unserem Volke sind. Sie werden sich dieser Aufgabe weiterhin mit besonderer Hingabe widmen. Die Deutschen aus dem Osten waren zwar im Materiellen auf den Lastenausgleich angewiesen, im geistig-kulturellen Bereich sind sie es wahrhaftig nicht. Kultur und Sprachgut sind Grundwerte der Ostdeutschen, mit denen sie wahrhaft wuchern können. Ich denke an Herder, Kant, Kleist, Eichendorff, Gustav Freytag, Agnes Miegel, die Gebrüder Hauptmann, Hermann Stehr oder an die zeitgenössischen Schriftsteller wie Siegfried Lenz, Lipinski-Gottersdorf, Rakette, Taubitz oder Piontek. Dies trifft natürlich ebenso für die mitteldeutschen Landsleute zu. Denken Sie an Lessing und Bach oder z. B. an die Weimarer Zeit von Schiller und Goethe.Die Verbände der Ostdeutschen, insbesondere die Landsmannschaften und die in der Gesamtorganisation des Bundes der Vertriebenen bzw. des Bundes der Mitteldeutschen zusammengeschlossenen Mitbürger, haben selbstlose und uneigennützige hervorragende Arbeit geleistet. Verantwortung und Verpflichtung für diesen Auftrag werden unmittelbar Betroffene naturgemäß stärker motivieren, als es unter staatlicher Aufsicht „Dienstleistende" — oft ohne innere Beziehung zum deutschen Osten — zu tun vermögen.
Dem sollte bei der Zumessung der finanziellen Mittel aber dann auch Rechnung getragen werden, wie es in der Beschlußempfehlung unter Nr. 2 b) sowohl unter ff als auch unter gg eindeutig und gemeinsam gefordert wird. Herr Staatssekretär von Schoeler, ich darf jetzt schon darauf aufmerksam machen, daß wir in nächster Zeit, insbesondere nach der Entscheidung über die Westvermögen-Zuführungsverordnung, darauf zurückkommen werden.Die gesetzliche Verpflichtung des § 96, der beinhaltet, daß das Kulturgut im Bewußtsein — ich betone: im Bewußtsein — der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu verankern ist, ist wirklich ernst zu nehmen. Wir müssen bei der Förderung immer darauf achten, daß wir nicht — und die Gefahr sehe ich bei einzelnen Fördermaßnahmen — kleine, elitäre Zirkel, weltferne Spezialarbeiten oder isolierte Gruppen fördern. Vielmehr geht es darum, wie künstlerische, wie schriftstellerische und wie wissenschaftliche Leistungen neben der musealen Arbeit dem Bewußtsein breiter Schichten im In- und Ausland nahegebracht werden.
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Entsprechend der Gliederung innerhalb des Berichts der Bundesregierung mache ich für die CDU/ CSU-Fraktion noch folgende Einzelbemerkungen.Zu III: Kunst- und Künstlerförderung. Hier fehlen Ausführungen über die Pflege ostdeutscher Theaterdichtung und die Förderung der literaturwissenschaftlichen Forschung. Auch sollten ostdeutsche Dichterlesungen viel mehr genutzt und gefördert werden. Dabei darf auch aus nationalen Gründen einmal die Frage geprüft werden, ob bei vergleichbarem künstlerischem Wert nicht gerade auch in der Preisverleihung diejenigen einen Vorrang erhalten sollten, die sich bemühen, die ostdeutsche und die gesamtdeutsche Komponente darzustellen.Zu IV: Sicherung des dinglichen Kulturgutes. Hier muß ich darauf hinweisen, daß die Unterbringung des ehemaligen Königsberger Staatsarchivs im staatlichen Archivlager zu Göttingen sowie das dort befindliche bedeutsame Archiv des Deutschen Ordens wirklich unbefriedigend sind.
Angesichts der Tatsache, daß die Ordensgeschichte wohl das umstrittenste Kapitel der deutschen bzw. der polnischen Geschichtsschreibung ist, hätten diese beiden Archive meines Erachtens, z. B. im Interesse des nötigen Widerspruchs gegen die polnische Darstellung, mit Vorrang ausgewertet werden sollen.Zu V: Förderung von Wissenschaft und Forschung. Hier ist leider, obwohl der Bericht die Zeit von 1973 bis 1975 umfaßt, über die Förderung wissenschaftlicher und populärer Darstellungen von Kopernikus wenig berichtet worden. Dagegen hat die polnische Seite während des Kopernikusjahres erheblich mehr Leistungen als die deutsche Seite erbracht.
Die Frage, ob überhaupt und inwieweit unter der Rubrik „Förderung von Wissenschaft und Forschung" Forschungsarbeiten über eine objektive Darstellung der Rechtslage ganz Deutschlands sowie der Rechte der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge im Lichte des allgemeinen Völkerrechts und der Auslegung der Ostverträge in verfassungskonformer Hinsicht seitens der Bundesregierung und bezüglich der Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts noch in dem Rahmen des § 96 aufzunehmen sind, ist leider offengeblieben.Das gleiche gilt bedauerlicherweise auch für die wissenschaftliche Prüfung der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen. Der Drang nach aufrichtiger Wahrheitsfindung und nach Wahrhaftigkeit ohne Rücksicht auf Tabus liegt doch im Interesse beider Völker.Die zum Teil in Archiven der Bundesregierung — das ist allgemein unbekannt —, z. B. des Auswärtigen Amtes, befindlichen Dokumente über frühere Bemühungen um die Schulbücher in den deutsch-polnischen Beziehungen zeigen gegenüber einem damals unerträglichen — ich betone: damals unerträglichen — nationalsozialistischen Druck auf deutscher Seite gegenüber den polnischen Gesprächspartnern und andererseits eine viel objektivere Haltung der freiheitlichen und weltweit anerkannten damaligen polnischen Historiker zu den deutsch-polnischen Beziehungen in den Jahren vor 1939. Hier könnte sich die Bundesregierung mit Hilfe des Auswärtigen Amts durch Bestrebungen nach einer objektiven Überprüfung dieser deutschpolnischen Schulbuchempfehlungen sehr verdient machen.
Zu Kapitel VI: Kulturelle Breitenarbeit. Meines Erachtens sind die Breitenarbeit sowie die Hinweise auf die Verdienste der Landsmannschaften, und zwar der ost- wie der mitteldeutschen Landsmannschaften, und des Bundes der Vertriebenen in ihrer Kulturarbeit sowohl zu schwach als auch nicht präzise genug dargestellt worden.Bedauerlicherweise wurde jedoch z. B. die Arbeit, die bisher vom West-Ost-Kulturwerk in Bonn zum größten Teil ehrenamtlich geleistet worden ist, überhaupt nicht erwähnt. Das Kulturwerk hat z. B. im Kopernikusjahr fast als einzige Einrichtung eine große Veranstaltung über Kopernikus durchgeführt, an der neben dem Apostolischen Nuntius eine Vielzahl diplomatischer Missionen teilgenommen hat. Auch die Corinth-Ausstellung hier in Bonn, bei deren Eröffnung 41 Bundestagsabgeordnete und eine große Zahl Journalisten anwesend waren, ist in diesem Zusammenhang nicht erwähnt worden.Auch das segensreiche Wirken der kirchlichen Vertriebenenarbeit sollte endlich einmal ausführlich dargestellt werden, z. B. des Hedwigswerkes der katholischen Schlesier, der Ackermann-Gemeinde der sudetendeutschen Katholiken, der Eichendorff-Gilde oder auch der Diözesanvertriebenenseelsorger, aber auch andererseits die Arbeit des Konvents der zerstreuten Ostkirchen im evangelisch-lutherischen Bereich. Hierzu gehört — das ist fast untergegangen — die Breitenarbeit der zahlreichen Jugendverbände.Im Abschnitt VII wird neben der ausführlichen Darstellung der regionalen Kulturwerke die Arbeit des Ostdeutschen Kulturrates gewürdigt. Leider wird kaum Stellung dazu genommen, ob die dem Ostdeutschen Kulturrat ministeriell versuchsweise zugewiesene Kooperationsaufgabe angesichts der wirklich hohen Finanzierungsmittel die erwartete Effizienz gebracht hat und ob die Erfüllung der Aufgaben nach § 96 durch seine Tätigkeit wirklich verbessert worden ist. In diesem Zusammenhang verweise ich mit Nachdruck auf die Berichterstattung in der Drucksache auf Seite 5 unter VII und betone daß gemeinsame Erörterungen der Aufgaben nicht Weisungen und Richtlinien gegenüber anderen Verbänden oder anderen kreativen Aktivitäten bedeuten dürfen.Im Abschnitt VIII und damit im letzten Abschnitt gibt die Bundesregierung einen sogenannten Ausblick. Doch ich finde, der Ausblick ist unvollständig, weil er keine konkreten Planungen und Vorhaben enthält. Auch wird das Problem des Zurücktretens der Erlebnisgeneration meines Erachtens überbetont. Nicht, daß diese Aussage dem Grunde nach falsch
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Sauer
wäre, sie ist jedoch nur zu einem Teil richtig: Sie trifft für den Teil der Erlebnisgeneration zu, der im Zeitpunkt der Vertreibung auf der Höhe seiner Schaffenskraft stand. Die jüngeren Jahrgänge sind doch noch keineswegs zum Zurücktreten reif. Ich stimme dennoch der Empfehlung zu, daß die Weitergabe dieser bedeutsamen deutschen Aufgabe mehr und mehr von der Ergebnisgeneration auf und an die Bekenntnisgeneration erfolgen muß.Ich sagte vorhin, daß ich einige konkrete Planungen vermisse. Daher möchte ich einige Vorschläge namens der Fraktion ,der CDU/CSU unterbreiten:Erstens. 1978 haben wir das Herder-Jahr. Die DDR trifft umfangreiche Vorbereitungen, natürlich unter ideologischen Gesichtspunkten. Wir sollten das Wirken dieses Ostpreußen in bezug auf die nationale Entwicklung unserer osteuropäischen Nachbarn, denen er fundamentale Impulse gegeben hat, auch aus unserer Sicht deutlich machen. Das gleiche gilt für die Arbeiten des Dichters Kleist.Zweitens. Die Breslauer Universität scheint uns in der germanistischen Forschung zu überflügeln. Wir sollten die Literaturforschung Schlesiens, z. B. über Eichendorff, verstärken.Drittens. Das Eichendorff-Museum befindet sich in einem Privathaus in Wangen. Forscher aus aller Welt, auch aus dem Ostblock, arbeiten dort unter primitivsten Verhältnissen. Hier sollte dringend etwas geschehen, ebenso in der Forschung über Gustav Freytag.
