Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich darf vor Eintritt in die Tagesordnung einige Mitteilungen bekanntgeben.
Erstens. Für den am 31. Dezember 1977 aus dem Europäischen Parlament ausscheidenden Abgeordneten Kunz hat die Fraktion der CDU/CSU den Abgeordneten Luster vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? — Dies ist der Fall. Damit ist der Abgeordnete Luster zum 1. Januar 1978 als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Europäischen Parlament gewählt.
Zweitens. Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen — Stand: 6. Dezember 1977 — vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Betr.: UNESCO-Empfehlung über den internationalen Austausch von Kulturgut
zuständig: Auswärtiger Ausschuß Innenausschuß
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Betr.: Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Interparlamentarischen Union über die 64. Jahreskonferenz der IPU in Sofia vom 20. bis 30. September 1977
zuständig: Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Betr.: Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen und Steuervergünstigungen für die Jahre 1975 bis 1978 gemäß § 12 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 (Sechster Subventionsbericht) (Drucksache 8/1195)
zuständig: Haushaltsausschuß Finanzausschuß
Auschuß für Wirtschaft
Betr.: Haushaltsführung 1977;
hier: Überplanmäßige Haushaltsausgaben bei Kap. 11 13 Tit. 656 03 — Zuschuß des Bundes an die Knappschaftliche Rentenversicherung
Bezug:
§ 37 Abs. 4 BHO
zuständig: Haushaltsausschuß
Erhebt sich gegen die vorgeschlagenen Überweisungen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann hat das Haus zugestimmt.
Drittens. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste „Zusatzpunkte zur Tagesordnung" aufgeführten Vorlagen ergänzt werden:
1. Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (Drucksache 8/1250)
Überweisungsvorschlag :
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
2. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP
Programmbeirat der Deutschen Bundespost
3. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD Kunstbeirat der Deutschen Bundespost
Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Erweiterung der Tagesordnung so beschlossen.
Wir treten in die Tagesordnung der heutigen Sitzung ein. Gemäß einer interfraktionellen Vereinbarung rufe ich Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. Dezember 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Korea zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
— Drucksache 8/1043 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 8/1272 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Diederich
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
4816 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Präsident Carstens
Ich rufe nunmehr in Übereinstimmung mit der soeben erwähnten interfraktionellen Vereinbarung den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. November 1975 zur Änderung des Vertrages vom 8. April 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Regelung der Zusammenarbeit in der Emsmündung
— Drucksache 8/1017 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
—Drucksache 8/1305
Berichterstatter: Abgeordneter Mahne
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. September 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Saudi-Arabien über den Luftverkehr
— Drucksache 8/1035
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 8/1306 —
Berichterstatter: Abgeordneter Bindig
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wr kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 und 2 sowie Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Nunmehr rufe ich Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. November 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Paraguay über den Luftverkehr
— Drucksache 8/1034 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 8/1307 —
Berichterstatter: Abgeordneter Tillmann
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 und 2 sowie Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch dieses Gesetz ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 14 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 8/1290 —
b) Beratung der Sammelübersicht 15 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 8/1291 —
c) Beratung der Sammelübersicht 16 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 8/1319 —
Das Wort hat der Abgeordnete Löher.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der vierte Bericht des Petitionsausschusses im Jahre 1977, den zu erstatten diesmal ich beauftragt bin, will an Hand einiger Beispiele aufzeigen, mit welchen Schwierigkeiten unsere Mitbürger vielfach im Umgang mit Behörden zu kämpfen haben und welche menschlich bedauerlichen Folgen dies nach sich ziehen kann.
Lassen Sie mich beginnen mit der Petition eines Kontaktkreises aus Bad Pyrmont, der sich darüber beschwert, daß es für Behinderte kaum möglich sei, auf dem dortigen Bahnhof den mittleren Bahnsteig zu erreichen, weil bisher ein Personenaufzug fehlt. Nachdem die Bundesbahn dem Petitionsausschuß zunächst eine ausweichende Auskunft gegeben hatte, teilte sie schließlich auf Drängen des Ausschusses mit, daß voraussichtlich in einem Jahr im Rahmen des Programms für Zukunftsinvestitionen ein Stellwerk auf dem Bahnhof neu errichtet werde und in diesem Zusammenhang auch der Bau eines Aufzuges für Behinderte vorgesehen sei.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4817
Löher
Gestatten Sie mir hierzu bitte eine Bemerkung: Wir müssen immer wieder feststellen, daß in Gebäuden, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, oft nicht genügend auf die Bedürfnisse der Behinderten Rücksicht genommen wird. Das trifft leider auch für das Bundeshaus zu.
Das zweite Beispiel soll auf einen besonderen Härtefall im innerdeutschen Zahlungsverkehr aufmerksam machen. Wie Sie wissen, sind im Jahre 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik Vereinbarungen getroffen worden, die den Transfer von in der DDR vorhandenen Guthaben in die Bundesrepublik ermöglichen sollen. Leider hat es nicht nur Auffassungsunterschiede über die Auslegung dieser Vereinbarung gegeben, sondern zur Zeit können auch viele Anträge nicht erfüllt werden, weil die Deutsche Bundesbank — eben wegen des Ungleichgewichts der Anträge aus der Bundesrepublik und der DDR — seit 1976 bis auf weiteres keine Anträge mehr annimmt. Von dieser Maßnahme sind häufig gerade solche Mitbürger betroffen, die entweder alt oder krank sind oder in beengten wirtschaftlichen Verhältnissen leben und die fest mit diesen Überweisungen gerechnet hatten. Die Bundesregierung hat sich zwar in Verhandlungen mit der DDR um die Lösung dieses Problems bemüht. Sie wendet sich aber gegen eine Ausnahmeregelung in Härtefällen, weil das nach ihrer Meinung zu einem zu großen Aufwand und zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen würde.
Wir dagegen meinen, daß in besonderen Härtefällen geholfen werden muß, auch wenn die Bundesregierung eine bestimmte Dispositionsspanne ausnutzt,
Wir haben deshalb die Eingabe einer 79jährigen Frau, die von einer geringen Rente und von der Sozialhilfe lebt, der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen.
Mit dem dritten Beispiel möchte ich auf den Lärmschutz an Bundesstraßen und Autobahnen hinweisen, um den wir uns bei den Behörden seit Jahren bemühen. Nun gibt es bekanntlich für Straßen- im Bundesimmissionsschutzgesetz genaue Vorschriften, die bestimmen, daß der Straßenlärm ein bestimmtes Maß nicht überschreiten darf, da sonst für Lärmschutz gesorgt werden muß. Die Behörden meinen jedoch, dies gelte nur für „neue" Straßen, und es würde zu teuer, auch bei den „alten", also vor Inkrafttreten dieses Gesetzes gebauten Straßen nachträglich für den gleichen Lärmschutz zu sorgen.
Wir aber meinen: Im Interesse unserer Mitbürger muß auch bei diesen „alten" Straßen versucht werden, den Lärm gering zu halten, also Schallschutz einzurichten.
In einem kürzlich erörterten Fall haben wir uns mit
Nachdruck dafür eingesetzt, daß Anliegern der
Sauerland-Linie, die sich wegen starken Verkehrslärms an uns gewandt hatten, durch Lärmschutzwände geholfen wird.
Viertes Beispiel: In der vergangenen Woche hat der Petitionsausschuß zum erstenmal von seinem im Grundgesetz seit 1975 verankerten Recht Gebrauch gemacht, Sachverständige und Petenten anzuhören, um u. a. auch über einen wissenschaftlichen Tatbestand sachkundig und ausführlich befinden zu können.
Es liegt uns die Eingabe einer Elterninitiative vor, die von 800 Eltern unterstützt wird, deren Kinder geistig und körperlich behindert sind und denen nach Auffassung vieler Ärzte durch eine zusätzlich zu anderen Behandlungsmethoden angewandte Zellulartherapie wirkungsvoll geholfen werden kann. Die gesetzlichen Krankenkassen jedoch weigern sich zum Teil, die Kosten hierfür zu übernehmen, weil diese Heilmethode in der medizinischen Wissenschaft noch umstritten ist, obwohl Erfolge nachgewiesen werden können.
Der Ausschuß wird die Ergebnisse der Anhörung unverzüglich prüfen. Schon heute zeichnet sich ab, daß wahrscheinlich ein vom Bund unterstützter Forschungsauftrag an eine neutrale Gutachterkommission vergeben wird.
Auf keinen Fall dürfen wissenschaftliche Streitfragen weiterhin auf dem Rücken behinderter Kindern ausgetragen werden.
Beispiel Nr. 5: In letzter Zeit haben wir uns mehrfach mit der — nach Auffassung der Betroffenen — unzureichenden Betreuung von Deutschen durch unsere Botschaften im Ausland beschäftigen müssen. So hatte sich ein Urlauberpaar, das im August dieses Jahres in Italien von Unbekannten angeschossen und schwer verletzt worden war, bei uns über mangelnde Hilfe und Unterstützung durch die deutschen Behörden in Italien beschwert.
U. a. werfen die Petenten der deutschen Botschaft vor, sich nicht genügend um die dringend notwendige Rückreise der Verletzten gekümmert zu haben; der ADAC jedoch habe schnell und unbürokratisch die notwendige Hilfe geleistet.
Die erste Auskunft des Auswärtigen Amtes hierzu ging auf die wichtigsten Vorwürfe der Petenten überhaupt nicht ein. Auch der vom Petitionsausschuß hierzu gehörte Staatssekretär des Auswärtigen Amtes war nicht in der Lage, befriedigende Informationen zu geben. Wir haben ihn daher für Januar 1978 erneut zum Vortrag gebeten.
Aber auch aus anderen Petitionen mußten wir den Eindruck gewinnen, daß die Betreuung der im Ausland in Not geratenen Deutschen oft sehr zu wünschen übrigläßt. Wir meinen, hier sollte generell für Abhilfe gesorgt werden.
4818 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Löher
Das sechste und letzte Beispiel bringt einen von. vielen Fällen, die uns bereits in der letzten Wahlperiode beschäftigt haben und uns fragen lassen, ob Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, die sich an uns wenden, durch ihre Petitionen tatsächlich keine dienstlichen Nachteile zu spüren bekommen. Da sich in diesem Jahr erneut einige Petenten über Benachteiligungen durch Vorgesetzte als Folge ihrer Petitionen beschwert hatten, sahen wir uns veranlaßt, über dieses Problem ein Gespräch mit dem Staatssekretär des Bundeskanzleramts Dr. Schüler sowie Vertretern des Innen- und des Justizministeriums zu führen. Wir erhielten -die Zusage, die Ministerien würden nach Vorberatung in der Staatssekretärsrunde und in Absprache mit uns in einem Erlaß klarstellen, daß den Angehörigen des öffentlichen Dienstes durch Petitionen keinerlei Nachteile entstehen dürften.
Wir haben bei dieser Gelegenheit auch darauf hingewiesen, daß die Stellungnahmen der Bundesregierung zu Petitionen in nicht wenigen Fällen recht lange auf sich warten lassen und inhaltlich oft nicht ausreichen.
Meine Damen und Herren, nach diesen wenigen Beispielen aus der Praxis des Petitionsausschusses erlaube ich mir, eine Anmerkung zum Stellenwert der Petitionen in diesem Hause zu machen. Vor einigen Wochen erschien der schriftliche Bericht des Petitionsausschusses über seine Arbeit in der zweiten Hälfte der 7. Wahlperiode als Broschüre. Hier wird ausführlich wiedergegeben, was unsere Mitbürger in den Jahren 1975 und 1976 bewegt hat, vom Lastenausgleich über Rentenfragen, vom Umweltschutz bis zum Kindergeld. In einem allgemeinen Teil werden auch das Petitionsrecht, das Petitionsverfahren und die Geschichte des Petitionswesens bis zur Reform im Jahre 1975 dargestellt.
Nun wird die jetzt gültige Fassung der Geschäftsordnung dieses Hauses bedauerlicherweise so interpretiert, daß ein solcher Bericht nicht als Bundestagsdrucksache erscheinen darf und deshalb am Parlament vorbei der Öffentlichkeit übergeben werden muß, ohne hier beraten werden zu können.
Wir hoffen sehr auf die neue Geschäftsordnung, die auch in diesem Punkt die notwendigen Konsequenzen aus der Reform des Petitionsrechts des Jahres 1975 ziehen kann.
Der Bericht des Petitionsausschuses wäre unvollständig, wenn nicht darauf hingewiesen würde, daß auf Einladung des Ombudsmanns des Staates Israel, Dr. Itzhak Ernst Nebenzahl, eine Delegation von sieben Ausschußmitgliedern im November dieses Jahres zu einem Meinungs- und Erfahrungsaustausch in Israel war. Dr. Nebenzahl gehört zu den Pionieren der Verbreitung des Ombudsmannsgedankens. Seine Funktion ist deshalb besonders interessant für uns, weil er gleichzeitig das Amt des Staatskontrolleurs bekleidet, wir würden sagen: des Präsidenten des Bundesrechnungshofs.
Die seit 1967 bestehenden guten Kontakte zu Israel haben dazu beigetragen, daß in nicht wenigen Fällen Petitionen, bei denen wir israelische Stellen um Mithilfe bitten mußten, sehr schnell .erledigt werden konnten.
Die Delegation hat darüber hinaus Gespräche geführt mit Mitgliedern der Knesset, mit Regierungsmitgliedern, mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten, Professor Yadin, und nicht zuletzt mit dem Staatspräsidenten, Professor Ephraim Katzir, und dem Präsidenten der Knesset, Itzhak Shamir.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir bitte noch ein kurzes Wort zur Statistik, um mit deren Hilfe der Öffentlichkeit erneut deutlich zu machen, welche erhebliche Arbeitsbelastung seit Jahren auf den Petitionsausschuß sowie auf seine Hilfsdienste zukommt. Nach wie vor gehen Monat für Monat rund 1 000 Eingaben ein; in dieser Wahlperiode waren es bereits mehr als 12 000. Welch enorme Arbeit damit verbunden ist, zeigt allein die Tatsache, daß je Arbeitstag rund 200 Schreiben an Petenten, an Ministerien, an Ausschußmitglieder usw. hinausgehen. Insgesamt haben sich seit Bestehen der Bundesrepublik fast eine Viertelmillion Bundesbürger mit Einzelanliegen an den Bundestag gewandt. Allein diese Zahl bietet, wie ich meine, einen Beweis für unsere Feststellung, daß der Petitionsausschuß eine wichtige Verbindung zwischen Bürger, Parlament und Verwaltung herstellt.
Abschließend bitte ich Sie namens des Petitionsausschusses, den Ihnen vorliegenden Anträgen in den Sammelübersichten 14, 15 und 16 — Drucksachen 8/1290, 8/1291 und 8/1319 — zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 8/1290, 8/1291 und 8/1319, die in den Sammelübersichten 14, 15 und 16 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Dann ist dies einstimmig so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 3 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes
— Drucksache 8/1266 —
— Drucksache 8/1335
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Riedl
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4819
Präsident Carstens
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschuses
— Drucksache 8/1320 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Liedtke
Abgeordneter Regenspurger
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Berger .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute in der letzten Plenarsitzung des alten Jahres über eine Wehrsolderhöhung reden und beschließen, so hat dies, so naheliegend es auch sein mag, in der Sache nichts mit dem bevorstehenden Weihnachtsfest zu tun. Wir beschließen über eine Vorlage der Bundesregierung, die unserer Meinung nach längst fällig war und gar nichts mit einer milden Gabe gemein hat.
Auch wer der früher häufiger zu hörenden Meinung huldigt, der Soldat, zumal der wehrpflichtige Soldat diene, er verdiene nicht, wird mir immerhin beipflichten müssen, wenn ich sage, daß in einer Zeit der stetigen Geldentwertung auch der Wehrsold von Zeit zu Zeit wenigstens angemessen erhöht werden muß, mindestens in Höhe der Inflationsrate, und die beträgt seit der letzten Anpassung 1974 19 0/o. Die steigenden Lebenshaltungskosten betreffen den jungen Wehrpflichtigen übrigens in besonderem Maße, weil sich Dienstleistungen, auf die er angewiesen ist, sogar überproportional verteuern.
Die Wehrsoldanpassung am 1. Januar 1978 um 1 DM pro Tag für alle Dienstgrade mit der gleichzeitigen Anhebung des Weihnachtsgeldes um 30 DM auf 245 DM und des Entlassungsgeldes um 5 DM pro Dienstmonat auf 65 DM bzw. 10 DM pro Dienstmonat auf 75 DM bei den verheirateten Wehrpflichtigen erfolgt übrigens nicht einmal termingerecht zu Weihnachten, sondern erst einen Monat später. Wir jedenfalls hätten sie gern früher gesehen, doch die Regierung hat sich mit der Vorlage offensichtlich lange sehr schwer getan.
Das hat mein Kollege Biehle bei der ersten Lesung ebenso beklagt wie die unangebrachte Nivellierung des Wehrsoldes durch den einheitlichen Erhöhungsbetrag für alle Dienstgrade um 1 DM — für alle Dienstgrade, vom Panzerschützen bis zum Feldwebel z. B. —, und das wird unserer Meinung nach die Bereitschaft der erfahrenen Soldaten, die wir als Führer und Spezialisten brauchen, zu häufigeren Wehrübungen gewiß nicht stärken.
•Während der ersten Lesung dieses Gesetzes haben die Sprecher aller Fraktionen von hier aus betont, daß es sich bei dieser Anpassung um einen ersten Schritt in dem grundsätzlichen Bemühen handele, die menschlichen Belange der Soldaten, und zwar der Wehrpflichtigen, der Zeit- und der Berufssoldaten, in Zukunft stärker zu berücksichtigen, z. B. auch bei Haushaltsansätzen. Das ist gut so. Wir werden das im übrigen z. B. bei dem Problem des so leidigen Verwaltungskostenzuschiages für die Teilnehmer an der Truppenverpflegung sehen, von dem ich glaube, daß er zwar legal, aber nicht gerecht ist, und der deshalb zurückgenommen werden muß.
Das gilt ebenso für die anstehende Frage der Zulagen für Erschwernisse oder besonders lange Dienstzeiten, die wir bald im Ausschuß beraten werden.
Wir alle sollten uns, meine Damen und Herren, in einer Zeit, in der monatlich Zehntausende den militärischen Dienst für das Vaterland verweigern, besonders um das Wohl und Wehe der Soldaten kümmern.
Die jetzige Wehrsolderhöhung ist wirklich nur ein erster Schritt. Die CDU/CSU-Fraktion ist nach wie vor der Meinung, daß das Opfer des Grundwehrdienstes wie das der Wehrpflicht überhaupt zur Verteidigung unserer Freiheit gefordert werden muß. Opfer, meine Damen und Herren, ja, aber nicht unter finanziell schlechteren Bedingungen, als z. B. die Kriegsdienstverweigerer sie teilweise haben. Auch deshalb ist die Wehrsolderhöhung kein Weihnachtsgeschenk. Sie ist die längst notwendige Anerkennung des Opfers, das unsere Wehrpflichtigen immer noch erbringen, an deren Opferbereitschaft wir uns vielleicht zu sehr gewöhnt hatten.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerstl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir behandeln heute in dritter Lesung das Gesetz zur Änderung des Wehrsoldgesetzes. Die Zusammenfassung dieser Änderungen umfaßt vier Bereiche.
Erstens: die Erhöhung des Wehrsoldes in allen Wehrsoldgruppen um täglich 1 DM.
Zweitens: die Erhöhung der besonderen Zuwendungen, des sogenannten Weihnachtsgeldes, von 215 auf 245 DM.
Drittens: die Erhöhung des Entlassungsgeldes bei Ledigen von 60 DM auf 65 DM und bei Verheirateten von 65 DM auf 75 DM für jeden Monat des Grundwehrdienstes, d. h. im Regelfall bei Ledigen von 900 DM auf 975 DM und bei Verheirateten von 975 DM auf 1 125 DM.
Viertens: die Umstellung der Zahlungsweise des Wehrsoldes auf einmal monatlich jeweils zum 10. jedes Monats im Gegensatz zu bisher zwei Zahlterminen im Monat.
4820 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Gerstl
Diese Neuregelungen bringen für den Bundeshaushalt Mehraufwendungen von jährlich 123,7 Millionen DM mit sich. Es bedurfte wahrlich nicht der Aufforderungen der Opposition, wie Herr Biehle und der heutige Sprecher das behaupten, um die von uns getragene Regierung zu veranlassen, diesen Gesetzentwurf vorzulegen. Nach erheblichen Beschaffungsvorhaben zur Stärkung der Verteidigungskraft wurde von der Regierung und auch von mir selbst im Namen der Fraktion vor einiger Zeit angekündigt, daß wir uns nun den sozialen Problemen unserer Soldaten zuwenden werden und die Anhebung des Wehrsoldes ansteht. Herr Biehle, der ja bei der ersten Lesung der Vorlage angesichts einer Besuchergruppe aus seinem Wahlkreis unter Profilierungszwang stand, und der heutige Sprecher haben nun das gleiche vorgetragen. Sie kritisieren den zeitlichen Abstand zur letzten Anhebung der Bezüge der. Wehrpflichtigen.
— Herr Biehle, wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, die Erhöhungszeiträume zu den Zeiten, in denen Ihre Partei die Regierung getragen hat, anzusehen, hätten Sie leicht feststellen können, daß es seit Bestehen der Bundeswehr diesen Vierjahresturnus gegeben hat.
Lediglich unter der Verantwortung der SPD/FDP verstrichen — von 1971 bis 1974 — zwischen den Angleichungen nur drei Jahre.
Der Anhebungsbetrag bei den ersten Anhebungen belief sich auf 0,30 bis 0,75 DM pro Tag. Ich glaube, die Anhebungen stehen in einem vernünftigen Verhältnis zur jährlichen Mehrbelastung der Wehrpflichtigen, weil wir in den letzten Jahren auch einige Verbesserungen im übrigen wirtschaftlichen Bereich der Bundeswehr vorgenommen haben. Ich nenne das Kantinenwesen. Ich meine, auch die Verpflegung ist wesentlich besser geworden. Für einen Teil der Wehrpflichtigen ist auch die Sparförderung spürbar verbessert worden.
Lassen Sie mich noch die seltsamen Argumente der Opposition in bezug auf eine angeblich leistungsfeindliche und funktionsungerechte Wehrsolderhöhung ansprechen. Herr Biehle zieht dabei die Ausführungen des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs Schmidt vor dem Verteidigungsausschuß vom 25. September 1973 zur Wehrsolderhöhung 1971 heran. Ich frage hier: Was ist denn an den Ausführungen des damaligen Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs falsch?
Genau 1971 hat man eine Differenzierung in der Gruppe der Gefreiten, Obergefreiten und Hauptgefreiten — erstmals überhaupt — eingeführt. Zwischen Grenadier und Unteroffizier wurde eine Solddifferenz von 4,50 DM täglich eingeführt, während vorher die gleiche Differenz 80 Pf bzw. 1,25 DM betrug. Wenn also jemand den Wehrsold leistungsfeindlich und funktionsungerecht gestaltet hat, dann waren es doch die Regierungen vor unserer Zeit.
Herr Biehle, ich will hier einige Zahlen vortragen, die zeigen, wie das zur Zeit aussieht. Nach der Neuregelung des Wehrsoldes sollen der Grenadier 195 DM, der Gefreite 240 DM, der Obergefreite 255 DM, der Hauptgefreite 285 DM und der Unteroffizier 330 DM im Monat bekommen. Die oben angesprochene Differenz macht also für die Unteroffiziere den Betrag zwischen 195 und 330 DM, 135 DM, aus. Wenn Sie sich die Gehaltstabelle für SaZ-Soldaten und Berufssoldaten — ledig mit Unterkunftspflicht — ansehen, dann gibt es da eine Differenz von 1 154 DM bis 1 385 DM. Wenn Sie dann noch die Steuern berücksichtigen, haben Sie im Besoldungsbereich eine etwa gleiche Differenz wie im Wehrsoldbereich.
Ich frage Sie also: Wie kommen Sie zu der Feststellung, daß die Gefahr gegeben sei, daß der Feldwebel den gleichen Wehrsold bekommt wie der Grenadier, wenn die Solddifferenz zur Zeit täglich 5,50 DM beträgt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biehle?
Bitte schön.
Herr Kollege Gerstl, es ist nicht meine Aufgabe, in Mengenlehre Nachhilfeunterricht zu geben. Aber stimmen Sie mir nicht zu, daß künftig, wenn diese Nivellierung so weitergeht, wie das jetzt zweimal unter Ihrer Regierung geschehen ist, der Feldwebel nach dreimaliger Erhöhung genausoviel Wehrsold erhalten wird wie der Grenadier? Glauben Sie immer noch, daß dies nicht leistungsfeindlich ist?
Diese Behauptung muß ich ganz entschieden zurückweisen.
Es ist unmöglich, daß dann der Grenadier das gleiche bekommt wie der Unteroffizier oder der Feldwebel, wenn man immer um den gleichen Betrag erhöht. Die Differenz bleibt immer gleich, Herr Kollege.
Selbst wenn in der Zukunft weitere Anhebungen um den gleichen Betrag für alle Dienstgrade — das möchte ich sehr deutlich herausstellen — erfolgen sollten, bliebe die Differenz erhalten.
Wir müssen Sie fragen: Wollen Sie für den Wehrsold besoldungsmäßige Grundsätze anstreben, oder soll der Wehrsold weiterhin den Taschengeldcharakter — bei Stellung von Kleidung, Verpflegung, Unterkunft und bei Unterhaltssicherung — haben?
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4821
Gerstl
Lieber Herr Kollege Biehle, wenn Sie und Ihre Fraktion diese Absicht haben sollten, dann wäre es klüger, gleich eine Berufsarmee zu fordern. Dann sollten Sie aber auch die Fragen der Finanzierbarkeit ohne Einfluß auf die Bewaffnung und Ausrüstung, die Integration der bewaffneten Streitmacht in die Gesellschaft und die Reservistenkomponente verdeutlichen. Wir Sozialdemokraten bekennen uns zur Wehrpflichtarmee und halten die derzeitige Lösung beim Wehrsoldgefüge für vertretbar.
Selbstverständlich wird es notwendig sein, wie ich es schon früher ausgeführt habe, in einigen Teilbereichen zu neuen Lösungen zu kommen. So muß die unzumutbare Belastung heimatfern einberufener Wehrpflichtiger durch die Kosten der Wochenendheimfahrten
über die gewährten Freifahrten hinaus gemildert oder beseitigt werden. Diese Fragen können aber nicht über Änderung beim Wehrsold gelöst werden, weil hier die Verhältnisse zu unterschiedlich sind. Wir jedenfalls werden uns um diese Probleme kümmern, nicht nur wegen der wirtschaftlichen Seite, sondern auch wegen des Unfallschutzes und aus anderen Gründen.
Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt der vorliegenden Gesetzesänderung zu.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Ludewig.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Quer durch die Bänke des Parlaments besteht Konsens darüber, daß wir diese Gesetzesvorlage vollenden und ihr zustimmen. Im Laufe der vorangegangenen Debatte über dieses Gesetz sind alle wesentlichen Gründe genannt worden. die die Änderung des Wehrsoldgesetzes erforderlich machen. Ich will deshalb auf die Problematik nur noch einmal ganz kurz eingehen.
Die Tagessätze sind zuletzt 1974 in allen Wehrsoldgruppen erhöht worden, das Entlassungsgeld ist zuletzt 1973 erhöht worden. Im Hinblick auf die gestiegenen Lebenshaltungskosten müssen wir jetzt wieder nachziehen. Wir hätten gerne 1,50 DM zugelegt. Dies war aber im Haushalt 1978 nicht unterzubringen.
— Wir können es nachholen, wir wollen es zusammen versuchen.
— Das ging nicht nur auf zwei Parteien, sondern auf vier!
Wir dürfen es allerdings nicht bei der Erhöhung des Wehrsoldes lassen und auch nicht bei der einmaligen Erhöhung des Entlassungsgeldes. Es liegt noch einiges im argen. Wir wissen das und wir sagen das den Angehörigen der Bundeswehr. In einem engen Zusammenhang mit diesem finanziellen Problem steht auch der Nulltarif bei der Bundesbahn für Bundeswehrangehörige und die Kostenerstattung für Kfz-Heimfahrten. Ich wollte nur einmal diese beiden Probleme nennen. Wir werden uns darüber im Ausschuß zu unterhalten haben.
Dem vorliegenden Gesetzentwurf stimmen die Freien Demokraten zu.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die §§ 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. — Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir treten ein in die
dritte Beratung.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dann ist das Gesetz einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, es liegt eine weitere Beschlußempfehlung des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1320 unter Nr. 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Klein , Dr. Lenz (Bergstraße), Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Eyrich, Dr. Langner, Vogel (Ennepetal) und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 44)
— Drucksache 8/1180 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Lenz , Dr. Klein (Göttingen), Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Eyrich, Dr. Langner, Vogel (Ennepetal) und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ge-
4822 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Präsident Carstens
setzes über das Untersuchungsverfahren des Deutschen Bundestages
— Drucksache 8/1181 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Innenausschuß Rechtsausschuß
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das Wort hat Abgeordneter Dr. Lenz .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Untersuchungsausschüsse hat es in Bund und Ländern oft gegeben, und zwar am meisten im 1. Deutschen Bundestag. Etwa die Hälfte der 19 Untersuchungsausschüsse dieses Hauses sind in der ersten Wahlperiode eingesetzt worden; drei Untersuchungsausschüsse in der zweiten Legislaturperiode, in der dritten, fünften und siebten Wahlperiode je zwei, in der sechsten Wahlperiode nur einer.
Auch die Landtage haben dieses Kontrollinstrument häufig eingesetzt. Es genügt, an drei aktuelle Beispiele zu erinnern, nämlich an den Untersuchungsausschuß des baden-württembergischen Landtags, der sich mit den Vorgängen in Stammheim beschäftigt, und an die beiden hessischen Untersuchungsausschüsse: einmal zur Klärung von Spendenaffären im Zusammenhang mit dem Bau des Frankfurter Flughafens; zum anderen erwähne ich den Helaba-Ausschuß.
Diese Untersuchungsausschüsse fördern meistens eine große Menge mehr oder minder unerfreulicher Tatsachen ans Tageslicht, und die nachfolgenden Gerichtsverfahren bringen nur noch selten völlig oder wesentlich neue Erkenntnisse. Trotzdem hinterlassen die Untersuchungsausschüsse regelmäßig ein Gefühl des Unbehagens bei den Beteiligten und in der Öffentlichkeit. Man ist enttäuscht, daß der Untersuchungsausschuß die letzte Klarheit nicht gebracht hat, und vergißt dabei, daß auch die Gerichte dies in ähnlichen Fällen meistens nicht zu tun vermögen.
Man verweist auf die in und um den Ausschuß entstehenden politischen Auseinandersetzungen und vergleicht dies mit dem Dekorum, das die Gerichte als Unbeteiligte auch in strittigsten Fällen zu wahren wissen. Bei diesem Vergleich kommen die Untersuchungsausschüsse natürlich schlecht weg. Wenn der Vergleich auch absolut unzulässig ist, er findet nun einmal, wie es scheint, im Grundgesetz selbst eine Stütze, weil dort von dem Ausschuß als Einheit die Rede ist, der nach den Regeln der Strafprozeßordnung Beweis erhebt.
Diese Betrachtungsweise ist natürlich geeignet, das Unbehagen an den Untersuchungsausschüssen noch zu stärken und den Blick für die Wirklichkeit zu verstellen. Der Hinweis auf die Strafprozeßordnung erweckt nämlich beim unbeteiligten Zuschauer den Eindruck, als seien hier staatliche Organe, nämlich die Polizei — dein Freund und Helfer — und die Staatsanwaltschaft als die objektivste Behörde
und ein Gericht, das unabhängig und nur an Gesetz und Recht gebunden ist, dabei,- einen Sachverhalt aufzuklären und die gefundenen Ergebnisse an rechtlichen Maßstäben zu messen.
Dieser Eindruck, meine Damen und Herren, ist in allen Punkten falsch. Der Untersuchungsausschuß besteht nicht aus unbefangenen Richtern, sondern aus Abgeordneten, deren Parteien miteinander in Wettbewerb stehen und die auch wissen, daß das Ergebnis der Untersuchung einen unmittelbaren Einfluß auf die Wettbewerbslage haben wird.
Es gibt keine Ermittlungsbehörde, es gibt keine Anklagebehörde, es gibt keine Verteidigung, es gibt kein Gericht; es gibt eben nur die Mitglieder des Untersuchungsausschusses, und deren Funktion unterscheidet sich am ehesten nach ihrer Zugehörigkeit zu ihrer jeweiligen politischen Gruppierung und deren Stellung zur jeweiligen Regierung.
Der Untersuchungsausschuß ist also kein Gericht; und es geht ihm auch nicht darum, das Verhalten von irgend jemandem an Gesetz und Recht zu messen; denn wenn ein straf- oder zivilrechtlich faßbares Fehlverhalten zur Diskussion stünde, würde man ja versuchen, die Gerichte zu bemühen.
Es geht um die Aufklärung von Sachverhalten, und zwar meist von Sachverhalten, die. politisch umstritten sind. Die politisch relevante Wertung wird gar nicht vom Untersuchungsausschuß selbst, sondern von der beobachtenden Öffentlichkeit vorgenommen.
Es gibt auch keine Angeklagten, sondern nur Personen, die zu gewissen Fragen Rede und Antwort stehen müssen, gleichgültig, ob ihnen nun etwas vorgeworfen wird oder vorgeworfen werden kann oder nicht. Es gibt auch keine Verteidiger — was für die Betroffenen häufig sehr unangenehm ist —, weil es auch keine an bestimmte Regeln gebundene Staatsanwälte gibt. Ähnlichkeiten mit dem Strafverfahren sind also nicht vorhanden; der Hinweis auf das Strafverfahren ist nur irreführend. Es handelt sich um ein Verfahren, wo hochinteressierte Vertreter verschiedener Parteien Tatsachenaufklärung — oder gelegentlich auch deren Verdunkelung — durch die Vernehmung von Auskunftspersonen betreiben, über deren Rolle in den Augen der Ausschußmitglieder häufig vorgefaßte Meinungen, also Vorurteile im Wortsinne bestehen.
Ursprünglich ging man von der Vorstellung aus, daß dabei der Untersuchungsausschuß als Organ der Volksvertretung als Einheit der vom Monarchen ge- führten Exekutive gegenüberstehe, eine Situation, die der erste englische Untersuchungsausschuß im Jahre 1340 — die Einrichtung kann also auf mehrere Jahrhunderte der Erfahrungen und des Bestehens zurückblicken — und auch die ersten deutschen Untersuchungsausschüsse, die die preußische Verfassung von 1850 erstmalig zuließ, vorfanden. Aber auch davon kann keine Rede mehr sein. Die Mitglieder unserer heutigen Untersuchungsausschüsse sind Mitglieder konkurrierender Parteien mit unterschiedlichen Interessen. Helmut Schmidt, damals noch Fraktionsvorsitzender der SPD, hat ein-
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Dr. Lenz
mal davon gesprochen, das Verfahren vor einem Untersuchungsausschuß gleiche einem Mannschaftswettbewerb, bei dem — so hat er wörtlich gesagt —„verschiedene Mannschaften gegeneinander angetreten sind".
Dieses Bild hat er damals nicht sehr schön gefunden, aber es ist, glaube ich, eine zutreffende Beschreibung der Wirklichkeit, so wie er sie damals auch festgestellt hat.
Ein Mitglied eines Untersuchungsausschusses — das paßt zu diesem Bild — soll dann auch einmal mit entwaffnender Offenheit bekannt haben: Wir sind doch nicht hier, um Eigentore zu schießen. — Die Parallele mit dem Mannschaftswettbewerb trifft offenbar ins Schwarze.
— Sehr richtig, Herr Kollege Schäfer. Ich weiß auch, wer es war. Ich habe das zitiert, weil ich meine, daß wir es uns schuldig sind, bei solchen Dingen die Tatsachen vorurteilsfrei auf den 'Tisch zu legen. Man kann ja seine Meinung haben, aber man sollte sie, soweit wie möglich, auf Tatsachen gründen und sich über diese Tatsachen auch selbst im klaren sein.
Sehr häufig richtet sich die Untersuchung gegen die Regierung. Dann wird sich die Ausschußmehrheit in der Regel schützend vor „ihre" Regierung stellen, wie Klaus Stern, eines der Mitglieder der Enquete-Kommission Verfassungsreform, in seinem großen Werk über das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland bemerkt. Aber auch sonst, wenn das nicht der Fall ist, wird sich ein Teil der Mitglieder des Untersuchungsausschusses von einem bestimmten Ausgang, der Untersuchung mehr Nachteile als Vorteile versprechen, während die Erwartungslage bei dem anderen Teil natürlicherweise genau umgekehrt ist.
Von diesem Bild geht die Enquete-Kommission Verfassungsreform bei ihren Vorschlägen zur Reform des Untersuchungsverfahrens aus. Dieses Bild unterscheidet sich freilich von dem Bild, das in dem Sondervotum unseres früheren Kollegen Hirsch gezeichnet worden ist und das unser geschätzter Kollege Engelhard übernommen hat. Dort ist davon die Rede, daß das Untersuchungsverfahren nicht als politisches Kampfinstrument konstruiert, sondern so ausgestaltet werden solle, „daß sich ein richterliches Selbstverständnis seiner Mitglieder bildet, ihr Verhalten leitet und ihre Entscheidungen bestimmt". Die Enquete-Kommission Verfassungsreform hielt dieses Bild in ihrer Mehrheit für wirklichkeitsfern. Sie geht von der Verfassungslage in der modernen, von Parteien bestimmten parlamentarischen Demokratie aus, wo die Mehrheit des Parlaments die Regierung trägt und der andere Teil zu dieser in Opposition steht. Sie geht davon aus, daß das Untersuchungsverfahren ein Teil der Auseinandersetzung zwischen den Parlamentsfraktionen ist, und zwar jener Auseinandersetzung, die um politisch umstrittene Sachverhalte geführt wird.
Die Enquete-Kommission Verfassungsreform begegnet dieser Lage nicht mit moralischen Appellen — von deren Nutzlosigkeit sie sicherlich überzeugt war —, sondern sie fordert von den Parlamentariern, nicht anders zu sein, als sie sind und wahrscheinlich auch sein müssen. Vielmehr sucht sie ein Verfahren, um in dieser Lage, von diesem Ausgangspunkt aus eine bestmögliche Aufklärung des Sachverhalts zu ermöglichen. Wenn die Enquete-Kommission Verfassungsreform dabei den Gesichtspunkt der politischen Auseinandersetzung betont, so übersieht sie doch nicht den Aspekt der notwendigen und vollständigen Sachaufklärung. Sie anerkennt ihn vielmehr ganz selbstverständlich als wesentliches Merkmal einer jeden Untersuchung. Die Enquete-Kommission will also das Untersuchungsverfahren als ein parlamentarisches Verfahren zur Aufklärung strittiger Sachverhalte begreifen und als solches neu ordnen. In diese Konzeption paßt es nicht, wenn man die Untersuchung im Sinne des Sondervotums unseres geschätzten Kollegen Professor Schäfer durch ein vom Parlament eingesetztes, aber nicht mit Parlamentariern besetztes Untersuchungsgremium aus Richtern führen läßt.
Andererseits ist es durchaus konsequent, wenn die Enquete-Kommission die Stellung der Minderheit zu verbessern versucht. Denn Wahrheit, meine Damen und Herren, ist keine Frage von Mehrheit oder Minderheit. Auch die Mehrheit kann gelegentlich einmal Recht haben. Die notwendige Sachaufklärung darf man auch nicht dadurch behindern, daß man der jeweiligen Mehrheit im Untersuchungsausschuß zu viele Rechte einräumt oder — genauer gesagt — beläßt.
Daß die Mehrheit bestimmt, was in der Gesetzgebung geschehen soll, ist durchaus demokratisch. Daß die Mehrheit bestimmt, was Wahrheit sein soll, ist es dagegen nicht, meine Damen und Herren.
Gerade die vergleichsweise schwache Stellung der Parlamentsminderheit — nicht bei der Einsetzung, wohl aber bei der Durchführung von Untersuchungsverfahren — ist ein Punkt der Kritik am geltenden Recht. Eine gewisse Verbesserung gegenüber dem im Grundgesetz niedergelegten Verfahren haben zwar die sogenannten IPA-Regeln und weitere, von den letzten Untersuchungsausschüssen eingeführte Verfahrensweisen gebracht. Aber diese reichen nicht aus, um der Minderheit im Untersuchungsausschuß hinreichenden Einfluß auf den Gang der Nachforschungen zu geben, die sie ja selber in aller Regel angeregt hat. Und, meine Damen und Herren: Es ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen auch nicht zu vereinbaren, daß man nirgendwo genau nachlesen kann, wo diese Regeln nun eigentlich
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Dr. Lenz
stehen und wie sie gehandhabt werden müssen. Deswegen ist hier ein Gesetz erforderlich.
Die Grundidee dieses Reformvorschlages geht von der Erkenntnis aus, daß im Untersuchungsverfahren Sachaufklärung und politische Auseinandersetzung gleichermaßen zu ihrem Recht kommen müssen. Die Hauptverantwortung für die Sachaufklärung, d. h. für die inhaltliche Durchführung der Untersuchung, liegt nach unseren Vorstellungen bei den stimmberechtigten Mitgliedern des Untersuchungsausschusses, dem höchstens neun Mitglieder angehören sollen; je kleiner die Zahl, desto besser für die Untersuchung. Der Vorsitzende soll sich — genau wie der Präsident des Deutschen Bundestages — auf die Verhandlungsleitung beschränken und an der Sachauseinandersetzung nicht teilnehmen. Deswegen hat er auch kein Stimmrecht. Den einzelnen Mitgliedern sind relativ weitgehende Rechte eingeräumt. Schon zwei Mitglieder des Ausschusses, also eine Minderheit von knapp einem Viertel, haben das Recht, Beweisanträge durchzusetzen. Die Stellung der Zeugen und Sachverständigen ist klar geregelt. Die Zutrittsrechte von Mitgliedern der Bundesregierung, des Bundesrates und solcher Mitglieder des Bundestages, die dem Untersuchungsausschuß nicht angehören, sind auf die Bedürfnisse des Untersuchungsverfahrens zugeschnitten und neu geregelt. Das war übrigens schon Anliegen eines Gesetzentwurfs, der im 5. Deutschen Bundestag interfraktionell eingebracht wurde.
Die vorgeschlagene Neuregelung bedarf einer Änderung des Grundgesetzes, die wir den Vorschlägen der Enquete-Kommission Verfassungsreform wörtlich entnommen haben. Die Grundgesetzänderung ist notwendig, um das Recht der Minderheit, Beweisanträge durchzusetzen, den Ausschluß des Stimmrechts für den Vorsitzenden und die Beschränkung der Zutrittsrechte der Bundesregierung und des Bundesrates verfassungsrechtlich abzusichern. Außerdem muß die sinngemäße Anwendung der Strafprozeßordnung bei der Beweiserhebung entfallen, die im Grundgesetz verankert ist, und statt dessen die Ermächtigung zum Erlaß eines eigenen Bundesgesetzes gegeben werden. Es wird auch zu prüfen sein, meine Damen und Herren — ich sage das aus aktuellem Anlaß —, ob und welche Folgerungen für die Bestimmung zu ziehen sind, wonach der Verteidigungsausschuß die Rechte eines Untersuchungsausschusses hat.
Unsere Vorschläge sind nicht das Ergebnis einseitiger, parteipolitischer Betrachtungsweise. Ihre Grundlagen wurden von einer Kommission erarbeitet, der Vertreter aller Fraktionen des Bundestages, eine gleiche Zahl von Länder-Vertretern und unabhängige Sachverständige angehört haben. Die Vorschläge der Enquete-Kommission haben auch die Zustimmung von Angehörigen der Koalitionsparteien gefunden. Wenn wir sie jetzt vorlegen, nehmen wir dafür nicht die geistige Vaterschaft in Anspruch.
Wir wollen vielmehr den Anstoß für die allseits als dringend notwendig erachtete Reform des Untersuchungsverfahrens geben. Die Zeit hierfür ist nach
unserer Überzeugung nicht nur reif, sondern überreif.
Im Anschluß an den ersten Untersuchungsausschuß der 7. Wahlperiode hat dessen Vorsitzender, unser Kollege Schäfer, in einem Brief an die drei Fraktionsvorsitzenden vorgeschlagen, eine interfraktionelle Arbeitsgruppe mit dem Auftrag einzusetzen, einen Entwurf eines Gesetzes über die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen auszuarbeiten. Viel Zeit ist seitdem vergangen.
Deshalb bittet die CDU/CSU-Fraktion auch darum, mit den Beratungen alsbald anzufangen und nicht die Beratungen der übrigen Teile des Berichts der Enquete-Kommission Verfassungsreform abzuwarten.
Meine Fraktion weist darauf hin, daß gerade im Bereich der Kontrolle des Parlaments über die Regierung auch andere von der Enquete-Kommission Verfassungsreform behandelte Reformvorstellungen bereits in den Gang der Gesetzgebung eingebracht worden sind — z. B. zum Problem der Kontrolle der Nachrichtendienste — oder bereits geregelt worden sind — z. B. die Reform des Petitionswesens im Deutschen Bundestag -.
Der damalige Fraktionsvorsitzende der SPD, Helmut Schmidt, hat einmal gesagt: Ich meine, wir nützen dem Parlament, wenn wir über die Funktion von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen nachdächten. Er hat damals fortgefahren: Dies empfehle ich auch durchaus den Kollegen der CDU/CSU.
Wir haben uns die Mahnung des Kollegen Schmidt zu Herzen genommen. Wir sind seiner Aufforderung gefolgt. Meine Fraktion hat ihre Vorstellungen schon im Sommer 1975 allen Fraktionen des Bundestages unterbreitet, ohne daß diese Initiative damals — wohl wegen der Schlußphase der vergangenen Wahlperiode — aufgegriffen wurde.
Um so dringlicher ist es, jetzt mit der Arbeit zu beginnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schäfer .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind uns sicher darüber einig, daß wir hier über das Verfahren der Mißständeuntersuchungen sprechen. Die Enquete für die Vorbereitung von Gesetzesvorhaben — die Gesetzesenquete — ist eine andere Sache. Wir sind uns sicher auch darüber einig, daß das Parlament eine Möglichkeit haben muß, eigenes Wissen als Grundlage für die Bewertung von Vorgängen selber zu erarbeiten.
So gesehen, dienen Untersuchungsausschüsse dazu, Mißstände aus allen Gebieten des öffentlichen Lebens zu prüfen und der Parlamentsdiskussion, also dem Plenum des Hauses, das Herr des Verfahrens ist, zugänglich zu machen.
Wichtig ist, daß zwischen Tatsachenfeststellung und politischer Bewertung von Tatsachen unterschieden werden muß. Hier liegt schon ein wesentlich gravierender Unterschied zwischen Ihrem Vortrag,
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Dr. Schäfer
Herr Kollege Lenz, und meinem. Die Diskussion und die Bewertung hier durch das Haus müssen auf eigenen Feststellungen des Sachverhalts beruhen. Bei der Feststellung des Sachverhalts darf sich die Konfrontation zwischen Mehrheit und Minderheit nicht übertragen. Sie haben völlig recht: Die Mehrheit hat nicht die Garantie, die Wahrheit zu finden. Aber auch die Minderheit hat diese Garantie nicht, ebensowenig das Privileg, davon auszugehen, daß sie allein die Wahrheit findet. Ihre Überlegungen gehen letztlich dahin, das, was Sie vorgefunden haben und was unser aller Unbehagen erweckt, weiter zu einem reinen Kampfausschuß zu entwickeln. Ich habe mir soeben einige Ihrer Formulierungen mitgeschrieben, aus denen das deutlich hervorgeht. Ich brauche es nicht zu wiederholen; wir sind uns auch darüber einig. Sie sind der Auffassung, daß der Untersuchungsausschuß die Fortsetzung der politischen Auseinandersetzung mit anderen Mitteln ist.
Wir sagen, daß es primär Aufgabe des Untersuchungsausschusses ist, die Wahrheit zu erforschen,
zu suchen, was wahr ist, um dann auf Grund dieser Basis eine Bewertung vornehmen zu können.
Darin unterscheiden wir uns wesentlich voneinander. Ihre eigenen Worte in Ihrer Vorlage sagen das auch sehr deutlich. Sie sagen: Ein solches parlamentarisches Untersuchungsverfahren ist kein gerichtsähnliches Verfahren, sondern — jetzt kommt es — dient der Aufklärung tatsächlicher Sachverhalte unter politischen Gesichtspunkten. Kennen Sie denn verschiedene Wahrheiten:
eine Wahrheit unter politischen Gesichtspunkten und eine Wahrheit ohne politische Gesichtspunkte?
Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.
Dann fahren Sie fort: In der Regel stehen auf der einen Seite diejenigen, die sich von der Aufklärung der gestellten Fragen einen politischen Vorteil versprechen, auf der anderen Seite stehen diejenigen, die davon einen politischen Nachteil befürchten müssen. Sie wechseln diese Positionen im Laufe des Untersuchungsverfahrens wegen einzelner Untersuchungsthemen möglicherweise mehrfach. Herr Kollege Lenz, so ist es leider geworden. Genau das ist der Grund, aus dem es geändert werden muß und nicht fixiert werden darf.
Sie wollen das noch stärker fixieren. Sie wollen sich mit einer Fehlentwicklung abfinden und diese noch verfassungsrechtlich und gesetzlich fixieren. Das kann und darf nicht richtig sein. So sehen wir das nicht.
Sie haben mit Recht auf einige Dinge hingewiesen; I ich kann mich deshalb kurz fassen. Seit den fünfziger Jahren hat man sich damit beschäftigt, weil man ein allgemeines Unwohlsein hatte. Sie haben den früheren Fraktionsvorsitzenden Helmut Schmidt zitiert, der das Verfahren ganz richtig beschreibt und damit deutlich macht, daß es nicht so bleiben darf, sondern daß man einmal an die tatsächliche Analyse gehen soll. Man hat in den fünfziger Jahren Vorschläge von den Präsidenten der deutschen Landtage gehabt. Der 45. Juristentag hat sich damit befaßt. Damals hat unser Kollege Ehmke als Berichterstatter deutlich darauf hingewiesen, daß der Minderheit eine solche Stellung gegeben werden müsse, als wenn sie die Mehrheit wäre. Das ist richtig, damit sind wir einverstanden. Das zeigt schon, wie pervers die Situation gestaltet werden muß, wenn man von dem Bestehenden ausgeht.
— Sie werden mich gleich verstehen. Es ist richtig, daß ein Viertel des Parlaments das Verfahren einleiten kann; das ist notwendig. Ich bin auch der Meinung, daß es richtig ist, daß diese Minderheit in der Lage sein muß, Beweisanträge durchzusetzen, damit nicht, wie das jetzt Ihre Parteifreunde in Schleswig-Holstein tun, jeder Beweisantrag der Opposition mit Mehrheit abgelehnt werden kann.
Sie sind mit mir sicher darin einig, daß das so nicht in Ordnung ist. Es muß vielmehr Sache der Minderheit sein, das Verfahren in Gang zu bringen und zu halten. Es am Schluß zu bewerten ist Sache der Mehrheit.
— Entschuldigen Sie, darüber entscheidet dieses Haus und stimmt darüber ab, und die Sachentscheidung hat am Schluß die Mehrheit. Die Mehrheit hat die Legitimation und entscheidet — nicht im Ausschuß — im Plenum. Wir werden uns gleich verstehen.
— Das ist genau der Punkt; aber Sie werden sehen, daß es noch einen viel triftigeren Grund gibt. Das werde ich Ihnen gleich vorzutragen haben.
Es gab dann auf dem Juristentag Vorschläge von Gustav Heinemann, die später der 1. Untersuchungsausschuß auch aufgegriffen hat. Sie gingen davon aus, daß die Notwendigkeit bestehe, eine Voruntersuchung durchzuführen und das Verfahren vorzubereiten. Denn — so steht es in dem Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 7. Wahlperiode
— in keinem Verfahren — „Verfahren" jetzt ganz neutral gesagt — ist die Stellung des Bürgers so schlecht abgestützt wie im Untersuchungsverfahren. Jeder Bürger kann nämlich in die Situation gebracht werden — ob beweiserheblich oder nicht —, vor dem Untersuchungsausschuß aussagen zu müssen, nur weil die Begleitmusik in der Öffentlichkeit entspre-
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Dr. Schäfer
chend ist oder weil einzelne Abgeordnete — da greife ich einen Gedanken des Kollegen Hirsch auf — glauben, sich über Untersuchungsausschüsse profilieren zu können. Hirsch hat ganz recht, wenn er sagt, in Untersuchungsausschüsse sollten Kollegen, die Gefahr laufen, vorhandenes Ansehen einzubüßen, nicht aber solche, die sich dort erst ein Profil schaffen wollen. Das ist ein sehr wichtiger Gesichtspunkt.
Die Problematik konzentriert sich immer wieder — auch jetzt bei Ihnen — auf einige Punkte. Mit den IPA-Regeln wurde eine Lösung versucht. Wir haben diese Regeln ja zugrunde gelegt. Wir waren sehr souverän und haben uns sozusagen eine eigene Geschäftsordnung gemacht. Das war in Ordnung so, denn es hat uns geholfen. Es war aber nicht ausreichend.
Es sind praktisch immer die gleichen Fragen. Die Minderheit — ich sagte es schon — kann das Verfahren in Gang setzen. Zwar kann die Mehrheit Herrschaft ausüben, aber eine Minderheitsherrschaft kann noch schlimmer sein, weil sie nicht einmal korrigiert werden kann. Sie sagen jetzt: Zwei Leute können einen Beweisantrag stellen. Wenn Sie von diesem Verfahren ausgehen, gut.
Sie haben aber immer die gleichen Fragen, die Fragen der Aktenvorlage, des Zutritts der Regierung, die Frage der Vereidigung. Sie haben die Schwierigkeit der Unterscheidung, haben keinen Angeklagten, keinen Betroffenen. Niemand darf das Zeugnis verweigern, es sei denn, er belastet sich selbst. Hinterher aber kann er als Angeklagter vor Gericht stehen. Nicht immer richtet sich die Untersuchung auf einen Sachverhalt, vielmehr ist sie häufig getarnt und richtet sich ganz speziell gegen Mitglieder dieses Hauses oder gegen politisch Verantwortliche. Diese aber haben nicht die Möglichkeit, die sonst besteht, wenn gegen jemanden eine Untersuchung geführt wird, sich entsprechend zu verhalten, das Zeugnis, die Aussage zu verweigern usw. Nein, sie stehen unter dem Druck eines späteren Gerichtsverfahrens.
Meine Damen und Herren, das zeigt, daß Sie bei den Symptomen stehengeblieben sind. Alles, was bis jetzt geschehen ist, ist so zu kennzeichnen. Man hat sich sozusagen damit abgefunden und versucht jetzt eine Regelung, nach der nicht die Mehrheit, sondern die Minderheit die Mehrheit ist. Ein Kollege hat bei den Beratungen sogar gesagt, die Untersuchung sei primär Sache der Opposition, und die Opposition solle auch den Bericht fertigen. Meine Damen und Herren, das ist eine völlige Verkennung der Lage. Das Untersuchungsbedürfnis liegt nicht allein bei den Abgeordneten der Opposition, sondern es liegt bei diesem Hause. Das Kontroll- und Untersuchungsbedürfnis liegt im gleichen Maße bei denjenigen, die als Regierungsfraktionen die Regierung tragen.
Sie haben genau das gleiche Interesse, die Wahrheit
zu erforschen; denn nichts ist so stark wie die
Wahrheit. Deshalb haben alle gleichermaßen das Recht und die Pflicht der Kontrolle.
Die Regierungsfraktionen kontrollieren die Regierung schon, in einem Zeitpunkt, in dem die Opposition dazu gar nicht in der Lage ist. Die Regierungskoalition kontrolliert und beeinflußt die Regierung schon in einem sehr viel früheren Stadium.
Sie kontrolliert auch, ob die Regierung die gewünschte Politik dann auch tatsächlich durchführt. Die Möglichkeiten der Opposition — das gilt generell, nicht nur für Sie — aber setzen erst ein, wenn die Maßnahmen in einem bestimmten Stadium angelangt sind.
Nein, Meine Damen und Herren, das sind nur Symptome. Der Kern steckt tiefer; daß muß man hier einmal offen aussprechen, und deshalb muß man auch neue Wege finden. Der Kern steckt tiefer: Man muß bis zur preußischen Verfassung von 1850, die Sie richtig zitiert haben, zurückgehen, die als erste das Untersuchungsrecht gibt. Man muß sich dabei darüber klar sein, daß damals das Parlament im ganzen der Regierung gegenüberstand und daß das Parlament in ganzen die Untersuchung gegen die Regierung bzw. die Verwaltung, die dem Monarchen unterstand, geführt hat.
Das ist nicht in die Bismarck-Verfassung aufgenommen worden, ist dann aber in die Weimarer Verfassung aufgenommen worden. Mit der Weimarer Verfassung gibt es nun zum erstenmal eine parlamentarische Demokratie, aber keine so konsequente parlamentarische Demokratie, wie wir sie heute haben, denn der Reichskanzler bedurfte zur Übernahme seines Amtes nicht der Zustimmung des Reichstages, sondern die Berufung durch den Reichspräsidenten allein reichte aus, während heute der Kanzler grundsätzlich — es gibt eine Ausnahme, aber sie ist noch nie eingetreten — der Wahl durch die Mehrheit dieses Hauses bedarf.
Das muß man festhalten. Das bedeutet — ich will es ganz deutlich sagen, und wir müssen es ganz offen ansprechen, denn das ist in der parlamentarischen Demokratie dieser Prägung immer so —, daß Parlamentsmehrheit und Regierung politisch zur gleichen Gruppierung gehören und daß ihnen die Opposition gegenübersteht. Dann, wenn man das jetzige Verfahren mit einem Parlamentsausschuß durchführen will, bedeutet das, daß die die Regierung tragenden Fraktionen in einem solchen Ausschuß die Mehrheit haben, womit die ganze Problematik auftaucht, daß man, wenn man Wahrheitssuche betreiben will, Mehrheit und Minderheit umdrehen muß, also der Minderheit die Stellung geben muß, die sie hätte, wenn sie Mehrheit wäre, und all das, was Sie ganz richtig beschrieben haben.
Aber damit geben wir uns nicht zufrieden. Man muß vielmehr fragen: Ist denn dieses Instrument in der jetzigen staatspolitischen Entwicklung noch das richtige? Da lassen Sie uns einmal über die Grenzen
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Dr. Schäfer
blicken; es gibt ja andere Staaten. Herr Lenz, ich bedaure außerordentlich, daß ich das, was ich Ihnen jetzt vorzutragen habe, bei unseren Beratungen noch nicht gewußt habe, ich habe das jetzt erst festgestellt.
Im System am nächsten ist uns England. England ist ja als Demokratie älter als wir, und das englische Parlament hat mehr Erfahrungen als wir. In England hat man 1921 erkannt, daß man so keine Untersuchungen führen kann. In England wurde 1921 ein Gesetz verabschiedet, mit dem man die Untersuchung tribunals of inquiry übertrug, selbständigen, vom Parlament mit drei bis fünf Richtern oder Anwälten besetzten gerichtsähnlichen Gremien. Sie bekommen den exakten Auftrag, diesen oder jenen Tatbestand zu untersuchen. Da gibt es keine Mehrheit, da gibt es keine Minderheit. Sie führen in eigener Zuständigkeit Amtsermittlungen; sie führen, so würde ich, auf unsere Verhältnisse übertragen, sagen, die Ermittlungen nach den Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung durch, und sie berichten dann dem Unterhaus über das Ergebnis ihrer Feststellungen.
Und nun vergleichen Sie einmal, was sich da bei uns tut! Wir haben alles noch in Erinnerung: die öffentliche Begleitmusik,
die öffentliche Beeinflussung der Untersuchungen, der Versuch, sich zu profilieren, diese merkwürdige Art der Besetzung des Untersuchungsausschusses mit der doppelten Zahl von Mitgliedern, wobei jeder hineingeht und herausgeht, wie es ihm paßt, wobei jeder mitredet oder nicht mitredet, wie es ihm paßt. Das ist doch unerträglich, daß ist doch kein Verfahren, das Sie, Herr Lenz, nun festlegen und fixieren wollen!
Wenn schon, dann muß man dem englischen Beispiel folgen. Ich sagte schon, ich bedaure, daß ich es gar nicht gekannt hatte; das habe ich erst jetzt bei der Vorbereitung der heutigen Aussprache festgestellt. Dazu gibt es von unserem Wissenschaftlichen Dienst eine sehr gute Ausarbeitung, die Sie sich einmal geben lassen müssen.
Es ist auch nicht uninteressant, daß die Vereinigten Staaten, die ein ganz anderes System haben, in dem Präsident plus Regierung dem Parlament mehr gegenüberstehen als bei uns, ebenfalls die Möglichkeit der Sachuntersuchung — im Staat New York ganz besonders — durch Commissioners haben, durch Beauftragte, durch Selbständige, nicht durch das Parlament.
Meine Damen und Herren, das zeigt, daß wir, wenn wir ernsthaft eine Neuregelung suchen, tiefer greifen müssen, uns nicht an den Symptomen orientieren dürfen, nicht das festigen dürfen, was heute besteht. Die Vorschläge, wie sie in Ihren beiden Gesetzentwürfen, die auf der Grundlage der Enquete-Kommission beruhen, vorgelegt wurden, würden das aber tun.
Wir werden in Bälde einiges dazu beizutragen haben, in Diskussionen eine Regelung zu finden, die
geeignet ist, die Probleme zu lösen. Es darf nicht eine Regelung sein, die die bestehenden Verhältnisse verhärtet und verschlechtert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ehemaliges Mitglied der Enquete-Kommission Verfassungsreform bin ich hocherfreut, daß wir heute erstmals Gelegenheit haben, ein Kapitel aus dem Schlußbericht der Kommission hier zu behandeln. Es ist immerhin ein Jahr her, daß die Enquete-Kommission ihren Bericht vorgelegt hat. Ich habe die Hoffnung, daß jetzt alsbald Zug um Zug Thema für Thema im Deutschen Bundestag behandelt werden wird, und zwar nicht nur dann, wenn einmal die Möglichkeit besteht — hier sind wir uns ja einig, Herr Kollege Dr. Lenz —, den Lorbeer höherer Kommissionseinsichten und -überzeugungen an die Fraktionsfahne einer der politischen Gruppen dieses Hauses zu heften.
Die Neuordnung des parlamentarischen Untersuchungsverfahrens wird uns eine sehr gewissenhafte Beratung abnötigen, nicht nur deswegen, weil hier eine Änderung unserer Verfassung in Rede steht. Schon heute aber wird man unschwer feststellen können, daß wir nur dann erfolgreich sein können, wenn es uns gelingt, das Recht wie das Selbstverständnis der Untersuchungsausschüsse qualitativ gründlich zu verändern.
Die Untersuchungsausschüsse waren in der Vergangenheit vom Verfahren wie vom Ergebnis her häufig unbefriedigend. Wir sollten hier unser eigenes, immer subjektives Urteil einmal zurückstellen und die Wertungen in der Öffentlichkeit etwas ernster nehmen. Wir wollen doch der Öffentlichkeit in einem parlamentarischen Untersuchungsverfahren Tatsachen vermitteln. Wir werden es uns dann gefallen lassen müssen, daß die Öffentlichkeit ablehnend reagiert, wenn sie in diesem Untersuchungsverfahren nichts anderes erlebt als eine Fortsetzung der parlamentarischen Auseinandersetzungen mit anderen Mitteln. Das parlamentarische Untersuchungsverfahren muß ganz einfach mehr sein als die Verlegung der Debatten in einen anderen Saal,
mit denselben Akteuren, mit denselben Zielen, aber zusätzlich mit dem Recht und dem Anspruch, in einer gerichtsförmigen Beweiserhebung ein inquisitionsähnliches Verfahren durchzuführen, ohne sich dem verpflichtenden Bemühen ausgesetzt zu sehen, um Objektivität bemüht zu sein. Nach unserem Verständnis ist der Untersuchungsausschuß ein parlamentarisches Instrument zur objektiven Sachaufklärung in einem kontradiktorischen, gestrafften Verfahren,
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Engelhard
das es auch und gerade Minderheiten ermöglicht — ganz gleich, ob sie die Regierung mit tragen oder ob sie in der Opposition sind —, bei der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen wie auch bei der Durchführung des Verfahrens gleichberechtigt tätig zu sein.
Nun sagen auch die vorliegenden Gesetzentwürfe der CDU/CSU, daß Sie sich besonders um die Frage der Sachaufklärung und um den Minderheitenschutz bemühen wollen. Ich meine jedoch, daß daraus bei der Ausformulierung durchgängige Konsequenzen nicht gezogen worden sind.
Wir haben uns darum bemüht, in dem bereits erwähnten Sondervotum unseres ehemaligen Kollegen Dr. Burkhard Hirsch, dem ich mich angeschlossen habe. Wir sind natürlich nicht so naiv oder so unwissend, zu meinen, der Untersuchungsausschuß sei -ein Gericht. Aber wer die Notwendigkeit eines gerichtsähnlichen Verfahrens und eines gewissen richterliçhen Selbstverständnisses der Mitglieder eines Untersuchungsausschusses überhaupt in Abrede stellt, der wird dem Ziel der Wahrheitsfindung nicht näherkommen können.
Es ist doch so, daß am Beginn eines Untersuchungsausschusses ganz klar das politische Ziel steht. Aber wir erleben in der Mitte eines solchen Verfahrens das Bemühen um objektive Sachaufklärung, um dann am Ende wieder zur politischen Wertung dessen zurückzukehren, was an Tatsachen erhoben worden ist. Um diesen sehr unterschiedlichen Aufgaben gerecht werden zu können, muß zunächst einmal die Zahl der Mitglieder eines Untersuchungsausschusses möglichst klein gehalten werden.
Sie haben den Vorschlag 9 unterbreitet, wir haben die Zahl auf 7 festgesetzt.
Zum anderen wird man sich über die Qualifikation und die besonderen Anforderungen Gedanken machen müssen, die man an Mitglieder eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu stellen haben wird. Drittens wird man eine herausgehobene, die Unabhängigkeit dieser Mitglieder sichernde Rechtsstellung für die Mitglieder solcher Ausschüsse vorsehen müssen.
Was die Zahl der Mitglieder anlangt, wird man dafür sorgen müssen, daß die Stellvertreter nicht — wie vorhin von Ihnen, Herr Professor Schäfer, geschildert —, wann immer es ihnen beliebt, in volle Aktion treten können, sondern daß sie echte Stellvertreter sind und am Verfahren bei gleichzeitiger Anwesenheitspflicht nur dann mitwirken können, wenn der Fall der Verhinderung eines der ordentlichen Mitglieder eintritt.
Bezüglich der Qualifikation der Mitglieder von Untersuchungsausschüssen werden wir uns darüber unterhalten müssen, ob es möglich und notwendig ist, wie von uns vorgeschlagen, die Befähigung zum Richteramt zu verlangen. Aber etwas brauchen wir zum mindesten: Vorstellungen im Sinne einer Art parlamentarischen Standesrechts. Denn das darf es künftig nicht mehr geben, daß die Mitgliedschaft in einem Untersuchungsausschuß etwa als eine Position im parlamentarischen Bewährungsaufstieg für besondere Scharfmacher angesehen wird.
Das kann zu vernünftigen Ergebnissen nicht führen.
Um die Rechtsstellung der Mitglieder eines Ausschusses abzusichern, um ihnen mehr Unabhängigkeit zu geben, sollten wir unserem Vorschlag folgen, daß die Abberufung durch die Fraktionen nicht möglich ist, solange ein Mitglied des Untersuchungsausschusses Mitglied des Parlaments ist. Diese Unabhängigkeit ist — ohne daß sich ein solches Mitglied innerlich von seiner Fraktion lösen sollte — ganz einfach notwendig. Das Mitglied eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses soll im Konfliktfalle nicht an der kurzen Fraktionskette bellen, sondern in einer gewissen Distanz zu den Dingen seines Amtes walten können. Demgegenüber steht allerdings die Verpflichtung, während der Dauer des Untersuchungsausschusses öffentliche Erklärungen zum Untersuchungsthema nicht abzugeben.
Mir scheint, daß dies alles gar nicht so irreal ist, Herr Kollege Dr. Lenz. Wir sollten — mit bestimmten Anforderungen, aber auch mit bestimmten Rechtsgarantien — einen Weg einschlagen, der geeignet ist, zu einem bestimmten Selbstbewußtsein und zu einem geprägten Selbstverständnis der Mitglieder eines solchen parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu führen. Es heißt, daß viele mit ihrem Amt wachsen, und wir wissen, daß ein Amt geeignet ist — wenn es entsprechend ausgestattet ist —, das Selbstverständnis des Amtsinhabers hin :ur Unabhängigkeit zu prägen. Ich darf in diesem Zusammenhang aus dem Prolog zu „Wallensteins der Mensch mit seinen größern Zwecken." Darauf kommt es an. Die Weisheit dieses Satzes sieht man vielleicht daran, daß die Quellen dieses Zitats auf Seneca und Tacitus zurückgehen, die bereits die Wahrheit dieses Satzes erkannt haben.
Vielleicht sollten wir uns wenigstens einen Teil davon bei der Neugestaltung des parlamentarischen Untersuchungsverfahrens zu eigen machen.
Der Rolle des Vorsitzenden kommt besondere Bedeutung zu. Wir sind uns darin einig, daß er allein dadurch Distanz gewinnen soll, daß er kein Stimmrecht hat. Wir sind darüber hinaus der Meinung, daß für die Fraktionen keine Vorausplanung möglich sein sollte, d. h., daß deshalb wieder ein Untersuchungsausschuß fällig ist, weil man den Vorsitzenden stellen wird. Nicht etwa deswegen, um uns als der kleinsten Fraktion hier einen Vorteil zuzuschanzen, sondern allein aus jenem anderen Grunde haben wir vorgeschlagen, daß der Vorsitzende durch Losentscheid bestimmt werden sollte.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4829
Engelhard
— Ich bedaure, Herr Kollege, die Zeit reicht nicht mehr aus.
Wenn wir es mit dem Minderheitenschutz ernst meinen — gerade bei diesem wichtigen Thema —, so sollten wir damit auch ernst machen. Dann allerdings — um nur die wichtigsten Punkte herauszugreifen — sollte für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses neben einem bestimmten Quorum aus der Zahl der Mitglieder dieses Hauses auch der Antrag einer der Fraktionen ausreichen, ganz gleich, über welche Mitgliederzahl diese Fraktion verfügt. Dann sollte sichergestellt sein, daß jede Fraktion des Parlaments im Untersuchungsausschuß durch mindestens ein Mitglied vertreten ist, was nach Ihrem Vorschlag, Herr Kollege Dr. Lenz, nicht gewährleistet wäre. Zum anderen sollte auch sichergestellt sein, daß Beweisanträge bereits von einem Mitglied des Untersuchungsausschusses gestellt werden können.
Wir sind mit Ihnen der Meiung, daß wir einer Voruntersuchung nicht bedürfen. Wir werden aber nur dann zu einer Straffung des Verfahrens kommen können, wenn wir ein Ermittlungsverfahren vorsehen, das unter Leitung des Vorsitzenden des Ausschusses stattzufinden hat. Nach dem Abschluß der Untersuchung werden Berichte abgegeben werden müssen. Es ist ganz sicherlich wünschenswert, daß ein Ausschuß zu einer einheitlichen Würdigung und zu einem einheitlichen Bericht kommt.
Aber das ist keinesfalls notwendig; denn ein Untersuchungsausschuß hat keine Sanktionen zu verhängen. Deswegen sollte jedes Mitglied eines solchen Ausschusses — was auch bereits der Fall ist — die Möglichkeit haben, seine Wertung der erhobenen Tatsachen zu Papier zu bringen und der Öffentlichkeit bekanntzumachen. Die politischen Konsequenzen aus dem Ergebnis eines Untersuchungsausschusses zu ziehen, ist dann Sache der Fraktionen dieses Hauses.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. — Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes auf Drucksache 8/1180 an den Rechtsausschuß — federführend — sowie an den Innenausschuß und den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — mitberatend — zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen weiter vor, den Entwurf eines Gesetzes über das Untersuchungsverfahren des Deutschen Bundestages auf Drucksache 8/1181 an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — federführend — sowie an den Innenausschuß und den Rechtsausschuß — mitberatend — zu überweisen. Ist das Haus auch damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist auch dies so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Eyrich, Schwarz, Erhard , Spranger, Dr. Wittmann (München), Dr. Waigel, Dr. Kreile, Feinendegen, von der Heydt Freiherr von Massenbach und der Fraktion der CDU/CSU
Rechts- und Verwaltungsvereinfachung — Drucksache 8/1206 —
Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Rechtsausschuß Innenausschuß
Haushaltsausschuß
Wünscht einer der Antragsteller das Wort? — Herr Abgeordneter Eyrich, bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im „SPD-Pressedienst" vom 25. Januar 1977 hat unser Kollege Dr. de With den Versuch unternommen, zu begründen, wo die Ursachen für die Gesetzesflut liegen. Er hat am Ende zum Ausdruck gebracht, daß sich dieses Thema nicht zu parteipolitischen Auseinandersetzungen eigne. Ich sage das deswegen am Anfang dieser Debatte, weil ich glaube, daß es in der Tat so ist und all das, was über dieses Problem gesagt wird, ganz sicherlich nicht eine Frage parteipolitischer Auseinandersetzungen, sondern ganz einfach der Selbstüberprüfung eines Parlamentes sein muß.
Geschriebene und veröffentlichte Gesetze sind eines der notwendigen Elemente des Rechtsstaates. Gesetze stärken den Freiheitsraum des einzelnen Bürgers, indem sie ihn vor Übergriffen Dritter, aber auch des Staates selbst, schützen. Sie stärken den Freiheitsraum, indem sie die Rechte des Bürgers aussprechen und indem sie den Bürger über seine Pflichten verbindlich unterrichten. Der moderne Rechts- und Sozialstaat ist deshalb notwendig immer auch Gesetzesstaat. Niemand wird bestreiten, daß die komplizierter gewordenen Lebensverhältnisse oft ein Mehr an gesetzlicher Regelung bedingen.
Aber, mein Damen und Herren, ist es auch notwendig, daß so vieles gesetzlich und in Verordnungen geregelt wird?
Ist es notwendig, daß die Regelungen, Änderungen und Neuregelungen so schnell aufeinander folgen, daß ihr Inhalt so kompliziert in Regeln, Ausnahmen von der Regel, Unterausnahmen und Ausnahmen von den Unterausnahmen aufgespalten ist und daß dieser Inhalt am Ende trotzdem an entscheidenden Stellen oft unbestimmt bleibt?
Ist es notwendig — so müssen wir uns alle fragen —, daß ihre Sprache immer unverständlicher wird? Zum Beispiel braucht die Lehrlingsausbildung sicher einen gewissen staatlich vorgeschriebenen Rahmen, damit einheitliche Mindestmaßstäbe für ihr Niveau und ihren Ablauf gesichert sind. Aber wir müssen uns auch fragen, ob es wirklich unvermeidbar ist, daß für jede Branche nicht nur die Ausbildung selbst und die geforderte fachliche Qua-
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Dr. Eyrich
lität der Ausbilder, sondern zusätzlich noch die arbeitspädagogischen Qualifikationen der Ausbilder spaltenlang im Bundesgesetzblatt detailliert vorgeschrieben werden. Das sieht dann so aus, daß z. B. die Verordnung über die berufs- und arbeitspädagogische Eignung für die Berufsausbildung in der Landwirtschaft mit den folgenden Anforderungen beginnt:
Aufgaben und Ziele der Berufsbildung im Bildungssystem, individueller und gesellschaftlicher Anspruch auf Chancengleichheit, Mobilität und Aufstieg, individuelle und soziale Bedeutung von Arbeitskraft und Arbeitsleistung, Zusammenhänge zwischen Berufsbildung und Arbeitsmarkt ...
Sie werden zugeben, meine Damen und Herren, daß der Bezug zur landwirtschaftlichen Praxis hier doch etwas undeutlich wird.
Ich will einen anderen Bereich herausgreifen. Sicher ist es im modernen Staat unvermeidlich, daß alle Bürger gelegentlich Formulare für die Verwaltung auszufüllen und darin die verschiedensten Angaben zu machen haben. Aber ist es wirklich auch unvermeidlich, daß z. B., wie es die Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels und der Zentralverband des Handwerks in einer Modellrechnung dargestellt haben, in einem Betrieb mit 10 bis 15 Arbeitnehmern für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen, von der Lohnsteuerberechnung und der Sozialversicherung über Zollerklärungen bis zu den verschiedensten Statistiken, eine Arbeitszeit für mehr als eine volle zusätzliche Arbeitskraft anfällt? War es wirklich unvermeidlich, so müssen wir uns — ich sage es noch einmal — alle fragen, Gesetze so zu fassen, daß selbst der Deutsche Anwaltverein in einer Presseerklärung vom 28. Oktober 1976 z. B. den Versorgungsausgleich im neuen Eherecht als ein besonders abschreckendes Beispiel für das Gegenteil verständlicher Gesetze kritisieren mußte und das er z. B. auch über die Novelle zum Bundesbaugesetz sagte, daß — und ich zitiere hier wörtlich — „Paragraphen, die sich in vielen Absätzen über mehr als eine volle Spalte des Bundesgesetzblattes hinziehen, ihr Ziel am Ende verfehlen müssen"?
Wir müssen weiter fragen: War es unvermeidlich, das Bundesdatenschutzgesetz in einer Form miteinander zu verabschieden, durchzusetzen, durchzudrücken, wie immer Sie wollen, zu der schon während des Beratungsganges Novellierungen in insgesamt elf Punkten angekündigt werden mußten? Dies ist eine Frage, die das Vertrauen in die Beständigkeit der Gesetze nicht unerheblich berührt.
Ist es schließlich unvermeidlich, nachdem ein Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen im prinzipiellen Einvernehmen aller Fraktionen dieses Hauses gerade erst erlassen ist, zusätzlich noch ein besonderes Gesetz über den Reiseveranstaltungsvertrag einzubringen, obwohl sich natürlich im praktischen Ergebnis schon das Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch auf die Geschäftsbedingungen der Reiseunternehmen wesentlich auswirkt?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Beispiele sind mehr oder weniger willkürlich herausgegriffen. Sie werden sich beinahe beliebig vermehren lassen. Ich glaube aber — und das ist das Wichtigste, was wir mit diesem Antrag erreichen wollen —, sie genügen schon, um deutlich zu machen, daß unsere Gesetzgebung' und Verordnungsgebung über das vertretbare Maß hinaus ausgeufert sind, und zwar bei unbestritten nachlassender Qualität. Schon die bloße Quantität bedeutet ein Weniger an Rechtssicherheit, weil der Rechtsstoff schon rein mengenmäßig selbst für Fachleute nicht mehr überschaubar ist.. Überlegen wir uns doch einmal gemeinsam: Viele der Gesetze der letzten Jahre hatten zur Folge, daß sich ganze Scharen von Fachjuristen aus allen Bereichen in langen Seminaren den Kopf über den berühmten Willen des Gesetzgebers zerbrechen mußten und ihn sich bis zum heutigen Tag zerbrechen, ohne zu einem hinlänglichen Ergebnis zu kommen. Ich glaube, da ist einer der Punkte, an denen wir uns selbst prüfen müssen: Ist es in der Tat nötig, daß wir Gesetze geben, die natürlich in Fortentwicklungskursen — wer würde das bestreiten? — besprochen werden müssen, bei denen aber selbst nach langem Nachdenken dieser Wille des Gesetzgebers nicht ersichtlich zu sein scheint?
Hinsichtlich der Qualität kommt dann hinzu, daß die Gesetze und Verordnungen oft inhaltlich ungenügend durchdacht sind und dadurch entweder in sich selbst widersprüchlich werden oder Widersprüche im Verhältnis zu anderen Vorschriften produzieren. Das ist einer der Gründe, warum manchmal mehrere Novellierungen derselben Gesetze oder derselben Verordnungen in kurzen Abständen aufeinander folgen. Sprachlich werden die Vorschriften alien guten Vorsätzen zum Trotz z. B. durch die Technik langer Schachtelsätze und vieler Verweisungen für den ungeübten Leser restlos unverständlich.
Aber auch diejenigen, die von Berufs wegen im Vorschriftenlesen geübt sein müssen, fühlen sich zunehmend verunsichert. So sah sich der Vorstand des Deutschen Anwaltvereins, also der Vertreter derjenigen Gruppe von Menschen, die sich nun wirklich im Vorschriftenlesen geübt haben, veranlaßt, in einer Presseerklärung öffentlich mit großer Sorge, wie es dort heißt, festzustellen, daß Sprache, Form und Gestaltung sowie Abwicklung neuer, insbesondere aber auch novellierender Gesetze zunehmend unhantierbar werden.
Oder nehmen wir das gemeinsame Memorandum des Bundes Deutscher Steuerbeamten und des Bundes der Steuerzahler, also zweier Verbände, die gemeinhin eher gegensätzliche Interessen vertreten, die kurz nach der Steuerreform von 1974 feststellten — ich zitiere nochmals wörtlich —:
Einfachheit und Gerechtigkeit sind nicht notwendig ein Widerspruch, weil papierne, aber durchgängig unpraktizierbare Gerechtigkeit größtes Unrecht wird und weil sich nur von allen Beteiligten praktizierbare Gesetze gerecht auswirken können.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4831
Dr. Eyrich
Damit ist sehr eindrucksvoll gesagt, um was es geht. Es geht nicht nur um rechtstechnische Schwierigkeiten und vermeidbaren Arbeitsaufwand bei allen Beteiligten — obwohl das allein schon ein Grundfür eine Änderung wäre , sondern es geht vor allem darum, daß die Gerechtigkeit unserer Rechtsordnung — gemessen an den praktischen Ergebnissen — Schaden nimmt. Für den betroffenen Bürger bleibt die Bürgernähe des Rechts ein leeres Schlagwort, und ihm wird Rechtssicherheit genommen, weil er seine Rechte und seine Verpflichtungen nicht im voraus hinreichend zu überblicken vermag. Wir können aber nur dann von einem Bürger die Befolgung von Gesetzen verlangen, wenn er diese Gesetze wenigstens in den Grundzügen zu erfassen vermag.
Wir sollten auch einmal an die andere Seite denken und sie sehen. Die Verwaltungen und Gerichte, die die vielen Vorschriften anzuwenden haben, sehen sich bei steigendem Arbeits- und Personalaufwand und immer mehr aufgesplitterten Kompetenzen immer schwerer in der Lage, so zügig zu arbeiten, wie es der Bürger brauchte.
Zusätzlich werden Kompetenzen aufgesplittert, Verwaltungen aufgebläht und alle Beteiligten mit vermeidbaren Mehrarbeiten belastet. Müssen wir — die Frage ist ja schon des öfteren diskutiert worden — heute z. B. wirklich noch eine Kraftfahrzeugsteuer mit komplizierten Berechnungstabellen, mit förmlichen schriftlichen Steuerbescheiden an jeden einzelnen Kraftfahrzeughalter, mit individueller Einziehung jedes einzelnen Steuerbetrags haben, die bei der Einführung der ersten Automobile noch zweckmäßig gewesen sein mag, die aber bei einem Massenbestand von 25 Millionen Kraftfahrzeugen barer Anachronismus ist? Allein die Einziehung der vielen einzelnen Rückstände, meine Damen und Herren, bindet nach unwidersprochenen Schätzungen 3 000 Beschäftigte der Finanzämter, die ganz sicherlich bei anderen Arbeiten sinnvoller eingesetzt werden könnten.
Ist es nicht wirklich eine Frage auch des Selbstverständnisses des Gesetzgebers, wenn Tausende von Briefen geschrieben und verschickt und Tausende von Buchungen vorgenommen werden müssen, weil der Bundeszuschuß zur privaten Krankenversicherung der Studenten von monatlich 15 DM auf monatlich 15,11 DM erhöht wurde?
Jürgen Eick hat dieses Beispiel in der „Frankfurter Allgmeinen Zeitung" vom 5. November 1976 unter dem Titel „In den Mühlen der Bürokratie" aufgegriffen. Ich habe das einmal nachgeprüft. Rechtlich ist natürlich alles korrekt. Wer würde das bestreiten? Es ist alles so vorgeschrieben in § 381 a der Reichsversicherungsordnung, im Gesetz über die Krankenversicherung der Studenten und in einer besonderen Rechtsverordnung. Aber die Frage bleibt halt: Brauchen wir für solche Detailfragen wirklich ganze Rechtsverordnungen, und müssen wir die Dinge wirklich so organisieren, daß es am Schluß vielleicht zwei oder drei Mark kostet, die Erhöhung von 11 Pfennigen zu verteilen?
Oder ist es vernünftig, daß Steuerentlastunger und verschiedene Barleistungen an Familien mil Kindern auch noch von lauter verschiedenen Behörden bearbeitet werden, bei denen dann entsprechend viele, gesonderte Anträge gestellt werden müssen die Zahl der Kinder jeweils nachgewiesen werdet muß und alle möglichen Angaben gemacht und eventuell durch Bescheinigungen belegt werden müssen die natürlich für die Bearbeitung notwendig sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner?
Ja, bitte.
Darf ich Sie fragen, Herr Kollege, ob es eigentlich richtig ist, das lediglich oder vorwiegend der Bürokratie anzulasten anstatt vorwiegend den Abgeordneten, nämlich denen, die den Gesetzgeber darstellen, weil sie sich nicht um die Folgen dessen kümmern, worüber sie zu befinden haben?
Herr Kollege Wehner, ich bin Ihnen dankbar für die Frage. Es ist überhaupt keine Frage — ich habe das am Anfang auszudrükken versucht —: Das, was ich sage, richte ich nicht an die Adresse einer Seite des Hauses, sondern richte ich an die Adresse von uns allen.
Ich gebe Ihnen völlig recht: Die Bürokratie wird mit den Gesetzen, die wir liefern, nichts anderes anfangen können. Sie kann die Gesetze nicht anders anwenden, als wir sie ihr zur Verfügung stellen. In diesem Zusammenhang wäre es in der Tat außerordentlich interessant, Herr Kollege Wehner, einmal die Frage zu prüfen, inwieweit wir uns selbst — ich sage das ohne Unterschied in diesem Haus — auch die Disziplin auferlegen sollten, klarere politische Entscheidungen zu treffen. Wir bräuchten manchen Schachtelsatz — wenn ich es einmal vereinfacht darstellen darf —, der im Vermittlungsausschuß herauskommt, sicherlich nicht in das Gesetz hineinzuschreiben.
Ich habe gesagt, daß Steuerentlastungen und Barleistungen an Familien mit Kindern bei verschiedenen Behörden — das war ja der Ausgangspunkt Ihrer Frage, Herr Kollege Wehner — bearbeitet und erledigt werden müssen. Ich darf anfügen: vierfache Arbeit für die Bürger, vierfache Arbeit aber auch für die Verwaltung. Kein Unternehmen, das dem Wettbewerb ausgesetzt ist, könnte sich solche doppelte oder gar vierfache Arbeit leisten. Dieses Hohe Haus, wir alle sollten zu der Erkenntnis kommen, daß wir sie uns auch nicht leisten können.
Ich habe mich bewußt bemüht, die Probleme und Fehlentwicklungen mit einer möglichst großen Objektivität darzustellen, weil ich hoffe, daß sich über die üblichen Grenzen hinweg alle Seiten dieses Hauses angesprochen fühlen und unsere Initiative unterstützen. Ich füge hinzu, daß dann allerdings
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Dr. Eyrich
auch der Versuch unternommen werden sollte, es anders zu gestalten, als es im Jahre 1974 gelaufen ist. Damals haben wir diesen Versuch schon einmal gestartet, der dann versandete, im Ausschuß steckenblieb und nach zwei Jahren Beratung schließlich doch nicht zu einem vernünftigen Ende gekommen ist.
Bei dieser Gelegenheit sollten wir uns auch von einer Zahl überzeugen lassen — das ist eine spezielle Mahnung an uns alle —, die' in diesem Zusamenhang genannt werden muß. Wenn wir den Teil I des Bundesgesetzblattes jeweils nach Legislaturperioden geordnet vor uns aufbauen, dann verzeichnen wir einen langsamen Anstieg des Umfangs von 1949 bis 1969. Es hat angefangen mit 4 300 Seiten und hat auf über 6 000 Seiten zugenommen. In der 6. Legislaturperiode von 1969 bis 1972 waren es dann — in einem Zeitraum von nur drei Jahren — 6 600 Seiten. In der 7. Legislaturperiode schließlich haben wir einen Turm, einen Stapel von 12 800 Seiten zu verzeichnen. Ich weiß auch, daß man mit Zahlen allein das Problem nicht beleuchten kann. Aber ich meine, auch das sollte bei der Debatte hier eine Rolle spielen.
Wenn Sie unseren Antrag unvoreingenommen lesen, meine Damen und Herren, so sehen Sie, daß die Opposition nicht glaubt, ein Patentrezept — niemand hat es — anbieten zu können. Gleichwohl aber können wir nicht alles weiterlaufen lassen wie bisher. Das Wichtigste scheint uns — vor allen Einzelvorschlägen — eine grundsätzliche politische Diskussion und — daraus folgend — eine politische Grundsatzentscheidung des Parlaments zu sein, durch die der Einfachheit und Klarheit des Rechts ein wesentlich höherer politischer Stellenwert zuerkannt wird als bisher. Das Parlament sollte sich selbst und die Regierung möglichst einmütig auf dieses Ziel politisch verpflichten. Dabei sollten wir uns an folgende Grundsätze halten.
Erstens. Jedes Gesetz muß eine Prüfung dahin über sich ergehen lassen, ob es notwendig ist. Nur dort, wo ein wirkliches Bedürfnis besteht, sollte ein neues Gesetz geschaffen werden. Dabei muß auch bedacht werden, ob nicht eine gesicherte und von allen anerkannte Rechtsprechung gegeben und anzuerkennen ist.
Zweitens. Das Gesetz, sein Aufbau und seine Sprache müssen sich auch an demjenigen orientieren, von dem wir verlangen, daß er es befolgen und daß er es anwenden soll: Der Bürger muß die Grundzüge verstehen, die Gerichte, die Verwaltung, die Anwälte und andere Berufsstände müssen die Zielsetzungen klar erkennen können. Gerade eine Unsicherheit in der Anwendung des Rechts belastet das Verhältnis staatlicher Entscheidungsstellen zum Bürger. Das Vertrauen in die staatliche Kompetenz leidet ohnehin schon sehr stark. Unsicherheit bei der Rechtsanwendung müßte es weiter belasten.
Drittens. Gesetze müßten so ausgereift sein, daß nicht schnell aufeinanderfolgend Veränderungen vorgenommen werden müssen.
Zu häufige Gesetzesänderungen bergen die Gefahr in sich, daß das Vertrauen in den Fortbestand des Rechts verlorengeht, ein Vertrauen, ohne das dieser Rechtsstaat nicht existieren kann.
In diesem Sinne bitten wir um Ihre Mitwirkung bei der Beratung unseres Antrages.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hartenstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wünschte, Herr Kollege Dr. Eyrich, daß dieses Thema von allen Ihren Kollegen so moderat und sachlich behandelt werden würde, wie Sie dies hier getan haben. Wenn man aber beispielsweise das Interview liest, das Herr Kollege Vogel im „Weltbild" gegeben hat, oder auch den Artikel Ihres Vorsitzenden, Herrn Dr. Kohl, in „Frau und Politik", dann klingt dies doch ein bißchen anders. Dort wird manchmal der Eindruck zu erwecken versucht, als ob die Dinge vor 1969, vor Beginn der sozialliberalen Koalition, ganz anders gewesen seien und als ob nur seither von einer Gesetzesflut die Rede sein könne. Dies vorweg.
Zum Grundsätzlichen: Wer einen Antrag zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung auf den Tisch legt, kann sicher sein, daß er in der Öffentlichkeit breite Zustimmung findet. Und nicht nur in der Öffentlichkeit. Auch in den Verwaltungen selbst, wo sich Beamte und Angestellte oftmals mit schwer lesbaren und noch schwerer interpretierbaren Bestimmungen herumschlagen müssen, wäre gewiß so mancher Seufzer der Erleichterung zu hören, wenn es gelänge, kürzere, einfachere und verständlichere Texte bei Gesetzen und Verordnungen vorzulegen. Darin sind wir mit Ihnen völlig einig.
Die Klage darüber, daß der Bürger sich immer stärker verwaltet vorkommt und immer mehr in die Passivität abgedrängt wird, weil er sich einem unübersichtlichem, anonymen und aufwendigen Apparat gegenübersieht, den er dazu noch selbst bezahlen muß, ist nicht neu. Und sie ist auch nicht unbegründet.
Keiner hat dies übrigens klarer erkannt als der Bundeskanzler selbst, der in seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 der „Schwerfälligkeit und der Undurchsichtigkeit anonymer Bürokratien und Großorganisationen" eine Absage erteilt und „an die Länder-, die Gemeinde- und unsere eigenen Verwaltungen appelliert hat, sich dem Bürger verständlicher zu machen."
Noch einmal: Das Anliegen als solches ist nicht nur berechtigt; Sie rennen damit offene Türen ein.
Nur: man sollte es sich in der Sache nicht so einfach
machen, wie dies Ihr Antrag — mindestens dem An-
schein nach — tut. Wer A sagt, muß auch B sagen.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4833
Frau Dr. Hartenstein
Mit dem Antrag allein ist uns ja noch nicht weitergeholfen, solange es an konkreten Vorschlägen und — vielleicht — Ihrerseits auch an konkreten Vorstellungen fehlt, wie man denn nun zu der erwünschten Rechts- und Verwaltungsvereinfachung kommen könnte.
Solche Vorschläge vermisse ich. Ich konnte sie auch nicht in einem ähnlichen Antrag aus der 7. Wahlperiode vom 9. Oktober 1974 — den Sie übrigens schon erwähnt haben — finden. In dessen Begründung haben Sie Ihre Besorgnis über die „ansteigende Zahl von Beschäftigten in der Verwaltungen des Bundes, der Länder und Gemeinden" und über die „zusätzlichen Aufgaben", die durch „neue Bundesgesetze oder die Erweiterung bestehender Gesetze auf die Verwaltungen zukommen", zum Ausdruck gebracht.
Gestatten Sie mir hier eine Zwischenbemerkung. Als jemand, der über ein Jahrzehnt lang im Schuldienst in Baden-Württemberg gearbeitet hat, kann ich ein Lied davon singen, daß nicht nur neue Bundes-, sondern auch neue Landesgesetze, Erlasse und Verordnungen den Menschen das Leben schwer machen, z. B. den Pädagogen, die zu Formular- und Statistikspezialisten — und übrigens auch zu Rechenkünstlern — umfunktioniert werden, statt daß sie sich auf ihre pädagogische Aufgabe konzentrieren können.
Und dies in einem christdemokratisch regierten Land!
Ähnliches wäre von der Gemeindereform zu berichten. Sie wissen wohl selbst, was da an Verwaltungsaufblähung und Bürgerferne in fast allen Ländern produziert worden ist.
Das ist schlimm genug, und das ist von Bonn aus nicht wiedergutzumachen.
Kehren wir zum Bund zurück. Es ist mir nicht möglich gewesen — vielleicht bin ich noch zu neu dazu —, festzustellen, welchen Beitrag die Opposition bisher zur Vereinfachung der Gesetzgebung geleistet hat. Dagegen konnte ich feststellen, daß von den 516 in der 7. Wahlperiode beschlossenen Gesetzen 87,6 % auch die Zustimmung der Union gefunden haben und nur 33 Gesetze, also 6,4 °/o, kontrovers abgestimmt worden sind. Daraus ist doch wohl zu schließen, daß auch die Opposition an der Notwendigkeit, der Anzahl und der Form dieser Gesetze keinen Anstoß genommen hat.
Beim Bundesrat ist das Maß der Übereinstimmung
noch höher gewesen. Er hat in der 7. Wahlperiode
498 Gesetze gebilligt. Das sind 96,5 % aller Gesetze.
Im übrigen muß daran erinnert werden, daß seit Beginn der 70er Jahre eine Reihe bedeutender Reformvorhaben, besonders im sozialpolitischen Bereich, durchgeführt worden ist. Das war gewollt. Das war notwendig. Und das hat naturgemäß seine gesetzgeberischen Konsequenzen. Dazu muß man sich bekennen. Dasselbe gilt für die Verwirklichung des Grundsatzes „Mehr Demokratie". Wer z. B. im Bundesbaugesetz die frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Bebauungsplänen verwirklicht sehen will — und das halten wir für richtig —, der muß mit einem breiteren Verwaltungsverfahren rechnen und es in Kauf nehmen.
Ich konnte weiter feststellen, daß es in der 8. Wahlperiode, die jetzt knapp ein Jahr alt ist, bisher 80 Regierungsvorlagen gab.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Ja.
