Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Auf der Diplomatentribüne hat eine Delegation des spanischen Parlaments unter dem Vorsitz des Präsidenten, Alvarez de Miranda, Platz genommen.
Ich möchte die Mitglieder des spanischen Parlaments auf das herzlichste begrüßen. Sie erwidern einen Besuch, den eine Delegation des Deutschen Bundestages im vergangenen Jahr dem spanischen Parlament abgestattet hat. Wir sind besonders froh darüber, daß die spanische Parlamentsdelegation auch Berlin einen Besuch abstatten wird.
Wir wünschen unseren spanischen Gästen einen schönen Aufenthalt in Deutschland.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich noch eine weitere — etwas ungewöhnliche — Mitteilung machen. Wir nehmen heute Abschied von einem Mitarbeiter, der seit dem 2. September 1949 während aller Legislaturperioden der Verwaltung des Deutschen Bundestages angehört hat und am 31. März dieses Jahres in den Ruhestand tritt. Amtsinspektor Toni Meller leistet heute zum letzten Mal Dienst als Platzmeister im Deutschen Bundestag.
Er gehört zu den wenigen, die sich — außer den Abgeordneten — hier im Saale frei bewegen dürfen. Sein Rat hat vielen Abgeordneten über die Jahrzehnte hinweg zur Verfügung gestanden. Als Mitbegründer und aktives Mitglied des Männerchores des Deutschen Bundestages hat er im Inland und Ausland viele Freunde gewonnen. Ich spreche Ihnen, Herr Meller, den Dank des Bundestages aus und wünsche Ihnen eine gute Zeit auch für die Zukunft. .
Amtliche Mitteilung ohne Verlesung
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat mit Schreiben vom 6. März 1978 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Hüsch, Dr. Hoffacker, Rühe, Frau Fischer, Werner, Dr. Köhler , Wawrzik, Francke (Hamburg), Josten, Stommel, Dr. Aigner, Höffkes, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Klein (München), Dr. Langguth und der Fraktion der CDU/CSU betr. Einsatz des Instruments „Genossenschaft" bei Projekten, die mit Mitteln der Entwicklungshilfe finanziert werden — Drucksache 8/1566 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/1633 verteilt.
Ich rufe nunmehr Punkt 2 der Tageordnung aüf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der
SPD, FDP Fahndung Wohnung Erftstadt-Liblar
— Drucksache 8/1617
Wünscht einer der Antragsteller das Wort? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Wernitz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen von SPD und FDP haben im Bundestag den folgenden Antrag eingebracht:Die Bundesregierung wird ersucht,dem Deutschen Bundestag einen Bericht über die Erkenntnisse zu geben, die im Zusammenhang mit dem Hinweis vom 7. September 1977 auf die Wohnung Erftstadt-Liblar, Zum Renngraben 8, im Bereich des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen gewonnen worden sind.Für die Koalitionsfraktionen darf ich diesen Antrag näher begründen.Tatsache ist zunächst, daß es schwere und verhängnisvolle Pannen im Zuge der Fahndung nach den Schleyer-Entführern und -Mördern gegeben hat. Fest steht, daß ein Hinweis vom 7. September 1977 auf . die Wohnung in Erftstadt-Liblar im Organisationsgeflecht hängengeblieben, in jedem Falle aber nicht so ausgewertet worden ist, wie es erforderlich gewesen wäre, um diese heiße Spur als solche rechtzeitig zu erkennen und aufzunehmen.Heute kann als sicher gelten, daß Hanns Martin Schleyer in dieser Wohnung für mehrere Tage nach seiner Entführung durch die Terroristen festgehalten wurde. Die heiße Spur dieser Tage blieb aber kalt. Die mögliche Chance zur Rettung Schleyers blieb infolge der Pannen im Verborgenen und konnte deshalb nicht wahrgenommen werden. Diese Erkenntnis hat uns alle tief betroffen.Meine Damen und Herren, es ist unbestritten, daß alles getan werden muß, um rückhaltlos aufzuklären, wie es zu den Vorgängen um den Hinweis auf die Wohnung in Erftstadt-Liblar kam. Die Aufklärung dieses Sachverhalts wurde nach einem ersten vom Bundeskriminalamt und vom Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen zusammengestellten und dem
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6336 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Dr. WernitzInnenausschuß am 8. März 1978 vorgelegten Bericht bereits im Februar 1978 eingeleitet. Der Innenausschuß des Bundestages hat sich in zwei Sitzungen vom 8. und 15. März intensiv bemüht, zur Aufklärung des Geschehens beizutragen. Im gleichen Sinne ist im Lande Nordrhein-Westfalen der dortige Innenausschuß tätig geworden.Nach unserer Auffassung haben die Vorarbeiten zur Aufklärung des Sachverhalts einen Zwischenstand erreicht, bei dem es geboten erscheint, die Bundesregierung aufzufordern, dem Parlament als Ganzem in Kürze einen umfassenden Bericht vorzulegen.Die Koalitionsfraktionen begrüßen, daß es der Bundesregierung und der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen gelungen ist, in unserem früheren Kollegen und vormaligen Bundesinnenminister Hermann Höcherl eine unabhängige und sachkundige Persönlichkeit zu finden, die sich der schwierigen Aufgabe unterzieht, diese Prüfung aller verfügbaren einschlägigen Unterlagen im Bundes- und im Landesbereich vorzunehmen und damit die Vorlage eines entsprechenden objektiven und umfassenden Prüfungsberichts zu ermöglichen.
Dieser Bericht, der dem Hohen Hause vorgelegt werden soll, muß und wird Anlaß sein, auch über die notwendigen Konsequenzen und Schlußfolgerungen zu sprechen. Dementsprechend soll der Beauftragte auch Vorschläge machen, die er — ungeachtet der derzeitigen Zuständigkeitsverteilung — auf Grund seiner Feststellungen zum besseren Einsatz der staatlichen Mittel bei der Terrorismusbekämpfung für notwendig hält.Wir möchten Herrn Höcherl aufrichtig dafür danken, daß er sich bereit erklärt hat, diesen Auftrag zu übernehmen, dies um so mehr, als er jahrzehntelang parlamentarische Praxis und zugleich vieljährige Erfahrung als Bundesminister in verschiedenen Ressorts in einer Person vereinigt.Die Bundesregierung und die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen haben Herrn Höcherl als dem Beauftragten erklärt, daß beide Regierungen zur Unterstützung seiner Arbeit Beamte zur Verfügung stellen werden, die für die Dauer ihrer Tätigkeit im Rahmen dieses Auftrages von ihren sonstigen Aufgaben und von ihrer Weisungsgebundenheit freigestellt werden. Beide Regierungen sind auch für andere Vorschläge bei der Auswahl der Beamten offen, die Herrn Höcherl in der Durchführung seines Auftrags unterstützen sollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Ruhe und Aufmerksamkeit für den Redner.
Vielen Dank!Die beteiligten Regierungen werden die ihnen unterstellten Behörden und Beschäftigten anweisen, dem Beauftragten alle im Rahmen des Auftrags benötigten mündlichen und schriftlichen Auskünfte zuerteilen, und Unterlagen zur Verfügung stellen. Die zur Durchführung der Untersuchung erforderlichen Absprachen und Maßnahmen treffen der Bundesminister des Innern und der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen.Meine Damen und Herren, wir alle in diesem Hause und darüber hinaus in Bund und Land müssen die Klärung der Ermittlungsspannen bei der Behandlung der Hinweise auf die Wohnung in Erftstadt-Liblar — was oder wer dort versagt hat, wie es der Bundeskanzler vor einer Woche hier formulierte - sehr ernst nehmen. Dies sind wir dem Opfer des Terroranschlags, Hanns Martin Schleyer, und seinen Angehörigen schuldig, denen dies alles zusätzliche Bitterkeit und Schmerz zugefügt hat. Wir sind dies aber auch den anderen Opfern des Terrors, den ermordeten Polizeibeamten und dem ermordeten Fahrer, und allen Angehörigen schuldig.Mit uns erwartet aber auch eine geschockte Öffentlichkeit, daß die komplette Mängelliste der möglichen Struktur-, Organisations-, Kommunikations-und Personaldefekte aufgelegt wird. Wir erwarten eine schonungslose Klärung des gesamten Vorgangs.Dabei geht es u. a. um folgende Fragen: Welche Mängel gab es bei der Organisation der Informationsstränge? Sind Pannen auf Koordinierungsfehler zwischen den Polizeien von Bund und Land zurückzuführen? Wer war verantwortlich dafür, daß wichtige Informationen nicht an die richtige Adresse und damit nicht rechtzeitig in den Computer gekommen sind?In erster Linie gilt es, die notwendigen und möglichen sachlichen Konsequenzen zu ziehen. Obenan steht die grundsätzliche Frage, ob das elektronische Informations- und Kommunikationssystem der deutschen Polizei in seiner derzeitigen föderativen Struktur nicht zu Hemmnissen und Fehlergefahren führt, die bei einem Ausbau des Bundeskriminalamts zu einer Zentralstelle für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen und für die Kriminalpolizei besser als bisher vermieden werden könnten.Die fraglichen Ermittlungspannen könnten und sollten bei Bund und Ländern, bei allen Parteien bzw. Fraktionen und allen Verantwortlichen zusätzliche Impulse geben, die Vereinheitlichung der polizeilichen Computer-Systeme voranzubringen. Die Pannen im Fall Schleyer haben keinen Anlaß gegeben, an der Bedeutung des Computers in der Polizeiarbeit zu zweifeln. Im Gegenteil, gerade die Eingabe des Hinweises aus dem fraglichen Fernschreiben in das PIOS-System hätte zu dem Namen der Mieterin und der Wohnung in Erftstadt-Liblar geführt. So stellt sich die Frage nicht nur nach dem durchgehenden Meldestrang, sondern auch danach, ob nicht in derartigen Fällen der Computer näher an die Basis herabgezogen werden müßte.Nach dem bisherigen Erkenntnisstand hat es im konkreten Fall Koordinationsschwierigkeiten, unklare Kompetenzverteilungen bzw. Umpolungen im Funktions- und Meldebereich gegeben, die aber noch der vollständigen Aufhellung bedürfen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6337
Dr. WernitzEs ist wohl eine berechtigte Frage, ob die Fülle der Organisationseinheiten und Einsatzleitungen nicht auch zur Minderung der Effektivität der Fahndungsarbeit mit beigetragen hat.In dem Fragenkatalog muß natürlich auch die Klärung der Verantwortlichkeiten enthalten sein. Lassen Sie mich dies in aller Öffentlichkeit und mit Nachdruck sagen: Die Öffentlichkeit und unsere Bevölkerung hätten kein Verständnis dafür, wenn sich die Diskussion zum Stichwort „Verantwortung" lediglich im Kompetenzgerangel eines SchwarzerPeter-Spiels erschöpfte.
Im vorliegenden Falle hat es entsprechend der vorgegebenen förderativen Struktur der Bundesrepublik eine mehrfach geschichtete und verschränkte Verantwortung gegeben.Es ist noch nicht einmal taktisch, geschweige denn sachlich überzeugend, wenn die Opposition bereits jetzt nach personalpolitischen Konsequenzen ruft,
ohne daß die Sachverhalte voll geklärt sind.
Debatte — in Richtung auf Sie, meine Damen und Herren von der Opposition — um Verantwortung, ja. Aber sie muß von allen, auch von der Opposition, in diesem Hause verantwortungsbewußt,
das heißt, sie darf nicht vordergründig taktisch im Stile politischer Kopfjägerei geführt werden.
So gesehen, stehen wir alle in einer gemeinsamen Verantwortung vor unserem Volk.
Wir müssen Vorsorge für die Zukunft, für künftige mögliche terroristische Anschläge treffen,
indem wir vor allem die sachlichen Konsequenzen ziehen. Es hat sich an diesem Vorfall auch erwiesen, daß dies kein Thema ist, bei dem es mit dem Ruf nach schärferen Strafen getan wäre. Ja, hier hilft noch nicht einmal der Ruf nach zusätzlichem Personal wirklich weiter. Wohl aber wäre danach zu fragen — —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, es kommt alsbald ein Redner zu Wort, der eine andere Meinung vortragen wird. Ich bitte doch, dem jetzt sprechenden Redner Ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Vielen Dank!
Wohl aber wäre danach zu fragen: Was kann eventuell Zusätzliches getan werden, um die in diesem schwierigen Bereich der inneren Sicherheit tätigen Polizeibeamten weiter zu motivieren und damit optimal auf ihren Einsatz vorzubereiten? Man muß ja berücksichtigen, daß zum Beispiel bei der damaligen Fahndungsaktion allein in den ersten sechs Tagen über 1 200 wichtige Hinweise zu bearbeiten waren. Das Fernschreibaufkommen eines Monats überstieg damals die Zahl aller vergleichbaren Fernschreiben des ganzen Jahres 1976. Hier geht es um die Frage, ob und wie menschliche Schwächen und mögliche Fehlerquellen auf ein Minimum zu reduzieren sind.
Meine Damen und Herren, mancher Bürger fragt sich heute draußen: Hat es künftig noch einen Sinn, bei terroristischen Anschlägen Hinweise zu geben,
oder bleibt dies nicht irgendwo hängen. Hier darf es nicht zu Resignation oder zu einem Vertrauensdefizit gegenüber unseren Sicherheitsorganen, gegenüber der Polizei kommen.
Dies könnte sich sehr rasch in eine gefährliche Distanz der Bürger zu unserem Staat ausweiten. Hier haben wir alle, meine Damen und Herren, eine gemeinsame politische Verantwortung zu tragen, der wir nicht gerecht würden, wenn man in der Sphäre der Verdächtigung, Verunsicherung und voreiliger parteitaktischer Schuldzumessung verharrte.
Wir sind deshalb der Überzeugung, daß der von uns beantragte Bericht einen Weg weist, die noch offenen Fragen um die Fahndungspannen konsequent und umfassend zu klären, die sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen offen vor dem Parlament und seinen Ausschüssen auf den Tisch zu legen und damit für unser Volk in diesem Staat Vertrauen zu bewahren und Vertrauen zu gewinnen.
In diesem Sinne werden wir — die Fraktionen von SPD und FDP — weiterhin unsere Pflicht tun.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung und die nordrhein-westfälische Landesregierung haben inzwischen unseren früheren Kollegen Hermann Höcherl ,gebeten, ihnen bei der Aufklärung des Tatbestandes zu helfen. Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden; ganz im Gegenteil. Aber ich möchte doch feststellen, daß das an den Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten der Regierungen und der Par-
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6338 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Dr. Dreggerlamente, die an diesem Vorgang ohnehin nicht beteiligt sind, nichts ändert.
Auch wir gehen davon aus, daß heute der Gesamtvorgang nicht schon in allen Aspekten abschließend gewertet werden kann und daß daher die Debatte, die heute im Plenum beginnt, nach der Osterpause fortgesetzt werden muß.
Eine erste grundsätzliche Bewertung ist aber heute bereits möglich, insbesondere soweit es sich um die grundsätzlichen Führungsfehler in der Spitze handelt; denn diese, meine Damen und Herren, liegen bereits klar auf der Hand. Ohne die Führungsfehler in der Spitze hätten die Fehler vor Ort, die noch im einzelnen aufgeklärt werden sollen, nicht die verhängnisvolle Wirkung haben können, die sie tatsächlich gehabt haben.
Die Führungsfehler in der Spitze jetzt zu diskutieren, ist aber nicht nur möglich, sondern auch notwendig, damit sie sofort abgestellt werden. Wir haben nicht den Eindruck, daß das bis heute geschehen wäre. Wir sehen daher die große Gefahr, daß Bundesregierung und Bundeskriminalamt dem nächsten Anschlag ebenso unvorbereitet und hilflos gegen- überstehen wie dem letzten.
Lassen Sie mich zunächst den Begriff ,,Führungsfehler" eingrenzen, da er nicht zu weit gefaßt werden darf. Ich bin nicht der Meinung, der zuständige Ressortminister oder der Regierungschef hätten für jedes Versagen unterstellter Behörden persönlich oder politisch zu haften. Wenn es ein Schrankenwärter wegen Volltrunkenheit oder Gleichgültigkeit versäumt, die Schranken zu schließen, und daraus ein Unglück entsteht, kann der Verkehrsminister deshalb nicht zur Verantwortung gezogen werden. Etwas anderes muß allerdings gelten, wenn Fehler im Sicherheitssystem an Bahnüberführungen zur Quelle des Unglücks wurden. Ist Sabotage Ursache des Bahnunglücks, war diese Sabotage voraussehbar und war ihre Abwendung von solcher Bedeutung, daß das die Einschaltung des Regierungschefs erforderlich machte, oder hat sich der Regierungschef selbst eingeschaltet, dann ist allerdings neben dem Ressortminister auch der Regierungschef verantwortlich.Wenn Sie, meine Damen und Herren, diese, wie ich meine, einleuchtenden Grundsätze akzeptieren und wenn Sie diese Grundsätze auf die Führungsentscheidungen im Zusammenhang mit dem Anschlag auf Hanns Martin Schleyer und seine Begleiter anwenden, dann folgt daraus: Erstens, es hat Führungsfehler gegeben, die zu dem unglücklichen Ausgang des Geiseldramas entscheidend beigetragen haben, und, zweitens, für diese Führungsfehler sind nicht nur die beiden Innenminister in Düsseldorf und Bonn verantwortlich, sondern auch und vor allem der Bundeskanzler.
Er hat sich nach dem Anschlag selbst zum Mittelpunkt des Geschehens gemacht, zum Vorsitzenden eines sogenannten Großen Krisenstabes. Er hat am Bundesinnenminister vorbei oder mit dessen Assistenz sich selbst in die Arbeit des Bundeskriminalamtes eingeschaltet. Er ist daher für die Führungsfehler, die begangen wurden, voll mitverantwortlich, Führungsfehler, die Hanns Martin Schleyer möglicherweise das Leben gekostet haben.
— In der Tat, das ist unerhört, Herr Wehner.
Um welche Führungsfehler handelt es sich? Der entscheidende: Erst nach dem Anschlag auf Hanns Martin Schleyer und seine Begleiter und erst nach der Übertragung der polizeilichen Zuständigkeiten auf das Bundeskriminalamt wurde das Führungs- und Informationssystem erfunden und eingeführt, das dann vom Bundeskriminalamt praktiziert wurde. Dieses Führungs- und Informationssystem war niemandem bekannt. Es war in sich widersprüchlich, es war nicht eingespielt, und es konnte daher nicht funktionieren.Daß die Bundesregierung nach dem Anschlag auf Hanns Martin Schleyer so grundlegend falsch, so unüberlegt, um nicht zu sagen panikartig gehandelt hat, ist um so unverständlicher, als Anschläge dieser Art zu erwarten und weder für den Bundeskanzler noch für den Bundesinnenminister noch für das Bundeskriminalamt überraschend sein konnten. Vorausgegangen waren die Entführung von Peter Lorenz sowie die Ermordung von Kammergerichtspräsident von Drenkmann, von Generalbundesanwalt Buback und des Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank, Herrn Ponto. Daß es schon bei diesen Anschlägen an angemessenen Vorbereitungen für den Ernstfall gefehlt hat, war nur deshalb der Öffentlichkeit verborgen geblieben, weil Peter Lorenz ausgetauscht wurde und weil die anderen Überfallenen im Augenblick des Anschlags ihr Leben einbüßten. Hanns Martin Schleyer überlebte dagegen den ersten Anschlag; er wurde auch nicht ausgetauscht. Ihm wurde zugemutet, eine wochenlange Freiheitsberaubung, verbunden mit schrecklichen Folterungen, zu ertragen. Dieses Martyrium endete nicht mit seiner Befreiung, sondern mit seiner Ermordung, obwohl wachsame Bürger der Polizei hinreichende Hinweise gegeben hatten, die eine echte Chance zur Befreiung geboten haben. Diesen wachsamen Bürgern möchte ich meinen Respekt bekunden.
Hätten doch die Verantwortlichen in Bonn und Düsseldorf ihre Sache ebenso gut gemacht wie nicht wenige aufmerksame und zur Unterstützung der Polizei bereite Bürger in Köln und in der Umgebung von Köln.
Nicht nur die vorausgegangenen Terroranschläge boten der Bundesregierung Anlaß,. den Ernstfall vorzubereiten. Auch das Gesetz über das Bundeskriminalamt begründete die Pflicht der Bundesregie-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6339
Dr. Dreggerrung, sich auf ihre Aufgaben sorgfältig vorzubereiten. Nach § 5 Abs. 3 dieses Gesetzes über das Bundeskriminalamt nimmt diesesdie polizeilichen Aufgaben auf dem Gebiet der Strafverfolgung selbst wahr, wenn der Bundesminister des Innern es aus schwerwiegenden Gründen anordnet oder der Generalbundesanwalt ... in Verfahren, in denen er die Ermittlungen führt, darum ersucht oder einen Auftrag erteilt.Beides war kurz nach dem Anschlag auf Hanns Martin Schleyer und seine Begleiter geschehen. Damit — und das ist jetzt sehr wichtig — hatte das Bundeskriminalamt eine umfassende Zuständigkeit, und zwar nicht nur in der Zentrale, sondern auch vor Ort.In § 5 Abs. 4 des Gesetzes heißt es zur Zuständigkeit anderer Polizeibehörden in einem solchen Falle — ich zitiere —:Die Verpflichtungen anderer Polizeibehörden zum ersten Zugriff und zur Durchführung notwendiger unaufschiebbarer Maßnahmen ... bleiben unberührt.Von diesen Verpflichtungen abgesehen war mit der Beauftragung des Bundeskriminalamtes dieses für alle polizeilichen Aufgaben allein zuständig. Es gab für das Bundeskriminalamt keinerlei föderalistische Schranken, das Notwendige und Zweckmäßige zu tun.
Eine Absprache innerhalb der Innenministerkonferenz hatte zudem sichergestellt, daß das Bundeskriminalamt bei der Erfüllung seiner Aufgaben jederzeit auf Polizeikräfte der Länder zurückgreifen konnte. Die Hilfe der Länder ist dem Bundeskriminalamt auch niemals verweigert worden, weder in früheren Fällen noch in diesem Falle.Aus dieser politischen Lage und aus dieser Rechtslage ziehe ich folgende Schlußfolgerung. Wer jederzeit mit dem Ernstfall rechnen muß und wer — wie das Bundeskriminalamt — im Ernstfall über umfassende Zuständigkeiten verfügt, muß sich auf den Ernstfall vorbereiten.
Er muß im Ernstfall entweder das herkömmliche Führungs- und Informationssystem unverändert beibehalten, oder er muß, wenn er dieses System für nicht ausreichend hält, bereits vor dem Eintritt des Ernstfalls ein anderes System eingeführt und allgemein bekanntgemacht haben. Wird das versäumt, dann tritt zur Verwirrung des Ernstfalles noch die Verwirrung hinzu, die sich aus der Änderung eines eingespielten Führungs- und Informationssystems ergibt.Welche Änderungen wurden nach dem Anschlag auf Hanns Martin Schleyer vorgenommen? Auf Beschluß der Bundesregierung — auch das, Herr Wehner, begründet die volle Mitverantwortung des Herrn Bundeskanzlers — richtete der Bundesinnenminister eine zentrale Einsatzleitung unter Führung des Präsidenten des Bundeskriminalamtes, HerrnHerold, in Bonn ein. Da es im Bundesinnenministerium selbst leider keine Führungszentrale gibt — im Bundesinnenministerium wird nur verwaltet, nicht geführt — —
— In der Tat, meine Damen und Herren, die' Zuständigkeiten für Bundesgrenzschutz, Bundesverfassungsschutz, Bundeskriminalamt und Lagezentrum sind nach rein administrativen Gesichtspunkten auf drei Abteilungen aufgeteilt. Es gibt also im Ministerium kein Führungszentrum für den Ernstfall, das alle diese Institutionen zusammenfassen konnte. Da es daran fehlte, wurden auch diese Sicherheitskräfte des Bundes und die entsprechenden der Länder den Weisungen des Präsidenten des Bundeskriminalamtes unterstellt. Das heißt: Herr Herold hatte nicht nur das Bundeskriminalamt zu leiten, seinen Weisungen unterstanden ferner nicht nur die eingesetzten Polizeikräfte der Länder und des Bundesgrenzschutzes, sondern auch der gesamte Verfassungsschutz. Das war nicht nur unzweckmäßig,
weil das den Leiter des Bundeskriminalamtes ganz offenbar überforderte, sondern für diese Zuständigkeitsverlagerung fehlte es auch an der gesetzlichen Ermächtigung.Noch Schlimmeres passierte auf regionaler Ebene. Im Polizeipräsidium Köln wurde eine Sonderkommission des Bundeskriminalamtes eingerichtet, was richtig und gesetzlich möglich war. Im selben Polizeipräsidium wurde aber außerdem ein Koordinierungsstab der nordrhein-westfälischen Polizei eingerichtet, was überflüssig und falsch war.
Es fehlte an einer klaren Abgrenzung der Zuständigkeiten dieser beiden im Polizeipräsidium Köln untergebrachten Behörden. Die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen diesen beiden und der Zentrale in Bonn wurde außerdem während der Fahndung mehrfach geändert, ohne daß das allen Beteiligten mitgeteilt worden wäre.
Wer ist dafür verantwortlich? Die Einrichtung des sogenannten Koordinationsstabes geschah auf Anweisung des nordrhein-westfälischen Innenministers, aber mit Zustimmung des Bundeskriminalamtes. Die Verantwortung für diese Fehlentscheidung trifft daher nicht nur den nordrhein-westfälischen Innenminister, sondern in gleicher Weise auch die Bundesinstanzen.Bei diesem Durcheinander an Zuständigkeiten, beim völligen Fehlen eines klaren und eingespielten Führungs- und Informationssystems war es kein Wunder, daß Fernschreiben an die falsche Stelle gerieten, daß die verlorengingen, daß Informationen nicht in den richtigen Computer kamen, daß die Zentrale nicht wußte, was vor Ort geschah, daß lokale und regionale Polizeibehörden vergeblich auf Einsatzaufträge warteten, daß an die Stelle
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6340 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Dr. Dreggerkoordinierten und entschlossenen Lähmung und Untätigkeit traten.
Das Durcheinander war so groß, daß folgende Feststellung gerechtfertigt ist. Hätte es keinen großen Krisenstab gegeben, wären Bundeskanzler und Bundesinnenminister nicht tätig geworden, wäre das Bundeskriminalamt nicht mit der Verfolgung der Straftat beauftragt worden, hätte die örtliche Polizei und die regionale Polizei aus eigener Initiative handeln können, würde Halms Martin Schleyer möglicherweise noch leben.
Die zentralen Instanzen haben wegen der Mängel des Führungs- und Informationssystems nichts zu koordiniertem und zweckmäßigem Handeln beigetragen. Sie haben nur Durcheinander bewirkt und örtliche Initiativen gelähmt, die die Rettung hätten herbeiführen können. Wenn das Befehls- und Informationssystem nicht funktioniert, sind die Nachteile zentraler Zuständigkeiten und Weisungen größer als die möglichen Vorteile.
Auch bei einem funktionierenden Führungs- und Informationssystem hätte ich es vorgezogen, wenn sich die Zentrale mit einem Genehmigungsvorbehalt für örtliche Initiativen begnügt hätte, statt jede Einzelaktion einem zentralen Einsatzbefehl vorzubehalten. Bei einer Fülle von Informationen, die nach oben gegeben werden, ist es außerordentlich schwer, in der Zentrale zu erkennen, welche Information wichtig ist und welche zum sofortigen Handeln zwingt, es sei denn, daß der Computer eine eindeutige Antwort' gibt. Und das tut er eben nicht immer.Auch ein schlichter Genehmigungsvorbehalt von seiten der Zentrale gegenüber den Polizeibeamten vor Ort hätte unkoordiniertes Handeln verhindert. Aber ein solcher Genehmigungsvorbehalt hätte den örtlichen und regionalen Sicherheitsorganen nicht die Verantwortung genommen, selbst Entschlüsse zum rechtzeitigen Handeln zu fassen.Ich fasse zusammen: Die mangelnde Vorbereitung auf den Ernstfall — obwohl er auf Grund vorausgegangener Anschläge zu erwarten war und obwohl das Gesetz über das Bundeskriminalamt für den Bund umfassende Zuständigkeiten begründet —, die panikartige Einführung eines neuen Führungs-und Informationssystems nach dem Eintritt des Ernstfalls waren die entscheidende Ursache dafür, daß Einzelfehler vor Ort, die nie auszuschließen sind und immer vorkommen, schreckliche Folgen hatten. Daß neben den beiden Innenministern in Bonn und Düsseldorf der Bundeskanzler für diese Führungsfehler mitverantwortlich ist, hatte ich schon zu Beginn begründet.Nun leugnet der Bundeskanzler nicht nur seine eigene Verantwortung, sondern auch die der Minister, obwohl er sonst bei der Zuweisung von Verantwortung an Minister nicht gerade zurückhaltendist, vorausgesetzt, daß es sich nicht um Minister seiner eigenen Partei oder seines Koalitionspartners handelt.
Ich hoffe, Herr Bundeskanzler, daß Sie nicht vergessen haben, was Sie im Zusammenhang mit den Vorgängen in Stammheim an die Adresse von Ministerpräsident Filbinger und Justizminister Bender geäußert haben.
Ich glaube allerdings, es sind nicht nur Koalitionsrücksichten,
die Sie veranlassen, die Minister Maihofer und Hirsch von ihrer Verantwortung freizusprechen. Sie leugnen diese Verantwortung auch mit Rücksicht auf sich selbst;
denn Ihre persönliche Verantwortung ist bei Ihrer engen Einschaltung in die Führungsentscheidungen mit der Verantwortlichkeit der Minister, insbesondere des Bundesinnenministers, untrennbar verbunden.
Deshalb wende ich mich jetzt an Sie persönlich. Herr Bundeskanzler, halten Sie es für überzeugend, daß Sie sich für Mogadischu feiern lassen und die Verantwortung für Erftstadt leugnen?
Ich halte das nicht nur für eine technische Frage, nicht nur für eine Zuständigkeitsfrage, sondern für eine moralische Frage, für eine Führungsfrage, Herr Bundeskanzler.
Wenn Sie nicht zu Ihrer Verantwortung stehen, wie sollen dann die Minister zu ihrer Verantwortung stehen?
Wenn Sie nicht zu Ihrer Verantwortung stehen, wie sollen dann Polizeibeamte vor Ort zur Verantwortung gezogen werden?
Zeigen Sie etwas von den Qualitäten, die Ihre Propagandisten Ihnen nachrühmen — hoffentlich nicht nur andichten —!
Gestehen Sie Ihr Versagen ein und sorgen Sie wenigstens jetzt dafür, daß die notwendigen Vorbereitungen getroffen werden, damit die Bundesrepublik Deutschland auf den nächsten Anschlag angemessen vorbereitet ist!
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6341
Dr. Dregger— Herr Wehner, Sie provozieren mich überhaupt nicht!Was sollte geschehen? Ich schlage vor: Erstens.
Im Bundesinnenministerium wird eine ständig besetzte Führungszentrale eingerichtet,
die verantwortlich ist für das Lagezentrum und die drei großen Sicherheitsdienste des Bundes, das Bundeskriminalamt, den Bundesverfassungsschutz und den Bundesgrenzschutz, sowie für deren Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften der Länder. Die Einrichtung einer zentralen Einsatzleitung, wie sie nach der Entführung von Herrn Schleyer vorgenommen wurde, entfällt dann beim nächsten Anschlag, weil diese Führungszentrale in gesetzlich einwandfreier, zweckmäßiger und erprobter Form dann bereits vorhanden ist.
Zweitens. Unterhalb dieser Führungszentrale des Bundes wird, soweit zweckmäßig, in einem vergleichbaren Fall regional eine Sonderkommission des Bundeskriminalamtes eingerichtet, die für alle Entscheidungen, ihre Vorbereitung und ihre Durchführung regional und vor Ort verantwortlich ist. Daneben gibt es keine Koordinierungsstäbe oder ähnliche ad hoc erfundenen Einrichtungen. Die dem Bundeskriminalamt zur Verfügung gestellten Polizeikräfte der Länder handeln gemäß Beschluß der Innenministerkonferenz vom April 1975 im Wege der Amtshilfe. Das bedeutet: Die Einsatzaufträge für diese Polizeikräfte der Länder werden ausschließlich von den zuständigen Stellen des Bundeskriminalamtes erteilt. Für den taktischen Einsatz auch dieser Kräfte ist also allein das Bundeskriminalamt verantwortlich. Es besteht demnach ein klares Führungs-und Informationssystem, das von der Zentrale über alle Ebenen hinweg bis zum letzten Polizeibeamten vor Ort reicht. All das ist bereits heute möglich. Es gibt dafür keinerlei föderalistische Schranken.
Drittens. In Planspielen werden die Zusammenarbeit der Landespolizei mit dem Bundeskriminalamt sowie das Zusammenwirken der Polizei mit dem Verfassungsschutz aller Ebenen und dem Bundesgrenzschutz unter der Verantwortung der Führungszentrale im Bundesministerium des Innern in regelmäßigen Abständen geprobt. Das, was für jede Feuerwehr selbstverständlich ist, muß auch für den Bundesminister des Innern und die ihm unterstellten Sicherheitskräfte endlich selbstverständlich werden.
Das sind unsere drei Vorschläge, und wir empfehlen Ihnen, sie bald zu verwirklichen.Zu prüfen bleibt, ob neben einer solchen klaren und bereits vor dem Ernstfall erprobten Führungsstruktur es notwendig oder zweckmäßig ist, beim Bundeskanzler noch einen sogenannten Großen Krisenstab einzurichten. Ich bezweifle das. Man kann vielleicht Verständnis dafür haben, daß der Kanzler schwerwiegende Entscheidungen nicht allein verantworten möchte, insbesondere wenn sie negativ ausgehen.
Man muß Verständnis dafür haben, daß er vor solchen Entscheidungen Vertreter der Koalition und gegebenenfalls auch der Opposition konsultieren will. Daß darf aber nicht zu einer Verwischung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten führen. Das darf auch nicht dazu führen, daß Politiker ständig in die Arbeit, in die Überlegungen und in die Einzelentscheidungen der Polizei und der sonstigen Sicherheitskräfte eingreifen und diese dadurch behindern. All das hat es im Entführungsfall Schleyer gegeben.Konsultationen zwischen Regierung und Parlament, zwischen Regierung und Opposition sind also zu akzeptieren.
Selbstverständlich hat ohnehin der Kanzler einen Anspruch, vom Bundesinnenminister ständig über die Arbeit der im Bundesinnenministerium einzurichtenden Führungsentrale informiert und bei schwerwiegenden Entscheidungen konsultiert zu werden. Für diese Konsultationen ganz unterschiedlicher Art aber den Begriff „Großer Krisenstab" zu verwenden, ist meines Erachtens auch deshalb bedenklich, weil dieser Begriff alle Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten in einem großen Nebel verschwinden läßt. In kritischen Lagen sind klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten aber das Entscheidende.
Hinzu kommt noch folgendes. Nach dem Scheitern der Fahndung und nach dem Bekanntwerden der Führungsfehler versucht der Kanzler einen Teil seiner Verantwortung auf die Oppositionspolitiker abzuschieben, die seiner Einladung in den Großen Krisenstab gefolgt sind. Der Kanzler verschweigt dabei, daß diese Oppositionspolitiker an der Vorbereitung des Sicherheitskonzepts der Bundesregierung mit all seinen Fehlern nicht beteiligt waren, daß dieses Konzept während der Fahndung natürlich nicht geändert werden konnte und daß diese Oppositionspolitiker nicht wie die Regierung eigenverantwortlich handeln konnten. Ich meine, daß ein solcher Versuch, Verantwortung von der Regierung weg auf die Opposition zu verlagern, in hohem Grade unfair ist. Er gefährdet darüber hinaus das Maß von Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition, das bei sachlichem Verhalten auch in dieser Lage durchaus möglich wäre.
Fahndung ist der Bereich der Exekutive, nicht der Bereich des Parlaments. Von der Exekutive sind wir als Opposition ausgeschlossen. Unseren Vorschlägen zur Gesetzgebung sind Sie nicht gefolgt. Sie haben uns entgegengehalten, Herr Kol-
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6342 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Dr. Dreggerlege Wernitz hat es eben wieder getan, neue Gesetze seien nicht das Entscheidende.
— Entschuldigung, dann berichtige ich mich. Aber dem Sinne nach, glaube ich, war es die bisherige Einlassung der Koalition.
Sie haben dementsprechend nicht nur unsere Vorschläge zur Verbesserung des Straf- und Strafprozeßrechts abgelehnt. Sie haben auch unsere Vorlagen zum Melderecht, zum Polizeirecht und zum Versammlungsrecht bewußt liegengelassen, um der Koalition — ich zitiere jetzt wörtlich —„unnötige Belastungen zu ersparen" — Ende des Zitats —, wie das SPD-Präsidium in seinem Beschluß vom 21. Februar 1978 gefordert hat.
Dementsprechend haben Sie auch darauf verzichtet, eigene Vorschläge für diesen Bereich einzubringen, obwohl diese von der Regierung zuvor angekündigt waren. Von der Koalition haben wir auf diesem Felde ohnehin nichts zu erwarten.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, schon die Auffassung vertreten, nicht neue Gesetze, sondern verbesserte Möglichkeiten der Fahndung seien das Entscheidende, dann tun Sie doch wenigstens in diesem Verantwortungsbereich das Notwendige.
Aber wie auf dem Felde der Gesetzgebung, so stoßen wir auch auf dem Felde der Exekutive auf Ihr Versagen.Das gleiche gilt schließlich für das dritte Feld bei der Terrorismusbekämpfung, nämlich für die geistige und politische Auseinandersetzung mit den Quellen des Terrorismus. Die CDU war bisher die einzige Partei, die sich diesem Thema auf einem großen Terrorismuskongreß hier in Bonn gestellt hat.Es ist eine schlimme Lage: Wir haben eine Koalition, die zu schwerwiegenden Entscheidungen nicht mehr fähig ist. Wir haben eine Regierung, die infolgedessen nicht mehr handlungsfähig ist.
Das gilt im Grunde für alle wichtigen Bereiche. Die Hindernisse für den Wirtschaftsaufschwung werden nicht weggeräumt: sowohl im Kraftwerksbau, in der Steuergesetzgebung wie bei den vielen überflüssigen Vorschriften, die die Initiativen der Wirtschaft lähmen. Das gilt für den Bereich der sozialen Sicherheit, auf dem Sie mit der zunächst provisorischen Beseitigung der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente die größte Sozialreform des Jahrhunderts in Frage stellen.
Es gilt für den Bereich der äußeren Sicherheit, auf dem Sie den Amerikanern das Signal verweigern, das diese im Hinblick auf die Neutronenwaffe mit Recht von uns Europäern erwarten, da diese Defensivwaffe ja vor allem unserem Schutze zu dienen bestimmt ist.
Und es gilt schließlich für alle Bereiche der inneren Sicherheit, für die Polizei, die Fahndung, für die Gesetzgebung und für die geistige und politische Auseinandersetzung mit den Ursachen des Terrorismus.
— Das ist wirklich schlimm, Herr Wehner.
Sie sollten überlegen,
ob Sie nicht mit dem aufhören, was Sie jedenfalls in Ihrer jetzigen Verfassung und in Ihrer jetzigen Zusammensetzung nicht können, nämlich dieses Land zu regieren.
Was notwendig ist, geht über den Rücktrtt von Ministern weit hinaus. Notwendig ist eine Veränderung in der Verantwortung hier im Hause.
Gehen Sie in die Opposition, da sind Sie sehr anregend! Lassen Sie uns an die Regierung, wir können es besser!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Montag, dem 5. September wird in Köln Hanns Martin Schleyer von Terroristen überfallen. Seine vier Begleiter, drei Polizeibeamte des Landes Baden-Württemberg und sein Fahrer, werden erschossen. Er selbst wird von den Mördern verschleppt. Am Mittwoch, dem 9. Oktober 1977, wird in Mühlhausen im Elsaß die Leiche von Hanns Martin Schleyer im Kofferraum eines geparkten Personenkraftfahrzeuges gefunden. Zwischen diesen beiden Daten liegen 43 Tage, voll Leid und Not des Entführten, voll Sorge und Verzweifelung seiner Angehörigen, voll Zorn und Erbitterung eines ganzen Volkes, aber auch 43 Tage — Herr Dregger, davon gibt es nichts abzustreichen — entschlossener, ja verzweifelter Bemühungen der polizeilichen, der politischen Führungsstellen, das Leben des Entführ-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6343
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihof erten zu retten. Ein riesenhafter Polizeiapparat läuft an, und in zähen Verhandlungen mit den Entführern wird versucht, Zeit zu gewinnen, um entweder erträgliche Bedingungen für die Freilassung zu erreichen oder durch polizeiliche Ermittlungen den Verwahrort Schleyers ausfindig zu machen und den Entführten durch eine Polizeiaktion zu befreien. Das Ziel, das Leben des Entführten zu retten — das müssen wir nüchtern feststellen — wurde nicht erreicht.Nunmehr gibt es so gut wie Gewißheit darüber, daß das Ziel, das Versteck der noch lebenden Geisel auszumachen, um für ihre Befreiung eine polizeiliche Aktion zu unternehmen, zum Greifen nahelag. Es gibt darüber hinaus auch so gut wie keinen Zweifel, daß dieses Ziel durch Pannen im polizeilichen System verfehlt wurde. Das ist ein Ergebnis, das unabhängig von der Frage, wo Ursachen oder gar Schuld liegen, jeden, der an den Bemühungen zur Rettung des Lebens von Hanns Martin Schleyer durch sechs Wochen Tag und Nacht hindurch — in welcher Rolle auch immer — beteiligt war, zutiefst bedrücken muß. Ob Polizeibeamter oder politisch Handelnder in Bund oder Land — jeder wird sich der Tragik bewußt sein, die eine solche Erkenntnis für die schwergeprüfte Familie des Opfers bedeutet. Diese schmerzliche Feststellung verliert dadurch nicht an Bitterkeit, daß eine gewaltsame Befreiungsaktion mit einem kaum abschätzbaren Risiko belastet gewesen wäre.Wir sind es Hanns Martin Schleyer schuldig, wie ich meine, alle Bemühungen darauf zu richten, die Geschehensabläufe klarzulegen, die zu diesem Ergebnis geführt haben, die Fehlerursachen aufzuspüren und dafür zu sorgen, daß die sich daraus ergebenden Lehren gezogen werden. Die Bundesregierung ist ebenso wie die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen fest entschlossen und bereit, diesen Weg zu beschreiten. Die bisherigen Bemühungen, die dazu angestellt wurden, haben aber auch ergeben, wie schwierig schon die Feststellung des objektiven Sachverhalts ist.Das liegt nicht am schlechten Willen der Beteiligten, sondern an der Verflechtung von Bundes- und Landesdienststellen in den Geschehensabläufen, die Aufklärungen in beiden Bereichen notwendig machen. Es liegt vor allem aber daran, daß die noch zu prüfenden Ergebnisse — das vergessen heute einige allzu leicht — in einer Situation von höchster Dramatik abliefen, in der vielfach kein Raum für normale bürokratische Prozeduren war.Hier muß mir auch der Hinweis darauf erlaubt sein, daß sich alle, die heute Kritik üben, Kritik vor allem an vermuteten Fehlleistungen von Polizeibeamten an der „Front", die konkrete Situation noch einmal vor Augen halten sollten. Ich nenne dafür nur zwei Zahlen. Allein in den ersten sechs Tagen mußten beispielsweise von der Sonderkommission des Bundeskriminalamtes in Köln über 1 200 wichtige Hinweise sofort ausermittelt werden. Im September allein gingen bei der zentralen Einsatzleitung weit über 24 000 Fernschreiben ein.
Die Belastung bei den zuständigen Polizeibehördendes Landes Nordrhein-Westfalen war, wie ich an-nehme, vergleichbar. Wer sich in die Hektik derSituation zurückversetzt, die einfach aus der gegebenen Lage veranlaßt war, mag menschliches Versagen wenn nicht entschuldigen, so doch begreifen.Ist schon die Feststellung des objektiven Sachverhalts aus diesen Gründen schwierig, so gilt das erst recht für die Wertung bei der Suche nach Fehlerquellen. Diese Arbeit kann nicht in den beiderseits möglicherweise betroffenen Behörden von Bund und Land mit der gebotenen Unbefangenheit geleistet werden. Das muß man einfach sehen. Die Bundesregierung und die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen haben daraus den Schluß gezogen, daß dem gemeinsamen Bestreben um rückhaltslose Aufklärung und um vorurteilsfreie Gewinnung der sich daraus ergebenden Folgerungen am besten dadurch Rechnung getragen wird, daß beide Seiten gemeinsam eine unabhängige und fachlich erfahrene Persönlichkeit mit den notwendigen Untersuchungen beauftragen. Eine solche Persönlichkeit hat sich in der Person von Hermann Höcherl gefunden, der als ehemaliger Richter, späterer Bundesinnenminister und jetziger Anwalt über jede wünschenswerte fachliche Qualifikation verfügt und dessen persönliche Integrität wohl von keiner Seite dieses Hauses bezweifelt werden wird.
Die Bundesregierung — das sage ich hier ausdrücklich — ist Hermann Höcherl dankbar dafür, daß er sich für diese schwere und verantwortungsvolle Aufgabe zur Verfügung stellt. Sie wird ihn dabei in jeder nur denkbaren Weise unterstützen. Insbesondere wird sie ihm alle Möglichkeiten zur Einsicht in die Unterlagen und zur dienstlichen Befragung aller dafür in Betracht kommenden Bediensteten des Bundes eröffnen. Eine gleiche Zusage liegt auch von seiten des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen vor.Auf diesem Wege einer unabhängigen Untersuchungsführung — und dies ist eine ebenso wichtige Seite der Sache — wird zugleich jeder Streit zwischen den beteiligten Polizeien um die Aufklärung des Sachverhalts vermieden. Streit zwischen Polizeien — das muß ich auch hier heute sagen — ist eine Freude nur für die Kriminellen!Die Bundesregierung und die Landesregierung erwarten aus den Ermittlungen nicht nur eine vollständige Klärung des Sachverhalts und eine Bewertung aufgetretener Fehler, sondern vor allem auch Vorschläge, die der Untersuchungsführer ungeachtet der derzeitigen Zuständigkeitsverteilung auf Grund seiner Feststellungen zum besseren Einsatz der staatlichen Mittel bei der Bekämpfung des Terrorismus für geboten erachtet.Die Beauftragung von Hermann Höcherl als unabhängigem Ermittler erlegt mir bei meiner heutigen Darlegung vor dem Deutschen Bundestag Zurückhaltung auf; verlöre doch der Auftrag seinen Sinn, wollte die Bundesregierung den Ergebnissen der Untersuchung durch eigene Wertungen, sei es im Bereich der Tatsachenfeststellungen, sei es im Bereich der Schlußfolgerungen, vorgreifen.
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6344 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Bundesminister Dr. Dr. h. c. MaihoferKein Wort und kein Satz meiner heutigen Darlegungen — das möchte ich ausdrücklich betonen — sollte deshalb als Vorgriff auf die Urteilsbildung des Untersuchungsführers verstanden werden.
Ich stelle sie unter den ausdrücklichen Vorbehalt seiner künftigen Feststellungen.
Ich muß es mir deshalb auch versagen, zu dieser Stunde den Versuch zu unternehmen, über den vorgelegten Bericht hinaus im einzelnen darzustellen, wie es geschehen konnte, daß am 7. September bei der Polizei in Erftstadt ein Hinweis auf die Wohnung im Hochhaus Zum Renngraben 8 aufgenommen worden ist, in der nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse Harms Martin Schleyer in den ersten Tagen nach seiner Entführung von den Terroristen gefangen gehalten wurde, daß dieser Hinweis aber nicht zu einem umgehenden' polizeilichen Zugriff geführt hat.Das Bundeskriminalamt und das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen haben am 7. März 1978 — wie Sie wissen — einen Bericht über die vorläufige Abklärung aller mit der Bearbeitung und Weiterleitung dieses Hinweises zusammenhängenden Fragen vorgelegt. Die Grundsatzfrage, die sich uns allen auf dieser Tatsachengrundlage stellt und die auch den Untersuchungsführer beschäftigen wird, läßt sich dahin umreißen: Warum ist diese „heiße Spur" am 7. September von der Polizeistation Erftstadt nicht unmittelbar an die Abteilung TE beim BKA Bonn oder doch an die Soko 77 des BKA in Köln weitergegeben worden, anders als noch am 6. September, an dem eine fernmündliche Anfrage wegen eines ähnlichen Hinweises unmittelbar bei der Soko 77 in Köln erfolgte, und anders als später am 8. November, als ein Hinweis auf dieselbe Wohnung bereits 20 Minuten später der Abteilung TE in Bonn fernschriftlich übermittelt wurde und umgehend polizeiliche Aktivitäten ausgelöst hat.Warum erfolgte im einen Falle die Bearbeitung des Hinweises so, in den anderen Fällen jedoch ganz anders, wo doch zu allen diesen Zeitpunkten — und das sage ich gerade auch in Ihre Richtung, Herr Dregger, denn hier sind Sie völlig auf der falschen Spur —
dieselbe Einsatzleitung bestand und dieselben Meldewege vorgegeben waren? Wie konnte es — mit anderen Worten — geschehen, daß dieser Hinweis in keinem Stadium seiner Bearbeitung durch die Instanzen zu einer Abfrage bei dem polizeilichen Informationssystem PIOS mit seinen über die Terroristenszene gespeicherten Daten geführt hat? Das ist doch die Frage.
Das dort gespeicherte Material hätte — wie in anderen Fällen auch — mit Sicherheit eine sofortige verdeckte Abklärung und anschließende Durchsuchung der verdächtigen Wohnung ausgelöst, wieetwa, um nur ein einziges Beispiel zu nennen, die durch eben eine solche PIOS-Abfrage der Mieternamen gelungene Entdeckung der sogenannten Kommandowohnung der Schleyer-Entführer in Köln, die allein in diesem einzigen Großobjekt zur Durchsuchung von mehr als 1 400 Wohnungen, darunter auch der dann entdeckten konspirativen Wohnung, geführt hat.
Diese entscheidende Frage stellt sich bei einer Untersuchung, aus welchen Gründen — wie es in dem Untersuchungsauftrag an Herrn Höcherl heißt — „dem Hinweis auf die Wohnung in Erftstadt Zum Renngraben 8 nicht rechtzeitig bzw. nicht ausreichend nachgegangen wurde".Es stellt sich aber aus der damit gewonnenen Erkenntnis von Ursachen oder Fehlern in Strukturen wie bei den Personen zugleich auch die Frage danach — und auch sie wird im Untersuchungsauftrag gestellt —, „welche Vorschläge ungeachtet der derzeitigen Zuständigkeitsverteilung zum besseren Einsatz der staatlichen Mittel bei der Terrorismusbekämpfung gemacht werden können".Auch hier will ich mich zu diesem Zeitpunkt auf einige grundsätzliche Feststellungen zur rechtlichen und tatsächlichen Organisationsstruktur der Terrorismusbekämpfung im Verbundsystem der Polizeien von Bund und Ländern beschränken.Im Einverständnis mit den Innenministern der Länder sind seit 1972 eine Reihe von für die Terrorismusbekämpfung grundlegenden Vereinbarungen getroffen worden, nicht wenige auf ausdrücklichen Antrag des jeweiligen Bundesinnenministers. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Beschlüsse der Innenministerkonferenz vom 11. April 1975, mit denen dem Bundeskriminalamt im Terrorismusbereich eine besondere Steuerungs- und Koordinierungsfunktion eingeräumt wurde, womit erhebliche Verbesserungen zunächst im informationstechnischen und kriminaltechnischen Bereich geschaffen wurden, die heute gelegentlich vergessen werden. Im Jahre 1977 sind weitere wichtige Beschlüsse dieser Art gefaßt worden. Ich erinnere hier an die Einrichtung einer gemeinsamen Bund-Länder-Kommission Zielfahndung.Das BKA hat von den im Beschluß vom April 1975 ihm übertragenen Befugnissen durch Erlaß zahlreicher Regelungen Gebrauch gemacht. Eine ganze Fülle von Dienstvorschriften ist aus diesen Vereinbarungen hervorgegangen. Dadurch wurden die Informationswege geordnet und die Bekämpfungsinstrumente: verdeckte Fahndung, beobachtende Fahndung, Besucherüberwachung und Ermittlungssteuerung eingeführt, die es einzeln und im Zusammenwirken überhaupt erst ermöglicht haben, alle Haupttäter der Morde an Buback, Ponto und Schleyer gerichtsverwertbar zu ermitteln und nach ihnen gezielt zu fahnden. Auch dies wird heute gelegentlich vergessen.Diese Instrumente waren die Basis auch dafür, daß die Abteilung TE beim Bundeskriminalamt in Bonn allein seit dem 5. September 1977 die Festnahme von 32 Terroristen, darunter Wackernagel, Vol-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6345
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihoferkerts, Schneider und andere, entweder selber ver-anlassen oder an ihr mitwirken konnte. Dies wirdauch so fortgehen. Darauf können Sie sich verlassen.Die vom Bundeskriminalamt auf der Grundlage dieser Bund-Länder-Vereinbarungen erlassenen Regelungen haben erstmals die Kriminaltechnik für Handschriften, Maschinenschriften, Druckerzeugnisse, Werkzeugspuren usw. zentralisiert, — eine Tatsache, die uns heute die Tatbeteiligung der einzelnen Terroristen an den Fällen Buback, Ponto und Schleyer sowie ihre Formen mit Sachbeweisen belegen läßt, die wir ohne all diese zentralen Auswertungen überhaupt nicht hätten gewinnen können.
Neuartige Methoden der lichtbildunabhängigen Personenerkennung befinden sich im Aufbau.Die von der 1975 neu geschaffenen Abteilung TE des Bundeskriminalamts in Bonn mit ihren heute über 250 Mitarbeitern im Verbund mit den Länderpolizeien systematisch gesammelten und unter der Ermittlungssteuerung des BKA durchermittelten Erkenntnisse wurden in dem elektronischen Informationssystem PIOS gespeichert, das sämtliche polizeiliche Erkenntnisse zum Terrorismus seit 1972 recherchierfähig für Bund und Länder zur Verfügung hält.
— Deshalb ist es trotzdem richtig. — Es ist dasgrößte existierende Informationssystem dieser Art,dem auch im Entführungsfall Schleyer, wie uns guteund bittere Erfahrungen gelehrt haben, eine Schlüsselrolle bis hin zu der Erkenntnis des Hinweises vom 7. September, der „heißen Spur" zum Verwahrort Schleyers, zukam oder doch hätte zukommen können. Hieran hing alles, schlechthin alles. Das können Sie doch mit keinem Gerede vernebeln. Das sind doch die Tatsachen.
In dem Programm für die innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland vom 16. Juni 1972 hat die Innenministerkonferenz außerdem festgelegt, daß auf der Basis eines vom Bundesminister des Innern seinerzeit vorgelegten Konzepts ein gemeinsames Informations- und Auskunftssystem — INPOL — für die gesamte Polizei geschaffen wird. Es ist inzwischen ein ebenso wirksames wie unentbehrliches Hilfsmittel der Verbrechensbekämpfung geworden, mit dem erreicht worden ist
— bis in den Terrorismusbereich hinein —, daß wir heute nicht mehr wie noch vor wenigen Jahren nach fast 100 000 Straftätern in der Bundesrepublik Deutschland mit Haftbefehl fahnden, sondern nach nur mehr weniger als der Hälfte.Das Netz der Datenstationen, über die Inpol-Abfragen getätigt werden können, hat bereits eineDichte von derzeit über 1 300 Datenendgeräten erreicht.
— Ich würde Sie bitten, mich ausreden zu lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eyrich? — Bitte schön.
Herr Bundesinnenminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß dieses Hohe Haus nicht vordringlich daran interessiert ist, welche Systeme es gibt, sondern daran, welche Tatsachen dazu geführt haben, daß diese Systeme überhaupt nicht abgefragt worden sind?
Wenn Sie aufmerksam zugehört haben, werden Sie sich erinnern, daß ich einleitend genau diese Frage gestellt habe,
die Sie genauso wie uns beschäftigt
und auf die wir heute — das wissen Sie so gut wie ich — keine endgültige, verläßliche Antwort wissen. Das ist doch die Tatsache.
Im Unterschied zu diesem schon weithin zentralen Informationsverbund — und nun komme ich zu Ihren Fragen, Herr Dregger — von Bund und Ländern stößt die gelegentlich — und offenkundig auch von Ihnen — geäußerte Zielvorstellung eines zentralisierten Führungsapparates der polizeilichen Exekutive ganz einfach an die Grenzen unserer Verfassung. Das müssen Sie sehen. Gleichwohl hat der Bundesminister des Innern mit seiner Bitte vom 6. September 1977 an die Innenminister zur Errichtung einer zentralen Einsatzleitung innerhalb der hier gezogenen Grenzen erreicht, daß sich im Bereich der exekutiven Fahndungsmaßnahmen seinerzeit jedenfalls die Meldewege durch einen zeitlich befristeten Fortfall der ministeriellen Instanzen auf den Polizeibereich verkürzt haben. Das war eine entscheidende Sache. Ohne sie hätten wir eine solche bundesweite Großfahndung überhaupt nicht steuern können.Straffend wirkte sich die Einrichtung der zentralen Einsatzleitung insbesondere im Bundesbereich aus. Die Abteilung TE konnte dadurch erstmals über die Kräfte des BGS unmittelbar verfügen. Bahnpolizei, Zoll- und Finanzfahnder sowie Luftsicherheits- und Verkehrsbehörden konnten für die großangelegten Fahndungs-, aber auch Sicherheitsmaßnahmen unmittelbar herangezogen werden.
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6346 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Bundesminister Dr. Dr. h. c. MaihoferDie zentrale Einsatzleitung hat sich im Verlaufdes Falles auf dieser gesicherten Grundlage, die wir durch einen Kabinettsbeschluß geschaffen haben, an den Gegebenheiten und Bedürfnissen effektiv orientiert und damit alle vorgegebenen Einsatzfelder abgedeckt, bis hin zu der immer bedeutsamer werdenden Luftsicherung im In- und Ausland, wenn Sie an die zweite polizeiliche Phase bei diesem Entführungsfall denken.Die zeitliche und räumliche Nähe der politischen Beratungs- und Entscheidungsgremien hat es zusätzlich ermöglicht, Entscheidungen ohne Zeit- und Informationsverlust unmittelbar über die zentrale Einsatzleitung in bundesweite polizeiliche Aktivitäten umzusetzen.Diese polizeiliche Führungsstruktur der zentralen Einsatzleitung muß deshalb das ist heute mein Urteil — unter Verwertung der gewonnenen Erfahrungen durch geeignete personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen auch für jeden künftigen Einsatzfall voll verfügbar gehalten werden.Verehrter Herr Dregger, wenn Sie dieses zentrale Führungssystem heute leichthin abtun,
dann wissen Sie doch, daß — wie bei anderen tatsächlich geführten Einzelaktionen, auch der GSG 9 —, hätten wir diesen Hinweis auf diese Wohnung in der Führungsspitze erhalten,
dies zu einer nicht weniger sorgfältig vorbereiteten Befreiungsaktion geführt hätte wie später in Mogadischu. Daß dies nicht geschehen konnte, war doch nicht eine Frage der Führungsstruktur, um die es hier ging,
sondern das lag einzig und allein daran, daß dieser Hinweis — und das ist eine dramatische Feststellung — die Führung in diesem Einsatzfalle überhaupt nicht erreicht hat, einschließlich
— bitte, lassen Sie mich ausreden — der politischen Beratungsgremien, die sich solche Einsätze ausdrücklich vorbehalten hatten und auch mehrfach durchgeführt haben.
Ich halte es im übrigen für keine gute Sache, Herr Dregger, wenn — anders als in der damaligen Lage, in der nicht ein Wort über Mängel der Führungsstruktur in den politischen Beratungsgremien zu hören war — nun heute nachträglich die geschaffene zentrale Einsatzleitung kritisiert wird, ohne die doch — dies ist das Urteil eines der maßgeblichsten Fachleute noch in der letzten Woche vor dem Bundestagsinnenausschuß — solche bundesweiten Einsätze von Tausenden von Kriminal- undPolizeibeamten in Bund und Ländern überhaupt nicht zu führen gewesen wären.Ein Wort noch zu dem Führungszentrum im BMI, das Sie, Herr Dregger, vorschlagen. Dabei vergessen Sie völlig, daß jede Strafverfolgung — wie auch die im Entführungsfall Schleyer — unter der obersten Leitung des Generalbundesanwalts stand.
— Langsam! Das verbietet jede solche von Ihnenvorgeschlagene Usurpation von Kompetenzen in der Strafverfolgung durch eine Ministerialbehörde. Polizeiführung ist keine bloße Ministerialaufgabe.
Hier geht es darum — und eben dies sehen Sie nicht bei Ihrem Vorschlag —, die sich aus der Strafverfolgung ergebenden Einsätze der Polizeien auf der einen Seite — sie stehen unter der obersten zentralen Regie des Generalbundesanwalts — und die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Einsätze der Polizeien von Bund und Ländern auf der anderen Seite— sie ergeben sich aus dem Polizeiauftrag, und das ist eine ganz andere Sache — in einer zentralen Einsatzleitung zusammenzuführen. Eben dies ist in der geschaffenen Einrichtung der ZEL beim Bundeskriminalamt in Godesberg geschehen.Herr Dregger hat weiter behauptet, der Bund habe es unterlassen, Einsatzfälle — so habe ich Sie verstanden — wie den Fall Schleyer durch zureichende Einsatzpläne vorzubereiten. Diese Vorwürfe verfehlen die Sache und verkennen die Verteilung der Verantwortung zwischen Bund und Ländern, Herr Dregger. Auch im Fall der Zentralen Einsatzleitung bleibt der Innenminister eines Landes in seinem Zuständigkeitsbereich
— das ist nun einmal so, und das werden Sie ohne Änderung der Verfassung nicht ändern —
für Straßensperren, für Kontrollstellen und andere exekutive Maßnahmen verantwortlich, und zwar allein verantwortlich!
