Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Die Mündlichen Anfragen für den Monat Juli sind bzw. werden mit den dazu erteilten schriftlichen Antworten als Drucksachen 8/778, 8/793, 8/830, 8/836, 8/838 und 8/899 verteilt.
Die Mündlichen Anfragen für den Monat August werden mit den dazu erteilten schriftlichen Antworten als Drucksachen 8/902 und 8/915 verteilt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 9 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 8/916 —
b) Beratung der Sammelübersicht 10 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 8/919 —
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Angermeyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Petitionsausschuß unmittelbar nach der Sommerpause über seine Arbeit im vergangenen Quartal berichtet, so mag mancher fragen, ob sich in einem Parlamentsausschuß in dieser Zeit viel ereignet haben kann. Häufig wird dabei aber übersehen, daß der Petitionsausschuß ständige Einsatzbereitschaft erfordert. Die Sorgen und Nöte unserer Mitbürger halten sich nicht an Sitzungswochen. Um die Ratsuchenden nicht über Gebühr warten zu lassen, werden die Akten auch in den Ferien an die Berichterstatter geschickt. Die Ausschußmitglieder haben sich daher in der vergangenen Sommerpause mit mehr als 700 Eingaben befaßt.Die Arbeitsbelastung des Petitionsausschusses mögen zwei Zahlen verdeutlichen: Die Zahl der monatlich eingehenden Petitionen liegt mit rund 1 100 um etwa 30 % höher als in früheren Wahlperioden. Im ersten Halbjahr 1977 mußten vom Ausschußhilfsdienst u. a. 3600 Stellungnahmen der Bundesregierung 2u Petitionen ausgewertet werden, rund 40 % mehr als im vergangenen Jahr.Lassen Sie mich einige Beispiele von berechtigten Bitten und Beschwerden schildern. So zeigte sich ineinem Fall recht drastisch, was es für die Betroffenen bedeutet, wenn medizinische Gutachten zu lange auf sich warten lassen, was leider allzu häufig vorkommt.
Ein Mitbürger hatte vor mehr als vier Jahren einen Berufsunfall erlitten und beantragte deshalb 1974 bei der Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel eine Berufsunfähigkeitsrente. Es folgte ein langer Streit mit der Berufsgenossenschaft über die Frage, ob seine Berufsunfähigkeit tatsächlich in vollem Umfang auf diesen Unfall zurückzuführen sei oder ob sie beispielsweise durch eine Kriegsverwundung mitverursacht wurde. Erst zwei Jahre nach der Antragstellung hat sich die Berufsgenossenschaft um ein medizinisches Gutachten bemüht.
Da dieses Gutachten bis Anfang dieses Jahres nicht vorlag, schalteten wir uns ein, indem wir gemäß Art. 45 c des Grundgesetzes die Akten anforderten.Unsere Prüfung ergab, daß 'das Gutachterverfahren nach unserer Überzeugung nicht mit dem notwendigen Nachdruck betrieben wurde. Als wir deshalb die Eingabe der Bundesregierung zur Erwägung überwiesen, teilte diese uns mit, daß das Gutachten nunmehr vorlag. Mit einigem Erstaunen hörten wir kurz darauf, daß die Berufsgenossenschaft ein zweites Gutachten angefordert hat. Für den völlig erwerbsunfähigen Mann, der seit drei Jahren auf die Entscheidung über seinen Antrag wartet, ist die Zukunft damit weiterhin ungewiß. Auf unser Drängen hin hat die Berufsgenossenschaft inzwischen die Zusage gegeben, das zweite Gutachten sehr kurzfristig fertigstellen zu lassen. Da nicht selten ähnliche Klagen auch von anderen Mitbürgern eingehen, versuchen wir zu erreichen, daß die Berufsgenossenschaften ganz allgemein zu lange Begutachtungszeiten vermeiden.In einem anderen recht komplizierten Fall konnten wir durchsetzen, daß eine Frau eine Rentennachzahlung von mehr als 5 000 DM erhielt. Hintergrund waren betrügerische Manipulationen einer Rentenberaterin im Zusammenwirken mit dem Mitarbeiter eines Versicherungsamtes. Weil die Frau ihren Antrag 1966 bei dem Beratungsbüro 'eingereicht hatte,
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3302 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Angermeyerder Antrag aber erst 1968 bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eingegangen war, bestand der Verdacht, daß das Versicherungsamt entsprechend einer Absprache mit der Rentenberaterin das Antragsdatum von 1968 auf 1966 verfälscht hatte. Für diese zwei Jahre war daher zunächst keine Rente gewährt worden. Letzte Klarheit konnte in diesem Fall zwar nicht geschaffen werden, zumal die Verantwortlichen zeitweise ins Ausland geflohen waren. Immerhin ergab eine von uns veranlaßte kriminaltechnische Untersuchung, daß Stempel in den betreffenden Unterlagen vermutlich zu Lasten der Rentnerin manipuliert worden waren. Jedenfalls vertraten wir den Standpunkt, daß die noch verbleibenden Unklarheiten nicht zu Lasten der Rentnerin gehen dürfen und deshalb von einer Antragstellung im Jahre 1966 ausgegangen werden muß. Die Berufsgenossenschaft schloß sich dieser Argumentation an und bewilligte die schon erwähnte Nachzahlung von mehr als 5 000 DM.Der Bundesregierung sollen zwei Petitionen überwiesen werden, mit denen sich Bürger über Umweltbelästigungen durch Bundeswehranlagen beschwerten. So soll gemäß Antrag 2 a der Ihnen vorliegenden Drucksache 8/916 in dem ersten Fall die stärkste Form der Empfehlung benutzt und eine Eingabe „zur Berücksichtigung" überwiesen werden, mit der sich eine Bürgerinitiative aus Cuxhaven gegen den weiteren Ausbau eines Truppenübungsplatzes wendet. Obwohl dieser Schießplatz innerhalb des Stadtgebietes von Cuxhaven liegt und an besiedelte Ortsteile grenzt, wollte die Bundeswehr dort u. a. zwei weitere Schießbahnen aufbauen und das Panzerübungsgelände erweitern. Die Prüfung durch den Ausschuß ergab, daß trotz des unbestrittenen Bedarfs an ausreichendem Übungsgelände für die Bundeswehr dieser Ausbau nicht zu vertreten ist, weil damit unzumutbare Belästigungen für die Anwohner verbunden wären.In dem zweiten Fall setzt sich eine Bürgerinitiative in Saarlouis dafür ein, daß ein Panzerübungsplatz entweder verlegt wird oder zumindest die Umweltbelästigungen durch Staub, Lärm und Erschütterungen verringert werden. Auch dieser Übungsplatz liegt in der Nähe eines bewohnten Gebietes. Die Sachlage ist hier allerdings aus vielen Gründen komplizierter. Vor allem wird für diesen Übungsplatz ein Gelände von einer bestimmten geologischen Beschaffenheit benötigt, und das ist leider, wie die bisherigen Bemühungen des Bundesverteidigungsministeriums gezeigt haben, nur schwer zu finden. Weil der Ausschuß die Situation aber nach wie vor für unbefriedigend hält, hat er den Bundesverteidigungsminister gebeten, seine Bemühungen um einen stärkeren Schutz der Umwelt vor den Belästigungen fortzusetzen, weiterhin aber alles zu tun, um die Verlegung des Übungsplatzes zu erreichen.Zwei andere Eingaben sollen der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen werden, weil der Petitionsausschuß Abhilfe für unbedingt erforderlich hält. Sie wissen, daß die moderne Medizin in der Lage ist, Geschlechtsumwandlungen durchzuführen. Bisher durften die Betroffenen aber ihre Vornamen nicht entsprechend ändern lassen. DerBundesinnenminister hat hierzu einen Gesetzentwurf erarbeiten lassen, der zugleich klarstellen soll, welche Auswirkungen die Geschlechtsumwandlung im Ehe- und Familienrecht und beim Versicherungs- und Versorgungsrecht haben soll. Der Petitionsausschuß vertritt die Auffassung, daß es nur folgerichtig ist, eine Namensänderung zu ermöglichen, wenn geschlechtsumwandelnde Operationen erlaubt werden. Er befürwortet daher eine beschleunigte Vorlage des Gesetzentwurfs und hält die Eingabe für geeignet, bei diesen Überlegungen beachtet zu werden. Der Ausschuß beantragt daher, die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen.Ein Beispiel aus einem anderen Gebiet soll verdeutlichen, daß der Petitionsausschuß im Einzelfall sehr kurzfristig Entscheidungen herbeiführen kann, auch wenn bedauerlicherweise die Bearbeitungszeiten wegen der großen Zahl der Eingaben oft noch zu lang sind. Ein behinderter junger Mann, der seit Anfang 1975 arbeitslos war, hatte seit dem Frühjahr 1976 vergeblich versucht, eine Ausbildung als Nachrichtengerätemechaniker zu beginnen. Aus verschiedenen Gründen hatte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte es abgelehnt, die Kasten für die dazu erforderlichen „berufsfördernden Maßnahmen" zu übernehmen. Das von dem jungen Mann angerufene Sozialgericht verpflichtete die BfA, den Antrag noch einmal zu überprüfen und einen neuen Bescheid zu erteilen. Unverständlicherweise legte die BfA gegen diese Entscheidung Berufung ein, was zur Folge gehabt hätte, daß der junge Mann die Ausbildung nicht hätte beginnen können. Wir setzten uns deshalb sofort mit der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Verbindung und erhielten noch am gleichen Tag die Zusage, daß die Berufung zurückgenommen wird und die Kosten für die Rehabilitationsmaßnahmen übernommen werden. Damit konnten wir erreichen, daß der junge Mann rechtzeitig seine Ausbildung bei den Rummelsberger Anstalten beginnen konnte.Ebenfalls kurzfristig konnten wir der dringenden Bitte eines Landwirts zum Erfolg verhelfen, die Einberufung seines Sohnes zu einer Bundeswehrübung wegen der bevorstehenden Erntezeit etwas hinauszuschieben. Die Bundeswehr hatte sich zunächst nicht zu einem Entgegenkommen bereitfinden wollen und den Standpunkt vertreten, daß hier keine besondere Härte für den Betroffenen vorliegt. Der Landwirt aber wies vor allem auf die erhebliche Ernteverzögerung durch die Regenfälle im August hin und bat noch einmal dringend um Hilfe. Auf unser nachdrückliches Ersuchen hin hat sich der zuständige Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums sehr engagiert bei den Bundeswehrdienststellen um eine schnelle Lösung dieses Problems bemüht. Daraufhin wurde die Übungszeit für den jungen Mann erheblich verkürzt und um eine Woche hinausgeschoben.In der besonders umfangreichen Sammelübersicht 9 — Drucksache 8/916 — finden Sie am Ende auch Petitionen, bei denen wir uns zu den Anträgen 5 und 6 entschließen mußten, entweder über sie zur Tagesordnung überzugehen oder von einer
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3303
Angermeyer) erneuten parlamentarischen Behandlung des vorgetragenen Anliegens abzusehen. Es handelt sich entweder um Bitten zur Gesetzgebung, die immer wieder vorgebracht werden, aber nach dem gegenwärtigen Diskussionsstand keine Aussicht auf Erfolg haben, oder um Beschwerden, über die wir bereits eine Entscheidung gefällt hatten und die dennoch von den betroffenen Mitbürgern immer wieder vorgetragen werden.Zumeist handelt es sich um Menschen, die sich gegen eine sie persönlich hart treffende Entscheidung wenden — beispielsweise die disziplinarisch verfügte Entfernung aus dem Beamtendienst wegen einer Straftat — und die sich aus bis zu einem gewissen Grade verständlichen Gründen mit den Folgen dieser Entscheidung nicht abfinden wollen oder können. Sie bringen ihre Anliegen oft in vielen Schreiben immer wieder vor, ohne aber inhaltlich Neues mitzuteilen. Eine dieser Petitionsakten umfaßt beispielsweise fast 200 Seiten, und mit einer anderen Eingabe werden wir seit 1965 immer wieder beschäftigt.Selbstverständlich prüfen wir jede einzelne Eingabe sorgfältig, auch wenn sie vielleicht „querulatorische" Züge aufweist. Wenn wir aber eine Sachentscheidung getroffen haben und sich der Mitbürger immer wieder an uns wendet, ohne neue Tatsachen vorzutragen, die zu einer anderen Beurteilung führen könnten, bleibt uns nichts anderes übrig, als schließlich über die Petition zur Tagesordnung überzugehen und dem Petenten mitzuteilen, daß wir auf weitere Schreiben gleichen Inhalts nicht mehr eingehen können. Selbstverständlich macht der Ausschuß von diesem äußersten Mittel aber nur in zwingenden Fällen Gebrauch.Als sehr nützlich erweisen sich immer wieder die Kontakte mit den ausländischen Parlamentsbeauftragten, den sogenannten Ombudsmännern. Die Besuche und Gegenbesuche führen nicht nur zu einem interessanten Gedankenaustausch über die Frage, wie wir dem Bürger, der der Bürokratie oft hilflos gegenübersteht, am besten helfen können, sondern erleichtern auch die Arbeit an konkreten Einzelfällen. Wenn beispielsweise Unterlagen zur Rentenberechnung aus dem Ausland beschafft werden müssen, dauert der übliche Behördenweg oft zu lange. Die Einschaltung unserer ausländischen Kollegen hat bei diesen durchaus nicht seltenen Eingaben oft zu schnellen Erfolgen geführt.Vor zwei Wochen war der dänische Ombudsmann Lars Nordskov Nielsen für einige Tage unser Gast. In der kommenden Woche wird die Vorsitzende der „Commission for Local Administration in England", Baroness Serota, zu uns kommen, ferner der finnische Ombudsmann Dr. Aalto sowie der Beauftragte in Beschwerdesachen der Stadt Zürich, Dr. Vontobel. Bei diesen Besprechungen wird auch die Gestaltung der ersten europäischen OmbudsmannKonferenz erörtert werden, die 1979 in Berlin stattfinden soll.Abschließend bitte ich Sie namens des Petitionsausschusses, den Ihnen vorliegenden Anträgen in den Sammelübersichten 9 und 10 — Drucksachen 8/916 und 8/919 — Ihre Zustimmung zu geben.
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Meine Damen und Herren, das Haus hat den Bericht des Herrn Berichterstatters gehört. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Beschlußfassung. Wer den Anträgen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 8/916 und 8/919, nämlich die in den Sammelübersichten 9 und 10 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf:a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hauser , Dr. Zeitel, Schmidhuber, Dr. Schwarz-Schilling, Lampersbach, Dr. von Bismarck, Engelsberger, Schedl, Haase (Kassel), Dr. Luda, Schröder (Lüneburg), Dr. Bötsch, Dreyer, Feinendegen, Dr. Friedmann, Dr. George, Gerstein, Helmrich, Dr. Hoffacker, Frau Hoffmann (Hoya), Dr. Hüsch, Josten, Dr. Köhler (Duisburg), Kolb, Landré, Dr. Narjes, Neuhaus, Niegel, Pieroth, Frau Pieser, Dr. Pinger, Dr. Schneider, Dr. Sprung, Dr. Stark (Nürtingen), Dr. Stavenhagen, Dr. Unland, Dr. Waffenschmidt, Dr. Warnke, Wohlrabe und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen sowie der freien Berufe und zur Sicherung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen in der mittelständischen Wirtschaft (Bundesmittelstandsförderungsgesetz — BMfG)— Drucksache 8/708 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hauser , Dr. Zeitel, Dr. Dollinger, Schmidhuber, Dr. Schwarz-Schilling, Köhler (Wolfsburg), Dr. von Bismarck, Dr. Luda, Feinendegen, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Biehle, Frau Dr. Neumeister, Dr. Riedl (München), Dr. Köhler (Duisburg), Lampersbach, Frau Will, Feld, Engelsberger, Dr. Becker (Frankfurt), Helmrich, Frau Benedix, Dr. Waffenschmidt, Dr. Jobst, Niegel und der Fraktion der CDU/ CSUBericht über die Lage der freien Berufe— Drucksache 8/901 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft FinanzausschußAusschuß für Arbeit und SozialordnungDas Wort hat der Abgeordnete Hauser .
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3304 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihnen liegt heute zur Beratung in erster Lesung der von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einstimmig beschlossene und überarbeitete Entwurf eines Bundesmittelstandsförderungsgesetzes vor. Sie erinnern sich an unsere Debatte vom 10. Dezember 1975, als wir in der zurückliegenden Legislaturperiode diesem Hohen Hause einen vergleichbaren Gesetzentwurf vorgelegt hatten. Der Gesetzentwurf der 7. Legislaturperiode konnte nicht abschließend beraten werden, da, um es vorsichtig auszudrücken, die Koalitionsfraktionen andere politische Prioritäten gesetzt hatten.Parallel zum Bundesmittelstandsförderungsgesetzentwurf hatten wir im Februar 1976 dem Deutschen Bundestag ein strukturpolitisches Aktionsprogramm für kleine und mittlere Unternehmen und freie Berufe vorgelegt. Teile dieses Aktionsprogramms — das stellen wir mit Befriedigung fest — sind inzwischen realisiert, insbesondere aus dem Bereich der Steuerpolitik. Ich möchte hier nur die Senkung der Vermögensteuer oder die Einführung des sogenannten Verlustrücktrages erwähnen.
— Graf Lambsdorff, dieser Antrag ist von uns — Sie wissen das sehr genau — zu einem sehr frühen Zeitpunkt eingebracht worden, bevor Sie sich dazu entschließen konnten. Sie kamen dann 11/2 Jahre später. Wäre das eher geschehen, wäre es wirksamer gewesen.
Andere Teile dieses Aktionsprogramms sind ernsthaft in die steuerpolitische Diskussion eingebracht worden, z. B. die Verbesserung der degressiven Abschreibung. Auch wenn wir die schon eher gehabt hätten, ginge es uns heute vielleicht ein bißchen besser.
Auch im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe gab es in den zurückliegenden Monaten durchaus Schritte in die richtige Richtung. Wir führen sie nicht zuletzt auf die Forderungen in unserem strukturpolitischen Aktionsprogramm zurück, das im übrigen — das möchte ich hier deutlich sagen — nach wie vor seine Gültigkeit hat.Wie also in der 7. Legislaturperiode unser Gesetzentwurf nicht die einzige Alternative der Union zur Tatenlosigkeit der Bundesregierung gewesen ist, sondern von anderen Initiativen begleitet wurde, so wird auch in der 8. Legislaturperiode das große Rahmengesetz nur der Auftakt unserer mittelstandspolitischen Arbeit sein. Er ist in dieser Debatte schon ergänzt durch den Antrag zur Situation der freien Berufe. Weitere Gesetzesnovellen sind in unserer Fraktion in Vorbereitung und werden Zug um Zug in konkreter Gesetzesform diesem Hohen Haus vorgelegt werden. Denn am Beginn einer Legislaturperiode sollten die Fraktionen sich nicht damit begnügen, nur Programme zur Debatte einzubringen. Sie müssen sich schon durchringen, ihre mittelstandspolitischen Vorstellungen auch in Gesetzesform zu kleiden — zumal ja im Bundestagswahlkampf alle plötzlich die Bedeutung des Mittelstandes entdeckt hatten.Der Mittelstandsförderungsgesetzentwurf konnte am Ende der 7. Legislaturperiode nicht mehr zu Ende beraten werden. Immerhin ist es jedoch im federführenden Ausschuß für Wirtschaft zu einer ersten Beratung gekommen, in dem wir uns seinerzeit einvernehmlich auf die Anhörung der betroffenen Verbände verständigt haben. Wir haben seitens des Ausschusses den Verbänden einen detaillierten Fragenkatalog zugestellt, der trotz des Ausklingens der Legislaturperiode von den Verbänden auch ernsthaft beraten und beantwortet wurde. Deshalb sind wir heute in der Lage, Ihnen den überarbeiteten und, ich möchte sagen, verbesserten Entwurf eines Bundesmittelstandsförderungsgesetzes vorzulegen. Der nun zur Beratung vorliegende Gesetzentwurf unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von dem der vorigen Legislaturperiode, und zwar in folgendem.Erstens. Der Gesetzentwurf zielt neben der Förderung der Arbeitsplätze in der mittelständischen Wirtschaft bewußt auch und zusätzlich auf eine stärkere Förderung der Ausbildungsplätze. Der Anteil der Ausbildungsplätze im Mittelstand geht schon heute weit über das Maß des Anteils an der Gesamtzahl der Beschäftigten hinaus. Kleine und mittlere Unternehmen haben in unserer Wirtschaft und Gesellschaft eine wesentliche Ausbildungsfunktion übernommen. Sie bieten Ausbildungsplätze an, die die Entwicklung sowohl zum Spezialisten wie zum allround-Manager erlauben. Der speziell in der mittelständigen Wirtschaft aktuell festzustellende Trend, zusätzliche Ausbildungsplätze bereitzustellen und einen überproportionalen Beitrag zur Überwindung des Problems der Jugendarbeitslosigkeit zu leisten, soll durch die Verabschiedung — und zwar durch die möglichst schnelle Verabschiedung — dieses Gesetzentwurfes noch verstärkt werden.Zweitens. Wir haben die Zahl der Abschnitte des Gesetzentwurfes auf sechs erhöht, da wir für die Maßnahmen zur Verbesserung der Beteiligung der mittelständischen Wirtschaft bei öffentlichen Aufträgen einen eigenen Abschnitt eingefügt haben. Dieser zielt speziell auf die Schaffung mittelstandsgerechter Vergabepraktiken.Drittens. Weiterhin haben wir in § 19 ein sogenanntes Privatisierungsgebot eingefügt, durch das die öffentliche Hand gezwungen werden soll, solche wirtschaftlichen Leistungen an private Unternehmen zu vergeben, die von privaten Unternehmen zweckmäßig, ordnungsgemäß und kostengünstig ausgeführt werden können.Viertens. Auch die Bestimmungen über die Rückbürgschaften in § 21 wurden weiterentwickelt. Den Kreditgarantiegemeinschaften sollen zur Stärkung ihrer Haftungsfonds verstärkt Kredite aus Mitteln des ERP-Sondervermögens gewährt werden. Wir werden auf diesen Fragenkomplex bei der Beratung des ERP-Haushaltsplans in diesem Haus noch detaillierter zu sprechen kommen.Fünftens. Verbessert und ergänzt wurden auch die Vorschläge zur Kooperation und zur Intensivierung der wirtschaftlichen Forschung.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3305
Hauser
Unser Mittelstandsförderungsgesetz haben wir durch einen Antrag ergänzt, durch den die Bundesregierung ersucht wird, dem Deutschen Bundestag bis zum 31. Dezember 1978 einen Bericht über die Lage der freien Berufe in Deutschland vorzulegen. In den zurückliegenden Jahren hat die Bundesregierung es stets vermieden, zu dieser wichtigen Gruppe, zu einer der tragenden Säulen des Mittelstandes klare Position zu beziehen. Vielmehr mußte man den Eindruck haben, daß die die Bundesregierung tragenden politischen Kräfte es bevorzugt haben, die freien Berufe als Zielscheibe ideologischer Angriffe freizugeben. Das klärende Wort der Bundesregierung hat hier stets gefehlt. Wir legen daher hiermit noch einmal ein Bekenntnis zu den freien Berufen ab und unterstreichen diese unsere Einstellung durch den Antrag in der Drucksache 8/901.
Ohne das Engagement der freien Berufe zur persönlichen Leistung und Verantwortung ist eine freiheitliche Gesellschaft nicht lebensfähig.
An der rechtlichen und sozialen Stellung der freien Berufe wird jeder Bürger aber auch ablesen können, wie es um die freiheitliche Ordnung des Staates, in dem er lebt, und um seine eigene Freiheit in diesem Staat und in dieser Gesellschaft bestellt ist.Niemand in der Bundesregierung trägt derzeit eine Verantwortung für den Bereich der freien Berufe.
Keiner fühlt sich hier verantwortlich oder gar in die Pflicht genommen. Der Bundesregierung soll daher durch unseren Antrag Gelegenheit gegeben werden, ihre Position zu präzisieren und konkret darzustellen, welche Politik sie künftig gegenüber den freien Berufen einzuschlagen gedenkt. Daß die derzeitige Politik einer pauschalen Diffamierung nicht so sehr durch die Bundesregierung, jedoch durch die sie tragenden politischen Kräfte nicht weiter akzeptiert werden kann, braucht hier wohl nicht besonders betont zu werden. Vielmehr muß die Bundesregierung trotz der sie tragenden Kräfte die innere Kraft haben, ihre Einstellung zu dieser wichtigen Gruppe des Mittelstandes zu präzisieren und so zu entwikkeln, daß die freien Berufe vor dem Zugriff des Kollektivismus geschützt bleiben.
Der neukonzipierte und in wesentlichen Punkten weiterentwickelte Gesetzentwurf ist zwar ein altes Anliegen der Unionsfraktion, jedoch kein „alter Hut", wie dies Kollege Junghans im Pressedienst seiner Fraktion angemerkt hat. Seinerzeit verwies Kollege Junghans im Pressedienst seiner Fraktion am 5. Juli 1977 darauf, daß Kollege Professor Schachtschabel bereits am 27. Juni 1977 in einer Pressemitteilung für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion Gesetzesinitiativen angekündigt hat, die — und ich zitiere hier wörtlich —in Fortsetzung der bisherigen unternehmensgrößenbezogenen strukturpolitischen Aktivitäten die größenbedingten Nachteile kleiner undmittlerer Unternehmen ausgleichen und ihre Anpassung an den technischen und wirtschaftlichen Strukturwandel erleichtern sollen.Auch im Beirat für gewerbliche Wirtschaft beim Bundesminister für Wirtschaft hat Herr Kollege Schachtschabel an die relativen Gemeinsamkeiten der Parteien in der Mittelstandspolitik appelliert und sich sehr aufgeschlossen für ein solches Mittelstandsförderungsgesetz gezeigt. Wir begrüßen diese Einstellung ausdrücklich und sehen in ihr eine Voraussetzung dafür, daß es zu einer sachlichen und emoltionsfreien Beratung des Entwurfs kommen kann.Auch der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 die Bedeutung kleiner und mittlerer Unternehmen für unsere Gesellschaft betont und Maßnahmen auf dem Gebiete der Wettbewerbspolitik und der Forschungsförderung angekündigt. Nur ist es leider bei diesen Ankündigungen geblieben. Dem Hohen Hause liegen keine Initiativen der Bundesregierung, aber auch nicht der sie teilweise noch tragenden Koalitionsfraktionen zur Mittelstandsförderung vor. Wir bedauern dies außerordentlich, denn die zahlreichen Landesparlamente haben bereits mit Unterstützung von SPD und FDP Mittelstandsförderungsgesetze verabschiedet, die sich auch in der Praxis bewährt haben. Ich erinnere hier an das bayerische Mittelstandsförderungsgesetz vom 8. Oktober 1974, dem Gesetze in Hessen, Baden-Württemberg, im Saarland, in Schleswig-Holstein und Hamburg folgten. Dem Niedersächsischen Landtag liegt neben dem Gesetzentwurf der CDU-Fraktion ein solcher der Fraktionen der SPD und FDP vor. Auch im Landtag von Rheinland-Pfalz hat außer der Regierung die SPD-Fraktion einen Gesetzentwurf eingebracht. Die positiven Erfahrungen, die mit den verabschiedeten Landesmittelstandsförderungsgesetzen gemacht werden, werden auf der Ebene des Bundes gewiß auch mit dem Bundesmittelstandsförderungsgesetz gemacht werden können; denn die Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen wird durch diesen Gesetzentwurf zu einer staatlichen Daueraufgabe mit Gesetzesrang gemacht.Durch den Gesetzentwurf soll darüber hinaus ein Impuls dazu gegeben werden, daß Mittelstandspolitik wieder stärker öffentlich diskutiert, parlamentarisch verantwortet und durch Gesetz abgesichert wird. Auf diesen Nenner sollten sich alle Fraktionen dieses Hauses verständigen können.Auch in anderen Bereichen der Wirtschaftspolitik, z. B. in der Konjunkturpolitik, kennen wir solche Rahmengesetze. Wir haben das Gesetz zur Förderung von Wachstum und Stabilität, das sich, zumindest im Prinzip, bewährt hat. Dies kann man nach zehnjähriger Erfahrung mit diesem Gesetz sagen, selbst wenn die derzeitige Bundesregierung nicht die Kraft und Geschlossenheit hat, die Möglichkeiten dieses Gesetzes zu nutzen und auch anzuwenden.
Dies entmutigt uns nicht, einen solchen Rahmen fürdie betriebsgrößenorientierte Strukturpoliik zuschaffen. Einzelinitiativen in vielen Bereichen der
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Hauser
I Wirtschaftspolitik, so berechtigt und wichtig sie auch sein mögen, sind dann weniger sinnvoll, wenn sie nicht eingebettet sind in eine zukunftsorientierte Gesamtkonzeption.
Diese Gesamtkonzeption haben wir mit dem Entwurf des Bundesmittelstandsförderungsgesetzes vorgelegt.Wir haben diese Gesamtkonzeption vorgelegt in einer Zeit, die gekennzeichnet ist durch einen stark abnehmenden Willen zur Selbständigkeit. Die Selbständigkeit ist eben aus der Sicht der Betroffenen heute nicht mehr attraktiv, wie dies die Bundesregierung in ihrem letzten Mittelstandsbericht noch glaubte feststellen zu können. Eine Analyse des Instituts für Demoskopie in Allensbach hat ergeben, daß nur noch 7 % der Bevölkerung bereit sind, sich selbständig zu machen, während es 1962, als die Welt noch vom deutschen Wirtschaftswunder sprach, 17 % waren, die sich unbedingt selbständig machen wollten.
Diese Quote der Selbständigkeit ist notwendig, wenn wir unsere marktwirtschaftliche Ordnung in ihrer bisherigen Struktur aufrechterhalten wollen.
In den letzten Wochen hat das Statistische Bundesamt Zahlen veröffentlicht, die ich Ihnen hier nicht vorenthalten möchte. In den Jahren von 1966 bis 1970 überwog die Zahl derer, die sich selbständig machen wollten, jene, die als Selbständige ausschieden, umI 14 099, während es in den Jahren 1970 bis 1975 ein Minus von 15 121 gab.
Das heißt, daß die Zahl der Selbständigen abnimmt und daß wir uns darüber unterhalten müssen, wie man diesen Substanzverlust in unserer Gesellschaft abstoppt und die Tendenz umkehren kann.
Durch die Verabschiedung des Bundesmittelstandsförderungsgesetzes soll nicht nur eine Kurskorrektur, sondern eine Wende in der deutschen Mittelstandspolitik erreicht werden. Wenn Sie die sehr ausführliche und detaillierte Begründung einmal kritisch analysieren und danach die Ziele und Instrumente des Gesetzentwurfes vorurteilsfrei unter 'die Lupe nehmen, können Sie mit mir nur zu der Auffassung kommen, daß es uns in diesem Gesetz nicht um die Gewährung von Subventionen oder die Privilegierung einer Schicht in unserer Gesellschaft geht. Wir wollen einen Nachteilsausgleich beim Mittelstand. Kleine und mittlere Unternehmen sind von Natur aus leistungsfähig; sie unterliegen aber auf verschiedenen Gebieten größenspezifischen Nachteilen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Großunternehmen erheblich beeinträchtigen und die damit auch ihren Bestand und ihre Entfaltung gefährden.Wir haben in der Begründung zu diesem Gesetzentwurf einen detaillierten 15-Punkte-Katalog von Benachteiligungen aufgeführt, die es auszugleichen gilt. Die Nachteile mittelständischer Unternehmen im Wettbewerb mit Großunternehmen sind durch folgende Stichworte gekennzeichnet: Mangelnde Eigenkapitalbasis, Diskriminierung bei den Kreditkonditionen, Diskriminierung bei den Abschreibungen und auf dem Beschaffungsmarkt, eine generelle Diskriminierung im Steuerrecht, eine spezielle Diskriminierung bei der Alterssicherung, bei der Erbschaftsteuer und bei der Gewerbesteuer, Diskriminierung durch wachsende Kompliziertheiten der Steuergesetzgebung insgesamt und eine Diskriminierung durch wachsende Verwaltungsarbeiten, die im Gefolge von Auflagen der öffentlichen Hand entstehen.Meine Damen und Herren, es gilt hier auch ein Problem anzusprechen, das leider in der mittelstandspolitischen Diskussion in den zurückliegenden Jahren überhaupt nicht ausgesprochen worden ist, oder wenn, dann viel zu kurz gekommen ist: die Rolle der Frau im Mittelstand.
Meine Damen und Herren, es gibt eine Vielzahl mittelständischer Existenzen und Unternehmen, die ohne die mithelfende Ehefrau oder die mithelfenden Familienangehörigen überhaupt nicht denkbar oder funktionsfähig wären.
Mit dieser Problematik hat sich bisher eigentlich niemand ernsthaft befaßt. Das geht von der allgemeinen Rechtsstellung bis hin zur Altersversorgung, die unter Umständen dann problematisch wird, wenn die Ehefrau plötzlich alleine, ohne den Meister im Betrieb, ein solches Unternehmen weiterführen muß. Ich will dies hier nicht im einzelnen vertiefen, wollte aber nicht versäumen, dieses Problem anzusprechen.Die Summe dieser Diskriminierungen hat im Endeffekt zu einem Ausbluten des Mittelstandes, zu einem Substanzverlust der Marktwirtschaft geführt.Die Erfahrungen mit der nun langanhaltenden Rezession bekräftigen die von uns immer wieder getroffene Feststellung: Der Mittelstand ist Hauptopfer der Entwicklung. 95 % der rund 10 000 Insolvenzen jährlich betreffen mittelständische Unternehmer. Trotz zweifelsohne vorhandener Chancen auf dem Markt sind die Risiken für die lohnintensiven Klein- und Mittelbetriebe stärker gestiegen als für den Durchschnitt der Unternehmen insgesamt.Neben neuen und verbesserten Strategien im Unternehmen selbst brauchen wir zur vernünftigen Eingrenzung der Risiken für die mittelständischen Unternehmen, speziell auch für die bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmer, eine Wende in der staatlichen Mittelstandspolitik.Neue Strategien sind notwendig, um die Chancen zu nutzen, die sich auch für mittelständische Unternehmen im Markt der Zukunft in vielfältiger Weise ergeben. Natürlich müssen solche Strategien zunächst vom Unternehmer selbst eingeleitet werden. Das Gesetz soll ihm dazu aber Hilfen anbieten. Hieraus ergeben sich weitere Aufgaben für die staatliche Mittelstandspolitik, die sich darauf konzen-
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trieren muß, den mittelständischen Unternehmen inder Wahrnehmung der natürlichen Chancen Möglichkeiten für ihre weitere Entwicklung zu eröffnen.Knapp zwei Jahre nach dem Tiefpunkt der Rezession müßte sich die Wirtschaft jetzt, wenn die früheren Ablaufmuster der Konjunktur noch stimmen, endlich in einer Phase des beschleunigten Wachstums befinden. Das ist jedoch nicht der Fall. Der Aufschwung findet noch immer nicht statt, wenngleich die amtlichen Erklärungen immer wieder betonen, daß die Lage besser sei als die Stimmung. Aber die Zukunft, meine Damen und Herren, ist nicht mehr das, was sie früher einmal war; denn die vielzitierte Stimmung ist nur ein anderer Begriff für Vertrauen.Ich möchte hier aus dem Bulletin der Bundesregierung vom 27. April den Herrn Bundeskanzler zitieren, der in Oslo auf der Konferenz der sozialistischen Parteien dazu gesagt hat:Industrie und Unternehmer haben nicht genügend Vertrauen, um zu investieren oder ihre Kapazitäten zu erneuern, zu vergrößern und zu modernisieren; gleichzeitig fehlt es an ausreichender Nachfrage bei Verbrauchern und Arbeitnehmern. Der Grund ist meines Erachtens das mangelnde Vertrauen in die Zukunft.Er sagt dann:Ich bin der Ansicht, daß die derzeitige Rezession zu weniger als 49 % wirtschaftliche, quantitative Gründe und zu mehr als 51 % psychologische und politische Gründe hat.
Das ist genau die Lage, meine Damen und Herren. Wenn die Verbraucher Konsumverzicht üben, wenn wir 1 Million Arbeitslose haben, wenn es im sozialen Bereich Finanzierungsschwierigkeiten gibt, dann brauchen wir jetzt ein Doppeltes: Wir brauchen eine breitangelegte Aktion „Bremsklötze weg", die Herr Kollege Barzel hier mehrfach angesprochen, eindrucksvoll belegt und mit Inhalt gefüllt hat. Was wir weiter brauchen, sind ein vertrauensbildender Akt gegenüber dem Mittelstand — eben dies ist die gesetzliche Absicherung der Mittelstandspolitik — und letztlich, damit verbunden, die Rückkehr zu einer an zentralen Werten orientierten Politik der Sozialen Marktwirtschaft.
Als Voraussetzungen für eine konsequente Politik zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und zur Erhaltung der vorhandenen Arbeitsplätze brauchen wir eine Wirtschaftspolitik, die eindeutig an der Marktwirtschaft festhält und allen dirigistischen Instrumenten und Experimenten in der Strukturpolitik, wie sie erneut in der SPD gefordert werden, einen Riegel vorschieben.
Wir brauchen eine Lohnpolitik, die an der wirtschaftlichen Leistungskraft gerade der mittelständischen Unternehmen orientiert ist und bei diesen wettbewerbsfähige Arbeitsplätze erhält.
Wir brauchen eine Steuer- und Abgabenpolitik, die die Überbelastung der Einkommensempfänger mindert und bei der mittelständischen Wirtschaft Investitionsimpulse gewährleistet.
Heute stehen wir vor den Spätfolgen einer jahrelangen Inflationspolitik. Die 1970 von der Regierung Brandt ausgelöste Anspruchsinflation produzierte zuviel Geld, Kosten, Kapazitäten, strukturelle Verwerfungen und Fehlplanungen.
Wirtschaftspolitische Fehler wie die ständige Vergrößerung des Staatsanteils und die Stop- and go-Politik der Koalition verstärkten die Unsicherheiten, die von linken Ideologen
— auch wenn Sie das nicht gerne hören, Herr Kollege — in beiden Parteien des Koalitionslagers ständig geschürt wurden. Niemand darf sich dann wundern, daß Risiken nicht mehr gefragt waren und das Vertrauen geschwunden ist. Was wir also brauchen, ist ein vertrauensbildender Akt gegenüber dem Mittelstand. Eben dies ist die gesetzliche Absicherung der Mittelstandspolitik und damit verbunden natürlich die gesicherte Rückkehr zu einer an den zentralen Werten der Sozialen Marktwirtschaft orientierten Politik. Nicht hektischer Aktionismus mit immer neuen vermeintlichen Patentrezepten hilft dem Mittelstand. Wir müssen vielmehr die ordnungspolitischen Grundprinzipien der Marktwirtschaft verankern und absichern.
— Ich komme gleich darauf, Herr Kollege Wolfram. Wettbewerb ist das Herzstück der Sozialen Marktwirtschaft. Ihn gilt es zu erhalten. Ich hoffe, wir sind hier einer Meinung.
— Hören Sie einmal gut zu, was ich jetzt sage. Wirtschaft ohne Wettbewerb, Wirtschaft ohne Leistung ist Sozialismus.
— Ich weiß, daß Ihnen das unangenehm ist. Das ist mir völlig klar. Ich bedaure sehr, Ihnen dies trotzdem sagen zu müssen.Diesen abschüssigen Weg wollen wir nicht gehen. Wir müssen hier stoppen. Mittelständische Unternehmer sind keineswegs lahm, einfallslos oder investitionsmüde.
Sonst zählten wir nicht zu den Ländern mit demhöchsten Lebensstandard in der Welt. Was aberfehlt, sind die vom Staat zu setzenden Rahmenbe-
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Hauser
dingungen für rentable Investitionen, d. h. für Wachstum und Beschäftigung. Diese Rahmenbedingungen sind durch den vorliegenden Gesetzentwurf zu schaffen und langfristig abzusichern. Seien Sie sicher, daß es nicht bei diesem Rahmen allein bleiben wird. Ebenso wie wir den Rahmenentwurf in der zurückliegenden Legislaturperiode durch ein konkretes strukturpolitisches Aktionsprogramm ergänzt haben, so werden wir auch in dieser Legislaturperiode konkrete Initiativen zur Behebung der Fehlentwicklungen auf einzelnen Feldern der Mittelstandspolitik ergreifen. Einzelinitiativen werden folgen, angefangen bei der Wettbewerbspolitik über die Steuerpolitik bis hin zur Sozial- und Bildungspolitik. Wir werden so ein generelles Umdenken in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik einleiten, für das der vorliegende Gesetzentwurf gleichsam Rahmen und Auftakt ist.Man sollte diesen Rahmen nicht unterschätzen. Durch dieses Bundesmittelstandsförderungsgesetz wollen wir die Mittelstandspolitik letztendlich von den Schwankungen der Tagespolitik, aber auch von der ideologischen Ausrichtung der jeweiligen Bundesregierung unabhängig machen. Ein solches Gesetz stellt mithin einen vertrauensbildenden Akt gegenüber dem ganzen Mittelstand dar. Der ganze Bundestag — der Gesetzgeber mithin — muß zu erkennen geben, daß er sich für die Zukunft des Mittelstandes verantwortlich fühlt. In diesem Sinne und vor diesem Hintergrund appellieren wir an alle Fraktionen dieses Hohen Hauses, in eine zügige, sachorientierte Beratung des Gesetzentwurfs mit dem Ziel einzutreten, den Gesetzentwurf möglichst bald zu verabschieden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat nunmehr der Herr Abgeordnete Dr. Schachtschabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem von der CDU/CSU vorgelegten Entwurf eines Bundesmittelstandsförderungsgesetzes wird einleitend auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung einer möglichst großen Zahl kleiner und mittlerer Unternehmen für die Struktur unserer Wirtschaft, wir wollen sogar sagen: unserer Marktwirtschaft, hingewiesen. Diesen Aussagen kann voll und ganz zugestimmt werden; denn sie sind, schon längst ehe die CDU/CSU mit ihrem Entwurf hervorgetreten ist, elementarer Bestandteil sozialdemokratischer Selbständigenpolitik.
Dafür liegen unzählige Beweise vor, angefangen vom Godesberger Programm
bis zu den verschiedenen Regierungserklärungen sozialdemokratischer Bundeskanzler.
Vorhin hat Herr Kollege Hauser gefragt: Wo sind denn die Gemeinsamkeiten? Dort sind sie ganz bestimmt, meine Damen und Herren.
Aber — und das unterscheidet uns — die sozialliberale Bundesregierung hat die Prinzipien ihrer Mittelstandspolitik nicht nur proklamiert, sondern auf der Grundlage ihres Strukturprogramms für kleine und mittlere Unternehmen — ich erinnere an das Jahr 1970 — sowie des fortgeschriebenen Aktionsprogramms zur Leistungssteigerung kleiner und mittlerer Unternehmen — ich erinnere an das Jahr 1976 — auch eine wirkungsvolle und erfolgreiche Selbständigenpolitik praktiziert.
Insofern bringt die CDU/CSU mit ihrem Entwurf nichts Neues, meine Damen und Herren. Die sozialliberale Bundesregierung hat längst gehandelt.
Herr Kollege Hauser hat behauptet, dabei handle es sich um Tatenlosigkeit. Dafür müßte er erst einmal den Beweis antreten.
— Ich möchte meine Ausführungen erst einmal fortsetzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Pieroth, der Redner hat gesagt, daß er keine Fragen beantworten möchte.
Meine Damen und Herren, wenn von der CDU/CSU ferner gesagt wird, der Entwurf stelle — ich zitiere — „eine geschlossene Konzeption zur Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen sowie der freien Berufe und zur Sicherung der Arbeits- und Ausbildungsplätze in der mittelständischen Wirtschaft dar", so kann man sich über eine derart anspruchsvolle Behauptung nur wundern. Bekanntlich hat die CDU/CSU bereits in der 7. Legislaturperiode — darauf wurde abgehoben — den Entwurf eines Bundesmittelstandsförderungsgesetzes vorgelegt. Wir waren schon damals auf den Inhalt dieses Entwurfs gespannt, aber nach Kenntnisnahme zutiefst enttäuscht.
Auch diesmal haben wir bei der Opposition Ideen- und Einfallsreichtum angenommen; aber erneut sind wir enttäuscht. Denn von einem, wie gesagt worden ist, überarbeiteten und verbesserten Entwurf kann man wahrlich nicht sprechen.
Es ist höchstens ein aufpolierter Entwurf, mehr aber nicht, meine Damen und Herren. Wir geben sogar zu, daß darin einige Ergänzungen enthalten sind; aber viel Neues bringt der Entwurf nicht.
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Dr. Schachtschabel) Wiederum können wir nur sagen: Die sozialliberale Bundesregierung hat längst gehandelt.Der CDU/CSU-Entwurf erstreckt sich heute wie damals im wesentlichen auf Maßnahmen der Gewerbeförderung sowie auf Maßnahmen zur Verbesserung der Kapitalausstattung kleiner und mittlerer Unternehmen, insbesondere auf Finanzierungshilfen. Die Vorschläge sind gut, aber sie enthalten nichts Neues. Die sozialliberale Bundesregierung hat längst danach gehandelt.Lassen Sie mich das mit einigen Beispielen beweisen. Greifen wir einige Vorschläge bzw. Forderungen aus dem Entwurf der CDU/CSU heraus und vergleichen wir sie mit der seit über sieben Jahren von der sozialliberalen Bundesregierung praktizierten Mittelstandspolitik.Erstens. Sie fordern die Förderung der beruflichen Fort- und Weiterbildung sowie die Unternehmensberatung zwecks Steigerung der fachlichen und betrieblichen Leistungsfähigkeit. Genau dies tut die sozialliberale Bundesregierung schon seit Jahren, meine Damen und Herren. Allein von 1970 bis 1975 sind vom Bund über 200 000 Beratungen in kleinen und mittleren Unternehmen gefördert worden. Fast 55 Millionen DM sind im gleichen Zeitraum zur Förderung der Weiterbildung von Unternehmern und Mitarbeitern aufgebracht worden. Im Gegensatz zu Ihren recht dürftigen und pauschalen Forderungen sind im Aktionsprogramm der sozialliberalen Bundesregierung detaillierte Maßnahmen zwecks Ausbaus und Verbesserung des Beratungswesens enthalten. Sie begnügen sich mit allgemeinen Forderungen; die Bundesregierung aber hat auch auf diesem Gebiete bereits gehandelt und wird ihre Politik konsequent fortsetzen, weil sie weiß, wie wichtig gerade dip Steigerung der fachlichen Qualifikation Selbständiger für deren Existenz- und Wettbewerbsfähigkeit ist.
Um Ihre Lücken in diesem Bereich wenigstens etwas zu schließen, werde ich nur einiges erwähnen; das müssen Sie sich nun schon einmal anhören, wenn Sie das Aktionsprogramm nicht gelesen haben. Die Umsatzgrenze für die Inanspruchnahme von geförderten Beratungen ist angepaßt worden; die Frist für die erneute Inanspruchnahme von geförderten Beratungen ist verkürzt worden; zusätzliche Spezialberatungen — im Aktionsprogramm namentlich aufgeführt — werden durchgeführt; die Aus- und Weiterbildung von Beratern für Selbsthilfeeinrichtungen der Wirtschaft wird gefördert; nicht zuletzt erfolgt eine Förderung von Grundlagen- und Entwicklungsarbeiten zur Effizienzsteigerung der Unternehmensberatung, insbesondere durch Aufbereitung gesamtwirtschaftlicher und branchenspezifischer Daten, durch systematische Auswertung der Erfahrungen aus bereits durchgeführten Beratungen und durch Nutzbarmachung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse.Sie kommen in Ihrem Entwurf mit vagen und pauschalen Vorschlägen; die sozialliberale Bundesregierung aber praktiziert einen qualitativ und quantitativ ausgewogenen und erfolgreichen Maßnahmenkatalog.
Zweitens. Sie verlangen in Ihrem Entwurf Förderung der beruflichen Fort- und Weiterbildung; übrigens mit ganzen zehn Zeilen. Offensichtlich ist Ihnen an dieser Stelle die Luft ausgegangen.
Wenn Sie aber das Aktionsprogramm eingehend gelesen hätten, dann hätte Ihnen auffallen müssen, daß die sozialliberale Bundesregierung auch auf diesem Gebiet schon längst wirkungsvoll handelt. Zur Verbesserung der Qualifikation von Unternehmern und Führungskräften werden Weiterbildungseinrichtungen gefördert. Bundeswichtige Fachschulen und sonstige Schulungsstätten des Handwerks, Handels und Verkehrsgewerbes werden durch Beteiligung an den Bau-, Ausbau- und den Einrichtungskosten finanziell unterstützt. Die Entwicklung von Lehr- und Lernmethoden wird finanziert. Zuschüsse zu den Vorbereitungs- und Durchführungskosten von Seminaren zur innerbetrieblichen Schulung von Unternehmern und Führungskräften mittlerer Industrieunternehmen werden gewährt. Veranstaltungen zur systematischen Vermittlung unternehmerischen Führungswissens werden im Rahmen der Vorbereitung auf die Meisterprüfung im Handwerk gefördert. Es gibt weitere Schwerpunkte zur Förderung der beruflichen Ausbildung und der betrieblichen Rationalisierung, die alle aus Zeitgründen verständlicherweise nicht aufgeführt werden können.Aber das müssen wir Ihnen nun entgegenhalten. Von all diesen Maßnahmen ist in Ihrem Entwurf nichts zu entdecken.
Deshalb müssen wir wieder sagen: Die sozialliberale Bundesregierung hat schon längst gehandelt und mehr getan, als Ihr Entwurf enthält.
Drittens. Sie fordern die Förderung der zwischenbetrieblichen Zusammenarbeit. Ich kann nur begrüßen, daß Sie endlich die Bedeutung der Kooperation zwischen kleinen und mittleren Unternehmen erkannt haben. Aber die sozialliberale Bundesregierung hat auch auf diesem Gebiete schon längst gehandelt. Ich erinnere nur an die zweite Kartellgesetznovelle von 1973, nach der die zwischenbetriebliche Zusammenarbeit möglich geworden ist. Ihnen ist auch zu diesem Thema nichts eingefallen, was nicht schon längst von der sozialliberalen Bundesregierung praktiziert wird.Herr Kollege Hauser, ein persönliches Wort: Wer hat sich denn gegen mehr Wettbewerb, wer hat sich denn gegen eine Verstärkung des Wettbewerbs in der 6. Legislaturperiode gewandt? Wer war denn das? Vielleicht sehen Sie einmal in den Protokollen nach, wie wir da mit der Opposition nicht gerade klargekommen sind und erst in der 7. Legis-
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Dr. Schachtschabellaturperiode mehr Wettbewerb durchsetzen konnten. Das war diese sozialliberale Koalition und nicht etwa die Opposition, auch wenn Sie immer lauthals davon sprechen, Sie wollten mehr Wettbewerb haben.
Führen Sie dafür bitte praktische Beweise an! Wir haben das getan; bei Ihnen fehlt das.Viertens. Auch Ihre Bemerkungen zur Verbesserung von Information und Dokumentation enthalten nichts Neues. Offenbar haben Sie aus dem Aktionsprogramm lediglich den Titel „Information und Dokumentation" abgeschrieben, aber vergessen, die konkreten Maßnahmen der sozialliberalen Bundesregierung nachzulesen, die diese schon längst praktiziert. Im Aktionsprogramm wird exakt gesagt, wie kleinen und mittleren Unternehmen der Zugang zu betriebswichtigen Informationen geschaffen wird. Ein paar Beispiele: durch Verstärkung des Informationsangebots über aktuelle gesamtwirtschaftliche und strukturelle Entwicklungen, durch die Verbesserung des Informationsstandes von Unternehmern im Bereich des Handels, durch die Verbreitung von Merkblättern, durch die Errichtung von Fachinformationssystemen im Rahmen des Informations- und Dokumentationsprogramms der Bundesregierung, durch die Förderung der Durchführung von zwischenbetrieblichen Untersuchungen und Betriebsvergleichen, um wichtige Kennzahlen über die Entwicklung bestimmter Branchen und andere Angaben zu schaffen, durch den Aufbau des Informations- und Dokumentationswesens bei zentralen Stellen und durch die Förderung einer Informationsleitstelle für die gewerbliche Wirtschaft beim RKW. Ich könnte noch weitere Informationsstellen, wie z. B. diejenigen für die spezielle Ausrichtung der Unternehmensführung, anführen; aber darauf möchte ich im Augenblick verzichten.Fünftens. Auch zur Förderung von Forschung und Entwicklung tragen Sie in Ihrem Entwurf wenig bei. In drei kurzen Absätzen fordern Sie lediglich, daß Vorhaben der praxisnahen und anwendungsorientierten Forschung, der technischen Entwicklung und Erprobung gefördert werden sollen. Das gleiche gilt für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, soweit sie im Wege der Vertragsforschung für Dritte durchgeführt werden. Demgegenüber sind die im Aktionsprogramm aufgeführten Maßnahmen zur Förderung von Forschung und Entwicklung weitaus gehaltvoller und umfassender. Auch hierfür nenne ich wieder einige Beispiele, die bekannt sein sollten, ehe man sich zu einem solchen Gesetz bekennt. Die bisher praktizierten Maßnahmen sollten wenigstens berücksichtigt werden.Auch wieder nur einige Beispiele: Es wird der Ausbau der industriellen Gemeinschaftsforschung im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen, der AIF, gefördert, es werden verstärkt kleine und mittlere Unternehmen an den technologischen Schwerpunktprogrammen beteiligt, die Vertragsforschungsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen sind bei der Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e. V. verstärkt worden. Die Umsetzung von technischen Forschungs- und Entwicklungsergebnissen durch Informationsmaterial und ähnliche Unterlagen wird gefördert, Erfinder werden bei der Erwirkung, Aufrechterhaltung und Verwertung von Schutzrechten unterstützt, die Lizenzvermittlung für geschützte Erfindungen aus staatlich geförderter Forschung und Entwicklung durch die Arbeitsgruppe Patentverwertung der Fraunhofer-Gesellschaft wird gefördert. Größtes Gewicht wird auf die Verbesserung der Innovationstätigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen gelegt, die nach unserer Auffassung für die Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit von größter Bedeutung ist. Diesem Ziel dient die verstärkte Förderung volkswirtschaftlich relevanter Erstinnovationen, die Gründung der Deutschen Wagnisfinanzierungsgesellschaft, die Einrichtung einer Technologiebörse, an der zentral für kleine und mittlere Unternehmen relevantes Knowhow gesammelt wird, das von diesen abgerufen werden kann, ganz zu schweigen vom Einsatz von Technologieberatern.Ihre Bereitschaft, die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit gerade der kleinen und mittleren Unternehmen zu stärken, hat die Bundesregierung erst vor kurzem erneut deutlich unter Beweis gestellt, als sie in ihren Beschlüssen zur Förderung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung ankündigte, die Zulage für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen bis zur Höhe von 500 000 DM jährlich je Unternehmen von bisher 7,5 v. H. auf 15 v. H. zu verdoppeln. Ferner soll unter bestimmten Voraussetzungen künftig auch für die Anschaffung aktivierungspflichtiger immaterieller Wirtschaftsgüter, z. B. Patente, die Zulage gewährt werden. Zugleich wird die steuerrechtliche Zweckbindungsvorschrift bei der Nutzung von Gebäuden für Forschung und Entwicklung gelockert. Übrigens: Aus diesen Maßnahmen ergibt sich eine Steuerentlastung im ersten Jahr von etwa 100 Millionen DM. Auch das sollten wir einmal am Rande mit vermerken. Gerade auch diese Maßnahmen beweisen, daß die sozialliberale Bundesregierung schon längst handelt und konkrete, praktische Hilfestellungen für den gewerblichen Mittelstand realisiert, die sich von den unverbindlichen Versprechungen im Entwurf der Opposition wohltuend abheben.Sechstens. Von gleicher Schlichtheit ist der CDU/ CSU-Entwurf bei der Behandlung der Exportförderung für kleine und mittlere Unternehmungen gekennzeichnet. Dagegen wird im Aktionsprogramm aufgezählt, was die Bundesregierung zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen im Außenhandelsgeschäft von der Förderung der Beteiligung kleiner und mittlerer Unternehmen an Auslandsmessen bis zur Förderung von Exportberatungen im Rahmen der allgemeinen Unternehmensberatungsprogramme leistet.Siebentens. Einen besonderen Eindruck will die CDU/CSU in ihrem Entwurf offenbar mit den dort angeführten Maßnahmen zur Verbesserung der Beteiligung der mittelständischen Wirtschaft an öffentlichen Aufträgen erwecken. Auch hier kann ich nur wiederholen, daß die Opposition gut beraten gewesen wäre, wenn sie das Aktionsprogramm zu diesem
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Dr. SchachtschabelThema gelesen hätte. Denn sie hätte leicht feststellen können, daß die sozialliberale Bundesregierung auch auf diesem Gebiet wirksam tätig ist. Unbeschadet der bereits seit längerem getroffenen Regelungen einzelner Bundesressorts, die eine angemessene Berücksichtigung kleiner und mittlerer Unternehmen bei der Auftragsvergabe gewährleisten sollen, z. B. der Erlaß des Bundesministers der Verteidigung, hat die Bundesregierung erst im letzten Jahr konkrete Richtlinien zur angemessenen Beteiligung kleiner und mittlerer Unternehmen an der Vergabe öffentlicher Aufträge, über Lieferungen und Leistungen nach der Verdingungsordnung für Leistungen, der VOL, erlassen, die größenbedingte Wettbewerbsnachteile mittelständischer Unternehmen bei öffentlichen Aufträgen ausgleichen.Achtens. Wir übersehen keineswegs das im Entwurf der Opposition enthaltene sogenannte Privatisierungsgebot — das haben Sie eingebaut —, wonach die öffentliche Hand wirtschaftliche Leistungen, die von privaten Unternehmen — ich zitiere aus dem Entwurf — „zweckmäßig, ordnungsgemäß und kostengünstig ausgeführt werden, soweit wie möglich an solche vergeben" soll. Die Opposition allein mag wissen, welche Kriterien zugrunde zu legen sind, um zu beurteilen, welche wirtschaftlichen Leistungen von privaten Unternehmen zweckmäßig, ordnungsgemäß und kostengünstig ausgeführt werden können, die dann auch noch soweit wie möglich an diese vergeben werden sollen. Was soll man ernsthaft mit solch höchst verschwommenen Ausdrücken und Darlegungen anfangen!Neuntens. Schließlich werden von der Opposition Maßnahmen zur Verbesserung der Kapitalausstattung kleiner und mittlerer Unternehmen gefordert, insbesondere Darlehen, Zuschüsse, Bürgschaften, Rückbürgschaften und Rückgarantien. Ein Blick in das Aktionsprogramm zeigt aber, daß die sozialliberale Bundesregierung zur Verbesserung der betrieblichen Finanzierungsmöglichkeiten kleiner und mittlerer Unternehmen enorme Summen zur Verfügung gestellt hat. Allein die Ansätze für die ERP- Mittelstandsprogramme stiegen von 475 Millionen DM in 1975 auf 657 Millionen DM in 1976 und sogar auf 715 Millionen DM in 1977. Hinzu kommen Mittel aus den entsprechenden Programmen der Kreditanstalt für Wiederaufbau, der Lastenausgleichsbank und anderen Quellen. Wie Ihnen sicher bekannt ist, hat die Bundesregierung beschlossen, die Mittel des ERP-Existenzgründungsprogramms von 270 Millionen DM in 1977 auf 500 Millionen DM in 1978 aufzustocken.
Hinzu kommt, daß die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieses Programms verbessert werden und daß die Lastenausgleichsbank für ihr Ergänzungsprogramm zusätzlich 100 Millionen DM in 1978 zur Verfügung stellen soll.
Diese Beispiele verdeutlichen zur Genüge, daß es sich bei dem Entwurf der CDU/CSU keineswegs um eine geschlossene Konzeption zur Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen handelt. Vielmehr ist er ein offenbar höchst eilig zusammengeschriebener Entwurf, der in der Sache nicht weiterführt.
Man kann ihm lediglich zugestehen, daß er eine unvollständige und dürftige Zusammenreihung all jener Maßnahmen darstellt, die von der sozialliberalen Bundesregierung auf der Grundlage der genannten Programme längst praktiziert werden.
Insofern ist der Entwurf der CDU/CSU überflüssig. Wir werden aber seiner Überweisung an die zuständigen Ausschüsse zustimmen.
Dort werden wir freilich in allen Einzelheiten die Schwächen dieses Entwurfs aufdecken.Die Opposition mag sich von ihm eine gewisse plakative oder auch propagandistische Wirkung versprechen. Inhaltlich bringt dieser Entwurf nichts Neues. Die sozialliberale Bundesregierung hat längst gehandelt.
Lassen Sie mich auch zu dem Antrag auf Berichterstattung über die Lage der freien Berufe etwas sagen. Denn auch zu dem Antrag der CDU/CSU, die Bundesregierung solle bis zum 31. Dezember 1978 einen Bericht über die Lage der freien Berufe erstellen, müssen ein paar Bemerkungen gemacht werden. Im einzelnen wird vor allem ersucht, über Begriff, Gruppen, Zahl, Funktion, wirtschaftliche Situation und Förderung der freien Berufe in diesem Bericht Auskunft zu geben.Es ist ein gutes Recht — nicht nur der Opposition —, einen derartigen Antrag zu stellen. Doch muß sich der Antragsteller darüber im klaren sein, ob ein solcher Bericht im gewünschten Sinn in zureichendem Maß überhaupt erstellt werden kann. Denn bereits im Mittelstandsbericht der Bundesregierung — ich verweise auf die Bundestagsdrucksache 7/5248 — sind absichtlich keine Aussagen über die freien Berufe gemacht worden, da die Situation der freiberuflich Tätigen nur unter den jeweils gruppenspezifischen Verhältnissen erfaßt werden kann. Denn die Lage der niedergelassenen Ärzte ist eine andere als die der Rechtsanwälte und die der Steuerberater eine andere als die der freischaffenden Ingenieure und Architekten; ganz zu 'schweigen davon, daß die einzelnen Gruppen der Freiberufler mit ihren unterschiedlichen Belangen den verschiedensten Ministerien zugeordnet sind. Insofern bestehen von vornherein erhebliche Bedenken, wenn der Bericht nicht nur eine additive Zusammenstellung mit geringfügigem Aussagewert beinhalten soll.Trotz dieser Bedenken wird die SPD-Bundestagsfraktion zustimmen, den Antrag zur weiteren Beratung den vorgeschlagenen Ausschüssen zu überweisen. Wir behalten uns auch in diesem Fall vor, auf Einzelheiten dieses Antrags während der Ausschußberatungen einzugehen.
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3312 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Wurbs.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute den von der CDU/CSU eingebrachten Gesetzentwurf zur Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen sowie der freien Berufe und zur Sicherung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen in der mittelständischen Wirtschaft erneut beraten, so deswegen, weil die Opposition ganz offensichtlich nach dem Motto verfährt „Hartnäckigkeit macht sich bezahlt" und „Quantität ersetzt Qualität".Sie meint, es reiche aus, einen in der letzten Legislaturperiode bereits abgelehnten Gesetzentwurf in modifizierter Form einzubringen, um die Regierungskoalition zu veranlassen, ihm nunmehr zuzustimmen. Ganz offensichtlich übersieht die CDU/CSU dabei, daß die Argumente, die seinerzeit zur Ablehnung dieses Entwurfs führten, unverändert fortbestehen.
Zielrichtung mag zwar sein, die Regierung unter eine Art psychologischen Druck zu setzen, der da heißt: Ihr müßt etwas für den Mittelstand tun, ihr könnt ja gar nicht ablehnen, wenn wir ein Bundesmittelstandsförderungsgesetz vorlegen, ihr macht euch sonst den Mittelstand zum Feind!
Offensichtlich bedient man sich dabei als Hilfsargument der in den verschiedensten Ländern verabschiedeten Gesetze. Dabei wird allerdings übersehen, daß die Bedingungen in den Ländern anders geartet sind als im Bund und daß das, was für die Länder gut ist, noch längst nicht für den Bund gut sein muß. Dies wird im übrigen auch von den Ländern keinesfalls bestritten; die Länder sehen es nicht anders. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, doch einmal die Auffassung der bayerischen Landesregierung einzuholen. Vielleicht kommt diese heute noch im Laufe der Debatte zur Sprache..Aber, meine Damen und Herren, Ihre Strategie zieht nicht. Die mittelständischen Betriebe wissen sehr wohl zu unterscheiden zwischen dem, was lediglich deklamatorischen Charakter hat und in der Sache nichts Neues bringt, und dem, was von der sozialliberalen Koalition in der Vergangenheit für den Mittelstand getan worden ist und auch in der Zukunft noch getan wird.
Ich verweise beispielsweise auf die jüngsten steuerlichen Beschlüsse.Daß Ihr Gesetz nur deklamatorischen Charakter hat, ergibt sich ganz einfach daraus, daß all die Punkte, die in diesem Gesetz von der Opposition gefordert werden, von der Bundesregierung bereits im Rahmen ihrer allgemeinen Wirtschaftspolitik erfüllt worden sind. Herr Kollege Hauser, ich bitte, zuzuhören: Sie können die Punkte, die Sie in der Drucksache 7/4759 vom 17. Februar 1976 aufgeführt und in Ihrem strukturpolitischen Aktionsprogramm für kleinere und mittlere Betriebe niedergelegt haben, exakt abhaken. Ich meine damit die Forderungen im steuerlichen Bereich. Herr Kollege Hauser, ich habe das Gefühl, daß Sie vom Wert Ihres Gesetzes selbst nicht voll überzeugt sind, wenn Sie gleich bei Einbringung dieses Gesetzes eine Reihe weiterer Initiativen und, wie Sie es bezeichnen, Strategien ankündigten.Ich darf hier auf die im Jahre 1970 von der Bundesregierung verabschiedeten Grundsätze einer Strukturpolitik für kleinere und mittlere Unternehmen sowie auf das Aktionsprogramm für Leistungssteigerungen in bezug auf diese Unternehmen hinweisen, die heute unverändert aktuell sind und im Rahmen des Mittelstandsberichts 1976 fortgeschrieben wurden. Das Leitmotiv dieser Maßnahmen lautet: Hilfe zur Selbsthilfe.Wir verstehen unter Wirtschaftspolitik gleichzeitig auch Mittelstandspolitik. Die Mittelstandspolitik muß also in die Gesamtpolitik eingebettet sein. Die Marktwirtschaft — daran hat diese Regierung nie einen Zweifel aufkommen lassen, auch wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, der Öffentlichkeit in beredten Worten das Gegenteil einzureden versuchen — bedeutet die Grundlage unseres allgemeinen Wohlstandes. Sie ist die Gewähr für unsere wirtschaftliche Sicherheit auch von morgen. Der Bestand weniger Großkonzerne ebenso wie planwirtschaftliche Modelle würden den gesellschaftspolitischen Fortschritt nicht fördern, sondern hemmen. In einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung sind Unternehmen aller Größenordnung notwendig, so auch eine Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen. Ich darf hier noch einmal wiederholen, was ich bereits in der Debatte vom 3. Juli 1969 ausführte: Die Existenz und die Festigung der mittelständischen Wirtschaft ist nicht nur eine ökonomische, sondern vielmehr auch eine politische Aufgabe. An unserer Zielvorstellung hat sich in der Zwischenzeit nichts geändert.Meine Damen und Herren von der Opposition, ich muß Sie wirklich fragen: was versprechen Sie sich eigentlich von der Einbringung eines solchen Katalogs von Forderungen?