— Das Museum ist wirklich in einem Privathaus untergebracht, und es ist wirklich eine Schande, wie dort das Eichendorff-Studium getätigt werden muß.Viertens. Die Forschung in der Osteuropageschichte und in der Slawistik ist in ihrer Bedeutung gegenüber den Forschungsergebnissen der Weimarer Zeit sehr zurückgefallen. Früher war die deutsche Wissenschaft in diesen Fragen führend. Wir sollten daher von uns aus für die Förderung von Lehrstühlen Impulse geben. Denken wir auch daran, daß mit den Aussiedlern eine große Zahl von Akademikern zu uns kommt, die nicht nur slawische Sprachen beherrschen, sondern zum Teil auch genaue Kenner des Standes der Wissenschaft in diesem Bereich, aber auch des Denkens und Fühlens unserer osteuropäischen Nachbarvölker sind. Hier liegt ein beachtlicher Reichtum an persönlicher, sprachlicher und wissenschaftlicher Erfahrung so gut wie brach.Lassen Sie mich auch in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß die Bundesregierung und einzelne Landesregierungen hierbei Fehler korrigieren können, die sie sich vor wenigen Jahren geleistet haben, als sie den Göttinger Arbeitskreis, den Königsteiner Kreis und das Herder-Institut finanziell eingeschränkt haben.Lassen Sie mich abschließend feststellen: Die Motivation für die Förderung nach § 96 Bundesvertriebenengesetz und die Aufgaben und Ziele der Förderung werden grundsätzlich richtig gesehen, auch wenn einige Schwerpunkte unterbewertet werden und leider nicht immer dargestellt wird, inwieweit die gesamte Kulturarbeit dem Bewußtsein des deutschen Volkes nahegebracht werden konnte. Es ist darauf hinzuweisen, daß der Gesetzesauftrag nicht nur kulturpflegerische Akzente setzt, sondern nachhaltig kulturpolitische Akzente erwartet. Ich betone dies wegen der Bemerkung im letzten Absatz des Ausblicks bezüglich der Pflege des ostdeutschen Kulturgutes innerhalb der Nationalstiftung.Auch in einer Nationalstiftung sollte ostdeutsches Kulturgut nicht nur museal verwaltet werden. Es sollte bekanntgemacht und die Aktivitäten sollten gefördert werden.Namens der Fraktion der CDU/CSU bitte ich das Hohe Haus und die Bundesregierung, sich der Erfüllung dieses Auftrags wegen seiner gesamtdeutschen und auch europäischen Bedeutung weiterhin bewußt zu sein. Für diese Entwicklung sollten wir gemeinsam insbesondere die junge Generation mehr als bisher aktivieren.
Das Wort hat der Abgegeordnete Nöbel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich den von Ihnen, Herr Kollege Sauer, ausgesprochenen Dank Ihnen und allen Kollegen, die in der Arbeitsgruppe mitgearbeitet haben, zurückgeben.Heute bleibt festzustellen: Eine Unterrichtung der Bundesregierung über die von ihr getroffenen Maßnahmen im Bereich der Pflege des ostdeutschen Kulturguts und der Förderung der wissenschaftlichen Forschung findet erstmals Eingang in die Plenarberatungen des Deutschen Bundestages — eine parlamentarische Initiative, die allerdings dar- auf zurückzuführen ist, daß der Regierungsbericht über die Jahre 1973 bis 1975 von besonderer Aussagekraft ist. Die bisherigen Berichte — sechs an der Zahl — über die Jahre 1957 bis 1972 blieben meist aus verschiedenen Geheimhaltungsgründen der Offentlichkeit vorenthalten. Wenn Sie sagten, Herr Kollege Sauer, der Bericht sei nicht aktuell bzw. die früheren Berichte seien in kürzeren Abständen gegeben worden, so weise ich darauf hin, daß der Bericht 1963 bis 1966 ebenfalls einen Zeitraum von drei Jahren umfaßte und daß die Möglichkeit des mündlichen Berichts stets gegeben ist.Schließlich haben wir uns darauf geeinigt, jeweils zu Anfang und zur Mitte der Wahlperiode den schriftlichen Bericht zu erwarten.Aber wiçhtiger noch ist folgendes: Heute sind die Geheimhaltungsgründe, etwa von 1960, nicht mehr gültig. Die damalige Bundesregierung war der Meinung — ich darf zitieren —,daß die gesamte deutsche Ostarbeit einschließlich der Kulturarbeit und im besonderen Maße die deutsche Ostforschung in den Ostblockstaaten mit großer Aufmerksamkeit verfolgt und
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6585
Dr. Nöbelmit propangandistischer Zielsetzung zum Anlaß genommen werden, deutschen Stellen revanchistische und imperialistische Motive zu unterschieben.Meine Damen und Herren, wir meinen: Seit dem ist nicht nur die Zeit ins Land gegangen, sondern insbesondere auf Grund der Ost- und Entspannungspolitik der sozialliberalen Regierungen konnten sowohl klimatische Verbesserungen als auch konkrete Fortschritte erzielt werden. Und damit beweisen wir auch, daß wir demokratisch offener geworden sind.In diesem Zusammenhang erwähne ich beispielhaft das Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Volksrepublik Polen über kulturelle Zusammenarbeit, das am 25. November 1977 in Kraft getreten ist. Dieses Abkommen geht auf den Warschauer Vertrag von 1970 zurück, der die umfassende Entwicklung der gegenseitigen Beziehungen vorsieht. Es heißt dort:. .. in der Erkenntnis, daß eine Ausweitung der Zusammenarbeit im Bereich der kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen im gemeinsamen Interesse liegt.Sicherlich wird die Umsetzung dieses Abkommens in künftigen Berichten eine wesentliche Rolle spielen müssen; denn die Praktizierung dieses seit knapp fünf Monaten gültigen Abkommens bedeutet z. B. eine Erleichterung der Benutzung von Bibliotheken, Archiven, Museen durch Wissenschaftler beider Länder, die Förderung des gegenseitigen Verständnisses über die Darstellung der Geschichte, Geographie und Kultur in den Schulbüchern, die Entwicklung der Zusammenarbeit in Unterrichtung und Studium beider Sprachen, Künstleraustausch und kultureller Erfahrungsaustausch, gemeinsame Konferenzen, Wettbewerbe, Jugendaustausch, Zusammenarbeit zwischen Hörfunk, Fernsehen und Massenmedien insgesamt.Hier sind nicht nur die Regierungen angesprochen und gefragt, sondern auch die Parlamente, besonders aber die kulturellen Institutionen. Die Aufgaben liegen nicht nur in den kommenden Jahrzehnten vor uns — dann auch —, sondern jetzt können und müssen wir sie auf der geschaffenen Grundlage angehen.Aber auch die von der Bundesregierung vorgelegte Unterrichtung über die Jahre 1973 bis 1975 ist ein überzeugender Bericht, für den die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dankt. Ebenfalls sind die interfraktionellen Bemühungen, Herr Kollege Sauer, auf die Sie hingewiesen haben, zu begrüßen, einen gemeinsamen Nenner zu finden und die Grundlage, auf der alle Fraktionen des Parlaments konkrete, also der Sache dienliche Beiträge zu eventuellen Verbesserungen liefern können. Eine Arbeitsgruppe des Innenausschusses — sie wurde erwähnt — wird sich dieser Zielsetzung auch weiterhin annehmen. Auch diese interfraktionelle Vereinbarung ist neu und wird sich als nutzbringend erweisen.Bund und Länder haben entsprechend ihrer durch das Grundgesetz gegebenen Zuständigkeit das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewußtsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslands zu erhalten. So lautet der Auftrag gemäß § 96 des Gesetzes über Angelegenheiten dér Vertriebenen und Flüchtlinge. Deshalb ist die gemeinsame Linie aller Fraktionen dieses Hauses nicht nur erwünscht, sondern wichtig; denn nicht nur der Bund, auch die Länder, auch die Kommunen leisten Beiträge. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf die vielen Hundert Patenschaften hinweisen.Der federführende Innenausschuß hat den Bericht der Bundesregierung einhellig gewürdigt und festgestellt, daß er — ich darf zitieren — „anerkennenswerterweise eine sehr umfangreiche Darstellung der Maßnahmen zur Kunst- und Künstlerförderung, zur Sicherung des dinglichen Kulturgutes, zur Förderung von Wissenschaft und Forschung sowie eine Würdigung der regionalen Kulturwerke der Vertriebenen und der zentralen Institutionen enthält und in einem Ausblick wesentliche Feststellungen" trifft.Im Haushaltsjahr 1977 standen allein beim Bundesminister des Innern 3,774 Millionen DM für die Pflege des ostdeutschen Kulturgutes zur Verfügung. Wir halten diesen Betrag für mitteilenswert, zumal im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik, bei den Ländern und Gemeinden zusätzliche Mittel bereitstehen. Die Bundesregierung versucht, in der Drucksache 8/586 die vielfältigen Förderungsmaßnahmen entflechtend und übersichtlich darzustellen. Das ist anschaulich gelungen. Natürlich läßt eine solche Darstellung Detailaspekte vermissen, die der eine oder andere schließlich doch erwähnt wissen möchte. Aber die Kritik in den Ausschußberatungen war durchweg positiv. Ich habe auch ihre Kritik, Herr Sauer, heute so verstanden. Sie will sich als Unterstützung verstanden sehen, die das Parlament der Regierung für die Zukunft anbietet.Das, was fehlt, ist im wesentlichen bereits in früheren Berichten ausführlich dargestellt worden. Deshalb wird in der Vorbemerkung auf die — wie es dort heißt — „Vermeidung von Wiederholungen" hingewiesen.Alle sieben bisher vorgelegten Berichte haben auf Grund des Gesetzesauftrages ein und dieselbe Voraussetzung. Es darf keinen staatlichen Dirigismus geben, der die Eigengesetzlichkeit der kulturellen Entwicklung tangiert. Die öffentliche Hand fördert eigenständige Arbeitsträger, ermöglicht schöpferische Initiativen, hat allerdings die Effektivität zu prüfen und sollte Anregungen vermitteln. Dabei ist es unerläßlich, den entsprechenden Institutionen eine langfristige Planung zu sichern — und das geschieht —; denn eine Abhängigkeit von nur kurzfristig überschaubaren Zuwendungen wäre nicht vertretbar.Da niemand Staatsdirigismus will, muß jeder die Schwierigkeiten einsehen, die der kulturelle Spielraum mit sich bringt. Das Gesetz über Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge kann daher nicht mehr sein als ein Grundsatzgesetz, was insbesondere für dessen § 96 zutrifft. Dieser Kulturparagraph enthält nur die allgemeine Weisung an Bund und Länder. Es fehlen also — das geht gar nicht