Sehr verehrte Frau Kollegin, Ihr Stichwort „Mehr Demokratie", mit dem ich mich identifiziere, veranlaßt mich zu der Frage: Bedeutet „Mehr Demokratie" auch mehr Paragraphen und verschlungenere Fußnoten?
Das ist sicher nicht unbedingt so. Hier ist das Stichwort „Mehr Demokratie" unter Umständen falsch verstanden und falsch angewandt worden.
Ich konnte weiter feststellen, daß es in der 8. Legislaturperiode, die jetzt knapp ein Jahr alt ist, bisher 80 Regierungsvorlagen gab. Davon waren 28 auf internationale Verträge zurückzuführen. Es verbleiben also, nach Adam Riese, 52. Die CDU/CSU hat im Bundestag in der gleichen Zeit 21 Gesetzesinitiativen eingebracht und die CDU/CSU-geführten Bundesländer ihrerseits 15; macht zusammen 36 Gesetzesinitiativen. Was also die Quantität beim Gesetzemachen betrifft, so zeichnet sich die Opposition durch beträchtlichen Fleiß aus und läßt der Regierung nur wenig Vorsprung.
Trotzdem — ich sage es noch einmal — ist das Anliegen berechtigt. Man sollte sich nur, wenn man solche Anträge stellt, zuerst an der eigenen Nase packen. Es wäre fatal, wenn es am Ende nur darum ginge, nach außen hin sichtbar und hörbar zu machen: Schaut her, w i r haben das Problem erkannt, w i r wollen die Gesetzesflut eindämmen. Herr Dr. Dregger sprach vor dem Bund der Ruhestandsbeamten sogar von einer „Sturmflut". Wenn man damit den Eindruck erwecken wollte, die Regierungskoalition wolle dies nicht, so wäre das einfach nicht richtig.
Meine Fraktion ist wie der Bundeskanzler der Auffassung, daß eine verwaltete Welt gleichzeitig eine inhumane Welt ist, die nicht dem Menschen dient. Wenn Sie also einen gangbaren Weg wissen,
4834 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Frau Dr. Hartenstein
wie Ihre Forderungen erfüllt werden könnte, dann halten Sie damit bitte ja nicht hinter dem Berg.
Wir werden darüber sprechen, brauchbare Vorschläge ernsthaft prüfen und uns um die Verwirklichung bemühen.
Ich muß allerdings noch auf einen Schönheitsfehler hinweisen, den Ihr Antrag enthält. Sie wollen, daß „in einer gesonderten Vorausschätzung bei der Vorlage von Gesetzentwürfen neben dem Gesamtbetrag der voraussichtlichen Kosten" anzugeben sei, „a) welchen Arbeitsaufwand die Durchführung des Gesetzes in den Verwaltungen des Bundes, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie sonstiger öffentlicher Stellen zusätzlich jährlich erfordern wird, bzw. wieviele Arbeitsstunden durch Abbau oder Vereinfachung von Aufgaben eingespart werden, b) wieviele Stellen für Beschäftigte — aufgegliedert nach Beamten, Angestellten und Arbeitern — in den Verwaltungen des Bundes, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie sonstiger öffentlicher Stellen dadurch zusätzlich er- forderlich oder eingespart werden, c) welchen Arbeitsaufwand und welche Kosten die Durchführung des Gesetzes bei betroffenen Unternehmen und Bürgern verursachen bzw. welche Einsparungen möglich sind". Können Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, nicht auch vorstellen, daß hier zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung und mit dem Ziel der Einsparung von Mitteln ein erheblicher Verwaltungsmehraufwand in Szene gesetzt werden könnte, wenn man Ihrem Vorschlag unbesehen folgte?
Dieses Ansinnen könnte sich leicht als Bumerang erweisen, und wir würden unter Umständen rasch bei einer alten Spruchweisheit landen, die besagt: Es ist halt alles nicht so einfach, wenn man's doppelt nimmt.
Verzeihung, ich will gerne wieder zum Ernst des Alltags zurückkehren, indem ich daran erinnere, daß Ihr Petitum des Antrags vom 9. Oktober 1974 bereits vom Bundesinnenminister aufgegriffen worden ist. Er hat an das Forschungsinstitut der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer den Auf- trag erteilt, eine Ermittlungsmethode zu einer möglichen Lösung aufzuzeigen, wie der mit neuen Gesetzentwürfen eventuell verbundene vermehrte Personal- und Zeitaufwand genauer berechnet werden könnte. Die Untersuchungen wurden am Beispiel des Schwerbehindertengesetzes durchgeführt. Der Bundesminister des Innern hat dem Innenausschuß am 3. Mai 1977 einen Bericht darüber zugeleitet, der zu dem Ergebnis kommt, daß der bei dem genannten Gesetz durchgeführte Test noch „keine schlüssige Beantwortung der Frage zuläßt, ob das Prognoseverfahren praktikabel ist und daß er auch keine konkreten Aufschlüsse über den für eine solche Prognose erforderlichen Aufwand erbracht" hat. Hauptgründe für die mangelnde Schlüssigkeit dieses
Tests waren z. B. seine zu kurze Dauer und anderes mehr.
Der Bundesminister des Innern teilt mit, daß er „die Erprobung an einem oder mehreren geeignet erscheinenden Bundesgesetzen fortführen lassen" will und über das Ergebnis berichten wird. Allerdings betont er, daß ein Zeitraum- vorgesehen werden müsse, „der jeweils das Gesetzgebungsverfahren und einen mindestens einjährigen Vollzug einschließt". Grobschätzungen, wie Sie sie bis zur Vorlage genauerer Berechnungsverfahren wünschen, werden bisher schon vorgenommen.
Wir sollten uns im übrigen nichts vormachen, meine Damen und Herren: Die Welt ist halt komplizierter geworden.
— Herr Kollege Biedenkopf, Sie wissen das doch viel besser als ich.
Wir leben in einer hochindustrialisierten, hocharbeitsteiligen Gesellschaft, die eben auch eine Menge regelungsbedürftiger Probleme aufwirft, wie man sie früher nicht kannte. Denken Sie nur an das Lebensmittelrecht. Wir bräuchten keine Speiseeisverordnung, wenn es dieses nicht in solchen Massen gäbe. Wir bräuchten auch keine Hackfleischverordnung, wenn wir in einer Agrargesellschaft lebten, und jeder Selbstversorger wäre und sich sein Fleisch durch Hausschlachtung selbst besorgte. Die Vermehrung des „Rechtsstoffes", wie es so schön heißt, ist eine Erscheinung in allen hochentwickelten Staaten. Dies ist auch nicht mit einem Federstrich zu ändern, selbst dann nicht, wenn sich die bloße Absichtserklärung noch so populär anhören mag.
Man darf dabei auch nicht vergessen, daß nicht alle Gesetze für den Bürger schlechthin gedacht sind, sondern sich an ganz unterschiedliche Adressaten wenden, insbesondere auch an vielerlei Stellen und Behörden, die speziell mit dem einen oder anderen Sachgebiet befaßt sind.
Auch der Zahlenvergleich hinsichtlich des Umfangs des Bundesgesetzblattes, der so gern herangezogen wird, hat für sich allein noch keine Aussagekraft.
- Noch nicht. Lassen Sie mich bitte ausreden! — Wenn man ehrlich vorgeht, müssen die Zahlen auseinandergefieselt werden. Es erweist sich dann, daß von den „erschreckenden" mehr als 12 000 Seiten, die das Bundesgesetzblatt in der 7. Legislaturperiode erreicht hat, beileibe nicht alle Gesetzestexte enthalten. In den Jahren 1973 bis 1976 entfiel jeweils nahezu ein Drittel der Gesetzestexte auf Neubekanntmachungen bereits vorhandener Gesetze: 1973 — 27,8 %, 1974 — 31,7 %, 1975 — 36,4 % und 1976 — 31,2 %. Bei den Rechtsverordnungen ist die
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4835
Frau Dr. Hartenstein
Prozentzahl etwas geringer, beträgt jedoch im Durchschnitt auch 13,8 % reine Neufassungen.
Ein weiteres kommt hinzu. Auch die Hinweise im Bundesgesetzblatt I auf das im Bundesgesetzblatt II wie in anderen Verkündigungsblättern veröffentlichte Recht fallen mit 10 % der Seitenzahl ganz erheblich ins Gewicht. Und schließlich ist dem Bundesgesetzblatt eine steigende Zahl von Formulardrucken beigefügt, nicht zuletzt, wie ich mir habe sagen lassen, auf Wunsch des Rechtsausschusses. Letztendlich muß im Bundesgesetzblatt auch nachrichtlich auf die ganzen europarechtlichen Normen hingewiesen werden. Sie sehen: Das Seitenzählen allein gibt kein objektives Bild, im Gegenteil.
Lassen Sie mich einen letzten Vergleich bringen: Im Jahresband 1965 mit 2 176 Seiten waren 157 Gesetze im formellen Sinne enthalten, im Jahresband 1972 dagegen auf 2 560 Seiten nur 85 neue Gesetze und im Jahresband 1975 auf 3 186 Seiten ebenfalls nur 100 Gesetze. Wenn man den Zeitraum von 1965 bis 1975 betrachtet, so hat die Seitenzahl des Bundesgesetzblatts um 46,3 O/0 zugenommen, die Zahl der Gesetze und Rechtsverordnungen insgesamt um 48,7 %; die Zahl der Gesetze im formellen Sinn jedoch ist um 35,6 % zurückgegangen.
Der Antrag, von dem hier die Rede ist, kritisiert einerseits, es würden „häufig unbestimmte Rechtsbegriffe oder Generalklauseln" verwendet. Andererseits wird bemängelt, es werde „der untaugliche Versuch" unternommen, „alle denkbaren Einzeloder Ausnahmefälle im voraus zu berücksichtigen". Ja, wie denn nun? Hier muß doch zwischen Skylla und Charybdis hindurchgesteuert werden. Das Gesetz soll nicht zu perfektionistisch sein — völlig d'accord —, aber es soll auch eindeutig sein und allen Gegebenheiten gerecht werden, damit nicht jeder findige Kopf, der es mit seinen Staatsbürgerpflichten nicht so ernst nimmt, durch die Maschen des Gesetzes schlüpfen kann. Mißbrauch soll vermieden, der Willkür darf nicht Tür und Tor geöffnet werden; also muß doch ein Gesetzestext auf jeden Fall in seiner Aussage hinlänglich genau sein. Und er sollte — auch das ist unser aller Anliegen — hinreichend verständlich sein.
Das heißt, der Gesetzgeber sollte sich wieder mehr
darauf besinnen, daß Deutsch eine schöne Sprache
ist und durchaus auch eine klare Sprache sein kann.
Leider wird in unseren Schulen nicht mehr so viel Martin Luther gelesen, wie es zu einer guten Spracherziehung eigentlich nötig wäre.
Luther sagt in seinem „Sendbrief vom Dolmetschen" immer noch auf die unnachahmlichste Weise, was es heißt, gut deutsch zu reden, wenn er gegen diejenigen Bibelübersetzer wettert, die z. B. übersetzen „Aus dem Überfluß des Herzens redet der Mund". Luther fragt sie, was denn „der Überfluß des Her-
zens für ein Ding" sei; man sage das ebenso wenig wie „Überfluß des Hauses" oder „Überfluß des Kachelofens". Vielmehr sage die Mutter im Hause, sagten die Kinder auf den Gassen und der gemeine Mann auf dem Markt: „Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über". Bibeldeutsch, gewiß, heute veraltet und als Gesetzessprache sicher nicht brauchbar. Aber die lutherische Mahnung, die „Wacken und Klötze" auf dem Weg der Sprache beiseitezuräumen, so daß die Leute wissen, wovon man redet, die gilt es auch heute noch zu beherzigen, meine Damen und Herren.
Übrigens meine ich: Wir hier im Parlament sollten damit. den Anfang machen und uns klipp' und klar auszudrücken versuchen, statt mit einer Masse von Fremdwörtern um uns zu werfen. Vielleicht könnten die Ausschüsse sogar beschließen, daß sie sich nur mit Gesetzesvorlagen befassen, die man auch mit einem durchschnittlichen Verstand verstehen kann,
ohne daß man sie fünfmal durchlesen und sich dann noch von einem Juristen erklären lassen muß.
Kurz und gut, das „Dickicht der Gesetze", das so sehr beklagt wird, ist oft genug auch ein Dickicht der Sprache. Und leider muß ich auch hier feststellen, daß die Entwürfe und Vorlagen der Opposition sprachlich keine andere Qualität als die der Regierung aufweisen.
Also: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen, sagt der Volksmund.
Ein Beschluß des SPD-Parteitages in Hamburg — Antrag 108 — fordert die SPD-Bundestagsfraktion und die SPD-Landtagsfraktionen unmißverständlich auf, dafür zu sorgen, daß „Gesetze, Rechtsverordnungen, Erlasse und Bekanntmachungen so verständlich wie möglich abgefaßt werden".
Darum werden wir uns bemühen.
Lassen Sie mich mit einem dreifachen Wunsch schließen: Wir sollten länger über unsere Gesetze nachdenken, gründlicher die Konsequenzen untersuchen und um eine bürgernahe, praxisbezogene Ausdrucksweise ringen. Insbesondere sollten wir jedoch nicht vergessen, wie schnell die Entwicklung voranschreitet. Das heißt aber, wir werden weiter Gesetze machen müssen — wie ich hoffe, vernünftige, zeitgemäße Gesetze für die Bedürfnisse der jetzigen und der kommenden Generation. Der Gesetzgeber, dem es nicht gelingt, vor allem auch an die jungen Menschen zu denken, die diesen Staat ja als ihr en Staat begreifen sollen, zieht sich allzuleicht den Vorwurf aus dem „Faust" zu — Sie kennen das Zitat gut —: „Es erben sich Gesetz und Recht wie eine ew'ge Krankheit fort; vom Rechte, das mit uns geboren, von dem ist leider nie die Frage."
Meine Fraktion stimmt dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrates zu.
4836 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Das Wort hat der Herr
Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bedanke mich für die freundliche Begrüßung. Ich bin allerdings nicht ganz sicher, ob man die Sache so lustig finden kann, wie Sie es sich erhoffen. Immerhin kann man sich natürlich darüber freuen, daß das Problembewußtsein rapide zunimmt und daß auch die Anfragen der Opposition zu diesem Thema — wir haben ja heute nicht zum erstenmal mit dem Gegenstand zu tun — an Präzision erheblich gewinnen.
Ich habe neulich an dieser Stelle einmal die Anfrage der Abgeordneten Leicht, Vogel und anderer vom 10. Februar 1977 zitiert, wo unter Punkt 8 die hochinteressante Frage aufgeworfen wird, mit welchem Verwaltungs- und Personalaufwand auf Grund der Verabschiedung eines Gesetzes durchschnittlich zu rechnen ist. Daß dieser Durchschnitt des Aufwandes für ein Gesetz ernsthaft nicht sehr interessant, geschweige denn auskunftsreich, geschweige denn für das Thema hilfreich sein kann, liegt auf der Hand.
Sie haben sich mit Ihrer jetzigen Anfrage erheblich präzisiert, wobei ich zu diesem Punkt nur bedauern kann, daß Sie schon eine Brücke gebaut haben: Solange die konkreteren Forderungen, die Sie meiner Ansicht nach sehr zu Recht aufgestellt haben, nicht erfüllbar sind, soll über den Daumen geschätzt werden.
Ich teile nicht die Auffassung der werten Frau Vorrednerin, daß der Verwaltungsaufwand höher als der Nutzen sein könnte, der aus solchen NutzenKosten-Analysen entstehen könnte. Es ist überhaupt rätselhaft, daß der letzte Handwerksmeister selbstverständlich gescholten wird, wenn er nicht in der Lage ist, seinen Kleinstbetrieb so zu führen, daß er tagfrische und genaue Zahlen hat, während man glaubt, ein Unternehmen mit einem Umsatz von mehreren hundert Milliarden DM wie diese Bundesrepublik führen zu können, und sich im Einzelfall tröstet: Wir werden schon sehen, ob das 50 Millionen DM mehr oder weniger kostet; und im übrigen brauchen wir uns, wenn wir nicht nachgucken, nicht darüber zu ärgern. — Das kann doch allen Ernstes nicht richtig sein.
Herr Eyrich war ja in seiner bekannt liebenswürdigen Art bereit, uns alle gleichermaßen anzusprechen. Der Ton der Unterhaltung, die wir hier heute morgen führen, ist insofern erfolgversprechend, mindestens erfreulich.
Aber die Bestandsaufnahme, über die wir uns einig sind, und das Klagelied, das hier zum wiederholten Male angestimmt worden ist, führen in der Tat nicht weiter. Ich vermisse hier z. B. den geschätzten Kollegen Berger im Saal. Warum? Die meisten von Ihnen erraten das ganz leicht. Er ist nämlich einer derjenigen, die mit großem Fleiß und Eifer dafür sorgen, daß die Bediensteten des öffentlichen
Dienstes regelmäßig besser besoldet werden, womöglich zahlreicher werden und womöglich mehr Rechte erhalten, um an der Leitung des jeweiligen Hauses über den segensreichen Personalrat mitzuwirken.
Das hat die Folge, daß die Gesetze und Verordnungen zahlreicher werden müssen.
Diese Republik ist aus Schutt und Trümmern aufgebaut worden, kaum mit Gesetzen versehen, die nach dem Zusammenbruch der Diktatur nicht grundlegend geändert werden mußten.
Das ist geschehen mit höchstens der Hälfte der Beamten, Angestellten und Arbeiter, die heute im öffentlichen Dienst vorhanden sind, wo alles steht, wo kaum noch eine Baulücke übriggeblieben ist, wo alles geregelt ist.
Daraus ziehe ich den Schluß — ich wäre sehr dankbar gewesen, wenn auch die Opposition diesen Schritt einmal gewagt hätte —, daß die Betreffenden notwendigerweise mehr produzieren müssen, auch wenn es den strengen Anforderungen, die Sie hier an eine solche Produktion geknüpft haben, nicht in jedem Fall standhält. Denn da, wo eine Kapazität vorhanden ist, muß sie ausgefahren werden. Das gilt insbesondere, wenn zusätzliche Kosten nicht nachweisbar sind und, wie wir gemeinsam zu beklagen haben, in aller Regel überhaupt nicht festgestellt und ermittelt werden.
Dann müßten Sie sich doch aber, statt zum wiederholten Male völlig berechtigte Klage zu führen, mit dem Kollegen Berger und anderen verdienstvollen Männern ins Benehmen setzen und sagen: Wie kommen wir der Sache näher? Wie können wir, ohne in die sicher wohlerworbenen Rechte der Beteiligten einzugreifen, dazu kommen, diese Kapazität etwas mehr den Gegebenheiten anzupassen? Statt dessen werden Sie nicht müde, nicht nur eine Fülle von Gesetzentwürfen, wie es die Frau Vorrednerin schon dargestellt hat, hier einzubringen, sondern auch an allen Ecken und Kanten zusätzliche Stellen zu fordern und durch Gesetze, die die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes nachhaltig behindern — ich denke da z. B. an das Personalvertretungsgesetz, das im Wettstreit der Beteiligten aus allen drei Fraktionen hier durchgesetzt worden ist--
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Herr Kollege, können Sie mir die Frage beantworten, warum Ihre Fraktion unsere wiederholten Anträge, die fast jedes Jahr zum Haushalt erneut gestellt worden sind, jede dritte Stelle einzusparen, nicht unterstützt hat?
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4837
Herr Kollege Althammer, nun haben wir uns so gefreut, daß wir nicht versuchen, uns gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben, und schon fangen Sie wieder damit an.
Sie stellen doch diesen Antrag in schöner Regelmäßigkeit im Haushaltsausschuß nur deshalb, weil Sie dringend hoffen, daß die Koalitionsparteien die unangenehme Aufgabe übernehmen, ihn abzulehnen.
Das ist doch die Maxime, nach der Sie da vorgehen. Außerdem führen Sie diesen Antrag dadurch ad absurdum, daß Sie im einzelnen an allen möglichen Stellen personalwirksame Gesetze einbringen, Personalstellen im einzelnen auch ausdrücklich fordern und damit die pauschale Forderung ganz eindeutig in ihrer reinen Alibifunktion sichtbar machen, einer Alibifunktion für das, was Sie in Wirklichkeit an Mehraufwand verursachen.
Lassen Sie, meine Herren, uns doch gemeinsam darangehen — das ist mit Sicherheit ein sehr schweres und unpopuläres Geschäft —, den Ursachen etwas mehr auf die Spur zu kommen. Ich habe einiges angedeutet, und auch das ist schon unpopulär genug, was ich hier gesagt habe. In Wirklichkeit muß man erheblich weiter in die Einzelheiten gehen.
Sie müssen sich mal fragen, warum eigentlich die Landesrechnungshöfe oder auch der Bundesrechnungshof immer wieder angegangen werden, Gutachten über die Nützlichkeit oder Unnützlichkeit dieser oder jener Maßnahme zu machen, und warum man nicht mehr Leute aus Bereichen der Wirtschaft einsetzt. Ich verstehe gar nicht den. Streit, der zur Zeit von den Ländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen im Zusammenhang mit der sich anbahnenden Diskussion um den NDR und seine Verfassung geführt wird. Wenn ich überhaupt die Möglichkeit einer Kündigung sehe, so die einer Änderungskündigung, die unter anderem sich mit diesen Prüfungsfragen befaßt. Da kommt wie aus der Pistole geschossen der Einfall, die Landesrechnungshöfe Niedersachsen und Schleswig-Holstein müßten an der Prüfung beteiligt werden. Das ist einleuchtend. Aber das geht mir nicht weit genug.
Wie in jedem Vertrag den Gesellschaftern das Recht gegeben wird, einen Sachkundigen ihres Vertrauens mit der Prüfung zu beauftragen, so müßte das auch in einem solchen öffentlich-rechtlichen Vertrag sein. Da muß man nicht gleich auf den Landesrechnungshof kommen. Da muß man sich mal fragen, warum nicht die Stelle eines Rechnungshofpräsidenten auch für berufserfahrene Wirtschaftsprüfer ausgeschrieben wird. Man muß sich fragen, warum da in jedem Falle ein Karrierebeamter dahin gebracht werden muß,
möglichst von der Stelle, wo er jemandem anders im Wege sitzt. Denn dann wird infolge einer nur allzu verständlichen und ganz normalen Betriebsblindheit eben das, was an Innovationen und an
neuen Gedanken nötig wäre, nicht gemacht. Das ist so eine Geschichte.
Dann müssen Sie sich mal fragen, ob man nicht die Grenze für den politischen Beamten zu hoch angesetzt hat, ob nicht in einer Reihe von Fällen Positionen geschaffen, GmbHs gegründet, Bundesanstalten oder Landesanstalten gegründet werden, nur damit irgendein Mann, der an präzise jener Stelle im Wege sitzt, dorthin weggelobt werden kann, notfalls unter Verdoppelung der Bezüge, was die GmbHs angeht, damit Platz wird, den man auch auf ganz andere Weise schaffen könnte. Bloß darüber spricht man nicht so gern. Da begibt man sich auf diese Schleichwege. Wieviel Gesellschaften, wieviel Anstalten haben wir wohl, die ihre Entstehung ausschließlich einem solchen Personalproblem verdanken, das kein Mensch anzufassen sich getraut!
Da sind wir gefordert. Aber es ist ja leicht. Wir sagen: das ist meist Länderangelegenheit. Daß Sie alle Parteifreunde haben, mit denen Sie in den gleichen Vorständen sitzen und die Sie auch mal zur Ordnung rufen könnten, wenn die im Landtag nicht so spuren, wird bei der Gelegenheit vergessen oder mindestens verschwiegen. Daß wir alle mehr Möglichkeiten haben, als sich aus der Drei-GewaltenTheorie ergibt, steht doch auch fest. Es ist ja aber wunderbar bequem, sich gegebenenfalls darauf zurückzuziehen, statt den Dingen wirklich einmal zu Leibe zu rücken.
Wenn wir hier an uns alle appellieren, so darf sich das nicht nur auf die Schönheit der Sprache beziehen. Ich gehöre z. B. zu denen, die kürzlich einmal die Überlegungen von Konrad Zweigert über Sprache und Gesetz in der Festschrift für Reimer Schmidt gelesen haben. Ich gehe davon aus, daß die Antragsteller diesen Aufsatz vor der Stellung ihrer Anfrage auch gelesen haben.
Es ist ein hochinteressanter Aufsatz. Ich empfehle ihn Ihnen an dieser Stelle zu diesem Thema.
Wir müßten also bereit sein, uns erheblich nachhaltiger, als dies auch mit Ihrer wiederholten Anfrage geschehen ist, mit den Ursachen zu beschäftigen. Ich will Sie hier aber nicht nur tadeln. Sie haben neulich zum zweitenmal etwas sehr Gescheites vorgeschlagen, nämlich nach einem Weg zu suchen, wie dieses Haus sich in die Verordnungsgebung einschalten kann. Wir stimmen mit Ihnen darin überein: Es handelt sich darum, einen gescheiten Weg zu finden. Ich habe, was dieses Thema angeht, als einer der wenigen an dieser Stelle nie ein Geheimnis daraus gemacht, daß ich dabei nicht nur die StVG-Verordnung im Auge habe. Ich habe keinen Hehl daraus gemacht, daß hier weitergedacht werden muß und daß es sich hier nur um einen Ansatzpunkt handelt, der besonders dringlich ist und an dem anzusetzen sich anbietet. Es muß tatsächlich die Möglichkeit bestehen, Verordnungen zu beeinflussen, insbesondere in dem Sinne, daß sie möglichst gar nicht erlassen
4838 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Kleinert
werden. Es liegt bei uns, dies zu erreichen. Die Hackfleischverordnung, auf die die Frau Vorrednerin Bezug genommen hat, bestand seit ungefähr 80 Jahren aus etwa fünf Druckzeilen. Seit etwa acht Jahren — ich weiß nicht genau, seit wann; es muß aber ungefähr. acht Jahre her sein, weil wir sonst vor die Zeit von 1969 zurückkämen —
umfaßt sie 40 Seiten. Mir ist kein Fall bekanntgeworden, daß die kaiserliche Verordnung betreffend Hackfleisch zu irgendwelchen Vergiftungsfällen geführt hätte. Nichts dergleichen ist geschehen. Jetzt umfaßt diese Verordnung 40 Seiten. Daß ein Schlachtermeister selbst bei überdurchschnittlichem juristischen Interesse dies nicht liest, liegt auf der Hand.
— Das ist keineswegs auszuschließen, Herr Wehner.
Wenn solche Materien am Gesetzgeber vorbei in dieser perfektionistischen Form geregelt werden, müssen wir versuchen, darauf wieder Einfluß zu gewinnen. Der Jammer in der Bevölkerung ist ja nicht neu. Er ist uralt. Shakespeare hat uns mit dem Wort vom Übermut der Ämter und Behörden eine Klage überliefert. Sie liegt Jahrhunderte zurück. Dies hat also mit Sicherheit nichts mit der sozialliberalen Koalition zu tun, sondern es hat etwas mit Sachgesetzlichkeiten zu tun, deren Ursachen erheblich tiefer liegen. Ich habe versucht, hier einiges anzudeuten und damit eine Diskussion zu eröffnen, die wir miteinander führen sollten, denn das schiere Jammern über den Zustand wird uns mit Sicherheit nicht zu einer Besserung desselben führen.
Sie haben unter anderem angeregt, das vorhandene Gesetzes- und Verordnungsmaterial zu sichten und zu bereinigen. Es gibt einen sehr alten Beschluß hierzu, wonach dies laufend zu geschehen hat. Vielleicht wäre es tatsächlich nützlich, die Bundesregierung zu bitten, diese Dinge etwas mehr zu institutionalisieren und es nicht dem jeweils mit dem Einzelfall befaßten Fachmann zu überlassen, in seinem Bereich für eine Regelung zu sorgen. Ich nehme aber auch gern die Gelegenheit wahr, Ihnen mitzuteilen, daß das Bundesland Bayern
in der Mitte der 50er Jahre sein Landesrecht sehr gründlich und generell bereinigt hat. Von vielen 10 000 Seiten sind hinterher nur etwa 20 oder 25 % - zahlenmäßig gerechnet — übriggeblieben. Ich benutze die Gelegenheit auch deshalb, um Ihnen mitzuteilen, daß der mit dieser Arbeit Befaßte Herr Hans-Jochen Vogel, der jetzige Bundesjustizminister, war. Er hat diese Aufgabe seinerzeit zur großen Zufriedenheit der Bayerischen Staatsregierung erledigt.
Wir werden ihn bitten, uns die seinerzeit gesammelten Erfahrungen für unseren Zusammenhang zugänglich zu machen. Ich hoffe weiterhin auf gute Zusammenarbeit.
Meine Damen und Herren, diese überwiegend weihnachtliche Stimmung tut dem Präsidium besonders gut.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Baum.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierung möchte sich dieser selbstkritischen Debatte nicht entziehen und wenigstens einige Worte hier zum Abschluß sagen.
Die Bundesregierung hat sich wiederholt — zuletzt in ihrer Antwort auf die Große Anfrage zur Lage der Städte, Gemeinden und Kreise und schon bei vielen Gelegenheiten früher — zu diesen Fragen geäußert und deutlich gemacht, daß . auch sie über die steigende Gesetzeszahl und die Perfektionierung besorgt ist, Herr Kollege Eyrich.
Wir haben jedesmal auf die Ursachen, nämlich die Eigengesetzlichkeit des sozialen Rechtsstaates, die fortwährende Weiterentwicklung unseres gesellschaftlichen und sozialen Systems und die Komplizierung der Lebensverhältnisse, die die Frau Kollegin schon angespochen hat, hingewiesen.
Obwohl die Zahl nicht viel sagt, will ich einmal die Zahl der Gesetze, die es in unserem Lande gibt, nennen. Am 18. Februar 1977 umfaßte das Bundesrecht 1 480 Gesetze und zirka 2 280 Rechtsverordnungen einschließlich des vorkonstitutionellen Rechts. Das sagt aber über die Qualität und die Handhabbarkeit natürlich überhaupt nichts aus.
Meine Damen und Herren, zu den elementaren verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen gehört eben das Rechtsstaatsprinzip.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von der Heydt?
Baum, Parl. Staatssekretär: Ja.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben gesagt, daß die Bundesregierung das Problem genauso sehe, wie alle Sprecher der Fraktionen das hier heute dargetan haben. Wie kommt es dann, daß gerade Sie in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vor wenigen Monaten auf die Frage meines Kollegen Feinendegen, der danach gefragt hatte, was für einen Aufwand diese vielen Gesetze nach sich zögen, geantwortet haben, die Frage gehe von der Unterstellung aus, es gebe eine Flut unverständlich formulierter Gesetze und Verordnungen? Die Antwort lautete weiter:
Die Bundesregierung wird in eine Wertung der Gesetzgebungsarbeit des Hohen Hauses nicht eintreten. Auch soweit sie selbst für den Erlaß von Vorschriften verantwortlich ist, teilt sie Ihre Auffassung, Herr Abgeordneter, nicht.
Wie erklären Sie diesen Widerspruch?
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4839
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich versuche gerade darzulegen, daß es eine ganze Palette von Gründen gibt, die dieses Haus und auch die Regierung veranlassen, Gesetze vorzuschlagen und Gesetze zu machen. Unter anderem nenne ich das Rechtsstaatsprinzip, das es erfordert, daß die Verwaltung bei ihrem Handeln nicht frei ist, sondern an einen rechtsstaatlichen, vom Parlament festgesetzten Rahmen gebunden ist. Zweitens nenne ich das Sozialstaatsprinzip, das es gebietet, daß wir in unserem Lande kraft Gesetzes eine Daseinsvorsorge schaffen, daß wir in unserem Lande die soziale Sicherheit gewährleisten, daß wir in unserem Lande für Umweltschutz sorgen.
Ich habe dies Ihrer Auffassung entgegengehalten, die mir davon auszugehen schien, daß um das Ziel zu erreichen, nur Zahl und Umfang der Gesetze abgebaut werden müßten, was sehr leicht möglich sei. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie Zahl und Umfang der Gesetze und Verordnungen undifferenziert abbauen wollen, dann müssen Sie sich darüber im klaren sein, daß dieser Rückgang staatlichen Engagements gleichzeitig zu einem Rückgang rechtsstaatlich fixierter und gerichtlich nachprüfbarer Regelungen und letztlich auch zu einem Abbau des Sozialstaates und seiner Regelungen führen würde.
Meine Damen und Herren, wir müssen bei dieser Arbeit, der sich die Bundesregierung nie entzogen hat, auch berücksichtigen, daß wir — Herr Kollege Kleinert hat das schon angedeutet — einer ziemlich großen Zahl von Richtlinien, von Gesetzgebungsakten ausgesetzt sind, die aus der Europäischen Gemeinschaft in den deutschen Bereich hereinkommen und die der Umsetzung in innerstaatliche Regelungen bedürfen. Ich habe den Eindruck, daß die Überlegungen über die Verwaltungsvereinfachung, die wir hier anstellen, in den Europäischen Gemeinschaften noch nicht so weit gediehen sind. Auch die Art und Weise, wie diese Vorschriften zustande kommen — das gilt im übrigen auch für dieses Parlament —, macht hier keine große Hoffnung. Wenn Sie sich vorstellen, daß man zwar vorher prüfen kann — oder das jedenfalls versucht —, welche Kosten und welches Personal ein Gesetz zur Folge haben wird, und auch versucht, das Gesetz sprachlich zu bereinigen, daß aber dann letztlich ein Kompromiß geschlossen wird, etwa in Brüssel in einer Nachtsitzung oder auch hier im Vermittlungsausschuß, wo alle diese Überlegungen überhaupt keine Rolle mehr spielen, wo man aus parteipolitisch unterschiedlichen Gesichtspunkten einen Kompromiß zimmert, so ist das doch ein bedenkenswertes und beklagenswertes Phänomen.
Meine Damen und Herren, hier ist schon darauf hingewiesen worden, daß keiner mit dem Finger auf den anderen zeigen kann. Das haben wir heute früh auch nicht getan. Frau Kollegin Hartenstein hat schon darauf hingewiesen, daß 87,6 % der Gesetze vom ganzen Haus verabschiedet worden sind. Über 96 °/o der Gesetze sind vom Bundesrat gebilligt worden. Es ist auch nicht so, um einen allge-
meinem Eindruck entgegenzutreten, daß nur — —
— Herr Kollege, wenn von Blockiermaschine die Rede ist, geht es natürlich um die ganz wesentlichen Gesetze, die bestimmend für die Politik dieses Landes sind. Dort haben Sie in der Tat blockiert. Sie haben eine andere Meinung gehabt und haben den Bundesrat dazu benutzt, um politische Standpunkte durchzusetzen, die mit Länderinteressen nicht immer etwas zu tun gehabt haben.
— Das steht nirgendwo, Herr Kollege Lenz, aber der Bundesrat ist seiner inneren Anlage nach nicht nur ein Instrument der Opposition. Er hat als zweite Kammer nach seiner Zusammensetzung und seiner Aufgabenstellung auch dem Rechnung zu tragen,
daß es hier nicht zuletzt um Länderinteressen geht.
— Nein, das ist er in der Tat nicht. Ich bin froh darüber, daß er es nicht ist.
Es ist auch nicht so, daß die Gesetzesflut, von der Sie gesprochen haben, Herr Kollege, nur von der Regierung ausgeht. In der 7. Legislaturperiode sind von den 670 eingebrachten Gesetzentwürfen nur etwa zwei Drittel von der Regierung selbst vorgelegt worden und viele auf Antrag und auf Wunsch dieses Parlaments.
Die Bundesregierung wird sich weiter bemühen, das geltende Recht übersichtlicher zu gestalten. Ein Teil der Gesetzesvorlagen der Bundesregierung dient der Beseitigung der Rechtszersplitterung, der Rechtsvereinheitlichung und der Aufhebung entbehrlich gewordener Vorschriften. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die gesetzgeberischen Maßnahmen auf den Gebieten des Strafrechts oder des Verwaltungsverfahrens oder an die laufenden Arbeiten an der Zusammenfassung der weit verstreuten Vorschriften des Sozialrechts.
Auch die Forderungen nach Verständlichkeit und Praktikabilität der Gesetze, die Sie aufgestellt haben, Herr Kollege Eyrich, sind selbstverständlich zu akzeptieren. Die Bundesregierung hat diesem Anliegen durch eine in diesem Jahr in Kraft getretene Novellierung der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, Teil II, Rechnung getragen. Sie hat die Regeln für die Gesetzesvorbereitung verbessert, um noch stärker auf übersichtliche Gliederung und sprachliche Klarheit und Verständlichkeit hinzuwirken, wobei nunmehr die Beteiligung der Gesellschaft für deutsche Sprache zwingend vorgeschrieben wurde. Nur hilft das natürlich gar nichts mehr, wenn diese Institution beim Ge-
4840 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Parl. Staatssekretär Baum
setzgebungsverfahren dann nicht mehr beteiligt wird.
Das Bundesinnenministerium ist im übrigen im Rahmen einer besonderen Mitprüfung aller Vorschriften beteiligt und prüft diese Vorschriften auf ihre Verwaltungsförmigkeit und Praktikabilität. Um vor übertriebenen Hoffnungen zu warnen, möchte ich allerdings nicht verschweigen, daß es vielfach kaum möglich sein wird, zur praktikablen Vollziehbarkeit im voraus konkrete Aussagen zu machen, weil die Bundesgesetze im allgemeinen von den Ländern als eigene Angelegenheit ausgeführt werden und die Bundesländer auch die Verfahren und die Organisation des Vollzugs selbst bestimmen.
Dies ist auch eine wesentliche Schwierigkeit bei der in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien vorgeschriebenen Vorausschätzung der durch ein Gesetz verursachten Vollzugskosten einschließlich der entstehenden Personalkosten. Mit dieser Frage hat sich das Haus bereits am 3. Juni 1976 befaßt. Wir haben schon damals darauf hingewiesen, daß es nirgends, weder im Inland noch, soweit wir das übersehen können, im Ausland eine abgesicherte Methode zur analytischen Vorausermittlung von Personalfolgekosten eines Gesetzes gibt. Die Frau Kollegin hat schon auf diesen Versuch in Speyer hingewiesen.
Neben der bereits erwähnten Ungewißheit über die vielfach unterschiedliche Gestaltung der Aufbau- und Ablauforganisation in den Vollzugsbehörden sind es vor allem die sogenannten offen formulierten Tatbestände und eingeräumten Ermessensspielräume, die eine Quantifizierung der anfallenden Arbeitsvorgänge kaum möglich machen.
Herr Kollege Eyrich, ich möchte auf einen Punkt Ihres Antrags ganz kurz etwas konkreter eingehen. Während es sich bei den von mir eben geschilderten Untersuchungen nur um den von neuen Gesetzen verursachten Personalaufwand der Vollzugsbehörden handelt, fordern Sie abweichend von § 40 der Gemeinsamen Geschäftsordnung auch Angaben über den Arbeitsaufwand in allen Verwaltungen nach Arbeitsstunden bzw. über die Einsparung an Arbeitsstunden, ferner über die zusätzlichen und die eingesparten Stellen in allen Verwaltungen, bezogen auf den Vollzug des einzelnen Gesetzes sowie über die Kostenbelastung für Bürger und Unternehmen. Herr Kollege Eyrich, es wird sieh sehr schnell in den Beratungen herausstellen, daß das undurchführbar ist. Das ist nach den Erkenntnissen und Möglichkeiten, die wir haben, nicht durchführbar. Selbst wenn wir es durchführen könnten, wäre die Kostenbelastung, die mit dieser Prüfung verbunden wäre, wahrscheinlich außerordentlich hoch.
Angesichts dieser bisher jedenfalls nicht allzu hoffnungsvollen Erfahrung auf diesem schwierigen Gebiet der Kostenschätzung scheint mir also eine gewisse Skepsis über die Machbarkeit dessen angebracht, was die Antragsteller mit ihrem Antrag anstreben.
Erlauben Sie mir abschließend noch ein Wort zu den unter Ziffer 5 des Antrags geforderten nachträglichen Kontrollen der Kostenschätzung. Ohne hier bereits verläßliches Zahlenmaterial zur Verfügung zu haben, läßt sich doch aus der bisherigen Verwaltungspraxis und den vorliegenden Erfahrungen die Vermutung ableiten, daß eine solche dauernde Kostenkontrolle mit einem Aufwand verbunden wäre, der sich bei manchen Gesetzen den Vollzugskosten annähern dürfte.
Insgesamt gesehen, meine Damen und Herren, begrüßt die Bundesregierung jede Initiative, die Anstrengungen zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung zu fördern und zu verstärken. Hier ist schon gesagt worden, daß dies ein nüchternes, ein mühsames Geschäft ist. Wir werden uns daran weiterhin mit allen Kräften beteiligen, durchaus auch selbstkritisch. Wir werden uns also unvoreingenommen mit Ihrem Antrag und den Anregungen, die von den Kollegen hier gemacht wurden, befassen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 8/1206 an den Rechtsausschuß — federführend — und an den Innen- und an den Haushaltsausschuß — mitberatend — zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Eine andere Meinung sehe ich nicht. Es ist so beschlossen').
Ich rufe jetzt gemäß einer interfraktionellen Vereinbarung den ersten Zusatzpunkt zur heutigen Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte
— Drucksache 8/1250
Überweisungsvorschlag :
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Wird das Wort gewünscht? — Das Wort hat der Abgeordnete Horstmeier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Drucksache 8/1250 liegt Ihnen ein Entwurf zum Achten Änderungsgesetz zur Altershilfe für Landwirte vor. Er beinhaltet neue Leistungen für jüngere Witwen landwirtschaftlicher Unternehmer, die bisher nicht in die agrarsoziale Sicherung einbezogen sind.
Über diesen zu versorgenden Personenkreis ist in den letzten Jahren sehr viel geredet und geschrieben worden. Ihm wurde auch sehr viel Wohlwollen entgegengebracht. Aber Taten folgten bisher leider nicht.
Die CDU/CSU-Fraktion hat in den vergangenen Jahren mehrere Änderungs- und Entschließungsanträge gestellt, die die Bundesregierung aufforderten, diese Lücke in der agrarsozialen Gesetzgebung zu
*) Änderung des Überweisungsbeschlusses S. 4876
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Dezember 1977 4841
Horstmeier
schließen. Diese Aufforderung geschah erstmals während der parlamentarischen Beratungen zum Siebten Änderungsgesetz zur Altershilfe für Landwirte im Jahre 1973 durch einen Änderungsantrag unsererseits. Im Jahre 1974 haben wir einen Entschließungsantrag während der Beratungen zum Agrarbericht eingebracht, in dem die Bundesregierung erneut aufgefordert wurde, in dieser Frage initiativ zu werden. In den folgenden Jahren ist jeweils in der Aussprache über den Agrarbericht von unseren Sprechern auf diese ungelöste Frage hingewiesen worden.
Selbst der Bundesernährungsminister hat in seiner diesjährigen Einbringungsrede zum Agrarbericht deutlich gemacht, daß mit der Versorgung jüngerer Witwen der soziale Schutz der landwirtschaftlichen Bevölkerung abgerundet werden müßte. Geschehen ist in diesem ganzen Jahr wiederum nichts. Die Behandlung dieser Frage durch die Koalitionsfraktionen jüngst im Haushaltsausschuß spricht eine eigene Sprache und läßt von dieser Seite keine Initiative erwarten.
Wenn man sich diese Sachlage vor Augen führt, muß man zu dem Schluß kommen, daß die Regierung und die Koalitionsfraktionen in dieser Frage handlungsunfähig sind. Da die Opposition mit den bisherigen Änderungs- und Entschließungsanträgen keinen Erfolg hatte, legt sie heute einen konkreten Gesetzentwurf vor. Darin fordern wir erstens, daß das Alterserfordernis zur Erlangung des Witwengeldes von jetzt dem 60. auf das 45. Lebensjahr herabgesetzt wird; zweitens, daß allen Witwen, die ein oder mehrere Kinder zu versorgen haben, unabhängig vom Alter diese neuen Leistungen der Altersklasse zukommen. Gerade beim letztgenannten Personenkreis gibt es in der Praxis — das ist eindeutig erwiesen — sehr viele soziale Härten, die es unbedingt abzumildern gilt.
Das Witwengeld soll in der jeweiligen Höhe des Altersgeldes für unverheiratete Berechtigte gewährt werden. Das wären im Jahre 1978 265 DM monatlich. Voraussetzung ist, daß der verstorbene Ehegatte mindestens 60 Monatsbeiträge in die landwirtschaftliche Alterskasse eingezahlt hat. Das entspricht auch der Regelung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Das bisher mit 60 Jahren gewährte Witwenaltersgeld bleibt nach unserem Vorschlag in der jetzigen Form erhalten. Die jüngeren Witwengeldbezieher haben dann die Möglichkeit, mit Erreichen dieser Altersgrenze das Witwengeld in ein Witwenaltersgeld umzuwandeln. Das hat den Vorteil, daß sich die weiter entrichteten Beiträge, sofern sie 15 Beitragsjahre überschreiten, beim Altersgeld leistungssteigernd auswirken können.
Alle hier vorgetragenen Regelungen gelten natürlich auch für den Witwer, sofern dessen Ehefrau landwirtschaftliche Unternehmerin gewesen ist.
Alles in allem: Unser Gesetzentwurf schließt eine wesentliche Lücke in der agrarsozialen Gesetzgebung. Denn wer kann es noch verstehen, daß eine Witwe, die ihren Mann durch einen Herzinfarkt mit tödlichem Ausgang verloren hat, ohne Hilfe bleiben soll, während es für eine Witwe, deren Mann einen
tödlichen Unfall erlitten hat, selbstverständlich ist, daß sie Unterstützung in Form der Unfallrente erhält? Das soll auch so bleiben, aber hier muß eine gleiche Behandlung erfolgen.
Zum Schluß sei noch bemerkt, daß die Finanzierung dieser neuen Leistung möglich ist, ohne daß das Finanzvolumen des Einzelplans 10 erhöht werden muß.
Ich bitte das Hohe Haus um wohlwollende und zügige Behandlung unseres Gesetzentwurfes, damit den Betroffenen möglichst schnell geholfen werden kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Wimmer.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Pressedienst der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 25. November 1977 verkündet eine Schlagzeile, daß die Opposition einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Witwenrente für Witwen von Landwirten einbringt. Der Entwurf liegt vor.
Daß die Opposition damit kurz vor Weihnachten einen propagandistischen Effekt erzielen wollte, liegt auf der Hand.
Nicht nur die eben zitierte Schlagzeile, sondern auch die Bundestagsdrucksache mit diesem Entwurf macht die Absicht deutlich. So müssen wir unter der Überschrift „Problem" lesen, daß die Witwen und Witwer landwirtschaftlicher Unternehmer nach dem Tode des Ehegatten bisher keine Hinterbliebenenrente erhalten. Das ist formal dann richtig, wenn man sich hinzudenkt oder redlicherweise hinzuschreibt, daß es sich dabei um die Witwen aktiver landwirtschaftlicher Unternehmer handelt.
Bedenklich und deshalb als Effekthascherei zu bezeichnen ist aber der Eindruck,
der durch diese Formulierung in der Öffentlichkeit entstehen soll.
Die Opposition will den Eindruck erwecken, als seien die Witwen und Witwer landwirtschaftlicher Unternehmer allesamt unversorgt und damit im Sozialgefüge zu einer Randgruppe erniedrigt.
Die Wirklichkeit sieht anders aus: Tatsache ist es, daß es bereits heute ein Witwengeld in der Landwirtschaft gibt. Schon heute erhalten Witwen und Witwer landwirtschaftlicher Unternehmer das Altersgeld immer dann, wenn sie selbst nicht landwirtschaftliche Unternehmer sind, d. h., wenn das Unternehmen den gesetzlichen Vorschriften entsprechend abgegeben wurde, der verstorbene Ehegatte Anspruch auf Altersgeld hatte und die Ehe vor Voll-
4842 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Wimmer
endung seines 65. Lebensjahres geschlossen wurde
oder die Witwe das 60. Lebensjahr vollendet hat
oder die Witwe oder der Witwer erwerbsunfähig ist.
Vielleicht hört es die Opposition nicht gern, daß im Jahre 1977 immerhin 221 000 Witwen dieses Altersgeld erhielten und davon 9 500 jünger als 60 Jahre gewesen sind. Es klingt schon sehr ungenau, wenn nicht gar unredlich, wenn die CDU/CSU in diesen Wochen landauf und landab in Presseerklärungen und in den ihr nahestehenden Organen verkünden läßt, daß sie seit Jahren um die Einführung einer Hinterbliebenenrente für Witwen landwirtschaftlicher Unternehmer kämpfe und daß SPD und FDP entsprechende Anträge der CDU/CSU-Fraktion stets abgelehnt hätten.