Mittelstandspolitik ist keine Schutzzaunpolitik. Dies habe ich bereits am 3. Juli 1976 ausgeführt, und das hat auch mein Kollege Graf Lambsdorff von dieser Stelle aus schon gesagt. Mittelstandspolitik kann nur im Rahmen der allgemeinen Wirtschaftspolitik betrieben werden. Aber ganz offensichtlich verfahren Sie nach dem Motto: die Fülle der Gesetze ist noch nicht genug, hier muß noch ein Pfropfen draufgesetzt werden. Der Vorsitzende Ihrer Mittelstandsvereinigung, Herr Kollege Zeitel, unterläßt es auf keiner Veranstaltung, hierauf als Fehler der Koalition zu verweisen. Aber offensichtlich gelten die Maßstäbe, die Sie an andere anlegen, für Sie selber nicht.In diesem Zusammenhang möchte ich nicht versäumen darauf hinzuweisen, daß Sie es sind, die von der Bundesregierung und der Koalition eine rasche Anpassung an veränderte wirtschaftliche Situationen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3313
Wurbsfordern. Ich frage Sie: wie wollen Sie bei einem Gesetz wie diesem eine solche rasche Anpassung garantieren? Das von uns vorgelegte Aktionsprogramm gewährleistet eine flexible Handhabung und kann leichter als das von Ihnen vorgeschlagene Mittelstandsförderungsgesetz der jeweiligen Entwicklung angepaßt werden.Ich kann nur feststellen, daß ein Bereich, den Sie einstmals als Ihre Domäne gepachtet zu haben glaubten, daß dieses Feld von der Regierung so gut bestellt wird, wie das in der Vergangenheit nicht vermocht wurde. Das wollen Sie nicht wahrhaben.Ich will hier aber nicht in Schönfärberei verfallen. Ich kann und will nicht leugnen, daß auch der Mittel stand wie viele andere Bereiche der Wirtschaft einem permanenten Strukturwandel unterliegt und dabei mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Es darf aber nicht übersehen werden, daß gerade kleine und mittlere Betriebe mit der Rezession und mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten besser fertig geworden sind als andere Wirtschaftszweige. Ich muß mich fast wundern — sollte die Behauptung des Kollegen Hauser zutreffen —, daß in der Bundesrepublik ein Mittelstand noch existiert; er müßte vielmehr nach seiner Auffassung zusammengebrochen sein. Um so erstaunlicher ist es, daß in der Bundesrepublik immerhin noch zirka 1,9 Millionen kleine und mittlere Unternehmen existieren, die immerhin 60 % der rund 22 Millionen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik beschäftigen. Diese Anteile sind in den letzten Jahren fast konstant geblieben.Hier gestatten Sie mir bitte einen Einschub. Von einem Ausbluten, wie Sie, Herr Kollege Hauser, es nannten, kann keinesfalls die Rede sein. Sie sprachen auch vom mangelnden Vertrauen in die Wirtschaft. Glauben Sie wirklich, daß Sie durch Ihre Schwarzmalerei das Vertrauen wiederherstellen und das Vertrauen stärken? Ich bin nicht der Auffassung. Wenn es Ihnen ernst ist, wieder Vertrauen herzustellen, sollten wir gemeinsam alles tun, dieses Ziel zu erreichen.
Ich komme noch einmal auf die konstante Größe des Mittelstandes zurück. Hierzu ein Beispiel. Im Bereich des Handwerks — die Situation ist Ihnen, Herr Hauser, ja bestens bekannt — ist zwar ein permanenter Rückgang der Betriebe zu verzeichnen, während die Zahl der Beschäftigten und der Umsatz je Betrieb laufend gestiegen sind. Ich könnte das mit Zahlen belegen.Ich will auch nicht bestreiten — und ich glaube, in diesem Punkte sind wir alle uns einig —, daß die Belastbarkeit der Wirtschaft und damit auch des Mittelstandes ihre Grenzen erreicht hat.
— Aber, meine Damen und Herren, so einfach, wie Sie es sich in der Begründung Ihres Entwurfs teilweise machen, ist die Situation nicht.
So monieren Sie beispielsweise auf Seite 14 unter Nr. 11, daß die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle zu einer starken Belastung der Betriebe beigetragen hat. Das ist nicht zu bestreiten. Ich darf aber doch wohl in Erinnerung rufen, in welcher Regierungszeit dies geschehen ist
und wer die Initiativen zu diesem Punkt ergriffen hat. Man soll sich da nicht von Gesetzen, die man selbst beschlossen hat, hinwegstehlen
und jetzt die Auswirkungen verniedlichen.
Meine Damen und Herren, daß Ihr Entwurf keinerlei materielle Verbesserung der Mittelstandspolitik selbst bringt, habe ich bereits erwähnt. Aber daß Sie dem Kritiker Ihres Entwurfs gleichzeitig den Ansatzpunkt für die Kritik selbst mitliefern, ist ja schon erstaunlich und zeugt von einem hohen Maß an Selbstüberschätzung. Schon bei der letzten Einbringung dieses Entwurfs ist von mir kritisiert worden, daß sich die finanziellen Forderungen, die Sie erheben, nach den jeweiligen Haushaltsmöglichkeiten richten sollten. Hier kann ich nur wiederholen: Solange die Finanzierung nicht in allen Details geklärt ist, ist ein solches Gesetz lediglich Augenwischerei und hat rein deklamatorischen Charakter.
Mit dem Schlagwort „Der Mittelstand braucht neue Strategien", wie Sie es hier formulierten, ist nichts ausgesagt.Im übrigen möchte ich an dieser Stelle nicht versäumen, darauf hinzuweisen, daß die FDP-Fraktion bereits im Jahre 1972 ein 12-Thesen-Papier zur Mittelstandspolitik vorgelegt hat,
das gute programmatische Schritte für die Arbeit auf diesem Gebiet geleistet hat. — Herr Kollege Ritz, wenn man einen derartigen Zwischenruf macht, sollte man die Thesen zumindest einmal gelesen haben,
und dann könnten wir darüber diskutieren.
Wir haben diese Thesen in unsere Mittelstandspolitik einfließen lassen und haben sie durchgesetzt. Sie aber haben mit Ihrem Gesetzentwurf bisher noch nichts erreicht!
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3314 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Wurbs— Ach, „Thesenpartei"! Das sind doch billige Schlagworte. Ich habe schon originellere Zwischenrufe von Ihnen gehört.
Ich darf in diesem Zusammenhang auch an die Finanzierungsmöglichkeiten und die Maßnahmen zur Wettbewerbspolitik erinnern. Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, die Sie ständig behaupten, von der sozialliberalen Koalition würden die Grundprinzipien des freien Marktes tangiert oder sogar außer Kraft gesetzt, darf ich sagen: Mittelstandspolitik kann nur Hilfe zur Selbsthilfe sein; Schutzzaunpolitik gibt es nicht.Für die Koalition ist es dennoch keine Glaubensfrage, ob Mittelstandsförderungsmaßnahmen in einem Mittelstandsförderungsgesetz oder in einem Aktionsprogramm verankert sind. Trotz konträrer Standpunkte scheuen wir eine Sachdiskussion keinesfalls und stimmen daher der Überweisung des Gesetzentwurfes an die zuständigen Ausschüsse zu.Zum Antrag auf Drucksache 8/901 — Bericht über die Lage der freien Berufe — wird mein Kollege Gattermann noch im einzelnen Stellung nehmen. Aber, meine Damen und Herren, ein paar Bemerkungen, die seitens des Sprechers der Opposition eben gemacht worden sind, können so nicht stehenbleiben. Es ist zwar das Recht der Opposition, alles schwarz in schwarz zu malen; ich muß aber mit allem Nachdruck der Behauptung widersprechen, diese Regierung hätte nichts oder zu wenig für den Mittelstand getan. Das Gegenteil ist der Fall.Zunächst ein Wort zur Wettbewerbssituation und zur Chancengleichheit: Es war eine der ersten Maßnahmen dieser sozialliberalen Koalition, die Kartellnovelle zu verabschieden — eine Entscheidung, die zu treffen frühere Regierungen nicht die Kraft hatten. Sie, Herr Kollege Hauser, bezeichnen den Wettbewerb als das Herzstück der Marktwirtschaft. Dem stimmen wir zu, und deswegen haben wir die Novelle so schnell verabschiedet, um das Herz — um bei diesem Beispiel zu bleiben — mit dem nötigen Blut zu versorgen.Mit der Novelle wurden folgende gesetzliche Maßnahmen verankert: Einführung der Kooperationserleichterung mit der Mittelstandsempfehlung, Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen; um kleine und mittlere Unternehmen über die Vorteile der neuen Kooperationserleichterung zu informieren, wurde eine Broschüre vorgelegt. Das alles ignorieren Sie, weil es Ihnen nicht in Ihre Argumentation paßt.Die vom Gesetzgeber verfolgten Zielsetzungen wurden durch die Rechtsprechung voll bestätigt. Dies gilt vor allem für das Verbot der Lockvogel-Werbung, für das Verbot der irreführenden Werbung mit der Bezeichnung „Hersteller" und „Großhändler" und für das Verbot des Kaufscheinhandels.Meine Damen und Herren, in Stichworten möchte ich hier nur einige Gesetze nennen, weil Sie immer behaupten, diese Regierung habe nichts für den Mittelstand getan. Es muß hier festgehalten werden, welche Gesetze für die Wirtschaft und damit für denMittelstand in der letzten Legislaturperiode verabschiedet wurden. Ich darf nennen die Öffnung der Altersversorgung für Selbständige, das 16-Milliarden-Programm, das Infrastrukturprogramm, das Impulse für die gesamte Wirtschaft geben soll.
— Soll, das ist ganz klar. Wenn die Gemeinden und die Länder nicht in der Lage sind, entsprechende, förderungsreife Projekte vorzulegen, dann kann man dem Bund, wenn er ein solches Programm auflegt, keinen Vorwurf machen, wenn dieses Programm nicht zu realisieren ist. Man darf also nicht alle Schuld auf den Bund abladen. Aber Sie suchen sich ja nur die Punkte heraus, die Ihnen passen. Sie sollten in Ihren Ländern dafür Sorge tragen, daß entsprechende Projekte vorgelegt werden, die realisiert werden können. — Ich nenne weiter den Verlustrücktrag für kleine und mittlere Betriebe, die Körperschaftsteuerreform, die jetzt vorgesehene Erhöhung der Freibeträge für die Gewerbesteuer; ich nenne die Senkung der Vermögensteuer, die Erhöhung des Freibetrages für die Lohnsummensteuer, die erhöhte Abschreibung, die Abschreibung auf Gebäude und die vorgesehene Tarifreform im Steuerrecht, um nur einige zu nennen. Ich glaube, das alles sind Maßnahmen, die sich durchaus sehen lassen können.Wir werden Ihren 'Gesetzentwurf prüfen. Wenn Sie Vorschläge unterbreiten, die der gesamten Wirtschaft und dem Mittelstand dienen, wären wir die letzten, die diesem Vorhaben und diesen Einzelpunkten ihre Unterstützung nicht geben würden. Wir stimmen der Überweisung zu.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidhuber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sprecher der Koalition haben unserem Entwurf eines Bundesmittelstandsförderungsgesetzes einen Katalog von mittelstandspolitisch relevanten Einzelmaßnahmen entgegengehalten. Damit ist aber eine falsche Alternative aufgebaut worden. Dies ist doch keine Frage des Entweder-Oder, sondern des Sowohl-Als-auch. Daß eine Vielzahl solcher Einzelmaßnahmen notwendig ist, wird doch von niemandem bestritten.Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie können sich diese Einzelmaßnahmen auch nicht als Ihre eigenen und alleinigen politischen Erfolge an den Hut stecken. Alle diese Maßnahmen sind, soweit das Parlament damit befaßt war, mit unseren Stimmen und in vielen Fällen auf unsere Initiative hin beschlossen worden.
Den Hinweis des Kollegen Schachtschabel auf das angeblich so mittelstandsfreundliche Godesberger Programm hören wir von dieser Stelle aus bereits zum drittenmal. Dasselbe haben Sie, Herr Kollege Schachtschabel, bereits in der Debatte vom 10. Dezember 1975 und in der Debatte vom 4. Juni
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3315
Schmidhuber1976 gesagt. Durch die Wiederholung gewinnt diese Behauptung keineswegs an Glaubwürdigkeit. Wir, meine Damen und Herren von der SPD, halten uns da lieber an die konkreten politischen Ausführungshandlungen zu diesem Programm, etwa an die Diffamierungskampagne „Gelber Punkt" und den Maklerbeschluß von Hannover.
— Herr Kollege Wehner, Sie sollten eine Sammlungtrivialer Zwischenrufe herausgeben. Da hätten Siein den letzten Jahren genügend Material beisammen.
Das Bundesmittelstandsförderungsgesetz ist selbstverständlich kein wirtschaftspolitisches Wundermittel, 'das schlagartig alles das kurieren könnte, was die Mittelschichten bedrückt. Es ist aber ein integraler Bestandteil eines mittelstandspolitischen Gesamtkonzepts. Es dient zunächst einmal der gesetzlichen Fixierung des bestehenden Förderungsinstrumentariums. Das sollten Sie nicht geringschätzen, meine Damen und Herren der Koalition! Es dient weiterhin der Festschreibung eines wirtschaftspolitischen Orientierungspunktes von hohem ordnungspolitischem Stellenwert, nämlich der Sicherung der Existenzbedingungen einer Vielzahl von Unternehmen, also von Anbietern, und damit der Funktionsfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft. Es zielt auf eine Verpflichtung der wirtschafts- und finanzpolitischen Instanzen zur Wahrung der strukturpolitischen Zielsetzung des Nachteilsausgleichs zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen ab. Dies bedeutet selbstverständlich nicht eine Zementierung überholter Markt- oder Unternehmensstrukturen. Last not least soll das Bundesmittelstandsförderungsgesetz den einzelnen Selbständigen eine Handhabe bieten, auf den konkreten Verwaltungsvollzug vor allen Dingen im Bereich der ausgabewirksamen Tätigkeit der öffentlichen Hände im Sinne dieser Zielsetzung einzuwirken.Herr Kollege Schachtschabel hat das Stichwort Wettbewerbspolitik angesprochen. In der Tat ist die Wettbewerbsordnung eine zentrale wirtschaftspolitische, aber auch für den Mittelstand schichtenspezifische Frage. Für die kleinen und mittleren Unternehmen ist die Balance zwischen Wettbewerb und Kooperation von großer Bedeutung.Da darf ich auch noch eine kleine Korrektur anbringen, Herr Kollege Schachtschabel. Als in der zweiten Kartellnovelle die Vorschriften über die Kooperation kleiner und mittlerer Unternehmen ausgebaut wurden, also die Fünfergruppe des GWB, da war es gerade die CDU/CSU, die hier die entscheidenden Beiträge geleistet hat.Die CDU/CSU bereitet gegenwärtig eigene Initiativen für die Novellierung von GWB und UWG vor. Wir haben uns lange überlegt, ob wir das Mittelstandsförderungsgesetz als ein Artikelgesetz konzipieren und die Regelung der offenen Wettbewerbsfragen hier vornehmen sollten. Wir sind aber der Meinung, daß es wegen des Zusammenhangs mit den anderen anstehenden Fragen der Wettbewerbspolitik zweckmäßiger ist, diese Vorschriften in einer Vierten Kartellnovelle zu regeln. Wir hoffen, daß es in absehbarer Zeit in diesem Hohen Hause zu einer ausführlichen Wettbewerbsdebatte kommen wird. Bei dieser Gelegenheit werden wir uns dann ausführlich mit dem Anspruch der SPD auseinandersetzen müssen, Hüterin einer freiheitlichen Wettbewerbsordnung zu sein. Für Sie, meine Damen und Herren von der SPD, ist die Wettbewerbspolitik doch nur ein Instrument des staatlichen Dirigismus.
Noch einmal zurück zu den von meinen Vorrednern herausgestellten Einzelmaßnahmen. Wir leugnen doch nicht, daß in Detailfragen Verbesserungen eingetreten sind oder daß wir auf solche Verbesserungseffekte hoffen. Ich darf hier noch einmal einige Maßnahmen nennen wie etwa die Erhöhung der Freibeträge bei der Gewerbesteuer, die Neufassung der Baunutzungsverordnung oder eine sich in ersten Umrissen abzeichnende mittelstandsfreundlichere Praxis der Kartellbehörden. Diese Maßnahmen haben wir selbstverständlich unterstützt. Wir müssen aber die Frage stellen: Hat sich die Lage der Selbständigen insgesamt verbessert oder verschlechtert? Wie sieht es mit den mittelfristigen Perspektiven selbständiger Betätigung aus? Sind die gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen selbständiger Betätigung insgesamt günstiger oder ungünstiger geworden? Dies sind die Gretchenfragen der Mittelstandspolitik. Leider kann man sie guten Gewissens nicht positiv beantworten. Die maßlose Ausgabenwirtschaft und die Politik der mehr oder weniger gutgemeinten Illusionen der Ara Brandt und die von einer linken Sperrminorität innerhalb der Koalition behinderte perspektivlose Flickschusterei der gegenwärtigen Bundesregierung haben uns in diese Lage gebracht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schachtschabel?
Bitte sehr.
Herr Kollege Schmidhuber, ist Ihnen bekannt, daß das Institut für Mittelstandsforschung, Köln, zu dem Ergebnis gekommen ist, daß Insolvenzen überwiegend durch innerbetriebliches Fehlverhalten zustande gekommen sind, und wie nehmen Sie dazu Stellung?
Herr Professor Schachtschabel, diese Untersuchung ist mir bekannt. Aber wie erklären Sie sich z. B., daß die Zahl der Insolvenzen in den letzten Jahren so stark angestiegen ist? Es müßten also zumindest auch konjunkturelle Gründe dafür vorhanden sein. Insolvenzen sind immer auf eine Vielzahl von Ursachen zurückzuführen. Daher muß man die Ergebnisse solcher Untersuchungen von vornherein relativieren.
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3316 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
SchmidhuberWenn Sie z. B. schon das unternehmerische Fehlverhalten herausstellen, dann muß man auch fragen, woran das liegt, woraus sich das zusammensetzt. Das kommt doch auch daher, daß der einzelne Unternehmer in einer viel komplizierter gewordenen Wirtschaft überfordert wird, weil er sein eigener Produktionschef, sein eigener Personalchef, sein eigener Planer und sein eigener Finanzmann ist. Vor diesem Hintergrund muß man doch diese Feststellung sehen, Herr Kollege Schachtschabel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schachtschabel?
Herr Präsident, mit großem Vergnügen. Ich bitte aber, das nicht auf meine Redezeit anzurechnen.
Herr Kollege Schmidhuber, ist Ihnen bekannt, daß die Mehrzahl der Insolvenzen in dem Bereich, .den wir angesprochen haben, also im gewerblichen Mittelstand, Unternehmen betraf, die nicht länger als acht Jahre bestanden haben; das heißt, ist Ihnen bekannt, daß sich die alten, eingesessenen mittelständischen Unternehmen gesichert haben, und wie nehmen Sie dazu Stellung, daß gerade diese jüngeren, neu entstandenen Unternehmen durch marktwirtschaftlichen Wettbewerb ausgeschieden sind?
Die nächsten Fragen, die Sie stellen, beantworte ich dann in Ihrem volkswirtschaftlichen Seminar, Herr Professor Schachtschabel. Aber kurz zu dieser: Natürlich müssen wir uns überlegen, warum gerade viele neue Unternehmen, Unternehmen, die erst in den Markt eingetreten sind, scheitern. Eine sehr große Zahl von Unternehmen scheitert bereits im ersten Jahr des Bestehens oder zu Beginn des zweiten Jahres des Bestehens. Das ergibt sich auch aus dieser Untersuchung. Sie wollen daraus entnehmen, daß nicht nur Sie, sondern auch wir diese Untersuchungen lesen. In diesem Bericht ist auch darauf hingewiesen worden, daß das oft steuertechnische Gründe hat. Abschreibungsgesellschaften zählen hier z. B. mit. Aber es gibt wahrscheinlich auch wettbewerbspolitische Gründe, die darin zu suchen sind, daß das Eindringen in 'die Märkte für neue Unternehmen zunehmend schwieriger geworden ist. Das hängt wiederum mit allgemeinen wettbewerbspdlitischen Fragen zusammen.Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, daß ich jetzt in meinen Ausführungen fortfahre.Die mehr oder weniger unverbindliche Anerkennung der wichtigen Rolle der Mittelschichten als einer motorischen Kraft einer nach 'dem Prinzip Freiheit organisierten Gesellschaft genügt allerdings nicht.Es ist heute nicht die Gelegenheit, sich umfassend mit der Konjunkturpolitik und den Ursachen der Unterbeschäftigung auseinanderzusetzen. Bei der Genesis der gegenwärtigen unbefriedigenden wirtschaftlichen Situation wirken sicherlich viele Faktoren zusammen. Daher sind monokausale Deutungsund Therapieversuche von vornherein zum Scheitern verurteilt.Ein Faktor spielt dabei eine nicht unwesentliche Rolle. Das sind die gedrückten, ja pessimistischen Zukunftserwartungen gerade der kleinen und mittleren Unternehmer. Ein Barometer hierfür ist die seit langem sinkende Neigung zur Selbständigkeit, auf die der Kollege Hauser bereits hingewiesen hat. Da nützen auch Behauptungen nichts, daß die Statistik ausweise, die Lage sei gar nicht so schlecht, wie man allgemein annehme. Optimismus und Bereitschaft zum Risiko hängen sehr stark vom gesellschaftlichen Gesamtklima ab. Dieses haben die Ideologen und Gesellschaftsveränderer aus den Reihen der SPD und FDP nachhaltig negativ beeinflußt. Da helfen dann markige Investitionsappelle des Bundeskanzlers wenig.Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ein auf seinen 'Besitz pochender, ängstlicher und immer jammernder Eigentümer von Produktionsmitteln, der nach Garantien für ein gemächliches wirtschaftliches Wirken trachtet, wird seiner gesellschaftlichen Rolle als Unternehmer nicht gerecht.
Zum Unternehmer gehören Mut zum Risiko und innovatorische Bereitschaft. Das Risiko muß aber kalkulierbar sein, und die innovatorische Bereitschaft muß durch die Aussicht auf eine Prämie belohnt werden.
Wenn die Risikoübernahme zum Hasardspiel wird, weil der Investor abrupten wirtschaftlichen Datenveränderungen und gesellschaftspolitischen Experimenten ausgesetzt wird, die er nicht beeinflussen kann, dann wird dies die Bereitschaft zu einem expansiven wirtschaftlichen Verhalten negativ beeinflussen.
Die Politik muß einen größeren Beitrag zur Kontinuität der wirtschaftlichen Entwicklung leisten. Die strukturellen Verwerfungen unseres Produktionsapparats und der zunehmend schwieriger werdende Weltmarkt stellen ohnehin immer größere Anforderungen an alle am Wirtschaftsleben Beteiligten.Diese Unsicherheit über die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen beeinflußt das Handeln der kleinen und mittleren Unternehmer stärker als das der Vorstände großer Unternehmen, für die sich teilweise auch andere Handlungszwänge ergeben. Ich möchte hier nicht deutlicher werden.Da aber mehr als 60 % der Beschäftigten und zirka 50 % des Umsatzes auf die kleinen und mittleren Unternehmen entfallen, liegt in diesem Bereich der Schlüssel zur Überwindung der psychologischen Investitionsblockade weniger in schönen Worten und eingängigen Formeln als in einem überzeugenden, in sich widerspruchsfreien wirtschaftspolitischen Konzept. Was hier durch politische Führungskraft bewirkt werden kann, hat Ludwig Erhard Ende der 40er Jahre in einer ungleich schwierigeren Situation
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3317
Schmidhuber gezeigt. Ein Wirtschaftsminister aber, der in dieser Lage, in der wir uns jetzt befinden, seinen Posten verläßt, um sich einer neuen Aufgabe in der Hochfinanz zuzuwenden, muß sich sagen lassen, daß er kapituliert, bevor die Schlacht begonnen hat.
Daß diese Koalition eine mittelstandsfreundliche Politik betreibt, d. h. politische Rahmenbedingungen herstellt, die es den kleinen und mittleren Unternehmen ermöglichen, in optimaler Weise ihren Beitrag zum wirtschaftlichen Wachstum und zum sozialen Fortschritt zu leisten, trifft objektiv nicht zu. Die Angehörigen der Mittelschichten machen sich darüber auch keine Illusionen. Daran können auch die Hymnen auf eine — nicht vorhandene — SPD-Mittelstandspolitik, die der Kollege Schachtschabel bei derartigen Gelegenheiten vorträgt, nichts ändern. Deshalb ist auch die in dieser Debatte wieder aufgewärmte Unterstellung, wir gingen mit unseren Vorschlägen auf Stimmenfang in Mittelstandskreisen aus, abwegig. Wähler der Mittelschichten können Sie, meine Damen und Herren von der SPD, uns mit Ihrer Politik nicht abspenstig machen.
Wir haben ein anderes Ziel. Wir wollen deutlich machen, daß eine Politik, die auf die Steigerung der Funktionsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen abzielt und die den Angehörigen der freien Berufe Bedingungen einräumt, unter denen sie ihre beruflichen Fähigkeiten voll entfalten können, eine Politik im Interesse der Gesamtgesellschaft ist, eine Politik, die das wirtschaftliche Wachstum fördert, die die weitere Zunahme sozialer Spannungen vermeidet, kurzum, eine Politik, die einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung einer freiheitlichen Ordnung leistet, indem sie einem Klassenantagonismus entgegenwirkt.Ich möchte deshalb auch gar nicht darauf eingehen, wer welche Einzelmaßnahmen erfunden oder zuerst gefordert hat. Für uns von der CDU/CSU spricht allerdings oft die Wahrscheinlichkeit, weil wir uns nicht nur bei Mittelstandsdebatten und Festreden, sondern Woche für Woche in der täglichen parlamentarischen Arbeit mit diesen Problemen auseinandersetzen.
Ich halte nichts von der von den Koalitionsparteien praktizierten Doppelstrategie, durch einige mittelständische Galionsfiguren bei den Verbänden Klimapflege zu betreiben und hier im Parlament und im Verwaltungsvollzug eine Politik, um es vorsichtig zu sagen, wohlwollender Gleichgültigkeit zu betreiben. Diese Diagnose der Gleichgültigkeit trifft selbstverständlich nicht auf einige Damen und Herren auf den jeweiligen linken Flügeln von SPD und FDP zu.
Für sie passen die Mittelschichten nicht in das marxistische Modell der Klassengesellschaft. Deshalb werden die Mittelschichten von ihnen häufig mit dem Rundum-Schlagwort vom Abbau der Privilegien bearbeitet, werden sie als die Spitzenverdiener und die Reichen denunziert, wird der Neid mobilisiert, ohne daß sachliche Argumente in die Debatte eingeführt werden.
Die egalitäre Ideologie der Koalitionsparteien steht einer rationalen Wirtschafts- und Mittelstandspolitik entgegen. Dies ist gerade wieder bei einer konjunkturpolitischen Entscheidung demonstriert worden. Ich meine die Entscheidung gegen die Anwendung vorübergehender Steuersenkungen nach den §§ 26 ff. des Stabilitätsgesetzes und für die Heraufsetzung des Grundfreibetrags bei der Einkommen- und Lohnsteuer. Dies ist eine Entscheidung für mehr Gleichheit und für weniger Effektivität. Dies ist der von der Koalition gewünschte Vorrang der Verteilungspolitik vor der Konjunkturpolitik, d. h. auch vor der Vollbeschäftigungspolitik, meine Damen und Herren.
Was der linke Flügel der SPD, ohne den Herr Schmidt nicht Bundeskanzler wäre,
von den Unternehmern und von einer Konjunkturpolitik auf der Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft hält, hat Herr Kollege Dr. Schöfberger am 25. September 1977 in einem ZDF-Interview unmißverständlich zum Ausdruck gebracht. Herr Kollege Schöfberger sagte — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:Wogegen ich mich wehre, sind ausgesprochene Steuergeschenke für Unternehmer und für Spitzenverdiener, die in der Hoffnung ausgespuckt werden, sie würden konjunkturfördernd wirken. Die Praxis beweist jedoch, daß sie nur die Gewinne steigern, aber keinerlei Arbeitsplätze schaffen und damit nicht konjunkturfördernd wirken können. Was dabei herauskommt, ist eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen zugunsten der Spitzenverdiener und der Unternehmen, eine Umverteilung, die ich als Sozialdemokrat nicht hinnehmen kann. Und deswegen habe ich nicht nur gegen die Vermögensteuersenkung gestimmt, sondern habe auch erhebliche Bedenken gegen die jetzt vorgeschlagene degressive Abschreibung. Wenn Unternehmer nicht investieren wollen, werden sie es auch mit Steuergeschenken nicht tun. Sie werden diese Geschenke zum Vergolden ihrer Bilanzen verwenden.Soweit Herr Kollege Schöfberger. So sieht Ihre Mittelstandspolitik aus, meine Damen und Herren von der SPD.Herr Dr. Schöfberger ist in dieser Beziehung kein Einzelfall. Ich erinnere nur an die Rede des Kollegen Roth in der Steuerdebatte vom 15. September 1977, in der er sich auf gut sozialistische Weise für eine Aufblähung des öffentlichen Dienstes und eine Expansion der öffentlichen Ausgaben ausgesprochen hat.
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3318 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
SchmidhuberMeine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zur Lage der freien Berufe machen. Die freien Berufe sind durch den sozialen Wandel der letzten Jahrzehnte stark berührt worden. Ihre gesellschaftliche Stellung, ihre materielle Situation und ihr Rollenverständnis haben sich geändert. Die Angehörigen der freien Berufe verstehen sich heute in erster Linie als Träger wichtiger gesellschaftlicher Dienstleistungen. Zur Erfüllung dieser Dienstleistungsfunktion müssen aber gewisse gesellschaftliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen vorhanden sein. Diese sind gegenwärtig zumindest teilweise in Frage gestellt.So stellt der Bundesverband der freien Berufe in seinem Jahresbericht 1976 fest — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:Eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die darauf angelegt ist, die Entfaltung eigener Initiativen zu behindern und Problemlösungen der Gesellschaft durch kollektive oder sogenannte demokratisierte Prozesse zu ermutigen, wird die freien Berufe auf die Dauer nicht mehr gebrauchen können.Dieser Analyse ist zuzustimmen.Es ist nicht zu leugnen: Die Attraktivität der freien Berufe hat insgesamt abgenommen. Die Relation der Risiken und Chancen der Ausübung eines freien Berufs gegenüber den Vor- und Nachteilen einer unselbständigen Tätigkeit hat sich zum Nachteil der freien Berufe verändert. Dies bleibt möglicherweise nicht ohne Auswirkung auf die Leistungsbereitschaft und das Leistungsniveau der Gesamtgesellschaft.Unser Antrag zielt darauf ab, ,die Bundesregierung zu veranlassen, die Ursachen dieser Entwicklung darzulegen und die Möglichkeiten einer Verbesserung der Situation der freien Berufe zu erörtern.Eine Reihe gesetzlicher Vorschriften — ich denke hier insbesondere an das Steuer- und das Sozialversicherungsrecht — wird der besonderen Situation der freien Berufe nur in unzulänglicher Weise gerecht. Das gilt z. B. auch für die Besteuerung in Jahresperioden, die bei der typischen Verteilung der Einkommen auf die Lebensarbeitszeit der Angehörigen ,der freien Berufe zu gewissen Härten führt.In zunehmendem Umfang werden die Angehörigen der freien Berufe durch ein Schrumpfen der Auftragspotentiale betroffen. Ich meine hier weniger konjunkturelle Schwankungen als strukturelle Veränderungen. Die Ausweitung der Planungskapazitäten der öffentlichen Hände hat das Auftragsvolumen der freien Architekten stark eingeengt. Die niedergelassenen Ärzte fühlen sich durch sozialistische Tendenzen zur Verstaatlichung des Gesundheitswesens bedroht. Es wird befürchtet, daß die Überkapazitäten im Krankenhausbereich derartigen Bestrebungen Auftrieb geben könnten. Auch die rechtsberatenden Berufe haben zahlreiche Einbrüche in ihre Arbeitsgebiete hinzunehmen wie das Aufkommen spezieller Rechtsberatungseinrichtungen auf vielen Rechtsgebieten, z. B. Mietrecht, Arbeitsrecht, Sozialrecht, Steuerrecht.Bestimmte freie Berufe sind in den letzten Jahren zur Zielscheibe öffentlicher Kritik geworden oder haben mit besonderen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die niedergelassenen Ärzte sind zu Sündenböcken einer verfehlten Gesundheitspolitik gestempelt worden. Der Anwaltsstand wurde und wird von jungen Juristen überschwemmt, die kein Unterkommen in Wirtschaft und Verwaltung gefunden haben. Es ist eine traurige Tatsache, daß eine beträchtliche Anzahl von Rechtsanwälten nur ein Einkommen erzielt, das am Rande des Existenzminimums liegt. Daß das nicht ohne Auswirkung auf die Stellung des Rechtsanwalts als eines unabhängigen Organs der Rechtspflege bleibt, kann nicht von der Hand gewiesen werden.Die Architekten sind das Opfer 'der Krise der Bau- und Wohnungswirtschaft geworden. Eine Kompensation dieser Entwicklung durch eine Reprivatisierung der öffentlichen Planungskapazitäten halte ich für dringend erforderlich. Auch auf dem Gebiet der Wettbewerbspolitik muß einiges für die freien Berufe getan werden. Allerdings glaube ich nicht, daß die Ratschläge des Rhetorikers Walter Jens, die er auf dem Deutschen Architektentag in Hamburg am 16. September 1977 gegeben hat, sehr hilfreich sind. Herr Jens will die Architekten als Kapitalismuskritiker anwerben und sie zu Vorkämpfern der Sozialisierung von Grund und Boden umfunktionieren. Dieser Versuch einer Ideologisierung der Architekten ist sicherlich nicht geeignet, die brennenden Probleme dieses Berufsstandes zu lösen.
Die Aufgaben der freien Berufe in einer hochdifferenzierten Leistungsgesellschaft sind vielfältig. Die freien Berufe ermöglichen erst die weite Auffächerung dieser Dienstleistungen. Durch ihre Tätigkeit leisten die Angehörigen der freien Berufe einen wesentlichen Beitrag zur Erweiterung des Freiheitsraums aller Bürger und zur Verringerung der Abhängigkeit der Bürger von großen Bürokratien und von Verbandsapparaten. Der CDU/CSU geht es darum, die Leistungsbereitschaft der freien Berufe im Dienste des Gemeinwesens zu sichern und zu verbessern. Dazu wollen wir mit unserem Antrag einen Beitrag leisten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst feststellen: Ich bin mit dem Herrn Jens, der eben zitiert wurde, weder verwandt noch verschwägert. Aber ich finde ihn sehr sympathisch.Bisher hatte ich eigentlich das Gefühl, daß die Debatte recht sachlich geführt worden ist. Die letzten Ausführungen des Herrn Schmidhuber haben mich allerdings ein bißchen enttäuscht. Was soll's? Wir helfen doch den kleinen und mittleren Unternehmen nicht, wenn wir groß in Polemik machen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3319
Dr. JensIm Grunde sind wir doch gar nicht so furchtbar weit voneinander entfernt,
sondern wir wollen doch den kleinen und mittleren Unternehmen helfen, sofern es nur irgendwie geht.Dieser Bundesmittelstandsförderungsgesetzentwurf der CDU/CSU hilft ihnen sicherlich überhaupt nicht. Das scheint mir gewissermaßen die von Herrn Kohl angekündigte Herbstoffensive zu sein, die zwar viel Rauch erzeugt, der aber das notwendige Feuer fehlt. Es handelt sich um ein Sammelsurium von Förderungshilfen, die es bereits alle gibt.Fraglich ist bei Ihrem Entwurf, wie das alles finanziert werden soll; das ist der schwache Punkt. Alles steht unter dem Vorbehalt der Haushaltsgenehmigung, und deshalb hätten Sie sich Ihre Vorschläge eigentlich sparen können. Sie machen den kleinen und mittleren Unternehmen wieder einmal Hoffnungen, die Sie hinterher nicht erfüllen können.Positiv an dem Entwurf sind allerdings — das will ich gern zugestehen — die proklamatorischen Erklärungen, die wir auch alle kennen. Dort wird behauptet, daß mit diesen Hilfen die Wettbewerbsnachteile kleiner und mittlerer Unternehmen ausgeglichen werden sollen. Das kann bekanntlich — das verschweigen Sie immer — auf zwei Arten geschehen. Das kann einmal dadurch geschehen, daß man den kleinen Unternehmen hilft, zum anderen aber auch dadurch, daß man Vorteile der großen in Zukunft von Zeit zu Zeit auch einmal etwas beschneidet. Darüber sollten wir einmal gemeinsam nachdenken.Ich meine, wir müssen endlich dazu übergehen, den kleinen und mittleren Unternehmen mehr als bisher die Wahrheit zu sagen. Die Agrarpolitik, die Sie in den sechziger Jahren zu verantworten hatten, sollten Sie jetzt nicht auf die Mittelstandspolitik übertragen.
Man kann einem Gemischtwarenhändler in einer Innenstadt nicht versprechen, daß er seinen Laden ewig behalten wird. Das geht nicht, das hat keinen Sinn, das bringt nichts ein. In einer dynamischen Wirtschaft wird es immer Strukturveränderungen geben, die einfach nicht aufzuhalten sind. Im Einzelhandel, im Handel überhaupt sprechen wir seit 1962 von einer Revolution; denn 116 000 Unternehmen haben ihre selbständige Existenz aufgeben müssen, was wir hier überhaupt nicht verschweigen. Besonders starke Einbußen und Einbrüche hat es im Nahrungs- und Genußmittelbereich gegeben. Dieser Schrumpfungsprozeß bei kleinen und mittleren Unternehmen begünstigt die Konzentration bei Großunternehmen, auch im Handel. Dagegen müssen wir uns verstärkt wehren.
Dem Handwerk geht es wesentlich besser; das zeigt wenigstens der letzte Bericht der Bundesregierung. Allerdings sind die Zukunftsaussichten im Baugewerbe wesentlich schlechter als z. B. diejenigen eines Kfz-Mechanikers zu beurteilen. Immerhin sindUmsatz und Beschäftigtenzahl im Handwerk seit 1976 gestiegen.Auch die Lage in der Industrie, vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen, ist differenziert; aber es setzt sich die Tendenz fort, daß die kleinen Unternehmen immer abhängiger von den großen werden. Das gilt z. B. für die kleinen Versicherungsvertreter, die bis vor kurzem noch selbständig waren, die jetzt aber nahezu völlig von den Versicherungskonzernen abhängig sind. Das gilt z. B. auch für viele Gaststätten, die auf Grund bestimmter Knebelungsverträge völlig von den Brauereien abhängig sind. Zum Teil geht es sogar so weit, daß kleine Brauereien durch Druck auf die Gaststätten herausgedrängt werden, damit sie für die großen Brauereien Platz machen.
Das gilt auch für die vielen Tankstellenpächter und -besitzer, die von den Mineralölkonzernen quasi auferlegt bekommen, was sie zu tun und zu lassen haben. Hiergegen müssen wir uns wehren, und dafür bitte ich auch um Ihre Hilfe.Einigen kleinen Unternehmen geht es zweifellos schlecht, obwohl — das möchte ich noch einmal betonen — diese Regierung, diese Koalition mehr Hilfen für die kleinen Unternehmen zur Verfügung gestellt hat, als es überhaupt je gab. Niemals gab es so viele Mittelstandshilfen wie unter dieser Regierung, wie zu dieser Zeit. — Ich freue mich, daß Herr Zeitel mit dem Kopf nickt und damit Beifall bekundet. Aber die Zeiten, um als Selbständiger leicht und viel Geld zu verdienen, sind ein für allemal vorbei.
Deshalb plädiere ich immer für etwas mehr Wahrheit gegenüber den kleinen selbständigen Unternehmen. Was Sie hinsichtlich der Insolvenzen in der letzten Zeit in die Welt gesetzt haben, ist einfach nicht korrekt. Ihre Zahlen sind um etwa 25 % überhöht.
Denn Sie rechnen die sogenannten „übrigen Gemeinschuldner" mit ein, was nicht zulässig ist. — Sie reichen zwar, aber man muß sehen, daß es auch in der letzten Zeit viele junge, ehemalig Abhängige gegeben hat, die sich selbständig gemacht haben. Die Anzahl der Selbständigen ist seit 1970 in etwa konstant geblieben. Aber in der Zeit von 1966 bis 1970, als Sie noch mit die Federführung hatten, ist sie kräftig gesunken.
— Die können Sie nachlesen!
Auch in dem Mittelstandsbericht der Bundesregierung sind diese Zahlen über die Anzahl der Selbständigen aufgeführt. Herr Hauser, lesen Sie das bitte nach!
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3320 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Dr. JensZweifellos leiden kleine und mittlere Unternehmen vor allem jetzt angesichts der konjunkturellen Lage auch unter Absatzschwierigkeiten. Sie leiden stärker als die großen. Das meine ich schon. Großunternehmen — das wissen wir — haben mehr Finanzmittel zur Verfügung. Sie haben bessere Steuerberater. Großunternehmen können sich leichter durch eine Abschwungsphase hindurchschlängeln. Sie setzen z. B. die Arbeitnehmer, die so als Konjunkturpuffer dienen, auf die Straße. Das können kleine Unternehmen nicht. Kleine Unternehmen geben auf und lehnen sich an. Die Zahl der Fusionen in der letzten Zeit ist erschreckend gestiegen. Deshalb gilt es bei der anstehenden Novelle zum Kartellgesetz — ich hoffe, Herr Schmidhuber wird diese Sache unterstützen — einmal mehr dafür zu sorgen, daß die Fusionskontrolle wirklich greift.Für kleine Unternehmen ist die Politik der Nachfragebelebung, so wie diese Regierung sie nun eingeleitet hat, von eminenter Bedeutung. Für kleine Unternehmen ist es auch wichtiger, daß wir jetzt einen generellen, für alle gleich hohen Konjunkturzuschlag in Form der Erhöhung des Grundfreibetrages gewähren als das, was Sie vorgeschlagen haben: 10 % Abschlag von den bisherigen Steuern. Das ist nicht nur aus Gerechtigkeitsüberlegungen vernünftiger, sondern das ist vor allem aus ökonomischen Gründen vernünftiger, weil das die Gewähr dafür gibt, daß in der Wirtschaft eben mehr Nachfrage geschaffen wird. Das hilft den kleinen und mittleren Unternehmen. Wir können ja auch nicht immer, immer wieder dafür sorgen — so wie mit Ihrem Vorschlag —, daß die Großen und Starken immer kräftiger werden, die Kleinen aber weniger abbekommen. Das kann nicht im Interesse der kleinen Unternehmen liegen. Das muß beseitigt werden. Die Kleinen müssen natürlich erkennen, daß sie nicht von Bonn, sondern weitgehend von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage und den großen Konkurrenten auf dem Markt abhängig sind.Dieses Prinzip, den Großen unter Umständen auch einmal bestimmte Vorteile zu beschneiden, gilt nicht nur im Steuerrecht, sondern das muß auch im Wettbewerbsrecht gelten. Manches ist auf diesem Gebiet geleistet worden. Weiteres wird angestrebt. Etwas mehr Unterstützung der mittelständischen Verbände würde ich mir manchmal wünschen. Aber die Erweiterung des Diskriminierungsverbots hilft z. B. den kleinen Händlern gegenüber der Macht von Großen. Die gemeinsame Erklärung zur Sicherung des Leistungswettbewerbs hat mittlerweile sogar bei den Gerichten Erfolge gezeitigt, indem bestimmte unlautere Praktiken, z. B. die Eintrittsgelder, verboten wurden.Über die anstehende Bekämpfung der Nachfragemacht müssen wir uns noch einmal gemeinsam Gedanken machen. Nachfragemacht des Handels erscheint mir auf alle Fälle viel besser als Nachfragemacht der Angebotsseite. Bereits jetzt ist auf die Nachfragemacht des Handels § 22 GWB anwendbar.Was ich vor kurzem von Ihrer Seite gehört habe, hat mich allerdings traurig gestimmt, Herr Zeitel. Da wurde aus Ihren Reihen aufs neue behauptet, daß ein Verbot des Verkaufs unter Einstandspreisen in Aussicht genommen werden soll.
Da hat der Herr Lampersbach gesagt — ich darf zitieren —: „Ein generelles Kalkulationsprüfungsrecht der Kartellbehörden zur Verhütung von systematischen Unterbietungsstrategien — das ist wünschenswert." Für mich ist es völlig indiskutabel.
Denn das, was hier aus Ihren Reihen gefordert wurde, ist die fortwährende Preiskontrolle des Handels, die wohl keiner im Grunde will.
— Ich habe Ihre entscheidende Passage zitiert, Herr Lampersbach.
Sie sind natürlich gern aufgerufen, das nochmals zu erläutern. Auf alle Fälle steckt die immer wieder in der Öffentlichkeit aufkommende Forderung dahinter, den Verkauf unter Einstandspreisen zu verbieten. Wenn Sie wirklich für Wettbewerb sind, Lerr Lampersbach — Sie tun ja immer so —, dann können Sie das doch einfach nicht wollen.
Damit helfen Sie im übrigen auch nicht den kleinen Händlern. Damit beschränken Sie die bisherige Dispositionsfreiheit des Handels. Das richtet sich zudem gegen den Verbraucher. Denn er hätte dann nicht mehr die Möglichkeit, bestimmte Sonderangebote günstig einzukaufen. Und — wenn ich diesen Satz noch hinzufügen darf, bevor ihrer Wortmeldung entsprochen wird — das richtet sich auch gegen den Mittelstand. Denn die Großen haben etliche Vorteile gegenüber den Kleinen. Wenn Sie das machen, werden die Großen diese Vorteile gegenüber den Kleinen auf andere Weise ausspielen. Durch so etwas schaden Sie deshalb vor allem den Kleinen. Bitte sehr!
Herr Kollege, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Lampersbach?
Bitte.
Herr Kollege Jens, Sie sprechen über ein Thema, das ich, wie Sie wissen, sicher so gut wie Sie und aus der Praxis wahrscheinlich sogar noch besser als Sie beherrsche.
— Seien Sie mal nicht so unruhig! Sie haben wahrscheinlich überhaupt keine Ahnung davon.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3321
Herr
Kollege! Der letzte Satz gehört nicht zur Zwischenfrage!
Ich stimme dem Herrn Präsidenten voll und ganz zu. — Herr Dr. Jens, Sie wissen ganz genau, in welchem Zusammenhang das zur Sprache gekommen ist.
Ich frage Sie: Glauben Sie nicht, daß wir nicht auch einem Catch-as-catch-can auf dem Preismarkt unsere Aufmerksamkeit schenken und dazu Überlegungen anstellen sollten und müßten? Mehr hat meine Außerung nicht zum Inhalt: dieses Catch-as-catch-can unmöglich machen, damit wir nicht zu einem Verfall der Sitten im freien Wettbewerb kommen.
Herr Lampersbach, ich will nicht alles wiederholen, was ich eben gesagt habe. Ich zitiere Sie nur noch einmal. Sie sprechen von einem generellen Kalkulationsprüfungsrecht der Kartellbehörden zur Verhütung von systematischen Unterbietungsstrategien. Und das kann nicht eine Maßnahme sein, die mit dieser Wettbewerbsordnung und dieser Marktwirtschaft vereinbar ist.
Im übrigen haben wir den kleinen und mittleren Unternehmen im Rahmen der Novellierung des UWG schon geholfen. Die Verbände sind aufgerufen, diese Bestimmungen besser auszuloten, als das bisher der Fall war.
Ich hatte am Anfang gesagt: Kleine und mittlere Unternehmen wollen die Wahrheit hören, nicht aber viele Versprechungen, wie sie von Ihnen aufs neue mit dem Entwurf des Mittelstandsgesetzes in die Offentlichkeit getragen werden. Was soll das auch von Ihnen wieder in die Diskussion gebrachte Gerede vom Fehlen des Vertrauens in der Wirtschaft? Das wird der Wirtschaft von Ihnen gewissermaßen systematisch eingehämmert. Denken Sie doch einmal nach: Ist unsere Wirtschaft bereits so weit, daß sie Vertrauen nur zur Opposition und zu einer etwaigen CDU/CSU-Regierung hat?
Läuft die Wirtschaft etwa nur dann, wenn die jetzige Opposition an der Regierung ist? Das wäre wirklich verhängnisvoll! Das wäre das Ende der Demokratie in diesem Land überhaupt! Ich nehme die Unternehmer immer in Schutz. So kann es doch wirklich nicht sein.
Es gibt Bereiche, wo es läuft, und Unternehmen, bei denen es gut aussieht, und es gibt andere Unternehmen, bei denen es schlecht aussieht. Aber haben etwa die einen Vertrauen zu dieser Regierung und die anderen nicht? Das ist einfach falsch. Lassen Sie dieses Gerede! Die Wirtschaft wird, sobald die Nachfrage wieder läuft, anspringen. Helfen Sie mit, daß das Konjunkturprogramm, das wir jetzt im Wirtschaftsausschuß diskutiert haben, verabschiedet wird.
Wir müssen mehr den Blick auf Strukturveränderungen richten, auf die ständig steigende Konzentration durch Großunternehmen in dieser Wirtschaft. Wenn wir das nicht tun und wenn Sie dazu nicht bereit sind, geht unsere Wirtschaftsordnung eines Tages kaputt. Wenn die kleinen und mittleren Unternehmen wie bisher auch in Zukunft beweglich bleiben, dann haben sie alle ihre Chance, und wir Sozialdemokraten werden ihnen dabei helfen.
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Als wir dieses Thema, Herr Kollege Hauser, hier vor zwei Jahren diskutierten, nämlich am 10. Dezember 1975, war es etwas kürzer vor Weihnachten. Schon damals wollten Sie unbezahlte, äußerlich versilberte und innerlich hohle Nüsse aus Ihrem Gabensack ausstreuen. Jetzt ist es jahreszeitlich noch etwas zu früh, um den Zusammenhang zu St. Nikolaus, Weihnachtsmännern und Nußknackern herstellen zu dürfen. Aber Ihre Gabe ist nicht besser geworden.Um in den Formulierungen des Kollegen Pieroth zu sprechen, die er hier ja häufig gebraucht hat: Sie gießen zuviel Wasser in den Wein, und Etikettenschwindel ist auch noch dabei.
Meine Damen und Herren, Herr Hauser hat hier allerdings ein sehr schönes und blumenreiches Etikett formuliert. Ich darf ein paar Bemerkungen daraus zitieren: „Die Zukunft ist nicht mehr das, was sie früher war." -- Wie wahr! Die Opposition auch nicht.
Herr Hauser hat von der Wiederherstellung des Vertrauens gesprochen. Darüber wird in der Tat häufig geredet. Nur: Jeder von uns weiß, daß Wirtschaftspolitik auch etwas mit Psychologie zu tun hat. Man darf es allerdings nicht durch eigenes Zutun soweit treiben, daß schließlich nicht mehr die Psychologen, sondern die Psychiater tätig werden müssen.Bei diesen ganzen Überlegungen spielen ein Gesichtspunkt und ein Hintergrund mit, die, wie ich finde, bei jeder Diskussion über das Bundesmittelstandsförderungsgesetz, Herr Hauser, von Bedeutung sind. In Wahrheit ist es doch so, daß Sie mit der Ablehnung solcher Initiativen durch eine Regierung — ich meine gar: durch jede Regierung — rechnen, um dann anschließend mit dieser Ablehnung draußen im Lande zu argumentieren — um nicht zu sagen: zu polemisieren — und der Öffentlichkeit darzutun, daß diese Regierung mittelstandsfeindlich sei.
— Wir kommen noch dazu, was daran zu verhindern oder nicht zu verhindern ist.Der Kollege Jens hat vorhin gesagt, Sie machten den kleinen Unternehmen Hoffnung, die Sie nachher nicht erfüllen können. Herr Jens, ich widerspreche Ihnen. Hier wird von der Opposition eine Hoffnung produziert, die die Regierung nicht erfüllen kann,
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3322 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Dr. Graf Lambsdorffund damit wird dann anschließend argumentiert. Das ist ja auch der Sinn dieses Unternehmens.Im übrigen, Herr Hauser, haben Sie gesagt, die Aktion „Bremsklötze weg" müsse nun her. Ich weiß nicht, wie die aussehen soll. Sie haben erklärt, Herr Kollege Barzel habe sie mit Inhalt gefüllt. Vielleicht kann man das etwas näher definiert bekommen. Andererseits meinten Sie, es müsse sozialistischen Vorstellungen, und ich weiß nicht, was allem, ein Riegel vorgeschoben werden. Ich glaube, daß Sie mit diesen Formulierungen und mit einem solchen Gesetzesvorschlag nicht zur Lösung sachlicher Probleme beitragen können.Ich will auf einen Punkt eingehen, den Sie, Herr Hauser, angeschnitten haben. Sie haben gesagt: Wirtschaft ohne Wettbewerb ist Sozialismus. Wird man bei näherem Nachdenken eigentlich zu dem Ergebnis kommen müssen, daß dies so richtig ist, oder ist es nicht andersherum richtig? Zentral gelenkte sozialistische Planwirtschaft, die hier sicherlich niemand will, ist Wirtschaft ohne Wettbewerb. Aber ebenso ist eine von Monopolen beherrschte kapitalistische Wirtschaft eine Wirtschaft ohne Wettbewerb.
Worauf es in der Sozialen Marktwirtschaft ankommt, ist die Tatsache, daß der Wettbewerb, der diesem System immanent ist und dazugehört, wirtschaftliche Macht bändigt, und zwar sowohl private als auch staatliche wirtschaftliche Macht.Auch wegen der unterschiedlichen Größenstrukturen, die jede Wirtschaftsordnung braucht, ist Mittelstandspolitik selbstverständlich notwendig. Aber Mittelstandspolitik kann nicht dadurch betrieben werden — ich wiederhole das, was wir vor zwei Jahren dazu gesagt haben —, daß man ein Gesetz verabschiedet, sein Gewissen beruhigt und sich zur Ruhe legt;
sondern wirksame Mittelstandspolitik kann nur so betrieben werden, daß bei jeder Verabschiedung, bei jeder Beratung, bei jedem wirtschaftspolitischen wettbewerbspolitischen und finanzpolitischen Gesetz, das wir hier miteinander besprechen, die Auswirkungen auf die kleinen und mittleren Größenordnungen in unserer Wirtschaft wirklich vor Augen bleiben und bedacht werden. Dies geschah, und dies, meine Damen und Herren, wird auch weiterhin geschehen.
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang, bei dem, was geschehen ist und was geschieht, Herr Kollege Schmidhuber, ein paar Antworten auf Ihre Zwischenbemerkungen versuchen. Sie haben gesagt, Ludwig Erhard habe Ende der 40er Jahre in ungleich schwierigerer Lage einen Erfolg auf diesem Gebiet erzielt. Dieser Erfolg ist völlig unbestritten. Daß die Situation schwierig war, ist völlig unbestritten. Ob sie schwieriger war als heute, dahinter setze ich ein Fragezeichen. Denn sicherlich war sie anders. Sicherlich waren die Ursachen, die Probleme und die Konsequenzen, die daraus zu ziehen wären, anders als heute. Ich verkleinere überhaupt nicht die Leistungen von damals. Aber ich warne davor, die Verhaltensweisen von damals als Patentrezept auf heute übernehmen zu wollen. Ich glaube nicht, daß sie uns weiterhelfen werden.Lassen Sie mich, Herr Schmidhuber, bitte eine Bemerkung zu Ihrer Kritik machen, die Sie an die Adresse des Bundeswirtschaftsministers gerichtet haben. Sie meinen, er gehe zur Hochfinanz und habe kapituliert. Nun, er hat nicht kapituliert. Wenn jeder Wechsel von einer Position in die andere Kapitulation bedeutete, dann müßten Sie eigentlich auch davon ausgehen, daß der vorgesehene Nachfolger vor den Aufgaben in der Wirtschaft kapituliert. Dies ist nicht der Fall. Ich gebe zu, ich fände es auch verdrießlich, daß das Institut der Hochfinanz, wie Sie es genannt haben, nicht auf den Gedanken gekommen ist, einen der vorzüglichen Wirtschaftspolitiker der Opposition mit einem Angebot zu bedenken!
Ich will nur ganz wenige Bemerkungen zu den Einzelbestimmungen machen, die in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen sind. Ich beschränke mich auf zwei von der großen Zahl. Herr Hauser, Sie haben das Privatisierungsgebot herausgestellt. Sie wissen, das ist ein Thema, das mir am Herzen liegt, und wir sind in dem, was möglicherweise geschehen sollte, in vielen Punkten einer Meinung. Aber in Ihrem Entwurf steht: „Die Bundesbehörden ... sollen wirtschaftliche Leistungen, die von privaten Unternehmen zweckmäßig, ordnungsgemäß und kostengünstig ausgeführt werden, soweit wie möglich an solche vergeben." Eine solche Formulierung können Sie vergessen; die reicht gerade für den Papierkorb. Die bindet niemanden, die zwingt niemanden. Damit ist überhaupt nichts anzufangen. Gesetze soll ein Gesetzgeber nicht machen, wenn er selber der Auffassung ist — schon bei der Formulierung —, daß er sie überhaupt nicht durchsetzen kann.
— Dann möchte ich den Vorschlag sehen, wie Sie das als eine Zwangsbestimmung hier einbauen wollen. Sie wissen, daß es nicht geht. Sonst hätten Sie es nämlich hineingeschrieben.Zweiter Punkt: Kreditgarantiegemeinschaften und Kapitalbeteiligungsgesellschaften. Ich will hier keinen Zweifel lassen, daß ich ein großer Freund der Kreditgarantiegemeinschaften und ihrer Tätigkeit bin. Ich teile nicht die Bedenken, die sowohl der Rechnungshof wie der Haushaltsausschuß gegen ihre Tätigkeit geäußert haben. Aber ich muß zunächst einmal von diesen Bedenken Kenntnis nehmen. Aber daß der Zweck von Kapitalbeteiligungsgesellschaften als gemeinnützig gelten soll, ist mit dem herkömmlichen Begriff und unseren Vorstellungen von Gemeinnützigkeit nicht in Verbindung zu bringen. Hier handelt es sich um eine legitime, vernünftige, wirtschaftliche, auf Erwerb ausgerichtete Tätigkeit — das ist ja alles unbestritten, das ist alles völlig in Ordnung —, aber wie kann man denn da von Gemeinnützigkeit sprechen? Das, so scheint mir, geht dann doch wohl ein gutes Stück zu weit.Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3323Dr. Graf LambsdorffÜber die Kostenvermerke haben der Kollege Jens und Herr Schachtschabel ein paar zutreffende Bemerkungen gemacht. Das braucht man nicht zu erweitern. Das ist dasselbe wie vor zwei Jahren. Die Kosten werden nach Maßgabe des Haushalts geregelt. Also im Einzelfall ist mit diesem Gesetz überhaupt nichts zu machen, schon weil es nicht finanziert ist.
— Das ist völlig richtig, Herr Hauser. Nur, so ein Aktionsprogramm erweckt nicht beim Bürger und beim Mittelstand draußen den Eindruck, wie es ein Gesetz selbstverständlich tut, daß darin bindende Verpflichtungen eingegangen werden. Aktionsprogramme sind Absichtserklärungen. Das ist in Ordnung. Mehr können sie auch nicht sein. Mit diesem Gesetz täuschen Sie die Bürger.Es kommt im übrigen eines hinzu. Ich habe die Drucksache 8/112 vom 10. Februar 1977 vor mir liegen. Da heißt es in den einleitenden Sätzen — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidentenzitieren —:Die ständig steigende Zahl erlassener Gesetze und Rechtsverordnungen führt zu einer immer größeren Einengung und Bindung der Bürger. Fehlende oder unzureichende Erfolgskontrollen tun ein übriges, das Gesetzesgestrüpp undurchdringbarer zu machen ...Unter denjenigen, die diese Kleine Anfrage unterschrieben haben, finden wir die Kollegen Dr. Sprung, Haase , Dr. Köhler (Duisburg), Dr. Zeitel, Frau Pieser, Dr. Waffenschmidt, Dr. Stavenhagen, alle, die diesen völlig überflüssigen Gesetzentwurf heute auch mit unterschrieben haben. Meine Damen und Herren, eines von beiden kann doch nur richtig sein. Wenn wir hier zu viele Gesetze und auch einen großen Teil überflüssiger Gesetze produzieren — da bin ich bereit, Ihnen zuzustimmen —, dann sollten Sie es unterlassen. diesen Gesetzentwurf, der völlig überflüssig ist, hier vorzulegen.
Dies im übrigen, Herr Schmidhuber, auch an Ihre Adresse: Sie sagen, es gehe nicht um „entweder —oder", sondern um „sowohl als auch". Dies ist ein Gesetz des „als ob", und mit dem kann man nichts anfangen.
Herr Kollege, der Herr Kollege Dr. Köhler hat den Wunsch, eine Zwischenfrage zu stellen. — Bitte.
Herr Kollege, es ist vorhin von einem Ihrer Kollegen von dem großen Erfolg der Mittelstandspolitik der Koalition gesprochen worden. Würden Sie mir erstens bestätigen, daß die Zahl der Selbständigen in unserem
Lande seit 1969 um 900 000 zurückgegangen ist, und zweitens bestätigen, daß man das nicht als Erfolg von Mittelstandspolitik bezeichnen kann?
Herr Kollege Köhler, zunächst einmal kann ich Ihnen die Zahl nicht genau bestätigen. Ich möchte aber dazu sagen, daß wir sorgfältig unterscheiden müssen, ob es sich um gewerblichen Mittelstand oder um Selbständige handelt. Wir können nämlich nicht auf der einen Seite nur das Ausscheiden des gewerblichen Mittelstandes und der Selbständigen zählen und auf der anderen Seite das Hinzuwachsen nur einer Gruppe. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß wir mehr tun müssen, um den Willen zum Selbständigwerden in der wirtschaftspolitischen Landschaft der Bundesrepublik zu stärken — keine Frage. Daraus mache ich gar keinen Hehl, darüber berät die Bundesregierung zur Zeit, deswegen wird über die Existenzgründungsunterstützung nachgedacht.
Herr Kollege Graf Lambsdorff, würden Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Niegel zulassen?
Aber selbstverständlich!
Herr Kollege Graf Lambsdorff, haben Sie, wenn Sie diesen Entwurf des Mittelstandsförderungsgesetzes ablehnen, irgendwie in Erfahrung bringen können, daß insbesondere in Bayern in mittelständischen Kreisen das schon einige Jahre existierende Mittelstandsförderungsgesetz sehr begrüßt wird und daß es sich sehr gut bewährt hat?
Herr Kollege, ich habe nichts gegen die Mittelstandsgesetze, die auf Länderebene dort vorhandene Zuständigkeiten regeln, koordinieren und zusammenfassen. Aber ich habe etwas gegen Mittelstandsförderungsgesetze, wie sie hier vorgeschlagen werden, die ein Scheinmanöver sind und die einen Erwartungshorizont aufbauen, den Sie und die Bundesregierung nicht erfüllen und nicht einhalten können. Dagegen bin ich; ich bin für Ehrlichkeit auch in der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung.
Wenn Sie, meine Damen und Herren, hier zum Schluß schreiben „Alternativen — keine", so ist dies nicht richtig. Sie sehen zwar meist keine Alternative, Sie sind ja auch häufig keine Alternative, aber in diesem Falle gibt es wohl eine Alternative, nämlich die Fortsetzung der Mittelstandspolitik der Regierung. — Ich bedanke mich für Ihr Zuhören.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Zeitel,
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3324 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Graf Lambsdorff, lassen Sie mich zunächst klarstellen, daß der Inhalt dieses Gesetzentwurfes weitgehend mit den Ländergesetzgebungen übereinstimmt, daß Ihr Wirtschaftsminister in Niedersachsen ein solches Gesetz vorbereitet und daß wir ähnliche Gesetzesanträge in Hessen und in Hamburg haben. Nur ist offensichtlich bei Ihnen die Einsicht noch nicht vorhanden, daß wir mit einer solchen Vorlage dem Mittelstand helfen könnten.
Ich möchte aber noch immer meiner Hoffnung Ausdruck geben, daß es uns gelingen möge, in gemeinsamen Beratungen etwas für den Mittelstand zu tun, und zwar auch durch dieses Gesetz.
An den Anfang meiner Bemerkungen möchte ich die Feststellung rücken, daß alle Debattenbeiträge erfreulicherweise ein Bekenntnis zur mittelständischen Wirtschaft beinhalten. Das freut mich deshalb, weil es gar nicht Allgemeingut ist, daß die Leistungsfähigkeit, die Anpassungsfähigkeit und die Stabilität unserer Wirtschaft im wesentlichen auch auf die Leistungen des Mittelstandes zurückzuführen sind.
Ich möchte auch deutlich machen: Wir bestreiten gar nicht, daß die Koalition in einer Fülle von Vorhaben versucht hat, etwas für den Mittelstand zu tun.
Nachdem dem Mittelstand erhebliche Wunden geschlagen worden sind und werden, versuchen Sie, die Wundschmerzen ein wenig zu lindern.
Nur, Herr Schachtschabel, wenn ich Ihre Ausführungen höre, könnte man eigentlich annehmen, daß die Umsätze in der mittelständischen Wirtschaft um 10 % pro Jahr steigen, daß die Beschäftigungszahlen steil in die Höhe gehen und daß sich die Gewinne laufend verbessern. Dies entspricht aber doch einfach nicht der Realität, Herr Kollege Schachtschabel. Die Tatsachen sind doch durch andere Entwicklungstendenzen gekennzeichnet.
Herr Abgeordneter Zeitel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Steger.
Bitte.
Ich möchte zugunsten des Kollegen Schachtschabel verzichten.
Die Zwischenfrage wird gestattet? — Bitte!
Herr Kollege Zeitel, stimmen Sie mir zu, daß möglicherweise — ich bin sogar sicher — mehr Insolvenzen eingetreten wären, wenn die sozialliberale Bundesregierung nicht eine wirkungsvolle Mittelstandspolitik betrieben hätte?
Herr Kollege Schachtschabel, die wenigsten Konkurse wären vielleicht eingetreten, wenn wir die sozialliberale Regierungskoalition nicht gehabt hätten, sondern auf der vorhandenen Linie fortgeschritten wären.
Alle gegenteiligen Deklamationen vermögen nichts daran zu ändern, daß in weiten Teilen der mittelständischen Wirtschaft eine mörderische Wettbewerbsauseinandersetzung stattfindet, daß sich die Erträge in den letzten sieben Jahren fast halbiert haben, die vorher ohnehin schon nicht üppig waren, und daß als Folge dieser Entwicklung die Eigenkapitalbildung in den Unternehmungen in erheblichem Umfang rückläufig ist.
Herr Kollege Zeitel, jetzt kommt eine Zwischenfrage aus Ihrer Fraktion. Herr Kollege Lampersbach, bitte!
Herr Kollege Zeitel, würden Sie vielleicht die Liebenswürdigkeit haben, Herrn Kollegen Schachtschabel zu fragen, ob er mit den Aktivitäten z. B. die „Aktion Gelber Punkt" gemeint hat.
Herr Kollege, hier gibt es keine Dreiecksfragen. Übung des Hauses! — Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Steger?
Gerne.
Herr Kollege Zeitel, als ehemaliger Ökonomieprofessor --
Noch amtierender!
Herr Kollege, stellen Sie bitte Ihre Frage in der Sache!
Ich möchte Herrn Kollegen Zeitel fragen, ob er mit mir darin übereinstimmt, daß der Wettbewerb die Funktion hat, auch die Gewinne zu begrenzen, daß Gewinne nicht anders zu legitimieren sind als dadurch, daß sie im marktwirtschaftlichen Wettbewerb erzielt sind, und daß Ihre Formulierung, die Gewinne würden durch einen harten Wettbewerb begrenzt, im Sinne der von Ihnen vertretenen Marktwirtschaftsauffassung doch sehr, sehr bedenklich sind.
Überhaupt nicht, Herr Kollege Steger. Ihnen sollte bekannt sein, daß wir in diesem Bereich einen Verdrängungswettbewerb haben, der durchaus nicht immer mit einem fairen Wettbewerb in Einklang steht. Außerdem sollte Ihnen bekannt sein, daß es auch für die Ertragssituation im Mittelstand eine Grenze gibt, wo der
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3325
Dr. ZeitelMittelstand aufhört, lebensfähig und leistungsfähig zu sein.
Herr Abgeordneter Zeitel, es geht weiter. Herr Kollege Graf Lambsdorff hätte gern noch eine Frage an Sie gestellt.
Bitte.
Herr Professor Zeitel, könnten Sie mir bitte erklären, was Sie unter dem Stichwort „Verdrängungswettbewerb" verstehen, und sind Sie mit mir darin einig, daß Wettbewerb letztlich darin besteht, daß ich den Wettbewerber um seinen Marktanteil entsetze und ihn vom Markt verdränge?