: Da hört doch
alles auf!)— Ja, das ist die Verfassungslage, verehrter Herr Haase.Um dennoch den Bund zu befähigen, erforderliche Maßnahmen im Länderbereich auszulösen, andererseits jedoch den Ländern selbst die Durchführung dieser Maßnahmen vorzubehalten, haben Bund und Länder die Beschlüsse vom 15. Februar 1974 und vom 11. April 1975 gefaßt. Diese Beschlüsse sehen im Exekutivbereich eine Auflistung .sämtlicher denkbarer Fahndungsmaßnahmen vor, die jeweils vom Bund abgerufen und in eigener Länderverantwortung durchgeführt werden können. Die Fachgremien von Bund und Ländern haben auf dieser Grundlage einen vollständigen Abrufkatalog entwickelt, der so
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6347
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihoferauch von den beteiligten Polizeien im voraus eingeübt werden konnte und eingeübt wird. Das gilt hin bis zu der Alarmfahndung, wie Sie wissen. Hier liegt eine der wichtigsten Aufgaben auch der Polizeilichen Führungsakademie in Hiltrup, die sie ja seit Jahren gerade auf diesem Felde wahrnimmt. Ohne diese planerischen Anstrengungen, für die wir uns auch von seiten des Bundes in den letzten Jahren einiges zugute halten, hätten die Fahndungsmaßnahmen im Fall Schleyer überhaupt nicht in gemeinsame polizeiliche Aktionen von Bund und Ländern umgesetzt werden können, die allein im Großraum Köln zeitweilig ein Zehntel der deutschen Kriminalpolizei überhaupt zu zentral gesteuerten Einsätzen vereinigt hatten.So komme ich am Schluß zu der Feststellung: Die Bundesregierung geht davon aus, daß der beschrittene Weg einer umfassenden Aufklärung der Ursachen oder Fehler der tragischen Nichtentdeckung ausgerechnet des tatsächlichen zeitweiligen Verstecks Schleyers in Erftstadt dazu führen wird, daß aus den schlimmen Erfahrungen die richtigen Lehren gezogen werden zum Wohle der Sicherheit unserer Bundesrepublik, der Bund und Länder in gleicher Weise verpflichtet sind. Das Vertrauen in die wirksame Arbeit der Polizei — und hierbei unterscheiden unsere Bürger nicht zwischen den Polizeien von Bund und Ländern; dies ist ihnen vollständig gleichgültig —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
ist eine fundamentale Voraussetzung für die innere Stabilität des Landes.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister — —
An der Befestigung dieser Grundlage zu arbeiten — —
— Entschuldigen Sie, ich bin beim allerletzten Satz. — Entschuldigen Sie, ich habe Sie nicht gehört.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön, Herr Bundesminister, fahren Sie fort.
Ich komme jetzt zum Schluß, ich bin am letzten Satz.
Das Vertrauen in die wirksame Arbeit der Polizei — und hierbei unterscheiden unsere Bürger nicht zwischen den Polizeien von Bund und Ländern — ist eine fundamentale Voraussetzung für die innere Stabilität unseres Landes. An der Befestigung dieser Grundlage zu arbeiten, sind wir, Regierung und Opposition, jenseits aller Parteipolitik gemeinsam aufgerufen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Innenmini- ster des Landes Nordrhein-Westfalen.
— Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe und Aufmerksamkeit für den Redner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Haase, ich beabsichtigte nicht, auf irgendwelche Zwischenrufe einzugehen und schon gar nicht dieser Art. Dazu ist mir der Sachverhalt zu ernst.
Herr Präsident ! Meine Damen und Herren! Die Ermordung des Hanns Martin Schleyer — —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Wehner, ich rufe Sie wegen des Zwischenrufs „Pöbel" zur Ordnung.
Herr Minister Hirsch, bitte, fahren Sie in Ihrer Rede fort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Ermordung des Hanns Martin Schleyer und seiner vier Begleiter war nicht nur ein politisches Ereignis mit weittragenden Folgen für die deutsche Innenpolitik. Der Tod dieser Männer war ein menschliches Schicksal, das jeden von uns, unabhängig von unserer politischen Funktion, als Mitbürger betroffen hat, um so mehr als wir diesen Tod nicht haben verhindern können. Dessen bin ich mir bewußt.Ich habe mich hier nur zu dem politischen Tatbestand zu äußern. Es kann nicht sinvoll sein, hier den Versuch zu unternehmen, den Sachverhalt, so wie er sich uns darstellt und wie er in einer ganzen Reihe von Punkten Ihren Annahmen, Herr Abgeordneter Dregger, widerspricht, im einzelnen darzustellen;
denn dieser Sachverhalt ist in mehreren stundenlangen Sitzungen der Innenausschüsse des Bundestages und des Landtages von Nordrhein-Westfalen behandelt, dargestellt und erörtert worden, ohne daß es zu einer völlig übereinstimmenden Beurteilung zu aller Überzeugung gekommen wäre. Es geht uns nicht darum, wie gesagt worden ist, den Versuch zu unternehmen, Verantwortungen zu verlagern oder auf andere Instanzen zu verschieben.
Aber der Bundesinnenminister ebenso wie ich ist gleichzeitig Dienstherr für unsere Polizeibeamten. Wir haben sie durch eine Aufklärung des Sachverhalts vor solchen Lasten zu schützen, die sie nicht
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6348 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Landesminister Dr. Hirschzu tragen haben, und vor Vorwürfen, wenn sie unberechtigt sind.
Nur dann kann ich erwarten, daß diese Beamten auch weiterhin uneingeschränkt ihre Pflicht tun und zu eigenverantwortlichen Entscheidungen bereit sind. Das ist notwendig, das ist das Interesse unseres Landes, daß dies erhalten bleibt. Wir müssen betonen, daß wir tien Männern der Schutz- und Kriminalpolizei unerhörte Leistungen abgefordert haben, und wir haben ihnen dafür zu danken, unabhängig davon, ob uns der Erfolg beschieden war oder nicht.
In der Publizistik der letzten Tage und Wochen ist eine ganze Reihe von Behauptungen aufgestellt worden, die schlicht falsch sind.
Ich möchte es mir hier versagen, — —
— Ich fahre auch fort, Herr Abgeordneter Klein. — Ich möchte es mir versagen, hier auf diese einzelnen Behauptungen einzugehen.Ich bin dem Bundesminister des Innern außerordentlich dankbar dafür,
daß er hier auch von seiner Seite betont hat, daß sich die Länder auch in diesem Fall der Zusammenarbeit mit dem Bund nicht verweigert haben, im Gegenteil. Ich bin sicher, daß wir auch bei der weiteren Behandlung die Beschlüsse der Innenministerkonferenz zur Weiterentwicklung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern eingehend zu würdigen haben und würdigen werden. Diese Zusammenarbeit ist unverzichtbar. Ich appelliere an alle politischen Kräfte, die sich um die Aufklärung dieses Vorganges hier bemühen, bei ihrem weiteren Verhalten zu berücksichtigen, daß diese Zusammenarbeit der Polizeien nicht beeinträchtigt werden darf, eine Zusammenarbeit, die auch im menschlichen Vertrauen der handelnden Polizeibeamten zueinander begründet ist.
Dieses Vertrauen muß in unser aller gemeinsamem Interesse erhalten werden.
Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens ist an einer schnellen und objektiven Darstellung des Geschehensablaufes dringend interessiert.
Es muß völlige Klarheit nicht nur über die Analysevon Fehlern, sondern auch darüber bestehen, wieihre Wiederholung verhindert werden kann, sei esdurch gesetzgeberische, sei es durch organisatorische, personelle oder andere Entscheidungen. Darinallein liegt das Interesse der Bürger unseres Landes.
Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens bittet darum, daß diese Feststellung des Sachverhaltes in einem geordneten Verfahren erfolgt. Wir haben uns daher sofort mit der Beauftragung eines Untersuchungsführers, der allgemeines Ansehen genießt, einverstanden erklärt. Er wird alle Unterlagen einsehen können, ihm gegenüber wird jede Aussagegenehmigung erteilt werden, und er wird über die Veröffentlichung seines Berichtes frei entscheiden. Er wird jede gewünschte sachliche und personelle Unterstützung erhalten. Die Landesregierung ist selbstverständlich auch zu jedem anderen gesetzlich geregelten Verfahren bereit, wenn es von den Parlamenten beschlossen wird.Der Abgeordnete Wernitz hat die Frage nach der politischen Verantwortung gestellt. Ich habe an anderer Stelle erklärt, daß selbstverständlich jeder Minister die politische Verantwortung für seinen Bereich zu tragen hat.
Ich kann bei voller Kenntnis des Sachverhaltes aber keinen Punkt, keine Entscheidung oder kein Unterlassen einer Entscheidung erkennen, die in irgendeiner Weise dem Bundeskanzler zugerechnet werden könnten.
Damit aber die Frage der politischen Verantwortung richtig gestellt und richtig beantwortet werden kann, muß zu aller Überzeugung festgestellt werden, welches Verhalten zur Verantwortung stehen soll, sei es persönliches Fehlverhalten, sei es eine falsche oder unterlassene Weisung, sei es eine zurechenbare Fehlentscheidung der politischen Leitung des Ressorts oder was auch immer sonst. Diese Frage wird gestellt und beantwortet werden. Man muß und kann das aber erst dann tun, wenn der Sachverhalt, um den es geht, zu aller Überzeugung feststeht.
Wir werden alles tun, um diese Klärung so schnell wie möglich herbeizuführen, nicht nur zur Klarstellung der Vergangenheit, sondern auch zur Bewältigung der Zukunft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spranger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 20. Oktober 1977, nach der Ermordung von Hanns Martin Schleyer und nach der Befreiungsaktion von Mogadischu, gab der Bundeskanzler hierzu eine Regierungserklärung ab, in der es am Schluß heißt — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6349
SprangerDieses und dieses haben wir entschieden, jenes und jenes haben wir aus diesen oder jenen Gründen unterlassen. Alles dies haben wir zu verantworten.
Die Bundesregierung wird noch Gelegenheit nehmen, alle ihre Entscheidungen, ihre Gründe — auch ihre Zweifel — öffentlich darzulegen. Zu dieser Verantwortung stehen wir auch in Zukunft. Gott helfe uns!Heute, fast fünf Monate später, werden schwerwiegende, mit hoher Wahrscheinlichkeit tödliche Fehler bei der Fahndung nach den Mördern von Hanns Martin Schleyer sichtbar. Wenn heute diese Fehler erstmals vor dem Deutschen Bundestag zur Sprache kommen, dann allerdings nicht deshalb, weil der Bundeskanzler seine damalige Zusage auf öffentliche Darlegung aller Entscheidungen etwa eingehalten hätte. Obwohl den Verantwortlichen seit etwa Mitte November 1977 die tödlichen Fehler bekannt waren, obwohl die Observation der Wohnung in Erftstadt, Renngraben 8 schon am 2. Februar 1978 erfolglos abgebrochen werden mußte, mußten erst die freie Presse und Fragen und Forderungen vor allem der CDU und CSU die heutige parlamentarische Behandlung möglich machen.
Wir mußten nach den ersten Informationen erleben, wie die Verantwortlichen Versuche unternahmen, den Skandal zu vertuschen, die Verantwortung von Ministern und Behördenchefs auf die Polizisten an der Fahndungsfront zu verschieben. Ich muß sagen: Es ist schon ein starkes Stück, was sich ausgerechnet der nordrhein-westfälische Innenminister hier geleistet hat, wenn er dafür plädiert, daß man nun für volle Aufklärung eintreten müsse. Er ist einer derjenigen, der seit vielen Tagen die notwendige Aufklärung systematisch hintertreibt.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner?
Bitte sehr.
Herr Kollege, ist es nicht so, daß Anlaß dieser Aussprache ein Antrag der beiden Fraktionen der sozialliberalen Koalition ist, der Ihnen vorliegt, und daß dieser Antrag damit begründet worden ist — das steht auch auf dem Ihnen vorliegenden Papier —, daß der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am 9. März 1978 im Deutschen Bundestag erklärt hat, in dieser Frage finde eine Prüfung statt? Ich frage Sie: Wie können Sie jetzt dem Bundeskanzler unterstellen, er habe nichts getan,
und wie können Sie den Ministern das unterstellen? Ich frage Sie.
Herr Wehner, ich kann mir nicht erklären, wie Sie den nordrhein-westfälischen Innenminister mit dem Bundeskanzler verwechseln können; denn den habe ich angesprochen.
Im übrigen mache ich Sie darauf aufmerksam, daß, bevor der Antrag der Fraktionen der SPD und der FDP eingebracht worden ist, vor allem der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, und zwar einige Tage vorher, öffentlich eine solche parlamentarische Debatte verlangt hat. Sie holten nur noch etwas nach, was für Sie nicht mehr vermeidbar war.
Wer erlebt hat, wie unserem ganzen Volk neben den ungeheuren sicherheitspolitischen Dimensionen der Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer auch die menschliche, die tragische Dimension dieses Terrorverbrechens bewußt wurde, wer damals im September und Oktober 1977 die Bestürzung, die Trauer, die ohnmächtige Wut, den Schmerz und das Leid der Betroffenen und unseres ganzen Volkes miterlebte, wird heute sagen müssen: Diese Empfindungen hätten auch im nachhinein Respekt durch rechtzeitige und wahrheitsgemäße Stellungnahme der Bundesregierung zu den Fahndungsfehlern verdient.
Wer sich an die wochenlangen, mit großem Engagement geführten grundsätzlichen Diskussionen im September und Oktober 1977 erinnert, kann nicht begreifen, daß die Bundesregierung und die Regierung von Nordrhein-Westfalen aus nackter Machterhaltungsstrategie bis heute keinerlei Konsequenzen aus diesen Fahndungsfehlern gezogen haben.
Nach den bisherigen Beratungen im Innenausschuß hat sich bis heute folgendes ergeben: Nach seiner Entführung wurde Hanns Martin Schleyer in die Wohnung Erftstadt-Liblar, Renngraben 8, verbracht. Bereits am 7. September ging den Fahndungsbehörden ein konkreter schwerwiegender Hinweis auf diese Wohnung zu. Es ist wahrscheinlich, daß es vor diesem Zeitpunkt und auch nach diesem Zeitpunkt weitere Hinweise der Bevölkerung auf diese Wohnung gab. Durch Auswertung des zweiten Videobandes der Terroristen vom 14. September 1977 steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, daß Hanns Martin Schleyer zumindest bis zum 14. September 1977, wegen der erst am 16. September 1977 beendeten Stromabnahme mit Wahrscheinlichkeit bis zu diesem Zeitpunkt, in dieser Wohnung festgehalten wurde. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß er vor dem 16. September aus dieser Wohnung entfernt wurde.Mindestens vom 7. September, mit Sicherheit bis zum 14. September, wahrscheinlich bis zum 16. September bestand also die große Chance, den Aufent-
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Sprangerhaltsort von Hanns Martin Schleyer festzustellen, Spezialeinheiten einzusetzen, das Opfer zu befreien und die Terroristen festzunehmen. Diese Chance wurde nicht genutzt, weil der entscheidende Hinweis auf den Renngraben 8 nicht verwertet wurde.
Die Bundesregierung hat eine Kommission beauftragt, die Fahndungspannen zu untersuchen und die Ursachen zu finden. Das ist die eine Seite.Die andere Sache ist es, daß wir uns mit der Bundesregierung im Parlament und in den Ausschüssen in Wahrung demokratisch-parlamentarischer Rechte und Pflichten mit einer Vielzahl von Fragen auseinandersetzen müssen, z. B., warum trotz jahrelanger Warnungen vieler Sachverständiger, vieler besorgter Bürger der wachsenden Bedrohung der Terroristen weder gesetzgeberisch noch organisatorisch angemessen begegnet wurde. Wir müssen fragen, warum die Bundesregierung die wachsende Gefahr verniedlichte und verharmloste, warum sie alle vernünftigen Vorschläge der CDU/CSU und auch der Landesinnenminister ablehnte, warum kein schlagkräftiges Führungsinstrument auf Bundesebene zur Bekämpfung des Terrorismus geschaffen wurde.Der Terrorismus ist nicht nur ein nationales, sondern ein internationales Problem, eine gestern wie heute und morgen vor allem gegen die westlichen Demokratien, ihre freiheitliche Grundordnung und deren Repräsentanten gerichtete schwere existentielle Gefahr und Bedrohung. Wir haben heute mit Erschütterung erfahren müssen, daß, während wir über Fahndungsfehler bei der Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer debattieren, der ehemalige Ministerpräsident Italiens, Aldo Moro, entführt wurde und, wie ich höre, etwa fünf Sicherheitsbeamte erschossen wurden. Wir hoffen und wünschen, daß er gesund und wohlbehalten zu seiner Familie zurückkehren kann. Dem italienischen Volk, vor allem aber den Verantwortlichen, die für die Erhaltung der freiheitlichen Demokratie in Italien eintreten und die einen schweren Kampf gegen Terror und Anarchismus kämpfen, gilt unsere herzliche Sympathie.
Wie steht es nun mit der Verantwortung für tödliche Fahndungsfehler? Wer trägt sie für welche Fehler und mit welchen Konsequenzen?„Alles dies haben wir zu verantworten", sagte der Bundeskanzler am 20. Oktober 1977. Heute müssen wir leider erkennen: Dies Bekenntnis zur Verantwortung war offenbar lediglich das Bekenntnis zum Erfolg der Befreiungsaktion von Mogadischu.
Der Bundeskanzler wollte damit zum Ausdruck bringen, daß der großartige Einsatz der GSG 9 und die Rettung vieler Menschenleben der Erfolg seiner Regierung oder sein ganz persönlicher Erfolg waren.
Er wollte zum Ausdruck bringen, niemand solle es wagen, ihm diesen Erfolg streitig machen zu wollen. Deshalb der Satz: „Alles dies haben wir zu verantworten."Nun, Herr Bundeskanzler, es hat in der Tat niemand diesen Erfolg bestritten. Heute aber wissen wir: Neben diesem Erfolg steht ein großer tragischer Mißerfolg.
Wir fragen deshalb jetzt: Wo ist die Regierung, wo ist der Bundeskanzler, Herr Wehner, oder wo haben Sie sich entsprechend geäußert, der auch zu dieser Seite der Medaille klipp und klar erklärt: „Alles dies haben wir zu verantworten"?
Es ist doch ein geradezu atemberaubender Szenenwechsel erfolgt: Die Heldentenöre sind abgetreten, weil die Sonne des Erfolges nicht mehr scheint. Statt dessen präsentiert die Bonner Bühne das bekannte Bild „Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen".
Jetzt, Herr Schäfer, erwähne ich eine Zeitung, die Ihnen ja nicht weit entfernt ist, ,den „Vorwärts".
— Genau, sozialdemokratische Wochenzeitung! — Auf der Seite 4 ihrer jüngsten Ausgabe widmete sie diesem Thema die „Karikatur der Woche". Da wird unter dem Titel „Die Schuld an den Pannen im Fall Schleyer" vom Bundesinnenminister dem Herrn Riemer und vom Herrn Riemer dem Herrn Hirsch ein dicker Band Ermittlungsakten zugeschmissen, der am Ende einen Polizeibeamten zu Fall bringt. Das ist haargenau der Punkt.
: Ich schenke Ihnen das Blatt!)
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Herr Wehner, ich darf folgendes feststellen. Nach dem bisherigen Ergebnis der Untersuchungen sind das feststehende Tatsachen, die zu nennen sind. Ich muß sagen: Wer eine saubere Weste hat,. hätte in den vergangenen Wochen, seit November längst Zeit gehabt, die Öffentlichkeit zu informieren und aufzuklären,
und er hätte auch nicht einen solchen Bericht mit unterschrieben, wie er uns vom LKA und vom BKA in vernebelter Weise, Halbwahrheiten enthaltend, vorgelegt wurde.
Gerade der Verlust dieser Fernschreiben bedeutet den Verlust wesentlicher Indizien zur Aufklärung der Ursachen der Fahndungsfehler. Das alles bilanziert, zeigt schlichtweg ein gestörtes Verhältnis zu den Sicherheits- und Staatsschutzbehörden, das bei den Angehörigen zu weitreichender Verunsicherung und Resignation und zu einer Gefährdung der Sicherheit des Landes Nordrhein-Westfalen führte.Herr Hirsch konnte darüber hinaus bisher auf viele Fragen nicht überzeugend antworten. Ich möchte es mir ersparen, die Fragen hier im einzelnen darzulegen; aber diese Fragen belasten schon deshalb den Minister, weil sie bis heute offengeblieben sind. Der Innenminister Hirsch wehrt sich ge-
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Sprangergen den gelegentlich zu hörenden Vorwurf, manche von ihm veranlaßte organisatorische Maßnahme hätte in Wahrheit dem Ziel gedient, sicherzustellen, daß bei einem anderen denkbaren Ausgang des Schleyer-Dramas der Landesinnenminister Hirsch bei der Siegesparade nicht zu kurz komme. Ich will mich dazu und auch zu seinen Fernsehauftritten unmittelbar am Abend des 5. September 1977 gar nicht äußern und ihm auch gar nichts unterstellen. Es schreibt ein Wochenmagazin, dessen Herausgeber der FDP angehört und das keineswegs im Verdacht steht, der Opposition nahezustehen, in seiner jüngsten Ausgabe — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:Mit Schaudern erinnern sich Kölner Praktiker einer Beinahe-Probe aufs Exempel. Zahlreiche Indizien hatten auf eine Kölner Souterrainwohnung als Schleyer-Versteck hingewiesen. Der Sturm wurde anberaumt, die Polizei sperrte ab. Einem im Hintergrund geparkten grauen Mercedes entstieg Innenminister Hirsch persönlich, „um wohl dem Schleyer als erster die Hand zu schütteln", wie Beamte spotteten.
Dann stürmten die Grenzschützer, doch die Wohnung war leer.Herr Hirsch wird jetzt gewiß sagen, es sei falsch zitiert worden. Bisher habe ich aber nicht gehört, daß dieses Zitat irgendwo und irgendwann dementiert worden wäre.Doch, meine sehr verherten Damen und Herren, kann man nun deshalb die Bundesregierung von ihrer Verantwortung freisprechen, weil sie die Verantwortung ihrerseits auf Nordrhein-Westfalen zu schieben versucht? Die Antwort muß klar mit Nein ausfallen. Die „Dokumentation der Bundesregierung" — ich zitiere den Text des Titels — „zu den Ereignissen und Entscheidungen im Zusammenhang mit der Entführung von Hanns Martin Schleyer und der Lufthansa-Maschine „Landshut" vom 7. November 1977 bestätigt, daß auch dafür gilt, was .der Bundeskanzler am 20. Oktober sagte: „Alles dies haben wir zu verantworten."
Die Dokumentation berichtet über eine Vielzahl von Sitzungen des Kabinetts und der Kleinen Lage, von Lagezentren im Bundeskanzleramt, im Bundesinnenministerium, von entsprechenden Arbeitsstäben. Dem Großen Krisenstab, wo auch die CDU/CSU saß, wird im Verhältnis dazu allerdings nur untergeordnete Bedeutung beigemessen. Auf Seite 20 der Dokumentation heißt es nämlich:Mit der Einladung zu gemeinsamen Beratungen konnten keine neuen Entscheidungsgremien geschaffen werden. Die Beratungskreise hatten die Aufgabe, den Austausch von Informationen und Bewertungen zu gewährleisten, um die Entscheidungen der jeweils Verantwortlichen aufeinander abzustimmen und die Urteile von Persönlichkeiten einzubeziehen, deren Rat für die Entscheidungsfindung wichtig war.Um so heller leuchtet dann in der Dokumentation das Licht des Bundeskanzlers und seines Kabinetts. Die Kleine Lage wird zum Dreh- und Angelpunkt. Auf Seite 19 wird ausgeführt:Den Vorsitz führte der Bundeskanzler, im Falle seiner Abwesenheit grundsätzlich Bundesinnenminister Maihofer. Regelmäßiger Teilnehmer war außerdem Bundesaußenminister Genscher oder einer der Staatssekretäre des Auswärtigen Amtes.Zum Kabinett heißt es:Alle Grundsatzentscheidungen sind in den Beratungen des Kabinetts vorbereitet und getroffen worden. Das Kabinett hat den Bundeskanzler und die Bundesminister des Auswärtigen, des Innern und der Justiz beauftragt, im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit unmittelbar notwendige Entscheidungen zu treffen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, in dieser Dokumentation haben der Bundeskanzler und seine Regierung eindeutig die volle Verantwortung für die im Zusammenhang mit der Entführung von Hanns Martin Schleyer und der Lufthansa-Maschine „Landshut" getroffenen oder unterlassenen Entscheidungen übernommen.
Diese Verantwortung ist doch unteilbar. Sie gilt doch nicht nur für den Erfolg von Mogadischu. Diese Verantwortung gilt selbstverständlich auch für den Mißerfolg bei der Fahndung nach den Entführern und Mördern von Hanns Martin Schleyer.
Diese Dokumentation ist im übrigen auch sonst außerordentlich aufschlußreich, um die „Weitsicht", das „Krisenmanagement" dieser Bundesregierung zu beleuchten. So findet sich über eine Kabinettssitzung am 14. September der Vermerk:Fragen der Gesetzgebung, die im Zusammenhang mit der inneren Sicherheit stehen, werden erörtert.Als ob man dazu nicht jahrelang Zeit gehabt hätte! Man verhängt eine Nachrichtensperre und muß sich heute fragen, ob die Beteiligung der Öffentlichkeit an der Fahndung die Fahndungsfehler hätte ausgleichen können.Unter dem Datum 21. September 1977, 16 Tage nach der Entführung von Herrn Schleyer, wird in der Dokumentation auf Seite 58 erwähnt:Das Kabinett faßt außerdem Beschlüsse zu einer verstärkten Koordinierung der Sicherheitskräfte des Bundes.Und das 16 Tage nach der Entführung von Herrn Schleyer!So können wir heute feststellen: Die Fahndungsfehler müssen überwiegend den Entscheidungen oder Unterlassungen des Bundeskanzlers, des Bundesinnenministers, des nordrhein-westfälischen Innenministers und des BKA-Präsidenten Herold angelastet werden.
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SprangerSie haben Kompetenzen gefordert und erhalten, von Öffentlichkeit und Opposition Vertrauen in Ihre Entscheidungsfähigkeit und Führungskraft gefordert und erhalten — schon damals von uns, von der CDU/CSU, mit erheblichen Zweifeln. Nun müssen sie sich an diesen Maßstäben messen lassen. Der Schaden, den sie angerichtet haben, ist groß, nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die polizeiliche Arbeit und die Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte mit der Bevölkerung, deren Vertrauen auf die Anerkennung ihrer Mitarbeit durch die politisch Verantwortlichen schwer geschädigt wurde.
In der Erklärung vom 20. Oktober vor dem Deutschen Bundestag hat der Herr Bundeskanzler auch mit großer Betroffenheit und Bestürzung von den jüngsten Ereignissen im Gefängnis Stuttgart-Stammheim gesprochen.
In jenen Tagen ging ein Trommelfeuer von Forderungen aus den Reihen der Koalitionsparteien nach Stuttgart, das persönliche und politische Konsequenzen forderte.
Der damalige Justizminister Bender hat diese Konsequenzen gezogen, und wir fragen, wie lange wir eigentlich noch warten müssen, bis die Bundesregierung, die Regierung von Nordrhein-Westfalen die gleichen politischen Konsequenzen ziehen.
Das Wort hat der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beabsichtige
nicht, mit als Mitglied des Bundesrates an einer solchen Debatte weiter zu beteiligen, zumal ich — im Gegensatz zu dem Abgeordneten Spranger — nicht die Rechte der Indemnität und der Immunität besitze.
Ich muß Ihnen allerdings sagen, daß das Zitat, das Sie mir in den Mund legen, in diesem Nachrichtenmagazin nicht mir zugeschrieben wird, sondern einem Anonymus. Ich bin in dieser Nacht im Palizeipräsidium gewesen, um den dort tätigen Männern zu zeigen, daß sie nicht die einzigen sind, die rund um die Uhr arbeiten. Ich habe dann in der Tat die-sen Einsatz beobachtet, weil ich nicht ausschließen konnte und kann, daß auch andere nichtbeteiligte Kölner Bürger davon betroffen sein würden. Ich habe das für meine Pflicht als Innenminister dieses Landes gehalten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Gang der Ermittlungen der zuständigen Behörden bei der Fahndung nach den Mördern des Arbeitgeberpräsidenten Dr. Schleyer und seiner Begleiter im vergangenen Jahr stellt alle, die politische Verantwortung tragen, vor große und sehr ernstzunehmende Fragen.
Dies gilt auch für den Deutschen Bundestag und für die Art und Weise, wie er diese Fragen hier heute debattiert. Mit dem Antrag vom 10. März 1978 haben die Fraktionen von SPD und FDP vor allem zweierlei erreichen wollen, erstens eine vollkommene und rückhaltlose Unterrichtung über den Gang der Ermittlungen in den kritischen Septembertagen 1977 und zweitens eine Diskussion über die Ursachen, die zu offensichtlichem Fehlverhalten bei Dienststellen des Bundes oder des Landes Nordrhein-Westfalen oder sonstwo geführt haben.
Nicht Sie, Herr Kollege Spranger, oder Ihre Fraktion haben diese parlamentarische Debatte möglich gemacht, sondern der Antrag der Koalitionsfraktionen und schon die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers in der vergangenen Woche. Es ist doch einfach falsch, so zu tun, als wenn wir, die Koalitionsfraktionen, zu dieser Debatte hier hätten gezwungen werden müssen. Vermeiden Sie doch diesen Eindruck.
Das gleiche gilt für Ihren Hinweis, daß etwa hier in irgendeiner Stelle der Versuch gemacht werde, Verantwortlichkeiten, die möglicherweise politische Verantwortlichkeiten sind — ich sage im Augenblick: möglicherweise —, an irgendwelche untergeordneten Stellen der Polizei zu verlagern. Wer hat das getan, und wer will das tun?
— Ich tue es nicht. Wie können Sie das sagen?
Sie können die Ausführungen des Innenministers von Nordrhein-Westfalen — ich will dazu nichts Weiteres sagen — im einzelnen werten, wie Sie wollen. Daß er im Innenausschuß in zwei Sitzungen sehr ausführlich Rede und Antwort gestanden hat und alles offengelegt hat, was von ihm offenzulegen ist, das kann doch ebenfalls nicht bestritten werden, meine Damen und Herren. Fangen wir doch hier nicht mit einer falschen Schlachtordnung an!
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Berger?
Ja, bitte.
Herr Kollege Wendig, würden Sie mir erlauben, Ihnen einen Hinweis auf die frühere Berliner Senatorin für Jugend und Sport, Ella Kay , zu geben, die für eine politische Maßnahme, für die sie gefochten hatte, verantwortlich war und die aus Gründen, die zu
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Frau Berger
einem Fehlschlag dieser Maßnahme führten, ihren Rücktritt noch vor Sonnenuntergang des Tages erklärte, an dem ein unglückliches Ereignis, hervorgerufen durch die von ihr vertretene Maßnahme, eintrat?
Frau Kollegin Berger, das war keine Frage,
— nein, es war die Bitte, etwas zur Kenntnis zu nehmen. Ich kenne diesen Fall nicht; ich kann ihn im Augenblick nur zur Kenntnis nehmen und nicht mehr dazu sagen.
Meine Damen und Herren, es gibt wohl niemanden in unserem Hause und in unserem Lande, den die in diesen letzten Tagen zutage getretenen Fehler nicht zutiefst erschüttern, und ich finde, das sollte man ernst nehmen. Es steht hier mehr auf dem Spiel als eine Kritik an möglichen Fehlleistungen innerhalb der zuständigen Exekutivorgane des Bundes oder der Länder oder eines Landes oder sonstwo. Wir empfinden mit den unmittelbar Betroffenen, deren bohrende Fragen wir schon aus menschlichen Gründen voll aufnehmen müssen. Das fällt uns nicht leicht, aber wir tun das. Darüber hinaus wissen wir auch — und auch das muß hier einmal gesagt werden —, wie schwer die Last gerade in diesen Tagen für diejenigen sein muß, die in den entscheidenden Tagen des September und des Oktober 1977 für die Sicherheit unseres Staates und für die unmittelbar betroffenen Bürger unseres Landes Verantwortung zu tragen und Entscheidungen zu fällen hatten.
Wir müssen uns aber auch — und das ist das letzte zu diesem Punkt — den bohrenden Fragen aller Bürger stellen, die wissen wollen, wie es mit der Wirksamkeit der sicherheitspolitischen Maßnahmen unseres Staates bestellt ist.
— Das tun wir, dabei bin ich ja gerade! — Dies alles zwingt uns dazu, auf eine schnelle und gründliche Klärung der fraglichen Vorgänge zu drängen. Wir fordern deshalb eine volle und rückhaltlose Aufklärung. Dem Parlament als dem höchsten politisch verantwortlichen Organ unserer Republik stellt sich nach einer solchen Erklärung dann auch die Aufgabe, festzustellen, welche Konsequenzen wir zur Vermeidung künftiger Fehler zu ziehen haben werden. Ich glaube — oder habe geglaubt —, daß dies eine Erkenntnis ist, die allen politischen Kräften in diesem Hause gemeinsam sein sollte.
Meine Damen und Herren, ich komme zu einem anderen Aspekt. Sosehr wir die Betroffenheit und die Erregung vieler in unserem Lande verstehen und teilen, so sehr müssen wir in allem Ernst und mit einem Höchstmaß an objektiver Nüchternheit an die Bewältigung dieser Aufgabe herangehen. Es ist dies weder ein Feld für einen parteipolitischen Streit noch ein Anlaß — und das sage ich ganz ausdrücklich —, irgendwelche Vorkommnisse kleinzuschreiben, zu verniedlichen oder unter den Teppich zu kehren.
— Sie sagen schon wieder, ich sei dabei. Hören Sie mich doch einmal zu Ende an; ich bitte Sie darum. Wo tue ich das denn? Es ist doch einfach nicht wahr, was Sie hier laufend unterstellen wollen!
Wenn ich gesagt habe, das sei kein Feld für einen parteipolitischen Streit — das ist die eine Seite —, muß ich auch sagen, daß das, was die Kollegen Dregger und Spranger hier vorgebracht haben, ganz gewiß kein wertvoller Beitrag zu einer solchen Auseinandersetzung ist.
Manches von dem, was hier an Beispielen gebracht worden ist, trifft doch im Grunde genommen gar nicht den Kern der Sache, über den wir diskutieren wollen und zu dem ich endlich kommen möchte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogel?
Ja, bitte.
Herr Kollege Wendig, sind Sie in der Lage, einmal einen Augenblick über die Frage nachzudenken, ob es nicht für eine sachgemäße Aufklärung und für das Heraushalten aus einem solchen parteipolitischen Streit auch hilfreich ist, daß diejenigen, die nun einmal die höchste politische Verantwortung tragen, durch Konsequenzen, die sie persönlich ziehen, den Weg für eine solche ruhige, sachliche Aufklärung freimachen? Ich darf an die Fälle Bender in Baden-Württemberg und auch Oxfort in Berlin erinnern.
Verehrter Herr Kollege Vogel, ich muß hier wieder einmal sagen: Hören Sie mich doch bitte zu Ende an, und zäumen Sie hier das Pferd nicht von hinten auf!Wir müssen bei alledem auch ein weiteres bedenken: In diesen Tagen wird sehr viel geschrieben, geredet und leider auch spekuliert. Die notwendige Debatte über die Ursachen der Pannen und die Maßnahmen zu einer notwendigen Verbesserung bei der polizeilichen Ermittlung darf den Blick nicht dafür verstellen, welche außerordentlichen Probleme die modernen Erscheinungsformen des Terrorismus aufgeworfen haben. Trotz der Fehlentwicklung, die es zu erkennen und zu untersuchen gilt, darf nicht leichtfertig der Eindruck erweckt werden, hier bestünde ein beinahe unentwirrbares Chaos. So kann man es auch wiederum nicht machen. Das Vertrauen der Bürger, auf deren Mitwirkung wir auch in Zukunft angewiesen sein werden, darf ebensowenig untergraben werden wie die Einsatzfreudigkeit unserer Sicherheitskräfte, die
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Dr. Wendigin den vergangenen Monaten mit einem hohen Maß an Pflichtbewußtsein tätig gewesen sind. Wir leisten keinem• einen Dienst, wenn wir eilfertig verwerfen, wo es noch sehr viel zu fragen und zu prüfen gilt.Der Bundesminister des Innern hat uns soeben einen Bericht erstattet, der vieles klarstellt, aber auch — das will ich hier ganz offen sagen — noch einige Fragen offenläßt, nach dem gegenwärtigen Stand wahrscheinlich auch noch einige Fragen offenlassen muß.Der Innenausschuß des Deutschen Bundestages hat sich in zwei Sitzungen mit diesem Problem sehr ausführlich befaßt, ohne ,daß auch dort in allen Fragen schon eine letzte Klarheit hätte gewonnen werden können. Das gleiche gilt vermutlich auch für • den Innenausschuß des Landtags Nordrhein-Westfalen.Hier, meine Damen und Herren, liegt aber schon ein kardinaler Schwerpunkt für die Bewältigung des Problems. Die nach dem Grundgesetz und den geltenden Gesetzen vorgegebene föderative Struktur unserer Polizei kennt nun einmal zwei Verantwortungsträger. Wir müssen fragen, ob nicht schon hier eine der grundlegenden Ursachen für etwaige organisatorische Mängel begründet liegt. Die Doppelzuständigkeit von Bund und Land erschwert auch die Aufklärung des heute in Rede stehenden Sachverhalts.Die Fraktion der Freien Demokraten begrüßt daher mit Nachdruck den Beschluß der Bundesregierung und der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, eine unabhängige und fachlich erfahrene Persönlichkeit mit der Untersuchung zu beauftragen, aus welchen Gründen dem Hinweis auf die Wohnung in Erftstadt nicht rechtzeitig bzw. nicht ausreichend nachgegangen wurde. Wir begrüßen, daß mit unserem früheren Kollegen, dem Bundesminister a. D. Hermann Höcherl, eine Persönlichkeit gewonnen werden konnte, die hohes fachliches Wissen mit Unabhängigkeit des Urteils in sich vereint.Dies ist an und für sich ein Auftrag der zuständigen Regierungen von Bund und Land. Wir sind überzeugt, daß uns ein objektiver Bericht vorgelegt wird. Dies gilt auch für den weiteren Auftrag, Vorschläge zu einem besseren Einsatz der staatlichen Mittel zu machen, die bei der Bekämpfung des Terrorismus geboten sind.Hierzu eine besondere Anmerkung. Dies bringt doch das Parlament nicht aus der Verantwortung. Es ist falsch, dies so darzustellen. Wir werden hier im Plenum und in den Ausschüssen des Bundestages die Ergebnisse des Untersuchungsberichts eingehend zu erörtern und auszuloten haben. Ich habe deshalb kein Verständnis für Stimmen aus Kreisen der Opposition, die da meinen, mit diesem Untersuchungsauftrag werde die Funktion des Parlaments in irgendeiner Weise tangiert. Das Gegenteil ist der Fall.
Der Bericht des Bundesministers des Innern wirft, wie ich schon sagte, eine Reihe noch offener Fra-gen auf. Wir werden sie klären müssen. Ich lasse hierbei den Fall eines möglichen menschlichen Versagens an der einen oder anderen Stelle vorerst beiseite. Hier kommt es auf gewichtige Dinge an. Aber ich will sie hierbei nennen, damit Sie nicht meinen, es seien Dinge, die wir nicht erörtern, diskutieren und prüfen wollten, und zwar, meine Damen und Herren, auch mit Konsequenzen, wenn es notwendig sein sollte.Da ist ,die Frage: Wie konnte es geschehen, daß eine offensichtlich wichtige Spur in den Zusammenhang mit einer allgemeinen Übersicht gebracht wurde, die für eine generelle Fahndung zu einem späteren Zeitpunkt gedacht war? Mußten nicht schon vor Ort, d. h. in Erftstadt und in Bergheim, andere Fahndungsmaßnahmen ergriffen werden bis hin zur Abfragung des beim Bundeskriminalamt vorhandenen Computer-Systems?Die weitere Frage: Hat eine Änderung der Befehls- und Nachrichtenstrukturen durch den Regierungspräsidenten Köln Unsicherheit über die zu treffenden Maßnahmen geschaffen? Aber auch: Konnte und mußte die Sonderkommission 77 beim BKA, angesiedelt in Köln, nicht trotz alledem die Bedeutung der Nachricht erkennen und danach entsprechende Maßnahmen ergreifen? Warum ist dies unterblieben?Ist es schließlich richtig, daß das entscheidende Fernschreiben des OKD in Bergheim nicht an den Koordinierungsstab, wie man sagt, des Landes Nordrhein-Westfalen gelangt ist, und wie ist dies zu erklären? Meine Damen und Herren, dies sind auch für uns entscheidende Fragen, die jetzt nicht hinreichend geklärt sind und auf die ich jetzt auch nicht näher eingehen will. Für die heutige Debatte bringt uns dies nicht weiter.Aber die Fragen müssen weitergehen. Damit komme ich genau auf den Bereich, den beispielsweise auch der Herr Kollege Dregger angesprochen hat. Wie sieht es mit den allgemeinen Organisations-, Befehls- und Nachrichtenstrukturen aus? Bund und Land Nordrhein-Westfalen haben mehrere Lenkungsorgane geschaffen, beim Bund die Zentralen Einsatzleitungen 1 und 2, letztere mit der Außenstelle Soko 77 in Köln, das Land Nordrhein-Westfalen den Koordinierungsstab ebenfalls beim Polizeipräsidenten in Köln. Der Bundesminister des Innern hat — jetzt komme ich auf die Frage nach den Befehls- und Leitungsstrukturen — am 6. September 1977 den Ländern mitgeteilt, daß die Zentrale Einsatzleitung berechtigt sein sollte, alle erforderlichen Einsätze anzuordnen. Die Länder haben dem nicht widersprochen. Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen hat deshalb folgerichtig auch das Landeskriminalamt angewiesen, alle Anforderungen des BKA in personeller und materieller Hinsicht zu erfüllen.Jetzt kommt die Frage: Welche Voraussetzungen waren nun geschaffen, daß das Bundeskriminalamt in den Stand versetzt wurde, durch einen ungehinderten Nachrichtenzufluß diese seine Lenkungsbefugnisse auch wirksam auszunutzen? Der Bundesinnenminister hat einen bestimmten. Komplex von
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Dr. WendigEinrichtungen und Vorkehrungen genannt, die zum Teil mit den Ländern vereinbart worden sind. Aber hier kommt doch die Frage, die wir auch noch prüfen müssen: Reicht dies so aus? Wir wissen doch, daß nach der gegenwärtigen Fassung des BKA-Gesetzes das Bundeskriminalamt erst im nachhinein — und das heißt, nach einem eingetretenen Verbrechen — vom Bundesminister des Innern oder vom Generalbundesanwalt mit den polizeilichen Aufgaben auf dem Gebiet der Strafverfolgung beauftragt werden kann. Gegenwärtig können daher die erforderlichen Organisationen und die Nachrichtenflüsse nur durch Verwaltungsvereinbarungen zwischen Bund und Ländern geschaffen werden; hiervon war schon die Rede. Diese Vereinbarungen will ich deswegen nicht klein schreiben; sie schließen deswegen noch nicht ihre Wirksamkeit aus. Notwendig ist doch sicherlich, daß ein Kernbestand eines solchen Organisationssystems zunächst einmal kraft Bund-Länder-Vereinbarung vorhanden ist und eingeübt worden ist. Daß dies im Prinzip der Fall ist, ist uns hier vorgetragen worden. Das kann natürlich nicht ein System sein, das überall und für jeden Fall gelten und wirken kann. Wir müssen doch von der Komplexität der Verhältnisse ausgehen, von den Räumen, in denen derartige Dinge vonstatten gehen und von den äußeren Umständen, denen man Rechnung tragen muß. Ich spreche deshalb nur einen Kernbestand eines solchen Systems an.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hartmann?
Ja, bitte!
Herr Kollege Dr. Wendig, sind Sie nicht der Meinung, daß die Frage nach der Organisationsstruktur im konkreten Entführungsfall Schleyer bereits dadurch beantwortet ist, daß Herr Innenminister Dr. Hirsch ausweislich des Protokolls des Innenausschusses des Landtags von Nordrhein-Westfalen die Frage, ob ein eingeübtes Organisationskonzept für die Schleyer-Fahndung vorgelegen habe, mit der Begründung verneint hat, niemand in Bund und Ländern habe damit gerechnet, daß sich Derartiges ereignen könne?
Ich habe davon gesprochen, daß ein Kernbestand vorhanden sein muß, und daß es nicht möglich ist, eine Organisation zu schaffen, die auf jeden denkbaren Fall abgestimmt sein kann. Das heißt natürlich, daß ich auch nicht unbedingt mit jedem Fall rechnen muß und dafür ein System habe, das überall gleich paßt.
Aber ich gehe da auch noch weiter. Auch bei einem solchen Kernbestand gilt es zu fragen, ob es nicht Schranken gibt, die bei der gegenwärtigen Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern durch solche Verwaltungsvereinbarungen einfach nicht überwunden werden können.
Andere Fragen ergeben sich im Nachrichtenbereich beim elektronischen Datensystem. Bundeskriminalamt und Länder haben zum Teil — wir wissen das — unterschiedliche Systeme. Sind diese Systeme wirklich nicht kompatibel? Und was muß geschehen, daß ein Zugang zum PIOS-System des Bundeskriminalamtes möglichst weit unten eröffnet werden kann? Dies war doch offensichtlich nicht befriedigend gelöst. Das Bedrückendste in unseren bisherigen Erkenntnissen liegt doch wohl darin — darüber besteht ja gar kein Streit —, daß eine schnelle Abfragung beim PIOS-System einen entscheidenden Hinweis für wirksame Fahndungsmaßnahmen ergeben hätte. Die Spur wäre also wirklich heiß geworden.
Meine Damen und Herren, ich habe alle diese Dinge bewußt in die Form von Fragen gekleidet, weil trotz bestimmter Vermutungen heute letzten Endes noch nicht überall letzte Antworten gegeben werden können. Deshalb halte ich gar nichts von einem etwas voreiligen Vorgehen der Opposition, die meint, in diesen Fragen überall schon die Antworten parat zu haben. Wir haben einige dieser Antworten heute nicht. Wir werden aber — daran wollen wir alle mitwirken, ich habe das eingangs erklärt — alles dazu tun, daß diese Antworten gegeben werden können. Wir wissen, daß sowohl die Bereitschaft der Bundesregierung als auch die Bereitschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, dabei mitzuwirken, voll und uneingeschränkt vorhanden ist.
Wir wissen aber auch ein Weiteres. Wir wissen nämlich, daß sich die Bundesregierung und der Bundesinnenminister bereits seit geraumer Zeit außerhalb der bestehenden Verwaltungsabsprachen mit ,den Ländern in zwei Bereichen um eine Verbesserung der gesetzlichen Grundlagen bemühen. Das ist so. Es besteht die Forderung nach einer Kompetenz des Bundeskriminalamts für eine vorbeugende Verbrechensbekämpfung im Bereich des Terrorismus und die Forderung nach einer Ausweitung der Zuständigkeiten des BKA als der zentralen Nachrichtenstelle der deutschen Polizei. Man wird deshalb hier die Frage anschließen müssen, aus welchen Gründen bisher eine Übereinstimmung mit den Ländern nicht hat gewonnen werden können. Eine Erweiterung der Kompetenzen des Bundeskriminalamts in diesen Bereichen wird im übrigen von meiner Fraktion, den Freien Demokraten, schon seit langem gefordert. Ich selbst habe bisher in mehreren Debatten bereits darauf hingewiesen, ohne daß von der Opposition überhaupt ein Echo gekommen ist. Hier werden möglicherweise Voraussetzungen geschaffen, die jenen Befehlsstrang überhaupt erst möglich machen, den Herr Kollege Dregger für notwendig erachtet, der aber so jetzt nicht geschaffen werden kann.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier keineswegs den Eindruck erwecken, als ob ein Organisationsgesetz für sich schon geeignet sein könnte, alle denkbaren Fehlentwicklungen von vornherein auszuschließen. Wir sollten aber alle gemeinsam nun endlich einmal prüfen — so weit sind wir in diesem Hause leider noch gar nicht —, ob hier nicht der brauchbarste Weg liegt, der dazu führt, etwaige Fehlentwicklungen auf ein Mindestmaß zu
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Dr. Wendig
beschränken. Ich bin hier sehr bescheiden. Wir Freie Demokraten werden jedenfalls auch auf diese Frage zurückkommen, wenn der Untersuchungsbericht hier zur Debatte steht. Diese Frage berührt im übrigen einen Teil der Schlußfolgerungen, die der Bundesminister des Innern soeben in seinem Bericht mit angesprochen hat. Meine Damen und Herren, wir nehmen die Verantwortung, die auch dieses Parlament für eine möglicherweise notwendig werdende Gesetzgebung zu tragen hat, sehr schwer.
Wir weichen — damit komme ich zum letzten Teil meiner Rede — weder in diesem Bereich noch sonst irgendwo irgendwelchen Folgerungen aus, die notwendig werden mögen. Anders hätte die Forderung nach einer rückhaltlosen Aufklärung keinen Sinn. Die Beratungen im Innenausschuß haben aber, wie ich meine, ohne jeden Zweifel deutlich gemacht, wie ernst die zuständigen Minister ihre Aufgaben in den kritischen Wochen des vergangenen Jahres genommen haben. Was heute — ich betone: heute — an Erkenntnissen vorliegt, enthält nichts, was den zuständigen Ministern persönlich anzulasten wäre. Wenn ich dies sage, vermindere ich damit nicht das Gewicht der unheilvollen Konsequenzen, die das Versickern der heißen Spur im September 1977 ohne jeden Zweifel gehabt hat. Wichtig ist vor allem auch, wo die Fehlerquellen im System stecken und wie sie am wirkungsvollsten zu beseitigen sind.
Wir erwarten, daß uns der Untersuchungsbericht für die Erörterung dieser Fragen bessere Entscheidungsgrundlagen geben wird, und wir hoffen zugleich, daß dieser notwendige Prozeß danach mit der Debatte im Parlament und seinen Ausschüssen auch das Vertrauen unserer Bürger in die Wirksamkeit der staatlichen Sicherheitspolitik wieder verstärken wird oder herstellt. Darauf sind wir alle angewiesen, meine Damen und Herren.
Ich darf ein letztes Wort zu dem 'sagen, wie die Herren der Opposition hier in weiten Teilen die Diskussion geführt haben. Ich meine, daß Ihre Beiträge nicht konstruktiv in dem Sinne waren, daß dieses Vertrauen, von dem ich eben gesprochen habe, hergestellt wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pensky.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist sicherlich ein beachtlicher Vorgang, daß der Kollege Dregger wieder einmal unter uns weilt, d. h., ich muß sagen, jetzt weilt er schon wieder nicht unter uns.
Ich muß allerdings meine Betroffenheit darüber äu-Bern, Herr Kollege Haase, Sie Zwischenrufer vom Dienst,
daß der Kollege Dregger erst jetzt bzw. nachher vor den Fernsehkameras sein Sicherheitsbedürfnis artikulieren will. Wahrscheinlich geschieht das in diesem Augenblick, wo ich mich mit seinen Ausführungen zumindest ein wenig auseinandersetzen wollte. Bei Herrn Dregger wird man einfach den Eindruck nicht los, daß innere Sicherheit für ihn nichts anderes als ein Modethema ist.
Ihr Problem, Herr Kollege Dregger, ist aber nicht unseres. Uns geht es um den Staat, uns geht es um die Sicherheit unserer Bürger in Freiheit in diesem Staat.
— Nun regen Sie sich mal nicht auf, meine Herren Kollegen.
Worum es Herrn Dregger geht, meine Damen und Herren, das kann inzwischen der Blinde mit dem Krückstock fühlen.
Wir sind bereit, mit allen Kolleginnen und Kollegen, auch mit den Kolleginnen und Kollegen der Opposition, bei alledem, was hier zu beraten, was zu entscheiden ist, mit Ihnen gemeinsam die besten Wege zu suchen, darum zu ringen und, wenn es sein muß, auch zu streiten.
Der Kollege Dregger befindet sich eben nicht an den Orten, wo nach. den Regeln des Deutschen Bundestages regelmäßig diese Diskussionen stattfinden, nämlich in den Fachausschüssen dieses Bundestages. Nie ist er dort anzutreffen.
Alle müssen das nach seiner großangelegten Rede heute morgen wissen, daß Herr Dregger nicht eine Minute im Innenausschuß des Deutschen Bundestages anwesend war, als wir uns in zwei Sitzungen sehr umfassend bis in die späten Nachtstunden hinein mit einer Aufklärung dieser Frage befaßten. Dort hätte er auch die Möglichkeit gehabt, Auskünfte zu erhalten.
Aber wir wissen ja, die Kleinarbeit, die Drecksarbeit überläßt er anderen.
Ich sage das auch mit Blick auf die Kollegen Ihrer
eigenen Fraktion. Aber wie er das gegenüber Ihrer
Pensky
eigenen Fraktion vertritt, das ist natürlich seine Sache.
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Damit hat sich der Kollege Dregger selbst ins Abseits gestellt.
Ihm mangelt es deshalb auch an jeder Kompetenz, zu diesem Thema hier in diesem Saale zu sprechen.
— Herr Haase, Sie haben den richtigen Namen; der Hase weiß auch von nichts.
Deshalb hat der Herr Dregger hier in seinen Ausführungen von Sachverhalten geredet wie der Blinde von der Farbe.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Spranger?
Nein, ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage.
Ich komme auf die Ausführungen des Kollegen Spranger noch zurück. Dann hat er die Möglichkeit zu einer Zwischenfrage. Herr- Kollege Spranger, nach den demagogischen Ausführungen des Herrn Kollegen Dregger konnte es ja gar nicht. ausbleiben, daß Sie versuchen würden, ihn noch zu übertreffen, d. h., daß Sie versuchet würden, auf diesen Schelm noch anderthalben draufzusetzen.
— Nein. Wir wissen ja — das wissen inzwischen alle —, daß diese beiden Herren die Redner vom Dienst sind, wenn es darum geht, demagogisch zu polemisieren, zu diffamieren und zu verdächtigen.
•
Meine Damen und Herren von der Opposition, einen derartigen Stil lehnen wir ab. Wir sind nicht so anmaßend wie Sie,
ganz bestimmte Personen zu verurteilen,
bevor das Ergebnis der Untersuchung überhaupt vorliegt.
Das macht man in ' einem Rechtsstaat nicht einmal mit einem Schwerverbrecher.
Was das hier zur Beratung anstehende Thema angeht, so steht nur eines fest — auch daran beißt keine Maus einen Faden ab —: Bei der Fahndung auf Grund des grausamen Ereignisses vom 5. September 1977 in Köln hat es nicht wiedergutzumachende Fehler gegeben. Wer wo was falsch gemacht- hat und welche Rückschlüsse daraus zu ziehen sind, bleibt zu untersuchen. Wir werden es auf jeden Fall nicht zulassen, daß es Anlaß zu der Annahme geben könnte, als wolle hier irgend jemand etwas vertuschen. Diese Ihre Verdächtigungen, . Herr Kollege Spranger, weise ich hier mit aller Entschiedenheit zurück.
Der gemeinsame Entschluß der Bundesregierung und der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, eine unabhängige, fachlich erfahrene Persönlichkeit mit der Untersuchung zu beauftragen, kann nur begrüßt werden. Dies ist eine optimale Möglichkeit, zu einem objektiven Bericht zukommen, der dann auch — darauf legen wir Wert — ungeschminkt dem Deutschën Bundestag und damit der deutschen Öffentlichkeit vorgelegt wird.
Die Gründlichkeit der Untersuchungen und die Objektivität werden dadurch beispielhaft, gefördert, weil beide Regierungen sich verpflichtet haben, dem Untersuchungsführer alle benötigten mündlichen und schriftlichen Auskünfte zu erteilen und Unterlagen zur Verfügung zu stellen.
— Jawohl. Jetzt will ich einmal das Gegenstück vortragen und sagen, wie dies in Ländern, in denen es nicht sozialliberale Regierungen gibt, praktiziert wird. Diese gegenseitige Mithilfe zur Aufklärung schwieriger Sachverhalte hebt sich eindeutig von dem ab, was wir in den letzten Tagen zu einem anderen aktuellen Fall erfahren mußten. Ich meine das völlig unverständliche Verhalten der CSU-geführten Bayerischen Staatsregierung, die sich geweigert hat, eine Aussagegenehmigung für den bayerischen Staatsminister des Innern und seinen Amtsvorgän-
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Penskyger vor dem Untersuchungsausschuß des Bundestages zur Aufklärung der Abhöraffäre Strauß/Scharnagl zu erteilen.
Hier muß ich doch wirklich fragen: Wer hat denn da wohl etwas zu vertuschen?
Es wäre gut gewesen, wenn auch der Kollege Dregger zur Kenntnis genommen hätte, wie offen dagegen die Gespräche gewesen sind, die wir im Innenausschuß führen konnten, wo Sie ja nicht zugegen waren, Herr Kollege Dregger,
wo nämlich die Landesregierung Nordrhein-Westfalen bereitwillig Auskünfte gegeben hat, auch durch Beamte der nachgeordneten Stellen.
Bei uns — ich wiederhole es noch einmal - wird nichts vertuscht.
Auch dies darf ich feststellen, weil es hier und da in Zweifel gezogen worden ist: Die Rechte des Deutschen Bundestages sind durch das in dieser Sache gewählte Verfahren voll gewahrt.
Ich möchte deshalb auch nur sagen: Haben wir also Geduld und warten wir den Bericht ab; dann erst läßt sich ein Urteil fällen, soweit es solche Urteile zu fällen gibt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Miltner?
Herr Kollege Miltner, Sie sind mir immer ein lieber Kollege. Ich will einmal sehen, ob Sie von diesem Verhalten heute abweichen.
Danke für das Kompliment.
Herr Kollege Pensky, warum sagen Sie vor dem Bundestag nicht, daß der bayerische Innenminister zu diesem gesamten Komplex, den Sie eben angesprochen haben, vor dem bayerischen Landtag bereits Stellung genommen hat und die Protokolle des Sicherheitsausschusses des bayerischen Landtages dem Untersuchungsausschuß des. Deutschen Bundestages zur Verfügung stehen?
Herr Kollege Miltner, Sie müssen eines wissen: Diese mysteriösen Observationen durch den bayerischen Verfassungsschutz in der Umgebung von Herrn Strauß geschahen nicht zu derAmtszeit des jetzigen bayerischen Innenministers, sondern des vorigen. Das ad 1.
Ad 2: Daß sich die bayerischen Kollegen im Landtag haben gefallen lassen, — —
— Das weiß ich aus dem Bayerischen Landtag.
— Wie die zeitliche Abfolge war, können Sie doch selbst nachsehen. Zu der Zeit ist nämlich noch Herr Merk Innenminister im Lande Bayern gewesen.tine weitere Unverschämtheit liegt darin — ich wüßte gar nicht, wie sich dieses Parlament in einer solchen Sache verhielte, wenn so etwas geschähe —, daß die Bayerische Staatsregierung es abgelehnt hat, der Bitte des zuständigen Ausschusses des Bayerischen Landtages nachzukommen, auch den Präsidenten des bayerischen Verfassungsschutzes zu hören.
Hier muß man wiederum fragen: Warum wohl?
— Ich glaube, das sind keine Nebenkriegsschauplätze, Herr Kollege. Ich übrigen habe ich nur deutlich gemacht, daß das Untersuchungsverfahren, das hier gewählt worden ist, geeignet ist, zu einem objektiven Ergebnis zu kommen. Dabei habe ich ebenfalls aufgezeigt,
unter welcher Mithilfe das geschieht und wie sich im Gegensatz dazu dieses CSU-geführte Land verhält.Ich warne auch davor, jetzt schon eine Hexenjagd auf Beamte zu veranstalten.
Wir können es uns einfach nicht leisten, das Klima unter denen noch weiter zu verschlechtern, die ihre volle Kraft täglich im Kampf gegen das Verbrechertum einsetzen und deren Einsatzwillen wir noch dringend benötigen; denn auch das müssen wir wissen: Die Gefahr ist noch nicht gebannt. Auch ich rate den Oppositionspolitikern, die sich in letzter Zeit zunehmend an der Spöttelei über die Computergläubigkeit des BKA-Chefs Dr. Herold beteiligt haben, ihre Position einmal zu überdenken.
Herr Kollege Spranger, gerade auch Sie haben dieses Problem heute angeschnitten. Sie waren aber auch einer derjenigen, der damals, als wir die Informationen über die Möglichkeiten bekamen, die wir auf Grund dieses Computersystems beim Bun-
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Penskydeskriminalamt in Wiesbaden haben, vorzeitig den Raum verließen,
diese Informationen nicht zur Kenntnis nahmen,
aber statt dessen in Ihrer Postille dagegen polemisiert haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Spranger?
Bitte, Herr Kollege Spranger.
Herr Pensky, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß nicht ich als erster die Probleme der Computertechnik angeschnitten habe, sondern daß der Bundesinnenminister Maihofer sich in fachlich zu widerlegender Weise mit diesem Problem beschäftigt hat? Und würden Sie die politische Leistungsfähigkeit zukünftig nicht von irgendwelchen Präsenzen irgendwelcher Leute in irgendwelchen Ausschüssen oder bei irgendwelchen Tagungen abhängig machen, sondern von dem, was sie tatsächlich leisten?
Nein, Herr Kollege Spranger; aber von Informationsmöglichkeiten, die bestimmte Leute nicht in Anspruch nehmen, obwohl sie draußen darüber polemisieren und so tun, als hätten sie den Stein der Weisen gefunden,
Ich muß deshalb dazu einige Ausführungen machen, weil es einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Kriminalitätsbekämpfung auf dem Gebiet des Terrorismus, insbesondere mit der Frage der Verfolgung im Fahndungsfall Schleyer hat. Denn auch dies steht heute fest, Herr Kollege Spranger: Hätte es nicht PIOS gegeben, dann wäre dieser Fall, der Anlaß der heutigen Debatte ist, gar nicht zu einem Fall geworden.