Es wird niemand bestreiten können, meine Damen und Herren von der Opposition, daß dies der erste Gesetzentwurf ist, den Sie zu diesem Thema einbringen, und daß es noch keinen Gesetzentwurf gegeben hat, der von der Koalition abgelehnt worden wäre. Sie scheinen aber auch zu vergessen, daß die CDU/CSU bis 1969 Regierungsverantwortung getragen hat und in den 20 Jahren ihrer Regierungszeit zahlreiche Gelegenheiten ungenutzt verstreichen ließ, um dieses Problem, das ja nicht neu ist, wirksam und so zu lösen, wie Sie es mit dieser Vorlage lösen wollen.
Es gehört schon eine Menge Mut dazu, wenn den Koalitionsparteien im Pressedienst Ihrer Fraktion vorgeworfen wird, sie hätten eine unsoziale Haltung in dieser Frage. Was hat denn die Opposition für die landwirtschaftliche Sozialversicherung in der Zeit bis 1969 geleistet?
Ist es nicht so, daß Sie in dieser Frage ein ganz schlechtes Gewissen haben und auch haben müssen und daß man draußen im Lande sehr wohl weiß, wer das System der sozialen Sicherung für die Landwirte geschaffen und vorangetrieben hat? Die Landwirte kennen diese Entwicklung sehr gut, weil sie ihnen auch persönlich zugute gekommen ist. Erst die sozialliberale Koalition hat dieses Sicherungswerk in beispielloser Weise ausgebaut.
Die Finanzmittel, die der Bund bereitgestellt hat, stiegen von 842 Millionen DM im Jahre 1969 auf 3,2 Milliarden DM für das Jahr 1978. Die sozialliberale Koalition hat 1972 die Krankenversicherung der Landwirte eingeführt, die die Landwirte von den Krankheitskosten der Altenteiler völlig befreit. 1974 wurde das Altersgeld so gestaltet, daß die Empfänger seit dieser Zeit wissen, daß ihr Altersgeld und ihr Witwengeld regelmäßig zum 1. Januar jeden Jahres in gleichem Umfang wie die Renten in der Rentenversicherung angepaßt werden. Die sozialliberale Koalition hat 1975 ein Waisengeld in die Altershilfe der Landwirte eingeführt. Krankenversicherung, Dynamisierung des Altersgeldes, Waisengeld — ist das das Ergebnis einer unsozialen Haltung, deren Sie uns bezichtigen wollen? Nein, im Gegenteil! Die Sozialpolitik für die Landwirte ist von uns in dem Bewußtsein gestärkt und ausgebaut worden, daß die Landwirte, die lange — vielleicht viel zu lange — glaubten, ihr Altenschicksal ohne die Hilfe des Staates meistern zu können, mit dieser Mentalität nicht ins soziale Abseits geraten durften. Heute, da das Gewollte erreicht ist, gilt es für uns Sozialdemokraten vornehmlich, das Erreichte zu sichern und zu verteidigen und nicht durch unerfüllbare Forderungen zu gefährden.
Aber auch wir sehen, daß die Versorgung jüngerer Witwen im bestehenden Sozialsystem für Landwirte noch nicht befriedigend geregelt ist. Wir sind bislang davon ausgegangen, daß beim Tod eines landwirtschaftlichen Unternehmers mit dem Betrieb mich die Existenzgrundlage für die Familie erhalten bleibt.
Diese Regelung hat in der landwirtschaftlichen Praxis bei zahlreichen jüngeren Witwen, erhebliche soziale Härten mit sich gebracht.
Das sehen wir. Bundesminister Ertl hat bereits im März dieses Jahres hier im Parlament angekündigt, daß die soziale Sicherung jüngerer Witwen mit waisengeldberechtigten Kindern noch in dieser Wahlperiode verbessert werden soll.
SPD und FDP haben eine bessere Versorgung dieser Menschen nicht abgelehnt. Wir haben im Gegenteil deutlich gemacht, daß wir das Vorhaben der Regierung unterstützen.
Aus diesem Grund haben wir im Ernährungsausschuß bei Stimmenthaltung der Opposition eine Entschließung gefaßt, wodurch die Bundesregierung zu prüfen ersucht wird, wie diese Lücke in der agrarsozialen Sicherung durch gesetzliche Regelungen ausgefüllt werden kann.
Daß wir uns verpflichtet fühlen, mit Sorgfalt alle Probleme und Möglichkeiten zu prüfen, dagegen hat die Opposition in letzter Zeit in unverantwortlicher Weise polemisiert. Leider hat sie es unterlassen, ihren Gesetzentwurf, den wir heute in die Beratung des Bundestages aufnehmen, mit der Genauigkeit vorzubereiten und zu prüfen, die notwendig und der Sache angemessen ist.
So werden wir uns dieser versäumten Pflicht der Opposition annehmen und auf die Probleme hinweisen, die ihr Entwurf aufwirft.
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Wimmer
Zunächst ist die Frage der Beitragsgerechtigkeit in der landwirtschaftlichen Sozialpolitik anzusprechen. Die Altersversorgung der Landwirte wird zu 75 % aus Steuermitteln finanziert, die der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten hingegen nur zu 15 °/o. Gewiß ist der vergleichsweise sehr hohe Bundeszuschuß zur Altershilfe der Landwirte zum großen Teil als Ausgleich dafür notwendig, daß das Verhältnis der Zahl der Rentner zur Zahl der Beitragszahler in der Landwirtschaft wesentlich ungünstiger als in der allgemeinen Rentenversicherung ist. Aber auch aus dem ungünstigen Altersaufbau der landwirtschaftlichen Bevölkerung läßt sich die Finanzierung aus Steuermitteln in der heutigen Höhe nicht rechtfertigen. Es bleibt ein beträchtlicher Rest übrig, der über die Kompensation der ungünstigen Altersstruktur hinausgeht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hasinger?
Nein. Vizepräsident Stücklen: Keine Zwischenfrage.
Das wird deutlich, wenn man das Verhältnis der Leistungen zu den Beiträgen in der Altershilfe der Landwirte und in der Rentenversicherung vergleicht.
— Sie erwecken manchmal den Eindruck, daß Sie es nicht kennen!
Sieht man einmal von der Dynamisierung der Leistungen und Beiträge in beiden Sozialbereichen ab, dann ergibt sich, daß ein lediger Landwirt mit 180 Monatsbeiträgen zu je 63 DM nach 15 Jahren eine Monatsrente von 241,60 DM erwirbt. In der gesetzlichen Rentenversicherung muß man, um die gleiche Rente von 241,60 DM zu enthalten, 15 Jahre lang jeden Monat 240,50 DM einbezahlen. Der Landwirt hat also für seine Rente nur 26 % des Beitrags zu zahlen, der in der gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen wäre, bzw. nur 53 0/o des Arbeitnehmeranteils des Rentenversicherungsbeitrags.
Kann dies als gerecht empfunden werden? Ergibt sich daraus nicht vielmehr die politische Schlußfolgerung, daß die Landwirte verstärkt auch zur Beitragsfinanzierung herangezogen werden müssen und daß Leistungsverbesserungen im Zusammenhang mit dem Problem einer gerechten Finanzierung gesehen werden müssen?
Meine Antwort hierauf lautet: Weitere Mehrausgaben sind nur möglich, wenn sie durch höhere Beiträge abgedeckt werden. Das gilt auch für die Verbesserungen in der Witwenversorgung. Es ist den
Landwirten dabei auch zuzumuten, einen größeren Solidarbeitrag aufzubringen.
Unser zweites Bedenken richtet sich dagegen, daß der Antrag der CDU/CSU keine Rücksicht darauf nimmt, daß Veränderungen im Leistungsrecht der landwirtschaftlichen Altersversorgung auch Rückwirkungen auf die Leistungen in den anderen Zweigen der Altersversorgung haben müßten. Die Einführung einer Witwen- und Witwerrente in der Altershilfe der Landwirte steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Fragen der Reform der Hinterbliebenenversorgung und der Alterssicherung der Frau in der gestzlichen Rentenversicherung, die wegen des Bundesverfassungsgerichtsurteils bis 1984 notwendig sein wird.
Mit Sicherheit wird diese Reform einen tiefgreifenden Einschnitt in das Leistungsrecht der Rentenversicherung bringen.
Die ganze Systematik der Hinterbliebenenversorgung muß von Grund auf umgestaltet werden.
Niemand weiß heute, ob die abgeleitete Witwenrente in der Zukunft überhaupt weiter bestehen wird, ob sie durch eine eigenständige Sicherung der Frau abgelöst wird oder wie eine solche neue Form der Alterssicherung überhaupt aussehen wird.
Der vorliegende Entwurf der CDU/CSU vernachlässigt auch vollständig den Zusammenhang mit dem Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung.
Er geht sogar so weit, daß in der Altershilfe der Landwirte eine unbedingte Witwenrente einzuführen sei, d. h. eine Rente, die auch einem gesunden, voll erwerbsfähigen Witwer gezahlt wird. Damit würde in der landwirtschaftlichen Altersversorgung eine völlig neue Leistung eingeführt werden, die über das heutige Recht der gesetzlichen Rentenversicherung hinausgeht und von der niemand sagen kann, daß sie sozialpolitisch notwendig wäre.
Das ist im Hinblick auf die anstehende Rentenreform, die uns das Bundesverfassungsgerichtsurteil auferlegt, ein Schritt in die falsche Richtung. Nach unserer Auffassung ist es töricht, das Recht der Altershilfe der Landwirte zu ändern und dabei so zu tun, als seien keine tiefgreifenden Veränderungen im Bereich der Hinterbliebenenversorgung zu erwarten. Man darf an den Bestimmungen der Renten der Hinterbliebenen, der landwirtschaftlichen Altersversorgung auf keinen Fall isoliert etwas verändern. Etwaige Änderungen im Bereich der Agrarsozialpolitik müssen mit der künftigen Entwicklung in der gesetzlichen Rentenversicherung abgestimmt werden. Sie sind erst dann sinnvoll zu diskutieren, wenn die von der Bundesregierung eingesetzte Sachverständigenkommission für die soziale Sicherung der Frau und der Hinterbliebenen ihr Votum abgegeben hat. Am Ende der Entwicklung .kann nach unserer
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Wimmer
Auffassung nur ein Zustand stehen, in dem in der Altershilfe der Landwirte und in der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Hinterbliebenenversorgung eine deckungsgleiche Systematik besteht, die zugleich dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Diese Bedenken müssen nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion sorgfältig diskutiert und bei der späteren Entscheidung über den vorliegenden Gesetzentwurf berücksichtigt werden. In seiner jetzigen Form ist der Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion jedenfalls zu eng konzipiert und nimmt zu wenig Rücksicht auf die vielfältigen Probleme, die zwar über den Bereich der landwirtschaftlichen Sozialpolitik hinausgehen, aber dennoch untrennbar mit ihr verbunden sind.
Um Mißverständnissen vorzubeugen, muß nochmals betont werden, daß sich die SPD-Bundestagsfraktion nicht gegen eine Verbesserung der Versorgung der Landwirtswitwen ausspricht.
Im Gegenteil: Wir befürworten solche Verbesserungen dort, wo sie sinnvoll sind.
Die Lösung muß sowohl der Forderung nach einer gerechten Finanzierung genügen als auch der Problematik der -notwendigen Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung, der Alterssicherung der Frau Rechnung tragen.
In den zuständigen Ausschüssen des Bundestages wird sich die SPD-Bundestagsfraktion aktiv und intensiv
— das haben Sie getan — für die Erarbeitung einer solchen Lösung einsetzen. Es ist der CDU/CSU-Opposition unbenommen, diesen Gesetzentwurf dem Bundestag zur Beratung vorzulegen. Die SPD-Fraktion stimmt der Überweisung dieses Antrages an den federführenden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu.
Wir können dabei aber nicht verhehlen, daß diesem Entwurf tatsächlich der Makel der Effekthascherei anhaftet.
Dies wird auch dadurch deutlich, daß der Entwurf erst am 24. Oktober eingebracht wurde und bereits mit Wirkung vom 1. Januar, also in zwei Wochen, in Kraft treten soll.
Was man jahrelang in den Reihen von CDU und CSU diskutiert und vorbereitet haben will, soll nun
in wenigen Tagen durch die Gremien der Gesetzgebung gepeitscht werden,
als ginge es darum, drohendes Unheil ohne Verzug abzuwenden.
Dieser Methode werden wir uns bei allem guten Willen, den wir grundsätzlich für diese Sache aufbringen, entschieden widersetzen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kunz .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Ausführungen der Kollegen der Regierungskoalition zur Witwenrente im agrarsozialen Bereich innerhalb und außerhalb des Deutschen Bundestages kann man nur als ein Trauerspiel bezeichnen. Immer dann, wenn die Bundesregierung und die Regierungsparteien konkret gefordert sind, etwas für die Witwen von Landwirten zu tun, heißt es: jetzt nicht, vielleicht später, am besten gar nicht.
— So geht es nun schon seit Jahren, Herr Kollege Wehner. Vielen von uns ist noch in Erinnerung,
daß der damalige Kollege Dr. Nölling von der SPD hier im Deutschen Bundestag am 8. November 1973 die CDU/CSU-Bundestagsfraktion als „verrückt spielende Opposition" in übelster Weise beschimpfte, weil sie schon damals die Einführung der Witwenrente gefordert hatte. Aus dieser damaligen Äußerung sprach doch der ganze Zynismus der SPD gegenüber den Landwirtswitwen, die sich oft in großer sozialer Bedrängnis befinden.
Dieses -unsoziale Verhalten findet jetzt seinen Fortgang. Ich kann es nur als eine Heuchelei und als Possenspiel bezeichnen, wenn SPD und FDP vor einigen Wochen im Ernährungsausschuß und im Haushaltsausschuß in einer schriftlichen Anfrage
offen zugegeben haben, daß bei der derzeitigen Rechtslage „bei zahlreichen jüngeren Witwen erhebliche soziale Härten, vorhanden seien",
und anschließend in dem gleichen Papier der makaber klingende Satz folgt:
Die Bundesregierung wird ersucht, zu prüfen,
wie die Lücke in der agrarsozialen Sicherung
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4845
Dr. Kunz
durch gesetzliche Regelungen ausgefüllt werden kann.
Jahrelang hat die Bundesregierung Zeit gehabt, die ganz einfachen Sachverhalte zu prüfen. Getan hat sie nichts.
Diese Verschleppungstaktik soll nun also weitergehen. Den Schaden erleiden die Witwen, denen die Hinterbliebenenrente vorenthalten wird.
Eine im wahrsten Sinne des Wortes merkwürdige Rolle in diesem Gesamtgeschehen spielt der Herr Bundesernährungsminister. Schon seit Jahren kündigt auch er die Versorgung jüngerer Landwirtswitwen an. Bisher hat er sich entweder nicht durchsetzen können,
oder seine Beteuerungen sind nur als Sonntagsreden zu verstehen.
Wie unsozial die ablehnende Haltung und die Hinhaltetaktik von SPD und FDP sind, möchte ich an einem Beispiel erläutern. Der Sachverhalt ist typisch: Ein Landwirtsehepaar mit zwei Kindern im Alter von 4 und 6 Jahren bewirtschaftet einen landwirtschaftlichen Betrieb in einer Größe von 15 ha. Der Betrieb erzielt einen Gewinn von rund 15 000 DM. Aus dem Gewinn sind neben den Privatentnahmen Nettoinvestitionen und Sozialbeiträge zu leisten.
In der Regel verbleiben rund 9 000 bis 10 000 DM als konsumfähiges Einkommen. Plötzlich verstirbt der Ehemann. Die Ehefrau hat nicht nur ihren Mann und die Kinder haben nicht nur ihren Vater verloren, sondern der landwirtschaftliche Betrieb auch seine wichtigste Arbeitskraft. In der Regel kann die Witwe den Betrieb nur dann weiterführen und ihn für sich und die Kinder erhalten, wenn sie, zumindest zeitweilig, eine fremde Arbeitskraft beschäftigt. Die Witwe muß also neben den Beiträgen für die Alterskasse und die landwirtschaftliche Krankenversicherung, die beide betriebsgebunden sind und nach dem derzeitigen Stand rund 2 000 DM betragen, diese fremde Teilarbeitskraft mit wenigstens 3 000 DM entlohnen. .
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Ich habe nur fünf Minuten Zeit; deshalb muß ich nein sagen.
Dadurch verbleiben als konsumfähiges Einkommen der Familie nur noch 6 000 DM im Jahr, also weit weniger als das Sozialhilfeniveau.
Der Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion soll der Landwirtswitwe bei der Bewältigung ihrer sozialen und finanziellen Notlage helfen. Wir wollen, daß die Witwe eine Hinterbliebenenrente in Höhe von monatlich 265 DM erhält. Meine Freunde und ich sind der Meinung, daß das auch eine Beseitigung der Ungerechtigkeit gegenüber den anderen Witwen bei Unfalltod des Ehegatten wäre.
Die Frage der anteiligen Finanzierung ist durchaus lösbar. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat in den vergangenen Wochen in den Bundestagsausschüssen nachgewiesen, daß eine Finanzierung der Witwenrente im Rahmen des agrarsozialen Systems ohne eine Erhöhung des Gesamtausgabevolumens des Haushalts des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten möglich ist.
Wie wichtig diese Aussage ist, ergibt sich schon allein aus der Tatsache, daß die Regierungsparteien versuchen, Mittel aus dem agrarsozialen Bereich für Maßnahmen der Strukturverbesserung umzuschichten. Ohne die Notwendigkeit der ausreichenden finanziellen Bedienung der Maßnahmen zur Agrarstrukturverbesserung bestreiten zu wollen, ist die CDU/CSU-Bundestagsfraktion der Meinung, daß jetzt erst einmal die Versorgung der Witwen Priorität haben muß. Wir sind der Meinung: Wer sich anders entscheidet, verhält sich unsozial.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf den Zwischenruf, hier komme ein Landwirt, kann ich Ihnen nur antworten: Nein, aber gearbeitet habe ich als junger Mensch auch in der Landwirtschaft.
Nun will ich Ihnen einmal folgendes sagen — nur deshalb habe ich mich hier gemeldet; ich will nicht Ihre Zeit belasten —: Mir ist mitgeteilt worden — und ich habe es nachprüfen lassen —, daß im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten am 9. November folgendes beschlossen worden ist
I. Witwen landwirtschaftlicher Unternehmer erhalten Altersgeld, wenn das Unternehmen entsprechend den gesetzlichen Vorschriften abgegeben wurde, die Witwe das 70. Lebensjahr (Witwer 65. Lebensjahr) vollendet hat oder die Witwe (der Witwer) erwerbsunfähig ist.
Jüngere erwerbsfähige Witwen erhalten in der Regel kein Altersgeld, weil der Gesetzgeber bisher davon ausgegangen ist, daß beim Tode eines landwirtschaftlichen Unternehmers mit dem Betrieb auch die Existenzgrundlage der Familie erhalten bleibt und es einer jüngeren er-.
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Wehner
werbsfähigen Frau zuzumuten ist, den Betrieb nach dem Tode des Mannes weiterzuführen.
Da diese Regelung in der landwirtschaftlichen Praxis bei zahlreichen jüngeren Witwen, insbesondere mit waisengeldberechtigten Kindern, erhebliche soziale Härten mit sich bringt, wird die Bundesregierung ersucht, zu prüfen, wie diese Lücke in der agrarsozialen Sicherung durch gesetzliche Regelungen ausgefüllt werden kann.
Das ist der erste Teil des Entschließungsantrages; in Teil II geht es um ein an die Bundesregierung gerichtetes Prüfungsersuchen, das nicht mit diesem Thema zusammenhängt. Und dabei steht: im Ernährungsausschuß bei Stimmenthaltung der Opposition angenommen.
Wie können Sie sich hier in der Woche vor Weihnachten hinstellen und so tun, als läge hier eine in der Sache begründete Streitfrage vor?
Wie können Sie damit gegen uns argumentieren, gegen uns, die wir Agrarsozialpolitik überhaupt möglich gemacht haben,
während von Ihrer Seite und von seiten der Standesorganisation so getan wurde,
als bedürfe man dessen nicht?
Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich mache es wie der Vorredner von der CDU/CSU; ich bitte um Entschuldigung.
Ich beklage nur die Unsachlichkeit. Hier liegt ein Prüfungsauftrag vor, den die Mehrheit des Ausschusses beschlossen hat,
und die Opposition hat sich der Stimme enthalten. Also bitte, bleiben Sie auch noch in der Woche vor dem Heiligen Abend bei der Wahrheit!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Peters.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die vorausgegangenen Ausführungen vermitteln trotz gewisser Kontroversen den Eindruck, daß man die sozialpolitischen Probleme jüngerer landwirtschaftlicher Witwen regeln will. Es hat sich zunehmend erge-
ben, daß im Falle des Todes des Landwirts die Witwe normalerweise nicht in der Lage ist, den Betrieb mit Lohnarbeitskräften weiterzuführen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, eine Rente für Witwen im Lebensalter unter 60 Jahren einzuführen.
Wenn die Haushaltslage vor zwei Jahren nicht das Haushaltsstrukturgesetz erzwungen hätte, wäre man sicher schon früher an diese Aufgabe herangegangen.
— Ja, Sie können ruhig etwas zwischenrufen; im Ausschuß ist mir das, als ich dieselbe Formulierung gebraucht habe, sogar zugestanden worden, und ich bin der Meinung, man sollte im Plenum genauso sachlich reden, wie man im Ausschuß redet.
Nach dem Entschließungsantrag der Koalitionsparteien im Ernährungsausschuß und im Haushaltsausschuß wird die Bundesregierung aufgefordert, zu prüfen, wie die Härten in der bisherigen Gesetzgebung durch gesetzliche Regelungen beseitigt werden können. Damit soll für Witwen aus der Landwirtschaft im Vergleich zu Witwen aus dem Bereich der Sozialversicherungen gleiches Recht hergestellt werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Peters, nachdem Sie dies in der Sache nicht bestritten haben und nachdem Sie uns erklärt haben, daß eigentlich nur das Haushaltsstrukturgesetz daran schuld sei, daß Sie der Sache jetzt nicht zustimmen könnten, nachdem die Opposition einen seriösen Deckungsvorschlag gemacht hat und nachdem Herr Wehner und sein Vorredner aus seiner Fraktion gesagt haben, sie wollten das mit der Frage der generellen Regelung für die Witwen auf der Grundlage des Verfassungsgerichtsurteils koppeln,
frage ich Sie: Sind Sie dann bereit, zuzugestehen, daß die Koalition dies auf 1984 verschieben will?
Herr Schmitz, ich will Ihre Frage beantworten; darauf wäre ich sowieso gleich gekommen. Bevor die CDU/CSU-Fraktion ihren Antrag Drucksache 8/1250 auf Gewährung einer Rente für jüngere Witwen vorlegte, hat sie in beiden Ausschüssen die Bereitstellung von 56 Millionen DM für ein diesbezügliches Gesetz ab 1. Ja-
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Peters
nuar 1978 beantragt. Die Koalition hat diesen Antrag abgelehnt,
weil die Fachausschüsse zunächst in eine eingehende Prüfung der nicht einfachen Sachmaterie eintreten müssen. Außerdem ist eine Mittelbereitstellung aus Restmitteln eines Jahres nicht entscheidend,
weil die Gesetzesänderung für jüngere Witwen nicht einmalig, sondern selbstverständlich laufend für längere Zeit Mittel erfordert.
Die Union hat in der Begründung ihres Antrags zu erkennen gegeben, daß auch sie eine finanzielle Beteiligung der Beitragszahler ins Auge faßt. Durch den vorliegenden Entwurf der Union werden einige Probleme deutlich, die mit Sicherheit nicht im Adhoc-Verfahren erledigt werden können. Aus dem Unionsantrag ergibt sich, daß bei Gewährung der Witwenrente der Betrieb nicht abgegeben zu werden braucht. Im Gegensatz dazu steht meine Anfangsdarstellung, daß die Rente in der Regel eingeführt werden muß, weil die Witwe den Betrieb nicht weiterführen kann. Außerdem kann ich mir denken, daß eine Diskrepanz zwischen der Voraussetzung zur Gewährung der landwirtschaftlichen Altersrente — Hofabgabe — und der vorher aufgezeigten Regelung entsteht, die Sie ja als Ausnahmefall genehmigen wollen.
Eine weitere Problematik ergibt sich aus der Definition von Witwen- und Witwerrente in Ihrem Entwurf. Hier versucht man, eine Regelung zur Gleichstellung von Mann und Frau im Rentenbereich vorwegzunehmen, die sich erst in den Vorberatungen befindet.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kunz? — Bitte.
Herr Kollege Peters, hätten Sie die Freundlichkeit, dem Parlament zu sagen, wann nach der Vorstellung Ihrer Partei diese Regelung kommen soll?
Ich glaube, hier im Hause ist es allgemein fester Vorsatz, daß diese Regelung ab 1984 gelten soll. Ich bin der Meinung, daß man mit dieser Gesetzgebung nicht bis 1984 warten, sondern sie hier bald beschließen sollte.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte.
Herr Kollege Peters, nur zur Klarstellung! Wenn Sie sagen „bald", dann unterstelle ich einmal 1979. Warum meinen Sie denn, daß unser Deckungsvorschlag unseriös ist, der sich in der Tat auf das Jahr 1978 bezieht, wofür bisher noch keine Regierungsvorlage vorliegt, während wir auf Grund der vielen Aussagen, auch des Herrn Bundesministers, davon ausgehen konnten, daß Sie
spätestens 1979 bereit wären, eine solche Regelung mitzutragen?
Aber, Herr Dr. Ritz, wenn Sie einen Deckungsvorschlag auf Grund von Haushaltsresten eines Jahres machen, dann bin ich der Meinung, daß das nicht seriös ist,
weil Sie genau wissen, daß über weitere Jahre hinweg Ausgaben in dieser Höhe und vielleicht noch in zunehmendem Maße entstehen werden. Wir sollten ehrlich darüber reden.
Ein weiteres Problem ist die Frage: Soll bei der Gewährung einer Witwenrente Beitragsfreiheit in der Krankenversicherung gelten? Ja oder nein? Auch das muß grundlegend geklärt werden.
Diese Anmerkungen mögen genügen, um nachzuweisen, daß wir in den Ausschüssen eine gründliche Beratung benötigen, um zu einer sozial gerechten Regelung zu gelangen. Ich halte es für selbstverständlich und unumgänglich, daß der vorgesehene Gesetzentwurf der Union und der von der Bundesregierung nach erfolgter Prüfung der Sachmaterie vorzulegende Entwurf gemeinsam in den Ausschüssen beraten werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Schartz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedauere sehr, daß ich in meiner ersten Rede vor diesem Hohen Hause nicht länger Gelegenheit habe, mich sowohl in der Sache wie in der Diktion mit den Worten der Koalition auseinanderzusetzen.
Der Kollege Wehner hat die Frage aufgeworfen, weshalb denn eigentlich die Opposition am 9. November im Ernährungsausschuß dieses Hauses sich der Stimme enthalten habe. Herr Kollege Wehner, eben weil wir keine Effekthascherei machen wollten, deswegen haben wir uns der Stimme enthalten. Wir haben im voraus die Finanzmittel beantragt, um einen Gesetzentwurf zu finanzieren, nach dem die Witwen in der Landwirtschaft ab 1. Januar 1978 eine Rente erhalten sollen. Das, was die Koalition vorgetragen hat, Herr Kollege Wehner, war das Wiederholen einer von uns vor Jahren schon vorgetragenen Auffassung: die Regierung solle prüfen. Es ist nicht damit getan, daß die Regierung prüft.
Hier muß etwas getan werden; Weshalb haben Sie keinen Gesetzentwurf vorgelegt, der — —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte schön.
4848 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Ist Ihnen entgangen, daß ich die direkte Frage gestellt habe, wieso Sie jetzt so tun, als hätte die Koalition etwas unterlassen, während in Wirklichkeit es in der besagten Niederschrift der Ausschußsitzung vom 9. November 1977 am Schluß heißt, daß die Bundesregierung ersucht wird, zu prüfen, wie diese Lücke in der agrarsozialen Sicherung durch gesetzliche Regelungen ausgefüllt werden kann? Sie haben Ihre Zustimmung verweigert und sich der Stimme enthalten. — Ist das so gewesen?
Herr Kollege Wehner, ich darf ja wohl eine Frage, die an mich gerichtet wird, nach meiner Art beantworten. Herr Kollege Wehner, Sie haben die Frage an mich gerichtet, ob nach unserer Meinung die Regierung etwas nicht getan habe, ob sie nicht gehandelt habe. Das ist der Kern Ihrer Frage. Wir sind in der Tat dieser Meinung, Herr Kollege Wehner. Es reicht uns nicht aus, daß die Regierung von ihren eigenen Fraktionen aufgefordert wird zu prüfen. Die Regierung hat zu handeln. Wir haben gehandelt,
und wir haben im voraus angekündigt, daß wir einen Gesetzentwurf einbringen wollen. Das war die Grundlage, und das war bekannt bei den Fraktionen der Koalition. Es war bekannt, daß wir einen Gesetzentwurf einbringen. Trotzdem haben Sie die Zurverfügungstellung dieser Haushaltsmittel abgelehnt und sind dann mit Ihrem Entschließungsantrag gekommen, die Regierung möge doch „gütigst" prüfen. Das ist der Tatbestand, Herr Kollege Wehner.
— Herr Kollege Wehner, wielleicht dürfen Sie einem Mitglied des Ernährungsausschusses, der bei der Verhandlung und auch bei der Abstimmung über diese Frage dabei war, zumuten, daß er in der Lage ist, korrekt wiederzugeben, was in dem Ausschuß geschehen ist. Herr Kollege Wehner, ich sage nur: Sie waren nicht mit dabei, sondern Sie berufen sich hier auf die Informationen von Dritten.
— Also, bitte sehr, in diesem Protokoll steht, daß wir einen Gesetzentwurf angekündigt haben und daß wir die Bereitstellung von Finanzmitteln beantragt haben.
— Herr Kollege Immer, das ist die Tatsache. Das zum einen. Unser Wollen ist zu helfen, und Sie wollen prüfen und vor sich herschieben.
Darf ich noch etwas zu diesem ganzen Verfahren sagen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Hier wurde von der Koalition und von dem zuständigen Ernährungsminister angekündigt, in dieser Wahlperiode müsse es zu einer Regelung für die Witwen kommen. Sie haben die Möglichkeit, zu einer Lösung der Witwenfrage jetzt ja zusagen. Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Regierungsparteien, ist es so, daß man eine Witwenregelung für die Witwen in der Landwirtschaft erst dann bringt, wenn es wählerwirksam ist? Heute haben wir die Gelegenheit, zu einem Gesetzentwurf ja zu sagen. Heute haben wir die Möglichkeit, einen Gesetzentwurf zu finanzieren. Heute haben wir die Möglichkeit, unseren Witwen zu helfen. Und heute sollten wir das auch tun, nicht erst zu einem „günstigen" Zeitpunkt vor der Wahl.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kunz, Sie haben vorhin immer von den Witwen gesprochen. Ich hoffe, Sie haben Ihren Gesetzentwurf gelesen und festgestellt, daß es sich hier nur um die jüngeren Witwen handelt.
Sie bringen jetzt eine oder zwei Wochen vor Weihnachten einen Gesetzentwurf ein. Das Gesetz soll am 1. Januar 1978 in Kraft treten. Ich nehme an, Sie wollen dieses Gesetz in der Silvesternacht beraten. Anders kann ich es mir nicht vorstellen.
Wir sind der Meinung, diese Problematik muß geprüft werden.
Welche Probleme sich hier stellen, ist Ihnen vorhin gesagt worden. Es sind Probleme, die die gesamte Altersversorgung betreffen und die einen Vergleich mit anderen Gruppen notwendig machen.
Außerdem ist natürlich das Verfassungsgerichtsurteil zu erwähnen, daß das Jahr 1984 vorgegeben hat. Dem werden Sie doch wohl auch zustimmen.
Aus diesem Grund haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht. Sie haben sich bei der Abstimmung über diesen Antrag der Stimme enthalten. Ich brauche darauf gar nicht näher einzugehen. Der Herr Kollege Wehner hat vorhin das Nötige dazu ausgeführt. Sie haben sich der Stimme enthalten.
— Sie verstehen ja doch nichts von Sozialpolitik, Herr Kollege. Also lassen Sie doch Ihre Kollegen reden; sie waren nämlich dabei.
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Müller
Sie haben hingegen beantragt, in den Haushalt Mittel für eine Maßnahme einzusetzen, die gesetzlich überhaupt nicht abgesichert ist, weil es keinen Gesetzentwurf gab. Dies mußten wir natürlich ablehnen.
Jetzt kommen Sie mit einem Gesetzentwurf. Der Gesetzentwurf soll schnell und ohne Prüfung verabschiedet werden. Dem können wir nicht zustimmen. Das Problem, um das es hier geht, halten wir für viel zu ernst, als daß wir diesen Gesetzentwurf ohne Prüfung verabschieden könnten.
Meine sehr verehrten Damaen und Herren! Interfraktionelle Vereinbarungen können nur dann eingehalten werden, wenn man sich auch über die Abwicklung einig ist. Wenn in der Aussprache eine Runde vereinbart wird, so bedeutet dies, daß von jeder Fraktion ein Redner spricht.
— Frau Timm, wir führen jetzt keine Geschäftsordnungsdebatte. Dies ist eine Erklärung von mir.
Wenn aber Fraktionen die Redezeit aufteilen, entsteht natürlich eine schiefe Schlachtordnung. Deshalb möchte ich darauf hinweisen: Wenn in der Aussprache eine Runde vereinbart wird, so bedeutet dies: von jeder Fraktion ein Redner. Daran sollten wir uns künftig erinnern.
Herr Abgeordneter Ritz, für eine Minute!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich, Herr Präsident, für die Einräumung dieser einen Minute. Ich glaube, es ist gut, hier einiges klarzustellen, was durch die vielen Zwischentöne unklar werden konnte.
Erstens. Herr Kollege Wehner, Sie bezogen sich auf einen Entschließungsantrag, bei dem sich die CDU/CSU der Stimme enthalten hat. Dies ist richtig. Was aber hätte sie eigentlich anderes tun sollen, wenn auf der einen Seite ein Antrag vorlag, in dem die Regierung aufgefordert wurde, etwas zu prüfen, während die CDU/CSU auf der anderen Seite einen Antrag einbrachte, der darauf abzielte, eine Regelung per Gesetz zu treffen? Uns blieb also überhaupt keine andere Wahl, als so zu handeln.
Zweitens. Im Haushaltsausschuß wurde der Antrag der CDU/CSU auf Einführung dieser Witwenregelung mit dem Hauptargument abgelehnt, es läge kein Gesetzentwurf vor. Wir haben daraufhin sofort diesen Gesetzentwurf nachgeschoben und beraten ihn heute in erster Lesung.
Drittens. Es hat noch nie in diesem Hause eine erste Lesung gegeben, die die dritte Lesung einschloß. Das heißt: Natürlich gehen wir davon aus, daß dieser Gesetzentwurf in den zuständigen Fachausschüssen beraten wird.
Nächster Punkt: Es wird gesagt, dann sei der I Termin des 1. Januar nicht zu halten. Wir haben in diesem Hause schon viele Gesetze mit rückwirkender Inkraftsetzung verabschiedet. Ich will aber gern einräumen: Sollten wir uns in den zuständigen Ausschüssen darauf verständigen, den 1. März als Datum der Inkraftsetzung zu nehmen — in Gottes Namen, tun wir dies!
Was Sie hier vorgetragen haben, sind doch alles vorgeschobene Gründe. Wir bleiben dabei: Die erste Lesung heute eröffnet die Chance, in den ersten Januarwochen mit den Beratungen im federführenden Ausschuß zu beginnen und dafür Sorge zu tragen, daß hier für ein Problem, das, wie ich meine, nach Ansicht aller soziale Härten bedingt, eine Lösung gefunden wird. Wir sollten diese Lösung jetzt alle miteinander angehen.
Das Wort hat der Bundesdesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will hier nur zwei Bemerkungen machen. In dieser Woche ist jetzt wieder das gleiche vorgekommen wie in der vergangenen Woche. Da hatten Sie eine Gesetzesvorlage zur Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Behinderte eingebracht. Es ging in der vergangenen Woche wie in dieser Woche um vordringlich zu lösende sozialpolitische Probleme, bei denen Sie versuchen, ohne den Gesamtzusammenhang zu beachten, in einem der Regierung vorweglaufenden Schnellverfahren so zu tun, als lägen diese Probleme Ihnen allein am Herzen und den Regierungsparteien und der Bundesregierung nicht.
Wer dieses Problem so isoliert und so aus dem Gesamtzusammenhang der eigenständigen sozialen Sicherung der Frau herausgerissen lösen will, der verkennt es. Wenn dann noch bei dem Hinweis des Kollegen vorhin
auf den Prüfungsauftrag bei Ihnen gelacht wird, dann zeigt das, wie unseriös dieses Geschäft bei Ihnen betrieben wird.
Wir nehmen einen Prüfungsauftrag des zuständigen Ausschusses sehr ernst. Wir prüfen nicht nur so obenhin, was das im ersten Jahr kostet, sondern wir prüfen, was es generell kostet. Wir sind nicht
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Bundesminister Dr. Ehrenberg
bereit, dieses Problem ohne Beachtung des Gesamtzusammenhanges der eigenständigen sozialen Sicherung der Frau zu behandeln. Sie können sich darauf verlassen, daß wir das tun werden.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Wir kommen zur Überweisung. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf der Drucksache 8/1250 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend — und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keine gegenteilige Meinungsäußerung. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Änderung der Anlage 6 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
— Drucksache 8/1265 — Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Lenz
Der Berichterstatter hat um das Wort gebeten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zu der Beschlußempfehlung und dem Bericht des Geschäftsordnungsausschusses über eine neue Art der Behandlung der Europavorlagen möchte ich im Namen des Ausschusses einige Worte sagen, damit diese Vorlage die Beachtung findet, von der wir meinen, daß sie sie verdient.
Die Beschlußempfehlung des Geschäftsordnungsausschusses mag zwar kurz und technisch aussehen, aber sie ist von Bedeutung, weil wir damit versuchen wollen, den europäischen Vorlagen in diesem Hause wieder die Beachtung zu verschaffen, die ihnen gebührt.
Wie Sie dem schriftlichen Bericht entnehmen können, hat sich die Zahl der Europavorlagen ständig erhöht, ohne daß den Ausschüssen oder dem Plenum selbst ausreichend Zeit zu ihrer Beratung zur Verfügung gestanden hätte. Um Ihnen einen Begriff zu geben: In der 4. Wahlperiode waren es insgesamt 235 Vorlagen, und in der 7. Wahlperiode waren es 1 189 Vorlagen. Dies ist also eine Verfünffachung.
Nicht zu Unrecht ist die Frage gestellt worden, welchen Sinn und welche Bedeutung es haben könnte, wenn die Ausschüsse, die selbst die EG-Vorlagen nur begrenzt zur Kenntnis genommen haben, hingehen und dem Plenum empfehlen, was sie selbst hätten tun sollen, nämlich die Vorlage zur Kenntnis zu nehmen. Gerade daß die Kenntnisnahme durch das Plenum nicht erfolgte und vielleicht auch nicht erfolgen konnte, hat zur allgemeinen Überzeugung in diesem Hause geführt, daß der gegenwärtige Zustand unbefriedigend ist und beendet werden müßte. Das ist das Ziel der Vorlage, die Ihnen der Geschäftsordnungsausschuß heute vorlegt und die auf eine Anregung des Ältestenrats zurückgeht.
Es geht zunächst darum, aus der Vielzahl der EG-Vorlagen jene rechtzeitig auszusondern, die wegen ihrer politischen Bedeutung einer echten parlamentarischen Beratung unterzogen werden sollten oder die eine politische Entscheidung erfordern. Meine Damen und Herren, im Augenblick geschieht eigentlich gar nichts. Man haspelt sie ab und legt sie .hier vor. In Zukunft sollen sich drei Obleute damit beschäftigen. Sie müssen sie anschauen, damit überhaupt jemand weiß, was darin steht, und sagen: Das brauchen wir, das brauchen wir nicht. Die Vorlagen, die wir behandeln müssen, sollen dann tatsächlich im Ausschuß und auch hier im Plenum vorgelegt und beraten werden. Es handelt sich also um einen Vorschlag, die Spreu vom Weizen zu sondern, damit der Bundestag in seinen Beratungen der Europapolitik wieder denjenigen Platz einräumen kann, der ihr nach der Auffassung aller Fraktionen dieses Hauses gebührt. Dies ist aber eben nur möglich, wenn eine gewisse Aussortierung stattfindet.
Meine Damen und Herren, zur bisherigen Praxis der bloßen Kenntnisnahme, d. h. in Wirklichkeit keiner Kenntnisnahme, lassen Sie mich ein Zitat unseres Kollegen Wehner anführen, der im Mai 1975 unter Beifall des ganzen Hauses folgendes ausgeführt hat:
Indem wir diese Pflicht nicht ausüben, verringern wir als direkt gewählte Abgeordnete eines der Parlamente unserer Europäischen Gemeinschaft die Möglichkeit, dem Europäischen Parlament endlich ein Recht durchsetzen zu helfen, nämlich das Recht zu verbindlichen Äußerungen und Einwirkungen auf Entscheidungen, die unsere Europäische Gemeinschaft angehen.
Ich glaube, dieser Äußerung des Kollegen Wehner kann man nur voll zustimmen.
Die Möglichkeit zu einer verbindlichen Äußerung hängt aber eng damit zusammen, daß dem Hause vernünftige Vorlagen mit einer Beschlußempfehlung vorgelegt werden. Mit anderen Worten, eine Konzentration und Intensivierung der Beratung von EG-Vorlagen mit stärkerer Berücksichtigung der Europapolitik im Deutschen Bundestag ist nur zu erreichen, wenn nur die politisch wichtigen EG-Vorlagen dem Bundestag zur Beratung vorgelegt werden. Die Beschlußempfehlung des Geschäftsordnungsausschusses soll hierzu eine Möglichkeit eröffnen.
Der Geschäftsordnungsausschuß hofft mit dem Ältestenrat, d. h. mit dem Präsidenten, den Vizepräsidenten und den Parlamentarischen Geschäftsführern — um hier einmal die wichtigsten Persönlichkeiten zu nennen —, daß von dieser Möglichkeit im Interesse der Sache auch weitestgehend Gebrauch gemacht wird. Wir haben Ihnen vorge-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4851
Dr. Lenz
schlagen, das im Augenblick noch nicht. in die Geschäftsordnung einzuarbeiten, weil diese sowieso generalüberholt werden soll, sondern es bei einer Anlage zur Geschäftsordnung zu belassen. Es bleibt die Anlage 6. Der neue Wortlaut liegt Ihnen vor.
In dem Zusammenhang hat mich der Geschäftsordnungsausschuß noch gebeten, ausdrücklich auf die Ergänzung des Berichts hinzuweisen, bei der es um die Verfahrensfrage geht, was geschehen soll, wenn seitens des federführenden Ausschusses Berichte von der Bundesregierung angefordert werden, und wie diese Berichte dann behandelt wer- den sollen. Ich darf insbesondere den Herren Ausschußvorsitzenden diesen Teil noch einmal besonders zur Lektüre empfehlen.
Ich darf mich für Ihre Aufmerksamkeit sehr herzlich bedanken. Ich bitte um die Zustimmung zu der Empfehlung des Geschäftsordnungsausschusses.
Das Wort hat der Abgeordnete Collet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mich erinnert der heutige Vormittag zum Teil an so manche Tage des letzten Jahres der 5. Legislaturperiode, eines Jahres, in dem wir uns bemüht hatten, in vielen Fragen bezüglich unserer eigenen Arbeit manches zu reformieren, auch an unserer Geschäftsordnung manches zu verbessern. Ich will hoffen, daß der letzte Sitzungtag dieses Jahres, der mit Grundgesetzänderungen begann, mit der Beratung bezüglich der Arbeit von Ausschüssen und der Vereinfachung von Gesetzen und Verwaltungsarbeit sich fortsetzte und nun die Verbesserung unserer Geschäftsordnung zum Gegenstand hat, ein gutes Omen für das kommende Jahr ist, und zwar in der Beziehung, daß wir uns vornehmen, einiges neu in Angriff zu nehmen, was unsere Arbeit vereinfacht und damit letztlich dem Bürger zugute kommt.
Wir hatten uns in der SPD-Fraktion schon in der 5. Legislaturperiode unter dem Vorsitz des damaligen Kollegen und Vizepräsidenten Mommer über diese Fragen unterhalten und eine Vorlage eingebracht, die trotz vieler anderer Reformen damals nicht mehr zum Tragen kam. In der 7. Legislaturperiode haben wir uns in unserer Fraktion in einer Arbeitsgruppe unter Vorsitz von Dr. Alex Möller ebenfalls über diesen Punkt unterhalten und darüber beraten. Ich freue mich, daß wir heute, ausgelöst durch einen Anstoß des Ältestenrats, soweit sind, daß uns der Geschäftsordnungsausschuß diese Vorlage machen konnte.
Es gab ja zur derzeitigen Behandlung der EG-Vorlagen viel Kritik im Hause. Es wurde bereits auf Herbert Wehner hingewiesen, der sie von diesem Rednerpult aus schon zum Ausdruck brachte.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, worum geht es hier? Ich will das nicht wiederholen, was Kollege Lenz bereits sagte, zumal diese Angelegenheit einvernehmlich läuft. Es geht erstens um die Vereinfachung, zweitens um das Sparen, und
es geht drittens — das ist der wichtigste Punkt — darum, dem Anliegen Europa mehr Rechnung zu tragen.
Inwiefern wird eine Vereinfachung angestrebt? Wir alle werden als Mitglieder dieses Hauses wesentlich weniger Papier auf den Tisch bekommen, das wir uns immer wieder anschauen müssen, obwohl kaum einer die Zusammenhänge studiert.
Zweitens wird nicht nur die Arbeit vereinfacht, sondern es wird nahezu — ich bitte Sie, das zu registrieren — 1 Million gespart allein an Papier-und Arbeitskosten.
Drittens meine ich, daß wir durch die Entscheidung, die wir hier zu treffen haben, auch dazu beitragen werden, daß die Fragen, die für unser gemeinsames Anliegen Europa wichtig sind, in Zukunft mehr Geltung bekommen und hier besser besprochen werden.
Wenn wir dabei ein kleines Stück unserer Geschäftsordnung strangulieren, indem wir durch die Anlage 6 zwei Paragraphen der Geschäftsordnung verändern, statt dies in der Geschäftsordnung selbst zu tun — es handelt sich einmal um § 76, der vorschreibt, daß alle Vorlagen der Bundesregierung gedruckt und vorgelegt werden; zum anderen geht es um § 96 a, der ja Regelungen trifft, die wir jetzt in der Anlage verändern —, so können wir das gern auf uns nehmen; denn ich bin sicher, ohne daß ich dabei zu optimistisch sein muß, daß wir im ersten Halbjahr des kommenden Jahres diesem Hause eine neue Geschäftsordnung zur Beschlußfassung vorlegen werden. Ich kann das mit gutem Mut sagen, nachdem ich die Diskussionen in der eigenen Fraktion kenne. Soweit ich einen Einblick' in die Absichten der anderen Fraktionen gewinnen konnte, glaube ich sagen zu können, daß wir das, was in der Geschäftsordnung in dem gleichen. Zusammenhang zu regeln ist, auch regeln werden.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir die Neufassung der Anlage 6 der Geschäftsordnung einvernehmlich verabschieden könnten.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf für die Fraktion der Freien Demokraten erklären, daß wir mit dem Vorschlag des Geschäftsordnungsausschusses zur Änderung der Anlage 6 — Behandlung von Vorlagen gemäß Art. 2 und 3 des Gesetzes zu den Verträgen zur Gründung der EWG und EURATOM
— sehr einverstanden sind.
Das bisherige Verfahren hat nicht nur von einzelnen Persönlichkeiten hier im Hause Kritik erfahren
— der Herr Kollege Wehner hat ja angesichts der dilatorischen Behandlung der Vorlagen im Plenunm seine Kritik immer sehr nachdrücklich zum Ausdruck gebracht —, sondern auch die Mitglieder der einzelnen Fraktionen und auch die Ausschüsse haben sich mit der Behandlung der EG-Vorlagen befaßt. Bevor der Ältestenrat seine Empfehlungen an
4852 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Ollesch
den Geschäftsordnungsausschuß aussprach, hat es auch schon eine Aussprache im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages im März dieses Jahres gegeben, in der sich mein Kollege Kleinert sehr nachdrücklich für eine Änderung der bisherigen Praxis ausgesprochen hat.