Kollege Graf Lambsdorff, ich nehme an, Sie sind hinreichend sachverständig, um mit dem Wort „Verdrängungswettbewerb" ganz bestimmte Praktiken verbinden zu können, die wir nicht für legitim halten. Das hatte ich bei Ihnen eigentlich unterstellt; denn das ist ein Terminus technicus.
Aber jetzt will ich gleich etwas mehr zu Ihnen sagen, Graf Lambsdorff. Sie sind immer sehr eloquent, immer sehr schnell mit dem Wort; Sie verteidigen heute den Investitionszuschlag, morgen den Investitionsabschlag. Sie verteidigen damit eine Zickzackpolitik, von der wir glauben, daß sie zu einem erheblichen Teil das Vertrauen zerstört, das gerade im Mittelstand so bedeutsam ist, insbesondere für eine längerfristige Orientierung.
Graf Lambsdorff, Eloquenz ist die eine Seite, es ist auch ganz schön, immer die Kurve zu kriegen. Aber in der Wirtschaftspolitik kommt es vor allen Dingen darauf an — gerade für den Mittelstand —, daß der langfristige Orientierungsrahmen stimmt und möglichst konstant bleibt.
Wir meinen nicht, Graf Lambsdorff, daß wir mit diesem Gesetzentwurf alle Mittelstandsprobleme lösen, wahrlich nicht. Wir meinen aber, daß gerade im Hinblick auf die kaum noch übersehbare Vielzahl von Aktions- und Hilfsprogrammen eine gesetzliche zusammenfassende Regelung nützlich ist. Die Orientierung der Verwaltungsbürokratie an einer gesetzlichen Grundlage ist auch nützlich. Es ist ebenso zweckdienlich, wenn das Gesetz für die Verwaltung bestimmte Gebote beinhaltet, wie wir das in anderen Gesetzen auch haben. Wenn man diese Gebote besser formulieren kann, dann sollten wir im Interesse einer positiven Entwicklung des Mittelstandes zusammenwirken und dies nicht mit läppischen Bemerkungen wie „Etikettenschwindel" abtun. Dieses Wort sollten Sie hier nicht gebrauchen.
Das ist eigentlich eine Art der Debatte, die einem seriösen Mann, wie Sie es doch sein wollen, nicht ansteht.
Alle Ihre Deklamationen täuschen doch nicht darüber hinweg, daß bei Ihrer Politik ein Grundwiderspruch besteht. Er besteht darin, daß Sie immer hohe Ziele verkünden, daß Sie z. B. immer die Beschäftigung sichern, daß Sie fünf und sechs Prozent Wachstum erreichen wollen, daß die Realität aber meist erheblich anders aussieht. Die Frage bleibt: Woher kommt das eigentlich? Lassen Sie mich hierzu einige Gesichtspunkte vortragen. Dies erscheint um so mehr geboten, als die FDP ja immer betont, daß die Mittelstandspolitik — was auch unsere Meinung ist — in die allgemeine Wirtschaftspolitik eingebettet ist.
Das wirtschaftspolitische Kernproblem ist gegenwärtig nicht die Überwindung der Folgen der Welterdölkrise, sondern die unzureichende Investitionsneigung, die wir bereits seit 1971 feststellen können.
Die unzureichende Investitionsneigung steht sicher in einer engen Wechselbeziehung — auch das können Sie mit Zahlen belegen —
zu der annähernden Halbierung der Gewinne in dieser Zeit. — Was die Schwarzarbeit angeht, Herr Kollege, — —
— Wir betreiben keine Schwarzmalerei. In der Ökonomie, Herr Kollege Wehner, empfiehlt sich immer realistische Nüchternheit. Alles andere führt in die Irre.
Die unzulängliche Investitionsneigung ist in erster Linie im Bereich der mittleren und kleineren Unternehmungen zu beobachten. Die mangelhafte Investitionsbereitschaft ist nicht darauf zurückzuführen, daß der Mittelstand nicht will, sondern darauf, daß er über keine hinreichende Eigenkapitalbasis mehr verfügt und zuwenig Vertrauen hat, um die risikoreicher werdenden Investitionen durchzuführen. Dies ist der entscheidende Grund, warum wir keine hinreichende Investitionsneigung haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Huyn?
Gerne.
Herr Kollege Professor Zeitel, würden Sie mir zustimmen, daß diese unzureichende Investitionsneigung gerade im Mittelstand auch in einem direkten Verhältnis zu dem Vertrauen
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3326 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Graf Huynsteht, das unser Mittelstand in die Politik der Bundesregierung und der gegenwärtigen Koalition hat?
Graf Huyn, das habe ich bereits zum Ausdruck gebracht. Der Mangel an Stetigkeit in der Politik dieser Regierung ist eine der Ursachen für den Vertrauensschwund in diesem Bereich.
Über diesen Tatbestand täuschen die Kreditprogramme, die Sie immer wieder initiieren und die auch hilfreich sind, nicht hinweg. Wenn das Eigenkapital nicht mehr ausreichend ist, nützen die Kredite auch nichts mehr. Dies ist die Situation in weiten Bereichen des Mittelstandes.
Ein weiterer Sachverhalt ist, daß die Lohnkosten eine hohe Steigerungsrate aufweisen, insbesondere die Lohnnebenkosten, die den Mittelstand besonders betreffen.
Wir müssen leider konstatieren, Herr Wolfram, daß sich die Tarifverträge weitgehend an den Großbetrieben orientieren. Dies wirkt sich nachteilig für den Mittelstand aus.
— Ich halte mich an die Tatsachen, die den Mittelstand treffen, damit wir zu einer anderen Politik kommen als derjenigen, die wir gegenwärtig haben und die eben negative Ergebnisse zeitigt.
Wir haben heute Lohnnebenkosten, die bei 65 % der Tariflöhne liegen. Diese Lohnnebenkosten treffen gerade den Mittelstand, der überdurchschnittlich personalintensiv ist. Das ist auch eine Folge Ihrer Politik.
Lassen Sie mich noch einen weiteren Bereich ansprechen, über den gerade in diesen Tagen debattiert wird und der wie kein anderer, Graf Lambsdorff, zeigt, wie widerspruchsvoll Ihre Politik ist, wie Deklamationen und Taten nicht übereinstimmen. Ich meine die Steuerpolitik. Glauben Sie denn im Ernst, daß dem Mittelstand mit einer Politik nach dem Motto „Mit 9,50 DM sind Sie dabei" gedient ist? Ich finde es erbärmlich, wenn sich der Finanzminister hier hinstellt und zu erklären versucht, daß es ungerecht sei, daß jemand, der zehnmal soviel Steuern zahlt wie ein anderer, die zehnfache Entlastung erführe. Diese Art der Debatte ist erbärmlich.
Das Grundproblem unserer Steuerpolitik besteht doch nicht in der Umverteilung zwischen reich und arm. Das Grundproblem unserer Steuerpolitik besteht gegenwärtig dank Ihrer Verfahrensweise darin, daß weite mittlere Schichten, vom Facharbeiter über den Einzelhändler bis zum Handwerker und Freiberufler, heute einschließlich der Sozialabgaben Grenzsteuerlasten zu tragen haben, die 50 und 60 % betragen. Dies fördert ganz gewiß nicht die Leistungsfreude und Leistungsfähigkeit des Mittelstandes.
Herr
Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Cronenberg?
Gerne.
Herr Professor Zeitel, würden Sie im Zusammenhang mit Ihrer Bemerkung, daß den einzelnen Arbeitnehmern durch die Steuererleichterungen Minibeträge zufließen würden, bestätigen, daß die beschlossenen und geplanten Maßnahmen für eine Familie mit drei Kindern eine Entlastung etwa in der Größenordnung 45 DM netto pro Monat bringen und daß dieser Betrag, wenn er durch Lohnerhöhungen erzielt werden sollte, für mittelständische Unternehmen eine ganz erhebliche Belastung — hier sind auch die von Ihnen genannten zusätzlichen Sozialkosten zu berücksichtigen — mit sich bringen würde und deswegen von anderer Gewichtigkeit wäre als die von Ihnen genannten Minibeträge?
Aber Herr Cronenberg, wir wollen doch hier nicht drei mal drei ausrechnen. Daß das neun ist, wissen wir. Was soll daher die Frage? Ich dachte immer, die FDP sei für den Mittelstand und sie sei deshalb für ein anderes steuerliches Verfahren. Deshalb wundere ich mich ein bißchen über Ihre Frage. Wollen wir einmal abwarten, wie die Dinge laufen!
Wir stehen im Unterschied zu Ihnen — jeden-falls dazu, daß wir diesen mittleren Schichten auch im Rahmen der steuerlichen Behandlung die relativ gerechte, d. h. proportionale Entlastung zuteil werden lassen sollten und nicht einfach die 9,50 DM im Einzelfall.Ähnlich steht es — um einen weiteren Sachverhalt zu nennen — im Bereich der Bildungspolitik. Der Mittelstand, das Handwerk und der Handel bemühen sich in einer höchst anerkennenswerten Weise, zusätzliche Arbeitsplätze bereitzustellen. Und was tut die Regierung? Sie droht dauernd mit dem Knüppel der Ausbildungsabgabe, statt so etwas eventuell mit steuerlichen Erleichterungen zu honorieren.
— Dazu gibt es Äußerungen. Es gibt sogar gezielte Aktionen.
Infolgedessen trägt ihre Bildungspolitik sicher nicht dazu bei, die Ausbildungsfreude in den mittelständischen Unternehmungen zu erhöhen.
Gestatten Sie mir noch einige Bemerkungen zur Wettbewerbspolitik: Herr Jens, es ist nicht sehr fair, Herrn Kollegen Lampersbach ohne Zusammenhang zu zitieren, ohne den Anlaß für die Äußerung
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Dr. Zeitelzu nennen. Er hat nämlich über den Fall Neckermann gesprochen. Dort wird doch sichtbar, daß diese Regierung zwar ein Wettbewerbsinstrumentarium geschaffen hat, aber immer dann, wenn sie es anwenden soll, gerade der unerwünschten Fusion zustimmt. So löst man die Probleme der mittelständischen Wirtschaft gewiß nicht, wenn man gleichzeitig tausende kleiner Betriebe kaputtgehen läßt. Deshalb sollten Sie nicht so tun, als ob in der Wettbewerbspolitik die mittelständische Linie gehalten würde.Wir werden sehr schnell im Bereich des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb und des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit Vorschlägen kommen. Wir hoffen dann jedenfalls auf eine Zustimmung, wenn es darum geht, die unfairen Wettbewerbspraktiken, die Sie doch kennen, ein wenig einzuengen. Wir wissen, Graf Lambsdorff, daß das z. B. bei den Werbemethoden nicht einfach ist. Deswegen sollten wir auch in diesem Bereich nicht so tun, als ob die Regelungen, die wir bisher haben, ausreichend sind, um einen fairen Wettbewerb für den Mittelstand sicherzustellen. Genau dies ist unser Anliegen.Ich bin sehr im Zweifel darüber, ob die bisherigen Bestimmungen des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb und des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen überhaupt ordnungspolitisch ausreichend sind, um den veränderten Entwicklungsbedingungen Rechnung tragen zu können. Vielleicht bietet sich mit der „Gemeinsamen Empfehlung" ein Weg, eine dritte ordnungspolitische Säule in der Wettbewerbspolitik zu etablieren.
Überblickt man die Gesamttendenz Ihrer Politik, so ist das Ergebnis für den Mittelstand jedenfalls bedrückend. Er hat auf Grund seiner personalintensiven Struktur überwiegend die Lasten Ihrer Gesetze — einschließlich der Sozialgesetze — zu tragen. Daher ist er in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, in einer schwierigeren Lage als je zuvor in der Nachkriegsentwicklung dieser Bundesrepublik. Man sollte nicht so tun, als gebe es dank zahlloser Investitions- und Kreditprogramme keine Probleme. Das wird der Situation in diesem wichtigen Bereich wirklich nicht gerecht.
Eine Bemerkung zu der „Gesetzesmacherei". Graf Lambsdorff, das richtet sich ein bißchen gegen Ihre billige Diskussionstour. In der Tat, das Gesetzblatt der letzten Legislaturperiode umfaßt dank der vielen hektischen Aktivitäten und insbesondere der „Abhaktechnik", die die SPD anwendet, 3 000 Seiten. Vor zwei Legislaturperioden waren es noch 800 Seiten.
— Ich komme noch darauf, Herr Steger. Seien Sie nicht so vorschnell.Die Konsequenzen der Gesetzeshuberei drücken den Mittelstand heute vielleicht schon mehr als die effektive Kostenlast. Wenn Sie nun sagen, hier werde noch ein Gesetzentwurf mehr vorgelegt, so finde ich das merkwürdig. Dieser Gesetzentwurf wäre nämlich vielleicht geeignet, den Mittelstand von dem Wust anderer Aktivitätsvorschriften zu befreien und ihm eine zusammenfassende Orientierungsrichtlinie zu geben. Was wir brauchen — insofern hat das Privatisierungsgebot seinen guten Sinn, wobei sich über die Formulierung immer reden läßt —, ist nicht mehr Staat, sondern weniger Staat. Auch dafür sollten wir etwas mehr gesetzliche Handhabe bieten.
Lassen Sie mich hinzufügen: Wir brauchen vor allem — dies ist vielleicht das größte Problem des nächsten Jahrzehnts — mehr Wirtschaftlichkeit in der öffentlichen Leistungsdarbietung. Meine Damen und Herren, die Probleme im Bereich der Gesundheitspolitik — ich will dies nur andeuten — werden doch von ,der falschen Seite her angegangen, wenn man so tut, als seien die Honorare der Ärzte — also Freiberufler — der verursachende Faktor für die Kostenexplosion. Die größte Kostenexplosion gibt es im Krankenhauswesen. Sie ist nachweisbar die Folge einer Bürokratisierungstendenz, die zwangsläufig erhebliche Mehrkosten mit sich bringt. Es geht darum, in diesem Bereich mehr Wirtschaftlichkeit einzuführen und vielleicht mehr auf ein kleines frei-gemeinnütziges Krankenhaus zu vertrauen als auf einen solchen Riesenkasten wie den in Steglitz, mit vorhersehbaren unwirtschaftlichen Folgekosten.
Ich wiederhole: Wir glauben nicht, daß wir mit diesem Mittelstandsförderungsgesetz alle angesprochenen Probleme lösen. Sicher bedarf es einer substantiellen Ergänzung durch gezielte Geetzesakte, die den Mittelstand nicht nur immer belasten, sondern die auch einmal ein Signal dafür setzen, daß er entlastet wird. Um nicht mißverstanden zu werden: Unser Mittelstand braucht keinen Schutzpark. Er braucht keine Vorschriften, die ihm Subventionen zuspielen. Er hat aber einen Anspruch darauf, daß ihm faire Wettbewerbsbedingungen eingeräumt werden, die ihm derzeit als Folge Ihrer Gesamtpolitik nicht zugestanden werden. Wir sind zutiefst davon überzeugt, daß das, was in diesem Bereich geschieht, nicht irgendeine Interessenpolitik ist, sondern daß das, was für den Mittelstand unseres Landes gut ist, auch für unser Land gut ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Steger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Professor Schachtschabel und auch die anderen Redner der Koalition haben hier eine umfassende Leistungsbilanz unserer Politik für kleinere und mittlere Unternehmen vorgetragen. Ich glaube, das war für manche Mittelstandspolitiker der CDU/CSU eine sehr notwendige Nachhilfestunde.
— Sie brauchen sich gar nicht darüber zu beschweren. Diese Nachhilfestunde wurde doch wenigstens
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Dr. Stegernoch privatissime et gratis gegeben, wie es unter Professoren heißt. Ich will dies hier nicht weiter vertiefen.Herr Kolleg Zeitel, ich muß feststellen, daß Sie der auch vom Kollegen Jens angebotenen sachlichen Auseinandersetzung über die Zweckmäßigkeit und die Verbesserung von Maßnahmen ausgewichen sind, weil Sie keine Alternative haben, und statt dessen wieder den ideologischen Hammer geschwungen haben. Es war ganz merkwürdig, was da zutage kam. Sie können sich da auch nicht mit Ihren Attacken auf irgendwelche sozialistischen Phänomene entschuldigen.Wir müssen immer in Erinnerung behalten, daß es auf deutschem Boden zwei Planwirtschaften gegeben hat bzw. gibt: Die eine ist die bürokratische Planwirtschaft, die wir noch haben: im Bereich der DDR. Aber davor hat es in Gesamtdeutschland eine bürokratische Planwirtschaft gegeben, die von rechts eingeführt worden ist; denn das, was die Nationalsozialisten gemacht haben, war ja auch Planwirtschaft.
— Der soziale Boden dieser Planwirtschaft war nicht nur „Blut und Boden", Herr Hauser, sondern waren auch die protektionistischen und dirigistischen Forderungen des sogenannten Mittelstands.
— Was das damit zu tun hat, kann ich Ihnen sagen: Wir werden es Ihnen nicht so einfach durchgehen lassen, die Schimäre der sozialistischen Planwirtschaft aufzubauen und zu sagen: Guckt euch mal die mittelstandsfeindlichen Sozis an! Wir werden vielmehr sehr präzise die ideologischen und antimarktwirtschaftlichen Grundlagen Ihrer Mittelstandspolitik herausarbeiten; denn dort liegen die Unterschiede.
— Sie haben offensichtlich noch Verständnisschwierigkeiten.
— Ich möchte meinen Gedanken erst zu Ende führen; dann können Sie fragen.Das sind ja einige ganz merkwürdige Sachen herausgekommen, z. B. dieses Wettbewerbsverständnis. Wenn man Sie hört, fragt man sich: Wo gibt es in dieser Republik überhaupt Wettbewerb, der nicht ruinös, der nicht mörderisch, der nicht unfair ist? Da gibt es überhaupt keinen Bereich. Immer dort, wo Wettbewerb ist, kommen die großen Klagen. Es wird von der Begrenzung der Gewinne gesprochen, die unfair sei, und von allem möglichen. Und dann kommt die Forderung, der Gesetzgeber möge diesen Wettbewerb so regulieren, daß ein bequemer Naturschutzpark übrigbleibt.In dem Zusammenhang müßten Sie einmal präzise definieren, was Sie mit Mittelstand eigentlich meinen. Sie reden hier immer über „den" Mittelstand. Da gibt es den Würstchenverkäufer, und da gibt es das Steuerberatungsbüro mit 30 Mitarbeitern und Millionenumsätzen. Da gibt es Handwerksbetriebe, die sich einem drastischen Strukturwandel gegenübersehen und denen es in der Tat schlechtgeht — aber das können Sie in der Marktwirtschaft gar nicht ausschließen —, und es gibt kleine und mittlere Unternehmen, die auf innovationsträchtigen Märkten mit einem hohen Know-how-Anteil ganz hervorragende Erfolge erzielen. Aber Sie pauschalieren, um nicht zu sagen: kollektivieren diese unheimlich differenzierte ökonomische Landschaft unter diesem nebulösen Begriff „Mittelstand" und trauen sich nicht, zu sagen, daß vieles von dem, was Sie wollen, der Großindustrie viel mehr zugute kommt als dem Mittelstand. Das ist doch die Unfairneß, die darin steckt, die in Ihrer ganzen Politik angelegt ist. Auf der einen Seite haben Sie den Wirtschaftsrat, der für die eigentliche Politik zuständig ist, während der Mittelstand nur auf die Tränendrüse drücken darf, und auf der anderen Seite haben Sie die Arbeitnehmer, die im Wahlkampf ein gewisses Feigenblatt darstellen.
Herr Kollege Dr. Steger, wollen Sie auf die Frage des Kollegen Jaeger noch einmal zurückkommen?
Ja, Herr Kollege Jaeger kann jetzt fragen; ich habe meinen Gedanken zu Ende geführt.
Ich wollte mich nur vergewissern.
Herr Kollege, ich wollte Sie fragen, ob Sie, wenn Sie hier die verfehlte Wirtschaftspolitik des aus anderen Gründen verwerflichen Nationalsozialismus anführen, dies der Christlich Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union in die Schuhe schieben wollen.
Nein, Herr Kollege Jaeger. Sie haben vielleicht nicht genau zugehört. Ich habe gesagt, daß wir auch eine Planwirtschaft von rechts hatten, daß also die von Ihnen immer vorgenommene Gleichsetzung von Planwirtschaft und Sozialismus für die Bundesrepublik schon historisch gar nicht stimmt und daß einer der sozialen Ursachen für diese Planwirtschaft von rechts damals die protektionistischen Forderungen aus dem Bereich gewesen sind, den Sie Mittelstand nennen.Da muß ich dem Kollegen Lambsdorff voll und ganz zustimmen: Wir werden in unserer „Mittelstandspolitik" nicht von der marktwirtschaftlichen Orientierung abweichen, auch wenn Sie mit noch so protektionistischen Forderungen kommen.
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Dr. StegerWie war das denn z. B. mit der Tarifautonomie, gegen die Herr Zeitel hier polemisiert hat? Was wollen Sie denn? Wollen Sie die Lohnnebenkosten, die weitgehend durch Tarifverträge entstanden sind und die die Arbeitgeber, zu denen auch der Mittelstand gehört, mit unterschrieben haben, durch staatliche Gesetze ändern? Sie müssen dann doch einmal eine Alternative aufzeigen. Sie können doch nicht immer beklagen, die Tarifverträge seien so schlimm, so schlecht, ohne auch zu sagen, daß erstens Sie mit unterschrieben haben, und zweitens, welches Ihre Alternative ist, um die anstehenden sozialen Probleme zu regeln. Ich muß ganz klar feststellen: Wir stehen zur Tarifautonomie und lassen sie uns auch nicht durch dirigistische Forderungen unter dem Etikett Mittelstand abhandeln. Da hat der Kollege Lambsdorff recht: Das ist Etikettenschwindel.Wir plädieren dafür, die ökonomische Situation sachlich zu analysieren, präzise zu definieren, was der Mittelstand ist, und das genau in die Problembereiche zu zerlegen, die ich eben skizziert habe. Wir müssen auch einmal die Leistungsdefizite sauber herausarbeiten, um zu erkennen, warum denn die kleinen und mittleren Unternehmen und die Selbständigen in bestimmten Bereichen in bestimmten Schwierigkeiten sind. Das ist nämlich nicht so pauschal zu machen, wie Sie das immer tun.Ich will einmal einen Punkt herausgreifen, an dem man das sehr deutlich machen kann. Herr Hauser, ich finde es mehr als typisch, daß dieser Bereich bei Ihnen praktisch fehlt, nämlich der Bereich der Innovationspolitik für kleine und mittlere Unternehmen. Wenn Sie sagen, die Leistungsfähigkeit dieser Wirtschaft beruhe auf den anpassungsfähigen und leistungsorientierten kleinen und mittleren Unternehmen — was man in dieser Pauschalität sicherlich nicht behaupten kann —, dann müßten Sie auch einmal präzise sagen, was denn notwendig ist, damit diese kleinen und mittleren Unternehmen an der Spitze des technischen Fortschritts marschieren. Denn es kann ja wohl nicht so sein, daß wir uns gegen den marktwirtschaftlichen Strukturwandel wehren, daß wir versuchen, überholte Produktionen aufrechtzuerhalten, obwohl sie weder von der Nachfrageseite her noch von den komparativen Kosten in der internationalen Arbeitsteilung her zu halten sind, sondern unsere Aufgabe besteht doch darin, Innovationshemmnisse zu beseitigen. Davon steht in Ihrem Gesetzentwurf merkwürdigerweise so gut wie nichts, obwohl das in den nächsten Jahren ein zentrales Feld unserer Strukturpolitik für kleinere und mittlere Unternehmen ist.Was ist denn alles passiert? Zum Beispiel die Projektförderung durch das BMFT. Ihre Kampagne, daß das nur etwas für die Großindustrie sei, ist ja schon längst zusammengebrochen, insbesondere nachdem man einmal nachgerechnet hat, was alles an kleinen und mittleren Unternehmen daran in Form von Unteraufträgen beteiligt ist. Ich nenne das Erstinnovationsförderungsprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums, die Wagnisfinanzierungsgesellschaft beim BMFT. Ich nenne das, was wir im Moment mit den Innovationsberatungsstellen versuchen, nämlich den Technologietransfer aus denGroßforschungseinrichtungen in die Wirtschaft. Ich nenne § 4 des Investitionszulagengesetzes, mit dem wir ja ganz gezielt die Forschungs- und Investitionszulagen für kleine und mittlere Unternehmen erhöhen, um dort, wo die Projektförderung nicht greift, einen stärkeren Anreiz zu bieten, tatsächlich in den Forschungs- und Entwicklungsbereich zu gehen, einfach deswegen, weil wir es für notwendig halten, daß die Leistungsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen gestärkt wird, daß sie mit innovativen Produktionen arbeiten, daß ihre Managementqualität verbessert wird. Professor Schachtschabel hat einiges zu dem ausgeführt, was wir dort in Form von Beratung und Ausbildung machen; denn Sie wissen doch genau — Sie müßten es wenigstens aus Ihrer eigenen Praxis wissen —, daß das Mittelstandsproblem auch ein Managementproblem oder besser gesagt: eine Frage der unzureichenden Managementkapazitäten ist.Das sind die Ansatzpunkte, wo wir weiterkommen. Ich muß sagen, wir werden uns entschieden gegen alles zur Wehr setzen, den stattfindenden Strukturwandel unter dem Aspekt Mittelstandsschutz in irgendeiner Weise zu bremsen. Wenn wir Marktwirtschaft wollen, müssen wir auch die Konsequenzen dieser Marktwirtschaft wollen und können nicht für den Mittelstand einen Naturschutzpark bauen. Das sind die Unterschiede, die in der Politik für kleine und mittlere Unternehmen zwischen der CDU/CSU und den Regierungsparteien bestehen. Wir wollen eine größere Leistungsfähigkeit, eine größere marktwirtschaftliche Anpassungsfähigkeit, und Sie wollen immer nur Protektionismus, staatlichen Schutz für Produktionen, die nicht mehr aufrechtzuerhalten sind. Das ist der entscheidende Punkt. Um es mit einer Formulierung zu sagen, die Schumpeter vor fünfzig Jahren gebraucht hat: Unsere Politik ist für die Innovatoren, aber Ihre Politik ist noch nicht einmal für die Imitatoren, d. h. für diejenigen, die diesen Innovationen nachlaufen. Herr Hauser, das ist das Problem Ihrer Politik, und ich möchte Sie bitten, zu prüfen, wie Sie die dirigistischen und protektionistischen Forderungen, die Sie heute wieder erhoben haben, mit dem vereinbaren können, was Sie in Sonntagsreden für die Marktwirtschaft hier im Lande verbreiten.
Darin zeigt sich die Unglaubwürdigkeit Ihrer Politik: Sonntags singen Sie das Hohe Lied der Marktwirtschaft, und von Montag bis Freitag stehen Sie bei der Regierung Schlange und wollen Subventionen haben, so daß fast der Eindruck entsteht, die Arbeitnehmer sollten nur noch so viel Steuern zahlen, daß sie gerade noch den Mittelstand finanzieren können. Darin zeigt sich die Unglaubwürdigkeit Ihrer Politik.
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3330 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Dr. StegerIch bin Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie diesen Gesetzentwurf noch einmal eingebracht haben; denn er hat in aller Deutlichkeit gezeigt, auf welchen wackligen Grundlagen Ihre Politik steht. Ich glaube, Herr Hauser, Sie bedauern es — das zeigt Ihre aggressive Reaktion in aller Deutlichkeit —, daß Sie dieses Thema heute noch einmal aufgegriffen haben,
weil Sie schlecht aussehen, weil Sie keine Konzeption haben, weil Sie zu unserer Politik keine Alternative haben. Ich kann Ihren Ärger daher verstehen. Sie werden aber verstehen, daß diese Debatte für uns eine Bekräftigung ist, auf diesem innovationsorientierten Weg weiterzugehen, ohne uns dabei von den protektionistischen Hunden anbellen zu lassen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte hier und heute eigentlich nur zu dem Antrag betreffend die Lage der freien Berufe etwas sagen, weil auch in dieser Debatte die freien Berufe in der Gewichtung offenbar wieder nicht ganz zum Zuge gekommen sind. Das ist beispielsweise auch in Ihrem Gesetzentwurf, Herr Hauser, der Fall, in dem die freien Berufe in den zwei Paragraphen 24 und 25 durch eine schlichte Übertragung von Regeln, die nicht übertragbar sind, pauschal abgehandelt werden sollen. Aber eine Bemerkung von Herrn Professor Zeitel — er ist nun leider gegangen — veranlaßt mich doch, dazu etwas zu sagen. Herr Professor Zeitel hat die Bundesregierung geziehen, mit ihrer Politik so etwas wie Gigantomanie in der Wirtschaft zu unterstützen, etwa nach dem Motto: je größer um so besser. Als Beispiel hat er die kleinen frei-gemeinnützigen Krankenhäuser genannt, die doch eigentlich sehr viel besser als riesige Kliniken seien. Ich darf dazu anmerken: Die Bundesgesetze lassen die Förderung von allgemeinen frei-gemeinnützigen Krankenhäusern ab 100 Betten zu. Allerdings gibt es verschiedene Landesregierungen, die diesen Weg des Bundesgesetzgebers nicht mitgehen.
— Das ist auch in Nordrhein-Westfalen der Fall; ich will die Schuld gar nicht einseitig verteilen. Aber es ist z. B. auch in Rheinland-Pfalz so, wo mindestens 300 Betten in einem Krankenhaus sein müssen, wenn es förderungsfähig sein soll. Das ist also eine andere Regelung, als sie der Bundesgesetzgeber meinte. Ich wollte damit nur sagen: Dies war ein schlechtes Beispiel dafür, daß gerade der Bundesgesetzgeber in dieser Hinsicht eine schlechte Politik mache.Wir von der FDP-Fraktion haben verhältnismäßig wenig Neigung, dem Antrag zur Lage der freien Berufe in dieser Form zuzustimmen. Ich könnte es auch mit Rainer Barzel formulieren: „So nicht!" Im Prinzip wird es von uns begrüßt, daß hier die Lage der freien Berufe aufgegriffen wird. Wir haben uns gefragt, welche Ziele und Absichten Sie mit diesem Antrag verfolgen. Es kann ja wohl schlecht sein, daß es Ihnen nur darum gehen sollte, zu der von Ihnen allerorten immer wieder beklagten Berichtsflut — von der Gesetzesflut ist bereits gesprochen worden — beizutragen. Das kann es also nicht sein. Die schriftliche Begründung läßt völlig offen, wozu dieser Bericht am Ende dienen soll. Auch in der Debatte heute morgen habe ich dazu verhältnismäßig wenig gehört.In der schriftlichen Begründung werden zwei Ziele genannt. Das erste: Der Bundesregierung soll Gelegenheit gegeben werden, ihre Position gegenüber den freien Berufen zu klären. Nun, meine Damen und Herren, ich glaube nicht, daß die Bundesregierung ihre Position gegenüber Ärzten, Apothekern, Architekten, Ingenieuren, Rechtsanwälten, Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Wirtschafts- und Buchprüfern, Journalisten, Wissenschaftlern und Künstlern — die Liste ist noch nicht vollständig — erst bestimmen müßte. Der Herr Kollege Hauser hat ja heute morgen dankenswerterweise auch angemerkt, daß der Vorwurf der Fehleinschätzung weniger die Bundesregierung als die Koalitionsfraktionen treffe. Dazu darf ich für die FDP-Fraktion, in der ein erheblicher Prozentsatz von Freiberuflern tätig ist, anmerken, daß wir insoweit Nachhilfeunterricht zur Positionsbestimmung nicht benötigen. Als zweites Ziel wird genannt: Es sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß die freien Berufe ihre Funktion in der Gesellschaft auch zukünftig erfüllen können. Nun, meine Damen und Herren, solche Voraussetzungen schafft oder festigt man in der täglichen Gesetzesarbeit; man schafft und festigt sie nicht durch Berichte.
Wir teilen — ich sagte es bereits — im Grundsatz Ihre Auffassung von der Rolle und der Bedeutung der freien Berufe in unserer Gesellschaft, obwohl wir natürlich so wolkige Phrasen, wie sie in der Begründung stehen, nicht unterschreiben würden, z. B.: „Die freien Berufe schützen vor Nivellierung und Reglementierung. Die freien Berufe bewahren vor Degradierung zum Verwaltungsobjekt Die freien Berufe schützen vor dem Zugriff des Kollektivismus." Nun, meine Damen und Herren, wir wissen etwas differenzierter, was es für die Freiheit, für die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen, für die geistigen und allgemein menschlich-seelischen Entwicklungsmöglichkeiten des Individuums, des einzelnen Bürgers bedeutet, daß wir freie und unabhängige Rechtsanwälte haben, die in allen Rechtsangelegenheiten vor Gerichten und vor Behörden beraten und vertreten, daß wir freie Steuerberater haben, die dem Bürger angesichts unserer Steuergesetzgebung bei der Ordnung seiner Steuerangelegenheiten helfen, und daß wir auch freie Architekten haben, die bei der Verwirklichung des Traums
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Gattermannvom Eigenheim helfen, um nur drei Bereiche anzusprechen. Wir wissen insgesamt in der Tat — wir brauchen, ich sage es noch einmal, insoweit keinen Nachhilfeunterricht —, welche geistigen und kreativen Leistungen gerade von diesen Berufsständen für unsere Gesellschaft erbracht werden.Weshalb aber, so werden Sie zu Recht fragen, halten wir dann dennoch nichts von der Berichterstattung durch die Bundesregierung auf der Grundlage dieses Fragenkatalogs? Nun, wir finden kaum Anhaltspunkte dafür, daß sich aus der Beantwortung dieser Fragen für alle freien Berufe übereinstimmende Daten und Erkenntnisse ergeben könnten, vielleicht mit Ausnahme des Steuerbereichs, der Ausbildungsplatzsituation und von Kooperationsmöglichkeiten — aber darauf komme ich gleich noch besonders zu sprechen —, die geeignet sein könnten, global angesetzte wirtschaftspolitische Maßnahmen speziell für freie Berufe zu veranlassen. Die Tätigkeitsbereiche der freien Berufe sind so unterschiedlich — lesen Sie sich einmal die Liste zu § 18 des Einkommensteuergesetzes durch, in der die freien Berufe alle aufgeführt sind; dann merken Sie, wie unterschiedlich die Tätigkeitsbereiche sind —, daß sich Daten zur Erkenntnis von Problemen und von Strukturkrisen in einzelnen Bereichen ganz sicherlich nicht allgemein, sondern nur ganz gezielt auf den jeweiligen einzelnen Berufsstand werden ermitteln lassen.Wir wollen für die Beratungen in den befaßten Ausschüssen insoweit ein doppeltes Kooperationsangebot unterbreiten. Zum ersten: Wir können uns vorstellen, daß bei einigen Fragestellungen durch Verbesserungen, Erweiterungen und Ergänzungen des Fragenkatalogs einige Fragen in Auftrag gegeben werden könnten, die für allgemein anzusetzende Überlegungen und Maßnahmen Erkenntnisse vermitteln könnten.
Zum zweiten und im besonderen aber bieten wir an, daß wir einzelne Bereiche freier Berufe gezielt ansprechen, hierzu Prüfungsaufträge erteilen und Lösungsmöglichkeiten suchen.Herr Schmidhuber hat, wenn ich mich richtig erinnere, heute morgen bereits zwei solche Einzelprobleme angesprochen. Er hat zum einen die Architekten erwähnt und in diesem Zusammenhang von einem Abbau von Planungskapazitäten im öffentlichen Dienst gesprochen. Lassen Sie mich diesen Gedanken vertiefen. Wir müssen uns in der Tat fragen, ob wir, wenn wir einen freien Berufsstand erhalten wollen, in einer solchen Situation bei einem für diesen Bereich typischen Aspekt, nämlich dem des Wettbewerbs, dem einzelnen freiberuflichen Architekten den Wettbewerb mit großen Kapitalgesellschaften, die in diesem Bereich tätig sind, zumuten können. Der Herr Bundesbauminister ist nicht hier.
Aber ich habe ihm auch schon persönlich gesagt, daß dies ein Punkt ist, über den man angesichts einer Situation des Architektenstands, die durch die konjunkturelle Lage besonders gravierend ist, wird nachdenken müssen.Herr Schmidhuber hat auch bereits von der Zulassungsschwemme bei Rechtsanwälten gesprochen. Lassen Sie mich eines dazu ganz klar sagen. Auf keinen Fall würden wir dabei mitmachen, hier an Zulassungsbeschränkungen oder ähnliches zu denken. Aber wir müßten untersuchen, wie viele der frisch zugelassenen Rechtsanwälte diesen Beruf als Organe der Rechtspflege ausüben wollen und wie viele diesen Beruf nur als Parkstation oder als irgendeine Form von Nebenerwerb auffassen. Das letzte ist weder für den Stand noch für die Aufgaben, die dieser Stand für unsere Gesellschaft zu erfüllen hat, nützlich oder gut.Wenn ich recht informiert bin, war für diese Debatte nur ein Zeitraum bis 12 Uhr vorgesehen. Ich will deshalb zum Schluß kommen und nur noch anmerken: Ich begrüße es letztlich, daß dieser Antrag eingebracht worden ist. Denn er gibt Gelegenheit, vor aller Öffentlichkeit sichtbar zu machen, daß es in diesem Haus in der Bewertung der Rolle der freien Berufe in unserer Gesellschaft im wesentlichen gar keine Unterschiede gibt. Wir Freien Demokraten jedenfalls — und das sage ich auch als Freiberufler werden alles tun, damit diese Berufsstände in unserer Gesellschaft auch fürderhin ihre Rolle so optimal erfüllen können, wie sie es bisher getan haben.
Ich habe da vorhin, Herr Kollege Schmidhuber, einen Zwischenruf gehört. Ich wäre dankbar, wenn Sie ihn einmal selbstkritisch überprüfen würden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lampersbach.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Einige Bemerkungen, die heute morgen hier gefallen sind, veranlassen mich, entgegen der ursprünglichen Absicht doch noch einmal ans Pult zu treten.Herr Dr. Jens, es ist bedauerlich und sicherlich nicht dem Rang einer Mittelstandsdebatte angemessen, wenn Sie hier Teile aus einem ganzen Kompendium zitieren, die bei dem nicht aufgeklärten Leser den Eindruck entstehen lassen müssen, als würde von unserer Seite ein Dirigismus verlangt und die marktwirtschaftliche Ordnung außer Kraft gesetzt.
— Sie kommen noch dran, Herr Steger; seien Sie ganz beruhigt.Wir müssen aber, wie das beim Sport seit jeher üblich ist, darauf achten, daß die Spielregeln eingehalten werden und die Akteure auf diesem Spielfeld, auf diesem Tummelplatz, sich nicht gegenseitig vor das Schienbein treten und Verletzungen beibringen, worunter das Spiel insgesamt leiden würde.Wenn im Zusammenhang mit einem die Öffentlichkeit insgesamt interessierenden wirtschaftlichen Vorgang, nämlich der Fusion von zwei großen Unternehmungen, auch darüber diskutiert wird und Anreize zur Diskussion gegeben werden, daß wir
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Lampersbachdie Marktpraktiken überprüfen müssen, dann ist, so glaube ich, die Frage erlaubt, ob ein permanenter Verdrängungswettbewerb dadurch erfolgen kann und darf, daß bewußt unter Preis, Graf Lambsdorff, angeboten wird, zu Preisen nämlich, welche die Fixkosten nicht decken, so daß das Unternehmen hinterher zur Aufgabe gezwungen wird oder, wie in diesem einen Fall, praktisch durch den Druck einer Vielzahl öffentlich interessierter Institutionen eine Sanierung durchgeführt wird. Das war die Sache, die Herr Dr. Jens hier bedauerlicherweise falsch angesprochen hat.Lassen Sie mich noch etwas zu einer Bemerkung von Herrn Dr. Steger sagen. Wenn hier ein ideologisches Bild in den Saal gezaubert wird, indem man die Vergangenheit bis 1945 in einer Art und Form darstellt, als wäre die CDU/CSU dafür verantwortlich zu machen, dann ist das mehr als nur ein Schlag unter die Gürtellinie. Das ist, wenn es bewußt erfolgte, Herr Dr. Steger, eine Vergiftung der parlamentarischen Atmosphäre, die wir uns nicht werden gefallen lassen, gegen die wir öffentlich in aller Form Stellung nehmen müssen.
Wenn wir erneut, wie das in der Vergangenheit vielfach geschehen ist, in eine Ecke gestellt werden sollen, in der wir weder gestanden haben noch hineingehören, dann ist das unerhört.Sie müßten eigentlich, Herr Steger, auf Grund Ihrer Ausbildung — ich glaube, Sie haben in einem Steuerbüro gelernt und gearbeitet — wissen, was es mit den Dingen wie Wettbewerb, Lohnkosten, Strukturwandel und Innovationen auf sich hat. Sie müßten eigentlich aus Ihrer Kenntnis heraus — Sie verstehen Bilanzen zu lesen — auch wissen, aus welchen Gründen Konkurse, deren Zahl gerade in den letzten Jahren in erheblichem Maße zugenommen hat, erfolgen. Wenn Sie uns hier des Protektionismus zeihen, dann ist das eine Aussage wider besseres Wissen,
— Oder Sie wissen es nicht. Nur diese beiden Möglichkeiten gibt es. Auch hiergegen müssen wir uns aufs entschiedenste verwahren. Wir verlangen seit vielen Jahren für die Mittelstandspolitik — das ist ja eine Politik nicht nur für den gewerblich Selbständigen, nicht nur für den Freiberufler, sondern wir ziehen den Kreis der Mittelständler schon sehr, sehr viel weiter — Bedingungen gesetzesmäßiger Art, die es möglich machen, die Leistungskraft des einzelnen freizusetzen. — Herr Professor Schachtschabel hört nicht zu, weil er das von mir alles schon weiß. Das hat er auch nicht nötig. Sie machen eine private Vorlesung mit Herrn Steger. Er hat es nötig, Herr Professor Schachtschabel; ich kann es Ihnen nur bestätigen.Wir wollen die Leistungsfähigkeit des einzelnen ermuntern und freisetzen zum Wohle aller Beteiligten. Herr Steger, nehmen Sie folgendes aus dieser Debatte mit nach Hause: Wenn es dem Mittelstand gutgeht — ich sage das als Selbständiger mit einer Vielzahl von Mitarbeitern —, dann geht es auch den Mitarbeitern gut. Wenn es den Unternehmungen schlechtgeht, geht es auch den Mitarbeitern schlecht, weil das Unternehmen hinterher Pleite macht.
- Bei Ihnen ist das anders, Sie sind ja Beamter; Ihnen kann nichts passieren.
Herr Kollege, auch das war eine persönliche Bemerkung. Ich habe vorhin in anderem Zusammenhang gesagt, wir sollten uns persönlicher Bemerkungen zwischen den Kollegen in dieser Form enthalten.
Aber eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Scheu.
Darf ich Sie fragen, Herr Kollege Lampersbach, der Sie jetzt so empfindlich reagiert haben - mit Schienbeinstoßen und ähnlichen Beispielen —, ob Sie nicht selber auch meinen — ich kenne Sie lange genug, um Ihren guten Willen im Grundsatz zu respektieren —, daß unsere Seite durch bösartige ideologische Prinziperklärungen nicht nur im Wahlkampf, sondern das geht auch weiter mit der üblen Aussage „Freiheit oder Sozialismus" ; ich will das nur andeuten — Grund genug hätte, auch mal ein bißchen ans Schienbein zu geben, wenn man das sonst in so grober Weise tut?
Herr Kollege Scheu, ich würde Ihnen das gern von Angesicht zu Angesicht sagen, wenn Sie auch eine sehr interessante Rückenlinie haben. Ich muß Ihnen sagen: dieser Slogan „Freiheit statt Sozialismus" hat seine Berechtigung. Das, was heute morgen Ihr junger Kollege Steger gesagt hat, ist eigentlich der Beweis für die Richtigkeit dieser unserer Wahlkampfaussage gewesen.
Wenn es einer nachträglichen Legitimation bedurft hätte, dann hat er sie heute morgen hier gegeben — nicht einmal gut, aber immerhin. Herr Kollege Scheu, Aktionen wie „Gelber Punkt" — ich weiß, daß Ihnen persönlich das peinlich ist, aber Sie haben ja hier eine Frage gestellt erinnern mich — mein Jahrgang kennt das — sehr an Aktionen aus früheren Zeiten.
Herr Abgeordneter, ich würde vorschlagen, daß wir — das gilt für alle Seiten — Vergleiche in dieser Form auch nicht andeuten.
Ich werde mich daran halten, Herr Präsident.Herr Kollege Scheu, wir sollten also überlegen, wo hier die Grenzen der Fairneß liegen. Ich glaube, daß die ersten Redner alle, insgesamt, hier unter Beweis gestellt haben, daß man sich über ein sehr brisantes Thema — weil es um Existenzen geht — sehr sachlich unterhalten und verständigen kann.
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LampersbachWir haben in vielen Podiumsdiskussionen, ob das mit Herrn Kollegen Jens oder mit Herrn Schachtschabel oder auch mit Ihnen war, bewiesen, daß wir auch bei kontroversen Meinungen und Auffassungen zu Sachvorgängen, auch bei entsprechender Härte und Schärfe, nie die menschlich vernünftige Seite dabei verletzt haben. Das sollten wir hier beachten. Diese Grenze zu überschreiten, haben Sie, Herr Steger, heute morgen fertiggebracht.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Ich schlage Ihnen vor, daß wir den Bundesmittelstandsförderungsgesetzentwurf an den Ausschuß für Wirtschaft — federführend —, sowie an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung überweisen. Der Antrag betreffend Bericht über die Lage der freien Berufe soll an den Ausschuß für Wirtschaft — federführend —, an den Finanzausschuß und an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zur Mitberatung überwiesen werden. Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Düngemittelgesetzes— Drucksache 8/319 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 8/890 —Berichterstatter: Abgeordneter Paintner
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Um eine Ergänzung des Berichts wird nicht gebeten. Das Wort in der Aussprache wird nicht begehrt.Ich rufe die §§ 1 bis 11, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist in der zweiten Beratung einstimmig gebilligt.Wir treten in diedritte Beratungein. Das Wort zur Aussprache wird nicht begehrt. Wer dem Düngemittelgesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig verabschiedet.Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Düngemittelstatistik— Drucksache 8/371 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/938 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Riedl
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 8/891 —Berichterstatter: Abgeordneter Bayha
Ich danke den Herren Berichterstattern und frage, ob eine Ergänzung der Berichte gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall.Ich rufe die zweite Beratung auf und frage zunächst, ob das Wort gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall.Wir treten in die Abstimmung ein. Ich rufe die §§ 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist in der zweiten Beratung einstimmig gebilligt.Wir treten in diedritte Beratungein. Ich frage, ob das Wort begehrt wird. — Das ist nicht der Fall.Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in der dritten Beratung einstimmig gebilligt.Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Statistik im Güterkraftverkehr 1978— Drucksache 8/177 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/908 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Riedl
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen
— Drucksache 8/907 —Berichterstatter: Abgeordneter Curdt
Ich danke den Herren Berichterstattern und frage, ob eine Ergänzung der Berichte gewünscht wird. Das ist offensichtlich nicht der Fall.
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Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenMeine Damen und Herren, wir treten in die zweite Beratung ein. Das Wort wird nicht begehrt.Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 7, Einleitung und Überschrift auf. Wer diesen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. Das Wort wird nicht gewünscht.Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist auch dieser Gesetzentwurf einstimmig gebilligt.Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften— Drucksache 8/873 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß gemäß § 96 GOSeitens des Bundesrates wird das Wort zu einer Begründung nicht gewünscht. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Regenspurger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf der Tagesordnung steht die erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften. Konkret bedeutet dies, daß eine besorgniserregende Entwicklung in einem Teilbereich des Arbeitsmarktes, nämlich im Lehrerbereich, die Länder Baden-Württemberg und Bayern zu einer Initiative veranlaßt hat, um die Zahl der arbeitslosen Junglehrer zu verringern.Wenn man den Prognosen glauben darf, wird die Zahl der arbeitslosen Junglehrer im Bundesgebiet in zehn Jahren die Grenze von 100 000 überschritten haben. Im Gegensatz zu manchem anderen ist der Lehrer fast ausschließlich auf eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst angewiesen, wenn er eine seiner Ausbildung entsprechende Berufstätigkeit ausüben will. Das Arbeitsplatzangebot der Privatschulen ist vergleichsweise gering und kann keine echte Entlastung schaffen. Hinzu kommt, daß sich viele der heute noch in Ausbildung stehenden künftigen Lehrer zu diesem Berufsweg in der Erwartung entschlossen haben, sie würden nach Abschluß ihrer Ausbildung garantiert eine Verwendung im öffentlichen Dienst finden. Zu dieser Erwartung hat nicht zuletzt die Darstellung der öffentlichen Hand geführt, daß im Lehrerbereich auf längere Sicht ein besonders großer Bedarf vorhanden sei.Diese besondere Situation erfordert besondere Maßnahmen. Die Maßnahmen müssen zwei Zielrichtungen haben: Es muß zum einen die Zahl derer,die in den Lehrerberuf drängen, gesenkt werden. Das ist aber ein Problem, über das wir hier und heute nicht zu reden haben. Zum anderen muß versucht werden, das Arbeitsplatzangebot im Lehrerbereich zu erhöhen, vor allem für die jetzt in Ausbildung stehenden Lehramtsstudenten und -anwärter. Angesichts des langfristigen Bedarfs und im Hinblick auf die beschränkten Haushaltsmittel kann die Verbreiterung des Arbeitsplatzangebotes nicht nur und nicht in erster Linie darin bestehen, mehr Planstellen für Lehrer zu schaffen. Es kommt vor allem auch darauf an, im Rahmen der bestehenden Stellenausstattung durch Umschichtung von Stellen und Mitteln Arbeitsplätze für den von Arbeitslosigkeit bedrohten Nachwuchs freizusetzen.Als einer der Möglichkeiten, Arbeitsplätze ohne erhebliche Mehrkosten freizusetzen, sehen auch wir die Erweiterung der Teilzeitbeschäftigung an. Vorhandene Beamte sollten freiwillig, aus welchen Motiven auch immer, eine Teilzeitbeschäftigung eingehen können. Die hierdurch frei werdenden Arbeitsplätze können dem Nachwuchs zur Verfügung gestellt werden. Wegen des Gleichheitsgrundsatzes bezieht sich der Gesetzentwurf, wenn auch der Anlaß für die Initiative aus der Lehrersituation kam, nicht nur auf diesen Bereich, sondern erfaßt allgemein Beamte mit Dienstbezügen.Die Initiative der beiden Länder verdient um so mehr Dank, als die Bundesregierung bis jetzt zu diesem dringenden Problem zwar Initiativen angekündigt, aber tatsächlich nichts vorgelegt hat. Sie hat zudem das brennende praktische Problem unnötig mit theoretischen Überlegungen über „Emanzipation", über „Selbstverwirklichung" vermengt und sich dadurch selber die Lösung hier und heute erschwert.So hat der Herr Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Dr. Günther Hartkopf, in der Sitzung des Bundesrates vom 3. Juni 1977 — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — folgende Erklärung abgegeben:Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf der Länder Baden-Württemberg und Bayern stellt nach Auffassung der Bundesregierung einen ersten Schritt zur Lösung des seit geraumer Zeit in den Mittelpunkt der Diskussion gerückten Problems der Erweiterung der Teilzeitbeschäftigung im öffentlichen Dienst dar. Sie wissen seit der Besprechung auf Staatssekretärsebene im Dezember letzten Jahres und der Innenministerkonferenz im März dieses Jahres, daß der Bundesminister des Innern die heute vorgeschlagene Regelung nicht für ausreichend hält. Er strebt eine umfassendere Lösung an, bei der die Freigabe der Teilzeitbeschäftigung für Beamte in bestimmten zeitlichen Grenzen generell erfolgen und grundsätzlich nicht an einschränkende tatbestandliche Voraussetzungen geknüpft sein soll. Der Bundesminister des Innern hält eine solche große Lösung aus arbeitsmarktpolitischen und gesellschaftspolitischen Gründen für geboten.Tatsächlich, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist bis heute — fast vier Monate später —
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Regenspurgernichts geschehen. Ich muß deshalb für die Opposition feststellen, daß die Koalition wiederum nicht ihrer Aufgabe nachgekommen ist, bei anstehenden Problemen rechtzeitig praktikable Lösungsvorschläge vorzulegen. Es ist untragbar, diese Konzeptionslosigkeit unserer Bevölkerung zuzumuten.Gegen die sogenannte große Lösung der Teilzeitbeschäftigung im Beamtenrecht als Fortentwicklung des Instituts sprechen erhebliche verfassungsrechtliche, beamtenpolitische und haushaltsmäßige Gründe. Wie auch bereits in Ausschüssen des Bundesrates betont wurde, geht der vorliegende Entwurf an die Grenze des im Hinblick auf Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich Zulässigen. Die Bedenken gegen die Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung können eigentlich nur im Hinblick darauf, daß diese Maßnahme zur Überwindung einer Ausnahmesituation mit einer zeitlichen Begrenzung auf zehn Jahre gedacht ist, ausgeräumt werden. Auch das im Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes genannte Sozialstaatsprinzip kann als eine gewisse Rechtfertigung angesehen werden. Weitergehende Einbrüche in die genannten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums allerdings dürften wohl mit der Verfassung nicht mehr zu vereinbaren sein. Das gilt vor allem für eine Regelung, die, wie die voraussetzungs- und schrankenlose Teilzeitbeschäftigung von Beamten, die Hauptberuflichkeit der Beamtentätigkeit als Prinzip aufgibt. Wir müssen ganz klar sehen, daß die Hauptberuflichkeit einerseits und die volle Besoldung zur Deckung des vollen angemessenen Unterhalts andererseits institutionelle Sicherungen für die persönliche Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit der Beamtenschaft sind und ebenso Sicherungen gegen Interessenverfilzungen, die die Objektivität des Verwaltungshandelns gefährden können. Man kann diese Sicherungen in Sonderfällen begrenzt einschränken, wenn es gewichtige Gründe dafür gibt; aber wir dürfen sie auf keinen Fall ganz aufgeben.Gegen den für eine schrankenlose Teilzeitbeschäftigung geltend gemachten Gesichtspunkt der Selbstverwirklichung durch Teilzeitbeschäftigung darf die beamtenpolitische Sprengkraft einer erheblich erweiterten Teilzeitbeschäftigung nicht vernachlässigt werden. Es bliebe zweifellos nicht ohne Einfluß auf die Berufsauffassung und das Selbstverständnis der Beamtenschaft, wenn durch die erweiterte Teilzeitbeschäftigung die Möglichkeit eröffnet würde, den Beamtenberuf statt als Haupt- und Lebensberuf als bloßen Job zu sehen.Einer allgemeinen Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung auf alle Beamtenbereiche würde sicherlich auch entgegenstehen, daß die Gefahr besteht, sogenannte Posten zu verteilen. Der teilzeitbeschäftigte beamtete Staatssekretär wäre sicherlich gerade für die von der derzeitigen Bundesregierung praktizierten Parteibuchkarrieren ein erstrebenswerter Höhepunkt.
— Fragen Sie doch Ihren Parteivorsitzenden, der hat da Erfahrungen.
— Wir sind heute im Bundestag. Ich habe von der derzeitigen Bundesregierung gesprochen.Nicht übersehen werden dürfen auch die Mehrkosten, die die Verwirklichung des Vorschlags mit sich bringen würde. Selbst wenn bei der Teilzeitbeschäftigung ein Versorgungsabschlag vorgesehen würde, würde die Maßnahme erhebliche Mehrkosten allein für ungekürzt zu gewährende Nebenleistungen — Kindergeld, Beihilfen — verursachen. Zusätzlich birgt die Rückkehr der zunächst teilzeitbeschäftigten Beamten in die Vollbeschäftigung, die rechtlich und politisch wohl nicht versagt werden könnte, erhebliche haushaltsmäßige und stellenplanmäßige Risiken. Man sollte daher angesichts der drängenden Lehrerarbeitslosigkeit die Teilzeitbeschäftigung nur dort erweitern, wo dies arbeitsmarktpolitisch notwendig ist.Insgesamt gesehen halte ich deshalb den vorgelegten Entwurf für einen sachgerechten und erfolgversprechenden Beitrag zur Lösung der durch die vorhersehbare Lehrerarbeitslosigkeit aufgeworfenen Probleme. Ich darf Sie deshalb bitten, den vorliegenden Gesetzentwurf in den Ausschüssen positiv zu beraten.
Das Wort hat der Abgeordnete Liedtke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Grundsätzlich begrüßen wir die Bereitschaft auch der Opposition, die Teilzeitbeschäftigung im öffentlichen Dienst einzuführen. Ihre Selbstbeschränkung und ihren Rückzug gleich hinter den entsprechenden Artikel der Verfassung und hinter andere vorhandene Gesetze, dieses Wenn und Aber, werden wir in den Beratungen ergründen. Wir werden sehen, wieweit Sie wirklich die Bereitschaft haben, einen aus der Reihe Ihrer Länder vorgelegten Entwurf auch tatsächlich mitzutragen.Auf eine Geschwindigkeitsdebatte über die Bundesregierung will ich mich hier nicht mit Ihnen einlassen. Richtig ist, daß der Kanzler bereits in seiner Regierungserklärung verkündet hat, daß nach dem Willen der Regierung im öffentlichen Dienst als e i n Beitrag zur arbeitsmarktpolitischen Lage die Teilzeitbeschäftigung eingeführt werden soll. Richtig ist auch, daß er eine Lösung ankündigte, die über den Rahmen dieses Bundesratsentwurfes hinausgeht. Richtig ist ebenfalls, daß Abstimmungsgespräche mit elf Ländern auf Grund des föderalistischen Aufbaues aus einem Teilzeitproblem dann sehr schnell ein Vollzeit- und Langzeitproblem machen. Es ist unkorrrekt, Folgen aus der Struktur unseres Staates allein der Bundesregierung als Versäumnis anzulasten.
Das nur als Vorbemerkung, Herr Regenspurger, zu Ihrem Vorwurf, den Sie ansonsten — das konzediere ich — in scharmanter Weise formuliert haben.Meine Damen und Herren, ich will in der ersten Lesung nur ein paar Stichworte nennen, aus denen
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3336 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Liedtkehervorgehen soll, in welche Richtung wir marschieren wollen. Der Bundesratsentwurf öffnet, wie Sie selbst sagen, trotz erweiterter Formulierung nur den Sektor „aktuelle Reaktion auf die aktuelle Arbeitsmarktsituation einer Gruppe", in diesem Fall der Lehrer. Das heißt, nur die Bedürfnisse des Dienstherrn werden als Richtschnur genommen, und die Wirkung der daraus abgeleiteten Maßnahmen auf den Markt wird zeitlich begrenzt. Das ist uns zuwenig, schon in diesem Bereich zuwenig, wenn Sie einmal bedenken, daß in der Arbeitslosenstatistik 180 000 Arbeitswillige mit der einschränkenden Erklärung aufgeführt sind, daß sie nur für Teilzeitbeschäftigung zur Verfügung stünden. Damit keine Fehldeutung entsteht: Wir sind bereit, dem zu folgen und mehr Lehrer einzustellen. Wir erwarten Ihre Bereitschaft, das Gesetz so auszudehnen, daß auch diese 180 000 nicht akademisch gebildeten Arbeitswilligen, für die nur eine Teilzeitbeschäftigung in Frage kommt, erfaßt werden können.
Das bezeichne ich dann immer noch als die „kleine Lösung".Ich rufe in Erinnerung, daß die Studienkommission zur Reform des öffentlichen Dienstrechts Ende der 60er oder Anfang der 70er Jahre — ich weiß nicht mehr genau, wann das war — in einer Situation des Arbeitskräftemangels folgendes sagte: Man müßte generell die Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung im öffentlichen Dienst einführen, um auf diese Weise Arbeitskräfte zur Füllung von Personallücken zu gewinnen. Das war eine völlig andere Situation, die wir aber, wenn wir ein Gesetz machen, mit berücksichtigen müssen, damit wir für die Zukunft ein Instrument flexibler Personalpolitik schaffen. Das wäre für uns immer noch eine „kleine Lösung".Es kommt ein dritter Gedanke hinzu, für den wir Sozialdemokraten uns sehr wohl erwärmen können. Wenn in dieser Gesellschaft generell die Teilzeitbeschäftigung in vernünftigen Grenzen angeboten wird — und der öffentliche Dienst tut gut daran, mit gutem Beispiel voranzugehen —, dann gibt es neue individuelle Gestaltungsmöglichkeiten für das Leben des einzelnen in der Gesellschaft. Das ist der Grundgedanke, der uns geleitet hat, als wir die „flexible Altersgrenze" einführten. Diesen Gedanken möchten wir hier fortdenken und kommen damit zu zwei Begrenzungen für die Einführung der Teilzeitbeschäftigung. Die eine ist — sehr nüchtern —: Die dienstlichen Erfordernisse müssen das ermöglichen. Die zweite ist: Der Teilzeitbeschäftigte muß es selbst aus freiem Willen wollen. Um diese beiden Voraussetzungen kommen wir nicht herum.Wir möchten in diesem Zusammenhang auch prüfen — ich sage das mit Behutsamkeit, weil die Durchrechnung der finanziellen Auswirkungen noch nicht stattgefunden hat —, ob wir das Pensionsrecht im öffentlichen Dienst nicht dem geltenden Rentenrecht in diesem Zusammenhang anpassen können. Das würde auch für Beamte die Einführung der flexiblen Altersgrenze von 63 Jahren bedeuten. Für die Schwerbehinderten läge die flexible Altersgrenze nach dem Schwerbehindertengesetz dann bei 62 Jahren, bei den Frauen bei 60 Jahren. Auch das werden wir prüfen, damit ein Stück Sonderrechte für Beamte, die in diesem Fall schlechter gestellt sind als im Rentenrecht, beseitigen und die ganze Arbeitswelt ein bißchen harmonisieren. Wir müssen durchrechnen, was das kostet. Ich sage das alles sehr nüchtern und mit diesem Vorbehalt.Nun noch zu einem anderen Problem, das sich ergibt, wenn man der Teilzeitbeschäftigung prinzipiell nähertritt. Heute prägt der Art. 33 den sogenannten Lebenszeitbeamten, der seine ganze Arbeitskraft dem Staat zur Verfügung gestellt hat und als Gegenleistung vom Staat die lebenslange Absicherung mit einer angemessenen Alimentation bekommt. Daneben gibt es in der Praxis aber längst eine ganze Reihe von nicht auf Lebenszeit ernannten Beamten: Zeitbeamte, Wahlbeamte, Beamte im Vorbereitungsdienst usw. Nun soll noch die Teilzeitbeschäftigung — als gut erkannt — dazukommen. Wir sind zu dem Schluß gelangt, daß es — wir haben das geprüft — keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken gibt, so zu verfahren, selbst wenn wir die Teilzeitbeschäftigung generell unter den genannten Begrenzungen einführen. Wenn wir uns zu Beginn der ersten Lesung diese Bewegungsfreiheit nehmen, sind wir nicht in der Lage, etwas in diesem Bereich zu tun.Es gibt in diesem Zusammenhang aber eine ganze Skala von Fragen, die man zu untersuchen hat: die Frage der Versorgung, die Frage der Nebentätigkeitsbeschränkungen, die Frage, wie weit man die Teilzeit sinnvoll einsetzen kann und ob man z. B. Anspruchsvoraussetzungen schaffen muß, wenn man sie im öffentlichen Dienst in Anspruch nehmen will, und die Frage, was das Ganze kostet. Wir müssen auch ,die Bundeshaushaltsordnung ändern, um Teilzeitstellen zu schaffen usw. Dieser Katalog wird bei den Beratungen sicher noch erheblich ausgeweitet.Ich schließe, indem ich allen Gewerkschaften, allen Verbänden, allen Betroffenen, denen wir mit der beabsichtigten Maßnahme im Prinzip auch mehr Flexibilität in der individuellen Lebensgestaltung zukommen lassen wollen, die Gewißheit gebe, daß sie ausreichend Gelegenheit haben werden, uns ihre Ansichten und ihre Einsichten zu diesem Problem vorzutragen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der Gesetzentwurf des Bundesrates strebt eine Ausweitung des bisherigen Rechtes der Teilzeitbeschäftigung für Beamte an. Dem ist im Ansatz und im Prinzip zuzustimmen. In dem Entwurf wird zu Recht ein vordringliches Problem darin gesehen, daß im nächsten Jahrzehnt einem erheblichen Überangebot von Hochschulabsolventen insbesondere im Bereich des Lehramtsstudiums eine äußerst begrenzte Zahl von verfügbaren Stellen im öffentlichen Dienst gegenübersteht. Richtig ist auch, daß die zur Zeit geltenden Vorschriften des Beamtenrechts bei weitem nicht
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3337
Dr. Wendigausreichen, um die soeben geschilderte Problematik im Interesse der Betroffenen und auch im Interesse der Allgemeinheit in den Griff zu bekommen. Der Kernpunkt der Gesetzesvorlage ist dargestellt worden. Ich will das nicht wiederholen.Zu der sachlichen und zeitlichen Begrenzung des Entwurfs muß jedoch auch von meiner Seite noch einiges gesagt werden. Ich möchte mich hierzu unter rechtlichen, zunächst einmal unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten äußern. Die Verfasser des Entwurfs erblicken auch schon in diesem Entwurf eine Einschränkung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums und verweisen dabei insbesondere auf die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Aus diesem Grunde und im Hinblick auf die zeitliche Begrenzung der Teilzeitbeschäftigung glaubt der Entwurf daher z. B. auch keine weiterreichenden versorgungsrechtlichen Konsequenzen ziehen zu dürfen. Hierüber und insbesondere über die Frage, ob diese verfassungsrechtlichen Konsequenzen in vollem Umfang zwingend sind, werden wir uns in den Ausschußberatungen zu unterhalten haben. Ich will diesen Beratungen hier nicht vorgreifen. Ich betone diese Notwendigkeit auch einer rechtlichen Auseinandersetzung besonders deshalb, weil auch uns die Begrenzung des Entwurfs im Grunde in mehrfacher Hinsicht zu eng ist.Die Bundesregierung weist in ihrer Stellungnahme zu dem Entwurf darauf hin, daß sie sich vorbehalte, im Laufe der Beratungen weitergehende Vorschläge zu unterbreiten, um die Teilzeitbeschäftigung in einem größeren Rahmen und auf breiterer Grundlage zu ermöglichen. Warum hier bisher kein Entwurf vorliegt, hat der Herr Kollege Liedtke bereits ausgeführt. Ich will darauf nicht weiter eingehen. Aber gerade hierauf kommt es auch uns an. Es erscheint auch mir und meinen politischen Freunden wichtig, die Frage einer Erweiterung der Teilzeitbeschäftigung nicht nur isoliert unter dem Gesichtspunkt der Problematik der Lehrerarbeitslosigkeit, wie es der Entwurf — jedenfalls im praktischen Ergebnis — tut, zu behandeln.Wenn ich davon spreche, daß in einem gewissen Rahmen auch der öffentliche Dienst zur Behebung der Arbeitslosigkeit einen, wenn auch wahrscheinlich nur bescheidenen Beitrag leisten sollte, so wird man in einer Erweiterung der Möglichkeiten der Teilzeitbeschäftigung eines der gangbaren und politisch vertretbaren Modelle zu erblicken haben.Damit ich hier nicht falsch verstanden werde: Eine unreflektierte Vermehrung von Stellen im öffentlichen Dienst kann sicherlich nicht wesentlicher Inhalt einer staatlichen Arbeitsmarktpolitik sein. Die Ausstattung der öffentlichen Haushalte mit Planstellen kann nicht von der Arbeitsmarktlage her bestimmt werden, sondern muß sich allein an dem Umfang der staatlichen Aufgaben orientieren, die die politisch verantwortlichen Organe unseres Staates nach den sachlichen Notwendigkeiten zu definieren haben. Dies schließt aber nicht aus, daß der öffentliche Dienst gleichwohl einen angemessenen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wird leisten müssen. Ich will hierauf nicht näher eingehen.Immerhin läßt es sich mit den oben genannten eingrenzenden Maßstäben vertreten, auch im öffentlichen Dienst zusätzliche Arbeitsplätze für Tätigkeiten zu schaffen, die später außerhalb des öffentlichen Dienstes gleichermaßen verwendbar sind. Ich denke hier gerade an die technischen Bereiche und an die Lösung des Problems der Jugendarbeitslosigkeit. Im übrigen widerspreche ich aber einer unangemessenen Vermehrung von Planstellen. Da bietet sich im öffentlichen Dienst nur eine Maßnahme an, die durchgreifenden Erfolg verspricht, nämlich eine Ausweitung der Möglichkeiten zur Teilzeitbeschäftigung.Man wird deshalb über die Regelungen, die im Entwurf des Bundesrats enthalten sind, wohl hinausgehen müssen. Man wird weitere Bereiche einzubeziehen haben, die in dem vorliegenden Entwurf nicht erfaßt sind. Ich denke z. B. an das Bedürfnis, auch im Bereich der Juristen einiges zu tun. Dies begründet die Notwendigkeit einer weitergehenden Regelung.Über die Arbeitsmarktpolitik hinaus kann die Erweiterung der Teilzeitbeschäftigung — dies möchte ich hier einfügen — auch als ein gesellschaftspolitisches Problem verstanden werden. Sicher sind Beamte gegenüber anderen Arbeitnehmern — darüber kann kein Zweifel bestehen darin benachteiligt, daß sie im Verhältnis der Ehegatten zueinander ihre Arbeitsbedingungen nicht frei gestalten können.Ich will bei alledem, meine Damen und Herren, nicht verkennen, daß die besondere Rechtsnatur des Beamtenverhältnisses schon von ihrem verfassungsrechtlichen Gehalt her hinter jede Motivation dieser Art einige Fragezeichen setzen mag. Ich denke an das letzte Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kindergeld. Dies sollte uns aber jedenfalls heute und auch in der Diskussion in den Ausschüssen nicht daran hindern, auch die Seiten des Problems, die ich genannt habe, in den Kreis der Erörterungen einzubeziehen.Es wird also von einer generellen Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung für alle Beamten zu sprechen sein, die nicht an besondere tatbestandliche Voraussetzungen anknüpft, wo dies das betone ich besonders, Herr Kollege Regenspurger — die Behördenorganisation und der allgemeine Verwaltungsablauf möglich machen. Diese Einschränkung gilt' ohnehin. Ein Staatssekretär als Teilzeitbeschäftigter ist in unseren Konzeptionen also sicher ernstlich nicht drin. Hierbei ist zugleich selbstverständlich, daß jede Teilzeitbeschäftigung Konsequenzen bei der Bemessung nicht nur der Dienstbezüge, sondern auch der Versorgungsbezüge haben muß.Meine Damen und Herren, wir erwarten, daß uns die Bundesregierung im Zuge der Ausschußberatungen ihre weiteren Entwürfe zur Teilzeitbeschäftigung vorlegen wird. Wir Freien Demokraten werden jedenfalls für jede politische und rechtliche Erörterung dieser Fragen offen sein.