— Doch! Denn erst dieses Computersystem, das alle Daten über Personen, Institutionen, Organisationen und Sachen aus der Terroristenszene speichert, hat es möglich gemacht, Hinweise auf die in ErftstadtLiblar als Mieterin aufgetretene Person zu geben.
— Nein. Aber darüber, inwieweit die Person etwas
mit der Terroristenszene zu tun hat, gab es das Ergebnis im Computer PIOS. Wenn Sie das nicht
wissen, kommen Sie demnächst in den Innenausschuß; da können Sie das alles erfahren.
— Das ist gar kein Nebenkriegsschauplatz. Hier geht es um die Probleme, die damit in Zusammenhang stehen. Dieser Hinweis wäre sonst möglicherweise, vielleicht sogar höchstwahrscheinlich einer unter den rund 70 000 — ich sage es noch einmal: 70 000— kaum zu recherchierenden Hinweisen geblieben, die in der Fahndungsaktion seit dem 5. September 1977 angefallen sind.
Fest steht auch, daß die namentliche Identifizierung nahezu aller an den spektakulären Terroranschlägen beteiligten Personen nur über das moderne Computersystem beim BKA möglich war. Erst durch dieses Computersystem werden großflächige Beobachtungen von Tat- und Täterzusammenhängen möglich. Damit hat das Bundeskriminalamt erst die wertvollen Fahndungshilfen für die Polizeien der Länder geschaffen, ohne die eine erfolgreiche Fahndung bei der Mobilität des Verbrechens überhaupt nicht mehr denkbar ist.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, ständig von Fahndungsdefiziten sprechen — auch dies ist heute angeklungen, und draußen hört man es noch mehr —, dann sollten Sie korrekterweise diese Ergebnisse, von denen ich hier sprach, auch nicht verschweigen. Und Sie sollten auch nicht unterschlagen, daß immerhin seit dem Anschlag vom 5. September 1977 38 Terroristen hinter Schloß und Riegel gebracht werden konnten, und zwar nur auf Grund dieser Möglichkeiten und auf Grund des Fleißes der Polizeien des Bundes und der Länder.
Diese Ergebnisse sind auch durch eine Verbesserung der internationalen Zusamenarbeit zustande gekommen. Auch hier spielt das Computersystem eine ganz besondere Rolle. Gehen Sie doch mal in das uns befreundete Ausland, um zu sehen, wie diese Länder unseren Computer bewerten und welche Möglichkeiten, auf unser Computersystem zurückzugreifen, sich auch für sie ergeben. — Sie schütteln den Kopf. Warum? Weil Sie es einfach bestreiten wollen. Ich bin bereit, Sie einzuladen, um Ihnen diese Eindrücke draußen zu vermitteln.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rawe?
Herr Kollege Rawe, Sie waren an dieser Sache sonst überhaupt nicht beteiligt. Ich würde da einen Kollegen aus dem Innenausschuß
— Ja, bitte schön.
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Herr Kollege Pensky, sind Sie mit mir eigentlich nicht der Meinung, daß es hier doch gar nicht darum geht, ob der Computer versagt hat? Hier geht es doch einfach um die Tatsache, daß der Computer gar nicht richtig gespeichert worden ist.
Sie dürfen die Dinge nicht durcheinanderwerfen.
Im Computer eingespeichert war ja dieser Name.
— Das ist etwas anderes. Darauf komme ich noch. Dazu werde ich Ihnen noch etwas sagen. Sie meinen natürlich, daß Sie unfehlbar sind. Ich will hier gar niemanden schützen ,aber dann müssen Sie auch dies mit ins Kalkül einbeziehen.
Ich wollte das nur noch einmal sagen, weil der Computer immer bespöttelt wird, weil es ja den Chef des Bundeskriminalamtes treffen soll, einen Mann, der eine große und gigantische Leistung dort vollbracht hat für die Polizisten des Bundes und der Länder.
Auch dies ist nämlich der beachtliche Beweis für den Erfolg der Computerfahndung: beispielsweise daß die Zahl der ständig mit Haftbefehl gesuchten Personen von 80 000 im Jahre 1973 auf 39 000 im Jahre 1977 gesenkt werden konnte und daß die Entwendung von Kraftfahrzeugen von 85 000 im Jahre 1973 auf 52 000 im Jahre 1977 zurückgegangen ist.
Hier wird doch die präventive Wirkung der Computerfahndung deutlich, an der alle beteiligt sind. Überlegen Sie sich bitte, ob Sie nicht lieber, anstatt der leichtfertigen Redereien über die Computergläubigkeit des BKA-Chefs, sich daran beteiligen sollten, für einen weiteren Ausbau dieses Systems zu sorgen, aber auch für die Überwindung von Ländersperren zu sorgen, die eine optimale Nutzung heute noch teilweise verhindern.
Natürlich gilt hier auch — nun komme ich auf den Punkt, Herr Rawe, jetzt können Sie mal hinhören —, daß im Mittelpunkt allen Geschehens der Mensch steht und deshalb menschliches Versagen nie völlig auszuschließen ist. Wir können nur alle überlegen, wie wir diese menschlichen Unzulänglichkeiten in der Arbeit mit dem Computer minimieren helfen.
Sicher wird hierzu auch der Bericht des Herrn Höcherl etwas aussagen. Wir sollten uns gemeinsam an die Arbeit machen und das tun, auf das die Bürger in unserem Land mit Recht warten, nämlich: wir sollten gemeinsam handeln und uns nicht vor
den Augen der Öffentlichkeit streiten, weil wir da-
mit ein Ziel der Terroristen verwirklichen würden.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was im gegenwärtigen Stand der Erkenntnis mit Gewinn in der Sache dem Parlament heute vorgetragen werden konnte, ist durch Herrn Kollegen Maihofer, durch den nordrhein-westfälischen Kollegen Hirsch und durch mehrere Abgeordnete der beiden Koalitionsfraktionen geschehen. Ich will dem in der Sache nichts hinzufügen.Ich muß auch sagen, daß ich sehr unter dem bedrückenden Eindruck des meinen früheren Ministerpräsidenten-Kollegen Moro betreffenden Verbrechens stehe, der ja als Präsident der ChristlichDemokratischen Partei Italiens auch ein Kollege von Dr. Kohl, dem Oppositionsführer, ist. Nach dem, was wir wissen, sind bei dieser Entführung vier ihn begleitende Personen getötet und eine weitere Person ist schwer verletzt worden. Es fällt mir schwer, angesichts dieser Not, die das italienische Volk betroffen hat, mich an gewissen Entwicklungen der Debatte heute vormittag zu beteiligen. Ich möchte mich deshalb auf ganz wenige Sätze beschränken.Ich habe in der Regierungserklärung, die herkömmlicherweise jedes Jahr zur Lage der Nation abzugeben ist, am Donnerstag der vorigen Woche gesagt — ich darf mich selbst zitieren —: „Mich haben die zutage getretenen Umstände bei der Behandlung von Hinweisen auf eine Wohnung in Erftstadt tief betroffen." Ich darf Ihnen versichern: Diese Betroffenheit dauert an, ohne daß ich alle menschlichen Tiefen, in die das rührt, Ihnen darlegen muß. Ich habe am Donnerstag weiterhin ausgeführt, daß die Prüfung der Frage, was oder wer dort möglicherweise versagt hat, stattfinden müsse und daß sie bereits länger als seit dem vorangegangenen Tage im Gange sei. Ich habe hinzugefügt, daß diese Untersuchung und unsere Debatten darüber das Vertrauen der Bürger in ihre Polizeien nicht gefährden dürfen, die auf die Mithilfe der Bürger und auf deren Hinweise angewiesen sind und bleiben.Die Bundesregierung hat in der darauf folgenden Kabinettsitzung gemeinsam mit der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen beschlossen, eine unabhängige und fachlich erfahrene Persönlichkeit mit einer Untersuchung zu beauftragen, aus welchen Gründen dem Hinweis auf jene Wohnung nicht rechtzeitig oder nicht ausreichend nachgegangen wurde. Darüber hinaus soll der Beauftragte Vorschläge machen, die er ungeachtet der derzeitigen Zuständigkeitsbeurteilung auf Grund seiner Feststellungen zum besseren Einsatz der staatlichen Mittel bei der Bekämpfung des Terrorismus für geboten erachtet.
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6362 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Bundeskanzler SchmidtIch habe zur Sache über diese beiden Hinweise hinaus heute vormittag nichts Neues beizutragen. Ich möchte aber eines abschließend hinzufügen: Die Frage, ob im Sinne des Prinzips, nichts zu versäumen und nichts zu verschulden, tatsächlich doch etwas Wichtiges oder gar etwas Entscheidendes unterlassen oder falsch gemacht worden ist, kann keine voreilige Beantwortung finden. Soweit die Bundesregierung zu antworten haben wird, wenn der Bericht des Herrn Ministers a. D. Höcherl vorliegt, wird sich die Bundesregierung die Antworten nicht leichtmachen. Von irgendeiner Leugnung der Verantwortung, Herr Abgeordneter Dregger, kann keine Rede sein.
Ich habe im Bundestag mehrfach das Gegenteil von Ihren Behauptungen dieser Art vorgetragen. Ich bleibe auch dabei und füge hinzu: Wir alle tragen in einem weiten Sinn Verantwortung für das Ganze, für die Gesetze, die wir geben,
für die Gesetze, die wir nicht geben, für Weisungen, die wir geben, für Weisungen, die wir nicht geben, und übrigens auch für das politische Klima, Herr Abgeordneter Dregger, das wir im Lande verbreiten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der SPD/FDP auf Drucksache 8/1617. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Einundzwanzigsten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie über die Anpassung der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung und der Altersgelder in der Altershilfe für Landwirte
— Drucksache 8/1601 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Aussthuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion möchte ich den vorliegenden Entwurf der Fraktionen der SPD und der FDP zum 21. Rentenanpassungsgesetz begründen. Die Koalitionsfraktionen haben sich dazu entschlossen, parallel zu dem in Text und Begründung Bleichlautenden Regierungsentwurf vom 8. März einen Antrag aus derMitte des Bundestages einzubringen, damit die Beratungen im zuständigen Bundestagsausschuß sofort nach der Osterpause beginnen können.
— Warten Sie mal, Herr Kollege. Sie haben später noch die Möglichkeit, Zwischenrufe zu machen. Dieser war sicherlich fehl am Platze. Trotzdem wird der Ausschuß, Herr Kollege Hasinger, bei seinen Beratungen die Stellungnahme des Bundesrates noch rechtzeitig vorliegen haben und sie auch berücksichtigen können. Das 21. Rentenanpassungsgesetz kann dadurch bis zur Sommerpause abschließend beraten werden, ohne daß die Sorgfalt darunter zu leiden braucht. Ich nehme an, daß das auch in Ihrem Interesse liegt, wenn Sie nicht nur Interesse daran haben, diese Dinge in der Schwebe zu lassen, um sie weiter zum Gegenstand Ihrer polemischen Auseinandersetzung mit uns unter Vernebelung gegenüber den Rentnern zu machen.
Mit dem vorliegenden Entwurf des 21. Rentenanpassungsgesetzes, meine Damen und Herren, vollziehen wir, wie bereits im Dezember 1976 angekündigt und von mir während der ersten Lesung des 20. Rentenanpassungsgesetzes im März vorigen Jahres ausdrücklich unterstrichen, den zweiten Abschnitt der Rentenkonsolidierung, die mit dem 20. Rentenanpassungsgesetz als der ersten Stufe begonnen worden ist. Für die politische Bewertung unseres Antrages ist diese Feststellung sehr wichtig.
— Nein, von uns sind sie nicht geleugnet worden. Sie behaupten das, aber darauf kommen wir noch. Wir haben zu Beginn des vorigen Jahres die Rentenkonsolidierung von vornherein zweistufig konzipiert.
— Ja, das ist Ihnen entgangen, weil Sie nämlich immer dann, wenn wir über die Renten sprechen, nicht zuhören und Sie immer nur das gern hören möchten, was Ihnen gerade in den Kram paßt.
Meine Damen und Herren, der erste Schritt war das 20. Rentenanpassungsgesetz. Nun lesen Sie doch einmal im Protokoll nach, was dazu von uns gesagt worden ist, damit Sie das bestätigt finden.
— Herr Kollege Hasinger, seien Sie doch nicht jetzt schon so aufgeregt. Es geht doch erst los.
Sparen Sie Ihre Kraft für die späteren Auseinandersetzungen. Ich möchte nun wirklich solider, als Sie das bisher getan haben, Ihnen klarmachen, um was es hier eigentlich geht, damit wir auch gemeinsam über das diskutieren können, worum es hier
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Glombiggeht. Ich glaube, daß alle, die uns zuhören, auch einen Anspruch haben, daß wir ihnen klar sagen, um was es geht.
Das 20. Rentenanpassungsgesetz brachte vor allem die Rückverlegung des Anpassungstermins auf den 1, Januar desselben Jahres, die Rückführung der Pauschalzahlung der Rentenversicherung für die Krankenversicherung der Rentner von rund 17 % auf rund 11 % und die Einführung des Rentenversicherungsbeitrags für Arbeitslose, die Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit erhalten, und zwar zu Lasten der Arbeitslosenversicherung bzw. des Bundeshaushaltes.In engem Sachzusammenhang damit stand das Krankenversicherungskostendämpfungsgesetz, das von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, anscheinend inzwischen vergessen worden ist; denn das hat sich so gut bewährt, daß Sie darüber heute lieber nicht mehr reden möchten.
Da haben Sie auch einige Dinge an die Wand gemalt, die, Gott sei Dank, nicht eingetreten sind.Jedenfalls haben wir mit diesem Gesetzespaket Rentner, Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Anbieter von Gesundheitsleistungen in sozial ausgewogenem Verhältnis zur Sicherung der finanziellen Grundlagen unseres Sozialleistungssystems herangezogen.Schon im Dezember 1976, und zwar in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers, haben wir jedoch erklärt, daß es voraussichtlich notwendig sein würde, als weitere Konsolidierungsmaßnahme die Rentenanpassungen für zwei Jahre niedriger festzusetzen, als es der Brutto-Formel entspricht. Das ist nachzulesen. Insofern ist das Einundzwanzigste Rentenanpassungsgesetz nichts anderes als die angekündigte und jetzt notwendig gewordene Fortschreibung des Rentenkonsolidierungsprogramms vom Dezember 1976.
— Ich komme darauf. Übrigens, wenn Sie auf die Neurenten anspielen, dann vergessen Sie mal nicht, daß dieses Problem entstanden ist, daß im Jahre 1958 unter einer CDU/CSU-Regierung, die die absolute Mehrheit in diesem Hause hatte, keine Rentenanpassung stattfand,
nachdem auf Grund der Rentenreform von 1957diese Wahl so für Sie ausgegangen war. Ich finde:Auch das müßten Sie heute den Rentnern erzählen,
damit ihnen klar wird, vor welchen Problemen wir hier auf Grund der politischen Entscheidungen stehen, die Sie damals zu verantworten hatten.
— Herr Kollege Hasinger, in einer Welt, in der die Zukunft nicht exakt vorhersehbar ist — und in der Welt leben Sie genauso wie wir —, müssen bei einer Fortschreibung der Wirtschaftsdaten die inzwischeneingetretenen Veränderungen berücksichtigt und wirtschaftliche Annahmen, die sich als unrealistisch erwiesen haben, korrigiert werden. Vor diese Notwendigkeit sind wir gestellt, weil es seit dem Sommer 1977 zu einer weltweiten Abkühlung des Konjunkturklimas gekommen ist.An den Gutachten, die im Herbst 1977 von unabhängigen Konjunktursachverständigen, wie z. B. vom Sachverständigenrat und von den fünf wirtschaftswissenschaftlichen Instituten vorgelegt worden sind, läßt sich das ablesen — läßt sich das übrigens auch von seiten der CDU/CSU ablesen. Unter dem Zwang, einmal als realistisch angenommene Berechnungen für die zukünftige Wirtschaftsentwicklung zu revidieren, steht also auch die Opposition. Es wäre redlicher, wenn Sie das ehrlich zugäben. CDU und CSU haben im letzten Jahr ihren sogenannten
— Herr Franke, hören Sie sich wenigstens das noch einmal an — Gegenvorschlägen zur Rentenkonsolidierung genau dieselben Zahlen zugrunde gelegt wie die Bundesregierung. Die Opposition hat im vorigen Jahr sogar optimistischer gerechnet als wir; denn sie hat in ihrem damaligen Konsolidierungsprogramm ein Defizit von — sage und schreibe — fünfeinhalb Milliarden DM. Mit solchen Programmen, mit solchen Vorschlägen kommt uns die Opposition auch in diesem Jahr wieder. Ich werde darauf noch eingehen. Das glaubte die CDU/CSU in der Hoffnung auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklung in Kauf nehmen zu können.
— Deshalb hat die Union, Herr Kollege Müller, nicht das Recht, von „Rentenbetrug" zu sprechen
und parteipolitisches Kapital daraus zu schlagen, daß frühere Rechnungen revidiert werden müssen. Jeder Vorwurf, den sie daraus ableitet, fällt auf sie selbst zurück.
Ich meine, daß dieses christdemokratische „Rentenspiel" — und ich setzte dieses Wort Rentenspiel in Anführungsstriche — mit der Angst wirklich ein mieses Spiel ist. Es war ein mieses Spiel und es bleibt ein mieses Spiel.
— Ich werde Ihnen gleich einmal sagen, um was es Ihnen geht! Es kann doch Ihnen nicht um die Rentner gehen, wenn Sie nur die Rentner belasten und die Beitragszahler bei dieser Operation völlig verschonen wollen. Da werden Sie doch den Rentnern nicht einreden können, daß es Ihnen hierbei
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6364 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Glombigallein um die Rentner geht! Aber darauf werde ich im einzelnen noch eingehen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat sich bei ihren Beschlüssen von zwei Grundsätzen leiten lassen. Das sind Grundsätze, die wir auch schon früher vertreten haben, die wir inzwischen nicht geleugnet haben, die aber unter veränderten Bedingungen veränderte politische Einzelentscheidungen verlangen. Erstens. Wir halten an der Lohnbezogenheit der Renten und an der Teilhabe der Rentner am Wirtschaftswachstum fest.
— Ja, das meine ich nicht nur, sondern davon bin ich sogar überzeugt!
— Herr Franke, Sozialdemokraten haben die bruttolohnbezogene dynamische Rente erkämpft.
— Ja, Sozialdemokraten!
Vielleicht wissen Sie das nicht; vor allem die jüngeren Kollegen wissen es nicht. Es ist historisch nachweisbar, daß die CDU/CSU im Jahre 1957
— die bekam sie nach der Rentenreform! —
hier
entgegen der ursprünglichen Konzeption der damaligen Regierung Adenauer auf das damals von der SPD entwickelte Rentenreformprogramm eingeschwenkt ist.
Das heißt, Sie wollten in Abständen von fünf Jahren eine Nachprüfung mit dem Ziel, zu klären, ob die Renten der wirtschaftlichen Entwicklung angepaßt würden; wir waren von vornherein dafür, daß die Renten jährlich den steigenden Löhnen — zwar mit einer gewissen Verzögerung — angepaßt werden. Das ist die historische Wahrheit!
Ich sage dies, weil Sie sich heute mit der Einführung der dynamischen Rente in der Rentenversicherung brüsten, die wir gegen Ihren harten Widerstand
erst ab 1969 in der Kriegsopferversorgung einführen konnten.
Sie sollten das einmal nachlesen.Meine Damen und Herren, wir haben durch die Rentenreform von 1972 und durch das Betriebsrentengesetz das Alter noch besser abgesichert. Das wollen Sie doch wohl nicht bestreiten. Allerdings ist dann von Herrn Katzer noch einer draufgesetzt worden, und diese Operation — oder aber Manipulation — hat dann zu den Schwierigkeiten geführt,
für deren Beseitigung wir uns jetzt ohne Ihre Hilfe einsetzen müssen.
— Ach, Herr Kollege Katzer, da bin ich ja nun wirklich dabeigewesen.
Das kann man nachprüfen.Meine Damen und Herren, wir haben der Auffassung zum Durchbruch verholfen, daß Sozialpolitik eigenständige gesellschaftspolitische Ziele zu verfolgen hat — da stehen wir allerdings, wenn ich das richtig verstehe, in einem Gegensatz zu Ihnen — und sich nicht bloß mit dem zufriedengeben kann und darf, was vom Tisch der Wirtschafts- und Finanzpolitik an Brosamen abfällt.
— Darüber, in welcher Weise Sie die Renten kürzen wollen, wollen wir uns anschließend noch unterhalten.Aus dieser Überzeugung ziehen wir den Schluß, daß die Sozialleistungen der wirtschaftlichen Entwicklung anzupassen sind. Diesen gesellschaftspolitischen Fortschritt wollen wir auch in der Situation weltweiter wirtschaftlicher Schwierigkeiten nicht rückgängig machen. Und wir wollen auch nicht, daß er von anderen rückgängig gemacht wird! Im Gegenteil, wir wollen die dynamische Rente finanziell so stabilisieren, daß sie dauerhaft Bestand hat. Das ist unsere Position.
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GlombigZweitens. Die auf Grund der wirtschaftlichen Entwicklung notwendigen Konsolidierungsmaßnahmen müssen sozial ausgewogen sein.
Da sehe ich Sie nun ganz besonders streng an, nicht als Lehrer, auch nicht als Oberlehrer, aber als Kollege.Die Finanzen der Rentenversicherung können nicht dauerhaft stabilisiert werden, ohne daß die Rentner Abstriche an den Rentenzuwächsen in Kauf nehmen; übrigens wollen auch Sie gar nichts anderes.Die Konsolidierung erfordert aber auch einen Beitrag der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Das wollen Sie nicht.
— Auch darauf komme ich noch. Das ist ja einer der umwälzendsten und epochemachenden Vorschläge, die Sie überhaupt unterbreitet haben. Darauf komme ich noch ganz besonders zu sprechen.
Im Grundsatz der sozialen Ausgewogenheit — vielleicht haben Sie davon schon einmal etwas gehört — liegt der entscheidende Unterschied unserer Konzeption zu allem, was zu der Frage der Sicherung der Renten bislang an Vorstellungen der CDU/ CSU bekanntgeworden ist. Die Opposition möchte ganz offensichtlich die Konsolidierung allein den Rentnern aufbürden; denn sie lehnt jede Beitragserhöhung ab, heute ebenso wie bei der Diskussion um das 20. Rentenanpassungsgesetz im vorigen Jahr.
— Wenn das nun auch noch bestritten wird, dann verstehe ich die Welt wirklich nicht mehr.Diese Grundsätze haben wir in dem Entwurf des Einundzwanzigsten Rentenanpassungsgesetzes verwirklicht, und zwar so, daß durch die Konsolidierung Klarheit für die Rentner und Beitragszahler geschaffen wird. Diese Maßnahmen sind für die Betroffenen aber auch einsichtig, wie Sie, meine Damen und Herren, sicherlich feststellen können, wenn Sie nicht gleich mit demagogischen Absichten in ein Gespräch mit den Rentnern hineingehen. Außerdem sind sie verwaltungsmäßig praktikabel.Die wichtigste Regelung des Gesetzentwurfs ist die Festschreibung der Anpassung der Renten für das Jahr 1979 um 4,5 % und für die Jahre 1980 und 1981 um je 4 0/o, d. h. zusammen — unter Berücksichtigung des entstehenden Zinseszinseffekts um 13 %Man sollte also die schlichte Tatsache — wenn ich das einmal so bezeichnen darf — im Auge behalten, daß auch dieses Gesetz ein Rentenerhöhungsgesetz ist und nichts anderes.
— Darauf komme ich noch. Ich werde Sie darüber aufklären. — Keine Rente wird gekürzt. Es wird lediglich der Zuwachs begrenzt. Bei Ihnen wird es zu echten Rentenkürzungen kommen. Auch in Zukunft gibt es für die Rentner mehr und nicht weniger Geld. Meine Damen und Herren, daran gibt es nichts zu deuteln. Wir werden der CDU/CSU auch nicht gestatten, in der öffentlichen Auseinandersetzung daran zu deuteln.
Mit der Festlegung auf bestimmte Anpassungsprozentsätze für drei Jahre gehen wir, wie bereits 1976 vorsorglich. angekündigt, vorübergehend von der Bruttoformel ab. Das haben wir gesagt, und dazu stehen wir. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion weist jedoch die Unterstellung zurück, damit sei die bruttolohnbezogene Rente preisgegeben. Wer nicht nur kritisiert
und polemisiert, wie Sie es tun — —
— Nein, Herr Kollege Franke, der DGB polemisiert nicht. Er spricht mit uns über diese Dinge in sehr sachlicher Form. Nun tun Sie doch bitte nicht so, als wenn der DGB mit Ihnen in einem Boot säße! Denn dann müßten Sie doch hier vor der staunenden Öffentlichkeit bekennen, daß sich Ihr Konzept von dem des DGB grundsätzlich dadurch unterscheidet, daß der DGB sogar schon zum 1. Januar des kommenden Jahres eine Erhöhung des Beitragssatzes um ein halbes Prozent fordert. Tun auch Sie das?
Meine Damen und Herren, wenn nicht nur kritisiert und polemisiert werden soll, wie Sie es tun, sondern wenn man diesen vorliegenden Gesetzentwurf auch studiert, was ich Ihnen dringend empfehlen möchte, dann kann sich jeder davon überzeugen, daß, wenn das Einundzwanzigste Rentenanpassungsgesetz verabschiedet ist, geltendes Recht sein wird, daß ab 1982 die Rentenanpassungen wieder der Bruttolohnentwicklung folgen sollen.Die Abflachung der Anpassungssätze in den nächsten drei Jahren schlagen wir in unserem Gesetzentwurf nicht deshalb vor, um die Bruttolohndynamik abzuschaffen, sondern um sie zu stabilisieren. Ich wünschte mir, Sie würden das endlich einmal begreifen,
weil Sie sich immer wieder als die Erfinder und Retter der bruttolohnbezogenen Anpassung. hinstellen. Dann müssen Sie auch einmal etwas dafür tun, damit das möglich ist, und den Mut haben, sich dazu zu bekennen.
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6366 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
GlombigMit dieser einmaligen auf drei Jahre verteilten Maßnahme führen wir das Rentenniveau auf eine Höhe herab, die aus heutiger Sicht finanzierbar ist.
Diesen Einschnitt, der zugegebenermaßen die relative Verteilungsposition der Rentner im Verhältnis zu den Arbeitnehmern verschlechtert, halten wir für notwendig, um unser Rentensystem angesichts weltwirtschaftlicher Belastungen tragfähig zu erhalten. Er ist auch zumutbar angesichts der Tatsache, daß das Rentenniveau nun schon seit mehreren Jahren bedeutend gestiegen ist und einen Höchststand in der Geschichte der Rentenversicherung erreicht hat,
und zwar sowohl bezogen auf das Brutto- als auch auf das Nettoeinkommen der Arbeitnehmer.
In der Zeit der sozialliberalen Koalition — das heißt von 1969 an — sind die Renten bis heute um rund 124 % gestiegen, die Nettolöhne der Arbeitnehmer nur um rund 98 % Im Vergleich dazu war in der davorliegenden Zeit — das heißt von 1957 bis 1969 — das Nettorentenniveau bedeutend geringer. Die Renten sind in diesem viel längeren Zeitraum nur um 110 °/o gewachsen und hinter den Zuwächsen der Nettolöhne zurückgeblieben, die um 115 % gestiegen sind.
— Ich freue mich immer, Herr Dregger, wenn Sie Zwischenrufe machen, weil das mal wieder beweist, daß Sie davon sicherlich einiges verstehen.
Wir haben schon in einer Ihrer letzten Reden mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, wie Sie die Dinge durcheinanderwirbeln, nicht in polemischer Absicht, an sich unter Ihrem Niveau. Aber vielleicht ist das Niveau so.Meine Damen und Herren, es muß jedoch eingeräumt werden, die Anpassung mit festen Prozentsätzen für die Jahre 1979 bis 1981 deckt sich nicht mit unserem ursprünglichen Plan, die Bestandsrenten 1979 und 1980 mindestens entsprechend der Nettolohnentwicklung anzuheben. Die finanzielle Entwicklung der Rentenversicherung, aber auch — und das sollten wir dabei nicht vergessen — die inzwischen beschlossenen Steuersenkungen haben dieses Vorhaben undurchführbar gemacht, und wir schrekken nicht davor zurück, das hier auch einzugestehen. Wir haben uns auch dazu entschließen müssen, die Zugangsrenten der Jahre 1979 bis 1981 in die Erhöhung mit festen Prozentsätzen einzubeziehen.
— Das ist Ihre Interpretation. Das müssen wir nochmal klarmachen.
Es 'wird also auch das Niveau der Neurenten in zwei Teilabschnitten korrigiert. Maßgeblich dafür war, und das sollten Sie sich einmal ganz genau anhören — —
— Das haben wir so oft von Ihnen gehört, daß es wirklich an der Zeit ist, das zurückzuweisen, und darauf komme ich gleich zu sprechen.
Maßgeblich dafür war, daß der ursprüngliche Plan, die Bruttolohnbezogenheit bei der Festsetzung der Neurenten auch für diese drei Jahre aufrechtzuerhalten, eine Schere zwischen Alt- und Neurenten hätte entstehen lassen, die auf verfassungsrechtliche Bedenken gestoßen ist. Meine Damen und Herren von der Opposition, wir hätten allein schon deswegen davon ausgehen müssen, daß Sie das wieder zum Gegenstand einer Verfassungsklage machen würden, um die sozialliberale Koalition damit zu treffen. Sie bedauern heute eine solche Maßnahme, und Sie hätten gewiß vor einem solchen Verfassungsstreit nicht zurückgeschreckt.
Das sind die zwei Seiten Ihrer Politik,
von der ich meine, daß das mit Aufrichtigkeit auch gegenüber den Wählern ganz bestimmt nichts zu tun hat, wenn Sie hier dauernd vom Rentenbetrug reden.
Nach unserem Gesetzentwurf soll auch die Anpassung der Unfallrenten in den nächsten drei Jahren vorübergehend von der Bruttolohnentwicklung abgekoppelt werden. Die Meinungsbildung der SPD-Bundestagsfraktion ist in diesem Punkt aber noch nicht endgültig abgeschlossen.
Da in der Unfallversicherung keine Finanzierungsschwierigkeiten bestehen, gäbe es aus diesem Grunde keine zwingende Notwendigkeit zu einem .solchen Schritt. Jedoch gibt es schwerwiegende Gründe der Gerechtigkeit im Verhältnis zur Kriegsopferversorgung, bei der eine gleiche Regelung eintreten wird wie in der Rentenversicherung.Wir werden bei den Auschußberatungen trotzdem ernsthaft die Möglichkeit prüfen, das bisherige Anpassungsverfahren in der Unfallversicherung auch in den Jahren 1979 bis 1981 unverändert beizubehalten. Wegen der verringerten Anpassung in der gesetzlichen Rentenversicherung würde das freilich in den Fällen des Zusammentreffens von Unfallrenten mit Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung trotz allem zu erhöhten Rentenanpassungen und Mehrbelastungen der Rentenversicherung führen. Dann wäre es allerdings notwendig und konsequent, die Höchstgrenze für das Zusammentreffen von Unfallrenten mit Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung von derzeit 85 % auf 80 % des Jahresarbeitsverdienstes herabzusetzen. Entsprechende Konsequenzen beim Zusammentreffen von Unfall-
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GlombigI renten mit Renten aus der knappschaftlichen Rentenversicherung wären dann ebenfalls unvermeidlich.In der knappschaftlichen Rentenversicherung, in der Kriegsopferversorgung, für die im Bundeshaushalt zur Zeit über 12 Milliarden DM ausgewiesen sind — ich finde das ist eine stolze Bilanz;
ich darf das doch wohl einmal bemerken, weil ich jetzt zu einer Anmerkung komme, die damit in einem unmittelbaren Zusammenhang steht, und Sie mich hier ja sicher nicht zensieren wollen -
und auch in der Altershilfe für Landwirte bewirkt die Abflachung der Rentenerhöhungen Einsparungen. Ich setze die Einsparungen in Anführungsstriche, weil es Einsparungen bei den Zuwächsen und keine Kürzungen sind, d. h., es sind keine Einsparungen, die durch Kürzungen zustande kommen. Es entstehen also „Einsparungen" für den Bundeshaushalt in den nächsten drei Jahren.
— Ich werde Ihnen gleich noch einmal sagen, was der Bund alles gezahlt hat und weiterhin zahlen wird.Die SPD-Bundestagsfraktion geht davon aus, daß diese Mittel für sozialpolitische Zwecke eingesetzt werden. Zu diesen sozialpolitischen Zwecken zählten insbesondere strukturelle Verbesserungen im Kriegsopferrecht und — unter bestimmten Voraussetzungen — die unentgeltliche Beförderung aller Schwerbehinderten im öffentlichen Nahverkehr.Im übrigen ist der Vorwurf, so meine ich, unbegründet, der Bund habe zur Konsolidierung der Rentenversicherung nichts beigetragen. Die Einführung des Rentenversicherungsbeitrages für Arbeitslose wird indirekt auch den Bund belasten. Diese Belastung wird auf jeden Fall eintreten, und zwar bereits auf Grund der Tatsache, daß wir diesen Arbeitslosenversicherungsbeitrag vom 1. Januar 1979 auf den 1. Juli 1978 vorgezogen haben. Auch die mit der Vierten Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz beschlossene Übernahme der Kinderzuschüsse in Höhe des Kindergeldes wird den Bundeshaushalt belasten. Außerdem wird der Bund die ihm unter früheren Regierungen gestundeten Bundeszuschüsse vorzeitig zurückzahlen, sowei dies noch nicht geschehen ist.Die Opposition hat in der aktuellen Rentendiskussion keinen Vorschlag unterbreitet, der im materiellen Ergebnis für die Rentner besser wäre als das Konzept, das die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung vorgelegt haben.
— Das müssen Sie uns hier erst einmal vorrechnen. Das gilt vor allem für den Vorschlag, Herr Kollege Hasinger — Sie sollten sich auch einmal mit Ihrem eigenen „Vorschlag" beschäftigen;
den scheinen Sie ja gar nicht zu kennen —, bereits ab 1979 einen Krankenversicherungsbeitrag der Rentner als Abzug von der Rente einzuführen. Wenn dieser Vorschlag ernstgemeint ist, meine Damen und Herren, muß er das gleiche Einsparungsvolumen bringen wie die vorübergehende Verringerung der Rentenanpassungssätze. Die Rentner können also im Endeffekt damit nicht besser fahren als mit unserem Gesetzentwurf.
— Ihnen das einreden zu wollen, Herr Kolleger Burger, wäre doch eine glatte Irreführung.
Nach den Vorstellungen der CDU/CSU müssen die Rentner mit Sicherheit gegenüber unseren Absichten schlechtergestellt sein,
— jawohl, das können Sie ja nachrechnen, ich komme dazu noch — denn die Opposition — —Das ist doch schon allein deswegen notwendig, weil Sie keine Erhöhung des Beitragssatzes fordern. Wie sonst wollen Sie denn die Defizite ausgleichen?
Das ist doch eine klare Rechnung nach Adam Riese: Wenn Sie keine Erhöhung des Beitragssatzes fordern, müssen Sie den Rentnern mehr abverlangen. Wie sonst wollen Sie das Defizit ausgleichen?
Nur durch Ihre Visionen in der Beschäftigungspolitik, von der wir gar nicht wissen, wie sie eigentlich aussieht? Sie haben es bisher versäumt, uns auf diesem Gebiet ein Programm vorzulegen.
Ich sage also, die Rentner können damit im Endeffekt nicht besser fahren als nach unserem Gesetzentwurf. Ihnen das einreden zu wollen, wäre eine Irreführung. Ich wiederhole das noch einmal, nach den Vorstellungen der CDU/CSU müssen die Rentner mit Sicherheit gegenüber unseren Absichten schlechtergestellt sein, denn die Opposition lehnt offenbar — ich sage es noch einmal — eine Erhöhung des Beitragssatzes kategorisch ab. Treten Sie nachher hier an das Pult und sagen Sie, das sei nicht der Fall. Dann wären wir endlich auch in der Frage wieder in einem Boot zusammen. Das würde der Sozialpolitik guttun, der wir doch, meine ich, gemeinsam verpflichtet sein sollten.
— Ja, das bin ich.
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6368 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
GlombigWas also an Beitragseinnahmen fehlt, müssen dann die Rentner durch weitere Kürzungen ihrer Renten aufbringen. Es läßt sich errechnen, daß der Vorschlag der CDU/CSU, wenn er soweit modifiziert werden müßte — und das muß er nämlich —, daß er finanziell zur Konsolidierung ausreicht, im Jahre 1981 einen Rentenabschlag von 8,5 °Io erfordern würde.
— Werde ich hier eigentlich schon von jemandem geduzt, Herr Präsident?
Herr Abgeordneter, — —
Werde ich hier eigentlich schon — —
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter Glombig.
Die Renten würden dann — —
Herr Abgeordneter Glombig, darf ich bitten, daß der Präsident jetzt eine Bemerkung machen kann?
Ich werde doch hier wohl noch die Frage stellen dürfen, ob ich im Plenum geduzt werde.
Den Zwischenruf „dummes Zeug" muß ich als unparlamentarisch zurückweisen.
Ich meine, ich lege sonst gar nicht so großen Wert darauf, daß die Formen eingehalten werden, aber hier sollten wir das doch tun.Die Renten würden dann bis einschließlich 1981 lediglich um 10,5 % steigen, während sie nach unserem Entwurf um 13% steigen werden. Um die Rentner nicht unzumutbar zu belasten, schlagen die Koalitionsfraktionen vor, auch Arbeitnehmer und Arbeitgeber zur Sicherung der Rentenfinanzen heranzuziehen, und zwar durch eine Erhöhung des Beitragssatzes um 0,5 % auf 18,5 % ab 1. Januar 1981. Die Belastung durch diese Erhöhung des Beitragssatzes ist geringfügig und auch wirtschaftspolitisch vertretbar. Wenn ich sage „geringfügig", bedeutet das für einen Durchschnittsverdiener — das ist nach den Unterlagen des Statistischen Bundesamtes jemand mit einem Einkommen von 2 000 DM — eine Belastung von 5 DM im Monat. Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion gehören also die Abflachung der Rentenzuwächse und die Beitragserhöhung aus Gründen der sozialen Ausgewogenheit untrennbar zusammen. Nur beides zusammen ist sozialpolitisch vertretbar. Es wäre allerdings auch unsozial, meine Damen und Herren, Probleme der Rentenfinanzierung nur durch Beitragssatzerhöhungen zu lösen. Das ist allerdings auch nicht unsere Absicht.In der Rentenversicherung der Arbeiter und der der Angestellten werden Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Erhöhung des Beitragssatzes selbstverständlich je zur Hälfte tragen. In der knappschaftlichen Rentenversicherung, in der der Arbeitnehmerbeitrag bislang nur 8,5 % und der Arbeitgeberbeitrag 15 % beträgt, wird nur der Arbeitnehmerbeitrag erhöht, und zwar auf 9 % Damit sollen historisch begründete, aber heute nicht mehr notwendige Unterschiede zwischen der allgemeinen Rentenversicherung und der knappschaftlichen Rentenversicherung abgebaut werden. Dann wäre allerdings der Beitragssatz der Arbeitnehmer in der allgemeinen Rentenversicherung immer noch etwas höher als der in der knappschaftlichen Rentenversicherung.Für dringend notwendig halten wir auch eine Beitragssatzerhöhung in der Altershilfe der Landwirte. Diese Erhöhung müßte mindestens in dem Umfang erfolgen, in dem der Rentenversicherungsbeitrag steigt. Eine Beitragssatzerhöhung für die Landwirte — und sei sie auch geringfügig — verlangt aus gesetzestechnischen Gründen eine Umstellung des Finanzierungssystem der landwirtschaftlichen •Alterskassen. Deswegen stellen wir das Problem zunächst zurück, werden es aber spätestens im Zusammenhang mit einer Neuordnung der Versorgung von Landwirtswitwen wieder aufgreifen. Die Überprüfung des Finanzierungssystems der landwirtschaftlichen Altersversorgung ist nicht allein als Folgewirkung des Einundzwanzigsten Rentenanpassungsgesetzes notwendig. Sie ist aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit ohnehin schon längst überfällig. Die Altershilfe der Landwirte wird in viel größerem Umfang vom Bund mitfinanziert als die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, und zwar wesentlich mehr, als notwendig wäre, um den ungünstigen Altersaufbau der ' landwirtschaftlichen Bevölkerung auszugleichen. Das Verhältnis von Rente zu eigener Beitragsleistung ist bei den Landwirten ungefähr dreimal so günstig wie bei den Arbeitern und Angestellten. Das betrachten wir allerdings als ein ungerechtfertigtes Privileg.Die SPD-Bundestagsfraktion wird ferner auch weiter darauf achten und dafür eintreten, daß ungerechtfertigte Privilegien in der Altersversorgung schrittweise abgebaut werden. Das betrifft nicht zuletzt bestimmte Fehlentwicklungen im öffentlichen Dienst. Die SPD strebt nach dem Beschluß ihres Hamburger Parteitages schrittweise eine Gesamtreform der Altersversorgung an, die sich an dem Ziel größtmöglicher Transparenz und Gerechtigkeit in und zwischen den einzelnen Versorgungssystemen orientieren soll. An diesem Ziel werden wir beharrlich arbeiten, auch wenn die politischen Verhältnisse nur begrenzte Fortschritte zulassen.
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GlombigDas Einundzwanzigste Rentenanpassungsgesetz enthält eine sogenannte Risikoabsicherungsklausel. Sie ist bereits vielfach kritisiert, jedoch kaum unvoreingenommen in ihrem Wortlaut zur Kenntnis genommen worden. Die jetzige Fassung hat nichts mehr mit früheren Diskussionsvorschlägen gemein, die auf eine automatische zusätzliche Belastung der Rentner bei Verschlechterung der Finanzsituation abzielten. Eine generelle Risikoverlagerung auf die Rentner können die Sozialdemokraten nicht mitmachen, weil diese mit der einseitigen Unterordnung sozialpolitischer Zielsetzungen unter wirtschafts-und finanzpolitische Daten gleichbedeutend wäre.
Nach unserer Auffassung verfolgt die Sozialpolitik — ich habe es bereits bei anderer Gelegenheit gesagt — eigenständige Ziele, die ihrerseits wieder für wirtschafts- und finanzpolitische Entscheidungen Daten setzen. Deshalb enthält die jetzige Sicherungsklausel keinerlei rechtlich bindende Automatik, die die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei einer möglichen späteren Verschlechterung der Finanzsituation in irgendeiner Richtung festlegt. Die Klausel setzt auch nicht die Bundesgarantie außer Kraft. Sie enthält nicht mehr, aber auch nicht weniger als die ohnehin selbstverständliche Pflicht einer verantwortlich handelnden Bundesregierung, Lösungsvorschläge auf den Tisch zu legen, wenn unsere Altersversicherung trotz aller menschenmöglichen Voraussagen erneut in Schwierigkeiten geraten sollte.Neben den Maßnahmen zur Sicherung der Rentenfinanzen enthält der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen noch eine Reihe von anderen Bestimmungen, mit denen wir unsere Bemühungen um mehr Verteilungs- und Beitragsgerechtigkeit in der Altersversicherung fortsetzen. Der wichtigste Punkt ist die Einführung eines Krankenversicherungsbeitrages der Rentner ab 1. Januar 1982. — Nun, Herr Kollege Hasinger, bitte ich Sie, sich das einmal genau anzuhören, weil hier die Unterschiede in den beiden Vorstellungen zum Ausdruck kommen.
Wir legen entschiedenen Wert auf die Feststellung, daß die Einführung eines Krankenversicherungsbeitrages für Rentner nach unseren Vorstellungen keine Maßnahme zur Konsolidierung der Rentenfinanzen zu Lasten der Rentner sein wird. Insoweit wird unser Rentnerkrankenversicherungsbeitrag grundsätzlich anders sein als das, was die Opposition unter der Bezeichnung Rentnerkrankenversicherungsbeitrag einführen will; denn das, was die Opposition einführen will, ist in Wirklichkeit ein Konsolidierungsabschlag, sozusagen ein Rentenversicherungsbeitrag der Rentner. Etwas ganz Neues!
Im Jahre 1982 wird die Rentenversicherung, soweit das heute absehbar ist, auf Grund der Herabführung des Rentenniveaus und der Beitragssatzerhöhung den finanziellen Engpaß bereits hinter sich haben. Nach unserem Plan soll die Rentenversicherung durch Einführung eines Krankenversicherungsbeitrags der Rentner nicht entlastet werden. Das, was sie nach heutigem Recht pauschal an die Krankenkassen entrichtet, nämlich rund 11 °/o der Rentensumme, wird als einmalige prozentuale Rentenerhöhung an die einzelnen Rentner ausgezahlt, und zwar zusätzlich zu der am 1. Januar 1982 fälligen regulären Rentenanpassung. Diese einmalige Rentenerhöhung geht dann selbstverständlich in die spätere Dynamisierung ein. Die Rentner zahlen aus der so erhöhten Rente selbst den Krankenversicherungsbeitrag, wobei nicht nur die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern das gesamte Alterseinkommen der Beitragshöhe zugrunde gelegt wird. Für diejenigen Rentner, die nur eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, soll der Krankenversicherungsbeitrag belastungsneutral sein.
— Ich komme darauf noch. — Er soll nicht höher sein als die einmalige Rentenerhöhung.
- Natürlich für den Anfang.
— Ich komme noch auf die andere Seite zu sprechen, auf das Problem.Die Einzelheiten zur Berechnung des Krankenversicherungsbeitrages der Rentner soll in einem besonderen Gesetz geregelt werden. Der Rentnerkrankenversicherungsbeitrag wird sich am durchschnittlichen Beitragssatz aller Kassen orientieren.
Wegen des Grundsatzes der Belastungsneutralität wird er aber nicht mit diesem identisch sein können. Wenn man einfach den durchschnittlichen Krankenkassenbeitrag von den zuvor um rund 11 °/o erhöhten Renten abzöge, wäre dieser Abzug höher als die vorhergehende Erhöhung. Dieses Problem soll durch einen ermäßigten Beitragssatz für Rentner gelöst werden, der auch darin seine Rechtfertigung hat, daß Rentner keinen Anspruch auf Krankengeld haben.
Neben dem Grundsatz der Belastungsneutralität werden bei der späteren Konkretisierung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrages noch zwei weitere Gesichtspunkte wichtig sein. Erstens darf für den einzelnen Rentner kein unzumutbarer Papierkrieg entstehen. Deshalb muß für den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag ein geeignetes Quellenabzugsverfahren entwickelt werden.
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6370 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Glombig Zweitens muß an dem heutigen grundlohnbezogenen Belastungsausgleich zwischen den Krankenkassen festgehalten werden.
— Sie sind sehr ungeduldig, Herr Kollege Hasinger.
Ich kann das begreifen, weil Sie da einen echten Nachholbedarf haben. Ich will Ihnen da auch gern helfen.Mit dem Rentnerkrankenversicherungsbeitrag ist allerdings für diejenigen Rentner, die neben der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung noch weiteres Einkommen beziehen, eine Belastung verbunden. Auch das verschweigen wir nicht. Diesen Effekt hat unser Plan übrigens mit Vorschlägen der CDU/CSU-Fraktion vom letzten Jahre gemeinsam. Die Belastung der zusätzlichen Einkommen ist von uns politisch gewollt. Wir sehen in ihr einen Beitrag zur Herstellung größerer Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Rentnern einerseits und den Arbeitnehmern andererseits.Bei der Bemessung der Krankenkassenbeiträge werden nicht nur die Renten, sondern auch die den Renten vergleichbaren Einkommen, z. B. Pensionen und betriebliche Altersversorgung sowie Arbeitsentgelte und Erwerbseinkommen, nicht aber Einnahmen aus Untervermietung oder Zinsen für das Sparguthaben berücksichtigt.Diese Regelung ist sozial gerecht. Oder wäre es sozial gerecht, alle Rentner, die eine Rente von meinetwegen 200 DM haben, als arme Rentner zu bezeichnen, obwohl einige tatsächlich nur 200 DM Rente haben und die anderen zu den 200 Mark Rente eine Pension von beispielsweise 1 800 DM beziehen und mit diesem Teil ihres Einkommens zur Beitragspflicht zur Krankenversicherungspflicht der Rentner nicht herangezogen werden?
Ich kann mir nicht vorstellen, daß das ein Ausdruck sozialer Gerechtigkeit sein kann.
— Wenn das unbestritten ist, freue ich mich darüber. Aber das kann uns nicht daran hindern, das noch einmal in aller Eindeutigkeit festzustellen.Und jetzt komme ich zu Ihrem Lieblingsthema. Herr Kollege Hasinger, Sie sind immer wieder abgelenkt. Aber ich habe den Eindruck, Sie warten ja auf das, was ich z. B. zu einer Freigrenze oder zu einer sozialen Staffelung, wie Sie es nennen zu sagen habe. Ich will das jetzt tun.
— Dafür habe ich großes Verständnis.Die Frage einer Freigrenze für kleine Alterseinkommen beim Krankenversicherungsbeitrag derRentner wird die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ernsthaft prüfen, wenn das Ausführungsgesetz zur Diskussion steht. Ein solcher Freibetrag hätte allerdings bei unserem System eine andere Bedeutung als bei dem System, das Sie vorschlagen. Das müssen Sie zugeben.
Wir anerkennen einerseits die Berechtigung der Forderung nach einer Schonung kleinerer Alterseinkommen, sehen aber andererseits auch das Problem, daß einem Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen nur schwierig ein höherer Krankenversicherungsbeitrag als einem Rentner mit dem gleichen Einkommen abverlangt werden kann.Deshalb könnte der weitere Ausbau der Rente nach Mindesteinkommen im Zug der bevorstehenden Reformen 1984 vielleicht — ich unterstreiche das Wort „vielleicht" — ein besserer Weg sein als eine Freigrenze beim Rentnerkrankenversicherungsbeitrag, wie wir es uns vorstellen. Das wollen wir prüfen, und darauf werden wir eine Antwort finden.
Unser Gesetzentwurf enthält ferner neue Bestimmungen über die Beitragszahlung der freiwillig Versicherten. Die Problematik der freiwilligen Versicherung ist schon bei der Beratung des 20. Rentenanpassungsgesetzes erkannt worden, konnte aber damals nicht abschließend beraten werden. Unbestritten dürfte unter allen Fachleuten sein, daß in einem nach dem Umlageverfahren finanzierten Versicherungssystem von der freiwilligen Versicherung ein finanzielles Risiko zu Lasten der Pflichtversicherten ausgeht, wenn die freiwilligen Beiträge nicht kontinuierlich, d. h. mit einer gewissen Regelmäßigkeit, gezahlt werden.Nach unserem Vorschlag sollen künftig nur solche .freiwilligen Beiträge zu einer 'dynamischen Rentenleistung führen, die für einen zusammenhängenden Zeitraum von drei Kalenderjahren entrichtet werden, von denen jedes einzelne Jahr mindestens in der Höhe mit Beiträgen zu belegen ist, die dem Wert von zwölf Mindestbeiträgen entspricht. Dadurch sollen die freiwilligen Beitragszahler zur Kontinuität veranlaßt werden, zu einer Kontinuität, die übrigens auch in ihrem eigenen Interesse liegt,
weil künftig nur durch regelmäßige Beitragszahlung eine angemessene Altersversorgung erreicht werden kann.
Nur dann kann sie auch im geltenden Recht noch erreicht werden. Nur dann hat es einen Sinn für den freiwillig Versicherten.Für die politische Bewertung dieser Neuregelung der Beitragszahlung zur freiwilligen Versicherung ist folgendes wichtig:Erstens gilt die neue Regelung für freiwillige Beiträge nur für Beitragszahlungen ab dem 1. Januar 1979. Die Ansprüche aus bis zum 31. Dezember 1978 geleisteten Beiträgen bleiben unangetastet, ebenso
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Glombigdie aus Nachentrichtungsbeiträgen. — Ich sage das, weil die Propagandawelle hier ganz anders läuft.
Dies gilt selbst dann, wenn die Ansprüche auf dem Wege der Teilzahlung, die wir mit der Rentenreform 1972 eingeführt haben, erst in ,den Jahren 1979 und 1980 erworben werden.Zweitens. Von der neuen Regelung bleiben auch diejenigen freiwilligen Versicherten völlig unberührt, die ohnehin dazu übergegangen sind, regelmäßig Beiträge zu zahlen. Denen können wir dann gratulieren.
Im vorliegenden Entwurf des 21. Rentenanpassungsgesetzes schlagen wir auch vor, Herr Kollege Burger, die Verdienstgrenze für die Beitragspflicht zur Sozialversicherung von derzeit einem Fünftel auf ein Sechstel der Bemessungsgröße nach dem Sozialgesetzbuch herabzusetzen. Als Übergangslösung wird die Verdienstgrenze für zwei Jahre auf 390 DM pro Monat eingefroren und steigt dann ab 1981 mit der Entwicklung der Arbeitseinkommen.Außerdem wollen wir eine Begrenzung der versicherungsfreien Beschäftigungen für solche Tätigkeiten einführen, die nicht mehr als zehn Wochenstunden umfassen. Diese Regelung soll allerdings nicht für Kräfte gelten, die im Haushalt arbeiten — man bezeichnet sie unterschiedlich, ich sage mal „Hausgehilfin" dazu, aber man kann sie auch anders nennen —, aber nur in privaten Haushalten. Denn wir glauben, daß es anders nicht sinnvoll ist, weil es nicht überprüfbar ist; nur das ist sinnvoll, was auch überprüfbar ist.Mit dieser Maßnahme wollen wir insbesondere die soziale Sicherung der Frauen verbessern. Das ist kein vorgeschobenes Argument. Einige glauben, wir müßten diese Maßnahme deswegen einführen, weil sie zur Konsolidierung der Rentenfinanzen beitrage. Dies hier hat einen ganz anderen Hintergrund. Den sollten Sie so akzeptieren, wie ich ihn nenne.
Ich sagte also, daß mit dieser Maßnahme insbesondere die soziale Sicherung der Frauen verbessert werden soll. Gleichzeitig wollen wir aber auch aus arbeitsmarktpolitischen Gründen eine Maßnahme speziell im Hinblick auf das Reinigungsgewerbe treffen. Das Hacken auf der kommunalpolitischen Ebene, die Reinigungsdienste in private Betriebe zu verlagern, ist ja zur Zeit in der politischen Auseinandersetzung modern geworden. Wir wollen also aus arbeitsmarktpolitischen Gründen die speziell im Reinigungsgewerbe zu beobachtende Tendenz unterbinden, Voll- und Teilzeitarbeitsplätze abzubauen und dafür in sozialversicherungsfreie Nebenbeschäftigungen auszuweichen, weil das billiger als eine Teilzeit- oder Vollbeschäftigung in diesem Bereich ist.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf legen wir ein sozial ausgewogenes Programm vor.
das präzise durchgerechnet ist.
— Ja, präzise durchgerechnet, im Gegensatz zu Ihrem. Dazu habe ich noch ein Wort zu sagen. Daraus entlasse ich Sie nicht. Es ist in der Tat präzise durchgerechnet. Es ist das einzige Konzept, das präzise durchgerechnet ist. Es ist überhaupt auch das einzige Konzept, das durchgerechnet werden konnte.
Dieses Konzept ist also präzise durchgerechnet
und bringt die Rentenfinanzen aus heutiger Sicht mit den veränderten wirtschaftlichen Daten in Einklang.
— Herr Kollege Katzer, unter Ihrer Ägide ist doch die 15-Jahre-Rechnung eingeführt worden. Danach haben wir uns doch zu richten. Wir wissen genau, daß wir veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen auch bei der Finanzierung der Rentenversicherung Rechnung tragen müssen.
Sie können ebensowenig wie wir den Propheten spielen, wenngleich Sie sich dazu immer wieder aufspielen.
Mit diesem Gesetz, insbesondere mit der maßvollen Herabführung des Rententenniveaus und der Beitragssatzerhöhung ab 1. Januar 1981, die — das bekenne ich — für uns schmerzvoll genug ist, schaffen wir auch Grundlagen für die Rentenreform 1984, mit der vor allem das Recht der Hinterbliebenenversorgung und die Alterssicherung der Frauen neu geordnet werden müssen. Wir arbeiten daran, und wir sind fest entschlossen, dieses Werk auch rechtzeitig zu Ende zu bringen.
Wir scheuen uns dabei nicht, im Interesse einer soliden Sozialpolitik und der Sicherung der Rentenfinanzen unsere Absichtserklärungen vom Dezember 1976 dort zu reduzieren, wo sie durch die objektive Entwicklung überholt sind. Nur: Mit „Wortbruch", „Willkür" und ähnlichen an der Sache vorbeizielenden Vokabeln hat das alles nichts zu tun —
und mit einer Aktion „Sichere Renten" schon gar nichts!
Denn das, was Sie vorlegen, kann nicht sicher sein. Ich habe Ihnen ja dargelegt, daß mit Ihrem Konzept.
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6372 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Glombigin diesem Jahr ein noch größeres Defizit als im Jahre 1977 verbunden ist, das Sie mit Maßnahmen decken wollen, von denen wir gar nicht wissen, wie sie im Bereich der Vollbeschäftigungspolitik aussehen. Da lachen doch die Hühner — selbst hier in Bonn!
Aber es ist viel schlimmer. Diese Vokabeln bezeichnen eigentlich nur die maßlose Demagogie ihrer Urheber.
— Kollege Möller, Unfehlbarkeit und Allmacht in der Beherrschung wirtschaftspolitischer Probleme, die sich der Herr Kollege Katzer soeben erneut angemaßt hat,
kann der Bürger vom Gesetzgeber und von der Regierung schlechterdings nicht erwarten. Aber er kann erwarten, daß auf neue Situationen angemessen und mit einem sozialpolitisch ausgewogenen Programm geantwortet wird. Das haben wir hiermit getan, und das vermissen wir bei Ihnen.
Aber auch die Opposition steht in einer Demokratie in dieser Verantwortung. Auch sie muß auf neue Probleme neue Antworten geben und darf sich nicht auf abgedroschene Phrasen zurückziehen, wie wir das in diesen Tagen immer wieder erleben. Sie muß klar sagen — ich bitte sie darum —, wie sie sich die Alternativen zur Regierungspolitik auch und gerade auf dem Feld der Sozialpolitik vorstellt.
Und jetzt sage ich nicht nur, weil ich damit Beifall erhaschen möchte, sondern aus Überzeugung; Sie dürfen es mir so abnehmen, wie ich es Ihnen sage: Es ist beschämend, wie sich die Opposition vor dieser Verantwortung drückt und sich aus der ernsthaften sozialpolitischen Diskussion schlichtweg ab-meldet.
Sie versucht, den Bürger zu täuschen,
indem sie ihre Vorschläge zum Rentnerkrankenkassenbeitrag als Alternativkonzept anpreist. Das ist es nicht.
— Herr Kollege Franke, Sie haben nachher noch die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen.Dabei weiß sie ganz genau, daß dieser Vorschlag— ich wiederhole es — schon im letzten Jahr, unter günstigeren wirtschaftlichen Annahmen, zur Konsolidierung der Rentenfinanzen nicht ausgereicht hätte. Es ist also eine Zumutung, diesen Vorschlag immer wieder aufs Neue zu präsentieren, als wäre inzwischen überhaupt nichts geschehen. Das ist doch genau das, was man uns immer wieder vorwirft, was man aber im Grunde genommen Ihnen vorwerfen müßte.
Es ist ein geradezu groteskes Armutszeugnis, wenn die Union in ihrem sogenannten Maßnahmenkatalog — „Maßnahmenkatalog"; ich bitte Sie, sich das einmal auf der Zunge zergehen zu lassen —
zur Rentenkonsolidierung — zu mehr hat es da nicht gereicht — einfach Vollbeschäftigungspolitik als Instrument zur Deckung von Defiziten anführt
und dabei die geringste Erläuterung dafür schuldig bleibt, mit welchem Programm sie die Arbeitsmarktsituation verbessern will. Vielleicht soll das mit dem Programm der Arbeitnehmer in der CDU/CSU oder mit dem Programm des Wirtschaftsflügels der CDU/CSU geschehen, wobei angemerkt werden muß, daß es auf keiner der beiden Seiten, weder bei den Arbeitnehmern noch bei dem Wirtschaftsflügel der CDU/CSU, überhaupt ein Programm gibt.
Wir sind sehr gespannt darauf, darüber von Ihnen mal etwas zu hören. Wenn Sie hier eine Vision haben, dann lüften Sie doch mal auch nur mit einem Spalt das, was Sie hier zu verbergen suchen, um dem erstaunten Volk und auch uns mitzuteilen, was Sie eigentlich in petto haben! Ich fürchte: nichts. Hier werden Rentnern und Versicherten lediglich, wie gesagt, Visionen .geboten.
Wahrlich ein makabres Schauspiel! Wenn wir uns das erlauben würden, dann möchte ich das Geschrei in der Öffentlichkeit und die Proteste der Opposition hier im Plenum nicht hören.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6373
Glombig— Ja, das tun Sie doch fortgesetzt, wenn es auch nicht das Allerbeste ist. Aber ich kann Sie daran nicht hindern.
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert die Union auf, meine Damen und Herren von der Opposition— Sie haben heute nachmittag erneut Gelegenheit dazu —, sich in der Sozialpolitik endlich wieder auf den Boden einer konstruktiven und realistischen parlamentarischen Arbeit zu stellen. Wir sind übrigens gerne bereit — das ist ehrlich gemeint —, uns mit Ihnen über ernsthafte Vorschläge sachlich auseinanderzusetzen. Vielleicht haben wir heute nachmittag dazu noch die Möglichkeit.
Die Opposition könnte dabei zeigen, daß. ihr die Sozialpolitik mehr bedeutet als ein Exerzierfeld für eine politische Kriegsführung nach Sonthofener Muster.
Mehr allerdings haben wir hier nicht verspüren können.