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Dr. Nöbelanders — nicht nur unmittelbar wirksame materiellrechtliche Regelungen; es kommt hinzu die geteilte Verantwortung in unserem föderalistischen System. Der Vorteil liegt in der Möglichkeit, alle Aktivitäten auf dem Gebiet der ostdeutschen Kulturpolitik aus unterschiedlichen Aspekten und breit angelegter Verantwortung zu fördern. Unbestritten bleibt, daß die wirtschaftliche und soziale Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge sowie ihrer Nachkommen in der Regel abgeschlossen ist. Unbestritten ist die Pflege und Fortentwicklung der ostdeutschen Kultur als Daueraufgabe. Unbestritten muß auch sein, daß die staatliche Förderung an vorhandene, teilweise seit Jahrzehnten nun schon arbeitende Institutionen gebunden ist, aber gleichzeitig die sich wandelnden Verhältnisse berücksichtigen muß.Ich denke an das aktuelle Problem der Eingliederung der Aussiedler; diese muß eine gesamtgesellschaftliche, also nicht zuletzt die kulturelle Betreuung mit beinhalten. Hier hat die Politik der Bundesregierung Grundvoraussetzungen geschaffen, die sich sehen lassen können. Die Konsequenz geht so weit, daß alle Parteien gemeinsam aufgerufen sind, kritischen Teilen unserer Öffentlichkeit zu erklären, warum diesen Menschen in besonderer Weise geholfen werden muß. Es darf nicht sein, daß Aussiedlern, die endlich in ihr Vaterland zurückkehren konnten, offen oder auch hinter vorgehaltener Hand von ihrer neuen, einheimischen Nachbarschaft bedeutet wird, sie seien eigentlich doch keine Deutschen, oder daß ihnen ein Wust von Bürokratie, von Formularstapeln ins Haus kommt, dem sie sich hilflos ausgesetzt fühlen, zumal sie in den Ostblockländern nie oder selten mit Formularen konfrontiert worden sind. Wenn dann noch tüchtige Geschäftsleute hierzulande diese Hilflosigkeit zum eigenen Vorteil ausnutzen, weil denen, wie sie meinen, ohnehin mit Steuergeldern unter die Arme gegriffen wird, ist dies der Gipfel. Das ist keine bundespolitische Angelegenheit. Es geht die Kommunen, Regierungspräsidenten, Länder und uns alle als engagierte Bürger an. Diese Menschen haben sich nach der Freiheit gesehnt, manche ein ganzes Leben lang. Aber das ist nicht die Freiheit, die sie erwartet haben. Das ist Pseudo-Freiheit, mit der sie nicht nur nicht fertig werden, sondern die sie fertigmacht.Die vorliegende Beschlußempfehlung auf Drucksache 8/1564 bitten wir anzunehmen. Wir warnen allerdings davor, daß in den § 96 des Bundesvertriebenengesetzes Regelungen hineininterpretiert werden, die nicht hineingehören, da sie anderweitig bereits geregelt sind oder gegebenenfalls vielleicht auch anderweitig geregelt werden müssen.Wir werden uns bei den weiteren Beratungen der Förderung auch davor zu hüten haben, Flüchtlinge, Vertriebene, Landsmannschaften in verschiedene Klassen einzustufen. Ich darf dies als einer, der in Bonn geboren ist
— das gibt es auch noch —, sich aber seit vielen Jahren mit Fragen der Ostforschung und der Geschichte des deutschen Ostens intensiv befaßt hat, frei von jedem Lobbyismus, auch ohne jedwedeUnterstellung — das sage ich, damit das nicht falsch verstanden wird —, objektiv feststellen.Wir haben uns auch davor zu hüten, ostdeutsche Kulturpolitik isoliert zu betreiben. Die Chance liegt einzig und allein in der Integration, in der Gesamtschau deutscher Kultur, um sie im In- und Ausland bewußter zu machen.Unsere Hilfe wird auch konkret erwartet, nicht in großen Sprüchen, auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene. Wenn ich beispielsweise mit ansehen muß, wie das wissenschaftliche Jahrhundertwerk „Grundriß der deutschen Verwaltungsgeschichte, 1815 bis 1945" herausgegeben hier in Bonn von Professor Walther Hubatsch, im Formularwesen und im Unverständnis voh Beamten einiger Bundesländer, sowohl CDU- als auch SPD-geführter Landesregierungen, längst erstickt wäre, wenn dieser Mann nicht außergewöhnliche Selbstbehauptung besäße, gehe ich mit meinen Freunden im Innenausschuß um so stärker und überzeugter an diese gemeinsame Aufgabe heran, die Bundesregierung zu unterstützen, in ernster und tatsächlicher Berücksichtigung auch von Vorschlägen der Opposition in einer unbestritten ehrenvollen Aufgabe.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten begrüßt den Bericht, den die Bundesregierung gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes über die Förderung des kulturellen Erbes aus den Vertreibungsgebieten erstattet hat. Der Bericht weist, wie ich meine, aus, daß die Bundesregierung ihrem Gesetzesauftrag in dem Berichtszeitraum zufriedenstellend nachgekommen ist. Vor allen Dingen möchte ich aber meiner Befriedigung darüber Ausdruck geben, daß wir nach einer so offenen und umfassenden Darstellung durch die Bundesregierung hier erstmalig auch in einer solchen offenen Breite diskutieren. Ebenso begrüße ich dankbar die offene und sachliche Aussprache im Unterausschuß. Das gilt für alle, die darin mitgearbeitet haben.Ich will in meinen Ausführungen weitgehend davon absehen, auf die einzelnen in dem Bericht aufgeführten Maßnahmen näher einzugehen. Dies ist schon sehr umfassend gewürdigt worden. Ich möchte etwas anderes ausführen. So wichtig die kritische Betrachtung von Haushaltsansätzen ist und wie sehr auch Einzelmaßnahmen erläutert und danach gewichtet werden müssen, so bleibt doch die allgemeine und grundsätzliche Frage vorrangig, die uns immer wieder bewegt, welche Voraussetzungen und welche Grenzen einer Ausfüllung, einer Erfüllung des Auftrages aus § 96 des Bundesvertriebenengesetzes unter den heutigen Verhältnissen gesetzt sind. Der Auftrag als solcher steht fest: die Erhaltung des kulturellen Erbes aus den Vertreibungsgebieten im Bewußtsein seiner ehemaligen Bewohner, der übrigen Bevölkerung und des Auslandes.
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Dr. WendigZu Recht weist die Bundesregierung darauf hin, daß dies — das sage ich jetzt — auch bei möglicherweise veränderten Verhältnissen eine Daueraufgabe ist. Dabei besteht die Aufgabe, heimische Kultur zu bewahren und fortzuentwickeln, hier nicht darin, etwa für die Vertriebenen und Flüchtlinge eine Art staatlich geförderte Schutzzone zu schaffen, die dann sehr leicht musealen Charakter gewinnt und damit inhaltlich erstarrt.Es wird sehr oft vergessen, daß heimische, landschaftliche oder regionale Kultur auch den unmittelbarsten geistigen Lebensraum des einzelnen dar- stellt. Sie zu erhalten ist daher nebenbei auch ein Stück geistiger Freiheit. Auch in einer Zeit, die zunehmend die Züge einer überregionalen oder supranationalen geistigen Orientierung aufweist, behält diese Feststellung, wie ich meine, ihren besonderen Rang. Jeder — lassen Sie mich das für mich persönlich sagen —, der in seinem Leben einmal erfahren hat, was es bedeutet, den kulturellen Lebensraum, wenn auch nur zeitweilig, verloren zu haben, kann in voller Breite ermessen, welch enge Zusammenhänge zwischen der individuellen, der geistigen Freiheit und diesen regionalen kulturellen Beziehungen bestehen.Für die übrige Bevölkerung der Bundesrepublik kommt es darauf an, das Bewußtsein der gemeinsamen deutschen Nationalkultur zu erhalten, die zu einem wesentlichen Teil nur aus der Gesamtschau der Regionalkulturen und ihren Einzelbeiträgen begriffen werden kann. Dies gilt auch für die auswärtige Kulturpolitik, die in dem Bericht der Bundesregierung nicht behandelt ist. Zu Recht spricht aber der Bericht der beiden Berichterstatter,. denen ich dafür danke, von einer auswärtigen Kulturpolitik, die von einer in vielfältigen Ausprägungen gemeinsamen deutschen Nationalkultur auszugehen hat. Ich unterstütze hierbei ausdrücklich den Hinweis, daß bei einer Darstellung der deutschen Nationalkultur durch die auswärtige Kulturpolitik auch der spezifische Gesetzesauftrag des § 96 beachtet werden sollte. Auch die Bitte des Innenausschusses an das Auswärtige Amt, eine noch bessere Erfassung der Maßnahmen nach § 96 zu überprüfen, findet unsere volle Zustimmung.Dies ist für uns keineswegs der Ausdruck eines kulturellen oder kulturpolitischen Besitzstandsdenkens. Die Beiträge ostdeutscher Kultur zur deutschen Nationalkultur machen erst den vollen Inhalt der deutschen Nationalkultur aus. Sie nicht zu erhalten und fortzuentwickeln würde eine beachtliche Verengung unseres Kulturbewußtseins und eine Verarmung unserer Gesamtkultur bedeuten. Dies gilt auch für den Beitrag der deutschen Kultur zum abendländischen Kulturerbe. Ich bin davon überzeugt, daß über diese Grundsätze hier bei uns keine Meinungsverschiedenheit besteht.Nun komme ich zu einem anderen Punkt. Dessen ungeachtet dürfen wir jedoch nicht übersehen, daß sich mit dem Fortgang der Zeit die Bedingungen, unter denen der Auftrag des § 96 zu erfüllen ist, gewandelt haben und auch aller Sicherheit nach ständig verwandeln werden. Zu Recht weist der Bericht der Bundesregierung auf das Zurücktreten der Erlebnisgeneration und den allgemeinen Generationenumschwung hin. Sicher ist den Berichterstattern und auch Ihnen, Herr Kollege Sauer, darin zuzustimmen, daß solchen Überlegungen keine übertriebene Bedeutung beigemessen werden darf. Man würde indessen den Kopf in den Sand stecken, wollte man eine solche Entwicklung nicht erkennen. Sie erkennen bedeutet doch nur, daß wir die Überlegung verstärken müssen, wie sich die Erfüllung des Auftrages nach § 96 den veränderten Bedingungen besser anzupassen hat.