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3338 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Das Wort
hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herr Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich kurz noch die Position der Bundesregierung markieren.Wir sprechen hier, wie die Vorredner deutlich gemacht haben, über den Beamtenbereich. Wir haben im allgemeinen Arbeitnehmerbereich hier keine Probleme. Aber im geltenden Beamtenrecht ist die Teilzeitbeschäftigung nur unter sehr einschränkenden Voraussetzungen möglich. Hier besteht ein Konsens, daß wir dieses Problem gemeinsam angehen. Es gibt nur einen Unterschied dahin, wie weit wir gehen; darüber ist noch keine Einigung erzielt worden.Daß für eine Erweiterung der Teilzeitbeschäftigung gerade im Beamtenbereich im Hinblick auf die tatsächlich mögliche Inanspruchnahme noch ein weites Feld bestellt werden kann, wird aus den Zahlen deutlich. Im Zeitraum von 1967 bis 1976 vollzog sich eine starke Zunahme der Teilzeitbeschäftigung im öffentlichen Dienst auf rund 540 000 Personen im Jahr 1976. Das ist das Doppelte der Zahl, die für die Zeit zehn Jahre davor galt. Gemessen an der Gesamtzahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst waren 1976 fast 13 % Teilzeitbeschäftigte. Von den Teilzeitbeschäftigten im öffentlichen Dienst waren 51,7 % Arbeiter, 43 % Angestellte und nur 5,3 % Beamte. Daran wird der Problembereich deutlich.Auch von seiten des Staates sollte das Interesse, zu einer Regelung zu kommen, nicht gering geschätzt werden. Meine Vorredner haben schon auf die Arbeitsmarktsituation hingewiesen. Die Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung ist vorrangiges Ziel der Bundesregierung. Soweit hierzu neben globalen wirtschaftlichen Maßnahmen flankierende Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik erforderlich sind, kommt der Beschäftigungspolitik im öffentlichen Dienst eine erhebliche Bedeutung zu. Herr Kollege Liedtke hat auf die Arbeitslosenstatistik hingewiesen. Ich möchte das ergänzen und auf die hohe Zahl von weiblichen Arbeitslosen hinweisen, die eine Teilzeitbeschäftigung wünschen. Es kommt nicht nur darauf an, die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen; ich unterstreiche das sehr, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Liedtke: Wir müssen dann auch die haushaltsmäßigen Voraussetzungen schaffen, wir müssen die Stellen zur Verfügung stellen und die Bereitschaft in der öffentlichen Verwaltung verstärken, auch Teilzeitbeschäftigte einzustellen.Es kann hierbei nicht darum gehen, die Arbeitslosenzahl durch Masseneinstellungen in den öffentlichen Dienst zu senken. Der öffentliche Dienst dient der Erfüllung staatlicher Aufgaben und ist kein arbeitsmarktpolitisches Regelungsinstrument in dem Sinne, daß bei einem Mangel an Arbeitskräften eine restriktive, bei einem Überfluß eine extensive Einstellungspolitik zu betreiben wäre. Ein solches Vorhaben würde sich auch — abgesehen von den bereits hohen Personalkostenanteilen in den Haushalten — deswegen verbieten, weil in weiten Bereichen nur speziell für den öffentlichen Dienst ausgebildete Personen verwendet werden können. Im Rahmen allgemeiner wirtschaftspolitischer und arbeitsmarktpolitischer Zielsetzungen kommt deren Durchsetzung im öffentlichen Dienst jedoch erhebliche Bedeutung zu.Aus der voraussichtlichen weiteren Entwicklung der Bevölkerungszahl und der Zahl der Erwerbspersonen ergeben sich zwei Problemkreise für den Arbeitsmarkt. Erstens: Das Arbeitskräfteangebot wird bis 1985/90 allgemein zunehmen; es müssen also vermehrt Arbeitsplätze für Berufsanfänger bereitgestellt werden. Zweitens: Für den absolut und relativ immer größer werdenden Anteil des Berufsnachwuchses mit hochqualifizierten Abschlüssen, also im Hinblick auf die zu erwartenden Hochschulabsolventen, wird es von Jahr zu Jahr schwieriger werden — darauf hat Herr Kollege Wendig hingewiesen —, passende Arbeitsplätze zu finden. Die Erweiterung der Möglichkeit zur Teilzeitbeschäftigung ist eines der Instrumente einer aktiven Beschäftigungspolitik, das wir einsetzen wollen. Sie kommt zum einen den Bedürfnissen der im öffentlichen Dienst Beschäftigung suchenden oder beschäftigten Personen entgegen, aber sie ist eben auch ein Mittel der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.Eine Ausdehnung der jetzigen Regelung ist notwendig. Das haben wir auch mit den Ländern erörtert. Es besteht jedoch keine Klarheit über den möglichen und zulässigen Umfang einer Neuregelung. Wir sind der Meinung, daß der Bundesratsentwurf den Bedürfnissen, wie sie bei den einzelnen Menschen in unserem Lande bestehen, wie sie aber auch durch den Arbeitsmarkt vorgegeben sind, nicht ausreichend Rechnung trägt. Nicht alle Beamtengruppen werden einbezogen. Obwohl der Gesetzentwurf des Bundesrates allein auf die Situation am Arbeitsmarkt abhebt und ausschließlich von daher begründet wird, deckt er also nicht einmal dieses Gebiet ab. Es wurde schon auf das Problem der Juristen hingewiesen. Wir sind der Meinung: nur bei einer Einbeziehung aller Beamtengruppen kann durch die Erweiterung der Teilzeitbeschäftigung ein nennenswerter arbeitsmarktpolitischer Effekt erzielt werden, Herr Kollege Regenspurger, um den es Ihnen — uns auch — ja geht.Der vorliegende Gesetzentwurf erscheint aber nicht nur aus den genannten arbeitsmarktpolitischen Überlegungen ergänzungsfähig und -bedürftig; wir sollten hier auch einen gesellschaftspolitischen Schritt nach vorn tun. Warum sollen sich z. B. Ehegatten, die beide in Arbeitsverhältnissen stehen, nicht darauf verständigen dürfen, daß jeder nur zu einem Teil in seinem Beruf tätig wird, um hierdurch den Familienunterhalt sicherzustellen und im übrigen mehr gemeinsam verfügbare Freizeit, auch mehr Zeit zur Betreuung der Kinder zu haben? Beamte sind hier schlechter gestellt als andere Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst. Ich halte daher eine Erweiterung der geltenden Teilzeitregelung über den vom Bundesratsentwurf gesteckten Rahmen hinaus sowohl aus arbeitsmarktpolitischen Gründen, Herr Kollege Regenspurger, als auch aus gesellschaftspolitischen Gründen für geboten.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3339
Parl. Staatssekretär BaumWir dürfen nicht verkennen, daß mit diesem Entwurf und mit unseren Vorstellungen gleichermaßen schwierige Probleme verbunden sind. Hier sind grundsätzliche beamtenpolitische, beamtenrechtliche, auch verfassungsrechtliche Fragen berührt. Diese sind auch im Bundesratsentwurf, Herr Kollege Regenspurger, nicht gelöst. Wir hatten und haben die Vorstellung, uns nur dann mit einem Gesetzentwurf vor das Parlament zu wagen, wenn wir ausgereifte Lösungen vorlegen können. Wir bemühen uns jedenfalls darum. Es gibt eine Reihe von Schwierigkeiten, die wir zwar für lösbar halten, die aber noch nicht gelöst sind und über die wir diskutieren müssen.Erstens. Nach meiner Auffassung muß z. B. der über einen Antrag auf Teilzeitbeschäftigung, die unter Umständen von einem bestimmten Dienstoder Lebensalter abhängig gemacht werden könnte, entscheidenden Behörde bei dieser Entscheidung ein Ermessen eingeräumt werden, das insoweit gebunden werden sollte, daß dem Antrag nicht zu entsprechen ist, wenn wichtige dienstliche Interessen entgegenstehen. Mit dem Begriff der dienstlichen Interessen lassen sich sowohl die allgemeinen personalwirtschaftlichen Belange als auch Kriterien wie etwa die Teilbarkeit der Funktion und die Gewährleistung der Aufgabenerfüllung der öffentlichen Hand erfassen. Zur Wahrung personalwirtschaftlicher Belange wäre Teilzeitbeschäftigung jeweils für einen bestimmten, für beide Seiten verbindlichen Zeitraum zu genehmigen.Zweitens. Im Hinblick auf die arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitischen Zielsetzungen halte ich eine Einschränkung der Möglichkeit des Nebenerwerbs für absolut notwendig; darauf können wir nicht verzichten; denn wir können nicht einerseits Arbeitsplätze schaffen wollen und dann denjenigen, denen wir die Wohltat einer Teilzeitbeschäftigung eingeräumt haben, die Möglichkeit geben, anderen Arbeit wegzunehmen, indem sie Nebenbeschäftigungen nachgehen. Das wollen wir nicht.
Drittens. Um das durch den Alimentationsgrundsatz bestimmte angemessene Verhältnis zwischen Dienstleistungspflicht und Versorgungsanspruch weiterhin zu gewährleisten, wäre bei Teilzeitbeschäftigung eine Kürzung des Ruhegehalts und der Bezüge, die hieran anknüpfen, entsprechend dem Verhältnis der geminderten zur vollen Dienstzeit unverzichtbar. Das wäre ein sehr gravierender Eingriff; aber wir meinen, daß wir uns auch in dieser Richtung klar bekennen müssen, wenn es uns wirklich um die oben genannte Ziele geht.Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wird Gelegenheit gegeben sein, all diese Fragen zu erörtern. Die Bundesregierung wird an allen Lösungsmöglichkeiten konstruktiv mitarbeiten und diese ohne Voreingenommenheit prüfen.
Ich schließe die Aussprache.Wir schlagen Ihnen vor, die Vorlage an den Innenausschuß — federführend —, den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft — mitberatend — und den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Wir haben noch die Möglichkeit, einige Punkte zu behandeln. Ich rufe die Punkte 11 sowie 14 bis 22 der Tagesordnung auf:11. Beratung der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu der Entschließung des Europäischen Parlaments über die Ergebnisse der Vierten Internationalen Parlamentarierkonferenz zu Umweltfragen in Kingston (Jamaika) vom 12. bis 14. April 1976— Drucksachen 8/369, 8/889 —Berichterstatter:Abgeordneter VolmerAbgeordneter KonradAbgeordneter Wolfgramm
14. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu den Unterrichtungen durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates zur Anwendung des Protokolls Nr. 1 zu den Kooperationsabkommen mit Algerien, Marokko und TunesienVorschlag einer Verordnung des Rates zur Anwendung des Finanzprotokolls mit der Republik Malta— Drucksachen 8/318, 8/429, 8/882 —Berichterstatter: Abgeordneter Wissmann15. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Richtlinie des Rates zur Verringerung der Schallemissionen von Luftfahrzeugen— Drucksachen 7/5146, 8/883 — Berichterstatter: Abgeordneter Wiefel16. Beratung der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates zur Durchführung des Beschlusses des AKP- EWG-Ministerrats über die Beschäftigungsbedingungen für das Personal des Zentrums für industrielle Entwicklung hinsichtlich Besteuerung, soziale Sicherheit und Rechtsweg— Drucksachen 8/576, 8/884 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Wernitz
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3340 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Entwurf einer Richtlinie des Rates zur Durchführung koordinierter Konjunkturstatistiken im Baugewerbe— Drucksachen 7/5830, 8/887 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland18. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Vinyldilorid-Monomer enthaltende Materialien und Gegenstände, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen— Drucksachen 8/42, 8/888 — Berichterstatter: Abgeordneter Kuhlwein19. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates zur Festlegung der Voraussetzungen für die Nacherhebung von noch nicht vom Abgabenschuldner angeforderten Eingangs- oder Ausfuhrabgaben für Waren, die zu einem Zollverfahren angemeldet worden sind, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet— Drucksachen 8/631, 8/895 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Spöri20. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Gewichte und Abmessungen bestimmter Kraftfahrzeuge— Drucksachen 8/53, 8/909 —Berichterstatter:Abgeordneter Daubertshäuser21. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates über Maßnahmen zur Vergleichbarmachung der Rechnungsführung und der Jahresrechnung von Eisenbahnunternehmen— Drucksachen 8/77, 8/910 —Berichterstatter: Abgeordneter Wendt22. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und fürdas Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Heizung des Innenraumes von KraftfahrzeugenVorschlag einer Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Radabdeckung von Kraftfahrzeugen— Drucksachen 8/54, 8/911 — Berichterstatter: Abgeordneter FeinendegenEs handelt sich hierbei um Beschlußempfehlungen der Ausschüsse zu Vorschlägen bzw. Entwürfen des Rates der Europäischen Gemeinschaften sowie um eine Beschlußempfehlung zu einer Entschließung des Parlaments. Ich frage, ob einer der Berichterstatter das Wort wünscht. — Das ist nicht der Fall. Ich danke den Herren Berichterstattern.Wird das Wort zur Aussprache verlangt? — Das ist nicht der Fall.Ich schlage Ihnen vor, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam über die Vorschläge abstimmen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen auf den Drucksachen 8/889, 8/882, 8/883, 8/884, 8/887, 8/888, 8/895, 8/909, 8/910 und 8/911. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine. Es ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 12 und 13 der Tagesordnung auf:12. Beratung der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksache 8/897 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft13. Beratung der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksache 8/898 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für WirtschaftEs handelt sich um von der Bundesregierung beschlossene zustimmungsbedürftige Verordnungen zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs.Der Ältestenrat schlägt Ihnen in beiden Fällen die Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft vor. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Wir werden jetzt in die Mittagspause eintreten. Sie wissen, daß wir nach der Fragestunde die zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3341
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenCDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz auf Drucksache 8/935 vornehmen wollen.Die Sitzung ist unterbrochen.
Wir fahren in den Beratungen fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 8/926 —
Wir fahren fort in der Behandlung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Engelsberger auf. Ist Herr Engelsberger im Raum? — Das ist nicht der Fall. Dann wird die Frage schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Egert auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Raum. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Wolfgramm auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich darf an dieser Stelle kurz folgendes bekanntgeben: Die SPD-Fraktion hat zur Stunde noch eine Sitzung. Daher ist die SPD-Fraktion hier zur Zeit zahlenmäßig so schwach vertreten. Ich bitte das Haus um Verständnis.
Ich rufe nun die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Stutzer auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, für private Investitionen von einer bestimmten Größenordnung an eine Meldepflicht einzuführen, wie es die schleswig-holsteinische SPD am 10. September 1977 gefordert hat, und geht sie davon aus, daß nur noch wenige Bereiche der Produktion und der privaten Dienstleistungen Wachstum an Arbeitsplätzen aufweisen werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Die Frage, Herr Kollege, wird in beiden Teilen mit Nein beantwortet. Es ist allerdings selbstverständlich, daß sich auf Grund der laufenden strukturellen Veränderungen Wachstum und Beschäftigung von Branche zu Branche unterschiedlich entwickeln.
Herr Staatssekretär, würden auch Sie Investitionsmeldestellen als Vorstufe einer Investitionslenkung ansehen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat ihre Politik in diesem Bereich klargelegt. Es ist gar keine Frage, daß wir Investitionsmeldestellen als nicht im Einklang mit unserem marktwirtschaftlichen System befindlich betrachten.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß die Forderung nach Investitionsmeldestellen ein Anreiz dafür ist, daß die Betriebe künftig mehr investieren?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich meine, daß eine solche Diskussion unvermeidlich ist, daß es das Recht von jedermann und von politischen Parteien ist, solche Fragen zu diskutieren, und daß sie keinen Einfluß auf das Investitionsverhalten der Wirtschaft haben, solange der Kurs der Regierung und der sie tragenden Parteien in dieser Frage eindeutig ist, wie das bei uns der Fall ist.
Ich rufe die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Hansen auf:
Mit welchen Maßnahmen wird die Bundesregierung dem vom BDI angeführten Boykott des von der EG beschlossenen „Verhaltenskodex" für in Südafrika ansässige deutsche Firmen begegnen, und ist sie bereit, die weitere Gewährung von Hermes-Bürgschaften von der Einhaltung des „Verhaltenskodex" abhängig zu machen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nach jüngsten Presseerklärungen hat der Bundesverband der Deutschen Industrie nicht die Absicht, den von den EG-Außenministern empfohlenen Verhaltenskodex zu boykottieren. Er hat vielmehr zu erkennen gegeben, daß er mit den politischen Grundlinien des Kodex einverstanden ist. Da ein Boykott durch die deutsche Wirtschaft nicht beabsichtigt ist, stellt sich die weitere von Ihnen gestellte Frage nicht.
Im übrigen ist die Bundesregierung mit der Prüfung des Gesamtkomplexes unserer wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Südafrika befaßt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? — Bitte!
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß die Bundesregierung für den Fall, daß sich deutsche Firmen in Südafrika dennoch nicht an den Verhaltenskodex halten, obwohl es ähnliche unsolidarische Verhaltensweisen der anderen EG-Länder in bezug auf die Wahrung der Menschenrechte in diesem Teil nicht gibt, bedenken müßte, ob sie nicht doch im EG-Ministerrat die Überlegung anstellen lassen will, wie man einem solchen Verhalten mit Sanktionen begegnen kann?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es ist im Augenblick kein Anlaß, sich zu einer solchen Frage zu äußern.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Würden Sie den zweiten Teil meiner Frage, was die Hermes-Bürgschaften angeht, in jedem Fall für gegenstandslos halten?
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3342 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich würde es nicht für tunlich halten, über Maßnahmen nachzudenken, die zu ergreifen kein Anlaß besteht.
Ich meine, daß sich die Bundesregierung für den Fall, daß hier Anlaß besteht, äußern wird.
Ich rufe die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Dr. Hubrig auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Umfang der durch Bürgerinitiativen, Auflagen und Vorschriften aller Art blockierten Investitionsprojekte, und was hat sie im einzelnen unternommen, um mit darauf hinzuwirken, die blockierten Investitionen einer Realisierung zuzuführen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Zum Umfang blokkierter Investitionen hat die Bundesregierung in der Antwort auf die Anfrage des Abgeordneten Dr. Zeitel vom 14. September dieses Jahres Stellung genommen. Sie hat in dieser Antwort auch dargelegt, daß sie unverzüglich und sorgfältig alle Auflagen und Vorschriften prüft, die als investitionshemmend empfunden werden können. Die Bundesregierung hat aber weder auf gerichtliche Entscheidungen, die Investitionsprojekte blockieren, noch auf die Handhabung von Genehmigungsverfahren durch die Länder einen unmittelbaren Einfluß.
Im Bereich des Kraftwerkbaus prüft die Bundesregierung gegenwärtig, ob und inwieweit die Planung und Festlegung von Kraftwerksstandorten und auch die sonstigen energiepolitischen Entscheidungen parlamentarisch abgesichert werden können. Sie überprüft auch, durch welche gesetzgeberischen und sonstigen geeigneten Maßnahmen die Unsicherheit bei der Planung von Kohlekraftwerken und anderen industriellen Großanlagen in Verdichtungsgebieten wegen der geltenden Umweltgesetze beseitigt werden kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hubrig.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung die Absicht, im Rahmen dieser Prüfung auch die Frage nach Aufwand und Ertrag bei den Verwaltungsverordnungen in diese Untersuchung einzubeziehen, und glaubt die Bundesregierung, daß da eventuell doch eine große Chance ist, unabhängig von jeder juristischen Betrachtung der Frage einiges zu verbessern?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Im Vordergrund unserer Überprüfungen steht die Frage, ob es Hemmnisse gibt, die mit guten Gründen beseitigt werden können. Die Frage nach Aufwand und Ertrag steht nicht im Mittelpunkt unserer Überlegungen. Vielleicht ergeben sich bei dieser Überprüfung auch dazu einige Anhaltspunkte.
Die zweite Zusatzfrage, bitte.
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, hinsichtlich der Durchführung der Projekte z. B. im Straßenbau — ich weiß, das ist nicht Ihr Ressort; aber ich will danach als Beispiel fragen — durch Flexibilität andere Vorhaben vorzuziehen, um blockierte Vorhaben vorübergehend stillzulegen? Diese Entwicklung zeigt ja, daß die Unbeweglichkeit auch in der vorgefaßten Planung und nicht so sehr allein in Verwaltungsvorschriften liegt.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Soweit ich das beurteilen kann, ist es ständige Praxis der zuständigen Landesbehörden und auch der Bundesbehörden, so zu verfahren, wenn bestimmte Vorhaben zeitlich nicht so vorankommen, wie es ursprünglich geplant war.
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Dr. Hubrig auf:
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus dem neuesten Bundesbankbericht über den Einfluß der durch Genehmigungsverfahren und Bürgerinitiativen gestoppten Investitionsprojekte für ihre Konjunkturpolitik, und warum hat der Bundeswirtschaftsminister erst neuerdings die Bedeutung dieses Themas aufgegriffen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung sieht ebenso wie die Deutsche Bundesbank, daß vom bestehenden Investitionsstau negative Auswirkungen auf ihre Konjunkturpolitik ausgehen. Der dabei auf Kraftwerke entfallende Anteil von gut 10 Milliarden DM kann ebenso wie blockierte Projekte in anderen Industriebereichen erst im Lauf mehrerer Jahre abgewickelt werden. Konjunkturpolitisch bedeutsam ist darüber hinaus der mit dem Stau verbundene Vorbehalt bei Anschlußinvestitionen. Die daraus resultierenden Unsicherheiten beeinträchtigen nicht nur die Investitionsbereitschaft der direkt beteiligten Unternehmen, sondern wirken sich hemmend auch auf die gesamtwirtschaftliche Investitionsbereitschaft aus. In den Grundlinien und Eckwerten für die Fortschreibung des Energieprogramms vom 23. März 1977 hat die Bundesregierung auf diese Probleme bereits hingewiesen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hubrig.
Herr Staatssekretär, meine Frage geht dahin, ob die Bundesregierung im besonderen Maß die mittelständischen Unternehmen, die an diesen Großprojekten beteiligt sind, ins Auge gefaßt und auch für sie besondere Maßnahmen vorgesehen hat. Der Prozentsatz ist ja extrem hoch.Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein. Die Bundesregierung hat sich diesem Komplex des Investitionsstaus grundsätzlich frühzeitig zugewendet, eines Staus, der ja auch aus einer Fülle von Bestimmungen resultiert, die wir im Bundestag einmütig verabschiedet haben. Die Darlegungen, die ich hier mache, sind keine Bewertung der Gründe, aus denen sich dieser Stau im einzelnen ergeben hat. Wir legen allerdings Wert darauf, daß die Öffentlichkeit von diesem Stau Kenntnis erhält und daß alle be-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3343
Parl. Staatssekretär Grünerteiligten Stellen, nicht nur die öffentlichen, sich der Problematik auch dieses Teilaspekts bewußt sind.
Noch eine Zusatzfrage? — Bitte.
Da der zweite Teil meiner Frage Nr. 54 nicht beantwortet ist, möchte ich noch einmal fragen: Wann hat denn der Herr Bundeswirtschaftsminister zum erstenmal in der Öffentlichkeit zu diesen Sachverhalten Stellung genommen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Zum erstenmal offiziell in der Fortschreibung des Energieprogramms vom 23. März 1977. Ich kann Ihnen jetzt nicht sagen, ob in Reden schon zu einem früheren Zeitpunkt auf diesen Sachverhalt aufmerksam gemacht worden ist. Die besondere konjunkturpolitische Bedeutung ist natürlich in dem Augenblick ins Bewußtsein gerückt, als sichtbar wurde, daß wir die Wachstumsraten, die wir für dieses Jahr projiziert hatten, nicht erreichen werden, und daß wir Anstrengungen unternehmen müssen, um die Wachstumsraten der kommenden Jahre in einer Weise zu erreichen, die einen Abbau der Arbeitslosigkeit ermöglicht. Daher hat diese Frage natürlich eine ganz besondere zusätzliche konjunkturpolitische Brisanz bekommen.
Bitte schön, Herr Kollege Becker, Sie haben das Wort zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, haben Sie eigentlich eine Erklärung dafür, daß Investitionsprojekte auch dort nicht vorankommen, wo Umweltfragen gar keine Rolle spielen, vor allem im Kraftwerkbau und hier insbesondere in Berg-kamen und Ibbenbüren?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben an die Zahlen über den Investitionsstau gerade im Kraftwerksbereich einen sehr engen Maßstab angelegt und im Kraftwerksbereich nur die Projekte einbezogen, die etwa durch gerichtliche Entscheidungen aus Umweltgründen oder anderen Gründen behindert sind. Wir haben nicht mit einbezogen Investitionsaufschübe, die nicht von dieser Seite ausgelöst worden sind.
Ich muß allerdings darauf aufmerksam machen, daß von anderer Seite auch Zahlen genannt worden sind, die weit darüber hinausgehen, weil hier ein weitergefaßter Begriff des Investitionsstaus verwendet worden ist, den wir allerdings bei unseren Aussagen über gestoppte Investitionen oder einen Investitionsstau von 10,2 Milliarden DM im Kraftwerksbau nicht verwendet haben. Wir haben 8,5 Milliarden DM im Bereich der Kernkraftwerke und etwa 2 Milliarden DM im Bereich der Kohlekraftwerke, die durch gerichtliche Entscheidungen oder vergleichbare Maßnahmen gehemmt sind.
Meine Damen und Herren, ich darf aus den bekannten Gründen nunmehr die Fragen 48 und 49 der Abgeordneten Frau von Bothmer aufrufen:
Treffen neuerliche Berichte zu, wonach bundesdeutsche Unternehmen — zu nennen sind hier vor allem die STEAG in Essen, die Gesellschaft für Kernforschung in Karlsruhe und die Nürnberger Firma MAN — mit Duldung der Bundesregierung mit der Republik Südafrika auf nukleartechnischem Gebiet nach wie vor zusammenarbeiten und diese Kooperation auch fortgesetzt werden soll?
Was gedenkt die Bundesregierung bejahendenfalls zu tun, um den Gefahren für die Glaubwürdigkeit ihrer Politik zu begegnen, die sich daraus ergeben, daß sie einerseits die Republik Südafrika vor der Entwicklung eigener Atomwaffen warnt, andererseits den Export deutscher Nukleartechnologie zur Urananreicherung dorthin duldet, obwohl deren nichtfriedliche Nutzung zu besorgen ist, zumal die Regierung in Pretoria dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten ist und sich lediglich auf die unverbindliche Erklärung beschränkt, ihren Beitritt zu erwägen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Der Bundesregierung liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß deutsche Unternehmen zur Zeit mit der Republik Südafrika auf nukleartechnischem Gebiet zusammenarbeiten oder in Zukunft zusammenarbeiten wollen.
Damit, Frau Kollegin, wäre gleichzeitig auch Ihre Frage 49 beantwortet bzw. gegenstandslos, weil die Voraussetzungen Ihrer Frage nicht zutreffen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete von Bothmer.
Herr Staatssekretär, sollte es tatsächlich so sein, daß die Bundesregierung nicht alle Informationen dieser Art kennt? Wäre die Bundesregierung in der Lage, Informationen, die man ihr geben würde, zu prüfen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wir gehen mit größter Intensität jeder dieser Informationen nach. Ihre Frage hat erneut Veranlassung gegeben, alle uns zugänglichen Informationsquellen zu nutzen. Das Ergebnis habe ich Ihnen vorgetragen. Wir sind selbstverständlich daran interessiert, jede Information aufzunehmen, die uns zugänglich ist.
Ich darf also davon ausgehen, daß Sie auch neue Informationen wieder prüfen werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ganz selbstverständlich.
Ich rufe die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Dr. von Wartenberg auf:Ist es Unternehmen der Strom- und Gasversorgung gemäß den entsprechenden Bundestarifordnungen verboten, eine automatische Bestabrechnung vorzunehmen, weil in den Tarifordnungen u. a. steht, daß die Versorgungsunternehmungen verpflichtet sind, ihren Kunden unter den öffentlich bekanntgegebenen allgemeinen Tarifen die Wahl des Tarifs zu überlassen, nach dem sie versorgt werden wollen, und wenn nein, ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Versorgungsunternehmungen die automatische Bestabredmung anwenden?G rüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundestarifordnungen „Elektrizität" und „Gas" räumen dem Kunden zwar das Recht ein, unter den angebotenen Tarifen den für seine Versorgungsverhältnisse günstigsten Tarif auszuwählen; sie verbieten es dem Versorgungsunternehmen aber nicht im Wege der sogenannten Bestabrechnung bei der Jahresschluß-
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3344 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Parl. Staatssekretär Grünerrechnung den für den Kunden jeweils günstigen Tarif anzuwenden.Die Praxis der Versorgungsunternehmen ist uneinheitlich. Zum Teil sehen sie von einer Bestabrechnung ab, weil sie der Auffassung sind, daß die endgültige Tarifeinstufung vor Beginn des Abrechnungszeitraums zur Klarheit der Lieferbeziehungen beiträgt. Andere nehmen eine automatische Bestabrechnung zum Jahresschluß vor. Die genaue Anzahl dieser Unternehmen ist der Bundesregierung nicht bekannt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, sind die privaten Haushalte, die die Möglichkeit haben, einen automatischen Besttarif zu wählen, in einer günstigeren Situation als die Haushalte mit einem Einheitstarif?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Diese Frage läßt sich pauschal nicht beantworten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe dann die Frage 128 des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann auf:
Trifft es zu, daß der Bund für deutsche Firmen, vor allem große Baufirmen, bei der Stellung von Bietungs- bzw. Leistungsgarantien im Rahmen von Auslandsgeschäften Bürgschaften übernommen hat?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Der Bund übernimmt seit jeher im Rahmen des vorhandenen Ausfuhrbürgschaftsinstrumentariums auch Bürgschaften für Bietungs-, Anzahlungs- und Ausführungsgarantien. Der Bund bzw. die in seinem Auftrag handelnde Hermes Kreditversicherungs-AG deckt dabei nur das Risiko ab, daß es aus im Ausland liegenden politischen Gründen zur Inanspruchnahme dieser Sicherheiten kommt, z. B. bei der Unmöglichkeit der Leistung infolge administrativer Eingriffe. Diese Bundesbürgschaft ist eine Ergänzung der normalen Ausfuhrbürgschaft, die die Bezahlung der vertraglich vereinbarten Forderung absichert. Sie wird auf Antrag deutschen Baufirmen unabhängig von ihrer Größe erteilt.
Hiervon zu unterscheiden ist die Übernahme von Rückbürgschaften für derartige Garantien, die zu beschaffen gerade mittleren Unternehmen auf Grund ihres begrenzten Kreditspielraums Schwierigkeiten bereitet. Es geht hier also um ein Liquiditätsproblem, nicht um das Auslandsrisiko des deutschen Exporteurs. Der Bund verfügt bisher nicht über die Möglichkeit, solche Rückbürgschaften für Gegengarantien zu übernehmen, und hat dies daher auch noch in keinem Falle getan.
Hinsichtlich dieses Problemkreises darf ich mich im übrigen auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Dr. Friedmann, Glos, Carstens und anderer sowie der Fraktion der CDU/
CSU — Bundestagsdrucksache 8/578 vom 15. Juni 1977 beziehen.
Zusatzfrage, Herr Dr. Friedmann.
Herr Staatssekretär Grüner, darf ich Ihnen dann noch einen Vorgang zuleiten, aus dem sich offensichtlich ergibt, daß der Bund für größere Baufirmen Bürgschaften übernommen hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das steht nicht in Widerspruch zu meiner Aussage. Ich betone noch einmal, daß unser Bürgschaftsinstrumentarium allen Firmen, ob groß oder klein, in gleicher Weise zur Verfügung steht.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in welchem Zusammenhang steht dann diese Antwort mit jener Antwort, die Sie auf die Kleine Anfrage unserer Fraktion gegeben haben, wonach Sie sich noch in einer Prüfung befinden, inwieweit der Bund Bürgschaften übernehmen kann?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das bezieht sich auf unsere noch nicht abgeschlossenen Überlegungen, die sogenannten Bietungsgarantien auch für das Risiko im Inland einzuführen. Dafür gibt es ja einige Vorgänge im Länderbereich. Wir haben dieses Instrument bisher nicht zur Verfügung gestellt. Das Wirtschaftsministerium würde das für sehr zweckmäßig halten. Aber Sie können sich vorstellen, daß die Einführung eines solchen Instruments angesichts des hohen Bürgschaftsobligos, das der Bund ohnehin zu tragen hat, sehr intensive Überlegungen erfordert.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft beendet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Herr Staatsminister Dr. von Dohnanyi steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Frage 141 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe:
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß die Mehrheit der Teilnehmer an der Weltwirtschaftskonferenz in Nairobi die israelische Delegation nicht hat zu Wort kommen lassen, obwohl Israel unbestritten die größten Erfahrungen in diesem Problembereich hat, und was hat die Delegation der Bundesrepublik Deutschland als Konferenzteilnehmer unternommen, um Israel die Einbringung seiner Vorschläge zur Eindämmung der Wüsten zu ermöglichen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Die israelische Delegation hat in der Generaldebatte am 30. August ihre Grundsatzerklärung abgegeben. Sie hat am 1. September in Beantwortung der gegen sie von verschiedenen Seiten gerichteten Angriffe von ihrem Recht auf Gegenerklärung Gebrauch gemacht. Israel hat auf Ersuchen des Generalsekretärs der Konferenz zu deren wissenschaft-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3345
Staatsminister Dr. von Dohnanyilich-fachlicher Vorbereitung eine Fallstudie zur Wüstenbekämpfung im Negeb erarbeitet. Diese Studie war als offizielles Hintergrundmaterial allen Konferenzteilnehmern zugänglich. Wie andere Länder unterhielt auch Israel während der Konferenz einen Informationsstand.Es ist also — im Sinne Ihrer Frage — nicht zutreffend, daß die Mehrheit der Teilnehmer die israelische Delegation auf der VN-Konferenz über Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Wüsten nicht habe zu Worte kommen lassen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Vielen Dank. Können Sie trotzdem vielleicht noch kundtun, inwieweit die Ausführungen der israelischen Delegation in die Beschlüsse dieser Wüstenkonferenz Eingang gefunden haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Was das Materielle angeht, so müßte man das im einzelnen verfolgen; das kann ich Ihnen hinsichtlich der materiellen Anregungen, der Studien z. B., hier nicht auflisten. Sicher ist, daß das Gutachten selbst, das vorlag, auf Grund eines prozeduralen Verfahrens durch die Mehrheit der Konferenz verurteilt wurde.
Noch eine Zusatzfrage, bitte, Herr Wohlrabe.
Wenn dieses Gutachten von der Mehrheit der Konferenz verurteilt wurde, würde mich interessieren, wie die Stellungnahme der Bundesregierung dazu war.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesrepublik hat der verurteilenden Resolution nicht zugestimmt. Sie hat dagegen gestimmt und war dabei im Einklang mit den übrigen Staaten der Europäischen Gemeinschaft und anderen westlichen Staaten.
Ich rufe die Frage 143 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann auf:
Welches Ergebnis hatten die jüngsten deutschtschechoslowakischen Gespräche im Hinblick auf die Aussiedlung Deutscher?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Bei den deutschtschechoslowakischen Konsultationen am 1. und 2. September in Prag hat die tschechoslowakische Seite bestätigt, daß sie ihre Verpflichtungen aus dem humanitären Briefwechsel einzuhalten beabsichtigt und Ausreiseanträge entsprechend behandeln wird.
Zusatzfrage, Herr Dr. Wittmann.
Herr Staatsminister, sind auch die divergierenden Zahlen hinsichtlich der Ausreisewilligen und die Ursachen für dieses Mißverhältnis der Zahlen zur Sprache gekommen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich hatte vor einigen Wochen Gelegenheit, in diesem Haus zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Die Prüfung zwischen den beiden Rot-Kreuz-Organisationen ist noch nicht endgültig abgeschlossen. Aber Zahlen haben natürlich auch eine Rolle gespielt.
Zweite Zusatzfrage.
Wird sich die Bundesregierung nach dieser Prüfung an die tschechoslowakische Regierung wenden, um zu erreichen, daß Schwierigkeiten, die eventuell bestehen, von der Regierungsebene aus bereinigt werden, da ja das Rote Kreuz nur Durchführungsorgan und nicht politisches Ausführungsorgan der Bundesregierung ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Aber ganz sicherlich, Herr Kollege. Wir würden damit unsere heutige Praxis fortsetzen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben gesagt, die tchechische Seite hat dem Deutschen Roten Kreuz nach den Konsultationen am 1. und 2. September gesagt, daß man nunmehr die Ausreise entsprechend dem Briefwechsel über humanitäre Fragen behandeln wird. Nun die Frage: Warum ist bisher die Ausreise nicht entsprechend diesem Briefwechsel behandelt worden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich möchte ungern an Ihre Aufmerksamkeit appellieren, aber dies hatte ich nicht gesagt. Ich hatte gesagt, bei den deutsch-tschechoslowakischen Konsultationen am 1. und 2. September in Prag habe die tchechoslowakische Seite bestätigt, daß sie ihre Verpflichtungen aus dem humanitären Briefwechsel einzuhalten beabsichtigt und Ausreiseanträge entsprechend behandeln wird. Darauf hatte ich mich bezogen, und das kann ich nur wiederholen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Ist die Bundesregierung selbst der Auffassung, daß die Verpflichtungen bisher erfüllt worden sind?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, was die Zahlen angeht, so befinden wir uns noch in einer Diskussion. Wenn Einzelfälle auftreten, in denen wir den Eindruck haben, daß ein Ausreiseantrag beschleunigt oder anders behandelt werden sollte, tun wir unsere Meinung kund, und
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3346 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Staatsminister Dr. von Dohnanyidies geschieht auf dem normalen diplomatischen Weg. Insofern müssen wir hier wohl die weitere Entwicklung abwarten.
Frage 144 des Abgeordneten Dr. Kunz wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet und die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 145 des Abgeordneten Dr. Schwencke auf:
Wie reagiert die Bundesregierung auf zunehmende Schwierigkeiten im deutsch-polnischen Verhältnis, die auch durch inner-bundesrepublikanische Ereignisse bzw. Wettbewerbe verursacht werden, namentlich durch den sogenannten „Schlesien-Wettbewerb" der niedersächsischen Landesregierung, der u. a. von einem niedersächsischen Regierungsmitglied öffentlich damit „gerechtfertigt" wurde, daß „Schlesien eine deutsche Provinz ist"?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Präsidentin, wenn ich darf, würde ich gern die Fragen 145 und 146 zusammen beantworten.
Ja, bitte. Dann rufe ich zusätzlich Frage 146 des Abgeordneten Dr. Schwencke auf:
Hat die Bundesregierung mit der niedersächsischen Landesregierung wegen der Auswirkungen des angeführten Wettbewerbs Kontakt aufgenommen, oder wird sie dies in nächster Zeit tun, und wenn ja, mit welchem Ziel?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Der niedersächsische Schülerwettbewerb fällt auf Grund der Kulturhoheit der Länder in die Zuständigkeit des Landes Niedersachsen. Aus dieser Antwort ergibt sich, daß die Bundesregierung es nicht für angemessen hält, sich in diese Diskussion, soweit sie innerhalb eines Bundeslandes um einen Schülerwettbewerb geführt wird, einzuschalten. Nach Auffassung der Bundesregierung sind im Rahmen der in Niedersachsen geführten Diskussion alle relevanten Gesichtspunkte umfassend zur Geltung gebracht worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schwencke.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß es im Vorwort zu diesem. Wettbewerb heißt, daß dieser Wettbewerb der Verständigung und Toleranz unter den Völkern dienen soll, daß aber innerhalb dieses Wettbewerbs Fragen gestellt und Zusammenhänge hergestellt werden, die alles andere als ein Beitrag zu Toleranz und Verständigung sind, und daß beispielsweise die relevanten Institutionen wie die UNESCO-Kommission etwa in Braunschweig — im gleichen Lande — überhaupt nicht konsultiert wurden, sondern ihr Rat ganz im Gegenteil abgelehnt wurde?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, der im letzten Teil Ihrer Frage angesprochene Sachverhalt ist mir bekannt. Zu den ersten beiden Teilen Ihrer Frage — wenn ich das so sagen darf — möchte ich wiederholen, daß es der Bundesregierung nicht zweckmäßig erscheint, im Deutschen Bundestag inhaltlich zu Fragen eines Schülerwettbewerbs im Lande Niedersachsen Stellung zu nehmen.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, entschuldigen Sie, daß ich insistiere, aber wenn hier so deutlich gegen die Verständigung verstoßen wird
und die Bundesregierung aktive Ostpolitik macht, ist es mir unverständlich, daß — —
Herr Kollege, einen Augenblick! Sie nehmen hier eine Bewertung vor. Das ist in der Fragestunde nicht zugelassen. Ich muß sie leider zurückweisen.
Haben Sie noch eine weitere Zusatzfrage? Sie hätten noch die Möglichkeit. Aber eine Frage, bitte!
Ich frage Sie, ob Sie wenigstens persönlich, Herr Staatsminister, zu dem Inhalt dieses sogenannten Wettbewerbs im Sinne der Politik dieser Bundesregierung Stellung beziehen könnten.
Auch diese Frage kann ich nicht zulassen.
Herr Staatsminister, Sie werden hier 'zu einer Bewertung herausgefordert, die in diesem Zusammenhang nicht möglich ist. Es tut mir furchtbar leid.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatsminister, würden Sie die von Ihnen angedeutete Zurückhaltung — sprich: Nichteinmischung in Länderangelegenheiten wegen der Kulturhoheit — dann aufgeben, wenn sich bei einer Prüfung herausstellen sollte, daß durch solche sogenannten kulturhoheitlichen Aktivitäten die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik beeinträchtigt oder geschädigt werden könnten, namentlich nämlich die Politik der Aussöhnung und Verständigung zwischen den Völkern?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hansen, ich habe gesagt, daß sich die Bundesregierung von dieser Stelle aus nicht inhaltlich in die Frage eines Schülerwettbewerbs in Niedersachsen einmischen wird.Aber die Bundesregierung hat sehr wohl die von Ihnen angesprochene Problematik gesehen und entsprechende Schritte unternommen, um die zuständigen Stellen in Niedersachsen hinsichtlich der Politik der Bundesregierung nicht im unklaren zu lassen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3347
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Auffassung, daß sich der Chef der Niedersächsischen Landesregierung in den letzten Jahren besondere Verdienste im Hinblick auf die Verständigung zwischen der polnischen und der deutschen Bevölkerung erworben hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, dies kann ich so pauschal nicht bestätigen. Aber es ist bekannt, daß sich alle Parteien jeweils von ihrer Position aus, immer wieder um diese für uns zentrale Frage bemühen. Um so mehr hat es uns verwundert, daß Äußerungen des Ministerpräsidenten Albrecht in Warschau nicht notwendigerweise im vollen Einklang sind mit einigen Ausführungen im Schülerwettbewerb, auf die die Kollegen hier drüben Bezug genommen haben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.
Herr Staatsminister, würden Sie die Freundlichkeit besitzen, den Fragestellern das Gutachten zukommen zu lassen, das Herr Professor Patze von der Universität Göttingen in den letzten Tagen erstellt hat und in dem alle Vorwürfe, die die oppositionelle sozialdemokratische Landtagsfraktion in Hannover erhoben hat, widerlegt worden sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich weiß nicht, ob es nicht eher Sache der niedersächsischen Landtagsfraktion oder der Landesregierung wäre, dies zu tun.
Herr Kollege Dr. Hupka, bitte schön.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß Herr Minister Hasselmann im Landtag in Hannover im Zusammenhang mit dem Schülerwettbewerb ausgeführt hat, daß dieser Schülerwettbewerb den Auftrag aus dem Bundesvertriebengesetz erfüllt, worin es wörtlich heißt:
Der Bund und die Länder haben ... das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewußtsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu
erhalten, ..
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Diese Stellungnahme ist abgegeben worden; das ist objektiv nicht zu bestreiten.
Weil es zwei Fragen waren, haben Sie noch eine Zusatzfrage. Bitte schön!
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß das Land Nordrhein-Westfalen derartige Schülerwettbewerbe seit Jahren durchführt und jetzt bereits zum 25. Male einen Schülerwettbewerb in Auftrag gegeben hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich weiß nicht, was Sie mit „derartige" meinen. Die Kollegen von der SPD-Fraktion haben ja auf eine ganz bestimmte Formulierung abgehoben, und ich bin nicht sicher, ob diese Formulierungen in allen Schülerwettbewerben enthalten waren.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete von Bothmer.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie, da Herr Kollege Sauer auf ein Gutachten aufmerksam gemacht hat, auch auf ein Gutachten zu der gleichen Sache, zu diesem Schülerwettbewerb in Niedersachsen hinweisen, ein Gutachten von Herrn Dr. Nolte von der TU Hannover.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Vielen Dank, Frau Kollegin. Ich bin sicher, es gibt eine Vielzahl von Gutachten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatsminister, darf ich Sie nach Ihrer Aussage zu einem Teil der Sachanliegen fragen, nachdem Sie sagten, daß die Bundesregierung die Problematik gesehen hat: ob die Bundesregierung eigentlich dem Lande Niedersachsen bestätigt hat, daß es Lob dafür verdient, daß es das getan hat, was alle Staatsorgane, also auch die Landesregierung von Niedersachsen und die Bundesregierung, nach der Feststellung und -verbindlichen Auslegung des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht tun müssen, nämlich die Rechte von Deutschland als Ganzem — samt Schlesien — in der öffentlichen Meinung nach innen wachhalten und nach außen beharrlich vertreten, also auch die Zugehörigkeit Schlesiens zum ganzen Deutschland, für das es bisher keinen Friedens- und keinen Zessionsvertrag gibt.
Einen Moment, Herr Staatsminister! — Herr Dr. Czaja, Sie bringen mich in große Schwierigkeiten. Dann hätte ich auch die Frage des Kollegen Dr. Schwencke zulassen müssen, da auch sie eine ausdrückliche Bewertung dieser Politik wünschte. Hiernach hatte auch Herr Dr. Schwencke gefragt. Es tut mir leid.
— Haben Sie mich verstanden?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich habe verstanden, Frau Präsidentin, daß Sie nicht wollen, daß ich die Frage beantworte.
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3348 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Um Gottes willen, nein. So weit wollte ich nicht gehen. Ich hatte nur darauf hingewiesen, daß ich angesichts der Schwierigkeit der Fragestellung dann auch die Frage von Herrn Dr. Schwencke hätte zulassen müssen, weil Sie doch ausdrücklich nach einer Bewertung der Politik der Niedersächsischen Landesregierung fragen.
Bitte, beantworten Sie die Frage.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Präsident, wenn ich die Frage dann doch beantworten darf: In Art. I des Warschauer Vertrages heißt es, daß die westliche Staatsgrenze der Volksrepublik Polen durch einen ganz bestimmten Grenzverlauf gebildet wird. Wir sind — die Bundesregierung und die Bundesrepublik — völkerrechtlich an diese Vereinbarung, an diesen Vertrag gebunden. Innerhalb dieses Vertrages und unter Berücksichtigung der damit bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen sind wir sehr wohl imstande, deutsches Kulturgut zu pflegen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, trifft es zu, daß die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht — um auf Ihre eben gegebene Antwort hinzuweisen — ausdrücklich dahin gehend Stellung genommen hat und vom Bundesverfassungsgericht dahin festgehalten worden ist, daß nach Aussage der Bundesregierung und nach den Vertragstexten den Ostverträgen nicht die Wirkung beigemessen werden kann, daß die Gebiete östlich von Oder und Neiße aus der Zugehörigkeit zu Deutschland entlassen oder der gebietlichen und personalen Hoheitsgewalt Polens rechtlich unterstellt seien?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, das war ja nicht Ihre Frage. Die hier gestellte Frage bezog sich auf den Zusammenhang eines Schülerwettbewerbs mit bestimmten außenpolitischen Fragen. Ich habe darzustellen versucht, warum bestimmte außenpolitische Fragen, nämlich z. B. die Verbindlichkeit eines Vertrages, auch bei der Bewertung eine Rolle spielen müssen. Nur darauf habe ich mich bezogen.
Zusatzfrage, Dr. Wittmann.
Herr Staatsminister, ist die in der Feststellung enthaltene tatsächliche Behauptung richtig, daß zunehmende Schwierigkeiten im deutschpolnischen Verhältnis auch durch die „innerbundesrepublikanischen" —übrigens ein kommunistoider Ausdruck — Ereignisse bzw. Wettbewerbe verursacht werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Wittmann, es ist sicherlich zutreffend, daß es zur Aussöhnung mit Polen gehört, den Vertrag zu erfüllen und die Jugend darauf aufmerksam zu machen, wie die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen auf Grund des Vertrages geordnet sind. Dies ist sicherlich ein wesentlicher Bestandteil eines Erfolges der Aussöhnung mit der Volksrepublik Polen. Und an diesem Erfolge liegt ja, wenn ich es richtig verstehe, dem ganzen Haus.
Eine zweite Zusatzfrage, weil es zwei Fragen sind.
Herr Staatsminister, darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß der Schülerwettbewerb als solcher keinerlei Schwierigkeiten zusätzlicher Art im deutsch-polnischen Verhältnis über die Schwierigkeiten hinaus, die ohnehin bestehen, erzeugt hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Wittmann, ein Schülerwettbewerb als solcher wird das niemals tun. Welche Wirkungen dieser Schülerwettbewerb insbesondere hat, müßte man im einzelnen ergründen. Hierzu kann ich Ihnen von dieser Stelle keine Auskunft geben.
Zusatzfrage, Herr Sauer; Sie hatten vorhin schon eine, Sie haben noch eine Zusatzfrage frei.
Herr Staatsminister Dohnanyi, ist die Äußerung eines Vertreters der niedersächsischen Regierung, Schlesien sei eine deutsche Provinz, die zur Zeit unter polnischer Verwaltung steht, in Einklang zu bringen mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 31. Juli 1975, an das jeder Deutsche gebunden ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts steht, wie Sie wissen, nicht im Gegensatz zum Warschauer Vertrag, auf dessen spezifische Bedeutung ich eben hingewiesen habe. Daß wir innerhalb dieser Bedeutung des Vertrages auch die Pflege des deutschen Kulturgutes wahrnehmen können, ist unbestritten.
— Aber meine Antwort, Herr Kollege.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Würden Sie mir zustimmen, daß Verträge auch dadurch eingehalten und ausgefüllt werden, daß man versucht, ihren Geist durchzusetzen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3349
Hansenund auszuführen, und sie nicht durch stillschweigende Vorbehalte zu unterlaufen versucht?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Dies ist sicherlich richtig, Herr Kollege.
Die letzten beiden Zusatzfragen, Herr Abgeordneter Becker.
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß wir alle alles unterlassen sollten — oder zumindest sehr genau bedenken sollten, wie wir handeln —, was der Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen im Wege stehen könnte?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Das kann ich nur bestätigen, Herr Kollege Becker.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Ich rufe die Frage 147 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach in einem Bericht des Auswärtigen Amtes die indirekte Unterstützung von sogenannten Befreiungsorganisationen in Afrika, die auch Guerillatätigkeit ausüben, durch die Bundesregierung nachgewiesen wurde, und wie vereinbart sich dies gegebenenfalls mit den bisherigen Beteuerungen, daß solche Organisationen wie SWAPO und ZAPU von Bonn nicht unterstützt würden?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr.-von Donhanyl, Staatsminister: Die Pressemeldung, in der der Bundesregierung vorgeworfen wird. Befreiungsorganisationen in Afrika, die auch Guerillatätigkeiten ausüben, indirekt zu unterstützen — gemeint ist offensichtlich der Artikel in der Zeitung „Die Welt" vom 21. September 1977 — ist nicht richtig.
Die Bundesregierung hat sich stets für eine Lösung der Konflikte im südlichen Afrika mit ausschließlich friedlichen Mitteln eingesetzt. Demgemäß hat sie auch niemals in irgendeiner Form die bewaffnete Auseinandersetzung der Befreiungsorganisationen mit den gegenwärtigen Regierungen gefördert. Die von ihr unterstützten Projekte — ein Vorhaben der Evangelischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe zur Förderung des Instituts für Soziale Entwicklung in Windhuk der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Südwestafrika, also nicht der SWAPO, und ein Vorhaben der Friedrich-Ebert-Stiftung „Förderung der Bildungsarbeit" — dienen der Aus- und Fortbildung der zukünftigen Führungsschicht Namibias und Zimbabwes, die nach Erlangung der Unabhängigkeit in beiden Ländern dringend benötigt wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel.
Herr Staatssekretär, ist es möglich, daß der Leiter des fraglichen Instituts, Herr
Tjongarero, gleichzeitig der Chef der InlandsSWAPO ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Tjongarero ist auf Grund seiner Qualifikationen zum Leiter des Instituts berufen worden. Ich gehe davon aus, Herr Kollege, daß weder Sie noch die Bundesregierung dazu übergehen wollen, politische Überzeugungen zu Auswahlkriterien bei der Unterstützung solcher Institute zu machen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Niegel.
Herr Staatsminister, wie verhält es sich mit der anderen Organisation, der ZAPU, die von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt wird und die dafür bekannt ist, daß sie Guerillatätigkeiten ausübt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Nach unserer Einschätzung wird die ZAPU ebenfalls an einer zukünftigen Regierung des heutigen Rhodesien, des zukünftigen Zimbabwe, beteiligt sein. Die Schulung dieser Führungskräfte ist nach unserer Auffassung für die zukünftige Führung des Landes von Bedeutung. Aus diesem Grunde wird das unterstützt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, hat sich die Bundesregierung vergewissert, daß der Leiter des Instituts, von dem Sie gerade sprachen, seine Aufgaben in dieser Leitung und seine Tätigkeit an der Spitze der SWAPO-Organisation auch bei der Verwendung dieser Finanzmittel so sorgfältig auseinanderhält, wie das Ihrer Antwort zu entnehmen ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Wir gehen davon aus, daß dies so ist. Wie Sie wissen, sind wir nicht die einzigen, die dieses Institut unterstützen.
Zusatzfrage, Frau von Bothmer.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß es nicht gerechtfertigt ist, Guerillatätigkeit in diesem Sinne absolut negativ zu beurteilen,
da es sich hier um Befreiungsbewegungen handelt, die für die Zukunft ihres Landes kämpfen, und daß Freiheitskämpfer auch in der Geschichte unseres Volkes durchaus nicht immer die Geächteten waren?
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3350 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich wurde in dieser Frage lediglich danach gefragt, ob die Bundesregierung Institutionen, die allein friedlichen Zwekken dienen, unterstützt. Dies habe ich bestätigt. Die Bundesregierung unterstreicht noch einmal, daß sie im südlichen Afrika den friedlichen Wandel will und nur friedliche Aktionen unterstützt.
Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, woher bezieht die Bundesregierung die Gewißheit, daß Herr Tjongarero in Windhuk zu unterscheiden weiß zwischen der Leitung des Instituts, das wir mitbezahlen, und seiner Aufgabe, die SWAPO in Südwestafrika zu leiten, nachdem soeben die SWAPO durch ihr Zentralkomitee den „bewaffneten nationalen Befreiungskampf" verkündet hat — nachzulesen im „Neuen Deutschland" vom 27. September 1977 —?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, es gibt im politischen Leben immer wieder die Tatsache, daß jemand eine Instituts- oder sonstige Leitungsfunktion in einem Verband oder etwas Ähnlichem innehat und zugleich eine politische Tätigkeit ausübt. Wir sind der Meinung, daß diese Überschneidung, die in einer einzelnen Person vorkommen kann, nicht notwendigerweise bedeutet, daß diese Person ihre Position in dem Verband oder Institut mißbraucht.
Ich rufe die Frage 148 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Hat die Bundesregierung gegenüber der UdSSR und Volksrepublik Polen unter Berufung auf die beiden Menschenrechtspakte bei den bekannten schwerwiegenden Verletzungen der Menschenrechte gegenüber Deutschen die verletzten Menschenrechte, z. B. das Menschenrecht der Freizügigkeit , im Sinne der Ausführungen von Frau Staatsminister Hamm-Brücher im Bundestag am 8. September 1977 (Plenarprotokoll 8/39 S. 3033 und 3034) eingefordert und bejahendenfalls in welchen Fällen bzw. Fallgruppen?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Wie Frau Staatsminister Hamm-Brücher an dieser Stelle bereits am 8. September 1977 ausgeführt hat, setzt sich die Bundesregierung für die Menschenrechte auch im Rahmen der von Ihnen genannten Pakte ein. Eine andere Frage ist es, welches Mittel sie im Einzelfall konkret einsetzt, um jeweils den größtmöglichen Erfolg zu erreichen. Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß die von ihr bisher im Bereich der Familienzusammenführung gegenüber den Regierungen der UdSSR und der Volksrepublik Polen angewandten politischen Methoden richtig waren.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, hat Frau Staatsministerin Hamm-Brücher bei ihrer Antwort nicht auch ausgeführt, daß die Bundesregierung die Einforderung von Menschenrechten, die schwerwiegend verletzt werden, mit allen zulässigen Mitteln des internationalen Rechtes betrieben hat und in Zukunft betreiben wird, und ich frage Sie, welche Mittel es waren, mit denen gegen die Verletzung des Art. 12 Abs. 2 des Weltpaktes über bürgerliche und politische Rechte gegenüber 270 000 deutschen Antragstellern, die seit 1971 auf die Ausreise warten und deren Anträge bisher nicht erledigt wurden, und in den 62 000 Fällen, die von den Behörden der UdSSR noch nicht erledigt worden sind, sowie im Falle der 20 000 unerledigten Interventionen des Auswärtigen Amtes bei den polnischen Behörden vorgegangen worden ist und welche Mittel es waren, mit denen gegen die Verletzung der Art. 27 und 2 des Weltpaktes gegenüber den Deutschen, die als ethnische Gruppe nicht anerkannt sind und keine deutsche Schule und keinen Verein haben, vorgegangen worden ist.
Ich bitte Sie, die Zusatzfragen kurz zu fassen.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, wir haben auf diesen Zusammenhang im Deutschen Bundestag und in der Fragestunde ja wiederholt Bezug genommen. Es ist keine Frage, daß die Bundesregierung ihren Auftrag gerade hinsichtlich der Personen, die Sie hier noch einmal ausdrücklich genannt haben, sehr ernst nimmt und ja auch erfolgreich ernst nimmt. Frau Hamm-Brücher hat, wenn ich mich richtig erinnere, in der Fragestunde am 8. September aber auch auf einen Zusammenhang hingewiesen, der einmal in einer Fragestunde im Frühjahr dieses Jahres eine Rolle spielte, nämlich auf die Interpretation und Einschränkung der beiden Pakte, die Sie zitiert haben. Ich habe damals ausdrücklich darauf hingewiesen, daß ich es nicht für zweckmäßig halte, diese Interpretationen hier noch einmal besonders zu unterstreichen, weil sie für unsere Rechtsposition nicht förderlich sein könnten. Ich möchte mich darauf noch einmal beziehen. Wir tun im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten alles Erforderliche, und wir tun es mit Erfolg, wie insbesondere die Zahlen der Aussiedler aus der Sowjetunion ganz deutlich zeigen. Herr Kollege Czaja, Sie wissen das so gut wie ich.
Eine zweite Zusatzfrage. Herr Kollege, ich bitte Sie, sich an die Regeln der Fragestunde zu halten und die Frage kurz zu fassen.
Herr Staatsminister, können Sie sagen, ob die zulässigen Mittel des Vertragsrechts bezüglich der Einzel- und Kollektivdemarchen, der Retorsion, der Gewährung oder Versagung von zusätzlichen Vorteilen auf internationalen Konferenzen, bei politischen Zugeständnissen und bei Finanzhilfen angewandt wurden oder angewandt werden?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, Sie überraschen mich immer mit so langen und wohlvorbereiteten zusätzlichen Fragen. Ich bin
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3351
Staatsminister Dr. von Dohnanyigerne bereit, Ihnen zu dieser Frage außer meiner generellen Stellungnahme, die ich hier abgegeben habe, auch noch die Einzelheiten schriftlich mitzuteilen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, hat es überhaupt schon einmal Kontakte zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Volksrepublik Polen betreffend die Aussiedlung und die Möglichkeit, sich als Volksgruppe zu etablieren, unter Bezugnahme auf den Weltpakt über bürgerliche und politische Rechte gegeben, nachdem dieser jetzt gerade ein Jahr in Kraft ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich unterstreiche noch einmal: Die Bundesregierung kennt die Palette der rechtlichen und politischen Möglichkeiten, um das Problem der Aussiedlung zugunsten derjenigen, die einen Antrag auf Aussiedlung gestellt haben, zu lösen. Wir tun das, und zwar augenscheinlich mit Erfolg. Ich will nicht noch einmal darauf eingehen, daß gerade die von Ihnen angezogene Rechtsgrundlage, wie Sie wissen, auch restriktiv interpretierbar wäre.
Ich rufe die Frage 149 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Wird der Bundeskanzler beim Besuch des Generalsekretärs der KPdSU im November dieses Jahres die Frage der Erfüllung der menschenrechtlichen Verpflichtungen im Bezug auf die Deutschen in der UdSSR ansprechen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, bei allen deutschsowjetischen Begegnungen auf höchster Ebene hat die Bundesregierung auch den Themenkreis der Menschenrechte angeschnitten. Die Bundesregierung setzt sich konkret insbesondere für die Familienzusammenführung ein. Sie wird dies auch bei dem kommenden Besuch von Generalsekretär Breschnew in Bonn tun.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, wird der Herr Bundeskanzler darauf drängen, daß die Rechte nach Art. 12 Abs. 2 des Weltpaktes, sein eigenes Land zu verlassen, vor allem gegenüber den 62 000 unerledigten deutschen Ausreisebewerbern raschestens gewährleistet und die Härtefälle, in denen die Botschaft vorstellig wurde, positiv gelöst werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Der Herr Bundeskanzler wird, dessen bin ich sicher, wie in der Vergangenheit den erfolgreichsten Weg wählen, den es zur Lösung dieses Problems gibt. Ich kann Sie nur darauf hinweisen, daß seit 1970 die Zahl der Aussiedlungen aus der Sowjetunion erheblich zugenommen hat. Diesen erfolgreichen Weg werden wir bei den Beratungen und Konsultationen sicherlich weiter gehen.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Wird die Bundesregierung angesichts der viel größeren Zahl der unerledigten Anträge dahin wirken, daß in den gegenseitigen Rechtsverpflichtungen die Ausnahmebestimmungen zur Ausreisefreiheit nie das Menschenrecht auf Ausreisefreiheit in seinem Wesensgehalt berühren können?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, es tut mir leid, daß ich mich wiederholen muß. Die Bundesregierung wird in den Beratungen die ganze Breite der Palette der rechtlichen und politischen Möglichkeiten ausschöpfen, und sie wird den bisher erfolgreichen Weg auch erfolgreich weitergehen. Ich hoffe, daß Sie die Bundesregierung dabei unterstützen werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hennig.
Herr Staatsminister, da in der Fragestellung von Herrn Dr. Czaja ein konkreter Termin unterstellt und über diese Frage häufig spekuliert wird, möchte ich Sie fragen, ob es bereits eine Terminverabredung gibt.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß es Angelegenheit des sowjetischen Partners wäre, diesen Termin bekanntzugeben. Sie können wohl nicht erwarten, daß die Bundesregierung das an dieser Stelle tun wird.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, gilt die Zusage, die Sie hier namens der Bundesregierung gegeben haben, auch für den Fall, daß Herr Generalsekretär Breschnew nicht mehr in diesem, sondern im nächsten Jahr nach Bonn kommen wird? Würden Sie auch für diesen Fall daran festhalten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich weiß nicht, ob Sie an mich jetzt zwei Fragen oder eine Frage gestellt haben. Wenn Sie an mich die Frage gestellt haben, ob die Bundesregierung im nächsten Jahr, im übernächsten Jahr und nach 1980 an ihrer Politik festhalten wird, so bin ich sicher, daß das so ist.
Danke schön, Herr Staatsminister. Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich erledigt.Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz.
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3352 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Vizepräsident Frau RengerDie Frage 20 des Abgeordneten Dr. Jens und die Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Dr. Schöfberger werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Die Fragen 23 und 24 des Abgeordneten Dr. Weber , 25 und 26 des Abgeordneten Dr. Emmerlich sowie 27 und 28 des Abgeordneten Dr. Narjes werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Herr Dr. de With, ich danke Ihnen, daß Sie hier zur Beantwortung erschienen sind.Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Rohr zur Verfügung.Die Frage 64 des Abgeordneten Simpendörfer wird schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 65 des Abgeordneten Niegel auf:Trifft es zu, daß die Mitverantwortungsabgabe Milch in einigen Ländern der EG, z. B. Italien und Belgien, derzeit nicht eingehoben wird, wenn ja, aus welchen rechtlichen Gründen ist dies zulässig, und welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, damit alle landwirtschaftlichen Erzeuger gleichgestellt sind?Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es trifft zu, daß die verwaltungsmäßigen Voraussetzungen zur Erhebung der Mitverantwortungsabgabe in Italien und Belgien zur Zeit noch nicht vorliegen. Hierüber hat der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaften am 27. September 1977 eine eingehende Aussprache geführt. In deren Verlauf haben beide Länder bestätigt, daß sie die Mitverantwortungsabgabe für die ab 16. September gelieferte Milch erheben werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Niegel.
Herr Staatssekretär, bei allen Versicherungen, die bisher abgegeben wurden, haben wir immer wieder die Erfahrung gemacht, daß dann trotzdem noch technische oder sonstige unvorhersehbare Schwierigkeiten, die vorzutragen manche Länder fähig sind, auftreten können. Welche Sicherungen hat die Bundesregierung verlangt, damit die deutschen Erzeuger tatsächlich nicht schlechter gestellt sind als die anderen?
