Gesamtes Protokol
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Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich gern ein paar Worte zu den Römischen Verträgen sagen. Vor 20 Jahren, am 25. März 1957, wurden in Rom von den Regierungen der sechs Partnerstaaten die Verträge unterzeichnet, die der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft zugrunde liegen. Der Deutsche Bundestag hat den Römischen Verträgen wenige Monate danach, am 5. Juli 1957, mit sehr großer Mehrheit zugestimmt.Im EWG-Vertrag werden nicht nur wirtschaftliche, sondern auch weiterreichende politische Ziele genannt. So heißt es in der Präambel, daß durch diesen Zusammenschluß Frieden und Freiheit gewahrt und gefestigt werden sollen und daß die Gründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in dem festen Willen der Vertragspartner erfolge, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen.Wir werden in diesen Tagen gefragt, wie weit in den zurückliegenden 20 Jahren dieser mit den Verträgen gegebene politische Ansatz genutzt worden ist, ob wir den Zielen nähergekommen sind oder ob wir sie verfehlt haben. Das Urteil wird unterschiedlich ausfallen, je nachdem, welches von den aufgestellten Zielen wir dabei besonders ins Auge fassen. Trotz einer durchaus berechtigten Kritik dürfen die Erfolge nicht übersehen werden. In diesen zwei Jahrzehnten sind auf zahlreichen Teilgebieten wie der Verwirklichung der Zollunion, des freien Wettbewerbs, der freien Wahl des Arbeitsplatzes, der Niederlassungsfreiheit, der Handelspolitik und schließlich — bei allen damit weiterhin verbundenen Schwierigkeiten — auch der Agrarpolitik zum Teil große Fortschritte erzielt worden. Diese Fortschritte werden erst deutlich, wenn man sich in Erinnerung ruft, daß die Länder, die sich zusammenschlossen, in der Vergangenheit nationalwirtschaftlich geprägte Vorstellungen hatten und vielfach sogar dem Gedanken der Autarkie verhaftet waren.Ein eindrucksvoller Beweis für das Vertrauen in die Gemeinschaft waren der Beitritt Großbritanniens, Dänemarks und Irlands und das Ergebnis der Volksabstimmung in Großbritannien zugunsten des Beitritts zum Gemeinsamen Markt. Die Anziehungskraft, die die Gemeinschaft weiterhin besitzt, zeigt sich in dem Bemühen weiterer Staaten um Vollmitgliedschaft.Der im vergangenen Jahr gefaßte Beschluß, 1978 direkte, allgemeine Wahlen für das Europäische Parlament abzuhalten, ist eine Entscheidung von großer politischer Tragweite. Sie • wird von allen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien getragen. Durch die direkten Wahlen werden politische Kräfte innerhalb der Gemeinschaft aktiviert werden. Nur sie, die aus der Bevölkerung hervorgehenden politischen Kräfte, können Europa das geben, was es braucht: einen demokratisch begründeten, unmittelbar auf die europäischen Angelegenheiten ausgerichteten politischen Willen und schließlich ein demokratisch kontrolliertes europäisches Entscheidungszentrum.Trotz allem ist Europa von der politischen Union, die wir alle als das große Ziel anstreben, noch weit entfernt. Ich verkenne nicht, daß die Europäische Politische Zusdammenarbeit, EPZ, Fortschritte gemacht hat. Dennoch ist sie nur ein Schritt auf dem Wege zu einer europäischen politischen Union.Trotz aller Schwierigkeiten dürfen wir, so meine ich, uns nicht entmutigen lassen. Für uns Deutsche ist die europäische Idee nicht nur deswegen bedeutsam, weil wir in ihr die überzeugendste Überwindung eines engen nationalistischen Denkens sehen, das unser Land und mit ihm viele andere in der Vergangenheit ins Unglück gestürzt hat, sondern wir erblicken in der friedlichen Einigung Europas zugleich einen Weg zur Überwindung der Teilung unseres Landes und damit zur Erreichung unseres Zieles, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, bei dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.Folgendeamtliche Mitteilungenwerden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Vorsitzende des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 16. März 1977 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachstehenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat:Richtlinie des Rates zur zwölften Änderung der Richtlinie 64 /54 /EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über konservierende Stoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen
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1258 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Präsident CarstensVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 827/68 über die gemeinsame Marktorganisation für bestimmte in Anhang II des Vertrages aufgeführte Erzeugnisse (Drucksache 7/5624)Verordnung des Rates zur dritten Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1876/74 über den Zusatz von Alkohol zu Erzeugnissen des Weinsektors (Drucksache 7/5916)Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mit Schreiben vom 16. März 1977 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachstehenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat:Verordnung des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Forschungsstelle, die in GeelMol (Belgien) dienstlich verwendet werden (Drucksache 7/5947)Verordnung des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Forschungsstelle mit Dienstort in Petten (Niederlande) (Drucksache 8/73)Mit Schreiben vom 16. März 1977 hat der Vorsitzende des Innenausschusses ferner mitgeteilt, daß derVorschlag einer Verordnung des Rates zur Anpassung des auf die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften in Italien anzuwendenden Berichtigungskoeffizienten
vom Rat der Europäischen Gemeinschaften zwischenzeitlich endgültig abgelehnt wurde und sich eine Berichterstattung an das Plenum somit erübrigt.Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mit Schreiben vom 16. März 1977 mitgeteilt, daß der Ausschuß . gegen die nachstehenden, bereits verkündeten Vprlagen keine Bedenken erhoben hat:Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 72 /464 /EWG betreffend die anderen Steuern auf den Verbrauch von Tabakwaren als die Umsatzsteuern (Drucksache 7/5649)Verordnung des Rates zum Abschluß des Zollübereinkommens über den internationalen Warentransport mit Carnets TIR vom 14. November 1975 in Genf sowieVorschlag für eine Verordnung des Rates zur vorzeitigen Anwendung der Bestimmungen der Technischen Anlagen sowie zur vorzeitigen Verwendung des Musters des tarnet TIR des Zollübereinkommens über den internationalen Warentransport mit Carnets TIR vom 14. November 1975 in Genf (Drucksache 7/5704)Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie des Rates vom 15. März 1976 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen im Zusammenhang mit Maßnahmen, die Bestandteil des Finanzierungssystems des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft sind, sowie von Abschöpfungen und Zöllen
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 97/69 über die zur einheitlichen Anwendung des Schemas des gemeinsamen Zolltarifs erforderlichen Maßnahmen (Drucksache 7/5892)Richtlinie des Rates über eine Ausnahmeregelung für das Königreich Dänemark bei den im grenzüberschreitenden Reiseverkehr geltenden Vorschriften für die Umsatzsteuern und Sonderverbrauchsteuern
Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 16. März 1977 mitgeteilt, daß derVorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung zur Aufstockung des für das Jahr 1976 eröffneten Gemeinschaftszollkontingents für Ferrochrom mit einem Gehalt an Kohlenstoff von 4 Gewichtshundertteilen oder mehr der Tarifstelle ex 73.02 E I des Gemeinsamen Zolltarifs
vom Rat der Europäischen Gemeinschaften zurückgezogen wurdeund sich eine Berichterstattung an das Plenum somit erübrigt.Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 16. März 1977 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachstehenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat:Verordnung des Rates betreffend Abschluß eines Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Föderativen Republik Brasilien über den Handel mit Textilerzeugnissen
Verordnung des Rates betreffend Abschluß eines Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Kolumbien über den Handel mit Textilerzeugnissen
Verordnung des Rates zur vollständigen oder teilweisen Aussetzung der Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse mit Ursprung in der Türkei (1977) (Drucksache 7/5842)Verordnung des Rates über die Einfuhrregelung für bestimmte Textilerzeugnisse mit Ursprung in der Republik Singapur
Verordnung des Rates über die Einfuhrregelung für bestimmte Textilerzeugnisse mit Ursprung in Malaysia
Verordnungen des Rateszur Festsetzung der Richtplafonds und zur Einrichtung einer gemeinschaftlichen Überwachung der Einfuhren bestimmter Erzeugnisse mit Ursprung in Osterreich
zur Festsetzung der Richtplafonds und zur Einrichtung einer gemeinschaftlichen Überwachung der Einfuhren bestimmter Erzeugnisse mit Ursprung in Finnland
zur Einrichtung einer gemeinschaftlichen Überwachung der Einfuhren bestimmter Erzeugnisse mit Ursprung in Island
zur Festsetzung der Richtplafonds und zur Einrichtung einer gemeinschaftlichen Überwachung der Einfuhren bestimmter Erzeugnisse mit Ursprung in Norwegen
zur Festsetzung von Richtplafonds und zur Einrichtung einer gemeinschaftlichen Überwachung der Einfuhren bestimmter Erzeugnisse mit Ursprung in Portugal
zur Festsetzung der Richtplafonds und zur Einrichtung einer gemeinschaftlichen Überwachung der Einfuhren bestimmter Erzeugnisse mit Ursprung in Schweden
zur Einrichtung einer gemeinschaftlichen Überwachung der Einfuhren bestimmter Erzeugnisse mit Ursprung in der Schweiz
Beschluß der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zur Einrichtung einer Überwachung der Einfuhren bestimmter Erzeugnisse mit Ursprung in Osterreich 41977)Beschluß der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zur Einrichtung einer Überwachung der Einfuhren bestimmter Erzeugnisse mit Ursprung in Schweden (Drucksache 7/5819)Verordnung des Rates zur Verlängerung der Verordnungen Nr. 1509/76 und 1522/76 über die Einfuhr von Sardinenzubereitungen oder -konserven mit Ursprung in Tunesien bzw. Marokko in die Gemeinschaft (Drucksache 7/5875)Verordnung des Rates über die Einfuhr einiger Erzeugnisse des Weinbaus mit Ursprung in Griechenland in die drei neuen Mitgliedstaaten (Drucksache 7/5876)Verordnung des Rates zur Aufrechterhaltung der Genehmigungspflicht für die Einfuhr von Glühlampen mit Ursprung in verschiedenen europäischen Staatshandelsländern nach Italien (Drucksache 8/18)Verordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Ferrochrom mit einem Gehalt an Kohlenstoff von 4 Gewichtshundertteilen oder mehr der Tarifstelle ex 73.02 E I des Gemeinsamen Zolltarifs und über die Ausdehnung dieses Kontingents auf bestimmte Einfuhren von Ferrochrom mit einem Gehalt an Kohlenstoff von 3 bis 4 Gewichtshundertteilen (Jahr 1977) (Drucksache 8/39)Verordnung Nr. 2994/76 des Rates vom 9. Dezember 1976 zur Aufstockung des durch die Verordnung (EWG) Nr. 2876/75 für das Jahr 1976 eröffneten Gemeinschaftszollkontigents für bestimmtes Sperrholz aus Nadelholz der Tarifnummer ex 44.15 des Gemeinsamen ZolltarifsMeine Damen und Herren, wir treten nun in die Behandlung der Tagesordnung ein. Ich rufe die Punkte 4 a) und b) der Tagesordnung auf:a) Beratung des Jahresgutachtens 1976/77 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung— Drucksache 7/5902 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschußb) Beratung des Jahreswirtschaftsberichtes 1977 der Bundesregierung— Drucksache 8/72 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wirtschaft HaushaltsausschußZur Begründung und als erster Redner in der Aussprache hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft das Wort.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung hat den Jahreswirtschaftsbe-
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Bundesminister Dr. Friderichsricht 1977 termingerecht Ende Januar verabschiedet und den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet. Sie hat zugleich, wie das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz es vorschreibt, zum Jahresgutachten 1976/77 des Sachverständigenrates Stellung genommen, dessen Mitgliedern ich an dieser Stelle ausdrücklich für die geleistete Arbeit Dank sagen möchte, Dank besonders dafür, daß der Rat mit seinem Gutachten dazu beigetragen hat, die wirtschaftspolitische Diskussion auch in einer breiteren Öffentlichkeit über den kurzfristigen Aspekt hinaus auf das zu lenken, was in mittelfristiger Sicht notwendig und erforderlich ist.
Der Jahreswirtschaftsbericht basiert auf dem Informationsstand von Ende Januar dieses Jahres, und das heißt: auf dem Datenbild von Dezember bzw. November des vergangenen Jahres. Die seitdem hinzugekommenen statistischen Informationen lassen die konjunkturelle Perspektive für 1977 insgesamt nicht ungünstiger erscheinen. Zwar weisen die Januar-Zahlen beim Auftragseingang saisonbereinigt einen Rückgang auf; wegen der zu Jahresbeginn von den statistischen Ämter vorgenommenen Umstellung muß dieses Monatsergebnis aber mit einer besonderen Vorsicht gewertet werden. Im Zweimonatsvergleich, den wir ja üblicherweise anstellen - nämlich Dezember und Januar zusammen gegenüber den beiden Vormonaten —, ergibt sich im übrigen saisonbereinigt noch immer ein — wenn auch nur leichter — Anstieg.Auch die jüngsten Konjunkturprognosen der meisten wirtschaftswissenschaftlichen Institute und auch des Internationalen Währungsfonds bestätigen weitgehend die Grundlinien des Jahreswirtschaftsberichts, und sie befinden sich — von geringen Abweichungen in Einzelaspekten selbstverständlich abgesehen — im Einklang mit der angestrebten gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, wie sie in der Jahresprojektion der Bundesregierung niedergelegt ist.Gleichwohl sind noch nicht alle dort genannten Risiken beseitigt, die der Realisierung der gesamtwirtschaftlichen Ziele entgegenstehen könnten. Trotz des wieder deutlicher gewordenen Aufwärtstrends der konjunkturellen Antriebskräfte bestehen sowohl vom außen- als auch vom binnenwirtschaftlichen Bereich her noch Unwägbarkeiten hinsichtlich der Nachhaltigkeit und der Dichte des zukünftigen Wachstumsprozesses. Die Bundesregierung will diese Unsicherheiten weder wegdiskutieren noch unter den Tisch kehren; jedoch, meine Damen und Herren, sind auf der anderen Seite ebensowenig Schwarzmalerei und Verunsicherung angebracht.
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Ein Sperrvermerk bei den Investitionsausgaben in Höhe von 10 % im Jahre 1977, wie ihn das Land Baden-Württemberg in seinem diesjährigen Haushalt ausgebracht hat, entspricht mit Sicherheit nicht dieser Anforderung, sondern hat deutlich prozyklischen Charakter.
Es ist doch geradezu grotesk, daß wir uns hier bemühen — Bund und Länder und Kommunen gemeinsam —, ein mittelfristiges Infrastrukturprogramm zu erarbeiten, um die investiven Ausgaben insbesondere zur Zeit zu erhöhen, wenn gleichzeitig eines der finanzstärksten Länder der Bundesrepublik Deutschland einen Sperrvermerk bei 10 % seiner Investitionsausgaben ausbringt. In welchem Gesamtstaat leben wir denn eigentlich?!
Trotz notwendiger Konsolidierungsstrategie im öffentlichen Gesamthaushalt müssen wir für eine ausreichende öffentliche Investitionstätigkeit sorgen, um für die erforderlichen privaten Investitionen bessere Voraussetzungen und notwendige Ergänzungen zu schaffen. Auch diesem Ziel gilt das gestern verabschiedete mehrjährige öffentliche Investitionsprogramm zur wachstums- und umweltpolitischen Vorsorge. Es konzentriert sich unter Berücksichtigung einer ausgewogenen regionalen Streuung auf einige besonders zukunftweisende Schwerpunkte im Bereich von Wasserversorgung, Verkehrssicherheit, Wohnwelt und Energieeinsparung. Damit wird dieses Programm auch in qualitativer Sicht die mittelfristigen Wachstumsmöglichkeiten verbessern und zu dauerhaften investiven Nachfrageimpulsen führen. Das Volumen von rund 16 Milliarden DM kann unter Berücksichtigung von Multiplikatorwirkungen das Sozialprodukt mittelfristig um gut 30 Milliarden DM erhöhen. Bezogen auf das Sozialprodukt von 1976 bedeutet dies, die gesamtwirtschaftliche Nettoproduktion wird in diesem Zeitraum um gut 2 1/2 % ausgeweitet. Dies führt auch zu einem erheblichen Beschäftigungseffekt, der jedoch nicht seriös quantifiziert werden kann.Mit dieser Dimension des Programms, die größer ist, als wir sie zunächst ins Auge gefaßt haben, werden wir auch den berechtigten Erwartungen gerecht, die von unseren Partnern in der Welt an die Bundesrepublik als Beitrag zur wachstumspolitischen Vorsorge in die Bundesrepublik gesetzt werden.Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle den Ländern, die sich zu einer Mitwirkung bereitgefunden haben, für die bisherige, wenn auch nicht immer ganz reibungslose Zusammenarbeit bei
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1265
Bundesminister Dr. Friderichsder Vorbereitung des Programms danken und diesen Dank mit der Hoffnung und Erwartung verbinden, daß alle Beteiligten zu einer baldigen und erfolgreichen Realisierung der geplanten Investitionen beitragen.
Das Programm allein bringt noch keine Aufträge und Beschäftigung, sondern erst seine Umsetzung in Aufträge und Produktion, und darauf kommt es jetzt an.
Die Art und Weise aber, wie Bund und Länder diese Aufgabe gemeinsam bewältigen, wird gleichzeitig eine Antwort darauf geben, inwieweit unser föderalistisches System in der Lage ist, angesichts komplexer übergreifender Zukunftsaufgaben seine Handlungsfähigkeit zu beweisen. Diese Chance zur Bewährung sollte — und dies ist meine Bitte — nicht an regionalen Scheuklappen und provinzieller Kirchturmspolitik scheitern.
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Meine Damen und Herren, es ist sehr zu begrüßen, daß sich der Saal in den letzten Minuten gefüllt hat. Ich bitte aber die hinzugekommenen Kollegen um ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit für den Redner. Ich bitte Sie auch freundlichst, die Zeitungen, die Sie bisher gelesen haben, erst dann wieder zu lesen, wenn Sie den Saal verlassen haben.
In der Steuerpolitik, meine Damen und Herren, kommt es nicht allein auf die Gesamtbelastung an, sondern auch auf die Struktur des Steueraufkommens. Dieser Aspekt steht nach Einführung des Verlustrücktrags und nach Inkrafttreten der Körperschaftsteuerreform auch im Vordergrund des vom Kabinett gestern verabschiedeten Steuerpakets. Neben einer so ausgerichteten Geld- und Finanzpolitik haben wir angesichts der vorhandenen Beschäftigungsprobleme flankierende arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ergriffen, und zwar, wie es das Programm vom November vorigen Jahres ausweist, besonders zugunsten der Problemgruppen des Arbeitsmarktes.Auch die Energiepolitik muß in die angestrebte mittelfristige Strategie eingebunden sein. Daher haben wir gestern die Grundlinien und Eckwerte für die zweite Fortschreibung des Energieprogramms verabschiedet; denn die Beschlüsse von heute bestimmen die Energieversorgung der 80er Jahre.
Wenn wir davon ausgehen, daß das Energiewachstum durch die zentralen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen bestimmt ist, muß die Energiepolitik bestrebt sein, eine ausreichende Versorgung zu sichern, und zwar zu Preisen, bei denen die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft nicht in Frage gestellt ist.Nun ist zwar das Verhältnis zwischen dem Anwachsen des Energieverbrauchs und dem Wirtschaftswachstum nicht starr; es ändert sich durch technischen Fortschritt, Veränderung der Preisrelationen, Sättigungstendenzen sowie durch verstärkte Anstrengungen zur Energieeinsparung. Die Bundesregierung hat deshalb die Grundzüge eines Programms zur rationellen und sparsamen Energieverwendung beschlossen. Nach Schätzungen von wirtschaftswissenschaftlichen Instituten müssen wir aber trotz einer forcierten Einsparpolitik selbst in den späten 80er Jahren mit einem Koeffizienten von etwa 0,7 für das Verhältnis von Primärenergieverbrauch zu gesamtwirtschaftlichem Wachstum rechnen. Im Vergleich dazu betrug der Durchschnitt der Jahre 1960 bis 1973 1.Von diesen Prämissen ausgehend, kommen wir um die Feststellung nicht herum, daß wir in den 80er Jahren zur Deckung des Primärenergiebedarfs im Verstromungsbereich einen beträchtlichen Beitrag von seiten der Kernenergie benötigen. Dieser ist zwar geringer, als wir in der ersten Fortschreibung im Jahre 1974, also vor der Rezession, angenommen haben. Angesichts der Grenzen, die sich als Faktum aus der Verfügbarkeit oder politischem Sachzwang für den Einsatz alternativer Energien ergeben, und angesichts der Notwendigkeit, die Stromversorgung in den 80er Jahren zu sichern, beträgt die unter den genannten Prämissen erwünschte und auch notwendige Kernkraftwerksleistung im Jahre 1985 dennoch 30 000 Megawatt.Ich will kurz die Gründe für diese Entscheidung darlegen. Erstens. In überschaubarer Zukunft können wir weder von der Sonnenenergie noch aus der Wind- und Gezeiten- und geothermischen Energie angesichts unserer geographischen Lage nennenswerte Beiträge zur Stromerzeugung erwarten.Zweitens. Die Bundesregierung hielte es für unvertretbar, die Versorgungsrisiken im Mineralölbereich und beim Erdgas zu erhöhen. Sie wird deshalb die bisherige Verstromungspolitik, d. h. eine Politik des begrenzten Einsatzes für diese Energieträger, fortsetzen. Zudem ist die Menschheit vernünftigerweise gehalten, die immer knapper werdendenden Erdölvorräte zu schonen und sie nicht zur Stromerzeugung, sondern als Rohstoff einzusetzen.Drittens. Bei der deutschen Braunkohle ist bis 1985 geplant, ihren Beitrag zur Stromerzeugung um 10 % zu erhöhen. Ein darüber hinausgehender Einsatz findet jedoch seine Grenzen durch die Umweltbelastungen im dichtbesiedelten rheinischen Revier. Auch hier sollten wir die Vorräte schonen, da Braun- kohle nach bisherigem Erkenntnisstand am geeignetsten für moderne Kohlevergasungstechnologien ist.Viertens. Es bleibt die Verstromung von deutscher Steinkohle und Importkohle. Schon der Bau von Steinkohlekraftwerken, der auf Grund des bisherigen Kohlezubauprogramms notwendig ist, stößt in
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1266 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Bundesminister Dr. FriderichsVerdichtungsgebieten, wie das Beispiel Voerde zeigt, auf Schwierigkeiten.Wenn wir auf den geplanten Einsatz der Kernenergie ganz oder teilweise verzichten, müßte zudem der Zubau an Kohlekraftwerken an revierfernen Standorten erfolgen, da die dann entstehende Kapazitätslücke vor allem in Süddeutschland auftreten würde und unser Verbundnetz einen entsprechenden regionalen Ausgleich nicht mehr leisten könnte. Die Folge wäre eine vergrößerte regionale Disparität bei den Strompreisen mit zwangsläufigen Beeinträchtigungen der Wettbewerbsfähigkeit der dort ansässigen Industrie.Aber auch unsere Volkswirtschaft insgesamt hätte in diesem Fall wesentlich höhere Stromkosten zu tragen und müßte zudem gleichwohl mit erheblichen Stromdefiziten fertig werden.Was wären die Folgen? Betroffen wären nicht nur die 115 000 bis 120 000 Menschen, deren Arbeitsplätze nach einer Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin und nach Bestätigung der betroffenen Wirtschaftskreise in der kernkraftwerkebauenden Industrie und in den direkt und indirekt mit ihr verbundenen Wirtschaftsbereichen aufs höchste gefährdet wären.Unsere Kernkraftwerksindustrie würde zudem den Anschluß an die internationale Technik und damit auch ihre Exportmöglichkeiten verlieren.Nach dem bisherigen Milliardenaufwand staatlicher Förderung wäre dieses Ergebnis nicht gerade ein Musterbeispiel vorausschauender staatlicher Politik.
Das neben der Energiesicherung angestrebte Ziel, unsere Wirtschaftsstruktur in Richtung auf knowhow-intensive Bereiche zu verändern, wäre in diesem Sektor ebenfalls total verfehlt.Die Kumulation der negativen Folgen würde jeden Menschen in diesem Land unerbittlich treffen. Die in den vergangenen Jahren und noch jetzt erlebten Auswirkungen der weltweiten Rezession wären nach meiner Meinung dagegen als harmlos zu bezeichnen, von der Erfüllung der Aufgaben, denen wir im nationalen und internationalen Bereich gegenüberstehen, ganz zu schweigen. Ihre Lösung würde durch uns nicht mehr möglich sein.Deshalb ist der Verzicht auf den weiteren Ausbau der Stromversorgung durch Kernkraft für die friedliche Nutzung in der Bundesrepublik für die Bundesregierung eine nicht vertretbare Strategie.
Besondere Verantwortung für die mittelfristige Beschäftigungs- und Wachstumsperspektive hat nicht zuletzt die Einkommenspolitik der Tarifvertragsparteien. Die Lohnpolitik entscheidet nun einmal über den wichtigsten Kostenfaktor in unserer Wirtschaft, der allerdings auf der anderen Seite auch für den privaten Verbrauch Bedeutung hat.Wichtig ist daher, daß sich das Vertrauen in einelohnpolitische Leitlinie weiter festigen kann, die —wie es der Sachverständigenrat formuliert hat —in den Erwartungen der Unternehmen Spielraum für ertragreiche, die Beschäftigungschancen verbessernde Investitionen läßt". Dies erfordert freilich auch ein entsprechendes preispolitisches Verhalten der Unternehmen. Preiserhöhungsspielräume dürfen in einer solchen Lage eben nicht rigoros ausgenutzt werden. Die von der Bundesregierung geplanten wettbewerbspolitischen Initiativen können und werden in dieser Hinsicht mittelfristig einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie den Leistungswettbewerb stärken und einer Vermachtung der Märkte entgegenwirken.Die so angelegte mittelfristig orientierte Politik auf nationaler Ebene gilt es mit unseren wichtigsten Handelspartnern abzustimmen. Das dritte Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs am 7./8. Mai in London wird dazu Gelegenheit geben.Wirtschaftspolitisch stellen sich bei diesem Treffen folgende Hauptaufgaben:Erstens. Allen Handelsrestriktionen muß auch weiterhin entschlossen entgegengetreten werden. Wir streben an, das handelspolitische Stillhalteabkommen in der OECD wiederum zu erneuern. Ferner sollte die Liberalisierung in der Tokiorunde des GATT möglichst rasch, entsprechend der Erklärung von Rambouillet, nachhaltig vorangetrieben werden;
denn Stillstand bedeutet hier Rückschritt.
Zweitens. Die bereits länger anhaltenden Fehlentwicklungen in den makroökonomischen Schlüsselrelationen können in keinem Land kurzfristig korrigiert werden, sondern nur in einem langfristig international abgestimmten Prozeß beseitigt werden. Auch dies bedeutet eine Gratwanderung.In zahlungsbilanzschwachen Ländern muß das Schwergewicht der Anstrengungen auf dem Abbau der Inflationstendenzen und der Zahlungsbilanzdefizite liegen. Der notwendige Restriktionskurs in diesen Ländern darf allerdings nicht überzogen werden, wenn es nicht zu Deflationsprozessen, internen sozialen Spannungen und damit auch international zu einer neuerlichen ökonomischen Destabilisierung kommen soll. Zahlungsbilanzstarke Länder — wie auch die Bundesrepublik — haben auf der anderen Seite eine besondere Verantwortung, zu einem nachhaltigen Wachstumsprozeß beizutragen. Dieser Rolle hat sich die Bundesregierung in den vergangenen Jahren nicht entzogen. So hatten wir nach Angaben der OECD zwischen 1973 und 1975 mit 7 1/2 Prozentpunkten die höchste Veränderung im öffentlichen Finanzierungssaldo von allen großen Industrieländern. Defizitländer haben von uns multilaterale und bilaterale Zahlungsbilanzhilfen erhalten. Darüber hinaus haben wir in den vergangenen drei Jahren unseren Leistungsbilanzüberschuß auf rund ein Viertel reduziert, und zwar durch eine sehr dynamische Einwicklung der Einfuhr. 1975 haben wir mit unserer Einfuhr deutlich günstiger als alle Nachbarländer gelegen. Wir haben also frühzeitig durch spürbare Initiativen zur Konjunkturbelebung unserer Partner beigetragen, und wir wollen diese Richtung auch in Zukunft weiterverfolgen. Eine Zahlenreihe mag dies erhellen. Im Jahre 1976 betrug das reale Wachstum des Sozialprodukts 5,6 %; Welt-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1267
Bundesminister Dr. Friderichshandelsvolumen: plus 11 %, deutsche Einfuhr: plus 17 %. Damit ist unser Beitrag in einer einzigen Zahlenreihe charakterisiert.Meine Damen und Herren, ein Überziehen in expansiver Richtung würde jedoch einen nachhaltigen soliden Wachstumsprozeß nicht fördern, sondern vielmehr das Schwungrad der Inflation beschleunigen und den bisher erfolgreichen Erholungsprozeß aus der Bahn werfen.Drittens brauchen wir vor allem innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, aber auch mit den anderen wichtigen Handelspartnern eine konzertierte Anstrengung, um die nationalen Politiken besser auf die gesamtwirtschaftlichen und gemeinschaftlichen internationalen Erfordernisse abzustimmen. Die Fortschritte während der ersten beiden Jahrzehnte der europäischen Integration sind unter den vergangenen Schwierigkeiten leider eher in Desintegrationserscheinungen übergegangen. Die Bundesregierung ist bereit, die bestehenden Koordinierungsvorschriften der Gemeinschaft präzise einzuhalten und das Instrumentarium zur Abstimmung und Koordinierung der Wirtschafts- und Finanpolitik ebenso strikt anzuwenden. Kurzfristig durchschlagende Erfolge wird es nicht geben können, doch werden wir bestrebt sein, auch im europäischen Rahmen die wirtschaftlichen Zukunftserwartungen schrittweise wieder zu verbessern und zu festigen. Was in Europa not tut, sind letztlich nicht große Aktionen oder neue Programme und erst recht keine Deklamationen über neue Zielvorstellungen in der Wirtschaftspolitik. Vielmehr muß es in Europa darum gehen, im Rahmen unserer mittelfristigen Gesamtstrategie viele kleine konkrete Schritte beharrlich zurückzulegen.Die Bundesregierung hat ihre Wirtschaftspolitik an einem Konzept der Stetigkeit auf mittel- und längerfristige Perspektiven ausgerichtet. Sie erwartet keine kurzfristigen spektakulären Fortschritte. Sie erwartet aber, daß wir auch in diesem Jahr der angestrebten Kombination der wirtschaftlichen Hauptziele ein gutes Stück näherkommen. Das werden wir aber nur dann erreichen, wenn wir gezielt die Anpassungsfähigkeit und Flexibilität unseres Wirtschaftssystems stärken, denn nur so wird es gelingen, die vorhandene Unsicherheit und Skepsis bei Konsumenten und Investoren zu überwinden und zu einer neuen Dynamik unseres Wirtschaftssystems und unserer Wirtschaft zu gelangen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine Schlußbemerkung an den Teil des Parlaments richten, der zur Opposition gehört. Diese Einführung in die heutige Debatte ist ein Angebot, aber auch ein Appell zu einem konstruktiven und kritischen Dialog über diese mittelfristig angelegte Optimierungsstrategie. Verzichten wir doch in einer in unserer Bevölkerung — für die Arbeitnehmer und für die Unternehmer — so wichtigen Frage einmal einen Moment darauf, kurzsichtig parteipolitische Vorteile zu suchen, wenn es um existentielle Fragen geht.
Meine Damen und Herren, seien wir uns der Tatsache bewußt, daß die heutige Debatte in Inhaltu n d Form auch auf die Stimmung im Lande ihren Einfluß haben wird.
Wenn wir die Verunsicherung nicht wollen, solltenwir auch den Mut haben, zu ihr nicht beizutragen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Christlich-Demokratischen/Christlich-Sozialen Union ist der grundsätzlichen und auch der parlamentarischen Gewohnheit und Erfahrung entsprechenden Auffassung, daß der Bundeskanzler bei einer Debatte dieser Art, bei der Diskussion über den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung, persönlich anwesend sein sollte.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Ich weiß, was Sie sagen wollen; ich sage es selbst, Herr Kollege Wehner.
Man hat uns heute morgen um 9 Uhr mitgeteilt, der Bundeskanzler würde ab 11 Uhr an der Debatte teilnehmen. Man hat uns um 9.30 Uhr mitgeteilt, er sei leider erkrankt und könne überhaupt nicht teilnehmen. Es wäre vielleicht zweckmäßig gewesen, wenn man dann die ganze Aussprache auf einen anderen Termin verschoben hätte,
denn wenn es um die ordnungspolitischen Grundsätze unseres Gesellschaftssystems geht, ist der Rahmen überschritten, der vom Wirtschafts- und vom Finanzminister ausgefüllt werden kann.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner?
Wenn Sie, Herr Kollege Wehner, sich sonst so sehr wie hier des Bundeskanzlers annehmen würden, wäre vielleicht manches in Ihren Reihen wesentlich besser.
Sehr verehrter Herr Kollege Dr. h. c. Strauß,
würden Sie, nachdem Sie sogar vorher wußten, was ich sagen wollte, sich bitte daran erinnern, daß es hier in diesem Bundestag — und da waren Sie und auch ich Mitglied — einmal die Situation gegeben
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1268 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Wehnerhat, in der sogar unser damaliger Bundeskanzler Konrad Adenauer eine Regierungserklärung durch den damaligen Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard vortragen ließ und die damalige Opposition, die SPD, dies nicht zum Gegenstand einer Erörterung solcher Art hat werden lassen? Erinnern Sie sich?
Ich erinnere mich sehr genau; nur sind bei Ihnen immer wieder fast 50 % richtig und 50 0/o falsch.
Es steht selbstverständlich dem Bundeskanzler zu, krank sein zu dürfen, und wenn Konrad Adenauer in seinem sehr hohen Alter einmal über mehrere Wochen hinweg erkrankt war — was bei ihm allerdings sehr selten der Fall war —, hatte selbstverständlich das Parlament nicht die Möglichkeit, mit der Diskussion der anstehenden Probleme zu warten, bis er zurückkam.
Darum hat damals der stellvertretende Bundeskanzler, der Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard, an seiner Stelle die Aussprache bestritten. — Ich sage ja nicht mehr und nicht weniger Herr Kollege Wehner, als daß man uns um 9 Uhr gesagt hat, er käme um 11 Uhr, kurz darauf aber, er käme nicht. Und wenn wir das Ganze vorher gewußt hätten, hätten wir uns zusammensetzen sollen, um zu überlegen, ob wir nicht diese Aussprache gemeinsam in einer Besetzung durchführen, bei der der Bundeskanzler auch die Möglichkeit hat, persönlich in die Diskussion einzugreifen;
denn es handelt sich hier um Probleme, die über den Rahmen der Zuständigkeiten des Wirtschafts- und des Finanzministers hinausgehen.
— Wenn Sie glauben, daß Sie durch diese Art Störmanöver Ihr schlechtes Gewissen beweisen müssen,
dann geben Sie mir durch Ihr Verhalten in meinersehr maßvoll vorgetragenen Kritik noch mehr recht.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat hier Auffassungen und Grundsätze vertreten, denen wir weitgehend zustimmen können. Aber dieses ausführliche und von uns in weiten Teilen begrüßte, mit Zustimmung aufgenommene Kolleg sollte er eigentlich vor bestimmten nicht einflußlosen Gruppierungen der Regierungsparteien halten.
Denn die Verunsicherung kommt nicht von denen, die das bestehende Gesellschaftssystem bejahen und seine allmähliche Unterminierung kritisieren, sondern von denen, die ständig eine andere Republik, einen anderen Staat und eine andere Gesellschaft verlangen. Von dort kommt die Verunsicherung.
Ich nehme nicht an, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister etwa die Opposition gemeint hat, als er sagte, man solle nicht durch Verunsicherung die bestehenden Probleme verschärfen. Ich nehme an, er hat hier ganz andere Adressaten gemeint. Es wäre aber gut, wenn er sie einmal ganz offen ansprechen würde. Auch das gehört zur Regierungspflicht.
— Wenn Sie es nicht wissen, werden Sie es heute noch von mir hören!Die wirkliche Konjunkturlage — aus dem Jahreswirtschaftsbericht nicht zutreffend erkennbar — läßt sich etwa wie folgt kurz charakterisieren: Die konjunkturelle Schwäche ist nicht überwunden. Mangelndes Vertrauen kann nicht durch Propaganda in Zuversicht umgezaubert werden. Dazu genügen auch nicht die unter Verfassungsbruch für Wahlpropaganda verschwendeten Millionen von Steuergeldern.
— Ich könnte Ihnen auf diesen Zwischenruf sehr eingehend antworten.
— Sie haben mit dem Stil begonnen, Millionen von Steuergeldern für Wahlpropaganda zum Teil zur Täuschung der Wähler — siehe Rentenfrage — einzusetzen.
Daß es sich um ein Problem des Mangels an Vertrauen handelt, geht auch aus einem heute veröffentlichten Bericht eines der bekanntesten und bedeutendsten Wirtschaftsforschungsinstitute hervor, nämlich des Ifo-Instituts — dessen Glaubwürdigkeit wohl nicht deshalb geringer ist, weil es zufällig in München seinen Sitz hat. Darin heißt es: Nur sehr schwache Zunahme der Investitionen; Stimmung der Industrie wird immer schlechter.Die regierungsamtliche Diagnose: „Dem Patienten Wirtschaft geht 'es gut — besser, als er selbst es merkt" hat ihre Glaubwürdigkeit verloren. Sicher — da gebe ich Ihnen recht —, die Stimmung ist schlechter als die Lage. Aber die Lage bemüht sich jetzt allmählich, sich der Stimmung anzupassen.
Wir haben den dritten Winter mit mehr als einer Million Arbeitsloser hinter uns. Die Zahl der Dauerarbeitslosen ist höher als je zuvor. Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit ist ungelöst. Immer mehr junge Menschen, ob Lehrlinge, Abiturienten oder Akademiker, müssen nicht zuletzt als Folge einer
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Straußverfehlten Bildungspolitik damit rechnen, daß sie keinen Ausbildungsplatz oder nach dem Abschluß der Ausbildung keinen Arbeitsplatz haben. Vom Schülerberg zum Lehrerberg, vom Arbeitslosenberg zum Rentnerberg — alles Folgen einer falsch konzipierten Reformpolitik und auch Folgen zunehmender sozialistischer Systemveränderung; Meilensteine auf dem Weg der gesellschaftspolitischen Wanderdüne, die seinerzeit Willy Brandt als „linke Mitte" bezeichnet hat.„Die konjunkturelle Entwicklung, die im Frühjahr und Sommer viel von ihrem Schwung verloren hatte, hat sich bislang nicht wieder erholt. In einigen Zweigen ist sie sogar weiter erlahmt; in anderen ist sie in sich zusammengefallen. Offensichtlich ist die Zuversicht auf einen nachhaltigen Aufschwung noch nicht gefestigt. Vermutlich fehlt den Unternehmern das Vertrauen, daß es gelingen werde, die Fehlentwicklung auf dem Gebiet der Einkommensverteilung und im Bereich der öffentlichen Finanzen sachgerecht und dauerhaft zu korrigieren."Diese Ausführungen sind nicht meine Formulierungen, sondern — wofür ich den Herrn Präsidenten um Verständnis und Nachsicht bitte — ein Zitat aus dem Frühjahrsgutachten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung.Der Präsident des vorhin erwähnten Ifo-Instituts, Herr Oppenländer, hält noch auf Jahre hinaus ein Millionenheer von Arbeitslosen für wahrscheinlich. Er geht davon aus, daß sich die Verhältnisse am Arbeitsmarkt bis 1980 kaum ändern. Damit ändert sich auch das Mißverhältnis nicht, daß im Jahr etwa 10 Milliarden DM Unterstützungszahlungen für arbeitswillige und arbeitsfähige, aber zur Unproduktivität verurteilte Menschen erfolgen müssen und daß auf der anderen Seite insgesamt, wenn man die Arbeitgeberleistungen einbezieht, 10 Milliarden DM weniger an Steuern und Beiträgen hereinkommen. Solange dieses Problem nicht gelöst ist, wird es auch keine dauerhafte Sanierung des Problems der Rentenfinanzierung geben. Hier ist der Hebel anzusetzen, und hier haben die Fehler und Versäumnisse die ohne Zweifel auch so bestehende Problematik beinahe bis zur Unlösbarkeit verschärft.Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Josef Stingl, sieht bis 1980 1 Million Arbeitsplätze als bedroht an und fordert:Will man nicht nur die gegenwärtige Arbeitslosigkeit beseitigen, sondern auch die vermehrte Zahl der Erwerbstätigen unterbringen, so brauchen wir bis 1980 zusätzlich etwa 2 Millionen Arbeitsplätze. -Hinzu kommt IG Metall. Siehe „Welt" und „Handelsblatt" von gestern! Nach dieser Veröffentlichung eines der führenden wissenschaftlichen Mitarbeiter von IG Metall, die ja heute die Diktion und Gedankengänge ihrer Führungspersönlichkeiten bestimmen, die weitgehend in Umkehrung des Verhältnisses „his master's voice" geworden sind — —
— Daß das bei Ihnen nicht so ist, wissen wir, Herr Wehner.
— Ich sage ja: Daß es bei Ihnen nicht so ist, hätte ich auch ohne Ihren Zwischenruf gewußt.Nach der Äußerung von IG Metall müßten in der Bundesrepublik Deutschland 3 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden, wenn alle Arbeitslosen wieder Arbeit erhalten sollen. Es heißt dort, die derzeit registrierte Arbeitslosenzahl von 1,2 Millionen sei nur die halbe Wahrheit. Außerdem sagt der im Jahre 1976 eingetretene unzureichende und leider wieder durch das Gegenteil abgelöste Abbau der Arbeitslosen nicht viel aus, da auch die Zahl der Arbeitsplätze fast gleichzeitig mit einem geringfügigen Abbau der Arbeitslosigkeit ebenfalls abgenommen hat, und zwar durch Abwanderung der Gastarbeiter, früheren Eintritt in das Rentnerleben, Umschüler usw.Bedenklich ist nur, daß man offensichtlich nicht bereit ist, aus Fehlern und Versäumnissen der Vergangenheit etwas zu lernen, daß immer wieder dieselben abergläubischen, unfughaften Fehlrezepte zur Lösung der Probleme angeboten werden. Wenn man glaubt, daß man durch Inflation als gewissermaßen systematische Institution ausreichendes Wachstum und Vollbeschäftigung sichern kann und dafür Beispiele wie Italien, England oder Brasilien anführt, dann hört hier natürlich, wie es in dem Artikel der IG Metall geschehen ist — —
— Ich habe die Quelle ja vorhin genannt. Das ist immerhin die mächtigste und größte Gewerkschaft, die es in der Bundesrepublik gibt. Das ist auch nicht auf diesen einen Herrn beschränkt. Es ist doch ein weit verbreiteter Unfug, auch heute wieder an die allein seligmachende Kraft inflationärer Prozesse zu glauben, um mit ihnen die Lösung der bestehenden Übelstände zu erhoffen.