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung beschreibt in ihrem Bericht Möglichkeiten, wie diesen Gefahren zu begegnen ist. Das Ziel ist genannt: Das ostdeutsche Kulturerbe ist noch stärker in das allgemeine Kulturerbe einzubeziehen mit dem Ziel, es als eine der Quellen und einen der Bestandteile auch unserer zeitgenössischen Kultur deutlich herauszustellen. In diese Richtung weisen auch die Einzelempfehlungen des Innenausschusses in Ziffer 2 der Vorlage, die ich im einzelnen nicht näher erörtern möchte.Eine besondere Rolle spielen in dem Bericht u. a. die Gedenkjahre großer Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler wie z. B. das Herder-Jahr, von dem schon die Rede war. Es ist richtig, daß solche Gedenkjahre auch im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik genutzt werden müssen; dies darf sicher nicht der DDR allein überlassen werden.Das Herder-Jahr gibt mir aber Veranlassung, auf einen Gesichtspunkt hinzuweisen, der in dem Bericht ein wenig am Rande vorkommt. Herr Kollege Sauer hat ihn auch genannt. Ich meine die engen Beziehungen, die zwischen bestimmten Werken ostdeutscher Kultur und dem Kulturleben der benachbarten, vorwiegend slawischen Völker bestanden haben. Es sollte deshalb nicht verschwiegen werden, daß ostdeutsches Kulturschaffen nicht in einem Nebeneinander oder gar in einem Gegeneinander bestanden hat. Gerade das Lebenswerk Herders und dessen Einflüsse auf das kulturelle Selbstbewußtsein der benachbarten slawischen Völker sind hier ein gutes Beispiel — ebenso wie die Rückwirkungen dieser Entwicklung auf bestimmte Bereiche der deutschen Geisteskultur z. B. in der Romantik des 19. Jahrhunderts. Eine so verstandene Kulturpolitik richtet nicht Schranken auf, sondern baut Brücken zu einer besseren Verständigung unter den Völkern.Die ist schließlich auch ein wesentlicher Inhalt des Ostkundeunterrichts, den der Bericht der Bundesregierung als einen bedeutsamen Teil im Aufgabenbereich des § 96 hervorhebt. Ostkunde, als Osteuropakunde verstanden, soll durch die Vermittlung von Kenntnissen , die Voraussetzungen für eine schöpferische Auseinandersetzung mit den Völkern Ost- und Südosteuropas schaffen. Dies dient wesentlich dazu, die ostdeutsche Leistung verständlich zu machen und eine friedliche geistige Auseinandersetzung mit den Völkern Ostmitteleuropas zu ermöglichen.An dieser Stelle möchte ich wie Herr Kollege Dr. Nöbel auf das deutsch-polnische Kulturabkommen
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Dr. Wendighinweisen, das eine Fülle von Möglichkeiten aufweist, die — werden sie ausgeschöpft — wesentliche Fortschritte für eine Verständigung zwischen den beiden Völkern bringen werden.In diesem Zusammenhang nun noch ein Wort zu den deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen. Die Bundesregierung sollte — und so steht es auch in der Empfehlung — ihre Förderung nicht versagen, wenn diese Empfehlungen in wissenschaftlicher und didaktischer Hinsicht noch einmal überprüft werden. Daß das überprüfende deutsche Gremium wissenschaftlich und didaktisch unabhängig sein muß, ist für mich ebenso selbstverständlich, wie ich davon ausgehe, daß die deutschen Mitglieder der Schulbuchkommission dies ebenfalls gewesen sind. Dieser Bereich ist für die Entwicklung des deutsch-polnischen -Verhältnisses im Sinne einer Verständigung beider Völker von entscheidender Bedeutung. Ich weiß nicht, was die deutsch-polnischen Verhandlungen der Jahre 1934 bis 1938 enthalten haben. Ich weiß es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, Herr Kollege Sauer, wäre aber sehr dankbar, wenn wir hier durch das Auswärtige Amt eine nähere Aufklärung erfahren könnten.Meine Damen und Herren, auf weitere Einzelheiten will ich jetzt nicht eingehen. Aber eine grundlegende Unterscheidung etwa zur Kulturpolitik der DDR und zu deren Voraussetzungen darf nicht ungenannt bleiben. Bei uns kann der Staat die erforderlichen Aktivitäten weder verordnen noch im einzelnen organisieren. Er ist deshalb auf die zahlreichen Kultureinrichtungen angewiesen, die sich mit dem Kulturerbe Ostdeutschlands befassen. Wir begrüßen nachdrücklich die Arbeit dieser Einrichtungen und der in ihr tätigen Bürger. Hier. gilt, wie für jede geistige und kulturelle Darstellung eines Volkes: Jeder staatliche Anstoß bleibt wirkungslos, wenn nicht in der Bevölkerung, wenn nicht in den Bürgern eines Landes der Drang zu einer kulturellen Betätigung, zu einer kulturellen und geistigen Selbstdarstellung vorhanden ist. Die Mitarbeit in den zahlreichen Kultureinrichtungen zeigt, daß dieses Bewußtsein bei uns in der Bundesrepublik lebendig ist. Dies läßt uns mit der begründeten Zuversicht erkennen und voraussehen, daß auch in Zukunft die Voraussetzungen für eine Erfüllung der Aufgaben nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes in der Bundesrepublik vorhanden sein werden.Wir Freien Demokraten werden alles tun, um dies nach Kräften zu unterstützen.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär von Schoeler.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum erstenmal wird ein solcher Bericht der Bundesregierung hier im Plenum des Deutschen Bundestages debattiert. Dem gingen ausführliche Beratungen in den Ausschüssen voraus. Diese Behandlung des Berichts zeigt, eine wie große Bedeutung Bundestag ebenso wie Bundesregierung dem ostdeutschen Kulturbereich beimessen. Ich bin dankbar für diese Einschätzung der oft nicht genügend. beachteten Bemühungen, das ostdeutsche Kulturerbe zu bewahren und lebendig zu erhalten, da ich wie wir alle vom hohen politischen Rang dieser Aufgabe überzeugt bin.Die Beschlußempfehlung des Innenausschusses, die hier zur Beratung ansteht, enthält unter anderem das Ersuchen, bei der Gestaltung künftiger Berichte noch einige Gesichtspunkte mehr als bisher zu verdeutlichen. Im Bericht sind darüber hinaus eine Reihe von Empfehlungen zur künftigen Förderungspraxis ausgesprochen worden. Die Bundesregierung wird sich bemühen, diesen Wünschen im Rahmen ihrer Möglichkeiten gerecht zu werden und in ihren künftigen Berichten darauf einzugehen. Auch beim besten Willen wird bei künftigen Berichten aber eines nicht erreichbar sein, Herr Kollege Sauer, nämlich daß wir sämtliche Aktivitäten, die sich in diesem Bereich erfreulicherweise vollziehen, in einem solchen Bericht erwähnen. Wenn Sie einige Beispiele unerwähnter Aktivitäten hier vorhin im einzelnen dargelegt haben, dann bedeutet die Tatsache der Nichterwähnung im Bericht keinesfalls eine Nichtachtung dieser Aktivitäten, sondern es gibt eine natürliche Begrenzung, wenn der Bericht nicht so umfangreich werden soll, daß er schon wieder nicht mehr aussagekräftig ist.Bei dieser Gelegenheit würde ich gerne auch noch auf einige andere Bemerkungen eingehen, Herr Kollege Sauer, die Sie gemacht haben. Sie haben die Möglichkeiten und die Notwendigkeiten angesprochen, das Herder-Jahr 1978 zum Gegenstand von Aktivitäten zu machen. Ich teile Ihre Auffassung. Selbst wenn es uns nicht gelingen wird, die DDR auf diesem Gebiet zu überflügeln, so gibt es hier doch Zeichen für Aktivitäten in diesem Bereich. Der Herder-Forschungsrat wird in diesem Jahr, wie Sie wahrscheinlich wissen, eine Ausstellung veranstalten. Sie wird in Marburg stattfinden und wird voraussichtlich im Frühjahr 1979 auch hier in Bonn zu sehen sein. Das Bundesinnenministerium fördert diese Ausstellung. Das von Ihnen bereits erwähnte West-Ost-Kulturwerk plant für Dezember dieses Jahres eine Herder-Veranstaltung in Bonn. Auch diese Veranstaltung wird vom Bundesinnenministerium gefördert werden.Ich möchte eine weitere Bemerkung von Ihnen, Herr Kollege Sauer, aufgreifen. Sie sagten, daß die kulturelle Breitenarbeit in diesem Bericht einen zu geringen Umfang einnehme. Ich nehme das zur Kenntnis. Ich muß darauf hinweisen, daß es schwierig ist, dièse Arbeit sehr plastisch darzustellen, nicht weil es eben nur wenige großartige, einzeln herausragende Ereignisse gibt, wie schon der Themenbereich sagt, den Sie angesprochen haben, sondern weil es um eine Vielzahl guter Aktivitäten geht. Aber wir wollen Ihre Anregung gerne prüfen und überlegen, ob wir diesen Bereich in zukünftigen Berichten noch mehr ausbauen können.Ich möchte die Gelegenheit der Aussprache über diesen Bericht aber gern doch noch dazu verwenden, einige grundsätzliche Bemerkungen über die Weiterführung der Kulturarbeit zu machen. Die Pflege des ostdeutschen Kulturerbes stellt wegen der Beson-
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Parl. Staatssekretär von Schoelerderheiten dieses Erbes eine Aufgabe von großer Schwierigkeit dar. Diese Besonderheiten bestehen darin, daß der Raum, in dem sich die ostdeutsche Kultur entwickelt hat, verlorengegangen ist und daß die Menschen, die in diesem Raum lebten, nicht zusammenbleiben konnten, sondern weit verstreut wurden. Hier Wege zu finden, wie das ostdeutsche Kulturerbe lebendig erhalten werden kann, wird in erster Linie eine Aufgabe des Kulturbereichs selbst sein müssen. Herr Kollege Wendig hat bereits darauf hingewiesen, daß der Staat in diesem Bereich Aktivitäten nicht organisieren kann, nicht verordnen kann, wie Sie, glaube ich, gesagt haben, sondern daß er nur fördernd, unterstützend eingreifen kann.Unter Berücksichtigung dieser Aufgabenabgrenzung werden in meinem Hause die Möglichkeiten für eine sinnvolle Weiterführung der Kulturarbeit im Vertriebenenbereich neu durchdacht. Diese Überlegungen werden zu gegebener Zeit mit den Ländern und Repräsentanten des Kulturbereichs der- Vertriebenen abzustimmen sein. Solche grundsätzlichen Überlegungen über die künftige Arbeit in diesem Bereich erscheinen mir aus Gründen erforderlich, die ich kurz darstellen will.Die Kulturarbeit im Vertriebenenbereich wurde in der Vergangenheit und wird auch jetzt in erheblichem Umfang von den Angehörigen der Erlebnisgeneration — das ist bereits angesprochen worden — getragen. Diese Erlebnisgeneration hat mit großer Sachkunde, starkem Engagement und weitgehend ehrenamtlich