Diese Änderung der Praxis erfolgt nunmehr mit dem Vorschlag des Geschäftsordnungsausschusses. Ich glaube, daß die Beschränkung auf die Beratung der wesentlichen Vorlagen — unter Abwerfen des ganzen Ballastes, den wir bisher in Gestalt von Drucksachen mitgeschleppt haben — der Beratung dienlich ist. Es gibt eindrucksvolle Beispiele dafür, daß der Bundestag unter der Flut der Vorlagen der letzten Zeit erstickt ist. Von den 1 189 Drucksachen der 7. Legislaturperiode wurden nur 130 mit einer entsprechenden Empfehlung des Ausschusses dem Plenum zugeleitet. Wenn wir das Verfahren nicht ändern, vollzieht sich auch in der 8. Legislaturperiode der Anstieg der Vorlagen wie bisher, wobei sich die wichtigen Vorlagen auf wenige Dutzend beschränken. Wir werden Gelegenheit haben, die Vorlagen, die zur Behandlung ausgewählt und zu denen wegen ihrer Wichtigkeit Empfehlungen ausgesprochen werden, dann in den Ausschüssen eingehender als bisher zu behandeln. Das Parlament wird durch die Tatsache der Auswahl den verbleibenden Vorlagen mehr Aufmerksamkeit schenken, als es bisher der Fall war. Die Aufmerksamkeit bestand ja bei dem größten Teil der Vorlagen darin, daß der Präsident den Titel der Vorlagen verlas und das Parlament diesen Vorlagen in Bausch und Bogen zugestimmt und sie damit zur Kenntnis genommen hat.
Dieses Verfahren, das eines Parlaments nicht ganz würdig ist, wird, so hoffen wir, nun mit der Änderung der Geschäftsordnung sein Ende finden. Es wird sicherlich auch geeignet sein, das Ansehen des Parlaments zu heben und darüber hinaus den wichtigen Vorlagen das Gewicht zu geben, das ihnen gebührt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses auf der Drucksache 8/1265 . Wer ihr zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Nun wäre Punkt 7 der Tagesordnung aufzurufen. Die Diskussion darüber würde allerdings durch die Mittagspause auseinandergerissen. Ich schlage daher vor, daß wir elf Minuten früher als vorgesehen in die Mittagspause eintreten. Um 14 Uhr fahren wir mit der Fragestunde fort. — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung ist unterbrochen.
Meine
Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet.
Vorsorglich mache ich darauf aufmerksam, daß sich die Abwicklung der Fragestunde so gestalten kann, daß wir mit der Fortsetzung der Debatte etwas früher beginnen können als vorgesehen. Ich bitte hinsichtlich der Redner besorgt zu sein, daß das dann sofort erfolgen kann.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 8/1317 —
Wir haben zunächst noch einige Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Erneut steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Haehser zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 24 der Frau Abgeordneten Pieser auf:
Welche Auswirkungen hat die neue Steuerschätzung für die mittelfristige Finanzplanung des Bundes für die Jahre bis 1981, insbesondere wie werden sich auf Grund der geänderten gesamtwirtschaftlichen Annahmen die Defizite und die Neuverschuldung des Bundes in den Jahren bis 1981 aus heutiger Sicht erhöhen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Pieser, der Arbeitskreis Steuerschätzung hat in seiner 54. Sitzung am 8. und 9. Dezember 1977 eine Steuerschätzung für die Jahre 1977 und 1978 vorgelegt. Die Ergebnisse sind Ihnen bekannt.
Im Bundeshaushalt 1978 wird sich dadurch — bei Berücksichtigung der voraussichtlichen Veränderung auf Grund der Beratungen des Haushaltsentwurfs im Haushaltsausschuß, die zur Zeit, wie Sie wissen, im Gange sind — die Nettokreditaufnahme von 27,5 Milliarden DM auf knapp 31 Milliarden DM erhöhen. Die Auswirkungen der Steuerschätzungen für die Jahre 1977 und 1978 auf die Jahre nach 1978 sind erst abzusehen, wenn Steuerschätzungen für diese Jahre vorliegen.
Frau Kollegin, eine Zusatzfrage?
Im Augenblick nicht, danke.
Dann
rufe ich die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf:
Rechnet die Bundesregierung mit zusätzlichen Belastungen für die öffentlichen Haushalte im Jahr 1978 auf Grund der sich verschlechternden Wirtschaftslage, und wenn ja, in welchen Bereichen und in welchem Umfang?
Herr Staatssekretär.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wohlrabe, bei der neuen Steuerschätzung vom 8. und 9. Dezember 1977 ist von einem nominalen Bruttosozialprodukt ausgegangen worden, dessen Anstieg — für die Jahre 1977 und 1978 zusammengenommen — um zweieinhalb Prozentpunkte niedriger ist
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4853
Parl. Staatssekretär Haehser
als der Steuerschätzung vom August 1977 zugrunde lag. Nicht zuletzt wegen der beschlossenen Maßnahmen auf steuerlichem Gebiet und auf Grund der 1978 deutlich expansiveren Ausgabenplanungen des Bundes und der Länder geht die Bundesregierung jedoch nicht davon aus, daß sich die Wirtschaftslage 1978 im Vergleich zu 1977 verschlechtert.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Ihre Antwort läßt also den Schluß zu, daß eine weitere Belastung öffentlicher Haushalte nicht eintritt?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wohlrabe, Sie haben gefragt, ob die Bundesregierung auf Grund der sich verschlechternden Wirtschaftslage mit zusätzlichen Belastungen für die öffentlichen Haushalte im Jahre 1978 rechnet. Und ich habe Ihnen gesagt, daß die Bundesregierung nicht mit einer sich verschlechternden Wirtschaftslage rechnet.
Sie können also ausschließen, daß eine Belastung der Haushalte durch eine sich eventuell verschlechternde Lage der Wirtschaft eintritt?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Sie sprechen jetzt von einer sich eventuell verschlechternden Lage der Wirtschaft, Herr Kollege Wohlrabe. Diese Frage — sofort gestellt — würde eine andere Antwort von mir hervorgerufen haben.
Vizepäsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Herr Kollege, Sie haben keine dritte Zusatzfrage. Ich bewundere immer, wie Sie versuchen, zum Ergebnis zu kommen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spöri.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung eine Verbesserung der ökonomischen Grundannahmen der öffentlichen Haushalte auf der Basis der neueren konjunkturellen Daten, die auf eine Verstärkung der konjunkturellen Inlandsnachfrage hinweisen, für möglich, wie das z. B. im jüngsten Bundesbankbericht zum Ausdruck gekommen ist?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ja, wir haben in der Tat ein paar Daten, die günstiger liegen als die, die wir erwartet haben. Wenn diese Daten tragfähig sind und wenn auch die Maßnahmen, die wir z. B. im Steuerentlastungsbereich oder bei der Ausweitung des Haushalts getroffen haben, greifen, dann muß nicht eine Verschlechterung der Wirtschaftslage eintreten, sondern dann kann, Herr Kollege, durchaus eine Verbesserung der Wirtschaftslage eintreten.
Kollege Müller, die letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich die Frage meines Kollegen Wohlrabe übernehmen und Sie fragen, bei welchen Auswirkungen Sie gerade sind?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Sie dürfen. Müller (Berlin) (CDU/CSU) : Welche? Welche?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Sie sehen, wie man fragen muß, wenn man solche Antworten haben will, wie Sie sie erwarten. Es ist so, Herr Kollege Müller, daß sich selbstverständlich, wenn sich die Wirtschaftslage verschlechtert, wovon aber die Bundesregierung nicht ausgeht — ich nehme Bezug auf meine soeben gegebene Antwort —, auch Folgewirkungen für die öffentlichen Haushalte ergeben, und zwar nicht solche, die man mit Beifall bedenken könnte.
Danke schön.
Ich bitte, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Herr Abgeordnete Engelsberger und der Herr Abgeordnete Kühbacher die eingereichten Fragen 127, 128 und 129 zurückgezogen haben. Der Herr Abgeordnete Dreyer hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage 130 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Herr Kollege Dr. Kunz, ich kann nunmehr die Frage 131 aufrufen:
Wie viele deutsche Arbeitskräfte arbeiten bei den amerikanischen Stationierungsstreitkräften in der Bundesrepublik Deutschland, und wie sicher sind deren Arbeitsplätze angesichts der Forderung des Rechnungsprüfungsamts des amerikanischen Senats, der Meldungen zufolge verlangt hat, die deutschen Arbeitskräfte, weil zu teuer, durch amerikanische zu ersetzen?
Ich freue mich, daß Sie noch da sind.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, wenn es möglich ist, würde ich gern die Frage des Herrn Kollegen Dr. Kunz und die Frage 136 des Herrn Kollegen Dr-. Schäuble zusammen beantworten. Sie betreffen die gleiche Angelegenheit.
Wenn
der Herr Kollege Dr. Schäuble damit einverstanden ist, rufe ich beide Fragen auf. Wie ich gesehen habe, hat er genickt. Ich rufe daher auch die Frage 136 des Herrn Abgeordneten Dr. Schäuble auf:
Trifft es zu, daß sich der US-Rechnungshof gegen die weitere Beschäftigung von deutschen Zivilangestellten bei amerikanischen Streitkräften in der Bundesrepublik Deutschland u. a. mit der Begründung zu hoher Personalkosten ausgesprochen hat, und wenn ja, welche Folgerungen zieht die Bundesregierung daraus?
Haehser, Parl. Staatssekretär Meine Herren Abgeordneten, die amerikanischen Stationierungsstreitkräfte beschäftigen im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland rund 65 000 zivile Arbeitskräfte. Zu dem in der deutschen Presse erwähnten Prüfungsbericht des amerikanischen Rechnungshofs, der der Bundesregierung nicht vorliegt, hat die amerikanische Regierung dem Bundesfinanzministerium über
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Parl. Staatssekretär Haehser
ihre Botschaft eine Stellungnahme übersandt. Daraus ist nicht zu entnehmen, daß zur Senkung der Lohnkosten für zivile Arbeitskräfte verstärkt amerikanische Staatsangehörige beschäftigt werden sollen.
Im übrigen läßt das NATO-Truppenstatut die Beschäftigung amerikanischer Staatsangehöriger auf Arbeitsplätzen für zivile Arbeitskräfte bei einer Truppe oder einem zivilem Gefolge der verbündeten Streitkräfte nur im Rahmen der Vorschriften des Art. IX Abs. 4 des NATO-Truppenstatuts zu. Hiernach ist der öffentliche Bedarf an zivilen Arbeitskräften aus dem Arbeitsmarkt des Aufnahmestaats, in diesem Fall also aus dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland, zu decken.
Der amerikanische Rechnungshof schlägt vor, die nach seiner Auffassung zu hohen Lohnkosten für die zivilen Arbeitskräfte durch stärkere Kontrollen zu verringern. Die US-Regierung stellt ausdrücklich fest, daß es sich bei diesem Bericht um eine Empfehlung gegenüber dem zuständigen Kongreßausschuß handelt. Die amerikanische Regierung legt insbesondere Wert auf die Feststellung, daß der Bericht des Rechnungshofs nichts enthält, woraus geschlossen werden könnte, daß die Entlassung der ca. 65 000 zivilen Arbeitnehmer bei den amerikanischen Streitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutsch-, land beabsichtigt ist.
Auf Grund dieser Stellungnahme der amerikanischen Regierung und der soeben dargelegten Rechtslage sieht die Bundesregierung keinen Anlaß, um die Sicherheit der Arbeitsplätze der zivilen Arbeitnehmer bei den US-Stationierungsstreitkräften besorgt zu sein.
Ich beginne bei dem Herrn Kollegen Dr. Kunz. Bitte die erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es über die von Ihnen bereits angeführte Übersendung dieser Stellungnahme des amerikanischen Prüfungsamts hinaus Bemühungen oder Kontakte amerikanischer Dienststellen bei der Bundesregierung in dieser Angelegenheit?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Wir haben selbstverständlich, Herr Kollege Dr. Kunz, mit amerikanischen Behörden immer wieder Kontakte. Diese betreffen aber mehr Angelegenheiten organisatorischer Art, wo also aus Gründen der Organisation irgend etwas verändert werden soll.
Hier muß ich, hoffentlich ohne einen Fehler zu begehen — was dennoch vorkommen könnte —, sagen, daß wir von dem Bericht des amerikanischen Rechnungshofs zunächst so Kenntnis erhalten haben wie die meisten Damen und Herren in diesem Saal: aus der Zeitung. Danach ist uns das mitgeteilt worden, von dem ich soeben sprach. Ich müßte nachprüfen, ob es darüber hinaus noch Kontakte gibt, die von amerikanischer Seite angeknüpft worden wären.
Sie ha-
ben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben den Stationierungsvertrag angesprochen. Können Sie vielleicht noch zusätzlich etwas darüber sagen, inwieweit dieser Stationierungsvertrag gewährleistet, daß die Zahl der jetzt bei den alliierten Streitkräften beschäftigten deutschen Zivilangestellten erhalten bleibt?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kunz, nach meiner Kenntnis sind zur Zeit auf 11 000 Arbeitsplätzen für zivile Arbeitskräfte überwiegend Familienangehörige . amerikanischer Soldaten, aber auch US-Touristen beschäftigt. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, daß sich dieser Anteil nicht erhöht. Das bedeutet, daß bei gleichbleibendem Beschäftigtenbedarf der amerikanischen Streitkräfte ein Erfolg dieser Bemühungen der Bundesregierung zur Folge hätte, daß es bei 65 000 deutschen Bediensteten bliebe.
Herr Kol-
lege Schäuble, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, treffen Pressemeldungen zu, daß bereits in der zurückliegenden Zeit deutsche Zivilangestellte bei den amerikanischen Streitkräften durch Angehörige der amerikanischen Streitkräfte ersetzt wurden?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich müßte Sie, Herr Kollege Dr. Schäuble, auf Fragestunden verweisen, die Monate zurückliegen, in denen zu diesen Themen hier etwas gesagt worden ist. Ich glaube, in einem Fall sogar von mir. Ich konnte seinerzeit die Pressemeldungen nicht bestätigen.
Sie ha-
ben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, werden innerhalb der Bundesregierung Überlegungen angestellt, daß deutsche Zivilangestellte, die bei den amerikanischen Streitkräften möglicherweise doch entlassen werden, bei der Bundeswehr eingestellt werden können?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Diese Überlegungen werden zur Zeit deswegen nicht angestellt, weil, wie ich im Schlußsatz meiner Antwort auf Ihre Fragen, meine Herren Dr. Kunz und Dr. Schäuble, bemerkte, die Bundesregierung auf Grund der Stellungnahme der amerikanischen Regierung und der vorhin dargelegten Rechtslage keinen Anlaß sieht, um die Sicherheit der Arbeitsplätze der zivilen Arbeitnehmer besorgt zu sein. Sollten Entlassungen vorkommen, was nach diesen meinen Äußerungen weitgehend in den Bereich der Theorie gehört — so hoffe ich mit Ihnen gemeinsam —, müßte sich die Bundesregierung gemeinsam mit anderen überlegen, wie diese dort nicht mehr Beschäftigten anderweitig untergebracht werden könnten.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4855
Frau Kollegin, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sollten sich die Meldungen bewahrheiten, nach denen tatsächlich Entlassungen vorgenommen werden, würde die Bundesregierung dann im Sinne des Truppenstatuts bei der amerikanischen Regierung vorstellig werden?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich würde die Bundesregierung das tun; aber ich glaube, es ist aus dem Bericht des amerikanischen Rechnungshofs nicht herauszulesen, daß Entlassungen vorgenommen werden sollen, sondern hier gibt der amerikanische Rechnungshof der Bundesregierung die Anregung .— das tut auch der deutsche Rechnungshof hin und wieder — zu überprüfen, ob Kosten in dieser oder jener Höhe angemessen sind. Wenn die Regierung in den Vereinigten Staaten begründet, daß diese Kosten angebracht sind, dann hätte das in Amerika wahrscheinlich die gleiche Wirkung wie hier: die Einwände des Rechnungshofs wären damit erledigt.
Herr Kollege Mertes, bitte.
Herr Staatssekretär, wie ist die Chance, daß es zu einer arbeitsrechtlichen Gleichstellung zwischen den deutschen Zivilbediensteten bei den USA-Streitkräften einerseits und denen bei der NATO und der Bundeswehr andererseits kommt?
Herr Kollege, ich bitte um Verständnis dafür, daß ich diese Frage nach den Richtlinien für die Fragestunde nicht zulassen kann.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Glos.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß deutsche Arbeitskräfte bei den amerikanischen Stationierungsstreitkräften insgesamt wesentlich höhere Kosten als amerikanische Arbeitskräfte verursachen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Glos, das entspricht nicht unserer Erkenntnis. Wir haben ausgerechnet — ich hoffe, daß ich nicht in die falsche Zeile gerate —, daß das durchschnittliche Bruttoarbeitseinkommen in der deutschen gewerblichen Wirtschaft geringfügig höher ist als das Einkommen, das in Deutschland zivile Beschäftigte bei den amerikanischen Streitkräften erzielen.
Meine
Damen und Herren, Herr Abgeordneter Dr. Zeitel hat die Fragen 132 und 133 eingereicht. Er ist nicht im Saal; die Fragen werden daher schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 134 ist von Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der sowohl vom Sachverständigenrat wie auch vom Bundesfinanzminister herausgestellten Notwendigkeit zur mittelfristigen Konsolidierung" der strukturellen Defizite, d. h. zum Abbau der Neuverschuldung und zur Verringerung der Defizite sowie der Feststellung, daß es „bisher offenbar keine klare Planung dafür gibt, wie das in den öffentlichen Haushalten neu entstehende strukturelle Defizit während der folgenden Jahre voll konsolidiert werden soll" (Textziffer 422 des Gutachtens)?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Wenn Herr Kollege Friedmann einverstanden ist, würde ich auch seine Fragen gern zusammen beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe daher auch die Frage 135 des Herrn Abgeordneten Dr. -Friedmann auf:
Will die Bundesregierung die notwendige Konsolidierung mittelfristig durch Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen herbeiführen?
Bitte.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Friedmann, die Bundesregierung sieht in der mittelfristigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte eine wichtige Aufgabe, was sich auch in ihrer Planung niederschlägt. Der Finanzplan sieht nämlich für die Jahre ab 1979 eine Verstetigung des jährlichen Ausgabenzuwachses auf 6 v. H. vor, die wir heute nachmittag im Haushaltsausschuß miteinander beraten werden. Dieser Anstieg liegt bewußt unter dem angestrebten wirtschaftlichen Wachstum. Darin zeigt sich, daß sich die Politik der Konsolidierung an einer Verringerung des Zuwachses der Aufgaben orientiert. Diese Strategie der mittelfristigen Konsolidierung hat der Bundesminister der Finanzen bereits mehrfach - und nicht etwa nur in der von Ihnen angesprochenen Presseerklärung — deutlich gemacht.
Sie haben jetzt vier Zusatzfragen. Bitte!
Herr Staatssekretär Haehser, nachdem die Neuverschuldung des Bundes auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten allmählich problematisch wird, möchte ich Sie fragen: Worin sieht die Bundesregierung die nachhaltige Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, die Voraussetzung dafür ist, daß die in Art. 115 des Grundgesetzes gezogene Verschuldungsgrenze überschritten werden darf?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Nun, Herr Kollege Dr. Friedmann, wenn wir die allmonatlichen Berichte aus Nürnberg hören, die ja immer — zur Freude des einen und zur Besorgnis des anderen — sehr breit aufgemacht werden, dann wissen wir, daß die Zahl der Arbeitslosen dort so hoch angegeben wird, daß man zweifellos von einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts wird sprechen können. Darüber hinaus ist ja unverkennbar, daß Auf-
4856 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Parl. Staatssekretär Haehser
tragseingänge und Auftragsabwicklung in der deutschen Wirtschaft nicht so sind, wie es wünschenswert wäre, um den Zuwachs des Bruttosozialprodukts zu erzielen, den wir ursprünglich prognostiziert bekommen hatten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär Haehser, wie ist diese Ihre Argumentation mit der ansonsten von Ihrer Seite zu hörenden Behauptung zu vereinbaren, die deutschen Verhältnisse seien wesentlich besser als die Verhältnisse im Ausland?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Dies ist mit der Wahrheit zu vereinbaren.
Herr Abgeordneter Stutzer.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir bitte sagen, wer sich über die Berichte aus Nürnberg freut?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich weiß es nicht. Ich hoffe: nicht Sie.
Herr Abgeordneter Spöri, dann Herr Abgeordneter Franke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung dem Kollegen Friedmann bestätigen, daß es die Opposition war, die in der ersten Jahreshälfte anläßlich der Debatte um die Mehrwertsteuererhöhung der Bundesregierung vorgeworfen hat, das Tempo der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zu überziehen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Das muß ich in der Tat bestätigen, Herr Kollege Spöri. Ich kann mich auch an manche Debatte im Zusammenhang mit dem Haushaltsstrukturgesetz erinnern, wo wir von der Opposition zum Teil hart in die Zange genommen worden sind, weil wir die Konsolidierung eingeleitet haben. Das war ein schmerzhafter Prozeß, den wir jetzt aus den Gründen, die ich dargelegt habe, in der von mir geschilderten Art und Weise unterbrechen mußten, den wir aber nicht aus den Augen verlieren.
Lassen Sie mich aber noch einmal auf Ihre Frage, Herr Kollege Stutzer, zurückkommen. Ich will meiner Antwort hinzufügen: Ich bin sicher, daß S i e sich nicht über die Auskünfte aus Nürnberg freuen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, welche Grundannahmen für die wirtschaftliche Entwicklung wird die Bundesregierung für 1978 zugrunde legen, und wird sie sich dabei genauso verschätzen wie 1977?
Haehser, Parl: Staatssekretär: Nun, Herr Kollege Franke, Sie wissen ja, daß die Bundesregierung nicht in die Luft greift und dann eine Handvoll Grundannahmen hat; sie wird vielmehr vom Sachverständigenrat und von vielen hochangesehenen Instituten beraten, die Sie, wenn Sie Dinge behaupten, die Ihnen zusagen, oftmals mit Beifall bedenken.
Auf Grund der verschiedenen Daten, die der Bundesregierung zur Verfügung gestellt werden, entwickelt sich der Jahreswirtschaftsbericht. Und da in dieser Bundesregierung Menschen sitzen, die — im Gegensatz zu manchen anderen — einsehen, daß man sich irren kann, kann sich auch ein Jahreswirtschaftsbericht irren.
Herr Kollege Dr. Friedmann, wollten Sie zu Ihren ursprünglichen Fragen noch Zusatzfragen stellen? — Gut, zunächst aber Herr Kollege Dr. Schäuble.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, zu bestätigen, daß die Opposition dem Haushaltsstrukturgesetz zugestimmt hat?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe nicht das Gegenteil behauptet. Ich hatte gesagt, daß die Bundesregierung wegen des Haushaltsstrukturgesetzes arg in die Zange genommen worden ist. Ich mußte das Gesetz damals im Haushaltsausschuß vertreten und ich bin es u. a. gewesen, der in die Zange genommen wurde.
Ich gebe nun zunächst einmal dem Kollegen, der die Fragen eingebracht hatte, die Möglichkeit, zwei weitere Zusatzfragen zu stellen. Anschließend können wir wohl fortfahren.
Danke, Herr Präsident! — Herr Staatssekretär Haehser, darf ich aus Ihrer vorigen Antwort, die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte werde sich durch eine Reduzierung der Ausgabenzuwachsrate vollziehen, schließen, daß die Regierung nicht beabsichtigt, Steuererhöhungen vorzuschlagen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich würde Sie bitten, Herr Kollege Dr. Friedmann, aus meiner Antwort genau herauszuhören, daß wir den Ausgabenzuwachs auf 6 % begrenzen wollen. Sie wissen, daß wir in diesem Jahr einen Zuwachs von mehr als 10 °/o haben. Wenn wir das in der mittelfristigen Finanzplanung auf 6 °/o festschreiben, ist der Weg, den wir uns für die Konsolidierung vorstellen, gezeigt.
Bitte, eine weitere Zusatzfrage; dann gehen wir zum nächsten Punkt über.
Herr Staatssekretär Haehser, darf ich aus Ihrer zögernden Antwort auf meine letzte Frage schließen, daß Sie Steuererhöhungen in nächster Zeit eben doch nicht ausschließen wollen?
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4857
Haehser, Parl. Staatssekretär: Sie dürfen aus meiner zögernden Antwort schließen, daß ich einem von mir ernst genommenen Kollegen immer eine ernst zu nehmende Antwort zu erteilen beabsichtige.
Frage
136 des Herrn Abgeordneten Dr. Schäuble ist bereits erledigt. Ich rufe somit Frage 137 des Abgeordneten Dr. Schäuble auf:
In welcher Höhe rechnet die Bundesregierung mit einem Nachtragshaushalt des Bundes für das Jahr 1977, und wie sollen eventuelle Mehrausgaben gedeckt werden?
Herr Staatssekretär.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Schäuble, Sie haben uns wissen lassen, daß ein Druckfehler entstanden ist: Sie hatten die Frage, ob wir einen Nachtragshaushalt vorzulegen gedächten, nicht auf das Jahr 1977, sondern auf das Jahr 1978 bezogen.
Ich muß Ihnen offen bekennen, daß Sie mich ein bißchen überfordern, wenn ich bereits am 15. Dezember, mitten in der Beratung des Entwurfs 1978, sagen soll, ob wir uns vorstellen können, daß zu diesem in der Beratung befindlichen Entwurf ein Nachtragshaushalt kommt. Ich bin da ein bißchen überfragt, aber nur ein bißchen.
Sie und ich, wir alle kennen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es wird notwendig sein, das Instrument der über- und außerplanmäßigen Ausgaben und der anschließenden Unterrichtung des Parlaments durch die Bundesregierung restriktiver anzuwenden, als das nach alter Staatspraxis üblich war.
Wenn dies geschieht — und die, Bundesregierung hält sich selbstverständlich an Urteile —, ist die , Vorlage eines Nachtragshaushalts eigentlich ziemlich wahrscheinlich. Was darin stehen wird, kann ich Ihnen allerdings nicht sagen; das kann Ihnen auch am Heiligen Abend das Christkind nicht sagen.
Herr Kol-
lege Schäuble, Sie können zwei Zusatzfragen stellen.
Herr Staatssekretär, interpretiere ich Ihre Antwort richtig dahin, daß Sie heute keine konkreten Bereiche nennen können, die die Aufstellung eines Nachtragshaushalts für 1978 notwendig machen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Die kann Ihnen niemand nennen. Gleichwohl verrate ich kein Geheimnis, daß gestern auch der Herr Bundesminister der Finanzen den in der Sitzung des Finanzplanungsrats versammelten Herren die Wahrscheinlichkeit eines Nachtragshaushalts vor Augen geführt hat.
Eine wei-
tere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, den Widerspruch zu erklären, der darin besteht, daß auf der einen Seite der Bundesfinanzminister die Notwendigkeit eines Nachtragshaushalts für wahrscheinlich erklärt, und Sie auf der anderen Seite hier sagen, nicht einmal das Christkind und noch viel weniger Sie seien in der Lage, zu sagen, was da etwa drinstehen könnte?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Richtiger müßte es heißen: Sie nicht und noch viel weniger das Christkind.
Aber das ist eine Bemerkung, die, wie ich zugeben muß, wenig mit der Sache zu tun hat.
Ich sehe darin keinen Widerspruch; denn ich hatte Ihnen vorhin erläutert, warum die Notwendigkeit, einen Nachtragshaushalt vorzulegen, in der Zukunft häufiger gegeben sein wird als in der Vergangenheit. Deswegen sehe ich überhaupt keinen Widerspruch. Herr Bundesminister Dr. Apel hat einen Nachtragshaushalt für wahrscheinlich erklärt. Ich erkläre einen Nachtragshaushalt ebenso für wahrscheinlich, und zwar nicht nur, weil ich meinem Minister nur ungern widerspreche, sondern weil sich das auch aus den Verhältnissen ergibt, mit denen wir es jetzt zu tun haben.
Ich rufe
die Frage 138 des Abgeordneten Dr. Sprung auf:
Inwieweit erhöhen sich auf Grund der neuen Annahmen die Ausgaben des Bundes für Zinsen und Tilgungen der bestehen. den und neu aufzunehmenden Schulden in den Jahren bis 1981i
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr, Sprung, auf Grund der neuen Steuerschätzung ergeben sich für 1978, wie mehrfach erwähnt, Mindereinnahmen von 2,2 Milliarden DM für den Bund gegenüber dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses zum Steuerentlastungsgesetz. Da zu erwarten ist, daß der daraus folgende Mehrbedarf an Krediten längerfristig finanziert werden kann, werden im Finanzplanungszeitraum Tilgungen für den Mehrbedarf nicht anfallen. Dagegen entstehen bei Mindereinnahmen von 2,2 Milliarden DM zweifellos höhere Zinsausgaben als sie für 1979 und für die folgenden Jahre vorgesehen sind.
Zusatz-
frage.
Herr Staatssekretär, glaubt die Bundesregierung, daß die Finanzierung der Defizite auch in den Jahren nach 1978, wenn die Konjunktur hoffentlich wieder besser läuft, ohne Schwierigkeiten für den Kapitalmarkt und ohne negative Rückwirkungen auf die Zinsentwicklung möglich sein wird?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr, Sprung, zunächst darf ich Sie darauf hinweisen,
4858 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Parl. Staatssekretär Haehser
daß bei der Festlegung des Finanzierungsdefizits für 1978 in der Kabinettssitzung die Deutsche Bundesbank vertreten war. Sie hält die vom Kabinett ursprünglich vorgesehene Nettoneuverschuldung für finanzierbar. Das gilt zweifellos auch für die Erhöhung der Nettokreditaufnahme infolge der gegenüber der Steuerschätzung geringeren Steuereinnahmen.
Nun müssen Sie natürlich den Zusammenhang mit den vorausgegangenen Fragen und Antworten sehen. Ich würde es auf die Dauer nicht für gut halten, sondern für schwierig ansehen, wenn wir langfristig Ausgabenzuwachsraten hätten, wie wir sie für das Jahr 1978 für richtig halten. Das heißt also, die Finanzierung künftiger Nettokreditaufnahmen wird leichter, wenn das eintritt, was ich als unsere Zielvorstellung mitgeteilt habe: ein deutlich geringerer Haushaltszuwachs.
Noch
eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, was sagt die Bundesregierung zu der Feststellung des Sachverständigenrats in Textziffer 422 — Sie werden diese Feststellung sicherlich gelesen haben —, daß der Bund offensichtlich keine klare Planung dafür hat, wie das in den öffentlichen Haushalten neu entstehende strukturelle Defizit während der folgenden Jahre, also nach 1978, konsolidiert werden soll?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Der Sachverständigenrat hat so viel Gutes über die Finanzpolitik der Bundesregierung gesagt, daß die Bundesregierung in Kauf nehmen muß — und es demzufolge auch tut —, daß etwas gesagt wird, was offenbar auf ein Mißverständnis beim Sachverständigenrat zurückzuführen ist.
Herr Abgeordneter Glos, wollten Sie noch eine Zusatzfrage stellen? — Bitte.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir — im Zusammenhang mit einer Zusatzfrage des Abgeordneten Spöri — bestätigen, daß immer erst dann eine Konsolidierung erfolgen muß, wenn vorher etwas in Unordnung gebracht worden ist, und daß es nicht die Opposition war, die die öffentlichen Finanzen in den letzten Jahren durcheinandergebracht hat?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Sie müssen sich, bitte, daran erinnern lassen, daß es eine große, notwendig gewordene Konsolidierung gegeben hat
vor der Bildung der Großen Koalition mit Herrn
Kurt Georg Kiesinger. Ich empfehle Ihnen sehr, das
entsprechende Bundestagsprotokoll mit der Regierungserklärung von Herrn Kiesinger zu lesen.
Dort wird der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und ihrer Fraktion, die in die Regierung eingetreten ist, ganz amtlich bescheinigt, daß nur durch die Koalition das, was an Unordnung entstanden war, wieder geheilt werden kann.
Womit wir es jetzt zu tun haben, Herr Kollege, ist, mit einer schweren, die ganze Weltwirtschaft betreffenden Rezession — das wird ja auch von keinem Fachmann bestritten — fertig zu werden. Wir tun das dadurch, daß wir vorübergehend hohe Finanzierungsdefizite in Kauf nehmen, wobei wir das Ziel der Konsolidierung nicht aus dem Auge verlieren, sondern auch bereits jetzt deutlich zeigen — mit der mittelfristigen Finanzplanung —, wie wir uns die Fortsetzung der Konsolidierung vorstellen.
Meine
Damen und Herren, ich will nur mal für die weiteren Zusatzfragen darauf hinweisen, daß wir Dreiecksfragen in diesem Hause nicht zulassen. Dies bitte ich, Herr Kollege Glos, in Zukunft zu beachten. — Herr Kollege Spöri.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung bestätigen, daß die mittelfristige Nettokreditaufnahme aller Gebietskörperschaften in der Bundesrepublik weit höher liegen müßte, wenn wir in diesem Parlament sämtliche Steuerentlastungsvorschläge der Unionsparteien von diesem Jahr verabschiedet hätten?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich kann es nicht nur bestätigen, sondern ich kann die Opposition nur herzlich darum bitten, Worte des früheren Vorsitzenden ihres Arbeitskreises für Finanzen und Steuern — ich glaube, das ist die korrekte Bezeichnung —, des von mir hochverehrten Herrn Höcherl, zu beherzigen, die er in einem Brief an den Parteivorsitzenden Kohl und an den anderen Parteivorsitzenden Strauß niedergelegt hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schäuble.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie einen Vergleich zu den Jahren 1965/ 1966 hergestellt haben, möchte ich Sie fragen, wie hoch die Nettokreditaufnahme in diesen Jahren im Vergleich zu der Nettokreditaufnahme in den Jahren 1977 und 1978 gewesen ist.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Sie sehen, meine Damen und meine Herren und lieber Herr Kollege, daß ich vorhin zu Recht den Unterschied — wenigstens in meiner Stimmlage — zwischen Fachleuten und anderen Kollegen gemacht hatte.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4859
Herr Abgeordneter Franke, eine weitere Zusatzfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, irren Sie sich nicht, wenn Sie sagen, daß alle Fachleute festgestellt hätten, die Schwierigkeiten in der Bundesrepublik seien auf außenwirtschaftliche Einflüsse zurückzuführen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich irre mich deswegen nicht, weil mir keine Fachleute bekannt sind, die das Entscheidende nicht — —
— Vielleicht beschränken Sie sich auf den Bereich innerdeutsche Beziehungen, wenn ich mir das mal erlauben darf.
Meine
Damen und Herren, ich stelle zunächst einmal fest: Jeder Abgeordnete hat hier das Recht zu fragen.
— Herr Abgeordneter, hören Sie doch bitte einmal zu!
Die Regierung gibt Antworten. Ob der Abgordnete damit zufrieden ist, ist eine andere Frage. Ich bitte allerdings die Regierungsvertreter, diesen Bereich der Antwort nicht durch Antworten oder Bemerkungen zu überschreiten.
Herr Abgeordneter Franke, möchten Sie noch eine Zusatzfrage stellen?
Bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, woher rühren denn die Exportüberschüsse aus den vergangenen Jahren, in denen binnenwirtschaftlich eine Stagnation festzustellen gewesen ist?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich verstehe Ihre Frage nicht ganz.
,Woher Exportüberschüsse rühren, weiß jeder. Sie kommen daher, Herr Kollege, daß an die deutsche Exportindustrie Aufträge erteilt worden sind.
Ich rufe die Frage 139 des Herrn Abgeordneten Dr. Sprung auf:
Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung infolge der laufenden Abwertung des Dollars für die deutsche Außenwirtschaft und für den inländischen Arbeitsmarkt?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sprung, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf dem Weltmarkt ist, wie Sie sehr wohl wissen, von mehreren Faktoren bestimmt, so daß sich Auswirkungen von Änderungen der Wechselkursrelationen allenfalls in der Tendenz angeben lassen. Zudem muß berücksichtigt werden, daß Änderungen der Wechselkursrelationen in der Regel über einen längeren Zeitraum der Veränderung der Kosten- und Preisrelationen folgen und insoweit Wettbewerbsverschiebungen nicht eintreten.
Was nun die aktuelle Kursentwicklung des. US-Dollars, nach der Sie gefragt haben, betrifft, so würde ich raten, nicht von einer laufenden Abwertung des Dollars zu sprechen. So hohe Ausschläge, wie wir sie in diesen Tagen erleben, sind immer Ausdruck von Sonderbewegungen, die oft durch spontane Reaktionen des Marktes verstärkt werden, sich aber ebensoschnell wieder umkehren können. Ich will nicht sagen, daß sie sich heute umgekehrt haben, aber ein bißchen besser als gestern steht der Dollar heute da. Es ist auch sehr viel Psychologie im Spiel, so daß oft auch bedachte oder unbedachte Äußerungen das Marktgeschehen negativ beeinflussen können. Wir hatten gestern wieder einen Rückschlag, nachdem sich bis zum 12. Dezember der Abfall des D-Mark/Dollar-Kurses bereits wieder zurückgebildet hatte. Heute haben wir die erwähnte Erscheinung zu verzeichnen, die mir soeben bestätigt worden ist.
Eine nachhaltige Abwertung des US-Dollars ist weder von der Kosten- und Preisrelation her noch angesichts der Wirtschaftskraft der 'Vereinigten Staaten von Amerika begründet. Wir sollten davon ausgehen, daß die Kursbewegung sich den wirtschaftlichen Gegebenheiten wieder anpaßt und dauerhafte Rückwirkungen von temporären Ausschlägen auf die deutsche Außenwirtschaft und den inländischen Arbeitsmarkt nicht zu befürchten sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sprung.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Beurteilung der Bundesbank in ihrem letzten Monatsbericht, der gestern herausgekommen ist, daß die jüngste Abwertung des Dollars eine Anpassung der Binnenwirtschaft an die neuen Daten unumgänglich macht, und zwar — so sagt die Bundesbank — auf breiter Front?
4860 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1.977
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sprung, ich möchte dazu — ohne daß ich durch diese Mitteilung Spekulationen auslösen will — sagen, daß der Bundesminister der Finanzen und der Bundesminister für Wirtschaft heute an einer Sitzung in Frankfurt teilnehmen. Dort wird sicher dieses Thema — die Auffassung der Bundesbank und auch die Auffassung der Bundesregierung — zur Sprache kommen. Ich kann Sie nur darauf vertrösten, das Ergebnis dieser Sitzung abzuwarten.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung auch die Auffassung der Bundesbank, daß entsprechend der Entwicklung des Dollarkurses ein Gegengewicht auf der Kostenseite der Produktion durch gemeinsame gleichgerichtete Anstrengungen aller an der Wirtschaftspolitik Beteiligten geschaffen werden müßte?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich besitze nicht den Wagemut, diese Auffassung der Bundesbank als falsch zurückzuweisen.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Will-Feld.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung für den Fall, daß die Entwertung des Dollars weitergehen sollte, bereits Vorstellungen, welche Branchen und Sektoren davon vordringlich betroffen wären?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe etwas zu der Bewertung der Vorgänge gesagt. Ich habe in meiner Antwort am Schluß ausgeführt, daß wir dauerhafte Rückwirkungen auf die deutsche Außenwirtschaft und den inländischen Arbeitsmarkt von den temporären Ausschlägen nicht erwarten.
Ich weiß nicht, ob es gut wären, wenn ich hier das Wechselkursgeschehen vor aller Öffentlichkeit in der Weise ausbreitete, daß ich auf die Frage nach möglichen Entwicklungen in der Relation zwischen zwei Währungen eine Antwort gebe.
Eine —
letzte — Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ey.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß die deutsche exportabhängige Industrie bei längerem Fortbestehen dieses Dollarkurses in außerordentliche Schwierigkeiten kommen könnte?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Im Verhältnis zum Dollar-Markt könnten solche Schwierigkeiten eintreten. Ich habe aber doch die Hoffnung geäußert — und es ist eigentlich etwas mehr als eine Hoffnung —, daß das kein Dauerzustand sein wird, nicht zuletzt deswegen, weil auch der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika an der Stabilität und dem Ansehen ihrer Währung gelegen sein muß.
Ich gehe davon aus, daß wir wegen des inhaltlichen Zusammenhangs die Antworten zu den folgenden beiden Fragen verbinden können. Ich rufe daher die Fragen 140 und 141 der Frau Abgeordneten Will-Feld zusammen auf:
Wann wird die Bundesregierung den Entwurf des angekündigten Zweiten Steueränderungsgesetzes 1977 mit den vom Bundesverfassungsgericht geforderten Steuererleichterungen für die geschiedenen und getrennt lebenden Unterhaltsverpflichteten sowie für unterhaltspflichtige Elternteile von nichtehelichen Kindern vorlegen?
Ist die Bundesregierung in diesem Zusammenhang bereit, die im Gesetzentwurf des Landes Bayern vorgeschlagenen Lösungen zur Neuregelung des Familienlastenausgleichs ganz oder teilweise zu übernehmen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Prüfung, welche Folgerungen aus dem von Ihnen angesprochenen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juni 1977 zu ziehen sind, konnte wegen der Schwierigkeit der Materie bisher noch nicht abgeschlossen werden. Die Schwierigkeiten bestehen insbesondere hinsichtlich der Verteilung der kindbedingten Entlastungen im Vorsorgebereich. Die Bundesregierung ist bestrebt, den Entwurf eines Zweiten Steueränderungsgesetzes 1977, der die gebotenen Folgerungen vorschlägt, so bald wie möglich einzubringen.
Die Vorschläge des Landes Bayern zur Neugestaltung des Kinderlastenausgleichs stimmen mit dem vorliegenden Referentenentwurf eines Zweiten Steueränderungsgesetzes 1977 weitgehend überein. Hinsichtlich der kindbedingten Entlastung für Vorsorgeaufwendungen begegnet der Vorschlag Bayerns unüberwindbaren praktischen Schwierigkeiten, weil wir von den Gemeinden wissen, daß sie zur Zeit und in den nächsten Jahren nicht in der Lage sind, die entsprechenden Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte vorzunehmen.
Die vorgeschlagene Einführung eines allgemeinen Kinderfreibetrags kann von der Bundesregierung nicht übernommen werden. Sie würde der Zielsetzung zuwiderlaufen, die mit der Ersetzung der früheren einkommensteuerrechtlichen Kinderfreibeträge durch das allgemeine Kindergeld von allen Seiten dieses Hohen Hauses verfolgt worden ist. Ich wiederhole — was jedermann weiß —, daß der Kinderfreibetrag dem, der besonders viel verdiente, besonders viele Vorteile gebracht hat.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnten Sie die Auffassung vertreten — ich drücke mich sehr vorsichtig aus —, daß kinderbedingte steuerliche Vergünstigungen und Freibeträge besser nicht an andere steuerliche Voraussetzungen geknüpft sein sollten — ich nenne als Beispiel die Berücksichtigung der Altersvorsorgeaufwendungen bei den Sonderausgaben —, sondern an den Sachverhalt Kind?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihre Frage sehr wohl verstehen, aber bitte verstehen Sie auch meine Antwort. Die Vorbereitungen für den durch
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1973 4861
Parl. Staatssekretär Haehser
den Verfassungsgerichtsbeschluß notwendig gewordenen Gesetzentwurf sind mitten im Gange und werden demnächst den Ausschuß beschäftigen, dem Sie angehören. Es ist verfrüht, jetzt bereits über Einzelheiten des beabsichtigten Gesetzgebungsverfahrens zu sprechen. Es wird aber keine lange Zeit vergehen, bis der Gesetzentwurf dem Hohen Haus vorliegen wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir bestätigen, daß die Schwierigkeiten, dieses gesetzlich zu formulieren, gerade aus dieser Frage, die ich zuvor an Sie gestellt habe, • und der darauf von Ihnen gegebenen Antwort herrühren?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen bestätigen, daß es in der Tat schwierig ist, den Gesetzentwurf zu formulieren.
Damit
sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brücher zur Verfügung.
Die erste Frage, Frage 114, ist von dem Abgeordneten Sauer eingebracht:
Hat der Bundeskanzler im Sinne der Zusagen des Auswärtigen Amtes vor dem Deutschen Bundestag am 8. September 1977, daß die Bundesrepublik Deutschland mit allen völkerrechtlich zulässigen, gewaltlosen, aber wirksamen Mitteln die Unterlassung von schwerwiegenden, gegenüber Deutschen begangenen Menschenrechtsverletzungen zukünftig im Sinne der Rechtsverpflichtungen der Menschenrechtspakte einfordern wird, dies in Warschau bezüglich der eindeutigen Regel des Artikels 12 Abs. 2 des Weltpakts für bürgerliche und politische Rechte — „Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land, auch sein eigenes zu verlassen" — auch zugunsten der Deutschen in den Gebieten östlich von Oder und Neiße ohne Hinnahme zahlenmäßiger oder sonstiger restriktiver Beschränkungen getan?
Herr Kollege Sauer, Ihre Frage beantworte ich wie folgt.
Die Frage, ob es möglich ist, unter Berufung auf den VN-Pakt über staatsbürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 ein generelles unbeschränktes Recht auf Ausreise zu sichern, ist bereits im Rahmen der Ratifizierungsdebatte über die deutsch-polnischen Vereinbarungen vom 9. Oktober 1975 ausführlich erörtert worden. Die Bundesregierung hat dabei dargelegt, daß diese Möglichkeit nicht besteht, sondern daß die geschlossenen Vereinbarungen das Optimum des Erreichbaren darstellen, um einer möglichst hohen Zahl von Deutschen die Ausreise aus Polen zu ermöglichen. An der damals gegebenen Sachlage hat sich seither nichts geändert.
Zusatzfrage.
Frau Kollegin, war denn der UN-Pakt bei der Ratifizierung der Vereinbarungen im Jahre 1975 überhaupt in Kraft?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Der UN-Pakt ist natürlich aus dem Jahre 1966, wie ich Ihnen eben genannt habe.
Und wann trat er in Kraft?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Das vermag ich Ihnen im Augenblick nicht zu beantworten.
. Die
nächste Frage kommt von dem Herrn Kollegen Jäger. Sie haben zwei Zusatzfragen gehabt.
Frau Staatsminister, können Sie mir bestätigen, daß der Zeitpunkt, von dem Sie eben in Ihrer Antwort an den Kollegen Sauer gesprochen haben, sowohl vor dem Inkrafttreten des Pakts, das im Jahre 1976 eintrat, als auch vor dem Beitritt der Volksrepublik Polen, der erst in diesem Jahr erfolgt ist, lag, so daß heute doch in der Tat eine andere Rechtslage als damals gegeben ist?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, ich will gerne auf die vorige Frage im Zusammenhang mit Ihrer Frage noch einmal zurückkommen. Ich glaube, wir brauchen uns jetzt nicht darüber zu streiten, wann dieser Pakt exakt in Kraft getreten ist.
Wenn man seinen Art. 12 liest — und ich möchte den Art. 12 jetzt hier verlesen —, dann werden Sie mit mir übereinstimmen, daß nach diesem Artikel keine Verpflichtung besteht, Ausreisen unbeschränkt zu genehmigen. In Abs. 3 des Art. 12 heißt es, Herr Präsident:
Die oben erwähnten Rechte — nämlich der Ausreise —
dürfen nur eingeschränkt werden, wenn dies gesetzlich vorgesehen und zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung ..., der Volksgesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit oder der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist und die Einschränkungen mit den übrigen in diesem Pakt anerkannten Rechten vereinbar sind.
Diese sehr weit gefaßte Formulierung, Herr Kollege Jäger, macht jederzeit eine Berufung auf diesen Art. 12 Abs. 3 möglich.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Czaja.
4862 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Frau Staatsminister, da die Ausreise Deutscher weder die Sittlichkeit noch die Rechte anderer noch die öffentliche Ordnung berühren kann, frage ich Sie mit Bezug auf die tatsächliche Frage und Ihre Antwort vom 8. September 1977, nach der ja gefragt wurde, ob die Bundesregierung im Sinne dieser Ihrer Erklärungen, Frau Staatsminister, mit allen völkerrechtlich zulässigen Mitteln die Unterlassung der Ausreisesperre für jeden deutschen Staatsangehörigen einfordern wird, für den die Bundesregierung um Unterstützung gebeten wurde.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, ich kann nur wiederum ausführen, daß die Bundesrepublik ein Ausreiseprotokoll mit der Volksrepublik Polen abgeschlossen hat, nach dem bis zum Jahre 1980 250 000 bis 255 000 Ausreisewillige ausreisen können, und daß im übrigen eine Offenhaltensklausel in die Vereinbarungen mit einbezogen wurde.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes.