— Ja, wenn der Bundeskanzler die Politik der SPD bestimmen würde, dann wüßten wir vielleicht, was die Politik der SPD auf diesem Gebiet in Wirklichkeit darstellt.
Hier im Parlament gibt es für jeden Redner das Recht, über die wirtschafts- und ordnungspolitischen Einstellungen und Vorstellungen der großen gesellschaftlichen Kräfte, deren Existenz und Aufgaben wir uneingeschränkt bejahen, ebenfalls offen zu sprechen. Wo wären wir denn sonst!
Angesichts des weit verbreiteten und tiefsitzenden Pessimismus in der Wirtschaft, der vielen durch Firmenpleiten für immer vernichteten Arbeitsplätze
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1270 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Straußim Jahre 1976 gab es 9 300 Konkurs- und Vergleichsverfahren —, angesichts der Verunsicherung der Arbeitnehmer durch die skandalöse Arbeitsmarktlage ist es zwangsläufig, daß das Mißtrauen gegenüber der zukünftigen Entwicklung so nicht überwunden werden kann.Auf dem Hintergrund dieser Situation ist schon die Zielprojektion der Bundesregierung, wie bereits bei anderer Gelegenheit im Parlament diskutiert, im Jahreswirtschaftsbericht 1977 mit erheblichen Unsicherheiten belastet, wenn sie nicht schon zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung überhaupt weitgehend überholt war. Im Jahreswirtschaftsbericht heißt es:In der Jahresprojektion wird davon ausgegangen, daß 1977 eine Zunahme der Bruttolöhne und -gehälter je beschäftigten Arbeitnehmer in der Größenordnung des Vorjahres, d. h. um 7,5 %, sowohl der gesamtwirtschaftlichen Situation dieses Jahres als auch den mittelfristigen Erfordernissen am besten gerecht werden würde.Wir haben — das gilt auch für mich — bei mehreren Gelegenheiten zum Ausdruck gebracht, daß wir nicht Anhänger einer negativen Lohnpolitik, auch nicht Anhänger einer restriktiven Lohnpolitik sind, sondern daß die Überwindung der konjunkturellen Probleme eine Lohnentwicklung voraussetzt, die einerseits keine neuen inflationären Impulse schafft, die aber andererseits einen Anreiz für Konsum gibt. Denn wir brauchen nicht nur einen Investitionsanreiz. Wir brauchen heute auch wieder einen Konsumanreiz, der durch die Vorgänge der letzten Jahre und ihre psychologischen Wirkungen weitgehend verlorengegangen ist.Es heißt im Monatsbericht der Deutschen Bundesbank:Die kürzlich für 3,5 Millionen Beschäftigte in der Metallindustrie getroffene Vereinbarung von plus 6,9 % — —Über diese Vereinbarung gab es ja innerhalb der Regierung merkwürdige Dissonanzen: Während sich der Herr Bundesfinanzminister sehr befriedigt über diesen Vorgang zeigte, meinte der Bundeswirtschaftsminister das Gegenteil. Aber der Herr Bundesfinanzminister machte diesen Wettbewerbsvorsprung wieder zunichte, als er sagte, er hätte auch so geurteilt wie der Bundeswirtschaftsminister, wenn ihm von vornherein die Gesamtheit aller damit verbundenen Regelungen bekannt gewesen wäre. Diese öffentlichen Lernprozesse namhafter Mitglieder der Bundesregierung sind auch ein Stück Bildungspolitik und ein Anreiz für die nachwachsende Generation.
-- Bei manchen nützt es allerdings gar nichts, da haben Sie recht. — In dem Bericht der Bundesbank heißt es, daß diese Vereinbarungen bei Einrechnung der im Jahre 1976 vereinbarten Leistungen 1977 mit rund 8 % bis 8,5 % über denen des Jahres 1976 liegen. Wörtlich heißt es dort:Diese Lohnerhöhungen liegen erheblich überden in der Jahresprojektion der Bundesregierung für 1977 angenommenen Lohnsteigerungen.Es geht hier nicht darum, die Tarifautonomie einzuschränken oder zur Tarifautonomie Stellung zu nehmen. Vielmehr geht es hier lediglich darum, vom Bundeswirtschaftsminister zu verlangen, daß seine Jahresprojektion auch auf diesem Gebiete, auf dem sie für den wirtschaftlichen Verlauf von entscheidender Bedeutung ist, der tatsächlichen Entwicklung gerechter wird, als es bei Veröffentlichung des Berichts der Fall gewesen ist. Im Jahreswirtschaftsbericht sind die 7,5 % für die effektiven Durchschnittsverdienste der Arbeitnehmer angesetzt. Dies würde nur erreicht, wenn sich das Niveau der Tarifverdienste 1977 erheblich weniger erhöhen würde. Denn regelmäßig ist in der konjunkturellen Aufschwungphase, von der die Regierung ausgeht, eine positive Lohndrift in Rechnung zu stellen. Das steht ebenfalls im Bericht der Deutschen Bundesbank.Mit diesem Tarifabschluß, der für alle übrigen Bereiche Signalwirkung hat, ist eine der wichtigsten Annahmen des Jahreswirtschaftsberichts und sind alle darauf aufgebauten Schlußfolgerungen hinfällig. Die Bundesregierung strebt für 1977 einen realen Zuwachs beim Bruttosozialprodukt von 5 % an. Damit schätzt die Bundesregierung die Entwicklungsaussichten für 1977 günstiger ein als der Sachverständigenrat. Die Bundesregierung kann sich bei ihrer Projektion zwar auf das im Herbst vorigen Jahres erstattete Gemeinschaftsgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute berufen — dies ging von einer realen Wachstumsrate in Höhe von 5,5 % im laufenden Jahr aus —, aber den damaligen Optimismus hat sich heute nur noch ein Institut bewahrt: das Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Alle anderen Institute vertreten zur Zeit weniger optimistische Prognosen, so etwa das Rheinisch-Westfälische Institut in Essen, das in der Zwischenzeit auf ein Plus von 3,5 % heruntergegangen ist. Wenn auch dieses wesentliche Eckdatum nicht der wirtschaftlichen Entwicklung entspricht, sind die von Herrn Friderichs angezeigten Prognosen abermals weitgehend hinfällig.
Der wichtigste Sonderfaktor im Vorjahr war der Umschwung der Lagerentwicklung; denn nach einem Vorratsabbau von nominal 3,6 Milliarden DM erfolgte nach Überwindung des Abbaues wieder eine Zunahme von 13,2 Milliarden DM. Das waren also insgesamt 16,8 Milliarden DM. Dieser Vorgang ist abgeschlossen. Von ihm ist keine konjunkturelle Erholung, keine Steigerung der Aufträge mehr zu erwarten.Auch der zweite Sonderfaktor des Jahres 1976, nämlich die Exportentwicklung, gibt keinen Anlaß, von ihr eine wesentliche Zunahme des Sozialproduktes zu erwarten. Im Vorjahr wurde eine Steigerungsrate des Exportes von 13,8 % erreicht. Eine derartig hohe Exportsteigerung kann aber für das laufende Jahr nicht wieder erwartet werden. Um
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Straußihren Wachstumsoptimismus zu untermauern, muß die Bundesregierung jetzt auf die entscheidenden Träger der Inlandsnachfrage setzen, nämlich den privaten Verbrauch .und die Unternehmensinvestitionen.Hinsichtlich des privaten Verbrauches rechnet die Bundesregierung mit höheren Lohnsteigerungen als im vergangenen Jahr und einer wieder zunehmenden Beschäftigung, wodurch das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte stärker als im vergangenen Jahr ansteigen soll; ferner mit einem weiteren Absinken der Sparquote der privaten Haushalte auf ca 14 %, nach 14,7 °/o im Jahresdurchschnitt 1976 und sogar 15,8 % im Jahresdurchschnitt 1975. Hierzu sollen vor allen Dingen die 1977 verstärkt freiwerdenden Gelder aus Sparverträgen im Zusammenhang mit der Vermögensbildung beitragen.Aus diesen Überlegungen leitet die Bundesregierung eine nominale Konsumsteigerung von 8 bis 9 % und bei einer angenommenen Preissteigerungsrate für den privaten Verbrauch von unter 4 % — eine ebenfalls unter Unsicherheit leidende Prognose — ein reales Ansteigen des privaten Konsums von 4 bis 5 % ab. Aber auch diese Rechnung ist mit Unsicherheit behaftet; denn angesichts der über das erwartete Ausmaß hinausgehenden Lohnsteigerungen dürfte die Aufnahmefähigkeit der privaten Wirtschaft für zusätzliche Arbeitskräfte gering sein. Zudem kann auch ein weiteres Absinken der Sparquote nicht mehr mit Sicherheit erwartet werden.Die saisonbereinigten Vierteljahreszahlen der Bundesbank weisen nämlich aus, daß es sich hier nicht um einen kontinuierlichen Prozeß des Rückganges handelt, wie es aus dem Jahreswirtschaftsbericht zu vermuten wäre; vielmehr lag die saisonbereinigte Sparquote im vierten Quartal 1975 und in den ersten beiden Quartalen 1976 bei 14,5 °/o. In den beiden letzten Quartalen des Jahres 1976 stieg sie aber wieder auf 15 % an. Auch dieses Eckdatum ist deshalb kein Pfeiler, der die Annahmen stützen kann.Der größte Unsicherheitsfaktor, mit dem wir uns am meisten zu beschäftigen haben, dürfte aber bei der Projektion für die Bruttoanlageinvestitionen liegen. Hier geht die Bundesregierung ohne Berücksichtigung des geplanten Investitionsprogramms von einer nominalen Zuwachsrate von 9 bis 10 % aus, nach 7,2 % in dem von der Investitionszulage begünstigten Jahr 1976. Zwar rechnet die Bundesregierung in diesem Jahr mit einem geringfügigen Anstieg der öffentlichen Investitionen um 1,2 %, nach einem Rückgang von 3 °/o im vergangenen Jahr. Trotzdem müssen die Unternehmensinvestitionen überproportional zunehmen, wenn ein durchschnittlicher Zuwachs für alle Anlageinvestitionen von nominal 9 bis 10 % erreicht werden soll; denn die privaten Anlageinvestitionen beliefen sich im vergangenen Jahr nur auf 82 0/0 der gesamten Anlageinvestitionen. Hierin sind aber auch die Investitionen für den Wohnungsbau enthalten, bei denen die Bundesregierung — aus gutem Grunde — auch nur mit einem unterdurchschnittlichen Wachstum rechnet. Der Unternehmenssektor im engeren Sinne müßte eine nominale Investitionssteigerung von 13 °/o erbringen, wenn sich die Projektion derBundesregierung bewahrheiten ,sollte. Ich glaube nicht, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister hier mit Anspruch auf Glaubwürdigkeit die Prognose abgeben kann, daß diese Wachstumsrate von 13 % für die nominalen Investitionssteigerungen der Wirtschaft zugrunde gelegt werden kann. Wie diese Steigerungen angesichts der in der Wirtschaft weit verbreiteten Vertrauensdefizite, des weit verbreiteten Mißtrauens hinsichtlich der weiteren Konjunkturaussichten errreicht werden kann, ist völlig offen. Erreicht die Bundesregierung das von ihr angestrebte Wachstum nicht — ich habe die Unsicherheitsrisiken kurz aufgezählt —, bleibt auch der hier erwartete geringfügige Beschäftigungsanstieg aus, verstärkt sich die Unsicherheit auch bei den Konsumenten. Damit ist nicht mehr die Voraussetzung für das gegeben, was der Herr Bundeswirtschaftsminister einen stetigen, stabilen Gesundungsprozeß nannte. Wir sind in einer Krise, die ihre besonderen Ursachen hat, und wir werden aus dieser Krise ohne eine grundsätzliche Wende in der Einstellung, im Denken und in den politischen Konsequenzen nicht mehr herauskommen.
Ist schon die Zielprojektion der Bundesregierung mit erheblichen zweckoptimistischen Unsicherheiten belastet, so kommt entscheidend hinzu, daß auch dieser Jahreswirtschaftsbericht keine wirklich zureichenden und richtungweisenden wirtschafts- und steuerpolitischen Rahmendaten setzt. Sie sind aber nach unserer Auffassung wirklich unerläßliche Voraussetzung für eine erfolgreiche mittelfristige Wachstumspolitik. Auch die jetzt endlich nach langer Unsicherheit erfolgten Steuerbeschlüsse der Bundesregierung sind kein ausreichender Schritt auf dem richtigen Wege. Im Jargon der Regierung ist das vielleicht ein Schrittchen auf dem richtigen Wege; das ist das Gegenstück zu „Problemchen.” Es bleibt bei der nach wie vor drastischen Belastung durch die Substanzbesteuerung.. Diese Substanzbesteuerung verbaut nach wie vor den Weg zu einer gesunden ausreichenden Eigenkapitalausstattung. Diese ist bei steigendem Wettbewerb dringend erforderlich. Ebenso werden die Einkommen der breiten Schichten unseres Volkes von der immer steiler werdenden Progression der Einkommen- und Lohnsteuer immer stärker belastet. Die heimlichen Steuererhöhungen sind Keulenschläge gegen Leistungsanreize, Leistungswillen und Leistungsbereitschaft.
Diese Belastung würde durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer noch zusätzlich steigen. Ich gehe auf dieses Thema im Rahmen des Jahreswirtschaftsberichtes nicht ein, weil im Laufe des Monats April bei der ersten Lesung des Steuerpakets genug Gelegenheit sein wird, sich mit dieser Frage eingehend zu befassen.Der Weg in Richtung auf immer mehr Staat wird weiter beschritten, unser freiheitliches Ordnungssystem wird durch immer stärkere Einengung der Freiheitsspielräume, durch ständig wachsende Abgaben- und Steuerbelastung und die damit verbun-
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1272 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1937
Straußdene Bürokratisierung vieler Lebensbereiche bedroht.Vor wenigen Jahren meinte man noch, der Marxismus als Lehrmeinung bedeute eine Gefahr für die soziale Marktwirtschaft. Seit viele Marxisten Professoren geworden sind, hat er aufgehört, eine geistige Kraft in unserem Lande zu sein.
Das begreifen nur die Jusos und ihre geistigen Ziehväter nicht. Die ernstere Gefahr des Sozialismus kommt von der Bürokratisierung sämtlicher Lebensvorgänge in Gesellschaft und Wirtschaft.
Damit komme ich zu einem Wort zu den ordnungspolitischen Problemen und den ordnungspolitischen Gefahren. Die deutsche Wirtschaft ist seit Beginn der siebziger Jahre von Fehlentwicklungen geprägt, von denen jede einzelne schwere Probleme enthält, aber deren Wirkungen zusammengezählt werden müssen. Diese Fehlentwicklungen berühren gleichermaßen die Konjunkturpolitik wie alle Daten, die der Staat in seiner Ordnungs-, Finanz-, Struktur- und Vermögensbildungspolitik stellt. Aus dem Frühjahrsgutachten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, das hier oft kritischen Würdigungen unterzogen wird, ist aber zu entnehmen — ich darf wörtlich zitieren —:Werden die Mechanismen der Marktwirtschaft zuerst durch überzogene Lohnerhöhungen blokkiert, dann ihre Fähigkeit, die Probleme der Arbeitslosigkeit zu lösen, in Zweifel gezogen und als Ausweg staatliche Dirigismen bis zur Investitionslenkung gefordert, dann trägt auch dies sicherlich nicht dazu bei, die Risikobereitschaft der Unternehmen zu steigern.Unter diesen Bedingungen erscheint es insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen in vielen Fällen vorteilhafter, Erträge, statt sie im eigenen Betrieb zu investieren, kurz- oder mittelfristig in Schatzbriefen und öffentlichen Anleihen anzulegen; denn dann erhalten sie ohne jedes Risiko einen vertraglich vereinbarten Nominalzins von zur Zeit 7 %, der in den vergangenen Jahren sogar wesentlich höher gewesen ist.Wir haben eine Politik zu verzeichnen, bei der nicht durch einen revolutionären Akt — wir sind hier keine Schwarzseher oder Panikmacher —,
sondern durch eine Vielzahl einzelner Maßnahmen die Freiheitsspielräume des einzelnen immer mehr eingeengt werden und unser Ordnungssystem langsam gewandelt und verändert wird. Die Marktwirtschaft wird schrittweise unterlaufen.Zu dieser Fehlentwicklung gehört zunächst die Minderung des Leistungsanreizes und des Leistungswillens. Die Belastung der Arbeitnehmer durch Steuern, Sozialabgaben und Preissteigerungen hat ein Ausmaß erreicht, das den Leistungsanreiz beseitigt und den Leistungswillen drosselt. Diese Besteuerung wird zur Staatsverdrossenheit und zum Leistungsverzieht führen, wenn sie sich weiterhin so entwikkelt wie bisher.
Die Lohnabschlüsse führen dazu, daß immer mehr Arbeitnehmer in die Progressionszone des Einkommensteuertarifs hineingeraten und dort mit immer höheren Progressionstarifen belastet werden.Das Lohnsteueraufkommen ist der entsprechende Beweis dafür. Es betrug im Jahre 1964 14 Milliarden DM, im Jahre 1969 24 Milliarden DM und im Jahre 1974, also weitere fünf Jahre später, 71 Milliarden DM. Dann kam der Knick mit der sogenannten Steuerrreform 1975. Das Lohnsteueraufkommen wird aber schon 1977 wieder ansteigen auf 92 Milliarden DM. Damit haben wir ein Wachstum von 1976 auf 1977 um 13,2 %. Das Lohnsteueraufkommen macht heute bereits ein Drittel aller Steuereinnahmen der öffentlichen Hand aus.Stark steigende Steuern und Sozialabgaben sind die Ursache dafür, daß von jeder zusätzlich verdienten Mark immer weniger übrigbleibt. Während 1970 von jeder zusätzlich verdienten Mark etwa 30 Pf für Steuern und Sozialabgaben abgeführt werden mußten, zahlt der Arbeitnehmer im Jahre 1977 von jeder zusätzlich verdienten Mark bereits 48 bis 49 Pf. Die durchschnittliche Abgabenbelastung stieg von 23 % im Jahre 1970 auf 29,6 % im Jahre 1976 und wird im Jahre 1977 bereits etwa 31 % der Bruttolohn- und -gehaltssumme betragen.Diese Entwicklungen spielen eine größerer Rolle als manche statistischen Prognosen oder statistischen Diagramme, mit denen man versucht, eine wirtschaftliche Entwicklung als günstig darzustellen.
Hier liegen die eigentlichen ordnungspolitischen Probleme. Hier aber hat die Bundesregierung bisher so gut wie nichts getan.
Seit der Steuerreform 1975 — wobei ein anspruchsvolles Wort für eine relativ kleine Maßnahme herhalten muß — sind zwangsläufig erneut heimliche Steuererhöhungen eingetreten, die sich besonders auf Grund der steilen Progression der Einkommen- und Lohnsteuer in den unteren und mittleren Einkommensbereichen ergeben. Diese heimlichen Steuererhöhungen wird man nicht zu hoch ansetzen, wenn man sie für das Jahr 1976/77 mit 4 Milliarden DM angibt. Das ist die unterste Grenze. Es gibt auch andere Schätzungen; bei der Untergrenze von 4 Milliarden DM bleibt man aber sicherlich noch innerhalb der Wahrheit.In dem Tarifbericht der Bundesregierung selbst wird ja darauf hingewiesen, daß der geltende Einkommensteuertarif im Eingangsbereich unbefriedigend sei. Ich sage: Er entspricht nicht den Grundsätzen der Besteuerung nach der steuerlichen Leistungsfähigkeit. Die steile Progression wird besonders durch den Sprung des Grenzsteuersatzes von 0 % auf 22 % und durch den Beginn des Progressionstarifes mit 30,8 % bewirkt. Wie lange will die Bundesregierung diese gravierende SteuerbelastungStraußder mittleren und unteren Einkommensschichten aufrechterhalten? Das ist keine sozial gerechte Besteuerung.
Wenn die Bundesregierung an ihren Plänen, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, festhält — wir sagen in dieser Situation grundsätzlich nein zu allen Steuererhöhungen —,
dann sollte sie zumindest den gesamten Mehrertrag für die Beseitigung sozialer Ungerechtigkeiten und wirtschaftsfeindlicher Bestimmungen in der heutigen Steuerstruktur statt für Mehrausgaben zur Deckung der Defizite im Haushalt verwenden.
Bis 1980 wird die Belastung der Arbeitnehmereinkommen nach Berechnung des „Arbeitskreises Steuerschätzung" von 30 % auf 40 % um weitere 10 Prozentpunkte steigen. Das heißt, daß wir nicht etwa nur für die vergangenen sechs Jahre diese Fehlentwicklung zu verzeichnen haben; vielmehr läßt die Bundesregierung diese Fehlentwicklung angesichts ihrer Planlosigkeit, auch ihrer Hilflosigkeit, vielleicht sogar ihrer Resignation gegenüber diesen Vorgängen, die nur durch erhebliche politische Maßnahmen, die schwierige Diskussionen in den eigenen Reihen hervorrufen, bewältigt werden können, einfach weiter gedeihen. Wenn sich diese Quote von 30 auf 40 % erhöht, so ist das ein Stück in Richtung sozialistischer Staats- und Gesellschaftsordnung, so ist das ein Stück konfiskatorischer Besteuerung, so ist das auch ein Stück Einengung des Freiheitsspielraums, der auch in der freien Verfügung über das im Arbeitsleben erworbene Einkommen bestehen muß.
- Wir haben hier eine Sachdebatte, keine große politische Debatte.
— Herr Wehner, ich gehe nicht von Beifall aus. Sie haben neulich schon dem Kollegen Bangemann in der bei Ihnen üblichen, ich darf sagen, manchmal sehr schäbigen Weise
vorgeworfen, daß es ihm nur um den Beifall gehe.
Ich bin zwar in der Sache nicht der Meinung des Herrn Bangemann; aber ich achte die Lauterkeit und Ehrlichkeit seiner Motive. Ihm hier zu unterstellen, es gehe ihm um Beifall, Herr Wehner, ist einer der üblichen Tricks, mit denen Sie Ihre parlamentarische Erfahrung beweisen wollen.
— Darauf lege ich bei Ihnen gar keinen Wert.Diese zusätzliche Entwicklung zum Steuer- und Abgabenstaat muß unterbunden werden, wenn nicht Eigenverantwortung und Leistungswillen als Grundlagen unseres gesellschaftlichen Ordnungssystems zerstört werden sollen. Diese Grundprobleme gilt es stufenweise anzupacken, statt Beruhigungsmittel zu verschreiben, Beschwichtigungslügen zu verbreiten und kurzfristige, hektische Auswege zu suchen, im übrigen nach dem jeweiligen Sündenbock zu suchen, den man für den Volkszorn braucht, um damit von eigenen Fehlern und Versäumnissen ablenken zu können. Wir kennen das ja: „Aktion Gelber Punkt", die Makler, die Unternehmer, die Handwerker, die Ärzte, die Opposition selbstverständlich,
die nicht regierungsfrommen Journalisten als Schreibtischtäter. Wir haben hier ja schon reichhaltige Erfahrungen.
Ein zweiter wesentlicher Schritt zur Änderung unseres gesellschaftlichen Ordnungssystems ist die Abwürgung weiterer mittelständischer Schichten. Die fiskalischen und nichtfiskalischen Mehrbelastungen der deutschen Wirtschaft seit 1969 sind wesentliche Ursachen für die Gefährdung und Zerstörung mittelständischer Existenzen, für die mangelnde Investitionsfähigkeit und Investitionsbereitschaft der Unternehmer und den daraus folgenden Mangel an Arbeitsplätzen. Dadurch sind in den letzten vier Jahren mehr als 1 Million Arbeitsplätze zerstört worden. Die zusätzliche Belastung der Wirtschaft mit Steuern und Abgaben führt für die acht Jahre von 1969 bis 1976 zu einem Gesamtbetrag von nahezu 87 Miliarden DM. Ich verhehle nicht, daß selbstverständlich auch die von einem Arbeitsminister der CDU/CSU zur Bewältigung des Rentendefizits vorgeschlagenen Maßnahmen in diesen Zahlen enthalten sind. Wir haben hier aber die Gesamtentwicklung aufzuzeigen. Die Zusatzbelastung von 87 Milliarden DM innerhalb von acht Jahren spricht eine deutliche Sprache. Die Belastung der Wirtschaft mit ertragsunabhängigen Steuern, was weitgehend Substanzbesteuerung gerade im mittelständischen Bereich heißt, beträgt für 1976 zirka 13 Milliarden DM.Die Umsatzrentabilität der deutschen Aktiengesellschaften betrug 1975, am unteren Ende der Skala aller Industrieländer stehend, 1,3 % und erreichte damit einen absoluten Tiefpunkt. Die höchste Umsatzrentabilität der letzten Jahre wurde im Jahre 1973 mit 2,4 °/o erreicht. 1974 betrug die Aktienrendite 4,36 %, 1975 3,52 %. Diese sehr langweiligen Zahlen, Herr Wehner, hier darzulegen ist schon deshalb reizvoll, weil es aus dem Munde des Herrn Bundeskanzlers nunmehr sehr kräftige Plädoyers für höhere Erträge und höhere Gewinne gibt. Nur ist auch hier die Adresse immer die falsche. Er hätte nach Hamburg gehen müssen zum Kongreß der Jungsozialisten und hätte die dort über die volkswirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Bedeutung höherer Erträge und Gewinne aufklären müssen.
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1274 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
StraußVielleicht wäre seine Rolle als Lehrer aller Völker gerade hier besonders erforderlich gewesen.
- Bei mir ist es immer lebendig, Herr Wehner, aber Sie werden allmählich langweilig mit Ihren Zwischenrufen.
1974 erwirtschaftete ein Unternehmer aus seinem im Betrieb eingesetzten Kapital 6,3 %, während seine Geldanlage in Staatsanleihen eine fast 4 1/2 % höhere Rendite abgeworfen hat. Auch heute ist es noch so, daß eine Anlage in festverzinslichen Wertpapieren eine höhere Rendite erbringt als im eigenen Unternehmen eingesetztes Kapital. Dabei plädiere ich nicht etwa für eine gleiche Rendite. Man kann sie nicht künstlich herbeiführen. Bei dem im Unternehmen eingesetzten Kapital müssen zwei Dinge berücksichtigt werden, einmal das Risiko, das eingegangen wird, das auch mit der Vernichtung des Kapitals enden kann — das ist aber unternehmerisches Risiko —, und zweitens die Notwendigkeit, immer kostspieligere Investitionen vornehmen zu müssen. Solange die Kapitalrendite unter der Rendite für festverzinsliche Wertpapiere liegt, ist mit einer nachhaltigen Erholung unserer Wirtschaft durch Belebung der Investitionstätigkeit nicht zu rechnen.
1965 bis 1969 gab es 18 745 Insolvenzen, eröffnete Konkurse und Vergleichsverfahren. 1972 bis 1976 — wieder fünf Jahre — gab es 36 368. Dazu kommen die freiwilligen Betriebsaufgaben. Die Insolvenzen haben allein in den drei Jahren 1974, 1975 und 1976 die atemberaubende Höhe von insgesamt 26 278 erreicht. Hier liegt die Zerstörung von einer Million Arbeitsplätzen, hier liegt die unerwünschte Verschiebung der Struktur unserer Wirtschaft. Wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß wir den Großbetrieb für geeigneter halten, sich selbst finanzieren zu können, sich refinanzieren zu können, Belastungen durch die öffentliche Hand auf die Preise abwälzen zu können. Der kleine und mittlere Un-nehmer kann das nicht. Er bleibt auf der Strecke. Damit erleben wir einen Prozeß, bei dem die Großbetriebe immer mehr syndikalistisch bürokratisiert werden und die Kleinbetriebe allmählich systematisch eliminiert werden.
Ich rede hier nicht vom sterbenden Mittelstand oder vom Untergang des Mittelstandes, aber ich rede hier von einer Entwicklung, die zu einer ungesunden Struktur unserer Wirtschaft und der Zusammensetzung der Unternehmensgrößen führen muß.
Jede Ordnungspolitik muß sich mit diesen Problemen befassen.Dabei sind es nicht nur die Belastungen durch Steuern und Abgaben. Für die Unternehmungen kommen zusätzliche Belastungen aus dem Bereich des Umweltschutzes, der Gewerbeaufsicht, der wachsenden Dauer behördlicher Genehmigungsvorgänge und der steigenden Kosten durch behördliche Auflagen, durch kommunale Sondervorschriften und Abgaben hinzu. Es gibt viel zuviele Gesetze und Verordnungen und viel zuviele, die dafür bezahlt werden, sie immer noch zu vermehren und komplizierter zu gestalten.
Man muß auch mit dem Unfug aufhören, für jeden auftretenden Einzelfall, der einen Mißstand darstellen kann, eine allgemeingültige Gesetzes- oder Verordnungsnorm schaffen zu wollen. Wir haben eine ungeheuere Gesetzesflut. Nach einer Veröffentlichung der Zeitschrift „Junge Wirtschaft" haben sich die bundesrechtlichen Vorschriften, die den unternehmerischen Spielraum zusehends einengen, in den vergangenen Jahren zu einer Lawine entwickelt. Auf dem Gebiet des Steuerrechts sind es allein 120 Gesetze und Verordnungen. Dazu kommt der Verwaltungsaufwand zugunsten des Staates. Die Unternehmungen leisten Verwaltungsdienste im Jahr bis zu einer Größenordnung von 4 Milliarden DM. Allein die 138 statistischen Enqueten, die sie jährlich bedienen müssen, gehören hier erwähnt.In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung noch nicht einmal begonnen, an die vom Bundeskanzler im Zusammenhang mit seiner Gas- und Stromrechnung geforderten Vereinfachung heranzugehen. Auch hier: große Ankündigung, dann das große Schweigen und die Fortsetzung des vorher als unhaltbar bezeichneten Zustandes.
Wir müssen uns hier auch ehrlicherweise eingestehen, daß manche Bestimmungen, die eine bessere soziale Sicherung schaffen sollten, sich in Wirklichkeit durch zunehmende soziale Unsicherheit ausgewirkt haben.
Es gibt eine ganze Reihe von Bestimmungen dieser Art. Hierüber sollte man unideologisch, wirklichkeitsnah und erfahrungsorientiert diskutieren können. Wir bieten der Bundesregierung unsere Mithilfe dabei an, aber sie muß vorausgehen, und sie muß den Mut haben, einmal den Finger auf die Wunden zu legen, die zum Teil von ihr selbst geschaffen worden sind.
1976 hatte die deutsche Wirtschaft unter den sechs größten westlichen Exportländern die höchsten Arbeitskosten zu tragen. Wir haben insgesamt — mit Lohn- und Lohnnebenkosten — heute eine Belastung, durch welche die Arbeitsstunde in der Bundesrepublik sich auf 17 DM beläuft.
In den USA sind es 16 DM; dann geht die Skala immer weiter herunter.Ich verhehle nicht, daß alle diese Bestimmungen ihren guten Sinn haben, daß wir zum Teil an ihrer Gestaltung mitgewirkt haben. Aber wir sind ja nicht
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1275
Straußdazu da, hier nur Fronten aufzureißen — das will ich gar nicht, Herr Wehner —, sondern um Mißstände, die durch Übertreibungen noch schlimmer geworden sind, hier aufzuzeigen und in der Überwindung und im Abbau dieser Mißstände zusammenzuarbeiten. Daß Sie das nicht allein können, wissen wir. Wir sind ja bereit, daran mitzuwirken. Aber Sie müssen den Mut haben, an diese Probleme auch innerhalb Ihrer eigenen Reihen heranzugehen. Auch hier gibt es keine Tabus.
Die Bundesregierung hat natürlich Marktwirtschaft versprochen, für die Zukunft gelobt, aber ihre Funktionsfähigkeit vermindert und damit den Systemveränderern Auftrieb gegeben. Wer eine andere Republik und eine sozialistische Gesellschaftsordnung will, der wird eben immer die Belastungsfähigkeit der Wirtschaft bis zur Grenze erproben wollen.Dieses Problem, daß die Bundesregierung Marktwirtschaft gelobt, für die Zukunft versprochen hat, aber trotzdem den Systemveränderern Auftrieb gegeben hat, kommt ja heute am deutlichsten zum Ausdruck in den Rezepten oder Vorschlägen, die wir im Zusammenhang mit der Überwindung der Arbeitslosigkeit erleben. Ich kann nur beschwörend davor warnen, die Arbeit zu kontingentieren und wie eine Ware in Notzeiten verteilen zu wollen. Arbeit ist genug da, wenn wieder genug Auftrieb da ist und wieder die Mittel vorhanden sind, um mehr zu produzieren und mehr zu investieren als Voraussetzung für eine höhere Produktion.
Diese Vorschläge, die Arbeitszeit zu kontingentieren — zum Teil mit, zum Teil ohne Lohnausgleich —, führen doch nur dazu, daß unser freies Gesellschaftssystem, das vornehmlich auf der Marktwirtschaft beruht, systematisch eingeschränkt wird.Ich möchte hier auch in aller Deutlichkeit sagen, daß es sich dabei nicht ergeben darf, die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft zu bezweifeln und drohende Erklärungen abzugeben, wenn die Marktwirtschaft nicht in der Lage sei, ihre Probleme zu lösen, z. B. Vollbeschäftigung im Auftrag des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes zu gewährleisten, dann müssen sie sich eben in Frage stellen lassen. Mit der Infragestellung der Marktwirtschaft kommt eine weitere schleichende Veränderung unseres Gesellschaftssystems zur Diskussion.
Es geht nicht darum, die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft im letzten Viertel dieses Jahrhunderts zu bezweifeln, sondern der Marktwirtschaft wieder den Lebensraum, die Atmosphäre und die materiellen Rahmendaten zu geben, in denen sie ihre Aufgabe erfüllen kann.
Es war doch nicht leichter in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg — auch wenn es da einen ungeheuren Nachholbedarf gab —, viele Millionen Arbeitslose von der Straße zu holen, aus einem zerstörten Produktionsapparat, der noch von den Weltmärkten abgeschnitten war, die zweitstärkste Wirtschaftsmacht der freien Welt von damals zu machen, die Bundesrepublik zusammen mit den USA an die Spitze der Exportländer zu bringen.Wenn die Marktwirtschaft diese Aufgabe unter ungünstigsten Rahmenbedingungen lösen konnte, dann wird sie mit der einen Million Arbeitsloser und den damit verbundenen Problemen fertig werden, wenn man endlich wieder ,die richtigen ordnungspolitischen Rahmendaten setzt, in denen sie gedeihen kann.
Wir haben nun einmal eine Investitionslücke. Sie mag auf 110 Milliarden DM berechnet werden, wenn man von 6 % Zuwachs ausgeht. Sie mag auf 170 Milliarden DM berechnet werden, wenn man von 9 % realem Zuwachs ausgeht. Aber diese Investitionslücke ist doch nicht durch Zufall entstanden.
Sie ist nicht durch die Schuld der Unternehmer entstanden. Sie ist doch nicht durch die Opposition, etwa mit dem Ziel der Verunsicherung, herbeigeführt worden. Sie ist doch nicht aus hintergründigen konspirativen Gründen zustande gekommen.
Sie ist seit dem Jahre 1971 systematisch erzeugt und erweitert worden, weil der Wirtschaft Rahmendaten gesetzt worden sind, in denen sie ihre Aufgabe, Vollbeschäftigung zu garantieren und durch ständig steigende Investitionen auch für die Zukunft sichern, nicht mehr erfüllen konnte. Hier muß angesetzt werden.
Nun hat die Bundesregierung ein staatliches Investitionsprogramm vorgelegt. Dieses Investitionsprogramm wird zwar nicht für Arbeitsbeschaffung ausgewiesen, sondern für Zukunftssicherung. Aber es hat natürlich konjunkturpolitische Bedeutung.Ich möchte mich hier nach einer vorläufigen Prüfung selbstverständlich nicht gegen ein öffentliches Investitionsprogramm wenden. Ich möchte nur vor dem Aberglauben warnen, daß vermehrte Auftragserteilung der öffentlichen Hand die konjunkturellen Probleme, auch das Problem der Arbeitslosigkeit, das Problem des Wachstums lösen kann. Zusätzliche Konjunkturprogramme der öffentlichen Hand sollen die Aufgabe haben, eine Initialzündung zu geben, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Aber diese Konjunkturprogramme verpuffen — und wir haben jetzt schon das vierte oder fünfte dieser Art, wenn auch immer in unterschiedlicher Höhe —,
wenn nicht die Grundsatzbedingungen der Wirtschaft geändert werden, und zwar sowohl die atmosphärischen wie die materiellen.
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1276 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
StraußMan sollte hier ruhig einmal auch an einige Tabus herangehen. Man sollte z. B. an eine Verbesserung der degressiven MA denken, wie wir sie früher einmal hatten, aber dann aus Gründen der Konjunkturdämpfung — wir dachten: nur vorübergehend — eingeschränkt haben. Man sagt dann: Das kostet Geld! Ja, das kostet Geld. Das sind Einnahmeverzichte, vielleicht allerdings nur vorübergehender Art. Es ist besser, die Grundlagen der Wirtschaft psychologisch und materiell zu verbessern, als durch öffentliche Auftragsprogramme allein eine Wende der Dinge herbeiführen zu wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Grafen Lambsdorff?
Herr Kollege Strauß, können Sie mir bitte erklären, wie der Widerspruch aufzuklären ist, der doch wohl darin liegt, daß die Großindustrie, die nach ihrer Ansicht in der Lage ist, ihre Kosten und Steuern abzuwälzen, von degressiven Abschreibungen mehr begünstigt wird als der von Ihnen beklagte Mittelstand, der die Gewinne gar nicht hat — wie Sie sagen —, von denen er abschreiben könnte?
Dieser Vorschlag, Graf Lambsdorff, ist nicht der einzige Vorschlag unseres Pakets. Ich habe von der Notwendigkeit gesprochen, den Steuertarif zu ändern, um einen Konsumanreiz zu schaffen, um den Leistungsanreiz zu erhöhen. Wir haben ein Bündel steuerlicher Maßnahmen — Sie kennen sie ja; ich habe sie hier nur nicht im einzelnen wiederholt — auf dem Gebiet der Vermögensteuer — gut, dort geschieht jetzt einiges — und auf dem Gebiet der Gewerbesteuer vorgeschlagen. Ich scheue mich nicht, zu sagen: Man soll doch einmal darangehen, die Gewerbekapital- und die Lohnsummensteuer abzubauen. Die eine ist unternehmensfeindlich; die andere ist arbeiterfeindlich. Es ist doch ein Unfug, daß heute die Eigenkapital- oder Fremdkapitalausstattung noch zusätzlich besteuert wird, daß der Unternehmer, der nicht Arbeitskräfte entläßt, sie nicht durch Maschinen ersetzt, durch eine Sondersteuer noch belastet wird.
Hier würde ich, wenn man schon an eine Sanierung der Grundlagen unseres Wirtschaftssystems herangeht, einen Teil der Finanzmittel, die für Auftragsprogramme der öffentlichen Hände verwendet werden, dafür heranziehen, in unserem Steuersystem wieder die Grundsätze der wirtschaftlichen Vernunft und unserer ordnungspolitischen Grundeinstellung einkehren zu lassen. Sie sind doch zunehmend verlorengegangen.
Daß sich die Großbetriebe bei Abschreibungen leichter tun als Kleinbetriebe, ist klar. Ich spreche hier doch aber nicht als ein Lobbyist etwa des Mittelstandes und als Vorkämpfer gegen den Großbetrieb. Der Großbetrieb hat sein natürliches Recht, hat seine unentbehrliche Position. Wir wollen aber nicht, daß der Großbetrieb die Kleinbetriebe mehr und mehr verdrängt.
Darum müssen Sie uns unterstützen. Gerade die Substanzbesteuerung hat im Bereich der Kleinbetriebe zu Zehntausenden von Insolvenzen, zu Zehntausenden von Betriebsaufgaben geführt. Das kann allein durch öffentliche Investitionsprogramme leider nicht in Ordnung gebracht werden.
Wir fallen Ihnen hier ja nicht etwa in den Arm. Wir behindern Sie ja nicht bei der Durchführung Ihrer Konjunkturpolitik. Sie müssen in den Regierungsparteien aber einmal darangehen, innerhalb Ihrer eigenen Reihen die ordnungspolitischen Grundsätze einer funktionierenden Marktwirtschaft wieder zum allgemeinen Überzeugungsgut zu machen. Was nützt es, wenn die Älteren hier Bekenntnisse zur Marktwirtschaft ablegen, die von ihnen herangebildete jüngere Generation aber die Abschaffung dieser Marktwirtschaft als Voraussetzung für eine bessere Gesellschaftsordnung verlangt?
Das sage ich nicht nur im Hinblick auf die eine Koalitionspartei. Dies trifft auch für die andere Koalitionspartei zu, weil ein großer Teil der Jungdemokraten die Playboy-Variante der Jusos darstellt.