Rohr, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, nach der eindeutigen Erklärung, die beide Mitgliedsländer in der Ministerratssitzung abgegeben haben, nämlich die Abgabe rückwirkend ab 16. September 1977 einzuführen, habe ich keine Veranlassung, an der Glaubwürdigkeit dieser Erklärung zu zweifeln.
Bitte schön, Herr Dr. Ritz, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie Pressemeldungen, nach denen in Frankreich beabsichtigt ist, diese Erzeugerabgabe den Landwirten aus nationalen Mitteln des Agrarfonds zu erstatten?
Rohr, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, mir ist nicht bekannt, daß das den Tatsachen entspricht. Im Gegenteil; die französische Regierung hat ein sehr strenges Verfahren für die Abgabenerhebung eingeführt, das bei Nichtbefolgung dieser Anordnung u. a. sehr hohe Strafen vorsieht.
Ich darf noch einmal auf die Frage 64 zurückkommen; Herr Abgeordneter Simpfendörfer ist jetzt im Saal. Frage 64:
Wie beurteilt die Bundesregierung Nachrichten, wonach die britischen Milcherzeuger anstreben, im Vereinigten Königreich bis 1981/82 den Selbstversorgungsgrad bei Molkereiprodukten um fast ein Drittel auf 78 Prozent zu erhöhen, und ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, in Brüssel und London ökonomisch sinnvollere Vorschläge zur Entlastung der britischen Devisenbilanz zu machen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Rohr, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, nach Kenntnis der Bundesregierung handelt es sich bei den genannten Zahlen über den britischen Selbstversorgungsgrad bei Milch in den Jahren 1981/82 um Schätzungen der nicht staatlichen „National Economic Development Corporation". Der dabei geschätzte Anstieg des Selbstversorgungsgrades auf 78 0/i wird weniger auf die höhere britische Produktion als auf den Rückgang des Verbrauchs zurückgeführt. Dieser wiederum dürfte in erster Linie aus dem zu erwartenden Anstieg der britschen Verbraucherpreise resultieren.
Derartige Schätzungen sind für die Bundesregierung kein Anlaß, Partnerstaaten Vorschläge zu unterbreiten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Simpfendörfer.
Herr Staatssekretär, wie hoch ist der geschätzte Anteil, der auf eine höhere Produktion zurückgeführt wird?
Rohr, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, bei der Schätzung, die dieser Ausarbeitung eines privaten Institutes zugrunde liegt, wird davon ausgegangen, daß die britische Produktion bis 1981/82 um 1,813 Millionen Tonnen ansteigen, der Verbrauch jedoch um 2,686 Millionen Tonnen zurückgehen wird.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind 1,8 Millionen Tonnen Mehrproduktion für die Bundesregierung tatsächlich kein Anlaß zu politischen Überlegungen?Rohr, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich habe bereits erwähnt, daß es sich um die Schätzung eines
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Staatssekretär Rohrprivaten Institutes handelt. Ich habe in meiner Antwort ausgeführt, daß uns in erster Linie der Rückgang des Verbrauchs Sorge macht. Darüber allerdings macht sich die Bundesregierung Gedanken.
Ich rufe die Frage 66 des Herrn Abgeordneten Müller auf:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, den Verlust, der den Landwirten in diesem Jahr durch die besonders hohen Trocknungskosten für Getreide entsteht, durch staatliche Maßnahmen einzuschränken?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rohr, Staatssekretär: Frau Präsidentin, ich bitte, die Fragen 66 und 67 zusammen beantworten zu dürfen.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Müller auf:
Hält es die Bundesregierung für angebracht, in Brüssel darauf hinzuwirken, daß auf Grund der diesjährigen schlechten Getreidequalität der Interventionspreis für Futtergetreide erhöht wird?
Rohr, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung sieht keine Möglichkeit für einen staatlichen Ausgleich im Falle hoher Trocknungskosten bei Getreide.
Die Bundesregierung hat jedoch bereits Ende August bei der EG-Kommission eine Erleichterung der Interventionsbedingungen und die Gewährung einer Verarbeitungsprämie für Schadgetreide beantragt. Daraufhin ist die Auswuchsgrenze von 8 auf 12 % angehoben und der Anteil des nicht einwandfreien Grundgetreides bei der Intervention von 12 auf 15 % heraufgesetzt worden. Der Antrag auf Erhöhung der Feuchtigkeitsgrenze bei der Intervention und auf Gewährung einer Verarbeitungsprämie für Schadgetreide fand demgegenüber bei den anderen Mitgliedstaaten und der EG-Kommission keine Unterstützung.
Die Bundesregierung hält es nicht für angebracht, in Brüssel für das laufende Wirtschaftsjahr auf eine Erhöhung des Interventionspreises für Futtergetreide hinzuwirken, zumal die Marktpreise für Futtergetreide in der gesamten Gemeinschaft mehr oder weniger deutlich über den Interventionspreisen liegen
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Herr Staatssekretär, sehen Sie eine Möglichkeit, daß sich die betroffenen Landwirte an die Länderregierungen wenden, um Hilfe zu erlangen?
Rohr, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, wenn es sich um ein regionales Problem handelt, sind nach unserer Verfassung allein die Länder für die Bewältigung dieser Probleme zuständig.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 68 bis 72 werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 73 des Herrn Abgeordneten Schartz auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Probleme bei Magermilchpulver dadurch wesentlich leichter gelöst werden könnten, wenn neben flüssiger Magermilch auch Magermilchpulver in größerem Umfang als bisher auch an andere Tiere als junge Kälber verbilligt verfüttert würde, und wie müßte eine solche Regelung gestaltet sein?
Herr Staatssekretär, bitte schön.
Rohr, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Ausweitung der Verfütterung sowohl von Magermilch als auch von Magermilchpulver notwendig ist. Dabei stellt die Verfütterung von Magermilch hinsichtlich der notwendigen Beihilfenhöhe die kostengünstigere Maßnahme dar. Die für die Verwaltung des Marktes zuständige EG-Kommission hat beide Möglichkeiten eröffnet, nämlich durch Gewährung einer Sonderbeihilfe für Magermilch für die Verfütterung an andere Tiere als junge Kälber und durch den Verkauf von Magermilchpulver aus Interventionsbeständen sowie die Gewährung einer Beihilfe im Ausschreibungsverfahren für Magermilchpulver aus der laufenden Produktion für die Herstellung von Futtermitteln für andere Tiere als junge Kälber.
In der Bundesrepublik Deutschland ist jedoch der Abgabepreis für Magermilchpulver anders als in den Abwertungsländern zu hoch. Die Bundesregierung hat daher bei der EG-Kommission beantragt, daß bei der Umrechnung der in Rechnungseinheiten festgesetzten Preise bzw. Beihilfen in DM ein monetäres Korrektiv angewendet wird, damit die Wettbewerbsfähigkeit von Magermilchpulver gegenüber pflanzlichen Eiweißfuttermitteln auch in der Bundesrepublik Deutschland erreicht wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schartz.
Schartz Trier) : Herr Staatssekretär, wann wird über diesen Antrag der Bundesregierung in Brüssel verhandelt und entschieden werden?
Rohr, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, wir halten in dieser Frage ständigen Kontakt zur Kommission und haben auch intensive Gespräche mit dem zuständigen Kommissar geführt. Wir hoffen, daß sich die Kommission endlich dazu entscheiden kann, unserem Antrag zu folgen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Sieht die Bundesregierung mit der Zustimmung zu ihrem Antrag in Brüssel das Problem der Magermilchverwertung in der gesamten EWG als ausreichend geregelt an?Rohr, Staatssekretär: Nein, Herr Abgeordneter.
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3354 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 74 und 75 des Abgeordneten Schröder werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Buschfort steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Stutzer auf:
Wie wirkt sich das zwischen der EWG und der Türkei am 23. Dezember 1963 abgeschlossene Abkommen über die Gründung einer Assoziation in Verbindung mit dem Beschluß des Assoziationsrates über die Durchführung des Artikels 12 des Abkommens von Ankara vom 20. Dezember 1976 auf den deutschen Arbeitsmarkt aus?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, der Beschluß des Assoziationsrates EWG /Türkei über die Durchführung von Art. 12 des Abkommens von Ankara betrifft die Ausgestaltung der ersten Stufe der Freizügigkeit von Arbeitnehmern der Vertargsparteien. Die Dauer der ersten Stufe wurde, ausgehend vom 1. Dezember 1976, auf vier Jahre festgesetzt. Der Beschluß des Assoziationsrates bezieht sich auf alle Mitgliedstaaten der EG, also auch auf solche, die den ausländischen Arbeitnehmern nicht so weitgehende Rechte wie die Bundesrepublik Deutschland eingeräumt haben. Schon von daher sind die Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt begrenzt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat Art. 5 Auswirkungen auf das Arbeitserlaubnisverfahren bei anderen Ausländern, die nicht der EG angehören?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stutzer, Sie kennen sich fachlich sehr gut aus. Innerhalb der EG kennen wir keine besonderen Einschränkungen. Sie wissen, daß ein türkischer Arbeitnehmer nach dreijähriger ordnungsgemäßer Beschäftigung in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht hat, sich auf einen Arbeitsplatz in der Bundesrepublik zu berufen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Die Frage war aber nicht beantwortet, Frau Präsidentin. Ich hatte gefragt — —
Bitte, Sie haben eine Zusatzfrage.
Wann würde die Bundesregierung bei einer weiteren Verschlechterung der Arbeitsmarktlage die Voraussetzungen des Art. 6 als gegeben ansehen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Durchsetzung der ersten Stufe sollte meines Erachtens erst einmal abgewartet werden. Sie kennen den Vorrang der deutschen Arbeitnehmer, der nach wie vor gilt. Die zweite Stufe steht zur Zeit nicht an. Sie kennen die Grundposition der Bundesrepublik, den Anwerbestopp aufrechtzuerhalten. Diese Position müssen wir aufrechterhalten.
Keine weitere Zusatzfrage.
— Sie haben keine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
Die Frage 76 des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Daweke auf:
Ist der Bundesregierung bekannt und welche Haltung nimmt sie dazu ein, daß Gewerbeaufsichtsämter in der Bundesrepublik Deutschland Bußgeldandrohungen an Jugendgruppen, Jugendchöre, Jugendfanfarenzüge und ähnliches aussprechen mit dem Hinweis, daß nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Jugendarbeitsschutzgesetzes öffentliche Auftritte im Rahmen ihrer jugendpflegerischen Tätigkeit nur in Ausnahmefällen und mit ausdrücklicher Genehmigung möglich seien, mit der Folge, daß alle musischen Jugendgruppen, die ihrer Wesensart nach auf gelegentliche Auftritte angewiesen sind und hier kulturelle jugendpflegerische Aufgaben erfüllen , Ausnahmegenehmigungen bedürfen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, wenn es gestattet ist, würde ich die Fragen 77 und 78 gern gemeinsam beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe also auch die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Daweke auf:Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß diese Auslegung der Vorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes zur Folge hat, daß berufstätige junge Menschen mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 40 Stunden in der Regel überhaupt nicht in derartigen Jugendgruppen ihre Freizeit verbringen können und demgemäß keine Chancengleichheit gegenüber Schülern und Studenten besteht, und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Schwierigkeiten sind mir insbesondere von Musik- und Chorgruppen und anderen Jugendgruppen mitgeteilt worden, in denen Kinder mitwirken. Die Gewerbeaufsichtsämter, 'denen die Durchführung des Jugendarbeitsschutzgesetzes obliegt, müssen nach dem Gesetz die Mitwirkung von Kindern in den Fällen von einer Genehmigung abhängig machen, in denen Kinder im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Jugendarbeitsschutzgesetzes „beschäftigt" werden. Jugendliche bedürfen in diesem Fall zwar keiner Genehmigung; eine Beschäftigung ist aber nur dann zulässig, wenn sie nicht über 40 Stunden in der Woche hinausgeht.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3355
Parl. Staatssekretär BuschfortDie Beantwortung der Frage, ob eine Beschäftigung im Sinne des Jugendarbeitsschutzgesetzes vorliegt und somit die Mitwirkung bei Veranstaltungen überhaupt unter das Gesetz fällt, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Mitwirkung an Veranstaltungen grundsätzlich nicht unter das Gesetz fällt, wenn diese Veranstaltungen im Rahmen des Vereins- oder Gruppenlebens stattfinden und dazu dienen, erlernte Fertigkeiten zu demonstrieren. Eine Beschäftigung im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Jugendarbeitsschutzgesetzes ist jedoch z. B. anzunehmen, wenn es sich bei den Veranstaltungen um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt.Auftritte musischer Jugendgruppen im Rahmen ihres Vereins- oder Gruppenlebens dürften in der Regel nicht unter das Gesetz fallen. Die Freizeitbetätigung Jugendlicher in den Vereinen und Gruppen neben ihrer Berufstätigkeit dürfte daher durch das Jugendarbeitsschutzgesetz nicht eingeschränkt sein, soweit eine kommerzielle Verwertung nicht beabsichtigt ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Daweke.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, wie Sie diese Auffassung auch bei den Ländern durchsetzen wollen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Aufsicht im Zusammenhang mit dem Jugendarbeitsschutzgesetz obliegt den Ländern; das ist nicht Sache des Bundes. Wir können hier nur unsere Meinung zu dem Gesetz abgeben. Aber wenn es im Einzelfall zu Schwierigkeiten kommen sollte, bin ich gern bereit, Ihnen da behilflich zu sein. Ich jedenfalls bin der festen Überzeugung, daß es wohl nicht sein kann, daß das Vereinsleben in den vielfach genannten Formen unter das Jugendarbeitsschutzgesetz gestellt wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, das es mit den Sozialministern der Länder eine Besprechung gegeben hat oder geben wird, in der Sie auf eine einheitliche Regelung dieses Tatbestandes hinwirken werden?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mir ist diese Besprechung nicht bekannt. Ich schließe aber nicht aus, daß die Fachreferenten ein solches Gespräch geführt haben.
Eine dritte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in dem konkreten Fall, der mir aus dem Bereich der Gewerbeaufsicht in Paderborn bekannt ist, ist eine Regelung getroffen worden, die Ihrer Auffassung widerspricht. Würden Sie Maßnahmen nennen können, um Ihre Auffassung hier auch durchzusetzen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben sicherlich keine Veranlassung, Maßnahmen zu treffen. Aber wir sind gern bereit, behilflich zu sein und uns mit dem zuständigen Gewerbeaufsichtsamt in Verbindung zu setzen, um unsere Auffassung zu dem Gesetz mitzuteilen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 79 des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter wird auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 80 des Herrn Abgeordneten Kirschner auf. Ist er im Saal? — Der Abgeordnete Kirschner ist nicht im Saal. Dann werden diese Frage und die Frage 81 des Abgeordneten Kirschner schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Frage 82 des Herrn Abgeordneten Meininghaus auf:
Welche gesetzgeberischen Maßnahmen will die Bundesregierung im Hinblick auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts wonach ein gekündigter Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum Ende des Arbeitsgerichtsverfahrens hat — treffen, um bei Betriebsratswahlen einen möglichen Mißbrauch zu verhindern?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Meininghaus, das von Ihnen genannte Urteil des Bundesarbeitsgerichts hat keine Auswirkung auf die Durchführung von Betriebsratswahlen. Denn nach dem Kündigungsschutzgesetz kann Mitgliedern eines Wahlvorstandes — vom Zeitpunkt der Bestellung an — und Wahlbewerbern — vom Zeitpunkt der Aufstellung ,des Wahlvorschlags an — überhaupt nicht ordentlich gekündigt werden. Aus wichtigem Grund kann ihnen nur gekündigt werden, wenn der Betriebsrat zugestimmt hat oder dessen erforderliche Zustimmung durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Kündigt ein Arbeitgeber entgegen diesen Vorschriften, so ist die Kündigung nichtig. Für solche Fälle offensichtlicher Unwirksamkeit einer Kündigung schließt auch das Bundesarbeitsgericht in dem von Ihnen genannten Urteil den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch nicht aus. Dieser besondere Kündigungsschutz ist nach Ansicht .der Bundesregierung ausreichend, um einen möglichen Mißbrauch bei Betriebsratswahlen zu verhindern.
Keine Zusatzfrage.Die Frage Nr. 83 des Herrn Abgeordneten Dr. Becker ist zurückgezogen.Ich rufe die Frage 84 des Herrn Abgeordneten Horstmeier auf.Teilt die Bundesregierung die Auffassung einiger Ortskrankenkassen, daß Nebenerwerbslandwirte, die auf Grund ihres Haupterwerbs in der Allgemeinen Ortskrankenkasse pflichtversichert sind, beim Verlust ihres Arbeitsplatzes und offiziell als arbeitslos geltend der Landwirtschaftlichen Krankenkasse zugewiesen werden müssen, und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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3356 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Horstmeier, die Beantwortung Ihrer Frage wirft eine Reihe von schwierigen Rechtsfragen auf, deren Prüfung noch nicht abgeschlossen werden konnte. Ich bitte daher um Verständnis, daß ich Ihre Frage im gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht beantworten kann.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Horstmeier.
Herr Staatssekretär, wann kann man mit dem Abschluß dieser Prüfung rechnen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Horstmeier, wir führen zur Zeit intensive Gespräche. Sie wissen, daß es hier noch unterschiedliche Auffassungen zwischen dem BMA und dem BML gibt. Ich verspreche Ihnen, es so schnell wie möglich zu machen.
Ich rufe die Frage 85 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
Welche Unterlagen sind dem Bericht des Bundesministers für Arbeit vom 31. Mai 1976 an den Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung über die finanziellen Auswirkungen des Gesetzentwurfes zugrunde gelegt worden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Josten, darf ich die Fragen 85 und 86 zusammen beantworten?
— Schönen Dank.
Ich rufe daher auch die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
Nach welcher Berechnungsmethode wurde festgestellt, daß die vorgesehene Änderung der genannten Bewertungsvorschriften in den gesetzlichen Rentenversicherungen in den Jahren 1976 bis 1989 zu einem Mehraufwand von 30,6 Milliarden DM führen würde?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Dem Bericht des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 31. Mai 1976 an den Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung über die finanziellen Auswirkungen des Gesetzentwurfs auf Bundestags-Drucksache 7/637 vom 25. Mai 1973 sind folgende Unterlagen zugrunde gelegt worden:
1. die Bundestags-Drucksache 7/3054 vom 2. Januar 1975 — Bericht der Bundesregierung über die Beseitigung etwaiger Nachteile in der Rentenversicherung bei Personen mit langen Zeiten des Kriegsdienstes und der Kriegsgefangenschaft —;
2. die Bundestags-Drucksache 7/2046 vom 26. April 1974 — Bericht der Bundesregierung über Auswirkungen des Rentenreformgesetzes vom 16. Oktober 1972 —;
3. die Bundestags-Drucksache 7/4250 vom 5. November 1975 — Rentenanpassungsbericht 1976 —;
4. eine Auszählung der Kriegsgefangenen nach dem Jahr der Rückkehr und der Gewahrsamsdauer aus der Volkszählung vom 6. Juni 1961;
5. eine Stichprobenerhebung der Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Durch die Erhebung sollten die finanziellen Auswirkungen ermittelt werden, die entstehen, wenn die sogenannte Halbbelegung als Voraussetzung für die Anrechnung von Ausfall- und Zurechnungszeiten und in einem bestimmten Fall von Ersatzzeiten auch mit Ersatzzeittatbeständen erfüllt werden kann;
6. die Richttafeln für die Pensionsversicherung von Heubeck-Fischer.
Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich folgendes bemerken. Die in dem oben genannten Schreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 31. Mai 1976 mitgeteilten Mehraufwendungen in der gesetzlichen Rentenversicherung von 30,6 Milliarden DM von 1976 bis 1989 beziehen sich nur auf § 1 Nr. 4, § 2 Nr. 4 und § 3 Nr. 4 der BundestagsDrucksache 7/637 vom 25. Mai 1973.
Den Berechnungen hierzu liegen die Zahlen in den Tabellen 5 und 6 der Bundestags-Drucksache 7/3054 zugrunde. Hieraus läßt sich der Unterschied in dem Vomhundertsatz der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage ermitteln, der sich im Durchschnitt bei Personen mit und ohne Ersatzzeiten ergibt. Bei der Berechnung ist angenommen worden, daß durch die in der Bundestags-Drucksache 7/637 vorgesehene Neufassung des § 1255 a RVO, des § 32 a AVG und des § 54 a RKG der Unterschied in der persönlichen Bemessungsgrundlage bei allen Personen mit Ersatzzeiten ausgeglichen wird. Aus dieser Annahme ergeben sich die Kosten für das Jahr 1976. Die Fortschreibung dieser Mehraufwendungen bis zum Jahre 1989 erfolgte unter den dem Rentenanpassungsbericht 1976 zugrunde gelegten demographischen und wirtschaftlichen Annahmen. Der gesamte Mehraufwand für die Jahre 1976 bis 1989 beträgt demnach 30,6 Milliarden DM.
Sie können vier Zusatzfragen stellen, Herr Kollege Josten.
Schönen Dank, Frau Präsidentin! — Herr Staatssekretär, kann ich nach Ihren Ausführungen davon ausgehen, daß bei der vorgesehenen Bewertung der Ersatzzeiten, die ja von Ihrem Haus vorgenommen wurde, der Ausgleich zwischen Kriegsteilnehmern und Nicht-Kriegsteilnehmern hergestellt wurde?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Ja.
Herr Staatssekretär, gibt es nach Auffassung der Bundesregierung andere als die im Gesetz aufgezeigten Möglichkeiten, um die Kriegsteilnehmer vor ungerechtfertigten Nachteilen in der gesetzlichen Rentenversicherung zu bewahren?Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, natürlich gibt es andere Möglichkeiten. Es ist nur
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3357
Parl. Staatssekretär Buschforteine Frage der Kosten. Sie wissen ja, daß wir sehr sorgfältig die sogenannten Benachteiligungen oder Ungereimtheiten in der gesetzlichen Rentenversicherung untersucht haben. Dabei stellten sich 131 Unzulänglichkeiten heraus.Nun kann man natürlich sagen: Bitte, der Kriegsteilnehmer ist schon deshalb benachteiligt, weil der Mann zu Hause während des Kriegs in einem erheblichen Umfang Überstunden geleistet hat, wenn ich das als Beispiel anführen darf. Wenn ich jetzt auf der Grundlage der geleisteten Überstunden in der Heimat eine Berechnung vornehme, komme ich natürlich zu ganz interessanten, aber wohl kaum noch finanzierbaren Ergebnissen.Ich kann Ihnen das bestätigen: Sicherlich gibt es mehrere Berechnungsmöglichkeiten. Aber in Anbetracht der finanziellen Situation in der Rentenversicherung werden dort große Veränderungsmöglichkeiten sicherlich nicht bestehen.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, mir schriftlich mitzuteilen, welche Möglichkeiten zur Beseitigung der noch bestehenden Nachteile bei den genannten Personen bestehen?
Buschfort, Parl Staatssekretär: Herr Kollege, ich sehe im Moment keine Möglichkeiten, weitere finanzielle Aufwendungen zu tätigen. Aber ich will gern noch einmal im Hause überprüfen lassen, welche Anregungen dort gemacht werden, um vielleicht noch einmal eine Diskussion wieder einzuleiten.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß die jetzige Bundesregierung auch verpflichtet ist, auf Grund von Zusagen früherer Regierungen dem Hause gegebenenfalls eine Gesetzesvorlage zu unterbreiten, durch die noch bestehende Nachteile bei der Berechnung der Rentenversicherung ehemaliger Kriegsteilnehmer beseitigt werden?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Josten, Sie wissen, daß wir mit jeder Verabschiedung neuer Rentengesetze auch strukturelle Veränderungen herbeigeführt haben. Sicherlich sehe ich noch die Möglichkeit, generell weitere Verbesserungen vorzunehmen. Aber auch hier müßte ich sagen: Das kann nur im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten geschehen.
Keine weitere Zusatzfrage. Die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Urbaniak wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen damit zur Frage 88 des Herrn Abgeordneten Dr. Spöri. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 89 und 90 des Herrn Abgeordneten Schedl werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich komme zur Frage 91 des Herrn Abgeordneten Engelsberger. — Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Zander zur Verfügung.
Die Fragen 92 und 93 der Abgeordneten Frau Hürland werden auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Das gilt auch für die Frage 94 des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter.
Ich komme zur Frage 95 des Herrn Abgeordneten Egert. — Der Herr Abgeordnete ist leider auch nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 96 des Herrn Abgeordneten Dr. Becker wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Sind der Bundesregierung Berichte bekannt, nach denen nichtärztlichen Psychotherapeuten zur Ermöglichung des eigenständigen therapeutischen Tätigwerdens empfohlen wird, die Prüfung als Heilpraktiker abzulegen, und wie beurteilt die Bundesregierung solche Empfehlungen?
Bitte schön, Herr Zander.
Frau Kollegin Eilers, der Bundesregierung sind solche Berichte nicht bekannt. Allerdings wird es nicht für ausgeschlossen gehalten, daß entsprechende Empfehlungen gegeben werden.
Psychotherapie ist der Heilkunde am Menschen zuzurechnen, zu deren selbständiger Ausübung es nach geltendem Recht einer Approbation als Arzt oder einer Erlaubnis als Heilpraktiker bedarf. Personen, die nicht Ärzte sind, können zur Zeit die Berechtigung zur selbständigen Ausübung der Psychotherapie nur durch den Erwerb einer Erlaubnis als Heilpraktiker erhalten.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Halten Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, diesen Zustand für eine befriedigende Lösung, oder könnten Sie sich vorstellen, daß andere Regelungen günstiger sein können?Zander, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hält diese Regelung nicht für eine befriedigende Lö-
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3358 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Parl. Staatssekretär Zandersung. Das ist auch der Grund, warum wir Vorarbeiten in Angriff genommen haben, um eine gesetzliche Regelung für die Psychotherapie zu finden, also ein Gesetz, das den Zugang zum Beruf als selbständige Tätigkeit in der Psychotherapie regelt.
Zweite Zusatzfrage.
Zu welchem Zeitpunkt kann mit der Verlage einer solchen gesetzlichen Regelung gerechnet werden?
Zander, Parl. Staatssekretär: Wir haben die Absicht, zu versuchen, das noch in dieser Legislaturperiode zu realisieren.
Ich rufe die Frage 98 der Abgeordneten Frau Eilers auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeiten einer Ergänzung der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung dahin gehend, daß Backwaren, die bereits einmal tiefgekühlt waren, dann zum Verkauf kommen und für eine zweite Tiefkühlung nicht mehr geeignet sind, gekennzeichnet werden?
Zander, Parl. Staatssekretär: Eine Kenntlichmachung von Lebensmitteln, die aus tiefgekühlter Ware hergestellt sind, kann auf Grund der Ermächtigung des § 19 Nr. 4 Buchstabe b des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes vorgeschrieben werden. Im Rahmen der zur Zeit laufenden Überprüfung der für Brot bestehenden Rechtsvorschriften wird die Bundesregierung auch die Frage der Kenntlichmachung von Backwaren, die bereits tiefgefroren waren, einbeziehen.
Zusatzfrage? — Keine Zusatzfrage.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen auf. Herr Bundesminister Gscheidle steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Fragen 39 und 40 des Herrn Abgeordneten Hoffie — er ist nicht im Raum — werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 99 und 100 des Herrn Abgeordneten Hauser — auch er ist nicht im Raum — werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Frage 101 des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst! Fragen 102 und 103 der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier! Auch diese Fragesteller sind nicht im Raum, die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Frage 104 des Herrn Abgeordneten Braun — ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter, für die Anwesenheit —
Trifft es zu, daß bei der Bundesbahndirektion Essen 4,2 v. H. der zu zählenden Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten besetzt sind, hingegen bei der Bundesbahndirektion Stuttgart nur 2,6 v. H., und wenn ja, welche Gründe gibt es dafür?
Bitte, Herr Bundesminister.
Herr Abgeordneter, die prozentual unterschiedliche Beschäftigung von Schwerbehinderten in den Bezirken der einzelnen Bundesbahndirektionen hat mehrere Ursachen. Ganz entscheidend wirkte sich die seit November 1974 bei der Deutschen Bundesbahn bestehende Einstellungssperre und die seitdem vollzogene Personalreduzierung um mehr als 55 000 Kräfte aus.
Je nach den Strukturen der Bezirke und den Personalstärken der einzelnen Dienststellen haben sich die Prozentverhältnisse der Schwerbehinderten mehr oder weniger stark verschoben, so seit Januar 1975 bei der Bundesbahndirektion Essen von 3,58 % auf 4,2 % und bei der Bundesbahndirektion Stuttgart von 2,44 % auf 2,6 %.
Weiterhin wirkt sich aus, daß es im Bezirk der Bundesbahndirektion Essen mehr große Dienststellen gibt, die leichter Schwerbehinderte eingliedern können, so z. B. die Sozialverwaltung Nord in Münster.
Da grundsätzlich keine neuen Einstellungen vorgenommen werden dürfen, verändert sich die Zahl der bei der Deutschen Bundesbahn beschäftigten Schwerbehinderten zur Zeit nur durch Altersabgänge und durch Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft von bereits bei der Deutschen Bundesbahn beschäftigten Mitarbeitern. Zum Beispiel sind im Jahr 1976 im Bezirk der Bundesbahndirektion Essen 344 Mitarbeiter als Schwerbehinderte anerkannt worden, im Bezirk der Bundesbahndirektion Stuttgart waren es dagegen nur 91.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Braun.
Herr Minister, dann darf ich davon ausgehen, daß es nicht generell strukturelle Fragen im Bereich der Bundesbahn sind, wenn die Bahn nicht in der Lage ist, die Pflichtplätze zu besetzen, sondern daß es hier sehr wohl Unterschiede gibt?
Gscheidle, Bundesminister: Ich befürchte sehr, Herr Abgeordneter, daß wir in naher Zukunft dazu nicht mehr in der Lage sind. Einmal ist die Reduzierung durch Rationalisierungsmaßnahmen derart stark, zum anderen kommt die Einstellungssperre dazu. Was die Bundesbahn tut, ist, soweit wie möglich bei Einstellungen Schwerbeschädigten eine Chance zu geben, teilweise auch durch Zeitvorgaben auf einem Normalarbeitsplatz. Aber bei der Differenz, die besteht, fürchte ich sehr, daß, solange diese Rationalisierungsmaßnahmen anhalten und dadurch auch der Einstellungsstopp im weitesten Umfange besteht, hier große Schwierigkeiten bestehen.
Keine weitere Zusatzfrage.Die Fragen 105 und 106 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Milz, schriftlich
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3359
Vizepräsident Frau Rengerbeantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe Frage 107 des Herrn Abgeordneten Dr. Freiherr Spies von Büllesheim auf:Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, daß — wie von der Wochenzeitung „Die Zeit" vom 2. September 1977 gemeldet — sämtliche in die USA oder nach Japan exportierten ' Fahrzeuge deutscher Hersteller Platin-Katalysatoren enthalten, die den Abgasen fast völlig die gefährlichen Stoffe Kohlenmonoxyd und Kohlenwasserstoffe entziehen, und wenn ja sollte nach Auffassung der Bundesregierung eine entsprechende Ausrüstung der für den deutschen Markt produzierten Fahrzeuge im Interesse des Umweltschutzes vorgeschrieben werden?Gscheidle, Bundesminister: Frau Präsidentin, ich würde sehr gern die beiden Fragen wegen des Sachzusammenhanges gemeinsam beantworten.
Der Fragesteller stimmt zu.
Dann rufe ich auch die Frage 108 des Herrn Abgeordneten Dr. Freiherr Spies von Büllesheim auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob inzwischen in der Bundesrepublik Deutschland sogenannte Drei-Wege-Katalysatoren entwickelt wurden, die den Abgasen zusätzlich noch die Stickoxyde entziehen, und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie aus dieser Entwicklung?
Bitte, Herr Bundesminister.
Gscheidle, Bundesminister: Nach dem Umweltprogramm der Bundesregierung und in Übereinstimmung mit dem Bundesimmissionsschutzgesetz werden Grenzwerte für die noch zulässigen Mengen an unerwünschten Bestandteilen im Abgas der Kraftfahrzeuge festgelegt. Dieses bewährte Verfahren fördert zwangsläufig die technisch und wirtschaftlich optimalen Lösungen. Es ist somit nicht notwendig, eine bestimmte technische Lösung wie den Einbau bestimmter Filter oder Katalysatoren vorzuschreiben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, ist es richtig, daß die Umweltanforderungen in den Vereinigten Staaten schärfer sind als in der Bundesrepublik Deutschland, und warum sind sie hier weniger scharf?
Gscheidle, Bundesminister: Wir gehen davon aus, daß wir in dieser Hinsicht innerhalb der EG zu übereinstimmenden Entwicklungen kommen. Wir liegen in der EG innerhalb der vorgeschriebenen zulässigen Mengen sehr günstig.
Im übrigen hängt die Anwendung der Systeme, die Sie in Ihrer Frage angesprochen haben, ja mit dem Bleigehalt des Benzins zusammen. Sie wissen, daß ein Fahrzeug mit diesen Katalysatoren dann, wenn es bleihaltiges Benzin tankt — was ja zumindest im Ausland, in unseren Nachbarstaaten der Fall wäre, selbst wenn wir bleifreies Benzin einführten —, funktionsuntüchtig wird.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, darf ich einen Zusammenhang mit unseren Straßenbaukosten herstellen und fragen, ob Sie es für möglich halten oder ob es Untersuchungen darüber gibt, ob sich die kostenerhöhenden Maßnahmen, die jetzt im Straßenbau erwogen werden oder schon vorgeschrieben sind, vermindern ließen, wenn wir auf der Fahrzeugseite mehr für den Umweltschutz tun würden?
Gscheidle, Bundesminister: Das ist sicherlich richtig. Dies ist aber auch die feste Absicht der Bundesregierung. Wir haben da Verbindung mit den Automobilherstellern. Gerade die Internationale Automobilausstellung hat ja gezeigt, in wie großem Umfange die deutsche Automobilindustrie dazu übergeht, auch auf diesem Gebiet ihren Beitrag zu leisten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, gibt es in Ihrem Hause konkrete Untersuchungen darüber, um wieviel sich die Straßenbaukosten vermindern würden, wenn wir in Europa oder in Deutschland auf die amerikanischen Werte gingen? Sie wissen, daß ich auf die jetzt sehr deutlich erkennbar werdende sehr starke Erhöhung der Straßenbaukosten im Hinblick nicht nur auf den Lärmschutz, sondern auch auf den Abgasschutz Bezug nehmen möchte, die zur Folge hat, daß heute andere Gegebenheiten als noch vor zwei oder drei Jahren vorliegen.
Gscheidle, Bundesminister: Solche Untersuchungen sind mir nicht bekannt. Das ist aber auch deshalb verständlich, weil innerhalb der USA die Entwicklung auf diesem Gebiet ja gerade innerhalb der letzten Monate beschleunigt eingesetzt hat. Aber ganz sicherlich werden wir aus internationalen Erfahrungen Folgerungen ziehen, was ja auch schon im internationalen Erfahrungsaustausch angelegt ist.
Bitte, noch eine Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, könnten Sie angesichts der jetzt erkennbar gewordenen Dringlichkeit dieser Frage einen Zeithorizont angeben und sagen, bis wann Ihr Haus eine klare Vorstellung zu der Frage gewonnen haben wird, welcher Wert bei Fahrzeugen auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit beim Fahrzeug in Beziehung zu den Straßenbaukosten, die nach den neuen Vorstellungen Ihres Hauses durch Abgasschutz entstehen, optimal wäre?Gscheidle, Bundesminister: Solche Vorstellungen bestehen in meinem Hause bereits. Ich bitte Sie aber um Verständnis dafür, daß wir die Fragestunde sprengen würden, wenn ich Ihnen jetzt aus den Gutachten, die es dazu gibt, vortrüge. Ich stelle sie Ihnen aber gern zur Verfügung.
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3360 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Köhler .
Herr Minister, können Sie mir sagen, ob die in den Fragen meines Kollegen Spies von Büllesheim erwähnten Katalysatoren technisch geeignet sind, die für die Bundesrepublik projektierten Emissionswerte zu erfüllen?
Gscheidle, Bundesminister: Nein, ich hatte versucht, in meiner Antwort schon darauf hinzuweisen, daß diese hier in der Erörterung stehende Technik der Katalysatoren in unserem Lande wegen des Bleigehalts des Benzins — oder selbst dann, wenn wir das Benzin bleifrei machen würden, wegen des Bleigehalts in unseren Nachbarländern — kein geeignetes Mittel ist.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 109 des Herrn Abgeordneten Wendt auf. — Der Kollege ist nicht im Raum. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 110 des Herrn Abgeordneten Feinendegen auf:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung den Einbau von Sicherheitsgurten für Rücksitze vorzuschreiben, nachdem sie in ihrem sogenannten Maßnahmen-Zeit-Katalog zum Verkehrssicherheitsprogramm 1973 dafür das Jahr 1977 vorgesehen hatte?
Bitte schön, Herr Bundesminister.
Gscheidle, Bundesminister: Herr Abgeordneter, der im Maßnahmen-Zeit-Katalog zum Verkehrssicherheitsprogramm 1973 genannte Termin für die Einführung einer Pflicht zur Ausrüstung von Rücksitzen mit Sicherheitsgurten kann nicht eingehalten werden. Voraussetzung für eine entsprechende Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung ist die Harmonisierung der Vorschriften über Sicherheitsgurte innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Durch die Verkündung der EG-Richtlinie über Sicherheitsgurte und Rückhaltesysteme im EG-Amtsblatt vom 29. August 1977 ist die erforderliche Harmonisierung durchgeführt. Die nun mögliche Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung wird nach meiner Auffassung voraussichtlich im Jahre 1978 erfolgen können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter,
Herr Minister, hat die Bundesregierung die Absicht, in diesem Zusammenhang auch die Sicherung von auf den Rücksitzen mitfahrenden Kindern zu berücksichtigen?
Gscheidle, Bundesminister: Ja.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann die Frage 111 des Herrn Abgeordneten Feinendegen:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung die in der EG-Richtlinie über Sicherheitsgurte und Rückhaltesysteme enthaltene Vorschrift zur Einführung von Beckengurten auf Rücksitzen für veraltet hält?
Gscheidle, Bundesminister: Nein, Herr Abgeordneter. Angesichts des gegenüber den Frontsitzen geringeren Benutzungsgrades und wegen des geringeren Verletzungsrisikos — weil in aller Regel kein Kontakt mit der Windschutzscheibe entsteht — halten es alle Mitgliedstaaten für ausreichend, wenn die Rücksitze mit Beckengurten ausgerüstet sind. Im übrigen müssen nach den EG-Richtlinien über Verankerungen für die hinteren äußeren Sitzplätze Verankerungen für Dreipunkt-Sicherheitsgurte vorhanden sein, so daß der Fahrzeughalter, wenn diese Vorschrift erfüllt ist, die Möglichkeit hat, auf eigenen Wunsch Dreipunktgurte einbauen zu lassen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Köhler .
Herr Minister, wie beurteilt Ihr Haus in diesem Zusammenhang den Nutzen aktiver Gurtsysteme?
Gscheidle, Bundesminister: Bei der Vielfalt von aktiven und passiven Systemen bitte ich um Verständnis, wenn ich rückfrage, welchen aktiven Gurt Sie jetzt meinen. Oder fragen Sie allgemein?
Wenn Sie erlauben, Frau Präsidentin: Ich meine allgemein ein System, bei dem die Fahrfähigkeit des Wagens nur gegeben ist, wenn der Gurt angelegt ist.
Gscheidle, Bundesminister: Wir haben ja diese sehr positive Entwicklung — ich denke, Sie haben das im Auge — bei VW, um nur einen Hersteller zu nennen. Die positive Beurteilung wird auch dadurch signalisiert, daß die Aufträge zur Ausrüstung von Behördenfahrzeugen bei den Herstellern zunehmen, die derartige Systeme liefern.
Danke schön.Ich rufe die Frage 112 des Herrn Abgeordneten Wüster auf:Ist der Bundesregierung bekannt, daß untermotorisierte Fahrzeuge mit Anhänger auf der Bundesautobahn an Steigungen ohne Kriechspur aber mit Überholverbot, vor allem in der Urlaubszeit, große Stauungen verursachen, und was will sie unternehmen, um einen normalen Verkehrsfluß zu erreichen?Bitte, Herr Bundesminister.Gscheidle, Bundesminister: Herr Abgeordneter, diese Tatsache ist der Bundesregierung bekannt. Gegenmaßnahmen sind:Erstens. Soweit notwendig und möglich, erhalten die Steigungsstrecken Zusatzfahrstreifen.Zweitens. Seit 1969 erläßt der Bundesminister für Verkehr mit Zustimmung des Bundesrates die Ferienreiseverordnungen, in denen Wochenendfahrverbote für schwere Lkw und für Lkw-Züge während der Hauptreisezeit vorgesehen sind.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3361
Bundesminister GscheidleDrittens. Der Bundesminister für Verkehr hat für Ende Oktober dieses Jahres alle interessierten Verbände zu einem Erfahrungsaustausch über die Verkehrsabwicklung während der Urlaubszeit eingeladen. Auch die Bundesländer werden dann über ihre Erfahrungen berichten. Wenn sich hierbei realisierbare Vorschläge zur Verbesserung des Verkehrsflusses ergeben, werden sie in die Tat umgesetzt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Bundesminister, wären Sie im Interesse eines reibungslosen Verkehrs bereit, ein Überholverbot nicht von der Bezeichnung oder Definition eines Kraftfahrzeuges abhängig zu machen, sondern von seiner Zugkraft und Geschwindigkeit?
Gscheidle, Bundesminister: Das ist eine vieldiskutierte Frage. Bei unserer jetzigen Situation im Straßenverkehr dient das Überholverbot dem Verkehrsfluß. Derart gezielte, gestufte Regelungen, wie sie in Ihrer Frage angesprochen sind, wären erst bei einer sehr differenzierten Betrachtung denkbar, bei unserem derzeitigen Fahrzeugbestand und der derzeitigen Mischung ides Verkehrs noch nicht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, wären Sie bereit, in Ihrem Hause entsprechende Überlegungen anstellen zu lassen?
Gscheidle, Bundesminister: Sehr gerne, Herr Abgeordneter. Da aber schon derart viele Erkenntnisse vorliegen, möchte ich mir zunächst einmal erlauben, Ihnen die Unterlagen über die bisherigen Erkenntnisse zuzuleiten. So ändert sich natürlich das ausgewiesene Gewicht des Fahrzeugs mit der Art der Beladung, d. h., es wäre die Leerfahrt von der Fahrt mit Beladung zu differenzieren. Die Überwachung des Verkehrsflusses würde durch derart differenzierte Regelungen außerordentlich schwierig. Ich schlage Ihnen vor, ich leite Ihnen die Unterlagen mit diesen Überlegungen zu. Wir haben sicher in irgendeinem Zusammenhang Gelegenheit, die Frage zu vertiefen.
Die Fragestunde ist abgelaufen. Herr Bundesminister, danke sehr.
Die Fragen 116 bis 123, 131, 139 und 140 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden.
Die übrigen nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Meine Damen und Herren, da die Fraktion der FDP noch tagt, ist interfraktionell vereinbart worden, jetzt den Punkt 8 der Tagesordnung zu behandeln:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhaltung und Modernisierung kulturhistorisch und städtebaulich wertvoller Gebäude
— Drucksache 8/896
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Innenausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Das Wort dazu hat Herr Abgeordneter Francke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Geschichte eines Landes, einer Nation erfährt für alle Bürger ihren sichtbarsten Ausdruck in ihrer Stadtgestaltung, in ihrer Architektur, wenn wir dabei z. B. an Athen und die Akropolis, Rom und das Forum Romanum, Dresden und den Zwinger oder Berlin und das Brandenburger Tor denken. Das Geschichtsbewußtsein oder Bürger eines Landes und seiner Regierung kann auch daran gemessen werden, ob und in welcher Weise sie sich der Aufgabe stellen, diese Stein gewordene Geschichte zu bewahren und sie der nachfolgenden Generation zum Ansporn, zur gelegentlichen Mahnung zu hinterlassen.Der Herr Bundespräsident hat in einer Rede am 29. April 1976 in Berlin zu diesem Thema gesagt — ich erlaube mir zu zitieren —:In der Geschichte erkennt das Volk, wie in einem Spiegel, sich selbst. In der Geschichte wird das Volk seiner selbst, als einer unteilbaren Gemeinschaft, gewahr.An anderer Stelle heißt es:Es geht darum, den Charakter einer Stadt zu bewahren, ihr Gesicht. Denn Städte haben ein Gesicht, Städte sind lebendige Organismen. Und man schlägt nicht mit einem Hammer in ein lebendiges Gesicht.Meine Damen und Herren, über viele Jahre ist diese Aufgabe der Erhaltung und Reaktivierung unserer alten Städte vernachlässigt worden, und zwar sowohl von einer Vielzahl von Stadtplanern und Architekten wie auch und insbesondere von der politischen Führung. Der notwendige schnelle Wiederaufbau unserer Städte und Gemeinden nach dem Kriege geschah allerorten, etwas verkürzt dargestellt, nach den Prinzipien und Grundsätzen der Charta von Athen. Die Menschenfeindlichkeit der Städte — als Postulat und Ausgangspunkt der Überlegungen — sollte unter Anwendung dieser Prinzipien verschwinden, um so zu einer Verbesserung, einer Vermenschlichung der Städte beizutragen. Meiner Ansicht nach hat sich dieser Grundgedanke nicht bestätigt. Die Funktionstrennung hat maßgeblich zu einer weniger menschlichen Entwicklung der Städte beigetragen. Die Folgen dieser Einstellung maßgeblicher Stadtplaner und Architekten, gestützt durch die damaligen sozialdemokratischen Mehrheiten in den Rathäusern in den 40er, 50er und 60er Jahren, sind erschreckend. Wir haben uns heute täglich damit auseinanderzusetzen.Es kommt hinzu, daß durch Planungsunsicherheit, allzulange Festschreibung von wirtschaftlich nicht
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3362 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Francke
vertretbaren Mieten und durch das Fehlen steuerlicher Anreize der weitgehend in den Stadtzentren vorhandene private Grundbesitzer gar nicht in der Lage war, den eingetretenen Verfall aufzuhalten.In den Beratungen des Raumordnungsausschusses im Juni dieses Jahres in Regensburg ist uns in sehr eindringlicher Weise gesagt worden, daß allein in der Altstadt 1200 Gebäude als Baudenkmäler in einer Liste vorläufig erfaßt worden sind. Die Hansestadt Bremen hat z. B. 910 dieser erhaltenswerten Gebäude, meine eigene Vaterstadt, die Freie und Hansestadt Hamburg, 913. Wir könnten diese Liste beliebig lang fortführen, insbesondere auch durch Beispiele aus den ländlichen Bereichen.Meine Damen und Herren, daß bislang trotzdem vieles geschehen ist, verdanken wir weniger der Regierung, als vielmehr, nach meiner Einschätzung, drei anderen Komponenten: erstens dem Verantwortungsbewußtsein und dem sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlenden Mäzenatentum vieler privater Personen und Institutionen in diesem Lande, zweitens der Initiative einer ganzen Reihe von Kornmunen — stellvertretend dafür sollte man an dieser Stelle die Arbeitsgemeinschaft der Städte Lübeck, Bamberg und Regensburg lobend erwähnen — und drittens insonderheit den Widerstand gegen den Verfall der Städte und dem Widerstand gegen allzu modische Stadtentwicklungsmaßnahmen aus der Bürgerschaft selber.Die Probleme unserer Stadtentwicklung, besonders der Altstadtsanierung, finden heute ein derart starkes öffentliches Interesse, wie das seit langem nicht mehr der Fall gewesen ist. Es geht deshalb für Regierung und Parlament darum, dieses Interesse zu nutzen, aber auch die gesetzlichen Voraussetzungen zur Umsetzung in Taten zu schaffen bzw. zu stärken. Wir haben ein Denkmalschutzgesetz, den neuen § 7 b des Einkommensteuergesetzes, das Städtebauförderungsgesetz, finanzielle Hilfen nach dem Modernisierungsgesetz und Mittel aus dem Konjunkturförderungsprogramm. Daß wir daneben offensichtlich auch allzu viele Hemmnisse aufgebaut haben, hat in sehr eindrucksvoller Weise in der vergangenen Woche die Architektenkammer von Nordrhein-Westfalen dargestellt. Ich will allerdings auf diesen Punkt jetzt nicht näher eingehen.Im Sinne der Worte des Herrn Bundespräsidenten, „Denkmalschutz ist eine Angelegenheit aller Bürger", muß es uns darum gehen, dem Bürger auch die Möglichkeit zu geben, den Denkmalschutz nicht nur ideell, sondern auch finanziell zu seiner Angelegenheit machen zu können. Diesem Vorhaben dient der Gesetzentwurf des Bundesrats in Drucksache 896, der im übrigen auf eine Initiative des Landes Schleswig-Holstein zurückgeht, das sich dankenswerterweise bereits 1974 dieses Themas angenommen hatte, damals allerdings leider durch einen Mehrheitsbeschluß in diesem Hause an der Umsetzung seiner Ansichten gehindert wurde.Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat den Vorläufer dieser Vorlage, den Entwurf des Landes Schleswig-Holstein, auf seiner Sitzung am 28. Juni 1977 in Regensburg ausführlich behandelt und dazu eine einstimmige Entschließung gefaßt. Ich möchte den entscheidenden Punkt dieser Entschließung hier kurz ansprechen, wobei ich den Dank der CDU/CSU-Fraktion gegenüber den beiden andere Fraktionen dieses Hauses dafür wiederhole, unserem Anliegen einer steuerlichen Begünstigung auch der Anschaffungskosten zugestimmt zu haben. Die CDU/CSU-Fraktion wird auf der Basis der Vorlage, die hier zur Beratung steht und unter Einschluß der Elemente der Entschließung vom 28. Juni der Vorlage zustimmen und bittet um eine zügige Beratung und Beschlußfassung in den Ausschüssen.Die Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Gesetzentwurf ist positiv, bedarf aber nach meiner Auffassung wegen des Tenors einiger Korrekturen. Die Bundesregierung erweckt den Anschein, als ob sie nicht nur verbal, sondern auch tatsächlich in allen Bereichen eine Änderung in der Programmatik ihrer Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik betreibe und dieser Gesetzentwurf nur eine hilfreiche Randerscheinung sei.Dem darf ich folgendes entgegenhalten: Wenn Sie sich das Bundesprogramm nach dem Städtebauförderungsgesetz, „Förderung städtebaulicher Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen", und zwar die Verpflichtungsermächtigungen, ansehen, so werden Sie feststellen, daß die Ansätze, von 1975 auf 1977 gerechnet, um 50 Millionen DM rückläufig sind. Die Ansätze in der mittelfristigen Finanzplanung sind in 1978 und 1979 die gleichen, was unter Berücksichtigung einer Preissteigerungsrate von 4 % per anno tatsächlich eine Rückläufigkeit bedeutet. Das gleiche trifft auch für den Titel „Förderung von Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten an Wohngebäuden" zu. Ich verkenne dabei keinesfalls die Tatsache, daß auf der anderen Seite eine Erhöhung des Ansatzes „Verbesserung der Lebensbedingungen in Städten und Gemeinden" stattgefunden hat. Nur, wie gesagt, daraus den Schluß ziehen zu wollen — wie die Regierung es tut —, dieser Gesetzentwurf sei nur eine hilfreiche Randerscheinung, meine ich, ist nicht richtig.Die zu lösende Aufgabe geht alle Bürger, das Parlament und die Regierung an. Letztere hat nach meiner Auffassung sehr viel nachzuholen, denn erst in jüngster Zeit werden ernsthafte Versuche unternommen, auch den direkten Anteil des Staates zur Lösung der Probleme in angemessener Form zu erhöhen. Der Baudezernent der Stadt Regensburg hat vor dem Ausschuß am 28. Juni gesagt — ich zitiere —:In der bisher praktizierten Weise muß die Dauer der Sanierung für das gesamte Denkmalsensemble Altstadt auf rund 100 bis 120 Jahre geschätzt werden.Ich verkenne keinesfalls, sondern möchte ausdrücklich bestätigen, daß jede Generation ihre Aufgabe hat. Die Aufgabe der Erhaltung und Reaktivierung unserer alten Städte ist nicht in einer Generation zu lösen. Wir haben aber, glaube ich, die Verpflichtung, alles zu tun, damit die nachfolgende Generation aus den Zeugnissen unserer Geschichte überhaupt etwas lernen kann.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3363
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schwencke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ohne Zweifel wird in diesem Hause in allen Fraktionen Freude über den Gesetzentwurf zur Erhaltung und Modernisierung kulturhistorisch und städtebaulich wertvoller Gebäude herrschen. Wenn dieses Gesetz heute in erster Lesung behandelt und dann an die Ausschüsse überwiesen wird, muß sich das Parlament erneut mit einem Kernbereich unseres gesellschaftlichen Lebens befassen, der für immer mehr Bürger eine immer größere Priorität erlangt hat. Dieser Gesetzentwurf trägt nicht nur dazu bei, ein gewisses noch bestehendes steuerrechtliches Defizit zu beseitigen, sondern fördert auch den Prozeß wachsenden Stadtbewußtseins, den wir überall in unseren europäischen Städten feststellen. Darauf muß der Politiker eine angemessene Antwort geben.Nachdem im Rahmen des schon genannten erweiterten § 7 b des Einkommensteuergesetzes der Erwerb älterer Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Eigentumswohnungen bereits seit Beginn dieses Jahres steuerlich abschreibbar ist, soll nun auch die Abschreibung von Herstellungs- und Erhaltungsaufwand auch bei anderen denkmalgeschützten Gebäuden jeglicher Nutzungsart möglich sein.Daß dieser Gesetzentwurf aus einer unserer ältesten, größten und, wie ich meine, auch schönsten Altstädte, nämlich aus der Hansestadt Lübeck über den Bundesrat in den Bundestag gelangte und zuvor mit einer notwendigen und positiven Stellungnahme der Bundesregierung versehen wurde, ist sicherlich kein schlechtes Zeichen. Dieser Entwurf kommt gewissermaßen von der altstädtischen Basis und hat trotz der vorgeschriebenen Umwege einen nicht übersehbaren Konnex zu dem Erhaltungsalltag in unserem urbanen Lebensraum.Indem dieser Entwurf — hier setze ich die Prioritäten selbstverständlich anders als mein verehrter Herr CDU/CSU-Vorredner — mit den von uns bereits verabschiedeten boden- und steuerrechtlichen Gesetzen und mehreren Investitionsprogrammen auf diesem Gebiet korrespondiert und sie ergänzt, schließt er eine Lücke, und zwar offensichtlich die letzte uns heute jedenfalls erkennbare Lücke.Manche Kollegen — auch ich — haben es bedauert, daß ein erster Gesetzentwurf dieser Art in der vorigen Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden konnte. Wir sollten aber, wie ich meine, dankbar dafür sein, daß wir die Beratungen heute auf der breiten Grundlage des erweiterten § 7 b des Einkommensteuergesetzes und einiger Investitionsprogramme, die bereits gegriffen haben, führen können. Der vorliegende Gesetzentwurf ist somit so etwas wie ein Schlußstein im Gesamtkonzept für den Denkmalschutz in der Bundesrepublik Deutschland.Ich sprach von gesellschaftlichen Prioritäten. Ich sprach von Prioritäten in der Stadterhaltungspolitik. Bundeskanzler Helmut Schmidt hat — ich möchte daran erinnern — in seiner Regierungserklärung am 16. Dezember 1976 die Erhaltung und Erneuerung unserer Städte und Gemeinden als einen der wichtigsten Schwerpunkte seiner Regierungsarbeit in dieser Legislaturperiode bezeichnet. Was diese wichtige „Säule" der Städtebaupolitik, wie Karl Ravens sie nennt, angeht, so kann sie jetzt mit Fug und Recht als in historischer Topographie festgefügt und handwerklich gut behauen bezeichnet werden.Ein Bündel von Maßnahmen war dafür erforderlich. Um den Kontext des vorliegenden Gesetzentwurfs nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, nenne ich einige dieser bereits erfolgten Maßnahmen. Damit ergänze ich das Thema um einige Anmerkungen, die nicht nur für den Herrn Kollegen Franke bestimmt sind.Bereits vor der 8. Legislaturperiode hatte die sozialliberale Koalition wichtige Schritte in diese Richtung getan. Ich nenne nur das Städtebauförderungsgesetz von 1971, die Novellierung des Bundesbaugesetzes von 1975 und das Wohnungsmodernisierungsgesetz von 1976.Schon heute haben in unseren Städten und Gemeinden die verschiedenen Sonder- und Konjunkturprogramme zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen aus dem Jahre 1975 — für jedermann sichtbar — gegriffen. Was zuvor an Denkmalschutzmaßnahmen noch als völlig unmöglich finanzierbar erschien, ist damit möglich geworden. Ich nenne— die Instandsetzung kommunaler erhaltenswerter Gebäude von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung,— die Stadtsanierungsprojekte in förmlich festgelegten Sanierungsgebieten laut Städtebauförderungsgesetz,— die Wohnungsmodernisierungszuschüsse an Althausbesitzer für Instandsetzungsarbeiten bis zu 30 °/o der Aufwendungen der Einzelmaßnahmen und schließlich auch die Bundesmittel für die Restaurierung von Gebäuden besonderer nationaler kultureller Bedeutung.In dieser Legislaturperiode wurden nun bekanntlich alsbald die Abschreibungsmöglichkeiten nach § 7 b EStG so erweitert, daß alte Wohnungen und Wohngebäude mit darunterfallen. In Verbindung damit wurde auch die Befreiung von der Grunderwerbsteuer durchgesetzt, so wie der Katalog in § 82 a der Einkommensteuerdurchführungsverordnung erweitert, so daß die Absetzbarkeit von Herstellungskosten für Anlagen und Einrichtungen in Wohngebieten vergrößert werden konnte.Dazu kommen die Maßnahmen der Zukunftsinvestitionsprogramme vom Frühjahr dieses Jahres:1. 750 Millionen DM zur Erhaltung und Erneuerung ausgewählter historischer Stadtkerne,2. 90 Millionen DM zur Erhaltung und Erneuerung einzelner denkmalswerter Gebäude durch Aus- und Umbau von Wohngebäuden und3. 237 Millionen DM zur Erhaltung und zum Wiederaufbau von Baudenkmälern und Kulturbauten.Der uns vorliegende Gesetzentwurf, der noch einige steuerpolitische Lücken schließen wird, dient,
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3364 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Dr. Schwencke
wie der Name sagt, der „Erhaltung und Modernisierung kulturhistorisch und städtebaulich wertvoller Gebäude", soweit sie nicht schon vorher durch andere Gesetze erfaßt wurden.Sicher war nicht allein das Europäische Jahr des Denkmalschutzes, 1975, der Grund dafür, daß dieses breite und differenzierte Gesetzes- und Förderungsprogramm anlief. Die vielen durch die Tristesse unserer Innenstädte und die banale Stupidheit unserer Neubaugebiete wachgerüttelten Bürger haben dazu ebenso vehement beigetragen, wie die mit ihnen verbündeten Medien die Aufmerksamkeit auf unsere sterbenden Städte gelenkt haben. Geschadet haben unserer Demokratie weder jene bis dahin unerhörten Bürger- und Bürgerinitiativproteste noch der für uns derzeit so schlecht ausfallende europäische Vergleich. In der Tat nahmen wir uns sehr provinziell aus. Heute stehen wir in Europa an der Spitze der Förderungsmöglichkeiten für die Stadterhaltung, und zwar sowohl hinsichtlich des privaten als auch hinsichtlich des öffentlichen Bereichs.Die langjährige bundesdeutsche Faustformel, daß es sich lohne, ein altes Gebäude, welches auch immer, abzureißen, um ein neues an seine Stelle zu setzen, um damit einen finanziellen Gewinn zu erzielen, stimmt nun nicht mehr. Langsam, aber sicher setzt sich die Erkenntnis durch, daß das Gegenteil richtig ist. Konsequente Gesellschaftspolitik hat, die Zeichen der Zeit in Europa richtig deutend, dazu geführt, daß es sich heute schon lohnt, ein altes Gebäude zu erhalten, statt es durch ein neues zu ersetzen; nicht gerechnet den moralischen, den ästhetischen und den Wohnkomfortgewinn, der damit verbunden ist.„Fortschritt", auch städtebaulicher, hat sich bei uns zweieinhalb Jahrzehnte lang im wesentlichen in Quantitäten messen lassen. Das gilt leider auch heute noch für die DDR, wo ich in der vergangenen Woche in Rostock die Stadtentwicklung studieren konnte. Bei der prekären Wohnsituation ist dort immer noch die Quantität das einzig herrschende Proprium. „Fortschritt" als Quantität zeigt immer mehr antihumane Züge. Wir haben darauf Antworten zu geben versucht — wenn auch spät, so aber doch richtig und deutlich.Die Resultate der städtebaulichen Entwicklung sind für jedermann nicht nur visuell erkennbar, für die Betroffenen nicht nur auch physisch spürbar, sondern auch in Zahlen erkennbar. Heute haben wir in der Bundesrepublik ca. 400 000 denkmalgeschützte Gebäude, von denen sich weit mehr als zwei Drittel bereits in einem so desolaten Zustand befinden, daß entweder ein erheblicher Herstellungsaufwand oder /und ein beträchtlicher Erhaltungsaufwand für ihre Sanierung erforderlich ist.Von den ca. 400 000 Gebäuden sind ungefähr ein Drittel im Besitz der verschiedenen öffentlichen Hände, der Kirchen, der gesellschaftlichen Institutionen usw. Nach Schätzung der Landeskonservatoren sind ungefähr 200 000 Gebäude in Privatbesitz, und zwar in einem so schlechten Zustand, daß sie für einen „Herstellungsaufwand" — wie unser vorliegendes Gesetz das nennt, neben dem „Erhaltungsaufwand" — anstehen; darüber hinaus sind ca. 100 000 Gebäude zu „erhalten". Nach Berücksichtigung der bereits durch § 82 a der Einkommensteuerdurchführungsverordnung und das Städtebauförderungsgesetz erfaßten Gebäude sind diese Zahlen — nach Schätzung des Bundesbauministeriums und des Bundeswirtschaftsministeriums — jeweils um ein Viertel zu reduzieren; danach verbleiben für den Bereich dieses Gesetzes immerhin noch ca. 150 000 Gebäude für die Wiederherstellung und ca. 75 000 Gebäude für die Erhaltung.Die Durchschnittskosten werden — laut gleicher Quelle — für die Erhaltung mit 30 000 DM und für die Herstellung mit 150 000 DM beziffert. Wenn nun nach einer Hochrechnung jährlich 4 000 Gebäude „erhalten" und ca. die doppelte Menge wieder„hergestellt” werden, ergeben sich — auf der fiktiven Grundlage eines durchschnittlichen Steuersatzes von 35 % — Steuerausfälle pro anno in Höhe von 45 Millionen DM, die sich im zweiten Jahr verdoppeln usw.Was bewirkt dieser Aufwand städtebaupolitisch, und was wird das Gesetz dem Privatmann konkret bringen, der sein denkmalgeschütztes Haus auf dieser Grundlage sanieren will?Erstens. Durch beachtliche Abschreibungsmöglichkeiten werden über den Bereich des erweiterten §7 b des Einkommensteuergesetzes hinaus auch übrige Gebäude, wenn sie unter Denkmalschutz stehen, dadurch vor weiterem Verfall geschützt, daß ihr Besitzer ihre Erhaltung als steuerlich lohnend empfinden kann. Dieses Gesetz trägt somit direkt zur weiteren Innenstadtrevitalisierung bei und wird möglicherweise auch Re-Multifunktionalisierungstendenzen haben.Zweitens. Der steuerliche Anreiz soll durch Ergänzung des § 51 des Einkommesteuergesetzes dadurch verbessert werden, daß der Erhaltungs- bzw. der Herstellungsaufwand — an eine Erwerbsabschreibung ist nach meiner Meinung mit vollem Recht nicht gedacht — für die Betroffenen zeitlich gestreckt und somit effektiver wird. Es ist hervorzuheben, daßa) die Abschreibung der Erhaltungskosten auf mehrere Jahre, nämlich auf zwei bis fünf, verteilt werden kann — damit wird der Besitz eines alten Hauses auch für durchschnittliche Lohnempfänger interessant — undb) die erhöhte Absetzung der Herstellungskosten, die bis zu 10 v. H. der Aufwendung im Jahr betragen kann, mit Sicherheit zu verstärkten Bau- und Ausbauinvestitionen führt und, da dieser Bereich personalintensiv und für kleinere Firmen interessant ist, auch einen willkommenen beschäfigungspolitischen sowie mittelstandsfördernden Aspekt hat.Wenn ich die Situation in unseren kleineren und mittleren Städten richtig einschätze und wenn, womit zu rechnen ist, die Landeskonservatoren den Begriff des Denkmalschutzes weiter ausweiten werden, könnte dieses Gesetz namentlich kleinere Geschäfte und Betriebe — die schönen alten „Tante-Emma-
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Läden" — für ihre Besitzer zu erhalten durchaus so lohnenswert erscheinen lassen, daß sie nicht nur identitätsstörende, sogenannte Modernisierungen —sprich technische Normierungen — weniger häufig durchführen, sondern die Neigung zur Ansiedlung von Großkaufhäusern und Supermärkten hoffentlich sichtbar sinkt.Selbstverständlich ist dieser Gesetzentwurf kein komplettes Gesetzeswerk. Wir werden in den Ausschüssen im einzelnen und insbesondere über die Frage zu sprechen haben, wann und wodurch ein Bauwerk als „Baudenkmal" gilt. Ich meine, da wir noch nicht in allen Ländern neue Denkmalschutzgesetze haben — solche gibt es beispielsweise in Nordrhein-Westfalen oder in meinem Land Niedersachsen noch nicht —, daß wir gemeinsam nach einer Definition suchen müssen; eine, die sich an § 39 h des Bundesbaugesetzes hinsichtlich des Erhaltungsbereichsbegriffs anschließt. Von daher könnten möglicherweise gemeinsame Kriterien erarbeitet werden, die von Schleswig bis Oberammergau gültig wären.Gestatten Sie mir, Frau Präsidentin, bitte noch eine ganz kurze Schlußbemerkung.Der wachsende finanzielle Aufwand bei den Maßnahmen des Denkmalschutzes, der in diesem Lande schon jetzt getrieben wird, kann nur verantwortet werden, wenn ihr gesellschaftspolitischer Kontext stimmt. Stimmt er?Das läßt uns fragen, worin dieser Kontext begründet sein könnte. Ich meine, daß er in den Bedürfnissen und Interessen des einzelnen Bürgers innerhalb einer ganz konkreten Topographie der gewachsenen und zur Zukunft offenen Stadt begründet ist. Solches Urbanum ist überhaupt nicht abstrakt, sondern existentiell so konkret, daß darauf politisch-programmatisch reagiert werden muß. Je kleiner und übersichtlicher dieses Urbanum ist, desto mehr bedarf es der qualifizierenden Organisation, die allerdings nur dann funktioniert, wenn dabei die historischen Strukturen nicht ignoriert werden.Es gehört dazu Kommunikation, Sozialisation und Partizipation. Gerade letzteres ist die Voraussetzung für unsere Demokratie, denn, wie Adolf Arndt es im Zusammenhang mit Architekturüberlegungen für die Gegenwart sagte: sie ist „als politische Lebensweise von ihrem Ansatz her auf den mündigen Menschen angewiesen". Der „Bauherr" der Demokratie ist der mündige Bürger, und er will die Erhaltung des architektonischen Erbes!Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich breche hier ab, indem ich feststelle, daß der vorliegende Gesetzentwurf nicht nur ein weiterer Schritt in die richtige Richtung ist, sondern die noch vorhandene Lücke im Gesamtkonzept der Erhaltungspolitik schließt.