Frau Staatsminister, sind Sie der Auffassung, daß die selektive, restriktive und willkürliche Erfüllung des Menschenrechtspaktes durch die Volksrepublik Polen in dieser Frage durch die von Ihnen eben enumerierten Vorbehalte gedeckt wird?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Mertes, die Bundesregierung geht davon aus, daß die Enumeration so weit gefaßt ist, daß man sich in der Tat darauf berufen kann.
Herr Ab-
geordneter Friedrich.
Frau Staatsminister, können Sie bestätigen und daran erinnern, daß die Bundesregierung im Auswärtigen Ausschuß die völkerrechtliche Problematik der Freizügigkeit sehr umfassend dargelegt hat, wie neu sie im Völkerrecht ist, und daß das von der Bundesregierung Erreichte eine Ausnahme im Positiven darstellt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Friedrich, ich kann dies nachdrücklich bestätigen.
Eine letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Hupka.
Frau Staatsminister, würden Sie vielleicht zur Kenntnis nehmen, daß nach den deutsch-polnischen Vereinbarungen nicht 250 000, sondern leider nur 125 000 Personen ausreisen können, daß wir aber von einer höheren Zahl ausgehen müssen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Ich habe mich versprochen.
Ich rufe
die Frage 145 des Herrn Abgeordneten Sauer auf:
Hat sich der Bundeskanzler anläßlich seines letzten Auslandsbesuchs bemüht, beim polnischen Volk den Eindruck zu hinterlassen, daß die Wahrung und Verwirklichung der Menschen- und Gruppenrechte auch des polnischen Volks sowie der schrittweise Abbau ihrer Beschränkungen die volle Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland im Sinne der Rechtsverpflichtungen des Weltpakts für bürgerliche und politische Rechte mit allen völkerrechtlich zulässigen, dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprechenden Mitteln genießt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Sauer, Ihre zweite Frage beantworte ich wie folgt. Gerade im deutsch-polnischen Verhältnis ist die Voraussetzung jeder Politik, die auf die Verwirklichung der Menschenrechte gerichtet ist, die Bereitschaft zur Verständigung.
Bei seinem Besuch in der Volksrepublik Polen hat der Bundeskanzler das Anliegen des ganzen Volkes vertreten, sich mit allen Gruppen des polnischen Volkes zu verständigen. Dies ist nicht nur durch die Äußerungen des Bundeskanzlers, sondern auch durch die Zusammensetzung der deutschen Delegation unterstrichen worden, der Vertreter der Wirtschaft, der Gewerkschaften, des kulturellen Lebens und der Jugend angehörten. In seiner Ansprache in Birkenau, die einen spontanen Widerhall in allen Kreisen der polnischen Bevölkerung gefunden hat, hat der Bundeskanzler insbesondere die Verantwortung der Lebenden dafür betont, daß sich die Vergangenheit nicht wiederholt.
Ihre Frage zu beantworten, welchen Eindruck der Bundeskanzler damit hinterlassen hat, steht an sich nur Polen zu. Meinem Eindruck nach würde ich die Frage bejahen.
Zusatz-
frage.
Frau Staatsminister, ich komme zurück auf die Frage, die ich gestellt habe. Hat sich der Herr Bundeskanzler während seines Polenbesuchs zu den Aktivitäten der polnischen Bürgerrechtler bzw. den Behinderungen gegenüber den polnischen Bürgerrechtlern, — z. B. Jacek Kuron und Adam Michnik — geäußert?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Über alle diese Fragen, Herr Kollege Sauer, sind Gespräche geführt worden, und der Herr Bundeskanzler hat all diese Vorgänge erwähnt.
Sie ha-
ben eine weitere Zusatzfrage.
Hat sich der Herr Bundeskanzler bemüht, mit polnischen Bürgerrechtlern, z. B. mit Jacek Kurón, auf dessen aufrüttelndes Interview im Deutschlandfunk ich hinweisen möchte, oder mit Adam Michnik, sprechen zu können?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Soweit ich informiert bin, ist das nicht geschehen.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4863
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Czaja.
Frau Staatsminister, wenn ich Ihre erste Antwort richtig verstanden habe, können Sie bestätigen, daß der Herr Bundeskanzler bei den Gesprächen mit Herrn Gierek unter anderem zugunsten des polnischen Menschenrechtlers Jacek Kurón interveniert hat, der in Polen verfolgt wird wegen seiner Antworten, die er auf Fragen des Deutschlandfunks in Köln bei seinem Besuch in der Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1977 gegeben hat.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Ich habe die Frage nicht verstanden.
Herr Kollege, ich kann im Augenblick nicht den Zusammenhang mit der hier eingereichten Frage sehen. Ich lasse die Frage nicht zu.
Eine Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Staatsminister, könnten Sie uns freundlicherweise sagen, bei welcher Gelegenheit mit welchen Gesprächspartnern an welchem Tag und an welchem Ort der Herr Bundeskanzler die Fragen der polnischen Bürgerrechtler erörtert hat?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die ursprüngliche Frage lautete, ob der Bundeskanzler bei seiner. Reise einen bestimmten Eindruck hinterlassen habe.
Ich habe darauf geantwortet, daß wir natürlich keine Antwort auf die Frage geben können, ob ein bestimmter Eindruck entstanden ist. Das war der Inhalt meiner Antwort auf die ursprüngliche Frage.
Zu Ihrer Frage, Herr Kollege, kann ich Ihnen nur sagen: Da ich an der Reise nicht teilgenommen habe, kann ich Ihre Frage natürlich nicht beantworten.
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Ey zu. Dann gehen wir zur nächsten Frage über.
Frau Staatsminister, haben der Kanzler und seine Mitarbeiter außer mit den von Ihnen genannten Gruppen auch mit Gruppen der deutschen Vertreter in Polen gesprochen?
Auch diese Frage steht nicht im Zusammenhang mit der eingereichten Frage. Daher lasse ich sie nicht zu.
Unter diesen Umständen lasse ich noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger zu.
Frau Staatsministerin, fürchten Sie nicht, daß die Bundesregierung die Frage des Kollegen Sauer mißverstanden hat — so muß man jedenfalls aus Ihrer Antwort entnehmen —, in der ja gefragt wurde, ob der Bundeskanzler bei seinem Besuch in Polen beim polnischen Volk den Eindruck hervorgerufen hat, daß auch wir Deutschen uns um die Menschen- und Grundrechte des polnischen Volkes kümmern und uns für sie einsetzen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Dieser Eindruck ist, wenn man überhaupt ein Urteil abgeben kann, ganz bestimmt in deutlicher Weise hinterlassen worden.
Ich rufe die Frage 146 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Sind nunmehr offizielle Verhandlungen zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland über die Sicherung der kulturellen und Gruppenrechte der Deutschen in den Gebieten östlich von Oder und Neiße im Sinne der Zusagen der Bundesregierung gegenüber dem Bundesrat vom Februar 1976 begonnen worden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, Ihre Frage beantworte ich wie folgt. Bundesminister Genscher hat am 10. März 1976 vor dem Bundesrat erklärt, daß die Bundesregierung das Thema der sprachlichen und kulturellen Rechte für zurückgebliebene Deutsche zum Gegenstand ihrer Gespräche mit der politischen Regierung machen wird. Diese Erklärung spricht — und ich betone das — von Gesprächen. Formale Verhandlungen mit der polnischen Regierung über die Frage der sprachlichen und kulturellen Rechte der Deutschen in Polen sind nicht beabsichtigt, weil sie völkerrechtlich auch nicht der richtige Weg wären.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, müßte nicht die Bundesregierung, um Erfolg zu haben, die Gespräche zu Verhandlungen verdichten, müßte sie nicht gerade den Eintritt in förmliche Verhandlungen zur Voraussetzung für weitere hohe finanzielle Bürgschaften und Leistungen machen, nachdem sie von Verfassungs wegen zum Schutz auch der kulturellen Grundrechte dieser Deutschen verpflichtet ist?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, ich kann auf Ihre Zusatzfrage nur antworten, daß auch wir es ablehnen würden, Verhandlungen über die Gewährung sprachlicher und kultureller Rechte der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Polen aufzunehmen, wenn Polen ein solches Ansinnen an uns stellen sollte. Mangels völkerrechtlicher Vereinbarungen besteht auf solche Verhandlungen eben kein Anspruch. Ich kann das nur immer wiederholen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, haben Sie nicht den völkerrechtlichen Ansatzpunkt in Art. 27 des UNO-Menschenrechtspaktes beachtet, und hat sich der Herr Bundeskanzler bei dieser Angelegenheit eigentlich überlegt, welche Hoffnungen sein Be-
4864 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Dr. Czaja
such bei den Deutschen in den Oder-Neiße-Gebieten geweckt hat und wie enttäuscht diese Menschen sein müssen, kein öffentliches Zeichen wahrzunehmen, das ihnen gilt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, ich kann nur noch einmal wiederholen, daß die Bundesregierung keine Veranlassung sieht, wegen der von Ihnen genannten Probleme der Minderheitenrechte offizielle Verhandlungen zu führen. Zur Sache selbst sind auch bei der jüngsten Begegnung des Bundeskanzlers — wie auch zuvor zwischen Bundesaußenminister Genscher und seinem Kollegen Olszowski, zwischen Herrn Staatssekretär van Well und Herrn Czyrek und bei vielen anderen Gelegenheiten — Gespräche geführt worden, die auch fortgesetzt werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sauer.
Frau Staatsminister, hält es die Bundesregierung nicht für opportun, die polnische Regierung einmal darauf hinzuweisen, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland zahlreiche polnische Verbände haben, z. B. Polonia, z. B. Zgoda, z. B. die Deutsch-Polnische Gesellschaft, die von Warschau aus Geldmittel erhalten, — —
Herr Abgeordneter Sauer, diese Frage lasse ich nicht zu. Sie steht nicht in dem geforderten unmittelbaren Zusammenhang mit der eingereichten Frage.
Herr Abgeordneter Jäger, die nächste Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, darf ich Sie fragen, wie Sie zu der Beurteilung kommen, daß es keinen Ansatz zu förmlichen Verhandlungen über diese Frage mit der Volksrepublik Polen gibt, wo doch Polen als Teilnehmerstaat der KSZE-Konferenz in Helsinki auch den Teil der Schlußakte mitunterzeichnet hat, in dem von den Folgen der Konferenz die Rede ist? Es heißt dort:
Die Teilnehmerstaaten ... erklären ihre Entschlossenheit, in der Folgezeit der Konferenz die Bestimmungen der Schlußakte ... anzuwenden: ... b) bilateral durch Verhandlungen mit anderen Teilnehmerstaaten;
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister, Herr Kollege Jäger, ich gehe davon aus, daß zunächst einmal das Verfahren nach dem Ausreiseprotokoll abgewickelt werden soll, daß dann festgestellt werden muß, wieviel Ausreisewillige aus Polen noch vor-
handen sind, und daß dann nach 1980 der richtige Zeitpunkt gekommen ist, zu dem man dann auf diese Frage zurückkommen sollte.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Frau Staatsminister, können Sie dem Hohen Hause mitteilen, welche Erfolge die Gespräche zwischen der Bundesregierung und der Volksrepublik Polen bezüglich der Volksgruppenrechte bis heute für die Betroffenen jenseits von Oder und Neiße gezeitigt haben?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hupka, ich bin nicht imstande, Ihnen dazu etwas mitzuteilen, da keine Verhandlungen zu dem Thema stattgefunden haben.
Ich rufe die Frage 147 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Hat der Bundeskanzler anläßlich der Überreichung einer Liste von offiziellen Interventionen der Bundesrepublik Deutschland für 13 000 Härtefälle zur Ausreise Deutscher, die zum Teil seit vielen Jahren unbeantwortet sind, nunmehr die Zusage für die tatsächliche rasche Ausreise dieser Deutschen nach den vielfachen, früheren polnischen bilateralen und multilateralen Rechtsverpflichtungen dazu erreicht, und hat er auch die rasche Erledigung der beim Deutschen Roten Kreuz vorliegenden 270 000 unerledigten Ausreiseanträge eingefordert?
Der Bundeskanzler hat im Rahmen der von ihm in Polen geführten Gespräche auf die konkreten Härtefälle hingewiesen, in denen bisher — trotz wiederholter Bemühungen — keine positive Entscheidung über den Ausreiseantrag erfolgt ist. Von polnischer Seite ist dabei eine wohlwollende Überprüfung dieser Fälle zugesagt worden.
Zum zweiten Teil Ihrer Anfrage: Hinsichtlich der Unterlagen des Deutschen Roten Kreuzes, auf die Sie in Ihrer Frage Bezug nehmen, ist darauf hinzuweisen, daß es sich bei den von Ihnen genannten Zahlen offensichtlich um beim Deutschen Roten Kreuz geführte Ausreisewünsche handelt, die nicht unbedingt mit der Zahl der bei den polnischen Behörden laufenden Ausreiseanträge identisch sind.
Zu der Problematik einer exakten zahlenmäßigen Erfassung der aktuellen Ausreiseanliegen hat sich die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme vom 16. Februar zu den elf Punkten des Bundesrates ausführlich geäußert. Auf Punkt zwei dieser Stellungnahme darf ich insoweit hinweisen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Ausreise von Deutschen gegenwärtig auf der Grundlage des Ausreiseprotokolls vom 9. Dezember 1975 erfolgt, demzufolge von polnischer Seite zugesichert worden ist, daß innerhalb von vier Jahren — ich möchte die vorhin von mir genannte Zahl korrigieren; ich habe mich da versprochen — 120 000 bis 125 000 Personen die Ausreisegenehmigung erhalten werden. Erst nach Abwicklung dieses Protokolls wird im Lichte der dann gegebenen Situation über die Abwicklung
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4865
Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücher
I der dann noch verbleibenden Ausreisewünsche zu befinden sein.
Zusatzfrage.
Zum ersten Teil Ihrer Antwort, Frau Staatsminister, die Frage: Beweist nicht auch nach Ihrer Auffassung der Umstand, daß nicht einmal nach vier bis fünf Jahren — trotz mehrmaliger Erinnerung durch die deutsche Botschaft — amtliche Interventionen der deutschen Botschaft und des Auswärtigen Amtes, also nicht Rotkreuz-Bitten, für 13 000 Personen beantwortet worden sind, daß es noch erhebliche Schwierigkeiten bei der Erfüllung polnischer Rechtsverpflichtungen zur Ausreise Deutscher und bei der Normalisierung der Beziehungen für den Menschen gibt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Czaja, nach unserer Kenntnis handelt es sich nicht um 13 000 Personen, sondern um etwa 6 000 Personen. Aber wie dem auch sei, für die Betroffenen ist es gleich hart. Ich darf Ihnen versichern, daß wir von der Hoffnung ausgehen, daß die Zusicherung einer wohlwollenden Überprüfung der übergebenen Liste zu einer positiven Entscheidung führen wird.
Die zweite Zusatzfrage.
Zum zweiten Teil Ihrer Antwort, Frau Staatsminister: Können Sie wirklich ernsthaft bestreiten, daß die Unterlagen des Deutschen Roten Kreuzes 270 000 unerledigte Anträge nachweisen? Beweisen dies nicht auch die täglichen Hilferufe der Verwandten bei den Kollegen dieses Hauses? Sind Sie bereit, zur Vermeidung von Unrichtigkeiten — —
Herr Kollege, das wird jetzt schon die dritte Frage. Bitte, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, nach unseren Unterlagen handelt es sich bei den Zahlen des Deutschen Roten Kreuzes nicht um Anträge, sondern zunächst um Anmeldungen. Die Zahlen müssen wie in anderen Fällen überprüft werden. Insgesamt, Herr Kollege Dr. Czaja, müssen wir doch einfach anerkennen, daß die Genehmigungen zur Ausreise
bereits in diesem Jahr im Monat November fast die ganze Jahresquote von 30 000 erreicht haben und daß sogar damit zu rechnen ist,
daß die Gesamtzahl der Ausreisegenehmigungen früher erreicht sein wird, als ursprünglich vorgesehen war. Ich glaube, wir sollten bei aller Energie für den Versuch, diesen Prozeß der Ausreise zu beschleunigen, auch einmal anerkennen, daß die Quoten bisher nicht nur eingehalten, sondern bereits überschritten sind.
Frau Abgeordnete Berger, Sie wollten eine Zusatzfrage stellen. Bitte.
Frau Staatsminister, das Stichwort „offizielle Interventionen" führt mich zu der Frage, ob Sie mir wohl sagen können, wie es nach den internationalen üblichen diplomatischen Verfahren abläuft, wenn die Bundesrepublik Deutschland bei der Volksrepublik Polen in Härtefällen interveniert.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Wie das abläuft?
Wie das international übliche diplomatische Verfahren, in diesem Fall von der Bundesrepublik Deutschland angewandt, aussieht.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Frau Kollegin, das geschieht natürlich normalerweise über die Botschaften. Aber anläßlich des Besuchs des Bundeskanzlers ist das angesprochen und nach dem Besuch ist eine entsprechende Liste an die zuständige polnische Persönlichkeit übergeben worden.
Herr Abgeordneter Dr. Hupka, wollten Sie eine Zusatzfrage stellen?
Jawohl, Herr Präsident.
Bitte!
Frau Staatsminister, was soll in Ihrer Aussage die Formulierung bedeuten, daß nach dem 1. Januar 1980 über die Ausreise der deutschen Ausreisewilligen erst noch zu befinden sein wird — obwohl doch in den deutsch-polnischen Vereinbarungen durch die Offenhalte-Klausel ausdrücklich das Recht jener Deutschen bestätigt worden ist, die bis dahin nicht haben ausreisen können, nunmehr ausreisen zu dürfen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hupka, ich habe genau darauf rekurriert, nämlich auf das Protokoll zu den deutsch-polnischen Vereinbarungen, in dem es heißt: Es wird keine zeitliche Einschränkung für die Antragstellung durch Personen vorgesehen, die die in der Information genannten Kriterien erfüllen. — Damit wollte ich sagen, daß auch nach Erreichen der vorgesehenen Quoten die Ausreisemöglichkeiten nicht abgeschlossen sein werden.
Wir
kommen zur Frage 148 des Herrn Abgeordneten Dr. Niegel.
4866 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Trifft es zu, daß der Generalsekretär des ZK Polens, Gierek, anläßlich des Besuchs des Bundeskanzlers die CDU/CSU-Opposition angriff, in welcher Form ist dies geschehen, und in welcher Weise hat Bundeskanzler Schmidt die Opposition verteidigt?
Bitte, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Abgeordneter Niegel, Ihre Anfrage beantworte ich wie folgt: Der Bundeskanzler hat am 21. November 1977 in seiner Erwiderung auf die Tischrede Edward Giereks betont, daß der Wunsch nach Verständigung mit den Polen in allen Teilen unserer Gesellschaft vorhanden ist. Die Entfaltung eines freundschaftlichen Verhältnisses zwischen den Völkern und, Staaten der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen sei nicht auf die FDP/SPD-Koalition beschränkt, sondern gehe quer durch alle politischen Parteien Deutschlands. Mit seinen Ausführungen ist der Bundeskanzler Äußerungen entgegengetreten, die eine Tendenz zur Aufteilung unseres politischen Spektrums in entspannungsfreundliche und entspannungsfeindliche Kräfte erkennen lassen. Diese Ausführungen des Bundeskanzlers sind auch von der Opposition gewürdigt worden.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, es ist dankenswert, daß Sie einen Teil vorgelesen haben. Den anderen Teil haben Sie aber nicht vorgelesen. Finden Sie nicht, daß im zweiten Teil und in Fortführung dessen, was Sie ausgeführt haben, der Bundeskanzler die Opposition nicht in Schutz nahm? Ich frage Sie, ob Ihnen bekannt ist, was er sagte:
... hier und da in unseren Zeitungen oder hier und da in der Innenpolitik meines Landes tritt das besonders grell hervor. Das hängt damit zusammen, daß in der deutschen Innenpolitik eine Reihe von Personen den ausdrücklichen Auftrag des Wählers haben, dafür besoldet vom Steuerzahler, möglichst umfassend und möglichst beweiskräftig alles zu kritisieren, was die Bundesregierung tut. Aus solch oppositioneller Kritik, die sich natürlich auch auf unsere Außenpolitik richtet, die sich auch auf unsere Ostpolitik richtet, die sich auch auf unsere Politik Polen gegenüber richtet, — —
Herr Kollege, einen Augenblick bitte. Jetzt ist der Rahmen einer Zusatzfrage wirklich überschritten.
— Nein, ich lasse Sie sie nicht mehr beenden. Bitte, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Niegel, um hier keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen, gebe ich jetzt das, was der Herr Bundeskanzler in diesem Zusammenhang gesagt hat, zu Protokoll, wie Sie es im Bulletin der Bundesregierung vom 8. Dezember -vorfinden. Er wider-
spricht zunächst ausdrücklich den Ausführungen von Parteisekretär Gierek, führt dann aus, wer in seiner Delegation aus den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen an dieser Reise teilnimmt, und sagt dann:
Und um diesen Punkt nun abzuschließen, bitte ich die polnischen Gastgeber sehr herzlich, sich nicht vorzustellen, daß etwa die Menschen in den in der Opposition befindlichen politischen Parteien bei uns zu Hause Gegner dieser Normalisierung und Gegner dieser Freundschaft wären. Ich bitte Sie herzlich, sich vorzustellen, daß die Normalisierung und die Entfaltung eines freundschaftlichen Verhältnisses zwischen unseren beiden Völkern und zwischen unseren beiden Staaten quer durch alle gesellschaftlichen Schichten, quer durch alle politischen Parteien in Deutschland eine ganz große Mehrheit der Deutschen umfaßt.
Herr Kollege Niegel, ich glaube, wir sollten alle in diesem Geiste unsere Demokratie im Ausland vertreten und in Schutz nehmen.
Herr Abgeordneter Niegel, Sie haben eine weitere Zusatzfrage, wobei ich Sie ausdrücklich auf die Richtlinien hinweise.
Frau Staatsminister, da Sie den zweiten Teil nicht vorgelesen haben, ich ihn nicht vorlesen möchte, sondern mich auf das berufe, was ich vorhin zitiert habe, sage ich: Die vorhin von mir zitierten Äußerungen des Bundeskanzlers, daß ein Teil der politischen Landschaft vom Wähler Bezahlte sind und daß sie nur Kritik zu üben haben, ist ein Angriff auf die Opposition und keine Inschutznahme.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Niegel, ich habe den Eindruck, daß außer von Ihnen die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers in Polen voll anerkannt worden sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Engelhard.
Frau Staatsminister, können Sie meine Erinnerung als Mitglied der Delegation bestätigen, daß der Bundeskanzler zu diesem Bereich sehr breite Ausführungen gemacht hat und mit den Ausführungen, wie sie soeben vom Herrn Kollegen Niegel zitiert worden sind, zusätzlich ein praktisches Kolleg über Demokratie, wie sie in unserem Land praktiziert wird, gegeben hat und damit For-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4867
Engelhard
derungen der Opposition aus der letzten Fragestunde Rechnung getragen hat?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Ich bestätige das, Herr Kollege Engelhard: Genauso ist es gewesen. Ich glaube, daß wir auch in osteuropäischen Staaten immer wieder deutlich machen müssen, daß in unserer westlichen Demokratie die freie Meinungsäußerung jederzeit möglich und auch erwünscht ist.
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mertes zu.
Frau Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß im Falle eines öffentlichen Angriffes des Vertreters eines totalitären politischen Systems auf die Opposition eine faire und ernsthafte öffentliche Darstellung der Rechte, Pflichten und Urteilskriterien der parlamentarischen Opposition in einem freien Lande die Pflicht eines jeden Vertreters der jeweiligen Regierungsmehrheit ist und daß dies insbesondere auch für den Vorsitzenden der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gilt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Mertes, ich habe hier nur für die Bundesregierung zu antworten und nicht für Vorsitzende von Fraktionen. Für die Bundesregierung bestätige ich das. So ist es ja auch gehalten worden.
Ich rufe die Frage 149 des Abgeordneten Graf Huyn auf:
Ist die Bundesregierung angesichts ihrer begrüßenswerten Erklärung bereit, humanitäre Hilfe für sogenannte Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika auf solche Güter zu beschränken, die nicht einer direkten oder indirekten Unterstützung bewaffneter Aktionen dienen können?
Bitte, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung leistet keine direkte Hilfe aus Mitteln der humanitären Hilfe an Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika. Vielmehr beteiligt sie sich finanziell an internationalen Hilfsmaßnahmen zugunsten von Flüchtlingen im südlichen Afrika. Sie unterstützt zur Linderung des wachsenden Flüchtlingselends in dieser Region Sonderprogramme des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen. Dieser hat die größte Erfahrung und den notwendigen Apparat und gewährleistet zudem die größtmögliche Neutralität bei der Verwendung der Mittel.
Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen dieser Unterstützung internationaler Hilfsprogramme, die Sie soeben erwähnt haben, auch darauf zu achten, daß diese Mittel weder einer direkten noch einer indirekten Unterstützung bewaffneter Aktionen dienen können?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Graf Huyn, das ist genau das, worauf die Bundesregierung Bedacht nehmen wird und in der Vergangenheit immer geachtet hat.
Herr Abgeordneter Spranger ist im Augenblick nicht im Saal. Die Frage 150 wird daher schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 151 und 152 sind von der Frau Abgeordneten Berger eingebracht:
Trifft es zu, daß beim UNO-Generalsekretariat in New York ein besonderes Büro für die palästinensischen Rechte gegründet worden ist, in dem Propaganda für die „unveräußerlichen Rechte des palästinensischen Volks" betrieben wird, und wie beurteilt die Bundesregierung dies?
Trifft es zu, daß die Bundesregierung einer entsprechenden Entschließung der Vollversammlung zugestimmt hat, und wie begründet sie gegebenenfalls diese Zustimmung?
Ich weiß nicht, inwieweit Sie, Frau Staatsminister, an eine Verbindung der beiden Fragen denken.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Wenn die Frau Kollegin einverstanden ist, kann ich die Beantwortung der beiden Fragen gern miteinander verbinden.
Zu Ihrer ersten Frage: Es trifft zu, daß die 32. Generalversammlung der Vereinten Nationen am 2. Dezember dieses Jahres die Errichtung einer besonderen „Arbeitseinheit für palästinensische Rechte" innerhalb des VN-Sekretariats beschlossen hat. Die Arbeitseinheit soll die Tätigkeit des Palästina-Sonderausschusses der Generalversammlung mit Studien und Publikationen unterstützen.
Zu Ihrer zweiten Frage: Die Bundesregierung hat — wie zahlreiche andere westliche Staaten — gegen die Einrichtung einer derartigen Arbeitseinheit gestimmt. Sie ist der Auffassung, daß deren Funktion ebenso wie diejenige des Palästina-Sonderausschusses einseitig orientiert ist und einer ausgewogenen Behandlung der Nahost-Probleme im Wege steht.
Zusatzfrage?
Frau Staatsministerin, vor dem Hintergrund Ihrer Antwort, die ich natürlich sehr gern gehört habe, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung meine Auffassung teilt, daß eine solche Aktion der Vereinten Nationen, die die PLO ausgerechnet zu einem Zeitpunkt unterstützt, zu dem sie — zuletzt in Tripolis — ganz offensichtlich die Vernichtung Israels fordert, wirklich mehr als unangebracht war.
4868 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Frau Kollegin, die Bundesregierung teilt Ihre Auffassung, daß die Einrichtung einer solchen Arbeitseinheit tatsächlich nicht in die derzeitige politsche Landschaft paßt. Das war auch der Grund, weshalb wir ihrer Einrichtung nicht zugestimmt haben.
Noch eine Zusatzfrage? — Bitte!
Frau Staatsministerin, sieht die Bundesregierung Möglichkeiten — vor dem Hintergrund unserer nicht unerheblichen Beitragsleistungen an die Vereinten Nationen —, in Zukunft eine so mißverständliche wenn nicht mißbräuchliche Verwendung von Mitteln, die auch von der Bundesrepublik Deutschland aufgebracht werden, zu verhindern oder wesentlich einzudämmen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Frau Kollegin, ich habe mich im Zusammenhang mit Ihrer Hauptfrage auch darum bemüht, genau dies in Erfahrung zu bringen, und habe festgestellt, daß diese sogenannte Arbeitseinheit keine finanziellen Konsequenzen hat. Es wird offensichtlich ein ohnehin schon vorhandener Mitarbeiter zusätzlich mit dieser Aufgabe betraut werden. Auf unsere Beitragszahlung oder auf Beiträge überhaupt wird das keinerlei Auswirkungen haben.
Bitte, eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, vor dem Hintergrund der Diskussionen, die wir im Zusammenhang mit einigen vorhergehenden Fragen hatten: Hielte die Bundesregierung es für möglich, bei den Vereinten Nationen dafür einzutreten, daß beispielsweise ein Büro eingerichtet wird, das sich für die Rechte der Deutschen, die in den ehemaligen deutschen Ostgebieten leben, einsetzt?
Frau Kollegin, ich bitte um Verständnis, aber nach Nr. 5 der Richtlinien für die Fragestunde müssen die Zusatzfragen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Hauptfrage stehen. Sie haben aber die Möglichkeit, eine weitere Zusatzfrage zu stellen.
— Dann Herr Abgeordneter Becker, bitte.
Frau Staatsminister, ist Ihre Antwort auf die vorhergehende Frage der Kollegin Frau Berger, die Bundesregierung habe deshalb nicht zugestimmt, weil das zum jetzigen Zeitpunkt nicht gehe, so zu verstehen, daß sie zu einem anderen Zeitpunkt der Einrichtung eines solchen Büros zugestimmt hätte?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Nein, Herr Kollege, so ist das nicht gemeint. Die Bundesregierung war ja schon gegen den Palästina-Sonderausschuß, und das war zu einer Zeit, zu der die Entwicklung noch nicht so fortgeschritten war wie im Augenblick.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Frau Staatsminister, wird die Bundesregierung, wenn sich diese Sondergruppe nicht mehr verhindern läßt, in den Vereinten Nationen dafür eintreten, daß eine solche Einrichtung nicht lediglich dem palästinensischen Volk, sondern auch anderen Völkern oder Volksteilen mit ähnlich gelagerten Rechten zugute kommen müßte?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann Ihnen auf Ihre Frage aus dem Handgelenk keine Antwort geben, aber ich werde Ihnen gern eine schriftliche Antwort zuteil werden lassen.
Ich rufe die letzte Frage aus diesem Geschäftsbereich, Frage 153 des Abgeordneten Dr. Hupka, auf:
Hat der Bundeskanzler mit seinem Hinweis auf „das persönlich sehr freundschaftliche Verhältnis, das sich zwischen den führenden Personen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland ergeben hat" eine Freundschaft zwischen dem Demokraten Schmidt und dem polnischen KP-Chef Gierek gemeint?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Sehr geehrter Herr Kollege Hupka, der Bundeskanzler hat in der gemeinsamen Pressekonferenz am 25. November 1977 ausgeführt, daß sich ein Teil seines Vertrauens auf das persönlich sehr freundschaftliche Verhältnis gründe, das sich zwischen den führenden Personen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland ergeben habe. Er sprach in seiner Äußerung nicht nur von dem Ersten Sekretär Edward Gierek und von sich selbst, sondern auch von anderen führenden Personen in der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen. Damit bezog er auf beiden Seiten führende Politiker, Wirtschaftler, Gewerkschaftler sowie Vertreter des kulturellen Lebens und der Jugend ein, denen gemeinsam an der deutsch-polnischen Verständigung gelegen ist. Ein gutes persönliches Verhältnis bedeutet sicherlich nicht Identifizierung mit den politischen Vorstellungen eines außenpolitischen Partners. Auf persönlicher Abneigung, Herr Kollege, wäre eine Verständigung besonders mit osteuropäischen Ländern schwerlich aufzubauen.
Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, da man davon ausgehen kann, daß der Herr Bundeskanzler bei seinen Bemerkungen weder sich selbst noch Herrn Gierek ausgeschlossen hat: Wie sind nun diese Bemerkungen bezüglich des freundschaftlichen Verhältnisses zwischen dem Bundeskanzler und dem kommunistischen Diktator Gierek aufzufassen?
— Diktator ist Diktator, Herr Wehner!
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4869
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich habe meine Antwort gegeben und sehe in Ihrer Zusatzfrage keinen zusätzlichen Inhalt.
Sie haben eine zweite Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, können Sie den Unterschied nachvollziehen, der zwischen einer Freundschaft zwischen den Völkern und diesem Satz des Herrn Bundeskanzlers besteht, zumal der Herr Gierek ja nicht auf demokratische Weise den Willen des gesamten polnischen Volkes vertritt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich kann nur noch einmal betonen, was ich in der ersten Antwort gesagt habe: daß eine Verständigung gerade mit den Staaten und Völkern Osteuropas nur dann zustande kommen wird, wenn es auch persönliche Bindungen zwischen den Staatsmännern und Politikern gibt.
Herr Abgeordneter Friedrich, die letzte Zusatzfrage zu diesem Komplex, bitte.
Frau Staatsminister, muß, nachdem der Herr Bundeskanzler selbst gestern im Auswärtigen Ausschuß eineinhalb Stunden lang über seine Polen-Reise Rede und Antwort gestanden hat — und zwar auch dem Fragesteller —, das Insistieren auf dieser Frage bei der Bundesregierung nicht den Eindruck erwecken,
daß hier eine vom Geiste Carl Schmitts getragene subkultane Unterstellung vorbereitet wird?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Friedrich, ich habe im Hinblick auf die ausführliche Unterrichtung des Auswärtigen Ausschusses gestern durch den Bundeskanzler die Beantwortung der Frage des Herrn Kollegen Hupka absichtlich so kurz gehalten, weil ich davon ausgegangen bin, daß man hier bei weiteren Zusatzfragen mit dem nötigen Takt verfährt.
Ich bin aber leider enttäuscht worden.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Verständnis.
Ich wäre dankbar, Frau Staatsminister, wenn die Vertreter der Bundesregierung unabhängig von der persönlichen Bewertung die gebotenen Grenzen einhalten würden.
Zu einer letzten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Czaja.
Frau Staatsminister, sind Sie sicher, daß das persönliche Verhältnis, das Sie eben angesprochen haben, nur zu einem Bruchteil auch zur Verwirklichung der Menschenrechte der Polen und Deutschen beitragen wird und daß dies der polnischen und der deutschen Öffentlichkeit nachgewiesen wird?
Herr Abgeordneter Czaja, ich lasse diese Zusatzfrage nicht zu. Sie steht nach Ziffer 5 der Richtlinien nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Hauptfrage.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Frau Staatsminister, ich möchte Ihnen für die allgemeine Antwort auf die letzte Frage sehr herzlich danken.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Buschfort zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Menzel auf :
Hat sich nach dem Erkenntnisstand der Bundesregierung eine Reihe von Großunternehmen durch Umwandlung der Rechtsform oder organisatorische Maßnahmen der Anwendung des Mitbestimmungsgesetzes entzogen, wie aus Pressemeldungen ersichtlich, und was gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls zu tun, um eine solches Unterlaufen des Mitbestimmungsgesetzes zu verhindern?
Herr Kollege Menzel, der Bundesregierung sind mehrere Fälle bekanntgeworden, in denen Großunternehmen durch Neuorganisation des Konzerns, Änderung von Kapitalbeteiligungen oder Änderung ihrer Rechtsform den Anwendungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes verlassen haben. Daneben gibt es einige Unternehmen, die zwar im Anwendungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes geblieben sind, jedoch in eine Rechtsform mit schwächerer Mitbestimmung umgewandelt worden sind.
Diese Maßnahmen werden, soweit die Bundesregierung hierüber informiert ist, mit betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen, steuerlichen oder anderen mitbestimmungsneutralen Erwägungen begründet. Die Vermutung liegt indessen nahe, daß dies oft auch wegen der Mitbestimmung geschieht.
4870 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Parl. Staatssekretär Buschfort
Die Bundesregierung beobachtet die Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit. Sollte sich eine größere Anzahl von Unternehmen der Mitbestimmung entziehen oder in Rechtsformen mit schwächerer Mitbestimmung ausweichen, so wird zu überlegen sein, welche Maßnahmen hiergegen ergriffen werden können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung einen Überblick über die Zahl der Unternehmen, die sich bisher durch Änderung der Rechtsform der Anwendung des Mitbestimmungsgesetzes entzogen haben?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Menzel, ich kann Ihre Frage nur ungefähr beantworten. Soweit uns bekannt ist, haben etwa 10 bis 15 Unternehmen den Geltungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes verlassen; ca. 5 bis 10 Unternehmen sind in Rechtsformen mit schwächerer Mitbestimmung umgewandelt worden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung bestätigen, daß die Umwandlung der Rechtsform vor Inkrafttreten des Mitbestimmungsgesetzes in diesem Umfang nicht zu beobachten war?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben natürlich immer Umwandlungen gehabt. Aber wir beobachten mit Aufmerksamkeit die jetzt stattfindende Häufung. Wie ich bereits sagte, liegt die Vermutung nahe, daß mit dieser Umwandlung auch der Anwendungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes unterlaufen werden soll.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Müller .
Herr Staatssekretär, können Sie darüber Auskunft geben, warum in all den Fällen, die Sie hier genannt haben, der Betriebsrat bzw. die zuständige Gewerkschaft nicht den Rechtsweg beschritten haben?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weiß nicht, inwieweit die einzelnen Betriebsräte oder die einzelnen Gewerkschaften beteiligt worden sind. Es stand aber immer im Ermessen des Unternehmers, im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten die Rechtsform des eigenen Unternehmens zu wählen.
Wir — das darf ich wiederholen — beobachten diesen Vorgang aufmerksam. Wenn es notwendig wäre und wir feststellen müßten, daß dieses Gesetz keine loyale Anwendung findet, könnte man sich überlegen, ob z. B. ein Rechtsformenzwang für bestimmte Betriebe von einer bestimmten Größe an notwendig wäre.
Die letzte Zusatzfrage —wegen Ablauf der Fragestunde —, Frau Abgeordnete Hürland.
Herr Staatssekretär, können Sie Angaben darüber machen, wieviel Betriebe unter das Mitbestimmungsgesetz fallen und ob die Beobachtungen in Ihrem Ministerium zu weiteren Überlegungen geführt haben, und welcher Art sind die?
Buschfort; Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Hürland, ich kann eine exakte Zahl im Moment nicht nennen. Ich könnte sie nachliefern. Ich gehe davon aus, daß vom Mitbestimmungsgesetz zirka 450 bis 500 Betriebe bzw. Unternehmen erfaßt werden. Die Anzahl der Betriebe, die sich z. B. durch eine Änderung der Rechtsform außerhalb der Mitbestimmung gestellt haben, dürfte sich, wie ich bereits vorhin gesagt habe, in dem erstgenannten Bereich zwischen 10 und 15 und in dem zweiten Bereich um 5 und 10 bewegen.
Frau Kollegin Hürland, es gibt nur eine Zusatzfrage.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde angelangt.
Die Fragen 36, 37, 38, 39, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 50, 51, 52 und 53 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden.
— Herr Kollege Franke, es ist in der Geschäftsordnung zwingend vorgeschrieben, daß die -Fragestunde nur den angesetzten Zeitraum umfassen darf.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU
Verbesserung der Verkehrssicherheit für motorisierte Zweiradfahrer
— Drucksache 8/1269 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
Ich eröffne die Aussprache. Wer wünscht das Wort? — Herr Abgeordneter Straßmeir.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat diesen Antrag eingebracht, weil die wachsende Zahl von Unfällen bei motorisierten Zweiradfahrern eine längeres Zuwarten verbietet.
Unsere gemeinsamen Bemühungen um mehr Sicherheit auf den Straßen sind in den zurückliegenden Jahren nicht ohne Erfolg geblieben. Die Unfallstatistik weist weniger tödliche Unfälle bei den Fußgängern auf, es starben weniger Autofahrer. Bei den motorisierten Zweiradfahrern hingegen verlief die Unfallstatistik zu unserer Bestürzung genau entgegengesetzt. 1976 gab es im Vergleich zum Vorjahr
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Straßmeir
über 8 % mehr tödliche Unfälle, und die Zahl der Verunglückten nahm insgesamt um 16,3 % zu.
Diese Zahlen machen unsere Verpflichtung zum Handeln deutlich. Auf unseren Straßen fahren 2,5 Millionen motorisierte Zweiräder, 2 Millionen Mopeds, Mofas und Mokicks und 500 000 Motorräder. Diese Zweiteilung ist von außerordentlicher Bedeutung. Während 1976 Mofas und Mopeds mit fast dem zehnfachen Bestand.gegenüber 1969 die gleichen Unfallzahlen aufweisen, ist der Anteil der Unfälle mit Motorrädern erheblich gestiegen. Damit ist für uns der Schwerpunkt deutlich. Von den im Jahr 1976 verunglückten 84 500 Zweiradfahrern entfielen allein 54 % auf die wenigen Motorräder, 30 % auf die Mofas, 16 % auf die Mopeds. Diese Unfälle — auch das ist für die Verkehrspolitiker von außerordentlicher Bedeutung — ereigneten sich interessanterweise zu 76 °/o innerhalb geschlossener Ortschaften. Schließlich eine letzte statistische Feststellung: 74 °/o der verunglückten Zweiradfahrer waren im Alter zwischen 15 und 25 Jahren.
Vor diesem Hintergrund wird für uns zweierlei deutlich. Erstens: Maßnahmen müssen schnell eingeleitet werden. Zweitens: Wegen der differenzierten Unfallsituation müssen sie sehr gezielt ergriffen werden.
Diese bedenkliche Unfallentwicklung ist uns nicht erst seit heute bekannt. Verschiedene Gremien des Bundes und der Länder sind mit der Analyse und der Entwicklung vorbereitender Maßnahmen beschäftigt, beispielsweise die Verkehrsministerkonferenz der Länder und der Bund-Länder-Fachausschuß für Angelegenheiten der Zulassung von Personen zum Straßenverkehr. Auch die Bundesanstalt für Straßenwesen soll noch mit einem Gutachten beschäftigt sein.
— Sehr richtig, Herr Kollege Schulte. Dieses Thema scheint nicht sehr interessant zu sein. Weihnachtsfeiern sind vielleicht wichtiger.
Wir begrüßen dennoch diese Aktitivitäten, die dort Platz greifen.. Nur steht nach den bekannten zeitlichen Verfahrensabläufen zu befürchten, daß die Bundesregierung nicht vor Ende des Jahres 1978 in der Lage sein wird, irgendwelche Maßnahmen zu verwirklichen.
Nach unserer Auffassung liegen die notwendigen Unfallanalysen vor, die eine Entscheidung jetzt rechtfertigen. Der Entscheidungsprozeß der Bundesregierung geht uns nicht nur zu langsam; die von der Bundesregierung ins Auge gefaßten Maßnahmen sind für eine durchgreifende Verbesserung der Unfallsituation auch unzureichend.
Sie beziehen sich im wesentlichen auf eine bessere theoretische und praktische Fahrausbildung für Anfänger und auf eine Ausweitung der Schutzhelmtragepflicht.
Die CDU/CSU-Fraktion ist der Meinung, daß auch ohne wesentliche finanzielle Mehrbelastungen entschieden mehr für die Motorrad-, Moped- und Mofafahrer getan werden kann. Wir wollen mit unserem Antrag deutlich machen, was zur Verbesserung der Unfallsituation geschehen muß. Wir tun das heute, weil die Bundesregierung zum Ende des Jahres ihren Unfallverhütungsbericht für den Straßenverkehr vorlegen muß. Dieser Bericht epthält auf Grund eines Antrags der CDU/CSU die Fortschreibung des Verkehrssicherheitsprogramms der Bundesregierung mit dem Maßnahmen-Zeit-Katalog. Wir wollen schon heute darauf hinweisen, wo wir bei dieser Fortschreibung die Prioritäten gesetzt wissen wollen.
Ich will einige Schwerpunkte unseres Antrags erläutern, die über die Absichten der Bundesregierung hinausgehen. Sicherlich gibt es vieles, was wir gemeinsam vertreten.
Die Unfallbilanz zwingt uns, unsere Maßnahmen nicht nur auf die Fahranfänger zu konzentrieren, sondern insbesondere auf diejenigen, die mit ihren Motorrädern, Mopeds oder Mofas bereits auf unseren Straßen fahren. Im Zentrum unseres Antrags steht deshalb die freiwillige Nachschulung insbesondere jugendlicher Zweiradfahrer in den Schulen, in Organisationen des Straßenverkehrs und der Automobilklubs. Wir verstehen darunter allerdings ein besonderes theoretisches wie praktisches Sicherheitstraining für alle Motorrad-, Moped- und Mofafahrer. Dies gilt vor allen Dingen für diejenigen, die von einem leichten auf ein schnelleres, schwereres Fahrzeug umsteigen wollen. Die Deutsche Verkehrswacht und der ADAC bieten beispielsweise bereits jetzt für Mofafahrer solche Kurse an. Diese Modelle müssen aber sehr viel mehr intensiviert werden. Wir glauben auch, daß es richtig ist, mit der Versicherungswirtschaft darüber zu sprechen, daß diejenigen, die bereit sind, an einer solchen freiwilligen Nachschulung teilzunehmen, vielleicht auch in den Genuß von Rabatten bei den Versicherungsprämien kommen.
Für die motorisierten Zweiradfahrer ist die richtige Schutzkleidung ein entscheidender Sicherheitsfaktor. Damit sind wir beim zweiten Punkt unseres Antrags. Wir befürworten die Schutzhelmpflicht für die motorisierten Zweiradfahrer, ausgenommen beim Mofa 25. Was die weitere Schutzkleidung, insbesondere für Motorradfahrer, betrifft, so bedarf es nach unserer Auffassung noch einer weiteren, sehr viel breiteren und intensiven Aufklärungsarbeit.
Bezeichnend ist, daß die häufigste Ursache von Unfällen bei motorisierten Zweirädern die ist, daß sie nicht gesehen worden sind. Dieser Tatsache muß durch Schutzkleidung vom Scheitel bis zur Sohle Rechnung getragen werden.
Tests haben ergeben, daß reflektierendes Material im Gegensatz zu der dunklen Schutzkleidung von großem Vorteil ist. Dunkle Schutzkleidung kann
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Straßmeir
man im Abblendlicht nur auf 30 Meter Entfernung sehen, während Reflexstreifen auf 135 Meter sichtbar sind. Damit ist schon allerhand gesagt. Sehen und gesehen werden ist eine Grundvoraussetzung für mehr Verkehrssicherheit.
Bezeichnend ist, daß nur 15 % der Unfälle mit Mofas von den Mofafahrern selbst verschuldet worden sind. Das heißt, sie sind schlicht und einfach nicht gesehen und über den Haufen gefahren worden.
Meine Damen und Herren, weil eben das motorisierte Zweirad auf Grund seiner Konstruktion nur beschränkte Möglichkeiten im Hinblick auf eine sichere Erkennbarkeit aufweist, muß die Schutzkleidung dazu einen besonderen Beitrag leisten.
Der dritte Punkt des CDU/CSU-Antrages bezieht sich auf die Fahrausbildung bei Anfängern. Tatsache ist, daß heute 1,3 Millionen Bürger ohne jegliche Fahrausbildung ein motorisiertes Zweirad fahren, daß 600 000 Moped- und Mokickfahrer lediglich eine Fragebogenprüfung absolvieren mußten, um den Führerschein Klasse 5 zu erhalten, daß über 200 000 Motorradfahrer Maschinen bis zu 50 ccm Hubraum, die Geschwindigkeiten von mehr als 100 km/h erreichen, ohne jegliche praktische Fahrausbildung fahren und schließlich 300 000 Fahrer von schweren Motorrädern eine Maschine besteigen dürfen, die sie — mindest teilweise — wahrscheinlich nicht einmal richtig schieben können.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung arbeitet an einer Reform der Fahrausbildung, die unseres Erachtens unzureichend ist. Wenn die Bundesregierung den Motorrad- und den Mofafahrern künftig schon höhere Kosten für ihre Fahrausbildung zumuten will, dann sollte sie auch Nägel mit Köpfen machen.
Dies geschähe nach unserer Auffassung nur dann, wenn die Fahrausbildung und die Fahrerlaubnis aufeinander abgestimmt reformiert würden. Dabei müßten das Lebensalter und die Fahrpraxis des Fahrers ebenso wie das Gewicht und die Geschwindigkeit - des gefahrenen Fahrzeugs in eine sinnvolle Beziehung gebracht werden.