Meine Damen und Herren! Entsprechend einer interfraktionellen Vereinbarung treten wir jetzt in die Mittagspause ein. Wir setzen die Sitzung um 14 Uhr mit der Fragestunde fort und beginnen mit der Aussprache bereits um 14.45 Uhr, weil angenommen werden kann, daß die Fragestunde früher zu Ende geht.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Meine
Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde
— Drucksache 8/1612 —
Wir fahren mit der Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen fort. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Wrede zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Hartmann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, im Interesse einer Ableitung des Fernverkehrs aus dem Regnitztal den vierspurigen Ausbau der B 505 vorzusehen und die Maßnahme in die Dringlichkeitsstufe I a des Ausbauplans für die Bundesfernstraßen einzureihen?
Ilea Kollege, zur Entlastung der bestehenden B 4 im Regnitz-Tal ist im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen der Neubau einer zweibahnigen Bundesfernstraße A 73 zwischen Nürnberg und Bamberg vorgesehen. Diese Neubaustrecke ist seit Jahren im Bau und im südlichen Teilabschnitt Nürnberg–Forchheim weitgehend fertiggestellt. Der Weiterbau erfolgt zügig, je nach Vorliegen der planungsrechtlichen Voraussetzungen. Der in Dringlichkeitsstufe I b eingereihte Ausbau der B 505 auf vier Fahrspuren ist nicht geeignet, den erwähnten Neubau der A 73 zu ersetzen.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Hartmann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, als ergänzende Maßnahme zu einem vierspurigen Ausbau der B 505 die Bundesautobahn A 3 zwischen Erlangen und Würzburg sechsspurig auszubauen?
Bitte.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Der Bedarfsplan sieht einen sechsspurigen Ausbau der A 3 zwischen Würzburg und Erlangen nicht vor. Mit dem Neubau der A 7 zwischen Würzburg und Ulm wird eine deutliche Entlastung der A 3 eintreten.
Keine Zusatzfrage.
Der Herr Abgeordnete Schäuble hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Fragen 88 und 89 gebeten. Dem wird entsprochen. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Frage 90 des Herrn Abgeordneten Kolb auf:
Was will die Bundesregierung bei Einführung der Nahverkehrsbereiche tun, um die Benachteiligung von Grenzfernsprechortsnetzen zu beseitigen, wie z. B. für die Ortsnetze Friedrichshafen , Kreßbronn am Bodensee (0 75 43), Immenstaad am Bodensee (0 75 45)?
Herr Staatssekretär.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, gestatten Sie, daß ich die Fragen 90 und 91 zusammen beantworte, wenn der Herr Fragesteller einverstanden ist?
Der Herr Kollege Kolb ist offensichtlich einverstanden.Dann rufe ich auch die Frage 91 des Herrn Abgeordneten Kolb auf:Welche Regelung gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um die offensichtliche Benachteiligung aller Fernsprechortsnetze an Grenzen zu korrigieren, bzw. welchen Mehrkilometerbereich gedenkt sie für diese Ortsnetze vorzusehen?Bitte.Wrede, Parl. Staatssekretär: Entsprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 16. Juni 1977 in der Drucksache 8/342 wird der Bundespostminister dem Ausschuß für Verkehr und für das Post- und
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6374 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Parl. Staatssekretär WredeFernmeldewesen Vorschläge für die Nahbereiche von Ortsnetzen an der Küste, im Zonenrandgebiet und an den übrigen Grenzen unterbreiten. Die Vorschläge, die noch vom Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost gebilligt werden müssen, zielen darauf ab, Nachteile auszugleichen, die sich bei konsequenter Anwendung der Nahbereichsregelung ergeben könnten.Zu der von Ihnen aufgeworfenen Frage nach Regelungen für die Ortsnetze Friedrichshafen, Kreßbronn und Immenstaad kann ich nicht Stellung nehmen, da die Auswirkungen der beabsichtigten Regelung im Einzelfall noch überprüft werden müssen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, aus Ihrer Aussage kann ich wohl schließen, daß Sie sich der Problematik bewußt sind. Aber ich frage mich, weshalb man dann in Public-Relations-Fragen so unversichtig ist, die neuen Nahbereiche jetzt schon bekanntzugeben — auch in der Presse —, was dann zu Verärgerungen vor allem bei uns führt, die wir in einem halbkreisförmigen Gebiet am Bodensee leben. Das würde bedeuten, daß wir mit den Leuten einfach nicht telefonieren könen. Ich frage Sie deswegen — —
Herr Kollege, Sie haben jetzt gefragt.
Bitte.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mir ist nicht bekannt, wovon konkret Sie sprechen. Allerdings gebe ich zu, daß wir, wenn Abgeordnete des Deutschen Bundestages nach einem konkreten Nahbereich gefragt haben, diese Fragen, soweit wir das zum jetzigen oder auch zu einem früheren Zeitpunkt schon konnten, beantwortet haben.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in diesem Zusammenhang ist auch die Frage zu stellen, ob die kommunale Neugliederung insoweit berücksichtigt wird, daß z. B. Gemeinden innerhalb eines Nahbereichs mit ihrer Kreisverwaltung telefonieren können? Andernfalls könnten sie womöglich mit einer anderen Kreisverwaltung in diesem Nahbereich telefonieren. Würden Sie dies bei Ihren Überprüfungen mit berücksichtigen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zu diesem Punkt haben wir in den vergangenen Monaten sehr viele Anfragen gehabt. Dies ist ein Problem, das sich mit den technischen Mitteln, die die Bundespost zur Verfügung hat, und insbesondere mit dem Leitungsnetz, das fest in der Erde verlegt ist, nicht lösen läßt.
Wir haben dieses neue System der Nahbereiche so gewählt, daß von jedem Ortsmittelpunkt aus der
Fernsprechteilnehmer in einem solchen Nahbereich in einem Radius von 20 km mit allen anderen Teilnehmern telefonieren kann. Es ist nie Ziel dieser Maßnahme gewesen und auch nie vom Bundespostminister erklärt worden, daß jeder Teilnehmer in einer x-beliebigen Gemeinde in einem Nahbereich mit seiner Kreisverwaltung telefonieren kann. Wenn wir dies an einer Stelle einführen wollten — es gibt hier sicher Grenzfälle und Härtefälle —, müßten wir das in der ganzen Bundesrepublik tun. Dies hieße Investitionen in Höhe von vielen Milliarden DM tätigen, und das ist nicht zu verkraften.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn es z. B. nur um den fiktiven Mittelpunkt geht, der meinetwegen 300 m weiter, nämlich 20,3 km von diesem Punkt weg ist, hat das nichts mehr mit Technik, sondern einfach etwas mit Organisation zu tun. Wären Sie in diesem Falle bereit, die Überprüfung vorzunehmen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, auch dies sind wir schon häufig gefragt worden. Auch bei allen anderen Maßnahmen, z. B. bei allen Gebührenrechnungen der Post, gehen wir von diesem fiktiven Punkt aus. Wir können ihn nicht an x-beliebigen Stellen ändern, weil wir dann ja überall solche Grenzfälle neu schaffen würden. Bei dem einen sind es 20,3, bei dem anderen 20,4 und beim dritten 20,5 km. Wir würden also diese Grenzbereichsfälle immer nur hinausschieben, und deswegen müssen wir an diesen fiktiven Meßpunkten festhalten.
Die letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß die fiktiven Ortsmittelpunkte zu einem Zeitpunkt festgelegt worden sind, zu dem wir überhaupt noch nicht die kommunale Neugliederung hatten und auch noch nicht an die Einführung von Nahverkehrsbereichen dachten, so daß diese Punkte zum Teil sehr willkürlich sind?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Aber sicher gebe ich Ihnen zu, daß sie schon länger festliegen. Nur würden Sie bei einer Veränderung des fiktiven Ortsmittelpunkts nichts ändern. Dort nämlich, wo Sie ihn zur einen Seite hin verschieben, um über die 20 km hinauszukommen, würden Sie ihn an der anderen Stelle einengen und das wegnehmen, was Sie auf der anderen Seite hinzubekommen. Im Prinzip ändern Sie dadurch also nichts.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Berger .
Herr Staatssekretär, wären Sie wenigstens bereit, bei der Einrichtung dieser Nahbereiche die Grenzen von Verbands-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6375
Berger
gemeinden zu respektieren, damit es in Zukunftnicht mehr so ist, daß Bürgermeister innerhalb ihrerVerbandsgemeinden Ferngespräche führen müssen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Dies, Herr Kollege, wird sicher in aller Regel mit dieser Grenzziehung von 20 km im Radius erreicht werden. Über besondere Fälle — wenn es solche geben sollte; mir ist noch keiner bekannt — müßte im Einzelfall geredet werden, um zu klären, ob es technisch möglich ist, das zu ändern.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Steger.
Herr Staatssekretär, steht nicht zu befürchten, daß bei der Schaffung von Ausnahmeregelungen, wie sie eben gefordert wurden, die Bundespost mit einem ungeheuren bürokratischen Aufwand belastet würde, dessen Ertrag zu ihm in keinem Verhältnis mehr stünde?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Auch dies, Herr Kollege Steger, ist sicherlich ein Gesichtspunkt, der einzubeziehen wäre. Ich hatte mich mehr auf die technischen Schwierigkeiten und auf die notwendigen Investitionskosten bezogen.
Die letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, fürchten Sie nicht umgekehrt, daß Ihnen die Außerachtlassung wichtiger örtlicher Gesichtspunkte bei einer zu starren Einhaltung der fiktiven Ortsmittelpunkte, wie sie festgesetzt worden sind, nachträglich ungeheure Scherereien aus allen Ecken der Bundesrepublik Deutschland machen und Sie zu nachträglichen Änderungen zwingen wird, die mehr kosten, als wenn das vorher geregelt würde?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, ich fürchte dies gar nicht. Aber ich darf auf Ihre Frage eingehen. Sie tun mit dieser Fragestellung so, als wollten wir einen bestehenden Zustand verschlechtern.
In Wahrheit ändern wir doch in vielen Bereichen, insbesondere in ländlichen Bereichen, schwierige Verhältnisse, die zu Erschwernissen für die Bürger geführt haben, durch die positive Regelung, daß Menschen im Durchschnitt mit 18 umliegenden Ortsnetzen, mit denen sie heute zu Ferngesprächsgebühren telefonieren müssen, zukünftig zu Nahbereichsgebühren von 23 Pf telefonieren können. Das heißt, diese Regelung ist ein enormer Fortschritt, insbesondere für die von Ihnen angesprochenen Bereiche, und kein Nachteil.
Da wir
zeitlich gut liegen, lasse ich noch eine Frage zu.
Herr Staatssekretär, wären Sie in diesem Zusammenhang bereit, den Mitgliedern des Hauses einmal mitzuteilen, wie viele Anträge auf Ausnahmegenehmigungen insgesamt bei Ihnen eingegangen sind?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Becker, ich habe die Zahl nicht parat; aber ich glaube, sie entspricht fast der Zahl der einzurichtenden Nahbereiche.
Ich rufe Frage 92 des Abgeordneten Dr. Friedemann auf:
Zu welchen jährlichen Mehreinnahmen führt die bevorstehende Erhöhung der Postgebühren, und zu welchen jährlichen Mindereinnahmen führen die bevorstehende Senkung der Fernmeldegebühren, die bevorstehende Einführung des Nahverkehrstarifs und die bevorstehende Vorziehung des Mondscheintarifs?
Herr Staatssekretär:
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen wird dem Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost in Kürze eine Vorlage über Gebührenmaßnahmen im Post- und Fernmeldewesen zuleiten. Die sich hieraus ergebenden Ertragsentwicklungen werden wie folgt geschätzt:
1. jährliche Mehreinnahmen durch Erhöhung der Postgebühren ab 1979 ca. 1 Milliarde DM,
2. Mindereinnahmen durch Senkung der Fernmeldegebühren 1978 insgesamt ca. 0,6 Milliarden DM, 1979 bis 1982 im Jahresdurchschnitt 1,3 Milliarden DM,
3. Mindereinnahmen im Fernmeldewesen allein durch Vorziehen des Mondscheintarifs 1978 ca. 70 Millionen DM und 1979 ca. 160 Millionen DM,
4. Mindereinnahmen durch Einführung des Nahverkehrstarifs, die nach den Erfahrungen des Probebetriebs auf jährlich ca. 1 Milliarde DM geschätzt werden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da sich meine Frage und Ihre Antwort auf das Gesamtgebührenniveau der Post erstrecken, möchte ich Sie fragen: Stimmen wir darin überein, daß angesichts der gesamten Ertragslage der Bundespost auf absehbare Zeit eine Erhöhung des Gebührenniveaus bei der Deutschen Bundespost weder notwendig noch vertretbar ist?Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es tritt keine Erhöhung des Gebührenniveaus bei der Deutschen Bundespost ein, sondern eine Verlagerung, d. h. eine Erhöhung im Postbereich, wo wir eine von Jahr zu Jahr größere Unterdeckung zu verzeichnen hatten, und eine Gebührenentlastung im Fernsprechbereich, wo wir seit Jahren steigende Überschüsse hatten. Wir halten dies für angemessen. Wenn wir zu diesen Gebührenverschiebungen nicht kämen, würden diese beiden Bereiche nämlich
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6376 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Parl. Staatssekretär Wredeimmer weiter auseinanderlaufen, was auf Dauer nicht zu vertreten wäre.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da ich aus Ihrer Antwort erfreulicherweise Übereinstimmung insoweit feststellen darf, daß allenfalls Strukturveränderungen, aber keine Niveauveränderungen in Frage kommen, möchte ich Sie fragen: Teilen Sie meine Auffassung, daß vor diesem Hintergrund in absehbarer Zeit — sagen wir in den nächsten zwei Jahren — Erhöhungen des Gebührenniveaus bei der Bundespost nicht notwendig sind?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe Ihnen eben die Zahlen über die Verschiebungen vorgetragen. Diesen Zahlen hätten Sie entnehmen können, daß für die Kunden der Post, wenn man Post- und Fernsprechbereich zusammen nimmt, insgesamt eine Entlastung von nicht unbeträchtlichem Ausmaß eintritt. Dem mögen Sie die vorgezeichnete Entwicklung der Postpolitik entnehmen.
Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, welchen Vorziehungszeitraum haben Sie Ihrer Berechnung zugrunde gelegt, und reicht dieser aus, um die gegenwärtig erkennbare Überlastung des Fernmeldenetzes aufzulösen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es gibt Erprobungsbetriebe im Nahbereich. Diese haben uns, glaube ich, in allen Gebieten, sowohl was den Zeitfaktor als auch was die Netzbelastung und in Teilbereichen die Netzüberlastung angeht, genügend Erkenntnisse vermittelt, die es uns gestatten, mit einiger Sicherheit zu prognostizieren.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie eben richtig verstanden, daß Sie ausführten, die vorgezeichnete Entwicklung bei der Bundespost führe zur Senkung von Gebühren?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Nein, das habe ich nicht gesagt, sondern ich habe gesagt, durch diese Maßnahme würden die Kunden der Post insgesamt nicht unbeträchtlich entlastet. Dies steht im Gegensatz zu dem, was man häufig in der Presse lesen kann, insbesondere in Stellungnahmen von Oppositionspolitikern, wo davon gesprochen wird, es sei eine zusätzliche Belastung der Postkunden geplant.
Die Frage 93 des Abgeordneten Wohlrabe wird auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 94 der Abgeordneten Frau Pack auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Fortfall der Geschwisterermäßigung bei den Omnibusbetrieben der Deutschen Bundespost und der Deutschen Bundesbahn im Hinblick auf ihre eigenen sozial- und familienpolitischen Absichten?
Herr Staatssekretär.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Verkehrsunternehmen Bahn und Post müssen bei der Gestaltung ihrer Personenbeförderungstarife zwischen der Verpflichtung zur Entlastung ihrer Haushalte durch Verbesserung ihrer Wirtschaftsergebnisse und den berechtigten Interessen der Verkehrsnutzer abwägen.
Der Kostendeckungsgrad bei Schülerzeitkarten mit Geschwisterermäßigung war in den letzten Jahren unvertretbar niedrig. Er betrug 1977 im Postreisedienst nur ca. 12 %, im Bahnbusdienst nur ca. 20 %. Bei diesem niedrigen Kostendeckungsgrad muß eine Reduzierung der Ermäßigung für das zweite und die folgenden Kinder auch unter Berücksichtigung sozialer und familienpolitischer Gesichtspunkte als angemessener Kompromiß bezeichnet werden.
Im übrigen weise ich darauf hin, daß sich in fast allen Bundesländern die Schulträger an der Bezahlung der Schülerzeitkarten beteiligen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie können Sie mir glaubhaft machen, daß sich das, was Sie jetzt sagen, mit dem vereinbart, was unser Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesagt hat, nämlich daß es Familien mit Kindern in Zukunft finanziell besser haben sollten?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Das würde ich z. B. dadurch belegen, daß wir das Kindergeld für die Mehrkinderfamilien erhöht haben und daß wir uns bemühen, eine familienfreundliche Steuerpolitik zu betreiben.
Sie haben noch eine letzte Frage.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß Sie mit dieser Maßnahme, die ja eine Vorgabe durch die Bundesregierung war, die von Bundespost und Bundesbahn nur nachvollzogen wurde, das Defizit bei der Bundesbahn und bei der Bundespost erheblich verringern können?Wrede, Parl. Staatssekretär: Die Frage ist, Frau Kollegin, was man unter „erheblich" versteht. Tatsache ist, daß wir in vielen, vielen Einzelbereichen, insbesondere bei der Bundesbahn, auf der einen Seite zu Einsparungen und auf der anderen Seite zu Ertragsverbesserungen kommen müssen. Nur diese große Palette von vielen Einzelheiten kann insgesamt zu einem einigermaßen befriedigenden Ergebnis führen, und dazu gehört auch diese Maßnahme.
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Ich danke Ihnen, Herr Statssekretär. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brücher zur Verfügung.
Die Frage 98 ist von Herrn Abgeordneten Voigt eingereicht.
Gibt es Informationsmängel zwischen den Botschaften der EG-Staaten, wie aus den unter der Überschrift „Journalisten verhinderten Vertrauenskrise" geschilderten Vorgängen hervorgeht , und was gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls zu tun, um diese Mängel zu beheben?
Bitte, Frau Staatsminister.
Die Frage des Herrn Abgeordneten Voigt beantworte ich wie folgt:
Die Bundesregierung glaubt nicht, daß die geschilderten Vorgänge auf echte Informationsmängel zurückgehen. Es trifft zwar zu, daß in den arabischen Staaten noch keine Informationsbüros oder andere Vertretungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaft bestehen, die in erster Linie Träger der gemeinschaftlichen Informationspolitik sind. Diesem Zustand soll in absehbarer Zeit abgeholfen werden. Bis dahin obliegt es aber der Botschaft des Mitgliedstaates, der in der EG die Präsidentschaft innehat, die Informationspolitik der EG vor Ort zu koordinieren. Zu diesem Zweck erhält sie sowohl von den Organen der EG wie von ihrer Heimatregierung zweckdienliche Informationen.
Die Bundesregierung ist im Rahmen ihrer personellen und materiellen Möglichkeiten bemüht, die deutschen Auslandsvertretungen laufend über die wesentlichen allgemeinen sowie die speziell für das jeweilige Gastland wichtigen Entwicklungen in der EG zu unterrichten.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, sind im Hinblick auf die in meiner Frage angesprochenen Presseberichte Schritte unternommen worden, um eventuelle zukünftige weitere Berichte auf Grund einer besseren Koordination überflüssig zu machen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Das wird
sicherlich der Fall sein, Herr Kollege. Ich füge noch hinzu, in diesem Fall wäre es der Einfachheit halber auch möglich gewesen, daß sich die in Frage kommenden arabischen Botschaften in Bonn oder in Brüssel die notwendigen Informationen geholt hätten, um die aufgetretenen Mißverständnisse zu vermeiden oder abzubauen.
Ich rufe
die Frage 99 von Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Hat die Bundesregierung entsprechend dem ihr von Professor Andrej Sacharow in Moskau vorgetragenen Fall des bereits seit Jahrzehnten bekannten Ausreisebegehrens einer deutschen Familie tätig werden können, und wie beurteilt sie bejahendenfalls den Erfolg dieser Bemühungen?
Bitte, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Die Anfrage von Herrn Dr. Hupka beantworte ich wie folgt:
Das Ausreisebegehren der Familie, für die sich Herr Sacharow in seinem kürzlichen Brief eingesetzt hat, ist der Bundesregierung seit langem bekannt. Sie hat sich — wie in anderen vergleichbaren Härtefällen — dafür eingesetzt, die erbetene Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland zu erwirken. Auch der Herr Bundesaußenminister hat sich anläßlich seines letztjährigen Besuches in Moskau u. a. dieses Falles angenommen und unserem Anliegen, der Familie zu helfen, Nachdruck verliehen. Die Bundesregierung wird — wie bisher auch — in Zukunft alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, die sowjetische Seite auf das schwere Schicksal solcher Familien hinzuweisen. Sie hofft, daß ihre Bemühungen auch in diesem besonders tragischen Fall schließlich zu einem positiven Ergebnis führen werden.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, aus Ihrer Antwort ist zu schließen, daß noch kein Erfolg erzielt worden ist. Worauf führen Sie zurück, daß trotz der Schlußakte von Helsinki hier ein Fall vorliegt, der der Bundesregierung seit langem bekannt ist und der jetzt auch noch einmal durch den Einsatz von Herrn Sacharow einen bestimmten aktuellen Charakter erhalten hat?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, trotz der im ganzen erfreulich erledigten Fälle bleibt immer noch eine Zahl von unerledigten Fällen übrig, um die wir uns nach besten Möglichkeiten weiterhin bemühen werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, hat die Bundesregierung das selbstlose Eintreten von Herrn Sacharow dazu benutzt, ihm persönlich dafür zu danken, daß er sich als Russe für einen russischen Staatsangehörigen deutschen Volkstums in dieser Weise einsetzt?Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter, dies ist anläßlich des Besuchs von Herrn Sacharow in der deutschen Botschaft in Moskau selbstverständlich geschehen. Dies würde bei einem weiteren Besuch in angemessener Weise selbstverständlich wiederholt werden.
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6378 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Ich rufe die Frage 100 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Kann damit gerechnet werden, daß die Ausreise von Deutschen aus der Tschechoslowakei in diesem Jahr abschließend geregelt wird, nachdem die Tschechoslowakei nur noch über einige hundert Ausreisewillige Auskunft erteilt hat, oder sind die Angaben der Tschechoslowakei in Frage zu stellen, so daß sich die Ausreisen auf einen längeren Zeitraum erstrecken werden?
Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Die Bundesregierung . besitzt trotz der Bemühungen des Deutschen Roten Kreuzes keine absolut gesicherten Unterlagen über die Zahl der aktuellen Ausreisewünsche. Dies gilt um so mehr, als die Bundesregierung die persönlichen Dispositionen der Ausreisebewerber nicht kennt. Während des kürzlichen Besuchs des tschechoslowakischen Außenministers Chnoupek in Bonn hat Bundesminister Genscher mit seinem Amtskollegen die Ausreisefrage erörtert. Außenminister Chnoupek hat dabei in Aussicht gestellt, daß weitere einige hundert Fälle in Kürze abschließend behandelt werden sollen. Auch diese Gespräche haben bestätigt, daß. die Tschechoslowakei ihre Verpflichtungen aus dem Briefwechsel über humanitäre Fragen vom 11. Dezember 1973 weiterhin einhalten wird — ich zitiere —,
daß die zuständigen tschechoslowakischen Stellen Anträge tschechoslowakischer Bürger, die auf Grund ihrer deutschen Nationalität die Aussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland wünschen, im Einklang mit den in der CSSR geltenden Gesetzen und Rechtsvorschriften wohlwollend beurteilen werden.
Zusatzfrage.
Eingehend auf Ihre Bemerkung, daß keine abgesicherten Zahlen vorliegen, die Frage: Kann das daran liegen, daß dem Deutschen Roten Kreuz nur die Korrespondenz mit dem Tschechoslowakischen Roten Kreuz möglich ist, nicht aber die Korrespondenz mit denen, die ausreisen wollen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Dem Deutschen Roten Kreuz ist es vor allem möglich, seine Informationen über Angehörige der möglichen Ausreisewilligen hier in der Bundesrepublik zu beziehen. Das ist wohl die Grundlage der recherchierten Zahlen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Bezugnehmend auf das im Briefwechsel verwendete Wort „wohlwollend" die Frage: Wie erklärt sich die Bundesregierung, daß die Zahl der Ausreisen aus der Tschechoslowakei im vorigen Jahr rückläufig gewesen ist und daß für die ersten beiden Monate dieses Jahres ein noch geringerer Monatsdurchschnitt errechnet worden ist?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann nur sagen, daß wir uns immer wieder
um Rücksiedlungsmöglichkeiten bemühen. Die Zahlen sind zwar schwankend; aber ich glaube nicht, daß bei der Lösung dieses Problems das zugesagte „Wohlwollen" seitens der tschechoslowakischen Regierung in Frage gestellt wird.
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kunz.
Frau Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, beim bevorstehenden Besuch des tschechoslowakischen Staatspräsidenten auf die Rückläufigkeit der Ausreisezahlen hinzuweisen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung ist hierzu nicht nur bereit, sondern sie hat hierfür schon die nötigen Vorbereitungen getroffen.
Ich rufe die Frage 101 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Können nach Auffassung der Bundesregierung zu den Berichten aus den USA über eine Studie zur Entfremdung der Bundesrepublik Deutschland vom westlichen Bündnis auch die offiziellen Abrüstungsgespräche, zu deren Führung Botschafter Dr. Ruth außerhalb der NATO mit der Volksrepublik Polen beauftragt war (dpa vom 3. März 1978), sowie Abrüstungsgespräche zuständiger Vertreter der Koalition in Moskau geführt haben?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Die Anfrage des Herrn Kollegen Czaja beantwortete ich wie folgt:
Der von Ihnen, Herr Kollege, in Ihrer Frage konstruierte Zusammenhang besteht nicht. Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und der amerikanischen Regierung sind durch ein hohes Maß an Übereinstimmung und durch engste Zusammenarbeit gekennzeichnet. Von einer Entfremdung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten sowie dem westlichen Bündnis kann nicht die Rede sein. Gerade auf dem Gebiet der Abrüstung und Rüstungskontrolle bestehen zwischen uns und den Vereinigten Staaten bilateral und im Bündnis sehr enge und intensive, vertrauensvolle Beziehungen.
Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, sieht die Bundesregierung es angesichts der für die Bundesrepublik Deutschland existentiellen Bedeutung des guten Verhältnisses zu den USA einerseits und angesichts der vielfältigen praktischen Schwierigkeiten in den letzten Monaten andererseits nicht doch für wichtig an, der Tragweite des auch im Nachrichtenspiegel der Bundesregierung verzeichneten Berichts der „New York Times" über die amtliche Studie zur Entfremdung der Bundesrepublik Deutschland von der NATO und über das schlechte Verhältnis zwischen Präsident Carter und Bundeskanzler Schmidt mit größter Sorgfalt nachzugehen?Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, diese Meldung im Nachrichtenspiegel ist sei-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6379
Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brüchertens des amerikanischen Außenministeriums zurückgewiesen worden. In der offiziellen Stellungnahme des Außenministeriums ist ausdrücklich betont worden, daß die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten in allen Bereichen vorzüglich seien. Der Sprecher des State Department hat hinzugefügt, daß die in der von Ihnen vorhin gestellten Frage erwähnte Studie eines Beamten, die übrigens nie die Spitze des Hauses erreicht hat, am Ende gerade für eine weitere Intensivierung der Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland plädiert hat.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, um auf den zweiten Teil der Frage zu kommen: Sind Inhalt und Rahmen der Abrüstungsgespräche mit Polen und in Moskau vorher mit den NATO-Partnern, insbesondere bezüglich des für verschiedene Gebiete wirksamen Kollektivitätsprinzips und anderer Leitlinien, sorgfältig abgestimmt worden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Jawohl, Herr Kollege. Der Meinungsaustausch zwischen dem Sonderbotschafter für Abrüstungsfragen Dr. Ruth und den polnischen Gesprächspartnern ist vorher mit den anderen Bündnispartnern sorgfältig abgestimmt worden.
Ich rufe Frage 102 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Wird die Bundesregierung die Beschuldigungen der amtlichen sowjetischen Presse gegen den Bundesaußenminister bezüglich des unberechtigten Verbreitens von Mißtrauen gegen die UdSSR und die „Haltlosigkeit" seiner Argumente in einer entschiedenen Demarche zurückweisen, oder hat sie es bereits getan, wie dies im Fall der Angriffe auf Staatssekretär von Bülow der Fall war?
Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Präsident, ich beantworte die Frage des Herrn Abgeordneten Czaja wie folgt:
Ja, dies ist geschehen.
Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, nachdem in dem Falle der falschen Beschuldigungen und Entstellungen der Ausführungen des Staatssekretärs von Bülow offizielle Demarchen in Moskau seitens der Bundesregierung bekanntgegeben wurden, könnten Sie nicht auch zu dieser kurzen Aussage, daß Demarchen gegen die doch ungeheuerlichen Beschuldigungen gegen den Bundesaußenminister erfolgten, vielleicht etwas Näheres sagen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich bitte wirklich um Ihr Verständnis, daß ich entsprechend einer Übung bei anderen Gelegenheiten hierzu keine näheren Ausführungen machen möchte.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, stimmen Sie aber mit der Auffassung überein, daß der amtliche Vorwurf gegen den Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, mit der man normale Beziehungen hat, der Vorwurf der Haltlosigkeit seiner Argumente, des Säens von Mißtrauen gegen die Sowjetunion und der persönliche Vorwurf, daß er alles auf den Kopf stelle, doch sehr ungewöhnlich ist und im Vorfeld eines möglichen Staatsbesuchs den Versuch eines massiven Drucks auf das Gastland darstellt, den wohl Bundesregierung und Parlament gemeinsam zurückweisen müßten?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, aus diesem Grunde ist die Demarche erfolgt.
Herr Abgeordneter Jäger.
Frau Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, angesichts der Darstellung des Bundesaußenministers durch die Sowjetunion, mittels derer er ja in die gleiche Rubrik gerutscht ist, in der sich seit langer Zeit sehr viele Politiker der Opposition in der sowjetischen Propaganda befinden, einmal darüber nachzudenken, was von solchen Qualifizierungen seitens der sowjetischen Propaganda überhaupt zu halten ist?
Herr Kollege Jäger, diese Zusatzfrage überschreitet den Rahmen der eingereichten Fragen.
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka zu.
Frau Staatsminister, warum hat es eigentlich erst einer Frage bedurft, bevor wir durch die Bundesregierung davon in Kenntnis gesetzt wurden, daß hier eine Demarche unternommen worden ist?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, es hat dieser Frage nicht bedurft.
FrauAbgeordnete Erler hat um schriftliche Beantwortung Ihrer Frage 103 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe Frage 104 des Herrn Abgeordneten Dr. Hoffacker auf:Ist der Bundesregierung bekannt, daß S. Nujoma, der Chef der SWAPO, am 6. März 1978 öffentlich geäußert hat, die SWAPO kämpfe um die Macht in Namibia/SWA und nicht lediglich um eine Mehrheit, und welche Folgerungen zieht die Bundesregierung daraus?Frau Staatsminister, ich weiß nicht, inwieweit eine verbundene Beantwortung der beiden Fragen vorgesehen ist.Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Ganz nach Wunsch des Fragestellers.
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6380 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Herr Kolleg Hoffacker, dann werden die beiden Fragen im Zusammenhang beantwortet. Ich rufe auch noch Frage 105 des Herrn Abgeordneten Dr. Hoffacker auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung diese Äußerung von S. Nujoma auf dem Hintergrund des politischen Programms der SWAPO, in dem es heißt, die SWAPO strebe den bewaffneten Kampf in Namibia/SWA an, um diesen Kampf in einen wirklichen Volkskrieg zu verwandeln?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hoffacker, Ihre erste Frage beantworte ich wie folgt. Der Bundesregierung sind die Interviewäußerungen von SWAPO-Präsident Nujoma bekannt, die am 26. Februar durch das südafrikanische Fernsehen ausgestrahlt worden sind.
Die Antwort auf Ihre zweite Frage lautet wie folgt. Es ist bekannt, daß die Bundesregierung sich für eine friedliche Lösung der Probleme im südlichen Afrika einsetzt, also auch für eine friedliche Lösung der Namibia-Frage. Darin liegt der Grund für die aktive Teilnahme der Bundesregierung an der Namibia-Initiative der fünf westlichen Sicherheitsratsmitglieder. Deshalb begrüßt es die Bundesregierung, daß SWAPO-Präsident Sam Nujoma sich an diesen Verhandlungen beteiligt, die erklärtermaßen dem Ziel dienen, eine friedliche Lösung herbeizuführen. Diese Haltung ist für die Bundesregierung maßgebend.
Eine Zusatzfrage.
Gnädige Frau, darf ich fragen, ob es sich nach Meinung der Bundesregierung auch dann um ein unabhängiges Namibia handelt, wenn sich die SWAPO nicht an den Wahlen beteiligt, und wird die Bundesregierung die Aufbauarbeit Namibias auch dann großzügig unterstützen, wenn die SWAPO vornweg bleibt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Die Bundesregierung tut alles in ihren Kräften Stehende, um eine friedliche Lösung des Namibia-Konflikts im Rahmen der Vereinten Nationen zu erreichen. Eine solche Lösung des Konfliktes ist nur dann möglich, wenn auch die SWAPO in die freien Wahlen mit einbezogen wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, hier kommt mir in Ihren Worten dann doch ein großer Widerspruch auf.
Herr Kollege, ich bitte um Ihr Verständnis: Sie müssen nach der Geschäftsordnung eine Frage stellen.
Sind Sie der Meinung, daß ein Widerspruch darin liegt, wenn einerseits von einem unabhängigen Namibia unter Beteiligung der SWAPO und andererseits von einer von
der Mehrheit der Bevölkerung getragenen Regierung, an der die SWAPO nicht beteiligt ist, gesprochen wird?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Die SWAPO vertritt zweifellos zumindest einen Teil der namibischen wahlberechtigten Bevölkerung und muß deshalb bei künftigen freien Wahlen mit beteiligt werden.
Ich rufe die Frage 106 des Herrn Abgeordneten Dr. Hüsch auf:
Welche Garantien liegen der Bundesregierung dafür vor, daß sich die SWAPO entgegen der Interview-Äußerung ihres Chefs Nujoma tatsächlich und ernsthaft an den von der Fünfergruppe vorgeschlagenen Wahlen neben anderen Parteien und Gruppen beteiligen wird ?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Hüsch beantworte ich wie folgt. Ziel der Bundesregierung ist es, durch ihre Teilnahme an der Initiative der fünf westlichen Sicherheitsratsmitglieder die Voraussetzungen für freie Wahlen in ganz Namibia unter Teilnahme aller Gruppen einschließlich der SWAPO zu schaffen. Die Herbeiführung einer solchen Lösung wird die Garantien bieten, die der Fragesteller anspricht.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, kommen der Bundesregierung nicht doch Zweifel daran, ob die bisher erklärte Mitwirkungsbereitschaft der SWAPO echt ist, wenn sie die Vorgänge vor dem Hintergrund der eben von Ihnen zitierten Interviewäußerungen des Führers der SWAPO würdigt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe die Interviewäußerung nicht zitiert. Mir liegt das Interview aber vor.
Mir liegt eine weitere interessante Äußerung vor, die von dem Sprecher der Inlands-SWAPO, Thlabanello, stammt, der gesagt hat, Nujoma könne nur für sich selbst gesprochen haben; andernfalls müsse ein Beschluß des Zentralkomitees vorliegen, der ihn dazu autorisiere, was nicht geschehen ist. Hier liegen also zwei sich sehr widersprechende Äußerungen vor. Es ist sehr zu hoffen, daß die zweite Äußerung über ein Eintreten der SWAPO für eine friedliche Lösung die entscheidende sein wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, sehen Sie nicht gerade auf Grund des von Ihnen eben aufgedeckten Widerspruchs Veranlassung, daß die Bundesregierung mit besonderer Sorgfalt nunmehr prüft, welchem der beiden SWAPO-Führer sie ein größeres Maß an Vertrauen schenken kann, um ein größeres Maß an Durchsetzbarkeit ihrer Vorstellungen zu erreichen?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6381
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kol-lege, die Vereinten Nationen haben, wie auch der Herr Außenminister gestern im Auswärtigen Ausschuß zum wiederholten Male ausgeführt hat, die SWAPO als die einzige legitime Vertretung des namibischen Volkes anerkannt, ohne daß wir dem zugestimmt hätten. Die Lösung des Konfliktes über die Vereinten Nationen wird aber nur dann gelingen, wenn beide Kontrahenten, nämlich Südafrika und die SWAPO, zu einer gemeinsamen friedlichen Lösung und zur Herbeiführung von freien Wahlen in Namibia bewegt werden können. Das allein ist die Absicht der Bundesregierung: keine Privilegierung der einen oder anderen Gruppe.
Herr Ab-
geordneter Dr. Hoffacker.
Frau Staatsminister, haben Sie Belege für einen solchen Wandlungsprozeß bei den Chefs der SWAPO, daß sie nämlich von dem Programm abgerückt sind, in dem es heißt, daß die SWAPO eine allgemeine Bewaffnung des Volkes anstrebe und den bewaffneten Krieg in Namibia in einen wirklichen Volkskrieg verwandeln wolle?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Ich kann nur noch einmal wiederholen, daß die SWAPO an den Beratungen der fünf westlichen Sicherheitsratsmitglieder teilgenommen und im Rahmen dieser Beratungen in ganz wesentlichen Punkten auch den Vorschlägen der fünf westlichen Sicherheitsratsmitgliedern zugestimmt hat. Ich gehe deshalb davon aus, daß es möglich sein wird, die SWAPO für eine friedliche Regelung zu gewinnen.
Herr Ab-
geordneter Jäger.
Frau Staatsminister, bedeutet es im Endeffekt aber nicht dennoch eine Privilegierung der kommunistischen SWAPO, wenn auch die Bundesregierung — wie die Vereinten Nationen — davon ausgeht, daß ohne deren Mitwirkung freie Wahlen eben 'nicht zustande kommen können?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, die Bundesregierung geht genauso davon aus, daß ohne eine Teilnahme der Turnhallenallianz auch keine freien Wahlen gewährleistet sind. Die SWAPO vertritt einen großen Teil der Bevölkerung Namibias, und sie darf deshalb nach Ansicht der Bundesregierung nicht von freien Wahlen ausgeschlossen werden, ganz gleich, wie wir zu ihren Zielen politisch stehen.
Ich rufe
die Frage 107 des Abgeordneten Dr. Hüsch auf:
Ist die Bundesregierung bereit, eine Resolution des Sicherheitsrats mit der gleichen Qualität der Resolution 385 anzustreben, durch die die SWAPO aufgefordert wird, Gefangene sofort zu entlassen, von Gewaltaktionen abzusehen und sich öffentlich und verbindlich für ein System freier, gleicher, geheimer und pluraler Wahlen in Südwestafrika/Namibia zu erklären?
Bitte, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Die Frage beantworte ich wie folgt. Die in Ihrer Frage erhobenen Forderungen, Herr Kollege, sind Teil des Verhandlungskonzeptes der fünf westlichen Sicherheitsratsmitglieder. Die Bundesregierung hofft, die von Ihnen genannten Ziele durch ihre Mitwirkung bei der Initiative fördern zu können, und hält diesen Weg für geeigneter als den einer Resolution des Sicherheitsrates.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, muß die Bundesregierung nicht doch erkennen, daß sie mit einer solchen Verhandlungsmethode den terroristischen Kräften das Forum der Weltöffentlichkeit vor dem Sicherheitsrat einräumt, sich ihrerseits bei ihren dankenswerten Bemühungen aber sozusagen in die politische Sakristei zurückzieht?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, entschuldigen Sie, ich habe Ihre Frage akustisch nicht verstehen können.
Ich bedaure das sehr, Frau Staatsminister. Aber darauf habe ich keinen Einfluß.
Herr Kollege, ich schlage vor, daß Sie Ihre Frage noch einmal in knapper Form stellen, wie die Geschäftsordnung das auch vorsieht. Vielleicht ist sie dann akustisch besser zu verstehen.
Bitte schön.
Herr Präsident, ich darf meine Frage wiederholen: Frau Staatsminister, sind Sie nicht doch der Auffassung, daß die Bundesregierung auf diese Weise auf die Möglichkeit, ihre Ziele vor dem Sicherheitsrat öffentlich darzustellen, verzichtet, sich statt dessen mit ihren dankenswerten Bemühungen sozusagen auf das Gebiet der nicht öffentlichen Beratung zurückzieht und damit die Wirksamkeit ihrer Bemühungen mindert?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die Vorschläge der fünf westlichen Mitglieder des Sicherheitsrates sind die Öffentlichkeit bekannt und werden in der Öffentlichkeit sehr intensiv diskutiert.
Sie ha-
haben ein weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, haben Sie angesichts dieser Ihrer Antwort nicht Verständnis dafür, daß man annehmen muß, die Bundesregierung scheue dieselbe Bühne der Auseindersetzung?
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Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat überhaupt nur ein Ziel: eine friedliche Lösung in Namibia unter Vermeidung eines Rassenkrieges herbeizuführen und dem Regime der Apartheid ein Ende zu bereiten. Ihr scheint der eingeschlagene Weg der erfolgversprechendste zu sein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hoffacker.
Frau Staatsminister, sind Sie nicht der Meinung, daß es nicht um eine Fremdauschließung der SWAPO geht, um zu einer friedlichen Lösung zu kommen, sondern daß sich die SWAPO bemüht, sich selbst von den freien Wahlen und damit von einer friedlichen Lösung auszuschließen, und daß sie dafür die Verantwortung selbst zu übernehmen hätte?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, das ist eine hypothetische Frage. Ich bitte Sie, diese Frage nicht beantworten zu müssen.
Vielen
Dank, Frau Staatsminister. Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen sind beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Zur Beantwortung der eingereichten Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Stahl zur Verfügung.
Als erste Frage rufe ich die Frage 95 des Herrn Abgeordneten Dr. Steger auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bislang ergriffen, um den Ausbau der von ihr initiierten Wagnisfinanzierungsgesellschaft voranzutreiben und die Flexibilität der Finanzierungsangebote zu erhöhen?
Stahl, Parl: Staatssekretär beim Bundesminister für Forschung und Technologie: Herr Kollege Steger, Ihre Frage beantworte ich wie folgt. Durch eine enge Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung, den privaten Gesellschaftern der Deutschen Wagnisfinanzierungsgesellschaft und der Gesellschaft selbst konnte ein wesentlich schnellerer Aufbau erreicht werden, als ursprünglich für möglich gehalten worden war. So hat die Bundesregierung Haushaltsmittel in einer solchen Höhe in den Einzelplan des Bundesministers für Forschung und Technologie eingestellt, daß sie ihren auf Grund der Geschäftsentwicklung der Wagnisfinanzierungsgesellschaft absehbaren Verpflichtungen aus dem Risikobeteiligungsvertrag wird nachkommen können.
Die Gesellschafter der Wagnisfinanzierungsgesellschaft haben ihrerseits das Stammkapital der Gesellschaft schneller, als zunächst geplant, aufgestockt, so daß ein ausreichender Kapitalbestand für das Eingehen neuer Beteiligungen vorhanden ist. Bei der letzten Kapitalerhöhung am 9. Februar 1978 wurde das Stammkapital von 15 auf 30 Millionen DM verdoppelt. Diese beiden Maßnahmen gaben dieser Gesellschaft in Verbindung mit ihrem Beteiligungskonzept einen nach den bisherigen Erfahrungen ausreichenden Gestaltungsraum.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in der Öffentlichkeit ist verschiedentlich Kritik geübt worden, daß sich die Wagnisfinanzierungsgesellschaft wie eine übliche Geschäftsbank verhalte. Teilen Sie diese Kritik?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Steger, diese Kritik teile ich nicht. Die Wagnisfinanzierungsgesellschaft ist der erste große Modellversuch in der Bundesrepublik Deutschland, mit dem die Bereitstellung privaten Kapitals zur Finanzierung risikoreicher, bevorzugt im volkswirtschaftlichen Interesse liegender ,Innovationen erprobt werden soll. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Interessen privater Kapitalgeber und die der Bundesregierung nicht in jedem Fall deckungsgleich sind. Dennoch ist es bisher immer gelungen, eine ausgewogene Balance zwischen den gelegentlich unterschiedlichen Ansichten herzustellen.
Sie wollten noch eine Zusatzfrage stellen? — Bitte.
Herr Staatssekretär, könnten Sie etwas über die Auslastung der Wagnisfinanzierungsgesellschaft und deren zukünftige Geschäftsentwicklung sagen, insbesondere ob das zur Verfügung gestellte Kapital ausreicht?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Steger, das Kapital dieser Gesellschaft reicht aus. Es ist in den letzten Jahren nicht voll ausgeschöpft worden.
Herr Kollege Ey, Sie hatten noch eine Zusatzfrage; bitte.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, ,daß sowohl eine großzügige Bewertung angebotener neuer Technologien durch die Finanzbehörden sowie auch deren Abschreibungsmöglichkeiten den Erfolg der Wagnisfinanzierungsgesellschaft entscheidend beeinflussen können?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, sicher kann das dies beeinflussen. Aber bedenken Sie bitte, daß die Wagnisfinanzierungsgesellschaft hier eine eigene Entscheidung trifft.
Ich rufe
als nächste die Frage 96 des Herrn Abgeordneten Braun auf:
Was ist seitens der Bundesregierung geschehen, um im Rahmen des Programms für Innovation und Forschungsförderung den gerade mittlere Unternehmungen belastenden bürokratischen Aufwand bei der Antragstellung abzubauen und damit das Antragsverfahren zu verbessern?
Herr Staatssekretär, ich weiß nicht, wieweit vielleicht eine gemeinsame Beantwortung mit der Frage 97 möglich ist.
Stahl, Parl. Staatssekretär: Ich bitte sehr darum,
Herr Präsident.
— Der Herr Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe daher die Frage 97 des Herrn Abgeordneten Braun auf:
Wird die Bundesregierung sicherstellen, daß auch die Personalkosten mit in die Förderung bei dem Programm für Innovation und Forschungsförderung einbezogen werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Braun, Ihre Fragen beantworte ich wie folgt: Kleine und mittlere Unternehmen haben vielfach Schwierigkeiten, Fördermittel in Anspruch zu nehmen. Gründe hierfür sind u. a. fehlende Information über die Förderungsmöglichkeiten und das Förderverfahren, Zurückhaltung vor zusätzlichem Verwaltungsaufwand und der Offenlegung von unternehmensinternen Unterlagen.
Die Bundesregierung begegnet diesen Schwierigkeiten insbesondere durch eine umfassende Information über die Fördermaßnahmen der Bundesregierung, u. a. durch Herausgabe einer Förderfibel, die demnächst in 3. Auflage erscheint, und eine verstärkte Beratung z. B. durch die Projektträger. Sie fördert Pilotprojekte für die Beratung durch die Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft. Mit der Einführung schematisierter Antragsformulare im Jahre 1975 wurde darüber hinaus ein wesentlicher Schritt zu einer rationellen Antragsabwicklung getan. Den Erfordernissen von kleinen und mittleren Unternehmen kommt auch die kürzlich erfolgte Einführung formalisierter Zusicherungen einer Projektförderung entgegen. Sie ermöglicht es, geförderte Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auch vor der Bewilligung zu beginnen, und verkürzt so die Zeitspanne zwischen Antragstellung und Bewilligung.
Im Rahmen des forschungs- und des technologiepolitischen Gesamtkonzepts der Bundesregierung für kleine und mittlere Unternehmen werden die mit den Antragsformularen gewonnenen Erfahrungen mit dem Ziel einer weiteren Vereinfachung des Antrags- und Bewilligungsverfahrens ausgewertet. Hierbei soll den Bundesminister für Forschung und Technologie ein besonderes, mit den Problemen und Möglichkeiten kleiner und mittlerer Unternehmen vertrautes Ad-hoc-Gremium beraten.
Die Bemühungen zur Herabsetzung des Verwaltungsaufwandes finden jedoch ihre Grenzen in den Haushalts- und Rechnungslegungsvorschriften. Die berechtigten Interessen einer effizienten und sparsamen Mittelverwendung müssen deshalb mit den Vereinfachungsbestrebungen zum Ausgleich gebracht werden.
Die Bundesregierung prüft derzeit; ob es Möglichkeiten gibt, Personalaufwendungen im Forschungs-und Entwicklungsbereich zu begünstigen. Gegenstand dieser Prüfungen sind insbesondere die Fragen der Mitnehmereffekte und der Erfolgskontrolle sowie Abgrenzungsprobleme.
Zusatz-
frage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Meinung, daß die von Ihnen eben vorgetragenen Maßnahmen tatsächlich eine Vereinfachung bewirken, und daß sichergestellt ist, daß auch mittlere Betriebe an diesem Programm teilhaben können?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung ist der Meinung, daß wir hier einen Schritt vorwärtskommen. Wir verwerten dabei auch den Rat der Sachverständigen, die uns mit beraten und die übrigens auch im Kontakt mit Verbänden und Vertretern kleiner und mittlerer Unternehmen stehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, bei Ihrer Prüfung zu berücksichtigen, daß die Übernahme der Personalkosten gerade für mittlere Betriebe ein entscheidender Faktor ist?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung prüft derzeit den hier angesprochenen Punkt sehr ausführlich.
Herr Kollege Ey.
Herr Staatssekretär, ist die unbefriedigende Beteiligung des Mittelstandes an den Innovationsförderungsmaßnahmen nicht in erster Linie einmal auf die ungenügende Kapitalbereitstellung und zum zweiten auf die zum Teil unzumutbare Risikoverteilung zurückzuführen?
Herr Kollege Ey, ich muß leider, wie gelegentlich bei solchen Zusatzfragen, feststellen, daß Ihre Frage nicht in unmittelbarem Sachzusammenhang mit dem Antragsverfahren steht.
Letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Steger.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für richtig, daß von seiten der Opposition einerseits immer wieder beklagt wird, es gebe hier bürokratische Hemmnisse, während auf der anderen Seite die Richtlinien ja auch mit den einschlägigen Industrieverbänden abgestimmt sind, und glauben Sie nicht auch, daß die zunehmende Inanspruchnahme doch einer solchen Kritik den Boden entzieht?Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Steger, der Bundesforschungsminister fördert erstmalig seit zwei Jahren fünf Beratungsstellen für kleine und mittlere Unternehmen bei Industrie- und Handelskammern. Wir gehen davon aus, daß dies in der Bundesrepublik bekannt wird und daß schon der
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Parl. Staatssekretär StahlEffekt mit dazu beitragen wird, einen größeren Kreis von Partnern anzusprechen, und sie bei uns Anträge einreichen und sich beraten lassen.
Wir hoffen, daß das auch der Effekt der Fragestunde ist.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie beantwortet.
Wir treten wieder in die Beratung des Tagesordnungspunktes 3 — Einundzwanzigstes Rentenanpassungsgesetz — ein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Franke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir ein paar Vorbemerkungen, einmal zu dem, was der Kollege Glombig hier gesagt hat, zum anderen auch noch ein paar allgemeine Vorbemerkungen.Es tat einem in der Seele weh, wenn man den Kollegen Glombig — ich glaube, gegen seine eigene Überzeugung — hier hat reden hören.
Jeder Eingeweihte in diesem Hause weiß, daß er diesen Entwurf nur aus koalitionspolitischen und aus Machterhaltungsgründen verteidigt hat.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, da ich den Kollegen Glombig seit vielen Jahren aus harten Auseinandersetzungen hier im Hause und auch im Ausschuß kenne, daß er bei der Abkehr von bzw. der Nichtwiederkehr der bruttolohnbezogenen Rente in dem Initiativantrag der Fraktionen von SPD und FDP ein großes Opfer gebracht hat.
Ich wiederhole es noch einmal: Daß er dieses Opfer gebracht hat, entspricht meiner langen Kenntnis von seiner eigenen politischen Einstellung zur Frage der bruttolohnbezogenen Rente.
Dann hat der Kollege Glombig nach meiner Auffassung — ich glaube, er hat sich geirrt; ich unterstelle ihm nicht, daß er, bewußt etwas Falsches gesagt hat — etwas Falsches gesagt: Das Zwanzigste Rentenanpassungsgesetz war von vornherein zweistufig angelegt. Das hat er hier wörtlich gesagt. Ich will den Kollegen Glombig hier einfach mit den Ausführungen von Herrn Ehrenberg — das ist seit 1976 nach der Bundestagswahl der Arbeitsminister — widerlegen. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einmal kurz Herrn Ehrenberg aus der ersten Lesung der vorgelegten Gesetzentwürfe zum Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetz und zum sogenannten KVKG am 12. Mai 1977 zitieren:Nachdem, wie ich hoffe, dieser Fall inzwischen auch bei Ihnen, Herr Franke,— er setzte sich mit mir auseinander-geklärt ist, ist es notwendig, etwas zu Ihren Ausführungen über die Nettoanpassung zu sagen. Im Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetz steht darüber nichts, und dort kann auch nichts darüber stehen.So sagte Herbert Ehrenberg. Ich unterstelle, der Kol-lege Glombig hatte das nicht ganz so im Gedächtnis.Weiter sagte Herbert Ehrenberg:Es gibt auch sonst keine feste Absicht eines Übergangs zur Nettoanpassung. In der Koalitionsvereinbarung gibt es lediglich eine Vorsichtsmaßnahme . . .
Ich muß leider sagen: Der Kollege Glombig hat hier etwas nicht Richtiges gesagt. Ich unterstelle zu seinen Gunsten, daß er das nicht bewußt falsch gesagt hat.Der Kollege Glombig sagte unter Bezugnahme auf das Jahr 1972 und unter Bezugnahme auf Hans Katzer: Katzer hat 1972 noch einmal einen draufgesetzt. So ähnlich hat er es formuliert. Ich habe hier eine Sonderausgabe der „Sozialpolitischen Informationen" vom November 1972. Dieses Bild hier kann man nicht mehr so genau erkennen; der ehemalige Bundesarbeitsminister Walter Arendt ist hierauf zu sehen. Es ist vielleicht symbolisch, daß das Bild etwas verschwommen ist. Ich darf auch hier wieder mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren, was Walter Arendt in dieser Sonderausgabe der „Sozialpolitischen Informationen" sagt:2. Finanzielle Auswirkungen bis 1986.Nach den Vorausberechnungen im Rentenanpassungsbericht ergab sich bei Aktualisierung der Zuwachsraten der Durchschnittsentgelte für die Jahre 1972 bis 1976 in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten zusammen Ende 1986 eine Vermögensrücklage von 221 Milliarden DM. Unter Abzug der Mindestrücklage verblieb ein Überschuß von 188 Milliarden DM. Dieser Überschuß war die finanzielle Basis für die Rentenreformmaßnahmen 1972.Wer ist draußen — jetzt frage ich meine Kollegen hier — nicht schon einmal dem Argument eines sozialdemokratischen Kollegen begegnet, der gesagt hat, die CDU/CSU habe das 1972 zu verantworten gehabt? Hier brüstet sich der zurückgetretene Arbeitsminister Walter Arendt erstens, daß das Geld dafür vorhanden gewesen sei, und zweitens, daß die SPD und die FDP das zu verantworten hätten. Ich möchte dem nichts weiter hinzusetzen. Sie wissen, was hier immer als Legende verbreitet wird.
Es hat vor kurzem ein Fernsehgespräch gegeben. Da konnte ich einem Gesprächspartner nicht antwor-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6385
Franketen, weil wir vom Publikum bzw. von Journalisten gefragt wurden. Unser dritter Gesprächspartner, lieber Herr Ehrenberg, der dabei war, sagte damals, die Parteien hätten sich gegenseitig hochgeschaukelt. Ich widerspreche dem hier. Am 8. Februar konnte ich es nicht. Hier ist die finanzielle Berechnungsbasis von der Bundesregierung vorgelegt worden. Hier ist sie mit Sonderdrucken nach draußen verteilt worden. Ich kann Ihnen das umfangreiche Material, das im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung in der damaligen Zeit vorgelegen hat, hier nicht ausbreiten. Jedenfalls stammen die Berechnungsgrundlagen für die Reform oder für die Verbesserung der Leistungen 1972 aus dem Bundesarbeitsministerium. Herr Ehrenberg versuchte und versucht auch in letzter Zeit, sich von dieser Zahl 1972 abzusetzen. Wenn die Nachrichten stimmen, hat der damalige beamtete Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium im Jahre 1972 unter Walter Arendt diese Zahlen herausgegeben.
— Das war Herr Ehrenberg. Er war damals beamteter Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium. Ich wollte das nur noch einmal in Erinnerung bringen.
Eine zweite Vorbemerkung. Genau wie 1976 hat der Bundesarbeitsminister 1977 geleugnet, daß es Finanzierungsprobleme in der Rentenversicherung gab. Dadurch standen die Beratungen des 20. Rentenanpassungsgesetzes und des, wie ich es immer bezeichnet habe, „Kostenverschiebungsgesetzes" in der Krankenversicherung im letzten Jahr unter einem unerträglichen Zeitdruck.
Das hat sich nicht zugunsten von guter Gesetzesqualität ausgewirkt. Jetzt scheinen wir wieder unter einem unerträglichen Zeitdruck zu stehen.
Die Regierung und die Koalitionsfraktionen haben monatelang, seit Oktober/November des letzten Jahres, über ihre Entwürfe gestritten, bis sie im letzten Moment eine Einigung zustande gebracht haben. Alles das, was Sie von der SPD und von der FDP jetzt im Hause, hier im Plenum veranstalten — das heißt auch weiterhin Anhörung im Ausschuß, Beratung im Ausschuß usw. —, ist für Sie, wie ich vermute, lediglich ein Festzurren Ihrer bisherigen Beschlüsse. Sie können sich doch keinen Millimeter von Ihren Beschlüssen wegbewegen, weil sonst Ihre ganze unsolide Konstruktion in sich zusammenfallen würde. Das heißt, daß die Beratungen im Ausschuß nur als Schauveranstaltungen anzusehen sind. Ich hoffe, daß ich mit meinem Vorwurf unrecht behalte und daß Sie bereit sind, auf Argumente einzugehen, die sowohl die Sachverständigen als auch der Sozialbeirat als auch der Bundesrat in den nächsten Wochen noch sagen werden und die wir in die Debatte einfließen lassen werden. Sonst, meine Damen und Herren, können wir ja die Beratungen des Deutschen Bundestages in das Koalitionsverhandlungszimmer vonHerrn Wehner verlegen. Dann könen wir uns, glaube ich, auch viele Tagegelder hier sparen.
Gestern bekamen wir den Rentenanpassungsbericht 1978. Gestern! Ironisch forderte uns Herr Glombig heute morgen auf, wir sollten den mal richtig studieren. Was ist das für ein Stil für die öffentliche Beratung und für das Parlament,
wo soviel für den einzelnen Menschen draußen bewegt wird, die Unterlagen so spät und einfach im Stile einer Briefverteilung in letzter Minute zu versenden? Vorgestern fanden wir die Vorlage der SPD/FDP-Koalition zum 21. Rentenanpassungsgesetz vor. Ich möchte einmal Sie oder den lautesten Schreier in der ersten Reihe der SPD-Fraktion hören, wenn wir ein solches Verfahren während unserer Regierung hier angewandt hätten, wie er nach mehr Demokratie geschrien hätte; aber Sie praktizieren hier einen Stil, der unerträglich ist, meine Damen und Herren.
Herr Kollege Franke, ich möchte doch dringend bitten, daß Sie sich in die Erinnerung rufen, daß der Herr Präsident Carstens genau vor vier Wochen das Haus gebeten hat, miteinander so umzugehen, wie das notwendig ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt ?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich weiß nicht, welchen Ausdruck von mir Sie gemeint haben.
Ich meine, wir sollten uns nicht als „Schreier" bezeichnen. Das halte ich nicht für in Ordnung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich darf natürlich mit Ihnen nicht streiten. Ich unterstelle mich auch dieser Ihrer Diktion. Nur, meine Damen und Herren, ich betrachte Herrn Wehner so. Das hat er heute morgen mehrfach produziert. Er hat uns als „Pöbel" bezeichnet, meine Damen und Herren.
Herr Kollege, ich rufe Sie zur Ordnung, weil Sie in dieser Form die Bemerkungen des amtierenden Präsidenten zu kritisieren versucht haben.
Lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt zu?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön, Herr Kollege Schmidt.
Herr Kollege Franke, würden Sie bitte dem Hohen Hause und der Öffent-
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6386 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Schmidt
lichkeit zur Kenntnis geben, daß die heutige erste Lesung dieses Gesetzentwurfs vor Wochen interfraktionell vereinbart worden ist und daß die Vorlage der Gesetzentwürfe zu diesem Zeitpunkt auch der Opposition bereits bekannt war, daß als die Vorwürfe, die Sie jetzt erheben, wegen der interfraktionellen Vereinbarung nicht gerechtfertigt sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber verehrter Herr Kollege Schmidt, daß das vor Wochen oder Monaten vereinbart worden ist, das habe ich hier doch gar nicht bestritten. Ich habe lediglich kritisiert, daß Sie uns die Beratungsunterlagen für diese wichtige erste Beratung vor 24 Stunden auf den Tisch gelegt haben. Das ist ungewöhnlich, meine Damen und Herren.
Ich glaube — und ich bin zwölf Jahre hier in diesem Hause —: Das ist das erste Mal in der Geschichte dieses Hauses, daß wir so etwas produzieren. Ich kann verstehen, daß Sie Schwierigkeiten haben, Ihre eigenen Beschlüsse festzuzurren. Aber Sie sollten soviel Stil bewahren, daß wir in der Lage sind, diese Fragen hier genügend zu beraten. Diese Zeit haben Sie uns nicht gegeben.
Herr Kollege, lassen Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt zu?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr.
Herr Franke, würden Sie weiterhin zur Kenntnis nehmen, daß unter dem 23. Februar 1978 die Grundzüge des heute vorliegenden Gesetzentwurfs dem Hohen Hause bekanntgeworden sind
und daß zum Zeitpunkt der interfraktionellen Vereinbarung der ersten Lesung hier — und ich darf hier auch auf eine Obleute-Besprechung, ich bitte das auch zur Kenntnis zu nehmen, im Bundestagsausschuß für Arbeit verweisen — bereits bekannt
Herr Kollege, ich bitte um Verständnis: Das Institut der Zwischenfrage kann nicht zu weit —
Das Fragezeichen kommt sofort.
Würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß der Bericht des Sozialbeirates auf Grund der Vorschriften nicht eher vorliegen konnte und daß dies der Opposition ebenfalls bekannt war?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schmidt, ich stelle fest, daß Sie mich mit keinem Teil Ihrer Frage widerlegt haben. Ich habe behauptet, daß Sie das zu spät auf den Tisch gelegt haben. Sie können von der Öffentlichkeit und von den Parteien des Deut-
schen Bundestages ja wohl nicht erwarten, daß sie sich Beratungsunterlagen aus der Presse oder aus der Pressemitteilung des Arbeitsministeriums besorgen, sondern hier geht es um ordentliche Vorlagen, die beschlußreif sein müssen. Die sind erst gestern und vorgestern auf den Tisch gekommen. Das habe ich hier kritisiert, und ich werde es weiterhin kritisieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Franke, der Abgeordnete Wittmann bittet um eine Zwischenfrage.
Ich mache wegen der Redezeitbegrenzung darauf aufmerksam, daß die Zwischenfragen auf die Redezeit angerechnet werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich glaube, ich habe für den ersten Teil meiner Ausführungen genügend Zwischenfragen zugelassen. Ich wollte natürlich den Stil beibehalten, auch Zwischenfragen zuzulassen. Vielleicht ergeben sich für die Kollegen im Laufe der Beratungen noch einige Zwischenfragen. Dann will ich darauf später gerne zurückkommen.
Die SPD-und FDP-Fraktion gehen in ihrer Vorlage bei Einnahmen- und Ausgabenentwicklungen von ganz bestimmten wirtschaftlichen Annahmen aus. Sie schätzen, daß die Einkommen 1978 um 5,5%, 1979 um 6 %, 1980 bis 1982 um 6,2 % und ab 1983 um 6 % pro anno steigen werden. Meine Damen und Herren, es kann sein, daß das so verläuft. Wird jedoch die Steigerung der Arbeitnehmerentgelte 1978 nur um 1 % geringer als angenommen ausfallen, fehlen in der Rentenkasse hochgerechnet 13,5 Milliarden DM. Ihre Rechnung ist also genau wie 1977 auf Sand gebaut.
Ich habe an dieser Stelle am 12. Mai 1977, also vor knapp zehn Monaten, darauf hingewiesen, daß Ihre wirtschaftlichen Annahmen falsch sind. Der Mangel an Beitragseinnahmen der Rentenversicherung ließ schon damals Katastrophales ahnen. Der Herr Ehrenberg tat die Einwendungen und Mahnungen ganz im Stile seines großen Meisters, des Bundeskanzlers, der angeblich von Volkswirtschaft so viel versteht, ab. Die Volkswirte Ehrenberg und Schmidt wissen nicht nur alles, sie wissen sogar — so tun sie jedenfalls — alles besser, nur, meine Damen und Herren, mit dem Ergebnis: sie schätzen und produzieren laufend falsche Zahlen.
Bei dieser Gelegenheit darf ich noch einmal auf das zurückkommen, was der Herr Bundeskanzler Schmidt als Abgeordneter aus der Mitte des Hauses am 8. April 1976, also ein paar Wochen vor der Wahl, sagte, als er eine Zwischenfrage stellte — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
— das ist der Bundeskanzler —Ich muß eine lange Frage formulieren, Herr Kollege, um im Einklang mit der Geschäftsordnung zu bleiben:
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6387
Franke Er fragt:Unterstellt, daß Sie mir unterstellen, daß ich die volkswirtschaftlichen Zahlen richtig zu deuten weiß — —Und dann heißt es weiter:Können Sie sich erstens vorstellen, daß ich der Meinung bin, daß auch im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt die gegenwärtige Vermögensanhäufung in den Rentenversicherungen voll ausreicht, . . .Darf ich bitte noch einmal ins Gedächtnis zurückrufen:Unterstellt, daß Sie mir unterstellen,— immer Schmidt —daß ich— Schmidt —die volkswirtschaftlichen Zahlen richtig zu deuten weiß — —Meine Damen und Herren, bei dem Herrn Ehrenberg, der das Ressort Arbeit und Sozialordnung verwaltet, hörte sich das am 12. Mai 1977 so an — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:Aber nun zu dem Punkt, den Herr Franke angesprochen hat, zu der Meldung der Sozialversicherungsträger, daß sie 1 Milliarde DM weniger als erwartet — nicht weniger als im Jahr zuvor, weniger als erwartet — eingenommen haben. Diese Meldung über die 1 Milliarde DM ist richtig. Sie hat aber auch ihre erklärbaren Ursachen, die nur zu einem sehr geringen Teil — ich will Ihnen gleich sagen, zu einem wie großen Teil — im langsameren Wirtschaftsverlauf liegen.Ich wiederhole: zu einem geringeren Teil im langsameren Wirtschaftsablauf liegen. — Herr Ehrenberg weiter:In erster Linie geht sie nämlich darauf zurück, daß die Versicherungsträger den Verkauf von Beitragsmarken an freiwillig Versicherte eingestellt und die Umstellung auf ein Überweisungsverfahren, ein Abbuchungsverfahren vorgenommen haben.Meine Damen und Herren, er führt das nur auf buchhalterische, auf technische Ursachen zurück. Unsere Mahnungen, meine Mahnungen am 12. Mai 1977 — die Beitragseinnahmen der ersten drei Monate lassen vermuten, daß am Jahresende ein Riesen-, ein Milliardenloch vorhanden ist — wurden von ihm mit dieser Bemerkung beantwortet. Und dann sagte er noch einen Schlußsatz:Alles das sind Fakten, die man wissen sollte, bevor man hier eine solche Schwarzmalerei an die Wand stellt, wie Sie, Herr Franke, das getan haben.
Meine Damen und Herren, ich will damit sagen: Alles das, was die Bundesregierung heute auf denTisch legt, hört sich genauso hohltönend an wie das, was gerade von mir zitiert wurde.
Das fing 1976 an und ging 1977 weiter. Und warum sollte das, nachdem Sie so viele Künste bewiesen haben, 1978 anders sein? Geraten die Lohnsteigerungen um 1 °/o niedriger, haben wir im nächsten Jahr ein weiteres Defizit von 13 bis 15 Milliarden DM.
Und wer hört nicht noch den Kanzler am 30. September 1976, drei Tage vor der Bundestagswahl, tönen — wörtlich —:Da gibt es ein Problemchen der Rücklagen. Dieses Problemchen ist leicht zu lösen.Das war drei Tage vor der Wahl. Nach der Wahl waren dann diese „Problemchen" die dicksten Probleme.
Oder da stellt sich der Kanzler Schmidt in München vor einiger Zeit mit etwas schräger Kopfhaltung hin und sagt, er habe sich geirrt. Er sagt also einfach, er habe sich geirrt und daraufhin seien jetzt diese Schwierigkeiten für ihn einfach zu registrieren.
Er hat sich einfach geirrt, und die Rentner müssen die Zeche bezahlen; meine Damen und Herren, das ist die Konsequenz aus seinem Irrtum.
Wie sagte er am 8. April 1976: „... immer unterstellt, daß Sie mir zutrauen, daß ich die volkswirtschaftlichen Daten richtig zu deuten weiß." In München hat er sich einfach geirrt. Die Rentner müssen die Zeche bezahlen.
Alle Leute wußten es. Alle Fachleute wußten es. Alle Zeitungen wußten es. Die Gewerkschaften, die Arbeitgeber wußten es. Die Opposition hatte seit drei Jahren darauf hingewiesen, daß Finanzierungslücken in der Rentenversicherung auftreten. Nur der Kanzler wußte es nicht; der Volkswirt, der Weltökonom wußte es nicht. Die Leidtragenden aus diesem Irrtum aber sind die 11 Millionen Rentner, sind die 22 Millionen Beitragszahler.Aber so billig kommen der Kanzler und sein Arbeitsminister mit diesen ihren Irrtümern und dem Vertuschen ihrer Irrtümer nicht davon. Der Kanzler hat sich nach meiner Auffassung nicht geirrt, sondern er hat die Wähler getäuscht, meine Damen und Herren.
Aber die Wähltertäuschung von vor dem 3. Oktober 1976 oder die Wortbrüche dieses Kanzlers, der, wie ich hier feststelle, an dieser Debatte, wo es um das Wegnehmen von Zuwachsraten für Rentner geht, gar nicht teilnimmt -- das interessiert ihn
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6388 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Frankeoffensichtlich gar nicht --, gehen weiter. Vor der Wahl hatte er sich getäuscht. Nach der Wahl hat er dann Wortbrüche produziert. So sagte doch Kanzler Schmidt in seiner Regierungserklärung am 16. Dezember 1976, also vor knapp eineinhalb Jahren — ich darf zitieren —:Die laufenden Renten werden ab 1. Januar 1979 jeweils mindestens entsprechend der Steigerung der nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben verfügbaren Einkommen der aktiven Arbeitnehmer erhöht werden.Weiter sagte er in seiner Regierungserklärung:Die Bruttolohnbezogenheit bei der Festsetzung der Neurenten bleibt.Am 16. Dezember 1976, also vor eineinhalb Jahren, sagte der Kanzler außerdem:Die Beitragssätze zur Rentenversicherung bleiben unverändert.Was heißt das, meine Damen und Herrren? Vergleicht man diese Aussagen mit der Vorlage des 21. Rentenanpassungsgesetzes, dann bleibt von den Versprechungen des Kanzlers vom 16. Dezember; was die Rentner und die Beitragszahler angeht, nichts mehr übrig.
Erstens. Es ist klar, daß die geplante Rentenerhöhung unter der von der Regierung selbst erwarteten Steigerung des Lebensstandards der Arbeitnehmer liegt. Hier ist ein Wortbruch zu verzeichnen.Zweitens. Die Bruttolohnbezogenheit der Neurenten soll bis 1981 ausgesetzt werden. Das ist ein weiterer Wortbruch.Drittens. Die Rentenversicherungsbeiträge werden nach der Vorlage, die hier auf dem Tisch liegt, ab 1981 erhöht.Meine Damen und Herren, ich halte es für eine Ungeheuerlichkeit, daß der Bundeskanzler uns hier dreimal, den Rentnern dreimal und den Beitragszahlern dreimal etwas ankündigt und diese Zusagen jetzt hier dreimal zurückgenommen werden. Das kann man nicht einfach durch Abwesenheit vom Tisch wischen.
Wie sollen die Bürger da noch Vertrauen in eine Regierung unseres Landes haben?
Wird durch ein solches Verhalten, durch solche Täuschungen und Fehlleistungen nicht das Vertrauen in unser parlamentarisches System erschüttert?Ich will diese Fragen beantworten. Unsere parlamentarische Demokratie ist von Grund auf gefestigt. Unser Staat steht auf festem Fundament. Was wankt, was schwankt, was umfällt und Wortbrüche leistet, sind der Kanzler und die Koalition von SPD und FDP.
Wir können die Krise der Regierung und der Regierungsparteien nicht mit einer Staatskrise gleichsetzen. Die Fehler und Fehlleistungen von Schmidt und Co. — dieses Bundeskanzlers und seiner Koalition — haben nichts mit der Festigkeit unseres Systems zu tun.Nur — und das ist das Schlimmste daran — unter den Fehlleistungen und der Schwäche dieser Regierung muß die Bevölkerung leiden. Und im 21. Rentenanpassungsgesetz wird eine Bevölkerungsgruppe besonders angesprochen, die sich nicht wehren kann: das sind unsere Rentner. Wir werden zusammen mit den Gewerkschaften, mit dem Reichsbund, mit dem VdK die Bevölkerung aufklären und versuchen, den Anschlag auf die größte soziale Reform der Nachkriegszeit, der Rentenreform von 1957, zu verhindern.Was muß man von einem Kanzler halten, der 1965/66 — damals als Fraktionsvorsitzender der SPD — bei kleinen Finanzproblemen, die damals waren, sagte: „Die Leute, die das zu verantworten ha- ben, gehören ins Gefängnis." Damit meinte er Finanzlücken von einigen Milliarden DM und eine Arbeitslosigkeit 1966 in einem Monat von 1,8 °/o und — das konnte er noch nicht wissen — eine Arbeitslosigkeit von 2,1 % in einem Monat im Jahre 1967. Jetzt haben wir seit Jahren Arbeitslosigkeit von 4 bis 5 °/o, die die Ursache für die Finanzprobleme in der Rentenversicherung sind.Lassen Sie mich eine Zwischenbemerkung machen. Wenn dieser Maßstab von Helmut Schmidt von damals — das Beispiel Gefängnis meine ich — gilt, dann müssen wir das Gefängnis in Bonn beträchtlich erweitern, damit alle die darin Platz haben, die das zu verantworten haben, was heute hier auf dem Tisch liegt.
Nun legt die Koalition knapp acht Monate, nachdem wir das 20. Rentenanpassungsgesetz und das „Kostenverschiebungsgesetz" in der Krankenversicherung verabschiedet haben, ein neues Rentensanierungsgesetz vor. Die Hauptpunkte dieses Vorschlages von SPD und FDP sind: Die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung werden zum 1. Januar 1979 um 4,5%, zum 1. Januar 1980 um 4% und am 1. Januar 1981 um weitere 4 % erhöht. Die verringerten Anpassungssätze gelten auch für die knappschaftliche Rentenversicherung, die Altershilfe der Landwirte, die Kriegsopferrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz und für die Unfallversicherung. Die Zugangs- und Neurenten in den Jahren 1979 bis 1981 werden wie die Bestandsrenten behandelt. Das heißt, die Rentendynamik entsprechend der Bruttolohnentwicklung wird auch für die Zugangsrenten außer Kraft gesetzt. Ergänzend zu der verlangsamten Rentenanpassung wird eine Risikoabsicherungsklausel eingeführt.Ab 1. Januar 1981 wird der Beitragssatz in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten von 18 auf 18,5 % erhöht, und ab 1982 müssen die Rentner individuelle Beiträge zur Krankenversicherung zahlen. Die Bedingungen für die freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung werden erheblich erschwert. Um dynami-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6389
Frankesche Leistungen aus freiwilligen Beiträgen zu erhalten, müssen gewisse Bedingungen hinsichtlich der Kontinuität der Beitragszahlung erfüllt werden. Die Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit einer Beschäftigung wird an bestimmte Bedingungen geknüpft. Teilzeitbeschäftigte und kurzfristig Beschäftigte werden hierdurch in die Versicherungspflicht genommen. Schließlich werden zwei Milliarden aus der Rentenversicherung — das steht nicht unmittelbar im Gesetzestext — zusätzlich wiederum in die gesetzliche Krankenversicherung verschoben.Mit dem Abgehen von der bruttolohnbezogenen Rente verlassen SPD und FDP den Hauptgedanken der größten Sozialreform seit 1950. Die Arbeitnehmer müssen — oder mußten — Beiträge von ihrem Bruttoeinkommen bezahlen, erhalten dafür aber heute einen Gegenwert, der sich absolut nach der Kassenlage der Rentenversicherung richtet. Niemand kann mehr vorausschauen und seine Rente ausrechnen.
Bruttolohnbezogene Rente ist nicht irgendein Schlagwort. Bruttolohnbezogene Rente ist der Inhalt des Vertrages zwischen der aktiven Generation und den Rentnern. Die Väter der Rentenreform von 1957 haben sich etwas dabei gedacht, daß diejenigen, die diese Republik mit aufgebaut haben, nicht der Willkür der Kassenlage der Rentenversicherung unterworfen werden dürfen.
Wie kann man angesichts der vielen gebrochenen Versprechungen dieser Regierung glauben, daß die bruttolohnbezogene, dynamische Rente eines Tages wieder gültig sein wird? Wer glaubt Ihnen von der SPD und der FDP noch,
nachdem der von Ihnen gestellte Kanzler so oft wortbrüchig geworden ist?
— Ich bin mit Ihnen der Meinung, Herr Kollege Wehner: Diese Wortbrüche sind unerhört. Ich bedanke mich für diesen Ihren Zwischenruf.
Für mich ist übrigens unvorstellbar, daß ein Sozialdemokrat der Aussetzung der bruttolohnbezogenen, dynamischen Rente hier in diesem Hause zustimmen kann.
Ich als alter Gewerkschaftler kann das nicht verstehen.
Coppik und Hansen von Ihrer Seite würde ich es zutrauen, daß sie hier zustimmen, aber ich kann mir nicht vorstellen, das alte Gewerkschaftsmitglieder wie Walter Arendt, Adolf Schmidt, der Bergarbeiterführer, Helmut Rohde, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen innerhalb der SPD,
oder der seit gestern gewählte stellvertretende Bundesvorsitzende der IG Chemie — ich kann Ihnen das leider nicht ersparen — der Aussetzung der dynamischen Rente hier zustimmen können. Ich als alter Gewerkschaftler kann — ich wiederhole es noch einmal — nicht verstehen, daß Sie das tun wollen. Wir werden das nachprüfen.
Aber Sie kürzen nicht nur den Zuwachs, sondern Sie sagen in Ihrem Gesetzentwurf zum 21. Rentenanpassungsgesetz — ich verkürze den Passus —: Wenn die Lohn- und Gehaltsentwicklungen schlechter als angenommen verlaufen, dann müssen wir die Steigerungssätze noch einmal prüfen bzw. kürzen.
— Herr Kollege Egert, Sie fragten: Wer sagt denn das? Ich unterstelle, daß Sie Ihren eigenen Gesetzentwurf noch nicht gelesen haben. Denn dort steht: Wenn zwei Jahre lang eine ganz bestimmte Lohn-und Gehaltsentwicklung nicht erreicht wird, dann tritt diese Funktion, die Risikofunktion, ein, die die FDP mit in diesen Entwurf eingebracht hat. Ich kann mir zwar vorstellen, daß Sie von der SPD das nicht wollen, aber Sie haben es geschluckt und damit auch mit zu verantworten.
Das, was hier dann passiert, ist Rentenauszahlungnach Kassenlage, das ist Willkür. Das haben unsereRentner nicht verdient, meine Damen und Herren!
— Herr Wehner, dafür, wer wen hier wie behandelt, sind Sie das schlechteste Beispiel im Deutschen Bundestag. Sie dürfen nicht versuchen, hier irgendeine moralische Position einzunehmen.
— Herr Wehner, ich bin ein frei gewählter Abgeordneter des Deutschen Bundestages.
Ich wiederhole: Das ist Willkür. Das, was Sie hier vorhaben, haben unsere Rentner nicht verdient.
Das ist die Generation — ich wiederhole es nocheinmal —, die unsere Republik mit aufgebaut hat.
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6390 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
FrankeSie schädigen sie nur deshalb, weil sich diese Menschen nicht wehren können. Aber die Rentner werden Ihnen, so glaube ich ganz bestimmt, schon bei den Landtagswahlen in diesem Jahr die entsprechende Quittung dafür geben.
Mit der von Ihnen beabsichtigten pauschalen Kürzung der Rentenzuwächse — hier denke ich insbesondere an die Witwen — scheren Sie alle Rentner über eine Kamm, ohne Rücksicht auf die Höhe der Renten, z. B. der Witwen.
Wenn ich richtig gelesen habe, dann hat der Vertreter der Bundesregierung bei der Verhandlung über die Höhe der Witwenrente vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in dieser Woche amtliche Zahlen zitiert und gesagt, daß allein 47,8 % der Arbeiter-Witwen und 25,2 % der AngestelltenWitwen weniger als 480 DM monatliche Rente haben
und schon heute in die Nähe der Sozialhilfe rücken. Was tun Sie mit Ihrem Entwurf zum 21. Rentenanpassungsgesetz? Sie kürzen ihre Zuwächse, und Sie jagen sie damit endgültig auch nach langer Versicherungszeit des Versicherten in die Sozialhilfe. Meine Damen und Herren, das ist unsozial, das machen wir nicht mit.
Um das in Zahlen auszudrücken: Zirka 2,3 Millionen von 11 Millionen Rentnern werden von den Plänen der SPD/FDP-Koalition besonders hart getroffen. Wir dagegen, um das gleich an dieser Stelle zu sagen, halten an unserem Vorschlag fest,
Herr Kollege Glombig, Renten unter zirka 6'50 DM bei längerer Vorversicherungszeit von der Abgabe eines Krankenversicherungsbeitrages freizustellen.
Meine Damen und Herren, das ist Sozialpolitik, die auf die individuellen Einkommensverhältnisse von Rentnern mit langer Vorversicherungszeit Rücksicht nimmt und sie nicht einfach in ein sozalistisches kollektives Versorgungssystem zu treiben versucht.
Man muß hier wirklich fragen, ob die SPD die Wirklichkeit bei den alten Menschen draußen nicht mehr kennt.
Wissen Sie von der SPD eigentlich gar nicht, daß viele Rentner, auch mit einer Rente nach einem langen Arbeitsleben, ihren Platz in einem Altersheim nicht mehr bezahlen können?
— Selbstverständlich bei diesen Preisen. Wer hat denn hier Inflation betrieben?
Gehen Sie einmal in das kommunale Altersheim nach Hannover und versuchen Sie, dort einen Platz zu finanzieren. Wer hat die Preise denn gemacht, meine Damen und Herren?
Was hat Sie von der SPD eigentlich für ein Teufel geritten, daß Sie auch die Kriegsopfer und ihre Hinterbliebenen in die Sanierungsmaßnahmen einbeziehen?
Das hat doch mit Sanierung der Rentenversicherung nichts zu tun. Das Geld, das dort gespart wird, fließt doch dem von Herrn Apel nicht in Ordnung gebrachten Bundeshaushalt zu, wenngleich jetzt ein anderer Verwalter dort ist. Sie treiben Geld in die Bundeskasse ein von Bürgern, die im Kriege — lassen Sie mich den Ausdruck einmal gebrauchen — ihre Knochen gezwungenermaßen haben hinhalten müssen. Das hat doch mit den Finanzschwierigkeiten in der Rentenversicherung nichts zu tun. Sie wollen vielmehr bei dieser Gelegenheit in einem Abwasch auch noch die Bundeskasse auf Kosten der Ärmsten unseres Volkes sanieren.
Sie scheren alle Rentner über einen Kamm, ob hohe Rente, ob niedrige Rente, ob Kriegsopferrente, ob Unfallversicherungsrenten, ob Altersrenten in der Landwirtschaft gezahlt werden, alle werden von Ihnen, von der SPD — und Sie mache ich hauptsächlich dafür verantwortlich —, geschröpft. Sie gehen mit der sozialistischen Heckenschere an das Problem heran, und Sie werden es dennoch nicht lösen.
— Herr Wehner, Sie haben gerade das Wort Hekkenschütze gebraucht, ich weiß das wohl.
Herr Abgeordneter Wehner, ich rüge den Zuruf „Heckenschütze".
— Herr Kollege Wehner, ich muß Sie dafür erneut rügen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie werden das Problem dennoch nicht lösen, meine Damen und Herren, weil Sie nur an den Symptomen herumkurieren, aber die Ursachen der Schwierigkeiten mit dem 21. Rentenanpassungsgesetz immer noch nicht beseitigen, nämlich die mangelnde binnenwirtschaftliche Nachfrage.
Die mangelnde binnenwirtschaftliche Nachfrage istdie Ursache unserer Finanzierungsschwierigkeiten in
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6391
Frankeder Rentenversicherung. Die Ursache für die hohe Arbeitslosigkeit ist doch nicht unser mangelnder Export, sondern liegt im Verhalten der öffentlichen und privaten Investoren. In Deutschland wird nicht genügend investiert. Daher gibt es Arbeitslosigkeit. Wo es Arbeitslose gibt, gibt es aber auch weniger Beitragszahler für die Rentenversicherung.Die Sozialdemokraten und auch die Freien Demokraten haben in letzter Zeit gesagt, die Schwierigkeiten resultierten aus unseren außenwirtschaftlichen Sorgen. Lassen Sie mich hier einmal die Exportzahlen der letzten drei Jahre nennen. Der Exportüberschuß betrug im Jahre 1975 37,5 Milliarden DM, 1976 35 Milliarden DM und 1977 zirka 34 Milliarden DM. Umgerechnet sind das etwa 25% der Summe unseres Bruttosozialprodukts, wenn wir den gesamten Export hier einmal im Zusammenhang nennen. Das heißt: der Export ist dank der Tüchtigkeit der deutschen Unternehmungen und der deutschen Arbeiter in den letzten Jahren gestiegen, und zwar trotz der Erhöhung der Kosten auf dem Binnenmarkt.Aber auch unsere Leistungsbilanz war positiv. Nach Abzug aller Belatsungen, die sich ergeben haben, kommen wir auf 9,5 Milliarden DM im Jahre 1975, 8,5 Milliarden DM im Jahre 1976 und 7 Milliarden DM im Jahre 1977. Die Schuldigen für die Nachfrageschwäche auf dem Binnenmarkt sitzen hier auf der Regierungsbank und in den Reihen von SPD und FDP. Mein Kollege Professor Zeitel wird auf diese Fragen gleich noch näher eingehen und Ihnen weiteres zu diesen Zahlen sagen.Mit dem, was Sie hier vorschlagen, wollen Sie den Rentnern rund 33 Milliarden DM weniger Einkommenszuwachs zumuten. Sie sprechen von einem so großen Defizit, weil Sie es resignierend hinnehmen, daß es bis weit in die 80er Jahre eine Million oder mehr Arbeitslose in Deutschland geben wird. Sie haben kein Zutrauen in Ihre eigene Politik. Das verstehen wir sehr wohl. Wir unterstellen aber nicht, daß es, wenn wir die Wirtschaftspolitik zu gestalten hätten, eine so hohe Zahl von Arbeitslosen und damit weiterhin Finanzierungsprobleme in der Rentenversicherung gäbe. Sie, meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, stellen heute die Regierung. Sie haben diese Zahlen zu verantworten.
' Wir akzeptieren Ihre 33 Milliarden DM aber nicht. Leider ist eine Finanzierungslücke in der Rentenversicherung vorhanden. Das haben SPD und FDP zu verantworten.
Wir können die betroffenen Bürger nur um Verständnis dafür bitten, daß wir uns auch an den Sanierungsmaßnahmen und -vorschlägen beteiligen, so wie wir das auch im letzten Jahr getan haben. Wir fordern schon seit dem 16. Januar 1975 eine Bestandsaufnahme in der Rentenversicherung. Sie haben die Probleme in der Rentenversicherung aberbis zum 3. Oktober 1976 geleugnet. Sie haben das Loch in der Rentenkasse zu verantworten.
Wir beteiligen uns aber an ordnungspolitisch sauberen Lösungen.
Leider müssen wir von unseren Bürgern auch ein Opfer verlangen. Wir schlagen daher, um Schlimmeres zu verhüten — ähnlich wie wir es schon beim Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetz vorgeschlagen haben —, folgendes vor. Die bruttolohnbezogene dynamische Rente muß erhalten bleiben.
Wir müssen leider einen Solidaritätsbeitrag von den Rentnern verlangen. Wir wollen die Rentner die Zeche aber nicht allein bezahlen lassen. Deshalb fordern wir einen sozial gestaffelten Krankenversicherungsbeitrag der Rentner, der nicht — nach Ihrem Muster — alle Rentner über einen Kamm schert.
Die Einsparungen, die sich, wenn unsere Maßnahmen eingeführt würden, ergäben, sollen nicht dem Bundeshaushalt zufließen, sondern zur Deckung der Finanzlücke in der Rentenversicherung verwandt werden.
— Sie sagen das mit Recht, Herr Kollege Hasinger. Die Überschüsse, die sich auf Grund unserer Vorschläge ergäben, müssen zur Sanierung der Rentenversicherung verwandt werden und sollen nicht letztlich zur Sanierung der Kasse des Bundes dienen. Diese Überschüsse sollen den armen Menschen in unserem Lande zufließen.
Unsere Vorschläge bringen nur zwei Drittel der Belastungen in der Größenordnung von 33 Milliarden DM mit sich. Die Regierung hat diese Größenordnung angegeben. Diese Zahl haben wir nicht erfunden, sondern Sie haben sie errechnet. Wenn also die Belastung für die Rentner insgesamt niedriger ist, ist sie trotz sozialer Staffelung auch für den einzelnen Rentner niedriger als die Belastungen, die sich aus Ihren Vorschlägen ergeben.
Lassen Sie mich in diesem Zusammnhang einmal nur ein Rechenbeispiel aufmachen.
Das ist kein Rechenbeispiel der Christlich Demokratischen und Christlich-Sozialen Union, sondern ein Rechenbeispiel, das der Sozialbeirat gegeben hat, der für nächstes Jahr einen Krankenversicherungsbeitrag von 2 %, im übernächsten Jahr von 4 % und dann von 5,5 % von den Rentnern verlangen würde. Ich wiederhole, daß das nicht unser Vorschlag ist, sondern ein Rechenbeispiel, das der
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6392 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
FrankeSozialbeirat aufgemacht hat. Auch bei diesem Beispiel des Sozialbeirats, bei diesem extrem hohen Belastungsanteil — Sie können das nachrechnen — wäre die Belastung der Renten geringer als Ihre Belastungen, die Sie heute auf den Tisch legen und künftig von den Rentnern verlangen würden.
Im übrigen verweisen wir darauf, daß unsere Vorschläge seit einem Jahr auf dem Tisch liegen. Hätten Sie von der SPD und FDP vor einem Jahr auf unsere Mahnung gehört, dann hätten die Rentner und auch später die Beitragszahler nicht eine so hohe Belastung zu tragen gehabt. Der Sanierungszeitraum für die Rentner wäre insgesamt länger gewesen,
und pro Jahr wäre dabei eine geringere Belastung für die einzelnen Rentner herausgekommen. Aber Sie haben .im letzten Jahr geleugnet, daß es diese Probleme gibt, weil Sie sich selbst etwas vorgemacht und nicht den Mut gehabt haben, frühzeitig in eine Sanierungsdebatte einzutreten, weil Sie die Gefangenen Ihrer eigenen Versprechungen waren. Die Bürger müssen heute die Zeche zahlen.
Sie lösen die Probleme heute nur zu 50 %; ich wiederhole: zu Lasten der Rentner. Die Lösung des anderen Teils der Probleme überlassen Sie dem Wahlausgang 1980.Langfristige Probleme, wie sie sich aus der demographischen Entwicklung ergeben, haben Sie überhaupt nicht angesprochen. Sie haben z. B. nicht angesprochen die Frage der geringeren Geburtenzahl. Die fünfte koordinierte Bevölkerungsvorausschätzung der Bundesregierung von 1975 unterstellt bis zum Jahre 2030 einen Rückgang der deutschen Bevölkerung auf 39,4 Millionen Menschen. Jetzt haben wir knapp 58 Millionen Einwohner. Der Anteil der über 65jährigen steigt dabei von 15 % auf 23% im Jahre 2030.
Prognos hat auf der Basis dieser Daten für die Rentenversicherung einen notwendigen Beitragssatz zwischen 26,6 und 41,5 % errechnet, wenn nur die gleichen Leistungen gezahlt würden, wie wir sie heute haben.
In Ihren Vorschlägen ist von einer langfristigen Vorausschau und der Beseitigung dieser Probleme mit einer ordentlichen Familienpolitik, die die kinderreichen Familien in unserem Lande stützt, überhaupt nichts zu sehen.
Sie denken in den Kategorien bis 1980. 50 % der Probleme regeln Sie jetzt, und 50% der Probleme, die im 21. Rentenanpassungsgesetz angesprochen werden, werden je nach Wahlausgang ab 1980 geregelt. Das ist keine solide Politik, sondern das ist Rentenpolitik nach Willkür.
Das 21. Rentenanpassungsgesetz, der dritte Akt des Sanierungsprogramms der Rentenfinanzen dieser Bundesregierung, muß als ebenso unbefriedigend bezeichnet werden wie die vorigen Akte. Die CDU/ CSU hält es ordnungspolitisch für falsch, statt die Ursachen der Rentenmisere, nämlich die wirtschaftliche Flaute und die dadurch verursachte Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, nur an den Symptomen herumzukurieren. Die notwendige Sanierung wird mit systemfremden Maßnahmen versucht. Ohne zwingenden Grund wird vom bewährten System der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente und der entsprechenden Rentenanpassung abgegangen.Die CDU/CSU hält das 21. Rentenanpassungsgesetz für finanzpolitisch verfehlt, weil es auf wirtschaftlichen Annahmen über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung beruht, die äußerst zweifelhaft sind und zusätzliche Belastungen der Versicherten beinhalten.Die CDU/CSU hält den Gesetzesentwurf für sozial ungerecht, weil er überwiegend den Rentnern Sanierungsopfer abverlangt und zudem keinerlei Unterschiede bei der Belastbarkeit zwischen Rentnern mit hohen Alterseinkünften und Kleinstrentnern macht.Die CDU/CSU ist nicht bereit, dem vielfältigen Wortbruch der Bundesregierung in der Rentenpolitik einen Bruch des Generationenvertrages durch das Abkoppeln der Renten von der allgemeinen Lohn- und Gehaltsentwicklung folgen zu lassen. Wir halten an der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente, am Generationenvertrag fest.
Schon die bisherige Debatte hat gezeigt, daß das 21. Rentenanpassungsgesetz mit fundamentalen Prinzipien unseres gesetzlichen Alterssicherungssystems bricht. Das Vertrauen der Versicherten und Rentner in unser bewährtes Alterssicherungssystem wird durch Ihre Maßnahmen zerstört. Die CDU/CSU ist nicht bereit, die soziale Errungenschaft, nämlich die bruttolohnbezogene dynamische Rente, die durch die Christlich Demokratische Union unter Konrad Adenauer und Anton Storch geschaffen wurde, stückweise zu demontieren.Aus diesem Grunde lehnen wir Ihren Entwurf des 21. Rentenanpassungsgesetzes ab.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich, damit es im Protokoll festgehalten ist, eine Feststellung des Kollegen Franke korrigieren. Ich habe mich bemüht, das durch Zwischenfragen zu klären. Aber es war nicht möglich.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6393
Schmidt
Der Kollege Franke hat hier behauptet — Herr Kollege Franke, vielleicht hören Sie einen Moment zu —,
den Rentenanpassungsbericht und den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen habe er erst gestern bekommen.
— Von mir aus vorgestern. Ich stelle zu Protokoll fest, daß der Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und der FDP vom 9. März datiert — heute ist der 16. März — und daß der Rentenanpassungsbericht vom 10. März datiert — heute ist der 16. März —.
— Der 16. März!
— Entschuldigen Sie, Herr Kollege Hasinger, es ist komischerweise so, daß ich es am Freitag in meinem Fach hatte und am Wochenende Gelegenheit hatte, es durchzulesen.
— Entschuldigen Sie! Ich frage vielleicht vorher den Kollegen Müller , ob nicht auch er es schon am Freitag hatte.
— Dann war er nicht mehr hier. Ich jedenfalls habe es am Freitag gehabt.
Ich stelle fest, daß zum Ende der vergangenen Woche am 9. und 10. März diese zwei Drucksachen vorlagen.
Ich bitte um Verständnis. Der Redner muß im ganzen Haus voll gehört werden können!
Ich stelle zum zweiten noch einmal, nur damit es hier zu Protokoll geht, fest, —
— Jawohl; das ist sehr notwendig, da ich nämlich der Meinung bin, es gilt — wenn ich hier oben war, habe ich mich darum bemüht — in sozialpolitischen Fragen Konsens zu erreichen. Ich stelle fest, daß wir im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung gemeinsam versucht haben, bezüglich der Möglichkeiten der Beratung der Vorlagen die Termine so abzusprechen, obwohl wir wußten, daß die Drucksachen erst in der Vorwoche kommen konnten. Wenn wir das gemeinsam abgesprochen haben, dann soll es hier nicht plötzlich als ein Fehler oder als eine Ungehörigkeit — oder etwas anderes — dargestellt werden. Dies wollte ich hier einmal feststellen.
Aber nun zur Sache selbst!
— Ich habe —
Meine
Damen und Herren, ich bitte um Verständnis: wir können nicht einen Dialog führen, der im Hause nicht verständlich ist.
Ich habe ja die Daten genannt und habe gesagt, wann ich es über den ganz normalen Hausgang — und nicht anders — bekommen habe: am Freitagnachmittag. Ich war allerdings am Freitagnachmittag noch hier, weil ich erst am Samstag früh weg konnte.
— Ich stelle die Daten fest. — Aber, meine Damen und Herren, kommen wir zur Sache!
Herr Abgeordneter Schmidt , würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher gestatten?
Ja. Aber ich bitte, das auf meine Zeit anzurechnen.
Herr Kollege, entnehmen Sie wie ich aus den empörten Zwischenrufen der Oppositionskollegen, daß der Bundestagspräsident Carstens verdächtigt wird, bei der Drucksachenverteilung die Koalition zu begünstigen?
Herr Kollege, diesen Vorwurf würde ich daraus nie entnehmen. Ich entnehme diesen Zwischenrufen höchstens die Tatsache, daß die meisten Kollegen am Freitag sehr früh Bonn verlassen und deshalb die Drucksachen nicht mehr bekommen haben.
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6394 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Herr Kol
lege Schmidt , würden Sie eine weitere
Zwischenfrage des Abgeordneten Reddemann zu-
lassen? — Bitte.
Herr Kollege Schmidt , würden Sie erklären, wie jemand, der am Freitagabend abfährt, dann erst am Dienstag seinen Entwurf bekommt,
und wieso Sie dann negative Bemerkungen machen können, falls jemand am Freitagmittag abgefahren sein sollte? Was hat das mit der Sache zu tun?
Herr Kollege Reddemann, ich kenne die einzelnen Verteilungspraktiken der Fraktionen nicht, wie das weitergeht.
Jedenfalls nehme ich an, daß die Kollegen dann eben erst am Montagabend oder Dienstag früh — was ja ihr gutes Recht ist — zurückgekommen sind und das vorgefunden haben. Dies ist ihr gutes Recht. Aber das ändert nichts daran, daß es am Freitagnachmittag in den Fächern war.
Herr Kollege Schmidt , Herr Kollege Wittmann hat noch eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Schmidt,
können Sie mir die Frage beantworten, wie es kommt, daß der Kollege Franke und die CDU/CSU seit Wochen über unseren Entwurf draußen polemisieren und hier so tun, als wenn sie ihn nicht kennen würden?
Herr Kollege Wittmann, ich habe ja vorhin bei meiner Zwischenfrage darauf hingewiesen, daß die Opposition Gelegenheit hatte, am 23. Februar aus einer offiziellen Verlautbarung all die Dinge herauszulesen, und daß ich schon Gelegenheit hatte, sowohl Gegenäußerungen des Kollegen Katzer, des Kollegen Franke und anderer Sozialpolitiker der Opposition dazu zu lesen. Also waren die Dinge sowieso bekannt.
Aber lassen wir das.
Ich wollte nur einmal festgestellt haben — — Nein, Herr Kollege Hasinger, ich möchte das nicht mit einer Handbewegung abtun. Denn es war hier ein massiver Vorwurf, es seien gestern überhaupt erst Unterlagen gekommen, und heute solle man beraten. Dies stimmt nicht.
— Ich bitte, das dann nachzulesen, was hier gesagt worden ist.Nun zur Drucksache 8/1601, Entwurf eines Einundzwanzigsten Rentenanpassungsgesetzes der Fraktionen der SPD und der FDP. Bei dem vorliegenden Entwurf, Herr Kollege Franke, handelt es sich nicht um das Ergebnis monatelanger Streitigkeiten, wie Sie festgestellt haben, oder eines Festzurrens irgendwelcher Kompromisse, sondern — das möchte ich ganz klar für die Freien Demokraten als Mitantragsteller sagen — um ein konkretes Konzept — ich gebe Ihnen zu: als dritter Schritt —, mittelfristig für die nächsten Jahre. eine klare Antwort über die Möglichkeiten in der Rentenversicherung auch im Hinblick auf die Entwicklungen im Zusammenhang mit der 84er-Konferenz sowohl an die Rentner als auch an die Beitragszahler zu geben, die Unsicherheit, die Sie auch jetzt wieder versucht haben deutlich zu machen, abzubauen und klarzumachen, daß diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen, die diesen Gesetzentwurf vorlegen, bereit sind, dem Rentner deutlich zu machen— auf Einzelheiten komme ich noch —, welche Möglichkeiten für die Anpassungen in den nächsten Jahren bestehen, aber auch dem Beitragszahler deutlich zu machen, daß er nach vielen Vorleistungen nicht schon wieder zur Kasse gebeten wird.Herr Kollege Franke, ich habe es eigentlich bedauert — ich kenne Sie aus vielen sachkundigen Beratungen und Gesprächen —, daß Sie nicht den Stil der Beratungen auch hier im Plenum aufgenommen haben, den erfreulicherweise der Kollege Katzer in der Haushaltsdebatte bei der Frage, wie wir die vor uns liegenden Probleme lösen, gezeigt hat. Ich bin sicher, Herr Kollege Franke, wenn Sie hier nicht ein zum Teil vielleicht vorgeschriebenes Konzept vorgelegen, sondern aus Ihrer tatsächlichen sozialpolitischen Verantwortung und Erfahrung gesprochen hätten, wäre manches besser gewesen. So muß ich feststellen: gewogen und zu leicht befunden.
Gewogen, zu leicht befunden oder zu leichtgemacht, Herr Kollege Franke,
weil Sie heute hier die Chance gehabt hätten, nun einmal das wahrzumachen, was Sie seit 1975/76
— ich habe mir die ganzen Äußerungen herausgeschrieben; ich kann sie nachlesen und Ihnen auch vorlesen — hier immer für die Opposition erklärt haben, welche Maßnahmen Sie vorschlügen, daß Sie bereit wären, auch da oder dort etwas nicht so Populäres, aber Notwendiges mitzumachen. Aber mit Ausnahme des nun sattsam bekannten — darauf komme ich noch einmal — sogenannten Krankenversicherungsbeitrags, den Sie hier wieder vor-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6395
Schmidt
gelegt haben, haben Sie von dieser Stelle nie konkrete Aussagen gemacht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schmidt, ist Ihnen aus dem Gedächtnis entschwunden, daß wir im letzten Jahr der Verschiebung der Anpassung um ein halbes Jahr, also einer unpopulären Maßnahme, unsere Zustimmung gegeben haben?
Herr Kollege Franke, ich habe nicht von Zustimmung, sondern von Aussagen von Ihnen gesprochen, wo Sie Alternativen haben. Wer hat denn die Verlegung des halben Jahres beantragt? Doch nicht Sie, sondern wir aus der Verantwortung heraus!
Herr Kollege, lassen Sie eine weitere Zusatzfrage zu?
Bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schmidt, würden Sie es aus der Sicht einer Oppositionspartei für populär halten, einen Krankenversicherungsbeitrag von Rentnern zu verlangen?
Ich bitte, auf den Krankenversicherungsbeitrag nachher kommen zu dürfen, weil ich das im Konzept machen will.
— Meine Damen und Herren, Sie brauchen nicht zu lachen. Sie wissen, ich drücke mich um keine Antwort; aber es hat keinen Zweck, zweimal etwas zu sagen, was man sowieso ansprechen muß.
Herr Kollege Franke, trotzdem möchte ich Ihnen eine Antwort auf Ihre Frage geben. Ich habe hier für die Freien Demokraten in diesen Jahren — Sie werden sich erinnern — mehrmals nach unserer Meinung notwendige Schritte vorgeschlagen. Ich nehme nur das Stichwort „Aktualisierung", das Stichwort, „das ein halbes Jahr eher zu korrigieren." Das habe ich für die Freien Demokraten hier vorgetragen. Ich habe von Ihnen zwar immer gehört: Wir werden über die Dinge reden, aber ich habe nie von Ihnen gehört, daß es ähnliche Vorschläge gäbe. Im Gegenteil: Man hat mir, man hat dieser Bundesregierung, wenn diese Dinge angesprochen wurden, sofort „soziale Demontage" vorgeworfen, obwohl es im Interesse der Rentner besser gewesen wäre, eher die Wahrheit zu sagen.
Herr Abgeordneter Schmidt, der Herr Abgeordnete Müller meldet sich zu einer Zwischenfrage.
Darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich schon im Februar
1976 im DUD geschrieben habe, man sollte eigentlich wegen der finanziellen Situation die Anpassung stufenweise wieder auf den 1. Januar zurückführen?
Herr Kollege Müller, ich weiß das; aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Von dieser Stelle aus ist es seitens der CDU nicht gesagt worden. Aber von mir ist es geschehen.
— Herr Kollege Müller, wenn man von Niveau redet, könnte man über manches, was der Kollege Franke vorhin gesagt hat, nachdenken.
Nun wieder zurück. Wir Freien Demokraten und die Koalition hatten wirklich gehofft, heute nicht Zitate vorgelesen zu bekommen, sondern mal etwas von den Argumenten zu hören, die man in die Beratung einbringen will.
Ich habe keine Argumente gehört. Ich habe wirklich gehofft, daß wir alle hier in diesem Hause in der Verantwortung, in der wir alle stehen — die Bundesregierung und die sozialliberale Koalition haben gezeigt, daß sie die Verantwortung sehen —, uns gewisser Fehler oder Sünden der Vergangenheit bewußt werden würden, auch seitens der Opposition. Es war nun einmal 1957 leider so, daß alle Warnungen, auch die wirtschaftlichen Probleme, die wirtschaftlichen Querverbindungen einer automatischen Dynamik zu sehen, in den Wind geschlagen wurden. Es war leider so, daß die erste Schwierigkeit, die sich zur Zeit der Großen Koalition zeigte, allein über Beitragserhöhungen gelöst wurde.
— Und über einen Krankenversicherungsbeitrag, auf den ich noch komme.
— Das ist richtig. Aber der Brocken war die Beitragserhöhung.
Zum dritten war es so, daß wir alle 1972 in einer gewissen Wahleuphorie etwa zu tief in die Tasche gegriffen haben, oder, besser gesagt, einen zu großen Schluß aus der Pulle — insbesondere mit der Vorziehung des halben Jahres — getan haben. Die sozialliberale Koalition hat dieses halbe Jahr zurückgenommen, weil sie gesehen hat, daß es nicht in die Systematik paßt, daß es belastend ist. Die sozialliberale Koalition und wir Freien Demokratien haben gesagt, Beitragserhöhungen könnten so schnell nicht vorkommen. Aus der Sicht der Zusammenhänge, die nun einmal nicht geleugnet werden können, zwischen Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik in einer Gesellschaft, in der 90 °/o der Bevölkerung in den Sozialversicherungen entweder pflichtmäßig oder freiwillig versichert sind. Aus wirt-
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6396 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Schmidt
schaftspolitischen Entwicklungen heraus müssen verantwortungsvolle Vorlagen beurteilt werden. Da kann man nicht mehr die Sozialpolitik Sozialromantikern oder vielleicht auch irgendwelchen anderen Heilsideologen überlassen. Da muß man sehen, daß 90 % der Bevölkerung in ihrer sozialen Sicherheit davon abhängen, daß diese soziale Gesellschaft auch produzieren und verdienen kann. Das ist der Generationenvertrag, um den es geht.
Das ist der Generationenvertrag, der auch den Entscheidungen in dieser Vorlage zugrunde liegt. Da kann man sich nicht einfach hinstellen und sagen, die Bruttolohnbezogenheit werde abgekoppelt. Das sei also das Weggehen von einer großen sozialen Reform. Niemand redet davon, daß die Bruttolohnbezogenheit auf Dauer nicht mehr im Rentenversicherungssystem gelten solle. Aber eines wissen wir ganz genau, meine Damen und Herren.
Die Bundesregierung und die sozialliberale Koalition nehmen aus der Verantwortung heraus, tun zu müssen, was in den nächsten Jahren möglich ist, zur Deckung der nun einmal vorhandenen 32-MilliardenLücke feste Zahlen für die nächsten drei Jahre —4,5 %, 4 %, 4 % — und sagen: Anschließend kehren wir zur Bruttolohnbezogenheit weitgehend zurück.
— Zurück im Rahmen dessen, was 1982 mit demKrankenversicherungsbeitrag der Rentner kommt.
— Darauf komme ich noch.
Wir kehren zur Bruttolohnbezogenheit zurück, wobei 1982 durch den Krankenversicherungsbeitrag eine generelle Veränderung kommen wird. Darauf komme ich noch.Wir kehren zur Bruttolohnbezogenheit zurück, und was sagen Sie? Wir bleiben bei der Bruttolohnbezogenheit und ziehen willkürlich mal 2 °/o, mal 4 °/o ab. Ist das nicht egal, ob so rum oder so rum, wenn ich das jetzt einmal ganz nüchtern sehe?
Kommen wir gleich zum Krankenversicherungsbeitrag der Rentner und Ihrem Vorschlag: Herr Kollege Franke, meine sehr verehrten Damen und Herren der Opposition, wenn Sie hier ehrlich sagen würden: „Wir wollen 1979 die Rentensteigerung um 2,6 %" — das ist, glaube ich, im Moment die Zahl; manchmal werden auch 2 % genannt; da kommen unterschiedliche Zahlen, je nach dem, wo man es liest — „und 1980 um 4% kürzen", dann wäre das ein offenes Wort. Aber Sie sagen, daß Sie zunächst nach der Bruttoformel rechnen und dann etwas abziehen. Dann kommt da weniger heraus als bei uns mit den Steigerungsraten von 4,5 °/o bei der nächsten und jeweils 4 % bei den beiden folgenden Rentenerhöhungen. So ist es doch, meine Damen und Herren.
Diesen Abzug nennen Sie dann Krankenversicherungsbeitrag, obwohl das Geld allein in der Rentenversicherung bleibt und mit der Krankenversicherung überhaupt nichts zu tun hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schmidt, ich darf Sie fragen, ob Sie die pessemistischen Entwicklungen der nächsten Jahre akzeptiern, indem Sie die 1 Milion Arbeitslose bis in die Mitte der 80er Jahre Ihren Plänen zugrunde legen?
Herr Kollege Franke, das ist gar nicht meine Überlegung. Wenn ich das richtig sehe — Sie können mich gern korrigieren —, ist die Zahl von 32 Milliarden DM eine Zahl, die auch Sie akzeptieren.
— Wenn ich z. B. ein Interview von Herrn Stoltenberg richtig im Kopf habe, wenn ich die Ausführungen von Herrn Kohl vor dem Handwerkstag in Münster richtig im Kopf habe, haben beide gesagt: Eine Lücke von etwa 30 Miliarden wird sich ergeben und muß gedeckt werden. Das Wie ist eine andere Frage. Bitte, lesen Sie nach. Ich kann es gern aus unserer Pressestelle holen lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Ich war zwar noch nicht ganz fertig, aber bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schmidt, glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, daß diese 32,7 Milliarden DM — aufgerundet also 33 Milliarden DM — von Ihnen unter der Annahme errechnet worden sind, daß wir langfristig 1 Million Arbeitslose haben werden, daß wir bei unserer Politik aber diese Arbeitslosigkeit nicht unterstellen wollen?
Herr Kollege Franke, ich wollte sowieso meine erste Antwort ergänzen. Ich gehe davon aus — und bisher kenne ich keine Gegenargumente —, daß sich nicht nur die Bundesregierung, nicht nur die sozialliberale Koalition, sondern alle seriösen Institute, von der Bundesversicherungsanstalt bis zu den Rentversicherungsträgern, klar sind, daß diese rund 32 Milliarden eine zu deckende Lücke sind und daß dies auf Grund von drei Tatsachen der Fall ist: einer Lohnsteigerung von 5,5% für 1978 und von 6 % in den Jahren da-
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Schmidt
nach, einem Zuwachs der Zahl der Beschäftigten von 0,2 bis 0,3 % pro Jahr und einer Arbeitslosenzahl von 1 Million.Wir haben diese Zahlen bewußt vorsichtshalber so einkalkuliert, weil wir Erfahrungen darüber haben, wie schnell sich die Dinge, leider Gottes, ändern können.Herr Kollege Franke, wenn Sie mit Ihrem Vorschlag eines Krankenversicherungsbeitrages nur die Hälfte dieser Lücke decken können, sagen Sie doch auch nicht, daß Sie die andere Hälfte durch Ihre Wirtschaftspolitik abdecken wollten.
— Ich nehme da so etwas auf: Kollege Urbaniak hat gerade von der Knappschaft gesprochen. Ich habe in einem Interview von Herrn Strauß gelesen, daß das beim Wohngeld abgezogen werden soll. Das kann man sich also aussuchen.Aber Sie wollen natürlich — so habe ich gelesen — eine bessere Wirtschaftspolitik machen. Dann würde das besser werden.
Dann empfehle ich Ihnen, da Sie sicher bis 1980 dazu wenig Gelegenheit haben werden und ich außerdem in der letzten oder vorletzten Woche bei der Debatte des Jahreswirtschaftsberichts und auch aus anderen Äußerungen den Eindruck hatte, daß Sie mit der Wirtschaftspolitik des Kollegen Lambsdorff, der die Wirtschaftspolitik dieser Regierung macht, sehr einverstanden waren, sich zu überlegen, welche andere Wirtschaftspolitik Sie denn machen wollen.Aber ich empfehle Ihnen eines, Herr Kollege Franke: Schicken Sie doch mal eine Delegation nach Washington, die den Dollar dort schön festhält, eine andere nach Paris, die dafür sorgt, daß der Franc nicht weiter fällt, und eine dritte in den Nahen Osten, damit die Scheichs nicht plötzlich auf Preiserhöhungen kommen. Dann sind wir mit unseren Grundlagen sehr schnell so weit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Schmidt, der Herr Abgeordnete Franke bittet darum, eine weitere Frage an Sie stellen zu dürfen.
Gern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schmidt, darf ich Sie fragen, ob Sie nicht die Zahlen der Exportüberschüsse, die ich hier eben genannt habe, zur Kenntnis genommen haben?
Herr Kollege, als Sie diese Zahl nannten, habe ich einem Kollegen ausIhrer Partnerschaftsfraktion zugerufen: An den Dollar denkt der Franke anscheinend nicht, sondern an die letzten drei Jahre.
Herr Kollege Franke, machen wir uns doch hier nichts vor! Nach Ihnen spricht der Kollege Zeitel zur Wirtschaftspolitik. Ich kann mir vorstellen, daß er sich die gleichen Sorgen hinsichtlich dessen macht, was auf uns zukommen kann, wenn es beim Dollar plötzlich unter 2 Mark geht, wenn in Frankreich der Franc unsere Exportsituation erschwert und wenn, wie heute bereits aus dem Irak gemeldet, die Ölscheichs die Preise erhöhen wollen. Daraus können sofort andere Situationen entstehen, die auf die Sozialpolitik, auf unsere Arbeitsplätze und auf vieles andere durchschlagen. Machen wir uns da doch nichts vor, lügen wir uns doch nicht in die Tasche, indem wir meinen, daß wir das alles so in Töpfen sehen können!
Meine Damen und Herren, von der „besseren Wirtschaftspolitik", die Sie machen wollen, habe ich schon gesprochen. Lassen Sie mich aber, Herr Kollege Franke, noch ein Wort zu der Risikoabsicherungsklausel, die Sie hier kritisiert haben, hinzufügen. Wir gehen nicht davon aus, daß es notwendig sein wird, diese Risikoklausel anzuwenden. Wir sind aber nüchtern genug — und das ist die Verantwortung dieser Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen —, daß wir dann, wenn solche Dinge, die wir eben besprochen haben, eintreten, auch rechtzeitig wissen, was zu tun ist und was geschehen muß, um insgesamt den Generationenvertrag zu erhalten.Was ist denn dieser Generationenvertrag? Er besteht doch nicht etwa nur darin — es wäre sehr schön, wenn es so wäre —, daß wir alle sozialen Leistungen, die wir gern wollen, weiter bezahlen können, sondern auf der anderen Seite auch darin, daß der Personenkreis, der das aufbringt, groß genug bleibt. Aber ich will hier über Entwicklungen beim arbeitenden und beim nicht mehr arbeitenden Teil unserer Bevölkerung und über dergleichen mehr gar nicht mehr länger reden.Die Frage ist doch auch: Wie weit kann ich die Arbeitenden heute noch belasten? Wie weit kann ich heute noch einem Arbeitnehmer mehr Beiträge und mehr Steuern für diese Gesellschaft zumuten?
Das ist doch ein Stück Generationenvertrag. Des-halb kann ich doch nicht einfach sagen — wie esseinerzeit vor der Wahl leider Gottes auch IhrBundesvorsitzender getan hat, als er damals als er-ster von der „Sozialgarantie" sprach —, das allesspiele keine Rolle. So leicht kann man es sich ebenmit der Frage der Sozialgarantie nicht machen. Manmuß diese Zusammenhänge sehen.Ich glaube, man muß auch den vorliegenden Gesetzentwurf in diesen Zusammenhängen sehen. Deshalb kann man nicht sagen — jedenfalls sage ich das für die Freien Demokraten —, er wäre nicht
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ausgewogen, weil — und dies ist sicher eine Sache, über die viel nachzudenken ist — die Rentenanpassungen niedriger ausfallen werden. Man muß in diese Ausgewogenheit einbeziehen, daß die Beitragszahler seit 1969 mit der Steigerung von 14 auf 18 % in vier Stufen ihren Beitrag vorgeleistet haben. Man muß einbeziehen, daß der Arbeitnehmer heute zwischen einem Drittel und über 50 % seiner Bezüge weggenommen bekommt, daß hier Gefahren für unsere Leistungswirtschaft bestehen und daß auch davon der Generationenvertrag abhängig ist.
Deshalb haben wir in diesem Gesetzentwurf eine Beitragserhöhung erst für 1981 mit 0,5 % vorgesehen, und zwar, wenn die Zahlen einigermaßen günstig sind, sogar mit der Möglichkeit, sie auszusetzen, wenn sie nicht notwendig ist. Denn wir glauben, meine Damen und Herren, daß uns die Aufgaben, die der nächste Deutsche Bundestag zu lösen hat, nämlich den Verfassungsauftrag bis 1984 zu erfüllen, noch vor Kostenprobleme stellen werden, bei denen wir sicher noch einmal fragen müssen, ob dann nicht auch wieder der Beitragszahler mit eingeschaltet werden muß. Wir müssen hier diesen Generationenvertrag insgesamt sehen.Deshalb bin ich etwas unglücklich, meine Damen und Herren, über das, was ich so manches Mal höre. Es wurde auch vom Kollegen Franke so schön angesprochen: Wir werden diesen Anschlag auf die Bruttoformel gemeinsam mit DGB, DAG, VdK und Reichsbund abwehren.Nun, ich hatte inzwischen Gelegenheit, mit Vertretern der einzelnen Verbände zu sprechen. Auch in der Öffentlichkeit hat sich die unheilige Allianz aus der Stadthalle Godesberg nicht etwa dadurch gezeigt, daß alle der gleichen Meinung waren. Sie hatten zwar alle etwas auszusetzen, aber sie waren nicht alle der gleichen Meinung.
— Herr Kollege Katzer, ich habe das schon einmal in der Presse deutlich gemacht. Ich halte es für ein Problem. Hier sage ich meine ganz persönliche Meinung. Die habe ich auch in der Presse gesagt. Ich halte es für ein Problem nicht für die CDU/CSU. Die CDU/CSU hat ihre Oppositionschance genutzt. Ich halte es für ein generelles Problem für Verbände, die sich überparteilich nennen — die können alle einzeln demonstrieren und ihre Gedanken vorstellen. —, sich unter der Führung des Oppositionsführers in der Öffentlichkeit zu vereinen. Das ist nicht mein Bier. Das habe ich nicht zu vertreten. Aber ich halte es für ein Problem, mit dem diejenigen, die es verursacht haben, selber fertig werden müssen.
— Herr Kollege Zeitel, ich würde es jedenfalls nichtfür gut halten, wenn bei einer von der FDP geführten Kundgebung auf den Plakaten irgendwelche Verbände genannt werden, weil das die Struktur der Verbände usw. irgendwie in Schwierigkeiten bringt.
Aber, wie gesagt, dies ist eine persönliche Bemerkung. Hier mag man unterschiedlicher Meinung sein. Ich halte die Überparteilichkeit der Gewerkschaften und der Verbände für so bedeutsam, daß sie versuchen sollten, sich aus solchen Dingen herauszuhalten. .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nun eine Bemerkung, mit der ich einmal klarmachen will, was wir Freien Demokraten unter dem Krankenversicherungsbeitrag der Rentner verstehen. Unser Vorschlag wird ja so gern mit dem Ihren verglichen. Daß der Krankenversicherungsbeitrag der Rentner nach Ihrem Verständnis nichts anderes als ein Rentenabzug in die Kasse der Rentenversicherung ist, ist inzwischen klar.
Es ist wohl notwendig, hier deutlich zu machen, was das, was im Koalitionsentwurf für 1982 als die Einführung eines individuellen Krankenversicherungsbeitrags vorgesehen ist, nun wirklich bedeutet. Herr Kollege Franke, jetzt bitte ich Sie, kurz zuzuhören, weil ja auch Sie diese Frage mit Ihrem 650-DM-Rentner angesprochen haben. Wenn Sie den Entwurf richtig gelesen haben, werden Sie festgestellt haben, daß jeder Rentner 1982 eine einmalige Aufbesserung seiner Rente von 11,7% bekommen wird. Damit wird der bisherige Krankenversicherungszuschuß der Rentenversicherung individuell pauschal abgelöst. Jeder Rentner hat ab 1982 eine um 11,7 % höhere Rente.
Aus dieser Rente zuzüglich anderer Alterseinkommen — da sind wir uns ja einig — zahlt er dann den in seiner Krankenversicherung geltenden Beitragssatz, und zwar in der Höhe, die für die Personen gilt, welche keinen Anspruch auf Krankengeld haben.
— Es ist völlig richtig, daß Herr Kollege Glombig den Durchschnittssatz angesprochen hat. Er gilt für die Übergangszeit, denn in der Übergangszeit gibt es noch die Frage der Erfassungen anderer Alterseinkommen. Für die Übergangszeit wird es ein Durchschnittssatz sein müssen.
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Wir müssen ja erst einmal die übrigen Einkommen erfassen, was ja etwas länger dauert als die Umstellung.