Erstaunliches geleistet, und sie leistet es immer noch. Ohne den Gedanken des Zurücktretens dieser Generation überbetonen zu wollen — darin stimmen wir völlig überein, Herr Kollege Sauer —, werden wir doch, glaube ich, mittel- und längerfristige Überlegungen über die Weiterführung der Kulturarbeit diese Entwicklung, an deren Anfang wir stehen, nicht außer acht lassen können. Es gilt, mit verstärkter staatlicher Hilfe der Gefahr zu begegnen, daß das unabwendbare Abtreten dieser Generation in der Zukunft zu Leistungsverlusten führt.Die Notwendigkeit, die Weiterführung der ostdeutschen Kulturarbeit zu durchdenken, ergibt sich nach meiner Auffassung im übrigen auch daraus, daß die Erfassung und Sicherung des ostdeutschen Kulturerbes inzwischen zu einem gewissen Abschluß gekommen sind, wenngleich auch hier noch manches zu tun bleibt. Für die Zukunft wird es darauf ankommen, verstärktes Gewicht auf eine Auswertung dieses Kulturgutes zu legen. Hier scheinen noch manche Lücken zu bestehen, die systematisch ermittelt und durch gezielt geförderte Vorhaben geschlossen werden sollten. Dieses entspricht auch der Forderung des Innenausschusses, auf überregionale Darstellungen ostdeutscher Kultur besonderes Augenmerk zu richten.Von der Auswertung des ostdeutschen Kulturerbes wird es meines Erachtens ohnedies entscheidend abhängen, ob das Ziel, dieses Kulturerbe in unserem Volk und im Ausland lebendig zu erhalten, erreicht wird. So wird es sicher nicht ausreichen, das Kulturgut lediglich historisch oder museal auszuwerten. Um eine lebendige Kulturarbeit zu leisten und das ostdeutsche Kulturerbe in unsere Gegenwart und Zukunft einzufügen, wird es vielmehr notwendig sein, auf alle neuen Erkenntnisse und Formen einer zeitgemäßen Kulturvermittlung zurückzugreifen. Dabei sollte insbesondere aufgezeigt werden, wie sehr die in den ostdeutschen Landschaften entstandene Kultur mit der gesamten deutschen und europäischen Kultur verflochten ist, um sie aus ihrer bisweilen zu beobachtenden Isolierung herauszuholen.Manche Anzeichen deuten darauf hin, daß unser Volk nach einer „Durststrecke" seine Geschichte und seine Kultur wieder zu entdecken beginnt. Diese Entwicklung bietet die Chance, auch den ostdeutschen Anteil an unserer Kultur wieder stärker in das allgemeine Bewußtsein zu bringen.Große Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der kulturellen Breitenarbeit zu — wir sprachen schon darüber —, deren verstärkte Förderung ja auch im Bericht des Innenausschusses gefordert wird. Die Intensivierung dieser Arbeit erschiene auch mir wünschenswert, wobei ich Breitenarbeit nicht nur auf den landsmannschaftlichen Bereich, sondern gemäß dem Gesetzesauftrag auf möglichst breite Kreise der Bevölkerung erstreckt wissen möchte. Ein Schwerpunkt wird dabei auf die Jugendarbeit zu legen sein — auch darin stimmen wir überein, Herr Kollege Sauer —, damit die Kenntnis des ostdeutschen Kulturgutes sich in künftigen Generationen nicht auf einen kleinen Kreis von Fachleuten beschränkt.Die Bemühungen um eine Verstärkung der kulturellen Breitenarbeit dürfen allerdings nicht dazu führen, daß die Förderung der Kulturwerke eingeschränkt und ihre Arbeitsmöglichkeiten dadurch reduziert werden. Zwar erreichen diese Kulturwerke mit ihrer Arbeit im allgemeinen nicht unmittelbar breite Kreise der Bevölkerung. Eine zu geringe Effektivität des Mitteleinsatzes kann hieraus jedoch nicht hergeleitet werden, da anspruchsvolle Kulturarbeit nicht an den Maßstäben extensiver Wirkung und schnell sichtbarer Erfolge gemessen werden darf. Sie ist auf die Vertiefung des Wissens um das kulturelle Erbe und auf langfristige Wirkung angelegt und verdient daher in gleicher Weise staatliche Förderung wie die kulturelle Breitenarbeit der Verbände. Das muß um so mehr gelten, als die Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Arbeit in großem Umfang auch für die praktische Arbeit der Verbände die Voraussetzungen liefern.Die Arbeit der Kulturwerke und der anderen Kultureinrichtungen der Vertriebenen scheint mir bei entsprechender Ausrichtung im übrigen besonders geeignet, auch den Nichtvertriebenen anzusprechen. Diese Einrichtungen haben daher durchweg auch im allgemeinen Kulturleben Ansehen gewonnen. Durch wissenschaftsgerechte Aufbereitung, wirksame Präsentation und Anlegen strenger Qualitätsmaßstäbe wird dieser Weg, für die ostdeutsche Kultur allgemeines Interesse zu wecken, künftig unvermindert fortzusetzen sein.Ich konnte hier mit der kulturellen Breitenarbeit und der Tätigkeit der Kulturwerke nur einige be-
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6590 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Parl. Staatssekretär von Schoelersonders wichtige Bereiche aus diesem Bericht herausgreifen, die aber schon deutlich machen, wie umfassend die vor uns liegende Aufgabe ist. Unter diesen Umständen sehe ich nur. begrenzte Möglichkeiten, die im Bericht des Innenausschusses geforderte verstärkte Förderung bestimmter Bereiche — wie der Forschung, der kulturellen Breitenarbeit und der Arbeit ostdeutscher Schriftsteller der Gegenwart — allein durch eine Umschichtung der vorhandenen Mittel ohne die Bereitstellung zusätzlicher Mittel zu erreichen.Der in den nächsten Jahren eingeschlagene Weg wird von größter, ja vielleicht entscheidender Bedeutung für die Weiterführung der ostdeutschen Kulturarbeit sein. Um diese schwierige Aufgabe zu lösen, wird es der konstruktiven Zusammenarbeit aller Kräfte bedürfen, die sich der Erhaltung und dem Fortleben des ostdeutschen Kulturerbes verpflichtet fühlen. Viele erfreuliche Anzeichen einer solchen Zusammenarbeit, insbesondere auch im politischen Raum, sind bereits erkennbar. Hierzu gehört auch der sehr zu begrüßende Dialog, der zwischen Parlament und Regierung und zwischen den Fraktionen dieses Hauses in diesem Bereich zustande gekommen ist. Der künftige Zweijahresturnus der Berichterstattung, durch den bereits im nächsten Jahr ein weiterer Bericht vorzulegen sein wird, wird diesen Dialog erfreulicherweise nicht abreißen lassen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1564 unter Ziffer 1, den Bericht der Bundesregierung auf Drucksache 8/586 zustimmend zur Kenntnis zu nehmen, und unter Ziffer 2 die Annahme einer Entschließung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen des Ausschusses sind damit angenommen.
Ich rufe den Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Milz, Lemmrich, Tillmann, Pfeffermann, Straßmeir, Weber (Heidelberg), Dreyer, Dr. Jobst, Haberl, Dr. Waffenschmidt, Hanz, Ziegler, Sick, Frau Hoffmann (Hoya), Würzbach, Dr. Friedmann, Biechele, Dr. Möller, Bühler (Bruchsal) und der Fraktion der CDU/CSU
Bundesfernstraßenbau
— Drucksachen 8/1179, 8/1561 —Berichterstatter: Abgeordneter Topmann
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Er verzichtet. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Milz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hätte es schon gewünscht, daß der Berichterstatter zu diesem Thema ein paar Worte gesagt hätte, und zwar ganz einfach deshalb, weil in dem Bericht selber eine ganze Reihe von Tatsachen unsachlich und unrichtig dargestellt sind, die es zunächst für das Protokoll richtigzustellen gilt. Herr Kollege Topmann, bei der Darstellung des Problems erklären Sie, daß es unser Anliegen sei, die 287 Millionen DM nicht verbauter Straßenbaumittel aus 1977 abzubauen. Dies, Herr Kollege Topmann, trifft nicht zu, weil unser Antrag im Jahre 1977 gestellt worden ist, noch bevor das Jahr zu Ende war. Der Anlaß zu diesem Antrag lag darin, daß nach Aussage der Bundesregierung im Jahre 1976 380 Millionen DM nicht verbaut werden konnten, davon allein 180 Millionen DM in Nordrhein-Westfalen.Ein Zweites ist sachlich falsch. Die antragstellende Fraktion hat zur Frage des Ausbaus der Dringlichkeitsstufe 1 b nicht erklärt, daß sie generell für eine Ausweitung in diesem Bereich sei, sondern sie hat erklärt — das können Sie in der Niederschrift des Ausschusses nachlesen —, daß das nur geschehen solle, wenn so der zügige Abfluß von Straßenbaumitteln gewährleistet werden könne. Dies ist, so meine ich, ein wesentlicher Unterschied,
der meiner Meinung nach zunächst einmal in den Vordergrund einer Richtigstellung gestellt werden muß.Was hat nun die Union zu diesem Antrag veranlaßt? Nicht nur die nicht verbauten Straßenbaumittel aus 1976 und 1977, sondern auch die Tatsache, daß in 1977 der Bundeskanzler erklärte — ich wiederhole das, was ich bei der Einbringung des Antrags gesagt habe —, daß insgesamt 10 Milliarden DM Investitionsmittel nicht abfließen könnten und daß ein erheblicher Teil durch Schwierigkeiten im Bereich des Straßenbaus verursacht sei.
Dies wurde nicht nur vom Bundeskanzler gesagt, sondern auch der hier anwesende Vertreter der Bundesregierung, Herr Staatssekretär Wrede, hat schon im vergangenen Jahr gesagt, daß der Bau von Fernstraßen beispielsweise heute nicht mehr ein Finanzierungsproblem sei, sondern daß unter anderem Planungsprobleme eine große Rolle spielten und daß da die eigentliche Ursache der nicht abfließenden Mittel gesehen werden müsse. Das, Herr Kollege Topmann, sind damals die eigentlichen Gründe für den Antrag gewesen. Ich meine, Sie bestehen angesichts der Tatsache fort, daß auch in Ihrem Bericht zum Ausdruck kommt, daß 1977 287 Millionen DM nicht verbaut werden konnten und davon wiederum 160 Millionen DM in Nordrhein-Westfalen.Diese Tatsache muß uns alle dazu bringen, nach Möglichkeiten zu suchen, die Schwierigkeiten abzubauen. Mit unserem Antrag ist genau gewollt, diesen Schwierigkeiten Herr zu werden, um sicherzustellen, daß die in Aussicht genommenen Straßen auch so ge-
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Milzbaut werden, wie es der Gesetzgeber für richtig gehalten hat.