„Denkmalschutz ist in diesem Konzept gesellschaftspolitisch verantwortbar, da unsere Städte fürunsere Bürger durch diese Maßnahmen wieder lebenswert werden.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Gesicht und Charakter einer Stadt, einer Gemeinde oder einer ländlichen Siedlung sind entscheidend von der künstlerischen Gestaltung durch die vorausgegangenen Generationen geprägt. Diese Gestaltung macht die Städte lebendig und läßt Geschichte und Stil in den Gebäuden sichtbar werden. Nicht zuletzt in seinen Gebäuden spiegelt sich das kulturelle Erbe eines Volkes und die Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksformen. Keine Generation kann, so meine ich, ohne Geschichte leben. Um sie bewußt zu machen und werden zu lassen, sind gerade die sichtbaren Dokumente im unmittelbaren Bereich der täglichen Umwelt wichtig und eindrucksvoll. Darum, meine Damen und Herren, begrüßt die FDP-Fraktion den vorgelegten Gesetzentwurf. Schon zu viele Gebäude sind auf Grund der Zerstörung im Krieg, auf Grund der verständlichen verkehrspolitischen Maßnahmen, aber auch auf Grund verständlicher Modernisierungen im Stadtkern und im Wohnungswesen vernichtet. Es muß uns daran liegen, die bestehende Bausubstanz in ihrer künstlerischen Ausdrucksform soweit wie möglich zu erhalten und wieder für den unmittelbaren Gebrauch wirksam zu machen. Es ist nicht allein damit getan, künstlerisch wertvolle Gebäude durch Zuschüsse oder durch Übernahme in die öffentliche Hand zu mehr oder weniger musealen Gebäuden zu machen. Vielmehr muß es darum gehen, sie als Wohngebäude oder Wirtschaftsgebäude, die sie ursprünglich ja auch waren, zu erhalten und für den heutigen Gebrauch herzurichten.Dennoch haben wir in der letzten Legislaturperiode den damals vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen müssen. Ich nehme deswegen heute besonders gern die Gelegenheit wahr, auch aus der Sicht des Finanzausschusses oder Finanzpolitikers dazu Stellung zu nehmen. Im damaligen Entwurf waren einige steuerrechtlich bedenkliche Tatbestände enthalten. Da war z. B. vorgesehen, daß die Möglichkeit der Abschreibung davon abhängig gemacht werden sollte, ob das Gebäude in einem Verbund mit anderen liegt. Das hätte bewirkt, daß alleinstehende, aber künstlerisch wertvolle Gebäude möglicherweise nicht in die Vergünstigung einbezogen worden wären, während andere weniger künstlerisch wertvolle, aber im Zusammenhang mit anderen Häusern stehende Gebäude berücksichtigt worden wären. Eine solche Form der Abschreibung ist nach den Grundsätzen steuerlicher Gerechtigkeit nicht möglich. Wir begrüßen daher, daß der jetzige Entwurf allein an den Tatbestand anknüpft, daß ein Gebäude als Baudenkmal anerkannt ist, und in diesem Fall, unabhängig von seiner Lage, die vorgesehenen Abschreibungserleichterungen zum Zuge kommen.
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Frau FunckeWir hatten gegen den früheren Entwurf auch deshalb Bedenken, weil die Abschreibungen in einzelnen Punkten doch erheblich über das sonst festgesetzte Maß hinausgingen und damit die Ungerechtigkeit bei der Auswahl noch verstärkt hätten. Vor allen Dingen aber hatten wir Bedenken, weil auch die Anschaffungskosten in eine sehr hohe Abschreibungsmöglichkeit einbezogen werden sollten, d. h., es sollten in fünf Jahren bereits zu 30 % von der Kaufsumme abgeschrieben werden können. Dies hätte die Gefahr heraufbeschworen, das Abschreibungsgesellschaften entstanden wären, die kulturhistorische Bauwerke mehr oder weniger zum Objekt cleverer Steuermanipulationen gemacht hätten. Das wäre dem Sinn des Gesetzes ja wohl nicht gerecht geworden. Und zugleich wäre ein Anreiz zu einem häufigen Eigentümerwechsel, etwa alle fünf Jahre, gegeben worden. Das aber entspricht nicht dem Gedanken, daß die Baudenkmäler möglichst in Gebrauch und damit in unmittelbarem Zusammenhang mit den Bewohnern stehen sollten und nicht zu einem Abschreibungsobjekt in der Hand wechselnder Eigentümer gemacht werden sollten.Dies alles vermeidet der jetzige Gesetzentwurf. Er sieht vor, daß je 10 % Kosten für Ein- und Ausbauten und Modernisierungen, soweit sie überhaupt aktivierungspflichtig sind, in zehn Jahren abgeschrieben werden können. Insoweit trägt er auch zur Rechtssicherheit bei. Denn wir haben ja in § 51 EStG Ermächtigungen für verschiedene Arten von Abschreibungen. Sie alle sind auf 10 % abgestellt. Das vermeidet die Gefahr, daß man bei verschiedenen Ein- und Ausbauten je nach Art und Objekt verschiedene Abschreibungssätze hätte. Der vorliegende Entwurf will bezüglich der Höhe und Gestaltung die Abschreibungsvergünstigungen gleichsetzen mit denen, die wir bei dem Städtebauförderungsgesetz, bei bestimmten Sanierungsbauten und auch bei Einbauten zum Lärmschutz und Wärmeschutz vorgesehen haben, so daß eine Aufteilung solcher Renovierungskosten in verschiedene Arten für unterschiedliche Abschreibungssätze vermieden wird. Schließlich vermeidet dieser Gesetzentwurf die von mir soeben erwähnten und befürchteten Mißbräuche, daß man künstlerische Gebäude zum Objekt steuerpolitischer Manipulationen macht.Wir begrüßen den Gesetzentwurf und glauben, daß wir ihn in den Ausschüssen zu einem allseits befriedigenden Ergebnis bringen werden.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen nicht vor.
Wir kommen zu dem Vorschlag des Ältestenrats, den Gesetzentwurf dem Finanzausschuß — federführend — sowie dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, dem Innenausschuß und dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Die Fraktion der FDP ist mit ihren Beratungen nicht zu Ende. Herr Parlamentarischer Geschäftsführer, wünschen Sie eine Unterbrechung der Sitzung? — Es wird eine Unterbrechung der Sitzung um 15 Minuten gewünscht. Es ist üblich, dem Antrag einer Fraktion auf Unterbrechung zu entsprechen.
Ich unterbreche die Sitzung für 15 Minuten.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Wir kommen zu dem Zusatzpunkt zur Tagesordnung gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 28. September 1977. Ich rufe auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz
Drucksachen 8/935, 8/943, 8/944, 8/945 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Weber
Abgeordneter Hartmann
Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Die Berichterstatter wünschen das Wort nicht.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Hartmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, namens der Fraktion der CDU/CSU folgendes auszuführen.Der Herr Bundeskanzler hat ausweislich der Presseberichterstattung vor der Fraktion seiner Partei mit dem Hinweis auf — angeblich neue — Erkenntnisse in den Haftanstalten seine und der Bundesregierung Überzeugung unterstrichen, daß es in besonderen Gefahrenlagen — und eine solche ist der akute Entführungsfall Hanns Martin Schleyer — unabweisbar notwendig sei, jedweden Kontakt von Häftlingen untereinander und mit der Außenwelt einschließlich des Verteidigerverkehrs zeitweise zu unterbrechen. Da diese Überzeugung offenbar mehrheitlich auch in allen Fraktionen dieses Hauses herrscht — in meiner Fraktion einstimmig, wievielstimmig in den Koalitionsfraktionen, wird sich bei der heutigen namentlichen Abstimmung erweisen —, haben diese einen entsprechenden, von der Bundesregierung ausgearbeiteten Gesetzentwurf zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz übernommen und interfraktionell im Bundestag eingebracht.Der Gesetzentwurf wurde in erster Lesung dem Rechtsausschuß überwiesen, der seine sorgfältig erarbeitete Beschlußempfehlung in Gestalt der Drucksache 8/943 vorgelegt hat. Ich verweise auch auf den Inhalt des ausgedruckten Ausschußberichtes hierzu.Der vorgelegte Gesetzentwurf sieht Rechtsvorschriften vor, mit denen die Voraussetzungen konkretisiert werden, unter denen die Unterbrechung des Kontaktes von Inhaftierten untereinander und mit der Außenwelt zulässig ist — bis hin zur Unter-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3367
Hartmannbrechung j e d w e der Verbindung von Inhaftierten untereinander und mit der Außenwelt, einschließlich des schriftlichen und mündlichen Verkehrs mit dem Verteidiger —, Rechtsvorschriften ferner, mit denen die Zuständigkeit für eine Feststellung, daß die Voraussetzungen einer Kontaktunterbrechung vorliegen, der Landesregierung bzw. der von ihr bestimmten obersten Landesbehörde und im Interesse eines einheitlichen Vorgehens dem Bundesminister der Justiz übertragen wird, Vorschriften überdies, mit denen nachteilige Folgen einer Kontaktunterbrechung für die Betroffenen vermieden werden, mit denen das Erfordernis einer gerichtlichen Bestätigung, der Feststellung, daß die Voraussetzungen einer Kontaktunterbrechung vorliegen, aufgestellt wird und mit denen dem einzelnen Betroffenen ein wirksamer Rechtsschutz gegen die Feststellung konkretisierender Maßnahmen garantiert wird. Der Gesetzentwurf enthält auch eine Überleitungsregelung, wie hinsichtlich bereits getroffener Maßnahmen zur Kontaktunterbrechung weiter zu verfahren ist. Damit keine Mißverständnisse auftreten: Es bedarf bei den bereits getroffenen Maßnahmen keines nachträglichen Nachschiebens von materiellen Rechtsgrundlagen. Bereits vollzogene Maßnahmen sind, wie der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes mit seinem Beschluß vom 23. September 1977 klargestellt hat, auf Grund der gebotenen Rechtsgüterabwägung Rechtens. Es ist jedoch erforderlich, die Voraussetzungen, die Rechtsfolgen, das Verfahren und den Rechtsschutz bei einer Kontaktunterbrechung im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit in der Zukunft gesetzlich zu regeln.Die Möglichkeit der Kontaktunterbrechung in besonderen Gefahrenlagen ist kein Ausnahmerecht, mit welchem rechtsstaatliche Prinzipien suspendiert werden sollen. Sie ist vielmehr eines der gebotenen rechtsstaatlichen Instrumente zur Abwehr schwerster Gefahren und zum Schutz höchster Rechtsgüter, gewiß außergewöhnlich und weitgehend, aber verfassungskonform. Uns allen wäre es lieber, wenn unser Staat nicht gezwungen wäre, zu solchen Notwehrmaßnahmen zu greifen. Bekanntlich aber ist Notwehr diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen Angriff abzuwehren.Bei aller gebotenen Zurückhaltung in der gegenwärtigen Situation, die auch die Beratungen im Rechtsausschuß bestimmt hat, was ich sehr dankbar anerkenne, kann ich mich einer Bemerkung nicht enthalten: Die hochgefährliche Konspiration aus den Haftanstalten heraus, in die Haftanstalten hinein, zwischen den Haftanstalten und innerhalb derselben, vor allem auf dem Wege über, das gesetzliche Verkehrsrecht mißbrauchende, Verteidiger, ist keine Erscheinung, die vom Himmel gefallen und erst im akuten Entführungsfall Schleyer offenkundig geworden ist.
Es gibt sie seit Jahren. Sie ist mehr und mehr ins Kraut geschossen. Und noch etwas: Zum Mißbrauch von Rechten gehören zwei Seiten: diejenigen, die Mißbrauch treiben, und diejenigen, die sich das gefallen lassen, ohne dagegen mit den gebotenenMitteln einzuschreiten. Wer den Dingen allzulange freien Lauf läßt, muß um so schärfer bremsen, wenn er die Katastrophe verhindern will.Meine Fraktion hat sich an der interfraktionellen Gesetzeseinbringung beteiligt und wird der heute zur Abstimmung stehenden Vorlage zustimmen, weil die auch vom Bundesgerichtshof angestellte Rechtsgüterabwägung dies gebietet. Dieses Rechtsprinzip besagt im vorliegenden Fall, daß gegenüber dem Schutz von Leben, Gesundheit und Freiheit das Recht auf unbeeinträchtigte Außenweltkontakte von Inhaftierten einschließlich des Verkehrs mit dem Verteidiger zurückzutreten hat. Wir stimmen auch als diejenigen dieser Beschlußempfehlung zu, denen man bisher immer vorgeworfen hat, Gesetzesänderungen zur besseren Bekämpfung des Terrorismus und der Gewaltkriminalität mit „heißer Nadel nähen" zu wollen. Das Tempo dieses Gesetzgebungsverfahrens steht in keinem Verhältnis zu der Geschwindigkeit, mit welcher unsere Gesetzesvorschläge bisher behandelt worden sind.
Nichtsdestoweniger weist der vorliegende Entwurf aus, daß trotz hoher Eile sorgfältige Gesetzgebungsarbeit geleistet werden kann.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir, die CDU/CSU-Opposition dieses Hauses, hoffen, daß die Solidarität im sachlichen und verfahrensmäßigen Handeln, die wir in diesem Gesetzgebungsverfahren bewiesen haben, von seiten der Koalition bei der weiteren Behandlung unserer Vorschläge ebenfalls geübt wird.
Auch unsere Vorschläge beruhen samt und sonders auf einer sorgfältig angestellten rechtsstaatlichen Güterabwägung.Folgende Bemerkung zum Schluß: Das Problem unseres jungen demokratischen Staatswesens ist es, daß wir Liberalität einerseits und wehrhaften Gebrauch rechtsstaatlicher Macht andererseits noch nicht vollständig auf ein und denselben Nenner gebracht haben, und zwar zu Lasten des wehrhaften Gebrauchs rechtsstaatlicher Macht. Diese Unsicherheit im Selbstverständnis unseres Staates wird von den Feinden unserer Ordnung ausgenutzt.Nur wenn unser Staat seinen Feinden entschlossen gegenübertritt, kann er die Freiräume der rechtstreuen Bürger auf Dauer bewahren. Selbsterhaltung und Notwehr sind kein Rückfall in den Polizeistaat!
Lassen Sie mich mit einem Wort von Perikles schließen: „Das Geheimnis des Glückes ist die Freiheit, das Geheimnis der Freiheit ist der Mut", — der Mut, meine Damen und Herren, die Freiheit und das Recht, die Unterpfande unseres Glücks, entschlossen zu verteidigen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weber .
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf mit diesem einfachen Titel „Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz" hat dieses Parlament begonnen, die aus den jüngsten Erfahrungen mit terroristischen Anschlägen gewonnenen Erkenntnisse in Maßnahmen umzusetzen, die dem uns erteilten Auftrag gerecht werden, diese Verfassung und dieses Land zu schützen.Es wäre aber unredlich, wenn wir bei den Bürgern draußen den Eindruck erwecken wollten, als könnten wir mit diesem Gesetz oder einem anderen noch so perfekten Gesetz terroristische Anschläge unmöglich machen. Das schreckliche Drama von Köln ist eine Herausforderung an uns alle.
Dieser Herausforderung müssen wir mit Besonnenheit begegnen, aber, wie dieses Gesetz zeigt, auch mit allen verfassungsrechtlich zulässigen Maßnahmen.
Wir sind entschlossen, wie der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 15. September dieses Jahres ausgeführt hat, diesen Staat nicht unterminieren zu lassen, weil dieser Staat nicht ohnmächtig ist. Die Sozialdemokraten sind entschlossen, den inneren Frieden und die politische Stabilität in unserem Lande zu erhalten. Es kommt darauf an, unter exakter Wahrung des Verfassungsauftrags die Eindämmung des Terrorismus zu vollziehen. Wir Sozialdemokraten konzentrieren uns mit den uns zu Gebote stehenden Mitteln auf die Verteidigung und den Schutz der Freiheit gegen den Terror.Wir lassen diese unsere Bereitschaft nicht von anderen in Zweifel ziehen und sind deshalb auch bereit, die freiheitlichen Rechte einiger weniger; die diese Rechte mißbraucht haben, in verfassungsrechtlich zulässiger Weise einzuengen,
um die Rechte, um die Freiheit, um die soziale Sicherheit, die den Menschen unseres Landes eröffnet worden sind, im Gesamten zu erhalten. Der Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages, der Bundesverfassungsrichter Dr. Simon, hat dazu ausgeführt — ich möchte mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, wörtlich zitieren Der Terrorismus ist in demokratischen Staaten besonders gefährlich; denn auf der einen Seite entsteht die Gefahr, daß das Vertrauen des Bürgers in die Handlungsfähigkeit des Staates schwindet, und umgekehrt kann er den liberalen Staat zu Handlungen nötigen, die er eigentlich nicht ergreifen möchte.Wir Sozialdemokraten sind bereit, freiheitliche Rechte einiger weniger auf Zeit einzuengen, wenn dies notwendig ist, um dadurch die garantierten Freiheitsrechte, die Unversehrtheit von Leib und Leben anderer Bürger dieses Landes so weit wie möglich zu schützen.
Dieses Gesetz soll helfen, unsere Politik zu stützen. Das Neue an diesem Gesetz ist nicht, daß wir Recht ändern, sondern vielmehr, daß es Terroristen in diesem Lande gibt.
Auf diesem Hintergrund haben wir Sozialdemokraten gehandelt und tragen dieses Gesetz, das wir hier im Bundestag mit eingebracht haben, mit. Lassen Sie mich die Gründe dafür nennen.Erstens. Die Ereignisse der letzten Zeit haben gezeigt, daß eine Kommunikation zwischen inhaftierten und sich noch in Freiheit befindlichen Terroristen unmittelbar das Leben, die Gesundheit und die Freiheit von Personen gefährden und den Entscheidungsspielraum staatlicher Stellen in erheblichem Umfange beeinträchtigen kann. Zwischen diesen Gruppen bestehen mannigfaltige Beziehungen. Wir haben Beweise dafür. Zur Abwendung dieser Gefahr und zum Schutze höchster Rechtsgüter kann es notwendig werden, jedwede Verbindung von Gefangenen untereinander und mit der Außenwelt zeitweilig zu unterbinden. Wir müssen diesen Staat deshalb in die Lage versetzen, Leben zu schützen, die durch terroristische Anschläge herbeigeführte außerordentliche Situation zu bewältigen und dieser Herausforderung entschieden entgegenzutreten. Meine Damen und Herren, wer nicht bereit ist, dies mit zu vollziehen, kann sich nicht dem Vorwurf entziehen, eine Säumnis begangen zu haben.
Zweitens. Wir brauchen dieses Gesetz, weil wir eine effiziente, schnell wirksame Regelung benötitigen, die nicht allein durch die Justizvollzugsorgane oder die Gerichte gewährleistet werden kann, sondern die den politischen Instanzen unseres Landes übertragen werden muß. Wir, die wir verpflichtet sind, diesen Staat mit zu schützen, müssen auch die Verantwortung hierfür übernehmen.
Drittens. Dieses Gesetz schafft aus rechtsstaatlichen Gründen eine eindeutige Regelung, die für den schwerwiegenden Eingriff klar abgegrenzte, fest umrissene Tatbestände vorsieht. Sie vermeidet eine Ausuferung, die die Generalklausel des § 34 des Strafgesetzbuches nicht verhindern kann. Dieser Staat befindet sich nicht in einem Staatsnotstand. Wir wollen deshalb auch nicht den übergesetzlichen Notstand durch die Gerichte strapazieren lassen, sondern wir wollen selbst ausnahmslos, vollständig und unverbrüchlich den Inhalt unserer Verfassung ausschöpfen. Wir müssen deshalb selbst auch die Grenzen abstecken, derart, wie sie der Bundesgerichtshof in seinem Beschluß vom 23. September 1977 in folgendem Leitsatz formuliert hat — ich zitiere —: „Es entspricht einem allgemeinen Rechtsgedanken, daß die Verletzung eines Rechts in Kauf genommen werden muß, wenn es nur so möglich ist, ein höheres Rechtsgut zu retten."Dieses Gesetz, meine Damen und Herren, ist also notwendig. Wir verstehen alle diejenigen, die Sorge bei diesem Gesetz empfinden, sowohl in diesem
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Dx. Weber
Raum als auch außerhalb, weil nach ihrer Meinung freiheitliche Errungenschaften im Strafprozeß und Strafvollzug gefährdet sind. Wir haben deshalb alle diese Argumente sehr ernst genommen. Dazu gehören auch die Erwägungen der Bundesrechtsanwaltskammer. Aber wir bitten auch diese, daran mitzuwirken, daß Anwälte, die sich außerhalb der Rechtsordnung stellen und gestellt haben, schnell und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln aus der Anwaltschaft ausgeschlossen werden,
um damit die Grundlage jeder Konspiration zu verhindern. Wir erwarten von Anwälten nicht Untertanengeist. Wir erwarten aber, daß Anwälte nicht mit Feinden dieses Rechtsstaats „kumpanieren", um gegen diesen Staat zu konspirieren
und die verfassungsmäßige Institution der Gerichte und der Rechtsordnung zu sabotieren. Deshalb begrüßen wir, meine Damen und Herren, die Erklärung des Hauptgeschäftsführers des Deutschen Anwaltsvereins, der dieses Gesetz als eine zwar bittere, aber notwendige Arznei bezeichnet hat.Viertens. Dieses Gesetz richtet sich nicht gegen Rechtsanwälte im allgemeinen oder gegen Angehörige von Terroristen. Aber es richtet sich gegen alle, die durch Handlungen und Erklärungen das Leben oder die Freiheit von Personen gefährden. Dieses Gesetz enthält tatbestandsmäßig klar aufgezeigte Eingriffsmöglichkeiten. Wir haben insbesondere im Verlauf der Beratungen des Rechtsausschusses diese Mittel-Zweck-Relation durch das Wort „geboten" verdeutlicht und strenge Kausalitätsanforderungen gestellt.Fünftens. Wir haben dieses Gesetz auf den notwendigen, aber auch ausreichenden Eingriff beschränkt und eine Güterabwägung vorgenommen. Das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit des einzelnen sind uns mehr wert und müssen uns mehr wert sein als die Berufung auf prozessuale Freiheitsrechte derjenigen, die diese Freiheit mißbrauchen,
ohne daß wir ihnen die zustehenden Rechte verweigern.Wir wollen diesen Staat, weil wir ihn selber aufgebaut haben, meine Damen und Herren, weil manche von uns, die hier sitzen, diesen Staat noch mit körperlichen und seelischen Opfern mit erkämpft haben und weil wir wissen, daß die Bürger in unserem Land hinter uns und hinter diesem Staat stehen.Sechstens. Wir beschränken die Rechte der Gefangenen, d. h. wir untersagen jede Verbindung der Gefangenen untereinander und mit der Außenwelt einschließlich des schriftlichen und mündlichen Verkehrs mit dem Verteidiger, wenn dies zur Abwehr der Gefahr geboten ist. Wir müssen die Abschottung aber nicht nur auf die Gefangenen beziehen, die wegen einer Straftat nach § 129 a StBG rechtskräftig verurteilt sind oder gegen die ein Haftbefehl wegen eines Verdachts einer solchen Straftat besteht, sondern auch auf die Gefangenen, die wegen einer anderen Tat einsitzen, bei denen aber der dringende Verdacht besteht, daß sie diese Tat im Zusammenhang mit einer Tat nach § 129 a StGB begangen haben.Gefangene werden durch dieses Gesetz nicht rechtlos und verlieren keine Rechte auf Dauer. Alle laufenden Fristen werden gehemmt, das rechtliche Gehör wird gewährt, die freie Anwaltswahl wird gewährleistet, Listenverteidiger gibt es nicht. Aber es wird verhindert, daß Gefangene durch das Zusammentreffen mit anderen Personen Kenntnisse sammeln oder weitergeben können, die höchste Rechtsgüter wie Leben, Leib oder Freiheit in höchste Gefahr bringen.Diese Feststellung wird auf das notwendige Maß beschränkt. Sie muß darüber hinaus innerhalb von zwei Wochen nach ihrem Erlaß gerichtlich bestätigt werden. Diese bestätigte Feststellung kann nur erneut getroffen werden, wenn ihre Voraussetzungen noch vorliegen oder, wenn sie nicht bestätigt ist, neue Tatsachen diese erfordern. In den Art. 2 und 3 schaffen wir Übergangsbestimmungen, die sicherstellen, daß die Bestimmungen dieses Gesetzes wegen einer anderen bis zu diesem Gesetz geltenden Rechtslage nicht unterlaufen werden können und die in der Vergangenheit begründeten Feststellungen auf den Boden dieses Gesetzes gestellt werden.Lassen Sie mich letztlich sagen: Dieses Parlament, sein Rechtsausschuß haben bewiesen, daß sie schnell und wirksam handeln können.
Die Mitarbeiter — das auszusprechen ist mir ein Herzensbedürfnis — dieses Hauses und des Justizministeriums haben bis an die Grenze ihrer psychischen und physischen Belastbarkeit gearbeitet, um dieses Gesetz mitzuschaffen und die rechtzeitige Verabschiedung zu ermöglichen. Dafür möchte ich ihnen danken.Ich möchte Sie bitten, diesem Gesetz zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als dritter Sprecher im Kreis der Fraktionen dieses Hauses kann ich mich kurz fassen.Neue Situationen erfordern neue Antworten. Ich habe erst kürzlich, am 15. September 1977, bei der Aussprache nach der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers darauf aufmerksam gemacht, daß mancher draußen im Lande die bange Frage stellt, ob dieses System, ob diese Demokratie für außergewöhnliche Herausforderungen auch außergewöhnliche Antworten bereithält. Mit dem vorliegenden Entwurf geben wir diese Antwort; zugegebenermaßen eine nicht alltägliche Antwort, eine, wenn man so will, außergewöhnliche Antwort, aber eine Antwort in den Grenzen und auf dem Boden unserer rechtsstaatlichen Ordnung.
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3370 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
EngelhardEs gilt, die Rechtsgüterabwägung zwischen der gegenwärtigen Gefahr für Freiheit und Leben eines oder mehrerer unserer Bürger und dem Nachteil vorzunehmen, daß wir etwa für eine gewisse Zeit darauf werden verzichten müssen, Hauptverhandlungen fortzuführen; alles Dinge, für die wir nicht die Bedingungen gesetzt haben, mit denen konfrontiert uns aber eine Antwort abgenötigt wird. Mit dem vorliegenden Entwurf, von allen drei Fraktionen dieses Hauses eingebracht, wird diese Antwort gegeben und gleichzeitig dem Bürger draußen, der emotionalisiert ist, der zu Recht verunsichert ist, gesagt: Das ist dein Staat, der dich unter seinen Schutz stellt, kein schwacher Staat, keine Schönwetterdemokratie oder was immer, sondern ein Staat, der nicht umkippt, der auf dem Boden des geltenden Rechts bleibt, der aber auch flexibel und weitschauend genug ist, um zu erkennen, was die Stunde gebietet.Manche mögen jetzt die Frage stellen, ob man 'in einigen Bereichen bei den einzelnen Bestimmungen nicht zu weit gegangen sei. Wir mußten, um den Zweck zu erreichen, den Täterkreis weit fassen, um dafür Sorge zu tragen, daß alle Häftlinge, die der terroristischen Szene zuzurechnen sind, keine Kontakte mehr nach draußen unterhalten können. Es ist auch eine klare Kompetenz geschaffen worden, um alle notwendigen Mittel in ,der Hand zu haben, um in der Stunde der Not schnell zu reagieren. Daß das in unserem föderalistischen Staatswesen nach sehr eingehenden Beratungen gemeinsam mit den Ländern möglich war, dafür müssen wir dankbar sein. Dieser föderalistische Staat sieht die Notwendigkeiten des Tages und der Stunde sehr deutlich und weiß, daß es hier notwendig ist, nicht im Gang sonst breit gepflogener demokratischer Beratungen, sondern mit hartem Zupacken innerhalb weniger Stunden Entscheidungen zu treffen, dann aber auch eine solche Entscheidung der rechtsstaatlichen Kontrolle eines Gerichts zu unterwerfen.Es ist bekannt, daß damit nicht alle Bedenken ausgestanden sind. Die Motive für solche Bedenken in diesem Hause sind engagierter und ehrenwerter Natur. Sie wissen, daß meine Fraktion einen Antrag einbringen wird; die Gründe dafür wird ein anderer Kollege darlegen.
Ich sage Ihnen namens der Fraktion der FDP mit aller Klarheit: Welches Schicksal und welche Aufnahme in diesem Haus dieser Antrag auch immer finden wird, die Fraktion der Freien Demokraten wird diesen Entwurf tragen, sie wird diesem Entwurf zustimmen. Sie wird deutlich machen, daß wir ebenso wie andere Mitglieder dieses Hauses der Meinung sind, daß der Rechtsstaat die notwendigen Antworten bereithalten muß, daß der liberale Rechtsstaat, die liberale Demokratie, in den Verfassungskämpfen des letzten Jahrhunderts errungen, erkämpft von den Liberalen, diese Liberalen heute in der Bereitschaft sieht, auf eine neue Dimension des Verbrechens eine klare, griffige Antwort auf dem Boden unserer Ordnung zu finden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Kölner Morden und der Entführung von Hanns Martin Schleyer ist eine besondere Gefahrenlage entstanden, die es zwingend geboten erscheinen ließ, zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr die Kontakte bestimmter Untersuchungs- und Strafgefangener mit der Außenwelt und untereinander vollständig zu unterbrechen. Die dafür erforderlichen Maßnahmen sind alsbald nach dem Anschlag von den Landesjustizverwaltungen im Einvernehmen mit dem Bundesjustizminister getroffen worden. Die Justizverwaltungen haben sich dabei überwiegend auf den Rechtsgedanken gestützt, 'der in § 34 des Strafgesetzbuches und §§ 228 und 904 BGB seinen Niederschlag gefunden hat. Nach Auffassung der Bundesregierung 'ist es unabweisbar, für diese Maßnahmen so schnell wie möglich eine eindeutige gesetzliche Regelung zu schaffen. Dafür sind insbesondere drei Gründe maßgebend. Erstens. Die Auffassung, ob § 34 in Anspruch genommen werden kann, ist nicht einheitlich. Es gibt eine nicht unerhebliche Gegenmeinung. Die Bundesregierung ist jedenfalls der Meinung, daß die Inanspruchnahme dieses Rechtsgedankens nicht länger dauern und nicht weiter reichen darf, als die Umstände es zwingend erfordern. Wir bedürfen zweitens für Maßnahmen dieser Art einer wirksamen und einheitlichen gerichtlichen Kontrolle. Wir bedürfen zum dritten der Gewähr, daß derartige Maßnahmen im Geltungsgebiet des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung von allen Bundesländern einheitlich gehandhabt werden.Aus diesen Erwägungen heraus hat die Bundesregierung zu Beginn dieser Woche einen Gesetzestext als Formulierungshilfe erarbeitet, der von den drei Fraktionen des Deutschen Bundestages dem gemeinsam eingebrachten Initiativentwurf zugrunde gelegt worden ist. Nur diese Erwägungen rechtfertigen es auch, daß die Vorlage mit der Beschleunigung behandelt worden ist, die wir in dieser Woche erlebt haben.Die jetzt zur Verabschiedung unterbreitete Vorlage in der Fassung des Rechtsausschusses findet die uneingeschränkte Zustimmung der Bundesregierung. Sie gibt den Verantwortlichen die in besonderen Gefahrenlagen notwendigen Handhaben. Sie entspricht dem Rechtstaatsgebot unserer Verfassung, von dem abzuweichen kein Verantwortungsbewußter gesonnen sein kann. Diese Feststellung gilt auch für die Umschreibung des Eingriffstatbestandes des § 31. Die dort genannte Kategorie von Gefangenen, für die bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen die Unterbrechung des Verkehrs Platz greifen kann, umfaßt gegenwärtig 90 Häftlinge, die sich wegen terroristischer Aktivitäten in Straf- oder Untersuchungshaft befinden. Für die zahlenmäßig größere Gruppe derer, die wegen Mordes oder Totschlags in Untersuchungshaft sind oder zu Strafe verurteilt wurden und bei denen kein Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten besteht, kommt die Unterbrechung nur im Einzelfall in Be-
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Bundesminister Dr. Vogeltracht, wenn konkrete Bezüge zu der jeweiligen besonderen Gefahrenlage erkennbar sind.Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, namens der Bundesregierung danke ich allen, die in dieser Woche unter Anspannung ihrer Kräfte am Zustandekommen dieses Gesetzes mitgewirkt haben. Die Bundesrepublik hat damit ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt und das Erforderliche ebenso besonnen wie entschlossen getan. Die Verfassungsorgane dieser Republik werden ihre Pflicht unter diesen Gesichtspunkten und Maximen auch künftig tun.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Coppik.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute ein Gesetz, das erst gestern in diesem Bundestag eingebracht wurde und dessen endgültiger Wortlaut den Abgeordneten sogar erst heute früh, also vor wenigen Stunden, vorgelegt wurde. Bei einem wichtigen Gesetz ist das ein ungewöhnlicher, ja, ein einmaliger Vorgang.
Da bei diesem Gesetz Grundfragen des Verhältnisses von rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien und den Notwendigkeiten der Terrorismusbekämpfung angesprochen werden, macht die Geschwindigkeit der Verabschiedung es um so notwendiger, alle hier zu berücksichtigenden Gesichtspunkte mit aller Sorgfalt abzuwägen. Die Sorgfalt und die Nüchternheit dieser Abwägung werden dadurch zusätzlich erschwert, daß wir dieses Gesetz in einer außerordentlichen Situation beraten. Die Morde von Köln und in den Niederlanden und die ungeklärte Situation im Entführungsfall Schleyer haben eine breite Welle berechtigter Empörung in der Bevölkerung hervorgerufen. In einer solchen Situation ist es außerordentlich schwer, Gehör für Argumente zu finden, die für Besonnenheit werben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stark ?
Nein; ich bedaure. Ich möchte keine Zwischenfragen gestatten.
Es ist außerordentlich schwer, Gehör für Argumente zu finden, die für Besonnenheit werben.
Da ist es viel einfacher, mit einer Handbewegungüber solche Argumente hinwegzugehen und, demGefühl folgend, mehr Härte zu verlangen, auch dann, wenn man bei sorgfältiger Prüfung feststellen würde, daß diese Härte zwar nichts verhindern, aber die Erscheinungsformen dieses Staates schrittweise so umgestalten kann, daß seine rechtsstaatlichen Grundstrukturen in Gefahr geraten.
Damit keine Mißverständnisse aufkommen, möchte ich an dieser Stelle eine Bemerkung machen, die mir infolge der bisherigen öffentlichen Diskussion erforderlich zu sein scheint, bei der seitens einiger Oppositionspolitiker der verantwortungslose Versuch unternommen wurde, alle, die sich mit dem Problem des Terrorismus differenziert auseinandersetzen,
alle, die nicht nach Popularität, sondern nach der Vernunft ihre Meinung bilden,
als Sympathisanten, geistiges Umfeld und ähnliches zu diffamieren.
— Man merkt, wie schwer es für Sie offensichtlich ist, Argumente anzuhören.
Damit Sie es nicht zu einfach haben,
sage ich hier ganz deutlich: Als demokratischer Sozialist lehne ich Mord, Terror und überhaupt Gewalt in einer parlamentarischen Demokratie ab, und zwar ohne jedes Wenn und Aber.
Das Ziel einer humanen, einer sozialistischen Gesellschaft ist mit den Mitteln des Mordes und des Verbrechens weder vereinbar noch erreichbar.
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CoppikTerror nutzt objektiv nur den Kräften der Reaktion.
Mit ihren Schüssen schafft die RAF die Stimmung, die die Reaktionäre in unserem Land brauchen, um das kaputtzumachen, was in vielen Jahren mühsam an demokratischen Errungenschaften und rechtsstaatlichen Garantien erkämpft wurde. Auch deshalb bin ich gegen Gewalt und Terror. Aber auch deshalb,
damit diese Rechnung der Terroristen nicht aufgeht, bin ich gegen jeden Abbau der Freiheitsrechte in unserem Land, und deshalb bin ich auch gegen dieses Gesetz.
Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen bei terroristischen Anschlägen die Gefangenen, die der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung verdächtigt werden, von jeder Verbindung untereinander und mit der Außenwelt isoliert werden. Das hört sich zunächst unproblematisch an. Die Probleme werden aber besonders deutlich, wenn man bedenkt, daß diese Regelung auch für die nach einem solchen Anschlag neu Verhafteten gilt. Und wer da auch noch sagt: „Was geht das mich an? Ich habe nichts mit Terroristen zu tun!", dem muß deutlich gesagt werden, daß nach dem neuen Gesetz niemand, und sei er noch so unschuldig, davor sicher sein kann, etwa auf Grund einer Denunziation verhaftet zu werden und für Wochen und Monate ohne jeden Kontakt zu einem Rechtsanwalt
oder auch nur zu seinen Familienangehörigen in einem Gefängnis zu verschwinden.
Ich halte das unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten für unerträglich.
Inzwischen liegt uns ein Änderungsantrag vor, der sich mit dieser Kernproblematik befaßt. Es ist nicht möglich, jetzt etwas zu diesem Antrag zu sagen, zumal da er uns erst seit ganz kurzer Zeit vorliegt und die Aussichten seiner Annahme von mir jetzt nicht zu beurteilen sind, wobei immer noch die Frage ist, welche Zielsetzung diesem Gesetz dann verbleibt. Ich muß von dem ausgehen, was uns hier als Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses vorliegt.
Es ist nun einmal so, daß die Möglichkeit, sich im Falle der Verhaftung mit einem Rechtsanwalt eigener Wahl in Verbindung zu setzen, zu den grundlegenden Bedingungen eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens gehört. Ich bezweifle, ob der Ausschluß dieser Möglichkeit überhaupt mit den Bestimmungen der Menschenrechtskonvention vereinbar ist.Meine Damen und Herren, daß auch ein Unschuldiger verhaftet werden kann, ist doch nicht nur eine theoretische Möglichkeit; das wissen wir doch alle. Dieser Unschuldige kann dann über einen längeren Zeitraum ohne Kontakt im Gefängnis sitzen, denn das Gesetz kennt ja keine feste zeitliche Begrenzung. Die Feststellung, daß die Isolation notwendig sei, kann ja mehrfach wiederholt werden.
Ich bin davon überzeugt, daß in solchen Fällen die neue Regelung dazu führen würde, daß das Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat auf das tiefste erschüttert und damit letztlich jenen Kräften in die Hände gearbeitet würde, die diesen Staat ohnehin für verdammenswert halten und zur Gewaltanwendung aufrufen.Nun wird dagegen argumentiert, man sehe die Gefahren dieser Regelung, aber schließlich müsse man abwägen zwischen den Kontaktbedürfnissen der Gefangenen auf der einen Seite und der Lebensbedrohung auf der anderen Seite. Da könne man sich nur für die Lebensrettung entscheiden. Ich glaube nicht, daß diese Argumentation den Kern der Sache trifft, und zwar nicht nur deshalb, weil man sehr daran zweifeln kann, ob die Isolation von Gefangenen wirklich hilft, das Leben einer Geisel zu retten, die schließlich nicht in der Gewalt von Gefangenen, sondern von in Freiheit befindlichen Terroristen ist.Aber unabhängig davon halte ich insgesamt die Abwägung „hier Leben eines Menschen, dort rechtsstaatliche Grundprinzipien" für nicht möglich. Die Aufgabe rechtsstaatlicher Grundprinzipien rettet nämlich kein Menschenleben, schafft aber Lebensverhältnisse, in denen die friedliche demokratische Entwicklung in einem Rechtsstaat gefährdet wird und damit weitere Menschenleben in Gefahr geraten.
Meine Damen und Herren, der Kampf gegen den Terrorismus wird nicht durch Sondergesetze gewonnen, sondern durch eine entschlossene Anwendung des geltenden Rechts, verbunden mit einem glaubwürdigen und überzeugenden Einstehen für rechtsstaatliche Prinzipien und einem unermüdlichen Kampf für mehr soziale Gerechtigkeit im Inland und in den internationalen Beziehungen.
Nur wenn junge sozial engagierte Menschen darauf vertrauen können, daß es im parlamentarischen Bereich Kräfte gibt, die diesen Weg ohne Rücksicht auf opportunistische Überlegungen kompromißlos gehen, werden sie gegen Gewaltpredigten falscher Propheten immun sein.Was Gesetze betrifft: Die Opposition beklagt immer, daß bestimmte von ihr vorgeschlagene Gesetze
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Coppikbisher nicht verabschiedet wurden. Ich glaube eher, daß wir da schon zuviel Gesetze gemacht haben.
Ich sage das ganz selbstkritisch. Ich bin z. B. davon überzeugt, daß es falsch war, einen -§ 88 a zu schaffen, der die Diskussion um Gewalt einem strafrechtlichen Risiko ausgesetzt hat.
Je mehr man nämlich das Vorfeld kriminalisiert, je mehr man Menschen davon. abbringt, zu sagen, was sie über Gewalt denken,
desto mehr beraubt man sich der Chance, sie zuüberzeugen, welcher Wahnsinn es ist, Gewalt ineiner parlamentarischen Demokratie anzuwenden.
Je mehr man die Meinungsfreiheit einschränkt, je mehr man die Gesprächsbereitschaft und die Gesprächsfähigkeit einer Gesellschaft einschränkt, desto mehr fördert man die Bereitschaft isolierter Gruppen zur Gewaltanwendung. Je weniger über die Legitimität von Gewalt diskutiert wird, desto eher wird geschossen.Deshalb: Wenn es überhaupt noch eine Chance gibt, diesen furchtbaren Kreislauf von Terror, Angst, Repression, Abbau von Freiheitsrechten und neuem Terror zu unterbrechen, dann nur dadurch, wenn möglichst viele aufstehen und laut und kompromißlos sagen: Nein zu Terror und Gewalt und Nein zum Abbau der Freiheitsrechte und des Rechtsstaats.
Deshalb appelliere ich jetzt von dieser Stelle an alle Gewerkschaftler, Hochschullehrer, Schriftsteller, Journalisten: Vertreten Sie offensiv diese Position, so schwer das auch sein mag! Lassen Sie sich weder durch eine Progromstimmung noch durch disziplinarische oder sonstige Drohungen davon abbringen!
Lassen Sie sich nicht durch diese Stimmung davon abbringen, für Vernunft und Menschlichkeit zu kämpfen! Sie sind nicht allein.Ich appelliere auch an die Richter: Wahren Sie Ihre Unabhängigkeit! Entscheiden Sie nach Recht und Gesetz, und lassen Sie sich nicht durch politische Stimmungsmache beeinflussen, so schwer das auch in bestimmten Situationen sein mag!Ich appelliere an alle, die in den 60er Jahren angetreten sind, eine bessere, eine humanere Welt aufzubauen,
und die für den Reformschwung gesorgt haben, der sich seinerzeit so positiv ausgewirkt hat, jetzt zusammenzustehen und nicht all das zu vergessen, was uns damals zusammengeführt hat. Nur dann haben wir eine Chance.Gemeinsam mit meinen Kollegen Hansen, Lattmann und Thüsing sage ich Nein zu diesem Gesetz. Dieses Nein ist ein Ja zum freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich schließe die allgemeine Aussprache in der zweiten Lesung. Wir kommen zur Abstimmung in der zweiten Lesung.
Ich rufe Art. 1, §§ 31, 32 und 33 auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Drei Gegenstimmen. Wer enthält sich? — Mehrere Enthaltung auf seiten der SPD und der FDP.
Zu § 34 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor. Zur Begründung wünscht der Abgeordnete Bangemann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wissen alle, daß die Gewaltakte der Terroristen sich nicht nur gegen Leben, Freiheit und Gesundheit einzelner Bürger richten, sondern auch gegen den Rechtsstaat insgesamt. Diesen Angriff wollen wir abwehren — so schwer die Abwehr des Angriffs gegen Leben, Gesundheit und Freiheit einzelner auch sein mag —, denn diese Abwehr ist die Grundlage dafür, daß wir einen Angriff auf Leben, Freiheit und Gesundheit von einzelnen Bürgern abwenden können. Nur wenn wir den Rechtsstaat insgesamt verteidigen, ist auch eine Grundlage vorhanden, auf der Angriffe gegen Rechtsgüter einzelner Bürger abgewehrt werden können.
Dazu ist unter uns eines notwendig, und das sage ich insbesondere dem Kollegen Coppik: dazu ist sehr viel Nüchternheit notwendig und wenig Pathos, dazu ist notwendig, daß wir den Versuch machen, zu prüfen, was die Maßnahmen bedeuten, die wir in der Gewißheit vorschlagen, daß wir uns in den Zielen einig sind.Wenn wir zunächst einmal diese Grundlage legen, dann darf ich für meine Fraktion hier erklären, daß wir die Notwendigkeit des Gesetzentwurfs bejahen, wie wir auch das Verfahren bejahen, zu dem wir, wie der Bundesjustizminister das richtig gesagt hat, in einer Notwehrsituation der Demokratie des Rechtsstaates gezwungen sind. Damit ist, glaube ich, zunächst einmal eine Grundlage gelegt, die niemand in diesem Hause bezweifeln sollte. Von da aus kann man auch mit der notwendigen Besonnenheit prüfen, wo ein Gesetzentwurf dieses Ziel durch Maßnahmen erschwert, die unnötig sind oder die man besser gestalten kann.
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3374 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Dr. BangemannMit einer solchen Änderung befaßt sich unser Änderungsantrag.Es geht in diesem Gesetz nicht darum, daß Haftgründe erweitert werden. Es könnte nach dem Beispiel, das der Kollege Coppik verwendet hat, der Eindruck entstanden sein, daß hier Haftgründe erweitert werden sollen. Das ist ausdrücklich nicht der Fall, meine Damen und Herren.Allerdings ist dieses Gesetz eine erhebliche Einschränkung der Möglichkeit der Verteidigung. Ich glaube, daran besteht auch kein Zweifel. Also müssen wir prüfen: Ist diese Einschränkung durch den Zweck des Gesetzes gerechtfertigt, oder geht sie in der generellen Weise, wie sie hier vorgeschlagen worden ist, über den Zweck des Gesetzes hinaus, ist also nicht erforderlich und wäre dann zu ändern? Das ist der Gegenstand unseres Änderungsantrages.Das Gesetz ersetzt die Berufung auf Generalklauseln. Das ist gut, meine Damen und Herren, denn jede Generalklausel ist ein Ausweg des Rechtsstaates. Ein Rechtsstaat beruht auch auf der präzisen Fassung seiner Rechtsvorschriften und darf Generalklauseln nur im Ausnahmefall zulassen. Wir würden auch, wenn wir eine Generalklausel als einen vernünftigen Ausweg ansähen, die Verantwortung für die konkrete Maßnahme anderen auferlegen, die diese Verantwortung in vielen Fällen gar nicht übernehmen können und die wir nicht in diese Lage bringen sollten; deswegen ein grundsätzliches Ja zu jedem Versuch, eine solche Generalklausel durch präzise Bestimmungen zu ersetzen.Nur, meine Damen und Herren, darf man sich bei der praktischen Anwendung nicht darüber täuschen, daß ein Ersatz von Generalklauseln bis zu einem gewissen Grade auch die Prüfung des Einzelfalles erspart. Wenn Sie eine Generalklausel anwenden, müssen Sie in jedem konkreten Fall prüfen: Ist dieser Fall ein Fall der Generalklausel? Haben Sie dagegen allgemeinere Gesetzesvorschriften, wie sie uns hier vorliegen, gewinnen die Prüfungen einen mehr generellen Charakter; man prüft, ob der Tatbestand vorliegt, und handelt dann entsprechend. Das heißt, obwohl die Bedingungen schärfer und präziser sind, enthalten diese generellen Regeln die Gefahr, daß man in manchen Fällen nicht zu demselben Ergebnis kommt, wie wenn man eine Generalklausel anwendet, weil man dann sehr konkret werden muß.Meine Damen und Herren, unser Bedenken ist nun, daß dieser Gesetzentwurf so, wie er jetzt vorliegt, in manchen Fällen ohne Not die Verteidigung ausschließt.
Warum ist das bedenkenswert? Es ist nicht deshalb bedenkenswert, weil das eine Frage eines Standes wäre; es ist nicht deshalb bedenkenswert, weil es nur um die Rechte eines bestimmten Teils unserer Bevölkerung — der Beschuldigten oder der Untersuchungsgefangenen oder der Strafgefangenen — geht, sondern es ist bedenkenswert, weil die Institution einer uneingeschränkten freien Verteidigung einer der Grundsätze des Rechtsstaates selber ist.
Weil es so ist, müssen wir ganz genau prüfen, was diese Regeln bedeuten. Sie bedeuten, meine Damen und Herren, daß man nach den Voraussetzungen, die hier genannt werden, eine Verteidigung für eine breite Gruppe von Untersuchungs- und Strafgefangenen auf — theoretisch — unabsehbare Zeit ausschließen kann.
— Theoretisch!
Praktisch wird es so sein, daß die Wiederholung, die sich ja auf neue Tatsachen stützt, in sehr vielen Fällen dazu führen wird, daß sich die Maßnahme auf 30 Tage beschränkt. Das wird in der Praxis vermutlich so sein.
Aber, meine Damen und Herren, wer von Ihnen einmal als Verteidiger eine Strafverteidigung unternommen hat, weiß, daß die ersten Tage einer Strafverteidigung für den Verlust von Beweismitteln entscheidend sein können. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß Menschen — gegenüber denen ja hier kein persönlicher Verdacht begründet werden muß — durch die Generalität der Maßnahme unschuldig daran gehindert werden, eine freie Verteidigung zu erlangen. Und das, meine Damen und Herren, sollten wir nicht zulassen.Es ist auch möglich, daß wir den Zweck des Gesetzeserreichen, ohne daß wir diese grundsätzliche Möglichkeit der freien Verteidigung ausschließen müssen.
Warum? Das Gesetz beruht nicht auf dem Grundgedanken, daß einem Anwalt oder einem Häftling, einem Strafgefangenen, persönlich nachgewiesen werden muß, daß er eine Gefahr für Leib, Leben oder Gesundheit eines anderen Bürgers sein kann. Aber Herr Coppik, darüber wollen wir uns doch nicht streiten, daß die Kommunikation dieser Gefangenen untereinander, daß die Kommunikation dieser Gefangenen mit Anwälten, die die Aufgabe der Anwaltschaft zutiefst verrraten haben, mit ein Grund war dafür, daß Menschen bei uns in Gefahr sind; das kann doch nicht bestritten werden.
Deswegen sollten wir prüfen, ob es nicht ausreicht, im Falle einer solchen Gefahr einen Schnitt zu machen und zu sagen: Die bisher Beteiligten haben keine Gelegenheit mehr, eine Gefahr für Leib, Leben oder Gesundheit eines Bürgers dadurch zu schaffen, daß sie für eine strafbare Kommunikation sorgen. Dabei kann man alles das, was durch den generellen Ausschluß der Verteidigung unmöglich wird, dadurch wiederherstellen, daß man dem Gericht die Möglichkeit gibt, einen Verteidiger zu bestellen, der nur während der Zeit, in der die Maß-
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Dr. Bangemannnahme läuft, die notwendigen Verteidigungshandlungen vornehmen kann.Dagegen wird nun eingewandt, das schaffe Verteidiger erster und zweiter Klasse. Das ist deswegen nicht richtig, weil ja die Maßnahme selbst diese Unterscheidung gar nicht zuläßt; sie schließt Wahlverteidiger, Pflichtverteidiger, Schuldige und Unschuldige während einer gewissen Zeit von der weiteren Verteidigung aus. Und weil das so ist, kann der Ersatz durch einen anderen auch kein persönlicher Vorwurf gegen denjenigen sein, der bisher die Verteidigung wahrgenommen hat. Er stellt aber natürlich auch keinen Ausweis einer besonderen Vertrauenswürdigkeit für diejenigen aus, die neu bestellt werden. Er läßt es jedoch zu, daß wir die Verteidigung aufrechterhalten können, eine Institution, die zu den Grundpfeilern unseres Rechtsstaates gehört.Lassen Sie mich abschließend sagen: So richtig es ist, daß ein Rechtsstaat und eine Demokratie in ihrem Wert vom Bürger auch daran gemessen werden, ob sich Rechtsstaat und Demokratie entschlossen und mutig verteidigen, so richtig ist es aber auch, daß diese Tugenden der Entschlossenheit und des Mutes nicht ausreichen, um einen Rechtsstaat voll und ganz zu charakterisieren. Dazu gehören nicht nur Mut und Entschlossenheit, sondern dazu gehört, daß man das Gesetz des Handelns allein an den rechtsstaatlichen Prinzipien ausrichtet, nach denen wir hier angetreten sind.
Meine Damen und Herren, es ist wahr: Der Terrorismus hat uns gezwungen zu handeln. Aber lassen wir uns das Gesetz des Handelns nicht vom Terrorismus vorschreiben!
Das Wort hat der Abgeordnete Eyrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Uns liegt ein Änderungsantrag der FDP-Fraktion zu § 34 des Gesetzentwurfs vor. Ich möchte nicht auf das eingehen, was Herr Kollege Coppik gesagt hat, um so weniger, als ich weiß, daß er hier zwar das Bestreben hat deutlich werden lassen, sich um den Rechtsstaat zu mühen, indessen gehindert war, an der Sitzung des Rechtsausschusses teilzunehmen und dort seine Gedanken einzubringen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt eines einmal sagen: Alle diejenigen, die den Änderungsantrag unterstützen, können für sich — Herr Bangemann, ich nehme Ihnen das so ab, wie Sie es gesagt haben — ganz sicher in Anspruch nehmen, daß wir mit ihnen im Ziel einig sind. Nur, das allein genügt halt nicht immer. Man kann nicht immer sagen, man sei mit allen anderen in den Zielen einig, wenn man sich den Notwendigkeiten verschließt, die diese Ziele stellen.
Eine dieser Notwendigkeiten, Herr Kollege Bangemann, ist bei allem Ihrem Bemühen, das ich anerkenne, zweifellos, daß dieses Gesetz so, wie es den Rechtsausschuß verlassen hat, verabschiedet wird. Wir sollten doch auch einmal sagen, daß wir nicht Leute sind, die jetzt so hopplahopp dieses Gesetz ohne Nachdenken gemacht haben. Auch wir haben uns bemüht, die richtige Lösung zu finden. Auch wir haben uns bemüht, dem Rechtsstaat gerecht zu werden.Meine Damen und Herren, alle die, die den Änderungsantrag unterstützen, müssen wissen: Mit diesem Änderungsantrag ist das Gesetz in seiner Wirksamkeit total erledigt.
Die Erkenntnis, die zu diesem Gesetz geführt hat, ist doch ganz einfach die, daß wir Gefahr laufen, wenn wir nicht ein Mittel finden, die Gefangenen total von jedem Besuch und der Außenwelt abzuschneiden, daß mit einem einzigen Wort das Leben anderer in Gefahr kommt und daß dieser eine, der heute noch in Gewahrsam ist, mit einem einzigen Codewort am Ende zum Tode verurteilt werden könnte. Wenn man diese Erkenntnis hat, dann muß man dieser Erkenntnis entsprechend handeln.Darf ich einmal an Sie, Herr Kollege Bangemann, und an die von der FDP, die Sie unterstützen, die Frage stellen: Glauben Sie nicht, daß auch wir der Meinung sind, daß es durchaus integre Anwälte gibt, denen man eine solche Aufgabe übertragen kann? Das wissen auch wir. Wenn das so ist, so beantworten Sie mir doch einmal guten Gewissens die Frage: Wissen Sie, ob dieser integre Anwalt überhaupt in der Lage ist, die Bedeutung dessen zu erkennen, was ihm gesagt wird und wovon er glauben kann, daß es zum Zwecke seiner Verteidigung dient, zu erkennen, daß es tatsächlich dieses auch beinhaltet? Haben wir nicht den Ideenreichtum derer, die im Gefängnis sitzen, in den letzten Wochen, Monaten und Jahren kennengelernt? Wer kann beim Fortschritt der heutigen Technik sagen, daß insbesondere beim schriftlichen Verkehr des Verteidigers mit seinem Mandanten nicht die Wortwahl, die Satzstellung, meinetwegen das Abtippen auf der Schreibmaschine eine Bedeutung hat? Welcher Anwalt soll denn erkennen, daß das in diesem Brief steht?Meine Damen und Herren, wir haben es mit Leuten zu tun, die wir nicht „noch überzeugen" können, lieber Herr Kollege Coppik. Ich erinnere mich an eine Bemerkung eines Zeugen in einem Baader/ Meinhof-Prozeß, der auf die Bemühungen des Vorsitzenden, mit ihm zu sprechen, gesagt hat: „Mit Ihnen spricht man nicht, auf Sie schießt man!" In der Situation stehen wir. Wenn Sie schon den Rechtsstaat beschwören, meine Damen und Herren, dann denken Sie bitte an die oberste Pflicht dieses Rechtstaates. Die oberste Pflicht dieses Rechtstaates hat niemand anders deutlicher gemacht als der Bundesgerichtshof in seiner neuerlichen Entscheidung. Er hat die Priorität des Schutzes des Lebens vornangestellt.
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Dr. EyrichWer diese Priorität verläßt, läuft Gefahr, daß er Möglichkeiten gibt, wodurch andere Menschen — ich weiß, daß er es nicht will — erneut in Gefahr kommen. Das gilt es heute zu verhindern.Weil dieser Antrag so bedeutsam ist, stellen wir den Antrag auf namentliche Abstimmung und lehnen diesen Antrag ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Emmerlich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Feststellung zu der Bedeutung, die die in diesem Gesetzentwurf vorgesehene Kontaktsperre für die Verteidigungsmöglichkeit eines Inhaftierten hat. Einem von der Kontaktsperre betroffenen Inhaftierten wird nicht die Möglichkeit genommen, einen Verteidiger seiner Wahl zu bestellen oder den Verteidiger seiner Wahl, den er hatte, weiterhin mit seiner Verteidigung zu beschäftigen. Im Gegenteil, in § 34 Abs. 3 Nr. 1 ist ausdrücklich die Bestimmung aufgenommen, daß Inhaftierte, die keinen Verteidiger haben, einen solchen erhalten sollen.
Richtig ist dagegen, daß infolge der Kontaktsperre auch jeglicher Kontakt zu dem Verteidiger unterbunden wird, und zwar sowohl der schriftliche als auch der mündliche Kontakt. Wir sind von dem Willen durchdrungen, der Herausforderung durch den Terrorismus entschlossen zu begegnen und zugleich die Rechtsstaatlichkeit zu wahren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bangemann?
Ich möchte diesen Satz zu Ende führen.
Unter diesem Gesichtspunkt haben wir auch die Auswirkung der Kontaktsperre auf die Verteidigungsmöglichkeit sehr sorgfältig und sehr eingehend geprüft.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Bangemann.
Herr Kollege, sind Sie in der Lage, dem Haus zu erklären, wie ein Verteidiger, auf den Sie sich gerade bezogen haben, der neu bestellt wird, eine Verteidigung übernehmen können soll, wenn er überhaupt nichts weiß, wenn er keinerlei Kontakt zu seinem Mandanten aufnehmen darf? Wie soll ein solcher Verteidiger verteidigen? Ist das nicht eine abstrakte Möglichkeit, die überhaupt keine konkrete Verteidigung zuläßt?
Herr Kollege Bangemann, ich wäre darauf ohnehin gekommen. Ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar.Ich darf an das anschließen, was ich soeben sagte. Wir sind bei dieser Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, daß die Ausdehnung der Kontaktsperre auf die Verteidiger angesichts der Größe der Bedrohung und ihrer Qualität, die von meinem Kollegen Weber dargestellt wurde, mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht nur vereinbar ist, sondern aus dem Gesichtspunkt der Bewahrung der Rechtsstaatlichkeit geboten ist.
Nun leugnen wir gar nicht, daß eine derartige Verteidigung, bei der der Kontakt zwischen dem Verteidiger und dem inhaftierten Beschuldigten nicht möglich ist, eine eingeschränkte Verteidigungsmöglichkeit darstellt. Aber, Herr Bangemann, sie ist nicht so weit eingeschränkt, daß der Verteidiger gar nichts mehr weiß. Der Beschuldigte hat nach wie vor das Recht, die Tatsachen, die er zu seiner Entlastung dem Gericht oder der Ermittlungsbehörde vortragen will, vorzutragen. Soweit der Zweck der Unterbrechung der Kontakte das nicht verbietet, ist es möglich, dem Verteidiger diese Informationen zugänglich zu machen. Der Verteidiger ist also von daher nicht total uninformiert, sondern er ist sehr wohl in der Lage, das zu tun, was er zur Wahrnehmung der Rechte seines Mandanten tun muß.Gestatten Sie nunmehr, daß ich zu dem Antrag, der hier vorliegt, Stellung nehme. Er sieht vor, daß dem Gefangenen, der der Kontaktsperre unterliegt, auf seinen Antrag ein Verteidiger zu bestellen ist und daß mit diesem Verteidiger der schriftliche und mündliche Kontakt möglich ist. Um deutlich zu machen, was das eigentlich bedeutet, muß man sich einmal vorstellen, wie sich das in der Praxis vollziehen würde. Da würde der Untersuchungsgefangene X von Maßnahmen nach § 31 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz betroffen. Was würde er jetzt wohl tun, wenn wir diese Bestimmung einfügten. Er würde bei dem Gericht beantragen, daß sein Wahlverteidiger, der Verteidiger Y, ihm als Verteidiger bestellt werden möge.Nun muß ich die Antragsteller bitten, mir die Frage zu beantworten, ob das Gericht diesem Antrag ohne Prüfung zu entsprechen hätte oder nicht. Wenn die Antragsteller beabsichtigen, daß das Gericht diesem Antrag ohne Prüfung zu entsprechen haben soll, dann muß ich entschieden erklären: Damit könnten wir dieses Gesetz vergessen. Es würde in seiner Wirkung total aufgehoben.
Wenn, was ich vermute, die Antragsteller davon ausgehen, daß das Gericht nicht nur ein Prüfungsrecht, sondern vielleicht sogar eine Prüfungspflicht in bezug auf diesen Antrag haben soll, dann muß ich die Antragsteller fragen: Nach welchem Maßstab soll denn diese Prüfung durchgeführt werden? Dieser Maßstab ist in dem vorliegenden Antrag nicht aufgezeigt.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3377
Dr. EmmerlichWenn sie den Maßstab wählten, daß der Verdacht — welcher Grad des Verdachts, bliebe dabei noch zu prüfen — begründet sei, daß der Verteidiger sich konspirativer Kontakte schuldig gemacht habe oder schuldig machen könnte, müßte ich allerdings noch hinzufügen, daß selbst der Ausschluß solcher Verteidiger in Situationen wie der nach dem Attentat von Köln nicht ausreicht, um das zu erreichen, was wir erreichen müssen; denn wir müssen auch solche Informationen ausschließen, die zwar nicht im Rahmen von konspirativen Kontakten gegeben werden, aber den Informationsstand der Inhaftierten auf eine Ebene heben, die es ermöglicht, die erpresserische Geiselnahme erfolgreicher als ohne diesen Informationsstand zu betreiben.
Ich möchte noch einmal betonen, daß wir eine solche Lösung, wie sie in diesem Antrag vorgesehen worden ist, und auch andere Lösungen ernsthaft geprüft haben und dabei zu folgendem Ergebnis gekommen sind: Wenn wir das, was wir tun müssen, tun wollen, müssen wir das Gesetz so annehmen, wie es uns vorliegt.
Deshalb beantrage ich im Namen der Fraktion der SPD, diesen Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sperling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es mag sein, daß bei dem vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion nicht all das ausreichend mit durchdacht wurde, was eigentlich mit hätte durchdacht werden sollen. Es mag sein, daß vieles von dem, was darin steht, im Rechtsausschuß und in den Arbeitsgruppen, die sich damit befaßt haben, durchdacht worden ist. Mich hat die Gesamtheit der Gedanken und der Zweifel, die im Hinblick auf den heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetzentwurf angebracht sind, sicher nicht ausreichend bewegt. Für mich steht aber fest, daß dies eine der seltenen Situationen in diesem Parlament ist, in denen man im Plenum noch den Versuch machen kann, miteinander zu argumentieren,
weil noch nicht alle Argumente — zumindest in der Öffentlichkeit — so in Worthülsen gedrechselt worden sind, daß sie garantiert nicht mehr ankommen. Wir sollten das, worum es hier geht, ein bißchen behutsamer bedenken. Ich möchte jetzt folgendes sagen: Ich stimme Herrn Eyrich ausdrücklich darin zu, daß die Priorität des Schutzes von Leben allem voransteht.
Das aber enthebt uns doch nicht der Pflicht, darübernachzudenken, ob wir die Mittel, die wir benutzen,auch so ausgewählt und verfeinert haben, daß überflüssiges Unrecht vermieden werden kann.Ich sage Ihnen jetzt, warum ich diesem Antrag der FDP zuneige. Es liegt ausschließlich daran, daß ich seit vier Tagen mit dem Jahre zurückliegenden Fall einer Frau befaßt bin, die unschuldig verhaftet worden war, vierzehn Tage in einer Irrenanstalt gesessen hat und dann wieder freigelassen wurde. Sie war zu ungeschickt im Umgang mit Behörden und anderen, um überhaupt nur einen Verteidiger zu wünschen. Deswegen hat es so lange gedauert, bis ein Richter eine Prüfung vorgenommen hat. Der Richter hat noch einmal zwei Tage gebraucht, um sie wieder aus der Anstalt herauszuholen. Inzwischen ist nichts weiter passiert, außer daß die Frau auf Grund dieses Vorganges natürlich Schwierigkeiten hat. Dies kann in einem Land geschehen, das sich um seine Rechtsstaatlichkeit auf allen Ebenen nach meinem Eindruck sehr verdient gemacht hat und sich immer wieder um seine Rechtsstaatlichkeit bemüht.Deswegen stelle ich die Frage, was die FDP mit diesem Antrag will, nicht von den Richtern her — daß sie Schwierigkeiten haben werden, das Gesetz und diesen Paragraphen zu praktizieren, ist klar, auch nicht von den Anwälten her. Ich stelle die Frage von dem möglicherweise unschuldig Betroffenen her.
Für mich gibt es zunächst die Frage, ob wir für diesen Fall — der Fall, daß in einer hektischen Situation auch ein Unschuldiger getroffen wird, ist ja nach dem Gesetz der statistischen Wahrscheinlichkeit und nach den Erfahrungen nicht auszuschließen — genügend Vorsorge getroffen haben.Wenn ich mir jetzt bei dem Fall, den ich auf dem Tisch habe, vorstelle, dort wäre das passiert, dann würde es niemanden geben, mit dem die Frau sprechen könnte, außer dem Untersuchungsrichter, der seinen Kopf möglicherweise in völlig anderen Dingen hat, und sie könnte nicht mit jemand anderem darüber reden, was sie, möglicherweise völlig im Irrtum der Behörden verfangen, in diese Lage gebracht hat.Deswegen würde ich in einem solchen Fall sehr gern diese Möglichkeit der Kommunikation mit einer anderen Person schaffen, die sich hauptamtlich darum zu kümmern hat, das aufzuklären. Deswegen ist es nicht nur meine Neigung, dem FDP-Antrag zuzustimmen, sondern ich werde es auch tun und bitte auch darum, dies zu tun.Ich verhehle dabei nicht, daß ich ohnehin Sorgen habe, daß wir auch dieses Gesetz nach der auf seinem Boden erfolgenden Praxis in späteren Jahren noch einmal werden überdenken müssen und Irrtümer, die darin enthalten sein könnten, korrigiert werden müssen.Wir zeigen in diesen zwei Tagen, wie schnell der Deutsche Bundestag reagieren kann, wenn die Bereitschaft besteht, aufeinander einzugehen und Not-
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3378 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Dr. Sperlingwendiges wirklich gemeinsam zu tun. Wir können auch bei anderen Fehlern schnell reagieren.Ich sehe zur Zeit nicht, daß der Antrag der FDP tatsächlich Schaden stiften könnte, es sei denn, wir müßten Gesetze machen, die mit der — ich sage das jetzt einmal vorsichtig — Ahnungslosigkeit, Praxisferne und Dummheit von Richtern rechnen. Solche Gesetze möchte ich nicht erst mitmachen.