Auf diese Art und Weise, Herr Kollege Franke, wird. kein Rentner mehr belastet werden, wenn er nur aus seiner Rente zu zahlen hat, weil sich das durch die Zuzahlung und den Beitrag, ohne Krankengeldbezug, in etwa abdeckt; das können Sie selbst ausrechnen. Vorausgesetzt natürlich, daß wir in der Krankenversicherung, was ich nach dem Kostendämpfungsgesetz hoffe, bei einigermaßen vernünftigen Beiträgen bleiben. Das muß man mit berücksichtigen, wenn die endgültigen Entscheidungen jetzt fallen.
— Das will ich nicht unbedingt sagen. Warum sollen die Beiträge in der Krankenversicherung unbedingt steigen? Ich hoffe, daß wir mit dem in diesem Hohen Hause recht bald zu verabschiedenden Gesetz zur Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes die Wirtschaftlichkeit einführen,
die notwendig ist, um auch dort die Kosten und damit die Belastungen für die Beitragszahler in Grenzen zu halten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich folgendes Fazit ziehen; denn es gibt ja noch die Möglichkeit, heute hier in mehreren Runden etwas zu sagen.Für uns Freie Demokraten ist der vorliegende Entwurf eines Einundzwanzigsten Rentenanpassungsgesetzes eine klare Antwort an die Rentner, daß ihre Renten weiter angepaßt werden, daß es keine Rentenkürzungen gibt, daß diese Anpassungen über der Kaufkraftentwicklung liegen und daß das dank langjähriger guter Entwicklungen gute Rentenniveau, das bei einer 40jährigen Beitragszeit bei 68 °/o netto und bei einer 45jährigen bei 73 °/o netto liegt, nicht nur erhalten wird, sondern daß die Anpassung über der Kaufkraftentwertung liegt und sich weiterhin nach oben entwickeln kann.
— Sie geben mir ein Stichwort. Ich glaube, es ist richtig — ich habe auch noch etwas Zeit —, in diesem Zusammenhang eine Frage aufzuwerfen, die wir alle prüfen sollten, nämlich ob der Niveauvergleich brutto eigentlich den Realitäten entspricht oder ob es nicht richtig ist, die Nettovergleiche in diesem Bereich einzuführen; denn für den Rentner ist wichtig, was er bekommt gegenüber dem, was er vorher netto hatte.
Sie haben den Niveauvergleich angesprochen, der aus dem Gesetz heraus aus der Bruttoniveauklausel genommen wird. Wir sollten einmal die Frage nüchtern prüfen, ob hier nicht der Nettovergleich das Sauberere, das Richtigere ist als das, was früher aus anderen Gründen heraus eingeführt worden ist.Ich fasse noch einmal kurz zusammen: Erstens eine klare Antwort an die Rentner, daß die Renten weiter angepaßt werden, ihre Kaufkraft behalten und ansteigen.Zweitens eine klare Antwort an die Beitragszahler, daß vor 1981 keine Beitragserhöhungen und damit Mehrbelastungen für sie erfolgen, und 1981 nur dann, wenn es sich als notwendig erweist.
Drittens, daß ab 1982 ein echter, individueller und damit gerechter Krankenversicherungsbeitrag der Rentner ohne wesentliche Mehrbelastung für denjenigen, der nur Rentenbezieher ist, eingeführt wird.Viertens, daß keine Präjudizierung für die Entscheidungen, die mit 1984 zusammenhängen, in irgendeiner Weise erfolgt, und daß dieser Entwurf gleichzeitig eine klare Absage an Einheitsversicherungen und Nivellierungstendenzen darstellt, aber auch ein klares Ja zur Konsolidierung der Rentenversicherung sowohl für heute als auch für morgen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Egert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine ganze Mitagspause lang habe ich mich in der — zugegeben törichten — Hoffnung bewegt, daß dem leidenschaftlichen Appell meines Kollegen Glombig an die Adresse der Opposition, hier in dieser Debatte auch zur Sache zu sprechen, wirklich Rechnung getragen wird. Nun, ich hätte wissen müssen, daß dies nicht passieren kann, war doch die Rede für den Herrn Kollegen Franke schon am 2. März im Rohmanuskript geschrieben.
Insofern ist der Streit darüber, ob die Drucksachen am 9. März oder am 10. März gekommen sind, doch müßig. Herr Kollege Franke wurde davon nicht beeinflußt.
Er wollte hier seinen mediengerechten Auftritt haben, aber nun sind die Medien hier nur teilweise vertreten. Das ist einer der politischen Hintergründe, der die Diskussion über die Frage unseres sozialen Sicherungssystems zu diesem Zeitpunkt viel ernsthafter machen sollte.
Herr Kollege Franke, Sie haben in dem von Ihnen inszenierten Schauspiel Ihren Auftritt gehabt. Das bestätige ich gern. Sie haben ihn durch Halbwahrheiten aus Ihrem Zitatenkästlein gewürzt. Nur, es wäre verschwendete Zeit, wollte ich mich über all das, was Sie an Ungeheuerlichkeiten in. die Rich-
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Egert
tung der SPD und der FDP gesagt haben, moralisch entrüsten. Das hieße, uns die Zeit für die Sachauseinandersetzung zu stehlen. Es wäre auch wohl töricht, zu glauben, daß man von Ihnen — jedenfalls in dieser Debatte — Antworten zu dem bekommt, was Sie als Bruchstück von Lösungsvorschlägen — bei Ihnen davon zu sprechen, wäre schon kühn — hier in die Diskussion einbezogen haben. Ich will auch Ihre Rechenkunststückchen nicht nachvollziehen, daß nämlich etwas, was schon im vorigen Jahr nicht stimmte, nun in diesem Jahr dadurch, daß ein Jahr vergangen ist, stimmen soll, obwohl die Rentenlücke da ist. Dies vermag ich nun wirklich nicht zu sehen.
Herr Kollege Franke, wenn ich Ihre Funktion in dieser Debatte deute, dann ist die eine ganz eindeutig festzumachen: Sie wollten hier weiter an der Verunsicherung der Rentner bosseln,
Ihre Legenden weben, die den Blick von dem, fernhalten, was wirklich geschieht und was die wirkliche Situation ist.
Sie wollten ein Zweites tun, Sie wollten in dieser Debatte Provokateur sein. Sie wollten uns nämlich mit in die Irre führen und uns auf Abwege leiten dergestalt, daß wir mitspielen und hier hingehen, Zitat um Zitat, Behauptung um Behauptung und Verdrehung um Verdrehung zu widerlegen. Dann aber ist die Zeit weg und bei den Rentnern kommt an: Die ganze Sache ist sehr undurchsichtig. Da machen wir nicht mit, weil wir mit den Interessen der Rentner in diesem Lande nicht Schindluder treiben.
— Ich komme schon noch auf das zurück, was von Ihren Vorhalten in der Sache wirklich übrigbleibt.
Wir sagen ganz nüchtern. daß der Rentner mit dem Einundzwanzigsten Rentenanpassungsgesetz Jahr um Jahr — 1979, 1980 und 1981 — höhere Renten bekommen wird und daß keinem Rentner
— denn das kommt in Ihren Lügengeweben langsam schon nicht mehr durch — von seinem sauer verdienten Alterseinkommen eine D-Mark weg- genommen wird.
Die Renten werden auch weiterhin pünktlich ungeschmälert ausgezahlt. — Sie haben gesagt: Rentenbetrug, ich sage: Lügengewebe. Sollte ich hier dafür gerügt werden, dann trage ich das angesichts der Ungeheuerlichkeiten, die Sie hier in dieser
Debatte geboten haben, wie ein Orden- und Ehrenzeichen.
— Sie können doch nicht glauben, daß wir hier Handschuhe anziehen, wenn Sie in Ihrer Dramaturgie zielgerichtet und mit System eine Kampagne zur Verunsicherung der Rentner betreiben.
Unbestritten ist die Tatsache, daß das Renteneinkommen 1979 um 4,5 % steigen wird, daß es also eine 4,5 %ige Rentenerhöhung, geben wird. Das ist bei einer durchschnittlichen Rente von rund 1 200 DM nach 40 Versicherungsjahren monatlich ein Mehrbetrag von 54 DM, der jeden Monat ausgezahlt wird.
Eine Steigerung von 4 °/0 1980 macht bei der 1979 um 54 DM erhöhten Rente einen weiteren Steigerungsbetrag von 50,16 DM aus. Die weitere Erhöhung 1981 bringt die Rente von 1.200 DM im Jahre 1979 auf 1 356 DM im Jahre 1981.
Darin sehen wir die Tatsache, daß die Rentner am wirtschaftlichen Wachstum angemessen teilnehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller?
Ja, von dem Kollegen Müller, Wedding, Berlin, immer.
Herr Kollege Egert, würden Sie mir wenigstens zugestehen, daß das Rentenniveau heute immer noch nicht wieder 50 % des vergleichbaren Bruttoeinkommens erreicht hat, die wir 1957 hatten, und daß es heute nur bei 45 bis 46 %liegt?
Nein, das kann ich nicht bestätigen.
Wenn Sie danach gefragt hätten, ob die Anpassungsmaßnahmen der Jahre 1979, 1980 und 1981 das Rentenniveau herabführen, dann hätte ich Ihnen das 'bestätigen müssen. Aber der Hintergrund, auf dem wir diese Diskussion führen, kann sich doch nicht darin erschöpfen, daß wir ausschließlich in die Rentenkasse schauen. Wir müssen sehen, was wirtschaftspolitisch um unser soziales Sicherungssystem herum passiert.
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EgertMeine Damen und Herren, wenn wir die Steigerung an den Annahmen über die künftige gesamtwirtschaftliche Entwicklung orientieren wollen, insbesondere an den Daten der Löhne und Gehälter, dann müssen wir sehen, daß wir diese Zusage der kontinuierlichen Einkommenszuwächse in einem Zeitpunkt abgeben, wo die beitragszahlenden Arbeitnehmer in Tarifauseinandersetzungen eintreten und für die künftige Entwicklung ihrer Einkommen erst kämpfen müssen. Die müssen mit ihrer Kampfkraft erst einmal erstreiten, was wir aus gutem Grund unseren älteren Mitbürgern gesetzlich zusichern. Dies ist doch die Lage, in der wir die Diskussion haben, und da hilft es nichts, wenn Sie mit unsoliden Finanzierungskonzepten
in diese Diskussion gehen und versuchen, uns der sozialen Demontage zu verdächtigen. Diese Rechnung wird nicht aufgehen.
Präsident Carstens: Einen Augenblick, bitte.
Herr Abgeordneter Pfeffermann, ich rufe Sie wegen des Ausdrucks „schamloser Demogoge" zur Ordnung.
Danke, Herr Präsident.
Die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer stehen in einer der härtesten Tarifauseinandersetzungen seit Bestehen der Bundesrepublik. Hier geht es um mehr als um Lohnerhöhungen zur Sicherung des Lebensstandards, es geht um die Erhaltung von Arbeitsplätzen. In der Druckindustrie kämpfen die Kollegen um angemessene Arbeitsbedingungen und ihre berufliche Qualifikation.
: Und das bei dieser
Regierung!)
— Herr Kollege Katzer, wir müssen doch nicht über die Folgen, die in diesem Wirtschaftssystem angelegt sind, an diesem Punkt streiten.
Da können wir sehr viel streiten.
Als in diesem Hause die Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht stattgefunden hat, wo waren Sie denn da mit Ihrer wirtschaftspolitischen Initiative? Wo waren Sie denn da?
— Ja, in einem Zeitpunkt, wo wir eine hohe Arbeitslosigkeit in unserem Land haben. Die wird auch nicht bestritten. Ich verstehe nur nicht, daß Sie dabeistehen und sich unverhohlen schadenfreudig die
Hände reiben über die Schwierigkeiten, die wir haben. Das verstehe ich wirklich nicht.
Die hohe Arbeitslosigkeit wird zum Manöverfeld für Angriffe auf den sozialen Frieden.
— Ja, ich komme zur Sache, dies ist nämlich auch die Sache, nicht die Sache, die Sie uns aufreden wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Hürland?
Nein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort ist nein, Frau Abgeordnete Hürland.
Zielscheibe nicht nur der Arbeitgeber, sondern auch bestimmender Teile der CDU/CSU ist die organisierte Arbeitnehmerschaft in diesem Land.
Da wird Lohnpolitik verteufelt. Da wird eine Revision der sozialen Schutzvorschriften des Jugendarbeitsschutzes propagiert, da werden Äußerungen am Recht für Schwerbehinderte gefordert, da werden die Kündigungsschutzbestimmungen angegriffen, da wird die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle in die Diskussion gebracht und soll zur Disposition gestellt werden. Neuerdings bezieht Herr Strauß auch das Wohngeld in die Abbruchmasse unionssozialer Demontagepolitik mit ein.
— Und die Knappschaft.
Das steht in Ihrem Papier vom 14. März. — Kürzungen beim Wohngeld treffen die Bezieher kleiner Einkommen, sie treffen viele Tausende von Rentnern.
Strauß und die Unionsparteien treiben ausweislichdieser Pressemitteilung vom 14. März ein Gaukel-
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Egertspiel, indem sie mit der einen Hand versprechen, mit der anderen Hand den sozial Schwachen in die Tasche greifen.
Hier wird der Sozialstaat unter Beschuß genommen, und da machen wir nicht mit, weil wir nicht wollen, daß Sozialpolitik eine Annexkompetenz von Wirtschafts- und Finanzpolitik ist.
Wir wollen keine Neuauflage der Parolen vom „haltlosen Gefälligkeitsstaat", die Eugen Gerstenmaier bereits 1957 ausgegeben hat. Wir wollen die Wiederbelebung in diesem Punkte nicht. Die neue Fronde, die sich hier aufbaut, richtet sich gegen den sozialen Fortschritt, der seit 1969 unter sozialliberalen Bundesregierungen erreicht worden ist.
Von Strauß über Biedenkopf bis Weizsäcker wird hier ins gleiche Horn gestoßen. Sozialleistungen werden als „Sozialkonsum" verdächtigt und verächtlich gemacht. Die Sorgen der sozial schwächeren und hilfsbedürftigen Mitbürger werden aus der solidarischen Verflechtung unserer Gesellschaft ausgeklinkt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Ruhe.
Herr Hasinger, Sie können soviel dazwischenschreien, wie Sie wollen. Sie werden mich nicht provozieren, weil ich ja weiß, was Sie wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Egert, lassen Sie mich einmal einen Moment zu Wort kommen. Ich bitte um mehr Ruhe im Hause, damit die Debatte in ordnungsgemäßer Form abläuft.
Herr Hasinger, vor dem Hintergrund Ihres internen parteipolitischen Machtgefüges ist es ja nur allzu verständlich, daß die Opposition auch über Fragen der Rentenversicherung ausschließlich unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten urteilt. Sie vertröstet sich, aber auch Rentner und die versicherten Beitragszahler auf mehr wirtschaftliches Wachstum.
Sie setzt damit Signale, die deutlich machen, daß die Interessen der Arbeitnehmer und der Rentner weit unten auf der Skala ihrer politischen Prioritäten stehen. Dabei stehen Sie auch auf diesem Feld mit leeren Händen da. Über den Entwurf eines Arbeitsmarktprogramms haben Sie sich nie einigen können. 1 Dies ist nun einmal ein Stück der politischen Wahrheit.
Inzwischen ist wohl auch der Vorsitzende der christlich-demokratischen Arbeitnehmer von seinen Vorstellungen abgerückt. Die Wirtschaft wieder flottmachen — so heißt es im „Spiegel" —, das ist die neue Gesundbeterparole, die genausogut von Franz Josef Strauß stammen könnte, die aber auf dem Hintergrund der nicht vorhandenen wirtschaftspolitischen Aktivitäten bei der Debatte um den Jahreswirtschaftsbericht eben nicht verfangen kann.
— Ein Mauerblümchendasein; das kann ich nur bestätigen.Ich habe mir Ihre Stellungnahme sehr sorgfältig durchgelesen. Darin steht: Eine Erhöhung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung soll nicht stattfinden. Im vorigen Jahr haben die Sozialpolitiker der CDU/CSU aber noch über eine Erhöhung gesprochen. Jetzt ist diese Thema tabu. Die Sozialpolitik muß sich bei Ihnen in das Joch kurzsichtigen wirtschaftspolitischen Kalküls zwingen lassen. Ihre Sozialpolitiker werden von Franz Josef Strauß und vom Wirtschaftsflügel am zwar langen, aber dennoch straffen Zügel geführt.
— Was Sie wundert oder nicht, ist Ihr persönliches Problem, nicht meines.
In Fragen der Rentenfinanzen dekorieren Ihre Sozialpolitiker nun das Schaufenster mit dem Unionsbekenntnis zur bruttolohnbezogenen Rentenformel.
Das ist nun der Punkt: die Jahrhundertreform. An der Kasse stehen die Gegner der sozialen Errungenschaften aber schon bereit. Sie kassieren einen saftigen Abzug von der Rente wieder ein.
Würden die Rentner sich darauf einlassen, müßten sie feststellen: Dies ist wirklich ein unseriöses Lockvogelangebot.
Sie würden nach dem Vorschlag der CDU/CSU weniger Geld herausbekommen — das ist hier vorgerechnet worden —, als sie bei den von der Koalition vorgesehenen festen Zuwächsen erhalten.
Wir Sozialdemokraten sagen nein zu verkapptenRentenkürzungen. Niemand — auch nicht dieEgertUnionsparteien — könnte heute sagen, bis zu welcher Höhe solche Abzüge von der Rente steigen müßten, um die Finanzlücke zu decken. Daher treten wir für feste und verbindliche Zuwachsraten ein. Sie machen deutlich: Rentensteigerungen werden nicht ausschließlich unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten, sondern auch nach sozialen Maßstäben festgesetzt.Die Eigenständigkeit der Sozialpolitik ist für Sozialdemokraten ein politischer Wert, der nicht geopfert werden darf. Sonst würde unser Sozialstaat tatsächlich Schaden nehmen.
Die Interessen der Arbeitnehmer und Rentner dürfen nicht nur soziales Mäntelchen ökonomischer Interessen sein.
Der Zusammenhang zwischen Sozial-, Wirtschafts-und Finanzpolitik kann nur funktionieren,
wenn auch die Sozialpolitik ihre eigenständige, ihre gestaltende Rolle im Konzert dieser drei Zweige der Politik spielt. Weder die Sozialpolitik noch die Rentenversicherung im besonderen dürfen in ihrem sozialen Spielraum auf einen schmalen Korridor zwischen finanzpolitischen, wirtschaftspolitischen und konjunkturellen Sachzwängen beschränkt werden. Die Sozialpolitik braucht weder Leitplanken nach Fangnetze. Sie braucht allerdings Beweglichkeit und, wenn nötig, auch den Mut zur unorthodoxen Initiative. Diesen Anspruch lösen wir mit dem Entwurf zum 21. Rentenanpassungsgesetz ein. Die lohnbezogene Rente und der Generationenvertrag bleiben auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten erhalten.Ich darf noch eins zu dem Generationenvertrag sagen. Wir haben dazu die unterschiedlichsten Deutungen gehört. Ein Argument scheint mir besonders bemerkenswert zu sein. Bei dem, was heute Finanzierung im Rahmen des Generationenvertrags heißt,müssen wir uns doch auch vor Augen führen, daß 1041/4 der Finanzierung der Renten von heute aus den Beiträgen von gestern kommen, daß 90% aus dem Produktionsfortschritt kommen. Diese 90 O/0 Produktionsfortschritt auf dem Hintergrund geringeren wirtschaftlichen. Wachstums finanzieren zu wollen, heißt die Interessen zwischen den beitragzahlenden Arbeitnehmern und den Rentnern angemessen auszugleichen. Ich glaube, daß das eine sozial ausgewogene Position ist. Sie verdient es, auch von Ihnen ernsthaft diskutiert und nicht mit den Ablenkungsmanövern bedacht zu werden, die Sie heute versucht haben.
Die von der Koalition vorgeschlagenen Maßnahmen werden ausnahmslos als geeignet angesehen — das geht durchgängig durch alle Stellungnahmen; Ausnahme ist natürlich die CDU/CSU —, die Finanzlücke, wie sie sich nach den gegenwärtigenAnnahmen errechnen läßt, bis 1982 zu schließen. Sie sind finanziell solide. Das ist ein wichtiger Punkt.
— Ja, das habe ich in den Mund genommen, weil es nämlich stimmt. — Die Maßnahmen sind zugleich — das hatten wir eben festgestellt — sozial zumutbar.
Es ist auch richtig — das bestreiten nicht einmal Sie -, daß die Renten ein hohes Niveau erreicht haben. Sie werden von dem erreichten Stand weiter steigen.Dann bleibt ein Punkt übrig — auf den will ich auch eingehen —, nämlich der, daß wir innerhalb unseres sozialen Sicherungssystems einige strukturelle Verzerrungen haben, die wir angehen. müssen. Nur, da müssen wir wissen, daß pauschale Instrumente — ob wir sie nun Rentnerkrankenversicherungsbeitrag oder niedrigere Anpassungssätze nennen — im Prinzip wenig tauglich sind, um strukturelle Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Diese Überlegung muß tatsächlich in die langfristige Strukturreform der Sozialversicherung eingehen.Die Arbeitnehmer werden ihr Teil zu diesem Paket der Maßnahmen beitragen. Sie werden ab 1981 aus ihrem Geldbeutel einen um einen Viertelpunkt höheren eigenen Beitrag von ihrem Gehalt oder Lohn zur Rentenversicherung zahlen. Für einen Beitragszahler mit 2 000 DM Monatseinkommen sind das 5 DM im Monat, die er mehr zur Rentenversicherung zahlt. Bei 3 000 DM im Monat sind es 7,50 DM. Sie werden damit nicht überfordert, aber im Rahmen sozial ausgewogener Maßnahmen ebenfalls zur Deckung des Finanzbedarfs in der Rentenversicherung herangezogen.Nun gucken wir uns doch einmal an, wie die Stellungnahmen der Verbände zu diesem Vorschlag der Beitragssatzerhöhung aussehen! Da stellen wir fest: Der DGB hat ebenfalls eine Beitragssatzerhöhung vorgeschlagen, und zwar früher, als wir sie vorsehen. Die DAG tritt für eine Beitragssatzerhöhung ein. Die Vertreter des Reichsbundes und des VdK haben der Opposition auf ihrer Veranstaltung in Bad Godesberg offen ins Gesicht gesagt, daß sie für eine Anhebung des Beitragssatzes sind. Da sollte jetzt in Bad Godesberg auf Harmonie gespielt werden, und es wurden dennoch grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten mindestens in dieser Frage deutlich.
Nun können nach dem Eindruck meiner Fraktion die Gewerkschaften am besten beurteilen, wozu die Arbeitnehmer bereit sind, was sie verkraften. Der DGB teilt im Grundsatz die Auffassung der Koalition, daß nur sozial ausgewogene Maßnahmen den Generationenvertrag stabil halten. Die CDU/CSU, die ausschließlich die Renter belasten will, kannEgertsich also auch insoweit nicht hinter dem DGB verstecken.
Der stellvertretende Vorsitzende des DGB, Gerd Muhr, hat ungeachtet unterschiedlicher Auffassungen über anzuwendende Methoden erklärt, daß das DGB-Konzept im materiellen Volumen in etwa dem der Regierungsvorschläge gleichkommt.Die Arbeitnehmer und die Rentner wissen, auf wen sie sich in dieser Fragge verlassen können.
Die Sozialdemokraten stehen nämlich für ihre Interessen auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ein. Bei Ihren parteitaktischen Purzelbäumen,
die doch dem machtpolitischen Ehrgeiz entspringen, zwischenzeitlich, abseits normaler Wahlen einen Regierungswechsel herbeizuführen — vor diesem Hintergrund oder vor diesem Vordergrund, wie man will, oder doppelbödig, versuchen Sie doch, die Interessen der Arbeitnehmer und Rentner vor sich herzuschieben, um genau dieses Ziel zu erreichen —,
spielen wir, spielen aber auch die Arbeitnehmer und die Rentner nicht mit.
Das vordergründige Anbiedern .der CDU/CSU an die Gewerkschaften macht doch die Filzokratie-Debatte, die Herr Biedenkopf ausgelöst hat, nicht vergessen, täuscht doch die Arbeitnehmer und die Rentner nicht darüber hinweg, aus welcher Ecke Überlegungen zum Abbau des Sozialstaats kommen. Es reicht eben nicht aus, sich beim Visagisten das Gesicht eines Biedermannes zu bestellen, wenn aus jedem frisch gedruckten Wort der Brandstifter hervorlugt.
Verunsicherung der Rentner wird von Ihnen als Trumpf-As im Poker um die Macht mißbraucht. Mit außerparlamentarischer Aktion haben Sie versucht, Verbandsvertreter vor den Karren Ihrer parteipolitischen Interessen zu spannen. Dies wird für viele ein böses Erwachen bedeuten.
Der CDA-Vorsitzende, Herr Kollege Blüm, hat im Juni 1977 erklärt, Jugend, Gewerkschaften und Arbeiter seien das bevorzugte Trimm-dich-Gelände für die Sozialausschüsse. Die Union hat dieses Gelände für Freiübungen nun um die Verbände der Rentner zu erweitern versucht. CDU und CSU würden dieses Übungsgelände rasch verlassen, wenn ihr Pokerspiel um die Macht aufgehen würde. Arbeitnehmer und Rentner sollten sich zu schade sein, um dabei als Sparringspartner zur Verfügung zu stehen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion tritt entschlossen und gleichgewichtig für die Interessen der Rentner und der beitragzahlenden Versicherten ein. In einer Zeit weltwirtschaftlicher Probleme und provozierter Gefahren für unser soziales Gefüge sorgen Sozialdemokraten dafür, daß der Generationenvertrag zwischen Arbeitnehmern und Rentnern erhalten bleibt.Wir schlagen das 21. Rentenanpassungsgesetz vor, nach dem die Rentner weiterhin am wirtschaftlichen Wachstum teilhaben. Sie erhalten ihre Rente und zeitlich festgelegte, der Höhe nach berechenbare Rentenzuwächse.Eigenständige Sozialpolitik hat sich seit fast neun Jahren sozialliberaler Politik mit sozialen Fortschritten bewährt
und für die Betroffenen bezahlt gemacht.
— Da gibt es Leistungskataloge! Die sende ich Ihnen gern zu!
Sie gilt es gerade jetzt so gemeinsam wie möglich gegen jene zu verteidigen, die den Ruf nach Abbau von Sozialleistungen sofort wieder lauter ertönen lassen werden, wenn Sie erkennen müssen, daß sie beim Rentenpoker mit den falschen Karten gespielt haben. Arbeitnehmer und Rentner und die für sie sprechenden Organisationen haben in den Sozialdemokraten auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten weiterhin verläßliche Sachwalter ihrer Interessen. Dies wird auch bei den weiteren Beratungen in den Ausschüssen, die wir unverzüglich aufnehmen wollen und zügig vorantreiben werden,
deutlich werden.Vielen Dank für Ihre Geduld!
— Ihre Provokationen werden auch zum Schluß nicht verfangen. Ich bedanke mich für Ihre Geduld. Sie mußten ja auch einmal ein Stück der Wahrheit, die Sie vernebeln wollen, gesagt bekommen. Vielen Dank!
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6405
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An sich hatte ich vorgesehen, erst zum Schluß dieser Debatte zu reden.
Aber die Art, wie der Kollege Franke hier mit unkorrekten Zitierweisen, Diffamierungen, großen Worten und ohne jede Faktendarstellung an diese Arbeit herangegangen ist,
verlangt einfach, klarzustellen, wo überall hier in einem großen Täuschungsmanöver durch den Herrn Franke
versucht wird, der deutschen Bevölkerung einzureden,
die CDU habe ein Rentensanierungskonzept,
obwohl er keines hervorgezogen hat.
— Herr Nordlohne aus Südoldenburg, Sie brauchen mir nichts vorzuwerfen!—
— Verehrter Herr Kollege Franke! Sie haben sich bei Ihren Rechenbeispielen, obgleich Sie sagen: „Wir halten an unserem Vorschlag fest", auf das Rechenbeispiels des Sozialbeirats bezogen und haben dazu gesagt: Das ist ein extrem hohes Beispiel; so hoch wollen Sie nicht. Aber was Sie den Kollegen, die das Gutachten des Sozialbeirats noch nicht kennen, nicht mitgeteilt haben, ist folgendes: Mit „Sozialbeirat" meine ich die eine Hälfte des Sozialbeirats;
die andere einschließlich des Vorsitzenden
befürwortet die Komponente
der Bundesregierung.
— Herr Franke, ich habe nicht gesagt, daß die Mehrheit das tut. Unterstellen Sie mir doch nicht etwas — wie Sie das so gerne tun —, was ich nicht gesagt habe, sondern bleiben Sie korrekt!
— Der Vertreter der Gewerkschaften war bei dem anderen Konzept, aber nicht bei Ihrem.
— Bei Ihrem eben nicht, Herr Franke. Denn Sie haben keines.
— Ich will es Ihnen gleich beweisen. Die eine Hälfte des Sozialbeirats, einschließlich der dort anwesenden Gewerkschaftsvertreter, und der Deutsche Gewerkschaftsbund
— und der Deutsche Gewerkschaftsbund, verehrter Herr Franke — schlagen vor:
2 % Krankenversicherungsbeitrag im ersten Jahr, 4 % im zweiten und 5,5 % im dritten. Damit erst wird es ein tragfähiges, verantwortungsvolles Konzept. Außerdem ein halbes Prozent Beitragserhöhung ab 1. Januar 1979. Zu diesem Vorschlag haben Sie nicht den Mut, versuchen aber, sich mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund zu identifizieren.
— Herr Franke, ich weiß ja, daß Sie Beitragserhöhungen ablehnen. Daß Sie das tun und außerdem hier noch gesagt haben, daß Sie die Zahlen des Sozialbeirats für den Krankenversicherungsbeitrag im Abzugsverfahren für extrem hoch halten,
genau das ist Ihr Täuschungsmanöver. Sie tun so, als könnten Sie den Konsolidierungsbedarf ohne Beitragserhöhungen und mit einem niedrigeren Krankenversicherungsbeitrag, als der Sozialbeirat ihn vorschlägt, decken. Genau das ist die Irreführung, die ich Ihnen hier nachgewiesen habe.
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6406 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Bundesminister Dr. EhrenbergHerr Franke, der Sozialbeirat — mit dem von Ihnen für extrem hoch gehaltenen Krankenversicherungsbeitrag — schlägt zusätzlich eine Beitragserhöhung vor, die für den Konsolidierungszeitraum 13 Milliarden zusätzliche Einnahmen enthält. Sie lehnen diese zusätzlichen Einnahmen ab.
Sie verweisen auf Einsparungen im Bundeshaushalt bei der Knappschaft. Das wären für diesen Zeitraum 1,5 Milliarden. Würden Sie vielleicht den Wählern, die Anspruch darauf haben, verraten, wo Sie die verbleibenden 11,5 Milliarden hernehmen wollen bei Ihrem sogenannten Konsolidierungskonzept?
— Sehen Sie, Herr Franke, und schon wieder versuchen Sie, die Bürger und Wähler irrezuführen.
— Schon wieder versuchen Sie das.
Vielleicht wissen es nicht alle unter Ihnen, aber der Kollege Franke jedenfalls. weiß ganz genau, daß das Risiko Arbeitslosigkeit
für die Rentenversicherungsträger ab 1. Juli dieses Jahres durch Zahlungen der Bundesanstalt für Arbeit an die Rentenversicherung abgedeckt ist,
daß von der Arbeitslosigkeit her keine Ausfälle kommen.
— Aber verehrter Herr Kollege Müller, schon im Ausschuß habe ich Ihnen bewiesen, daß dies zum Teil für den Bestand stimmt, aber nicht für den Zugang. Auch das sollten Sie doch — Sachkenner, der Sie sind — zur Kenntnis nehmen
und nicht hier den Eindruck erwecken wollen, als sei es anders.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, einen Augenblick! — Es wird im Anschluß an den Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ein Redner zu Worte kommen, der eine andere Meinung vortragen wird. Ich bitte, daß wir dem Bundesminister in Ruhe zuhören.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke?
Gerne.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister Ehrenberg, ist Ihnen nicht mehr bekannt, daß früher 200 000 Arbeitslose 1 Milliarde DM für die Rentenversicherung brachten, aber heute 400 000 Arbeitslose trotz der Zahlung der Bundesanstalt für Arbeit 1 Milliarde DM weniger Beitragseinnahmen bei der Rentenversicherung bringen?
Das Kunststück, das Sie vortragen, stimmt schlicht nicht, verehrter Kollege Franke. Aber was Kollege Müller gemeint hat, daß das nämlich nur teilweise abgedeckt wird, stimmt, weil ein Viertel der als arbeitslos Registrierten keine Leistungsempfänger sind und die Bundesanstalt nur für Leistungsempfänger zahlt. Wenn Sie aber auf den Zugang, auf die Veränderung der Arbeitslosigkeit abstellen, dann stimmt das nicht; denn derjenige, der, weil er seinen Arbeitsplatz verliert, als Beitragszahler bei der Rentenversicherung ausfällt, ist anschließend Leistungsempfänger bei der Bundesanstalt für Arbeit. Jemand, der vorher in einer nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung war und sich arbeitslos meldet, ist deshalb kein Leistungsempfänger. Insofern kann man das teilweise nicht auf diese Periode beziehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke, Herr Minister?
Gern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister Ehrenberg, ist Ihnen nicht bekannt, daß die 750 000 Leistungsempfänger nur 72 % der normalen Leistungshöhe aus der Bundesanstalt für Arbeit bekommen und daß sich daraus die 400 000 errechnen?
Verehrter Herr Franke, auch das stimmt in den Ergebnissen nicht. Tun Sie doch nicht so, als ob Sie das nicht besser wüßten!
— Oder er weiß es nicht; das wollte ich ihm nicht unterstellen. So unhöflich wollte ich nicht sein.
Verehrter Herr Kollege Franke, wer dort einen so niedrigen Leistungsstand hat, der hat auch vorher so niedrige Löhne bekommen und entsprechend niedrige Beiträge an die Rentenversicherung gezahlt. Vermischen Sie doch nicht die Zusammenhänge!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Urbaniak?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6407
Bitte sehr.
Herr Miinister, können Sie mir bestätigen, daß der sogenannte Krankenversicherungsbeitrag der Rentner, der uns von der CDU/CSU vorgeschlagen worden ist, den Konsolidierungsbedarf von 32 Milliarden DM nicht abdeckt und — andere Deckungsvorschläge gibt es nicht — bereits im Jahre 1981 einen Abzug von der Rente in Höhe von 8,5 % bedeuten würde, und können Sie bestätigen, daß der DGB gegen diesen Vorschlag sehr heftigen Widerstand leistet?
Herr Kollege Urbaniak, das kann ich Ihnen voll bestätigen.
Ich will den Kollegen, die das bezweifeln, diese Rechnung gern vorführen. Unter vernünftigen Leuten und allen Mitgliedern des Sozialbeirats unbestritten, beträgt der Konsolidierungsbedarf 32 Milliarden DM.
Das ist auch im Sozialbeirat so anerkannt. Was der Sozialbeirat als Krankenversicherungsbeitrag ohne soziale Staffel vorschlägt, würde gerade knapp 25 Milliarden DM Konsolidierungsbedarf erbringen. Zusätzlich schlägt der Sozialbeirat wie der Deutsche Gewerkschaftsbund in großer Verantwortungsbereitschaft eine Beitragserhöhung schon jetzt vor, die wir wegen der unterschiedlichen konjunkturellen Wertung jetzt nicht einführen wollen. Aber wer auf diese Beitragserhöhung jezt und in Zukunft verzichten will — Herr Franke hat mit lauten Zwischenrufen bestätigt, daß er die Beitragserhöhung ablehnt —, der muß wohl erklären, wie sonst der Konsolidierungsbedarf gedeckt werden soll.
Der Kollege Ackermann hat im Pressedienst der CDU geschrieben: Die Alternative der CDU ist keine rechnerische, sondern eine politische. Er tut damit so, als könne man durch politische Aussagen die Renten auszahlen und brauchte dazu nicht jede Woche Mark und Pfennig.
Wenn das so ist, wenn Sie nicht bereit sind, Zahlen auf den Tisch zu legen, fühle ich mich wie bei allen anderen Vorschlägen verpflichtet, auch diesen Vorschlag eines sozial gestaffelten Rentnerkrankenversicherungsbeitrages im Abzugsverfahren durchzurechnen. Da andere Vorschläge zur Konsolidierung nicht vorliegen, die 32 Milliarden DM unter Sachkennern unbestritten sind,
kommt heraus, daß Sie in drei Jahren den Rentnern
von den Zuwächsen im ersten Jahr 3,5 %, im zwei-
ten Jahr 6,7 % und im dritten Jahr 8,5 % abnehmen würden. Das ist sehr viel mehr, als man den Rentnern zumuten darf.
Wer das bestreitet, verehrter Herr Kollege Franke, müßte ja wohl den Mut haben, hier nicht nur von einer politischen Alternative zu reden, sondern diese Alternative in Mark und Pfennig durchzurechnen, was Sie bisher abgelehnt haben, weil Sie sich scheuen, der Öffentlichkeit gegenüber einzugestehen, daß Sie Beitragserhöhungen nicht wollen, andere Finanzierungsmittel nicht haben, ausschließlich die Rentner mit der Konsolidierung belasten wollen und noch so tun, als wäre das eine Erhaltung der bruttolohnbezogenen Anpassung, wenn im dritten Jahr bei einer Erhöhung von 6,2 % den Rentnern 8,5 % Krankenversicherungsbeitrag abgezogen werden. Das ist Ihre politische Alternative.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Nordlohne?
Gerne.
Herr Bundesminister, ist nicht eine der wesentlichen Ursachen für das erneute Defizit auch die Tatsache, daß Sie selbst in Ihrer Eigenschaft als wirtschaftspolitischer Sprecher noch im Herbst 1976 davon ausgingen, daß Mitte des Jahres 1977 Arbeitslosigkeit kein ernsthaftes Problem mehr sei?
Ist das nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem erneuten Defizit zu sehen?
Herr Kollege Nordlohne, nicht nur ich, sondern auch die Bundesbank, die EG-Kommission, die OECD, die Wirtschafts- und Finanzminister der Länder im Finanzplanungsrat und im Konjunkturrat, also der versammelte wirtschafts- und finanzpolitische Sachverstand dieser Republik einschließlich der von Ihnen regierten Länder, haben zu Beginn des Jahres 1977
ein reales Wachstum von 5 °/o angenommen. Da befanden wir uns in guter Gesellschaft.
Wir haben das nicht erreicht. Nur, das ist nicht unsere Fehleinschätzung allein gewesen, sondern die Fehleinschätzung des gesamten wirtschafts- und finanzpolitischen Sachverstandes
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6408 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Bundesminister Dr. Ehrenbergeinschließlich der sechs Konjunkturforschungsinstitute, von denen eines zu einer Minderheitsmeinung kam, die anderen fünf mit der Bundesregierung gemeinsam dieser Überzeugung waren. Die wirtschaftliche Entwicklung ist in erster Linie außenwirtschaftlich bedingt nicht so gelaufen wie angenommen. Sie können uns anlasten, daß wir keine Prophetengabe besitzen. Die haben wir in der Tat nicht, aber auch sonst niemand in diesem Lande. Nur, Herr Kollege Nordlohne, mit der aufgetretenen Finanzierungslücke für die nächsten fünf Jahre hatte das allerdings viel zu tun. Nur, weil das so ist, müßten ja wohl auch Sie, wenn Sie als Opposition ernst genommen werden wollen, nicht nur so tun, als hätten Sie einen besseren Vorschlag, sondern auch einen machen, der ausreicht, und nicht einen verschwommenen, sozial gestaffelten Krankenversicherungsbeitrag nennen und, wenn man ihn durchrechnet, sagen, das sei nicht richtig.
Nachrechnen darf man Ihre politische Alternative nicht. Nein, meine Herren, wer auch immer einen Vorschlag zur Konsolidierung macht, der muß es sich schon gefallen lassen, daß der Stück für Stück durchgerechnet und nur dann ernst genommen wird, wenn er auch zureichend ist.
Das aber ist, so leid es mir tut, Ihr Vorschlag nicht. Darum haben Sie auch nicht die geringste Veranlassung, sich hier mit den Vorschlägen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu identifizieren, weil Ihnen der Mut zu der Beitragserhöhung fehlt, den der DGB bewiesen hat, und weil Sie einen Vorschlag machen, der nur die Hälfte enthält. Wir sind der Meinung, mittelfristig ist eine Beitragserhöhung notwendig. Aber sie paßt nicht in die gegenwärtige konjunkturelle Landschaft. Darum schieben wir sie in das Jahr 1981 hinein
und legen den Rentnern ein klares, wirksames Konzept vor, aus dem sie erkennen können, daß in jedem der nächsten drei Jahre ihre Renten so steigen werden, daß ihr realer Lebensstandard zunimmt, wenn auch in bescheideneren Größen als bisher.
Das ist ein Konzept, das tragfähig ist.
Das ist ein Konzept, dem Sie ein gleichwertiges und durchgerechnetes entgegenstellen müßten, wenn Sie mit Ihren Vorschlägen ernst genommen werden wollen. Bisher ist es nur Nebel ohne Fakten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Zeitel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesarbeitsminister, angesichts der ungewöhnlich schwierigen Situation, in der sich die Rentenversicherung befindet, hätte man eigentlich von einem Minister einen etwas sachlicheren Beitrag erwarten dürfen.
Sie sind wirklich ein ehrenwerter Mann. Ich will Ihnen für Ihre Trickspielereien nur zwei Beispiele nennen. Wir haben hier vor einem Jahr mit großer Leidenschaft über den Jahreswirtschaftsbericht debattiert, und wir haben damals Ihre optimistische Schätzung für falsch gehalten. Das können Sie in den Protokollen nachlesen.
Sie haben das „Schwarzmalerei" genannt. Sie haben sich geirrt. Wir hatten die richtige Position. VerdreSie nicht die Fakten!
Das zweite, Herr Arbeitsminister. Die mündigen Bürger der Bundesrepublik haben ein Anrecht darauf, von einem volkswirtschaftlich geschulten Arbeitsminister nicht dauernd irreführend informiert zu werden.
Wenn Sie sagen, die Weltwirtschaftskrise sei an allem schuld, insbesondere an der Entwicklung des Jahres 1977, dann wissen Sie, daß dies falsch ist. Der deutsche Außenhandel ist im Jahre 1977 erfreulicherweise noch einer der Stabilisatoren der Konjunktur gewesen. Die Investitionsneigung jedoch hat nicht das gebracht, was Sie erwartet haben. Das und nichts anderes ist die Wahrheit.
Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen zu den 32 Milliarden DM und ihrer Projektion machen. Herr Ehrenberg, Tatsache ist doch, daß wir innerhalb von 15 Monaten bereits die dritte Rentensanierung diskutieren, und zwar auf der Basis ständig wechselnder Zahlen. Das ist doch nicht zu bestreiten.
Es heißt in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs im Zusammenhang mit der Projektion bezeichnenderweise — ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren —, dies seien Arbeitshypothesen, deren Eckwerte darauf gründen, „daß die außenwirtschaftlichen Bedingungen, . . . sich nicht wesentlich ändern und die binnenwirtschaftlichen Voraussetzungen durch entsprechende Verhaltensweise aller Beteiligten verwirklicht werden". Die Bundesregierung fügt hinzu — sie ist vorsichtig in den schriftlichen Äußerungen —:Die Eintreffenswahrscheinlichkeit dieser Arbeitshypothesen kann zur Zeit nur schwer abgeschätzt werden.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6409
Dr. ZeitelGewiß muß die Bundesregierung von Annahmen über die wirtschaftliche Entwicklung für ihre Planung ausgehen; aber die Treffsicherheit der Vorhersagen dieser Regierung kann doch nach den jüngsten Erfahrungen als nicht sehr hoch eingeschätzt werden.
Sie sind doch wahrlich kein Meister der Projektion, um auch noch erwarten zu können, daß wir Ihren Zahlen gläubig zustimmen, noch dazu — hier stimmen wir mit Herrn Schmidt überein —, als wir uns bezüglich der Außenhandelsentwicklung nicht mehr so sicher sein können wie bisher und wir auf der anderen Seite bei der Lohnentwicklung mit Daten konfrontiert werden könnten, die in eine andere Richtung gehen.Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion ist bereit, ihren Beitrag zur Lösung der schwierigen Rentenproblematik zu leisten;
aber sie ist nicht willens,
Herr Minister, die Buchhaltungszahlen von immer erneut Irrenden, von denen der Bundeskanzler sprach, anzuerkennen oder gar zur Grundlage ihrer Politik zu machen.
Lassen Sie mich hier noch einmal wiederholen, was Herr Kollege Franke gesagt hat. Diese Zahlen kommen für uns schon deshalb nicht in Betracht, weil sie auch für die Zeit nach 1980 — in der nächsten Legislaturperiode — noch von 1 Million Arbeitslosen ausgehen.
Unsere politischen Gestaltungsvorstellungen beruhen nicht darauf, diese hohe Arbeitslosigkeit und deren Folgeprobleme zu konservieren, sondern darauf, sie entscheidend abzubauen. Das ist der andere Ansatz.
Wir sind nicht bereit, Herr Ehrenberg, ,die Mithaftung für fragwürdige Zahlen und für einen Weg zu übernehmen, der durch immer erneute, in kürzerer Zeitfolge sich wiederholende Sanierungsakte und Vertrauensbrüche gegenüber den von der Versicherung betroffenen Bürgern gekennzeichnet ist.
— Ich meine Sie, Herr Kollege Wehner.
Wir verkennen nicht — auch das will ich hier zum Ausdruck bringen —, daß wir Anfang der 80er Jahre vor tiefgreifenden Änderungsnotwendigkeiten in der Rentenversicherung stehen.
— Dank der Verfassungsgerichtsurteile, Herr Wehner, falls Sie das nicht wissen sollten.
Die unvermeidliche Reformaufgabe wird um so schwerer lösbar sein, wenn der gegenwärtige Trend der Bevölkerungsentwicklung anhält. Ohne das hier im einzelnen auf die demographischen Entwicklungstendenzen eingegangen werden kann,
möchte ich für die CDU/CSU-Fraktion feststellen, daß die Bundesregierung bisher für jene Gruppen unserer Bevölkerung wenig getan hat, die die größten Reallasten aus der Sicherung der Rentenzahlungen zu tragen haben, nämlich die Familie mit Kindern, insbesondere die kinderreichen Familien.
Im Gegenteil, die Bundesregierung deklariert — z. B. im Eherecht — eine Politik als fortschrittlich, bei der ,sich junge Menschen immer mehr fragen, ob sie überhaupt eine Ehe eingehen sollen.
Es geht indessen bei der Frage der Rentensanierung nicht nur um den häufig zitierten Lastenausgleich zwischen Rentnern und Arbeitnehmern, den die Bundesregierung auch in der Begründung zum vorliegenden Gesetz fast ausschließlich anspricht, sondern nach unserer Auffassung mehr noch um den Lastenausgleich zwischen denjenigen, die die Mühen und Lasten der Kindererziehung tragen, und denjenigen, die sich dem bewußt entziehen. Wir sehen jedenfalls auch in einer besseren Familienpolitik die letztlich ausschlagende Grundlage für die längerfristige Rentensanierung und nicht allein in Finanzierungsregeln.Ich möchte damit aber auch zum Ausdruck bringen, daß die Union andere Vorstellungen über eine dauerhafte Lösung der Finanzierung der Rentenversicherung hat als die Regierung.
— Hören Sie bitte zu, Herr Glombig. Unser Haupteinwand — und das geht gerade an Sie und Ihre Bemerkung von heute mittag —
gegenüber den Koalitionsparteien besteht darin, daß das Gewicht der Einheit von Wirtschafts-, Finanz-und Sozialpolitik in der jüngsten Vergangenheit gröblich vernachlässigt worden ist.
Nach unserer Auffassung ist eine gute, d. h. stabile und dynamische Wirtschaftsentwicklung mit relativ hohen Wachstumsraten das entscheidende Fundament für die Finanzierung unseres kostspieligen sozialen Sicherheitssystems. Dies haben wir
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6410 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Dr. Zeiteljedenfalls eingehalten, solange wir die Regierungsverantwortung hatten.
Die Regierungskoalition muß sich vorhalten lassen, daß sie diese Grundlagen erschüttert hat.
Sie hat — allen voran der Bundeskanzler — zuerst die Inflation verniedlicht, dann aus inflationär aufgeblähten Steuerkassen überreichlich Geschenke verteilt, u. a. auch dadurch, daß sie den Krankenversicherungsbeitrag der Rentner aufgehoben hat.
Allein das hätte bis heute 12 Milliarden DM mehr in die Kassen der Rentenversicherung gebracht.
Daraus ist das Problem der strukturellen Defizite in den öffentlichen Haushalten entstanden, und daraus resultieren die immer erneuten Abgabenbelastungen ' für die Bürger und in zunehmendem Maße insbesondere für die Arbeitnehmer der unteren Schichten.Die Bundesregierung hat durch die überzogene Verteilungspolitik letztlich den Rückgang der Investitionstätigkeit unserer Unternehmungen verursacht, aus dem die Arbeitslosigkeit folgt. Aus der rückläufigen Investitionstätigkeit und nicht primär, Herr Ehrenberg, aus der immer wieder fälschlich zitierten Weltwirtschaftskrise resultiert im wesentlichen das,
was wir in der Beschäftigung an Fehlentwicklungen beklagen. Daraus folgen auch letztlich die Löcher in der Rentenversicherung.Lassen Sie mich wenigstens an einigen Zahlen verdeutlichen, was die gegenwärtige Arbeitslosigkeit in unserem Land bedeutet. Ein Prozent weniger Wachstum bedeutet mehr als 4 Milliarden DM Einnahmeausfall in den öffentlichen Kassen. Ein Prozent weniger wirtschaftliches Wachstum bedeutet rund 200 000 mehr Arbeitslose. 100 000 Arbeitslose verursachen Einnahmeausfälle in Höhe von rund 1 Milliarde DM und noch einmal Zusatzkosten im sozialen Sicherheitsbereich von rund 1 Milliarde DM. Das ist das Problem der Arbeitslosigkeit, Herr Ehrenberg, wie es uns interessiert. Uns interessieren nicht die Rechenkunststücke beim Zahlungstransport von einem Sozialversicherungszweig auf den nächsten, heute in der Rentenversicherung, übermorgen in der Arbeitslosenversicherung. Sie schieben hier doch hin und her.
Mit anderen Worten, die eine Million Arbeitslosen, die wir haben und die primär eine Folge der verfehlten Regierungspolitik sind,
beengen den öffentlichen Finanzierungsspielraum um 20 Milliarden DM.Die CDU/CSU-Fraktion vertritt daher die Auffassung, daß die jetzt diskutierten Maßnahmen zur Sanierung der Renten letztlich ein Herumkurieren an Symptomen bedeuten, die nicht die Wurzeln der Fehlentwicklung darstellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, der Zwischenruf „Quatsch" gehört nicht zu den Glanzleistungen des Parlamentarismus. Ich bitte doch, davon abzusehen.
Gestatten Sie ein Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Buschfort?
Ja!
Herr Kollege, wenn Sie davon ausgehen, daß die Arbeitslosigkeit auf die verfehlte Politik der Bundesregierung zurückzuführen ist, frage ich Sie: Worauf führen sie denn die Arbeitslosigkeit in den anderen europäischen Ländern zurück, darunter Länder mit christdemokratischer Regierung, die höhere Arbeitslosenquoten haben als die Bundesrepublik?
Herr Kollege Buschfort, ich dachte eigentlich, daß Sie als zuständiger Staatssekretär die Entwicklungstendenzen und die Entwicklungsursachen in anderen Ländern besser kennen.
— Ich werde Ihre Frage beantworten,
weil es ein wichtiger Punkt Ihrer Argumentation in der Öffentlichkeit ist. Was die berühmte Weltrezession angeht, so sind die beiden entscheidenden Konkurrenzmächte, nämlich die Vereinigten Staaten und Japan, gegenüber der Bundesrepublik mit doppelten Wachstumsraten mit dem Problem fertig geworden.
Wenn Sie die Entwicklung in Italien, in Frankreich und in England ansehen, so war die Zahlungsbilanzsituation dieser Länder auch vor der Weltrezession schon anders
und ist im Gesamtentwicklungstrend sicher nicht mit der Bundesrepublik zu vergleichen.
Nein, nein, meine Damen und Herren, wenn wir nicht in kürzerer Zeit erneut weitere Sanierungspläne diskutieren wollen — und ich bin sicher, daß wir uns bei Ihrer Politik in einem Jahr erneut darüber unterhalten werden, wie sehr Sie sich geirrt haben —, dann muß man wohl in der Wirtschafts-,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6411
Dr. ZeitelFinanz- und Sozialpolitik einen anderen Kurs steuern, als kurzatmige Reformprogramme und pragmatische Sanierungswurstelei in einzelnen Bereichen zu betreiben. Das . eigentlich Entscheidende, Herr Kollege Glombig, haben Sie heute morgen beiläufig gesagt, nämlich wir seien -in der Sozialpolitik nicht von der Wirtschaftspolitik abhängig. Sie sanieren in diesem Bereich so, in dem anderen Bereich anders, machen noch ein Konjunkturprogramm, und alles paßt nicht zueinander.
Wer die Einheit der Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht beachtet, der wird die Probleme nicht lösen, sondern der wird unserer arbeitenden Bevölkerung weitere Lasten aufbürden, Herr Kollege Wehner.
Sie verteilen immer mehr auf immer breitere Schultern, während Ihre Kassen immer leerer werden. Auf diesem Weg werden Sie nie zu einem notwendigen Wechsel der Entwicklung kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Simonis?
Ja gerne!
Herr Kollege Zeitel, ich habe ein paar Minuten Zeit gehabt, darüber nachzudenken, aber ich bin noch nicht zu der Lösung gekommen, wie Sie erklären wollen, daß bei höheren Wachstumsraten in Amerika die Arbeitslosenquote dort 8 °/o beträgt.
Sehr verehrte Frau Kollegin, das beginnt damit, daß die Amerikaner die Arbeitslosenquote anders berechnen.
Die Amerikaner haben die Quoten bereits seit viel längerer Zeit. Wir haben die Arbeitslosenquoten erst, seitdem Sie an der Regierung sind. Das ist doch das Faktum.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth?
Sehr gern!
Sind Sie bereit, der Kollegin zu sagen, daß die Amerikaner in den letzten drei Jahren 81/2 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen haben?
Das bin ich gern bereit zu
bestätigen, Herr Kollege Pieroth. Die Amerikaner haben jedenfalls bewiesen, daß sie in der Beschäftigungspolitik und in der Wachstumspolitik Erfolge haben, während die entsprechenden Erfolge bei dieser Regierung ausgeblieben sind.
Wenn man zu einer anderen Entwicklung in unserem Land kommen will — lassen Sie mich hier auch wenigstens im Zusammenhang mit der Rentendebatte die wesentlichen Punkte nennen, auf die es ankommt —, dann braucht man vor allem anderen das Vertrauen derjenigen, die investieren wollen. Mit Beiträgen, wie sie Herr Egert eben geleistet hat, indem er von einem anderen System spricht, von der mangelnden Leistungsfähigkeit unserer Ordnung, werden wir nicht das Vertrauen gewinnen, das eine entscheidende Grundlage für Investitionen darstellt.
Wer sein Geld investiert, der will nicht nur wissen, wohin es morgen geht, sondern wohin es übermorgen geht und wie die Entwicklung längerfristig aussieht. Wenn Sie ein Paradebeispiel dafür haben wollen, daß Sie alle vier Wochen wieder mit neuen ordnungspolitischen Diskussionen kommen, brauchen Sie sich nur die Pläne des Verkehrsministers anzusehen.
Die zeigen deutlicher als alles andere, daß hier erneut Grundsatzfragen der marktpolitischen Ordnungspolitik zur Diskussion stehen.
Alle Ihre Einzelprogramme werden nichts nützen, wenn es Ihnen nicht gelingt, mehr Vertrauen in die Verläßlichkeit der ordnungspolitischen Rahmenbedingung herzustellen.
Und der zweite Punkt: Wer die Arbeitslosigkeit beseitigen will, der muß schon für etwas mehr Stetigkeit im Einsatz der Instrumente sorgen. In einem Jahr die Investitionssteuer, im nächsten Jahr dann die Investitionsprämie; im übernächsten Jahr folgen wieder Steuererhöhungen, die Sie im vierten Jahr erneut bedauern und halb zurücknehmen. Mit einem solchen Wechselbad bekommt man keine dynamische Wirtschaftsentwicklung.
Wenn das nicht aufhört, dann werden wir mit dem Problem der Arbeitslosigkeit nicht fertig werden. Die ganze Programmhuberei ist auch in diesem Punkt kein Ersatz für die gebotene Stetigkeit, auf die sich Unternehmungen verlassen können müssen.
Der dritte Punkt. Wenn die Bürokratisierungs- und Normierungssucht so weitergeht wie in den letzten Jahren, dann wird die Investitionsneigung nicht steigen, sondern noch weiter zurückgehen. Unterhalten Sie sich doch einmal mit Handwerkern, mit
6412 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den. 16. März 1978
Dr. Zeitel
Einzelhändlern, mit Kleinbetrieben, auf die noch immer zwei Drittel der Beschäftigten in unserem Lande entfallen, was die Ihnen sagen. Die sind nicht mehr sicher, ob sie noch legal handeln oder nicht, weil schon wieder eine Springflut von Verordnungen über sie heruntergegangen ist, die Sie nicht nachvollziehen können.
Sie sind dafür unmittelbar verantwortlich. Sehen Sie sich z. B. einmal Ihren Gesetzentwurf zum unlauteren Wettbewerb an, der der mittelständischen Wirtschaft angeblich helfen soll. Er bringt ihr neue Belastungen und keine Hilfe.
So werden Sie die Arbeitslosigkeit nicht beseitigen und die damit zusammenhängenden Probleme nicht lösen können.
Ich will — und auch das in aller Deutlichkeit — einen vierten Punkt nennen: Wer mehr Investitionen und damit mehr Beschäftigung will, der muß dafür sorgen, daß die Rentierlichkeit der Produktion gewährleistet ist. Dieser Grundsatz gilt im übrigen nicht nur für unsere Ordnung, sondern er gilt sogar für eine sozialistische Ordnung. Auch das will ich an die Adresse einiger Leute aus Ihrer Koalition sagen. Und die Koalitionsrechnungen stimmen vielfach nicht mehr. Der überzogene Verteilungsprozeß der letzten Jahre ist eine wesentliche Ursache der mangelnden Beschäftigung.
— Ja, das ist der Unterschied zwischen Ihrer Auffassung und unserer Auffassung.
Wir meinen, daß man die Arbeitsplätze nur sichern kann, wenn auch die Erträge der Unternehmungen stimmen, damit es nicht besser ist, sein Geld auf der Sparkasse anzulegen.
Ich will, weil Sie immer fragen, wo denn die Differenzen zwischen uns liegen, einen fünften Punkt nennen: Wir werden in einem so wichtigen Bereich wie dem der Wohnungswirtschaft, der in allen früheren konjunkturellen Situationen ein Motor des Aufschwungs war, dann und nur dann mehr vorankommen, wenn wir stärker in die Richtung gehen, deren Stärkung auch von der Bevölkerung gewünscht wird, nämlich der privaten Eigentumsbildung. Wir sollten nicht eine Entwicklung weiterbetreiben, bei der auch hier auf Grund bestimmter Gesetze die Rentierlichkeit nicht mehr gewährleistet ist
und bei der die Förderungsmittel primär großen Gesellschaften zufließen, nicht aber dem Bürger, der sie in erster Linie verdient und das Eigenkapital nötig hat.
Ich will einen sechsten Punkt nennen: — ich habe das bereits angedeutet —, den Bereich der Verkehrswirtschaft. — Wer meint, daß es wieder zu einem höheren Wachstum mit weniger Arbeitslosigkeit kommt, ohne daß in drei Schlüsselbereichen, nämlich der Wohnungswirtschaft, der Verkehrswirtschaft und der Energiewirtschaft, die Investitionen erheblich stärker steigen, der irrt.
Meine Damen und Herren, wir werden nur dann, wenn Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik aus einem Ansatz erfolgt, wieder zu mehr Beschäftigung und zu mehr Wachstum kommen. Die CDU/CSU wird ihrem Kurs, die Arbeitslosigkeit zu konservieren und sich dann mit den Folgeproblemen herumzuschlagen, nicht folgen. Wir halten einen anderen Weg für richtig, die Arbeitslosen von der Straße zu bringen, und zwar mit Hilfe solcher Ansätze, über die Sie heute noch lächeln, aber über die Sie nicht mehr lange lächeln werden. Denn solange Sie nicht einen anderen Gesamtkurs in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik verfolgen, werden Sie das Beschäftigungsproblem in unserem Lande nicht lösen.
Diese Regierung beschränkt sich auf kurzatmige Reformhuberei. Sie schafft keinen perspektivischen Gesamtansatz mehr, weil sie mehr mit koalitionsinternen Vereinbarungen
und verbalen Schauakten als mit der Lösung des Grundproblems in unserem Lande, nämlich dem Problem der Arbeitslosigkeit, beschäftigt ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reuschenbach? — Der Redner hat seine Ausführungen beendet.
Meine Damen und Herren, ich darf an das ganze Haus die Bitte richten, den jeweiligen Rednern in Ruhe zuzuhören.
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Der Ton macht die Musik.
So möchte man die Beiträge insbesondere des Kollegen Franke heute mittag hier bewerten. Mit einer gewissen Genugtuung der eine, rechthaberisch der andere,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6413
Cronenbergso wird uns die finanzielle Situation der Rentenversicherung — wie kann es anders sein? — in einem düsteren Bild dargestellt.
— Lieber Herr Kollege Franke, bei Teilen Ihrer Ausführungen — es handelt sich ja um eine Debatte, Herr Kollege Zeitel, wenn ich das in die Erinnerung rufen darf, die sich mit der Konsolidierung unseres Rentensystems beschäftigt und nicht mit allgemeinen wirtschaftspolitischen Fragen, die Sie hier in den Vordergrund gestellt haben und auf die ich gern später eingehen werde —
kam mir in Erinnerung, daß im Rentenrecht die Niveausicherungsklausel von erheblicher Bedeutung ist. Eine solche Niveausicherungsklausel für Teile Ihrer Ausführungen wäre sicher im Zusammenhang damit nicht ganz schädlich gewesen.