Ich darf nun zu unserem Antrag kommen und deutlich machen, daß es uns überhaupt nicht darum geht, die Ausbaustufe 1 b insgesamt zu verändern und schon in den Ausbau zu bringen, sondern daß es uns darum geht, die Planung so einzustellen, daß da, wo Maßnahmen der Ausbaustufe 1 a nicht durchgeführt werden können, wie das in Nordrhein-Westfalen nachgewiesenermaßen an vielen Stellen der Fall ist, schon Maßnahmen der Ausbaustufe 1 b in Angriff genommen werden können.
Nun ist in diesem Zusammenhang etwas sehr Interessantes festzustellen. Herr Kollege Ollesch erklärte sowohl im Ausschuß als auch von dieser Stelle, er sei der Auffassung, daß man einer ganzen Reihe von Dingen, die wir hier vorschlagen, zustimmen könne. Ich begrüße dies ganz außerordentlich, Herr Kollege. Er sagte aber, der Veränderung in der Ausbaustufe 1 b könne er unter gar keinen Umständen zustimmen, denn, so erklärte Herr Ollesch, dies dürfe nicht am Parlament vorbei geschehen. Er lege großen Wert darauf, daß die Entscheidung auch über die Ausbaustufe 1 b durch das Parlament getroffen wird. Herr Kollege Ollesch, ich bin ohne Einschränkung Ihrer Auffassung und verweise insofern auf das, was wir im Verkehrsausschuß dazu gesagt haben. Nur, Herr Kollege, wenn Sie sich die Drucksache 0/117 des Bundesministers für Verkehr einmal ansehen, die wir in den letzten Tagen bekommen haben, dann werden Sie dort zur Frage der Ausbaustufe 1 b folgendes zur Kenntnis nehmen müssen. Es heißt:Im Bereich des Bundesfernstraßenbaus sind bisher 78 1-b-Maßnahmen begonnen worden bzw. werden 1978 begonnen. Davon sind 62 Maßnahmen im Programm für Zukunftsinvestitionen enthalten.Herr Kollege Ollesch, dies ist am Parlament vorbei gehandelt und kann unsere Zustimmung nicht finden. Ich hoffe, daß es die Ihre auch nicht findet, und ich hoffe, daß Sie sich mit uns dafür einsetzen, daß das, was der Gesetzgeber seit Beginn dieser Legislaturperiode gewollt hat, nun endlich eingehalten wird und nicht hinter dem Rücken der Abgeordneten so getan wird, als gäbe es die gesetzliche Regelung überhaupt nicht.
Worum es uns also geht, ist, dafür zu sorgen, daß dort, wo Schwierigkeiten auftauchen, diese durch Maßnahmen der Ausbaustufe 1 b beseitigt werden können. Ich betone ausdrücklich: nicht entschieden durch das Verkehrsministerium und den Verkehrsminister, sondern entschieden durch den Verkehrsausschuß und damit durch den Deutschen Bundestag.Ich darf in aller Kürze zu einem weiteren Punkt Stellung nehmen. In diesem Bericht wird so getan, als wollten wir das, was unter „möglicher weiterer Bedarf" eingestuft ist, so behandeln, als ob man jetzt schon Aussagen für das Jahr 2000 und die darauf folgenden Jahre machen könne. Dies ist wiederum eine falsche Annahme. Worum es uns geht, wird nicht zuletzt auch im Bericht irgendwo gesagt. Das, worum es uns geht, ist, eine Überprüfung dieser nicht ganz unproblematischen Eingruppierung „möglicher weiterer Bedarf" vorzunehmen mit dem Ziel, alles das, was in einem überschaubaren Zeitraum erkennbar als nicht notwendig, als nicht realisierungsfähig angesehen werden kann, aus dieser merkwürdigen Stufe herauszunehmen, damit sich dort, wo der Bund — aus welchen Gründen auch immer — nicht tätig werden kann, anstelle des Bundes ein anderer Verkehrsträger Gedanken darüber machen kann, wie man die Probleme bewältigen kann.
Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe von Beispielen — auch wieder aus Nordrhein-Westfalen — bringen, wo dies notwendig ist, wo sogar der Verkehrsminister des Landes Nordrhein-Westfalen darauf wartet, daß sich der Bund entscheidet, damit er selber in eigene Überlegungen eintreten kann. Dies, meine Damen und Herren, sollte doch auch Ihre Zustimmung finden, wenn Sie erstens den Haushalt des Bundes auf Sicht entlasten wollen und zweitens daran interessiert sind, daß eine vernünftige Strukturpolitik in ländlichen Räumen — denn um die handelt es sich in der Regel — möglich ist.Ich möchte abschließend noch zwei Bemerkungen machen: Es wird so getan, als gäbe es die Schwierigkeiten im Verkehrsbereich jetzt nicht mehr. Die Koalition erklärt im Ausschuß: „Es ist alles schon geschehen; es braucht diesen Antrag nicht mehr. Die Regierung hat in hervorragender Weise gehandelt."
Wenn Sie sich einmal die „Rheinische Post" von heute zu Gemüte führen, dann werden Sie feststellen müssen, daß das, was die Koalition im Ausschuß gesagt hat, nicht zutrifft. In einem Bericht dieser Zeitung kommt zum Ausdruck, daß nach Meinung der Staatssekretäre — ein Staatssekretärausschuß hat sich mit den nicht abfließenden Investitionsmitteln beschäftigt — und auch nach Meinung des Wirtschaftsministers im Bereich des Verkehrsministers der größte Teil der Mittel blockiert sei und daß allein 2 Milliarden DM für den Bau von Bundesfernstraßen nicht abfließen könnten.Wenn dies so ist, so zeigt das ganz deutlich, daß sich das Parlament Gedanken darüber machen muß, wie man diese Mittel flüssiger bekommt, als das jetzt der Fall ist,
nicht etwa nur, um damit eine vernünftige Strukturpolitik sicherzustellen, sondern auch deshalb, um einen Beitrag zum Abbau unerträglich hoher Arbeitslosenzahlen im Bereich der Tiefbauwirtschaft zu leisten.
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MHz— Natürlich nicht, Herr Kollege Hoffie. Bundesfernstraßenbau ist nicht mit der Gießkanne zu betreiben, sondern Bundesfernstraßenbau ist immer eine ganz gezielte Maßnahme. Ihr Hinweis mag zwar an anderer Stelle sehr zutreffend sein, hier jedoch, so meine ich, trifft er die Situation überhaupt nicht.
Die Union hat mit diesem Antrag den Versuch unternommen, einen Beitrag zu leisten, die Verkehrspolitik wieder in vernünftige Bahnen zu bringen. Sie hat den Versuch unternommen, der Bundesregierung etwas Hilfestellung zu leisten, aber nicht darin Aprilscherze zu produzieren und fantastische Gebilde aufzuzeigen, wie man die Bundesbahn sanieren kann, sondern darin, auch wieder mit beiden Beinen auf die Erde zu kommen und eine Politik zu machen, die wir alle miteinander vertreten können.Ich lade Sie ein, diesem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Topmann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach Beratung des Oppositionsantrags im Plenum und im Fachausschuß des Deutschen Bundestages kann, so meine ich, vorab festgestellt werden, daß die Antragsteller erstens von falschen Voraussetzungen ausgegangen sind,
zweitens in wesentlichen Teilen ihres Antrags Forderungen gestellt haben, die mit dem Gesetz über den Ausbau der Bundesfernstraßen nicht in Einklang zu bringen sind,
drittens, soweit es die wesentliche Forderung des Punktes 2 angeht, einen falschen Adressaten gewählt und viertens Forderungen an die Bundesregierung gestellt haben, die diese zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt, d. h. vor Einbringung des Antrags, bereits im Sinne der Antragsteller erledigt bzw. einer Erledigung zugeführt hatte.
— Herr Schulte, ich weiß, es fällt Ihnen ab und zu schwer, differenzierte Dinge zu verstehen. Aber vielleicht bemühen Sie sich jetzt, mir zuzuhören.
Der Abgeordnete Milz hat vor dem Deutschen Bundestag am 8. Dezember 1977 für die CDU/CSU ausgeführt, der Antrag sei u. a. deshalb gestellt worden, weil man davon ausgegangen sei, daß es im Bereich des Straßenbaus inzwischen zu einem Investitionstau zwischen 10 und 15 Milliarden DM gekommen sei.
Das würde bedeuten — das wäre ja wohl die logische Schlußfolgerung, Herr Kollege Milz —, daß Mittel für den Straßenbau beim Bund, bei den Ländern und den Gemeinden in den zurückliegenden
Jahren in dieser Höhe nicht hätten verbaut werden können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich gestatte die Zwischenfrage aus zweierlei Gründen nicht, erstens —
Herr Abgeordneter, Sie brauchen es nicht zu begründen.
Ich tue es aber, Herr Präsident. Erstens bin ich in Sachen Zeit ein gebranntes Kind. Zweitens, meine Herren von der Opposition, bitte ich, mir als Neuling wie Ihrem großen Vorsitzenden heute morgen die gleiche Gelegenheit einzuräumen, die Dinge folgerichtig weiterzuführen, zumal wir beide aus der Provinz kommen und, wie gesagt, in der Tat hier Neulinge sind und insofern auch entsprechende Berücksichtigung finden sollten.
Richtig ist jedoch, daß es per 31. Dezember 1977 einen Investitionsmittelstau im Bereich des Baus und des Ausbaus von Bundesfernstraßen in einer Höhe von 281 Millionen DM gab. Das bedeutet einen Überhang von 5,2 % am Jahresende im Verhältnis zu den eingeplanten Mitteln.