Deshalb ist es unsere gemeinsame Aufgabe, die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft wiederherzustellen, das verlorengegangene Vertrauen wieder-aufzubauen, die Investitionsbereitschaft wieder zu schaffen, die Erträge wieder so zu verbessern, daß die Investitionstätigkeit wieder gestärkt werden kann.In den gleichen Zusammenhang gehört auch ein Vorgang, den ich hier als dritten nennen möchte und über den hier auch schon oft gesprochen worden ist. Ich meine die ständige Ausweitung des Staatsanteils. Sicherlich unterliegt der Staatsanteil gewissen Schwankungen. Man kann nicht eine einmalige Spitzenhöhe als eine katastrophale Situation bezeichnen und glauben, daß sich die Erhöhung so in die Zukunft hinein weiterentwickelt. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn der Staatsanteil tendenziell, in seiner Trendlinie steigt, und wenn er in den letzten Jahren 48%, 49 % erreicht hat — es gibt auch noch höhere Schätzungen; diese beziehen sich aber auf Ausnahme- und Momentsituationen —, so ist dies ebenfalls eine Verkümmerung der ordnungspolitischen Grundlagen einer funktionierenden Marktwirtschaft und eines freien Gesellschaftssystems. Wenn die Hälfte einer jeden Mark durch die öffentlichen Kassen geht, von Funktionären und Beamten verplant und ausgegeben wird — —
— Bayern ist ein Bundesstaat, der auch für die Dummheiten aufkommen muß, die hier von Ihnen gemacht werden.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1277
StraußSeit Jahren steigen doch die Zuwachsraten der öffentlichen Haushalte weit über die Zuwachsraten des Bruttosozialprodukts hinaus. Das ist doch keine gesunde Entwicklung. Von 1970 bis 1976 stieg der Staatsverbrauch um 147 %. Das nominale Bruttosozialprodukt — ich rede gar nicht vom realen — stieg um 87 %. Die Struktur der öffentlichen Haushalte hat sich von Jahr zu Jahr verschlechtert. Das inflatorische Wachstum des Staatskonsums — besonders der Personalausgaben — ist ja eine der Ursachen für die Zerrüttung unserer Staatsfinanzen, für die Enge unseres Bewegungsspielraums.Die Bundesregierung hat die Aufgabe, nicht nur unverbindliche Eckwerte in die Welt zu setzen, sondern echte Prioritäten zu setzen und ein langfristiges Stufenprogramm zu entwickeln, mit dem diese Prioritäten wieder schrittweise eingeführt und dann eingehalten werden sollen.Diese drei Dinge, von denen ich gesprochen habe, sind elementare Probleme einer freien Gesellschaftsordnung und elementare Probleme einer funktionierenden Marktwirtschaft. Die Vertrauenskrise der Wirtschaft wobei ich unter Wirtschaft Arbeitgeber und Arbeitnehmer verstehe — gegenüber diesem Staate hat ja von Jahr zu Jahr zugenommen, gegenüber einem Staat, der sich sozialliberal nennt, der sich aber immer antiliberaler gebärdet und der immer mehr Sozialismus statt immer mehr Freiheit bietet.
Ich brauche wiederum nur an die Programmdiskussionen der letzten Wochen und Tage zu denken.So geht es doch einfach nicht an, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir hier hören, wie unentbehrlich Kernenergie ist. Wir stimmen Ihnen ja zu; unsere Ministerpräsidenten haben sich ja bis zur Selbstverleugnung politisch hingestellt, um die von der Bundesregierung als notwendig bezeichneten Fragen auf diesem Gebiet zu klären. Es waren Kräfte aus den Reihen der Regierungsparteien, die aufgestanden sind, und dann Kräfte an den radikalen Rändern — mit ihrer weiteren Verlängerung. Die Bürgerkriegsprobe in Grohnde ist doch eine Herausforderung an einen liberalen Staat! Ein liberaler Staat muß ein starker Staat sein, und ein liberaler Staat muß auch seine Lebensnotwendigkeiten für die Bürger durchsetzen können.
Wenn er sie nicht durchsetzen kann, wird er im Laufe der Zeit unregierbar.Ich möchte die Hamburger Vorgänge nicht dramatisieren, Herr Wehner. Aber daß ein Vertreter des Stamokap-Flügels nunmehr mit Mehrheit — wenn auch mit knapper Mehrheit — die große Jugendbewegung der Sozialdemokratischen Partei führt, ist doch für Sie eine Provokation — eine politische Richtung, die der heutigen Regierung nach sieben Jahren Amtstätigkeit vorwirft, sie sei mit den Großmonopolen der Wirtschaft zu einem StamokapSystem zusammengewachsen, eine Jugendbewegung, die Zusammenarbeit mit den Kommunisten, Aufhebung des Radikalenerlasses — auch in seiner heutigen verwässerten Form —, Zusammenarbeit mit den Kommunisten in Komitees für Frieden und Abrüstung, totale Verstaatlichung und Vergesellschaftung aller Produktionsmittel verlangt! Wie lange wollen Sie sich hier eigentlich noch dieser Auseinandersetzung entziehen?
Ich habe mich von diesem Platz aus über solche Fragen schon manchmal geäußert, Herr Wehner;
wenn ich daran denke, wie Ihnen der SDS davongelaufen ist, der sozialistische Studentenbund — —
— Ja, Ihnen! Sie sind für mich hier die Verkörperung der SPD, weil Sie Fraktionsvorsitzender sind. Daß Sie ihm nicht angehört haben, weiß ich, aber das liegt auch am Alter.
Ich habe daran erinnert, wie Ihnen der sozialdemokratische Hochschulbund davongelaufen ist, der SHB;
und heute ist es doch so, daß Sie sich dieser Auseinandersetzung aus Gründen der demokratischen Ehrlichkeit und des Grundkonsensus in den Grundwerten unseres Staats- und Gesellschaftssystems nicht mehr entziehen können. Hier müssen Sie jetzt einmal Farbe bekennen!
— Ich habe sie bestimmt nicht hochgetrieben; wieweit Sie im Laufe der letzten Jahre dazu beigetragen haben,
ist Ihre Angelegenheit, nicht die unsere!
Sie würden Ihren sonst so guten politischen Instinkt verleugnen, Herr Wehner, wenn Sie mir unterstellen würden, wir hätten an dieser Auseinandersetzung deshalb ein Interesse, weil wir uns davon eine Schwäche der SPD erwarteten.
— Ich bin kein Unschuldslamm und Sie noch weniger!
Darum geht es hier nicht; aber Sie können davon ausgehen, daß wir als überzeugte Anhänger einer funktionierenden parlamentarischen Demokratie auch das, was Sie „demokratischen Sozialismus" nennen — ein Widerspruch in sich selbst, aber das ist heute nicht das Thema —, daß wir eine -funktionsfähige Sozialdemokratische Partei als unentbehrlichen Bestandteil einer demokratischen Parteienlandschaft anerkennen und respektieren.
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1278 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
StraußDas haben wir immer getan — trotz der Heftigkeit des parlamentarischen Kampfes und der wahlpolitischen Auseinandersetzungen.
Wir haben aber auch Anspruch, weil Sie ja Staatspartei manchmal sein und spielen wollen, daß innerhalb dieser Staatspartei nicht die Gegensätze zwischen Freunden und Anhängern der Freiheit einerseits und Gegnern und Feinden der Freiheit andererseits unter den Teppich gekehrt werden. Das ist ein Anliegen aller Demokraten in unserem Lande, nicht ein Anliegen etwa nur Ihrer Partei oder unserer Partei.
Wir haben die Notwendigkeit, über die Eckdaten und Projektionsziele der Bundesregierung, wie sie heute dargeboten worden sind, hinaus uns über fünf Punkte zu unterhalten.Zunächst geht es um die geistige Sicherung einer freiheitlichen Ordnung. Die geistige Sicherung einer freiheitlichen Ordnung ist eine der Grundvoraussetzungen für die Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme mit freiheitlichen Methoden und in freiheitlicher Gesinnung.Es geht zweitens um ein europäisches Programm zur Absicherung des Gemeinsamen Marktes gegen sozialistische Unterwanderung.Es geht um die Sicherung von Stabilität und Wachstum gegen den Fatalismus in der Hinnahme der Arbeitslosigkeit und gegen den Aberglauben an die Vollbeschäftigungsgarantie durch Inflation.Es geht auch um die Stabilisierung der Konjunktur der Europäischen Gemeinschaft.Und es geht nicht zuletzt um eine marktwirtschaftliche Alternative zur sogenannten Neuen Weltwirtschaftsordnung, die die drohende Gefahr enthält, daß Zwangswirtschaft und Planwirtschaft, die im Inland noch abgelehnt werden, auf diesem Umweg über die Hintertreppe durch Bewirtschaftung der Rohstoffe und durch Bildung von Rohstoffkartellen sich hier zwangsläufig breitmachen können.
Sie haben — das wollte ich dem Herrn Bundeskanzler sagen; es kann ihm ja berichtet werden — durch Ihre Versprechungen Hoffnungen erweckt, die Sie nicht erfüllen können. Sie haben mit diesen Hoffnungen Erwartungen ausgelöst, die in Enttäuschungen umgeschlagen sind, und Sie haben mit diesen Enttäuschungen weitgehend auch Empörung ausgelöst. Sie haben von mehr Demokratie gesprochen, mehr Information, mehr Durchsichtigkeit der Regierungsvorgänge. Das ist ja ein Hohn, wenn man an die Diskussion der letzten Wochen denkt. Sie haben von mehr Mitbestimmung für die Bürger gesprochen. Sie haben die Fragen der Sicherheit nach innen und außen sowohl wirtschaftlich-sozial wie auch innen- und außenpolitisch zu leicht genommen — angefangen von der Bürgerkriegsprobe in Grohnde bis zur zwielichtigen Haltung bei denWiener Verhandlungen, über die anderswo zu reden sein wird. Sie haben das Problem der Energieversorgung bis jetzt verbal behandelt. Daß der Bundeskanzler einen Kreis führender Persönlichkeiten zusammenholt, um über die Kernenergie zu sprechen, ist eine gute Sache.
— Sie werden mir nicht übelnehmen, daß ich bei der Beerdigung eines Kollegen, der seit 1961 diesem Haus angehört hat, persönlich teilgenommen habe.
Aber wir erleben doch, daß der Bundeskanzler nicht Stellung bezieht. Er ist U-Boot-Fahrer geworden; vielleicht deshalb die Mütze.
Er ist aber eher Kapitän eines sinkenden Schiffes.
Die Regierung hat Geister und Kräfte mobilisiert, deren sie heute nicht mehr Herr wird.Wir haben ja aus dem Mund des Bundeskanzlers gehört, daß er die Maßnahmen seines Staatssekretärs und die Maßnahmen des Bundesinnenministers deckt. Man kann uns wirklich nicht mehr vorwerfen, als daß wir uns als Opposition bis zur Selbstverleugnung zurückgehalten haben. Aber wenn wir nun aus dem Mund eines langjährigen Bundesministers, des heutigen Hauptgeschäftsführers der SPD hören, der „Spiegel" habe Unrecht aufgedeckt, dann muß doch der Bundeskanzler als stellvertretender Vorsitzender der SPD hier einmal für geistige und für rechtspolitische Klarheit sorgen, was nun eigentlich Unrecht und was nicht Unrecht ist.
Vielleicht sollte Herr Bahr die Stiftung eines Ordens — Bundesverdienstkreuz mit goldenem Eichenlaub, Schwertern und Brillanten — für Publikationsorgane anregen, die Unrecht aufdecken. Aber wohin sind wir denn eigentlich gekommen, wenn man einerseits z. B. die Redaktionsräume der „Quick" tagelang durchsuchen läßt, weil sie seinerzeit den Rücktrittsbrief eines Bundesministers veröffentlicht hat, aber hier bei der Veröffentlichung von Akten die an die Grundfesten der inneren Sicherheit rührt, eine solche diffuse und kontradiktorische, schizophrene Haltung einnimmt!
Natürlich hat Herr Maihofer die Bonner Passionsspiele durch einen Schleiertanz bereichert, indem er die Rolle der Salome und des Johannes gleichzeitig gespielt hat.
Ich habe am 17. Dezember eine Warnung vor der Unregierbarkeit des Staates ausgesprochen, wie sie in einigen europäischen Ländern in zunehmendem Maße zu beobachten ist. Ich kann dem Bundeskanzler hier die Kritik nicht ersparen, daß er auf dem Wege, an dessen Ende die Unregierbarkeit der Bun-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1279
Straußdesrepublik stehen würde, durch seine Passivität und durch seine Fehler und Versäumnisse erhebliche Fortschritte erzielt hat.
— Ja, das habe ich genau gesagt. Ich beherrsche auch den Konjunktiv, nicht nur den Indikativ:
an dessen Ende die Unregierbarkeit stehen w ü r de.Zu der Unregierbarkeit gehört die Nichtlösung der wirtschaftlichen Probleme Arbeitslosigkeit, Wachstum, Stabilität. Zur Unregierbarkeit gehört das Nichtfertigwerden mit antidemokratischen Kräften; siehe Bürgerkriegsprobe in Grohnde. Zur Unregierbarkeit gehört es, wenn die zur Sicherheit des Staates notwendigen inneren und äußeren Maßnahmen vor einem Forum so ausgebreitet werden, daß in Zukunft niemand mehr bereit ist, als Beamter oder Polizeioffizier echte Verantwortung zu übernehmen, wenn er für den Auftrag, den er im Interesse der Bürger zu erfüllen hat, nicht von oben her gedeckt wird.
Die Regierung ist am Ende. Sie hält sich noch durch eine zum Wrack deformierte Koalition. Sie ist ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit zur gegenseitigen Absicherung geworden.
Die Regierung will diese Probleme auch gar nicht mehr anpacken, weil sie die damit verbundenen Schwierigkeiten innerhalb ihrer eigenen Reihen nicht zu bewältigen vermag.Die Regierung kann diese Probleme auch nicht mehr lösen, weil sie nicht mehr das Vertrauen einer Mehrheit des Volkes hinter sich weiß.
Herr .Wehner, der Rest Kredit vorn 3. Oktober 1976 ist verspielt worden. Wir haben Ihnen dieses Spiel, die Lüge gegenüber dem Bürger mit der Lage der Rentenfinanzen, noch nicht vergessen. So darf man mit dem Vertrauen der Bürger nicht Schindluder treiben, wie es hier geschehen ist.
Sie wissen doch, daß es auch noch kleinere Problemchen gibt. Als ich im Wahlkampf Nordrhein-Westfalen sagte, daß die Bundesregierung eine Mehrwertsteuererhöhung plant, kam prompt das Dementi: Haltlose Spekulationen! Wenige Wochen später kam der Plan, die Mehrwertsteuer schon am 1. Januar 1977 um 2 % zu erhöhen.Als die „Bild"-Zeitung im Januar schrieb, die Regierung bzw. die Bundesbahn plane eine Erhöhung der Tarife, besonders der Sozialtarife, kam prompt das Dementi, daran sei kein Wort wahr. Aber gestern ist es bekanntgegeben worden.Mit dieser Methode können Sie sich immer nur kurzfristig wieder retten. Auf die Dauer kriegen Sie aber die Zeche, wie Sie jetzt auch die Zeche in Hessen bezahlen müssen, und zwar mit gutem Recht bezahlen müssen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner?
Bitte sehr, Herr Wehner. Ich gönne mir gern das Vergnügen, meine Schlußformel auf Sie anzuwenden.
Ja, das wäre schön. Ich wollte Ihnen ja auch die Chance geben, das Trittbrett, wissen Sie! Nur — ich komme auf die Frage zurück; es wäre sonst unanständig —; weil Sie an letzte Jahre erinnern, frage ich: Habe ich mich da geirrt, wenn ich den Eindruck hatte, daß Sie der Meinung waren, vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen sei die Chance, diese Regierung zu stürzen, ehe die wirkliche Wahl 1976 stattfinden werde? Habe ich mich da geirrt? Und werden Sie sich selber wieder so täuschen?
Ein Politiker der Opposition hat das Recht, die Aufgabe und die Freiheit, es der Öffentlichkeit mitzuteilen, wenn er von Steuererhöhungsplänen der von ihm zu kritisierenden und zu überwachenden Regierung hört, dies um so mehr, als doch auch dieser Wahlkampf, Herr Wehner, im Zeichen der Unwahrheit geführt worden ist. „Wir wählen den Aufschwung" hieß es. Aber von Aufschwung war gar keine Rede. Die Zahl der Arbeitslosen hat noch zugenommen. Sie haben alle Politiker — darunter auch mich —, die Steuererhöhungen als unvermeidliche Folge vorausgesagt haben, der Unwahrheit, der Panikmache und der Hetze bezichtigt. Der Bundeskanzler hat uns in unzähligen Wahlreden falsches Zeugnis vorgeworfen, weil wir die Zerrüttung der Finanzgrundlagen der Rentenversicherung angesprochen haben. Wenn das nicht mehr Themen des Wahlkampfes sein dürfen, dann hätten wir keine Demokratie mehr. Dann wären wir auf dem Boden der Volksdemokratie. Das aber werden wir verhindern.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Dazu, Herr Kollege Strauß, brauchten Sie den Bundeskanzler?!
Meine Damen und Herren, auch uns tut es leid, daß der Herr Bundeskanzler an dieser Debatte nicht teilnehmen kann. Wir wünschen ihm gute Besserung.
Aber ich habe vorhin doch darüber nachgedacht,Herr Kollege Strauß, ob Sie denselben Drang ver-
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1280 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Dr. Graf Lambsdorffspüren würden, den Kanzler ins Parlament zu rufen, wenn Herr Kohl der Bundeskanzler und Sie der Finanzminister gewesen wären.
— Bei Krankheit wahrscheinlich auch nicht, Herr Althammer.Der Bundeswirtschaftsminister hat zum Schluß seiner Rede dazu aufgefordert, hier einen kritischen und konstruktiven Dialog zur soeben dargelegten Wirtschaftspolitik der Regierung zu führen und nicht einseitige parteipolitische Vorteile zu suchen. Herr Kollege Strauß, das fällt natürlich dann schwer, wenn man weiten Bereichen der Ausführungen des Bundeswirtschaftsminister offensichtlich gar nicht zugehört hat.
Alles, was Sie über die Gefahren der Inflation, über die Folgen der Inflation, über die Notwendigkeit ihrer Bekämpfung gesagt haben, können Sie beim Bundeswirtschaftsminister nachlesen.
Aber dies ist ja keine neue Erfahrung, Herr Strauß, die wir mit Ihnen machen. Sie erscheinen hier nur punktuell und nehmen an den Debatten, in denen wir all das diskutiert haben — ich komme im einzelnen auf einige dieser Punkte noch zurück —, nicht teil. So haben wir in der Haushaltsdebatte und in der Debatte zur Regierungserklärung über die Frage der Insolvenzen, über den Bericht des Mittelstandsinstituts aus Köln, dem übrigens einer Ihrer Parteifreunde als Kuratoriumsvorsitzender vorsteht, über Fragen der Kapitalrendite in genau derselben Diktion gesprochen, wie Sie es uns hier vortragen. Aber Sie kommen nicht und meinen dann, Sie müßten hier in einem Rundumschlag alles, einschließlich Abhöraffäre — was hat die eigentlich mit dem Jahreswirtschaftsbericht zu tun?, vor zehn Tagen stand sie auf der Tagesordnung —, noch einmal aufrollen. Ich halte dies für eine Zumutung gegenüber den Kollegen, aber auch gegenüber dem Publikum draußen.
Ich verstehe selbstverständlich, meine Damen und Herren, daß Sie das Stichwort Hessen aufgeworfen haben, Herr Strauß. Sie erfreuen sich an der Hessenwahl und ihrem Ergebnis. Das verstehen wir.
Aber ich würde es nicht überschätzen. Ich bin der Überzeugung daß Sie dort nicht gewonnen haben, weil Sie gut sind, sondern weil Sie zur Zeit weniger schlecht sind als wir.
Das will ich ganz selbstkritisch sagen. Aber ichkann Ihnen versichern: Dies wird sich ändern. DieKoalition betrachtet Hessen sozusagen als den letzten Verweis des Stimmbürgers und Wählers
und wird sich zusammenreißen.
Auch hier gilt: Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Also, erfreuen Sie sich weiter. Wir gönnen Ihnen die Freude an einer erfolgreichen Kommunalwahl. Bei uns schwingt ja die Freude an der erfolgreichen Bundestagswahl noch nach.
— Ja, das weiß ich sehr wohl. Dies ist allerdings kein schwarzer Humor, sondern ein wohlbegründeter Humor. — Sie werden nicht erwarten, daß wir Sie beglückwünschen. Allenfalls beglückwünschen wir den Kollegen Wallmann, der sich inzwischen wahrscheinlich von seinem Schrecken erholt hat.
Es ist uns durch Trommelwirbel aus einem anderen Kontinent angekündigt worden, daß der Kollege Strauß hier zum Jahreswirtschaftsbericht sprechen wolle. So schnell sind die Rangordnungen in CDU/ CSU offensichtlich doch nicht in ein überschaubares Muster zu bringen, Herr Kohl; denn der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion ist ja wohl der Kollege Dollinger. Wir debattieren heute den Jahreswirtschaftsbericht.
Wir werden immerhin das Vergnügen haben, heute nachmittag den Kollegen Barzel, - den neuen Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses, zu erleben, es sei denn, wir hätten es heute mit einem finanzpolitischen Thema zu tun — den Eindruck habe ich nicht. In Wahrheit, Herr Strauß, ist es die von Ihnen usurpierte Allzuständigkeit, Ihr Führungsanspruch, Herr Kohl, und seine Führungskraft.
Wir wollen die Erwartungen, Herr Strauß, nicht zu hoch schrauben. Wir haben das dumpfe Grollen Ihrer Ausführungen gehört. Das ist wohl im wesentlichen auf Ihre Gefühlslage zurückzuführen.
Ich betone die Gefühlslage deswegen, weil ich selten einen rationaleren und emotionsfreieren Bericht im Plenum gehört habe als den des Bundeswirtschaftsministers.
— Herr Strauß, nur keine Aufregung.
— Ich würde mich auch nicht aufregen. Sie werden sonst noch vom Verwaltungsgericht Freiburg wegen mangelnden Berstschutzes verboten.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1281
Dr. Graf LambsdorffWer heute auf Aufklärung gewartet hat, ist allerdings enttäuscht worden. So hätten wir gerne ein Wort zur Mehrwertsteuer gehört. — Sie haben das aber auf die Debatte zu den Steueränderungsgesetzen verschoben —, ob es da nun bei Ja, Nein, Vielleicht bleiben wird. Herr Barzel, da besteht heute noch Möglichkeit, zu sagen: „So nicht und jetzt nidit". Man kann dieses Thema noch anreichern. Vielleicht werden wir uns zu späterer Zeit darüber verständigen können, ob Sie sich in diesem Punkt einigen konnten.
Aber, Herr Strauß, auch alte Fragen sind nicht beantwortet worden. Auch die alte Frage nach. den Steuererhöhungen aus den Zeiten des Bundesfinanzministers Franz Josef Strauß, die wir mehrfach aufgeworfen haben, wird von Ihnen diskret und zartfühlend verschwiegen. Dafür kriegen wir zu hören: Hilflosigkeit, Planlosigkeit. Das Stichwort Staatsbankrott hat heute gefehlt. Das hätte in den relativ alten Stichworten, die Sie für Ihre Rede verwandt haben, doch noch auffindbar sein müssen.Sie zitieren, Herr Strauß — das ist nun ein Punkt, wo man ernsthaft Kritik an der Verfahrensweise üben muß — das Ifo-Institut. Sie berichten über die Stimmung, die heute in dem Aufsatz im „Handelsblatt" wiedergegeben worden ist. Sie verschweigen dabei selbstverständlich den Schluß dieser Darstellung, wonach das Ifo-Institut zu dem Ergebnis kommt:... eine Fortsetzung des Aufschwungs sei letztlich nur dann möglich, wenn die Unternehmen hinsichtlich der weiteren Entwicklung wieder optimistischer ... würden. Ein Ansatzpunkt dafür sei, daß die Exportaussichten im Februar wieder etwas günstiger beurteilt würden. Audi die Belebung des privaten Verbrauchs zähle zu den positiven Faktoren.So das Ifo-Institut; das ist am Schluß. Es empfiehlt sich immer, audi den letzten Absatz mitzulesen, Herr Kollege Strauß.Sie zitieren ausgiebig das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung. Sie zitieren korrekt, und zwar insofern, als das tatsächlich geschrieben worden ist. Aber Sie verschweigen dabei, daß das die Minderheitsmeinung eines Instituts zum Gemeinschaftsgutachten vom Herbst . 1976 gewesen ist.
Und Sie verschweigen dabei natürlich auch — aber da gebe ich Ihnen recht: das brauchen Sie nicht, Sie sind nicht gehalten, das hier zu zitieren —, was wir dazu gesagt haben. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten die zwei Sätze vorlesen, die ich seinerzeit für die FDP-Fraktion zu dieser Minderheitenmeinung geäußert habe:Das Minderheitenvotum des RWI überrascht nicht, weil schon der letzte Konjunkturbericht des gleichen Instituts diese Tendenz erkennen ließ. Es kann nicht geleugnet werden, daß die Prognose richtig sein kann, wenn alle Daten soungünstig zusammentreffen, wie es die Essener Konjunkturforscher unterstellt haben.Niemand hat das jemals bezweifelt.Was wir bezweifeln, ist, ob denn die Entwicklung der Eckwerte und der Daten in der Tat so verläuft, wir das der Kollege Strauß unterstellt hat. Audi hier kann und will ich nicht das wiederholen, was wir in der Haushaltsdebatte — denn auch dafür sind ja genau dieselben Eckwerte die Grundlage — ausführlich dargestellt und miteinander diskutiert haben, notabene am 3. März dieses Jahres, also vor nur drei Wochen, hier an gleicher Stelle. Ich frage mich, ob dieses Negativurteil über die deutsche wirtschaftliche Situation — deren kritische Punkte ich nicht verkenne und auf die ich zu sprechen kommen werde —, das Sie im Ausland gewonnen haben, darauf beruht, daß Sie die falschen Gesprächspartner gehabt, daß Sie sich am falschen Ort unterhalten oder daß Sie nicht recht zugehört haben. Denn wie stellt sich die Internationale Diskussion und Situation der Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik für uns dar? Für die Vertreter der Koalition ist sie ebenso schwierig wie erfreulich. Im Ausland müssen wir die Bundesrepublik davor schützen, zu gut beurteilt zu werden, und zu Hause müssen wir sie davor schützen, von Ihnen zu schlecht beurteilt zu werden.
Ich sage, dies ist erfreulich, weil Kritik aus verschiedenen Richtungen einem Anlaß zur Überprüfung gibt und weil Überprüfungszwang zum Ausbalancieren führt. Ausbalancieren bedeutet in diesem Zusammenhang, die Verantwortung der Bundesrepublik nach innen und nach außen zu sehen. Dies ist bei näherer Betrachtung kein Gegensatz; denn die Bundesrepublik Deutschland — darin stimmen wir überein; das nehme ich jedenfalls an, Herr Strauß — lebt nicht allein in dieser Welt, sie ist eingebettet in ihre Verantwortung als eines der großen Industrieländer der Welt, und zwar sowohl gegenüber ihren industriellen Partnern als auch gegenüber den Ländern der Dritten und Vierten Welt. Wir sind uns dieser Verantwortung bewußt. Aber nun kommt die Position, die wir draußen vertreten müssen: daß wir auch die Grenzen unserer Möglichkeiten sehen und unseren Partnern die Grenzen unserer Möglichkeiten klarzumachen haben. Das ist doch zur Zeit die Unterhaltung mit der neuen amerikanischen Regierung. Auch dieses Thema ist in der Haushaltsdebatte besprochen worden. Es ist die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland durch weitere Defizite zum Ankurbeln der Weltwirtschaft beitragen kann. Herr Strauß, es sei hier noch einmal gesagt: Die Verschuldung und die Defizite der Haushalte der Jahre 1975 und 1976 — 1977 hätten wir es mit einer schon vorhandenen Mehrwertsteuererhöhung lieber etwas anders gesehen — waren notwendig, um der Rezession zu begegnen. Wir wären überhaupt nicht in der Lage, uns gegenüber ausländischen Forderungen erfolgreich zur Wehr zu setzen, wenn wir auf diese Politik der vergangenen Jahre, die wir gegen Ihren Widerspruch durchgeführt haben, nicht verweisen könnten.
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1282 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Dr. Graf LambsdorffWir werden diese Position — ich fordere die Bundesregierung im Namen der FDP-Fraktion dazu auf — aufrechterhalten.Daß wir inflationsfrei unsere weitere wirtschaftliche Entwicklung finanzieren wollen, steht im Jahreswirtschaftsbericht, das ist uns im Sachverständigengutachten selbstverständlich anempfohlen, es ist von uns unterstützt worden. Wir teilen nicht — dies kann ich für die FDP-Fraktion mit aller Deutlichkeit sagen, das ist aber auch die Auffassung der Bundesregierung — die Meinung, wie sie in der Äußerung der IG Metall deutlich geworden ist, daß Inflation und Stabilität nur ein derivatives Thema sei. Wir sehen die Gleichgewichtigkeit der nebeneinanderstehenden Forderungen des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes. Wir wissen mit anderen, daß dauerhafte Inflation dauerhafte Arbeitslosigkeit produziert. Darüber gibt es keine unterschiedliche Meinung.Ich fordere die Bundesregierung auch auf, sich in dieser internationalen Diskussion nicht nervös machen zu lassen. Man muß sich manchmal fragen, woher Zeitungsberichte, auch in deutschen Zeitungen, über Berichte aus dem amerikanischen Senat kommen, die angeblich heftige Kritik an der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung üben. Ich habe mir diesen Bericht kommen lassen und ihn durchgesehen. Da steht kein Wort von Kritik, da stehen Tatsachenfeststellungen. Dieser Bericht ist neutral und objektiv geschrieben. Es läßt sich überhaupt nichts dagegen einwenden.Wie schon in der Haushaltsdebatte sei hier noch einmal gesagt: Dieser Haltung der Bundesrepublik Deutschland muß aber auf der anderen Seite die Bereitschaft entsprechen, ihrer internationalen Verantwortung als ein Land mit starker Leistungsbilanz gerecht zu werden. Dies ist geschehen, dies wird auch weiter geschehen. Das Stichwort lautet: Wo es notwendig ist, sollten Zahlungsbilanzbeihilfen geleistet werden. Andererseits, meine Damen und Herren von der Opposition, ist es völlig illusionär, von der Bundesregierung zu verlangen — und zu glauben, daß man dies nicht nur nach innen durchsetzen, sondern vor allem nach außen tragen kann —, den Bundeshaushalt etwa global um 5 Milliarden DM zu kürzen. Sie könnten dann keine internationale Diskussion mit unseren Freunden in dieser Frage mehr bestehen.Die FDP-Fraktion teilt das Urteil des Bundeswirtschaftsministers im Jahreswirtschaftsbericht. Ich brauche dies hier nicht zu widerholen; ich will Sie nicht langweilen. Der Bundeswirtschaftsminister selber ist in exzellenter Form auf Daten, Voraussetzungen und Grundlinien eingegangen.Selbstverständlich sind solche Prognosen — Herr Strauß, auch darüber ist hier gesprochen worden — nicht frei von Risiken. Selbstverständlich basieren sie auf Eckwerten, die wir annehmen, die wir einbauen müssen und die sich ändern können. Ich frage mich, warum Sie mit dieser These als scheinbar von Ihnen neu entdeckt hier auftreten, nachdem sie doch an dieser Stelle zwischen uns und der Opposition mehrfach diskutiert worden ist. Wir wissen, daß das „Standbein" Verbrauchernachfrage, alsoKonsumentenverhalten, keineswegs gesichert ist. Ich habe von dieser Stelle aus die Zahlen zitiert, die Sie heute über das vierte Quartal 1976 mit der Sparquote gebracht haben. Aber natürlich vergessen Sie hinzuzufügen — und dieses „vergessen" ist ein milder Vorwurf —, daß in diesem Jahre 30 Milliarden DM steuerbegünstigte Sparkonten frei werden und daß es von daher einen zusätzlichen Konsumanstoß geben wird, von dem wir allerdings auch noch nicht wissen, in welcher Größenordnung er wirklich in den Konsum
— Entschuldigung — und inwieweit er in die Wiederanlage gehen wird. Wir wissen auch, daß die Welthandelssituation Risiken birgt, die wir nicht übersehen können, die von uns nicht einmal maßgeblich und ganz gewiß nicht allein beeinflußt und gegebenenfalls zum Positiven gewandt werden können.Aber, Herr Strauß, noch einmal: Prognosen sind unerläßlich für jeden, der Wirtschaftspolitik betreiben will. Sie sind auch unerläßlich für den, der Ihrer Forderung nachkommen will — die wir ja teilen —, möglichst verstetigte, möglichst langfristige Daten zu geben, um der Wirtschaft die Gelegenheit zu bieten, sich danach auszurichten und von dem stop and go kurzfristiger Interventionspolitik wegzukommen.Lassen Sie mich für die Prognosekunst des Kollegen Franz Josef Strauß mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zwei Zitate vortragen. Am 5. November 1975 sagte er im Deutschen Bundestag:Sie haben Annahmen über den zukünftigen Wirtschaftsablauf zugrunde gelegt, darauf Ihre Rechnung der staatlichen Einnahmen und möglichen Ausgaben geplant und haben hier ein Luftschloß errichtet. Wie glauben Sie denn zu 5 % Wachstum zu kommen?Zweites Zitat, Deutschlandfunk, 4. Januar 1976 —also immerhin nach dem Ende des Jahres 1975 —:Was der Kanzler und seine Minister Apel und Friderichs sowie andere besoldete Konjunkturpropheten zu diesem Thema— nämlich zum Thema Aufschwung —sagen, hat sich im Laufe der letzten Jahre mehr als Astrologie oder als Singen im Walde zwecks Vermeidung der Furcht erwiesen denn als zuverlässige, nüchterne Prognose.Ich werfe Ihnen, Herr Strauß, nicht vor, daß man sich bei Prognosen irren kann. Aber lassen Sie es doch bitte bleiben, uns hier jedesmal beckmesserisch vorzuhalten, wenn die eine oder andere Prognose nicht aufgeht, sondern teilen Sie unsere Ausgangsposition und Überzeugung, daß wir dieses Risiko gemeinsam übernehmen müssen, bei sorgfältigster Abwägung und Erarbeitung der Zahlen, die wir solchen Prognosen zugrunde legen!
Einer der Eckwerte, die hier zur Diskussion stehen,waren auch die Tarifentwicklung, die Einkommens-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1283
Dr. Graf Lambsdorffentwicklung und die abgeschlossenen Tarifrunden im Jahre 1977.Aber ehe ich näher darauf eingehe, lassen Sie mich noch die Feststellung vorausschicken, daß es einige Einzelrisiken gibt, über die wir gern miteinander sprechen wollen, und zwar wirtschaftliche Einzelrisiken, branchenbezogen, in der Bundesrepublik. Diesen Schwierigkeiten gehört unsere Aufmerksamkeit und selbstverständlich auch die der Bundesregierung.Wir haben Besorgnis hinsichtlich der Entwicklung im Hochbau in der Bundesrepublik. Ich glaube, wir alle miteinander müssen ernsthaft darüber nachdenken, was dazu beigetragen und dazu geführt hat, daß es heute kaum noch einen Privatmann gibt, der sich daranmacht, im Mietwohnungsbau selbständig tätig zu werden und etwas zu errichten. Nun sagen Sie bitte nicht, das sei eine drei oder vier Jahre alte Entwicklung! Dies ist eine Entwicklung, die in Deutschland seit 1920 eingeleitet worden ist.
Einmal miteinander darüber nachzudenken, wie wir diese Entwicklung in den Griff bekommen und zu Lösungen kommen können, und zwar bald, halte ich für wesentlich. Wir sehen in dieser Branche — ich äußere mich hier sehr zurückhaltend — laufende Tarifverhandlungen. Forderung und Angebot sind so weit auseinander wie noch nie zuvor, gerade in dieser Branche. Ich beneide weder die Tarifparteien noch die Schlichter in dem Konflikt zwischen weiteren Betriebsaufgaben und der gerade bei dieser Gewerkschaft sehr verständlichen Ungeduld nach Jahren des Maßhaltens. Für um so begrüßenswerter halte ich es, daß das Wirtschaftskabinett den Beschluß gefaßt und den Auftrag gegeben hat, unverzüglich Lage und Perspektiven der Bauwirtschaft — einschließlich der Probleme in der Wohnungswirtschaft — zu analysieren, zu prüfen und Konsequenzen vorzuschlagen, und zwar terminiert auf Ende April.
Mein dringlicher Appell an die Bundesregierung lautet, hier wirklich Maßnahmen zu ergreifen, die ordnungspolitisch, finanzpolitisch vertretbar sind und uns von Schwierigkeiten befreien.
Meine Damen und Herren, man kann sicher einige Worte zu abgeschlossenen Tarifrunden des Frühjahrs 1977 sagen. Das ist keine Beeinträchtigung der Tarifautonomie. Der Kollege Biedenkopf kann heute nicht hier sein. Er hat uns — das hat mich im übrigen interessiert, Herr Kohl — am 20. Januar in der Debatte über den Haushalt vorgeworfen, daß wir keine Lohnleitlinien gäben. Andererseits hat er gesagt, Herr Schiller sei ein Positivist, Herr Schmidt sei sein Schüler, und deswegen sei er auch ein Positivist.
— Er ist leider nicht hier, aber wir können uns darüber gelegentlich unterhalten. Im übrigen werden wir als Gesetzgeber wohl alle nicht daran vorbeikommen, einen gewissen Wert auf eine grundsätzlich positivistische Haltung zu legen. Freischaffend können wir uns wohl alle nicht bewegen. Wir würden uns sonst in gefährliche Grenzgebiete wagen. Aber das Festhalten am Buchstaben des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes zu Lohnleitlinien halte ich für Positivismus. Wir sind von Anfang an dagegen gewesen. All das, was die Bundesregierung seit Jahren tut, nämlich an die Verantwortung der Tarifpartner zu appellieren, Alternativmodelle bezüglich der Konsequenzen vorzustellen, bejahen wir, aber nicht die Leitlinien.Deswegen auch noch ein Wort zu Ihnen, Herr Strauß. Die Nachfragewirkung beim Abschluß von Tarifverträgen hat der Bundeswirtschaftsminister in einer im übrigen vielbeachteten Intervention — ich empfehle, den Leitartikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" dazu zu studieren — hier ganz deutlich herausgestellt. Er ist zum Teil sogar dafür kritisiert worden, er sei zu weit gegangen. Sie können beim besten Willen nicht behaupten, dies sei hier nicht erwogen und nicht gesehen worden.Ich glaube, wir haben selbstverständlich das Recht, nachträglich zu erfolgten Tarifabschlüssen ein Wort zu sagen, und wir haben dieses Recht in allererster Linie, was den Abschluß im öffentlichen Dienst betrifft; denn hier ist ja die von uns gewählte Bundesregierung teilweise der Arbeitgeber. Wir beurteilen damit auch den Erfolg oder Mißerfolg unserer Regierung. Ich kann nur sagen, dieser Abschluß ist in meinen Augen vertretbar. Das Ergebnis, das die Bundesregierung erzielt hat, können wir tragen. Es ist auch finanzpolitisch machbar. Ich bin weit davon entfernt, mich der Kennzeichnung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", das Ergebnis sei ein Skandal, anzuschließen. Ich hoffe, daß sich die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" beim nächsten Abschluß im Druckgewerbe ihrer Wächterfunktion ebenso bewußt ist und von ebenso kritischem Geist erfüllt sein wird.Ein zweites Thema. Ich habe mich bereits geäußert — der Kollege Reuschenbach hat mich dafür heute kritisiert; das ist sein gutes Recht, das ist in Ordnung — zum Abschluß in der Metallindustrie. Es geht mir nicht um die absolute Höhe, und dazu äußere ich mich hier auch nicht — der Bundeswirtschaftsminister hat dies getan —, sondern es geht mir um die Frage — diese halte ich allerdings langfristig für ganz entscheidend wichtig; ich unterstreiche das Wort „langfristig" —, ob wir in eine Entwicklung geraten, bei der sich die Starken auf beiden Seiten zu Lasten der Schwachen auf beiden Seiten einigen. Ich habe die Befürchtung, daß das hier — auf der einen Seite z. B. die Automobilindustrie zu Lasten kleiner metallverarbeitender Betriebe, auf der anderen Seite diejenigen, die Arbeitsplätze haben, zu Lasten derer, die keine haben — geschehen ist. Wir sehen solche Entwicklungen in weiten Teilen der Welt. Hierüber, meine ich, müßten wir die Diskussion führen und dazu Fragen stellen, statt Kritik zu üben oder irgendein Scher-
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1284 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Dr. Graf Lambsdorffbengericht zu veranstalten, für das kein Anlaß besteht. Wir müssen die Frage stellen: Wohin führt das strukturell auf Dauer gesehen? Wird es dazu führen, daß es innerhalb von Branchen Differenzierungen gibt? Welche Folgen hat das für die Organisationsstruktur der Tarifpartner? Ich glaube, die Antwort auf diese Frage dürfen wir uns nicht leichtmachen. Wir müssen uns dieser Frage stellen und dürfen uns nicht wieder — wie bei vielen Themen der deutschen politischen Diskussion — von den Ereignissen überrollen lassen, um sie hinterher in diesem Hause nur noch zur Kenntnis zu nehmen.
Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen?
Ja, bitte.
Teilen Sie meine Auffassung, daß es sinnvoller wäre, wenn es um die Frage geht, in welchem Umfange tarifpolitische Zielsetzungen der Gewerkschaften harmonisiert oder differenziert werden, dieses mit den Betroffenen am Tisch zu erörtern und dies nicht mit — nach meiner Einschätzung sehr scharfen — Zurechtweisungen öffentlich zu tun?
Herr Kollege Reuschenbach, erstens möchte ich ganz deutlich machen, es geht in dieser Frage nicht um das Gespräch mit den Gewerkschaften, sondern um das Gespräch mit beiden Tarifpartnern. Tarifverträge werden von zwei Seiten unterschrieben, und beide tragen die Verantwortung. Zweitens gehört eine Frage von, wie ich meine, so großem öffentlichen Interesse in dieses Haus und nicht nur hinter verschlossene Türen.
Ein weiteres Thema mit Problemen — ich hoffe und glaube: nicht mit Risiken —: Seit jeher ist die Steinkohle in diesem Lande auch ein politisches Thema gewesen. Die Steinkohle als politisches Thema hat durch die energiepolitische Diskussion zusätzliche Bedeutung erworben. Ich darf an dieser Stelle sagen, wir begrüßen es, daß das Kabinett gestern dazu gekommen ist, eine Ausgangsposition für eine Diskussion zu schaffen, indem es die Grundlinien zur Energiepolitik verabschiedet hat. Ich sage: Ausgangspunkt für eine Diskussion, denn die große Anfrage kommt ja noch. Die Fortschreibung des Energieprogramms ist die Konsequenz, und wir werden darüber mit der Bundesregierung in diesem Hause und unter uns — das ist auch so ein vernachlässigtes Thema — ernsthaft zu reden haben. Lassen Sie mich aber ein Wort sagen. Wenn wir heute ein Investitions- und Infrastrukturprogramm vorgelegt bekommen — es ist gestern verabschiedet worden —, dann muß man darauf hinweisen, daß das Thema Kernenergie nicht nur ein Thema der Sicherheits- und Standortfragen ist, sondern daß es auch ein Thema der Beschäftigung hochqualifizierter Fachkräfte und der Grundlage für deutschen Technologieexport ist. Alles muß gesehen und alles muß abgewogen werden.Die FDP-Fraktion begrüßt es und dankt dem Bundeswirtschaftsminister ausdrücklich für seine erfolgreiche Vermittlungstätigkeit und den Erfolg, daß es nun zwischen den Energieversorgungsunternehmen und der Steinkohle zu dem Ergebnis gekommen ist, das wir uns seit zwei Jahren gewünscht haben, nämlich einer langfristigen Vereinbarung über die Abnahme von Steinkohle für die Erzeugung von Strom. Meine Damen und Herren, es fehlt der letzte notarielle Akt — Herr Wolfram, bevor Sie mich mit einer Zwischenfrage beharken, darf ich das gleich sagen —, die materielle Einigung ist erzielt. Ich glaube, wir sind uns darüber einig, daß es läuft, und wenn nicht, dann tun wir ein bißchen dazu, um die Partner zu umarmen, damit es laufen muß.