Hinweise auf die Vergangenheit sollen hier sozusagen unterschwellig suggerieren: Wir haben es immer gewußt,
wir haben es immer gesagt,
wir haben natürlich die perfekten Lösungsmöglichkeiten in der Tasche,
nur wir können all dies perfekt und ohne Schwierigkeiten lösen.
Heilige Selbstgerechtigkeit, so möchte man beten, hilf uns bei dieser Sache. Mehr Ausgaben, gleiche oder weniger Einnahmen, das ist die Lösung zur Beseitigung eines Defizits, bzw. so füllt man ein Loch, das zweifelsohne vorhanden ist, aus. — Lieber Herr Kollege Franke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte schön!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Cronenberg, darf ich Sie bitten, einmal nachzulesen, und zwar vom 16. Januar 1975 bis nach 1976, daß ich immer gesagt habe, wie auch der Kollege Katzer, wir seien bereit, nach einer gemeinsamen Bestandsaufnahme, sollten wir zum gleichen Ergebnis kommen, auch unpopuläre Maßnahmen mitzutragen. Wir haben nie von perfekten Lösungen gesprochen.
Lieber Herr Kollege Franke, genau weil ich diese Ihre Behauptungen kenne, habe ich eben nicht erklärt, ich behauptete, Sie hätten solches gesagt, sondern sehr bewußt und gezielt
gesagt, Sie suggerierten solches, Sie versuchen, einen solchen Eindruck zu erwecken.
Das ist der entscheidende Unterschied, Herr Kollege Franke. Welcher Sozialpolitiker, der sich seit längerer Zeit mit diesem Fragenkomplex beschäftigt,
kann denn ehrlichen Herzens behaupten, er habe sich nie und zu keinem Zeitpunkt geirrt? Wer kann denn ehrlichen Herzens, Herr Kollege Katzer, behaupten, er trage, obwohl er 1971 ihrem Vorschlag, den Anpassungstermin vorzuziehen, gefolgt ist, nicht die Mitverantwortung für die vorhandenen Defizite?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt?
Auch dies, selbstverständlich.
Herr Kollege Cronenberg, würden Sie dem Kollegen Franke bestätigen, daß er zwar seit Jahren über unpopuläre Maßnahmen gesprochen hat, aber nie gesagt hat, was die CDU/CSU damit meint?
Herr Kollege Schmidt, dies dem Kollegen Franke zu bestätigen, fällt mir trotz gelegentlichen Anerkennens seiner Bemühungen nicht schwer.
Darf ich mit der Genehmigung des Präsidenten den Kollegen Ruf zitieren, Herr Kollege Katzer, und zwar aus der Debatte am 21. September 1972. Von diesem Platz aus hat der Kollege Ruf damals gesagt:
Als besonders wichtigen Erfolg ... sieht die CDU/CSU-Bundestagsfraktion an, daß sie das Vorziehen der Rentenanpassung auf den 1. Juli 1972 durchgesetzt ... hat.
Ich habe den Eindruck, daß damals ein edler Wettbewerb bestand, sich die Feder anzustecken unter dem Motto „wir haben den Anpassungstermin um ein halbes Jahr vorgezogen". Heute ist niemand bereit, die Folgen dieser Maßnahme zu tragen.
Zugegebenermaßen wurde dem zum Schluß von allen
Fraktionen zugestimmt. Diese sozialpolitische Groß-
6414 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn Donnerstag, den 16. März 1978
Cronenberg
tat ist in unzähligen CDU/CSU-Versammlungen gefeiert worden. Sie hat Geld gekostet
— Herr Kollege Müller, lassen Sie mich dies noch sagen —, und zwar, Herr Kollege Katzer, 1972 2,5 Milliarden DM, 1973, Herr Kollege Blüm, 3,4 Milliarden DM, 1974, Herr Kollege Zeitel, 4 Milliarden DM, 1975, Herr Kollege Müller, 4,4 Milliarden DM, 1976, Herr Kollege Hasinger, 5,1 Milliarden DM und 1977, Herr Kollege Franke, 5,2 Milliarden DM.
Wenn man das addiert, kommt man auf 24,6 Milliarden DM, und zwar ohne Zinsen.
Rechnen Sie die Zinsen hinzu, kommt der erstaunliche Betrag von 29,5 Milliarden DM heraus, den diese von Ihnen als Erfolg gefeierte Maßnahme — Vorziehung des Anpassungstermins — gekostet hat.
Herr Kollege Müller, jetzt stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön, Herr Abgeordneter. Müller.
Herr Kollege Cronenberg, können Sie mir bestätigen oder würden Sie wenigstens zur Kenntnis nehmen, daß die Löhne und Gehälter in den Jahren 1969, 1970 und 1971 um 12 und mehr Prozent gestiegen sind, das Rentenniveau 1971 aber auf 41,5 % gesunken ist?
Lieber Herr Kollege Müller, in einem Land, das die höchsten Renten der Welt zahlt, in einem Land mit einem außerordentlich hohen Rentenniveau gebe ich Ihnen gerne zu, daß in jener Zeit das Rentenniveau nicht ganz so hoch gewesen ist. Dies ändert doch aber nichts an der Tatsache, daß diese Mehrausgaben mit zu der Abnahme der Rücklagen und zu jenem Defizit beigetragen haben. Das ist die entscheidende Feststellung, die in dieser Situation und auch hier und heute zu treffen ist.
Es ist doch reiner Zufall, daß es ausgerechnet die Summe von zirka 30 Milliarden DM ist, die mehr in den Kassen wäre — das werden auch Sie nicht bestreiten können, Herr Kollege Müller —, wenn diese Maßnahme nicht ergriffen worden wäre. Ich behaupte nicht, daß die Rentenversicherung keine Probleme hätte, wenn wir diese Maßnahme nicht ergriffen hätten.
Was hier gesagt wurde, gibt mir Veranlassung, einiges klarzustellen.
— Herr Kollege Müller, lassen Sie mich das im Zusammenhang vortragen. Ich habe schon auf ein wenig meiner Zeit zugunsten der CDU/CSU verzichtet, weil ich für eine faire Auseinandersetzung bin. Ich bitte Sie, mir nun nicht noch mehr Zeit durch Fragen zu nehmen, wobei Sie versichert sein können, daß ich alles andere als Angst vor Ihren Fragen habe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Cronenberg, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller ?
Es sei ihm auch dieser Wunsch noch erfüllt.
Herr Kollege Cronenberg, würden Sie mir wenigstens bestätigen, daß dem damals sowohl die FDP als auch die SPD zugestimmt haben?
Dies habe ich hier ausdrücklich erwähnt. Herr Kollege Müller, wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie sich diese Frage in der Tat ersparen können.
Dies gibt mir Veranlassung, in diesem Zusammenhang keine weitere Frage zuzulassen.Auch relativ kleine, bedeutungslos erscheinende Maßnahmen kosten ihren Preis, und zwar langfristig, wie Sie sehen, einen sehr hohen Preis. Dies ist für uns alle Anlaß, die Dinge außerordentlich vorsichtig zu behandeln. Wer aus ehrenwerten Motiven Ursachen mit gesetzt hat, hat moralisch das Recht verwirkt, von diesem Podium aus — wie es der Kollege Strauß in der Haushaltsdebatte getan hat —, folgendes zu behaupten: Die alte Generation wird betrogen, und die kommenden Generationen werden durch dieses System ausgebeutet. — Das gleiche gilt für die Aussage des Kollegen Dr. Dregger: Die Terroristen lassen sie laufen, die Rentner betrügen sie.
Wie kann denn jemand betrügen, also sich oder -Dritten rechtswidrig einen Vermögensvorteil verschaffen, der das 1957 eingeführte Umlagesystem — Sie sind nicht ganz zu Unrecht stolz darauf, daß dieses System damals eingeführt wurde — praktiziert, ein Umlageverfahren, das auf der Erkenntnis basiert, daß die Summe der Einnahmen auf die Summe der Berechtigten verteilt wird? Wenn Sie von Betrug sprechen, heißt das doch nichts anderes, als daß Sie unterstellen, Beiträge, die die Beitragszahler erbracht haben, seien nicht auf die Rentner verteilt worden. Dies ist in der Tat nirgendwo der Fall. Jede Mark, die eingezahlt worden ist, ist entweder den Rentnern zugeteilt worden, in
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6415
Cronenbergdie Rücklage geflossen oder — in einem geringen Umfang — für notwendige Verwaltungskosten aufgewandt worden. Ist es denn Betrug, wenn die Renten von 1970 bis 1976 von 54 % auf fast 75 % des Aktiveinkommens gestiegen sind? Ist es Betrug, Herr Kollege Zeitel, wenn durch eine erfolgreiche Stabilitätspolitik, die Preissteigerungsrate von 7,8 % im Dezember 1973 auf 3 0/o heute gesenkt werden konnte?
Ist es denn Betrug, wenn sich die Kollegen hier redlich bemühen, vernünftige und ausgewogene Lösungen zu finden?Nach diesen Ausführungen müssen hier noch einige grundsätzliche Klarstellungen auch im Interesse der CDU/CSU erfolgen. Denn ich glaube immer noch nicht, verehrte Kollegen von der SPD und auch von meiner eigenen Fraktion, daß bewußte Verunsicherung der Rentner um des parteipolitischen Effekts willen Motiv und Ziel aller Beiträge, die von der CDU/CSU-Fraktion gemacht worden sind, sein kann.Rentner haben nach einem erfüllten Arbeitsleben Anspruch auf eine angemessene Altersversorgung. Sie haben es nicht verdient, für vordergründige Wahlzwecke mißbraucht zu werden.
Es ist daher festzustellen — ich hoffe, ich kann das unwidersprochen tun —: Wir haben zur Zeit unbestritten das höchste Rentenniveau — Herr Kollege Müller, was ich Ihnen gesagt habe —, das es je in diesem Lande gegeben hat und das höher als irgendwo anders in der Welt ist.
Die Renteneinkommen sind seit 1969 stärker gestiegen als die Einkommen der aktiv Tätigen.
Und die Belastungen der aktiv Tätigen — hier hoffe ich zumindest auf die Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion — sind hoch und nicht mehr steigerbar.
Wenn Sie in diesem Zusammenhang immer auf Staatsquote hinweisen, ist das zwar falsch — denn Versicherungsbeiträge fallen nicht unter die Staatsquote —, aber immerhin haben Sie insoweit recht, als Versicherungsbeiträge das frei verfügbare Einkommen der Aktiven mindern.Uns fehlen — das ist richtig —, wenn wir weiter ohne irgendwelche Einschränkungen bruttolohnbezogen anpassen, jene 32 Milliarden DM. Die Rentenversicherungsträger dürfen und können nicht mehr ausgeben, als sie einnehmen oder an Rücklagen auflösen können. Wir alle zusammen haben daher die Verpflichtung, Ausgaben und Einnahmen in Einklang zu bringen. Wie schon häufig und überzeugend dargelegt, halten wir eine generelle Beitragserhöhung bis zum Jahre 1980 für unverantwortlich, insbesondere für unverantwortlich auf dem Hintergrund, den der Kollege Zeitel eben angesprochen hat, nämlich im Hinblick auf beschäftigungspolitische Überlegungen.Die Einkommen der aktiv Tätigen sind hoch belastet. Die möglicherweise vorhandene Erhöhungsreserve ist für 1984 aufzusparen. Wenn also generelle Beitragserhöhungen ausgeschlossen sind, bleibt jedem, der Ausgaben und Einnahmen in Einklang bringen will, nur die Überprüfung der zukünftigen Steigerungen. Aus der Sicht des Rentners ist es dabei völig egal, ob das durch geringere Erhöhungen oder durch einen sogenannten Krankenversicherungsbeitrag erfolgt. Letztendlich stimmt auch hier der Satz: Zum Schluß ist entscheidend, was im Portemonnaie unterm Strich übrigbleibt.
Wir halten es für angemessen, Erhöhungen von 4,5 %, 4 %und 4 % vorzunehmen. Wir wissen uns hier auch mit der Mehrheit der Rentner einig, die viel mehr Verständnis für eine solche Haltung hat, als das dem einen oder anderen berufsmäßigen Kritiker der Regierung und Regierungsbeschimpfer lieb sein mag.
Rentner wollen Preisstabilität. Das ist der beste Beitrag für den Wert ihrer Renten und für den Wert ihres Ersparten. Wir bemühen uns darum mit Erfolg. Rentner wollen eine solide finanzierte Rentenversicherung,
auch wenn die eine oder andere Erhöhung geringer ausfällt, als das erhofft wurde. Rentner wollen nicht, wie der Kollege Strauß es genannt hat, daß die Aktiven ausgebeutet werden. Sie wollen vielmehr, daß ihre Rente durch Beiträge der Aktiven finanziert wird, die eine zumutbare Belastung und nicht mehr sind. Rentner sind zu viel mehr Solidarität bereit, wenn man ihnen die Situation offen und ehrlich schildert, wie das in dieser Debatte nicht zuletzt vom Bundesarbeitsminister getan worden ist.
Aus diesem Grunde habe ich in meinem ersten Beitrag zu diesem Thema von diesem Podium aus in der Haushaltsdebatte 1977 unmißverständlich erklärt, daß bruttolohnbezogene Erhöhungen in der nächsten Zeit nicht zu verantworten sind. Ich weiß mich in dieser Auffassung einig mit einigen .Kollegen der CDU/CSU, u. a. mit Herrn von Bismarck.Jeder Kollege der Opposition, der sich redlich um Lösungen bemüht, hat meinen vollen Respekt. Wer aber behauptet, er habe immer die Wachstumsprognosen für zu hoch gehalten, immer gewußt, die Arbeitslosigkeit würde höher als prognostiziert sein, dann aber als Schlußfolgerung eine Garantie für die bruttolohnbezogene Erhöhung — auch unter Berücksichtigung eines Krankenversicherungsbeitrags — gibt, handelt in meinen Augen nicht seriös.
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6416 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
CronenbergErnsthafte Hilfe bei der Lösung einer schwierigen Aufgabe ist unsererseits sicher erwünscht. Das werden wir in den Beratungen des Ausschusses beweisen. Die Geister scheiden sich nur, wenn es um die Frage geht, ob man um des Effektes willen, um der Wahl willen Verunsicherung will oder aber an einer soliden Konsolidierung des Gesamtsystems interessiert ist.Der Kanzler hatte in München den Mut, den Irrtum einzugestehen.
Haben Sie den Mut,
auf ungerechtfertigte Verunsicherungen
zu verzichten.
Der Mut, einen Krankenversicherungsbeitrag .vorzuschlagen, der nach Ihren eigenen Berechnungen 16 Milliarden DM einspart, ist zwar erstaunlich, aber wenig hilfreich.
Der Rest soll dann durch mehr Wachstum, das — wie könnte es anders sein — automatisch als Manna vom CDU-Himmel fällt, erbracht werden.
Das Prinzip Hoffnung, mit dem wir alle auf den verschiedensten Gebieten sicher nicht unsere besten Erfahrungen gemacht haben, wird aus Ihrer Zauberkiste geholt — just von der gleichen Opposition, die — meines Erachtens gelegentlich mit Recht — realistische Zahlen verlangt, just von der gleichen Opposition, die einen Walter Arendt eines unerträglichen . Zweckoptimismus bezichtigt hat. Was ist denn dies anders, wenn Sie statt realer Berechnungen, statt sauberer Prognosen nur das Element Hoffnung einführen?
Einsparungen durch den Krankenversicherungsbeitrag sind nach Ihren eigenen Maßstäben unzureichend. Sie verlangen doch zu Recht von uns Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit in der Prognose. Sie verlangen von uns realistische Vorschläge, Lösungen, die notfalls hart und unpopulär sind und, wie der Kollege Franke sagte, auch von Ihnen mitgetragen werden können. Aber Sie müssen sich auch gefallen lassen, daß Ihre Vorschläge nach den Maßstäben, die Sie selber gesetzt haben, gemessen werden.Und da kann ich nur sagen: Hehre Grundsätze verkünden und sich selber dann nicht nach diesen Grundsätzen richten, erleichtert möglicherweise die Arbeit der Regierung. Sinnvolle Vorschläge derOpposition sind dies sicher nicht — auch kein Beitrag zur Glaubwürdigkeit.
Nur am Rand sei vermerkt, daß die bruttolohnbezogenen Erhöhungen, vermindert um einen Krankenversicherungsbeitrag, im Ergebnis auch keine bruttolohnbezogene Erhöhung im Portemonnaie des Rentners sind.
Nur am Rand sei auch vermerkt, daß Sie zu Ihrer Zeit dankenswerterweise diese Bruttolohnbezogenheit, diese automatische Dynamik nicht in das 57er Gesetzeswerk eingeführt haben, und zwar, wie ich annehme, aus gutem Grund. Am Rand sei ferner vermerkt, daß Sie nicht immer diese bruttolohnbezogenen Erhöhungen praktiziert haben.Lassen Sie mich noch ganz kurz auf einige Punkte der Ausführungen des Herrn Kollegen Zeitel eingehen. Er hat uns einen Cocktail von Maßnahmen im Wohnungsbau, in der Verkehrswirtschaft und auf anderen Gebieten angeboten. Sicher ist es richtig, Herr Kollege Zeitel, daß alle Maßnahmen in der Sozialpolitik von den Ergebnissen und Erfolgen der Wirtschaftspolitik abhängig sind.
Insoweit, Herr Kollege Zeitel, vermag ich Ihren Grundüberlegungen durchaus zu folgen. Mir schienen diese Ausführungen aber verständlich nur vor dem Hintergrund, daß Sie es vermeiden wollten, auf die in Ihrer Fraktion offensichtlich unterschiedlichen Positionen von nettolohnbezogenen und bruttolohnbezogenen Erhöhungen oder auf die anderen strittigen Fragen einzugehen.Bestätigen, und zwar aus vollem Herzen, will ich ausdrücklich die hier zum Generationenvertrag gemachten Ausführungen. Es ist ganz selbstverständlich, daß dieser Vertrag nur funktionieren kann, wenn die nächste Generation da ist. Insofern ist es sicher unsere Pflicht, mit dafür zu sorgen, daß es möglich ist, daß diese nächste Generation unter vernünftigen Bedingungen aufwachsen kann. Aber es muß auch festgestellt werden, daß die Probleme, die uns zur Zeit bedrücken, nicht Folge des Mangels an nachwachsender Generation sind, sondern daß dies, wie in Prognos-Gutachten geschildert, das Problem der 90er Jahre sein wird.Zweifel haben Sie, Herr Kollege Zeitel, an der Prognostizierbarkeit und an der Richtigkeit der Prognose geäußert. Sie wissen genau, daß ich am allerwenigsten ein Prognosefetischist bin. Aber wer zwingt uns denn zu dieser 15-Jahres-Prognose, die aus meiner Sicht nicht so sinnvoll ist, wie sie seinerzeit erschienen sein mag? Wer hat uns denn gezwungen, solche Prognosen aufzustellen? Wir können das nur nach bestem Wissen und Gewissen machen. Wir können nicht in unsere Prognosen bloß wegen der Hoffnungsfreudigkeit der Kollegen von der CDU einige Prozent Arbeitslosigkeit weniger einbauen. Dies hilft uns wirklich nicht weiter. Wer würde uns dann mit Recht wohl Vorwürfe machen,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6417
Cronenbergwenn wir eine unseriöse Prognose zur Grundlage unserer Überlegungen machen würden?Natürlich ist es richtig, daß ein Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Beitragsaufkommen besteht. Ihre Hinweise auf Amerika und die Statistik dort waren sicher richtig. Nur ist die Statistik insoweit falsch, als Teilzeitarbeitsuchende und Jugendliche nicht in dem Umfang eingebaut werden wie bei uns, also die Arbeitslosigkeit noch höher anzusetzen ist.Die Bundesregierung hat, wie Sie wissen, entsprechende Vorschläge und Gesetze eingebracht bzw. verabschiedet, die dieser Arbeitslosigkeit entgegenwirken sollen. Wir hoffen sehr, daß diese Vorschläge wirksam sind. Wir freuen uns, Herr Kollege Zeitel — hoffentlich mit Ihnen gemeinsam —, daß die Vorschläge des Kollegen Blüm, die flexible Altersgrenze herunterzusetzen, Gott sei Dank nicht realisiert worden sind. Denn die Vermehrung der Zahl der Rentner bei noch weniger Arbeitenden wäre sicher kein sinnvoller Beitrag gewesen.Wir sind sicher, daß die von Ihnen gewünschte solide Wirtschaftspolitik durch den Grafen Lambsdorff realisiert werden wird und vielleicht dann sogar die Möglichkeit besteht, daß die Arbeitslosigkeit ein wenig geringer ist. Nur, falscher Optimismus, nicht gerechtfertigter Optimismus darf nicht Grundlage unserer Lösungsvorschläge sein. Unterschiedliche Lösungsvorschläge sind erbracht worden. Aber immerhin gilt die erfreuliche Feststellung, daß auch Sie Beitragserhöhungen mindestens in dieser Legislaturperiode nicht wünschen.Ich möchte das Angebot des Kollegen Franke zum Schluß annehmen. Er hat mehrmals gesagt, er sei bereit, unpopuläre Maßnahmen mitzutragen. Wir geben Ihnen gern die Möglichkeit, diese vielleicht in dem einen oder anderen Punkt unpopulären, in sich geschlossenen, wirksamen und sozial ausgewogenen Maßnahmen mit zu tragen, und rechnen gern mit Ihrer Unterstützung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Höpfinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Cronenberg, Sie haben uns zur Ehrlichkeit aufgefordert. Ich darf Sie daran erinnern: die CDU/ CSU hat 1976 vor der Bundestagswahl den Rentnern ehrlich gesagt, wie es steht. Wir wurden beschimpft und beleidigt, so sehr beleidigt, daß heute noch Kolleginnen und Kollegen hier im Hause sich betroffen fühlen. Der Herr Bundeskanzler hat es bis heute abgelehnt, seinen Vorwurf gegenüber uns zurückzunehmen. Ich bitte, Sie daran erinnern zu dürfen.
In meinen Ausführungen stütze ich mich auf die Begründung der SPD/FDP-Gesetzesvorlage und auf die Diskussionsbeiträge und Meinungsäußerungen, die in den vergangenen Wochen vorgetragen und veröffentlicht wurden. Meine Grundaussage zu Ihrer Vorlage lautet: Diese Vorlage zerstört alle Grundpfeiler unseres Rentensystems. Die vorgesehene Rentenanpassung ist für Rentner und Beitragszahler nicht mehr berechenbar, nicht überschaubar. Sie führt zur Willkür, und sie ist für uns deshalb unannehmbar.
Der Herr Kollege Glombig hat heute früh gesagt, wir trieben fortwährend ein Rentenspiel mit der Angst. Herr Kollege Glombig und meine sehr verehrten Damen und Herren der SPD und FDP, schauen wir uns doch einmal an, wie die Vergangenheit in Wirklichkeit aussieht. Betrachten wir mal die Vorschläge, die Vorlagen, die Versprechungen und die Wirklichkeit. Der damalige Bundesarbeitsminister Arendt versprach 1976 den Rentnern: „Die bruttolohnbezogene Rente bleibt unangetastet."
„Zumindest netto wird die dynamische Rente bleiben." Zu Beginn des Jahres 1978, gleichsam als Neujahrsgeschenk, verkündete Bundesminister Ehrenberg: „Die Renten sollen besteuert werden." Daraufhin sagte der damalige Bundesfinanzminister Apel — so habe ich es gelesen —, das sei so überflüssig wie ein Kropf. Etwas später sagte Bundesminister Ehrenberg, man müsse überlegen, ob nicht alle Abgaben sozialabgabepflichtig gemacht werden könnten. Daraufhin trat der Deutsche Gewerkschaftsbund dem Herrn Bundesarbeitsminister auf die Zehen.
Der nun vorliegende Vorschlag der Koalition verläßt sogar das System der jährlichen Rentenanpassung. Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sollten wir ja nicht übersehen: daß wir zu einem ganz neuen System der Anpassung kommen, daß hier die Gefahr besteht, hier wird noch einmal über die Rentenanpassung diskutiert, und dann wäre für drei Jahre Ruhe. Die Sicherheitsklausel, die die Regierung sich ausbedingt, soll nichts anderes bewirken, als auftretende Schwierigkeiten am Parlament vorbeizumanövrieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gansel?
Zunächst wollte ich sagen: Der Kampf um Zeit verdrängt die Höflichkeit, aber da heute nachmittag alle Zwischenfragen zugelassen worden sind, möchte ich nicht der einzige Redner sein, der davon abweicht. Bitte schön, Kollege Gansel.
Ich bedanke mich, Herr Kollege Höpfinger. Ich möchte Sie fragen, warum Sie bei Ihrer Aufzählung von Zitaten den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten vergessen haben, der laut „Lübecker Nachrichten" vom 18. November 1977 gesagt hat, daß es, wenn die Rente schon Lohnersatzfunktion habe, unvermeidbar sei, sie der
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GanselI Besteuerung zu unterwerfen und ebenfalls einen Krankenversicherungsbeitrag der Rentner zu erheben.
Herr Kollege Gansel, was ich aufzähle, müssen Sie schon mir überlassen. Wenn Sie etwas beitragen wollen, dann rühren Sie sich, damit Sie bei Ihrer Fraktion als Redner eingeteilt werden!
Man soll auch nicht verkennen, daß Ihre Vorlage, die hier in der ersten Lesung zur Debatte steht, den Rentnern in einem Zeitraum von drei Jahren 6 bis 7 % wegnimmt, gemessen an den bisherigen Anpassungsgrundsätzen. Das ist der Weg der Koalition in der Rentenfrage. Man könnte fast sagen: von der Brutto- über die Netto- zur Nullanpassung. Das lobt der Herr Bundesarbeitsminister noch als „saubere und einfache Lösung".
Herr Bundesarbeitsminister, einfach ist sie schon, aber als sauber kann sie nicht bezeichnet werden.
In der Begründung Ihrer Vorlage ist äußerst interessant, daß sie mit Worten eingeleitet wird: „Die abgeschwächte wirtschaftliche Entwicklung in den zurückliegenden Jahren ...". Das ist also nicht nur auf das Jahr 1977 bezogen, sondern Sie nehmen nun auch hinsichtlich der zurückliegenden Jahre Bezug auf die Wirtschaftsentwicklung. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Koalition, ich möchte Sie fragen: Wer hat uns die Daten zum Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetz vorgelegt? Wer hat ein Wirtschaftswachstum von 5 % angenommen, und nachher hatten wir nur 2,5% erreicht? Wer hat die Arbeitslosenzahlen für 1977 mit 950 000, für 1978 mit 850 000, für 1979 mit 750 000, für 1980 mit 650 000 prognostiziert? Das waren Sie! Nun haben Sie innerhalb eines Jahres Ihrer Auffassung geändert und kommen zu der Prognose von einer Million Arbeitslosen Jahr für Jahr bis 1982. Sie sollten es zugeben: Ihre Wirtschaftspolitik hat versagt, Ihre Finanzpolitik hat versagt! Darum kommen Sie in der Sozialpolitik nicht mehr zurecht.
Das System, wie es heute ist, wird mit Sicherheit bestehen können. Könnten Sie zu diesem Wort noch einmal Stellung -nehmen, wenn Sie heute sagen: 32 Milliarden DM sind erneut zu sanieren? Dabei muß man wirklich betonen: Wir haben die größere Sanierung mit dem Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetz hinter uns, und mit dem Haushalt 1977 sind weitere Milliarden DM in die Sozialversicherung hineingeflossen. Davon war gar nicht so viel die Rede; das ist in der Haushaltsdebatte geradezu untergegangen. Wir haben jetzt also die dritte Sanierungswelle.
SPD und FDP sagen, der Konsolidierungsbedarf sei in ausgewogener Form dargelegt. Ich frage mich: Wo ist dieses Konzept, das Sie uns hier vorlegen, wirklich ausgewogen? Ich sehe darin nichts anderes als das: Erstens. Was jetzt greifen soll, greift nur in die Taschen der Rentner. Zweitens: Andere Belastungen, die Sie in Ihrem Konzept haben, vertagen Sie auf die Jahre nach der nächsten Bundestagswahl, geradezu nach dem Motto: Nach uns die Sintflut, oder: Seht zu, wie Ihr nachher fertigwerdetl
Sie sagen, Ihr Konzept sei an die Wirtschaftsentwicklung gekoppelt. Das ist richtig; aber ich möchte Sie daran erinnern: Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist nur ein Gesichtspunkt für die Rentenanpassung. Die Fachleute wissen das ganz genau. Sie brauchen nur in der Reichsversicherungsordnung nachzusehen, dann finden Sie alle Kriterien zusammen. Man muß also, wenn man Vorschläge macht, schon alle Gesichtspunkte mit berücksichtigen.Was Staunen erregt,. ist Ihre fortwährende Behauptung — sie ist auch schriftlich festgelegt —, die Regelung sei eindeutig als Übergangslösung zu betrachten. Also, da muß man schon fragen: Glauben Sie denn, daß wir die Hose mit der Beißzange anziehen? Fragen Sie einmal die Bevölkerung, wer Ihnen diese Aussage abnimmt. Wenn Sie sich innerhalb eines Jahres dreimal geirrt haben, dann wird man eine Vorhersage, die Sie für einen Zeitraum von drei Jahren treffen, Ihnen kaum als wahr abnehmen. Das glaubt Ihnen doch niemand.
Dann noch ein Wort zu den Vergleichen, die Sie anstellen. SPD und FDP vergleichen immer Nettoeinkommen der Arbeitnehmer und die Rentenhöhe. Hier ist die Schere in der Tat auseinandergegangen. Aber da ist doch auch einmal notwendig, auf die Steuerbelastung derer hinzuweisen, die im Erwerb stehen. Sagt uns denn das nicht etwas, wenn 1978 50 °/o der im Erwerb Stehenden in die Progressionszone der Steuer fallen und wenn es 1980 60 °/o der Erwerbstätigen sein sollen? Wenn 1970 das Aufkommen aus Lohn- und Einkommensteuer 51 Milliarden DM, aber schon 1977 128 Milliarden DM betragen hat? Sie besteuern, Sie belasten die Einkommensempfänger zu sehr. Darum geht die Schere zwischen Nettoeinkommen und Renten fortwährend auseinander.
Der Herr Kollege Glombig hat uns den Vorwurf gemacht — und auch der Minister Ehrenberg hat dies behauptet —, wir hätten keine Vorschläge. Herr Kollege Glombig, Sie haben sogar das Wort gebraucht, die Opposition drücke sich. Ich möchte aber zunächst einmal beim Herrn Bundesminister anfangen. Ich habe in der „Sozialpolitischen Information" vom 8. März gelesen, der Herr Bundesminister habe
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6419
Höpfingersich bei einer Betriebsräteversammlung im Volkswagenwerk mit den Oppositionsvorschlägen zur Rentenversicherung auseinandergesetzt. Also: Wenn wir keine haben, was haben Sie dann dort gesagt? Dann ist entweder die Versammlung ausgefallen, oder es war eine sehr schweigsame Versammlung. Wenn Sie sich aber nur über unsere Vorschläge unterhalten haben, dann haben Sie wahrscheinlich Ihre eigenen Vorschläge verbergen müssen.
Dem Herrn Kollegen Glombig möchte ich sagen: Sagen Sie doch nicht, wir hätten keine Vorschläge! Seit Jahren bieten wir Ihnen an, daß wir in der Einführung des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner mitgehen, weil wir glauben, daß eine bruttolohnbezogene Rentenanpassung beitragsbelastbar sein muß. Seit Jahren lehnen Sie dieses unser Angebot einfach ab.
Warum lehnen Sie es ab? Weil Sie ein schlechtes Gewissen haben. 1968 waren Sie bei der Einführung mit dabei, 1970 haben Sie den Krankenversicherungsbeitrag aufgehoben. Wenn man daran denkt, wie das geschehen ist! In einer eurphorischen Siegesstimmung und Verschenkungseuphorie haben Sie den Rentnern 100 DM Weihnachtsgeld für 1969 versprochen. Dann war das Geld für die 100 DM nicht da, und Sie haben es auf 50 DM gekürzt. Dann war das Geld dafür auch nicht da. Dann haben Sie wieder einen Trick gemacht, den Sie sehr gerne machen: Sie versprachen einem Zweiten etwas und greifen dem Dritten in die Tasche, um es finanzieren zu können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie Zwischenfragen des Herrn Abgeordneten Schmidt und des Herrn Abgeordneten Urbaniak?
Bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Schmidt .
Herr Kollege Höpfinger, würden Sie nun endlich einmal zur Kenntnis nehmen, daß der von Ihnen eben wieder angesprochene sogenannte Krankenversicherungsbeitrag der Rentner der CDU/CSU in Wirklichkeit eine Rentenkürzung zugunsten der Kassen der Rentenversicherung ist und kein Krankenversicherungsbeitrag?
Herr Kollege Schmidt, es ist doch nur eine Frage des Verfahrens, wie man das ändern kann. Wir wollten doch, daß man der Rentenversicherung zur Hilfe kommt. Das wäre auch durchaus leicht möglich gewesen. Das sind doch Dinge, über die braucht man gar nicht zu diskutieren, die braucht man nur auf dem Verwaltungsweg festzulegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Urbaniak.
Herr Kollege Höpfinger, Sie sprechen von Vorschlägen Ihrer Fraktion, die ja in der Presseerklärung zu lesen sind. Da haben Sie u. a. festgestellt, Einsparungen im Bundeshaushalt z. B. bei der Knappschaft seien zur Schließung eventuell verbleibender Rentendefizite zu verwenden. Sagen Sie mal, warum und wie Sie das Leistungsrecht in der Knappschaft reduzieren und das Wohngeld kürzen wollen. Ich wäre für eine Antwort dankbar.
Herr Kollege Urbaniak, als ehemaliger Bergmann würde ich es nie wagen, nicht einmal daran denken, den Kumpels, die in Rente sind, diese auch nur um einen Pfennig zu kürzen.
— Worum es geht, Herr Kollege Urbaniak, ist, daß durch solche Kürzungen im Rentenversicherungsbereich nicht noch zusätzlich der Bundeshaushalt saniert werden soll. Darum geht es.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was in der ganzen Diskussion erschütternd ist, ist immer wieder der Versuch — ich stelle das seit Monaten fest —, einen Neidkomplex zu erzeugen. Die Erwerbsgeneration soll gegen die Rentnergeneration ausgespielt werden. Da hören wir Mitteilungen, wonach die Ersparnisse der Rentner einer negativen Bewertung unterworfen sind. Selbst dem Herrn Bundeskanzler sparen die Rentner zuviel. Wie wäre es sonst möglich, daß der Herr Bundeskanzler über die Sparsamkeit der Rentner gesagt hat — Herr Präsident, ich darf zitieren —:
Es geht sogar so weit, daß die Rentner alle ein Sparbuch unterhalten. Und die sparen nicht für sich — das haben sie nicht nötig —, sondern für die Enkel zu Weihnachten.
Rentner und Pensionäre— das sind rund 12 Millionen Personen in der Bundesrepublik Deutschland —hatten 1974 10,7 Millionen Sparbücher mit einer Sparrate von 53,4 Milliarden.Im Schnitt sind das also 5000 DM pro Sparbuch. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, Durchschnittszahlen sind hier sehr, sehr gefährlich. Es wird Rentner und Pensionäre geben, die mehr als 5000 DM gespart haben, und es wird viele Hunderte von Rentnern geben, die kein Sparbuch besitzen. Man müßte den Herrn Bundeskanzler bitten, sich doch einmal zu erkundigen, wie es bei den 21 % Rentnern und bei den 40 % Rentnerinnen aussieht, die zwischen 450 und 800 DM Rente beziehen, wie6420 Deutscher Bundestag 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978Höpfingerhoch deren Sparbeträge sind. Der Herr Bundeskanzler müßte sich einmal darüber informieren, wie es bei den 10 % Rentnern und bei den 23 % Rentnerinnen aussieht, deren Rente unter 450 DM liegt, wie hoch deren Ersparnisse sind.Man müßte den Herrn Bundeskanzler bitten, sich doch einmal zu erkundigen, wie schnell Rentner arme Leute werden, wenn sie ins Altersheim gehen müssen oder einen Pflegeplatz brauchen.
Dann bekommen die Leute wieder 80 DM Taschengeld. Allein schon die Bezeichnung „Taschengeld" im Zusammenhang mit einem Menschen, der ein ganzes Leben gearbeitet hat!
Aber gut, wenigstens haben sie dann noch etwas. Darüber sollten Sie sich informieren.
Wenn Sie Ihre Anpassungssätze einmal anschauen, dann werden Sie sehen, daß sie genau diesen Personenkreis treffen und die Gemeinden belasten, weil die das über die Sozialhilfe auszugleichen haben.
Man muß den Herrn Bundeskanzler bitten, sich doch einmal die Statistik der Sozialhilfe anzuschauen: 35 bis 40 % der Ausgaben sind für die Heimunterbringung und im Zusammenhang mit der Pflegebedürftigkeit erforderlich.Ich sage Ihnen: Unsere Rentner, die finanziell in der Lage sind, zu sparen, wissen schon, warum sie es tun. Sie haben ein Leben lang das Sparen gelernt. Ich füge auch in aller Ehrlichkeit hinzu: Wenn diese Rentner ihren Enkeln helfen — nicht nur mit Weihnachtsgeschenken —, ist dies auch ein Generationenvertrag, und zwar in umgekehrter Richtung, und eine Hilfe für unsere junge Generation in den Schwierigkeiten unserer Zeit, Schwierigkeiten, an denen die Politik des Herrn Bundeskanzlers und der SPD/FDP nicht ganz unschuldig ist.
Ich halte solche Äußerungen, wie sie der Herr Bundeskanzler gemacht hat, für sehr bedenklich. Sie lassen sich so umschreiben: Die Leute haben zuviel. Die Leute können sogar noch für andere sparen. Gebt 'ihnen, was sie zum Leben brauchen! Mehr ist nicht erforderlich. Das ist eine Beleidigung unserer Rentnergeneration!
Denken wir doch einmal daran: Diese Rentnergeneration ist wohl die benachteiligtste und belastetste Generation dieses Jahrhunderts. Als Kinder und Jugendliche haben diese Menschen den Ersten Weltkrieg und seine Folgen erlebt. Die ersten verdienten Pfennige nahm ihnen die Inflation. Alle Schrekken des Zweiten Weltkrieges hat diese Generation erduldet. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das die Aufbaugeneration, der wir unseren Wohlstand von heute zu verdanken haben.
Damals gab es nicht die Überlegung, ob oder wohin man in Urlaub fährt, sondern die Leute haben gespart, um aus den Schwierigkeiten wieder herauszukommen. Und heute, wo diese Frauen und Männer sich auf einen verdienten sorgenfreien Lebensabend freuen, kommt der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und hält diesen Leuten die 5 Mark Ersparnisse vor. Wo sind wir denn eigentlich?
Bei Vermeidung aller starken Worte muß ich dem Bundeskanzler sagen: Ich hätte Ihnen mehr Ehrfurcht vor dieser Generation und mehr Respekt vor der Leistung dieser Generation zugetraut!
Ich bin der Meinung, mit dieser Formulierung hat der Herr Bundeskanzler die Rentner beleidigt,
und ich bin gespannt, ob er in den nächsten Wochen in der Rentendebatte die Gelegenheit wahrnehmen wird, diese Fehlleistung wieder zurechtzurücken.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der Behandlung dieser Vorlage geht es nicht nur um eine routinemäßige Rentenanpassung. Es geht auch nicht nur um finanzielle Fragen. Hier und jetzt geht es um die Erhaltung unseres bewährten Rentensystems
oder um eine Weichenstellung, die durchaus zur Volksrente führen kann, zu einer Volksrente, die FDP nicht will, die aber bei der SPD schon lange im Bereich der Überlegungen ist.
— Jawohl! Wer die Anträge zum letzten SPD-Parteitag liest, findet meine Aussage bestätigt. Da heißt es: umfassende Rentenreform, Harmonisierung der Versicherungszweige, Rentenmindesthöhe, die Unübersichtlichkeit muß ein Ende haben, und schließlich der Antrag vom SPD-Ortsverband Köln-Klettenberg: Einführung der Volksrente. Das ist der Beweis dafür, und ich glaube, daß Sie sich auf dem besten Wege dorthin befinden.
Wir sind für die Erhaltung unseres bewährten Sozialversicherungssystems und für die Beseitigung der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Schwierigkeiten. Das ist unser Ziel. Im Interesse aller, die von diesem Gesetz betroffen sind, werden wir auch unsere Beiträge in die Diskussion einbringen,
im Interesse der Beitragszahler, im. Interesse derRentner, im Interesse der Unfallrentner, im Interesseall derer, die Bezüge aus der landwirtschaftlichen
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HöpfingerAlterskasse erhalten, und auch im Interesse der Kriegsopfer. Wir wollen nach wie vor, daß sich das erfüllte Arbeitsleben eines Menschen in seiner Rente widerspiegelt. Wir wollen, daß die Rente berechenbar, durchschaubar bleibt. Wir wollen kein System der Willkür.Ich darf mich zum Schluß noch einmal an den Kollegen Glombig wenden: Ich frage mich, was Ihr Hinweis auf Sonthofen in dieser Debatte bedeuten sollte. Ich sage Ihnen aber eines: Sie und alle Ihre Freunde in der SPD sollten aufhören, Franz Josef Strauß zum Buhmann der Nation machen zu wollen.
Erstens gelingt es Ihnen nicht, zweitens beweist Ihnen Franz Josef Strauß immer wieder, daß er recht hat, und drittens trägt dieser anhaltende Versuch Ihrerseits nicht dazu bei, das politische Klima bei uns zu verbessern.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Lutz.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Heute mittag hat der Kollege Franke gesprochen, und er war mächtig aufgeregt, er gab sich mächtig aufgeregt. Dann sprach der Kollege Zeitel, und er war auch schrecklich aufgeregt. Jetzt sprach der Kollege Höpfinger aus Augsburg. Er war noch viel aufgeregter. Außerdem hat er auf infame Weise versucht, ein Kanzlerwort umzudeuten.
Der Kanzler hat gesagt, es sei aus konjunkturpolitischen Gründen besser, im Moment nicht so viel zu sparen. Und was machen Sie daraus? Einen Vorwurf angeblich an die Adresse der Rentner, daß wir ihnen die Anlegung von Ersparnissen neideten. So kann man nicht diskutieren.
Wir Nürnberger reagieren auf künstlich aufgesetzte Aufgeregtheiten mit einem „Allmächt" Das Wort hat viele Bedeutungen. Es kann anerkennend sein, es kann abwertend gemeint sein. Auf die eben gehörte Rede würde ich kein schmeichelhaftes „Allmächt– gesagt haben wollen.In Nürnberg würde man Sie nämlich fragen, meine Damen und Herren, wie das mit dem 32-MilliardenDM-Defizit ist, das es zu schließen gilt, das der Rentenversicherung drohen könnte, wenn wir nicht handelten. Das wäre ein Vorwurf an jede Regierung, von welcher Seite des Hauses sie auch gestellt sein möge.Wir können nicht im Lotto spielen. Auch Sie können nicht im Lotto spielen. Wir sagen deshalb den Rentnern sehr ehrlich, daß wir von Ihnen ein Opfer erwarten. Natürlich erwarten wir ein Opfer auch von den Beitragszahlern.Ihrem Konzept zufolge langen Sie nur den Rentnern in die Tasche, ausschließlich den Rentnern,
wenn auch mit der anderen Hand.
— Ich bitte Sie, Herr Katzer! Seit 1975 singen Sie und Ihre Kollegen Rentneruntergangsarien. Zwischendurch gab, was Sie gern unterdrücken, Ihr Generalist, Herr Kohl, wohl eine diffuse Sozialgarantie ab. Und dann haben Sie wieder angefangen, Untergangsarien zu singen.Was ist denn nun geschehen? Fragen Sie doch mal die Rentner! Die Rente wurde 1976 erhöht. Die Rente wurde 1977 erhöht. Die Rente wird 1979 erhöht. 1980 wird sie erhöht, auch 1981.
Was also wird ein Rentner tun, der von Ihnen permanent verängstigt wird, aber alle Jahre kopfschüttelnd feststellt, daß seine Rente steigt? Irgendwann — ich hoffe, sehr bald — würde er Ihnen nicht mehr so recht glauben wollen.
Auch wenn wir, meine Damen und Herren von der Opposition, nicht die Mengenlehre, sondern nur die einfache Mathematik bemühen, dann wird eine Rente von heute 1 000 DM im nächsten Jahr auf 1 045 DM steigen. 1980 werden es 1 086,80 DM und 1981 1 130,27 DM sein. Die Renten werden nach wie vor steigen, und sie steigen stärker, als sie nach Ihrem Konzept steigen könnten.
Unser in der Presse so hoch geschätzter Kollege Blüm, den Sie zu ertragen haben und den wir teilweise schätzen,
hat eine besonders interessante Variante zur Rentensanierung beigebracht. Herr Kollege, in einem bekannten Nachrichtenmagazin formulierten Sie ebenso umwerfend wie komisch, der erste Punkt der Rentensanierung heiße, die Wirtschaft wieder flottzumachen.
„Allmächt" würde da auch wieder ein Nürnberger sagen, weil eine solche Aussage, schlicht nur so dahingeredet, schwachsinnig erschiene. Herr Kollege Blüm weiß eine ganze Menge davon, wie Vollbeschäftigung nicht erreicht wird.
Im gleichen Interview tut er z. B. kund: Wir können weder das Problem der Arbeitslosigkeit noch das der Lohngerechtigkeit, noch das der Alterssicherung mit den alten kapitalistischen Wachstumsideen lösen. Allmächt'! Wie dann, bitte?
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6422 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
LutzHerr Kollege Blüm weiß, daß wirtschaftliche Wachstumsraten mit positiven beschäftigungspolitischen Effekten so etwa um die 6 O/o Wachstum angesiedelt wären. Der Herr Kollege Blüm bezweifelt, daß mit dieser Regierung derartige Wachstumsraten zu erreichen sind. Ihm deucht, daß Herr Kohl, falls er Regierungschef würde, offensichtlich derartige Wachstumsraten herbeizaubern könnte. Wie denn, bitte?
Herr Kollege Blüm, ich halte Sie im Gegensatz zu Ihrer Selbsteinschätzung nicht für einen sozialpolitischen Rocker, und Sie würden sich mit Recht dagegen verwahren, wenn Ihnen jemand einen solchen Vorwurf machen wollte.
Aber unser Verdacht, daß Sie manchmal ein bißchen ein sozialpolitischer Dampfplauderer sind,
ist mit diesem Interview nicht auszuräumen gewesen.
Wenn Sie nämlich von der Beschäftigungspolitik an die Rentensanierung herangehen wollen und dies als imaginäre Größe in Ihr Konzept einbinden, ohne es zu quantifizieren, dann müssen Sie sich folgende Fragen gefallen lassen. Erstens, mit welchen Milliarden über die bereits eingesetzten Milliarden hinaus wollen Sie die Investitionsbereitschaft der privaten und der öffentlichen Hände stimulieren? Sollte es etwa so gehen, wie es der Herr Kollege Professor Zeitel hier gesagt hat, der ja keine Rentenrede, sondern ganz offensichtlich eine Renditenrede gehalten hat.
Wo also, bitte, nehmen Sie die benötigten Milliarden her, um die Wirtschaft zusätzlich weiter anzukurbeln, wie Sie es fordern? Und wie wollen Sie außenwirtschaftliche Einflüsse binnenwirtschaftlich auffangen, konterkarieren? Wie wollen Sie die Wirtschaft umdrehen? Ich fürchte, Sie werden sich nicht einmal bemühen dürfen, auf diese drei Fragen eine Antwort zu geben, weil sie im Grunde nicht beantwortbar sind, zumindest nicht nach Ihrer Konzeption.
— Allmächt, was sind Sie schon wieder aufgeregt!
Vollbeschäftigung — übrigens eine gar nicht so unkalkulierbare Größe jetzt in der Rentenversicherung — läßt sich nun mal nicht herbeikohlen. Vollbeschäftigung oder nicht Vollbeschäftigung ist von vielen volkswirtschaftlichen Daten abhängig. Das wissen wir. Und erfreulicherweise entsprechend vorsichtig ist der Rentenanpassungsbericht der Regierung ausgefallen. Vollbeschäftigung hängt ab vom außenwirtschaftlichen Geschehen, vom Dollarkurs, von der binnenwirtschaftlichen Nachfrage, vom Sparverhalten der Bürger, seien sie jung oder alt, von der Investitionsbereitschaft der Wirtschaft, von der Konsumfreudigkeit.
All dies in ein Rentenfinanzierungskonzept einzubinden, über mehr Beschäftigung nicht gedeckte zwölf Milliarden herbeizubeten ist im Grunde kurzatmig, töricht, unsolide.
Als Ihr Herr Höpfinger gerade eben dies und jenes über die Zukunft der Rentenfinanzen äußerte, als Ihr Herr Kohl seine Interviews gab, als Sie versuchten, über die fehlenden zwölf Milliarden in Ihrem Konzept hinwegzureden, war Ihrem Herrn Strauß ein bemerkenswerter Umstand aufgefallen. Der Herr Strauß bemerkte, daß man offenbar doch was zu den fehlenden zwölf Milliarden Mark sagen müßte, und dann hat er es getan, anders, als Sie es hier tun, und dafür haben wir zu danken. Der Herr Strauß hat mit wünschenswerter Deutlichkeit kundgetan, von woher er die fehlenden zwölf Milliarden beizubringen gedenke. Strauß im Originaltext der „Augsburger Allgemeinen" —: Es müßten die Bundeszuschüsse zur Knappschaft gekürzt,
und es müßten die Bedingungen des Wohngeldes neu überdacht werden. Was heißt denn das? Das kann doch nur heißen, daß Sie die Knappschaftsrenten kürzen wollen.
Das kann nur heißen,
daß Sie den Kreis der Wohngeldbezieher drastisch reduzieren wollen
und daß Sie, wenn das auch wieder alles nicht reichen sollte, noch einmal einen kräftigen Griff in die Taschen der sozial Schwachen tun werden.
Dann sagen wir Nürnberger nicht mehr „Allmächt'!", sondern dann jagen wir Sie dahin, wo Sie mit derlei Überlegungen hingehören, nämlich zum Teufel.
Nun kann der Herr Strauß das möglicherweise gar nicht so gemeint haben, er kann mißverstanden worden sein, und er kann möglicherweise auch nur für die CSU geredet haben. Es kann auch reiner Zufall sein, daß der Kollege Blüm in dem schon mehrmals zitierten Interview mit dem Nachrichtenmagazin auch an die Knappschaft und an das Wohngeld dachte. Das ist ihm ganz offensichtlich sehr spontan eingefallen. Dann sage ich Ihnen ganz
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Lutzoffen: Wenn der Herr Strauß und der Herr Blüm die gleichen Einfälle haben, dann allerdings traue ich dem Frieden schon gar nicht mehr.
Die Rentendebatte ist — und das versuchen Sie ganz offensichtlich aus Ihrem Bewußtsein zu verdrängen — nicht ohne den gesamtgesellschaftlichen Hintergrund zu führen. Die schwierige wirtschaftliche Lage scheint es einigen auf der Arbeitgeberseite erreichbar zu machen, 25 Jahre Sozialkonsensus zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, ohne die unser wirtschaftlicher Aufstieg gar nicht denkbar gewesen wäre, aufzukündigen. Bei Ihnen, Herr Professor Zeitel, liest sich das als „überzogener Verteilungsprozeß". Wollen Sie jetzt die Umverteilung überziehen mit allen negativen gesamtgesellschaftspolitischen Folgen?
Die Mitbestimmung, bei Kohle und Stahl wirklich paritätisch und jetzt in einer abgemilderten Form auf die Großbetriebe der übrigen Wirtschaft übertragen, wird von der Wirtschaft bekämpft. Hier werden Daten gesetzt, die das Klima im Lande vergiften.
Ich glaube, nicht jedem, der da diesen Weg für richtig hielt, wird bewußt, was am Ende stehen könnte, wenn es zu dieser weiteren Eskalation käme. Man will das Jugendarbeitsschutzgesetz ändern, und man scheut sich gar nicht, das ganz offen zu sagen. Man will die Axt an wichtige Punkte des Schwerbehindertengesetzes legen. Man fühlt sich stark genug, das gesamtgesellschaftliche Kräfteparallelogramm in Frage zu stellen.Und Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, merken noch nicht einmal, falls Sie solchen Auffassungen zuneigen sollten, an welchem gesellschaftlichen Pulverfaß Sie herumzündeln.
Möglicherweise ist es aber auch ganz anders. Möglicherweise wollen Sie den Konflikt. Möglicherweise versprechen Sie sich davon politische Vorteile. Das ist nicht gut.Aufgabe der Politik ist es, redlich zu handeln,
allen Gruppen der Bevölkerung gegenüber. Aufgabe der Politik ist es, nicht die Rentner in einen Konflikt mit den Rentenbeitragszahlern zu treiben. Aufgabe der Politik ist es, in schwierigen wirtschaftlichen Situationen den natürlichen Konflikt zwischen den Tarifvertragsparteien abfedern zu helfen, nicht anzuheizen. Aufgabe der Politik wäre es, allen Bürgern klarzumachen, wo Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Einflußnahmen sind. Aufgabe der Politik wäre es, das Parlament als so handlungsfähig erscheinen zu lassen, wie es tatsächlich ist.
Sie dagegen und Ihre drei Herren, die bislang gesprochen haben, wollen die Unfähigkeit, zu politischen Lösungen zu kommen, aus eigensüchtigen politischen Motiven hier darzustellen versuchen.
Das gelingt Ihnen in der Tat nicht. Sie sagen, mit Kohl werde alles besser, und hoffen im Grunde, daß mit Bundeskanzler Schmidt die Probleme gelöst werden, die Sie ja nicht zu lösen vermögen.
Das meinen Sie selber auch. Sie können es nicht offen zugeben.
Wir werden das 21. Rentenanpassungsgesetz zügig beraten und sachgerecht beschließen. Wir werden schlußendlich ein ausgewogenes Konzept verabschiedet haben, und die Rentner werden nicht verunsichert sein.
Sie werden merken, es steigt ihre Rente 1979, sie steigt 1980, sie steigt 1981.
Der Generationenvertrag wird von uns erfüllt, undramatisch und ohne daß wir jemandem Angst machen wollen.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.Sie ersehen den Vorschlag des Ältestenrates für die Überweisung aus der Tagesordnung. Wer diesem Überweisungsvorschlag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr Punkt 4 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksache 8/361 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/1609 —Berichterstatter: Abgeordneter Waltherb) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 8/1602 —
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6424 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Vizepräsident Frau FunckeBerichterstatter:Abgeordneter KreyAbgeordneter Wittmann Abgeordneter Wolfgramm (Göttingen)
Die Berichterstatter bitten, bei dem Bericht des Innenausschusses folgende redaktionelle Berichtigung zur Kenntnis zu nehmen. In § 11 Abs. 2 Nr. 1 muß es in der Klammer statt „§ 9 Abs. 3 Satz 3" heißen „§ 9 Abs. 3 Satz 4". In § 27 muß es in der ersten Zeile statt „Die §§ 107 und 108 c" heißen „Die §§ 107 bis 108 c".Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur allgemeinen Aussprache gewünscht? — Dazu Herr Abgeordneter Krey.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die seit langem gewünschte Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen zum Europäischen Parlament ist am 20. September 1976 vom Rat der Europäischen Gemeinschaften beschlossen worden. Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages haben diesem Beschluß und dem ihm beigefügten Akt zugestimmt.Dieser erfreulichen Übereinstimmung standen jedoch kontroverse Auffassungen zum Entwurf eines Europawahlgesetzes gegenüber, mit dem wir uns hier und heute erneut zu befassen haben. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, für die Fraktion der CDU/CSU zunächst feststellen, daß wir es sehr begrüßen, wenn nun insbesondere bezüglich des anzuwendenden Verfahrens zur Wahl der 81 deutschen Mitglieder des Europäischen Parlaments eine gemeinsame Lösung gefunden werden konnte. Grundlegende Wahlgesetze sind bisher in diesem Parlament nicht gegen die Auffassung einer Seite durchgesetzt worden. Mit den Ergebnissen dieser Übung mochte mancher manchmal unzufrieden sein, aber sie hat sich durchgesetzt, und ich glaube, aus guten Gründen. Legen doch die Wahlgesetze die Regeln fest, nach denen Bewerber und Wähler ihren Beitrag zur Bildung eines unserer Verfassungsorgane zu leisten haben. So sehen wir denn auch in dem zu solcher Einigung notwendigen Kompromiß einen politischen Wert von hohem Rang.Wie Sie alle wissen, meine Damen und Herren, war es bei dem uns heute vorliegenden Wahlgesetz nicht leicht, diese Einigung zu erzielen. Zu weit lagen zunächst die gegensätzlichen Positionen auseinander. Die CDU/CSU-Fraktion hat sich von Anfang der Beratung an für ein bürgernahes, der bundesstaatlichen Ordnung entsprechendes und damit dem geltenden Bundestagswahlrecht möglichst nachgebildetes System ausgesprochen. Wir bedauern es auch heute noch, daß es nicht möglich war, einen gemeinsamen Weg zu finden, der auch die Elemente der Persönlichkeitswahl berücksichtigt hätte. Gerade die Zielsetzung, die wir mit dem Europawahlgesetz verfolgen, Europa, seine Bedeutung, seine Aufgabe, seine Probleme dem Bürger nahezubringen, hätte, davon bin ich überzeugt, in einem System mit Wahlkreisen und der darin möglichenunmittelbaren Wahl von Kandidaten noch wirkungsvoller verfolgt werden können.
Meine Damen und Herren, wir alle gehen davon aus, daß es notwendig ist, in Zukunft ein einheitliches Wahlverfahren für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zu schaffen. Bis dahin werden wir unseren hier eingeschlagenen Weg zu gehen haben. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Wahlverfahren, wie es nunmehr vom Innenausschuß vorgelegt wird, zu, wonach die Wahl der Europaabgeordneten nach den Grundsätzen der Verhältniswahl mit Listenwahlvorschlägen erfolgt, die entweder für ein Land oder als gemeinsame Liste für alle Länder aufgestellt werden können. Wir halten die Landesliste für wesentlich geeigneter als die Bundesliste, um die notwendigen Beziehungen zwischen den zu Wählenden und ihrer Region herzustellen, Parteien und Wähler unmittelbarer zu beteiligen und die Bundesrepublik Deutschland als föderativen Staat in Europa darzustellen.
Wir begrüßen es, daß über die verfassungskonforme Möglichkeit der Doppelkandidatur ein Weg gefunden wurde, der auch die nach Einwohnerzahl kleinsten Bundesländer — Bremen und das Saarland — in ein solches System mit einbezieht. Wir alle wissen, daß diese Regelung schwieriger Beratungen bedurfte.Ich möchte hier ausdrücklich allen Beteiligten auf allen Seiten dieses Hauses, aber auch ganz besonders den Mitarbeitern des Bundesministers des Innern und der beteiligten Ausschüsse ein Wort des Dankes für die Bewältigung der nicht leichten Aufgabe sagen, diese politischen Entscheidungen zu begleiten.
Bei aller kritischen Würdigung und auch angesichts dessen, daß vielleicht noch elegantere Lösungen erwartet wurden, bleibt festzuhalten: Das gewählte Verfahren ist praktikabel, und zwar sowohl für die Wähler als auch für die sich bewerbenden Parteien. Es wird auch für die bei der Wahl zu beteiligenden Ausschüsse und Verwaltungen keine Schwierigkeiten bringen. Die Parteien selbst haben die Möglichkeit, ihre bisherigen Bestimmungen bei Kandidatenaufstellungen anzuwenden. Anders als im Bundestagswahlrecht ist die Möglichkeit zur Benennung von Ersatzbewerbern gegeben. Ich möchte jedoch nicht verhehlen, daß wir es begrüßen würden, wenn auch noch in zwei anderen für uns wichtigen Punkten, die bisher kontrovers waren, hier und heute eine Einigung erzielt werden könnte.Wir haben bereits bei der ersten Lesung sowie in den Beratungen des Gesetzentwurfes in den Ausschüssen darauf hingewiesen, daß wir die Ausdehnung des aktiven Wahlrechtes auf alle — auch die im Ausland lebenden — Deutschen bei Festsetzung notwendiger zeitlicher Begrenzung als wichtig und konsequent ansehen.
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KreyDer Entwurf, wie er uns heute vorliegt, kommt unserem ersten Vorschlag schon über mehr als die Hälfte des Weges entgegen, indem er die Deutschen im EG-Ausland an der Wahl teilnehmen läßt. Um so leichter sollte es Ihnen möglich sein, auch das letzte Stück des Weges gemeinsam mit uns zu gehen und grundsätzlich alle Deutschen im Ausland, wie in dem vorliegenden Änderungsantrag vorgesehen, einzubeziehen. Die dagegen angeführten Gründe haben wir bis heute nicht zu akzeptieren vermocht. Wir würden mit der Erweiterung des aktiven Wahlrechtes den immer wieder laut gewordenen dringenden Wünschen unserer Landsleute entsprechen, denen zumeist dienstliche Pflichten einen vorübergehenden Verzicht auf einen Wohnsitz im Bundesgebiet abverlangen. Gerade diese Landsleute verfolgen die politischen Vorgänge in der Heimat, wie viele von uns wissen, oftmals mit größerer Aufmerksamkeit als viele andere, denen das aktive Wahlrecht als ein Mittel der politischen Beteiligung und der Einflußnahme zur Verfügung steht.
Wir haben einen diesbezüglichen Änderungsantrag vorgelegt und würden uns freuen, wenn er auch Ihre Zustimmung fände.
Das Gesetz sieht entsprechend den Festlegungen im Akt der Europäischen Gemeinschaften die Möglichkeit vor, daß Mitglieder des Deutschen Bundestages zugleich auch Europaabgeordnete sein können. In welchem Umfang von dieser Möglichkeit Ge-brauch gemacht wird, wird sicher auch nach den bisherigen Erfahrungen wohl abzuwägen sein. Wir verhehlen nicht, daß die Belastung durch ein Doppelmandat große Probleme mit sich bringt.