Ich rechne mit dem intelligenten Interpretieren durch Richter in einer solchen Situation.Ich bitte Sie herzlich, den Antrag der FDP-Fraktion anzunehmen.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Die Aussprache ist geschlossen.Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Abstimmung.Meine Damen und Herren, ich frage, ob ein Mitglied des Hauses seine Karte noch nicht abgegeben hat. — Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung.Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Insgesamt abgegebene vollgültige Stimmen: 379; Berliner Abgeordnete: 20. Mit Ja haben von den uneingeschränkt Stimmberechtigten 46, mit Nein 330 gestimmt; 3 haben sich enthalten. Von den Berliner Abgeordneten haben einer mit Ja und 19 mit Nein gestimmt.ErgebnisAbgegebene Stimmen 379 und 20 Berliner Abgeordnete; davonja: 46 und 1 Berliner Abgeordneter,nein: 330 und 19 Berliner Abgeordnete,enthalten: 3JaSPDBüchner ConradiCoppikGanselHansenImmer JungmannKuhlwein Lambinus MarschallMeinike Dr. Müller-Emmert Schäfer (Offenburg) SchlagaDr. Schöfberger Dr. Schwencke Frau SimonisSimpfendörferDr. SperlingThüsingUeberhorstVoigt Weißkirchen (Wiesloch)FDPAngermeyer Dr. Bangemann Cronenberg Eimer Frau Funcke GärtnerGattermann GrünerDr. HaussmannHölscherJungDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff LudewigFrau Matthäus-Maier MischnickPeters Schmidt (Kempten)Frau SchuchardtDr. Vohrer Dr. WendigWolfgramm ZywietzBerliner Abgeordnete HoppeNeinCDU/CSUDr. Abelein AlberDr. AlthammerDr. Arnold Dr. Barzel Dr. Becher
BenzBiecheleDr. BiedenkopfBiehleDr. von BismarckBöhm
Dr. Bötsch BraunBreidbachBühler
BurgerCarstens Carstens (Fehmarn) Conrad (Riegelsberg)Dr. Czaja DammDawekeDr. Dregger DreyerErhard ErnestiEyEymer
Dr. Eyrich Feinendegen Frau FischerFrancke FrankeDr. FriedmannFrau Geier Geisenhofer Dr. von GeldernDr. George Gerlach Gerster (Mainz) GierensteinGlosDr. Gruhl Haase
HaberlDr. HammansHanzHartmann Hasinger
Dr. Hennigvon der Heydt Freiherrvon MassenbachDr. HoffackerFrau Hoffmann
Dr. HornhuesDr. HubrigFrau HürlandDr. HüschDr. HupkaGraf HuynDr. JaegerJäger
Dr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJostenFrau KarwatzkiKatzerDr. Klein Klein (München)Dr. Köhler KösterDr. KohlKolbKrampe Dr. KraskeKrausDr. KreileKreyDr. Kunz Lagershausen LampersbachDr. LangguthDr. LangnerDr. LaufsLeicht LemmrichLinkLintner Löher Dr. LudaDr. Mertes MetzDr. MikatMilzDr. MöllerDr. MüllerFrau Dr. Neumeister NiegelNordlohneFrau PackPfeffermannPfeifer Picard Pieroth PrangenbergDr. ProbstRainer Rawe ReddemannRegenspurgerFrau Dr. Riede Dr. Riedl (München)Dr. RiesenhuberDr. Ritz RüheRusseSauer Sauter (Epfendorf)Dr. SchäubleSchartz
Schedl SchmidhuberSchmidt Schmitz (Baesweiler) SchmöleDr. Schröder Schröder (Lüneburg)Dr. Schulte
Schwarz
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3379
Vizepräsident Stücklen Dr. Schwarz-Schilling SeitersSickDr. Freiherr Spies von BüllesheimSpilkerSprangerDr. Sprung Stahlberg Dr. Stark
Dr. Stavenhagen StommelStücklenStutzerde TerraDr. TodenhöferVogel VolmerDr. VossDr. WaffenschmidtDr. Waigel Dr. WarnkeWeber Weiskirch (Olpe) WernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWimmer
WindelenFrau Dr. Wisniewski Wissebach WissmannDr. Wittmann Baron von Wrangel WürzbachDr. ZeitelDr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteFrau Berger
Dr. GradsKittelmann Kunz LusterDr. Pfennig Frau Pieser Straßmeir WohlrabeSPDAmling Dr. ApelArendt AugsteinBaack BahrBatzBecker BindigBlankDr. Böhme BrandtBrandt BrückDr. von BülowBuschfortDr. BußmannColletDr. CorterierCurdtFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDr. von DohnanyiDürrDr. Ehmke EickmeyerFrau Eilers Dr. EmmerlichDr. Enders Engholm EstersEwenDr. Fischer FlämigFranke Friedrich (Würzburg) Gerstl (Passau)GertzenDr. Geßner GlombigGobrecht Grobecker Grunenberg Gscheidle Dr. Haack HaarHaase
HaehserHauckDr. Hauff HenkeHeyennHöhmannHofmann HornFrau Huber Huonker IbrüggerJahn
JaunichDr. Jens JunghansJunkerKaffkaKirschnerKlein
KoblitzKonradKratzKretkowskiDr. Kreutzmann Krockert KühbacherDr. Lauritzen LeberLendersLiedtkeDr. Linde MahneMarquardtFrau Dr. Martiny-Glotz MatthöferDr. Meinecke MeininghausMenzelMüller Müller (Nordenham) Müller (Schweinfurt) MünteferingNagelNeumann Dr. Nöbel OffergeldOostergetelo PaternaPawelczyk PeiterDr. Penner PenskyPorznerRapp Rappe (Hildesheim)Frau Renger RohdeRothSaxowskiDr. SchachtschabelDr. Schäfer SchefflerScheu SchirmerSchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeSchulte
SchwabeDr. Schwenk
SielerDr. SpöriStahl
Dr. StegerFrau Steinhauer StocklebenStöckl Sybertz Tönjes TopmannFrau TraupeUrbaniakDr. Vogel WaltematheWaltherDr. Weber
Wehner Wendt Dr. WernitzWestphalWiefel WilhelmWimmer WischnewskiDr. de WithWittmann Wolfram (Recklinghausen) WredeWüster WuttkeWuwer Zander Zebisch ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. Diederich Dr. DübberEgertLöffler Männing Mattick Frau SchleiSchulze SieglerschmidtFDPBaumErtlDr. FriderichsDr. Dr. h. c. Maihofer OlleschPaintnerSpitzmüllerEnthaltungenSPDDr. Holtz LattmannFDP WurbsDamit ist dieser Antrag in namentlicher Abstimmung abgelehnt.Ich rufe Art. 1 § 34 in der Ausschußfassung auf. Wer dem § 34 die Zustimmung geben will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist § 34 in der Ausschußfassung bei 3 Gegenstimmen und einer Reihe von Stimmenthaltungen angenommen.Ich rufe Art. 1 §§ 35, 36, 37, 38 auf. Wer diesen Paragraphen die Zustimmung geben will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Damit sind die von mir aufgerufenen Paragraphen bei 4 Gegenstimmen und einer Reihe von Enthaltungen angenommen.Ich rufe Art. 2 auf. Hier hat der Bundesminister der Justiz das Wort zu einer kurzen Berichtigung gewünscht.
Ich darf dann den Berichterstatter, Herrn Hartmann, bitten.
— Ich bitte, das dem Präsidium doch rechtzeitig mitzuteilen.Ich rufe die Art. 2 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer die Zustimmung geben will, den
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Vizepräsident Stücklenbitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist somit bei vier Gegenstimmen und einer Reihe von Enthaltungen in zweiter Beratung angenommen.Wir treten nunmehr in diedritte Beratungein.Zur Schlußabstimmung hat die Abgeordnete Frau Däubler-Gmelin um das Wort gebeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Normalerweise braucht ein Abgeordneter — Gott sei Dank ist das nicht üblich — sein Stimmverhalten nicht zu begründen. Denn seine Motive werden in der Abstimmung deutlich. Die gegenwärtige Lage in der Bundesrepublik Deutschland, über die ja auch heute und früher ausführlich geredet wurde, aber auch einige Bernerkungen in den Debatten haben die Abgeordneten Bindig, Conradi, Kuhlwein, Marschall, Meinike , Harald B. Schäfer, Olaf Schwencke, Schöfberger, Simpfendörfer, Frau Simonis und mich bewogen, hier vor aller Öffentlichkeit unsere Gründe darzulegen, um jede Mißdeutbarkeit unserer Stimmenthaltungen von vornherein auszuschließen.
— Sie werden es gleich erfahren, Herr Stark. Immer mit der Ruhe.
Erstens. Jeder von uns weiß, daß von Gefangenen, die wegen einschlägiger Delikte eingesperrt sind, im Zusammenspiel mit Verteidigern, die ihre Rechte mißbrauchen und ihre Pflichten verkennen, erhebliche Gefahren ausgehen, insbesondere gegenwärtig weitere Verbrechen gefördert werden können. Zweitens: Jeder von uns weiß, daß wirksame Maßnahmen, auch gesetzliche, getroffen werden müssen. Drittens. Wir halten die Verfassungsmäßigkeit eines staatlichen Handelns, das sich allein auf den Gedanken des übergesetzlichen Notstands stützt, für mehr als problematisch — auch wenn der Bundesgerichtshof dies in einem Fall bestätigt hat. Und: Jeder von uns anerkennt, daß es in dem uns von den drei Fraktionen vorgelegten Gesetzentwurf Verfahrensvorschläge gibt, die gegenüber dem heute bestehenden, vom BGH teilweise bestätigten Rechtszustand ein Mehr an Rechtsstaatlichkeit bedeuten.
Daß wir dennoch nicht zustimmen können, sondern uns der Stimme enthalten, geschieht aus folgenden Gründen.
Zum einen sind die Eingriffsvoraussetzungen des * 31 so unbestimmt und weit gefaßt, daß gerade unter anderen denkbaren politischen Konstellationen dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet wird. Dies ist der zentrale Punkt. Wir lehnen deswegen den § 31 in seiner jetzigen Fassung ausdrücklich ab. Wir tun dies um so mehr, als die in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Folgen im Hinblick auf die Verteidigung neu Verhafteter und im Hinblick auf eine Reihe anderer Punkte in Grundprinzipien unserer rechtsstaatlichen Ordnung, die durch Grundgesetz und u. a. Menschenrechtskonvention bestimmt sind, eingreifen.
Zum andern — und das erscheint mir besonders wichtig: Wir halten es für sicher, daß wir bei einer ausführlicheren und gründlicheren Beratung dieses Gesetzentwurfs in allen Fraktionen — und hier meine ich z. B., daß der Sachverstand von Herrn Dr. Eyrich, der gestern ja ebenfalls nicht im Rechtsausschuß anwesend war, sehr hilfreich gewesen wäre — weitere Präzisierung und Konkretisierungen im Rahmen der natürlich erforderlichen Güterabwägung hätten treffen können, so daß wir auch den § 31 auf den Bereich des Notwendigen exakt hätten zuschneiden können. Beides war wegen der Kürze der Beratungen nicht möglich.
Ich komme zum Schluß. Ich weiß, daß unsere Entscheidung mißdeutet, ja verfälscht werden wird. Das künden Presseorgane von Teilen der in diesem Haus vertretenen Fraktionen leider an. Für diese Vermutung — lassen Sie mich das sagen — spricht auch die Leichtfertigkeit, mit der in der öffentlichen Diskussion der letzten Wochen rechtsstaatliche Grundsätze zur Disposition gestellt worden sind.
Ich bin gewiß — und damit lassen Sie mich endgültig schließen — daß es unter uns hier viele Abgeordnete gibt — auch bei den Damen und Herren der Opposition —, die unsere Gewissensentscheidungen so respektieren, wie wir die Entscheidung der Mehrheit der drei Fraktionen in diesem Haus. Ich bin des weiteren sicher, daß auch die übergroße Mehrheit der Bürger dieses Landes unsere Entscheidung respektieren wird.
Das Wort zur Abstimmung hat weiter Frau Abgeordnete Schuchardt.
Meine Damen und Herren! Wenn wir den Terrorismus wirklich erfolgreich bekämpfen wollen, dann muß man, glaube ich, zunächst einmal jedem in diesem Hause guten Willen unterstellen.Ich möchte die Erklärung der Stimmenthaltung auch im Namen meiner Kollegen Ingrid Matthäus-Maier, Norbert Eimer, Friedrich Hölscher und Hans-heinrich Schmidt abgeben.
Liberale haben einen wesentlichen Teil zu der Entwicklung, die zu unserem heutigen liberalen Rechtsstaat geführt hat, beigetragen. Ihr Bemühen wurde nicht immer von der breiten Mehrheit des Volkes verstanden.
Eine Gruppe von Terroristen hat sich vorgenommen, diesen liberalen Rechtsstaat zu zerstören. Es kann niemanden verwundern, daß gerade für Liberale ein lebenswichtiges Interesse besteht, diesen liberalen Rechtsstaat zu verteidigen. Wir lassen uns
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3381
Frau Schuchardtin der Einschätzung der ungeheuren Gefahr, die vom Terrorismus ausgeht, von niemandem übertreffen.
— Ich habe keine Ovationen von der Union erwartet.
Meine Damen und Herren, deshalb haben wir uns unsere Entscheidung, diesem Gesetz in der nun vorliegenden Form nicht zuzustimmen, auch nicht leicht gemacht. Die meisten von uns haben es vor einigen Jahren sicherlich nicht für möglich gehalten, daß sich der Deutsche Bundestag durch Terroranschläge so in Zugzwang bringen läßt,
und bei Teilen unserer Bürger trifft dies auch auf Verständnis.Wir haben uns davon überzeugen lassen, daß die Unterbindung jeglicher Kontakte der inhaftierten Mitglieder der terroristischen Vereinigung untereinander und nach außen das Leben von Herrn Schleyer bisher mit Erfolg geschützt hat. Da für eine Maßnahme dieser Art bisher keine gesetzliche Grundlage besteht, sondern die Maßnahme mit § 34 StGB, also mit dem rechtfertigenden Notstand, begründet wird, sind auch wir der Auffassung, daß der Deutsche Bundestag aufgerufen ist, eine gesetzliche Grundlage zur Regelung dieses Tatbestands zu schaffen.Die FDP hatte nun in zweiter Lesung einen Änderungsantrag eingebracht, der das verfolgte Ziel, Leben zu schützen, auch erreicht hätte. Die Annahme hätte eines unserer wesentlichsten Bedenken ausgeräumt. Diese Bedenken beziehen sich, abgesehen von dem eben abgelehnten Antrag, auch auf die Bestellung eines Pflichtverteidigers, ferner z. B. auf die zu weit gefaßten Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 sowie auf die Unbegrenztheit dieser Maßnahmen. Leider haben wir keine Zustimmung dafür gewinnen können.Meine Damen und Herren, wir wissen, daß nicht nur die liberalen Rechtsstaaten vom Terrorismus heimgesucht werden. Weitreichende Gesetze und auch weitreichende Befugnisse von Regierungen konnten in autoritären Staaten den Terrorismus nicht verhindern, zum Teil eskalierte er sogar. Es muß dem Bürger eine Strategie deutlich gemacht werden, die dem Terrorismus entgegengesetzt wird. Das ist sicher nur mit Besonnenheit zu erreichen.Wir sollten nicht übersehen, daß das Vertrauen unserer Bürger in unseren Staat auch dadurch gestört werden kann, daß der Staat infolge von Terroranschlägen entscheidende Maßnahmen ergreift, an deren Wirksamkeit Zweifel aufkommen können. Vertrauen aller Bürger, meine Damen und Herren, ist aber eine notwendige Voraussetzung für uns alle, den Terrorismus in diesem Lande erfolgreich zu bekämpfen. Ich finde, daran sollten wir alle gemeinsam arbeiten.Wir werden sicherlich mit dieser unserer Auffassung nicht die Mehrheit finden. Aber ich hoffe, daß wir auf Verständnis stoßen und daß man uns in dieser Haltung lautere Motive unterstellt.
Zur Abgabe einer weiteren Erklärung zur Abstimmung der Abgeordnete Hansen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um unbewußter oder bewußter Mißdeutung meines Abstimmungsverhaltens vorzubeugen, wie sie nicht nur akustisch auf dieser Seite dieses Hauses im Laufe dieser Debatte schon begonnen worden ist, möchte ich eine schriftliche Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten nach § 59 der Geschäftsordnung abgehen. *)
Das Wort zur Abstimmung hat der Abgeordnete Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verlauf dieser Debatte macht es notwendig, am Ende der Beratungen einige kurze, knappe Feststellungen zu treffen. Vor vierzehn Tagen hat der Herr Bundeskanzler von dieser Stelle aus namens der Bundesregierung und unter dem Beifall der Koalitionsfraktionen von SPD und FDP erklärt, die Bundesregierung sei gewillt, alles Menschenmögliche zu tun, zu handeln, um den Terrorismus entschlossen und tatkräftig zu bekämpfen.Namens der CDU/CSU-Fraktion stelle ich fest, daß bei diesem ersten Gesetzgebungsakt die Regierungsfraktionen nicht einmal die innere Kraft für einen einfachen notwendigen Schritt aufbringen.
Was nützen alle Ankündigungen, daß die Gemeinsamkeit und die Solidarität der Demokraten in der Stunde der Not nicht nur im Reden, sondern vor allem im Handeln bestehen müsse, wenn wir hier eine derartige Debatte erleben?Lassen Sie mich namens der CDU/CSU-Fraktion zu dieser Vorlage noch eine kurze Bemerkung machen. Die Vorlage ist bitter notwendig geworden. Wer in den letzten vier Wochen aufmerksam war, wer den Terrorismus und seine Aktionen in der Bundesrepublik in den letzten Jahren sorgfältig beobachtet hat, der weiß ganz genau, wie richtig jenes prophetische Wort des ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback vom April des vergangenen Jahres war, als er in diesem Hause sagte: „Denn die Zellen sind ja, das sei geklagt, das sicherste konspirative Zimmer in diesem Lande."Angesichts dieser Feststellungen und angesichts der Erfahrungen, die wir gerade auch im Entführungsfall Hanns Martin Schleyer in den letzten Wochen machen mußten, ist es ebenso unerträglich wie makaber, wenn von diesem Pult aus Mitglieder des*) Anlage 2
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Dr. KohlDeutschen Bundestages erklären, dies sei ein teuflischer Kreislauf: Terror, Gewalt, Repression und Abbau von Rechtsstaat.Der Herr Bundespräsident hat mit gutem Grund und mit Zustimmung der riesigen Mehrheit der freiheitlich gesonnenen Bürger unserer Bundesrepublik in diesen Tagen erklärt: Alle Vorschläge, die bisher zur Bekämpfung des Terrorismus in der Öffentlichkeit vorgetragen und vorgelegt wurden, sind Vorschläge, die auf dem Boden des Grundgesetzes gewachsen sind.
Es lohnt sich nicht, auf die Details mancher Reden, die heute hier gehalten wurden, einzugehen. Aber es ist für einen freiheitlich gesonnenen Bürger dieses Landes unerträglich, wenn im Zusammenhang mit dieser Gesetzgebung von „Pogromstimmung in der Bundesrepublik" gesprochen wird.
Es ist unerträglich, sich hier anhören zu müssen, daß ein Nein zu dieser Vorlage, vorgelegt von drei demokratischen Fraktionen dieses Bundestages, ein Ja zur Freiheit sei. Was ist das für ein Freiheitsbegriff, der hier zum Ausdruck kommt?
Was ist das für eine Behauptung, daß hier — damit sind doch wir gemeint, die sehr große Mehrheit in diesem Hause — Gründe der Besonnenheit nicht mehr verstanden würden, daß man mehr dem Gefühl folge und mehr Härte an den Tag lege, oder wie hier eben eine Sprecherin sagte: Der Bundestag läßt sich von den Terroristen in Zugzwang bringen. Meine Damen und Herren, die Bürger der Bundesrepublik Deutschland erwarten von diesem Bundestag, daß er seine Pflicht tut.
Und „Pflicht tun" heißt, in einer ungewöhnlichen, schrecklichen Heimsuchung und Herausforderung das Notwendige mit Mut zu tun, auf dem Boden unseres Grundgesetzes.Wir, die CDU/CSU-Fraktion, sagen ohne jede Einschränkung ja zu diesem Gesetz, das dem Rechtsstaat dient, das aus rechtsstaatlichen Prinzipien erwachsen ist, das dem Schutz des Lebens unserer Bürger dient und das die friedenstiftende Qualität unserer Bundesrepublik erhalten soll.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kohl, ich habe zwar Verständnis dafür, daß man Argumentationsmöglichkeiten, die geboten werden, nutzt. Ich bedaure aber, daß in einem Augenblick, wo wir bei der Abstimmung erleben werden, daß dieses Haus mit einer Mehrheit von über 90 oder über 95 % einem Gesetzentwurf zustimmt, der Eindruck entstehen mußte, als gäbe es in den Grundfragen keine Übereinstimmung. Wir sind gemeinsam der Meinung, daß dieser Gesetzentwurf Gesetz werden soll, auch wenn einzelne abweichende Meinungen zum Ausdruck bringen
Der zweite Punkt: Dieser Rechtsstaat schadet sich nicht, sondern nutzt sich, wenn die Öffentlichkeit weiß, daß auch in einer Gefahrensituation um jeden einzelnen Punkt bis zur letzten Sekunde gerungen wird, dann aber entschieden wird.
Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß der Herr Bundespräsident gesagt hat, alle Vorschläge, die gemacht worden sind, seien auf dem Boden des Grundgesetzes gemacht worden — auch die, die sich bemüht haben, erkannte, tatsächliche oder vermeintliche Mängel eines solchen Gesetzentwurfes zu beseitigen. Ob sie die Wirkung haben oder nicht, darüber wird die Zukunft entscheiden. Aber auch denen, die hier Änderungen einbringen wollten, muß man zugestehen, daß sie im Rahmen des Grundgesetzes ihre Möglichkeiten für den freien Rechtsstaat und nicht gegen ihn wahrgenommen haben.
Ich teile Ihre Meinung, daß wir hier keine Pogromstimmung verbreiten. Ich teile Ihre Meinung, daß „Handeln des Rechtsstaates" nicht bedeutet, daß man denen verfällt, die in der Öffentlichkeit mehr fordern, als der Rechtsstaat vertreten kann. Das werden wir gemeinsam abzuwehren wissen. Ich bitte aber gleichzeitig, auch allen denen, die vielleicht in dem einen oder dem anderen Punkt einen Weg gehen wollen, den die überwältigende Mehrheit nicht für richtig hält, nicht den guten Willen abzusprechen.
Sie haben gesagt: mit Mut handeln. Jawohl, wir wollen mit Mut handeln, und es kostet Mut, in dieser Situation rechtsstaatliche Grundsätze, die wir haben, in bestimmten Dingen so einzuschränken, wie wir das tun. Wir wollen mit Mut handeln, aber nicht mit Tollkühnheit. Das unterscheidet uns vielleicht.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist nicht die Stunde der Aufrechnung. Es ist auch nicht die Stunde der Abrechnung.
— Ja, werden Sie ruhig lauter, meine Damen und Herren! — Dies ist auch noch nicht die Zeit der Analyse. Ich weise hier zurück, was der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU in der Art eines Monopolanspruchs für seine Parteien, die in dieser seiner Fraktion zusammengekoppelt sind, verkündet.
Meine Damen und Herren, wir haben hier, während der Entführte noch Geisel ist und die Ermordeten noch gar nicht lange unter der Erde sind,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3383
Wehnereine Aufgabe, die ich ohne Lyrik und ohne Verschwommenheit als die Notwendigkeit, als eine Bewährungsprobe für den Karatgehalt unseres Verhältnisses zum Grundgesetz und zu unserem Gemeinwesen bezeichne.Herausgefordert ist dieses unser Gemeinwesen. Der Terror zielt auf Herz und Blutkreislauf dieses Gemeinwesens. Denn die Terroristen wollen dieses Gemeinwesen zerstören. Ihre Anschläge treffen alle Mitbürger und Mitbürgerinnen. Ungeachtet aller wirtschaftlichen, sozialen, weltanschaulichen und politischen Gegensätze im Gemeinwesen, die wir miteinander auszutragen haben, gebietet ein gemeinsames Interesse allen, das Gemeinwesen Bundesrepublik, mit allen Kräften zu verteidigen —
und nicht mit dem Blick, ob dabei die eigene Rolle genügend glänzend herausgeputzt wird.
Die Terroristen, die bemüht sind, die Bundesrepublik ins Herz zu treffen, sind weder eine politische Richtung oder Strömung in unserem Lande, noch sind sie der einen oder anderen zuzurechnen.
Sind sind der organisierte Versuch der bewaffneten Lähmung und Zerstörung jeder Politik. Denn Politik ist der Versuch, im Gemeinwesen im Ringen miteinander das Bestmögliche für alle Bürgerinnen und Bürger zu erreichen.
Was die Terroristen wollen, ist etwas völlig anderes. Ich habe mir erlaubt, als Vorsitzender der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion hier in der kurzen Debatte nach der Regierungserklärung unseres Bundeskanzlers, Helmut Schmidt, einiges dazu zu sagen. Die Terroristen zielen auf Einschüchterung, Erpressung und chaotische Verwirrung aller Glieder der menschlichen Gesellschaft. Sie wollen dies durch die Lähmung der Funktionen des Gemeinwesens und seiner Organe und Institutionen erreichen. Sie mißbrauchen sogenannte politische Begriffe lediglich zur Tarnung ihres verbrecherischen Handelns.Sie, meine Damen und Herren — ich kenne Sie ja einigermaßen; ich gehöre diesem Bundestag an, seitdem es ihn gibt —, empfinden heute eine gewisse Genugtuung über Probleme, die die Fraktion hat, deren Vorsitzender ich zur Zeit bin.
— Bitte, das sage ich. Das sieht man doch Ihrem Lächeln an. Ich kann doch Gesichter lesen. Ich nehme es Ihnen ja auch gar nicht übel. Ich versuche nur, vielleicht ganz vergeblich, dennoch etwas von dem, was Sie dann mit Pathos Gemeingeist oder was sonst nennen, vielleicht irgendwo in einer Ader anzurühren.Ich habe heute meiner Fraktion nach einer langen schwierigen Diskussion während des ganzen Dienstagnachmittag bis spät in den Abend, heute morgen wieder und auch heute mittag noch einmal am Schluß vor den Abstimmungen folgendes gesagt: Als Mitglied des Bundestages, das ich bin, erinnere ich an den Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes:Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.Das ist das eine. Ich habe mir dann erlaubt, als Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion im Deutschen Bundestag, das ich seit 1949 bin, während der ganzen Zeit — abgesehen von einer kurzen dreijährigen Zwischenzeit als Mitglied des Kabinetts — immer wieder gewählt, zum Mitglied des Vorstands der Fraktion, zu sagen: Als Mitglied der Fraktion und ihr derzeitiger Vorsitzender sage ich, wenn die Durchsetzung und die Annahme eines Gesetzentwurfes, für den sich die Mehrheit der Mitglieder der Fraktion einsetzt, durch das Verhalten einer Minderheit der Fraktion unmöglich wird oder die Annahme des Gesetzentwurfes nur infolge der Zustimmung der Abgeordneten anderer Fraktionen möglich wird, dann muß die Minderheit der Fraktion sich die Frage stellen lassen, wie sie es verantworten will, die Mehrheit der Fraktion zur Wirkungslosigkeit zu nötigen oder ihr — weil die Mehrheit nicht den Bankrott sozialdemokratischer Parlaments- und Regierungsarbeit erklären will —vorzuwerfen, sie stimme zusammen mit Abgeordneten anderer Fraktionen anders als eine Minderheit der Fraktion. — Da haben Sie meine Auffassung sowohl als Mitglied des frei gewählten Deutschen Bundestages als auch als Mitglied — und ich bin ja wohl berechtigt, einer Fraktion anzugehören — der Fraktion, der ich angehöre.Wir haben nichts zu vertuschen. Es wird noch die Zeit kommen, meine verehrten Herren innenpolitischen Gegner, da werden Sie auch vergeblich versuchen, etwas zu vertuschen. Wir jedenfalls ringen hier miteinander, und die große Mehrheit der Fraktion weiß, was sie der Bundesrepublik Deutschland, unserem Gemeinwesen schuldig ist.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Wir kommen zur Abstimmung in dritter Beratung. Es wird über das Gesetz als Ganzes abgestimmt. Es ist namentliche Abstimmung beantragt und ausreichend unterstützt. Ich eröffne die Abstimmung.
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung liegt vor. Insgesamt haben 392 uneingeschränkt stimmberechtigte Mitglieder des Hauses und 21 Berliner Abgeordnete ihre Stimme abgegeben. Von den uneingeschränkt Stimmberechtigten haben 371 mit Ja und 4 mit Nein gestimmt; 17 haben sich enthalten. Die 21 Berliner Abgeordneten haben mit Ja gestimmt.
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3384 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Vizepräsident Frau FunckeErgebnisAbgegebene Stimmen 392 und 21 Berliner Abgeordnete; davonja: 371 und 21 Berliner Abgeordnete,nein: 4enthalten: 17JaCDU/CSUDr. AbeleinDr. van AerssenAlberDr. AlthammerDr. Arnold Dr. Barzel Dr. Becher
BenzBiecheleDr. BiedenkopfBiehleDr. von BismarckBöhm
Dr. Bötsch BraunBreidbachBühler
BurgerCarstens Carstens (Fehmarn) Conrad (Riegelsberg)Dr. Czaja DammDawekeDr. Dregger DreyerErhard ErnestiEyEymer
Dr. Eyrich FeinendegenFrau FischerFrancke FrankeDr. FriedmannFrau Geier Geisenhofer Dr. von GeldernDr. George Gerlach Gerster (Mainz) GierensteinGlosDr. Gruhl Haase
HaberlDr. Häfele Dr. HammansHandlosHanzHartmann Hasinger Hauser HelmrichDr. Hennigvon der Heydt Freiherrvon MassenbachDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesDr. Hubrig Frau HürlandDr. HüschDr. HupkaGraf HuynDr. JaegerJäger
Dr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJostenFrau KarwatzkiKatzerDr. Klein Klein (München)Dr. Köhler KösterDr. Kohl KolbKrampeDr. KraskeKrausDr. KreileKreyDr. Kunz LagershausenLampersbachDr. LangguthDr. LangnerDr. LaufsLeicht LemmrichLinkLintner Löher Dr. LudaDr. Mertes MetzDr. MikatMilzDr. MöllerDr. MüllerFrau Dr. Neumeister NiegelNordlohneFrau PackPfeffermannPfeifer Picard Pieroth PrangenbergDr. ProbstRainer Rawe ReddemannRegenspurgerFrau Dr. Riede Dr. Riedl (München)Dr. RiesenhuberDr. Ritz RüheRusseSauer
Sauter
Dr. SchäubleSchartz
Schedl SchmidhuberSchmidt Schmitz (Baesweiler) SchmöleDr. Schröder Schröder (Lüneburg)Dr. Schulte
SchwarzDr. Schwarz-Schilling SeitersSickDr. Freiherr Spies von BüllesheimSpilkerSpranger Dr. Sprung Stahlberg Dr. Stark
Dr. Stavenhagen StommelStücklenStutzerde TerraDr. TodenhöferVogel VolmerDr. VossDr. WaffenschmidtDr. Waigel Dr. WarnkeWeber Weiskirch (Olpe) WernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWimmer
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissebach WissmannDr. Wittmann Baron von Wrangel WürzbachDr. ZeitelDr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteFrau Berger
Dr. GradlKittelmann Kunz LusterMüller
Dr. Pfennig Frau Pieser Straßmeir WohlrabeSPDAhlers Amling Dr. ApelArendt AugsteinBaack BahrBatzBecker BlankDr. Böhme BrandtBrandt BrückBüchler
Büchner
Dr. von BülowBuschfortDr. Bußmann ColletDr. Corterier CurdtDaubertshäuserDr. von DohnanyiDürrDr. Ehmke EickmeyerFrau Eilers Dr. EmmerlichDr. Enders EngholmEstersEwenDr. Fischer FlämigFranke Friedrich (Würzburg) GanselGerstl
GertzenDr. Geßner GlombigGobrecht Grobecker Grunenberg Gscheidle Dr. Haack HaarHaase
HaehserHauckDr. HauffHenkeHeyennHöhmannHofmann
Dr. HoltzHornFrau Huber HuonkerIbrüggerImmer Jahn (Marburg)JaunichDr. Jens Junghans Jungmann JunkerKaffkaKirschnerKlein
KoblitzKonradKratzKretkowskiDr. Kreutzmann KrockertKühbacher LambinusDr. Lauritzen LeberLendersFrau Dr. LepsiusLiedtkeDr. LindeMahneMarquardtFrau Dr. Martiny-Glotz MatthöferDr. Meinecke MeininghausMenzelMüller Müller (Nordenham) Müller (Schweinfurt) Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumann
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3385
Vizepräsident Frau Funcke Dr. NöbelOffergeldOostergeteloPaterna PawelczykPeiterDr. PennerPensky PeterPorznerRapp
Rappe
Frau RengerRohde RosenthalRothSaxowskiDr. SchachtschabelDr. Schäfer SchefflerScheu SchirmerSchlaga SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (Wattenscheid)Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeSchulte
SchwabeDr. Schwenk
SielerDr. SperlingDr. SpöriStahl
Dr. StegerFrau Steinhauer StocklebenStöckl Sybertz Tönjes TopmannFrau TraupeUrbaniakDr. Vogel VogelsangVoigt WaltematheWaltherDr. Weber
WehnerWeißkirchen WendtDr. WernitzWestphalWiefel WilhelmWimmer WischnewskiDr. de WithWittmann Wolfram (Recklinghausen) WredeWüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. Diederich
Dr. DübberEgertLöffler Manning MattickFrau SchleiSchulze SieglerschmidtFDPAngermeyerDr. BangemannBaumCronenbergEngelhard ErtlDr. FriderichsFrau FunckeGärtner GattermannGrünerDr. HaussmannJungKleinertDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff LudewigDr. Dr. h. c. Maihofer MischnickOllesch PaintnerPeters
von SchoelerSpitzmüllerDr. VohrerDr. WendigWolfgramm WurbsZywietzBerliner Abgeordnete HoppeNeinSPDCoppikHansenLattmann ThüsingEnthaltungenSPDBindigConradiFrau Dr. Däubler-Gmelin KuhlweinMarschallMeinike Schäfer (Offenburg)Dr. SchöfbergerDr. Schwencke Frau SimonisSimpfendörferUeberhorstFDPEimer
HölscherFrau Matthäus-Maier Schmidt Frau SchuchardtDamit ist der Gesetzentwurf angenommen.Meine Damen und Herren, ich rufe nun Punkt 9 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSUDeutsche Bundesbahn — Drucksache 8/849 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau HaushaltsausschußDas Wort hat Herr Abgeordneter Jobst.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor zehn Jahren, im Dezember 1967, trat erstmals ein SPD-Bundesverkehrsminister mit großem Aufwand an die Öffentlichkeit und verkündete eine Wende in der Verkehrspolitik. Das Unternehmen Deutsche Bundesbahn versprach er in vier Jahren zu sanieren.Mittlerweile haben wir zehn Jahre SPD-Verkehrspolitik hinter uns, aber mit dem Erfolg, daß die Deutsche Bundesbahn nicht saniert wurde, sondern in eine katastrophale finanzielle Situation gekommen ist. Die Zuschußleistungen des Bundes an die Bundesbahn betrugen 1965 noch 2,7 Milliarden DM. Jetzt ist dieser Bedarf auf 13 Milliarden DM angestiegen, und der Schuldenstand der Bahn hat heute ein Ausmaß von 30 Milliarden DM erreicht. Die Bahn ist durch die Verkehrspolitik dieser Jahre zum Haushaltsrisiko Nummer eins geworden.Ich kann verstehen, daß die SPD von dem sogenannten Leber-Plan heute nichts mehr wissen will.Am 27. April 1977 verabschiedete die Bundesregierung ihr vorläufig letztes Sanierungskonzept für die Bahn. Es ist eines von vielen in den vergangenen Jahren. Wir kennen alle deren schnelles Ende. Nicht einmal fünf Monate später, am 19. September 1977, erklärte der Bundesverkehrsminister in einem Interview mit der Zeitung „Die Welt" dieses sogenannte Sanierungskonzept für gescheitert. Da kann man nur sagen: Herr Gscheidle tanzte nur einen Sommer.Wenn Sie aber, Herr Minister, in diesem Interview, das ich vor mir habe, die Politiker zum Handeln für die Bahn auffordern, dann frage ich Sie: Wer trägt hier denn für diese Politik Verantwortung? So einfach können Sie sich nicht aus Ihrer Verantwortung herausstehlen.Mit dieser Erklärung haben Sie, Herr Minister, einen Offenbarungseid geleistet. Es ist doch ein grotesker politischer Vorgang, daß sich ein langfristig angelegtes Konzept bereits nach fünf Monaten als Seifenblase erwiesen hat. Eigentlich müßten Sie, Herr Minister, jetzt Ihren Hut nehmen.Die CDU/CSU hat den sogenannten Leistungsauftrag der Bundesregierung an die Deutsche Bundesbahn von Anfang an mit großer Skepsis beurteilt. Wenig Klarheit und wenig Verbindlichkeit sind darin enthalten. Wir haben im Wege einer Kleinen Anfrage den Versuch gemacht, diesen allgemein
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Dr. Jobstformulierten sogenannten Leistungsauftrag der Bundesregierung in seinen Grunddaten, Annahmen und Voraussetzungen transparenter zu machen. Es reicht ja wohl schließlich nicht aus, dem Vorstand der Bundesbahn in Form eines Tagesbefehls den Auftrag zu erteilen, den Bilanzverlust bis 1985 abzubauen. Die Antwort der Bundesregierung auf diese unsere Fragen hinsichtlich ihres Leistungsauftrages ist auch von der interessierten Öffentlichkeit nicht nur als eine Zumutung, sondern schlichtweg als eine Unverschämtheit empfunden worden.
Nach Ihrem Eingeständnis gegenüber der „Welt"kann man nur sagen: Hochmut kommt vor dem Fall.Tatsache ist: Hätte die Bundesregierung und hätten Sie, Herr Minister, den Mut, die Daten und Grundvoraussetzungen auf den Tisch zu legen, die dem Leistungsauftrag der Bundesregierung an die Bahn und seinen Zielsetzungen zugrunde gelegt wurden, dann würde vollends klar, daß dieser Auftrag zu keinem Zeitpunkt auch nur die geringste Chance einer Realisierung hatte. Hier ist einmal mehr politisches Wunschdenken, aber nicht realistische Politik betrieben worden.
Wenn Sie sich, Herr Minister, jetzt auf den Standpunkt stellen, die konjunkturelle Entwicklung der letzten Monate und ihre Auswirkungen auf die Ertragslage der Bahn hätten ihr Sanierungskonzept vom 27. April 1977 über den Haufen geworfen, so ist das schlichtweg falsch. Die Grunddaten dieses Leistungsauftrages waren von Anfang an unrealistisch. Die negative wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Monate hat allenfalls dazu beigetragen, das auch ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen.Die Bundesbahnpolitik der Bundesregierung hat sich in den vergangenen Jahren in Einzelaktionen unter negativen Vorzeichen erschöpft.
Der Leistungsabbaukampagne folgte die falsch angelegte Streckenabbaukampagne, und jetzt ist von der Bundesbahnpolitik dieser Regierung nicht mehr übriggeblieben als eine Personalabbaukampagne. Ein umfassendes Gesamtkonzept für die Bahn, welches insbesondere auch konstruktiv-offensive Maßnahmen enthält, ist bei der Bundesregierung nach wie vor nicht einmal im Ansatz erkennbar.Eine Delegation des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages, der ich angehören durfte, war in der vergangenen Woche in London. Wir hatten auch ein Gespräch mit den leitenden Herren der britischen Eisenbahner. Die Engländer legten uns dar, daß sie nicht mehr daran dächten, weiterhin Strecken der Eisenbahn abzubauen. Es habe sich herausgestellt, daß die Hauptverluste auf den Kernstrecken und nicht auf den Nebenstrecken entstünden.Wir von der CDU/CSU haben stets gefordert, daß der Kern des Eisenbahnnetzes verbessert und die Produktivität gesteigert werden müsse, und haben dargelegt, daß ein Kahlschlag der Bahn zu nichts führt.Kernpunkt des von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachten Antrages zur Deutschen Bundesbahn, der heute zur Beratung ansteht, sind die Investitionen der Bahn. Wenn eine Sanierung der Bahn überhaupt noch gelingen soll, dann nur, wenn es uns gelingt, die Modernisierung der Bahn zügig voranzutreiben. Wenn auch bei den Investitionen zur Modernisierung der Bahn Sand ins Getriebe kommt, wäre das für die Zukunft der Bahn besonders verhängnisvoll. Die finanzielle Situation bei der Bahn muß heute so umschrieben werden: Es ist fünf Minuten vor zwölf. Es geht darum, ob die Bundesbahn ihren Rang als Verkehrsunternehmen erhalten kann.Die CDU/CSU hält es für untragbar, daß es für die Bahn nach wie vor kein mittel- und langfristig sowie finanziell abgesichertes Infrastruktur- und Investitionsprogramm gibt. Wir fordern deshalb die Bundesregierung in unserem Antrag auf, ein solches Programm — vergleichbar etwa dem Fernstraßenbauprogramm — vorzulegen, das die sachliche, die zeitliche und räumliche Priorität beim Ausbau der Infrastruktur der Bahn sowie bei den Investitionen in den einzelnen Leistungsbereichen der Bahn transparent macht.Was heute an Investitionsplanung bei der Bahn geschieht, ist politisch unverbindliche Wunschplanung. Die Finanzierung dieser Investitionsprogramme ist jährlich ein Vabanquespiel. Der Bundesverkehrsminister muß jetzt eingestehen, daß die Modernisierung der Bahn, die Voraussetzung für bessere Erträge ist, auf so viele Hindernisse stoße, daß sie zum gewünschten Zeitpunkt nicht durchgeführt werden könne. Damit sei, so Minister Gescheidle, die Vorstellung, die Modernisierung der Bahn zwischen 1985 und 1990 abzuschließen, aus heutiger Sicht nicht mehr zu verwirklichen.Ein umfassendes mittel- und langfristiges Investitionsprogramm der Bahn mit den dazugehörigen Planungen, aber auch Planungsreserven, wäre heute das geeignete Instrument, um die auftretenden Schwierigkeiten mit einer flexiblen Handhabung dieser Planung zu überwinden. Durch das Fehlen politisch gleichwertiger Investitionsprogramme für die Bahn, wie etwa beim Straßenbau, fürchten wir, daß die Investitionspolitik der Bahn vor allem bei den Neubaustrecken in eine Sackgasse gerät. Der Verkehrsminister hat dies bereits offen zugegeben. Es besteht die Gefahr, daß die Neubaustrecken Mannheim—Stuttgart, Hannover—Gemünden wegen der Einsprüche auf Jahre hinaus nicht gebaut werden können. Das Verhalten der Bürgerinitiativen ist sicherlich nicht ein Problem der Bundesbahn, aber es ist die Aufgabe der Bundesregierung, den Bürgern deutlich zu machen, daß Verkehrsbauten im Interesse des Gesamten notwendig sind und wichtige Infrastrukturmaßnahmen nicht blockiert werden sollten. Sie haben dabei unsere volle Unterstützung.
Der Bund der Steuerzahler hat kürzlich in einer Verlautbarung darauf hingewiesen, daß das Treibenlassen der Entwicklung der Bahn schon 1980 zuDr. Jobsteiner Haushaltsbelastung für den Bund von rund 20 Milliarden DM im Jahr führen werde. Wenn Sie, Herr Minister, jetzt erklären, daß die Modernisierung der Bahn bis 1990 nicht zu erreichen sein wird, so frage ich, ob Sie sich überhaupt bewußt sind, welche Folgen dies für das Unternehmen Bahn haben wird.Einen zweiten Schwerpunkt des CDU/CSU-Antrages zur Deutschen Bundesbahn bilden die sogenannten gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Deutschen Bundesbahn, die von diesem Unternehmen nicht kostendeckend zu erbringen sind. Für die Bundesbahn, die von der Bundesregierung in ihrem Leistungsauftrag zu unternehmerischem Handeln aufgefordert ist, bedeutet die derzeitige Verquickung gemeinwirtschaftlicher und unternehmerischer Leistungen einen unerträglichen Klotz am Bein. Bis hin zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers wird der Bundesbahn ihr gesamter Zuschußbedarf von derzeit über 13 Milliarden DM um die Ohren gehauen. Dabei sind etwa 7,5 Milliarden DM dieses Zuschußbedarfs der Bahn diese gemeinwirtschaftlichen Leistungen, die die Bahn gar nicht kostendeckend erbringen kann. Hier erfüllt die Bahn Aufgaben der Sozialpolitik, der Bildungspolitik, der Familienpolitik und der regionalen Strukturpolitik. Sie ist damit in diesem Bereich wahrhaft ein Packesel der Nation und wird dafür auch noch von allen Seiten geprügelt. Dies wollen wir mit unserem vorliegenden Antrag ändern, indem wir für jedermann klar sichtbar eine saubere Trennung dieser gemeinwirtschaftlichen Leistungen im Bundeshaushalt herbeiführen wollen.Die finanziellen Folgelasten für die gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Bahn sollen also für jedermann ersichtlich im Bundeshaushalt erscheinen, damit die wirkliche Verantwortung dafür deutlich wird. Sie gehören nach unserer Auffassung also in die Ressorts des Bundesarbeitsministers, des Bundesbildungsministers, des Bundesfamilienministers und des Bundeswirtschaftsministers. Dies ist weit mehr als eine Umbuchung; dies schafft nämlich den Zwang zur Alternative beim eigentlichen Veranlasser, weil es für ihn nichts mehr umsonst gibt.In seinem Interview vom 19. September 1977 erklärte der Bundesverkehrsminister, für die Sanierung der Bahn stünden 7,5 Milliarden DM auf Grund öffentlicher Auflagen und gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen nicht zur Disposition. Dies trifft, Herr Minister, nicht zu. So wird beispielsweise im Leistungsauftrag angekündigt, daß die Bundesbahn in den nächsten Jahren die Sozialtarife im SchienenPersonenfernverkehr abbauen will. Tatsächlich sind auch in der Vergangenheit gemeinwirtschaftliche Leistungen der Bahn immer wieder abgebaut worden: die Geschwisterermäßigung, Sonderrabatte für erholungsbedürftige Kinder. Auch die Schließung von Strecken und Bahnhöfen ist ein Stück Abbau von Gemeinwirtschaftlichkeiten der Bahn. Es trifft also nicht zu, daß die gemeinwirtschaftliche Leistung der Bahn grundsätzlich nicht zur Disposition gestanden habe und nicht zur Disposition stehe. Wir sind aber der Meinung, daß diese Disposition nicht beim Verkehrsminister liegen darf, sondern klar und deutlich beim veranlassenden Bundesressort liegen muß und daß dieses Bundesressort dann auch die finanzielle Verantwortung zu tragen hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei den Diskussionen um die finanzielle Sanierung der Bahn hat sich herausgestellt, daß bei der Bahn eine Erfolgskontrolle nur schwer, mitunter gar nicht möglich ist. Es wurden in der Vergangenheit Milliarden investiert, Erfolge daraus sind aber nicht meßbar. Es scheint bei diesem Unternehmen auch so zu sein, daß die Leute, die bei der Bahn Leistungen verkaufen, nicht wissen, ob sie dem Unternehmen Gewinne oder Verluste bescheren. Das Rechnungswesen der Bahn muß deshalb verbessert werden. Hinzukommen muß eine Resultatsverbesserung. Für Vorstandsmitglieder der Bahn und auch für die nachgeordneten Stellen der Bahn muß erkennbar sein, welche wirtschaftlichen Resultate sie bei ihren Entscheidungen und Handlungen ihrem Unternehmen erbringen. Ein plastisches Beispiel dafür, wie wenig hilfreich das Rechnungswerk der Bahn ist, ist doch die Tatsache, daß die Bahn z. B. eineinhalb Jahre brauchte, um festzustellen, welche Teile ihres Netzes rentabel sind und welche nicht.
Meine Damen und Herren, wir brauchen und wir wollen eine moderne und leistungsfähige Bundesbahn für unsere Bevölkerung und für unsere Wirtschaft. Auch den Eisenbahnern sind wir es schuldig, daß wir sie von dem Makel des Verluste-Produzierens befreien.Die Situation der Bundesbahn hat durch die Verkehrspolitik der letzten Jahre einen kritischen Punkt erreicht. Da die Regierung nur Programme verkündet, die sich in kurzer Zeit als Seifenblasen erweisen, haben wir mit unserem Antrag jetzt erneut Initiative für das Unternehmen Deutsche Bundesbahn ergriffen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wendt.
Frau Präsident! Sehr verehrte Kollegen des Verkehrsausschusses! Die Opposition hat mit der Einbringung dieses Antrags betreffend Deutsche Bundesbahn, der uns auf der Drucksache 8/849 hier vorliegt, wieder einmal gezeigt, daß sie ohne echte Alternativen ist und darauf aus ist ist, über das Vehikel Deutsche Bundesbahn Parteipolitik zu machen. Wie mein Kollege Erhard Mahne — er hat heute Geburtstag, ich gratuliere ihm von dieser Stelle aus —
bereits nach Einbringung des Antrags der CDU/CSU gesagt hat, kann auch ich hier nur betonen, daß die Unions-Abgeordneten die ihnen vorliegenden Unterlagen offensichtlich nicht gelesen, die im Verkehrsausschuß gemachten Ausführungen nicht zur Kenntnis genommen haben oder ihnen diese bereits wieder entfallen sind.
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WendtDie Bundesbahn wird ihr Unternehmen in den kommenden Jahren systematisch weiter modernisieren.
Es ist vorgesehen, daß bis 1980 mehr als 25 Milliarden DM brutto investiert werden. Es erübrigt sich, glaube ich, auf Ihren ersten Punkt nochmals detailliert einzugehen, da Sie doch genau wissen, daß das Investitionsprogramm der Deutschen Bundesbahn seit März vorliegt. Wenn die Forderungen der Opposition dann noch mit Zahlenspielereien begleitet werden, wie das in der Presseerklärung der CDU/CSU geschehen ist, mit Zahlenspielereien dahin, die Investitionsquote sei abgesunken, so müssen wir dem doch auch einmal die absoluten Investitionszahlen gegenüberstellen. Unter Verkehrsminister Seebohm wurden in 15 Jahren — von 1952 bis 1962 — zur Finanzierung der Investitionen 3 Milliarden DM ausgegeben.
In den folgenden zehn Jahren dagegen wurden unter einem sozialdemokratischen Verkehrsminister der Bundesbahn 8,4 Milliarden DM für Investitionen zur Verfügung gestellt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lemmrich.
Aber natürlich!
Herr Kollege Wendt, da auch Sie Ingenieur sind, kann ich davon ausgehen, daß Sie mit Zahlen umgehen können, wenngleich im Moment der Eindruck entsteht, daß Sie nicht damit umgehen können. Sind Ihnen vielleicht noch die Investitionsquoten der Jahre 1960, 1961 und 1962 gegenwärtig, die sich damals auf 32% betrugen, während sie sich heute bei vielleicht 17 oder 18 % bewegen?
Die Haushaltssituation hat sich verändert, und auch die Relationen haben sich verändert. Wenn Sie die von mir genannten Zahlen miteinander vergleichen, stellen Sie fest: In den zehn Jahren waren es zweieinhalbmal soviel wie in den vorangegangenen 15 Jahren. Diese Zahlen kennen Sie, Herr Lemmrich, viel besser; Sie sind im Verwaltungsrat der Deutschen Bundesbahn. Diese Zahlen werden im Verkehrsausschuß und im Verwaltungsrat immer wieder vorgelegt. Die Mitglieder Ihrer Fraktion sollten sich bei dem verehrten Kollegen Lemmrich doch mal informieren, wie das dort aussieht. Tun Sie doch nicht so, als sei Ihnen all das unbekannt!Ich glaube, wir können den Punkt 1 damit abhaken. Wir können das so nicht akzeptieren.Zum zweiten Punkt. Natürlich kann die Bundesbahn auf Grund ihrer Investitionsplanung Investitionsvorhaben auf Grund von Sonderprogrammen durchführen. Allerdings: Verwaltungstechnische Verfahrensabläufe und Investitionshemmnisse anderer Art, durch die Investitionen verzögert werden, kann die Deutsche Bundesbahn — auch das hat der Kollege Josten vorhin angesprochen — kaum beeinflussen. Wir alle und, wie ich hoffe, auch Sie kennen diese Problematik. Ich möchte — mit Genehmigung der Frau Präsidentin — nur zitieren, was im Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom September dieses Jahres veröffentlicht wurde:Ein recht gravierender Investitionsstau besteht zur Zeit auch im Bereich der öffentlichen Verkehrsbauten, wo die pflichtgemäße Berücksichtigung der zahlreichen, vom Staat selbst erlassenen Vorschriften die Verwirklichung geplanter Projekte oft erheblich verzögert. Insbesondere muß über zahlreiche Einsprüche entschieden werden. Unter diesen Umständen fließen die Mittel für öffentliche Investitionen nur langsam ab.Das, meine Damen und Herren von der Opposition, zu Punkt 2 Ihres Antrags. Wir kommen diesen Schwierigkeiten also nicht so bei, wie Sie es in Ihrem Antrag formuliert haben.Über den Punkt 3 Ihres Antrags brauchen wir an sich nicht viele Worte zu verlieren. Denn erstens ist die Bundesregierung der falsche Adressat — der Bundesbahn-Vorstand ist dafür zuständig —; und zweitens: „Investition und Konzentration" lautet die Devise der Bundesbahn-Politik. Daß hierbei Rationalisierungsmaßnahmen ohne Kapitaleinsatz den Vorzug haben, ist selbstverständlich. Auch hier möchte ich Sie an den Kollegen Lemmrich verweisen. Vielleicht gibt er einige Hinweise aus den — allerdings sonst vertraulichen — Verwaltungsratssitzungen. Daß hier Maßnahmen laufen, dürfte Ihnen doch wohl nicht unbekannt sein. Ist Ihnen nicht bekannt, daß 40 Ämter stillgelegt und 700 Dienststellen aufgelöst werden; daß seit Jahren ein Einstellungsstopp besteht; daß längere Untersuchungsfristen für die Fahrzeuge eingerichtet worden sind; daß im Oberbau Rationalisierungsmaßnahmen eingesetzt haben, die ohne Kapitaleinsatz verwirklicht werden? Das sind doch Maßnahmen, an denen Sie nicht vorbeisehen können!
Und nun zu Ihrem vierten Punkt. Die Forderung, die gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Deutschen Bundesbahn aus den Mitteln derjenigen Ressorts abzugelten, denen sie — nach Ihrer Formulierung — an sich zuzurechnen sind, hat im Laufe der Jahre ebenfalls nicht an Überzeugungskraft gewonnen. Dieser Absatz entspricht ja wörtlich Ihrem Antrag auf Drucksache 7/3986 aus 1975. Sie können im Protokoll vom 27. November 1975 die Stellungnahme des Verkehrsministers nachlesen. Die gilt heute noch. Sicher kann man nach wie vor hierüber reden und diese Möglichkeiten erörtern. Uns aber sollte es in erster Linie darum gehen, die wirtschaftliche Situation der Deutschen Bundesbahn zu verbessern, und nicht nur den Versuch zu machen, Verbesserungen durch optische oder buchhalterische Maßnahmen vorzutäuschen,
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WendtBereits haushalts- und finanzpolitische Gründe sprechen gegen eine dezentrale Mittelbewirtschaftung bei den gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Bundesbahn. Ich will dies nicht im einzelnen ausführen. Hierzu können Sie sicherlich Ihre Haushaltspolitiker fragen; die werden Ihnen gewiß eine Menge an Argumenten liefern.Aber stellen Sie sich einmal vor, man wollte den Schienen-Personennahverkehr aufteilen nach sozialpolitischen oder kulturpolitischen oder verkehrspolitischen Zusammenhängen! Teilen Sie das einmal auf! Dann werden Sie sehen, warum das nicht auf den Sozialhaushalt oder den Bildungshaushalt oder den Verkehrshaushalt aufgeteilt werden kann. Meistens sind es doch die verkehrspolitischen Schwerpunkte, die dazu führen, daß dieser Schienen-Personennahverkehr weitergeführt wird.Aber eines ist doch auch zu befürchten: Die Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen wird durch solche Maßnahmen nicht erleichtert, und die Bürde der politischen Auflagen, gemeinwirtschaftliche Leistungen zu erbringen, wird der Deutschen Bundesbahn sicherlich nicht abgenommen. Eine Aufteilung der Zuschüsse auf Einzelressorts kann nichts, aber auch überhaupt nichts an der Gesamtbelastung des Bundeshaushalts ändern.Im übrigen sind 1976 aus dem Haushalt des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 2,6 Millionen DM an die Deutsche Bundesbahn gezahlt worden. Es war eindeutig, daß der Veranlasser für die Beförderung von Heu und Stroh zu ermäßigten Tarifen das Landwirtschaftsministerium war. Dort war es ganz klar, und dort ist es auch so geschehen.Nun zu Ihrem letzten Punkt. Die Arbeiten zur Weiterentwicklung der Kostenrechnung sind nach Auskunft des Bundesbahnvorstands fast abgeschlossen. Vielleicht kann Ihnen auch dazu der Kollege aus dem Verwaltungsrat Näheres sagen. Im Anschluß an diesen Abschluß sollen für alle Dienststellen örtliche Rechnungen aufgestellt werden, angefangen mit den Personalkosten.Kollege Dr. Jobst sagte eben, für die British Railway käme eine Stillegung überhaupt nicht mehr in Frage. Er wollte damit so tun, als wenn das bei uns auch nicht mehr der Fall sein sollte. Dabei hat er vollkommen verschwiegen, daß die British Railway schon Stillegungen von 29 000 auf 18 000 km vorgenommen hat. Bei uns soll das in dem Ausmaße nicht geschehen.
— Sie haben gesagt, die Briten seien heute davon überzeugt, nichts mehr stillegen zu müssen. Natürlich nicht, die haben das alles hinter sich! Die haben ihre Eisenbahn heruntergefahren und der British Bus Company und allen anderen den Ersatzverkehr belassen.Meine Damen und Herren von der Opposition, ich frage Sie, ob Sie diesen Antrag nicht doch zurücknehmen wollen; denn die Sache ist doch geklärt.Der Antrag hilft nicht der Eisenbahn, er hilft nicht den Eisenbahnern, sondern er ist im Grunde genommen doch nur Kosmetik. Die Lage der Deutschen Bundesbahn ist an sich zu ernst, als daß man ihr mit solchen Anträgen helfen könnte. Hier helfen nur ganz konkrete Überlegungen, und wir laden Sie herzlich dazu ein, mitzuhelfen, dieses Unternehmen im Interesse der Bevölkerung unseres Landes und auch der Eisenbahner, die dort beschäftigt sind, zu sanieren.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte findet in gewohntem Rahmen statt:
am Abend — allerdings auch nicht am ganz späten Abend —, aber im intimen Kreis der Kundigen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Jobst hat seine Rede wieder einmal mit der Feststellung eingeleitet, daß zehn Jahre sozialdemokratischer Verkehrspolitik mit sozialdemokratischen Verkehrsministern die Bundesbahn in eine unerträgliche Lage gebracht habe.
Sie haben das früher schon einmal dargelegt; nicht Sie persönlich, aber Ihre anderen Sprecher.
— Es stimmt, daß es zehn Jahre sozialdemokratische Verkehrsminister gibt. Aber ich habe in der Vergangenheit schon einmal darauf hingewiesen, daß wir zunächst zwei Jahre abstreichen müssen, bis 1969. Ich nehme an, da hat er ihr Vertrauen gehabt. Denn Sie haben ja die Regierung mit den Sozialdemokraten gebildet und sogar den Bundeskanzler gestellt. Es wäre doch kein guter Stil, wenn man sich dann hinterher von den Versäumnissen distanziert, die in dieser Regierungszeit begangen wurden. Das ist kein guter Stil. Wenn Sie 1969 anführen, dann kann ich nicht einmal sehr viel dagegen sagen.Nun, wir haben wieder einmal unser Schmerzenskind in der Verkehrspolitik, die Deutsche Bundesbahn, zum Teilthema dieses Abends. Aber trotz vieler Auseinandersetzungen in der Vergangenheit, trotz vieler Anträge, die hier gestellt wurden, hat bisher noch niemand ein schlüssiges Konzept vorlegen können, wie die Deutsche Bundesbahn als Unternehmen auf eine gesundere finanzielle und wirtschaftliche Basis gestellt werden könnte, als sie heute vorhanden ist.Man muß auch einmal überlegen, meine Herren von der Opposition, wie es dazu kommen konnte. Die Deutsche Bundesbahn bewegt sich auf dem Verkehrsmarkt, und dieser Verkehrsmarkt wickelt sich innerhalb unserer Marktwirtschaft ab. Wir setzen als Politiker und als Gesetzgeber einen Ord-
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Olleschnungsrahmen, in dem sich das vollzieht. Aber wir legen Wert darauf, daß dem Benutzer von Verkehrsleistungen das freie Angebot von Verkehrsträgern bleibt und er wählen kann. In den Jahren ab 1949 hat sich doch folgendes ereignet. Die Bundesbahn ist auf dem Streckennetz der Deutschen Reichsbahn hängengeblieben, aber die Konkurrenten haben mit Steuermitteln ein modernes Verkehrsnetz erhalten, ein modernes Straßennetz, das den Verkehrsströmen angepaßt ist, und auch ein leistungsfähiges Binnenschiffahrtsnetz. Mit Zustimmung dieses Hauses — des ganzen Hauses — haben wir doch der Deutschen Bundesbahn, gerade was den Ausbau der Binnenwasserstraßen anlangt, Konkurrenzen auf einem ureigenen Transportgebiet der Schiene auf den Hals geladen. Sehen Sie einmal den Nord-SüdKanal! Die Fertigstellung hat die Deutsche Bundesbahn gezwungen, ebenfalls im Salzgitter-Raum mit Tarifen zu arbeiten — um überhaupt noch Frachtgut zu erhalten —, die ganz und gar nicht kostendeckend sind und die Deutsche Bundesbahn in die Verluste mit hineintreiben. Dazu kommt die Entwicklung auf dem Kraftfahrzeugsektor. Die Menschen sind mobiler geworden. Sie sind Herr Ihrer Mobilität durch den eigenen Wagen und dadurch als Kunden für die Bahn ausgefallen. Aber nicht nur Fahrgäste sind ausgefallen, auch Fracht ist ausgefallen. Die Bundesbahn hat an der Steigerung des Frachtaufkommens nur in ganz geringem Umfange teilnehmen können. Überlegen Sie: im Montanbereich fehlen seit 1976 50 Millionen to Transportgut, weil das Aufkommen im Montanbereich zurückging.
— Aber das muß man Ihnen immer wieder in die Erinnerung zurückrufen,
weil Sie immer versuchen, den verantwortlichen Politikern die Schuld an der schlechten finanziellen Lage dieses Unternehmens zuzumessen.
— Man muß die Vergangenheit natürlich auch beleuchten. Ich mache Ihnen gar keinen Vorwurf. Herr Müller-Hermann hat gelegentlich mit Stolz erwähnt, daß es eine seiner Leistungen war, die Zweckbindung der Mineralölsteuer für den Straßenbau herbeizuführen. Schaffung besserer Verkehrswege! Hätte es eine Zweckbindung für den Bau von Eisenbahnstrecken in der Vergangenheit bis heute gegeben, hätten wir wahrscheinlich auch in dem Betriebs-, dem Güteraufkommen und den Verkehrsströmen angepaßtes Eisenbahnnetz gehabt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jobst?
Gerne!
Herr Kollege Ollesch, wollten Sie und wollen Sie heute nicht, daß ein Teil der Mineralölsteuer, die ja der Kraftverkehr aufbringt, für den Straßenbau zweckgebunden ist?
Natürlich,
ich kritisiere doch gar nicht, daß das so ist.
Ich will Ihnen nur aufzeigen, was wir dort — mitmeiner nachträglichen Zustimmung; ich war damals,als das beschlossen wurde, noch nicht hier im Hause— getan haben, und will Ihnen aufzeigen, daß wir versäumt haben, auch Mittel für die Verbesserung des Schienennetzes der Eisenbahn zu fixieren.Seit zwei Jahren versuchen wir nun, das Versäumte bei der Veränderung des Netzes nachzuholen, und wir versuchen auch, dort, wo sich die Bundesbahn nicht mit Erfolgschancen auf dem Markt bewegen kann, den Rückzug einzuleiten. Von daher kam es zu der Vorlage des wirtschaftlich — betriebswirtschaftlich — sinnvollen Netzes, das — auch bei Ihnen — den Sturm der Entrüstung hervorgerufen hat; und Sie haben ja erklärt, für Stilllegungsmaßnahmen würden Sie sich nicht erwärmen können, und eine Halbierung der Bundesbahn käme für Sie nicht in Frage.
Sie werden mit uns — —
— Nein, Sie haben erklärt, die Halbierung kommt für Sie nicht in Frage Es hat ja auch niemand— keiner der Politiker — erklärt, daß er halbieren will.
Aber, Herr Kollege Lemmrich, Sie werden mit uns in den zuständigen Organen beschließen, daß wir das Streckennetz der Bahn reduzieren. Da werden Sie zustimmen, obwohl Sie draußen den Eindruck haben aufkommen lassen, da würden Sie niemals zustimmen, sondern mit dem sogenannten spitzen Bleistift arbeiten.Nun zu Ihrem Antrag. Kollege Wendt hat schon dargelegt, daß es schon eine Investitionsplanung, die fortgeschrieben wird, bei der Deutschen Bundesbahn gibt. Und dann, wenn Sie einen Blick in den Haushalt 1977 und in den Entwurf 1978 tun, werden Sie feststellen, daß wir erhebliche Beträge für Investitionen mit dem Ziel der Leistungsverbesserung vornehmen. Bis 1985 werden es über 17 Milliarden sein, die nur für diesen Zweck der Leistungsverbesserung investiert werden. Das alles mag nun, Herr Kollege Lemmrich, etwas spät kommen, aber immerhin, wir versuchen, da etwas zu tun.
— Ja, natürlich, Herr Kollege Dreyer, das können wir doch nur. Es wäre ja alles ganz einfach, wenn wir Gesetze machen könnten, die besagen, daß jeder
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Olleschzweite Deutsche die Eisenbahn zu benutzen hat oder so ähnlich. Aber das werden Sie und wir nicht wollen.Wir werden auch das tun, was durch die Jahre hindurch versäumt wurde: Wir werden den Personalbestand der Bahn den gegebenen Notwendigkeiten und den Bedürfnissen der Bahn anpassen.
Und gerade die Vertreter meiner Fraktion waren ja die ersten, die zu Beginn der 70er Jahre davon sprachen, daß der Personalaufwand zu hoch sei und daß die Bahn um 60 000 Beschäftigte geschmälert werden müsse. Nur, es ist in einer Zeit zurückgehender, schlechter Konjunktur ein bißchen schwierig,
den Abbau im notwendigen Umfange durchzuführen.Sie wissen auch: Wir schleppen bei der Bahn Kapazitäten mit — auch nicht erst, seit es Verkehrsminister dieser Koalitionsregierung gibt, auch schon, als noch Herr Seebohm Verkehrsminister war —, die wir nicht benötigen. Und da sind nicht nur die Ausbesserungswerke Karlsruhe und Trier überflüssig; da kommen jetzt Frankfurt und noch einige mehr hinzu. Da wir kaum Entlassungen vornehmen können — jedenfalls nicht in vollem Umfang —, da wir auch nicht Bedienstete entlassen und in die Arbeitslosigkeit hineindrücken wollen, geht das alles viel zögerlicher, als es beabsichtigt war.Wir bemühen uns, mit einer Investitionsplanung und mit der Bereitstellung erheblicher Mittel die Bahn auf denjenigen Verkehrsrouten gegenüber dem Straßenverkehrsgewerbe und der Binnenschifffahrt konkurrenzfähig zu machen, auf denen Aussicht auf kostendeckende Erträge besteht. Auch bemühen wir uns, wie ich vorhin ausführte, den Personalbestand dem Bedarf anzupassen. Der Bedarf wird sich um das Jahr 1985 auf rund 250 000 Dienstkräfte beziffern. Heute führen wir immerhin noch rund 360 000 Mann mit. Das bedeutet erhebliche Anstrengungen in den nächsten zehn Jahren.Nun haben Sie in Ihrem Antrag — er ist eine wortwörtliche Wiederholung eines früheren Antrages, nämlich des Antrages vom 22. August 1975 — gefordert, daß die Ausgleichsmittel bei den sogenannten gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Bahn nach dem Veranlasserprinzip aufgegliedert werden. Das sieht gut aus. Aber man muß wissen: In der Hauptsache kämen hier die rund 2,7 Milliarden DM Kostenunterdeckung im Nahverkehr in Frage. Diese 2,7 Milliarden DM auf Mark und Pfennig aufzuschlüsseln, ist kein unmögliches Unterfangen, aber etwas schwierig. Außerdem ist die Ertragskraft der Bahn in keiner Weise berührt, wenn wir diese 2,7 Milliarden DM auf die verschiedensten Ministerien aufspalten.In Ihrem Antrag fordern Sie außerdem noch, die Mittelbewirtschaftung solle bei vier weiteren Ministerien liegen. Da habe ich doch erhebliche Bedenken.