Meine Damen und Herren, dieses ist immerhin ein Wort: 33 Millionen Tonnen Steinkohle in zehn Jahren machen einen Gegenwert von 25 Milliarden DM aus. Dies ist also keine Kleinigkeit, über die hier kontrahiert worden ist. Nur sollten wir eines deutlich sehen: Der Verbraucher zahlt, um diesen Abschluß zu ermöglichen, jährlich 1,5 Milliarden DM. Wer also die Erhaltung der Steinkohle will — und dies ist wohl die Mehrheitsmeinung in der Bundesrepublik —, muß sehen, daß das Geld kostet. Das bedeutet, daß wir jede geförderte Tonne am Zechentor mit zusätzlichen 20 DM subventionieren oder, um es etwas drastischer zu machen: die letzte Tonne Steinkohle, die oben auf die Spitze der so geförderten Menge draufgelegt wird, kostet ab Werkstor 150 DM und benötigt eine Subvention von -170 DM. Alles weitere Aufstocken würde sich also in solchen Größenordnungen abspielen. Daran muß man denken, wenn man nach mehr fragt.Ein Weiteres: Mit diesem Abschluß und mit diesem Vorhaben ist das Problem der Kraftwerkskohle hoffentlich gelöst. Nicht damit gelöst ist das Thema des Ruhrbergbaus und des Saarbergbaus, denn der Kokskohleeinsatz hängt von der Entwicklung und der Lage der Stahlindustrie in der Bundesrepublik ab, und darauf hat eine Bundesregierung kaum Einfluß, so daß ich befürchte, daß wir im Jahre 1977 angesichts der unerfreulichen Lage der Stahlindustrie wegen dieser Seite des Problems im Ruhrbergbau doch zu Feierschichten kommen.Dies führt mich zu einem Wort zur Stahlindustrie. Auch hier liegt sicherlich ein Problembereich. Hier gibt es erhebliche Probleme in einer ohnehin zyklischen, ja einer sehr zyklischen Industrie mit dem längsten Baissezyklus der Nachkriegszeit, verstärkt durch technologisch hochwertigen und auf einer höheren Produktivitätsbasis erzielten Import, insbesondere aus Übersee, aus Japan.Was tun in dieser Situation? Hierzu hätte ich heute gern den Kollegen Biedenkopf im Hause gehabt. Wir sind in ordnungspolitischen Grundsatzfragen auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik — auf anderen Gebieten nicht — nicht weit auseinander. Aber ich wüßte gerne, was man unter Einhaltung
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Dr. Graf Lambsdorffsolcher ordnungspolitischen Grundsätze in einer gegebenen Situation tut, in der Tausende von Arbeitsplätzen bedroht sind, in der Überkapazitäten — mindestens auf heute berechnet — vorhanden sind, in der die Wettbewerber ihre Unternehmen hoch subventionieren — in diesem Falle leider die Wettbewerb treibenden Staaten —, in der, worüber wir uns hoffentlich einig sind, wir die Märkte für Importe aus anderen Ländern nicht schließen wollen. Dies ist alleine mit der ordnungspolitisch reinen Lehre nicht zu bewältigen.
Die Brüsseler Kommission hat vor wenigen Tagen die Einführung von Mindestpreisen für Betonstahl vorgeschlagen.
Die Bundesregierung hat lange das letzte Bollwerk — übrigens gemeinsam mit der deutschen Stahlindustrie — gegen diese Einführung gebildet, und zwar aus guten Gründen. Der Restrukturierungsdruck für die Industrie fällt weg, kann wegfallen; die Rationalisierungsanreize sind gleich Null; der Kostenvorteil deutscher Werke, wie er jetzt besteht, kann nicht mehr genutzt werden; und nicht zuletzt: die Preiseinhaltung ist nahezu unkontrollierbar, wenn man sich an einige Bereiche, an einige Länder, die mit uns im Wettbewerb stehen, erinnert.Die Bedenken der Bundesregierung sind deswegen berechtigt. Aber wir wissen, daß die Brüsseler Kommission autonom ist. Deswegen eine Anregung an die Bundesregierung: Wenn sich dies schon nicht vermeiden läßt, dann bitte unter allen Umständen auf die Befristung dieser Maßnahme drängen und sie nicht unbefristet in die Welt setzen lassen.
Zweitens. Ich glaube, die Bundesregierung wird nicht darum herumkommen — auch wenn dies nicht in unser Bild paßt, auch nicht in unser ordnungspolitisches Bild — sich mit der Lage der Stahlindustrie, insbesondere an der Saar, aber vielleicht auch in einigen anderen Bereichen, gezielt zu beschäftigen. Dazu und unter Berücksichtigung solcher Umstände hätte ich gerne die auf dem ordnungspolitischen Gewissen des Kollegen Biedenkopf begründete Antwort; denn gar hart im Raume stoßen sich die Sachen.Auch die Reden und die Wirklichkeit innerhalb der CDU/CSU stoßen sich in diesen Räumen. Ich will hier nicht wieder die Mittelstandsvereinigung apostrophieren, aber es nehmen eben Kräfte zu, die das Verbotsprinzip des Wettbewerbsgesetzes abschaffen und durch das Mißbrauchsprinzip ersetzen wollen. Herr Kollege Köhler, Sie haben vor kurzem einen Vortrag über die Fortentwicklung des Wettbewerbsrechts — ich bedanke mich dafür, daß Sie mir diesen Vortrag übersandt haben — mit interessanten, aufregenden, aus meiner Position, ich will nicht sagen: mir nicht zugänglichen, aber von mir nicht zu vollziehenden Gedankengängen gehalten. Ich darf daraus einen Absatz zitieren. Es heißt hier:Es bleibt zwar das historische Verdienst der neoliberalen Schule, den Ordnungscharakter des Wettbewerbs erkannt und dem Grundsatz privatrechtlicher Vertragsfreiheit eine ordnungspolitische Grenze gesetzt zu haben. Die gleichzeitige Ideologisierung des Wettbewerbs zum einzigen politischen Ziel der Ordnungspolitik hat jedoch Fehlentwicklungen bewirkt. Sie steht heute in einer veränderten Umwelt einer ziel- und ergebnisorientierten Ordnungspolitik eher im Wege.Zum Schluß haben Sie — Herr Köhler, Sie haben mich eben darauf aufmerksam gemacht einen aus dem Jahre 1970 stammenden Gesetzentwurf in den Abdruck dieses Vortrags eingefügt, in dem es unter § 7 zunächst heißt, daß das Gesetz dann und dann in Kraft tritt — ich will auf die Einzelheiten nicht eingehen, obwohl es Sie, nicht mich, nahe an Prognos heranbringt, Herr Köhler —, und dann kommt der Satz:Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. Juli 1957 tritt am gleichen Tage außer Kraft.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Köhler?
Selbstverständlich.
Herr Kollege, da Sie ja wissen, daß ich mir das Denken von niemandem, auch nicht von Ihnen, verbieten lasse, erlaube ich mir folgende Frage: Verstehe ich Ihre Ausführungen richtig, daß Sie eine Entwicklung für richtig halten, die die Sozialisierungsreife der deutschen Wirtschaft durch weiter zunehmende Konzentration erhöht und schließlich zu der grausamen Alternative Branchenmonopol oder Entflechtung führen kann?
Herr Köhler, ich habe Ihre Ausführungen natürlich gelesen, und ich weiß, daß das der Gegenstand Ihrer Besorgnis ist.
Meine Antwort darauf lautet: Natürlich will ich nicht Konzentrationen und diese Entwicklung hinnehmen. Aber das Rezept, um dies zu verhindern, heißt in meinen Augen nicht: das Wettbewerbsgesetz abschaffen, sondern: für mehr Wettbewerb sorgen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich möchte eine Zusatzfrage stellen: Würden Sie also z. B. Ziele wie die größtmögliche Zahl von selbständigen Existenzen oder die gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Waren etwa im Einzelhandel für weniger wichtige Ziele halten als die billigste Versorgung der Verbraucher, die auch ein ganz wichtiges Ziel ist?
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1286 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Herr Köhler, erstens ist die billigste Versorgung der Verbraucher nicht das einzige Ziel des Wettbewerbs. Es gibt auch andere Argumente wie Verbraucherfreundlichkeit, wie Standortfragen, die hier durchaus eine Rolle spielen. Zum zweiten: Es geht um die Frage, ob wir in der Lage sind, die Rahmenbedingungen für die mittleren und kleinen Unternehmen so herzustellen, so zu erhalten und, wo nötig, so zu verbessern — das ist ein Gegenstand des Steueränderungsgesetzes —, daß diese Entwicklung, die Sie befürchten, nicht eintritt.
Darf ich noch eine Zusatzfrage stellen?
Wenn der Herr Präsident mir das von meiner Redezeit abzieht, bitte schön.
Herr Kollege, darf ich Ihre Ausführungen als eine Aufforderung an die Mitglieder des Hauses verstehen, diesen Sonderdruck, den ich habe verteilen lassen, auch aufmerksam zu lesen?
Herr Kollege Köhler, dem steht sicherlich nichts im Wege. Ihrer Initiative steht ohnehin nie etwas im Wege, — oder vielleicht gelegentlich doch: Glücklicherweise stehen z. B. wir dieser hier im Wege, falls das eine Initiative werden sollte. Ich möchte aber ergänzend noch darauf hinweisen, daß ich der letzte wäre, den aussichtslosen Versuch zu unternehmen, Ihnen das Nachdenken zu verbieten. Ich würde es auch bei anderen nicht tun.
Nur, wenn man so etwas hört, dann wundert man sich nicht mehr gar so sehr über das, was Sie, Herr Kohl, in Ahlen — Herr Strauß, haben Sie gehört: in Ahlen — gesagt haben. Dort haben Sie, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt — ich habe die Fernsehaufnahme gehört und finde, dies war eine freundliche, wohlwollende Darstellung —, mit spöttischem Augenaufschlag von liberalen Marktwirtschaftlern gesprochen, als ob Sie sie für eine das ganze Jahr über tätige Narrenzunft besonderer Art hielten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kohl?
Selbstverständlich, Herr Kohl.
Herr Kollege Graf Lambsdorff, ich möchte an Sie die Frage stellen, ob Sie wirklich den Text meiner Ahlener Rede gelesen haben oder ob Sie es für richtig halten, einfach eine Ihnen passende Presseäußerung, die so offenkundig falsch ist, so wiederzugeben; denn den Fernseheindruck, den Sie angeblich wahrgenommen haben, konnten Sie nicht bekommen haben, weil die Formulierung so nicht war.
Herr Kollege Kohl, wir sollten uns — ich bin gerne bereit, mich dafür zur Verfügung zu stellen — die Übertragung im Zweiten Deutschen Fernsehen von diesem Samstag mit diesem Ausschnitt Ihrer Rede, in dem dieses Stichwort vorkam, gemeinsam vorführen lassen.
Ich sage Ihnen: Ich hatte den Eindruck — ich habe dies zu Mitbetrachtern gesagt —, daß Sie verächtlich von liberalen Marktwirtschaftlern gesprochen haben. Das war mein sehr subjektiver Eindruck. Ich halte Ihnen das nicht vor. Aber wir können diese Probe aufs Exempel gern miteinander vornehmen.
Eine weitere Zwischenfrage.
Herr Kollege Graf Lambsdorff, würden Sie mir zustimmen, daß sich die Intention und der Text einer Rede wohl schwer daran messen lassen, was Sie zu Hause subjektiv empfunden haben, wenn Sie einen Bildausschnitt von einer halben Minute gesehen haben? Sind Sie bereit, mir zuzustimmen, daß es eigentlich dem Inhalt Ihrer Rede und dem Anspruch, den Sie als Redner hier erheben, entsprechen müßte, daß Sie, bevor Sie eine solche Wertung vornehmen, im Blick auf meine liberale Grundgesinnung den Text der Rede zur Kenntnis genommen haben müßten?
Herr Kohl, entschuldigen Sie, ich habe vergessen, diesen Teil Ihrer ersten Frage zu beantworten. Ich habe den Text Ihrer Rede nachgelesen. Ich bin wohl mit Ihnen darin einig, daß die Atmosphäre nicht von der Fernsehübertragung bestimmt wird, meine aber, daß sie von dem Ort, an dem die Rede gehalten wird, bestimmt wird — und das war Ahlen in Westfalen.
Meine Damen und Herren, die Liberalen — der Herr Bundeswirtschaftsminister hat dies heute noch einmal dargetan — stehen zur Marktwirtschaft und zu ihren ordnungspolitischen Grundsätzen. Wir sind aber keine Dogmatiker und wir wissen, daß wir nicht im Stande der Unschuld leben, auch was den Zustand der Marktwirtschaft und das Ausmaß von Marktwirtschaft in der Bundesrepublik angeht. Worauf es uns ankommt, ist, bei Beschränkungen des Wettbewerbs und bei Schwierigkeiten zunächst die Frage zu stellen: Wie kann der Markt wiederhergestellt werden? Dies als erstes. Zweitens: Wenn Interventionen unumgänglich sind, wollen wir sie räumlich und vor allem zeitlich begrenzt wissen, zeitlich begrenzt deswegen, weil ein neuer Willensakt hinzukommen muß, um solche Interventionen zu verlängern.In diese von uns bejahte ordnungspolitische Landschaft, die immer verbesserungs- und diskussi-
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Dr. Graf Lambsdorffonsfähig, -würdig und auch -bedürftig ist und bleibt — in diesem Zusammenhang muß ich noch einmal sagen, Herr Strauß: Natürlich muß über die Marktwirtschaft diskutiert werden, und natürlich müssen wir uns der Kritik und den Fragen stellen; Marktwirtschaft ist kein statischer Vorgang, sondern ein dynamischer Prozeß; sonst taugt sie nichts —, paßt das öffentliche Investitionsprogramm, das in seinen Intentionen den Empfehlungen des Sachverständigenrates genau folgt — alles das ist in dem Gutachten des Sachverständigenrates nachzulesen; im übrigen wird sich mein Kollege Haussmann heute zu diesen Seiten des Programms äußern. Es ist kein kurzfristiges konjunktur- und beschäftigungspolitisches Programm, sondern ein Programm zur wachsturns- und umweltpolitischen Vorsorge. Ich weise nur auf folgendes hin, meine Damen und Herren: Dieses Programm ist die größte finanzielle Anstrengung, die eine Bundesregierung seit dem Jahre 1948 unternommen hat. Das ist es auch in real terms, also in Kaufkraft.Es gibt hierbei — dies ist allerdings wesentlich, und ich bitte die Bundesregierung, daran festzuhalten — keinen Konflikt zwischen der Bundesregierung auf der einen Seite und der Bundesbank auf der anderen Seite hinsichtlich der Finanzierung dieses Programms. Dies ist wichtig. Im Konflikt zwischen diesen beiden Institutionen kann so ein Programm nicht erfolgreich durchgeführt werden. Dies geht nur bei engster Abstimmung, bei der Vermeidung von Zinssteigerungen, auf deren Bedeutung der Bundeswirtschaftsminister hingewiesen hat, und ohne Geldmengenerweiterung, die inflationsfördernde Problematiken mit sich bringen müßte. Es geht außerdem nur, wenn Bund und Länder gemeinsam zur Durchführung dieses Programms zusammenstehen und es gemeinsam tragen, wenn sie es also nicht nur verabschieden, sondern auch gemeinsam durchführen und für eine beschleunigte Durchführung sorgen.Ich habe von dieser Stelle aus schon einmal gesagt — dafür habe ich Kritik erfahren, und diese akzeptiere ich auch —, daß ich kein geborener Föderalist bin. Ich habe aber die Vorzüge dieses unseres staatlichen Aufbaus gesehen und begriffen. Dennoch: In letzter Zeit sind einige, wie ich glaubte, vergessene Zweifel wieder wachgeworden. Die energiepolitische Diskussion und in deren Rahmen insbesondere die Standortfrage sowie das Gerangel um das Investitionsprogramm in den letzten Wochen sind Beispiele dafür
und führen mich zu der Frage, ob unser Land in wirklich ernsten Zeiten, die wir ja gar nicht haben, eigentlich so regiert werden kann.
Dies ist wohlgemerkt keine. Aufforderung dazu, den Föderalismus einzuschränken oder gar abzuschaffen. Dies können wir ja auch gar nicht. Wir wissen dies. Selbst wer es tun wollte, liefe einem Phantom nach. Es ist aber die Aufforderung, in diesem föderativen Staatsaufbau gemeinsam dafür zu sorgen, daß gemeinsame Interessen und gemeinsame Notwendigkeiten erkannt und gemeinsam gehandhabt werden.
Die Beurteilung der Wirtschaftspolitik und der Finanzpolitik jeder Bundesregierung wird immer unterschiedlich ausfallen. Dafür sitzen wir als Regierungsparteien und als Opposition in diesem Hause. Parteibrillen und auch Wunschdenken sind dabei nicht verboten; sie sind beinahe selbstverständlich.Es gibt allerdings einen, wie ich finde, unnachsichtigen Kontrolleur, Herr Kollege Strauß, für das Vertrauen in die Wirtschaftspolitik, für das Vertrauen in die Finanz-, Stabilitäts- und Währungspolitik eines Landes. Einer der unnachsichtigsten Kontrolleure ist in meinen Augen — sehen Sie mir das angesichts meiner beruflichen Vergangenheit bitte nach — das Geld. Nichts ist so feige wie Geld; beim ersten Anzeichen von Gefahr flieht es. Man kann das vielleicht auch etwas wissenschaftlicher ausdrücken; ich gebe das zu und bitte den Herrn Präsidenten um die Genehmigung, aus einem Buch des Professors Stützel aus Saarbrücken folgendes zu zitieren.
— Ja, ich zitiere mit Vorliebe Liberale; das gebe ich zu. — Es heißt dort:Devisenbewirtschaftung immunisiert jeden Fiskus gegen Staatsbankrott. Ohne Devisenbewirtschaftung, bei freiem Emigrationsrecht für Geld und Vermögen, stehen die Staaten in ihrem Fiskalgebaren unter der beständigen Kontrolle potentieller Geldemigration. Sie stehen in beständiger Konkurrenz, einer Konkurrenz der Solidität. Die geringsten Anzeichen zu unsolider Finanzwirtschaft lösen die Gefahr der Geldflucht aus, der Spekulation gegen die heimische Währung. Dabei sind die Spekulanten — viel verfemt — wie die weißen Blutkörperchen die wichtigsten Kontrolleure. Sie zwingen den Staat unter Androhung der Strafe des Staatsbankrotts zu solidem Finanzgebaren.Dies akzeptieren, meine Damen und Herren, heißt die Frage stellen, ob es eigentlich in der Bundesrepublik Deutschland Kapital- und Geldflucht gibt. Ich meine: nein; nicht in nennenswertem Umfang. Es hat das — lassen Sie mich das sozusagen als humoristische Erinnerung einflechten — im Jahre 1969 gegeben. Da meinten einige Leute, nun kämen hier bald die Kommunisten, und sie investierten in Portugal. Und dann kam die sozialliberale Koalition und hat ihnen dabei geholfen, daß die Kommunisten in Portugal nicht an der Macht blieben.
Aber dies, meine Damen und Herren, wie gesagt, nur als humoristische Erinnerung. Aber sie stimmt.
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1288 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Dr. Graf Lambsdorff— Das ist keine Geschichtsklitterung, Herr Kohl; dies sind praktische Erfahrungen, die ich gemacht habe.
— Darf ich das noch einmal hören?
- Nein, ich habe es nicht richtig gehört.
— Vielen Dank! Ich glaube, ich habe gehört, Herr Kohl, man sollte beim Bankgeschäft bleiben und nicht hier tätig sein. War das so richtig?
— Ja, ich.
— Gut, in Ordnung; ich habe es nicht gehört.Meine Damen und Herren, die deutsche Währung— daran gibt es wohl keinen Zweifel — ist in der ganzen Welt gesucht. Herr Strauß, wenn Sie nach draußen gehen ich beklage mit Ihnen die mangelnde Investitionsneigung, aber nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in anderen Ländern— und die Menschen, die investieren wollen, fragen: in welches Land gedenkt ihr denn zu gehen, wo glaubt ihr denn, daß heute Investitionen angebracht und möglich sind?, heißt es: Erstens in der Schweiz — da kommen wir nur nicht hinein; die lassen uns nicht herein —, zweitens in den Vereinigten Staaten, drittens in der Bundesrepublik Deutschland. — So schlecht kann die Vertrauensbeurteilung dieser Wirtschaft und dieser Wirtschaftspolitik nicht sein.
Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion teilt dieses Urteil. Sie begrüßt das Jahresgutachten, sie billigt den Jahreswirtschaftsbericht, und sie vertraut der Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung. — Ich bedanke mich für Ihr Zuhören.
Das Wort hat der Bundesminister Apel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Strauß hatte in einem Nebensatz gesagt, er wollte hier über Steuerpolitik nur sehr begrenzt reden, weil dies ja in der zweiten Aprilhälfte auf der Tagesordnung stehen würde. Er hat dann doch sehr eingehend über die Steuerfragen gesprochen.
Das liegt natürlich auch daran, Herr Kollege Strauß, daß Sie an den Haushaltsberatungen, die wir hatten, nicht teilnahmen, weil Sie zu dieser Zeit in Togo waren.
Insofern muß ich doch einiges von dem wiederholen, was ich bereits damals gesagt habe.
Herr Kollege Dr. Strauß, Sie haben heute gesagt, dann, wenn diese Bundesregierung ihr Steuerpaket nun schon unbedingt weiterverfolgen wolle — und davon können Sie nach dem gestrigen Kabinettsbeschluß ausgehen —, sollten wir wenigstens 100 % der Mehreinnahmen zurückgeben. Was mir wichtiger erscheint als diese Aufforderung — der wir im übrigen nicht nachkommen wollen, weil nach unserer Meinung Bund, Länder und Gemeinden einen Teil der Mehreinnahmen zur Beseitigung der rezessionsbedingten Defizite brauchen —, ist dies: Wenn Sie das schon von uns fordern, bitte ich Sie, die nächsten vier Wochen besonders dafür zu verwenden, Ihre gemeinsame Fraktion in die Lage zu versetzen, am 20. oder 21. April mit uns eine konsistente Debatte zu führen.
Schauen wir uns die Zitate an! Dr. Zimmermann: ,,Mit uns kann man auch über die Mehrwertsteuererhöhung reden." Dr. Filbinger: „Wir lehnen die Mehrwertsteuererhöhung ab." Dr. Stoltenberg: „Die Mehrwertsteuererhöhung wäre ein letztes Mittel, wenn alle Einsparungsmöglichkeiten erschöpft sind." Dr. Häfele: „Diesen Schacher machen wir nicht mit." Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, Sie werden die nächsten vier Wochen, vor allem die drei Wochen Osterpause, nützen müssen, um in dieser Frage debattefähig zu werden.
— Hochverehrter Herr Fraktionsvorsitzender, ich wünsche mir, daß Sie dem von Ihnen ununterbrochen verkündeten Anspruch, eine Alternative zur Regierung zu werden, endlich einmal in einer wichtigen Frage gerecht werden.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gern.
Sie haben soeben, Herr Bundesfinanzminister, eine Summe von Zitaten gebracht. Warum haben Sie nicht die Zitate von mir gebracht, in denen ich ganz verbindlich für die CDU/CSU Ihnen die Auskunft gegeben habe, die Sie jetzt fordern?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1289
Also, Herr Kollege Dr. Kohl, ich habe mir Ihre Zitate angeschaut. Sie sind vielleicht für die Zeugen Jehovas verwendbar, weil sie so auslegungsfähig sind, aber nicht unbedingt für eine Parlamentsdebatte. Das ist das Problem.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja; bitte.
Könnte das daran liegen, daß Sie Ihren Ausflug in den Bereich der Zeugen Jehovas deswegen brauchen, weil Sie die Realitäten der politischen Situation, in der Ihre Regierung steht, nicht mehr zur Kenntnis nehmen?
Ach, wissen Sie, Herr Kollege Dr. Kohl, ich habe eigentlich keine Lust, mich auf dieses Niveau zu begeben.
Herr Kollege Dr. Kohl, ich habe Sie gebeten, in IhrerFraktion eine einheitliche Meinung zu formulieren.
Wenn dies nicht möglich ist, nehmen wir auch das zur Kenntnis.Damit komme ich zum zweiten Punkt. Ich schließe dabei an das an, was ich eben gesagt habe. Der Herr Kollege Strauß hat gesagt, die CDU/CSU habe ein ganzes Bündel steuerlicher Maßnahmen vorgeschlagen. Er hat hinzugefügt, bei der Vermögensteuer bewege sich ja jetzt etwas. Hier könnte man natürlich auch historische Betrachtungen anstellen. Über viele Jahre hat die Union die Senkung der Vermögensteuersätze gefordert. Aber sie hat über viele Jahre niemals das Instrument eines Gesetzentwurfs des Bundesrats zu diesem Thema genutzt, um hier etwas in Bewegung zu bringen. Wir bringen es jetzt in Bewegung.Wenn Sie, Herr Kollege Strauß, sagen, auch bei der Gewerbesteuer müsse noch etwas getan werden, verweise ich Sie darauf, daß das erstens in den Koalitionsbeschlüssen steht und daß wir zum andern eine ganz massive Kritik aus der Unionsfraktion von Herrn Waffenschmidt bekommen haben, der hier vielleicht als Vertreter der dritten Ebene der Gebietskörperschaften gesprochen hat, aber uns immerhin ganz massiv kritisiert hat, weil das in der Tat — und das muß ich zugeben — die Gemeindefinanzen tangiert. Ich bitte Sie, auch in dieser Frage bis zum 20./21. April eine gewisse Klarheit zu besorgen.
Nun nur noch wenige Sätze zu den Themen Haushalt und Staatsanteil und den von Herrn Strauß hier angesprochenen Fragen. Ich finde auf meinem Tisch einen Entschließungsantrag der CDU/CSU zum Bundesausbildungsförderungsgesetz, der wohl heute noch behandelt werden soll. Dies ist typisch für Ihre Strategie. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, bis zum Herbst 1977 Vorschläge vorzulegen. Ich möchte einfach einige hier genannte Ziele zitieren: Verbesserung der durch das Haushaltsstrukturgesetz getroffenen Regelung für Fachwechsler; Überprüfung der Einbeziehung des Berufsgrundbildungsjahres in die Ausbildungsförderung; Anhebung des Elternfreibetrages auf 1 200 DM. Das paßt genau in die Linie, die ich als Finanzminister in diesem Haus ununterbrochen feststelle.Das schließt doch an das an, was Herr Dr. Kohl im Deutschen Bundestag am 17. Dezember 1976 gesagt hat: er fordere ein umfassendes System der Exporterlösstabilisierung, genau wissend, daß das viel Geld kostet — ich denke wenigstens, daß das im Bewußtsein war —, kräftige Steigerung der Entwicklungshilfe usw. usw. Ich bitte also sehr darum, auch in dieser Frage endlich konsistent zu sprechen.Entweder geht es darum, nun das zu tun, um was ich mich bemühe — und ich muß zugeben: dank der Hilfe der Koalitionsfraktionen mit einem gewissen Erfolg —, bei den konsumtiven Ausgaben eine gewisse Zurückhaltung zu gewinnen, um bei den investiven Aufgaben etwas tun zu können. Dann gilt es, dies von der Opposition zu unterstützen, weil es Ihre verbale Forderung ist. Dann, bitte schön, aber nicht solche Anträge, die ich als Propagandaanträge abtun muß, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition!
Nun zu dem von Herrn Strauß erneut und immer wieder in die Debatte gebrachten Staatsanteil. Da wollen wir dem Bürger doch wenigstens eines hinzusagen: In dem Staatsanteil stecken auch die Kosten für die Krankenversicherung und die Kosten für die Rentenversicherung, d. h. für die Alterssicherung. Hochverehrter Herr Dr. Strauß, wenn wir in unserem Land nicht diese Solidarregelungen, gesetzliche Kranken- und gesetzliche Rentenversicherung, hätten, dann müßte jeder Bürger, wenn er nur ein Fünkchen an Verantwortung für sich und seine Familie hat, dies einzeln privat regeln. Das wäre dann im Zweifel teurer. Es würde dann zwar nicht zum Staatsanteil gehören, aber das verfügbare Konsumeinkommen ganz genauso belasten. Wenn Sie über Staatsanteil reden, dann reden Sie deswegen bitte auch über diesen Anteil!Weiter würde ich gern eine Aufklärung bekommen. Ich habe vor etwa drei Wochen — es muß Anfang des Monats gewesen sein; wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, war es am 5. März 1977 — im „Münchner Merkur" gelesen, die Vorstellung des Abgeordneten Katzer, man möge doch bei der Rentenversicherung lieber den Weg einer Beitragserhöhung gehen, werde von dem Abgeordneten Dr. Strauß geteilt. Dies ist kein wörtliches Zitat. Aber es war der Bericht, und das war ja wohl auch die
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1290 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Bundesminister Dr. ApelGefechtslage, von der aus in der Opposition zum Thema Rentensanierung debattiert worden ist. Wenn es so ist, Herr Kollege Dr. Strauß, daß Sie der Meinung waren — dagegen ist ja nichts einzuwenden; das ist eine Position, die man intellektuell sehr wohl einnehmen kann —, man sollte die Rentenversicherungsbeiträge anheben, um dem Problem beizukommen, dann hören Sie bitte auf, hier ununterbrochen von der Steigerung des Staatsanteils zu reden.
Dann waren Sie nämlich dabei, diesen Staatsanteil erneut anzuheben. Umsonst geht doch Herr Kollege Ehrenberg nicht einen anderen Weg. Denn auch er sieht Belastungsgrenzen, die einzuhalten sind.Da will ich hier einige Zahlen in die Debatte einführen. Ein Arbeitnehmer, der brutto 1 500 DM im Monat verdient, hat in der Tat 95 DM Krankenversicherungskosten und 135 DM Rentenversicherungsbeiträge zu tragen. Die gleichen Abgaben muß der Arbeitgeber noch einmal erbringen. Das sind für diese Verdiensthöhe 460 DM Kosten für zwei wichtige Risiken des Lebens. Aber derselbe Arbeitnehmer zahlt, wenn er Alleinverdiener ist, nur 133 DM Lohnsteuer.Daran wird Ihnen hoffentlich deutlich, daß Sie, wenn Sie über den Staatsanteil so undifferenziert reden, nicht nur versuchen, diesen zu Diffamierungen zu mißbrauchen, indem Sie die Renten- und die Krankenversicherung ins Zwielicht setzen, sondern sich dann auch einer sehr undifferenzierten Betrachtung schuldig machen; denn die Steuerquote, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist in den letzten Jahrzehnten ziemlich konstant geblieben. Sie ist durch die Steuerreform zurückgegangen.Ich halte es auch nicht für zulässig, ununterbrochen von der Grenzsteuerbelastung zu sprechen. So wichtig dies auch ist, so zählt am Ende doch die durchschnittliche Abgabenquote. — Wenn Sie hier mit uns einer Meinung sind, dann stimmen Sie bitte nicht in den Chor derer ein, die unser Programm der Dämpfung der Gesundheitskosten aus naheliegenden egoistischen Gründen kritisieren wollen! Dann müssen Sie sich angesichts der Tatsache, daß dies in dem sogenannten Staatsanteil der entscheidende Brocken ist, mit uns zusammen bemühen und dürfen nicht auch hier auf allen Hochzeiten tanzen wollen.
Lassen Sie mich etwas zum Thema Löhne, Arbeitsmarkt sagen. Herr Kollege Graf Lambsdorff hat dazu bereits eine sehr interessante Bemerkung gemacht. Ich kann sie nur unterstreichen. Natürlich sind bei uns die Lohnstückkosten gestiegen. Aber interessant ist doch, daß wir immerhin noch einen hohen, wenn auch — Gott sei Dank — rückläufigen Leistungsbilanzüberschuß haben. Ich sage: Gott sei Dank rückläufig, weil wir auf Dauer eine Position hoher Leistungsbilanzüberschüsse weltweit nicht aushalten.Aber nun haben wir im Finanzministerium einmal gerechnet
— der Zwischenruf ist nicht sehr eindrucksvoll, das muß ich schon sagen —, gerechnet, um uns eine Vorstellung von dem zu verschaffen, was sich von 1970 bis heute bei den Lohnstückkosten getan hat. Wir haben die Lohnstückkosten — dies ist notwendig, um die Exportchancen der deutschen Industrie zu vergleichen — um die Auf- und Abwertungen der Währungsgebiete gewichtet, in die wir exportieren. Nur dann bekommt man ja eine Vorstellung. Dabei hat sich ein sehr interessantes Bild ergeben. Dänemark, die Niederlande und Belgien — Länder, die mit uns in der Währungsschlange sind —, die wir 1970 gleich 100 gesetzt haben, schwanken 1976 zwischen 188 % und 214 %. Die Bundesrepublik, 1970 ebenfalls gleich 100 gesetzt, hatte 1976 186 %. Das heißt also, die Lohnstückkosten in unserem Lande sind, trotz der Aufwertung der D-Mark bzw. der Abwertung unserer Konkurrenzwährungen immerhin noch günstiger als die in einer ganzen Reihe anderer Länder.
— Herr Kollege Dr. Barzel, darf ich die Tabelle zu Ende führen und Sie dann bitten, Ihre Zwischenfrage zu stellen.
— Ja, darauf komme ich sofort. Es wäre ja unredlich, es nicht zu tun. Ich bitt' Sie!Ich darf vielleicht vorher noch Frankreich einführen, weil Frankreich eine sich abwertende Währung hat. Frankreich, 1970 gleich 100 gesetzt, hatte 1976 185 %. Das heißt, hier hat die Abwertung des Französischen Franc im letzten Jahr — Frankreich war ja zwischendurch eine Zeit Teil des europäischen Währungsverbunds — in etwa das an überzogenen Lohnstückkosten ausgeglichen, was auf dem Weltmarkt wettbewerbsschädlich gewesen wäre. So gesehen ist das also doch ein durchaus beruhigendes Bild. Wenn man sich diese Tabelle anguckt, so läßt sich feststellen, daß die Lohnstückkosten in den letzten Jahren dank der verantwortungsbewußten Politik der deutschen Gewerkschaften bei weitem nicht mehr so stark gestiegen sind.Nun komme ich, Herr Kollege Dr. Barzel, auf die von Ihnen vorhin angesprochenen Länder. Italien hatte 1976 159 %, Großbritannien 151 %, wir hatten 185 %. Insofern gebe ich Ihnen, Herr Kollege Dr. Barzel, ohne weiteres zu, daß die Abwertung der Lira und des Britischen Pfundes weit über das hinausgegangen ist, was ökonomisch geboten wäre. Nur, das interessante ist ja, daß sich die Länder mit dieser Politik die Inflation massiv ins eigene Land geholt haben. Trotz der Wettbewerbsvorteile, trotz der komparativen Kostenvorteile waren sie nicht in der Lage — England zum ersten Mal in einem Monat sehr bescheiden —, Leistungsbilanzüberschüsse zu produzieren. Sie sehen also, daß das, was wir soziales Netz, sozialer Friede nennen, eine entscheidende Ursache mit dafür ist, daß man sich auf
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1291
Bundesminister Dr. Apelden Weltmärkten behaupten kann. Dies bitte ich zu beachten.
— Von Japan haben wir insofern keine Zahlen, weil — hier muß ich ein bißchen vorsichtig formulieren — die japanischen Statistiken etwas anders gebaut sind. Das kann man nicht so ohne weiteres vergleichen. Aber die Zahl für die USA, Herr Kollege Dr. Barzel, will ich Ihnen gerne geben. Die Zahl ist 111. Hier sehen wir in der Tat — zugegeben, zugegeben! — ein Problem, das die Exporte der Bundesrepublik in die USA berührt. Das sehen wir auch am Rückgang der Automobilexporte.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Barzel?
Ja.
Herr Kollege Apel, würden Sie glauben, daß man auf Grund des Vortrags dieser Zahlenreihe sagen kann, wir seien ein „kostengünstiges Land"?
Das ist doch nicht die Frage. Der Punkt ist doch, daß uns die Technologie, Herr Dr. Barzel, die wir produzieren und auf den Weltmärkten anbieten, bisher so abgekauft worden ist, daß wir, wenn auch rückläufig, jedes Jahr Leistungsbilanzüberschüsse in beträchtlicher Größenordnung haben. Das ist doch, wie gesagt, der Punkt.Die weltweite Arbeitsteilung — Herr Kollege Dr. Friderichs hat dazu ja Bemerkungen gemacht —, die Tatsache, daß wir in der Technologie ganz oben stehen, bringt natürlich Strukturprobleme für Branchen, bei denen das Lohn-Stück-Kostenproblem dennoch wirkt — sehr viel weniger gegenüber den Industrienationen, aber z. B. gegenüber Korea, das doch der künftige Konkurrent der deutschen Werftindustrie ist. Aber das wissen wir doch. Wenn man jedoch mehr an öffentlicher Entwicklungshilfe fordert wie Herr Dr. Kohl, dann heißt das doch wohl auch weltweite Arbeitsteilung, dann heißt das auch, die Konsequenzen in diesem Lande, soweit es geht, durch eine vorausschauende Strukturpolitik zu überwinden. Man kann nicht beides haben. Das muß sehr deutlich werden.Vorletzte Bemerkung zu diesem Thema. Herr Kollege Strauß, Sie sagen, es sei eine törichte Vorstellung, die Arbeitslosigkeit durch eine Verteilung des Mangels an Arbeitsplätzen, durch Arbeitszeitverkürzung zu beseitigen. Ich halte das auch nicht für ein kurzfristiges Rezept. Da stimme ich mit der Erklärung des Kollegen Dr. Friderichs überein. Aber vielleicht darf ich Ihnen zu diesem Thema ein Zitat liefern:Ich glaube, daß die Arbeitslosigkeit nicht alleinmit Wachstum zu beseitigen ist; denn der technische Fortschritt kommt schneller voran, als das Wachstum vorankommen kann angesichts gewisser Sättigungserscheinungen auf dem Binnenmarkt und angesichts auch einer weltwirtschaftlichen Entwicklung. Wir werden nicht ohne Arbeitszeitverkürzung auskommen.Das hat nun kein Systemveränderer oder Sozialdemokrat gesagt, sondern Ihr Fraktionskollege Blüm. Ich will das gar nicht kritisieren. Nur, wenn Sie polemisieren, können Sie nicht gegen die Regierungserklärung von Herrn Kollegen Dr. Friderichs polemisieren, sondern müssen auch dieses Mal in der eigenen Fraktion etwas gründlicher debattieren.Eine letzte Bemerkung zu diesem Thema: Jugendarbeitslosigkeit ist sicherlich eine schlimme Sache. Aber wie steht es denn mit Ihrer Haltung zum Ausbildungsplatzförderungsgesetz? Wie steht es denn mit Ihrer Haltung zu einer etwaigen notwendig werdenden Anwendung — in diesem Jahre vielleicht nicht; ich kann das nicht beurteilen, ich bin auf diesem Gebiet nicht Fachmann — des Gesetzes? Sie können doch nicht immer ein Gesetz, das dieses Ziel hat, als Ausbildungsplatzverhinderungsgesetz bezeichnen, uns aber überhaupt nicht deutlich machen, was Sie wollen, es sei denn den Einsatz von Milliarden von Steuermitteln, um die Ausbildungsplätze zu subventionieren.
— Aber ich bitte Sie, das ist doch Ihre Alternative gewesen, im Bundesrat von Herrn Dr. Filbinger präsentiert. Wenn Sie sich nicht einmal zu ihr mehr bekennen, haben Sie ja überhaupt keine.
Ich möchte zu meinem letzten Punkt kommen — denn Ihre lange Philippika gegen die Inflation geht an den Realitäten vorbei; niemand in diesem Lande, der politisch Verantwortung trägt, denkt daran oder beabsichtigt, Probleme, die wir haben, über Inflation zu lösen —: Marktwirtschaft. In der Mannheimer Erklärung des Bundesvorstandes der CDU lese ich zu diesem Thema folgendes — Zitat —:Die Soziale Marktwirtschaft— und wesentliches Element der sozialen Marktwirtschaft ist ja der Wettbewerb, auch wenn das Herr Dr. Köhler vielleicht etwas anders sehen sollteist die notwendige Entsprechung einer demokratischen, sozialen und freiheitlichen Staatsordnung ... Die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft sind jedoch nicht auf den Bereich der gewerblichen Wirtschaft beschränkt.
Sie sind auch in Bereichen wie dem Gesundheits- und Bildungswesen, dem Umweltschutz oder der Energieversorgung anwendbar.Hier darf ich Ihnen als Sozialdemokrat sagen, daß uns in der Tat Meinungen trennen; denn ich bin nicht der Meinung, daß diese Grundsätze auch im Bereich des Gesundheits-, Bildungswesens, Umweltschutzes und der Energieversorgung gelten sollten.
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1292 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Bundesminister Dr. ApelGucken Sie sich doch einmal die Energieversorgung an. Wo gibt es denn da Wettbewerb? Wollen wir denn da Wettbewerb? Das würde doch unsere Kohle vernichten, denke ich. So muß man das wohl sehen.