Hier hat der ADAC Vorschläge gemacht, denen wir gegenüber denen der Bundesregierung zum überwiegenden Teil den Vorzug gben. Es wird z. B. zu erörtern sein, ob man die Höchstgeschwindigkeit bei den leichten Motorrädern bis 50 ccm Hubraum auf 100 km/h begrenzen sollte. Damit wären sie in den Stand gesetzt, auf den Bundes- und Landstraßen mitzuhalten, ohne daß gefährliche Überholvorgänge provoziert würden. Warum sollte man nicht andererseits die zulässige Höchstgeschwindigkeit von Mopeds von 40 km/h auf 50 km/h heraufsetzen, nämlich genau dorthin, wo ohnehin das innerstädtische Tempolimit liegt?
Ein letzter Punkt unseres Antrags zielt auf die Ausstattung der Motorräder, Mopeds und Mofas ab. Wir brauchen dringend Sicherheitsstandards. Wir brauchen das sichere Fahrzeug. Hier gibt es verdienstvolle Vorarbeiten. Bei dem relativ kleinen und unscheinbaren Zweirad muß bei der Festlegung des Sicherheitsstandards das Prinzip des Gesehenwerdens Vorrang haben, damit Unfälle nach Möglichkeit überhaupt nicht passieren.
Die Vorschläge des ADAC beispielsweise enthalten einen Katalog dringend notwendiger Maßnahmen, die zu erschwinglichen Preisen realisierbar wären. Uns ist deutlich, daß wir, der Gesetzgeber, darauf achten müssen, daß hier zahlreiche Änderungen der Straßenverkehrs-Ordnung und der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung notwendig sind. Schon deshalb ist Eile geboten.
Nach einer neuen Studie des HUK-Verbandes gab es bei Unfällen von Pkws bei den Insassen 5 °/o Tote und Schwerverletzte. Bei den Motorrädern steigt der Anteil der Toten und Schwerverletzten sprunghaft auf 60 °/o an. Unsere Autos sind sicherer geworden, die Motorräder müssen es werden.
Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen, und ich gebe meiner Hoffnung Ausdruck, daß wir uns wie so oft in Fragen der Verkehrssicherheit im Interesse der notwendigen Aufgabe zu einer Einigung bereitfinden.
Das Wort hat der Abgeordnete Peiter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Sicherheit im Straßenverkehr gehört unser aller besondere Aufmerksamkeit. Das war gestern so, ist heute so und wird morgen genauso sein. Daher hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung schon vor langer Zeit aufgefordert, der Verbesserung der Verkehrssicherheit eine besondere Priorität einzuräumen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf das von der Bundesregierung vorgelegte Verkehrssicherheitsprogramm von 1973 verweisen, auf den dazugehörigen Maßnahmen-Zeit-Katalog sowie die 1975 vorgelegte Fortschreibung des Verkehrssicherheitsprogramms. Der Deutsche Bundestag wird über die Maßnahmen auf dem Gebiet der Unfallverhütung durch Bericht der Bundesregierung laufend unterrichtet. Er hat so die Möglichkeit, intensiv an den vorbereitenden Arbeiten mitzuwirken, wie es auch bereits in der Vergangenheit geschehen ist.
Ich mache diese einleitende Bemerkung deshalb, um klarzustellen, daß auf dem Gebiet der Verbesserung der Verkehrssicherheit vom Bund und von den Ländern intensiv gearbeitet wird. Der Antrag der CDU/CSU zur Verbesserung der Verkehrssicherheit für motorisierte Zweiradfahrer könnte bei Nichtsachkundigen den Eindruck erwecken, als müsse die Bundesregierung aus einer angeblichen Inaktivität aufgeschreckt werden.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4873
Peiter
— Ich bin dankbar, wenn Sie — —
Daß ein solcher Eindruck falsch ist — ich freue mich,
Herr Kollege Straßmeir, daß Sie das bestätigen —,
daß vielmehr im Bundesverkehrsministerium die Vorarbeiten zur notwendigen Änderung der Verordnung vorangeschritten, ja, abgeschlossen sind, ist eine Tatsache. Sie erklärt auch sicherlich die Einbringung Ihres Antrages.
—,Ja, wenn der Informationsfluß von der Regierung zu Ihnen, dessen Fehlen Sie uns und der Öffentlichkeit immer weismachen wollen, nicht wäre, wären Sie auch nicht so gut informiert darüber, daß Ihre Vorschläge weitergehen als die der Regierung. Irgendein Kanal ist wohl doch dagewesen.
Wir brauchen das hier nicht so breitzutreten. Sie wissen genau, was ich sagen will. Zwischen der Einbringung Ihres Antrages und dem Abschluß der Vorarbeiten im Ministerium liegen etwa fünf Tage.
— Aber das ist vielleicht zu weitgehend. Wir sind ja hier, um auf diesem Gebiet eine Gemeinsamkeit nicht nur zu demonstrieren, sondern wirklich zu zeigen und in die Tat umzusetzen.
Zur Unfallentwicklung, die Sie, Herr Kollege, eben vorgetragen haben, möchte ich keine Bernerkungen machen. Sie spricht für sich. Sie belegt, daß die Maßnahmen, über die demnächst zu entscheiden sein wird, bitter notwendig sind. Andererseits wird hieraus eine gewisse Renaissance des Kraftrades, des Kraftzweirades deutlich, was leider wiederum auf die Unfallentwicklung einen ganz gewaltigen negativen Einfluß hat.
Zu dem vorliegenden Antrag darf ich nur einige wenige Bemerkungen machen; denn wir wollen uns doch im Ausschuß mit diesen Gedanken, den Problemen, den Vorschlägen von Ihnen und mit den Vorlagen der Regierung beschäftigen und darüber entscheiden. Sie wissen, daß die geforderte Pflicht zum Tragen von Schutzhelmen von uns allen bejaht wird und daß sie nach unserer Auffassung auszudehnen ist. Ein Referentenentwurf, der Moped-und Mokickfahrern das Tragen von Helmen gebietet, soll in Kürze mit den Verbänden erörtert werden. Entsprechend der Empfehlung der Länderverkehrsminister vom 2. und 3. November dieses Jahres in Saarbrücken soll vorerst kein Bußgeld bei einem Verstoß gegen diese künftigen Vorschriften erhoben werden.
Die Verkehrsminister der Länder haben sich in Saarbrücken weiter über eine Anhebung der an das Führen von motorisierten Zweirädern zu stellenden Anforderungen ausgesprochen. Dieser Auffassung können und müssen wir angesichts der Unfallentwicklung beipflichten; denn auch und gerade Vorschriften für die Zulassung von Personen zum Kraftfahrzeugverkehr sind dazu geeignet, einen Beitrag zur Verbesserung der Verkehrssicherheit zu leisten. Im Februar des kommenden Jahres werden ja die zuständigen Länderreferenten nach Bonn kommen, um diese vorbereitenden Besprechungen zu führen.
Im Bundesverkehrsministerium bestehen bereits konkrete Überlegungen zur Änderung des Rechts der Fahrerlaubnis für motorisierte Zweiräder. Es soll für Mofafahrer die Schulverkehrserziehung in den kommenden Jahren intensiviert werden. Die Deutsche Verkehrswacht wird, wie Sie eben schon sagten, Mofakurse an Schulen erproben. Die freiwillige Erwachsenenausbildung müßte seitens der Verbände ausgeweitet werden. Amtliche Prüfungen wird es aber — ich glaube, da sind wir uns einig — auch in Zukunft noch nicht geben.
In den höheren Klassen der Fahrzeugarten Moped/Mokick sowie der Kleinkrafträder sollten nicht nur die Voraussetzungen für eine bessere Ausbildung geschaffen werden; auch die amtliche Prüfung setzt neue Maßstäbe. In der theoretischen Prüfung werden für Moped- und Mokickfahrer nach den Vorstellungen aus dem Bundesministerium für Verkehr künftig nicht nur ausreichende Kenntnisse der Verkehrsvorschriften verlangt, sondern für die Erwerber des Kleinkraftradführerscheins ist die Einführung einer praktischen Prüfung zu erwarten.
Die Führerscheinbewerber für Krafträder schließlich, also für die größeren Maschinen, sollen künftig auch besser ausgebildet und strenger geprüft werden. Die praktische Prüfung sollte nach unserer Auffassung in Zukunft 30 Minuten dauern.
Aber auch zu den anderen Punkten, die Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, in Ihrem Antrag unter den Ziffern 1 bis 4 angeführt haben
— so zur Frage der Nachschulung insbesondere jugendlicher Zweiradfahrer, zum Problem der Schutzkleidung, der technischen Begrenzungsmerkmale und des Sicherheitsstandards für den Bau von Zweirädern —, bestehen bereits konkrete Überlegungen und Modelle.
— Sie haben nicht recht zugehört, Herr Kollege. Ich habe gesagt: im Bundesministerium für Verkehr und in der zuständigen Arbeitsgruppe der Bundestagsfraktion der Sozialdemokraten. Ich meine, ich hätte es eben so gesagt.
Aber dies alles jetzt im Detail ausführen zu wollen hieße doch, die Ausschußarbeit in das Plenum zu verlegen. Das wollen Sie nicht, und ich meine, wir sollten es auch nicht tun. Wir wollen im Ausschuß zu einem guten Ergebnis kommen, und daran zweifle ich auch nicht.
Ich habe eben gehört, daß etwas Endgültiges erst im Herbst nächsten Jahres vorliegen soll. Ich glaube, da darf ich Ihnen widersprechen. Wir werden viel weniger Zeit dazu brauchen, bis diese Verord-
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Peiter
nungen, die so dringend notwendig sind — da sind wir uns alle einig —, in Kraft treten.
— Wir werden es erleben.
Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß die vorliegenden Entwürfe, soweit sie uns bekannt sind, grundsätzlich zur Verbesserung des Verkehrsverhaltens und damit zur Verbesserung der Verkehrssicherheit- motorisierter Zweiradfahrer geeignet sind. Wir gehen davon aus, daß wir im Ausschuß ausreichend Gelegenheit nehmen werden, im einzelnen hierzu Stellung zu nehmen.
Ich darf zum Schluß nochmals feststellen, daß offensichtlich Einigkeit darüber besteht, in diesem Bereich aktiv zu werden.
Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der Opposition, hat dazu beigetragen, aufzeigen zu können, daß die Bundesregierung bereits sehr weit mit den notwendigen Vorarbeiten ist. Für die Fraktion der SPD darf ich erklären, daß wir dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrats zustimmen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der verkehrspolitischen Debatte am Donnerstag vergangener Woche hat der Kollege Milz beklagt, ich ginge offenbar davon aus, daß ein Antrag, sofern er von der Union komme, von vornherein schlecht sei und deshalb abgeputzt werden müsse.
Dieser Eindruck des Kollegen Milz, der jetzt leider nicht hier ist, ist falsch. Er hätte sich diesen Vorwurf ersparen können, wenn er genau zugehört hätte und meine Ausführungen korrekt aufnehmen und zur Kenntnis nehmen würde; denn ich hatte den Oppositionsantrag in erster Linie als ein weiteres Beispiel dafür kritisiert, daß Sie wohl im Rahmen der arg schleppenden Herbstoffensive enorme Anstrengungen unternehmen, um vor der deutschen Öffentlichkeit als überaus aktiv zu erscheinen, und dabei offene Türen einrennen, indem Sie nämlich Projekte präsentieren, von denen auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, ganz genau wissen, daß sie sich in zügiger parlamentarischer oder administrativer Bearbeitung befinden.
Ihre Ungeduld richtet sich nur scheinbar auf die Lösung drängender Fragen. In Wahrheit, Herr Tillmann, handelt es sich um vordergründige Manöver um des parteipolitischen Vorteils willen. Die Prozedur ist also anscheinend wichtiger als die Substanz. Sofern Sie auch heute noch einen Parkettplatz auf der verkehrspolitischen Tribüne einnehmen sollten,
verdrängen Sie sich mit solchen Initiativen selbst immer mehr in die hinteren Ränge.
Daß Sie so häufig zu spät kommen und die Ideen anderer aufschreiben, gilt eigentlich auch für Ihren Antrag zur Verbesserung der Verkehrssicherheit für motorisierte Zweiradfahrer, dem die Freien Demokraten inhaltlich ansonsten durchaus positiv gegenüberstehen.
Gerade die FDP hat bekanntlich seit langem immer wieder auf die erschreckende Unfallbilanz bei den motorisierten Zweiradfahrern hingewiesen
und wirksame Maßnahmen zur Abhilfe gefordert. Auch Ihnen, Herr Kollege Sick, ist es sicher nicht entgangen, daß wir am Anfang zusammen mit anerkannten Verkehrs- und Unfallmedizinern einsame Rufer hinsichtlich der Erhöhung der Verkehrssicherheit für Motorrad-, Moped- und Mofafahrer waren. Damals wäre Ihre Hilfe recht nützlich gewesen.
So hatte noch Anfang Februar des Jahres selbst der Bundesverkehrsminister meinen parlamentarischen Vorstoß abschlägig beschieden,
wegen der immer alarmierenderen Unfallzahlen nunmehr auch für Fahrer von Motorrädern über 50 ccm, für Moped- und Mofafahrer, also für alle. Fahrer von motorisierten Zweirädern das Tragen von Schutzhelmen während der Fahrt vorzuschreiben. Ebenso stand das Verkehrsministerium damals auch meiner Forderung ablehnend gegenüber, einen Verstoß gegen die Schutzhelmtragepflicht als Verkehrsordnungswidrigkeit zu verfolgen. Am 3. März 1977 z. B. hatte auf Initiative des Hessischen Ministers für Wirtschaft und Technik, meines Parteifreundes Heinz Herbert Karry, das Land Hessen im Bundesrat einen entsprechenden Entschließungsantrag zur Änderung der §§ 20 Abs. 2 und 29 Abs. 1 der Straßenverkehrs-Ordnung vorgelegt — nicht eines der von Ihnen geführten Länder —, über den in der morgigen Sitzung des Bundesrates entschieden werden soll.
Für meine Fraktion hatte ich schon damals begrüßt, daß auch der Bundesverkehrsminister im Rahmen der Verkehrsministerkonferenz am 2. und 3. November 1977 in Saarbrücken die ernste Lage bei der Unfallentwicklung der motorisierten Zweiradfahrer nun anerkannt hat und den- Beschluß der Verkehrsminister und -senatoren der Länder unterstützt, die Schutzhelmtragepflicht auf alle Fahrer motorisierter Zweiräder mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von mehr als 25 km/h auszudehnen. Gleichwohl bedauern und kritisieren wir diesen Beschluß — und insoweit auch Ihren Antrag — insofern, als nämlich die Fahrer von motorisierten Zweirädern, die eine bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von weniger als 25 Stundenkilometer haben, also in erster Linie die Mofafahrer, von der Helmtragepflicht ausgenommen werden
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Hoffie
und man ebenfalls nicht beabschtigt, generell für die
Bußgeldbewehrung der Helmtragepflicht einzutreten.
Die FDP-Fraktion ist der Auffassung, daß der Helm bei allen motorisierten Zweiradfahrern vor allem die Zahl der Toten und Schwerverletzten ganz beträchtlich verringern würde. Bedeutsam und bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Erfahrung, daß bei den verschiedenen Arten motorisierter Zweiräder praktisch identische Verletzungen — auch in gleicher Häufigkeit — auftreten und die Geschwindigkeit des Fahrzeugs eben nicht der ausschlaggebende Faktor ist. Von daher ist das Ausklammern der Mofas, die als Fortbewegungsmittel zur Schule und zum Arbeitsplatz das Fahrrad inzwischen mehr und mehr ersetzen und deren Fahrer bei gleicher Fahrleistung vierzehnmal häufiger in einen Unfall mit schweren Verletzungsfolgen verwickelt werden als ein Autofahrer, unverständlich und kaum zu begründen. Die vorgebrachten Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Mofa und Fahrrad verkennen aber, daß ein Fahrrad nicht annähernd so schwer beherrschbar ist wie ein Mofa. Es ist daher gefährlich und schwer zu verantworten, die Ergebnisse der Untersuchung bezüglich der Helmtragepflicht für Fahrer von Mopeds und gleichgestelltem Gerät abzuwarten, bevor man den Helm dann auch eventuell für Mofas vorschreibt.
Gleichfalls negativ beurteilen wir, daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, mit der knappen Mehrheit der Verkehrsministerkonferenz zum jetzigen Zeitpunkt von einer allgemeinen Bußgeldbewehrung der Helmtragepflicht absehen wollen. Mit der rasanten Absatzentwicklung bei motorisierten Zweirädern ging leider ein überproportionaler Anstieg der Unfälle einher. Während im Vergleich zum Vorjahr 1976 die Zahl der getöteten Autofahrer um 3,8 % zurückging und die Zahl der Schwerverletzten stagnierte, kamen im letzten Jahr fast 20 % mehr Moped- und Mofafahrer ums Leben, und knapp 15 % mehr Verletzte waren zu zählen. Die Zahl der verletzten Motorradfahrer erhöhte sich von 1975 auf 1976 um beinahe 18 % — bei geringem Anstieg der Zahl der Getöteten. Nach heutigen Schätzungen — jeweils bei. gleicher Fahrleistung — wird ein Mofafahrer, wie gesagt, vierzehnmal, ein Mopedfahrer dreizehnmal und ein Kraftradfahrer dreiundvierzigmal häufiger in einen Unfall mit schwerer Verletzungsfolge verwickelt als ein Autofahrer.
Wie hoch das Risiko der Zweiradfahrer ist, zeigt sich z. B. auch daran, daß von 1 000 Kleinkraftradfahrern mindestens 300 pro Jahr einen Unfall erleiden. Bei Fahrern schwerer Motorräder mit mehr als 500 Kubikzentimetern sind es alljährlich sogar 400 von 1 000. Also nahezu jeder zweite erleidet einen Unfall. Ein Drittel bis 50 °/o — die Statistiken schwanken hier — alle Verletzungen bei Zweiradfahrern betreffen die Schädel- und Genickwirbelzone. Umfragen haben ergeben, daß sich die Zweiradfahrer dieser Gefährdung durchaus bewußt sind und auch des Umstandes, daß ein ordentlicher Helm einen vernünftigen Schutz bietet. Groteskerweise verhält sich aber ein großer Teil eben so, als ob man — frei nach Ludwig Thoma — den Kopf zum Schutz, als Knautschzone des übrigen Körpers hat, und zieht
den Helm, den man sogar mitnimmt, nicht an, insbesondere in den wärmeren Jahreszeiten. Wenn angesichts dieser Gefährdung für Leib und Leben ein großer Teil der Zweiradpiloten nicht zum Denken und zu selbstverantwortlichem wie zu sozialem Handeln veranlaßt wird, muß der Gesetzgeber, um diese bedrohliche Unfallentwicklung zu stoppen, handeln, indem er eine Verletzung der Helmtragepflicht als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeld verfolgt. Gerade wir als liberale Politiker, die wir für so viel individuelle Freiheit wie nur möglich auch im Straßenverkehr eintreten, bedauern diese ultima ratio verständlicherweise sehr. Aber es scheint so zu sein, daß sich eine gewisse gefährliche, zweifelhafte Freiheitsausübung auf Dauer nur über den Geldbeutel abwenden läßt. Im Interesse der Gesundheit zahlreicher Menschen muß man dann auch den Mut für derartige Vorschriften aufbringen.
In diesem Zusammenhang ist es auch nicht einsichtig, warum mit der Bußgeldbewehrung der Helmtragepflicht gewartet werden muß, bis eine Entscheidung über die Frage herbeigeführt worden ist, ob die Gurtanlegepflicht im Auto — auch hierüber wird ja bald eine Entscheidung zu fällen sein — ebenfalls bußgeldbewehrt sein sollte. Ein solches nicht zwingendes Junktim sollte nicht geknüpft werden.
Unsere volle Unterstützung findet die generelle Anhebung der Anforderungen an das Führen motorisierter Zweiräder. Gerade das ist ja eine alte FDP-Forderung. Es müssen beispielsweise alle Anstrengungen unternommen werden, damit die Führer eines Mofas ausreichende Kenntnisse der Verkehrsvorschriften und der einschlägigen Gefahrenlehre besitzen und damit ein weit gestreutes Angebot an Ausbildungsmöglichkeiten hierfür durch Mitwirkung auch von Schulen und Verbänden geschaffen wird. Auch eine gewisse theoretische Prüfung sollte eingeführt werden.
Wir begrüßen das Vorhaben der Landesverkehrsministerkonferenz, die Zweiräder der Klasse 5 in die Führerscheinklasse 4 zu überführen und über die theoretische Prüfung hinaus die praktische Fahrprüfung für die Klasse 4 vorzuschreiben. Gleichfalls sinnvoll ist eine strengere und umfassendere Ausbildung für die Fahrerlaubnis der 'Klasse 1, also der schwereren Motorräder.
Diskutiert werden muß in diesem Zusammenhang im Ausschuß auch, ob es sinnvoll ist, die reformbedürftige Führerscheinklasse 1 beispielsweise insoweit zu splitten, daß wie etwa in der Schweiz die Erlaubnis zum Fahren schwerer Maschinen von der Fahrpraxis auf leichteren Motorrädern abhängig gemacht wird. Die Erfahrungen mit dieser Regelung sind mit einem signifikanten Rückgang der Schadenshäufigkeit in unserem Nachbarland überaus positiv. Wir sollten nicht davor zurückschrecken, solche hervorragenden Ergebnisse aus anderen Ländern zu übernehmen.
Bei dem gesamten Maßnahmenkatalog zu diesem Komplex, der ja auf Referentenebene schon in Arbeit ist, ist es sicher wünschenswert, zu einer einheitlichen oder zumindest abgestimmten EG-Regelung zu kommen. Da dies aber erfahrungsge-
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Hof fie
mäß ein zeitraubendes Unterfangen ist, sollten Bund und Länder nicht zögern, vorab diese Bestimmungen im Alleingang zu ändern.
Auch die von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, angesprochene freiwillige punktemindernde Nachschulung aller Mehrfachtäter mit 1 bis 13 Punkten in der Flensburger Kartei wird von den Freien Demokraten begrüßt. Da sollte das bayerische Modell durchaus Pate stehen dürfen. Über die genauen Modalitäten für eine solche Nachschulung werden wir im Ausschuß bei der Beratung der anstehenden Reform des Mehrfachtäter-Punktsystems zu sprechen haben.
Eine weitere Verbesserung der Verkehrssicherheit für Zweiradfahrer läßt sich über das Anlegen von Schutzkleidung hinaus sicher auch dadurch erreichen, daß — wie ich erstmals im Jahre 1974 gefordert habe — die Zweiräder mit größeren und reflektierenden Kennzeichen ausgestattet werden, die sich in der Farbe auch von den übrigen Kontrollschildern unterscheiden, und daß man das Tragen von Schutzhelmen mit reflektierendem Oberflächenmaterial vorschreibt, das ja mehrere hundert Meter weit wirkt. All dies ist um so sinnvoller, als 30 % aller Zweiradunfälle sich nachts ereignen. Das ist ein im Vergleich zum Auto überraschend hoher Anteil.
Nach § 30 der Straßenverkehrszulassungsordnung sind Fahrzeuge so zu bauen und auszurüsten, daß erstens ihr verkehrsüblicher Betrieb niemanden schädigt oder mehr als unvermeidbar gefährdet, behindert oder belästigt, und zweitens die Insassen insbesondere bei Unfällen vor Verletzungen möglichst geschützt sind und das Ausmaß und die Folgen von Verletzungen möglichst gering bleiben.
Hieraus ergibt sich für den Fahrzeughersteller, was den letzten Punkt Ihres Antrags anlangt, die kontinuierliche Verpflichtung, die Konstruktion der Fahrzeuge neuen Erkenntnissen der Verkehrssicherheit, soweit es der Stand der Technik ermöglicht, anzupassen. Das schließt nicht aus, daß der Verordnungsgeber von Fall zu Fall konstruktive Änderungen an den Fahrzeugen zwingend vorschreiben kann, wenn damit nachweislich die Beschaffenheit und die Verkehrssicherheit der Fahrzeuge verbessert werden. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind solche gesetzlichen Vorhaben aber nur dann empfehlenswert, wenn gesicherte Erkenntnisse darüber vorliegen, daß das angestrebte Ziel mit vertretbarem Aufwand erreicht werden kann. Es wäre daher sinnvoll, wenn im Rahmen eines Forschungsauftrages der Gesamtkomplex Verkehrssicherheit bei Zweiradfahrzeugen untersucht wird, bevor zusätzliche Sicherheitsstandards in Form von Wirk-, Bau- oder Ausrüstungsvorschriften in der Straßenverkehrszulassungsordnung festgeschrieben werden. Nachdem anscheinend in der Frage der Verbesserung der Verkehrssicherheit für motorisierte Zweiradfahrer mittlerweile ein breiter, auch interfraktioneller Konsens vorliegt, sollte es überhaupt nicht schwer sein, diesen Komplex schnell und erfolgreich abzuschließen.
Die FDP-Bundestagsfraktion, die sich schon lange darum bemüht, die mit dem Motorrad-, Moped- und
Mofafahren verbundenen Gefahren zu. entschärfen, sieht es Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition nach, daß die in Ihrem Antrag enthaltenen Forderungen entweder bereits verwirklicht oder in einem Vorbereitungsstadium sind, und im Jahr 1978 endgültig abgeschlossen werden sollen. Trotz des Sprichwortes „Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul" sind wir verständlicherweise etwas verlegen, wie wir uns angesichts Ihres Weihnachtsgeschenks bedanken sollen, wenn Sie uns unsere eigenen Vorschläge hier präsentieren.
Da ist es wirklich nur gut, daß die Ausschußberatungen über Ihren Antrag erst im neuen Jahr stattfinden, für das ich Ihnen und uns allen von dieser Stelle aus
— auch Ihnen, Herr Dr. Schulte — gute Fahrt auf
vier Rädern, drei Rädern und zwei Rädern, aber
natürlich auch auf Trittbrettern wünschen möchte.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Nach dem Überweisungsvorschlag soll der Antrag dem Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen überwiesen werden. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich darf eine Korrektur anbringen. Der Antrag auf Drucksache 8/1206 Punkt 5 der Tagesordnung —, der heute vormittag behandelt wurde, soll entgegen dem vom Plenum angenommenen Überweisungsvorschlag auf der ausgedruckten Tagesordnung nach einer Vereinbarung des Ältestenrats an den Innenausschuß — federführend — sowie an den Rechtsausschuß und an den Haushaltsausschuß — mitberatend — überwiesen werden. — Es erhebt sich kein Widerspruch; so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU
Verkehrsbeziehungen mit den RGW-Ländern — Drucksache 8/1292
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Sick.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Debatte über die Verkehrsbeziehungen zu den osteuropäischen Ländern stehen wir am Beginn eines außerordentlich wichtigen, aber sicher nicht ganz einfachen politischen Prozesses. Das Ziel dieses Prozesses ist es, eine Entwicklung einzuleiten und dann mit brauchbarem Ergebnis abzuschließen, die zu einem zufriedenstellenden Ver-
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Sick
hältnis zwischen unserer nationalen Verkehrswirtschaft und derjenigen der RGW-Staaten führt.
Daß wir uns dabei nicht nur in nationaler Zuständigkeit bewegen, sondern zum Teil auch EG-Recht werden beachten müssen, sei nur der Vollständigkeit halber, aber auch wegen der Gewichtung erwähnt. Ich selbst will das, was wir mit diesem Antrag bezwecken, in zwei Komplexen begründen: dem technisch-wirtschaftlichen und dem sachlich-politischen. Uns geht es darum — ich beginne mit dem, was wir vielleicht im eigenen Hause tun können —,auch die vorhandenen Rechtsvorschriften für die Durchsetzung unserer verkehrspolitischen Absichten nutzbar zu machen. Ich denke dabei an die Verträge im Rahmen der KSZE, die heute nur handelsspezifische Tatbestände beschreiben. Ich denke an die Bestimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes, die heute auch nur handelsspezifische Tatbestände umschreiben. Man kann hier den Musterhandelsvertrag der EWG einbeziehen und wird dies wohl auch tun müssen. Es kommt darauf an, daß unsere verkehrspolitischen Interessen nicht den handelspolitischen quasi als Beiwerk und Nebenwerk untergeordnet werden.
Wenn wir Sie, meine Damen und Herren von der Koalition und insbesondere die Bundesregierung —diese ist inzwischen immerhin vertreten —, heute drängen, daß Sie Ihre grundsätzliche Position umreißen, daß Sie sagen, was Sie unter Ausgewogenheit verstehen, wie Sie einen Kodex aufstellen wollen, der. feststellt, wann eine mißbräuchliche Ausnutzung z. B. der Niederlassungsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland durch die RGW-Staaten gegeben ist, welche Regelungen und wie diese Regelungen mit den RGW-Staaten zur Sicherung unserer angemessenen Beteiligung herbeigeführt werden sollen, dann sollte das vielleicht einmal vor dem Hintergrund einer Zahl geschehen, damit die Größenordnung sichtbar wird. An den Verkehrsbeziehungen zwischen Sowjetrußland und der Bundesrepublik Deutschland sind deutsche Verkehrsunternehmer nur mit 1,5 % des Volumens beteiligt.
Ich glaube, es ist einsehbar, daß dies nicht so bleiben darf; ich meine: auch im Interesse der anderen Seite nicht. Selbstverständlich wünschen wir, ihre Absichten erkennen zu können, um sie dann mit unseren messen zu können, damit wir uns entweder einigen oder im Zweifel um der Sache willen auch streiten können, denn gerade in Verhandlungen mit den Ostblockstaaten — meine Damen und Herren, ich glaube, das haben wir alle gelernt — kommt es darauf an, seine eigene Position sehr klar und deutlich darzustellen, sie aber ebenso deutlich und entschieden dann zu vertreten.
Lassen Sie mich einmal das Problem als solches nur in einigen Punkten umreißen, damit wir sehen, worum es geht, wie weit heute bereits — ich muß hier sagen: durch Versäumnisse der Bundesregierung — Verhältnisse eingetreten sind, die jedem von uns Besorgnis einflößen. Es geht um die Probleme der Seeschiffahrt, der Eisenbahn, des Straßenverkehrs einschließlich des Speditionsgewerbes, der Binnenschiffahrt. Wenn ich neuerdings höre, was sich auf dem Gebiet der Luftfahrt tut — ich denke an
Aeroflot, an die Äußerungen zur Lufthansa —, muß ich sagen: wir werden da sehr genau aufpassen müssen. Wir sehen — das ist natürlich für Nichtverkehrspolitiker eine trockene Materie —, welche Bestrebungen im Gange sind: Neubau Helmstedt, Container-Terminal Braunschweig mit Übergriff auf die Transsibirien-Containerlinie. Herr Kollege Mahne, wir wissen, was wir da meinen. Hier haben wir aufmerksam zu sein. Nur um darzulegen, wie weit Sowjetrußland bereits bei uns beteiligt ist, nenne id das Stichwort „Wesotra" : 52 % russische Beteiligung, 16 % Schenker, 16 % Kühne & Nagel, 16 % Pracht. Das zeigt, wohin diese Reise geht. Sehen wil uns beispielsweise die Entwicklung der Genehmigungen nur für die Firma Schenker an. Die Zahl. der Genehmigungen lag bisher im Durchschnitt der Monate bei 200 und ist im Oktober plötzlich auf 600 hinaufgeschnellt. Wir müssen also versuchen, die Entwicklung in den Griff zu bekommen.
Noch ein praktischer Hinweis: Die Bundesregierung hat auf unsere Kleine Anfrage in einem Sinn geantwortet, der uns an sich zufriedenstellt. Aber, meine Damen und Herren, was mit der Eröffnung des Rhein-Main-Donau-Kanals auf uns zukommt was wir erleben werden, wenn wir nicht vorher unsere Positionen geklärt und fixiert haben, was uns erwarten wird auf dem verkehrspolitischen Gebiet Binnenschiffahrt, Bundesbahn, Straßenverkehrs Bewerbe einschließlich Spedition — dagegen wird das, was wir heute schon an Schwierigkeiten haben ein Kinderspiel sein. Es ist bekannt, daß die Sowjetunion z. B. über unsere Position — Versailler Vertrag, Mannheimer Akte — ganz anders denkt als wir und auch als unsere Bundesregierung. Wir wissen miteinander, was auf uns zukommen kann Daraus folgt, daß hier unverzüglich gehandelt werden muß, damit die Schäden nicht noch größer und im Zweifel irreparabel werden. Wir dürfen hier: auch nicht unter Zeitdruck geraten. Gerade von Verhandlungen mit der Sowjetunion, die ja unser größter Verhandlungspartner ist, wissen wir aus leidvoller Erfahrung, daß eine durch Zeitdruck geschwächte Position gegen uns ausgenutzt wird.
Lassen Sie mich noch einige wenige Worte zu der sachlich-politischen Begründung unseres Antrages sagen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß der Kollege, der hier nachher sprechen wird, sagen wird — wie sagte noch der Kollege Hoffie? —: Ihr rennt ja wieder einmal offene Türen ,ein; das haben wir dorch alles schon gemacht. Herr Gscheidle war doch schon in Moskau. Meine Damen und Herren, wo die Versäumnisse liegen, wird daran deutlich, daß z. B Frankreich und Osterreich ihre Beziehungen au diesem Gebiet bilateral zur allgemeinen Zufrieden heit geregelt haben. Es geht also schon; man mul es nur tun und es rechtzeitig anfassen, mid das is hier nicht geschehen.
Woran wir als Opposition interessiert sind, mein( Damen und Herren, ist, daß die Methode Ihrer Poli
tik gegenüber dom Oston nicht auch boi dioson
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Verhandlungen angewendet wird, die Methode, die wir auch in der allgemeinen Debatte kritisiert haben — dabei ging es uns niemals um den Grund, um diese Politik an sich —, die Methode nämlich, die eigenen Positionen einfach um des sogenannten lieben Friedens willen zu schnell aufzugeben. Dies kann nur zu einer falschen Politik führen, weil es das Wichtigste lebendiger Verträge nicht erfüllt, nämlich das Vertrauen in die Verträge und das Vertrauen darauf, daß jeder zu seinem Recht gekommen ist.
Daß wir auf diesem Sektor Kompromisse brauchen, daß es ohne sie nicht geht, ist selbstverständlich, und das wird auch jeder Vernünftige einsehen. Aber es dürfen keine faulen Kompromisse sein. Wir als Opposition wollen hier noch ein ganz klares Wort zu einem — das gebe ich ohne weiteres zu — schwierigen Komplex sagen: Wir werden darauf achten, daß in diese Verträge vernünftige, brauchbare, haltbare Berlin-Klauseln hineinkommen.
Das ist eine ganz entscheidende Sache.
Wir wollen natürlich auch aus einem anderen Grunde brauchbare Verträge: Verträge binden, gleichgültig welche Regierung dieses Land führt, und da wir die Absicht haben, die Regierung in diesem Lande zu übernehmen,
wollen wir dann auch brauchbare Verträge vorfinden und uns nicht mit unbrauchbaren herumschlagen.
— Ja, darüber werden wir uns wohl noch oft unterhalten.
Meine Damen und Herren, die Ergebnisse dieser Politik dürfen nicht den Keim neuen Streits in sich tragen. Wir alle miteinander — weder wir noch die andere Seite — hätten davon nichts. Wir müssen brauchbare und verläßliche Verträge erhalten und zu ordentlichen Ergebnissen kommen.
Hier gibt es einen Punkt, den wir gleich anschneiden müssen: Kompromisse ja, aber die Erhaltung nur des Status quo genügt bereits nicht mehr. Wir müssen nach vorn verhandeln, aktiv und mit dem Ziel der Verbesserung der heute bereits vorhandenen Zustände, denn die einzelnen Verkehrsträger bei uns sind schon in einem gar nicht unwichtigen Ausmaß geschädigt. Und bei unserer Struktur ist es so, daß dann, wenn ein Element geschädigt wird, die ganze Struktur geschädigt ist.
Es kommt ein anderes hinzu: Das ist die besondere Art unserer Verkehrsunternehmen, die ja in sich im wesentlichen mittelständisch strukturiert sind. Hier können sehr leicht irreparable Schäden auftreten.
Deshalb habe ich Verständnis dafür, wenn der Herr Bundeskanzler die Federführung bei diesen Verhandlungen von Herrn Gscheidle weggenommen und dem Bundesaußenminister zugewiesen hat.
Ich glaube in der Tat, daß diese Schuhe für Herrn Gscheidle doch ein paar Nummern zu groß sind.
Die aus der Tagesordnung zu entnehmende Tatsache, daß der Bundeswirtschaftsminister mit eingeschaltet ist, begrüßen wir; wir hätten. das sonst beantragt, denn der Zusammenhang zwischen Handel und Verkehr, der eindeutig verlorengegangen ist, muß wiederhergestellt werden.
Zum Schluß dies, meine Damen und Herren: Wir werden Sie und Ihre Politik kritisch und drängend beobachten, aber wir werden es nicht tun, um Ihnen zu schaden, sondern nur, um der Sache zu nützen.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Curdt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion betreffend die Verkehrsbeziehungen mit den RGW-Ländern soll offenbar dem Ziel dienen, Lösungen für das Problem der unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeit zwischen den deutschen Unternehmen des Güterverkehrs und den Speditionsmonopolen der Staatshandelsländer des Ostblocks zu suchen. Dabei geht es vordergründig darum, den Frachtanteil deutscher Güterverkehrsunternehmen im Osthandel zu erhöhen. Die unterschiedlichen Belastungen der in Konkurrenz miteinander befindlichen deutschen Privatunternehmen einerseits und der Monopolunternehmen der Ostblockstaaten andererseits — bedingt, wie Sie wissen, durch Steuern und Sozialabgaben in unterschiedlichen Wirtschaftssystemen — sollen nach den Vorstellungen der Opposition offenbar durch dirigistische Maßnahmen der Bundesrepublik ausgeglichen werden.
I Dadurch erhofft man sich offensichtlich ein größeres Entgegenkommen der Staatshandelsländer im Hinblick auf eine gleichwertige Betätigungsmöglichkeit für deutsche Unternehmen.
In ihrem Antrag nimmt die CDU/CSU-Fraktion Bezug auf die KSZE-Schlußakte, läßt dabei aber völlig außer acht, daß gerade sie es war, die am 25. Juli 1975 im Deutschen Bundestag den Antrag einbrachte, diese Akte nicht zu unterzeichnen.
Ob dadurch der vorliegende Antrag der Opposition an Glaubwürdigkeit gewinnt, muß deswegen sehr stark bezweifelt werden.
Die führende politische und wirtschaftliche Rolle der Sowjetunion im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe zwingt zu der Ansicht, daß eine Lösung
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Curdt
der offenen Probleme vor allem wohl im Wege der Verhandlungen mit der Sowjetunion gesucht werden muß. Dem haben auch die Verhandlungen und Gespräche von Bundesverkehrsminister Gscheidle anläßlich seiner Moskau-Reise durchaus gedient.
Lieber Herr Kollege Sick, wenn Sie hier möglicherweise aus Unkenntnis die federführende Rolle des Bundesverkehrsministeriums in der Frage der politischen Verhandlungsführung bezweifeln, kann ich Ihnen darauf nur entgegnen, daß es nicht so ist, wie Sie es dargestellt haben. Nach einer eingehenden Erörterung im Kabinett ist die federführende Rolle des Bundesministeriums für Verkehr ausdrücklich festgelegt worden.
Aus dem Bericht des Ministers am 21. Oktober in der Sitzung des Verkehrsausschusses, in der Sie sicherlich anwesend waren, Herr Kollege, geht eindeutig hervor, daß die von den Antragstellern aufgezeigten Probleme durchaus angesprochen worden sind. Ich darf in Erinnerung rufen, daß als Gesprächspartner immerhin der erste stellvertretende Ministerpräsident, Tichonow, sowie die zuständigen Ressortminister der Sowjetunion beteiligt waren. In diesem Zusammenhang, Herr Kollege, von Versäumnissen etwa des Ministers oder gar der Regierung zu sprechen, halte ich deswegen, weil wir ausführlich darüber informiert worden sind, in welch großem Maße der Minister zu den einzelnen Punkten Stellung genommen hat, für etwas unredlich.
Der von der Opposition in diesem Zusammenhang und auch sonst vertretenen Ansicht, daß dem Ministerbesuch Expertengespräche hätten vorangehen sollen, muß ich deutlich widersprechen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Straßmeir?
Immer!
Herr Kollege, können Sie bestätigen, . daß der Bundesminister eben in jener Ausschußsitzung festgestellt hat, daß er in bezug auf das Dumping überhaupt keine Zusagen durch seine sowjetischen Gesprächspartner bekommen hat?
Ich kann dies so nicht bestätigen, weil es weder aus dem Ausschußprotokoll hervorgeht noch ich persönlich mich dessen erinnere. Wie ich aber gern zugeben will, hat der Minister zum Ausdruck gebracht, daß das Gesamtproblem so schwierig ist, daß es langwieriger Verhandlungen bedarf. Aber dies bestätigt noch nicht die von Ihnen vorgetragene politische Ansicht zu diesem Problem.
Alle bisherigen Erfahrungen mit Ostblockländern zeigen — ich darf es wiederholen —, daß Expertengespräche erst dann sinnvoll sind, wenn zuvor politische Übereinstimmungen gefunden werden. Als Beispiel dafür darf-ich die auch schon vom Kollegen Sick angesprochene Frage der jeweiligen Berlin-
Klausel und die Schwierigkeiten erwähnen, sie in den bilateralen Verträgen mit Ländern des Ostblocks unterzubringen.
Aus diesen und anderen Gründen muß der Antrag der CDU/CSU als ungeeignet und, wie ich meinen möchte, sogar auch als zeitlich unangebracht zurückgewiesen werden. Er führt nämlich dazu, die laufenden Verhandlungen mit der Sowjetunion auf das schärfste zu belasten.
Die in den Verkehrsbeziehungen aufgetretenen Probleme sollen, wie der Bundesverkehrsminister in Moskau angekündigt hat, auf deutschen Antrag — das zeigt die Frage der Aktivität oder der von Ihnen hier zitierten vermeintlichen Inaktivität — in der deutschsowjetischen Wirtschaftskommission behandelt werden. Inzwischen ist dies ja auch am 28. Oktober 1977, also vor wenigen Tagen, in der vorbereitenden Arbeitsgruppe der Kommission beantragt worden.
Daneben soll zur Vorbereitung von Lösungen der dringlichen Probleme im Güterverkehr eine bilaterale Ad-hoc-Arbeitsgruppe von Sachverständigen unter Beteiligung des Verkehrsgewerbes zusammentreten. Ich meine, meine verehrten Kollegen von der Opposition, die Einbeziehung gerade der Träger des Verkehrs bei uns — Sie haben die Rolle des Verkehrsgewerbes, Herr Kollege Sick, ja hier herausgestellt — zeigt doch wohl das ehrliche Bemühen der Regierung, auch diejenigen, die unmittelbar betroffen sind, zu beteiligen und damit zu einer Lösung zu kommen, die möglicherweise den Interessen der Beteiligten weitestgehend gerecht werden kann.
Durch den Besuch des Bundesverkehrsministers in der Sowjetunion und die durch ihn erfolgte Darstellung der Probleme und Vorstellungen ist der führenden Wirtschaftsmacht im Ostblock die Notwendigkeit einer politischen Lösung dieser Fragen verdeutlicht worden. Es wird sicherlich — ich darf das noch einmal wiederholen; das ist auch meine Auffassung — sehr zäher Verhandlungen bedürfen, um die deutschen Vorstellungen zu verwirklichen. Aber Voraussetzung dafür ist nach unserer Meinung auch eine positive Weiterentwicklung des deutsch-sowjetischen Handels. Das Interesse beider Staaten am gegenseitigen Warenaustausch und dessen steigende Bedeutung für die Sowjetunion lassen den Schluß zu, daß in diesem Zusammenhang auch die handelspolitischen und verkehrspolitischen Probleme zwischen Ländern unterschiedlicher Gesellschafts- und Wirtschaftsordnungen lösbar sind.
In diesem Zusammenhang, lieber Herr Kollege Sick — Sie haben ja das Problem des Rhein-Main-Donau-Kanals angesprochen —, darf ich Sie auf eine Meldung der „Süddeutschen Zeitung" vom 14. Dezember verweisen, in der der bayerische Wirtschaftsminister Jaumann zu Befürchtungen über Dumpingpreise im Ost-West-Verkehr und hinsichtlich des Tarifwesens der Ostblockflotten gesagt hat, der Marktanteil der Binnenschiffahrt der Comecon-Staaten am innerdeutschen Aufkommen habe nur 0,1 % betragen, am grenzüberschreitenden Verkehr nur 2 % und im Transitverkehr nur 1 °/o der beförderten Gütermenge. Mit der Fertigstellung des Kanals
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werde sich keine grundlegend n eue Situation ergeben.
Ich möchte Sie also bitten, sich darüber einmal mit Ihrem bayerischen Kollegen zu unterhalten.
Die Vertragsproblematik gegenüber den RGW-Staaten zwingt die Bundesregierung zu bilateralen Verhandlungen. Nach unserer Auffassung haben diese aber nur dann einen Sinn, wenn die laufenden Bemühungen der Bundesregierung um eine vertragliche Regelung von Fragen des Güterverkehrs mit der Sowjetunion befriedigend abgeschlossen worden sind.
Der Antrag der CDU/CSU, liebe Kollegen, mag sicherlich nur einen mageren Anteil an dem Versuch der Opposition haben, eine politische Herbstoffensive zu starten.
Darüber ist es nun inzwischen, lieber Kollege, Winter geworden, ohne daß auch in diesem Fall erkennbar geworden wäre, welche politischen 'Vorstellungen die Opposition alternativ zur Regierungspolitik anzubieten hätte.
Wir sind, Herr Kollege, sehr gespannt, was davon in den Ausschußberatungen zu hören, möglicherweise auch nicht zu hören ist. Nach Auffassung der SPD-Fraktion ist der CDU/CSU-Antrag allenfalls dazu geeignet, beim deutschen Verkehrsgewerbe Hoffnungen zu erwecken, deren Erfüllung keine Bundesregierung in Gänze durchzusetzen vermöchte.
Darum vertrauen wir lieber auf die Bemühungen der Bundesregierung, von der jeder Bürger weiß, daß erst die sozialliberale Koalition den Weg zu einer Vertragspolitik gegenüber den Ostblockstaaten geöffnet hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Diskussion um Verkehrsanträge der Opposition in der vergangenen Woche wurde uns der Vorwurf gemacht, wir würden von vornherein alle Anträge der Opposition als schlecht und ablehnungswürdig bezeichnen. Ich habe versucht, diesen Eindruck, den Sie hatten, zu korrigieren. Ich habe nach einem Ihrer Anträge festgestellt, daß er in gewissen Teilen meine Sympathie und die Sympathie meiner Fraktion findet. Ich will nicht sagen, daß der Antrag, den wir jetzt behandeln, schlecht ist, aber er ist überflüssig. Man könnte ihn höchstens als nachgeschobene Grundlage für unsere Auseinandersetzung im Oktober im Verkehrsausschuß betrachten. Damals hatten Sie uns eine Entschließung bezüglich des Ost-West-Handels vorgelegt, die wir nicht verabschieden konnten.
— Wir könnten sie nicht verabschieden, wenn wir nicht die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, die wir uns selbst gegeben haben, verletzen wollten,
Daher haben wir Ihren Entschließungsantrag, der einen Auftrag an die Bundesregierung vorsah, abgelehnt und haben, statt Ihren Entschließungsantrag anzunehmen, als Ausschußmehrheit eine Feststellung getroffen. Das durften wir tun. Diese Feststellung bezieht sich auf einen Beschluß des Kabinetts, der genau das abdeckt, was Sie wollen: Die Bundesregierung möge ein verstärktes Augenmerk auf eine bessere Beteiligung deutscher Speditions- und Verkehrsbetriebe an der Abfertigung des Handels zwischen der Bundesrepublik und den Ländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe — schlicht und einfach Comecon-Länder genannt — richten. Der Kabinettsbeschluß vom 28. September, der vor Ihrer Entschließung gefaßt wurde, deckte alles das ab, was Sie in Ihrer Entschließung wollten. Er deckt auch das ab, was Sie jetzt in Ihrem Antrag fordern. Von der Materie her stimmen wir Ihrem Wollen zu. Des Antrags bedarf es aber nicht, denn die Regierung ist tätig geworden.