— Das sind die Zahlen, um die Sie sich auch einmal bemühen sollten. — Dabei muß vernünftigerweise einbezogen werden, daß der Überhang am Ende des Jahres 1976
176 Millionen DM
— gleich 3,5 °/o der eingeplanten Mittel — betrug, die logischerweise im Jahre 1977 zusätzlich zu den eingeplanten Mitteln verbaut werden mußten. Natürlich ist es so. Alles in allem ist es also im Jahr 1977 zu einem echten Überhang in Höhe von 100 Millionen DM gekommen.Aus der Rückschau der Jahre 1971 bis 1975, also der Jahre des ersten Fünfjahresplans, ist zu sagen, daß es auch dort beispielsweise im Jahre 1973 einen Überhang im Bereich des Bundesfernstraßenbaus in Höhe von 257 Millionen DM — gleich 4,9 % der eingeplanten Mittel — gegeben hat, der im Jahr danach, 1974, auf 104 Millionen DM zurückgeführt werden konnte. Kriterium für eine Beurteilung sollte deshalb nicht ein einzelnes Jahr, sondern eine Mehrjahresbilanz sein,
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Topmanndie, zumindest was den ersten Fünfjahresplan angeht, doch mit einem hervorragenden Ergebnis abgeschlossen werden konnte. Von den 29,5 Milliarden DM zur Verfügung gestellten Mitteln sind 29,4 Milliarden DM ausgegeben worden.
— Herr Milz, Sie sollten beispielsweise in Ihre Überlegungen einfließen lassen, daß ein verregneter Oktober oder November die ganze Sache in diesem oder jenem Land bereits um 100 Millionen DM zurückwerfen kann. Das ist doch die Situation, um die es geht.
Ich meine, daß dies ein deutlicher Beweis für die Flexibilität ist, mit der die Bundesregierung und hier insonderheit der Bundesverkehrsminister
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den zugegebenermaßen dann und wann aufgekommenen Schwierigkeiten begegnet ist.
Damit dürfte klar herausgestellt worden sein, daß Sie bei Ihrem Antrag von falschen Voraussetzungen ausgegangen sind, daß Sie nämlich nicht unterschieden haben zwischen dem Investitionsmittelstau und dem Projektstau. Herr Milz, das sollten Sie inzwischen gelernt haben.In Punkt 1 Ihres Antrages fordern Sie die Bundesregierung auf, abweichend vom Gesetz über den Ausbau der Bundesfernstraßen die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß nach Abstimmung mit den 'Bundesländern auch Projekte der Dringlichkeitsstufe 1 b in Angriff genommen werden. Damit greifen Sie eine Forderung des Bundesrates aus dem Jahre 1976 auf, die zum Inhalt hatte, daß in begründeten Ausnahmefällen Straßenbauprojekte auch unabhängig von der Dringlichkeitsbewertung im Bedarfsplan in die jährlichen Straßenbaupläne aufgenommen werden können.Diesen Vorschlag hat im Jahre 1976, wie ich soeben ausgeführt habe, bei gleichen Voraussetzungen der Verkehrsausschuß einmütig zurückgewiesen. Er hat sich demgegenüber dem Regierungsentwurf angeschlossen, der Abweichungen nur bei, unvorhergesehenem Verkehrsbedarf insbesondere auf Grund einer Änderung der Verkehrsstrukturen gemäß § 6 des Gesetzes über den Ausbau der Bundesfernstraßen zuläßt. Die Bundesregierung würde also, falls sie aus den von Ihnen genannten Gründen, Herr Milz, Projekte der Dringlichkeitsstufe 1 b vorziehen würde, gegen das vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz verstoßen.Nun ist es allerdings richtig, daß Sie, Herr Milz, als Vertreter der Opposition im Ausschuß für Verkehr und für das Post-,und Fernmeldewesen und auch heute wieder auf diesen meinen Einwand hin erwidert haben, daß mit dem „Inangriffnehmen" nicht bereits der Beginn der Ausführung einer solchenMaßnahme gemeint sei. Daraufhin kann ich Ihnen nur erklären, daß es unumstritten ist, daß die Länderregierungen bzw. die für sie handelnden Straßenbauämter in die Planungen für die Maßnahmen der Dringlichkeitsstufe 1 b eintreten können, so daß es hierzu überhaupt keiner weiteren Aufforderung durch die Bundesregierung bedarf.Wie wenig, meine Herren von der Opposition, es Ihrer Aufforderung an die Bundesregierung nach mehr Flexibilität im Bundesfernstraßenbau bedurfte, geht — und das lassen Sie sich in diesem Zusammenhang sagen — nicht zuletzt aus dem Umstand hervor, daß die Bundesregierung die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, daß die Fortschreibung des Bundesfernstraßenausbauplans nicht erst zum 1. 1. 1981, sondern bereits zum 1. 1. 1980, vorgelegt wird. Das bedeutet doch, daß unter Wahrung der Prioritäten, aber auch der Möglichkeiten eines zügigen 'Weiterbaus die ,gesetzlich einwandfreien Voraussetzungen für einen zügigen Mittelabfluß geschaffen werden.
Ich glaube, wir sind uns miteinander einig in der Meinung, daß es nicht in erster Linie darum geht, unter allen Umständen die zur Verfügung stehenden Mittel zu verbauen, sondern sie so zu verbauen, daß auch die Priorität der Dringlichkeit der einzelnen Maßnahmen und damit der Gesichtspunkt der Netzgeschlossenheit im Fernstraßenbau gewahrt bleibt.
Meine Damen, meine Herren von der Opposition, Ihre Forderung unter Punkt 2 müßte eigentlich an die Landesregierungen gerichtet werden. Die Bundesregierung ist hier ganz offensichtlich der falsche Adressat.
Ich glaube, daß Ihre politischen Freunde, die baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Frey und Ilch aus dem Kreise Göppingen — also aus Ihrer Umgebung, Herr Dr. Schulte — das sehr viel besser als Sie erkannt haben. Sie sind in einer Anfrage an die dafür zuständige Landesregierung der Frage nachgegangen, wie die Landesregierung die Möglichkeiten beurteile, durch Bildung von Personalschwerpunkten darauf hinzuwirken, daß ein Planungsvorlauf entsteht, der es ermöglicht, vorgesehene, aber aus Gründen der Planfeststellung noch nicht durchführbare Straßenbaumaßnahmen durch andere zu ersetzen. Herr Milz, nehmen Sie Nachhilfeunterricht bei den Kollegen Frey und Ilch aus dem baden-württembergischen Landesparlament.
Ohne die Antwort der baden-württembergischen Landesregierung zu kennen, weiß ich, daß diese Frage ihren richtigen Adressaten gefunden hat.
Dort, wo die Bundesregierung indirekt gefordert ist,hat sie wiederum schnell gehandelt. Ich spreche da-
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Topmannmit die notwendige Verrechtlichung des Lärmschutzes an, bei der die Bundesregierung binnen weniger Wochen den Entwurf eines Lärmschutzgesetzes verabschiedet und dem Bundesrat zugeleitet hat. Sie wissen doch genau wie wir, meine Herren von der Opposition, daß es nicht der Bundesregierung angelastet werden kann, daß eine von ihr bereits im Jahre 1977 erarbeitete Lärmschutzverordnung nicht längst Rechtskraft erlangt hat.
— Natürlich ist das das Thema. Verstehen Sie den den Antrag Ihrer Freunde nicht? Lesen Sie den einmal nach. Ich gebe Ihnen anschließend Nachhilfeunterricht.
Schließlich ist es im Zuge der Beratungen dieses Antrages für alle recht offenkundig geworden, daß die Bundesregierung bereits vor Eingang Ihres Antrages in Sachen Ihrer Forderung unter Punkt 3 tätig geworden ist. Abgesehen davon, daß diese Problemstellungen schon mit den Länderregierungen erörtert worden sind, wird es bei der Fortschreibung des Bundesfernstraßenausbauplans darauf ankommen, auch und gerade diese Punkte in sinnvoller Weise miteinzubeziehen.Zu Punkt 4 ist zu sagen, daß Sie im wesentlichen nur das wiederholen, was in der Ausschußdebatte zu Drucksache 7/5090 im April 1976 im Ausschuß für Verkehr, Post und Fernmeldewesen bereits einmütig festgelegt worden ist. Damals ist festgestellt worden, daß es erforderlich sei, auch Maßnahmen der Dringlichkeitsstufe 2 im weiteren zu überprüfen und sie nicht von vornherein von der Überprüfung auszuschließen.Die Bundesregierung hat zu keinem Zeitpunkt Zweifel daran aufkommen lassen, daß sie diesen Antrag des Fachausschusses ernst nimmt und daß sie ihrerseits im Einvernehmen und in Zusammenarbeit mit den Länderregierungen dafür Sorge trägt, daß die Überprüfungen der Maßnahmen aus dem Bereich des möglichen weiteren Bedarfs mit in die Fortschreibung des Ausbauplans für die Bundesfernstraßen einfließen.
Ich nehme an, meine Herren von der Opposition, daß Sie mit uns der Auffassung sind, daß eine solche Überprüfung losgelöst von der Fortschreibung dieses Bedarfsplans, die um ein Jahr vorgezogen werden wird, nicht erfolgen kann.Die Forderung der Opposition unter Punkt 5 ist so allgemein gehalten und in sich so selbstverständlich, daß es sich erübrigt, auf sie noch einmal näher einzugehen, zumal Sie doch sicherlich mit uns der Auffassung sind, daß die Bundesregierung in den zurückliegenden Jahren diese Ihre Forderung bereits zum Maßstab ihres Handelns gemacht hat. Nur so ist es doch zu erklären, daß im Rahmen des Programms für Zukunftsinvestitionen kurzfristige strukturpolitische Sonderaktivitäten auf diesem Gebiet entwickelt worden sind, die bereits in die Haushalte 1-977 und 1978 voll eingeflossen sind bzw. in den Haushalt 1979 einfließen werden.Meine Herren, weil Ihr Antrag von falschen Voraussetzungen ausgeht, bestehende gesetzliche Bestimmungen ignoriert, zumindest in einem Punkt einen falschen Adressaten gewählt hat und im übrigen nur noch etwas nachzuvollziehen
beabsichtigt, was die Bundesregierung längst vollzogen hat, sehen wir uns außerstande, Ihrem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollesch.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Kollegen von der Opposition, ich möchte zunächst eine Feststellung treffen. Es ist nicht so, daß die Koalitionsfraktionen Ihre Anträge nicht ernst nähmen, wenn auch gelegentlich der Eindruck entstehen mag, weil wir viele Ihrer Anträge abgelehnt haben. Aber auch die Regierung nimmt Ihre Anträge ernst; denn immerhin ist die gesamte politische Führungsspitze des Verkehrsministeriums heute bei der Behandlung dieses Tagesordnungspunktes anwesend. Das soll doch einmal lobend vermerkt werden. Ich habe das auch mit Blick auf das Protokoll gesagt.Ich habe mich als Vertreter der Freien Demokraten bei der Behandlung Ihres Antrages ein bißchen schwergetan. Er ist nämlich gar nicht so unvernünftig
— global betrachtet —, und wir haben ihn ja auch nicht schlicht und einfach abgelehnt. Wir haben immerhin vier Punkte Ihres Antrags für sehr vernünftig gehalten. Nur waren wir der Meinung; man brauche sie nicht erst erneut zu beschließen und als Auftrag an die Regierung zur Beachtung weiterzuleiten; denn die Regierung konnte glaubhaft versichern, daß sie alle diese Maßnahmen, die Sie fordern, schon eingeleitet hat oder im Begriff ist, sie einzuleiten.