Hier gibt es sicherlich Unterschiede in der Betrachtung.Ich halte Marktwirtschaft in der Tat für ein wesentliches Instrument der Erreichung unserer wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Ziele, aber nicht für ein Ziel. Wenn Sie sich zu diesem Zitat bekennen, Herr Kollege Dr. Kohl — das müssen Sie ja; denn das ist eine Erklärung Ihrer eigenen Partei —, dann müssen Sie sich darüber im klaren sein, daß Sie sich mit dieser Art von Definition der Marktwirtschaft, allumfassend Marktwirtschaft, sprich Wettbewerb, auch weittragend in die Zukunft hinein — Herr Kollege Professor Biedenkopf ist in seiner Rede ja so weit gegangen, das als ein dauerndes, historisch geltendes Prinzip zu erachten
— das sowieso; hier ist der Unterschied zwischen Sonntagsreden und Praxis natürlich sehr sichtbar —, sehr deutlich von dem absetzen, was die katholische Soziallehre zu diesem Thema sagt. Dies müssen Sie dann zur Kenntnis nehmen.
— Ich will Ihnen sehr gerne vorlesen, was maßgebliche Interpreten der katholischen Soziallehre zum Thema Marktwirtschaft sagen. Wenn Sie gestatten, Herr Präsident, möchte ich ein etwas längeres Zitat einführen:Das Modell einer sozialen Marktwirtschaft steht für den Versuch eines dritten Weges zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Nicht zuletzt die katholische Soziallehre hat zur theoretischen Fundierung dieses dritten Weges entscheidend beigetragen, eines Weges, den gerade christliche Politiker konsequent Schritt für Schritt gegangen sind.Nun kommt der entscheidende Satz — ich habe das Ganze vorgelesen, damit ich nicht unfair bin —:Heute stellt sich uns die Aufgabe, diesen Weg weiter zu entwickeln, auf der Grundlage der Freiheit und der sozialen Verantwortung weitere Schritte zu tun.So sagt Herr Dr. Kronenberg auf einer gesellschaftspolitischen Großveranstaltung der katholischen Männer des Bistums Essen.
— Aber bitte, dies ist unsere Auffassung von Marktwirtschaft, wir entwickeln diese Marktwirtschaft weiter. Wir waren es gemeinsam, die die Globalsteuerung in die Debatte eingeführt haben, die dieGlobalsteuerung unserer Wirtschaftsordnung möglich gemacht haben.
Es war diese Koalition, die die Marktwirschaft und unsere Verflechtung in der Marktwirtschaft in eine neue Dimension weltweiter Verantwortung hineingehoben hat, und die Regierungserklärung geht jetzt einen Schritt weiter, indem sie in der Ziffer 16 folgendes sagt: Für eine besser koordinierte Industriepolitik wird eine sektorale Strukturberichterstattung entwickelt. Sie soll die wichtigsten Industriesektoren umfassen und mit der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verzahnt sein. Sie soll außerdem die Voraussetzungen für die in eigener Verantwortung aufzustellenden Branchenprognosen in besonders sensiblen Bereichen schaffen. Sie sehen also, für uns ist Marktwirtschaft nicht Finalität, sondern ein Instrument, mit dem wir zielbewußt den Auftrag des Grundgesetzes, die soziale Demokratie zu verwirklichen, Schritt für Schritt wollen. Eben diesen Weg finden Sie auch in unserem Godesberger Grundsatzprogramm wieder, daß sich nämlich „der Staat der Verantwortung für den Wirtschaftsablauf nicht entziehen kann, daß er für eine vorausschauende Konjunkturpolitik verantwortlich ist und daß sich der Staat im wesentlichen auf Methoden der mittelbaren Beeinflussung der Wirtschaft beschränken soll. Freie Konsumwahl und freie Arbeitsplatzwahl sind entscheidende Grundlagen, freier Wettbewerb und freie Unternehmerinitiative sind wichtige Elemente sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik." Dann wird gesagt, „daß totalitäre Zwangswirtschaft die Freiheit zerstört". Es folgt der entscheidende Satz, den wir immer wieder für uns als Maxime unseres Handelns annehmen: „Wettbewerb so weit wie möglich, Planung so weit wie nötig." Wenn dies so ist, verstehe ich Ihre Polemik, Herr Dr. Strauß, überhaupt nicht mehr. Was soll denn dieses Schießen auf Pappscheiben? Über wen reden Sie denn hier? Reden Sie hier über die Politik der sozialliberalen Koalition, reden Sie über die Programmatik der Sozialdemokratie, oder worüber reden Sie? Ich sage Ihnen: Wenn Sie unsere Einstellung zur Marktwirtschaft erfahren wollen, können Sie dies überall erfahren und überall nachlesen. Es hat keinen Zweck, in dieser Art und Weise miteinander umzuspringen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Köhler?
Ja, bitte.
Herr Minister, würden Sie die Tatsache, daß sich der Anteil der Bediensteten im öffentlichen Dienst in den letzten zehn Jahren sehr stark erhöht hat
und daß sich in der gleichen Zeit die Zahl der Selbständigen in der Bundesrepublik um eben den gleichen Prozentsatz verringert hat, als eine „Pappscheibe" bezeichnen?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1293
Aber Herr Kollege Köhler, ich weiß gar nicht, mit wem Sie hier argumentieren.
— Lachen Sie doch nicht immer so frühzeitig! Die Personalvermehrung hat beim Bund nicht stattgefunden. Seit 1970 — das habe ich in meiner Haushaltsrede vorgetragen — gibt es leicht absinkende Zahlen im öffentlichen Dienst. Die eklatante Vermehrung der Zahl der öffentlichen Bediensteten findet bei allen Ländern und Gemeinden statt — unabhängig davon, wie sie politisch ausgerichtet sind. Ich füge hinzu, meine sehr verehrten Damen und Herren: Soll ich dies beklagen? Haben wir nicht ununterbrochen gesagt, und sagen Sie nicht auch heute — mit gutem Recht —: Wir wollen mehr Lehrer, mehr innere Sicherheit, bessere Krankenhausversorgung? Sollen wir denn nur diese Betonklötze — sprich: Definition öffentliche Investitionen — hinklatschen und anschließend das Personal verweigern? Ist das die Politik? — Im übrigen, Ihre Korrelation ist natürlich total hergesucht. Statistische Korrelationen dieser Art gibt es in der Volkswirtschaft immer. Dann können Sie auch plötzlich einen Zusammenhang zwischen der Produktion von Mauersteinen und der Zahl der Geburten herstellen.
Das hat doch nun keinen Wert.
— Bitte schön, natürlich.
Herr Minister, würden Sie mir recht geben, wenn ich feststelle, daß die stärkere Steigerung der Zahl der Bediensteten in den anderen Gebietskörperschaften zu einem großen Prozentsatz eine unmittelbare Folge der Gesetzgebung dieses Hauses ist?
Dies wird immer wieder behauptet, insbesondere von Herrn Kollegen Dr. Stoltenberg. Es ist aber natürlich eklatant falsch. Bei den Gebietskörperschaften ist, wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe — ich muß das mit Vorsicht sagen, weil ich das in der Haushaltsrede hatte, und das ist nun schon einige Wochen her —, fast jeder zweite öffentliche Bedienstete im Bildungsbereich tätig, d. h. ist Lehrer. Wenn Sie schon dies zur Kenntnis nehmen und wissen, wie gering — leider, füge ich hinzu — die Möglichkeiten des Bundesgesetzgebers sind, Bildungspolitik zu machen, dann sehen Sie, wo die zentrale Verantwortung liegt. Ich beklage das als Vater von schulpflichtigen Kindern nicht. Nur, diese Argumentation ist unzutreffend.
Oder nehmen wir den zweiten Bereich, die sozialen Dienste. Hier gibt es ein breites Spektrum politischen Wollens, die sozialen Dienste auszubauen. Dies reflektiert sich natürlich auch hier im Deutschen Bundestag. Aber Gesetze — bis auf das Krankenhausfinanzierungsgesetz und einige wenige andere — haben wir hier nicht gemacht. Es hat keinen Zweck, Schwarzen Peter zu spielen. Sie müssen das mit Ihren Landesministerpräsidenten debattieren und sich im übrigen, bevor Sie die Vermehrung des öffentlichen Dienstes kritisieren und beklagen, fragen, ob Sie wirklich alles dies weniger wollen: weniger Lehrer, weniger Krankenschwestern, weniger Altenpfleger, weniger Polizisten. Wir wollen das nicht. Das sage ich Ihnen gleich, damit wir die Fronten abgesteckt haben.
— Das wäre nett. Schönen Dank.
Darf ich aus der Länge Ihrer Antwort schließen, daß ich Sie doch in Verlegenheit gebracht habe?
Herr Kollege Dr. Köhler, da es Ihnen anscheinend Trost spendet, wenn ich nicht darauf antworte, will ich es auch nicht tun. Sie sind zufrieden, Sie freuen sich — ich mich auch.Lassen Sie mich zu einem letzten Punkt kommen. Wir haben gestern dieses Programm für Zukunftsinvestitionen verabschiedet. Das ist in der Tat eine einmalige Anstrengung. 16 Milliarden DM Investitionssumme, fast 14 Milliarden DM öffentliche Mittel, sind bisher noch nicht mobilisiert worden. Ich will dieses Programm nicht im einzelnen würdigen und darstellen. Nur eines scheint mir wichtig zu sein: Trotz der Schwierigkeiten des Föderalismus haben wir in dieses Programm deutliche Konturen und Strukturen hineinbekommen. Dies läßt im Gegensatz zu Graf Lambsdorff, obwohl auch ich zunehmend Zentralist werde — ich muß das zugeben; diese Aussage wird mir in Hamburg sicherlich nicht völlig honoriert werden;
ja, Herbert, das werde ich schon zu spüren kriegen —, hoffen, daß dies eine Bewährung unserer föderalen Struktur ist. Und wenn wir uns nun noch mit dem Lande Bayern
und mit dem Lande Baden-Württemberg — im Lande Baden-Württemberg ist das ja besonders merkwürdig; da streiten wir uns um eineinhalb Millionen Mark Bundesmittel jährlich — einig werden, dann denke ich eben doch, daß dies eine schwergewichtige Entscheidung ist, die im übrigen Sie, meine Damen und Herren, anschließend in Haushaltstitel umsetzen. Wir haben diese Haushaltsmittel gemeinsam beschlossen, um am Beginn der Legislaturperiode Konturen und Strukturen in öffentliche Ausgaben und Ausgabenzuwächse hineinzubringen. Ich bitte uns alle nur darum, daß angesichts dieser gewaltigen
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1294 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Bundesminister Dr. ApelAnstrengungen niemand anfängt, dies zu minimieren.Daß wir am Ende — dies sagen wir hier auch ganz offen — nur einen beachtlichen Anstoßeffekt erzielen, aber natürlich die Probleme des Arbeitsmarktes so nicht lösen können, liegt für mich auf der Hand. Ich möchte die Damen und Herren von der Opposition und alle Abgeordneten bitten, auch nicht zu vergessen, in welcher Wirtschaftsordnung wir eigentlich leben. Dies ist keine Wirtschaftsordnung, in der Vater Staat über Beschäftigung bestimmt, sondern das tun der Markt und die Unternehmer mit ihren Investitionen. Die Unternehmer tragen mit uns zusammen eine hohe Verantwortung dafür, daß es mit der Beschäftigung wieder nach oben geht. So gesehen wird aus diesem Programm auch ein Schuh, der paßt.
Entsprechend einer interfraktionellen Vereinbarung treten wir jetzt in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 8/206 —
Die in den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern fallende Frage 151 des Abgeordneten Dr. Becher wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Herr Staatsminister Wischnewski steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Aufgerufen ist die Frage 138 des Herrn Abgeordneten Dr. Zimmermann:
Kann die Bundesregierung die der CDU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag zugegangene Information bestätigen, wonach der Staatsminister im Bundeskanzleramt, Wischnewski, dem Generalsekretär der SED, Honecker, einen Besuch machte, und fand dieser Besuch bejahendenfalls vor oder nach dem 10. März 1977 statt, an dem Staatsminister Wischnewski im Fernsehen auf Frage erklärte, daß er Herrn Honecker noch nicht kennengelernt habe, aber nicht bestreiten wolle, daß er von seinen Aufgaben her einmal in die „DDR" zu gehen habe und dies für einen völlig normalen Vorgang halte, jedoch ein konkretes Projekt nicht vorliege?
Bitte, Herr Staatsminister.
Frau Präsidentin, ich bitte mir zu gestatten, die Fragen 138 und 139 zusammen zu beantworten.
Wenn der Fragesteller damit einverstanden ist. — Geht das, Herr Dr. Zimmermann?
Ja.
Vielen Dank. Dann rufe ich auch noch die Frage 139 des Herrn Abgeordneten Dr. Zimmermann auf:
Welchen Zweck hatte der in Frage stehende Besuch, und hat der Generalsekretär der SED dem Staatsminister im Bundeskanzleramt dabei mitgeteilt, daß, und bejahendenfalls aus welchen Gründen, die „DDR" Einreisebeschränkungen der inzwischen praktizierten Art verfügen werde oder warum sie solche Beschränkungen verfügt habe?
Bitte, Herr Staatsminister.
Wischnewski, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Zimmermann, Ihre Information trifft nicht zu. Ich habe den Generalsekretär der SED und Staatsratsvorsitzender der DDR, Herrn Honecker, bisher überhaupt nicht kennengelernt. Ihre weitere Frage ist deshalb gegenstandslos.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann.
Haben Sie, wenn Sie damit sagen wollen, daß Sie mit Herrn Honecker nicht gesprochen haben, auch mit keinem seiner Beauftragten in der einschlägigen Zeit gesprochen, Herr Staatsminister?
Wischnewski, Staatsminister: Doch, ich habe sicher mit einem seiner Beauftragten gesprochen, denn der Ständige Vertreter der DDR in der Bundesrepublik, Herr Dr. Kohl, ist ja sicher ein Beauftragter, und mit ihm werden selbstverständlich ständig die notwendigen Gespräche geführt. Dazu ist er ja hier, Herr Dr. Zimmermann.
Ich habe eine weitere Zusatzfrage.
Bitte schön, Herr Dr. Zimmermann.
Haben Sie außer mit Herrn Kohl mit einem unmittelbaren Beauftragten von Herrn Honecker in der fraglichen Zeit Gespräche geführt, Herr Staatsminister?
Wischnewski, Staatsminister: Nein, habe ich nicht.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kunz .
Herr Staatsminister, können Sie uns bitte sagen, ob Ihre letzte Zusammenkunft mit Herrn Dr. Kohl auf Ihre Initiative oder auf die von Herrn Dr. Kohl zustande gekommen ist?
Wischnewski, Staatsminister: Die letzte Zusammenkunft mit Herrn Dr. Kohl ist ganz unbestritten auf die Initiative von Herrn Dr. Kohl zustande gekommen.
Ich rufe Frage 140 des Herrn Abgeordneten Dr. Jaeger auf:Welche Wünsche der „DDR" hat der Generalsekretär der SED dem Staatsminister im Bundeskanzleramt bei dem in Frage ste-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1295
Vizepräsident Frau Rengerhenden Besuch hinsichtlich des Verhaltens der Bundesregierung auf der bevorstehenden KSZE-Nachfolgekonferenz in Belgrad unterbreitet, und hat hierzu insbesondere der Wunsch gehört, die Bundesregierung möge es unterlassen, auf der Konferenz einen Katalog über Menschenrechtsverletzungen in Deutschland vorzulegen?Bitte, Herr Staatsminister.Wischnewski, Staatsminister: Ich darf, wenn es gestattet ist, die Beantwortung beider Fragen zusammenfassen.
Dann rufe ich auch Frage 141 des Abgeordneten Dr. Jaeger auf:
Welche Gegenleistungen an die Bundesrepublik Deutschland hat der Generalsekretär der SED dem Staatsminister im Bundeskanzleramt für die Erfüllung dieser Wünsche gegebenenfalls angeboten, und hat hierzu insbesondere die in Aussihtstellung der ganzen oder teilweisen Rücknahme der jüngsten Verschärfungen in der Einreisepraxis gehört?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe den Generalsekretär der SED und Staatsratsvorsitzenden der DDR, Herrn Honecker, bisher überhaupt nicht kennengelernt. Ihre Fragen sind daher gegenstandslos.
Zusatzfrage bitte, Herr Dr. Jaeger.
Sie mögen insoweit gegenstandslos sein, aber hat Ihnen vielleicht der genannte Herr Dr. Kohl diese Wünsche vorgetragen?
Wischnewski, Staatsminister: Es ist selbstverständlich, daß in 'Gesprächen mit dem Ständigen Vertreter der DDR alle Fragen behandelt werden, die im Verhältnis zwischen den beiden Staaten zur Debatte stehen.
Weitere Zusatzfrage.
Da ich daraus zu entnehmen glaube, daß dieses Problem von Herrn Dr. Kohl angesprochen wurde, würde mich Ihre Antwort darauf interessieren.
Wischnewski, Staatsminister: Ich möchte jetzt bitten, mir zu sagen, welches Problem Sie ganz konkret meinen.
Daß die Bundesregierung, wie ich in meiner Frage dargelegt habe, darauf verzichten möge, einen Katalog über Menschenrechtsverletzungen in Deutschland vorzulegen.
Wischnewski, Staatsminister: Diese Frage ist von Herrn Dr. Kohl überhaupt nicht angesprochen worden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 142 des Abgeordneten Nordlohne auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 143 der Abgeordneten Frau Tübler auf. — Die Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Desgleichen ihre Frage 144. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 145 des Herrn Abgeordneten Schröder auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird ebenfalls schriftlich beantwortet, desgleichen seine Frage 146. Auch diese Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 147 des Herrn Abgeordneten Dr. Hoffacker auf:
Über welche Agenturen wurden die in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 1977 als verfassungswidrig festgestellten Publikationen der Bundesregierung vertrieben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär Bölling.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Hoffacker, Sie werden mir vielleicht zustimmen, daß das Bundesverfassungsgericht — mit Ausnahme von zwei Faltblättern, die kurz vor der Bundestagswahl herausgegeben worden sind — die Publikationen der Bundesregierung nicht an sich, sondern lediglich ihre Verwendung im Wahlkampf, insbesondere die Verteilung durch die Regierungsparteien beanstandet hat.
So scheint es mir nicht gerechtfertigt zu sein, Herr Abgeordneter, wenn man generalisierend von Publikationen spricht, die das Gericht als verfassungswidrig festgestellt habe. Von den im Urteil ausdrücklich aufgeführten Publikationen wurde nur eine durch eine Agentur vertrieben, nämlich das Faltblatt des Auswärtigen Amts mit dem Titel „Gemeinsam weltweite Partnerschaft", das als Beilage zu Tageszeitungen verbreitet worden ist. Mit der Herstellung und Streuung — wie das Fachwort heißt — dieses Faltblattes war die Agentur TPR, Time Public Relations, in Düsseldorf beauftragt.
Die übrigen genannten Publikationen wurden von den Agenturen lediglich gestaltet. Das waren beim Faltblatt des Bundespresse- und Informationsamtes „Leistung verdient Vertrauen" die ARE, beim „Arbeitsbericht 1976" des Bundespresse- und Informationsamtes ebenfalls die ARE und bei der Broschüre „Unsere soziale Sicherung" des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung die Agentur ACON in Köln.
Die nicht namentlich genannten 22 Broschüren, deren Verteilung durch die Regierungsparteien — wie Sie wissen — im Wahlkampf das Gericht beanstandet hat, sind ebenfalls nicht über Agenturen vertrieben worden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Friedmann.
Herr Staatssekretär Bölling, hält es die Bundesregierung mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ihr auch untersagt, daß sie Mitglieder einer Fraktion bevorzugt, für vereinbar, daß Mitglieder der Fraktionen der SPD und FDP über die gestrige Kabinettssitzung
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1296 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Dr. Friedmannbezüglich der Auswirkungen des Konjunkturprogramms auf ihren Wahlkreis bevorzugt unterrichtet wurden?
Entschuldigen Sie, Herr Kollege, das hat mit der hier gestellten Frage nichts zu tun. Sie müssen diese Frage dann schon extra einbringen.
— Nein, Herr Kollege, das hat mit der hier gestellten Frage nichts zu tun. Sie dürfen nur eine Anschlußfrage stellen. Es steht Ihnen aber frei, diese Frage bei der nächsten Gelegenheit förmlich zu wiederholen.
Herr Dr. Sperling, Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnte man die leidige Agenturenfrage unter Umständen nicht dadurch überwinden, daß sich die Oppositionsparteien als bevorzugte Ansprecher bestimmter Zielgruppen in den Dienst der Informationspflicht der Regierung stellten und es möglich machten, daß die Bundesregierung bestimmte Publikationen zur Information der Bevölkerung mit Hilfe der Oppositionsparteien vertreiben könnte?
Bölling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Sperling, das wäre eine vorzügliche Sache. Es hat ganz offenkundig in der Vergangenheit Hemmungen gegeben, wenn auch nicht — wie ich mich erinnere und wie ich beweisen kann — bei einigen Gruppen der Jungen Union, die sich einiger der Veröffentlichungen des Bundespresse- und Informationsamtes zu meiner großen Freude — ich gebe das offen zu — auch in Vorwahlzeiten bedient haben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Möller.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, dem Herrn Kollegen mitzuteilen, daß gerade das Urteil des Bundesverfassungsgerichts diese Möglichkeit für für die Oppositionsparteien unzumutbar erklärt hat.
Bölling, Staatssekretär: Es ist richtig, daß die Verteilung von Regierungspublikationen nach dem Karlsruher Urteil in der Weise, wie sie noch von Länderregierungen geübt worden ist, für die Zukunft unmöglich gemacht wird. Es wird für alle Parteien wichtig sein, darüber nachzudenken, wie, ohne daß die Kosten wesentlich steigen, die für die Wähler aller Parteien wichtigen Informationen künftig verteilt werden können.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Müller.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, könnten Sie meine Erfahrung bestätigen, daß bestimmte Broschüren, die ich angefordert habe, mir nicht mehr zur Verfügung gestellt werden konnten, weil sie offensichtlich tonnenweise bereits in andere Richtungen transportiert worden waren?
Bölling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Dr. Müller, ich glaube nicht, daß Sie Ihre Bemerkung „tonnenweise" zu beweisen in der Lage wären. Aber es ist richtig, daß von einer Reihe von Publikationen des Bundespresseamtes, u. a. „Tips für Arbeitnehmer" , „Tips für Frauen" , die Jugendbroschüre, von vielen Organisationen und keineswegs — darauf möchte ich Sie hinweisen — nur von den Regierungsparteien große Stückzahlen bestellt worden sind und daß wir auch denen, die der Regierung nahestehen, die Wünsche, die Sie an uns hatten, bezüglich des Umfangs nicht immer erfüllen konnten. Aber ich bedaure im nachhinein, daß Sie damals nicht beliefert werden konnten, freue mich jedoch darüber, daß Sie überhaupt die Absicht hatten, von unseren Publikationen zu profitieren.
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatssekretär, nachdem Sie den Vorschlag des Kollegen Sperling so freundlich aufgenommen haben, auch die Opposition besser zu beteiligen, möchte ich Sie fragen, ob Sie eventuell dann bereit wären, die Opposition auch schon bei der Redigierung dieser Schriften zu beteiligen.
Bölling, Staatssekretär: Das wäre, Herr Abgeordneter Jäger, eine unzulässige Vermischung von Exekutive und Legislative. Da Sie Montesquieu sicherlich gut gelesen haben, würden Sie mir wohl auch im. Ernst nicht dazu raten.
Ich rufe die Frage 148 des Herrn Abgeordneten Dr. Hoffacker auf:In welchem Umfang sind die im Bundeshaushalt 1977 für Öffentlichkeitsarbeit vorgesehenen Beträge durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 1977 ungerechtfertigt geworden, und wird die Bundesregierung im Zuge der Haushaltsberatungen die entsprechenden Kürzungen beantragen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Bölling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Dr. Hoffacker, Ihre Frage gibt mir Gelegenheit, noch einmal klarzustellen, daß das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung ebenso wie früheren Bundesregierungen und Länderregierungen zwar vorgeworfen hat, in Wahlzeiten Partei ergriffen zu haben, aber die Offentlichkeitsarbeit der Bundesregierung nicht nur für verfassungsrechtlich zulässig, sondern sogar für notwendig erklärt hat. Sie werden auch bemerkt haben, Herr Abgeordneter, daß das Bundesverfassungsgericht auf Seite 51 des Urteils ausführt, daß —, ich zitiere — „der Anteil der
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1297
Staatssekretär Ballingvon Inhalt und Aufmachung her verfassungsrechtlich zu beanstandenden Druckwerke relativ klein ist".Das Presse- und Informationsamt wird auch 1977 und in der Zukunft fortsetzen, was es seit Jahren zum Schwerpunkt der Öffentlichkeitsarbeit gemacht hat und was als notwendige Öffentlichkeitsarbeit durch das Verfassungsgericht jetzt bestätigt wurde, nämlich erstens die Erläuterung von Maßnahmen, Vorhaben und künftig zu lösenden Fragen, um die Bürger an der politischen Willensbildung teilnehmen zu lassen, zweitens, Verständnis auch für unpopuläre Maßnahmen der Bundesregierung zu wekken, und drittens die Aufklärung der Bürger über gesetzgeberische Maßnahmen, ihre Rechte und Pflichten in unserem Staat, damit die Bürger die ihnen in manchen Gesetzen eröffneten Möglichkeiten erkennen und gegebenenfalls auch nutzen können.Die Einschränkung, die das Bundesverfassungsgericht für den Vertrieb von Publikationen durch politische Parteien vor Wahlzeiten festgesetzt hat, begründen — das durfte ich in der vergangenen Woche schon ausführen, Herr Abgeordneter — keine Kürzung der Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit in der Zukunft.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hoffacker.
Herr Staatssekretär, Sie sind also nicht in der Lage, eventuell anfallende Kürzungen in DM-Beträgen zu benennen?
Bolling, Staatssekretär: Nein, ich habe neulich, Herr Abgeordneter, schon ausführen können — in dieser Ansicht stimme ich mindestens mit einem von mir als Kollegen geschätzten Landespressechef einer von der CDU geführten Landesregierung überein —, daß in den nächsten Jahren eine Fülle von Problemen von der Bundesregierung und auch von den Landesregierungen zu meistern sein wird, die man um so besser wird meistern können, je mehr man den Rückhalt der Bürger bei der Lösung hat. Aber den wird man nur bekommen, wenn man gründlich und umfassend informiert, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, es bleibt doch aber hoffentlich richtig, daß die Bundesregierung nicht daran denkt, nun besondere Vertriebswege zu gründen, weil bestimmte Vertriebswege schwieriger geworden sind, so daß Sie nachher dastehen und sagen, Sie wollten noch mehr Geld für Öffentlichkeitsarbeit haben?
Bolling, Staatssekretär: Nein, mit Gewißheit nicht, Herr Abgeordneter, wenngleich die Frage des Vertriebs der Publikationen ein schwieriges Problem ist, über das wir mit den Landespressechefs aller Regierungen der Länder sehr genau werden reden müssen, eben um zu vermeiden, daß man beispielsweise private Firmen damit beauftragt. Der englische Weg scheint mir auch nicht überzeugend zu sein. In Großbritannien gibt es, wie Sie wahrscheinlich wissen, Regierungsläden, in denen der Bürger sich ihn interessierende Publikationen gegen ein symbolisches Entgelt holen kann. Diese Art von Informationspolitik scheint mir aber viel zu passiv zu sein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, da Sie gerade gesagt haben, Sie wollten den Bürger umfassend informieren: Wird in den künftigen Publikationen auch für die Stellungnahme der Opposition zu den einzelnen Gesetzen, über die Sie den Bürger informieren wollen, Platz sein?
Bölling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Dr. Hupka, dies ist kein ganz neues Thema. Hier wird unmittelbar die Gefahr einer Vermischung von Legislative und Exekutive berührt. Als wir vor Jahr und Tag einmal eine Broschüre herausgegeben haben, in der sich ein Artikel fand, der nach Meinung eines Ihrer Kollegen einseitig war, habe ich ihn eingeladen, uns eine ausführliche Gegendarstellung zu schicken. Offenbar war er durch seine Arbeit so belastet, daß er von dieser Einladung keinen Gebrauch machen konnte.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz .
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir zustimmen, daß es mit dem Grundsatz der Gewaltentrennung überhaupt nichts zu tun hat, wenn in Ihren Verlautbarungen auch angemessen die Meinung der Opposition — von Ihnen selbst redigiert — dargestellt wird?
Bölling, Staatssekretär: Nein. Es war seit Anbeginn dieses Staates, Herr Abgeordneter Dr. Kunz, immer Übung, daß das Bundespresseamt die Arbeit der Regierung darstellt. Eine Vermischung von Oppositions- und Regierungsverlautbarungen in den von uns zu verantwortenden Schriften hat es niemals gegeben, auch nicht zu der Zeit, Herr Abgeordneter, als Konrad Adenauer, Kurt-Georg Kiesinger und Ludwig Erhard Bundeskanzler waren.
Herr Kollege, ich hatte schon die letzte Zusatzfrage angekündigt. Ich will diese Zusatzfrage aber noch zulassen. Sonst denken Sie, ich will sie gerade Ihnen nicht gestatten, zumal ich vorhin schon eine Frage zurückgewiesen habe. Bitte, Herr Dr. Friedmann.
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1298 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Herr Staatssekretär, nachdem Sie offensichtlich nicht bereit sind, auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts Kürzungsvorschläge zu unterbreiten, möchte ich Sie fragen, ob Sie dann wenigstens Verständnis dafür haben, daß die Opposition ihrerseits Kürzungen vorschlagen wird.
Bölling, Staatssekretär: Ich habe dafür — bitte mißverstehen Sie diese Bemerkung nicht — deshalb wenig Verständnis, weil es ja auch Ihr Interesse sein müßte, eine aktive Informationspolitik, durch die Bundesregierung ausgeführt, verwirklicht zu sehen, die das allgemeine politische Informationsniveau in unserem Lande hebt. Natürlich wird jeder, der mit Öfentlichkeitsarbeit beschäftigt ist, über das Karlsruher Urteil kritisch nachzudenken haben. Das tun wir. Da können Sie ganz sicher sein. Ich hoffe, daß auch die Herren Pressechefs aller Länder in diesem Staat kritisch darüber nachdenken. Im Sinne dessen, was ich als unsere künftige Aufgabe hier kurz skizziert habe, können wir uns aber nicht im Sinne Ihrer Fragestellung nunmehr sozusagen selbst demontieren.
Danke schön, Herr Staatssekretär. Dieser Geschäftsbereich ist damit beendet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Herr Staatsminister Dr. von Dohnanyi steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Ich rufe die Frage 152 des Herrn Abgeordneten Dr. Becher auf:
Ist die Bundesregierung bereit, gemeinsam mit ihren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft Vorkehrungen zu treffen, die es ermöglichen, daß auch Volksgruppen bzw. ethnische Minderheiten im künftigen Europäischen Parlament vertreten sind?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, der Ratsbeschluß vom 20. September 1976, auf Grund dessen die erste Direktwahl zum Europäischen Parlament im nächsten Jahr stattfinden wird, überläßt es den Mitgliedstaaten, wie sie ihr Wahlgesetz im einzelnen gestalten wollen, bis dann gemäß den Vorschriften der Römischen Verträge ein einheitliches Wahlverfahren für die ganze Gemeinschaft eingeführt sein wird. Im gegenwärtigen Zeitpunkt betrifft Ihre Frage also ein Anliegen, das in die Kompetenz der einzelnen Mitgliedstaaten fällt — und diese betrachten die Frage aus verständlichen Gründen unterschiedlich.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becher.
Herr Staatsminister, vermag die Bundesregierung in ihre Erwägungen nicht gleichwohl den Gedanken einzubeziehen, daß die vielzitierte Explosion der 'Minderheiten, die heute eine Hauptursache großer Spannungen in vielen Krisenherden der Welt ist, in der Europäischen Gemeinschaft durch rechtzeitige Integration dieser Minderheiten in deren exekutive und legislative Einrichtungen verhindert werden sollte?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung ist sicherlich daran interessiert, daß diese Integration stattfindet. Auf welchem Wege und mit welchem Wahlverfahren dies geschieht, muß aber sorgfältig beraten werden.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wäre die Bundesregierung nicht bereit, zumindest auf dem Wege dieses Verfahrens in etwa die Sicherung der politischen Rechte ethnischer Minderheiten für die Wahl in das Europäische Parlament durch Schaffung von Sondermandaten oder durch die Aufhebung von Sperrklauseln in Erwägung zu ziehen, wie wir es etwa in Schleswig-Holstein gegenüber der dänischen Minderheit in der Bundesrepublik Deutschland praktizieren?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich glaube, ich habe klarzumachen versucht, daß dies ja kein vorrangiges Problem der Bundesrepublik ist. In den anderen Mitgliedstaaten gibt es zu dieser Frage ernsthafte Überlegungen, aber auch ernsthafte Bedenken, und wir werden diese Diskussion abwarten müssen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Friedrich.
Herr Staatsminister, ist es richtig, daß der Vorschlag des Europäischen Parlaments dies nicht vorsieht und daß die Unionsabgeordneten aus diesem Hause im Europäischen Parlament einen entsprechenden Vorstoß nicht unternommen haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Dies kann ich bestätigen, Herr Kollege.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voigt .
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Auffassung, daß das Problem der ethnischen Minderheiten vor allen Dingen in der Bundesrepublik Deutschland das Problem der ausländischen Arbeiter und ihrer Integration und Beteiligung bei entsprechenden Wahlen ist, weil es neben der dänischen Minderheit bei uns keine anderen nationalen Minderheiten gibt, und daß wir uns in diesem Zusammenhang deshalb die gesetzlichen Erwägungen der Republik Irland ansehen sollten, die ein Wahlrecht aller EG-Bürger bei den europäischen Direktwahlen vorsehen?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, im Verlaufe des Verfahrens wird diese Frage sicher eine große Rolle spielen. Die Einbeziehung von Gastarbeitern in das Wahlverfahren ist auch bei uns diskutiert worden. Aber ich möchte noch einmal unterstreichen, daß die Fragestellung, wie sie hier vom Kollegen Becher vorgetragen wurde, insbeson-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1299
Staatsminister Dr. von Dohnanyidere bezogen auf die ethnischen Minderheiten, eben von den verschiedenen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich gesehen wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hennig.
Herr Staatsminister, nachdem in der Bundesregierung offensichtlich konkret darüber nachgedacht wird, nicht nur Parteien, sondern auch andere Gruppen an dieser Europawahl zu beteiligen, wie es Herr von Schoeler im Bulletin Nr. 24 in der letzten Woche mitgeteilt hat, möchte ich Sie fragen, an welche Gruppen denn dabei im einzelnen gedacht ist.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Dies ist ja zunächst eine Frage, die sich an die Zusammenführung europäischer Parteien richtet. Und dies ist auch die Frage, die Herr von Schoeler im Bulletin angeschnitten hat.
: Gruppen!)
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 153 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
In welcher Weise konnten auf Grund der in den Ostverträgen erklärten Übereinstimmung zur Erweiterung der Zusammenarbeit im Bereich der kulturellen Beziehungen die kulturellen Beziehungen erweitert werden, wenn gleichzeitig festgestellt werden muß, daß „in Osteuropa nicht ein einziges Goethe-Institut existiert' ?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Unsere kulturellen Beziehungen mit dem Ausland werden nicht nur von den Zweigstellen des Goethe-Instituts gestaltet; neben den Zweigstellen des Goethe-Instituts wirkt die Zentrale des Goethe-Instituts auch direkt am Kulturaustausch mit.
Daneben gibt es zahlreiche andere wichtige Institutionen, die am Kulturaustausch beteiligt sind. Ich möchte in diesem Zusammenhang u. a. an die Deutsche Forschungsgemeinschaft, an den Deutschen Akademischen Austauschdienst und die Alexandervon-Humboldt-Stiftung erinnern.
Der Wissenschaftsaustausch konnte durch die bereits genannten Institutionen erweitert werden, ohne daß es dazu der Zweigstellen des Goethe-Instituts bedurft hätte. Musik- und Theatergastspiele, die von der Zentrale des Goethe-Instituts, vom Musikrat oder vom Auswärtigen Amt direkt gefördert werden, können ebenso wie Ausstellungen mit Hilfe unserer Botschaften in Osteuropa angeboten werden.
Eine Erweiterung der Zusammenarbeit im Bereich der kulturellen Beziehungen ist also auch ohne Zweigstellen des Goethe-Instituts in einem gewissen Umfang möglich gewesen. Sicherlich würden aber Zweigstellen des Goethe-Instituts in Osteuropa — wie umgekehrt auch Kulturinstitute dieser Staaten bei uns — den Kulturaustausch erleichtern.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, worauf führen Sie es dann zurück, daß Ihre Kollegin Frau Staatsminister Hamm-Brücher ausdrücklich erwähnt hat, daß es bisher nicht möglich war, in Osteuropa — mit Ausnahme von Jugoslawien und abgesehen von der Tatsache, daß Verhandlungen bezüglich Rumäniens im Gange sind — auch nur ein einziges Goethe-Institut zu errichten? Es muß doch einen besonderen Sinn haben, dadurch die Bedeutung der Goethe-Institute herauszustellen.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Wir würden es natürlich begrüßen, wenn Goethe-Institute gegründet werden könnten. Ich habe nur unterstrichen, daß auch ohne Zweigstellen bereits die Möglichkeit des Kulturaustauschs auch unter Einbeziehung der Zentralstelle besteht.
Die zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, welches sind denn nun die Gründe, die es bis heute unmöglich gemacht haben, nach den Ostverträgen Goethe-Institute in den Zentralen Osteuropas — in Moskau, in Warschau, in Prag — zu errichten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ständige Institute dieser Art haben natürlich auch eine gewisse Ausstrahlung. Wir wissen, daß dort noch Bedenken in dieser Beziehung bestehen; das Vertrauen muß schrittweise geschaffen und ausgebaut werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatsminister, werden in den Durchführungsvereinbarungen zum deutsch-polnischen Kulturabkommen in diesem Sinn die Aktivitäten ohne jede Diskriminierung nach beiden Seiten gewährleistet sein?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Dies ist das Ziel, Herr Kollege Czaja. Ich unterstreiche noch einmal, daß wir es begrüßen würden, wenn es gelänge, solche Institute beiderseitig zu verankern.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 154 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:Worauf führt es die Bundesregierung zurück, daß auf dem Gebiet der kulturellen Betätigung nach wie vor „den deutschen Aktivitäten in Osteuropa enge Grenzen gesetzt werden" ?Bitte, Herr Staatsminister.Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Unsere kulturellen Aktivitäten in Osteuropa unterliegen dort, wie Sie wissen, der staatlichen Kontrolle. Diese Abhängigkeit wirkt sich naturgemäß auch restriktiv auf unser Angebot aus. Die Gründe dafür sind bekannt. Die kommunistischen Länder Osteuropas
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1300 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Staatsminister Dr. von Dohnanyischirmen gewisse von ihnen als ideologisch sensitiv empfundene Bereiche auf diese Weise ab. Das führt z. B. zur Ablehnung von manchen einzelnen Vorhaben. Administrative Behinderungen verursachen aber ebenfalls Unzuträglichkeiten, die gelegentlich das Interesse an einem Austausch auf deutscher Seite mindern. Auch die Weigerung der Staaten, Künstlerhonorare in Devisen zu bezahlen, verringern gelegentlich den Anreiz. Nachteilig wirken sich auch im Wissenschaftssektor die nach unseren Maßstäben oft schwierigen Lebens- und Studienbedingungen in diesen Ländern aus.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, aus dem von mir herangezogenen Text einer Rede Ihrer Kollegin Frau Hamm-Brücher geht doch hervor, daß die Bundesregierung offenbar ganz bestimmte Hoffnungen mit dem Text der Ostverträge verknüpft hatte und sich nun in den Hoffnungen getäuscht sieht. Das muß doch seine Gründe haben.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, wenn Sie den Kulturaustausch verfolgen, werden Sie zugestehen, daß dieser zugenommen hat. Selbstverständlich würden wir gern noch mehr in dieser Richtung tun. Aber ich unterstreiche noch einmal: Das Vertrauen muß schrittweise geschaffen werden. Niemand konnte je erwarten, daß nach einer so langen Vereisung die Dinge über Nacht in Ordnung kommen.
Die zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Sie sagen, daß das nach einer so langen Vereisung nicht schnell in Ordnung kommen kann. Wie erklären Sie sich dann den Satz von Frau Hamm-Brücher: „Die Bundesregierung wird die bevorstehende KSZE-Folgekonferenz in Belgrad zum Anlaß nehmen, die genannten Probleme zur Sprache zu bringen. Man ist auch bilateral um deren Lösung bemüht." — Dann ist das doch „Zukunftsmusik".
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die vor uns liegende Konferenz in Belgrad liegt in der Zukunft, Herr Kollege Hupka; das ist richtig. Selbstverständlich werden wir auf dieser Konferenz die Probleme ansprechen, von denen wir meinen, daß sie zur weiteren Annäherung in Europa beitragen können. Dazu gehört natürlich der Kulturaustausch.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Werden Sie, Herr Staatsminister, im Sinn von Korb III, Ziffer 4, Buchstabe e der Schlußakte von Helsinki dabei auch die Einbeziehung der Deutschen in den Oder-Neiße-Gebieten in diesen Kulturaustausch ansprechen, da in dieser Vorschrift der KSZE ausdrücklich von der Einbeziehung der Regionalkulturen und nationalen Minderheiten in diesen Austausch die Rede ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Czaja, zunächst möchte ich unterstreichen, daß die Bundesregierung es begrüßt, daß auch Sie sich jetzt auf die Schlußakte von Helsinki beziehen und darauf Ihre Politik gründen wollen.
Zum zweiten habe ich Herrn Hupka eben schon gesagt, daß nach einer langen Zeit der Vereisung bis zum Beginn einer Entspannungspolitik in Europa natürlich auch Zustände entstanden sind, die nicht über Nacht verändert werden können.
Der Punkt, den Sie besonders angesprochen haben, ist natürlich in diesem Zusammenhang gesondert zu betrachten. Wir werden den Versuch machen, die Begegnung so breit wie möglich anzulegen.
Die letzte Zusatzfrage stellt der Herr Abgeordnete Dr. Becher.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung im Zusammenhang mit den hier zitierten kulturellen Betätigungen in den Hauptstädten der Ostblockstaaten z. B. die Veranstaltung deutscher Buchausstellungen in Prag, Warschau und anderen Städten vor, um dort die Repräsentation des deutschen Buchs nicht nur Ost-Berliner Stellen zu überlassen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich habe vor einiger Zeit von dieser Stelle aus über eine Buchausstellung in Moskau berichtet. Selbstverständlich sind wir an solchen Buchausstellungen interessiert.