— Natürlich, der Grundsatz ist auch sehr vernünftig. Aber die Aufspaltung der Mittelbewirtschaftung bedeutet in erheblichem Maße Leerlauf und ständige Auseinandersetzungen zwischen der Bahn oder dem Bundesverkehrsministerium und den Ministerien, die diese Mittel bewirtschaften.
Da durch die Aufschlüsselung nichts eingespart werden kann, reicht es völlig, wenn wir die Mittel so ausweisen, wie sie heute in der Anlage zum Einzelplan 12 ausgewiesen sind.Ich gehe mit Ihnen konform, wenn Sie fordern, daß die Entwicklung zu einer unternehmerischen Kostenrechnung beschleunigt werden soll.
Es ist für alle, die sich mit Betriebswirtschaft beschäftigen, ja auch fast unvorstellbar, wieso diese Versuche nicht schon in früheren Zeiten begonnen wurden und wir nicht schon seit längerer Zeit zu einer Durchlässigkeit der Gesamtausgaben und zu einer Aufschlüsselung darüber kommen können, wo denn nun wirklich Gewinne erwirtschaftet, wo Verluste eingefahren werden. Diese Konzeption ist jetzt— das hat der Kollege Wendt auch schon dargelegt— begonnen, und sie wird fortgeführt. Wir rechnen damit, in absehbarer Zeit auch bei der Deutschen Bundesbahn zu einer Rechnungslegung zu kommen, die der in anderen Betrieben üblichen Rechnungslegung entspricht.Ich darf abschließend bemerken, daß wir bereit sind, mit Ihnen jedweden Vorschlag zur Verbesserung der Ertragslage und der Situation der Bahn zu diskutieren.
Sie haben ihn vorgelegt. Wir werden darüber im Verkehrsausschuß zu reden haben, und wir werden die positiven Elemente, die dieser Antrag beinhaltet, sicherlich nicht negieren, sondern zum Gegenstand von Vorschlägen machen.
Das Wort hat Herr Bundesminister Gscheidle.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Niemand hat verständlicherweise rechte Freude, wenn man über die Probleme der Bundesbahn redet. Ich glaube, wenn man einmal von Polemik Abstand nimmt, obwohl die ja auch sein muß — das sehe ich ein —, dann bleibt das bedrückende Gefühl, daß weder wir in der Bundesrepublik Deutschland noch irgend jemand sonst auf der Welt ein Patentrezept haben; denn ich bin
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3392 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Bundesminister Gscheidlesicher, wenn wir es hätten, würden alle zu uns kommen, wenn es ein anderer hätte, würden wir alle zu ihm fahren.Es wurde ja deutlich, ohne dies zu vertiefen, wie es eigentlich zu diesen Verschiebungen auf den unterschiedlichen Verkehrswegen kam. Eines wissen wir aus Erfahrung auf jeden Fall: daß man bei Verkehrsplanungen parallele Planungen, wo immer es geht, vermeiden soll und daß man das Problem der Wegekosten regeln muß. Es bietet sich an, da jedes Land Probleme in dieser Sache hat, dies wenigstens in der EG zu versuchen.Meine Damen und Herren von der Opposition — wenn ich auch einmal ein bißchen polemisieren darf —, Sie nützen — und das ist Ihr gutes Recht — jede Möglichkeit, das Thema Bundesbahn in die Debatte des Bundestages zu bringen. Dies tun Sie immer mit der Überschrift: Fünf Minuten vor zwölf. Sie haben das allerdings schon in zwei Debatten gesagt. Ob man das mit „fünf vor zwölf" oder „drei vor zwölf" umschreibt, ist nicht der Punkt. Wenn Sie als Opposition mit dem Hinweis, es sei fünf vor zwölf und deshalb müsse über die Bundesbahn geredet werden, auch nach dem dritten Versuch im Plenum nicht mehr zustande bringen als eine schwache Besetzung aus Mitgliedern des Verkehrsausschusses, würde ich mir überlegen, woran das eigentlich liegt. Es ist ja nicht so, daß wir sagen könnten, bei uns sei alles voller gespannter Erwartung und wir hätten volle Bänke und bei Ihnen seien nur ein paar Männeken. Wir bringen den Saal nicht voll, weil jeder das Problem kennt, aber von uns allen offenbar nicht mehr erwartet, daß wir hier irgendwelche neuen Dinge erzählen können. Insofern kann ich auch nur sagen: Ich habe überhaupt nichts gegen die Vorstellungen, die Sie vortragen, aber neu ist keine. Es ist auch keine originär. Es sind alles Dinge, die außer einer Sache sogar in Arbeit sind.Sie nehmen — das nehme ich Ihnen gar nicht übel — einen „Welt"-Artikel, ein Interview, und sagen, der Minister habe erklärt, das Ziel, bis 1985 den Bilanzverlust — Preisstand 1976 abzubauen, sei nicht mehr erreichbar. Damit habe er seinen Bankrott erklärt. Herr Dr. Jobst, ist das eigentlich korrekt, was Sie aus diesem Artikel zitieren? Müssen Sie nicht das Ganze nehmen? Sie sagen, der Minister habe sich hingestellt und erklärt, das hänge mit den Erträgen zusammen. Fünf Minuten später zitieren Sie in Ihrer Rede wiederum aus dem Artikel bezüglich der Hemmnisse bei der Durchführung von Investitionen. Sind da im Umgang mit dem, was ich persönlich für den Stil des Parlaments halte, die Dinge nicht so verbogen, daß es zwar noch eine Polemik gibt, daß uns das in der Sache aber nicht weiterbringt? Dies sind Wahrheiten. Wer will die bestreiten?! Soll ich gegenüber einem Wirtschaftsjournalisten, der mich in Kenntnis der Ertragsentwicklung fragt, wie jetzt meine Vorstellungen aussehen, nicht genau das sagen, was ich weiß? In Ihrer Rede und von jedem, der über die Bundesbahn redet, werden dieselben Schlußfolgerungen zu ziehen sein. Jetzt machen Sie aber wieder einen polemischen Salto mortale in der logischen Abwicklung Ihrer Rede, indem Sie sagen, damit sei der Leistungsauftrag erledigt. Wieso eigentlich, lieber Herr Dr. Jobst? Jedes Unternehmensplanungssystem mit all seinen Variationen, die es haben muß, stellt zunächst einmal das Problem, die Zielbestimmung des Unternehmens immer wieder an das anzupassen, was möglich ist. Dafür haben wir 13 Zielvorgaben gemacht; Sie kennen sie. Aber dies allein entläßt die Bundesregierung nicht aus ihrer Verantwortung gegenüber der Bundesbahn, bei all deren Eigenständigkeit. Folglich wurde ein Leistungsauftrag formuliert. Diese Vorgabe hat die Bundesbahn auszufüllen. Ich will Sie nicht langweilen, da ich im übrigen ohnehin der Meinung bin, daß es notwendig wäre, solche Details im Verkehrsausschuß zu diskutieren.Zu jedem Punkt dieses Leistungsauftrags hat der Vorstand der Bundesbahn — fast parallel, in Abstimmung mit der Entwicklung unseres Leistungsauftrags — die entsprechenden Einzelprojekte festgelegt. Der Vorstand steht in der Verpflichtung — nicht nur, weil wir das wollen, sondern weil er das selbst benötigt —, die Realisierung dieser Einzelmaßnahmen mit unseren Zeitvorgaben abzustimmen. Da wird nun plötzlich klar, daß die Erträge zurückbleiben und — das ist viel schlimmer — daß die Modernisierung der Bahn nicht in dem gewünschten Umfang vorankommt. Das liegt nicht nur daran, daß wir in Optimismus den Zeitraum für das Erreichen der Ziele zu kurz bemessen hätten, sondern wir kommen auch mit dem, was die Bahn mit ihrem Sachverstand für möglich hielt, nicht voran.Nun sagen Sie: Warum appelliert dieser Minister eigentlich an ,die Politiker? Ich weiß nicht, ob Sie das parteipolitisch gesehen haben. Es war gar nicht so gemeint. Ich hatte an alle Politiker appelliert. Da antworten Sie: Warum? Wir stehen doch zur Bahn! Ist das richtig, Herr Jobst? Können wir das für alle sagen, wenn wir alle Gebietskörperschaften betrachten, wenn wir das Handeln des einzelnen betrachten? Ist es nicht vielmehr so, .daß viele an einem Tag mit der Fahne oder dem Transparent herumrennen und sagen: „Wir sind für die Bahn", um am anderen Tag andere Forderungen aufzustellen, die der Bahn wiederum nichts nützen? Ich denke an Fragen der Verkehrslenkungsmaßnahmen, des Straßenbaus, des Abbaus von Steuern, ich denke an diejenigen, die sich gegenüber der Wegekostenzurechnung sperren, und an die Forderung nach einer möglichst frühen Eröffnung des Rhein-Main-Donau-Kanals. Das alles sind Fragen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den Ertragsmöglichkeiten der Bundesbahn stehen.Wir kommen nicht weiter auf dem Weg zu einer modernen Bahn. Darüber sind wir uns doch wohl alle einig. Dazu gehören moderne Güterumschlagsplätze, dazu gehören moderne Trassen, dazu gehört nach Möglichkeit die Entmischung von langsam laufendem Güterverkehr und Personenverkehr, dazu gehört die Modernisierung von Bahnhöfen, ,die der Verbindung der unterschiedlichen Verkehrsmittel, des Schienenverkehrs und des Straßennahverkehrs dienen.Herr Jobst, Sie haben genügend Möglichkeiten, diese meine Aussage zu kontrollieren. Entgegen Ihrer Annahme haben wir bei der Deutschen Bundes-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3393
Bundesminister Gscheidlebahn überhaupt nicht das Problem, ,daß es nicht genügend Investitionsmöglichkeiten gibt. Die Bahn hat große Schwierigkeiten, die Investitionen vernünftig unterzubringen. Sie wird es wegen der Schwierigkeiten bei allen Anstrengungen nicht schaffen.Ich frage Sie: Wo bekommen wir die notwendige Unterstützung, wenn es darum geht, irgendwo einen Rangierbahnhof zu bauen, irgendwo eine Trasse zu bauen? Ich habe Verständnis, daß niemand daran interessiert ist, in seiner unmittelbaren Nachbarschaft einen Rangierbahnhof zu haben. Wir können aber die Rangierbahnhöfe auch nicht auf den wenigen Flächen der Bundesrepublik bauen, auf denen sich Füchse und Hasen Gute Nacht sagen. Wenn die vier bis fünf modernen Rangierbahnhöfe, die wir dringend benötigen, einen Sinn haben sollen, dann müssen sie an Kernpunkten der Verkehrsströme gebaut werden. Wenn diese Fragen anstehen, erleben wir alle zusammen, daß es leicht ist, zu sagen, die Bahn müsse saniert und modernisiert werden, daß aber in dem Augenblick, wo die Konfrontation deutlich wird, wenn man abzählt, hinter welcher Parole wie viele stehen, zu wenige da sind, die konsequent die Modernisierung vertreten. Es sind zu wenige, um die Schwierigkeiten im politischen Raum überwinden zu können und zu dem kommen zu können, was man zukunftsträchtige Entscheidungen nennt.Sie haben hier Ihren Eindruck vorgetragen, wir hätten nicht einmal eine abgesicherte mittelfristige Finanzplanung. Herr Dr. Jobst, in diesem Zusammenhang müssen wir das Problem sehen — ich bin bereit, darüber zu diskutieren, halte uns aber für zu schwach, da etwas zu bewegen —, daß für die Investitionsplanung von Unternehmen in der Größenordnung von Bundesbahn und Bundespost das Haushaltsrecht große Schwierigkeiten mit sich bringt. Sicherheit bekommen Sie eben nur in dem Augenblick, in dem über den Haushaltsplan entschieden wird. Jedes andere Recht, das Sie kurz- oder mittelfristig planungsmäßig einführen können, bedeutet noch keine Sicherheit.Die Bahn hat mittelfristig einen Wirtschaftsplan, einen Finanzierungsplan, einen Rationalisierungsplan. Die Einzelziele, bezogen auf den Leistungsauftrag, sind in den Kosten quantifiziert. Es gibt eine mittelfristige Finanzplanung. Ich will mich darüber hier nicht zu lange auslassen. Wir sind aber in der Lage, Ihnen bei der Erörterung im Ausschuß Punkt für Punkt zu beweisen, daß in der mittelfristigen Finanzplanung die Anforderungen der Deutschen Bundesbahn abgedeckt sind. Trotz aller Einschränkungen, die man im Rahmen dieser mittelfristigen Finanzplanung in ihrer verpflichtenden Bedeutung für den Parlamentarier oder für das Parlament für den einzelnen Haushalt machen muß, sind wir in der Lage zu sagen: Dies ist abgedeckt.Mir ging es darum, hier etwas klarzumachen, was im übrigen in jedem Unternehmen so ist: Wenn eine Zielprojektion auf Grund veränderter Entwicklungen gegenüber einer früheren Annahme nicht mehr aufrechterhalten werden kann, muß ich entweder mein Ziel korrigieren — dazu sehen wir gar keinen Anlaß — oder überlegen: Was kann ich jetzt tun, um das, was sich verändert hat, wieder in den Griff zu bekommen? Kann durch andere Maßnahmen flankierender Art ein Ersatz geschaffen werden? Natürlich gehört vieles von dem, was Sie erwähnten, dazu. Der Kostenrechnung würde ich allerdings nicht einen so hohen Stellenwert beimessen. Dies ist aber eine wichtige Sache. Angestoßen hat man dies bei der Bundesbahn allerdings schon, bevor es eine öffentliche Diskussion darüber gab. Dies ist im Gang. Dies ist aber nicht eine Ersatzmaßnahme für das, was hier durch den Montanbereich hereingehagelt ist oder was sich hier an Änderungen ergeben hat, für das, was an Modernisierungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden konnte, obwohl die Pläne und die Gelder vorhanden waren. Es handelt sich natürlich auch um das Ausschöpfen aller Möglichkeiten auf dem Wege über Marktbeobachtung, Marktanalyse und flexiblere Angebote. Es handelt sich um das, was man im Management umorganisiert. Im übrigen habe ich aus Gesprächen doch den Eindruck gewonnen, daß die Herren des Verwaltungsrates — ich will hier niemanden namentlich nennen — sich sagen: Man spürt, daß sich hier etwas tut. — Dies ist sicherlich noch nicht morgen in Millionen zu messen. Hier ist aber etwas in Bewegung. Da ist die öffentliche Darstellung der Bundesbahn, die sich geändert hat. Was die Tarifpolitik angeht, so ist spürbar, daß die Grenzen akzeptiert, aber auch die Möglichkeiten wahrgenommen werden. Wir muten den Eisenbahnern — das gebe ich zu — doch allerhand an Rationalisierung zu. Es bedeutet schon etwas, in der Politik, die diese Bundesregierung in der Offentlichkeit gegen verständliche und manchmal auch unverständliche Angriffe zu vertreten hat, bei der heutigen Arbeitsmarktsituation an einem Ziel der Reduzierung festzuhalten. Ich erwarte von Ihnen gar nicht, daß Sie für all dies auch eintreten. Wenn Sie die Bundesregierung aber so attackieren, werden Sie sich als Kenner der Bundesbahn zumindest auch vorstellen können, wie es wäre, wenn Sie Verkehrsminister wären. Welche anderen Ideen als die, denen wir schon nachgehen, hätten Sie denn? In welcher Situation wären Sie denn? Wo hätten Sie bei den notwendigen Maßnahmen, die Sie vorschlagen und die weitgehend mit denen übereinstimmen, die wir ergreifen, eigentlich Beifall zu erwarten? Das ist das Problem.Sie sagen, Sie stünden zur Bahn. Es wäre manchmal hilfreich, wenn nicht nur wegen einer beabsichtigten Wirkung, also nicht allein, um zu kritisieren, Opposition betrieben würde, sondern auch einmal aufgezeigt würde, wo die Grenzen der Möglichkeiten der Bahn liegen, damit nicht Erwartungen entstehen, man könnte tatsächlich noch etwas tun. Weder in diesem Land noch in irgendeinem Land der Erde gibt es irgendwelche Vorbehalte gegen irgend jemanden — wer immer es auch sein mag —, einen neuen Gedanken, der zukunftsträchtig ist, nicht sofort vollkommen aufgeschlossen aufzunehmen. Wir kennen einen solchen Gedanken — leider, muß ich sagen — nicht. Wir können nur das, was wir hier angefangen haben, mit Mut, Beharrlichkeit und der Bereitschaft, ständig darüber zu diskutieren, fortführen. Ich brauche in diesem Hause nur auf diese
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3394 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Bundesminister GscheidleSeite zu blicken, um zu sehen, wie viele Abgeordnete dieses Hauses in wie vielen Versammlungen sich kritischen Diskussionen stellen, aber nicht in der Form, dann, wenn es schwierig wird, rückwärtszugehen, sondern mit dem Mut, das, was notwendig ist, auch zu vertreten. Je mehr dies tun, und zwar nicht nur in der Gebietskörperschaft Bund, um so größer werden die Chancen, einige Hemmnisse abzubauen, die der Modernisierung der Bahn entgegenstehen.Ich würde mich freuen, wenn die Arbeit im Verkehrsausschuß in diesem Sinne vertieft werden könnte, weil das Plenum, sofern wir nicht ganz neue Dinge zu verkünden haben, lediglich durch das Wiederholen alter Forderungen nicht zu füllen ist.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schulte.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren! Wenn der Herr Verkehrsminister gerade moniert hat, daß das Haus nicht voll besetzt sei, so liegt das weder an dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion noch an der Materie Verkehrspolitik, sondern leider Gottes — dies ist sicher eine Klage, die jeder von uns führen wird — an viel allgemeineren Problemen. Nur ist jetzt nicht der Anlaß, darüber nachzudenken oder gar zu philosophieren.Wenn der Herr Verkehrsminister aber gemeint hat, die Opposition nutze jede Chance, ins Plenum zu kommen, dann meine ich, daß wir bisher richtig und in weiser Selbstbeschränkung versucht haben, dann etwas zu sagen, wenn es etwas zu sagen gibt, um ansonsten im Ausschuß an der Lösung der Probleme sachlich mitzuarbeiten.Wir sind aber der Ansicht, daß die angekündigten 13,5 Milliarden DM Zuschußbedarf der Deutschen Bundesbahn für das nächste Jahr, ein eigener Antrag der CDU/CSU-Fraktion und eine ganze Reihe von Veröffentlichungen Anlaß genug sind, uns hier im Parlament auseinanderzusetzen. Deswegen bin ich froh, Herr Minister Gscheidle, daß Sie wenigstens noch das Wort genommen haben. Am liebsten wäre es Ihnen selbstverständlich gewesen, wenn keine Debatte geführt worden wäre; so war es ja in der ursprünglichen Regie wohl angelegt.Herr Kollege Wendt hat vorher eine Rede gehalten, die in etwa mit dem Satz zusammengefaßt werden kann: Was wollt ihr eigentlich? Wir machen doch alles richtig. In diesem Tenor hat er auch zu unserem Antrag Stellung genommen, während die Rede von Herrn Ollesch sehr viel moderater war und auch der Herr Verkehrsminister einige andere Anklänge von sich gegeben hat. Herr Kollege Wendt, wenn ich daran denke, was alles in der letzten Zeit an Zielvorgaben, Plänen zur Streckenstilllegung, an Leistungsauftrag und an Revision von Gesagtem auf uns zugekommen ist, dann kann man nicht die Feststellung treffen, alles sei in Ordnung. Wenn der Verkehrsminister dann im Wahljahr zwischendurch auch noch erklärt, er sei mit seinen zwei Ressorts überfordert, dann darf auch dies nicht unerwähnt bleiben.Der Leistungsauftrag, den die Bundesregierung im April dieses Jahres durch das Kabinett hat verabschieden lassen, ist heute angesprochen worden. Es war auch in den letzten Wochen ein paarmal Gegenstand öffentlicher Erörterungen. Der Leistungsauftrag ist zu einem Teil eine Wiederholung der Zielvorgaben aus dem Jahr 1974. Nur in wenigen Fällen ist er etwas konkreter.In einem Punkt ist er allerdings besonders erwähnenswert. Da heißt es schlichtweg in einer Art Tagesbefehl an das Bundesbahndefizit, es habe gefälligst bis zum Jahr 1985 zu verschwinden. Und jetzt, knapp fünf Monaten später, lesen wir in der „Welt" und auch in der Zeitschrift „Die Bundesbahn" von einem Vorstandsmitglied, daß man die Erwartungen doch nicht erfüllen könne und mit den Investitionen nicht vorankomme, daß es Gründe gebe, die nicht nur im Konjunkturverlauf lägen.Auf unsere Kleine Anfrage hat die Bundesregierung noch am 28. Juli geantwortet, die Verlustbeseitigung sei bis zum Jahr 1985 realisierbar. Im September hat Herr Reschke vom Vorstand der Deutschen Bundesbahn dies verneint. Der Herr Verkehrsminister hat seinerseits gegenüber der „Welt" ähnliches erklärt. Das liegt zu einem Teil daran, daß Investitionen nicht so, wie man sich das ursprünglich vorgestellt hat, realisiert werden können. Unser Antrag zielt in diese Richtung.Es wird immer wieder eine Zahlenreihe für Investitionen vorgelegt, z. B. vom Kollegen Mahne in einer Presseerklärung, die als Erwiderung auf die Einbringung unseres Antrags gedacht war. Ich weiß nicht, ob wir mit dieser Art Mengenlehre weiterkommen. Ich glaube, daß wir uns mehr und mehr die Frage stellen müssen, ob es überhaupt das Rückgrat der geplanten Investitionen, nämlich die Neubaustrecken der Deutschen Bundesbahn, geben wird. Da hat es inzwischen zwei erste Spatenstiche gegeben. Aber manchmal habe ich den Eindruck, daß mit dem Spaten weitergearbeitet, wird. Wir müssen uns überlegen, ob der Zeitablauf eingehalten werden kann, ob nicht Einsprüche die Planung beeinträchtigen, Einsprüche, die aber für die Bundesregierung schon vorher ersichtlich gewesen wären. Es soll doch niemand so tun, als sei das aus heiterem Himmel gekommen. Ja, die Bundesregierung hat doch geradezu immer gepredigt, hier handele es sich um ein umweltfreundliches Verkehrsmittel, hier könne gar nichts passieren.Aber auch wenn wir die ganz großen Objekte außer acht lassen, gibt es breiten Raum für Kritik. Investitionsmöglichkeiten aus Konjunkturprogrammen können nicht genutzt werden, weil die entsprechenden Planungen, weil die entsprechenden Schubladenprogramme noch nicht vorhanden sind. Genau in diese Richtung zielt unser Antrag.Wenn ich vorher gesagt habe, es würden immer wieder Zahlen erwähnt, wie man der Bundesbahn bei ihren Investitionen helfe, dann muß aber noch
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3395
Dr. Schulte
etwas anderes angeführt werden, nämlich ein Rechentrick, der seit geraumer Zeit Platz gegriffen hat. Die Bundesregierung hat es fertiggebracht, für die Deutsche Bundesbahn einen Teil der Investitionen zu finanzieren. Auf der anderen Seite wird aber die Bahn zur Abdeckung ihrer Verluste auf den Kapitalmarkt verwiesen. Mit anderen Worten: Was mit der einen Hand gegeben wird, wird mit der anderen Hand wieder genommen. Eine Fachzeitung hat einmal zu dieser Praxis einen Kommentar geschrieben: „Zauberkünstler müssen am Werk gewesen sein." Es gibt andere Kommentare, auch in der Zeitschrift „Die Bundesbahn", Ausgabe September dieses Jahres, wo gesagt wird, daß durch verschiedene Rechentricks — z. B. auch dadurch, daß man Abbuchungen vom Grundkapital vorgenommen hat — alles das wieder aufgezehrt wurde, was man vorher, von 1969 bis 1975, an Investitionsmitteln gegeben hat. Wenn also die Liquiditätshilfen entsprechend abgebaut werden, dann kann man wohl feststellen, daß die Zahlung eines Teils der Investitionsmittel nicht das Paradestück dieser Bundesregierung ist.Es ist vorher über die Rationalisierung gesprochen worden. Hier läuft einiges, hier wird den Eisenbahnern manches zugemutet. Es läuft aber auch einiges, was einmal im Parlament angesprochen werden sollte und was bisher nicht so ganz zur Zufriedenheit gelungen ist. Ich glaube, daß die zentrale Frage bisher immer noch nicht gelöst ist, inwiefern mit einem Leistungsabbau auch ein Abbau von Kosten verbunden ist. Ich will ein Beispiel anführen. Angenommen, ein Bahnhof wird von einem Eisenbahner betrieben, angenommen, dieser Eisenbahner hat bis jetzt zehn verschiedene Dienstleistungen ausgeübt und muß jetzt fünf davon einstellen; beim Stückgut, beim Expreßgut, beim Reisegepäck usw. Dann stehen wir doch vor der Tatsache, daß die Einnahmen bei gleichbleibenden Kosten niedriger werden; denn wir haben auf diesem Bahnhof trotz Halbierung der Dienstleistungen nicht etwa einen halben Eisenbahner, sondern einen ganzen, der lediglich noch halb ausgelastet ist. Es gibt solche sogenannten Rationalisierungsmaßnahmen. Ich meine, Herr Verkehrsminister, daß Sie da Ihren Einfluß gegenüber Frankfurt geltend machen müßten.Bisher ist von allen Sprechern etwas zum Personalabbau gesagt worden. Daß dies wehtut, ist klar. Ich mußt aber eines anfügen: Trotz der schmerzlichen Operationen, die zur Zeit durchgeführt werden, sind wir im Augenblick bei einem Stand, den wir 1969 hatten; denn zwischen 1969 und 1973 hat es diese Bundesregierung verstanden, 40 000 Dienstkräfte zusätzlich einzustellen, die man jetzt wieder abbaut.Lassen Sie mich noch einen Punkt erwähnen. Der Kollege Wendt, aber auch der Kollege Ollesch haben zu dem Thema Stellung genommen, inwiefern in der Zukunft die Bundesbahn haushaltsmäßig zu behandeln sei. Dies ist ein zentraler Punkt unseres Antrags. Hier handelt es sich — um einmal in der Diktion des Herrn Verkehrsministers zu bleiben — um den sogenannten zweiten Block aus dem ganzen Zuschußbedarf der Deutschen Bundesbahn. Es handelt sich nicht um den Block, den wir als reines Defizit bezeichnen, sondern um den Block, der unter der Rubrik der gemeinwirtschaftlichen Leistungen zu finden ist.
Ich glaube nicht, daß man, wie der Kollege Wendt, sagen kann, unser Antrag betreffe lediglich eine Umbuchung, wenn man gemeinwirtschaftliche Leistungen und politische Auflagen nicht mehr im Verkehrshaushalt niederschreibe, sondern z. B. in den Sozialetat, den Wirtschaftsetat, den Familienetat oder den Bildungsetat gebe. Ich glaube, es ist viel mehr. Ich glaube, daß erst durch eine solche Maßnahme in den anderen Ressorts eine Politik aus einem Guß gemacht werden kann, so daß der Familienminister und der Wirtschaftsminister wirklich über alle Maßnahmen, die ihre Ressorts berühren, entscheiden können. Dann kann es nicht mehr wie im letzten Jahr geschehen, daß auf der einen Seite bestimmte wirtschaftsschwache Regionen der Bundesrepublik Deutschland vom Wirtschaftsminister als förderungswürdig ausgewiesen werden und sich der Verkehrsminister eine Landkarte bestellt, nach der der Eisenbahnverkehr in diese Gebiete eingestellt werden soll.
Wenn wir eine Politik aus einem Guß wollen, dannmüssen wir diesem unserem Haushaltsantrag folgen.Es geht aber noch weiter. Ich glaube, daß diese Frage auf Dauer auch darüber entscheiden wird, inwiefern die Bahn belastet ist. Das Wort „Umbuchung" ist vorher gefallen; was wir wollen, geht viel tiefer. Wenn der Kollege Wendt noch da wäre, würde ich ihn fragen, wie es denn in der Praxis abliefe, wenn ich auf seine Kosten lebte. Dann könnte man sich viele schöne Dinge leisten. Vielleicht würde er dann als Verschwender bezeichnet, wenn auf seinem Konto keine schwarzen Zahlen mehr zu finden wären. Ob ich allerdings die gleiche Verhaltensweise in meinem Lebenswandel an den Tag legte, wenn ich das alles selbst finanzieren müßte, ist eine andere Frage. Ich glaube, daß wir diese Erkenntnis sehr wohl auch auf die Eisenbahnpolitik übertragen können.Der Herr Verkehrsminister hat gesagt, dieser Block der gemeinwirtschaftlichen Leistungen, der politischen Auflagen sei indisponibel. Was heißt dies? Herr Verkehrsminister, soll dieser Block der Politik entzogen sein? Entweder tragen Sie die Verantwortung auch für diesen zweiten Block, oder wir suchen für diesen zweiten Block einen neuen Wärter, indem wir unseren Antrag annehmen.Diese meine Ausführungen bedeuten ein Ja zu dem gemeinwirtschaftlichen Auftrag der Deutschen Bundesbahn. Nur müssen wir die gemeinschaftlichen Leistungen der Bahn in der Zukunft anders organisieren und neu definieren. Wir sind der Ansicht, daß die Bahn auch im gemeinwirtschaftlichen Bereich kaufmännisch zu wirtschaften hat. Dann wird im Grunde genommen aber Gemeinwirtschaftlichkeit darauf reduziert, daß die Differenz zwischen dem Marktpreis und dem tatsächlichen, von der Politik
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3396 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Dr. Schulte
veranlaßten Preis zu bezahlen, abzugelten ist. Diesen Preis hat dann der Veranlasser zu zahlen. Daß dieser Veranlasser beim Bund zu suchen ist, ergibt sich nach dem Grundgesetz von selbst.Herr Präsident! Meine Herren! Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Ich glaube, daß unser Antrag nicht als Pflichtübung einer Opposition zu sehen ist — dies klang so in der Rede des Herrn Verkehrsministers kurz an —, sondern daß er positive Wege aufzeigt. Ich glaube, daß es Zeit ist, daß wir über die Bahn auch einmal unter positiven Aspekten diskutieren, nachdem wir die öffentliche Diskussion drei Jahre lang nur unter negativer Sicht geführt haben.
— Herr Kollege Topmann, Sie sollten sich in einer Verkehrsdebatte nicht zu sehr exponieren. Sonst legt Herr Gscheidle Ihre Eisenbahnlinie still. —
In unserem Antrag steckt aber insofern Kritik, als die geforderten Maßnahmen von der Bundesregierung nicht schon längst in die Wege geleitet worden sind. Wir wissen, daß die Sanierung der DB schwierig ist. Aber wir sind der Ansicht, daß wir Mut brauchen, daß wir einen langen Atem brauchen, daß wir mit dem Zickzackkurs aufhören müssen, den die Bundesregierung in den letzten Jahren gefahren hat. Wir verlangen nicht, daß Sie uns heute recht geben. Wir verlangen aber, daß unsere Vorschläge in Offenheit geprüft werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mahne.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine verkehrspolitische Debatte im Bundestag hat, glaube ich, zweierlei Aufgaben. Sie hat einmal die Aufgabe, eine Analyse der Verkehrssituation insgesamt und heute eine Analyse der Situation bei der Deutschen Bundesbahn vorzunehmen. Sie hat darüber hinaus die Aufgabe, auch Alternativen aufzuzeigen. Zwar haben wir heute von seiten der Opposition etliche kritische Anmerkungen und Fragestellungen gehört. Alternativen aber sind von der CDU nicht angeboten worden.
Es ist dem Minister von der CDU nicht ein Hinweis für seine Arbeit gegeben worden,
wie sie sich ihr Konzept zur wirtschaftlichen Sanierung der Deutschen Bundesbahn vorstellt.
Wir haben gestern in der Sitzung des Verkehrsausschusses den Ausspruch eines Mitgliedes des Verkehrsausschusses gehört, daß die Verkehrsnutzer den Ausbau der Verkehrswege bestimmen. Wenn das so ist, dann muß man natürlich fragen, wo Sie nun die Prioritäten setzen und wie Sie draußen im Lande Versprechungen machen. Wenn Sie vor Autoclubs, vor Straßenbauern sprechen, fordern Sie mehr Straßen. Wenn Sie bei den Reedern und Binnenschiffern sprechen, fordern Sie den Ausbau der Wasserwege und besondere Förderungen für die Binnenschiffahrt.
Wenn Sie bei den Eisenbahnern sprechen, dann wollen Sie keine Reduzierung des Schienennetzes.
Und so stellt es sich ja auch jeweils örtlich dar.Darüber hinaus vergessen Sie anscheinend, daß sich die Verkehrsstruktur in den vergangenen Jahrzehnten, so muß man ja sagen, entscheidend geändert hat, daß der Anteil der Bahn am Verkehrsaufkommen gefallen ist: im Personenverkehr von 40 % im Jahre 1950 auf 7 % im Jahre 1975, im Güterverkehr von 55 % im Jahre 1950 auf 30 % im Jahre 1975. Gut, die Verkehrsnutzer haben diese Reduzierung bestimmt. Aber hier liegt doch letztlich das Problem, das strukturelle Problem, welches wir bei der Bundesbahn haben. Wir verschweigen ja nicht, daß die Bundesbahn für den Finanzpolitiker und für den Verkehrspolitiker zu einem hohen Haushaltsrisiko geworden ist. Wir wissen, daß die Bundesleistungen an die Deutsche Bundesbahn im Jahre -1978 mehr als die Hälfte des Verkehrshaushaltes verschlingen werden.Diese finanzielle Entwicklung der Deutschen Bundesbahn und die Belastung für den Haushalt machen Konsolidierungsmaßnahmen notwendig. Die Politik der Bundesregierung läßt sich dahin gehend zusammenfassen, daß sie unter dem Motto „Investition und Konzentration" die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Bundesbahn verbessern will. Die Investitionen werden nach unserer Planung steigen, ebenso der Investitionsanteil, der sich in den nächsten Jahren ja nahezu verdoppeln wird. Der Herr Minister hat zu Recht auf die vorhandenen Investitionshemmnisse hingewiesen. Sie können doch nicht die Bundesregierung für diese Investitionshemmnisse zum Schuldigen machen, daß Bürgerinitiativen und die Bevölkerung gegen Verkehrslärm und die Anlage neuer Verkehrswege sehr viel sensibler geworden sind.
Konzentrationsmaßnahmen sind eingeleitet worden und werden letztlich konsequent vorgelegt. Hier
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3397
Mahnehat der Leistungsauftrag letztlich doch ein klares Konzept entwickelt.
Es muß doch mal gefragt werden: Wo liegt denn Ihre Konzeption, was die Frage der Konzentration im Bereich der Bundesbahn betrifft?
Sie lamentieren auf der einen Seite über steigende Haushaltsbelastungen durch die Bundesbahn. Andererseits widersprechen Sie bundesweit, auf Landesebene, auf regionaler Ebene und auf kommunaler Ebene jeglicher notwendigen Konzentrationsmaßnahme.
Meine Herren, wir stehen im Kontakt mit dem Bürger draußen und erleben, wie Sie und Ihre Kollegen im Lande argumentieren.Der Leistungsauftrag hat zwei Zielsetzungen: Minderung der Kosten und Steigerung der Erträge. Bei der Minderung der Kosten durch Rationalisierungsmaßnahmen, die durch einen vielfältigen Maßnahmenkatalog eingeleitet worden sind, können wir feststellen, daß schrittweise Erfolge erzielt worden sind. Dabei ist natürlich klar, daß diese Erfolge nicht von heute auf morgen zu erreichen sind, sondern längere Zeit dauern.Die Steigerung der Erträge
ist natürlich weitaus problematischer in einem Unternehmen, das, wenn Sie so wollen, in besonderer Weise im Absatz von Produktionsleistungen im Güterverkehr monostrukturiert ist. Wenn wir wissen, daß zwei Drittel an den Montanbereich gehen, können wir uns vorstellen, was an Einnahmeminderungen letztlich auf das Unternehmen Bundesbahn zukommt, nachdem im Montanbereich jetzt eine konjunkturell schwierige Situation eingetreten ist.Die Opposition kritisiert den Mangel an Engagement der Bundesregierung für die Bundesbahn und verlangt mehr Investitionsmittel für die Bundesbahn. Die Bundesregierung ist diesem Verlangen schon längst nachgekommen. Gleichzeitig verlangen Sie, meine Herren von der Opposition, für die anderen Verkehrsträger, wie ich vorhin gesagt habe, höhere Investitionsansätze. Hier fehlt es letztlich an der Verantwortung im Rahmen des Gesamthaushalts. Man kann nicht jedem jederzeit alles versprechen.Wir haben von Ihnen heute konkrete Vorschläge erwartet,
z. B. zur Verbesserung der Wettbewerbssituationder Deutschen Bundesbahn, die als schienengebundenes Verkehrsmittel natürlich im Wettbewerb gegenüber anderen Verkehrsträgern beeinträchtigt ist. Haben Sie etwas gesagt, wie Sie in diesem Wettbewerb die Situation der Bundesbahn gegenüber dem Straßen- und Güterverkehr und gegenüber der Binnenschiffahrt stärken wollen? Sie haben dazu nichts gesagt, Sie haben dazu keine Alternativen aufzuweisen.
Wir sind mit der Politik der Bundesregierung einverstanden.
— Wir sprechen jetzt für die Bundesregierung und den Bundesminister Gscheidle.Die Bundesregierung wird durch die von ihr eingeleiteten Maßnahmen der Konzentration und der Investitionen im Bundesbahnbereich mit dafür Sorge tragen, daß es hier zu einer finanziellen Konsolidierung der Deutschen Bundesbahn kommt, wenn auch nicht in der von uns erwarteten zeitlichen Folge. Wir sind dankbar dafür, wenn wir in der Ausschußberatung mit Ihrer sachlichen Mitarbeit, Ihren Anregungen und Ihren Alternativen zu dieser Politik rechnen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — federführend — sowie an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Wer diesem Vorschlag zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Beratung des Dritten Berichts der Bundesregierung über die Erfahrungen im Zusammenhang mit der Neuregelung des § 8 des Personenbeförderungsgesetzes— Drucksache 8/803 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr und für das Post- und FernmeldewesenDas Wort hat der Abgeordnete Sick.
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3398 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
Herr Kollege Wehner, so spektakulär wie Sie kommt von uns sonst keiner ins Protokoll; das ist natürlich auch eine Leistung. Übrigens, daß der Kollege Wendt wieder da ist, nachdem sein Teil der Debatte beendet ist, ist auch mit Freude festzustellen.Abgesehen von diesen mehr oder weniger süffisanten Bemerkungen, meine Herren, sollten wir uns selber einmal darüber klar sein, weshalb wir heute hier anwesend sind. Ist die Tatsache der schlechten Besetzung des Plenums eigentlich eine Aussage über die Bedeutung dessen, womit wir es zu tun haben? Ich glaube: nein; denn das, was wir hier besprechen, geht die gesamte Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland an, sowohl die Wirtschaftsgesellschaft als auch die Gesellschaft allgemein. Dabei meine ich insbesondere das, worüber ich jetzt reden möchte, nämlich § 8 des Personenbeförderungsgesetzes. Auch hier geht es um Geld.Es geht aber nicht nur um Geld. Deswegen sage ich, Herr Minister: Nicht nur deshalb, weil ich auch mit wenigen Worten ins Protokoll komme, sondern weil ich meine, daß wir uns hier im Kreis von Fachleuten befinden, können wir uns auf das Wesentliche konzentrieren.Herr Minister, dieser Bericht, dessen Existenz ich grundsätzlich begrüße, kann aus der Sache heraus keine Angaben darüber machen, wie denn die Regelung jetzt aussehen soll. Dieser Bericht teilt lediglich mit, was bisher ist. Aber einiges fällt mir, Herr Minister, auf, und dieses wollte 'ich Ihnen heute abend gesagt haben, verbunden mit der Bitte, darauf — nicht heute abend — zu antworten. Ich bitte Sie darum, uns deutlich zu machen, wie Sie sich in Verfolg der Politik, die Sie in nächster Zeit betreiben werden, die Regelung dieser Dinge vorstellen. Ich bin hier deswegen etwas skeptisch, weil die beiden Vorberichte hinsichtlich der freiwilligen Zusammenarbeit eindeutig positiv waren,
während dieser Bericht erstmals zumindest eine gewisse Skepsis erkennen läßt.
— Ja, im Grunde ist es möglich, daß dem so ist, nämlich daß, wie Sie sagten, der Verkehrsminister möglicherweise etwas ganz anderes will als das, was in diesem Bericht noch angesprochen ist.Herr Minister, ich komme auch deswegen darauf, weil gleichzeitig mit der Vorlage dieses Berichts andere Äußerungen aus Ihrem Hause vorliegen, auch andere Äußerungen von Ihnen zu dem sogenannten Zwei-Ebenen-Modell. Da heißt es bezüglich der Konzessionsrechte, daß die Schaffung von Gebietsgenehmigungen und die Übernahme der Beförderungsrechte durch den Zweckverband erwogen werden. Das heißt doch wohl im Klartext: Abzug der Konzessionen von den jetzigen Trägern und Überführung auf einen einzigen Träger. Dies ist unklar, dies ist widersprüchlich. Herr Minister, damit wir uns hier richtg verstehen: Zu dem Zeitpunkt, da wir uns unterhalten, gibt es noch kein in sich geschlossenes, fix und fertiges Konzept. Wir haben es noch nicht, Sie haben es noch nicht. Aber um Klarheit sollten wir uns bemühen
und die Widersprüchlichkeit herausbringen, damit auch die Menschen draußen, um die es geht, wissen, wohin die Reise geht.Lassen Sie mich noch ein anderes Wort sagen. Herr Minister, Sie wissen so gut wie ich, daß die Bemühungen auf dem Sektor des öffentlichen Personennahverkehrs sehr, sehr aufmerksam verfolgt werden, beispielsweise auch von den Bediensteten bei Bahn und Post. Wir werden eine Regelung nicht finden können, ohne diese Bereiche einzubeziehen.Aber ich habe mitunter etwas den Eindruck, daß so, wie Sie es jetzt vorzuhaben scheinen, die Dinge zu einfach gemacht werden. Der Bereich, mit dem wir es zu tun haben, ist außerordentlich vielschichtig. Er ist sicher schwierig. Aber wenn irgendeiner meinen sollte, wir könnten diesen schwierigen Bereich dadurch in den Griff bekommen, daß wir ihn zentralisieren oder monopolisieren, dann, davon bin ich überzeugt, irrt derjenige sich.
Sämtliche Erfahrungen, die wir alle miteinander haben, haben uns gezeigt, daß Monopolisierung am Ende zu unübersehbarem Verwaltungsdschungel führt, der aus sich selbst heraus nachher seine Kosten produziert. Wir sehen jetzt wieder, daß der Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs sehr stark auf einzelne Orte und Regionen bezogen ist. Es kann überhaupt nicht gutgehen, einen so differenzierten Verkehr von etwa einer Stelle aus betreiben zu wollen. Er ist hinsichtlich der Struktur nicht mit Güterverkehr, mit Fernverkehr zu vergleichen.Ich meine, daß wir das vorhandene Personal bei der Bahn und bei der Post, die Bereitschaft, etwas leisten zu wollen, die Möglichkeit, etwas leisten zu können, den Sachverstand auf jeden Fall nutzen müssen. Ich spreche nur von dem Bereich, den ich kenne, und das ist bei mir in Schleswig-Holstein die „Autokraft". Es ist vielleicht noch ein Vorteil, wenn man in dieser Runde einmal spricht. Man kann auch Dinge ansprechen, die man sonst vielleicht zurückhält. Heute wird immer so schnell gesagt: Ja, aber das Beamtendenken muß weg. Wir sollten hier, glaube ich, sehr skeptisch sein. Beamte schlechthin sind zu ganz anderen Aufgaben erzogen als zu der, wirtschaftliche Leistungen zu erbringen. Daraus kann man denen keinen Vorwurf machen. Das ist das erste. Wenn ich von dem Beispiel „Autokraft" ausgehen darf — das wird in München genauso sein wie in Köln und in Frankfurt —, muß ich feststellen, daß dort Menschen sitzen, die, nachdem sie mit dieser Aufgabe betraut wurden, lieber Kollege 011esch, zum Leidwesen mancher unserer mittelständischen Unternehmer sich ganz verdammt clever benahmen, sich am Markt bewegten und ihren Anteil bekamen, weil sie tüchtig waren und weil sie nicht mehr als Beamte — in diesem negativen Sinne
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Sick— reagierten. Das geht also. Wir sollten das nutzen und sollten dies nicht durch irgendeine einfache Sache beseitigen. Daß wir als Union selbstverständlich — das will ich auch nicht verschweigen — ebenfalls sehen, daß sich auf diesem Markt mehr als 2 600 mittelständische Betriebe betätigen und daß wir, wenn wir schon von Konjunktur, von Strukturschwierigkeiten reden, dies zumindest mit im Auge haben sollten, das will ich nur am Rande erwähnen.Zum Schluß noch eines, Herr Minister Gscheidle, ein recht persönliches Wort an Sie. Ich glaube, Sie wissen es, daß ich Ihre Art und die Art, wie Sie Ihre Arbeit durchführen, sehr schätze, die Nüchternheit, die Exaktheit und die Darstellung der Fakten. Was ich vermisse, Herr Minister Gscheidle, das ist der ausgesprochen politische Akzent. Das Buchhalten, das Zählen allein genügen nicht. Wir sprachen soeben über die Bahn. Meine Herren, wir werden uns wiedersehen. Alle auch nur einigermaßen erkennbaren Fakten deuten darauf hin, daß wir spätestens am Ende dieses Jahrhunderts die Bahn wiederentdecken.Meine Frage an Sie, Herr Minister Gscheidle, wäre folgende. Sie haben mir einmal in einer Ausschußsitzung gesagt,
Sie würden niemals eine Strecke aus der Hand geben, eine Trasse, auch wenn stillgelegt werden müsse. Dann, so würde ich sagen, wären das vorübergehende Maßnahmen, und man könnte später wieder auf die Dinge zurückgreifen. — Ich wäre sehr dankbar, wenn dies nachdrücklich Ihre Auffassung bliebe.Dann ein Wort an unsere Kommunalpolitiker: Meine Herren, wir haben es im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs mit einem im wesentlichen auf die kommunale Gebietszuständigkeit bezogenen Verkehr zu tun.
Wir sollten also unsere politischen Bemühungen in erster Linie auch dort ansetzen; man sollte eben nicht zentralistisch vorgehen, sondern die eingefahrenen Verwaltungen, die eingefahrenen politischen Gremien mit heranziehen. Ich glaube, dann werden wir, wenn wir einmal an dieses System heranmüssen — und zwar dann mit Fakten —, wenn wir es vernünftig machen, auch hier eine Lösung finden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Batz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren! Es gibt anscheinend doch zu so später Stunde noch den einen oder den anderen, der — auch wenn es der Punkt 10 ist, wenn es darum geht, einen Bericht der Bundesregierung zu diskutieren — herausliest, was nicht drinsteht, und hineinliest, was man gerne hätte. Und das Anbieten von Alternativen ist ja anscheinend nicht gerade die größte Stärke der Opposition, was sich hier wieder deutlich beweist.
Der uns vorliegende Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen im Zusammenhang mit der Neuregelung des § 8 des Personenbeförderungsgesetzes ist der dritte dieser Art. Der Deutsche Bundestag hat bekanntlich in der 5. Wahlperiode das Personenbeförderungsgesetz neu mit dem § 8 versehen bzw. diesen reformiert, und das mit der Zielsetzung, durch eine intensivere Zusammenarbeit der verschiededen Verkehrsträger des öffentlichen Personennahverkehrs zur Verbesserung der Verkehrsbedienung insbesondere in ländlichen Räumen beizutragen. Und gerade darum geht es. Die Entwicklung auf Grund dieser Gesetzesänderung sollte und muß von uns sorgfältig beobachtet werden, damit beurteilt werden kann, ob die in die Vorschriften des § 8 gesetzten Erwartungen auch erfüllt werden.Ich darf, meine sehr geehrten Herren, noch einmal in Erinnerung rufen, daß in dem Verkehrspolitischen Programm der Bundesregierung für die Jahre 1968 bis 1972 — im allgemeinen bekanntlich besser unter dem Namen „Leber-Plan" bekannt — neben der Förderung der freiwilligen Zusammenarbeit die Möglichkeit der Einführung der Gebietsgenehmigung vorgesehen war. Kernpunkt dieses Planes für die Verbesserung des Personenverkehrs waren die Vorschriften, die der Genehmigungsbehörde im Interesse einer Verbesserung der Verkehrsbedienung zusätzliche Aufgaben und Einwirkungsmöglichkeiten mit dem Ziel übertrugen, auf die Einrichtung und befriedigende Bedienung sowie auf die Erweiterung und Änderung von Verkehrsverbindungen hinzuwirken. Im Vordergrund stand dabei also die Förderung einer steigenden freiwilligen Zusammenarbeit der Verkehrsunternehmer, die geeignet ist, das Entstehen von zusammenhängenden Verkehrsnetzen mit gut aufeinander abgestimmten Anschlüssen, Fahrplänen und günstigen Durchgangstarifen zu verwirklichen; soweit damals die Begründung für das Personenverkehrsgesetz und dessen Novellierung aus dem Jahre 1968.
— Ja, natürlich, dagegen ist ja nichts einzuwenden. Aber lassen Sie mich nun darauf kommen, was daraus geworden ist und was man heute davon denkt, denn ich glaube, mit der bloßen Formulierung, die man immer draußen gebraucht, „Freie Fahrt dem freien Bürger", kann man dieses Problem wahrscheinlich auch in Zukunft nicht lösen.Als weiteren Schwerpunkt des damaligen Entwurfs sollten wir sicher einmal die Vorschriften über die Gebietsgenehmigung etwas mehr unter die Lupe nehmen. Wir alle wissen nämlich, so hoffe ich, daß dieser Teil damals im Personenbeförderungsgesetz keinen Niederschlag gefunden hat, weil man der Auffassung war, daß sich das — mit den staatlichen Mitteln, den Förderungsmitteln des Bundes — am Markt selbst regeln müßte. Jetzt ist die Zeit, dieses Programms verkehrspolitisch an den erreichten Zielen zu messen.
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3400 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
BatzEinige Herren hier kann ich daran erinnern, daß wir ja in der vergangenen Woche in Großbritannien waren. Wir haben gemerkt, daß unbeschadet der Unterschiede, die es in den arbeitsrechtlichen und auch verwaltungsrechtlichen Fragen gibt, dort auch das Problem der Gebietsgemeinschaften eine nicht unwesentliche Rolle bei manchen Vorte len spielt, die auf diesem Gebiet zu verzeichnen sind.Nun, wir haben eine freiwillige, verbesserte Zusammenarbeit angeboten, und ich glaube, bei aller kritischen Würdigung dieses Berichts kann gesagt werden, daß sich dies im großen und ganzen auch bewährt hat. Natürlich müssen wir den Vorteil, den uns diese Erkenntnis bringt, auch nachdrücklich nutzen.Bei der Ausfüllung des § 8 stellt sich aber auch die kritische Frage nach den Grenzen. Wie es in dem Bericht heißt, haben mehrere Länder unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß der § 8 des Personenbeförderungsgesetzes ein schwaches Instrument sei und den Verkehrsbehörden keine Möglichkeit gegeben habe, Verbesserungen der Verkehrsstruktur gegen den Willen der Unternehmer durchzusetzen. Als wesentlicher Grund hierfür wird allerdings auch die wirtschaftliche Lage der öffentlichen Personennahverkehr Treibenden angesehen.Grundsätzlich wird eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation im öffentlichen Personennahverkehr von allen Beteiligten nachhaltig unterstützt. Was aber die Realisierung dieses Grundsatzes angeht, gehen die Haltungen und die tatsächlichen Handlungen auseinander. Ich möchte hier nur an den Gang der Gesetzgebung bei der Regelung des Ausgleichs der gemeinwirtschaftlichen Leistungen im öffentlichen Personennahverkehr erinnern. Ursprünglich war vorgesehen, den Nahverkehrsunternehmen einen Ausgleich für den Berufs- und Ausbildungsverkehr zu gewähren. Das wurde dann eingeschränkt auf Ausbildungsverkehr, und letztlich waren die Länder nur zu einem Ausgleich in Höhe von 50 O/o der durch den Ausbildungsverkehr entstehenden Lasten bereit. Unsere Bemühungen sollten nach wie vor darauf abgestellt sein, die wirtschaftliche Lage im ursprünglichen Personennahverkehr weiter zu verbessern.Wie die beiden vorangegangenen Berichte erläutert auch dieser Bericht sehr detailliert die unterschiedlichen Kooperationsformen, die einzelnen Arten der Zusammenschlüsse. Er gibt einen umfassenden Überblick, wo und in welcher Form Verkershverbünde, Tarif- und Verkehrsgemeinschaften sowie andere Formen der Zusammenarbeit bestehen. Es ist hier sicher nicht mehr die Zeit und der Ort, im einzelnen auf diese Auflistung einzugehen; der Verkehrsausschuß wird sich bei der Beratung des Erfahrungsberichts — davon gehe ich jedenfalls aus — auch mit diesem Teil des Berichts ausführlich befassen.An einer Diskussion werden wir alle nicht vorbeikommen: Der Bericht beschäftigt sich insbesondere sehr schonungslos mit der Zusammenarbeit von Bahn und Post im Omnibusverkehr. Dies ist zur Zeit — und nicht nur zur Zeit — ein bei den Beschäftigten von Bahn und Post sehr kritisch diskutiertes Thema. i Hierbei werden leider zuwenig die bestehenden Formen der Zusammenarbeit von Bahn und Post sowie die bestehende und geplante Kooperation mit anderen, kommunalen und privaten Verkehrsunternehmen erörtert. Vielmehr wird eine mögliche Zusammenführung der Busdienste von Bahn und Post auf der Grundlage selbständiger regionaler Unternehmenseinheiten versucht, die sogenannten Regionalverkehrsgesellschaften.Im April dieses Jahres hat die Bundesregierung bekanntlich nochmals die Erwartung ausgesprochen, daß die Zusammenführung der Busdienste von Bahn und Post bis Ende 1978 vollzogen wird. Die Bundesregierung hat dies noch einmal beschlossen. Daß ein vergleichbarer Beschluß schon vom Mai 1975 vorliegt, sollten wir bei der Diskussion nicht vergessen. Auch sollte man wissen, daß die Bundesregierung bereits im Jahre 1973 zum erstenmal den Beschluß gefaßt hat, die Zusammenführung der Busdienste von Bahn und Post anzustreben. Nun ist auch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion der Auffassung, daß eine Zusammenführung der Dienste von Bahn- und Postbussen nicht nur an der Zeit, sondern eigentlich schon überfällig ist. Wir haben daher in unserer Stellungnahme vom 3. Mai 1977 zur Netzkonzeption für die Deutsche Bundesbahn gesagt:Die Zusammenführung der Dienste von Bahn-und Postbussen ist zu beschleunigen.Wir sind nämlich der Auffassung, daß Maßnahmen dieser Art insbesondere bei einer Verlagerung eines Teils des Personenverkehrs der Deutschen Bundesbahn auf die Straße an Bedeutung gewinnen. Natürlich sehen wir die damit verbundenen Probleme. Ich darf hier noch einmal namens meiner Fraktion hervorheben, daß wir uns mit dem Thema der Zusammenführung der Busdienste von Bahn und Post nicht nur ausführlich befassen werden, sondern daß wir vor allen Dingen die arbeitsrechtlichen und sozialen Interessen des heute für Bahn und Post tätigen Personals gesichert haben möchten. Das ist eines unserer Hauptziele. Wir müssen dabei allerdings auch darauf sehen, daß die Bürger durch die dadurch entstehenden Verkehrsbedingungen nicht benachteiligt werden.Nun heißt es in dem Kabinettsbeschluß vom 27. April dieses Jahres:Die Zusammenführung der Busdienste des Bundes in eine Unternehmensgruppe mit selbständigen Regionalgesellschaften soll spätestens bis Ende 1978 vollzogen werden.Die Befürchtungen, daß hierdurch den Betriebsversuchen in den vier Regionen — in Schleswig-Holstein durch die Autokraft, im Raum Oberbayern einschließlich München durch die Regionalverkehr Oberbayern GmbH, in der Region Rhein-Sieg-Wupper-Erft durch die Regionalverkehr Köln und im Raum Niedersachsen Mitte einschließlich Hannover durch die Regionalverkehr Hannover GmbH — vorgegriffen wird, teilen wir in unserer Fraktion nicht.In diesem Zusammenhang ist erfreulich, daß der Verkehrsminister in seinem Schreiben an die Mitglieder des Deutschen Bundestages, an die Vorsit-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977 3401
Batzzenden der Gewerkschaften für Bahn und Post und anderen unter anderem deutlich gemacht hat, daß durch diesen Kabinettsbeschluß eben keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden.
Uns ist in diesem Schreiben mitgeteilt worden, daß der Termin der Zusammenführung der Busdienste nur unter dem Gesichtspunkt gesehen werden kann, daß die Betriebsversuche in den vier Regionalgesellschaften entsprechende Ergebnisse vorweisen. Danach können die notwendigen Gespräche mit den Gewerkschaften und den Personalvertretungen von uns aufgenommen werden. Der erste Kontakt hat hier bereits stattgefunden.Ich will trotz der späten Stunde nicht verschweigen, daß erste interne Ergebnisse aus der Erprobungsphase der Regionalgesellschaften vorliegen und einem weiten Kreis — ich nehme an, uns allen hier — bekannt sind. Wir werden diese Berichte ausführlich prüfen. Eine weitere Auswertung wird abzuwarten sein. Ich hoffe, daß sich der Verkehrsausschuß mit diesen Fragen bald befassen kann.Ich will hier nur andeuten, daß die Zusammenarbeit mit dem Taxigewerbe im öffentlichen Personennahverkehr ganz andere Fragen aufwirft. Hier werden auch noch andere Dinge mit zu diskutieren sein.Ich darf zum Abschluß sagen, daß wir es sehr erfreulich finden, daß dieser Bericht ausführlich auf die Schwierigkeiten der Verkehrsbedienung durch öffentliche Verkehrsträger und ihre Ursachen eingeht. Weniger erfreulich — und da gebe ich Ihnen recht, Herr Kollege Sick — ist dagegen der Inhalt dieser Ausführungen, denn diese zeigen deutlich, daß unsere Erwartungen nach wie vor unerfüllt geblieben sind. Ebenso wie das Problem der Verbesserung der Verkehrsbedienung durch den öffentlichen Personennahverkehr bereitet uns auch dessen wirtschaftliche Lage nach wie vor große Sorgen. Es wäre schlecht, wenn es in diesem Hause jemanden gäbe, der das nicht freimütig zugeben wollte. Trotzdem, der eingeschlagene Weg der Förderung der freiwilligen Zusammenarbeit der Verkehrsunternehmen sollte nach Auffassung der Bundesregierung weiterverfolgt werden. Wir werden die Bundesregierung dabei unterstützen.Dennoch sind auch neue Organisationsmodelle in die weitere Überlegung einzubeziehen, die wir gerne im zuständigen Ausschuß bedenken, abwägen und nach ausführlichen Gesprächen mit allen Beteiligten, vor allem aber mit den betroffenen Arbeitnehmern und ihren Gewerkschaften, wenn nötig auch durchzusetzen bereit sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schulte, ich habe Verständnis dafür, daß Sie mir so unwillig mit dem Kopfe zunicken. Aber daß wir heute abend hier reden, entspricht dem Wunsch Ihrer Fraktion.
Ich war im Ältestenrat der Meinung, daß es sehr sinnvoll sei — da der Bericht einmal aus dem Verkehrsausschuß zurückkommt —, den Bericht nach dem Votum des Ausschusses hier zu diskutieren. Sie aber wollten diese Diskussion zweimal führen, heute und demnächst, in einigen Wochen.Daß wir uns überhaupt mit diesem Bericht der Bundesregierung über die Förderung der Verkehrsbedienung und den Ausgleich der Verkehrsinteressen im Straßenpersonenverkehr beschäftigen, liegt daran, daß die Bundesregierung im Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes vom 8. Mai 1969 eine Umwandlung der bis damals geltenden Linienkonzessionen in Gebietskonzessionen vorsah. Herr Kollege Sick, das war die Bundesregierung der Großen Koalition unter Ihrem Bundeskanzler Kiesinger.
— Unter Ihrem Bundeskanzler Kiesinger, allerdings mit einem SPD-Verkehrsminister. Darüber haben wir vorhin schon einmal gesprochen.Der Deutsche Bundestag hat dann diese Umwandlung der Konzessionen abgelehnt, mit Recht, wie wir Freien Demokraten meinen; denn die Veränderung der Konzeption der Linienkonzessionen zu einer Konzeption der Gebietskonzessionen hätte unter dem Strich die Ausschaltung der mittelständischen Betriebe im öffentlichen Personennahverkehr bedeutet. Das wollten wir nicht. Das wollten wir 1969 nicht und — ich sage das ganz deutlich — das wollen wir Freien Demokraten auch im Jahre 1977 nicht;
denn diese Unternehmen sind gehalten, kostendekkend zu fahren, weil ihnen niemand das Defizit abnimmt, wie es bei den übrigen Gesellschaften, die sich in öffentlicher Hand befinden, üblich ist. Wir befürchten, daß, wenn diese Linien, die heute noch kostendeckend befahren werden, in den großen Topf der öffentlichen Betriebe hineinkommen, sie auch bald ins Minus hineinrutschen werden. Dem Bürger und Steuerzahler werden dann höhere Lasten auferlegt, ohne daß er in der Bedienung einen Vorteil hätte.
— Das ist nun mal so.Von daher war der Deutsche Bundestag 1969 sehr gut beraten, daß er die Regierungsvorlage veränderte. Wir waren damals in der Opposition und haben daran natürlich mit Freuden mitgewirkt.Die bisher vorliegenden Berichte — und dies ist der dritte — legen dar, daß es durchaus möglich gewesen ist, ohne gesetzlichen Zwang zu einer freiwilligen Zusammenarbeit aller Betriebe zu kommen, die sich im öffentlichen Personennahverkehr betätigen. Wir haben Tarif- und Verkehrsgemeinschaften. Wir haben aber auch Verkehrsverbünde.Man sollte aber sehr vorsichtig sein, denn die Errichtung der Verbünde bedeutet noch nicht eine
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3402 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1977
OlleschVerbesserung der Bedienung oder wirtschaftlicheren Betrieb. Im Gegenteil! Bei der Schaffung des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr, der vom Land Nordrhein-Westfalen, von meinem Parteifreund, dem Verkehrsminister Dr. Riemer, betrieben wird, hat die örtliche Gesellschaft in meiner Heimatstadt festgestellt, daß der Verkehrsverbund, in den diese Gesellschaft unter sanftem Druck der Regierung hinein muß, das vorhandene Defizit verdoppeln wird. Das im Jahre 1977 zu erwartende Defizit von 10 Millionen DM wird sich durch Schaffung des Verkehrsverbundes später auf 20 Millionen DM erhöhen. Das Land hat sich allerdings bereit erklärt, auf zehn Jahre hinaus mit insgesamt 500 Millionen DM die finanziellen Nachteile des Verkehrsverbundes für die Gesellschaften in dem Verbund auszugleichen.Für die Verkehrsbedienung mag es gut sein, wenn in einem überschaubaren Raum eine Tarifgemeinschaft, eine Verkehrsgemeinschaft oder sogar ein Verbund vorhanden sind. Dies bringt Erleichterungen für den Fahrgast: Durchläsen der Fahrscheine, Abstimmung der Fahrpläne usw. Wenn der Bezirk aber zu groß ist, verkehrt sich der Sinn gelegentlich in Unsinn. Wer will denn schon beim Verkehrsverbund Rhein-Ruhr mit einem Fahrschein von Haltern nach Duisburg fahren? Der Betreffende fährt von jeher mit der Deutschen Bundesbahn mit einer Fahrkarte an seinen Zielort.Sosehr also die Zielsetzungen zu begrüßen sind, die in § 8 des Personenbeförderungsgesetzes angesprochen sind, so möchte ich doch davor warnen, das Heil von großflächigen Verbünden zu erwarten. Wir haben uns in der Vergangenheit bemüht, den Betrieben, die öffentlichen Personennahverkehr betreiben, Lasten abzunehmen, und zwar im Interesse der Aufrechterhaltung der Bedienung, im Interesse verbesserter Bedienung, im Interesse der Befreiung der Ballungsräume vom Individualverkehr. Dies alles sind Maßnahmen, die wir hier gemeinsam beschlossen haben, zu denen wir uns bekennen und die wir auch in Zukunft fortsetzen werden. Wir geben auch für die Schaffung der Tarifgemeinschaften und Verkehrsgemeinschaften grünes Licht, aber wir sollten dabei nicht zu großflächig denken und uns mit den Ergebnissen bescheiden, die bisher schon vorliegen, und uns bemühen, diese Ergebnisse in den nächsten Jahren hier und dort noch zu verbessern.Nun noch zwei Sätze zu Bahn und Post. Wir begrüßen es, daß der Dualismus von bundeseigenen Unternehmen im ÖPNV beseitigt wird. Es mag, historisch gesehen, das Recht der Post gewesen sein, die Personenbeförderung zu übernehmen. Die Post war ja die erste Einrichtung, die diese Aufgabe übernahm. Im Grunde genommen sind die Personenbeförderung und die Beförderung von Gütern aber auch eine Aufgabe der Deutschen Bundesbahn. Mit der Schaffung der Gemeinschaft von Bahn und Post und mit der Bildung von Regionalgesellschaften überschaubarer Art werden wir sicherlich in der Lage sein, die Verluste, die zwei konkurrierende Staatsbetriebe wegen der Konstruktion ihrer Dienste erleiden mußten, in Zukunft zu vermeiden.Unser Ja zu diesen Regionalgesellschaften bedeutet aber nicht ein Ja zur Umwandlung von Linienkonzessionen zu Regionalkonzessionen, obwohl gelegentlich bei der Begründung dieser Maßnahme auch von seiten des Bundesverkehrsministeriums — vom Minister habe ich dies allerdings noch nicht gehört, aber es gibt ja auch noch einige im nachgeordneten Bereich — gesagt wird, daß das alles nur Sinn habe, wenn man zu Regionalkonzessionen käme.
— Mein Standpunkt bleibt immer unverändert erhalten. Er ist durch lange Überlegung geprägt. Ich verschließe mich zwar nicht besseren Erkenntnissen, jedoch habe ich hier noch keine bessere Erkenntnis kennengelernt.Von daher meinen wir, daß es bei dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom Mai 1969 bleiben sollte. Wir prüfen an Hand der jedesmal neu in Auftrag gegebenen Berichte, ob die Zielsetzungen des § 8 erreicht sind oder ob wir auf dem Wege sind, sie zu erreichen. Dann werden wir es bei dem bisherigen System belassen. Ich glaube, damit dienen wir nicht nur den Unternehmern, die sich im öffentlichen Personennahverkehr bewegen, sondern vor allen Dingen auch den Fahrgästen; auf die kommt es für uns im Grunde genommen an.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich stelle Beifall auf allen Seiten des Hauses fest.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat schlägt Ihnen Überweisung der Vorlage an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen vor. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Dies ist einstimmig so beschlossen.
Damit haben wir unsere Tagesordnung abgewikkelt.
Ich berufe die nächste Plenarsitzung auf Dienstag, den 4. Oktober 1977, 11 Uhr ein und schließe die Sitzung.