Ich gehe davon aus, daß die Parteien von der hier nun vorgesehenen Möglichkeit behutsam Gebrauch machen werden. Diese Möglichkeit besteht aber nun einmal, und ihre Wahrnehmung bei der ersten Direktwahl wird nicht zuletzt auch mit einem Handeln im Sinne der europäischen Aufgaben begründet. Nach unserer Auffassung sollte dies dann aber auch für Mitglieder von Landesregierungen gelten, falls einzelne solcher Persönlichkeiten sich zugleich zur Kandidatur um ein Europamandat zur Verfügung stellen möchten. Wir alle wissen, daß die notwendige Popularisierung der Europawahl nur mit großen Mühen zu erreichen sein wird. Die Teilnahme einzelner Mitglieder von Landesregierungen könnte dabei hilfreich sein. Sie von vornherein auszuschließen, ist rechtlich bei dieser ersten Direktwahl nicht geboten und politisch nach meiner Auffassung ein törichter Perfektionismus, den wir vermeiden sollten. Wir bitten Sie also auch um Zustimmung zu diesem unserem Änderungsantrag, der ja auch den Vorstellungen des Bundesrates entspricht.
Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes wird ein wichtiger Schritt im Sinne Europas, im Sinne eines gemeinsamen Europas getan. Wir werden recht bald die Verabschiedung des Europaabgeordnetengesetzes vorzunehmen haben. Schließlich hoffen wir, daß bereits in wenigen Tagen — nach Ostern — Klarheit über den Wahltermin geschaffen wird. Wir fordern die Bundesregierung auf, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um diese wichtige Aufgabe bei der Vorbereitung der europäischen Wahlen zu leisten. Wir dürfen nämlich nicht übersehen, daß durch die inzwischen eingetretene zeitliche Verzögerung neue Probleme hinsichtlich der Aktivierung der Bürger entstanden sind. Es ist, glaube ich, wichtig, das zu erkennen.Es wäre verhängnisvoll, wenn die Bürger diese erste direkte Wahl zum Europäischen Parlament nicht als eine für uns alle entscheidende Aufgabe ansähen. Es wäre aber auch verhängnisvoll, wenn die europäische Einigung nach der Wahl des gemeinsamen Parlaments nicht vorangebracht würde, weil seine Zuständigkeiten beim Status quo verbleiben.Mit großer Freude haben wir in diesen Tagen gehört, daß sich in Berlin junge Christliche Demokraten aus allen Ländern des freien Europas für die baldige Durchführung der Wahlen und die Erweiterung der Befugnisse des Parlaments erneut ausgesprochen haben.
Die Lösung dringender Aufgaben der gemeinsamen europäischen Außen- und Innenpolitik hängt entscheidend davon ab, daß man nicht nur über Europa redet, sondern auch seine Handlungsfähigkeit erweitert und stärkt. Für die Bürger wird es dabei wichtig sein, zu erfahren, wie sich die Parteien den Weg in die Zukunft Europas vorstellen.Es ist unsere gemeinsame Auffassung, daß den Parteien die notwendigen Kosten eines angemessenen Wahlkampfes erstattet werden. Die gefundene Regelung entspricht dem bei den Bundestagswahlen üblichen Verfahren. Nach den uns vorliegenden sehr eingehenden Informationen entspricht der im Gesetz vorgesehene Betrag bei strengen Maßstäben dem mindestens erforderlichen Aufwand zur wirksamen Vorbereitung der Wahl.Lassen Sie mich noch ein Wort zu Berlin sagen. Die auf Berlin entfallenden Mitglieder des Europäischen Parlaments werden, wie das auch bei der Bundestagswahl der Fall ist, vom Berliner Abgeordnetenhaus gewählt. Wir haben immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß die Sonderregelungen für Berlin auf das unumgängliche Mindestmaß beschränkt bleiben müssen, und hoffen auch, daß die Bundesregierung diese unsere Auffassung bei allen noch notwendigen Verhandlungen, insbesondere auch bei den sich aus dem Gesetz ergebenden Maßnahmen, berücksichtigt. In jedem Falle begrüßen wir es, daß sich nach dem gefundenen Kompromiß in der Frage des Wahlsystems der Unterschied der Wahlvorgänge in Berlin und im übrigen Bundesgebiet weniger weitgehend darstellt als nach dem ursprünglichen Entwurf.Wir, CDU und CSU, werden gemeinsam mit unseren europäischen Freunden unseren Beitrag dazu leisten, daß die Direktwahl zum Europäischen Parlament kein einfacher, kein formaler Vorgang in der Änderung des Wahlverfahrens ohne Konsequenzen
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6426 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
KreyI wird. Wir hoffen, ja wir glauben zuversichtlich, daß uns dieser Schritt einem wirklich und dauerhaft geeinten, freien, handlungsfähigen Europa als Schutz und Motor seiner Völker näher bringt.
Wir, CDU und CSU, denken heute in besonderer Weise an die mutigen und richtungweisenden politischen Leistungen von Konrad Adenauer, Robert Schumann und Alcide de Gasperi. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes wird ein weiterer wichtiger Schritt auf dem von diesen Staatsmännern begonnenen Weg getan.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wittmann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eineinhalb Jahre ist es nun her, daß der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft beschlossen hat, allgemeine, unmittelbare Wahlen zum Europäischen Parlament durchzuführen. Dies war ein historisches Ereignis in der Geschichte der europäischen Einigungsbestrebungen. Bis zu diesem Zeitpunkt fehlte es nämlich an der verbindlichen Absprache über die Durchführung der Wahlen zum Europäischen Parlament.
Wenn wir heute in zweiter und dritter Lesung das europäische Wahlgesetz verabschieden, schaffen wir damit die Voraussetzungen, um zu gegebener Zeit die 81 Abgeordneten — 78 im Bundesgebiet und 3 Berliner Abgeordnete — wählen zu können, die die Bundesrepublik Deutschland in Europa repräsentieren sollen.
Der Kollege Krey hat hier eine Empfehlung gegeben, man hätte doch Wahlkreise schaffen sollen. Dazu möchte ich darauf hinweisen, daß man den ursprünglichen Vorschlag der CDU/CSU nicht mal mehr in den Innenausschuß eingebracht hat, weil man erkannt hat, daß es unpraktisch ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Herrn Dr. Lenz?
Bitte schön, Herr Kollege Lenz.
Herr Kollege Wittmann, meinen Sie wirklich, daß es nach den Verhandlungen, die leztes Jahr und dieses Jahr stattgefunden haben, sinnvoll gewesen wäre, das ganze Wahlgesetz noch mal von Anfang an aufzufieseln und noch einmal Punkt für Punkt in den Ausschüssen zur Abstimmung zu bringen? Oder meinen Sie nicht, daß es vernünftig war, sich auf jene Punkte der Änderung zu beschränken, auf die man sich geeinigt hatte?
Kollege Lenz, dann hätte eben der Kollege Krey nicht so tun sollen, als
ob wir das zurückweisen. Es war eben nicht sinnvoll. Wir haben Probleme genug. Ich denke an die Bundestagswahlkreis-Neueinteilung; ich denke daran, wie mühsam nun in Nordrhein-Westfalen die neuen Wahlkreise zurechtgeschnitten werden. Ich übertrage die Möglichkeit einmal auf Bayern. Unterstellen wir, wir hätten 78 Wahlkreise. Dann wären es in Bayern 10 gewesen. Jeder Regierungsbezirk entspricht etwa 5 Bundestagswahlkreisen. Jeder hätte einen Europa-Wahlkreis gekriegt. Wer mir erzählen will, das sei bürgernah, der hält eine Märchenstunde ab.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz.
Bitte schön.
Herr Kollege Wittmann, würden Sie mir nicht darin zustimmen, daß auch ein bayerischer Regierungsbezirk als Wahlkreis immer noch kleiner ist als die Bundesrepublik Deutschland, wenn Sie Bundeslisten machen?
Herr Lenz, ich stimme Ihnen natürlich zu, daß die Regierungsbezirke kleiner sind. Aber sie sind sehr wichtige Räume in unserem Gebiet. Sie sind freilich viel zu groß, um als Wahlkreis zu gelten. Ich weiß nämlich, wovon ich rede. In Niederbayern haben wir fünf Wahlkreise. Da gibt es zwei SPD-Abgeordnete. Das heißt, ich muß davon zweieinhalb abdecken. Und das macht schon eine Menge Arbeit. Ich könnte mir nicht vorstellen, wie es wäre, wenn ich fünf abdecken müßte.
Wenn die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dem nun gefundenen Kompromiß im Wahlsystem für die Wahl des Europäischen Parlaments zustimmt, dann deshalb , weil nach dem neuen System neben den Landeslisten auch eine gemeinsame Liste für alle Bundesländer, d. h. eine Bundesliste, aufgestellt werden kann. Nur dieses System der Bundesliste trägt der Tatsache Rechnung, daß die Bundesrepublik Deutschland als Ganzes Mitglied der Europäischen Gemeinschaft ist — und nicht die einzelnen Bundesländer.Ich halte es auch für sehr fragwürdig, sich den Bürgern gegenüber stets europäisch zu geben, aber in der Bundesrepublik Deutschland die Ländergrenzen nicht überspringen zu können.Die Wahl nach Bundesliste, die die sozialdemokratische Partei anwenden wird, trägt auch dazu bei, daß bei der Aufstellung der Kandidaten die politische und sachliche Qualifikation den Ausschlag gibt. Um die regionale und quantitative Ausgewogenheit der deutschen Abgeordneten im Euro-
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Wittmann
päischen Parlament für die Dauer der Wahlperiode zu gewährleisten, wurde die Möglichkeit geschaffen, Ersatzkandidaten zu benennen.Um den Parteien, die ihre Kandidaten nach Landeslisten aufstellen, die Möglichkeit zu geben, auch Kandidaten aus kleineren Ländern — wie z. B. Bremen und Saarland — ins Europäische Parlament entsenden zu können, mußte die Möglichkeit der Doppelkandidatur geschaffen werden. Aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Chancengleichheit der Bewerber mußte eine gesetzliche Regelung gefunden werden, die das Auswahlrecht durch den Kandidaten selber ausschließt. Bewerber, die auf zwei Listen gewählt werden, bleiben auf der Liste unberücksichtigt, auf der sie an späterer Stelle benannt werden. Lassen Sie mich das an einem Beispiel darstellen. Wird ein Kandidat sowohl im Saarland als auch im Land Rheinland-Pfalz aufgestellt, z. B. im Saarland an zweiter Stelle und. in Rheinland-Pfalz an dritter Stelle, so gilt er als im Saarland gewählt. Wird er in zwei Ländern an der gleichen Stelle, etwa auf dem Platz 2 aufgestellt, dann entscheidet der Bundeswahlleiter durch Los, welches Land er als Abgeordneter vertritt.Bei der Behandlung der Frage der Wahlberechtigung möchte ich gleichzeitig den Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion, Drucksache 8/1632, mit behandeln, der die Ausweitung des Wahlrechts auf alle Deutschen im Ausland fordert. Wir haben diesen Antrag bereits bei der Ausschußberatung abgelehnt und werden das auch heute wieder tun. Lassen Sie mich dazu folgendes feststellen. Wir haben den Kreis der Wahlberechtigten im Gegensatz zum Bundeswahlgesetz bereits auf diejenigen Deutschen im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG ausgeweitet, die in den europäischen Gebieten der übrigen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft wohnen. Von einer Ausweitung des Wahlrechts auf alle Deutschen im Ausland mußte abgesehen werden, weil wir sonst von dem Grundsatz abgewichen wären, daß ein Repräsentationsorgan nur von der innerhalb seines Geltungsbereichs lebenden Bevölkerung gewählt werden soll.Bei der Gelegenheit möchte ich in Erinnerung rufen, daß sich bei der Ausweitung auf alle Deutschen auch die Frage des Wahlrechts der DDR gestellt hätte. Eine Antwort darauf wäre schon sehr schwierig gewesen, und es hätte auch erhebliche technische Schwierigkeiten bei der Ausweitung des Personenkreises gegeben. Uns macht heute schon Sorgen genug, wie wir die Wahlabwicklung bei den Deutschen im übrigen Europa sicherstellen.Lassen Sie mich noch einen anderen Bereich ansprechen. Wir stehen nun vor den ersten unmittelbaren Wahlen zum Europäischen Parlament. Um beim Bürger die notwendige Motivation für die Europawahl zu schaffen und den Europagedanken in der Öffentlichkeit stärker zu akzentuieren, hätte ich es gern gesehen, wenn diese Europadebatte, wie ursprünglich geplant, in den frühen Morgenstunden stattgefunden hätte — und nicht in den Abendstunden, wo das Fernsehen abgeschaltet ist. Dann hättenwir zusätzlich ein bißchen Werbung für den Europagedanken machen können.
Nun müssen wir mit dem Problem fertig werden,die Öffentlichkeit auf andere Weise zu informieren.Aus diesem Grunde mußten wir auch die Frage der Wahlkostenerstattung regeln. Es konnte eine Lösung unter voller Anlehnung an das Parteiengesetz gefunden werden. Nachdem uns die Schatzmeister der Parteien die notwendigen Kosten eines angemessenen Wahlkampfes ausreichend begründet hatten, konnten wir einer gleichen Regelung wie bei der Bundestagswahl zustimmen.Lassen Sie mich abschließend einige Bemerkungen hinsichtlich der Inkompatibilität machen. Die Koalition hat mehrheitlich beschlossen, daß Mitglieder der Landesregierung nicht gleichzeitig Mitglieder des Europäischen Parlaments sein können. Ebenso soll die Zugehörigkeit zum Europäischen Parlament mit der Tätigkeit als Parlamentarischer Staatssekretär bzw. als Staatsminister unvereinbar sein. Unverständlich ist mir deshalb, daß die Opposition nochmals den Antrag stellt, daß Mitglieder der Landesregierung gleichzeitig Mitglieder des Europäischen Parlaments sein sollten. Wir werden auch diesen Antrag ablehnen, weil die Ausschußberatungen deutlich gemacht haben, daß die gleichzeitige Zugehörigkeit zum Europäischen Parlament und zu einer Landesregierung verfassungsrechtlich bedenklich .ist. Genauso wie Mitglieder einer Landesregierung nicht gleichzeitig Mitglied des Deutschen Bundestages sein dürfen, haben wir diesen Grundsatz auch auf das Europäische Parlament übertragen.
Darüber hinaus ist eine Inkompatibilität geboten, weil die Landesregierungen Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft durchzuführen haben und Mitglieder von Landesregierungen somit zum exekutiven Bereich der Europäischen Gemeinschaft gehören.Die gleichzeitige Mitgliedschaft im Europäischen Parlament und im Deutschen Bundestag ist dagegen vorerst 'weiterhin zulässig. Ich kann mir vorstellen, daß dies in ein, zwei Perioden von selbst aufhört.Wir Sozialdemokraten stimmen dem Gesetz zu und hoffen, daß nun auch die übrigen Länder der Gemeinschaft ihre Wahlgesetze bald verabschieden. Leider haben bisher erst vier Länder die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen. Ich hoffe, daß damit in naher Zukunft auch ein Termin für die Wahl zum Europäischen Parlament festgelegt werden kann.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wolfgramm.
Frau Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es ist ein wenig
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6428 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Wolfgramm
problematisch, daß zur gleichen Zeit, zu der der Deutsche Bundestag in zweiter und dritter Lesung das Europawahlgesetz behandelt, das Europäische Parlament tagt und sich mit einer Agrarpreiserhöhung um 2 %beschäftigt Ich möchte nichts gegen diese sehr wichtige Beschlußfassung sagen; aber ich meine, daß die Beratung und Beschlußfassung im Deutschen Bundestag vielleicht ein Anlaß gewesen wäre, heute keine Sitzung im Europäischen Parlament vorzusehen.Dies ist ein besonderer Tag — jedenfalls für uns hier in der Bundesrepublik —, nach den Römischen Verträgen der zweite Schritt auf dem Wege zu Europa. Ich möchte mit Genehmigung der Frau Präsident einmal zitieren, was Victor Hugo in seiner Rede zur Eröffnung des zweiten Friedenskongresses 1849 in Paris gesagt hat: Ein Tag wird kommen, wo Ihr, Frankreich, Italien, England, Deutschland, Euch zu einer höheren Gemeinschaft zusammenschließen und die große europäische Bruderschaft begründen werdet.
Selbst wenn wir davon ausgehen, daß die Geburtsstunde der europäischen Bewegung praktisch erst nach dem Zweiten Weltkrieg geschlagen hat und daß dieser Zweite Weltkrieg dazu geführt hat, daß der nationalen Souveränität als besonderem staatlichen Qualitätsausweis der Wert genommen wurde, bleibt diese Rede von 1849 ein wichtiger Markierungspunkt. Der Zeitraum, den die Beratung des Gesetzes in der Bundesrepublik in Anspruch genommen hat, ist leider ein wenig lang geraten. Ich habe im vergangenen Jahr bei der ersten Lesung deutlich gemacht, daß wir uns hier einer besonders raschen Behandlung befleißigen sollten. Aber ich räume ein, daß die Gemeinsamkeit, die nun gefunden worden ist, einer besonderen Eile abträglich gewesen wäre und daß diese Gemeinsamkeit gerade anläßlich dieser ersten europäischen Wahlen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.Um so mehr frage ich mich, warum diese Gemeinsamkeit durch den Änderungsantrag der Opposition hier belastet worden ist. Ich frage mich dabei, sehr verehrter Herr Kollege Kohl, ob Sie vielleicht wollten, daß dieser Tropfen „Kreuther Essenz" aus dem Hinterwald als europäisches Heilmittel angepriesen werden sollte.Der Zeitverlust wird dadurch kompensiert, daß eine Gemeinsamkeit aller vier im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien oder/und der drei Fraktionen im Deutschen Bundestag hergestellt werden konnte.
Jede Partei kann danach frei entscheiden, ob die Listenwahlvorschläge für ein Land oder als gemeinsame Liste für alle Länder aufgestellt werden. Die einen oder anderen werden das noch gründlich prüfen.Die Wahl wird voraussichtlich im Frühjahr 1979 stattfinden. Ich appelliere an dieser Stelle sehr nachdrücklich an die Engländer, sich der Rede WinstonChurchills zu erinnern, der 1946 in Zürich die Vereinigten Staaten von Europa gefordert hat. Ich meine, diese Anregung nach dem Kriege sollten die Engländer zum Anlaß nehmen können, die Gesetzgebung für die europäische Wahl in ihrem Land nachdrücklich und intensiv zu betreiben.Wir Liberalen empfinden die Direktwahl als Herausforderung. Wir meinen, daß das demokratische Defizit in der Europäischen Gemeinschaft, das ohne diese Legitimation vorhanden ist, auf diese Weise abzubauen ist. Es reicht eben nicht aus, daß wir Handelsschranken abbauen, daß wir Freizügigkeit herstellen, daß wir die Wirtschaftskraft der EG in den vergangenen Jahren gestärkt haben und bei Belastungsproben auch unseren Part positiv beigetragen haben. Wenn Europa eine Einheit werden soll, dann kann der Weg zur Integration nur über eine klare Priorität der Stärkung des Europäischen Parlaments führen. Wir fordern, daß das Europäische Parlament sich diese Rechte, die es braucht, nimmt.Die Verdeutlichung der Übertragung der Rechte auf das Europäische Parlament wird die Lähmung und Lethargie beseitigen, die hier und da Platz gegriffen haben, und zu einer neuen Motivation führen. Der Bürger in den EG-Staaten sollte wissen, daß sein Schicksal in Zukunft entscheidend in Europa und vom Europäischen Parlament beschlossen wird. Es wird nicht bedeuten, daß wir die Beziehungen zu anderen europäischen Staaten, die nicht in der Gemeinschaft vertreten sind, und zwar aus von ihnen aus gesehen wohlerwogenen Gründen, vernachlässigen wollen. Ich möchte das hier deutlich feststellen. Aber es wird dazu führen, daß diese Wahl die Europäer enger zusammenführt.Auch der Anteil der Wahlkosten, die wir hier analog dem Bundeswahlgesetz beschlossen haben, sollte für die Parteien ein Ansporn darstellen, alles an Organisation und an Hilfen aufzuwenden, um eine hohe Wahlbeteiligung zu erzielen. Ich spreche auch hier die Organisationen und Verbände und in besonderer Weise die Medien an, ihren Teil dazu beizutragen.Lassen Sie mich noch einen Hinweis auf den Änderungsantrag der Opposition geben. Wir haben darüber des langen und breiten diskutiert, Herr Kollege Krey. Wir meinen, Bundesminister, Staatsminister und Parlamentarische Staatssekretäre sind so belastet, daß sie — auch angesichts der Inkompatibilitätsposition — in Europa nicht tätig sein können und sollten.
Landesminister, meinen wir, sind sicher so beschäftigt, wie Parlamentarier, jedenfalls sicher nicht weniger. Deshalb werden wir auch den Änderungsantrag ablehnen. Wir wollen keine überlasteten Parlamentarier in Europa. Wir wollen Leute, die in der Lage sind, die Rechte des neuen Parlaments aktiv und tatkräftig zu gestalten.Die Liberalen haben mit der Föderation der liberalen und demokratischen Parteien in der Gemeinschaft einen Beitrag für das Zusammenwachsen der Gemeinschaft geleistet. Wir haben eine Fülle von For-
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Wolfgramm
derungen aufgestellt, aus denen ich hier nur ein paar zitieren möchte: die Garantie der Menschen- und Bürgerrechte für alle Bürger der Gemeinschaft durch einen einklagbaren konkreten Katalog, Schaffung einer freiheitlichen und demokratischen Verfassung, Aufbau einer gemeinsamen Außenpolitik und die Zustimmung zum Beitritt oder zur Assoziierung jedes europäischen Staates, dessen Verfassung demokratischen Kriterien entspricht. Ich nenne dabei in Besonderheit Griechenland, Portugal und Spanien.Wir wollen aber nicht auf allen Gebieten Gemeinsamkeit in Europa herstellen. Auf einem wichtigen Gebiet, dem kulinarischen, sollten die Differenzierung und der Wettbewerb erhalten bleiben.
Vielleicht wäre es aber sinnvoll, daß die Auszeichnungen, die auf diesem Gebiet von dem einen oder anderen Brevier — „Michelin", „Varta" — als Sterne oder Koch-Mützen vergeben werden, einer europäischen Norm unterworfen würden.
Die Joule-Norm haben wir zwar, aber sie ist doch ein wenig abschreckend. Jedenfalls habe ich damit so meine eigenen Erfahrungen gemacht.
Europa wird nicht sozialistisch werden, und es wird nicht konservativ sein können, sondern es wird demokratisch und pluralistisch sein.
Keine Nation wird dort eine Mehrheit haben. Keine Partei wird über die absolute Mehrheit verfügen. Jeder wird für seine politische Überzeugung zu kämpfen haben. Aber gemeinsam wollen wir Europa, und wir wollen darauf nicht mehr sehr lange warten.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Am 20. September 1976, also vor rund 18 Monaten, haben die Außenminister der neun Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften die Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen dés Europäischen Parlaments beschlossen. Dem Vertragswerk haben inzwischen bis auf Großbritannien alle Mitgliedstaaten zugestimmt. Im Vereinigten Königreich ist die Zustimmung mit dem nationalen Europawahlgesetz verknüpft, das vom Unterhaus am 17. Februar dieses Jahres verabschiedet wurde und jetzt dem Oberhaus vorliegt.Die zur Durchführung der Direktwahl erforderlichen innerstaatlichen Wahlgesetze sind in unseren Partnerstaaten zum Teil schon in Kraft getreten, so in Frankreich, Irland und Dänemark. Zum anderen Teil steht das Gesetzgebungsverfahren kurz vor dem Abschluß bzw. ist eingeleitet. Lediglich in Italien und in den Niederlanden haben die parlamentarischen Beratungen der nationalen Wahlgesetze noch nicht begonnen. Alles in allem und gerade wegen der nicht zu unterschätzenden Schwierigkeiten im Meinungsbildungsprozeß einiger Mitgliedstaaten, die es zu überwinden galt, ist das eine gute und ermutigende Zwischenbilanz, was die langjährigen Beobachter des europäischen Integrationsprozesses hier im Hause bestätigen werden.Heute ist es an diesem Hohen Hause, durch Verabschiedung des Gesetzentwurfs für ein Europawahlgesetz den deutschen Beitrag zur planmäßigen Verwirklichung der Direktwahl zu leisten. Wie sich bei der einstimmigen Zustimmung zum Beschluß und Einführungsakt für die Wahl des Europäischen Parlaments, bei der ersten Lesung der Entwürfe für ein Europawahlgesetz und für ein Europaabgeordnetengesetz und auch heute wieder gezeigt hat, stimmen die Fraktionen des Bundestages in ihren Beurteilungen und Hoffnungen, die sie mit der Direktwahl für die europäische Integration verbinden, weitgehend überein. Die Bundesregierung teilt diese nicht geringen Erwartungen.Lange Zeit erschien es allerdings so, also ob diese grundlegende europapolitische Übereinstimmung vor dem Wahlgesetz, das die innerstaatlichen Voraussetzungen für die Durchführung der ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament schaffen soll, haltmachen würde, denn die Vorstellungen über die Ausgestaltung des Wahlverfahrens gingen zwischen den Fraktionen dieses Hauses zunächst weit auseinander. Fast mußte es der Öffentlichkeit erscheinen, als würde der große Anlauf zur Schaffung einer gewählten Vertretung der europäischen Völker bei uns in parteipolitischen Streitereien um die besten Startlöcher versanden.Ich bin deshalb sehr froh darüber, daß schließlich auf allen Seiten dieses Hauses die politische Vernunft gesiegt hat und ein Wahlsystem gefunden werden konnte, das von allen Fraktionen mitgetragen wird. Denn, meine Damen und Herren, europäischer Wahlkampf ist gut und notwendig; alle Parteien werden ihn führen, und zwar mit Engagement, weil es sich dafür zu streiten lohnt. Aber Versuche, ihn schon auszurufen, wo wir noch dabei sind, für diesen demokratischen Prozeß die Voraussetzungen zu schaffen, wäre völlig verfehlt gewesen. Die Bürger hätten eine fortgesetzte Polemik gegen unser nationales Europawahlgesetz möglicherweise nur mit Desinteresse und Stimmenthaltung bei der Direktwahl gedankt. Von daher kommt die Einigung über das Wahlsystem spät, im europäischen Rahmen aber noch rechtzeitig, und sie ist notwendig und gut.An der Bereitschaft zu gemeinsamen Lösungsversuchen hat es der Bundesregierung nie gefehlt. Sie hat immer wieder — schon vor dem Einbringen der Gesetzentwürfe, aber auch nach dem ersten Bundesratsdurchgang und anläßlich der ersten Lesung der Gesetzentwürfe in diesem Hause — zum Ausdruck gebracht, daß sie für eine umfassende Diskussion aller Probleme offen sei und einer Modifizierung des von ihr vorgeschlagenen Wahlverfahrens im Rahmen der vorgegeben Wahlrechtsgrundsätze keine Bedenken entgegensetzen werde.
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6430 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Parl. Staatssekretär von SchoelerDeshalb hat der Bundesminister des Innern für die Bundesregierung in den Fragen des Europawahlrechts — wie es guter demokratischer Tradition entspricht — von Anfang an das Gespräch mit den Fraktionen dieses Hauses gesucht, und auch während des Stillstands der parlamentarischen Beratungen in den letzten Monaten haben wir die Einigungsbemühungen nach Kräften unterstützt. Das Bemühen und der Zeitaufwand haben sich, wie man sieht, letztlich gelohnt. Ich will für den kooperativen Geist, in dem diese Gespräche stattgefunden haben, meinen Dank an alle Fraktionen dieses Hauses aussprechen.Die gefundene Lösung zur Durchführung dei Direktwahl, ergänzt durch die notwendige Regelung der Wahlkampfkostenerstattung, ist, wenn auch in der deutschen Wahlrechtsgeschichte ohne Vorbild, so doch ein tragfähiger Kompromiß. Das Wahlgesetz wird nicht eine Art von Wahlvorschlägen vorschreiben, sondern es den Wahlvorschlagsberechtigten, d. h. den Parteien und den sonstigen politischen Vereinigungen, überlassen, entweder eine Liste für alle Bundesländer, also praktisch eine Bundesliste — wie im Regierungsentwurf und z. B. in den Europawahlgesetzen von Frankreich und Dänemark vorgesehen —, oder Listen für die einzelnen Länder, also Landeslisten wie bei Bundestagswahlen, die zur Sitzverteilung als verbunden gelten, vorzulegen. Außerdem können für die Bewerber auf den Wahlvorschlägen Ersatzbewerber benannt und Bewerber auf Listen für einzelne Länder noch in einem weiteren Land nominiert werden. Damit kommt bei der Wahl der deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments die föderale Struktur unseres Staates weitestgehend zum Ausdruck.Die erste Direktwahl zum Europäischen Parlament muß — das kann nicht oft genug wiederholt werden — zu einem Erfolg für Europa werden. Das wird nur gelingen, -wenn alle demokratischen Parteien — zusammen mit der von Bund und Ländern zu entfaltenden Öffentlichkeitsarbeit — in der Bevölkerung für die Direktwahl werben und die Bürger zur Wahlteilnahme motivieren. Deshalb kommt es jetzt wesentlich darauf an, die Bürger der Bundesrepublik Deutschland in ihrer — an sich grundsätzlich positiven — europäischen Gesinnung zu bestärken. Deshalb sollte die bevorstehende Tagung des Europäischen Rats Anfang April in Kopenhagen ein neues die Europäer ermutigendes Zeichen setzen — dies hoffe ich — und die politische Entscheidung für den ersten Wahltermin treffen.Aber auch mit dem genauen Wahltag vor Augen steht uns allen noch ein langer und durchaus nicht nur mit Erfolgen gepflasterter Weg bis zu einer demokratischen europäischen Union bevor. In der vor uns liegenden Zeit bis zur Direktwahl des Europäischen Parlaments mag es für alle Parteien sehr verführerisch sein, das Thema Europa jeweils gewissermaßen für sich allein zu vereinnahmen, etwa nach dem Motto: Nur wir sind die wahren Europäer; wer da sonst noch Europapolitik macht, ist eigentlich der Verderb Europas. Ich meine, mit solchen Alleinstellungsansprüchen werden wir das demokratische, freie und pluralistische Europa, das uns allen vor-schwebt, nie schaffen. Bedenken wir, daß im großen Kontext der europäischen Willensbildung alle Parteien dieses Hauses nur Minderheiten sind, die für Ihre Auffassungen erst Mehrheiten suchen müssen!Wir brauchen das jetzt zur Verabschiedung anstehende Wahlgesetz, damit von unserer Seite, aus alles und rechtzeitig zur Durchführung der ersten Direktwahl getan ist. Bis das direkt gewählte Europäische Parlament ein einheitliches Wahlverfahren erarbeitet hat — dazu können wir wohl noch kaum eine Prognose wagen werden unser Europawahlgesetz und das hoffentlich bald ebenfalls verabschiedete Europaabgeordnetengesetz im weitesten Sinne ein Stück europäischer Verfassung sein.Ich darf Sie deshalb für die Bundesregierung um eine breite Zustimmung, aber auch weiterhin um Ihre Mithilfe bitten. Denn mit der Verabschiedung von Gesetzen allein ist es nicht getan. Gesetzblätter, Sonntagsreden und Hochglanzbroschüren ergeben noch keine europäische Verfassung. Dazu müssen praktische Voraussetzungen geschaffen werden.Die Bundesregierung ist bereit, die erforderlichen Schritte zu tun, auch wenn es heißt, um der europäischen Solidarität willen Opfer zu bringen. Die Direktwahl des Europäischen Parlaments ist ein Schritt, um die Entwicklung in Europa voranzutreiben. Zeigen wir damit unserem Volk und vor allem der jüngeren Generation, daß es für Veränderungen zum Besseren nicht gewaltsamer Revolutionen bedarf !
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe 'die allgemeine Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Lesung. Wer den §§ 1 bis 5 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Zu § 6 liegt der Änderungsantrag Drucksache 8/1632 Ziffer 1 der Fraktion der CDU/CSU vor. Ich glaube, der Antrag ist schon begründet. Das Wort zur Aussprache wird nicht mehr gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über § 6 in der vorliegenden Fassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit beschlossen.Wir kommen zur Abstimmung über die §§ 7 bis 21. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So beschlossen.Zu § 22 liegt der Änderungsantrag Drucksache 8/1632 Ziffer 2 der CDU/CSU vor. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um -das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abge-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6431
Vizepräsident Frau Funckelehnt; ,das betrifft die Buchstaben a und b dieses Änderungsantrags.Wir kommen damit zur Abstimmung über § 22 in der vorliegenden Fassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit angenommen.Wir stimmen über die §§ 23 bis 31 sowie Einleitung und Überschrift ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So beschlossen.Wir kommen jetzt zurdritten Beratung. Das Wort wird nicht gewünscht.Wer dem Gesetzentwurf in dritter Beratung die Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Ziffer 2 der Beschlußempfehlung des Ausschusses. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr auf Punkt 5:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Strafvorschriften des Waffenrechts— Drucksache 8/977 —Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 8/1614 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Miltner Abgeordneter Pensky
Dazu haben mich die Herren Berichterstatter gebeten, mitzuteilen, daß ein Fehler in der Druckerei entstanden ist. In Artikel 3 muß es heißen: „Nach § 16 Abs. 1 bis 3 des Gesetzes" anstatt „Abs. 1 bis 2 des Gesetzes". Ich bitte das zur Kenntnis zu nehmen. Sonst wünschen die Berichterstatter nicht das Wort.Zur Aussprache hat Herr Abgeordneter Miltner das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Novellierung des Waffengesetzes und des Kriegswaffenkontrollgesetzes soll ein Beitrag zur inneren Sicherheit, besonders zur Eindämmung der mit Waffen begangenen Straftaten geleistet werden. Der Regierungsentwurf hatte ursprünglich nur die Strafverschärfung sowohl im Waffengesetz als auch im Kriegswaffenkontrollgesetz zum Ziele.Seit der Vorlage des Gesetzentwurfs am 4. Oktober 1977 sind im Verlauf der Beratungen einige Lükken im Gesetz offenkundig geworden. Sie sind von uns zum Anlaß genommen worden, die beiden Ge- setze zusätzlich zu den verschärften Strafvorschriften auch noch in weiteren Punkten zu verbessern. Die Berichterstatter hatten die in der Diskussion befindlichen Verbesserungsvorschläge aufgegriffen und sie zusammen mit den Experten der Bundesregierung erarbeitet. Ich möchte von dieser Stelle aus den Beamten des Bundesinnenministeriums, des Bundesjustizministeriums und des Bundeswirtschaftsministeriums danken.
Die mitberatenden Ausschüsse und der federführende Innenausschuß haben diesen Vorschlägen dann zugestimmt. Im einzelnen handelt es sich um folgende Änderungen.Zunächst einmal die bereits erwähnte Verschärfung und Harmonisierung der Strafvorschriften des Waffengesetzes und des Kriegswaffenkontrollgesetzes. Der unerlaubte Besitz von Selbstladewaffen wurde nunmehr vom Vergehen zu einem Verbrechen hochgestuft. Für den unerlaubten Besitz von Kriegswaffen wurde im Kriegswaffenkontrollgesetz entsprechend verfahren.Das Aufkommen von gefährlichen sogenannten Präzisionsgummischleudern mit Stahlkugeln, die auch bei Demonstrationen Verwendung finden, veranlaßte uns, die Ermächtigung zu einer Rechtsverordnung so neu zu fassen, daß ein Verbot dieser gefährlichen Schleudern festgelegt werden kann. Das gleiche gilt auch für eine in den USA neuerdings entwickelte und gebräuchliche Munitionsart, die keine erkennungsdienstlichen Spuren hinterläßt; das ist die sogenannte „Munition ohne Vergangenheit".Nach einem weiteren Vorschlag sollen künftig Waffenteile wie zum Beispiel Griffstücke, die den Auslösemechanismus enthalten, in die waffenrechtliche Kontrolle einbezogen werden. Notwendig wurde diese Vorschrift, weil solche Waffenteile sonst im freien Verkauf besorgt und sie zu neuen Waffen zusammengesetzt werden können.Immer wieder haben auch Diebstähle von Waffen dazu geführt, daß Kriminelle und Terroristen damit Verbrechen begehen. Die CDU/CSU hat daher in einem von ihr eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Terrorismus und Gewaltkriminalität vorgeschlagen, durch Rechtsverordnung Vorschriften zur sicheren Aufbewahrung von Waffen zu erlassen. Dieser Vorschlag wurde ins Waffengesetz aufgenommen.Bei einer Verurteilung nach dem Waffengesetz lag es bisher im Ermessen des Gerichts, auch die Einziehung zu beschließen. Davon haben jedoch die Gerichte nur selten Gebrauch gemacht, so daß es anschließend den Verwaltungsbehörden sehr schwer, wenn nicht gar unmöglich war, nachträglich die Einziehung zu verfügen. Jetzt sieht das Gesetz die zwingende Einziehung vor.Das Kriegswaffenkontrollgesetz war — neben dem Waffengesetz — bisher ein Wirtschaftsgesetz. Nunmehr wurden Elemente der inneren Sicherheit in dieses Gesetz eingebaut. Die Kontrolle des Verkehrs mit Kriegswaffen — von der Herstellung bis zum Empfänger — soll also noch dichter werden. Jeglicher Besitz von Kriegswaffen, insbesondere auch der durch Erbschaft erworbene Besitz, wurde
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6432 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Dr. Miltnereiner Anzeige- und Genehmigungspflicht unterworfen. Nicht nur der Abschluß von Geschäften mit Kriegswaffen, sondern auch schon die Vermittlung von Geschäften wurde, selbst wenn sich die Waffen zu keiner Zeit im Bundesgebiet befanden, genehmigungspflichtig gemacht. Damit soll künftig verhindert werden, daß die Bundesrepublik zu einer Zentrale für die Vermittlung von Kriegswaffen wird.
Alles in allem: Die Novellierung der beiden Gesetze mit den genannten Punkten hatte angesichts der steigenden Kriminalität mit Waffen, angesichts der Terrorakte das Ziel, bestehende Gesetzeslücken zu schließen. Wir hoffen, daß das gute Beispiel für eine durch Gesetz vorgeschriebene Kontrolle über Waffen und Kriegswaffen in der Bundesrepublik bei unseren Nachbarländern Nachahmung findet und daß wir auf europäischer Ebene die Kontrolle über Waffen bald besser in den Griff bekommen.Die CDU/CSU hat diesem Gesetz im Innenausschuß zugestimmt, lag ihr doch die Verbesserung der inneren Sicherheit und auch dieser Vorschriften stets am Herzen. Es hat uns jedoch gewundert, daß die Regierungskoalition die Strafverschärfungen im Waffengesetz und im Kriegswaffenkontrollgesetz mit beschlossen hat, galt doch bei SPD und FDP bis heute die Devise, Strafverschärfungen nützten nichts,
es komme vielmehr allein auf die Anwendung der bestehenden Gesetze an; schärfere Strafandrohungen, besonders bei Gewalttätern, hätten keine präventive Wirkung.
Nun, meine Kollegen, wir registrieren in diesem Fall den Sinneswandel der Koalition, hat sich doch die Koalition bei dem wichtigen Vorschlag der CDU/CSU, die Bildung einer terroristischen Vereinigung zu einem Verbrechen zu machen, ganz anders verhalten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Emmerlich?
'Dr. Miltner : Bitte schön!
Herr Kollege Miltner, ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß die einzigen Abgeordneten, die im Rechtsausschuß gegen eine Verschärfung der Strafvorschriften gestimmt haben, aus den Reihen der Opposition stammen?
Herr Kollege, ich komme genau darauf noch zurück, nämlich darauf, daß dies einzig und allein aus rechtssystematischen Gründen geschehen ist. Sie werden gleich noch im einzelnen hören, warum. Gerade die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung, die doch mehr kriminelle Energie erfordert als der unerlaubte Waffenbesitz, hätte eher als jetzt der unerlaubte Waffenbesitz zu einem Verbrechen gemacht werden müssen. In der Regel hat nämlich der unerlaubte Waffenbesitz geringeren kriminellen Gehalt als etwa die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung. Aber wer kann in diesem Punkt bei der Koalition schon Konsequenz verlangen, bei einer Koalition, die ihre unzureichenden Vorschriften zur Terroristenbekämpfung kaum über die Runden gebracht hat?
Ich habe allerdings zur Kenntnis genommen, daß der Vorsitzende des Innenausschusses aus Gründen der Rechtssystematik einer, wie er sich ausdrückte, Flurbereinigung das Wort geredet hat. Vielleicht können wir noch auf eine gewisse Einsicht hoffen, daß diese Rechtssystematik auch herbeigeführt wird.
Nun, meine Damen und Herren: Das Gesetz soll am 1. Juli 1978 in Kraft treten. Die Bevölkerung und die Verwaltung müssen sich darauf einstellen können. Wir halten es daher für angebracht und notwendig, daß die Regierung durch eine entsprechende Aufklärung vor dem Inkrafttreten des Gesetzes für eine Befolgung und korrekte Anwendung Sorge trägt. Möge diese Novelle ein Beitrag zur inneren Sicherheit sein!
Wir, die CDU/CSU, stimmen dem Gesetz zu.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Pensky.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war und ist Schwerpunkt sozialdemokratischer Kriminalpolitik, vorrangig solche Maßnahmen zu treffen, die der Kriminalität entgegenwirken und damit Verbrechen verhüten helfen. Gerade auf dem Gebiete des Waffenrechts gibt es deutliche Beweise für die Richtigkeit dieser Konzeption, die jedoch erst im Jahre 1972 eingeschlagen werden konnte. Wenn ich hinzufüge: leider, dann deshalb, weil dieses Rechtsgebiet bis dahin völlig unübersichtlich in elf landesrechtlichen Vorschriften aufgesplittert war und in keiner Weise mehr den Sicherheitsinteressen unseres Landes gerecht wurde. Erst mit Übertragung der Bundeskompetenz für ein einheitliches Waffenrecht haben wir uns — damals schon — gegen den hinhaltenden Widerstand der Opposition für eine restriktive Regelung durchsetzen müssen.Um es noch einmal — etwas plastisch — darzustellen: Auf der einen Seite wurde so etwas wie eine Cowboy-Mentalität vertreten, d. h. nach dem Motto etwa: jedem Deutschen seine Waffe. Wir dagegen waren der Meinung: Waffen in Privathand nur, wenn beim Antragsteller Zuverlässigkeit, Sachkunde und ein Bedürfnis nachgewiesen werden können. Im übrigen unterstrichen wir auch die Notwendigkeit, eine allgemeine Registrierpflicht für legal erworbene Waffen einzuführen.Diese Konzeption hat sich auch als wirksam erwiesen, was allein ein Blick in die Kriminalstatistik beweist. Lassen Sie mich hier nur einige Zahlen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6433
Penskynennen. Bei dem Gebrauch von Schußwaffen bei Verübung von Straftaten liegen die Zahlen des Jahres 1976 um 40 % niedriger als die des Jahres 1972.
Bei der Drohung mit Waffen bei Straftaten liegen sie um 17,9 °/o unter denen des Jahres 1972. Die Bundeskriminalstatistik liegt noch nicht auf dem Tisch, dagegen aber eine Reihe von Landeskriminalstatistiken; aus ihnen läßt sich erkennen, daß sich dieser Trend erfreulicherweise fortsetzt. Diese Entwicklung ermuntert uns auch, weitere Verbesserungen im Waffenrecht vorzunehmen, wo sie sich aus polizeilichen Erfahrungen als notwendig erweisen.Die Novellierung des Waffengesetzes im Jahre 1976 beruhte schon auf solchen Erkenntnissen. Auch der jetzt von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Strafvorschriften des Waffenrechts fügt sich nahtlos in diese Konzeption ein. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich diese Initiative der Bundesregierung, die eine Harmonisierung des Waffengesetzes mit dem Kriegswaffenkontrollgesetz und gleichzeitig eine Anhebung des Strafrahmens für den unbefugten Umgang mit vollautomatischen Selbstladewaffen — z. B. Maschinenpistolen — vorsieht.Für uns, Herr Kollege Miltner — das muß ich hier auf Ihre Darlegungen sagen — war. es in der Tat etwas unverständlich, daß sich die Opposition, wie im Rechtsausschuß — und ich erinnere daran — auch im Innenausschuß geschehen, gegen die Anhebung der Mindeststrafe im Waffengesetz auf ein Jahr ausspricht, obgleich sie wissen muß — und das ist vielleicht ein Irrtum, Sie haben ja nach der Konkurrenz mit § 53 im Innenausschuß gefragt —, daß von diesem Straftatbestand eben ein ganz besonders gefährlicher Täterkreis erfaßt werden soll; das sind nämlich die, die in der Regel mit vollautomatischen Waffen diese kriminellen Taten begehen, die wir in besonderem Maße bekämpfen wollen. Dies, so meine ich, steht auch in einem eklatanten Widerspruch zu ihrem sonstigen Verhalten. Sie warfen uns Sinneswandel vor. Ich muß sagen, da muß ich den Groschen zurückgeben. Hier war es ein Gesetz, das der Prävention dient — ich zeigte es an unserer Konzeption seit 1972 auf —, und hier gibt es eine klare Linie.Ich darf auch noch einmal unterstreichen, daß es uns im Zuge des Beratungsverfahrens durch intensive Gespräche sowohl mit Experten des Bundeskriminalamtes als auch mit den Vertretern der Bundesregierung gelungen ist, den Gesetzentwurf noch um eine Reihe von Punkten zu erweitern, soweit sich eine Regelungsbedürftigkeit hierfür herausgestellt hat. Im Waffengesetz ist der Handel mit Waffenteilen einer weiteren Einschränkung unterzogen worden, weil durch die Kombination mit anderen wesentlichen Waffenteilen neue komplette Waffen hergestellt und auf den Markt gebracht wurden. Dies soll nunmehr nicht möglich sein.Auch wollen wir besser unter Kontrolle bekommen — der Kollege Miltner hat schon darauf hingewiesen — die sogenannten Präzisionsstahlkugelschleudern, die sich als eine erheblich gefährliche Waffen erwiesen haben und die eine stärkere Durchschlagskraft haben als manche genehmigungspflichtige Waffe.Als notwendig erwiesen hat sich auch eine Konkretisierung und Verschärfung der Bestimmungen über die Einziehung von in illegalem Besitz befindlichen Schußwaffen. Das heißt, daß künftig der Richter gezwungen wird, mit der Verurteilung eines illegalen Waffenbesitzers gleichzeitig die Einziehung der Waffe zu verfügen. Da bestand ein erheblicher Mangel, den die Verwaltungsbehörden dadurch hätten heilen können, daß sie auf das geltende Waffenrecht verweisen. Aber sie haben es deshalb nicht getan, weil mit diesem Sachverhalt ja schon einmal ein Richter befaßt war. Deshalb auch die Notwendigkeit dieser Änderung.Das Kriegswaffenkontrollgesetz — ich sagte es schon — ist in diese Änderung einbezogen. Es ist bisher als reines Wirtschaftsgesetz konzipiert gewesen. Es berücksichtigte deshalb sicherheitspolitische Gesichtpunkte nur in zweiter Linie und völlig ungenügend. Die Erfahrungen haben gelehrt, daß die Gesichtspunkte der inneren Sicherheit auch in diesem Gesetz stärker zum Ausdruck gebracht werden müssen.Zukünftig ist ja der Besitz von Kriegswaffen anzeigepflichtig. Gleichzeitig damit wird der illegale Besitz dieser Waffen in privater Hand ein strafbares Dauerdelikt. Es ist für den einen oder anderen sicherlich ein Witz, wenn er hört, daß es das bisher nicht gegeben hat, d. h., daß ein solcher illegaler Besitz verjähren konnte und man dann Personen, die sich im Besitz funktionierender Kriegswaffen befanden, nicht mehr strafrechtlich belangen konnte. Kriegswaffen dürfen nur dann noch in Privatbesitz verbleiben, wenn sie nachweislich dauerhaft unbrauchbar gemacht worden sind. Ich glaube, jeder wird einsehen, daß auch diese Einfügung dringend notwendig war.Wer Kriegswaffen in Privatbesitz hat, muß diese innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten der Novelle — hierfür ist der 1. Juli 1978 vorgesehen bei den entsprechenden Überwachungsbehörden anmelden. Jeder muß wissen, daß Verstöße hiergegen nach den verschärften Strafbestimmungen geahndet werden.Besitzer solcher Waffen müssen im übrigen nach einer neu eingefügten Einziehungsregelung auch damit rechnen, daß solche Waffen eingezogen werden.Eine ganz entscheidende Neuregelung ist die Ausdehnung der Genehmigungspflicht für den Handel und die Vermittlung von Kriegswaffen auf die Vermittlung von Kriegswaffen, die sich im Ausland befinden. Mit dieser Bestimmung soll vor allen Dingen den zahlreichen Großwaffenschiebern das Handwerk gelegt werden, die ihre schmutzigen Geschäfte von deutschem Boden aus betreiben und hierdurch Waffenarsenale für Bürgerkriegsarmeen oder auch für Terroristen bereithalten. Ich meine, sowohl das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland als auch das Interesse der inneren Sicherheit erfor-
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Penskydern es, daß solchen Machenschaften ein für allemal ein Riegel vorgeschoben wird.Wir wissen, daß wir mit unserem nationalen Waffenrecht nur den Waffenhandel und den illegalen Umgang mit Waffen im eigenen Land oder von deutschem Boden aus unter Kontrolle bringen können. Deshalb begrüßen und unterstützen wir auch die fortgesetzten Verhandlungen der Bundesregierung, die auf eine Harmonisierung des Waffenrechts im gesamten europäischen Raum abzielen. Auf diesem Gebiete gibt es, wie wir jetzt erfahren konnten, inzwischen schon sehr erfreuliche Verhandlungsergebnisse. Das mag sicherlich auch daran liegen, daß die Erkenntnis gewachsen ist, daß Gewaltkriminalität und Terrorismus nicht an Ländergrenzen haltmachen.Die SPD-Bundestagsfraktion wird jedenfalls immer dann entschlossen handeln — insbesondere was die Gesetzgebung mit präventiver Wirkung angeht —, wenn sich hierfür neue Gesichtspunkte und Notwendigkeiten ergeben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kleinert.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Sie haben von den Herren Vorrednern, die die einmütige Verabschiedung dieses Gesetzes in Aussicht gestellt haben, gehört, daß es sich im wesentlichen um sachlich notwendig gewordene Angleichungen handelt. Nach Ansicht der Freien Demokraten ist es sehr vernünftig gewesen, daß man die Gelegenheit benutzt hat, die offenen Fragen, soweit sie sich im Augenblick übersehen lassen, trotz ihrer unterschiedlichen Zuordnung zu sonst getrennt behandelten Rechtsbereichen gleichzeitig zu regeln. Dabei hat es nur eine einzige kleine Unstimmigkeit gegeben, auf die ich noch einmal kurz eingehen möchte. Es ist sicher nützlich, daß in dieser Form Bestimmungen angeglichen worden sind, daß gleichzeitig Lücken geschlossen worden sind im Bereich insbesondere des Besitzes und der Verfügung von und über Kriegswaffen, und zwar zusammen mit Änderungen im Waffengesetz, das sich normalerweise mehr mit präventiv-polizeilichen Fragen befaßt.
Interessant ist tatsächlich der von Herrn Miltner einerseits, von Herrn Pensky erwartungsgemäß andererseits angesprochene Punkt einer Kontroverse im Rechtsausschuß über die Einfügung des § 52 a des Waffengesetzes, betreffend den Besitz, die Herstellung, Weitergabe usw. gewisser automatischer und halbautomatischer Waffen. Man kann wohl sagen, daß es sich im wesentlichen um Maschinenpistolen handelt. Die Koalition wollte die Vorschrift bei dieser Gelegenheit zusammen mit anderen notwendigen und nützlichen Ergänzungen aufgenommen wissen. Da haben wir nun allerdings eine rechtspolitisch hochinteressante Kontroverse gehabt, indem nämlich die Opposition des Hauses, die bei vielen Gelegenheiten erkennbar praktisch nutzlose Strafschärfungen von uns verlangt, obwohl da-
mit strafrechtliche Dogmatik überflüssigerweise tangiert wird, jetzt, wo wir eine nützliche Änderung verlangt haben, die Gefolgschaft versagt hat.
Einmal wollten wir nämlich ganz bewußt unter Zurückstellung dogmatischer Bedenken, die hier zweifellos vorhanden sind — das ist der Opposition zuzugeben —,
mit dem Strafmaß höher gehen, weil hier der Nutzen einer solchen Maßnahme ganz sinnfällig war im krassen Gegensatz zu einer Reihe von strafrechtlichen Änderungswünschen, die Sie bei anderer Gelegenheit vorgetragen haben.
Wenn bei allen Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten nicht nur der Fahndung, sondern auch der Führung von Strafprozessen gegen die Täter insbesondere der Anarchoszene, der Terrorszene einmal ein Tabestand so klar ist wie der, daß ein Rechtsanwalt — den Fall hat es gegeben — oder irgendein anderer Mensch in seinem Pkw eine Maschinenpistole auf dem Beifahrersitz mit sich führt, dann meine ich, muß man es genügen lassen, wenn dieser klare Sachverhalt gegeben ist, für den es nicht die geringste auch nur einigermaßen harmlose Erklärung geben kann — gäbe es sie doch, müßte sie sehr leicht vorzutragen sein —, um mit einer verhältnismäßig drakonischen und an sich aus dem Rahmen fallenden Strafe in unserer Zeit wenigstens denjenigen, die in dieser Weise gefaßt werden können, auf eine Weise den Prozeß machen zu können, die weitere Zweifel ausschließt. Da gibt es den schönen deutschrechtlichen Grundsatz „Die Tat tötet den Mann". Und genau dies hat hier als Muster gedient: Wenn eine solche Waffe, die zu nichts anderem gebraucht werden kann und sinnvollerweise auch von niemandem benötigt werden kann, geschweige denn mit sich geführt werden muß, gefunden wird, dann muß das zur Abkürzung einer Fülle ganz anderer Untersuchungen genügen, um hier wirklich drastisch einzuschreiten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Erhard?
Sehr gern. Ich möchte nur einen Satz noch sagen, damit Herr Kollege Erhard mich nicht aus Versehen danach fragt.
Das schien uns die Zurückstellung dogmatischer Bedenken wert. Denn wir hängen mit Sicherheit nicht am Dogma, wenn es sich darum handelt, Menschenleben auf eine möglichst wirkungsvolle Weise zu schützen. Wir wenden uns gegen Verletzungen althergebrachter Vorschriften nur dann, wenn das erkennbar nichts nützen kann.
Bitte schön, Herr Kollege Erhard.
Herr Kollege Kleinert, könnten Sie so freundlich sein, uns zu erläutern, aus welchem Grund — nur darum ging
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978 6435
Erhard
es im Rechtsausschuß — der bloße Besitz einer halbautomatischen Waffe mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht wird, während der Besitz der gleichen Waffe mit dem Ziel und nachgewiesenermaßen dem Zweck, Luftpiraterie zu begehen, nur mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem halben Jahr bedroht sein muß?
Herr Kollege Erhard, das kann hier doch nicht die Frage sein.
Der Besitz der Waffe ist auch in dem anderen Fall mit einem Jahr Strafe bedroht.
— Aber selbstverständlich!
— Bitte.
Könnten Sie bestätigen, daß die Vertreter der Bundesregierung den Rechtsausschuß auf diese Diskrepanz ausdrücklich aufmerksam gemacht haben?
Ich kann bestätigen, daß es hier dogmatische Schwierigkeiten gibt. Ich habe das vorhin eingeräumt. Ich habe aber gesagt: Die Koalition setzt sich an der Stelle, wo davon ein praktischer Nutzen und ein erheblicher Abschreckungseffekt zu erwarten sind und der rasche Vollzug einer bei einem solchen Vorgang zu erwartenden Strafe eine erhebliche, deutlich sichtbare Schutzwirkung hat, darüber hinweg. Das war unser Ziel. Wir können nicht verstehen, warum Sie uns bei einer derartigen Gelegenheit nicht folgen wollten.
Wir glauben, dieser Hinweis genügt, um darzutun, daß wir uns wirklich im Bereich des Machbaren, des Faßbaren und des Nützlichen von niemandem übertreffen lassen, so wie das auch in dem anderen hier bei der Novellierung angesprochenen Bereich der Fall ist, nämlich bei der Einbeziehung der lediglich makelnden Auslandsgeschäfte im Kriegswaffenbereich, die hier erstmals angesprochen sind. Das ist im Grunde eine ganz andere Materie, die aber wegen des Zusammenhangs der beiden Gesetze mitgeregelt werden sollte.
Wir begrüßen mit Nachdruck, daß hier Lücken geschlossen worden sind, die nicht nur für Menschenleben, unter Umständen für den Frieden zwischen Völkern von erheblicher Bedeutung sind, sondern auch das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in der Welt wahrscheinlich — nach den praktischen Gegebenheiten besonders bei den Völkern der Dritten Welt — nachhaltig beeinträchtigen konnten. Wir sind froh darüber, daß diese Bundesregierung seit 1969 besonders skrupulös, besonders sorgfältig und sehr zurückhaltend darauf geachtet hat, daß möglichst niemand in der Welt
dieser Bundesrepublik vorwerfen kann, sie habe I durch Waffenlieferungen dazu beigetragen, Konflikte in ihrer Durchführung zu erleichtern, vielleicht in Einzelfällen sogar zu ermöglichen. Es hat viel Kritik an dieser besonders zurückhaltenden, sehr strengen Auffassung der Bundesregierung in diesen Jahren gegeben. Wir glauben aber, das besondere Interesse, das dieses Volk, diese Republik an allen Fragen zeigen sollte, die mit dem Frieden irgendwo auf der Welt zusammenhängen, rechtfertigt es, daß hier so hart im Einzelfall entschieden worden ist.
Wir hoffen, daß die jetzt geänderte Bestimmung die Bundesregierung in die Lage versetzt, weiterhin sorgfältig vorzugehen, weiterhin zu vermeiden, daß der Name der Bundesrepublik im Zusammenhang mit Waffengeschäften genannt wird, die anderwärts Menschenleben nicht nur gefährden, sondern auch vernichten. Wir bitten die Bundesregierung, die bisherige Praxis fortzusetzen und die gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen nur da zu ermöglichen, wo die Voraussetzungen tatsächlich festgestellt werden können. Das ist mit den vdrgenommenen Vervollständigungen des Gesetzes ermöglicht worden. Wir gehen davon aus, daß man uns auch weiterhin international keine Vorwürfe wird machen können. Wir wünschen, daß das so bleibt.
Wortrneldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Lesung. Wer dem Gesetzentwurf in den Artikeln 1 bis 5, der Einleitung und Überschrift die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort wird nicht gewünscht. Wer in der dritten Beratung dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wir kommen noch zu Punkt 2 der Ausschußempfehlung. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr Punkt 6 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Zählung in der Landwirtschaft
— Drucksache 8/1273 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/1610 — Berichterstatter: Abgeordneter Walther
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6436 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1978
Vizepräsident Frau Funckeb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 8/1563 — Berichterstatter: Abgeordneter Ey (Erste Beratung 63. Sitzung)Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Lesung. Wer den §§ 1, — 2, — 3, — 4, — 5 mit der Abweichung aus der Beschlußempfehlung, — 6, — 7,— 8, — 9, — 10, — 11 mit der Abweichung aus der Beschlußempfehlung, — 12, — 13, — 14, — Einleitung und Überschrift die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort wird nicht gewünscht. Wer in dritter Beratung dem Gesetz die Zustimmung geben will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. Oktober 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Island über die gegenseitige Unterstützung in Zollangelegenheiten— Drucksache 8/1358 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 8/1597 —Berichterstatter: Abgeordneter Baack
Der Herr Berichterstatter wünscht nicht das Wort.— Das Wort zur Beratung wird ebenfalls nicht ge- wünscht.Wir kommen zur Abstimmung über die Artikel 1, 2, 3, und verbinden die Abstimmung mit der Schlußabstimmung. Wer insgesamt zustimmen möchte, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. April 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Malaysia zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und in bezug auf andere damit zusammenhängende Fragen— Drucksache 8/1274 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 8/1598 —Berichterstatter: Abgeordneter von der Heydt Freiherr von Massenbach
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Auch das Wort zur Beratung wird nicht begehrt.Ich rufe die Art. 1, 2, 3 und 4 auf. Die Abstimmung darüber verbinden wir mit der Schlußabstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:a) Beratung der Sammelübersicht 20 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/1583 —b) Beratung der Sammelübersicht 21 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/1584 —Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme.Ich bitte diejenigen um Handzeichen, die dem zustimmen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens— Drucksache 8/1567 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Soziales RechtsausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GOWird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Auch das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend — weiterhin an den Rechtsausschuß und — gemäß § 96 der Geschäftsordnung — an den Haushaltsausschuß. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Leicht, Damm, Straßmeir und der Fraktion der CDU/ CSUBericht über Telefon-Nahbereichsversuche— Drucksachen 8/991, 8/1569 — Berichterstatter: Abgeordneter Hoffie
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Vizepräsident Frau FunckeWird das Wort vom Berichterstatter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ebenfalls wird das Wort zur Beratung nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! -Enthaltungen? — Mit einigen Enthaltungen ist es so beschlossen.Wir kommen zu Punkt 12 der Tagesordnung:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dr. Jenninger und der Fraktion der CDU/CSUFernmeldesonderbauprogramm und früherer Beginn des „Mondscheintarifs"— Drucksachen 8/1345, 8/1570 — Berichterstatter: Abgeordneter HoffieDas Wort des Berichterstatters wird nicht gewünscht. Ebenfalls wird das Wort zur Aussprache nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist es angenommen.Wir kommen nunmehr zu Punkt 13 der Tagesordnung:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1978hier: Einzelplan 12 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr — Drucksachen 8/1463, 8/1588 —Berichterstatter:Abgeordneter Müller
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Auch das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der CDU/CSU ist es angenommen.Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung und der Plenarsitzungen dieser Woche.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Mittwoch, den 12. April 1978, 13 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.