Ich rufe die Frage 155 des Herrn Abgeordneten Dr. Müller auf:Sind der Bundesregierung die Gründe für die Tatsache bekannt, daß der Verteidigungsausschuß der WEU nicht nur seinen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten verkürzt, sondern auch den Besuch der Basis der Luftwaffe in Arizona vom Programm gestrigen hat, und wellte Folgerungen zieht sie daraus?Bitte, Herr Staatsminister.Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Der Bundesregierung sind Pressemeldungen bekannt, wonach der Grund für eine Programmverkürzung beim Besuch des Verteidigungsausschusses der WEU-Versammlung in den USA im März dieses Jahres darin zu sehen ist, daß dem Ausschuß zwei kommunistische Abgeordnete aus Italien angehören. Die Durchführung derartiger Informationsbesuche liegt bei den Regierungsstellen des Gastlandes, in diesem Fall lag sie also in den Händen der amerikanischen Regierungsstellen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1301
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Müller.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, wie würde die Bundseregierung handeln, wenn dieser Ausschuß, was in der Vergangenheit ja schon öfter der Fall war, einen Besuch in der Bundesrepublik macht?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung würde diesen Fall betrachten, wenn sich ihr diese Frage stellt.
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 156 des Abgeordneten Dr. Müller auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die weitere Arbeit in der WEU, nachdem in wichtigen Ausschüssen der WEU neuerdings Mitglieder marxistisch-leninistischer Parteien vertreten sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die im Dezember 1976 erfolgte Bildung einer kommunistischen Fraktion in der WEU-Versammlung, die aus sechs Abgeordneten der KPI und zwei Abgeordneten der KPF sowie aus deren Stellvertretern besteht, spiegelt das innenpolitische Kräfteverhältnis in den beiden WEU-Mitgliedsländern Italien und Frankreich wider.
Die Bundesregierung sieht auch in Zukunft in der Arbeit der WEU-Versammlung einen wichtigen Beitrag zur europäischen Arbeit. Dies wurde zuletzt von Staatsminister Wischnewski in seiner Rede vor der Versammlung in Paris am 2. Dezember 1976 deutlich zum Ausdruck gebracht.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Müller.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, betrachtet es die Bundesregierung als hilfreich, daß zwei der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands angehörenden Ausschußvorsitzende der WEU in ihren Ausschüssen als erste jeweils einen französischen und einen italienischen Kommunisten, z. B. das Mitglied des Zentralkomitees Sergio Segre, zu Berichterstattern für Fragen der KSZE ernannt haben?
Herr Abgeordneter, diese Frage ist so nicht möglich. In diesem Hause ist es nicht möglich, die Bundesregierung nach der Haltung anderer Abgeordneter zu fragen. Die Bundesregierung kann nicht auf eine Frage antworten, die eine Handlung eines Mitgliedes des Hauses betrifft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf die Frage dann anders formulieren: Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß zwei kommunistische Abgeordnete aus Italien und Frankreich zu Berichterstattern über Fragen der KSZE im Wissenschafts- und im Politischen Ausschuß der WEU ernannt worden sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung muß diese Entscheidung denjenigen Gremien überlassen, die für sie zuständig waren.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Müller.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist die Bundesregierung bereit, diese Frage mit den betreffenden Gremien, nämlich den sie tragenden Fraktionen, zu erörtern?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Müller, die Bundesregierung wird sich nicht in Entscheidungen einmischen, die von den zuständigen Gremien im Rahmen der WEU getroffen wurden. Ich will, weil das hier ja wohl auch von Bedeutung ist, unterstreichen, daß die Entscheidung der Fraktionsbildung, die von Ihnen kritisiert wurde, u. a. auch von den Christdemokraten Italiens getragen wurde.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß unsere Opositionspartei eine intensive Freundschaft mit solchen konservativen Parteien Europas unterhält, die nichts dagegen tun, daß auch Kommunisten in diesen europäischen Gremien vertreten sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Sperling, ich will mich auf das beziehen, was ich zuvor gesagt habe: Es steht der Bundesregierung nicht an, ein Urteil über Entscheidungen zu fällen, die Abgeordnete oder Gremien dieses Hauses treffen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Voigt .
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der eben zitierte Herr Segre kurz vor der WEU-Versammlung den von der Opposition so häufig zitierten Korb III als für die künftigen KSZE-Beratungen besonders wichtig erwähnt hat und daß derselbe Herr Segre die Frage der NATO auch mit dem Schutz Westeuropas vor sowjetischem Druck positiv begründet hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Voigt, ich hatte den Eindruck, daß es bei der Fragestellung nicht um die Sache, sondern um die Zuordnung bestimmter Personen und bestimmter Parteien ging. Insofern glaube ich nicht, daß wir das hier noch einmal unterstreichen müssen.
Herr Abgeordneter Sieglerschmidt zu einer letzten Zusatzfrage.
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1302 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß der hier schon mehrfach zitierte Abgeordnete Sergio Segre im Politischen Ausschuß der Parlamentarischen Versammlung der WEU einstimmig zum Berichterstatter nominiert wurde, d. h. auch mit den Stimmen der anwesenden Vertreter der Opposition?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Sieglerschmidt, ich bin Ihnen für den Hinweis dankbar. Mir war das im Augenblick nicht bekannt. Aber, der Hinweis ist natürlich wichtig.
Ich rufe die Frage 157 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Kann die Bundesregierung ausschließen, daß die im Zusammenhang mit der Frage des Standorts Berlin für die geplante Deutsche Nationalstiftung vom Bundeskanzler gemachte Äußerung, es sei '„wenig hilfreich, jetzt weitere Streitfälle in die Welt zu setzen, die DDR-Regierung zu der Auffassung verleitet hat, die Bundesregierung werde Angriffen auf den Status Berlins, wie sie insbesondere durch die Einführung Ost-Berlins in die Straßenbenutzungsgebühren der DDR vorgetragen wurden, keinen ernsthaften Widerstand entgegensetzen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ihre Frage, Herr Kollege Jäger, ist zu verneinen. Die Haltung der Bundesregierung zum Status von Berlin ist immer eindeutig gewesen. So hat der Sprecher der Bundesregierung am 6. Januar 1977 die Haltung der Drei Mächte begrüßt, die klar gemacht hat, daß der Viermächtestatus für ganz Berlin, also für Ost-Berlin, gilt und daß jeder Versuch, daran einseitig etwas zu ändern, sowohl eine Verletzung der Rechte und der Verantwortlichkeit der Alliierten als auch des Viermächteabkommens vom 3. September 1971 darstellen würde.
Der Herr Bundeskanzler hat auch in der Debatte dieses Hauses über die Regierungserklärung am 19. Januar erklärt, es sei die gemeinsame Rechtsauffassung der Drei Mächte und der Bundesregierung, daß der Viermächtestatus auch für Berlin gelte. Über die Haltung der Bundesregierung kann es daher keinen Zweifel geben. Sie hat sich nie geändert.
Vizepräsident • Frau Renger: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatsminister, können Sie es ausschließen, daß der falsche Eindruck, den die damalige Äußerung des Bundeskanzlers gemacht hat, dazu beigetragen hat, die Regierung in Ost-Berlin zu ihrem Vorgehen zu ermutigen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Jäger, angesichts dessen, was ich Ihnen hier soeben zitiert habe, kann ich das ausschließen.
Eine Zusatzfrage, Herr Jäger.
Können Sie des weiteren ausschließen, Herr Staatsminister, daß das praktische Verhalten der Bundesregierung in der
Frage des Sitzes der Nationalstiftung, einer Bundesregierung, die sich bis heute nicht zu einer eindeutigen Entscheidung durchringen konnte, eben diesen Eindruck bei der Regeierung in Ost-Berlin hervorgerufen und sie zu diesen Schriten ermutigt hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich kann dies angesichts der klaren Äußerungen, die ich zitiert habe, ebenfalls ausschließen, Herr Kollege Jäger.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz .
Herr Staatsminister, können Sie es auch ausschließen, daß die Äußerung des Bundeskanzlers, keine unnötigen Streitfälle in die Welt zu setzen, in Verbindung mit der schwächlichen Reaktion der Bundesregierung auf die Ausweisung einzelner unserer in Ost-Berlin akkreditierten Journalisten von der DDR als Ermunterung empfunden wurde, Repressalien in und um Berlin auszuüben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Auch das kann ich ausschließen. Im übrigen muß ich den Ausdruck „schwächliche Reaktion" zurückweisen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hennig.
Herr Staatsminister, meinen Sie, daß eine Frage nach dem Standort der Deutschen Nationalstiftung bzw. nach der Straßenbenutzungsgebühr in Ost-Berlin in den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes gehört?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, darüber mag man in der Tat unterschiedlicher Auffassung sein. Aber die Bundesregierung war der Meinung, daß diese Frage, so wie sie gestellt war, hier vom Auswärtigen Amt beantwortet werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, wie erklären Sie die unterschiedliche Auffassung des Bundeskanzlers auf der einen Seite und des Berliner Abgeordnetenhauses auf der anderen Seite bezüglich des Standorts der Deutschen Nationalstiftung in Berlin?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Es gibt, wie Sie wissen, zu der Standortfrage, die ja noch nicht endgültig entschieden ist, in einzelnen Bundesländern, so auch in Berlin, in der Tat unterschiedliche Auffassungen. Diese sind uns bekannt. Erst wenn diese Beratungen abgeschlossen sein werden, wird der Standort endgültig festgelegt werden können. Die Beratungen mit den Bundesländern finden noch statt.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1303
Ich rufe die Frage 158 des Herrn Abgeordneten Kunz auf:
Wird der Bundeskanzler bei seinem nächsten Zusammentreffen mit den Regierungschefs der USA, Frankreichs und Großbritanniens diese besonders auf die jüngsten Schikanen der DDR-Regierung in Berlin, insbesondere die Einbeziehung Ost-Berlins in die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren als Versuche, den Status von Berlin rechtswidrig zu verändern, hinweisen, und wird sich der Bundeskanzler für eine gemeinsame Politik der drei westlichen Schutzmächte und der Bundesrepublik Deutschland einsetzen, die diesen Versuchen wirksam begegnet?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Es versteht sich von selbst, daß Berlin betreffende Fragen ein wichtiger Gegenstand des Meinungsaustausches sein werden, den der Bundeskanzler bei seinem nächsten Zusammentreffen mit den Regierungschefs der USA, Frankreichs und Großbritanniens haben wird.
Im übrigen weise ich auch darauf hin, daß zwischen den Drei Mächten und der Bundesregierung laufend ein enger Kontakt zur Abstimmung der Berlin-Politik besteht. Auch über die jüngsten Maßnahmen der DDR haben mit den Drei Mächten Konsultationen stattgefunden. Bekanntlich haben die Drei Mächte zu den Maßnahmen nicht nur in der Erklärung vom 6. Januar 1977 Stellung genommen, sondern auch gegenüber der Sowjetunion am 11. Januar 1977 in Moskau protestiert.
Die Bundesregierung wird auch in Zukunft an einer engen Abstimmung der Berlin-Politik festhalten und die Fragen mit den Drei Mächten bei jeder sich bietenden Gelegenheit behandeln.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz.
Herr Staatsminister, können Sie mir insbesondere darin zustimmen, daß die Versuche der Sowjetunion und der DDR, den Viermächtestatus von Berlin einseitig zu verändern, eine besonders prekäre Zuspitzung dadurch erfahren haben, daß der Sowjetbotschafter in Ost-Berlin, Abrassimow, bekanntlich erklärt hat, die Westmächte hätten auch keine militärischen Rechte mehr in Ost-Berlin, und daß es deshalb geboten ist, konkret Maßnahmen zu treffen, um in der Verbundenheit westlicher Solidarität diesen gezielten Angriffen alsbald konzentrierter als bisher entgegenzutreten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich weise noch einmal darauf hin, daß es im Zusammenhang mit dieser Frage eine Vielzahl von Konsultationen und auch Äußerungen gegeben hat. Ich bin sicher, daß der ganze Komplex bei den Beratungen mit den Regierungschefs der Drei Mächte eine Rolle spielen wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, da der Kollege Kunz nach wirksamen Gegenmaßnahmen der drei westlichen Schutzmächte gefragt hat, möchte ich Sie fragen: Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung den drei Westmächten empfehlen, die geeignet sind, hier wirksame Abhilfe zu schaffen, und sich nicht auf formale Proteste beschränken?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, Sie werden doch nicht im Ernst erwarten, daß ich auf diese Frage an diesem Ort zu dieser Stunde eine Antwort gebe.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatsminister, welche zusätzlichen Informationsmöglichkeiten gegenüber der Opposition sieht die Bundesregierung, um ihr nachdrücklich deutlich zu machen, daß die Beziehungen zu den drei Westmächten intensiv und stark sind, so daß sich dieses Nachfragen eigentlich erübrigt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Sperling, der beste Weg, den ich sehe, bestünde darin, daß die Opposition die Äußerungen und die Veröffentlichungen der Bundesregierung in der Tat liest und davon Kenntnis nimmt. Aber ob ich die Opposition von dieser Stelle aus dazu bringen kann, vermag ich nicht zu sagen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatsminister, wenn wir auch Verständnis dafür haben, daß Sie an dieser Stelle nicht über Gegenmaßnahmen sprechen, würden wir doch gerne erfahren, ob die Bundesregierung nicht auch der Meinung ist, daß Konsultationen, wie Sie ausgeführt haben, in Fällen einer so massiven Infragestellung des Viermächtestatus für ganz Berlin allein nicht ausreichen, sondern Gegenmaßnahmen erforderlich sind.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung wird im Zusammenhang mit dem von dem Herrn Kollegen Kunz zitierten Zusammentreffen der Regierungschefs der drei Westmächte über die Vorgänge beraten.
Die Frage 159 des Abgeordneten Kunz ist nicht zulässig, weil der Gegenstand dieser Frage unter Punkt 2 der Tagesordnung behandelt worden ist. Gleiches gilt für die Frage 161 des Abgeordneten Dr. von Bismarck.Ich rufe die Frage 160 des Herrn Abgeordneten Coppik auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 162 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:Welche diplomatischen und anderen Schritte gedenkt die Bundesregierung bei der Volksrepublik Polen und der DDR dagegen
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1304 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Vizepräsident Frau Rengerzu unternehmen, daß in der amtlichen Presse und im Staatsrundfunk und am 15. März 1977 sogar im Deutschlandfunk von einem Mitglied des Zentralkomitees der kommunistischen polnischen Einheitspartei das oberste Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland, das Bundesverfassungsgericht, der „rechtlichen Aggression" beschuldigt wird, was nicht nur eine objektive Beleidigung ist, sondern nach den Rechtsauffassungen im Ostblock auch einen Anschlag dieses Verfassungsorgans gegen den Frieden bedeutet?Bitte, Herr Staatsminister.Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung sieht es nicht als Aufgabe von Regierungen an, sich mit Presseäußerungen auseinanderzusetzen. Die Antwort auf Ihre Frage lautet daher: Keine.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, angesichts Ihrer Antwort frage ich Sie: Wie erklären Sie es sich eigentlich, daß das Auswärtige Amt vor kurzem — meiner Meinung nach zu Recht — auf die Angriffe einer Leningrader Abendzeitung gegen den deutschen Konsul in Leningrad geanwortet hat, aber andererseits die Bundesregierung, die die Bundesrepublik außenpolitisch vertritt, nicht mit entsprechenden Mitteln das oberste Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland gegen den Vorwurf der „rechtlichen Aggression", also den Vorwurf, einen Anschlag gegen den Frieden gemacht zu haben, in Schutz nimmt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Bei dem Vorgang, auf den Sie sich beziehen, handelt es sich um eine bestimmte Person. Der Sachverhalt mußte aufgeklärt werden. Die Bundesregierung kann sich aber nicht auf Kommentare zu Pressemeldungen einlassen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß ich nicht Kommentare in irgendwelchen Presserzeugnissen, sondern amtliche Erklärungen, darunter des Staatsrundfunks, angesprochen habe, und ist Ihnen denn auf Grund der Berichte der Vertretungen im Ausland nicht bekannt, daß in diesen amtlichen Organen des Ostblocks immer die Auffassung der Regierung wiedergegeben wird und dort keine andere Auffassung in außenpolitischen Fragen — völlig anders als im Westen — vertreten werden kann? Muß Ihre Beurteilung bezüglich der Stellungnahme der Bundesregierung da nicht anders lauten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung kann sich in. der Tat nicht darauf einlassen, daß Äußerungen, die nicht in den amtlichen Organen einer Regierung erscheinen, in irgendeiner Weise durch die Regierung kommentiert werden. Wir würden uns dort auf etwas einlassen, Herr Czaja, das in der Tat nicht unsere Sache sein kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, bedarf diese Ihre Beurteilung nicht insofern einer Korrektur, als die Angriffe gegen das Bundesverfassungsgericht als den höchsten Hüter unseres Rechts gerichtet sind und eine Hinnahme solcher Vorwürfe im Ausland den Eindruck erwecken könnte, als widerspreche die Bundesregierung der Beurteilung des Bundesverfassungsgerichts, die der Kollege Czaja bezeichnet hat, nicht.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, ich bin sicher, daß Sie, wenn Sie sich die Welt presse betrachten würden, eine Vielzahl von Meinungen und Urteilen über Verfassungsorgane der Bundesrepublik finden würden. Wenn die Bundesregierung sich jeweils darauf einlassen wollte, auf diese Kommentare als Regierung zu antworten, würden wir in eine unmögliche Lage versetzt werden. Ich sage es noch einmal: Die Bundesregierung ist nicht bereit, Pressekommentare ihrerseits zu kommentieren.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, wäre es nicht notwendig, zwischen Pressekommentaren und einer Stellungnahme eines Mitgliedes des Zentralkomitees der Kommunistischen Arbeiterpartei Polens zu differenzieren, in der unser Verfassungsverständnis sehr höhnisch behandelt worden ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich wiederhole die Stellungnahme der Bundesregierung: Meinungen, die, von wem auch immer in einem nicht-amtlichen Presseorgan veröffentlicht werden, können von der Bundesregierung nicht kommentiert werden.
Ich rufe die Frage 163 des Herrn Abgeordneten Voigt auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die auf der Kairoer Gipfelkonferenz angenommene Deklaration und das Aktionsprogramm über die arabisch-afrikanische Zusammenarbeit in bezug auf mögliche Auswirkungen auf den europäisch-arabischen Dialog und in bezug auf die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft zu den afrikanischen Staaten?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung begrüßt die von der arabisch-afrikanischen Gipfelkonferenz in Kairo verabschiedete Deklaration und das Aktionsprogramm als einen wichtigen Beitrag zur Vertiefung wirtschaftlicher, technischer und finanzieller Zusammenarbeit zwischen den Staaten beider Regionen.Über mögliche Auswirkungen der Konferenzergebnisse auf den europäisch-arabischen Dialog und die Beziehungen der Europäischen Gemeinschaft zu den Staaten Afrikas können jetzt noch keine Voraussagen gemacht werden. Wie Sie aber wissen, unterhält die Europäische Gemeinschaft enge Beziehungen zu den afrikanischen und zu den meisten der arabi-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1305
Staatsminister Dr. von Dohnanyisehen Staaten, die das Aktionsprogramm in Kairo unterzeichnet haben. Ziel der Zusammenarbeit der Gemeinschaft mit den afro-arabischen Staaten ist auch die Förderung der internen regionalen Kooperation, die zur wirtschaftlichen Entwicklung und damit zur Stabilität und zum Wohle aller Völker in den mit Europa benachbarten Staatengruppen beitragen kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voigt.
Herr Staatsminister, hat die Deklaration oder das Aktionsprogramm bereits bei Gesprächen zwischen der Bundesregierung und einzelnen diplomatischen Vertretern oder Regierungen dieser betroffenen Länder eine Rolle gespielt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich selber habe hierüber bereits mit einigen Botschaftern der entsprechenden Länder gesprochen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, welche Schritte beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, damit die besonders in den Ziffern 21 und 22 versprochene und vorgesehene Förderung des direkten arabisch-afrikanischen Handels nicht zu einer Konfrontation, sondern in dem Sinne, wie Sie es soeben angedeutet haben, zu einer verstärkten Kooperation zwischen den afrikanisch-arabischen Ländern und der Europäischen Gemeinschaft führt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann hier nicht auf Einzelheiten eingehen. Wir müssen die Auswirkungen der Vereinbarungen, der Erklärungen erst noch abwarten. Aber ich unterstreiche, daß der Dialog, den wir mit den arabischen Ländern führen, dazu beitragen soll, daß hier nicht eine Konfrontation, sondern eine breitere Integration von Interessen erfolgt.
Danke, Herr Staatsminister.
Die Frage 164 ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Da der Abgeordnete Hansen nicht im Saal ist, wird seine Frage 165 schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit ist Ihr Fragenbereich beendet. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gallus zur Verfügung. Ich rufe die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Wüster auf:
Hält der Bundesernährungsminister ein grundsätzliches Verbot der Anwendung des Unkrautbekämpfungsmittels Tormona aus der Luft im ganzen Bundesgebiet für notwendig, nachdem zahl-
reiche Wissenschaftler auf die toxikologische Bedenklichkeit des Mittels hingewiesen haben und die Ausbringung dieses und anderer Herbizide auf der Basis von 2,4,5-T durch Luftfahrzeuge für nicht vertretbar halten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln in der Bundesrepublik obliegt der Biologischen Bundesanstalt. Über die gesundheitlichen Voraussetzungen entscheidet die Biologische Bundesanstalt im Einvernehmen mit dem Bundesgesundheitsamt. Beide Behörden haben eine gemeinsame Stellungnahme zum Einsatz von Wuchsstoffherbiziden im Forst erarbeitet, die ich Ihnen, Herr Kollege, gern zur Verfügung stelle.
Angesichts dieser wissenschaftlichen Erkenntnis halte ich ein grundsätzliches Verbot der Anwendung des Unkrautbekämpfungsmittels Tormona nicht für notwendig. Sowohl bei Bodenbehandlungen als auch bei Anwendung mittels Luftfahrzeugen müssen selbstverständlich die Auflagen der Biologischen Bundesanstalt eingehalten werden. Die Länder haben im übrigen die Möglichkeit, die Anwendung von Tormona und anderen 2,4,5-T-haltigen Präparaten mittels Luftfahrzeugen auf Grund der Verordnung über Anwendungsverbote und -beschränkungen für Pflanzenschutzmittel den jeweiligen Gegebenheiten entsprechend zu regeln.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wüster.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung Pressemeldungen bekannt, wonach Tormona krebserregende Wirkstoffe enthalten und nahezu so gefährlich sein soll wie das in Seveso ausgeströmte TCDD?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Bundesregierung sind Pressemeldungen bekannt, in denen diese Fragen aufgeworfen und diese Präparate auch in Verbindung gebracht werden mit den in Vietnam eingesetzten Entlaubungsmitteln. Dazu ist zu sagen: Die in Vietnam eingesetzten Entlaubungsmittel auf 2,4,5-T-Basis waren hochgradig mit Dioxin verunreinigt, einem Stoff, der als hochtoxisch anzusehen ist. Wegen dieser Verunreinigung mit Dioxin ist auch der Wirkstoff 2,4,5-T selbst in den Verdacht geraten, ebenso gefährlich zu sein. Nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen ist dieser Verdacht nicht gerechtfertigt. Dioxin ist auch der Stoff gewesen, der in Seveso die starke Kontamination der Umwelt verursacht hat.
Die in der Bundesrepublik vertriebenen 2,4,5-T- Präparate dürfen nur bis zu 0,1 ppm Dioxin enthalten. Dadurch ist sichergestellt, daß durch diesen hochtoxischen Stoff keine Gefährdungsmöglichkeiten bestehen. Vergleiche mit der Situation in Vietnam und Seveso entbehren deshalb jeder wissenschaftlichen Grundlage.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneten Wüster.
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1306 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Herr Staatssekretär, zieht die Bundesregierung dann eher eine zeitweilige Sperrung besprühter Waldflächen in Betracht als das Verbot eines Hubschraubereinsatzes?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Nein.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Martiny.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär Gallus, können Sie denn zuverlässig versichern, daß dieses Pflanzenschutzmittel auch zugelassen ist? Denn nach meiner Kenntnis schiebt die Biologische Bundesanstalt wegen Personalmangels eine Reihe von Zulassungsanträgen vor sich her, die bisher noch nicht erledigt werden konnten.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, dieses Mittel ist voll zugelassen.
Dank e schön, Herr Staatssekretär.
Ich rufe die Frage 33 der Abgeordneten Frau Dr. Martiny auf:
Welchen zeitlichen Rahmen hat sich die Bundesregierung gesetzt, den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes vorzulegen, und hält sie die dort aufzunehmende Ermächtigung, Mindestanforderungen an Pflanzenschutzgeräte festzulegen, für eine ausreichende Maßnahme angesichts der Tatsache, daß erstens 1975 die Baywa nur 20 bis 23 % der Pflanzenschutzgeräte als einwandfrei funktionierend ermittelte und zweitens nach Mitteilung der Länder die Zahl der freiwillig überprüften Geräte rückläufig ist?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hatte im Entwurf zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes eine Ermächtigung vorgesehen, die eine Überprüfung bestimmter Pflanzenschutzgeräte ermöglichen sollte. Der entsprechende Passus — § 3 Abs. 1 Nr. 4 a ist auf Beschluß des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Deutschen Bundestages aus dem Entwurf gestrichen worden.
Die Bundesregierung hält eine Verbesserung der Situation auf dem Sektor Pflanzenschutzgeräte nach wie vor für dringlich. Sie hat nunmehr in den Entwurf zum Dritten Gesetz zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes eine Ermächtigung aufgenommen, nach der Mindestanforderungen an Pflanzenschutzgeräte festgesetzt werden können. Hierin sieht die Bundesregierung unter .den gegebenen Umständen einen ersten Schritt zur Verbesserung der Lage.
Der Gesetzentwurf ist den Ländern und allen betroffenen Stellen am 8. Februar 1977 zu einer ersten Stellungnahme zugeleitet worden. Es ist geplant, ihn im Herbst dieses Jahres dem Kabinett vorzulegen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Martiny.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, aus der Tatsache, daß ich diese Frage dreimal zurückgezogen und neu eingebracht habe, können Sie entnehmen, welche Wichtigkeit ich ihr zumesse. Sind Sie in der Tat der Meinung, daß, abweichend von dem Votum des zuständigen Ausschusses der Länderinnenministerkonferenz, der eine obligatorische Zulassungsprüfung und eine obligatorische technische Überwachung von Feldspritzgeräten vorgeschlagen hat, mit dem Vorschlag einer Ermächtigung wirklich der Dringlichkeit dieses Problems angemessen verfahren wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist nach Vorlage dieses Entwurfs dieser Auffassung.
Zweite Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist es angesichts der gefährlichen Auswirkungen auf die Ökologie und natürlich auch auf die Qualität von Gemüse und Salat nicht doch von Vorteil, einen Zulassungszwang für Feldspritzgeräte und — wie bei Autos — eine obligatorische Prüfung vorzusehen, weil rund 90 % aller Geräte nicht einwandfrei funktionieren, wie man den Untersuchungsberichten über freiwillig zur Überprüfung gegebene Geräte entnehmen kann?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe in meiner Antwort bereits ausgeführt, daß der Gesetzesvorschlag, den wir gemacht haben, der erste Schritt in diese Richtung ist.
Die Frage 34 und 35 müssen schriftlich beantwortet werden, da der Fragesteller, der Herr Abgeordnete Kiechle, nicht im Raum ist. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Schönen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Wrede steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Frage 36 des Herrn Abgeordneten Zywietz. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Seine beiden Fragen 36 und 37 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Fragen 38 und 39 des Herrn Abgeordneten Sick. Der Fragesteller bittet um schriftliche Beantwortung. Das gleiche gilt für die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Würtz. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Schmöle auf:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach der Sprecher der Bundesregierung erklärt hat, Vorschriften zur Entgasung entladener Tankschiffe seien international unüblich, und stellt sich demgemäß die entsprechende Anordnung der DDR als weiterer punktueller Angriff auf die wirtschaftliche Sicherheit West-Berlins dar?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, nach internationalem Verständnis ist dem allgemeinen Sicherheitsbedürfnis voll Rechnung getragen, wenn auf leeren, nicht entgasten Tankschiffen die gleichen Sicherheitsvorschriften eingehalten werden wie auf beladenen Tankschiffen. Die internationalen Vorschriften sind in diesem Sinne
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1307
Parl. Staatssekretär Wredeabgefaßt. Die DDR hat sich allerdings in ihrer Binnenwasserstraßen-Verkehrsordnung vom 1. Februar 1974 vorbehalten, den Transport gefährlicher Güter auf bestimmten Wasserstraßen oder Wasserstraßenabschnitten zu untersagen oder genehmigungspflichtig zu machen.Die wirtschaftliche Sicherheit West-Berlins wird durch das Verbot, mit nicht entgasten Tankschiffen durch Ost-Berlin zu fahren, nicht berührt, ,da nur der geringste Teil des mit Binnenschiffen nach Berlin beförderten Benzins durch Ost-Berlin zum Teltow-Kanal geht und diese Menge unter Umständen auch mit der Bahn befördert werden könnte, die ohnehin schon mehr als die Hälfte der Gesamtmineralölmenge nach West-Berlin befördert.Nach den gestrigen Verhandlungen in der Verkehrskommission zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR besteht die DDR nicht mehr darauf, ab 1. Mai 1977 den Verkehr leerer, nicht entgaster Tankschiffe, die aus dem Teltow-Kanal über Berlin (Hufeisenverkehr) in Richtung Bundesgebiet zurückfahren, zu verbieten. Sie erwartet aber vom Senat die Erstellung einer Entgasungsanlage. Diese Erklärung der DDR wird von der Bundesregierung geprüft.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmöle.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, wie teuer gegebenenfalls die Benutzung anderer Verkehrsmittel, beispielsweise Bahn oder Lastkraftwagen, für eine andere Transportart wäre?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Nein. Die Bundesregierung wird zunächst einmal die Erklärung der DDR prüfen, in entsprechende Verhandlungen eintreten und sich erst danach mit dieser Problematik beschäftigen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, da Sie die Frage nach der Möglichkeit eines punktuellen Angriffs auf die Sicherheit Berlins, soweit ich wahrnehmen konnte, nicht beantwortet haben, frage ich Sie, ob nicht allein schon die Bekanntmachung der DDR, daß dies auf die Schiffe Anwendung finde, als Verunsicherung der Schiffseigner und damit der Transporte nach Berlin gedacht und geplant war.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, Sie haben wohl nicht zugehört. Ich habe die Problematik oder die Frage nach der Sicherheit der Versorgung West-Berlins sehr wohl angesprochen und habe darauf verwiesen, daß die Sicherheit nicht gefährdet ist, weil, wenn eine solche Maßnahme ergriffen würde, die Versorgung Berlins auch auf anderem Wege sichergestellt wäre.
Ich rufe die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Schmöle auf:
Trifft es zu, daß einem SPD-Abgeordneten Informationen über konkrete Maßnahmen der Bundesregierung bezüglich des Lärmschutzes am Emscherschnellweg erteilt worden sind , und wenn ja, wie rechtfertigt die Bundesregierung demgegenüber die ausweichende bzw. abweisende Antwort auf meine Fragen Nr. B 78, 79 im Stenographischen Bericht vom 4. Februar 1977, Seite 572?
Wrede, Parl. Staatssekretär: In der Antwort der Bundesregierung zu Ihren Fragen B 78 und B 79 — Plenarprotokoll 8/12 über die 12. Sitzung des Deutschen Bundestages am 4. Februar 1977 — wurde bereits hervorgehoben, daß die konkrete Festlegung von Lärmschutzmaßnahmen an der Bundesautobahn A 42 im Bereich zwischen Bottrop und Herne-Baukau auf Grund der bereits vorbereiteten Entwürfe erfolgen wird, sobald die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung und Durchführung der Maßnahmen geschaffen sind.
Die Ihrer Frage beigefügte Pressemeldung der „Ruhr-Nachrichten" vom 17. März 1977 bezieht sich auf die inzwischen konkretisierte Absicht der Bundesregierung, die Finanzierung von Lärmschutzmaßnahmen am Emscherschnellweg im Programm für Zukunftsinvestitionen vorzusehen. Die Überlegungen hierzu waren im Zeitpunkt der Beantwortung Ihrer Fragen noch nicht soweit gediehen, daß dazu schon eine Aussage hätte gemacht werden können.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmöle.
Sind denn die rechtlichen Voraussetzungen, die Sie als Voraussetzung für die Durchführung der entsprechenden Maßnahmen genannt hatten, inzwischen geschaffen worden?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schmöle, in Einzelfällen müssen die Maßnahmen noch untersucht werden. Dies wird auch schon dadurch belegt, daß die Investitionsmittel für das Anbringen von Lärmschutzanlagen in diesem Bereich nicht konkret als einzelne Maßnahmen im Programm der Bundesregierung ausgewiesen, sondern nur global festgelegt sind. Sie wissen, daß die Bundesregierung diese Maßnahmen nicht selbst durchführt, sondern daß die Länder im Auftrag des Bundes diese Maßnahmen durchzuführen haben.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung für einen guten Stil, daß man in einer relativ kurzen Zeitspanne von zwei oder drei Wochen, nachdem man zu völlig neuen Erkenntnissen gekommen ist, zwar anderen Abgeordneten Mitteilungen über die geplanten Lärmschutzmaßnahmen macht, den Abgeordneten, der als erster gefragt hat, aber völlig ohne Information läßt?Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schmöle, mir ist nicht bekannt, daß die Bundesregierung einzelne Abgeordnete, wie Sie es unterstellen, infor-
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1308 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Parl. Staatssekretär Wredemiert hat. Mir ist sehr wohl bekannt, daß insbesondere Abgeordnete der SPD-Fraktion bei den Beratungen über dieses Programm in ihren Arbeitskreisen mit Nachdruck Wert darauf gelegt haben, Investitionsmittel für Lärmschutzmaßnahmen in das Programm einzustellen.
Dies war ursprünglich nicht vorgesehen. Daraus ergibt sich natürlich, daß diese Kollegen die Tatsache, daß Finanzbeiträge zur Verfügung gestellt werden, auch folgerichtig so auslegen, daß die von Ihnen angesprochenen Maßnahmen damit gemeint sind.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tillmann.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die nach Ländern spezifizierte Liste über Einzelmaßnahmen im Programm für Zukunftsinvestitionen im Bereiche des Bundesministers für Verkehr bereits gestern den Kollegen der SPD-Fraktion zugeleitet wurde, heute aber erst den Kollegen der anderen Fraktionen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Dies kann ich so nicht beantworten, Herr Kollege Tillmann. Ich kann Ihnen nur sagen, der Bundesverkehrsminister hat den zuständigen Beamten des Hauses den Auftrag gegeben, möglichst umgehend nach Beschluß des Bundeskabinetts über das Programm für Zukunftsinvestitionen allen Mitgliedern des Deutschen Bundestages, jeweils auf ihr Bundesland bezogen, diese Listen zuzustellen. Ich gehe davon aus, daß dies so geschehen ist, weil mich im Verlaufe des gestrigen Nachmittags einige Kollegen angesprochen haben, die die Liste hatten, während andere, auch von der SPD-Fraktion, mich angesprochen haben und sich beschwerter , sie hätten sie noch nicht. Das heißt, aus dem Verkehrsministerium sind die Listen gemeinsam hinausgegangen. Sie müssen auch am gleichen Tage hier angekommen sein.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mahne.
Ist Ihnen bekannt, Herr Staatssekretär, daß die SPD-Fraktion gestern organisatorisch dafür gesorgt hat, daß diese Listen, die ihr gestern durch das Verkehrsministerium über die Poststelle des Deutschen Bundestages zugeleitet worden sind, rechtzeitig an alle Abgeordneten verteilt wurden.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Dies ist mir nicht bekannt, Herr Kollege Mahne, aber da die Listen so schnell an die Abgeordneten gekommen sind, muß es wohl so gewesen sein.
Schönen Dank, Herr Staatssekretär. Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 42 und 43 des Abgeordneten Hanz sowie die Fragen 44 und 45 der Abgeordneten Frau Verhülsdonk werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 47 der Abgeordneten Frau Simonis auf:
Trifft es zu, daß bei der sogenannten Flughafenbahn Frankfurt, die im Verkehrsverbund mit der Deutschen Bundesbahn und den Frankfurter Verkehrsbetrieben betrieben wird, der Kontrolleur entgegen allen Gepflogenheiten im nationalen und internationalen Bereiche keine Fahrkarten verkaufen darf, und was gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls zu tun, um vor allem ausländischen Reisenden die Bezahlung eines sogenannten erhöhten Fahrgeldes zu ersparen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, um die Kosten der Verkehrsbedienung zu senken, ist es bei den Betrieben des öffentlichen Personennahverkehrs der Bundesrepublik, aber auch zunehmend des Auslandes, üblich, den Fahrkartenverkauf zu automatisieren. So wird dies auch beim Frankfurter Verkehrsverbund, zu dessen Bereich die Flughafenbahn Frankfurt gehört, gehandhabt.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß Sie mit Ihrer Familie, beladen mit Koffern, in einem fremden Land ankommen, dort kein Taxi nehmen, keinen Dienstwagen haben und ausgerechnet eine Münze dieses Landes in der Tasche haben, um die entsprechenden Fahrscheine aus einem Münzautomaten zu ziehen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Simonis, dies ist ein schwieriges Problem. Dies bezieht sich aber nicht nur auf die von Ihnen angesprochenen Maßnahmen in Frankfurt, dies erleben wir überall. Das Bestreben der Unternehmen, die den öffentlichen Nahverkehr betreiben, muß natürlich sein, die Kosten weitgehend zu senken. So hat man mehr und mehr darauf verzichtet, Personal zum Verkauf von Fahrkarten einzusetzen, und eine große Zahl von Automaten aufgestellt und entsprechende Hinweise gegeben. Daß hier ein besonderes Problem vorliegt, verkenne ich nicht. Aber verkennen Sie bitte auch nicht: wenn man an einer Stelle diese Rationalisierungsmaßnahme aufhebt, dann kommen unweigerlich Forderungen, dies auch in anderen Bereichen zu tun, und das ganze System wird wieder zurückgedreht, und die Personalkosten steigen.
Zweite Zusatzf rage.
Herr Staatssekretär, sehen Sie wirklich eine solche Kostensteigerung, wenn ein Kontrolleur, der sowieso schon durch den Zug gehen und kontrollieren muß, solchen Familien einen Schein verkauft, die nachweisen können, daß sie wegen Sprachschwierigkeiten oder wegen der anderen von mir erwähnten Schwierigkeiten einen Schein nicht gekauft haben?Wrede, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich sagte schon, daß ich die Schwierigkeit des Problems kenne. Es ist auch bei dem Frankfurter Verkehrs-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1309
Parl. Staatssekretär Wredeverbund erkannt worden. Deswegen hat man, obwohl es nicht im Sinne dieser Automatisierung lag, auf dem Bahnsteig noch einen Fahrkartenverkäufer eingesetzt, der sozusagen aus einem Bauchladen Fahrkarten verkauft für diejenigen, die sich der Automaten nicht bedienen können.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ollesch.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß diese Rationalisierungserfolge — sicherlich treten Personalkosteneinsparungen ein — in der Regel auf dem Rücken der Benutzer erzielt werden und zu Lasten der Benutzer gehen? Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es für einen Fremden fast unmöglich ist, in Frankfurt oder auch in anderen Städten, selbst mit Hilfe der Landkarten, die angeschlagen sind, den richtigen Fahrschein per Automat zu lösen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Ollesch, ich sehe dieses Problem, und mir selbst ist es ähnlich ergangen. Aber ich denke, daß überall dort, wo menschliche Arbeitskraft durch Automaten ersetzt wird, diejenigen, die damit zu tun haben, sich erst einmal daran gewöhnen müssen. Es gibt Beispiele in anderen Bereichen, wo nach einer gewissen Übergangszeit dieses Verfahren sehr gut funktioniert. Ich denke, das wird sich auch hier so einstellen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voigt .
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß einer der Gründe dafür, daß der FVV so verfährt, der ist, daß es in Frankfurt sozusagen private Versicherungsvereine von Schülern und anderen Gruppen gibt, die sich gegenseitig die Gebühren für ein Ertapptwerden, wenn sie mit dem Nulltarif fahren, erstatten, weil das insgesamt billiger kommt, als wenn sie die Gebühren im einzelnen bezahlen würden, und daß darauf schlecht wegen der Ehrlichkeit einzelner Abgeordneter Rücksicht genommen werden kann mit anderen Lösungen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Nein, dies ist mir nicht bekannt, Herr Kollege.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 49 des Herrn Abgeordneten Bötsch sowie die Fragen 50 und 51 des Herrn Abgeordneten Biehle werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 52 und 53 des Herrn Abgeordneten Wiefel — ich sehe ihn nicht im Raum — werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Frage 54 des Herrn Abgeordneten Dr. Dollinger wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 55 und 56 des Herrn
Abgeordneten Dr. Klein . Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Frage 57 des Abgeordneten Dr. Schäuble — er ist im Saal —:
Liegen der Bundesregierung faktische Erkenntnisse über wechselseitige positive oder negative Einwirkungen bei den Sportsondermarken und Jugendmarken, insbesondere des Jahrs 1976, vor?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, ich wäre dankbar, wenn ich die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Schäuble zusammen beantworten könnte.
Zustimmung, Herr Kollege? — Ja. Dann rufe ich auch Frage 58 des Herrn Abgeordneten Dr. Schäuble auf:
Aus welchen Gründen wurden bei den Sportsondermarken im Gegensatz zu den Jugendmarken keine Berlin-Werte herausgegeben und der Verkauf der herausgegebenen Sportsondermarken in Berliner Postämtern unterbunden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zur ersten Frage: Das Verkaufsergebnis der Jugendmarken 1976 liegt stückzahlenmäßig rund 2 v. H., geldmäßig rund 3 v. H. unter dem Vorjahresergebnis.
Zweitens. Die Olympiazuschlagmarken 1976 waren von Anfang an entsprechend der Regelung bei den Olympiamarken 1968 bis 1972 und bei den Philatelisten-Zuschlagmarken nur als Bundesausgabe geplant. Diese Entscheidung beruhte darauf, daß a) die Deutsche Bundespost und die Landespostdirektion Berlin ihre eigenen Zuschlagmarken jede für sich herausbringen, b) der von der Sporthilfe gewünschte frühestmögliche Ausgabetag, nämlich der 6. April 1976, andernfalls nicht hätte eingehalten werden können.