Sie hat ja auch Daten bekanntgegeben, nach denen das Ende der Untersuchung abzusehen ist. Dann wird sicherlich ein Bericht über die Bemühungen der Bundesregierung vorgelegt, für einen beschleunigten Mittelabfluß durch vielerlei Maßnahmen zu sorgen, die größtenteils in die Länderkompetenz fallen. Ich bin davon überzeugt, daß das geschehen wird.Nun habe ich damals gleich in der ersten Lesung, aber auch im Auschuß erklärt, daß ich Ihrem Wunsch — Punkt 1 Ihres Antrags —, nach Abstimmung des Verkehrsministers mit den Bundesländern Umstufungen von 1 b nach 1 a vorzunehmen, so global nicht folgen könne;
denn der Anhang des Gesetzes zum Bundesfernstraßenbau bis 1985 ist ja Teil des Gesetzes. Danachist zu verfahren. Nun haben wir ja selbst dafür ge-
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Olleschsorgt, daß Umstufungen vorgenommen wurden — wenn ich z. B. an die A 7 denke —, vom Parlament initiiert und von allen einstimmig beschlossen.Sie haben recht, Herr Milz, wenn Sie sagen: Wenn man die Antworten der Bundesregierung auf die Fragen des Ausschußvorsitzenden einmal zur Hand nimmt, stellt man fest, daß 78 Umstufungen vorgenommen wurden. Davon sind 62 Maßnahmen im Programm für Zukunftsinvestitionen enthalten. Wir haben diesem Programm damals zugestimmt. Allerdings war aus dem Programm nicht ersichtlich, daß Umstufungen von 1 b nach 1 a vorgenommen würden. Herr Milz, ich darf Ihnen und dem Parlament ganz offen sagen: Diese Antwort stellt mich nicht zufrieden; denn das hätte ich gern gewußt.
Die Verweisung auf das Programm für Zukunftsinvestitionen ist sicherlich zu begrüßen, aber wenig hilfreich; denn auch nach eingehendem Studium der Straßenbaumaßnahmen war es mir nicht möglich — vielleicht hätte ich eine sehr große Straßenkarte zur Hand nehmen müssen —, die einzelnen Punkte zu bestimmen, wo das geschehen ist oder geschieht. Ich erwarte — das ist mein Wunsch an das Ministerium —, daß bei solchen Umstufungen das Parlament bzw. der Ausschuß gefragt und unterrichtet wird. Sicherlich werden wir bei der gemeinsamen Auffassung, daß im Straßenbau kontinuierlich beschäftigt werden sollte, solchen Vorschlägen auch nicht die Zustimmung versagen. Nur, daß das so global mit den Ländern erfolgt, sehe ich nicht so gern. Sie haben das nachher in den Ausschußberatungen zwar etwas differenziert. Aber der Text des Antrags sagt schlicht und einfach: der Minister kann das in Absprache mit den Ländern, ohne Einschaltung des Parlaments und des Ausschusses. Da kann ich nur sagen: Ich kenne einige 1-b-Maßnahmen, die ich für überflüssig halte. Vielleicht ist das nicht die allgemeine Meinung, aber darüber muß man sich dann im einzelnen unterhalten: wo man höherstuft und wo man es sein läßt. Daher war ich der Meinung, der Punkt 1 könne so nicht akzeptiert werden.Nun zu Punkt 4!-Es ist schwierig, den weiteren Bedarf schon verbindlich festzulegen. Denn nach unseren früheren Finanzüberlegungen wäre der weitere Bedarf erst nach dem Jahre 2000 realisiert. Nun, von 1978 bis zum Jahre 2000 ist eine Zeitspanne, in der so viele Veränderungen im Verkehrsgefüge eintreten können, daß man da verbindlich nichts festlegen kann. Nur, Herr Milz, ich stimme Ihnen zu, man kann bei einigen Straßen, die als weiterer möglicher Bedarf eingestuft sind, schon heute sagen: Die streicht, raus damit aus dem Plan!,
damit die Gemeinden wieder planen können, ohne auf solche in die Zukunft gerichteten Vorplanungen Rücksicht nehmen zu müssen. Man sollte also nicht verbindlich festlegen, was gebaut wird, sondern verbindlich festlegen, was nicht gebaut werden wird. Das sind weniger als die, die sicherlich bleiben, aber auch das wäre schon eine sehr gute Tat.Nun gibt es ja die Überprüfung, die Netzuntersuchung — das ist vom Verkehrsministerium zugesichert —, die bis Ende 1978 abgeschlossen sein soll. In diese Untersuchung werden natürlich die Einstufungen mit einbezogen und dann korrigiert werden, und zwar mit unserer Zustimmung, nehme ich an. Denn ich bin der Auffassung, daß wir hier gefragt werden sollten, wie es das Gesetz vorschreibt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Milz?
Ja, bitte.
Herr Kollege Ollesch, sind Sie mit mir der Meinung, daß es bei der Überprüfung der Ausbaustufen zukünftig nicht dabei bleiben darf, daß nur die Ausbaustufe 1 a unsere Aufmerksamkeit hat, sondern daß in unseren Beschlüssen auch die Ausbaustufe 1 b und das, was unter „möglicher weiterer Bedarf" läuft, fixiert werden sollte?
Herr Kollege Milz, ich meine, ich hätte gerade ausgeführt, in welchem Umfange das vorzusehen ist.
Sie gestatten noch eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Ollesch, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß bei der letzten Überprüfung den Verkehrsausschuß im wesentlichen nur die Ausbaustufe 1 a beschäftigt hat und die beiden anderen Ausbaustufen nicht Gegenstand der Beratungen im Ausschuß waren?
Herr Kollege Milz, da stimme ich Ihnen zu. Das ist erklärlich. Wir hatten damals Schwierigkeiten, die Ausbaustufe 1 a zu finanzieren. Wir haben Veränderungen immer nur vorgenommen im Austausch gegen in die Dringlichkeitsstufe 1 a eingereihte Projekte. Nachdem wir jetzt aber feststellen, daß der Mittelabfluß gar nicht so zügig ist, Herr Kollege Milz, bin ich Ihrer Auffassung. Hier liegt für uns eine Aufgabe. Ich denke, daß wir uns um die Jahreswende 1978/79 ohne finanziellen Zwang, sehr gelassen über die notwendigen Projekte der Zukunft unterhalten können.
Ich sagte damals schon, der Antrag enthält viele positive Komponenten. Die sehen wir in den Koalitionsfraktionen als erfüllt an durch die Maßnahmen der Bundesregierung. Von daher halten wir diese Punkte für erledigt. Für den ersten und den letzten Punkt konnten wir und können wir heute nicht die ungeteilte Zustimmung geben. Deshalb lehnen wir diese beiden Punkte ab. Da Sie aber auf der Annahme Ihres gesamten Antrages bestehen, müssen wir den Antrag insgesamt ablehnen. Das ist nicht schädlich, weil die positiven Momente ohnehin in die Tat umgesetzt werden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
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6596 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978
Vizepräsident Frau RengerWir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1561, den Antrag auf Drucksache 8/1179 abzulehnen. Wer dem zuzustimmmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. —Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit Mehrheit entsprochen worden.Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Bodennutzungs- und Ernteerhebung— Drucksache 8/1616 —Das Wort wird offensichtlich nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie an den Innenausschuß — mitberatend — vor. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1978hier: Einzelplan 15 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit —— Drucksachen 8/1458, 8/1587 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau SimonisAuch hierzu wird das Wort nicht begehrt.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1587, den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Drucksache 8/1458 für erledigt zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? -- Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1978hier: Haushaltsgesetz 1978— Drucksachen 8/1480 , 8/1589 —Berichterstatter: Abgeordneter LöfflerAbgeordneter HoppeDas Wort wird nicht begehrt.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1589 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Ausschußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungHaushaltsführung 1977hier: überplanmäßige Haushaltsausgaben bei Kap. 11 13 Tit. 656 03 — Zuschuß des Bundes an die Knappschaftliche Rentenversicherung— Drucksachen 8/1289, 8/1627 —Berichterstatter: Abgeordneter Prinz zu SaynWittgenstein-HohensteinDer Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1627, die Unterrichtung durch die Bundesregierung gemäß § 37 Abs. 4 der Bundeshaushaltsordnung entsprechend der Vorlage 8/1289 zur Kenntnis zu nehmen. — Das Haus ist damit einverstanden, da sich kein Widerspruch erhebt. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der FinanzenVeräußerung des „General-von-Steuben-Hotels" an die Stadt Wiesbaden— Drucksachen 8/1442, 8/1626 — Berichterstatter: Abgeordneter GrobeckerDer Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1626, die Einwilligung zu der Veräußerung der in der Drucksache 8/1442 genannten Liegenschaft zu erteilen. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist einstimmig so beschlossen. Ich danke Ihnen.Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungUNESCO-Empfehlung über die Teilnahme und Mitwirkung aller Bevölkerungsschichten am kulturellen Leben— Drucksachen 8/1287, 8/1604 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Nöbel,Abgeordneter BrollAuch hierzu wird das Wort nicht begehrt.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 8/1604 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:Beratung der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksache 8/1631 —Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft. — Dem wird nicht widersprochen. Es ist einstimmig so angenommen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. April 1978 6597
Vizepräsident Frau RengerIch rufe die Punkte 17 und 18 der Tagesordnung auf:17. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zumVorschlag einer Richtlinie des Rates zur fünften Änderung der Richtlinie 73/241/ EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für zur Ernährung bestimmte Kakao- und Schokoladenerzeugnisse— Drucksachen 8/1435 Nr. 48, 8/1618 — Berichterstatter: Abgeordneter Spitzmüller18. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungMitteilung der Kommission an den Rat über einen Aktionsplan der Gemeinschaft auf dem Gebiet der radioaktiven Abfallstoffe— Drucksachen 8/1078, 8/1629 — Berichterstatter: Abgeordneter Volmer Abgeordneter Schäfer
Auch hier wird das Wort von den Berichterstattern und in der Aussprache nicht begehrt.Ich glaube, wir können über beide Punkte gemeinsam abstimmen. — Ich höre keinen Widerspruch.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung der Ausschüsse auf den Drucksachen 8/1618 und 8/1629. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung auf Freitag, den 14. April 1978, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.