Wir haben es hier nun mit einem etwas schwierigen Problem zu tun. Das wissen wir alle. Herr Kollege Sick, wenn Sie fordern, man sollte zu zweiseitigen Verhandlungen unter Einbeziehung einer „anständigen" Berlin-Klausel kommen, so möchte ich Ihnen nur sagen, daß es gerade an der Berlin-Klausel, von der wir nicht abgehen wollen, scheitert, zu „anständigen" Verträgen zu kommen. Von daher kommt es zu den Kommissionen, die nunmehr ihre Arbeit beginnen. Alles das, was Sie wollen, wird in diesen Kommissionen behandelt.
Nun hat Herr Curdt von der SPD Ihre Sorge bezüglich des Rhein-Main-Donau-Kanals etwas zerstreut. Er hat Ihnen den ersten Teil der Stellungnahme von Herrn Jaumann zum Kanal vorgetragen. Jetzt möchte ich Ihnen angesichts der Sorge um die bundesrepublikanische Beteiligung am zweiseitigen Transportgeschehen zwischen den Ländern Mitteleuropas und den Ostblockländern den zweiten Teil der Stellungnahme von Herrn Jaumann vortragen. Er sagt auch dazu etwas. Ich zitiere mit der Genehmigung der Frau Präsidentin aus der „Süddeutschen Zeitung" vom 5. Dezember. Herr Jaumann, der Wirtschaftsminister des Freistaates Bayern, nahm ausweislich der „Süddeutschen Zeitung" wie folgt Stellung: Die verstärkte Diskussion um den Rechtsstatus des Kanals, meinte er, müsse man vor dem Hintergrund des bestehenden Devisenmangels der Staatshandelsländer sehen. Diese Länder müßten sich deshalb verstärkt — weil sie eben wenig Devisen haben, die sie ausgeben können, um unsere Güter zu kaufen — auf dem Transportmarkt engagieren. Sie müßten dort Devisen sparen, um Güter kaufen zu können. Diese vorrangig aus devisenwirtschaftlichen Überlegungen entstehenden Tatsachen würden zu einer gewissen Minderung des Außenhandelsdefizits der Oststaaten führen, was für die Ordertätigkeit, nämlich die Bestelltätigkeit der Comecon-Länder handelspolitisch für die Bundes-
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republik jedoch positiv zu bewerten sei. Mittelbar dienten die verkehrlichen Aktivitäten der Ostländer auch der Förderung des Außenhandels, und dieser Stellenwert dürfe nicht übersehen werden.
Ich schließe mich Herrn Jaumann nicht in vollem Umfang an, denn ich übersehe nicht—ebenso wie er
— den Stellenwert. Ich bin trotzdem der Meinung
— entgegen der Meinung des Herrn Jaumann, daß durch die beim Transport ersparten Devisen mehr Maschinen oder andere Geräte gekauft werden können — daß eine ausreichende Teilhabe der Unternehmen der Bundesrepublik am zweiseitigen Handei mit den Comecon-Staaten herbeigeführt werden muß.
Sie fragen die Bundesregierung, was unter „ausreichender Teilhabe" zu verstehen sei. Da brauchen Sie gar nicht zu fragen; Sie wissen es doch genau. Sie werden zur Antwort bekommen: im zweiseitigen Verkehr zumindest 50 °/o. Anders kann es doch wohl gar nicht sein. Diesen Anteil erreichen wir nicht. Das wissen Sie, Herr Sick; Sie haben die Zahlen hinsichtlich des Verkehrs mit der Sowjetunion genannt. Im Straßengüterverkehr mit der CSSR haben wir aber immerhin einen Anteil von 39,7 °/o, im Verkehr mit Polen einen von 41,1 °/o. Beim grenzüberschreitenden Verkehr innerhalb unserer Europäischen Gemeinschaft liegt unser Anteil unter 30.°/o, bei 28 N. Das sind keine Staatshandelsländer, die auf Grund ihres Devisenhungers nur mit Dumping arbeiten, sondern Länder, die mit uns in einer Wirtschaftsgemeinschaft stehen.
Herr Sick, ich will nicht sagen — damit Sie mich nicht falsch verstehen —, daß ich dieses Mißverhältnis in Ordnung finde. Wir sind mit Ihnen — das konzidiere ich Ihnen — bemüht, die Hemmnisse abzubauen, die einer besseren Beteiligung der deutschen Güterfernverkehrsunternehmen und der Verkehrsunternehmen überhaupt im Wege stehen. Wir wollen die Wettbewerbsverzerrungen — unter dem Stichwort läuft das alles — abbauen.
Meine Damen und Herren, die Zeit ist fortgeschritten. Ich glaube, daß ich die sachlichen Feststellungen für die Freien Demokraten getroffen habe — ohne bösartig zu sein; Herr Kollege Sick, das werden Sie mir nicht vorhalten können —, die -zu treffen waren.
Wir meinen, daß der Antrag überflüssig ist.
Dies wird uns nicht hindern, ihn im Ausschuß mit der gebührenden Achtung vor einer großen Fraktion zu behandeln.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. — Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt eine Überweisung des Antrags an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — federführend — und an den Auswärtigen Ausschuß und den Ausschuß für Wirtschaft — mitberatend — vor. Es gibt keinen Widerspruch. — Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Lenzer, Dr. Riesenhuber, Dr. Probst, Pfeifer, Benz, Engelsberger, Gerstein, Dr. Hubrig, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Pfeffermann und der Fraktion der CDU/CSU
Einrichtung einer Prognose- und Bewertungskapazität zur Begutachtung technologischer und forschungspolitischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag
— Drucksache 8/1241 —
Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Forschung und Technologie Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Riesenhuber.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion begründe ich unseren Antrag auf die Errichtung einer Prognose- und Bewertungskapazität zur Begutachtung technologischer und forschungspolitischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag.
Im Jahre 1973 hatten wir ein Amt zu Bewertung technologischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag gefordert. Der Antrag wurde seinerzeit im Plenum diskutiert. Er wurde in Hearing und Gutachten geprüft. Notwendigkeit, Durchführbarkeit und verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit unseres Konzepts wurden im wesentlichen bestätigt. Wichtige neue Anregungen wurden gewonnen. Umfangreiche Gutachten liegen vor.
Eine Entscheidung für ein Instrument der Technologiefolgenabschätzung ist damals nicht gefallen.
Diese Diskussion im Jahre 1973 hat eine grundsätzliche Übereinstimmung gebracht: Alle Fraktionen und die Bundesregierung waren sich darüber einig, daß die entscheidende Frage der kommenden Jahrzehnte sein wird, ob wir imstande sind, aus politischem Willen die Entwicklung der Technologie zu beherrschen und damit die Zukunft zu gestalten oder ob wir vor angeblich unvermeidlichen Eigengesetzlichkeiten der Technik kapitulieren.
Das Vertrauen der Bürger in die Politik hat in den letzten Jahren offensichtlich gelitten. Dies ist nicht vor allem ein wachsender Zweifel an der moralischen Integrität der Politiker, dies ist ein Zweifel daran, ob die Verantwortlichen übersehen, was sie entscheiden, es ist ein Zweifel, ob die Verantwortlichen die möglichen Folgen ihrer Beschlüsse kennen und erwogen haben, und es ist letztlich ein Zweifel an der sachlichen Kompetenz. Dieser Zweifel ist besonders gefährlich in den Fragen der Technologiepolitik, in der Umweltdiskussion, in der Debatte über die friedliche Nutzung der Kernenergie. Wir alle erleben es in diesen Wochen. Diese Bereiche sind für den Bürger kaum mehr durchschaubar. Kosten und Nutzen, Notwendigkeit und Risiko sind nicht mehr im Griff. Was bleibt, ist die Flucht in die Emotion. Lebenswichtige Technologien — und das
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Dr. Riesenhuber
zeigt in diesen Wochen die Kernenergiediskussion
— lassen sich nicht durchsetzen ohne das Vertrauen und gegen den Willen der Bürger.
Die derzeitige Praxis der Technologiepolitik im Parlament hat dieses Vertrauen noch nicht geschaffen. Ich bin sicher, lieber Herr Abgeordneter Stahl, daß Sie alles tun werden, um dieses Vertrauen mit uns gemeinsam zu schaffen.
Eine Ursache hierfür sind die äußerst knappen Kompetenzen des Ausschusses für Forschung und Technologie. Wir beraten in der Regel keine Gesetze. Der Eingriff über den Haushalt ist allenfalls punktuell wirksam. Die andere wesentliche Ursache aber ist, daß das Parlament und sein Ausschuß für Forschung und Technologie dem Herrschaftswissen der Exekutive nahezu waffenlos ausgeliefert sind und daß der Bürger dies weiß oder zumindest verspürt.
So ist die Lage: Das Parlament und sein Ausschuß haben ein Sekretariat mit zwei Mitarbeitern; im Wissenschaftlichen Dienst helfen uns fünf Mitarbeiter, in den Fraktionen je ein Referent auf diesem Sachgebiet. Dem gegenüber steht die Bundesregierung mit Hundertschaften hockqualifizierter Berater in zahlreichen Gremien.
— Ich möchte wissen, was Sie davon hätten, wenn Sie, lieber Herr Stahl, Hundertschaften von qualifizierten Beratern hätten. Sie zu fragen, ist eine Kunst für sich.
Dem gegenüber steht das Bundesministerium für Forschung und Technologie mit 1 300 Mitarbeitern im eigenen Haus und bei den Projektträgern, dem gegenüber steht der umfassende Sachverstand der Großforschungszentren, der Forschungseinrichtungen an den Universitäten, der Max-Planck-Institute und anderer.
— Vorausgesetzt, lieber Herr Stahl, dieser Sachverstand stünde uns in gleicher Weise offen wie der Bundesregierung. Ich muß sagen, es gibt durchaus eine differenzierte Art in der Behandlung von Gutachten: Manche bekommen wir, und manche haben wir nie bekommen.
— Es gibt eine gegenteilige Korrespondenz, und dies ist belegt, Herr Stahl, nicht mit Ihnen, sondern mit der Bundesregierung. Sie sitzen hier auf den Bänken des Parlaments, nicht auf den Bänken der Bundesregierung. Dies mag noch kommen, ist aber heute noch nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, selbst vorausgesetzt, dieser Sachverstand stünde uns in umfassendem Maße zur Verfügung und wäre umfassend neutral,
unsere kleine Gruppe von Parlamentariern wäre hoffnungslos überfordert, in jeweils einzelnen Problemen diesen Sachverstand abzufragen und ihn in konkrete politische Aktion umzusetzen. Insofern, Herr Abgeordneter Stahl, ist es nicht eine Sache des Abfragens eines punktuellen Gutachtens, sondern es ist eine Sache des Aufarbeitens eines politischen Problems mit dem sachlichen und fachlichen Sachverstand, der bei den entsprechenden Stellen da ist. Dies sind zwei völlig verschiedene Funktionen.
Die Kontrolle der Regierung findet hier im wesentlichen nicht statt. Das bedeutet zugleich, daß das Parlament nicht aus eigener Erkenntnis imstande ist, Position zu beziehen. Das bedeutet, daß das Parlament die Bundesregierung, daß das Parlament die Exekutive im Meinungsstreit notgedrungen im Stich läßt. Die Exekutive allein ist offensichtlich überfordert. Das Vertrauen, das grundlegend ist, ist in dem umfassend erforderlichen Maß nicht geschaffen.
Dies war das Problem, das wir vor vier Jahren im wesentlichen einheitlich gesehen haben. Unser Lösungsvorschlag versucht, die Erfahrungen aus den Debatten der vergangenen vier Jahre zu nutzen. Die Sozialdemokraten hatten in der Debatte vom Mai 1973 die Sorge vorgetragen, hier müßte verhindert werden, daß ein neues Instrument der Technokratie entstehe. Technokratie ist die Eigengesetzlichkeit der Technik, die sich dem politischen Urteil entzieht und die selbst Politik zu sein behauptet. Dies wäre in der Tat das Ende der Politik.
Technokratie ist jedoch nicht zu überwinden, indem politische Sachverhalte ignoriert werden. Tech- nokratie ist nur zu überwinden, wenn alternative Wege zur Lösung eines Problems alternativ dargestellt werden mit ihren Chancen und Gefahren, mit ihren Vorteilen und Nachteilen, wenn sie nach bestem Wissen gegenübergestellt und abgewogen werden. Erst dann setzt die politische Wertung überhaupt ein, erst dann beginnt der politische Streit, und erst dann wird politische Verantwortung möglich.
In dieser Debatte vom Mai 1973 hat die FDP gefordert, es dürfe kein neuer Apparat entstehen, der sich verselbständige, der wachse, der Eigengewicht gewinne, der sich der politischen Kontrolle entziehe und letztlich nichts anderes werde als eine Administration neben anderen Administrationen. Damals hat die FDP festgestellt, die beste Fachkompetenz veralte in wenigen Jahren, und damit wäre das ganze Konzept steril.
— Wir akzeptieren Argumente, Herr Stahl. Darüber, was wir wollten, waren wir uns allerdings einig. Wir waren uns nicht einig über die Frage, wie wir es durchführen.
Wir waren uns uneingeschränkt darüber einig, daß die Möglichkeiten des Parlaments die Regierung wirksam zu kontrollieren und den Sachverstand in politische Fragestellungen umzusetzen, nicht hin-
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Dr. Riesenhuber
reichen. Unser Streit ging darum, wie dies erreicht wird. Zu diesem Streit sind wir nach wie vor offen. Aber eine solche Frage wegen Formalien absaufen zu lassen, das scheint mir eine unangemessene Behandlung zu sein.
Wir schlagen Ihnen ein Konzept vor. Wir sind bereit, jede Alternative, die hierzu vorgetragen wird, zu debattieren.
Meine Damen und Herren, wir akzeptieren alle diese Argumente, die vorgetragen worden sind. Deshalb schlagen wir einen kleinen Stab, einen kleinen Apparat mit drei oder fünf Mitarbeitern vor.
Die Qualität ist nicht ihr spezielles Fachwissen; ihre Qualität ist die Fähigkeit, kritische Bereiche technologischer Entwicklung frühzeitig zu erkennen, Projekte zu definieren, Sachverständige als Berater oder für Arbeitsgruppen auf begrenzte Zeit zu gewinnen.
Ihre Aufgabe ist es, die Projekte zu überwachen — wenn Sie mehr fordern, Herr Stahl, können wir darüber reden —,
Zwischenbilanzen zu ziehen und aus diesen Zwischenbilanzen in engem Kontakt mit dem Parlament neue Fragen zu formulieren. Ihre Aufgabe ist die Umsetzung technischen Wissens mit seiner Bedeutung für Wirtschaft und Umwelt, für die Gesellschaft und für die Arbeitsbedingungen der Menschen, in politisch entscheidungsfähige Alternativen mit ihren jeweiligen Vorteilen und Nachteilen.
Die Kunst dieses Stabs ist Projektmanagement. Die Arbeit leisten Experten. Hierfür brauchen wir einen ausreichenden Fonds für Gutachten, über dessen Umfang wir zu sprechen haben.
Wir werden natürlich auch Gutachter fragen müssen, die auch die Regierung beraten. Wirklich unabhängige Gutachter mit umfassendem Sachverstand gibt es nicht.
Aber schon die systematische Aufarbeitung der Aussagen ist der sehr knappen, zeitlich stets begrenzten und nie hinreichend systematischen Anhörung methodisch überlegen. Wir haben darüber hinaus die Möglichkeit des Rückgriffs auf ausländische Experten, die aus größerer Unabhängigkeit sprechen können.
Die Probleme unserer Industriegesellschaft und die Probleme der Industriegesellschaft schlechthin sind die gleichen in Japan, in den USA, in Frankreich und in Deutschland. Wir müssen sie nur als diese Einheit betrachten.
Es ist über die Alternativen der Konzepte selbst gesprochen worden. Weil die Probleme in allen Industrieländern existieren, sind auch in vielen großen Industrieländern Projekte und Konzepte vorgeschlagen worden. Wir lernen gerne aus diesen Vorschlägen. Was wir abschreiben können, brauchen wir nicht zu erfinden. In unser flexibles Konzept, das wir Ihnen vorschlagen, paßt das amerikanische
Environment Impact Statement, passen die englischen Konzepte der Program Analysis Units. Wir sind gerne bereit, über weitergehende Konzepte zu sprechen, über den Science Court in der Zuordnung zur Rechtsprechung, über das Wissenschaftsparlament in der Zuordnung zur Legislative. Diese Projekte sind außerordentlich interessant, sie sind jedoch sehr langfristig, und sie sind sehr ehrgeizig.
Wir haben eine Reihe von Vorschlägen zurückgestellt, die interessant sind, aber nicht in unsere verfassungsmäßige Wirklichkeit passen. Wir schlagen deshalb kein Modell vor, das sich an die englische Royal Commission anlehnt. Wir schlagen auch kein Modell analog dem amerikanischen Office of Technology Assessment vor.
— Ich habe für uns in Anspruch genommen — ich hoffe, jeder Parlamentarier tut das —, daß wir lernfähig sind.
Ich hoffe, lieber Herr Stahl, wir teilen diese Einstellung miteinander, dann kommen wir nämlich zu einem Konzept.
Diese Modelle sind Anregungen, aber sie sind nicht Vorbild. Wir sind bereit zur Diskussion jeder Alternative. Was wir empfehlen, ist ein bescheidenes und flexibles Modell mit einem geringen Risiko des Scheiterns. Wir sind überzeugt, daß wir den großen Durchbruch in dieser Periode nicht schaffen können, daß wir aber einen Beginn setzen müssen.
Wir stehen seit Jahren im grundsätzlichen Streit um die Grenzen des Wachstums, um die Belastbarkeit der Umwelt, um die Erschöpfung der Rohstoffreserven. Die Unterschiede im Wohlstand der Völker werden nicht kleiner, sie wachsen. Wir stehen in einem entschieden politischen Streit, und wir schweigen. Der Streit ist die Grundfrage unserer Zeit; das haben alle Fraktionen betont. Er überschattet den Nord-Süd-Dialog, er prägt die Diskussion um die Bedingungen des Einsatzes von Kernenergie, er ist Gegenstand der Diskussion vieler Bürgerinitiativen. In dieser Zeit ist der Ausschuß über Monate damit befaßt, relativ einfache technische Vorfragen zu prüfen: wie schnell wir wirklich einen Schnellen Brüter brauchen, wann wir einen Hochtemperaturreaktor haben können. Die eigentlich politische Debatte findet nicht hinreichend statt.
Der Streit um die Grenzen des Wachstums, um die Feststellung, wo die Grenzen liegen, wie weit sie hinausgeschoben werden können, welche politischen Folgerungen wir aus der Existenz dieser Grenzen ziehen können — dieser Streit findet überall statt, nur nicht im Parlament. Wenn wir hier nicht das Wort mit einer fundierten, fachlichen Kompetenz ergreifen, wird uns eines Tages niemand
mehr fragen.
Entscheidungen bleiben nicht in der Schwebe, sie müssen fallen. Dann aber vielleicht vor einem überforderten Gericht oder unter dem Druck der
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Dr. Riesenhuber
Straße oder auch nur in der Resignation unternehmerischer Intelligenz. Wir haben die Aufgabe, Politik aus der technisch geprägten Welt zurückzuholen in die Heimstatt, die ihr nach unserer Verfassung gegeben ist: in das Parlament selbst.
Wir bitten um Überweisung dieses Antrags an die zuständigen Ausschüsse. Wir werden in gemeinsamen Beratungen ein gemeinsames Konzept finden; denn wir tragen gemeinsam, wenn auch in verschiedenen Rollen, Verantwortung für unser Volk.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stahl.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der eingebrachte und zu beratende Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Errichtung einer Prognose- und Bewertungskapazität zur Begutachtung technologischer und forschungspolitischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag, um den Abgeordneten sowie dem Ausschuß bei der Beratung von neu einzuführenden Technologien mit Rat und Tat hilfreich zur Seite zu stehen, ist sicherlich verständlich, Herr Riesenhuber, und auch zu begrüßen. Doch muß ich die mehr als hochtrabende Überschrift des Antrags stark in Frage stellen, wenn Sie den damit gesteckten Rahmen — falls er wirklich ernst gemeint ist — mit drei oder fünf zusätzlichen Kräften in der Administration des Bundestages ausfüllen wollen. Sie haben hier selbst einmal den Bereich der Kernenergie und der Bürgerinitiativen angesprochen. Dies ist ein weites Feld. Dabei will ich nicht verhehlen, daß man für den Bereich der Forschung und der damit verbundenen besonderen Probleme auf den Sachverstand und auf Beratungen zur Abschätzung von Technologien, auf Beratungen, die zu einer objektiven Meinungsbildung im Parlament führen sollen, nicht verzichten kann. Es ist also die Frage zu stellen, in welcher Form man diesen notwendigen Sachverstand mobilisieren und nutzen kann und will, Herr Riesenhuber. Dies ist doch, glaube ich, die entscheidende Frage.
Die Opposition, verehrter Herr Kollege, hat in der vorigen 7. Legislaturperiode diesen ihrem Antrag zugrunde liegenden Gedanken in diesem Hohen Hause schon einmal vorgetragen. Es gab dazu ein Hearing mit Sachverständigen. Nachzulesen im Protokoll über die 13. Sitzung des Ausschusses für Forschung und Technologie und des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen vom 5. Dezember 1973. Wir fanden damals nach längeren, ernsten Beratungen keine praktikable, überzeugende und finanziell vertretbare Lösung.
Dies ist auch ein Punkt, den Sie, Herr Riesenhuber, überhaupt nicht angesprochen haben. Die Fachleute selbst vertraten verschiedene Meinungen. Teils, verehrter Herr Lenzer — Sie werden sich entsinnen —, stellten sie uns sogar Fragen, wie wir uns dies nun vorstellen und was denn nun alles dazugehört. Es ist
also nicht so, daß wir das, wie Sie soeben sagten, nicht wollten. Vielmehr sind Sie selbst von Ihrem damaligen Vorschlag abgerückt. Dies sollten Sie doch wirklich einmal zugeben. Ihr Kollege Riesenhuber hat dies ja nun sehr wesentlich eingeschränkt. Dies ging damals von der Schaffung des Technologie-Assessments nach dem bekannten Vorbild in den USA bis zur eventuellen Schaffung von Sachverständigenräten mit einer immensen Kopfzahl. Lesen Sie sich doch einmal diese Protokolle durch!
Interessant ist dabei — lassen Sie mich dies einmal hervorheben —, daß Professor Pestel damals die Frage aufwarf, ob es nicht z. B. sinnvoll wäre, die Regierung zu verpflichten, bei ihren Vorlagen zu wichtigen technologischen Projekten gleichzeitig mit der Vorlage eine Folgeabschätzung in Frage stehender Probleme vorzunehmen. Ich glaube, daß das Parlament hier eine besondere Aufgabe hat.
Die Regierung ist bereit; sie hat das zu tun, was das Parlament beschließt. Er führte weiter aus: Dies ist insofern eine Frage des Parlaments.
Es bleibt also die Frage zu stellen: Tun wir dies? Ich meine dies sollten wir alle zugeben —: bisher haben wir davon regen Gebrauch gemacht und dabei gute Erfahrungen gesammelt. Beispiele wie die Diskussion zur Technologie des Schnellen Brüters, des Hochtemperaturreaktors bestätigen dies. Es bleibt also die weitere Frage offen, verehrte Kollegen der Opposition, ob das, was wir getan haben, genügt.
Ihr vorliegender Antrag soll zu der von mir aufgeworfenen Frage das Nein bekunden. Ihr Antrag, meine Damen und Herren der Opposition, bringt aber dazu keinen neuen, der Sachlage und dem Problem entsprechenden praktikablen Lösungsvorschlag. Die Schaffung des von Ihnen im Antrag angesprochenen besonderen Referats beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages ist in der vorigen Legislaturperiode bereits ausführlich erörtert und verworfen worden. Weitere Bemerkungen zur Aufwärmung dieses Ansinnens in neuer Antragsform will ich mir ersparen.
Dabei möchte ich aber, da andererseits das hier anstehende Problem nicht verkannt werden soll, zu bedenken geben, daß in vielen politischen Sachbereichen dieses Hauses natürlich gleichgelagerte Wünsche geäußert werden. Ich will in diesem Zusammenhang nur auf die Probleme der Sozialpolitik, der Raumordnungspolitik oder der Wirtschafts- und Energiepolitik verweisen. Die Abgeordneten dieser Sachbereiche sind häufig in der gleichen Notlage wie wir Technologen, obwohl ich nicht verkenne, daß die Technologie eine besondere Kompliziertheit aufweist und man deshalb Ihrem Ansinnen nähertreten sollte.
Herr Riesenhuber, Sie und die gesamte Opposition sind also aufgefordert, dies in Erwägung zu ziehen und Ihre Vorstellungen in den folgenden Detailberatungen zu diesem Antrag im Ausschuß zu verdeutlichen und zu präzisieren.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977 4885
Stahl
Auch der durch die Geschäftsordnung dieses Hau-
ses gesteckte Rahmen ist einmal daraufhin abzuchecken, ob das eine oder das andere möglich ist.
Wir können uns bei der Beratung sicher auf eine ganze Reihe von Gutachten und die Auswertung des soeben von mir angesprochenen Hearings stützen. Wir werden auch eigene Vorstellungen einbringen und dann sehen, ob Sie als Opposition mit dem Antrag lediglich einen neuen Personalapparat bei der Bundestagsverwaltung zu schaffen beabsichtigen, für dessen Beschäftigung Sie wohl dann vor allem selber sorgen werden. Es stellt sich natürlich auch die Frage, ob Sie nicht eine Sonderberatung ihres Fraktionsvorsitzenden insbesondere für die neue Strategiekommission haben wollen,
die Sie angekündigt haben, die aber bisher im allgemeinen bis auf den Januar und den Februar nichts gebracht hat.
Die Zusammensetzung der möglichen Auftraggeber für diesen neu zu schaffenden Apparat mit sehr hochtrabendem Namen läßt jedenfalls, Herr Riesenhuber, diese Vermutung zu. Da Sie nicht nur das gesamte Problem der Technologie, sondern auch andere dringend zu durchleuchtende Probleme aufgezählt haben, werden Sie doch wohl zustimmen, daß Sie hier mit den drei oder fünf Männeken, die Sie in diesem Apparat installieren wollen, bei weitem nicht klarkommen und daß diese paar Leute noch nicht einmal einen kleinen Teil dessen ausführen können, was Herr Riesenhuber hier soeben aufgezählt hat.
Wir werden ernsthaft ausloten, ob die Opposition daran interessiert ist, neue Wege, Einsichten und Verfahren zur Bewertung von technologischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen zu erörtern, die der Eigenart der Aufgabe entsprechen. Dabei wird auch die Frage zu prüfen sein, ob die Kosten in der richtigen Relation zum Erfolg stehen. Darüber haben Sie ja überhaupt nicht gesprochen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie können versichert sein, daß wir uns nicht darauf beschränken werden, uns Ihre Vorschläge nur anzuhören und zu beurteilen,
sondern daß wir uns aktiv an den Beratungen beteiligen werden.
Abschließend hoffe ich,
— verehrter Herr Lenzer —, daß die Opposition es diesmal wesentlich ernster als beim vorigen Mal meint. Wenn ich zurückschaue, fällt mir auf, daß nur vier Jahre zwischen Ihrem damaligen Antrag und Ihrem heutigen Antrag liegen. Da muß ich doch einmal die Frage stellen, ob die gesamte Problematik in der vorigen Wahlperiode nicht in etwa die gleiche war, die sie heute ist.
Deshalb stellt sich die Frage, ob Sie es nun ehrlich meinen oder ob Sie einen Schaukampf mit gewissen Wolkenschiebereien vorhaben.
Abschließend bin ich der Meinung, daß wir Sozialdemokraten der Überweisung dieses Antrags zustimmen sollten. Ich fordere Sie als Opposition aber auf, mitzuarbeiten und nicht nur Stroh zu dreschen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laermann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Kollegen! Ich möchte mit einem Zitat von Lessing beginnen: „Der Blick des Forschers fand nicht selten mehr, als er zu finden wünschte."
— Warten Sie ab! Sie kommen nicht zu kurz dabei.
: Dieser Herr gehört
nicht zu unserer Arbeitsgruppe!)
Vielfach wird heute Forschungs- und Technologiepolitik aus mancherlei Gründen vorwiegend auf die naturwissenschaftlich-technischen Bereiche, dabei im besonderen auf anwendungsorientierte, ökonomisch verwertbare Entwicklungen ausgerichtet. Darin steckt eine nicht zu übersehende Gefahr, daß Forschung, politisch gesehen, immer enger und nur auf Technologie eingegrenzt wird.
Es ist sicher unbestreitbar, daß sich in den letzten Jahrzehnten eine maßlose Expansion der Erkenntnisse auf naturwissenschaftlich-technischem Gebiet vollzog. Dennoch oder gerade deswegen muß mit allem Nachdruck festgestellt werden, daß der Forschung in den Geisteswissenschaften eine mindestens ebenso große Bedeutung zukommt wie in den Naturwissenschaften und der Technik. Ihre Bedeutung wird dann deutlich, wenn nach der Lehre von den Wirkungsgefügen einzelne, fachlich relativ eng begrenzte technologische Entwicklungsprojekte in einem größeren universellen Zusammenhang betrachtet werden, wenn derartige Entwicklungen auch daraufhin untersucht werden und untersucht werden müssen, welche Auswirkungen sie auf die ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Systeme, auf die
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Dr.-Ing. Laermann
Psyche, das soziologische Verhalten des einzelnen haben.
Den Folgewirkungen künstlicher Eingriffe auf die natürlichen Lebensabläufe sowie die historischen und kulturellen Gegebenheiten wird die Forschungspolitik künftig mehr als bisher Beachtung widmen müssen. Noch vor etwa 15 Jahren konnte ein bekannter Naturwissenschaftler behaupten, daß die Geisteswissenschaften im allgemeinen von den Naturwissenschaften wenig Notiz nehmen und daß der Ablauf der Geschichte besonders in der heutigen Zeit in hohem Grade von dem Stand der Technik und dieser wieder von dem Stand der Naturwissenschaften bedingt sei. Ich behaupte hingegen, daß es wichtiger denn je ist, im Sinne kybernetischer Denkansätze und Überlegungen die Zusammenwirkungen und die Interdependenzen aller Wissenschaften in die politischen Ansätze einzubeziehen, ja daß wir uns an einer Wende befinden, den bedingungslosen Glauben in Frage zu stellen, Naturwissenschaft und Technik allein seien imstande, die Probleme der Menschheit, die politischen Probleme eingeschlossen, zu lösen.
Im letzten Jahrzehnt hat sich eine grundlegende Wandlung im Verhältnis der Wissenschaft zum Staat vollzogen. Die Anforderungen des Staates einerseits an die Wissenschaft, neue Erkenntnisse für politische Entscheidungen, für politische Machtansprüche zu leisten, die zunehmende Größe und Kostspieligkeit der Forschungsprojekte und der dazu erforderlichen Einrichtungen andererseits machen die Wissenschaft zunehmend vom Staate abhängig und verpflichtet sie diesem. Die enormen finanziellen Aufwendungen für Forschung und technologische Entwicklungen, aus Steuergeldern aufgebracht, machen es zwingend notwendig, daß der Staat und seine Institutionen, vor allem die Parlamente, diese Aufwendungen gegenüber der Öffentlichkeit begründen und verantworten müssen. Dazu werden Entscheidungen hinsichtlich der Ziele der Forschungsförderung, der Prioritäten, der Erfolgskontrolle, der Bewertung der Ergebnisse und ihre Verfügbarkeit, ihre ökonomische Umsetzung, aber auch hinsichtlich ihrer Auswirkungen in anderen Bereichen, wie z. B. der ökologischen, sozioökologischen und gesellschaftlichen wie den strukturellen Auswirkungen notwendig.
Wie kann ein Parlament diese Aufgabe bewältigen? Das Parlament besteht nicht aus Technokraten und Spezialisten. Seine Mitglieder können daher in der Regel nicht über den zur Beurteilung vielfach erforderlichen speziellen Sachverstand verfügen. Sie sind folglich in immer stärkerem Maße dem tatsächlichen oder auch scheinbaren Sachverstand der Administration ausgeliefert bzw. von objektiver Beratung abhängig. Für den Parlamentarier sind daher ausreichende Möglichkeiten zur Information und Beratung zu schaffen, d. h. frühzeitiger Zugang zum Planungsprozeß der Exekutive und eigenständige, von der Exekutive unabhängige Beratungsmöglichkeiten.
Eine Stärkung der Kontroll- und Mitwirkungsrechte des Parlaments dient der Sicherung des Machtgleichgewichts ' zwischen Exekutive und Legislative und ist zugleich Voraussetzung dafür, Entscheidungen unter Berücksichtigung der Komplexität der Wirkungsgefüge zu treffen.
Der Prozeß der politischen Willensbildung und Entscheidung bedarf daher in allen Phasen der wissenschaftlichen Beratung. Wissenschaftliche Beratung der Politik muß beinhalten: Problemanalysen, Formulierung von Handlungsalternativen, Abschätzung der Folgen politischer Entscheidungen und kritische Analyse möglicher Fehlentwicklungen. Sie soll die Kluft zwischen politischer Utopie und praktischer Realität überwinden helfen, Illusionen vorbeugen und die Konfliktaustragung versachlichen. Aber wissenschaftlicher Sachverstand kann politische Wertung und Entscheidung nicht ersetzen. Wissenschaftler können nur Zusammenhänge aufzeigen, begründete Entscheidungsalternativen vorlegen. Letztlich entscheiden können und müssen allein diejenigen, die politische Verantwortung tragen. Wissenschaftliche Beratung hat daher in der Politik auf der Grundlage eines kontinuierlichen Dialogs zwischen Politik und Wissenschaft zu erfolgen. Wissenschaftliche Beratung ist nur dann wirkungsvoll, wenn sie prompt und mit überschaubaren Resultaten erfolgt. Die Inanspruchnahme von Wissenschaftlern sollte ad hoc erfolgen und ist zeitlich zu begrenzen.
Die wissenschaftliche Beratung in der Politik bietet darüber hinaus Wissenschaftlern eine Möglichkeit zur Wahrnehmung der Verantwortung der Wissenschaft. Die wissenschaftlichen Organisationen und Berufsvereinigungen sind aufgerufen, sich intensiv an dem kontinuierlichen Dialog zu beteiligen und auch auf eigene Initiative Stellungnahmen und Empfehlungen zu wichtigen Fragen zu erarbeiten. Von dieser Position aus, meine Kollegen von der Opposition, ist Ihrem Anliegen, das Sie mit Ihrem Antrag „Einrichtung einer Prognose- und Bewertungskapazität zur Begutachtung technologischer und forschungspolitischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag" zum Ausdruck bringen, im Prinzip zuzustimmen.
Aber der Weg, verehrte Kolleginnen und Kollegen von- der Opposition, ist doch völlig falsch.
Sie wollen wieder durch eine Organisation, durch Stabsstelle, Koordinierungsrat und noch einen Berichtsauftrag politisches Handeln ersetzen. Ich frage mich, Herr Kollege Riesenhuber, wie Sie durch ein solches Büro, eine solche Organisation von drei bis fünf Experten, das Vertrauen des Bürgers in die Technologiepolitik des Parlaments zurückgewinnen wollen. Das ist doch wohl auf diesem Wege schlechterdings nicht möglich.
Sie, die Sie doch immer wieder gegen das Aus-
wuchern bürokratischer Strukturen, die nach Ihrer
Meinung viel zu hohe Zahl von Sachverständigen-
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Dr.-Ing. Laermann
und Gutachtergremien praktisch zu Felde ziehen —
Sie haben doch vorhin wieder die Zahlen genannt —,
Sie wollen eine neue bürokratische Einrichtung, die unvermeidbar ihre Verselbständigung anstreben wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenzer?
Aber gerne.
Herr Kollege Dr. Laermann, besteht denn angesichts der Bejahung des Ziels von Ihrer Seite her wenigstens jetzt die Hoffnung, daß wir die Chance bekommen, dann gemeinsam nach Wegen zu suchen, die zu diesem Ziel führen?
Ich denke schon, Herr Kollege Lenzer. Wenn Sie gestatten, daß ich in meinen Ausführungen fortfahre, werde ich auf einen konstruktiven Vorschlag zurückkommen. Ich hoffe, daß wir uns, das gemeinsame Ziel vor Augen, dann auf dem Weg dorthin zu einer Einigung durchringen werden. •
Ich meine, wenn ich Ihren Antrag — ich möchte ihn als Organisationsvorschlag bezeichnen - sehe, dann muß ich sagen, daß Sie, wenn überhaupt, doch wohl nicht zu Ende gedacht haben. Die Notwendigkeit besserer sachverständiger und wissenschaftlicher Beratung der Legislative ist unbestritten. Darin sind wir uns einig. Ich möchte das noch einmal betonen. Aber dies gilt doch nicht allein für den Zuständigkeitsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie oder des Ausschusses für Forschung und Technologie, sondern das gilt gleichermaßen für viele andere Bereiche der Politik in genau dem gleichen Maße. Das gilt für die Sozialpolitik, für die Gesundheitspolitik. Herr Kollege Stahl wies vorhin schon darauf hin. Das alles müssen wir doch dann in die Überlegungen einbeziehen, wenn wir hier zu einer Lösung kommen wollen. Zugegeben, man könnte dies an diesem Beispiel einmal modellhaft entwickeln. Aber wir müssen uns dabei darüber im klaren sein, daß wir mit Sicherheit auch die anderen Politikbereiche in ein ähnliches Verfahren einbeziehen müssen.
Ich sagte bereits, daß Ihr Antrag ein Organisationsvorschlag ist, der nichts Konkretes über die Inhalte aussagt. Was soll denn bewertet werden? Auf welcher Grundlage? An wen könnten welche Fragen gerichtet, welche Aufträge erteilt werden? Aber sind das alles nicht Aktivitäten, die im Grunde genommen wieder von der Legislative ausgehen müssen? Woher sollen denn — Herr Riesenhuber hat ja selbst dieses Problem angeschnitten — die Experten kommen? Wir haben es in vielen Fällen immer
nur mit einer begrenzten Zahl von Sachverständigen zu tun, die in allen möglichen Gremien, in allen möglichen Sachverständigenräten und Gutachtergremien sitzen, und zwar bei den verschiedenen Ressorts; denn es wird ja nicht nur beim BMFT Forschungspolitik betrieben, sondern es wird ja auch in anderen Ressorts noch Forschung angesetzt. Wir befinden uns in einem closed shop. Wir treffen immer wieder auf dieselben Sachverständigen. Ich frage mich, warum es nicht möglich sein soll, etwa bei den Anhörungen auch ausländische Experten als Sachverständige hinzuzuziehen.
Man muß sich allein schon die Formulierung „Prognosekapazität zur Begutachtung" ansehen! Ich weiß gar nicht, Herr Kollege Riesenhuber, ob Sie sich die Formulierung richtig überlegt haben.
Läßt sich eine Begutachtung prognostizieren? Ich möchte Ihnen, auf einen Vorschlag von Herrn Stahl eingehend, empfehlen, diese Wortschöpfung in_ die Strategiekommission einzuführen. Vielleicht ist es da möglich, eine Prognosekapazität zur Beurteilung der Kreuther Entwicklungen einzuführen.
— Da kannten Sie den ja auch noch nicht, Herr Kollege Lenzer.
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt gar nicht zu jedem einzelnen Detail des vorliegenden Antrags meine Fragen und meine Bedenken vortragen. Dazu ist wohl, wie ich meine, bei den Ausschußberatungen ausreichend Zeit und Gelegenheit.
Lassen Sie mich aber kurz folgendes feststellen. Brauchen wir, die Legislative, in der Erkenntnis der Notwendigkeit besserer objektiver Beratung der politischen Gremien angesichts der steigenden Komplexität der zur Entscheidung anstehenden Probleme neue bürokratische Organisationen? Ich behaupte „nein" und vertrete damit den vorhin schon von Herrn Riesenhuber angesprochenen Standpunkt der FDP, den sie auch schon vor vier Jahren eingenommen hat.
Wir können und wir sollten uns intensiver der bereits heute gegebenen Möglichkeiten bedienen. Natürlich kann es nicht darum gehen, ein eigenes Referat im Wissenschaftlichen Dienst einzurichten, aber den Wissenschaftlichen Dienst sollten wir doch einschalten und in diese Überlegungen einbeziehen, eventuell mit einer Umorientierung oder Erweiterung seines Aufgabenbereiches.
Wir sollten aber auch die bestehenden Institutionen der Wissenschaft, wie z. B. die Großfor-
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Dr.-Ing. Laermann
schungseinrichtungen, einbeziehen. Es wird sicherlich Möglichkeiten geben, daß diese auch direkt dem Parlament berichten. — Darüber werden wir ja reden können, Herr Kollege Riesenhuber, schütteln Sie nicht den Kopf; denn mit Ihren drei bis fünf Mann bekommen Sie den unabhängigen Kontakt zu den Großforschungseinrichtungen ja nicht zustande. Großforschungseinrichtungen könnten eventuell zur direkten Zuarbeit und zur Berichterstattung an das Parlament verpflichtet werden; ich denke da auch an die Max-Planck-Gesellschaft oder an die Deutsche Forschungsgemeinschaft, in deren Satzung in Art. 1 ausdrücklich steht: Sie berät Parlamente und Behörden in wissenschaftlichen Fragen.
Auch auf dem Instrument nichtöffentlicher Anhörungen in den Ausschüssen mit begrenzter Zahl von Sachverständigen, unter Umständen auch ausländischen Sachverständigen, auch mit solchen aus den fachlichen Randbereichen, sollte wir doch wohl etwas stärker spielen; ich meine, es hätte sich doch recht gut bewährt.
Schließlich bedarf es, so meine ich, einer Änderung unserer Einstellung, die Sie, Herr Kollege Riesenhuber, schon angesprochen haben. Es bedarf einer Veränderung der Einstellung der Abgeordneten dieses Hauses. Der politische Entscheidungsfindungsprozeß muß die systemanalytischen, die kybernetischen Zusammenhänge stärker berücksichtigen. Wir dürfen uns nicht mehr so sehr ans Detail klammern, sondern müssen die Dinge in den Zusammenhängen betrachten und Entscheidungen im Zusammenhang sehen. Wir sollten uns wirklich in den Ausschüssen, insbesondere im Forschungsausschuß, und im Plenum weniger als bisher mit speziellen fachlichen Detailfragen befassen und uns mehr mit den grundsätzlichen politischen Bedeutungen der anstehenden Problembereiche auseinandersetzen.
Und wenn Sie die schwache Kompetenz des Ausschusses bedauern — wir hatten kürzlich Gelegenheit, über das Selbstverständnis des Ausschusses und seine Arbeit zu diskutieren —, muß ich sagen: das liegt doch letztlich an uns, es liegt daran, wie und wie intensiv wir diese Arbeit gestalten. Dies müssen wir dann auch erst einmal als Auftrag an uns verstehen.
Ein Letztes: Wir dürfen bei allem nicht die Gefahr übersehen, daß sich unser demokratisches System in eine Sachverständigendemokratie oder, schlimmer noch, in eine Scientokratie verwandelt. Es muß unser aller gemeinsames Bestreben sein, dafür zu sorgen, daß der demokratische Entscheidungsprozeß und die Verantwortung im Parlament bleiben und daß dieses nicht durch die Eigenständigkeit und die Verselbständigung oder die Herauslösung technischer Entwicklungen aus dem demokratischen Willensbildungsprozeß entmachtet wird.
Ich darf für meine Fraktion der Überweisung Ihres Antrages an den Ausschuß zustimmen. Da ich möglicherweise — ich weiß es nicht genau — der Abgeordnete bin, der den letzten Debattenbeitrag in diesem Jahr leistet, lassen Sie mich, verehrte
Frau Präsidentin, meine Ausführungen mit einem Zitat und einem guten Wunsch für eine gute gemeinsame Arbeit im nächsten Jahr schließen, und zwar mit einem Zitat von Goethe:
Im neuen Jahre Glück und Heil, auf Weh und Wunden gute Salben, auf groben Klotz ein grober Keil, auf einen Schelmen anderthalben.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag an den Ausschuß für Forschung und Technologie — federführend —, zur Mitberatung an die Ausschüsse für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung sowie für Wirtschaft und schließlich an den Haushaltsausschuß — mitberatend und gemäß § 96 der Geschäftsordnung — zu überweisen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 14 bis 17 der Tagesordnung auf:
14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Zählung in der Landwirtschaft
— Drucksache 8/1273 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Innenausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung BundeskanzlerAdenauer-Haus
— Drucksache 8/1230 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. April 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Malaysia zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und in bezug auf andere damit zusammenhängende Fragen
— Drucksache 8/1274 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
17. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung kostenrechtlicher Vorschriften auf dem Gebiet des Seeverkehrs
— Drucksache 8/1297
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
Das Wort zu diesen Punkten wird nicht gewünscht. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Es ist so beschlossen.
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Vizepräsident Frau Renger
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen
Überplanmäßige Haushaltsausgabe bei Kap.
10 02 Titel 652 06 im Haushaltsjahr 1977 —
Gasölbetriebsbeihilfe für die Landwirtschaft
— Drucksachen 8/1052, 8/1256 — Berichterstatter:
Abgeordneter Schmitz
Das Wort wird nicht gewünscht. Der Haushaltsausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1256, die überplanmäßige Haushaltsausgabe zur Kenntnis zu nehmen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann hat das Haus Kenntnis genommen:
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Beschlußfassung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung UNESCO-Empfehlung über die internationale Normung von Hörfunk- und Fernsehstatistiken
— Drucksachen 8/978, 8/1313 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Nöbel
Abgeordneter Broll
Das Wort wird nicht gewünscht. Der Innenausschuß empfiehlt, von der Unterrichtung durch die Bundesregierung Kenntnis zu nehmen. — Es erfolgt kein Widerspruch. Damit ist Kenntnis genommen worden.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung der Ubersicht 4 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
— Drucksache 8/1304 —
Das Wort wird nicht gewünscht. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1304, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in der Ubersicht 4 aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. — Kein Widerspruch. Das Haus ist damit einverstanden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 bis 23 auf:
21. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu den Unterrichtungen durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Empfehlung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für einen Beschluß des Rates über den Abschluß eines Finanzprotokolls zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei
Vorschlag einer Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat über die Aushandlung des dritten Finanzprotokolls im Rahmen des Assoziierungsabkommens EWG—Türkei
Vorschlag einer Verordnung des Rates zur ( Abweichung von der Verordnung Nr. 1445/72 über das Warenverzeichnis für die Statistik des Außenhandels der Gemeinschaft und des Handels zwischen ihren Mitgliedstaaten (Nimexe) zugunsten Dänemarks
Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 1736/ 1975 über die Statistik des Außenhandels der Gemeinschaft und des Handels zwischen ihren Mitgliedstaaten
Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Festsetzung von Plafonds und zur Einrichtung einer gemeinschaftlichen Überwachung der Einfuhren bestimmter Erzeugnisse mit Ursprung in Israel (1978)
Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Festsetzung von Plafonds und zur Einrichtung einer gemeinschaftlichen Überwachung der Einfuhren bestimmter Waren mit Ursprung in Ägypten, Jordanien, im Libanon und in Syrien (für das Jahr 1978)
— Drucksachen 8/773, 8/928, 8/929, 8/930, 8/960, 8/1248 —
Berichterstatter: Abgeordneter Angermeyer
22. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Schaffung gemeinsamer Lagerkapazitäten für Erdöl und Erdölerzeugnisse in der Gemein. schaft
Vorschlag einer Richtlinie des Rates über die Gründung von mit der Sicherstellung der Einlagerung von Erdöl und Erdölerzeugnissen beauftragten Stellen in den einzelnen Mitgliedstaaten sowie die Finanzierung dieser Stellen
— Drucksachen 8/482, 8/1271
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Narjes
23. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Festlegung einer konzertierten Aktion über das Wachstum großer städtischer Ballungsgebiete
— Drucksachen 8/846, 8/1282 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. van Aerssen
Das Wort wird hierzu nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen der Ausschüsse auf den Drucksachen 8/1248, 8/1271 und 8/1282. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
4890 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1977
Vizepräsident Frau Renger
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP
Programmbeirat der Deutschen Bundespost — Drucksache 8/1332 —
Ihnen liegt ein gemeinsamer Vorschlag der drei Fraktionen des Hauses vor. — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD
Kunstbeirat der Deutschen Bundespost — Drucksache 8/1333 —
Auch hierzu liegt Ihnen ein gemeinsamer Vor. schlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPE vor. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Damit ist auch dies so beschlossen.
Wir sind am Ende der Tagesordnung. Ich darf mir erlauben, Ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest und ein glückliches neues Jahr zu wünschen.
Ich berufe die nächste Plenarsitzung auf Mittwoch, den 18. Januar 1978, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.