In Gesprächen mit der Deutschen Bundespost und den Beauftragten der Deutschen Sporthilfe zur Vorbereitung der Olympiazuschlagmarken 1976 wurde seinerzeit wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß wie bei den Olympiamarken 1968 bis 1972 auch die Serie 1976 nur als Bundesausgabe erscheinen würde. Auf Grund alliierter Anordnung ist der Verkauf von Postwertzeichen der Ausgabe „Deutsche Bundespost" innerhalb Berlins nur an den Schaltern der Versandstelle für Sammlermarken in Berlin zulässig.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäuble.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie über genaue Zahlen bezüglich der wechselseitigen. Beeinflussung von Jugend- und Sportbriefmarken für das Jahr 1976 noch nicht verfügen, möchte ich Sie fragen, ob Sie in der Lage sind, mir zu sagen, in welcher Weise Sie diesen Zusammenhang untersuchen werden.
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1310 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Wrede, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Schäuble. Ich bitte, Ihnen dies schriftlich mitteilen zu können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tillmann.
Herr Staatssekretär, ist es möglich, daß sich die leichte Verwechselbarkeit auf Grund der ähnlichen Motive bei Jugendmarken und bei Sportmarken negativ auf den Verkauf vielleicht sogar beider Markenserien ausgewirkt haben könnte?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Tillmann. Dies unterstelle ich nicht, weil die Sammler sehr wohl wissen, was sie kaufen, und genau darauf achten, was sie kaufen.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe .die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Weber auf:
Wieviel Sportsondermarken und Jugendmarken wurden im Aktionszeitraum 1976 in den einzelnen Werten abgesetzt, und welche Erlöse wurden erzielt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Ich bitte auch hier, Frau Präsident, die beiden Fragen des Herrn Kollegen Weber zusammen beantworten zu dürfen.
Einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Weber auf:
In welcher Relation steht das Ergebnis der Aktion 1976 zu den vorhergegangenen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weber, zu Ihrer ersten Frage: Im Jahre 1976 wurden verkauft: Olympia-Einzelmarken zu 40 + 20 Pf: rund 6,5 Millionen Stück; 50 + 25 Pf: rund 6,6 Millionen Stück; Olympia-Blöcke 100 + 50 Pf: rund 8,6 Millionen Stück. Der Zuschlagserlös betrug rund 7,3 Millionen DM. Bei den Jugendmarken wurden ca. 33,6 Millionen Stück mit einem Zuschlagserlös von rund 7,9 Millionen DM verkauft.
Zu Ihrer zweiten Frage: Das Verkaufsergebnis der Jugendmarken 1976 liegt stückzahlmäßig rund 2 %, geldmäßig rund 3 0/o unter ,dem Vorjahresergebnis, wie ich vorhin schon einmal mitteilen konnte.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Tillmann auf:
Welche Gründe haben die Bundesregierung veranlaßt, für 1978 die Herausgabe von Sportsondermarken in den Werten 50 25
Pf und 70 35 Pf vorzusehen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Darf ich auch hier, Frau Präsidentin, die beiden Fragen zusammen beantworten?
Einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Tillmann auf:
Welche Motive sind für die Sondermarken 1978 vorgesehen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Zu Ihrer ersten Frage: Der Deutsche Sportbund, das Nationale Olympische Komitee für Deutschland und die Stiftung Deutsche Sporthilfe haben den Bundespostminister gemeinsam gebeten, zugunsten des Sportes künftig eine laufende Briefmarkenserie mit Zuschlag herauszugeben. Dieser Wunsch wurde von führenden Politikern aller Parteien ausdrücklich unterstützt. Nach Gesprächen mit dem für Sportangelegenheiten zuständigen Bundesinnenminister hat der Bundespostminister entschieden, daß je zwei Sonderpostwertzeichen mit den Werten 50 + 25 Pf und 70 + 35 Pf zugunsten der Stiftung Deutsche Sporthilfe in das Sondermarkenprogramm der Deutschen Bundespost und der Landespostdirektion Berlin für das Jahr 1978 aufgenommen werden. Dabei wird unterstellt, daß sich die Sportorganisationen an dem Verkauf der Zuschlagmarken für die Deutsche Sporthilfe aktiv beteiligen.
Zur zweiten Frage: Den Vorschlägen des Deutschen Sportbundes, des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland und der Stiftung Deutsche Sporthilfe folgend, sind für die Zuschlagmarken Motive derjenigen Sportarten vorgesehen, die 1978 in der Bundesrepublik Deutschland Weltmeisterschaften austragen werden. Dies sind die Alpine Skiweltmeisterschaft, die Fechtweltmeisterschaft, die Schwimmweltmeisterschaft sowie die Radweltmeisterschaft.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tillmann.
Herr Staatssekretär, aus welchen Gründen hat die Bundesregierung bei den Sportsondermarken für das Jahr 1978 den Wert 70 + 35 Pf gewählt und nicht, wie im Jahre 1976, 40 + 20 Pf?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Die vom Bundespostminister vorgesehenen Werte sind die gängigen Briefmarken für Standardpostbriefe. Deswegen wird davon ausgegangen, daß hier ein erheblich größerer Verkauf zu erwarten ist.
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da ich bezweifeln möchte, daß es sich bei dem 70-Pf-Wert um einen Wert für Standardbriefe handelt, erlaube ich mir die Frage, ob Sie der Auffassung sind, daß — Sie haben das eben angesprochen — der 70-PfWert insbesondere für Sportvereine und auch für die Wirtschaft, die sich hier beteiligen soll, ein besonders attraktiver Wert ist.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1311
Wrede, Parl. Staatssekretär: Es handelt sich bei dieser Marke um den Wert für die erste Gewichtsstufe im Auslandsverkehr. Wir gehen davon aus, daß auch in diesem Bereich diese Marken benutzt werden.
Die dritte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sicherlich ist es sehr erfreulich, wenn Sportvereine sich im Ausland um die Völkerverständigung bemühen. Sind Sie aber der Auffassung, daß Sportvereine insbesondere Auslandsbriefe schreiben?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Tillmann, Sie gehen von der, wie ich meine, irrigen Auffassung aus, daß nur die Sportvereine solche Marken kaufen und auch als Wertzeichen auf Briefe kleben. Ich hatte in meiner Antwort gesagt: Wir hoffen sehr, daß — im Gegensatz zu früheren Regelungen — sich die Sportorganisationen aktiv am Verkauf der Marken beteiligen. Aber selbstverständlich erwarten wir auch, daß diese Briefmarken, ebenso wie das bei anderen Marken bisher der Fall gewesen ist, von ganz normalen Postkunden gekauft und benutzt werden.
Eine vierte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, aus welchen Gründen wird die Bundesregierung im Jahre 1977 keine Sportsondermarken herausgeben?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Weil die Vorbereitungszeit für die Herausgabe einer Sondermarke im Jahre 1977 nicht ausreichte. Für 1978 ist die Herausgabe von zwei Marken vorgesehen, um das nachzuholen.
Eine Zusatzfrage, Freiherr von Massenbach.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, nachdem Sie vorhin gesagt haben, daß der Bundespostminister die Wertmarken nach dem häufigen Gebrauch ausgesucht hat, und angesichts dessen, daß die 70-Pfennig-Marke heute noch nicht so stark im Gebrauch ist, möchte ich Sie fragen: Muß man befürchten, daß die 70-Pfennig-Marke deswegen genommen worden ist, weil vielleicht die normalen Briefe demnächst 70 Pfennig kosten werden?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Nein, dies muß man nicht befürchten. Hier gibt es keinerlei Sachzusammenhang.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Schäuble.
Herr Staatssekretär, nachdem die Bundesregierung den Absatz der Sportsondermarken wesentlich in die Verantwortung der Sportorganisationen gestellt hat und angesichts dessen, daß Sportvereine ihre Postalien in der Regel per Drucksache versenden, möchte ich Sie fragen: Muß man nicht befürchten, daß die Festlegung des Wertes von 70 Pfennig der bewußte Versuch der Bundesregierung ist, das Scheitern der Sportsondermarke auf die Sportorganisationen abzuschieben?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Schäuble, diese Ihre Frage enthält eine Unterstellung. Dies muß ich sehr deutlich herausstellen. Die Bundesregierung kommt mit der Herausgabe dieser Marken den Wünschen der Sportorganisationen entgegen. Sie wissen aus der gemeinsamen Tätigkeit im Sportausschuß, wie groß die Schwierigkeiten waren, die unterschiedlichen Interessen der anderen Organisationen — der Wohlfahrtsverbände und der Jugendpflegeorganisationen — mit denen der Sportorganisationen unter einen Hut zu bringen, ohne die Sammler zu überfordern. Dies ist der eine Punkt.
Die Bundesregierung erwartet nicht, daß fast ausschließlich, wie Sie meinen, die Sportorganisationen diese Marken absetzen. Sie erwartet allerdings, daß die Erklärungen der Sportorganisationen, sich aktiv am Verkauf dieser Marken zu beteiligen, auch eingehalten werden. Wenn das nicht gelingt, dürfte das Verkaufsergebnis allerdings hinter den Erwartungen der Sportorganisationen zurückbleiben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lampersbach.
Herr Staatssekretär, haben Sie Untersuchungen darüber angestellt und können Sie verläßliches Zahlenmaterial darüber vorlegen, in welcher Auflagenhöhe gerade diese Marke zu 70 Pfennig in den Verkauf kommen könnte?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Nein, ich habe darüber keine Untersuchungen vorliegen. Ich bin aber gern bereit, Ihnen das Material, das dazu vorliegt, zuzuleiten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker .
Herr Staatssekretär, könnte für die Überlegung, gerade die beiden Werte von 50 Pfennig und 70 Pfennig zu wählen, nicht maßgebend gewesen sein, daß die Briefe im EG-Bereich 50 Pfennig und alle, die darüber hinausgehen, 70 Pfennig kosten?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Der Bundespostminister hat, wie ich eingangs sagte, diese beiden Werte ausgesucht, weil er davon ausgeht, daß sie am ehesten in der Lage sind, in einer möglichst großen Zahl in den Verkauf zu kommen.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Schäuble.
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1312 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Herr Staatssekretär, nachdem Sie vorhin gesagt haben, man sei mit der Festlegung der Werte den Wünschen des Deutschen Sportbundes entgegengekommen, möchte ich Sie präzise fragen, ob es einen Wunsch des Deutschen Sportbundes gegeben hat, eine der beiden Sondermarken mit dem Wert von 70 Pfennig auszustatten.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Nein, einen solchen Wunsch hat es nicht gegeben. Dies habe ich auch nicht behauptet, Herr Kollege Schäuble.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weber .
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, mir eine Frage, die Sie aus dem Stegreif sicher nicht direkt beantworten können, schriftlich zu beantworten: Wieviel Marken mit dem Wert von 70 Pfennig sind von der Deutschen Bundespost im Jahre 1976 an den Schaltern ausgegeben worden?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Ich bin gern bereit, Ihnen diese Frage schriftlich zu beantworten. Sie haben recht, diese Frage kann ich aus dem Stegreif nicht beantworten.
Ich rufe die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Straßmeir auf:
Welche konkreten Vorstellungen verbindet der Bundespostminister im Zusammenhang mit der Einführung des Telefonzeittakts mit dem zugesagten systemgerechten Äquivalent für das Fehlen eines Nahverkehrsbereichs in Berlin?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Straßmeir, nach Abschluß des Probebetriebs und nach Auswertung der Ergebnisse aus den sechs Versuchsbereichen wird geprüft werden, welcher Ausgleich unter Beachtung der bereits bestehenden erheblichen Gebührenpräferenzen für Berlin als Ersatz für die in Berlin nicht realisierbaren Vorteile aus der Nahverkehrsregelung angeboten werden kann. Die Überlegungen sind noch nicht abgeschlossen und können auch erst nach Beendigung der laufenden Betriebsversuche abgeschlossen werden. Im übrigen wird das Ortsnetz Berlin als letztes Ortsnetz auf einen Zeittakt umgestellt werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneten Straßmeir.
Herr Staatssekretär, fühlen Sie sich dann, wenn Sie wissen, daß Berlin auf Grund seiner Größe niemals der Fläche eines Nahbereichs entsprechen kann, und Sie mir aus diesem Grunde schriftlich mitgeteilt haben, daß ein systemgerechtes Äquivalent gefunden wird, nicht verpflichtet, hier im Deutschen Bundestag zu erklären, was Sie darunter verstehen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Straßmeir, ich kann Ihnen dies deswegen nicht erklären — und da verweise ich auf meine Antwort —, weil die Untersuchungen darüber noch nicht abgeschlossen sind, kann aber sagen, daß es einen solchen Ausgleich geben wird und daß es auch nicht eilt — auch dies habe ich Ihnen gesagt —, weil bei der Abwicklung der Einführung der Nahbereiche die Stadt Berlin ganz sicherlich an letzter Stelle stehen wird. Da die Umstellung auf Ortsnahbereiche in einem Zeitraum von mehreren Jahren vollzogen wird, können Sie sich ausrechnen, wie lang der Zeitraum noch sein wird.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung nicht schon jetzt nachgerade verpflichtet, in bezug auf Berlin in Überlegungen einzutreten, daß die Bürger dieser Stadt nicht durch das Junktim von Nahbereich und Zeittakt dadurch schlechtergestellt werden als alle übrigen Bürger des Bundesgebietes, daß sie im kleinsten Nahbereich zu den höchsten Kosten telefonieren müssen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Straßmeir, die Bundesregierung ist nicht nur verpflichtet, solche Überlegungen anzustellen, sie ist auch dabei.
Nur kann ich Ihnen leider das Ergebnis dieser Überlegungen nicht mitteilen, bevor sie abgeschlossen sind.
Keine weitere Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, damit ist Ihr Geschäftsbereich erledigt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Höhmann zur Verfügung.
Frage 64 des Abgeordneten Dr. Kunz ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Die Fragen 65 bis 68 sind unzulässig, weil sie thematisch einem in der Tagesordnung dieser Woche auftauchenden Punkt zuzuordnen sind.
Ich rufe Frage 69 des Abgeordneten Graf Huyn auf:
Hat der Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin den Fall eines Reisenden aus dem Landkreis Kassel bei der „DDR" zur Sprache gebracht, der auf eine Forderung, das gegen ihn verhängte Einreiseverbot zu begründen, am Grenzkontrollpunkt Gerstungen von „DDR"- Grenzpolizisten mit Tritten und Schlägen mißhandelt wurde, und hat die Bundesregierung eine genaue Untersuchung des Vorfalls verlangt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter, unmittelbar nach Bekanntwerden des angesprochenen Vorfalls ist der Betroffene auf Veranlassung der Bundesregierung durch die örtlich zuständige Polizeibehörde zu dem Vorfall vernommen worden.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1313
Pari. Staatsekretär HöhmannWenn sich der Vorfall auch nicht ganz so abgespielt hat, wie er teilweise in der Presse dargestellt wurde, so wird die Bundesregierung gleichwohl die Angelegenheit gegenüber der DDR-Regierung zur Sprache bringen.
Zusatzfrage, Graf
Huyn.
Herr Staatssekretär, in weicher Weise wird die Bundesregierung dies tun?
Höhmann, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung wird diesen Vorfall so, wie er uns durch die polizeiliche Einvernahme dargestellt worden ist, in der Weise zur Sprache bringen, daß sie gegenüber der DDR klarmachen wird, daß die Behandlung von deutschen Staatsbürgern in dieser Weise nicht wieder vorkommen darf.
Zusatzfrage, Graf Huyn.
Herr Staatssekretär, in welcher Weise weicht der tatsächliche Sachverhalt, wie er von der Polizei festgestellt worden ist, von der Darstellung, wie sie etwa in der Formulierung meiner Frage ausgewiesen ist, ab?
Höhmann, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich bin gern bereit, Ihnen unter vier Augen das Protokoll der polizeilichen Einvernahme zur Verfügung zu stellen. Dieses Protokoll eignet sich nicht für eine Behandlung in der Öffentlichkeit.
Wir kommen zu Frage 70 des Abgeordneten Dr. Abelein. Audi diese Frage ist nach der Geschäftsordnung in dieser Woche .nicht zulässig, weil sie einen auf der ,Tagesordnung stehenden Punkt berührt.
Frage 71, des Abgeordneten Baron von Wrangel wird auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 72 des Abgeordneten Jäger auf:
Ist der Staatsminister im Bundeskanzleramt, Wischnewski, in seiner Unterredung mit dem Leiter der Ständigen Vertretung der DDR, Kohl, auf die Ausführungen des SED-Generalsekretärs Honecker eingegangen. der bet der Leipziger Messe unter anderem ausführte, daß die .mitunter' vorkommenden .politischen Differenzen„ zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR .die Entwicklung der ökonomischen Beziehungen nicht zu beeinträchtigen brauchten”, und welche Auffassung der Bundesregierung hat Wischnewski gegebenenfalls dazu zum Ausdruck gebracht?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Höhmann, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Herr Staatsminister Wischnewski hat den Leiter der Ständigen Vertretung der DDR, Herrn Dr. Michael Kohl, am 14. März zu einer Unterredung im Bundeskanzleramt empfangen. Ein wesentlicher Punkt der Erörterungen waren die Einreiseverweigerungen für
Besucher der Leipziger Frühjahrsmesse.
Ich sehe mich allerdings nicht -in der Lage, über diese Bemerkung hinaus im einzelnen auf den Ablauf und den Inhalt des Gespräches einzugehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung für notwendig, daß bei Gesprächen der Art, wie sie Herr Staatsminister Wischnewski mit Herrn Kohl geführt hat, die Frage, die Herr Honecker hier angesprochen hat und die ja ganz offensichtlich verhindern soll, daß die Bundesrepublik Deutschland ihre Wirtschaftsbeziehungen mit der DDR in Zusammenhang mit diesen Schikanen bringt, so behandelt, daß die DDR erkennt, daß wir dieses Spiel nicht mitspielen?
Höhmann, Parl. Staatssekretär: Herr Jäger, die Bundesregierung hat bei mehrfacher Gelegenheit den Zusammenhang aller Bereiche der Deutschland- politik gegenüber der DDR-Regierung betont.
Die zweite Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, war Herrn Staatsminister Wischnewski bei diesem Gespräch bekannt, . daß Herr Staatssekretär Rohwedder in Leipzig bei seinem Gespräch mit Minister Sölle ausdrücklich die Auffassung Honeckers zurückgewiesen und erklärt hat, die Budesregierung sehe sehr wohl einen sehr engen Zusammenhang zwischen dem innerdeutschen Handel und der Frage, wie sich die DDR an ihre Verpflichtungen aus den innerdeutschen Abmachungen hält?
Höhmann, Parl. Staatssekretär: Herr Jäger, genau dies habe ich eben darzustellen versucht. Wenn Sie richtig zugehört haben, haben Sie das sicher meiner Antwort entnommen.
Keine Zusatzfrage mehr.
Die Frage. 73 der Abgeordneten Frau Krone-Appuhn wird auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 74 und 75, beide gestellt von Herrn Abgeordneten Dr. Marx, sind nach den Richtlinien für die Fragestunde in dieser Woche unzulässig.
Damit sind die Fragen zu Ihrem Geschäftsbereich abgeschlossen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Offergeld steht zur Beantwortung — —
— Er ist nicht da?
Vizepräsident Frau Renger
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner steht zur Beantwortung — —
— Ich kann es ja nicht ändern. Das ist sehr bedauerlich. Das Parlament findet das nicht sehr schön.
Ich werde das der Regierung entsprechend mitteilen.
Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Bülow ist, wie ich gerade sehe, da, so daß ich noch den Verteidigungsbereich aufrufen kann.
— Es tut mir leid. Aber das sollten wir trotzdem machen. Wir werden der Regierung entsprechend mitteilen, daß wir das ungehörig finden.
Herr Dr. von Bülow steht hier zur Verfügung.
Eine Sekunde! Darf ich, weil das nun durcheinandergegangen ist, fragen: Wünschen Sie, daß Herr Grüner antwortet? Oder wollen wir Herrn Dr. von Bülow zur Beantwortung bitten? Wie ist das mit den Kollegen, die hier Fragen gestellt haben?
Es tut mir leid, ich habe zunächst Herrn Dr. von Bülow gebeten, der gerade hier war. Es bleibt dabei, daß wir jetzt die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung behandeln.
Ich rufe die Frage 108 des Herrn Abgeordneten Gärtner auf. Er ist nun leider nicht im Saal. Seine Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
— Herr Gärtner kommt gerade? Wo? — Nein. Ich kann ja nun wirklich nicht darauf warten, daß jemand kommt.
— Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe.
Die Fragen 109 und 110, beide von Herrn Abgeordneten Milz gestellt, werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Fragen 111 und 112 des Herrn Abgeordneten Höpfinger. -- Der Fragesteller ist nicht im Saal. Das liegt natürlich auch daran, daß er nicht annehmen konnte, daß seine Frage heute noch drankommt. Die beiden Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Frage 113 des Herrn Abgeordneten Spranger. Ist er im Saal? — Nein. Auch diese Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 114 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann . — Auch er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 115 des Herrn Abgeordneten Gansel. Ist er im Saal? -- Nein. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 116 des Herrn Abgeordneten Jungmann auf:
Ist der Bericht der .Frankfurter Rundschau" vom 12. Februar 1977 zutreffend, demzufolge statt der im Haushaltsjahr 1976 vorgesehenen 330 Millionen DM zur Materialerhaltung und -instandsetzung bei der Bundesmarine jetzt 600 Millionen DM fällig geworden sind, und wenn ja, welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus dieser Fehlplanung ziehen?
Der Herr Abgeordnete Jungmann ist im Saal. Herr Staatssekretär, ich bitte, diese Frage zu beantworten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrter Herr Kollege, der Bericht der „Frankfurter Rundschau" vom 12. Februar 1977, demzufolge statt der im Haushaltsjahr 1976 vorgesehenen 330 Millionen DM für die Materialerhaltung und -instandsetzung bei der Bundesmarine jetzt 600 Millionen DM fällig geworden sind, trifft nicht zu. Nach noch nicht abgeschlossenen Untersuchungen muß möglicherweise für den Zeitraum von 1976 bis 1980 mit einem Mehrbedarf von über 200 Millionen DM gerechnet werden. Fest steht bisher ein Mehrbedarf von 190 Millionen DM, der im Rahmen des, 10. Finanzplanes mit Schwerpunkt 1977 und 1978 abgedeckt ist. Etwa erforderlich werdende weitere Titelaufstockungen können erst im Rahmen des nächstjährigen Finanzplanes berücksichtigt werden.
Für den Mehrbedarf sind folgende Gründe maßgebend: Kostenerhöhungen bei laufenden Vorhaben, Nachzahlungen auf Aufträge des Jahres 1975 und insbesondere für das Jahr 1976, ein schnellerer Rechnungseingang infolge veränderter Beschäftigungslage bei den Werften.
Das späte Erkennen des Mehrbedarfs ist darauf zurückzuführen, daß die Kostenüberwachung durch die mit der Materialerhaltung der Marine befaßten Dienststellen der Marine und des Rüstungsbereiches nicht voll den Erfordernissen entsprochen hat. Darüber sind Untersuchungen durchgeführt worden, die neue Weisungen für ein verbessertes Instandsetzungsmanagement zur Folge hatten. Darüber hinaus soll sich eine Kommission mit der Überprüfung der derzeitigen Organisationsform des Instandsetzungswesens der Marine befassen.
Herr Kollege, bitte, zu einer Zusatzfrage. Wir müssen uns auf zwei Zusatzfragen beschränken.
Herr Staatssekretär, können Sie hier darstellen, welche Auswirkungen das Fehl an Mitteln bis 1980 auf die Einsatzbereitschaft der Flotte hat?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1315
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Die Mittelverwaltung und der Einsatz der Mittel werden so gesteuert werden, daß die Einsatzbereitschaft der Flotte voll gewährleistet sein wird.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, hier auch zu sagen, ob die Bundesregierung personelle Konsequenzen auf Grund der von Ihnen angedeuteten Entwicklung im Management der Instandsetzung der Marine ziehen wird?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Auch dies ist im Bereich der jetzt angestellten Überlegungen.
Danke schön, Herr Staatssekretär. — Ich teile noch mit, daß die Fragen 48 und 107 von den Fragestellern zurückgezogen worden sind.
Damit ist die Fragestunde beendet.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 1 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen und systematische Ubersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 13. Dezember 1972 bis 13. Dezember 1976 eingegangenen Petitionen
— Drucksache 8/202 —
Wortmeldungen liegen nicht vor. Entspricht das Haus der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wir fahren in der Aussprache zu Tagesordnungspunkt 4 a und b fort: Beratung des Jahresgutachtens 1976/77 des Sachverständigenrats und Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1977 der Bundesregierung.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Barzel.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich gern an die Aufforderung des Herrn Bundeswirtschaftsministers halten, die er in seinen Schlußsätzen aussprach, also zur Sache und von der Sache her sprechen. Freilich ist es mir nicht möglich, wie er dies tat, allein die Horizonte abzutasten. Denn die Zukunft wird heute gewonnen oder verspielt, und was wir heute haben, wurde gestern von dem Ausgangspunkt der Realitäten bestimmt. Ausgehend von dem, was heute ist, Herr Bundeswirtschaftsminister, so fürchte ich, werden Sie die Horizonte, von denen Sie sprachen, nicht erreichen.Das ist nun darzutun.Der Sachverständigenrat, dessen Gutachten — wenigstens nach der Tagesordnung — heute zur Debatte steht, empfiehlt ein „Programm der wachstumspolitischen Vorsorge". Dieser Vorschlag umfaßt eine Größenordnung von 3 Milliarden DM. Der Vorschlag setzt da an, wo Wachstum beginnt: in der privaten Wirtschaft; dieser soll mit steuerlichenErleichterungen, durch Förderung von Forschung, Mobilität der Arbeitnehmer und durch Hilfe zur Gründung neuer selbständiger Existenzen geholfen werden.Nun muß niemand, verehrter Herr Kollege Friderichs, dem Sachverständigenrat folgen. Aber wenn man dies nicht tut, muß man sagen, warum man nicht folgt, und wenn Herr Kollege Lambsdorff von einer Anstrengung spricht, wie sie im Zahlenvolumen nie gewesen sei, muß man dartun, warum man mit diesen riesigen Zahlen nicht in der privaten Wirtschaft ansetzt, sondern allein ein staatliches Förderungsprogramm begründet.
Verehrte Damen und Herren, warum tut dies der Bundeswirtschaftsminister nicht, wo doch dieser Vorschlag des Sachverständigenrats genau auf der Linie seiner Sommervorschläge — ich glaube, vom Jahre 1975 — vor dem FDP-Parteivorstand liegt?Leider ist es schlimmer: Die Bundesregierung übernimmt im dem Programm, das hier heute eingeführt ist, zwar die Überschrift des Sachverständigenrates, nicht aber den Inhalt; den Inhalt stellt sie auf den Kopf. Sie legt ein öffentliches Investitionsprogramm vor, ein Programm ohne die vorgeschlagenen Anregungen für die private Wirtschaft. Ein solches Programm mit Anregungen auf diesem Gebiet würde dem entsprechen, was wir im Oktober 1975 hier vorgelegt haben. Das könnten wir begrüßen und diskutieren. Denn wir haben, meine Damen und Herren, jedes Interesse daran — das sage ich jetzt zu einigen falschen Tönen, die heute morgen im Laufe der Debatte zu hören waren —, daß die Arbeitslosigkeit bald beseitigt wird; daß die junge Generation wieder Chancen und die Älteren wieder soziale Sicherheit bekommen; daß die öffentlichen Haushalte und Kassen, auch die Haushalte der Sozialversicherung, wieder Solidität ausstrahlen, Sicherheit geben und Reformen ermöglichen.Mit diesem Programm der Koalition, so fürchten wir, werden Sie weder die Arbeitslosigkeit bald überwinden noch zusätzliche Beschäftigung für annähernd zwei Millionen Menschen erreichen. Das ist nämlich das Problem. Dieses Programm wird zunächst den Planungsbüros zugute kommen, kaum aber denen, die jetzt ohne Arbeit sind, oder denen, die morgen aus den geburtenstarken Jahrgängen nach Ausbildung und Arbeit suchen. Dieses Programm wird auch nicht jenen nötigen neuen Anfang des Vertrauens geben. Wer das wirkliche Problem lösen, also eher zwei Millionen als eine Million neuer Arbeitsplätze schaffen will, braucht — ich zitiere den Sachverständigenrat frei — eine Wirtschaftspolitik, die zu einem realen Wachstum der Bruttoanlageinvestitionen im Unternehmensbereich von 8 bis 10 % je Jahr führt. Das werden Sie, verehrte Damen und Herren, mit diesem Programm und mit dieser Politik nicht erreichen.Ihr Programm ist unzureichend, es ist einseitig. Ihre Politik ist weder zielgerecht noch folgerichtig, folgerichtig gegenüber den Ursachen der Malaise, noch entsprechen die Mittel, die Sie anwenden, Ihren verkündeten Vorhaben. Die deutsche Volks-
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1316 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Dr. BarzelWirtschaft, verehrte Damen und Herren, braucht nicht einen neuen Garten um den Baum, der hier Früchte tragen soll. Der Baum braucht auch nicht Wasser, mit dem Gartenschlauch an die Blätter gespritzt, er braucht Dünger und ein gesundes Erdreich.
Meine Damen, meine Herren, von der Substanz her sind die Probleme anzugehen. Eine Stärkung der Substanz ist notwendig. Dazu gehört Vertrauen, und Vertrauen ist, wie der Bundeskanzler sagte, „die Hälfte der Konjunktur" — also ist mindestens die Hälfte der Malaise auf mangelndes Vertrauen zurückzuführen. Mehr Vertrauen:
Vertrauen in die Absichten der Regierung, Vertrauen in ihr gegebenes Wort, Vertrauen in ihre Ordnungspolitik.
Ihr Programm, Herr Schachtschabel, sät statt dessen,wie ich fürchte, Mißtrauen, weil es allein ein Programm zur Förderung öffentlicher- Investitionen ist,
weil es nichts für die private Wirtschaft tut und wir so wieder auf dem Wege zu einem Stück mehr Staat sind. Dies muß doch hier gesehen werden.
Zur Stärkung der Substanz gehörte z. B. — dies ist heute dargetan worden und wird eine Rolle spielen — ein Stück dauerhafter Entlastung von Kosten— Herr Wolfram, es ist Ihnen doch klar, daß das dazu gehört —, z. B. durch Senkung ertragsunabhängiger Steuern.
— Vorgeschlagen haben Sie so vieles, Graf Lambsdorff. Die Reden von Ihnen und Herrn Friderichs sind zwar oft hervorragend, aber wo bleiben die Taten der Koalition? Sie verantworten doch die Taten, verehrter Herr Kollege.
— Aber verehrter Herr Kollege Wolfram, lassen Sie mich doch versuchen, hier einen Gedanken im logischen Ablauf darzutun. — Nun wird, wenn wir sagen: Senkung ertragsunabhängiger Steuern, z. B. der Vermögensteuer, gesagt, dies bedeute, so unlängst Herr Vetter, „Begünstigung der Unternehmer". Verehrte Damen und Herren, in Wahrheit begünstigen diese Steuern, weil es sie im Ausland überwiegend nicht gibt, unsere ausländischen Wettbewerber. Dies muß in die Debatte eingeworfen werden. Wir müssen doch sehen, daß das Zusammentreffen der von Ihnen verantworteten Heraufsetzung der Vermögensteuer, der von Ihnen verantworteten Nichtabzugsfähigkeit der Vermögensteuer und der gleichzeitigen Anhebung der Einheitswerte gerade für den Mittelstand ruinös ist. Und wenn der Mittelstandruiniert ist, verlieren wir ein Stück Elastizität und Flexibilität.
Damit, verehrte Damen und Herren, büßen wir die Überlegenheit der Sozialen Marktwirtschaft ein.Ich möchte mich an dieser Stelle der Kritik an diesen Steuern nicht noch einmal auf das beziehen, was ich am 17. Dezember dazu gesagt habe. Da ist etwas Grundsätzliches, das vor allen Dingen an diese Seite des Hauses gerichtet wird: Wer fair ist, kann doch nicht zugleich durch Mitbestimmung das Unternehmen zu einem Sozialverband machen und, wenn es ihm gerade anders paßt, eben diese Unternehmer aus Klassenkampfgründen beschimpfen. Wer zugleich auf zwei Seiten posiert, hat keinen Standpunkt und schwimmt irgendwo herum. Das ist nicht in Ordnung.Wir haben — jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Wolfram, mit den 16 Milliarden DM — eine private Wirtschaft. Nur wenn die anspringt, wird es wirklich einen Aufschwung geben. Ihnen ist doch bekannt, daß die Investitionen der privaten Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland im vergangenen Jahr 236 Milliarden DM betrugen, daß dem öffentliche Investitionen von 44 Milliarden DM gegenüberstehen. Damit haben Sie einen Hinweis auf die Größenordnung der Probleme und auf die Chance, wo man ansetzen muß, wenn es weitergehen soll. Ihnen ist das bekannt, Graf Lambsdorff; Sie haben schon einmal darauf hingewiesen.
Sachverständige haben doch dargetan, Herr Wolfram — darüber wird noch im einzelnen zu sprechen sein —, daß der Anteil aller staatlichen Programme an der wirtschaftlichen Erholung, soweit es sie schon gibt, höchstens auf ein Fünftel zu veranschlagen ist. Vier Fünftel beruhen auf dem, was der Finanzminister Apel nach der „Stuttgarter Zeitung" unlängst in Zweifel stellte, nämlich auf den „Selbstheilungskräften der Wirtschaft". Von daher kommt's oder es kommt nicht. Deshalb ist zu fragen: Wo bleibt der Teil Ihrer Politik, der umfassend hilft, der in der privaten Wirtschaft ansetzt, der von dort her Anstoß, Anregung und Wiederbelebung gibt?Gewiß, wir räumen ein, daß Sie ein kleines Stückchen davon in Ihr Steuerpaket eingepackt haben, besser: dahinter versteckt haben. Nur, das ist ein kleine Stück. Das Ganze ist ja viel teurer, und ich möchte mit aller Deutlichkeit sagen: Diese Mehrwertsteuererhöhung behindert die gewollte Wirkung; sie nimmt mit der einen Hand, was sie mit der anderen Hand geben wird. Ich sage Ihnen: Wir lehnen dieses Steuerpaket ab.
Das auch mit dem Blick auf die Größenordnung, Graf Lambsdorff. Sie bekommen aus dieser Mehrwertsteuererhöhung in der Laufzeit 1978 bis 1981 Mehreinnahmen von 53 Milliarden DM. Sie bekommen durch diese Steuererhöhung eine Preissteigerung von bis zu 2 % im Jahr.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1317
Dr. Barzel— Das ist alles ausgerechnet. Das können Sie alles in amtlichen Dokumenten der Bundesregierung nachlesen. Wenn Sie dann nur Lohnsteigerungen inHöhe dieser 2 % berücksichtigen, haben Sie wieder 11 Milliarden DM. Wenn Sie alle diese Zahlen den 1,3 bis 2 Milliarden DM, die die ertragsunabhängigen Steuern für die Wirtschaft bringen, gegenüberstellen und das mit dem 17 Milliarden-DM-Programm vergleichen, dann wird hier eben auf dem falschen Fuß hurra geschrien. Auf diesem Bein werden Sie, Herr Kollege Friderichs, die Zukunft nicht erreichen, höchstens humpelnd, und dann sind die Horizonte nicht in Ordnung, die Sie heute aufgebaut haben.Der Jahreswirtschaftsbericht, von dem auch zu sprechen ist, nimmt ja zu einem Teil — leider nur zu einem Teil — den Ruf des Sachverständigenrats auf. Er spricht von der „Arbeitsplatzlücke", von der „Investitionslücke". Dann sagen Sie, es sei notwendig, die Investitionen zu stärken. Wir erklären uns mit diesem Ziel einverstanden. Nur fragen wir Sie: Wo ist eigentlich Ihre Konsequenz? Wo sind die Taten, die diesem Wort entsprechen? Konkret: Wo ist der Beitrag zur Steuerpolitik jetzt, der geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen? Wo ist zum anderen der Beitrag der Haushaltspolitik zu mehr Investitionen? Die Wahrheit ist: Die Investitionsquote des Bundes sinkt von 17,1 % im Jahre 1970 auf 12,1 % im Jahre 1980. Das wird sich durch dieses Programm, wo wir nun die Größenordnungen kennen, auch nicht wesentlich ändern.Natürlich anerkenne ich — das sage ich auch an die Adresse des Herrn Finanzministers — den Beitrag, den die Sanierung der öffentlichen Finanzen etwa für die Zinskosten mit sich bringt. Das wollen wir nicht bestreiten. Wir anerkennen auch, daß hier vielleicht Spielraum für private Investitionen geschaffen wird. Ich verkenne nicht einmal — damit wir wirklich sachlich diskutieren — die möglichen, denkbaren Anreize, die von diesem öffentlichen Programm auf die private Wirtschaft ausgehen. Nur, ich muß fragen: Ist das bei der Aufgabe, um die es geht, eigentlich alles? Ich muß fragen: Stimmen hier die Gewichte? Ich habe Ihnen die Zahlen genannt. Was Sie machen, genügt nicht, um das Ziel, von dem ich sprach, zu erreichen.Hier ist auch nicht zu spüren — trotz der Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers muß ich das sagen —, wo wenigstens der Ansatz — das hätten wir gerne den Kanzler gefragt; aber wenn er verhindert ist, können wir das nicht ändern —, wo wenigstens der Ansatz zu einer geistigen und politischen Führung ist, ohne die es doch auch in der Wirtschaftspolitik nicht geht. Wirtschaftspolitik ohne das ist doch wie ein Schiff auf hoher See, zwar mit Motor, aber ohne Kraftstoff. „Wenn es nicht gelingt"— so zitiere ich aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 9. März Herrn Kannengießer —, „die Struktur der öffentlichen Haushalte zugunsten einer Politik der Investitionsförderung zu verändern, wird es weder gelingen, die Haushalte zu sanieren, noch, die notwendigen Wachstumsimpulse zu setzen." Das war von Herrn Kannengießer an den Bundeswirtschaftsminister adressiert, wie wir beide sicher sehr gut gemerkt haben.
— Verehrter Graf Lambsdorff, meine Herren von der Koalition und von der Regierung, wenn es wirklich so wäre, wie Sie sagen — was wir zum überwiegenden Teil bestreiten —, daß ein großer Teil unserer Probleme fremdgemacht sei, daß er aus der Weltwirtschaft hereinkäme, dann müßte eine rationale Wirtschaftspolitik dem begegnen, indem sie binnenwirtschaftlich die Kosten senkt, den Entscheidungsspielraum für die Unternehmen vergrößert und über die binnenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen unbezweifelbare Sicherheit gibt.
Nichts davon ist der Fall.
Wir haben — ich sage: erfreulicherweise — keinen Streit darüber, daß das ein Stück unseres Erfolges ist, was ich die Sozialqualität der Bundesrepublik Deutschland nenne. Sie nennen das anders, Herr Kollege Apel. Es besteht auch kein Streit darüber, daß „sozialer Konsens" nötig ist. Der Kanzler spricht gern davon; wir freuen uns darüber, daß er noch etwas hat, woran er sich freuen kann.
— Es ist doch so; es ist doch traurig geworden. Ich würde mehr dazu sagen, wenn er da wäre.Wir brauchen aber auch, glaube ich, einen nationalen Konsens. Er muß, Koalitionen hin und her, von Wyhl über Brokdorf bis Berlin reichen, wie ich glaube. Insoweit wäre Zusammenrücken nach Diskussion und Zusammenstehen nach Entscheidung wichtig. Dies möchte ich zu einigen Anregungen von heute sagen. Aber: Was wird man später einmal — vielleicht im Dunkeln, weil der Strom fehlt, vielleicht weil die Energie bei sinkenden Löhnen und steigender Arbeitslosigkeit fehlt, vielleicht bei dem, was ich gestern extemporiert den omnipotenten Staat nannte, weil er Energie zuweisen muß —, was wird man dann über die jetzt Verantwortlichen sagen, die nicht nur über ihre Verhältnisse gelebt haben, sondern die zu ihrer Zeit unfähig waren, den Nachkommen wenigstens genug Energie zu hinterlassen, damit diese sich aus eigener Anstrengung eine andere Gegenwart und Zukunft schaffen können?
Dies ist doch eine Frage an diese Bundesregierung. Wer aufpaßt und das nicht Bürgerinitiativen überläßt, der merkt doch, daß hier metaökonomische, psychologische Fragen entstehen, die auf ökonomische und soziale Fakten heute und morgen einwirken. Hier ist Geist gefragt und nicht nur Geld; hier ist politische Führung und Konzeption gefragt; wie die Verläßlichkeit des Wortes der Politiker, verehrter Herr Lacher. Das ist eine Frage, die in den letzten Wochen und Monaten an alle in diesem Hause gerichtet ist; die alle ernst nehmen sollten,
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1318 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Dr. Barzelwenn nicht der Ruf nach neuen Autoritäten in der Bundesrepublik Deutschland aufkommen soll.
Deshalb sage ich: Ich bedauere, daß es der Bundesregierung meisterhaft gelingt, auf Dauer den Eindruck zu erwecken, als sei sie die einzige Stelle in der Bundesrepublik Deutschland, deren Sensibilität nicht ausreicht, diese neuen Fragen, die sich hinter scheinbar nur ökonomischen Problemen als die Vorausboten eines künftigen möglichen Erdbebens stellen, auch nur zu erahnen. Ich leugne nicht, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie heute morgen mit Ihren Horizonten versucht haben, das anzuleuchten; aber leider haben Sie dort aufgehört, wo die Antworten beginnen, haben es z. B. hinsichtlich des Wachstums nur bei einer flüchtigen Frage bewenden lassen.Wenn Sie mir erlauben, dies noch für einen Augenblick auszuführen, dann sage ich — ich komme auf die gestrige Debatte zurück —, daß man am Beispiel Berlins sehen kann, daß eine Politik nur dann Erfolg hat, wenn zuvor der Geist die Ziele gesetzt hat, wenn vorher der Wirkraum geschaffen und der Mut zum Handeln gegeben ist. Wenn wir nun in Berlin sehen, in einer Stadt, die aus vielen Gründen seit geraumer Zeit ohne politische und geistige Führung ist, die auch im geistigen und politschen Bereich von Bonn alleingelassen wird, wie dort über Rezessionsfolgen und Großstadtfragen hinaus die Investitionen zurückgehen und die Arbeitsplatzzahlen sinken, dann kann doch niemand leugnen, daß hier der Vorrang für Politik und für Geist gegeben werden muß. An diesem Beispiel können Sie sehen —und deshalb sage ich es Ihnen —: Wer hier nicht bald sagt, wozu wir Wachstum, wofür wir Energie, warum wir Fortschritt brauchen, der wird bewirken, daß sich durch Verzicht auf Geist und Konzeption auch hier jene Ereignisse einschleichen, die ich nicht mit einem besonderen Wort belegen will.
Ich möchte mir erlauben, auf einen grundsätzlichen Zusammenhang hinzuweisen. Wir alle sind manchmal mächtig stolz, vor allen Dingen in Vorträgen — und das geht dann quer durch die Parteien —, daß wir das beste wirtschaftspolitische Instrumentarium moderner Staaten hätten. Und wir weisen dann mit Recht auf unsere Gesetze hin: Irgendwann im Herbst muß sich der Sachverständigenrat, müssen sich also Professoren gutachtlich äußern, und darauf gibt die Regierung im Januar die Antwort; diese Antwort enthält dann auch all die Annahmen, die für die Sozialpolitik, die Haushaltspolitik usw. fundamental sind. Was soll aber die Logik dieses Instrumentariums, wenn die Folgerichtigkeit dieses Instrumentariums schon in dem törichten Verfahren der Drehtüren dieses Hauses hängenbleibt, wenn wir z. B. heute erst die Voraussetzungen für Steuerpolitik, für Rentensanierung, für all die anderen Dinge diskutieren, nachdem wir schon die Debatte über die Renten, über den Haushalt, über die Steuern gehabt haben? So machen sich doch die Einzelpolitiken durch das Verfahren selbständig. So diskutiert man eben — und fördert so Anspruchsinflation — jedes Problem aus dem eigenen Sachverhalt und die Kausalität, der Zusammenhang von Ursache und Wirkung, geht verloren; der Fortschritt macht sich selbständig; löst sich von den Ursachen des Möglichen; löst sich aus der Verklammerung mit dem, was man tatsächlich finanzieren und machen kann; und so landet man im Reich der Wünsche. Und dort angekommen, wundert man sich, daß man den Boden unter den Füßen verloren hat.
Dies ist die Realität, verehrte Damen und Herren.Ordnungspolitik beginnt mit Ordnung in der Politik.
Ich habe deshalb die Bitte — da stimmen Sie mir doch heimlich zu, Herr Jens — an den Bundeswirtschaftsminister — und dies sollte keine unzumutbare Bitte hinsichtlich seines möglichen Einflusses innerhalb der Koalition auf die Mehrheit sein —, daß es im nächsten Jahr wenigstens wieder mit der Ordnung in der Politik als einer Voraussetzung für Ordnungspolitik stimmt.Die Folgerichtigkeit, mit der ich Sie noch für einige Momente werde beschäftigen müssen, wird noch an einer anderen Stelle durchbrochen. Der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung ist nach dem Gesetz gehalten, Stellung zu nehmen zum Sachverständigengutachten. Herr Kolle Friderichs, Sie tun dies, aber Sie tun es nicht durchweg. Sie tun dies selektiv. Sie nehmen zu den Dingen Stellung, die Ihnen besser passen als andere. Wenn auch an dieser Stelle die Folgerichtigkeit, zum zweiten Mal also, durchbrochen wird, dann kommt eben an der dritten Stelle, wo dieses Haus mit seiner Mehrheit dank Gesetz die Konsequenz aus diesen Erkenntnissen zu ziehen hat, wieder ein Bruch hinein, wieder machen sich die einzelnen Dinge unabhängig von den Gesamtzusammenhängen. Die Einzelheiten sind dann in sich vielleicht ganz vernünftig diskutiert, nur fehlt der Boden unter den Füßen.Man könnte dies z. B. an drei Stellen belegen. Lassen Sie mich das im Eilgalopp sagen.Das erste ist die Ziffer 16, verehrter Herr Bundeswirtschaftsminister. Da heißt es — ich zitiere nur einen Satz —:In ihrem Kern waren die Beschäftigungsprobleme längst angelegt, b e v o r es zu einer Rezession kam.Hierzu sagen Sie gar nichts. Indem Sie hier Ihre Argumente und die ganze Wahrheit verschweigen, machen Sie sich natürlich mitschuldig daran, daß wir nicht folgerichtig Ursachen, Weg und Mittel diskutieren können.Das zweite — auch dies kürzer, als es geboten wäre —: Der Sachverständigenrat spricht von den Lücken an Investitionen und Arbeitsplätzen. Er spricht auch von den materiellen und immateriellen Schäden, vom Vertrauensverlust. Von der Abteilung immaterieller Schäden sprechen Sie überhaupt nicht, und aus der Abteilung materieller Schäden nehmen Sie das heraus, was Ihnen paßt. Wenn man sich die Begründung des Jahreswirtschaftsberichts
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Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1319
Dr. Barzeletwa zur Steuererhöhung anguckt. stellt man fest, daß da nur von der Sanierung des Haushalts die Rede ist. Ich habe schon davon gesprochen. Aber es gibt doch wohl noch ein paar andere Probleme, die man in dieser Situation erörtern müßte, bevor man in diesem Ausmaß die Steuern erhöht.Und das dritte: Sehen Sie sich einmal an, was der Sachverständigenrat über Europa sagt und was der Jahreswirtschaftsbericht daraus macht. Das kann man nur kläglich nennen. Gleichwohl — und dies muß ich eben mal loswerden — würde ich dem Grafen Lambsdorff empfehlen, doch wenigstens diese Passage zu lesen. Ich empfehle ihm auch, das Kornmuniqué aus Paris über die Notwendigkeit, Europa wiederzubeleben, zu lesen, und ich empfehle ihm, das zu lesen, was die Europäische Gemeinschaft mit Zustimmung der Bundesregierung über die Mißstände in Europa gesagt hat.Ich sage dies deshalb, weil Sie so freundlich waren, in einer Vordebatte mit mir polemisch festzustellen — ich zitiere Sie aus Ihrem Pressedienst vom 8. Februar —: „Ich will nicht die positiven Ansätze der Erklärung des Dr. Barzel leugnen" usw. Dann wird kritisiert, daß ich vom „Torso der Europäischen Gemeinschaft" gesprochen hätte, und dann schreibt Graf Lambsdorff: „Der Bereich der Wirtschaft ist fast der einzige, wo Europa wirklich funktioniert." — Graf Lambsdorff, wenn Sie mit mir polemisieren wollen, empfehle ich Ihnen, den Hut abzusetzen, bevor Sie so etwas diktieren — oder abzeichnen. Denn hiervon kann kein Wort wahr sein. Ich kann Ihnen eine ganze Sammlung nicht nur von Zitaten, sondern auch von Dokumenten vorlegen, z. B. den Satz: „Die Gemeinschaft war unfähig, gemeinsam konstruktive Antworten auf die mit der Krise zusammenhängenden Fragen zu finden." Wenn ich Sie jetzt fragte, ob es eigentlich eine europäische Wirtschaftspolitik gibt, müßten Sie sagen: Nein, es gibt Harmonisierungsbemühungen und nicht mehr.Indem die Bundesregierung die Zusammenhänge löst, darf es sie nicht wundern, daß die Einzelheiten aus den Fugen des Zusammenhalts geraten und wir dann eben leider feststellen müssen, Herr Bundeswirtschaftsminister: Wir haben nicht eine in sich schlüssige ökonomische Politik, die die Basis für alle anderen Politiken ist, die ja nur das verteilen können, was wir vorher erwirtschaftet haben. Wir haben keine Folgerichtigkeit im Wandeln auf dem Wege von den Ursachen zu den Zielen, sondern wir haben Einzelpolitiken. Insofern brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn dann die Wirtschaftskraft weder ausreicht, mit den Renten richtig fertig zu werden noch mit der Vollbeschäftigung noch mit den Preisen noch mit den Chancen junger Menschen noch mit den Reformen noch mit den Steuern noch mit dem Haushalt.Wie soll auch, so ist nun zu fragen, — das ist der dritte Punkt bei dieser Folgerichtigkeitsschelte — eine rationale, folgerichtige Wirtschaftspolitik entstehen, solange der Konsens der Koalition weder ausreicht, eine kritische Lage zuzugeben, noch ausreicht, deren Ursachen zu erkennen, noch deutlich zu sagen, wie man sie beseitigen will. Die Tatsachen zwingen doch dazu, im Gegensatz zu der Schönrednerei der Koalition von einer kritischen Lage zu sprechen. Denn den Maßstab für die Wirtschaftspolitik bestimmen wir nicht freihändig, sondern den bestimmen die Gesetze, also auch das Gesetz über Stabilität und Wachstum, und das heißt: Vollbeschäftigung, stabile Preise, wirtschaftliches Wachs-turn und außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Die tatsächlichen Daten sind davon alle weit entfernt.Ich möchte gern noch einiges sagen, was hinzukommt, nämlich daß die deutsche Volkswirtschaft 100 Milliarden DM in den letzten Jahren nicht investiert hat, die sie eigentlich hätte investieren mils-sen. Hinzu kommen: die öffentliche Verschuldung; die unzureichende Ausbildungs- und Arbeitsfürsorge für die geburtenstarken Jahrgänge; der traurige und einmalige europäische Rekord, daß hierzulande ein Viertel der Hauptschüler ohne Abschluß die Hauptschule verlassen; der Rekord der Konkurse. Kommen Sie mir nicht damit, daß es immer welche gegeben hat. Natürlich; aber nicht so viele. Das Entscheidende ist, daß wir von 1966 bis 1970 einen Überschuß bei den Anmeldungen gegenüber den Abmeldungen von Selbständigen von ungefähr 15 000 hatten und seither einen Überschuß bei den Abmeldungen gegenüber den Anmeldungen haben und daß die Lust junger Menschen, sich selbständig zu machen — fragen Sie jeden Handwerkskammerpräsidenten —, sinkt.
Wir haben den abnehmenden Wettbewerb bei zunehmender Konzentration zu beklagen. Wir haben die Überforderung unserer Volkswirtschaft zu beklagen, die mit einer einzigen Zahl bewiesen werden soll: Der Anstieg des nominalen Bruttosozialprodukts von 1970 bis 1976 betrug 65 %, der Anstieg des realen Bruttosozialprodukts im selben Zeitraum 15 %. Muß man mehr dazu sagen, um die Überforderung zu beweisen?Sie haben also trotz all Ihrer Programme hohe Staatsdefizite, hohe Arbeitslosigkeit, kein richtiges Wachstum und eine Krise der Sozialversicherung. Wenn man aber nun den Kanzler hört, gibt es überhaupt kein binnenwirtschaftliches Problem. Wenn man seiner Regierungserklärung folgt, für die eben auch der Wirtschaftsminister, Herr Kollege Friderichs -- ich komme noch darauf — die Verantwortung trägt, zumindest für den wirtschaftspolitischen Teil, dann sind schuld an allem — ich zitiere — „die Auswirkungen der Weltrezession" ; entscheidend sei, „ob es der Weltwirtschaft gutgehe oder nicht". Das ist bis in die letzten Tage so. Am 17. Februar sagte der Kanzler im „Stern" : „Es gibt keine deutsche Arbeitslosigkeit, sondern Weltarbeitslosigkeit." Auf die Frage: „Was wollen Sie eigentlich tun?" sagt er: „Ich setze meine Hoffnung auf die Kooperation der wichtigsten an der Weltwirtschaft beteiligten Staaten." Verehrte Damen und Herren, wenn das so wäre, so wäre doch zu fragen, warum der Kanzler, nachdem er ein halbes Jahr im Amt ist, noch nicht in Washington war, um mit Präsident Carter zu sprechen. Die Wahrheit ist eben ganz anders, die Ursachen wirken nicht nur von draußen herein, es gibt auch hier Gründe. Sie überwiegen.
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1320 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Dr. BarzelWarum sonst würden Sie 16 Milliarden DM für denbinnenwirtschaftlichen Bereich auf den Tisch legen?
Eine andere Ursachenanalyse gibt der Sachverständigenrat, wieder eine andere finden Sie im Jahreswirtschaftsbericht. Wenn Sie sich die Mühe machen, das durchzulesen, was die Europäische Gemeinschaft mit Zustimmung dieser Bundesregierung als Viertes mittelfristiges Wirtschaftsprogramm der Gemeinschaft vorlegt, so finden Sie dort einen Teil der Ursachen klar beschrieben. Da ist auch gesagt, was jetzt gemacht werden müßte.Nur, verehrte Damen und Herren, regieren heißt nach einem französischen Wort auswählen: Welche Wahrheit von den vielen wählen Sie aus? Welche Ursache geben Sie uns an, damit wir diskutieren und sagen können: Diese Ursache meinen wir auch? Wir hätten dann bald auch ein gemeinsames Ziel und könnten uns vielleicht noch über die Mittel streiten. Das wäre eine rationale Wirtschaftspolitik in einer parlamentarischen Demokratie, aber davon sind wir weit entfernt. Angeboten wird das Durcheinander von Wahrheiten, und das kann man dann auch die Unwahrheit nennen.Der Jahreswirtschaftsbericht — ich komme wegen der Rede des Finanzministers Apel von heute morgen darauf zurück — hat unter Ziff. 2, vorne in der Zusammenfassung schnell zu finden, die kühne Behauptung aufgestellt, wir hätten eine „günstige Kostenentwicklung". Und der Kollege Apel hat dann hier eine Zahlenreihe genannt, für die er das ausgewählt hat, was ihm paßt; das andere hat er ein bißchen weiter nach hinten gerückt. Verehrte Damen und Herren, bei schwankenden Begriffen stimmt für einen Teil der Statistik des Jahres 1975 das, was Sie sagen, aber schon in diesem Jahr sind wir mit den Lohnstückkosten weiter vorne. So ist Ihre Aussage im Vergleich mit anderen Ländern unrichtig, sie ist insgesamt falsch. Nennen Sie mir irgendeinen ausländischen Besucher, der unser Land billig findet! Nennen Sie einen Investor, der unsere Kostenlage günstig findet! Wir sind mit den Kosten sehr, sehr weit vorne, auch mit der Besteuerung der Unternehmen.Nicht einmal in einer solchen Frage herrscht Klarheit. Ihren Zuruf von heute morgen, Herr Wolfram, wir seien wettbewerbsfähig, bestreite ich nicht. Wir sind es n o c h. Wenn wir aber hier über die Ursachen sprechen, und wir sagen, die Kosten seien zu hoch, und Sie sagen, wir seien besonders kostengünstig, dann ist es natürlich nicht möglich, hier zu einer rationalen Politik zu kommen, der auch wir zustimmen könnten.Betrachten Sie es einmal von einer anderen Seite her: Sicher gibt es gute Gründe, jetzt in den USA zu investieren. Gewiß muß auch irgendwann die Produktion dem Markt folgen. Sind das aber wirklich alle Gründe, die viele veranlassen, jetzt draußen mehr zu investieren als hier? Ob da Arbeitsplätze direkt exportiert werden, wollen wir hier nicht diskutieren, aber ganz sicher, Graf Lambsdorff, werden im Ausland mehr industrielle Arbeitsplätze neu geschaffen als im Inland. Ich will das nicht schelten, wüßte aber gern die Ursache dafür; denn die Wahrheit ist doch — ich zitiere die „Zeit" —, daß Erweiterungsinvestitionen hier von 1970 bis 1976 von 19 auf 6 Milliarden DM zurückgingen, während die Investitionen draußen zugleich um 25 % zunahmen.Nun wundern Sie sich im Anblick mangelnder Beschäftigung und Arbeitslosigkeit, daß hier zu Hause zu wenig funktioniert; daß die Investitionen fehlen. Sie haben doch die Investoren durch Ihre Politik bestraft. Sie haben doch seit 1970 Investitionen bewußt zurückgedrängt. Statt die Entwicklung aufzuhalten und mit dem Blick auf die Zukunft zu ändern, haben Sie Investitionen erschwert, z. B. 1970 und 1973 durch die Aussetzung der degressiven Abschreibung, durch die unverständliche Investitionssteuer, durch die Aussetzung des § 7 b, durch die Erhöhung und Nichtabsetzbarkeit der Vermögensteuer.
— Verehrter Herr Reuschenbach, ich verstehe gut, daß Sie sich jetzt melden. Ich freue mich immer, wenn ich Sie höre, wie Sie wissen.Ich möchte nur sagen, nachdem ich diese drei Punkte von mangelnder Folgerichtigkeit behandelt habe: Rational ist diese Politik nicht! Statt zu sehen, zu erkennen und folgerichtig sowie in Zusammenhängen zu handeln, macht man bei dieser Politik — es tut mir leid, das sagen zu müssen — partiell die Augen zu, und statt sein Handeln konkret von der Ursache auf das Ziel zu richten, statt sich an den Daten auszurichten, nimmt man eine Wünschelrute. Mit der Wünschelrute sucht man aber nicht nach Bodenschätzen, sondern man benutzt sie wie einen Stock, um im Nebel den richtigen Weg zu staken. Das erinnert an jemanden, der mit Baldrian gegen eine Blinddarmentzündung vorgeht. Weder ersetzt ein Beruhigungsmittel eine Operation, noch führt eine Operation zur Beruhigung. Die Folgerichtigkeit von Ursache und Wirkung ist gefragt, Herr Minister, und logische Konsequenz in den Punkten, die Sie nennen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Herr Kollege Barzel, sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie eine gefährliche Konfrontation aufbauen, wenn Sie hier einen Gegensatz zwischen, wie ich finde, wünschenswerten Investitionen im Ausland und deshalb vernachlässigten Investitionen im Inland konstruieren? Und sehen Sie nicht, daß die Auslandsinvestitionen die Vorstationen für die weitere Förderung des deutschen Exports und damit für die Sicherung heimischer Arbeitsplätze sind?
Graf Lambsdorff, haben Sie nicht gehört, daß ich gesagt habe, die Produktion
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1321
Dr. Barzelmüsse natürlich dem Markt folgen, und es sei jetzt günstig und vernünftig, aber es sei doch zu fragen, warum dies zu diesem Zeitpunkt in dieser Kumulation geschehe? Dies war meine Frage, und darauf wollen wir eine Antwort. Dann finden wir uns vielleicht. Es muß doch noch erlaubt sein, zu fragen, auch nach Ursachen zu fragen, Graf Lambsdorff.
Das ist logisch: eines nach dem anderen, erst die Frage, dann die Antwort.
Herr Kollege, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?
Herr Kollege Barzel, können Sie mir zustimmen, daß mindestens ein ganz entscheidendes Motiv für die jetzt vorgenommenen Auslandsinvestitionen darin liegt, daß die Währungsrelationen sich nach dem hartnäckigen Verteidigen falscher Wechselkurse durch von Ihnen getragene Regierungen jetzt vernünftig darstellen?
Ich würde den Blick auf die Vergangenheit gerne weglassen. Ich möchte Sie einladen, in meinem Satz das Wörtchen „zur Zeit" zur Kenntnis zu nehmen. Ich habe gesagt, warum es zur Zeit günstig ist. Es ist ganz klar, daß dies gemeint ist.Es wäre sicher günstig, wenn wir uns in diesem Hause einmal entschließen könnten, eine Ursachenanalyse zu machen, uns über die Gründe der Lage zu verständigen, damit wir uns hier nicht in vielen Politiken verzetteln. Dazu müssen natürlich auch wir einen Beitrag leisten. Deshalb sage ich Ihnen mit großer Offenheit: Wir erkennen sehr wohl, daß die deutsche Volkswirtschaft und die deutsche Wirtschaftspolitik auch durch neue Bedingungen, neue Erkenntnisse und neue Erwartungen herausgefordert sind. Wir verkennen nicht weltwirtschaftliche Verflechtungen und europäische Probleme, Strukturprobleme, Zahlungsbilanzprobleme und andere; dies alles verkennen wir nicht. Wir verkennen auch nicht, daß nicht eine immerhin beachtliche Wirtschaftstätigkeit im vergangenen Jahr automatisch zur Vollbeschäftigung geführt hat.
Dies alles übersehen wir nicht. Wir übersehen aberauch nicht, daß es neue Erwartungen gibt; nämlichviele wären schon ganz zufrieden, wenn es so bliebe.Nur, wenn wir dies einräumen und wir über den Anteil dieser Ursachen diskutieren wollen, damit wir auch den Anteil der Wirkungen und Wege für die Zukunft feststellen können, dann müßten Sie natürlich den Mut haben — vielleicht kommt jetzt von Ihnen jemand herauf und wird diesen Mut haben —, einmal die hausgemachten, größeren Anteile der Malaise zu beschreiben, die wir hier haben.Ich will es mir jetzt versagen, dies alles noch einmal aus der Vergangenheit zu rekapitulieren. Die Lage ist im Ergebnis jetzt: Die Quelle, die das alles speist, ist die Wirtschaftskraft. Sie ist überfordert.Sie haben ihr nicht nur zuviel entnommen, Sie haben zugleich durch zu hohen Staatsanteil und durch Pläne wie z. B. die zur Investitionslenkung in die Quelle noch Dreck und Sand geworfen. Nun stehen Sie da und wundern sich: Warum die Quelle nicht kräftiger sprudelt und noch mehr hergibt.Wenn Sie auf dem Weg der Suche nach den Ursachen sind, dann würde ich gerne zunächst mit dem Blick auf diese Seite, vor allem auf den Grafen Lambsdorff, einen Punkt nennen, über den zu diskutieren sein wird. Ich zitiere einen Satz aus Ihrer vorletzten wirtschaftspolitischen Rede vom 20. Januar dieses Jahres. Sie sagten — ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin —:In den letzten zehn bis zwölf Jahren haben wir zuviel an marktwirtschaftlichen Entwicklungen, an marktwirtschaftlichen Funktionsabläufen demontiert, sie manipuliert, in sie eingegriffen.Graf Lambsdorff, Sie regieren im achten Jahr gegen uns. Also ist klar, wo ein Stück dieser Schuld liegt. Ich halte fest, den wirtschaftspolitischen Sprechern der FDP ist klar, daß sie nach eigenen Worten Demontage, Manipulation und Eingriffe in die Marktwirtschaft mit zu verantworten haben.
Das Zweite: Ich habe hier, Herr Bundesfinanzminister, die Nachrichten Ihres Ministeriums vom 21. Januar, wo Sie offenbar in einer Kontroverse mit einem Parteifreund in Hamburg — gemeint ist Herr Nölling — sich zu dessen Vorschlägen erklären. Da sagen Sie, Herr Kollege Apel — ich zitiere wörtlich —:Die Forderungen des Orientierungsrahmens 85 der SPD finden sich wieder— gemeint ist: in der Regierungserklärung —bis auf unsere Forderung auf Investitionsmeldestellen.Verehrte Damen und Herren, da wird es noch manche Fragen zu besprechen geben, wenn hier die Beratung des Strukturberichts ansteht und wir unsere Behauptung wiederholen, daß da ein Pferdefuß gegen die soziale Marktwirtschaft ist. Dies ruft uns auf den Plan. Auch das, was unlängst der Kollege Roth dazu im „Capital" gesagt hat — ich zitiere jetzt sinngemäß —: Demokratischer Sozialismus sei, schrittweise das Mögliche und Nötige zu tun. Dies sei eben der Anfang dessen, was notwendig sei. Also der Weg zur Investitionslenkung! Wir haben dies zur Kenntnis genommen als einen Anschlag, der nicht nur manipuliert, sondern in den Kern sozialer Marktwirtschaft hineinstößt.
Wer so etwas sagt, Herr Kollege, der hätte sich nicht heute morgen künstlich über den Kollegen Köhler aufregen sollen. Der hat einen Vorschlag gemacht, der bei uns kritisiert und diskutiert wird. Wir sind nicht alle seiner Meinung. Wir diskutieren das. Nachdenken wird doch noch erlaubt sein.Ich habe hier ein anderes Papier, wo Sie, Graf Lambsdorff, einem unserer Kollegen — ich sage gar nicht, wer das ist — die Höflichkeit hatten zu sagen,
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1322 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Dr. Barzeler habe ein Brett vor dem Kopf. Dann zitieren Sie dort den Bundespräsidenten:Wenn jeder Denkanstoß zu den großen Problemen unseres Landes -so behandelt wird, dann wird bald niemand mehr die Lust haben, sich den Kopf darüber zu zerbrechen.Das wird dann auch für die gelten, die kein Brett vor dem Kopf haben, aber dies nur deshalb, weil die Sache mit Splitter und Balken bei Ihnen noch nicht ganz angekommen ist, Herr Kollege Lambsdorff.
— Genügt ja auch, Herr Kohl.Verehrte Damen und Herren, die Wirtschaftskraft ist also überfordert, die Steuerzahler sind überfordert. Sie wollten ja einmal probieren, wie weit die Belastbarkeit geht. Die Beitragszahler sind überfordert. Die Bürger fühlen sich überfordert, wenn sie Politikern glauben sollen.
— Die Regierung ist offenkundig überfordert. Sie kannte, wie die Rentendebatte erwies, nicht einmal ihre eigenen Zahlen.
Unsere Probleme — um dies noch zu sagen — begannen vor der Ölkrise und bevor sich die weltwirtschaftlichen Probleme ergaben. Die Ölkrise hat sie nicht bewirkt, sie hat sie ausgeweitet, verschärft und vertieft. Unsere Probleme sind — wie der Sachverständigenrat früher gesagt hat — seit langem im Inland angelegt. Deshalb, meine Damen, meine Herren, zitiere ich noch eine andere Stelle aus einem Gutachten des Sachverständigenrates:Der marktwirtschaftlichen Ordnung wird als Versagen angelastet, was Ausdruck ihrer Überforderung ist.Es ist Gift, wenn auch der Vorsitzende der SPD nach neuen Instrumenten fragt. Verehrte Damen und Herren, unsere Probleme sind vorher entstanden. Dies muß hier gesagt werden.Sie, Herr Wolfram, fragen — es war Ihr Recht, so zu fragen, und ich freue mich, daß Sie mir nun den größeren Teil Ihrer Aufmerksamkeit zuwenden —: Was müßte man eigentlich tun, um das zu überwinden, durch welche bessere Politik könnte man zu besseren Ergebnissen kommen? Wir wollen nicht nur kritisieren und anklagen. Es ist unser aller Interesse, durch eine bessere Wirtschaftspolitik zu mehr Wirtschaftskraft und dadurch zu mehr Chancen für junge Menschen zu kommen und den Rentnern und Arbeitslosen nicht nur durch Worte beizustehen.Wir brauchen eine klare Ordnungspolitik, einen Stopp der Kostenexplosion, mehr Elastizität, dieStärkung aus der Substanz und eine Wirtschaftspolitik der Europäischen Gemeinschaft.
— Herr Wolfram, nun stellen Sie sich einmal vor, Sie würden jetzt hierherkommen und für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion oder gar — welch kühner Gedanke — für die Koalition sagen können: Wir erklären hiermit, in diesem Jahr gibt es weder zusätzliche Kosten noch zusätzliche Vorschriften. Das wäre eine hervorragende Erklärung. Die würde z. B. helfen.
— Ich sage Ihnen, Herr Reuschenbach, diese Investitionshemmnisse Mangel an Klarheit und Mangel an Vertrauen wird, so fürchte ich, diese Koalition nicht mehr überwinden können. Da wird, so glaube ich, erst eine neue Regierung das Mögliche und Nötige tun können.
Herr Kollege Barzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Reuschenbach?
Herr Kollege Dr. Barzel, meinten Sie es wirklich ernst mit dieser Empfehlung „Stopp aller Kosten", und ist Ihnen klar, was das für Konsequenzen in bezug auf die Tarifautonomie hat?
Aber verehrter Herr Kollege Reuschenbach, daß ich natürlich immer den Bereich meine, den die eigene Verantwortung und Kompetenz abdeckt, sollte klar sein. Ich verlange nicht von Ihnen eine Erklärung auch für uns. Keine staatliche Stelle kann in einer freien Ordnung eine Erklärung abgeben, die etwa die Tarifpartner beschränkt. Das, glaube ich, sollte klar sein. Diese Unterstellung sollten Sie eigentlich, wenn ich hier spreche, nicht machen, Herr Reuschenbach.
Herr Kollege, gestatten Sie eine zweite Frage des Herrn Abgeordneten Reuschenbach?
Herr Kollege Barzel, könnten Sie uns ganz präzise für den Bereich, den Sie eigentlich meinen, sagen, an welcher Stelle — im Gegensatz zur Politik der Koalition — ein Stopp möglich und notwendig ist?
Ich bin doch gerade dabei, dies zu tun, Herr Reuschenbach.
Wenn Sie sagten: Wir wollen keine weiteren Kosten, könnten Sie z. B. auf unseren Vorschlag zurückgreifen, die ertragsunabhängigen Steuern zu senken.
Dr. Barzel
— Da sagen Sie „aha". Es ist hochinteressant, daß Sie das sagen. Dies ist doch auch ein Stückchen im Programm dieser Regierung. Sagen Sie dazu auch „aha"?
Das wird noch eine interessante Debatte über die Vermögensteuer geben. Dies sehe ich schon. Ich will es mir jetzt versagen, einfach zu sagen: Eine Deckung ist auf dem Wege möglich, der vom Bundeswirtschaftsministerium einmal vorgeschlagen wurde. Es wurde damals gesagt, im Wege des Haushaltsvollzugs könne man 4 Milliarden DM einsparen. Dann könnten wir ja einen solchen Antrag hier direkt auf den Tisch legen.
Ich will weiter gehen. Ich möchte uns alle einladen, nicht nur in statistischen Zahlen und in Statistiken zu denken, sondern auch in der Dynamik wachsender 'Wirtschaftskraft. Wenn diese nicht kommt, werden Sie auch mit zusätzlichen Steuern und zusätzlichen Beiträgen überhaupt nichts Zusätzliches bewirken, sondern nur weniger in allem.
Das, was notwendig ist, verehrter Herr Reuschenbach, ist die dauerhafte Entlastung, die Stärkung der Substanz, wie ich es vorhin an Hand des Bildes von dem Baum zu verdeutlichen versuchte.
Das andere ist die Herstellung von Elastizität. Ich habe dazu und zu der Stärkung der Substanz schon einiges gesagt. Ich muß jetzt auf meine Redezeit achten.
Ich möchte gern zur Wirtschaftspolitik der Europäischen Gemeinschaft, nachdem ich sie vorhin kritisch erwähnte, noch ein paar Worte sagen. Herr Bundeswirtschaftsminister, wir begrüßen es mit großem Nachdruck, daß Sie, wie wir hören, zusammen mit Frankreich mit dem Blick auf eine gemeinsame Wirtschaftspolitik eine neue Anstrengung machen wollen. Keiner sagt, daß dies eine leichte Aufgabe ist Es wird 'aber wohl auch keiner sagen, daß diese Aufgabe nicht notwendig sei. Also sollte man ihre Lösung angehen. Bei aller unterschiedlichen Problemlage in der Gemeinschaft sollte man, wie ich meine, doch einmal prüfen, ob man nicht z. B. versuchen könnte, sich wenigstens über Ziele zu verständigen - bei allem Freisein in den Methoden, diese Ziele, auf die man sich• verständigt, zu erreichen. Man sollte versuchen, sich -in der Geld- und in der Kreditpolitik und über den Umfang und die Finanzierung von Defiziten zu verständigen. Man sollte -- entsprechend dem Tindemans-Bericht - „Fortschritte in der Wirtschafts- und Währungspolitik unter einzelnen Staaten im Rahmen des Gemeinschaftsrechts" vollziehen. Dies sind ein paar konkrete Punkte, zu denen wir gerne etwas hören würden.
Verehrte Damen und Herren, ich will, wie gesagt, nicht nur zur Sache, sondern auch von der Sache her sprechen. Ich sagte vorhin, daß sich in Brokdorf und am Sonntag auch Fragen stellten, die nicht mehr nur materieller Art sind, die, wie wir gestern gesagt haben, „jenseits von Angebot und Nachfrage" liegen. Ich habe dazu aufgefordert, die Fragen „Wachstum - wozu?" und „Fortschritt - wofür?" zu beantworten. Wenn Fragen wie die des Umweltschutzes immer mehr in das Zentrum des politischen Bewußtseins treten, müssen wir hier alle miteinander die Wahrheit sagen.
Diese Wahrheit heißt: Wenn wir in der Welt, wie sie ist, weiter Frieden wollen, wenn wir weiter soziale Sicherheit wollen, wenn wir hier weiter Erfolg im Kampf gegen Hunger und Not haben wollen, brauchen wir für eine menschlichere Welt, für eine Zukunft mit menschlichem Antlitz Wachstum. Wir brauchen dieses Wachstum diesseits der ökologischen Grenze.. Ich meine aber, wir sollten unsere Technik auffordern, diese Grenze hinauszuschieben. Dann gibt es schon wieder einen Anreiz nicht nur für Wissenschaft, sondern auch für wirtschaftliche Tätigkeit
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gern, Frau Präsidentin!
Herr Kollege Barzel, sind Sie sich dessen bewußt, daß Sie soeben eine ganze Reihe von zusätzlichen Kostenfaktoren für die Wirtschaft aufgezählt haben, Faktoren, die jedenfalls dann Kostenfaktoren sind, wenn man in Ihrer statischen Betrachtungsweise verbleibt? Umweltschutz, mehr soziale Sicherheit . -- das kostet ja zunächst einmal alles Geld. Sie haben vorhin doch aber einen Stopp der Kosten gefordert.
Verehrter Herr Kollege, manchmal gelingt es einem nicht, sich so auszudrücken, wie man es wollte. Manchmal hat man sich aber so ausgedrückt, und ein anderer hat es mißverstanden oder mißverstehen wollen. Sie unterstellen mir eine statische Betrachtungsweise. Genau gegen diese habe ich mich hier vor drei Minuten einzulassen versucht.
Meine Damen und Herren, ein anderer Punkt kommt hinzu, der ebenfalls in die Debatte gehört: Es wird das Recht auf Arbeit gefordert. Ich möchte keinen Zweifel daran lassen, daß ich dieses Recht bejahe. Wer aber dieses Recht bejaht, muß auch die Pflicht bejahen, die diesem Recht entspricht. Dann, wenn z. B. -- und ich will dies aussprechen — ein Arbeitsloser, dem eine Stelle angeboten wird, erklärt: „Für die 200 Mark arbeite ich nicht", wenn er also die Hilfe der Allgemeinheit auf Dauer als einen selbstverständlichen Sockel seiner Existenzvorsorge betrachtet, ist dies eine Frage an den Gemeinsinn und die Solidarität derer, die für diese 200 Mark arbeiten. Anders herum: Wir müssen dafür sorgen, die ganz überwiegende Mehrheit arbeitswilliger anständiger Mitbürger vor den wenigen Schmarotzern auch insoweit in Schutz zu nehmen, meine Damen und Herren!
Auf diesem Gebiet Ordnung zu schaffen scheint mir ein dringliches Gebot zu sein, und das wäre
Dr. Barzel
sicherlich wichtiger als eine drastische und plötzliche Verkürzung der Arbeitszeit. Damit wir nicht wieder von einer falschen Fragestellung ausgehen: Für die organische Verkürzung der Arbeitszeit sind sicher alle in diesem Hause, möglichst auch übrigens in diesem Hause selber. Meine Damen und Herren, ,hier helfen aber nicht "optische Tricks", und hier helfen auch nicht, um Müller-Armack zu zitieren, "kosmetische Operationen" . Damit ändert man keine Tatsachen. Wer einfach global de Arbeitszeit verkürzt, schafft damit nidit mehr Arbeitsplätze, sondern verkleinert den Kuchen, von dem dann alle noch mehr haben sollen. Dies geht nicht. Ich möchte ausdrücklich sagen, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Ihre Ausführungen hierzu bei mir Zustimmung gefunden haben.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich möchte, da wir hier eine wirtschafts politische Debatte führen, noch ein Wort an Sie richten. Bei aller Wertschätzung, der Sie sich, was ich nicht leugne, weithin erfreuen, können wir nicht übersehen, daß Sie die volle Verantwortung
für die grundlegende Wirtschaftspolitik dieser Regierung - also auch für die unzureichende Regierungserklärung, auch für das, was Ihr Kanzler gelegentlich hier ,sagt; ich habe einiges davon zitiert
- tragen.
Ihr Konto belastet aber, und zwar nicht nur aus unserer Sicht, auch dies: die Tatsache, daß es diese Koalition gibt,
wie sie wirkt, zu welchen Ergebnissen sie führt. Dies alles gehört zu Ihrer Verantwortung wie die Tatsache, daß die nicht zu leugnende Kraft, die von Ihnen ausgeht, zu 80 % verschwendet wird, weil Sie Hemmnisse beseitigen müssen, statt stärker für die konstruktive Gestaltung verwendet zu werden.
- Jetzt schaue ich in Ihre Richtung, Herr Reuschenbach, damit Sie nicht meinen, Sie kämen zu kurz.
Die Bundesregierung und die Koalition können aber unseres Zuspruchs sicher sein, wenn sie sich - gegen Druck von drinnen und von draußen - allen Zumutungen kurzfristiger Konjunkturspritzen entgegenstellen.
Ich habe volles Verständnis für all die, die - z. B. mit dem Blick auf ihre arbeitslosen Kollegen — immer drängender sagen: Nun tut mal was. Nur, tut bitte nicht das Falsche, denn die kurzfristigen Programme heute würden unsere Probleme morgen und übermorgen nur erschweren; wir kämen in eine neue Inflation, und die würde neue Arbeitslosigkeit herbeiführen.
Die draußen sollten sehen, was wir schon getan haben, . sollten sehen, wie die Importe hier steigen und daß sich selbst ein gigantisches Programm hier höchstens mit plus 0,5 % im Welthandel niederschlagen würde; das wäre mit einer heimischen Inflation zu teuer erkauft
Sie haben uns vor allem an Ihrer Seite - falls Sie dies wollen —, wenn Sie sich kraftvoll gegen alle Tendenzen zu einem gigantischen und utopischen Weltdirigismus wenden, wie er sich jetzt zum Teil im Nord-Süd-Dialog erhebt.
Ich möchte das zusammenfassen: Der Jahreswirtschaftsbericht stellt, übereinstimmend mit dem Sachverständigengutachten, als d a s Hauptziel schlechthin heraus: Es muß wieder investiert werden. Hier fehlen die Folgerichtigkeiten, von denen ich sprach. Wir sind dafür, daß die Investitionen nicht nur gesteigert, sondern furios angeregt werden, um das Ziel, von dem ich sprach - fast 2 Millionen Beschäftigte zusätzlich —, zu erreichen.
— Furios ist, würde ich sagen, gewaltig, temperamentvoll vielleicht - dynamisch, Herr Kollege!
Nun, meine Damen und Herren, es bleibt, nachdem die Regierung dies Ziele setzt, zu fragen: Was tut sie konkret, um diese Ziele durch eine rationale, folgerichtige ökonomische und soziale Gesamtpolitik zu erreichen? Wo bleibt der Beitrag des Haushalts zur Stärkung der Investitionen? Wo bleibt der Beitrag der Steuerpolitik, die Anreize geben soll? Wo bleibt die Ermunterung der Investoren? Wo bleibt der Anreiz zur Leistung? Wie gesagt, Vertrauen ist die Hälfte der Konjunktur; also ist Unsicherheit Gift. Auf dem Wege der Koalition wird nicht das entstehen, was wir alle brauchen.
Wie aber soll Mißtrauen abgebaut werden, wie soll Unsicherheit verschwinden, wie soll Vertrauen wachsen, solange eine Regierung amtiert, die — es tut mir leid, dies sagen zu müssen die Rentner betrog, ihre eigenen Zahlen nicht kannte . und sie dann wechselte wie die Hemden? Wer soll da noch glauben?
Verehrte Damen und Herren! Früher hat man gesagt: Der Handel folgt der Flagge. Heute sagt man: Die Wirtschaft folgt der politischen Führung. Da es die politische Führung zur Zeit nicht gibt oder nicht ausreichend gibt, wird der nötige und mögliche Aufschwung von einer neuen politischen Führung — sprich: von einer neuen Regierung — abhängen.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat war übereinstimmend der Meinung, die Debatte über diesen Tagesordnungspunkt möge nach Möglichkeit bis 18 Uhr beendet sein, und zwar mit Rücksicht auf die dann noch folgenden Tagesordnungspunkte. Wir alle, die hier gemeinsam Verantwortung tragen, haben die Bitte, daß alle folgenden Redner sich vielleicht an diesen Zeitrahmen halten.Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lenders.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1325
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Barzel hat hier meiner Meinung nach das Kolossalgemälde mit dem Griff in viele Farbtöpfe nachgeholt, das wir heute morgen bei Herrn Strauß etwas vermißt haben.
— Ich weiß nicht, wo er ist.Der Herr Kollege Barzel hat zwar zunächst einen sehr sachlichen Einstieg genommen. Er hat gesagt, wir befassen uns ja heute mit dem Gutachten des Sachverständigenrats. Er hat sich mit dem Vorschlag des Sachverständigenrats für ein Programm der wachstumspolitischen Vorsorge kurz beschäftigt. Er hat das Investitionsprogramm der Bundesregierung zur Struktur- und umweltpolitischen Vorsorge dagegengestellt und behauptet, dieses Programm könne keine Wirkung haben. Von der Auseinandersetzung mit den Details dessen, was hier der Bundeswirtschaftsminister vorgetragen hat, ist er aber sehr schnell abgegangen. Er hat sich in die großen Zusammenhänge von Geist und Geld verflüchtigt, hat eine Wirtschaftspolitik dargestellt, die seiner Meinung nach zur Hälfte aus Vertrauen und zur Hälfte aus steuerlichen Erleichterungen besteht, und ist dann doch wieder in die Vergangenheitsbewältigung eingestiegen. Er hat den Ursachenstreit aufgenommen, den wir, Herr Kollege Barzel, ja nun eigentlich schon über mehrere Jahre hier in jeder haushalts- und wirtschaftspolitischen Debatte führen. Ich meine, dieser Ursachenstreit führt im Grunde zu nichts und gibt den Menschen in unserem Land, auch denen, die arbeitslos sind, auf die Sie abgehoben haben — und das ist ja unsere Sorge —, keine Antworten auf das, was jetzt und in Zukunft notwendig ist.
Ich will deshalb zu dieser Vergangenheitsbewältigung nur einen Satz sagen. Sie haben wieder damit begonnen, daß Sie gesagt haben, alles, was heute an Schwierigkeiten auf dem Tisch liege, habe lange vor 1973, vor der Ölkrise, angefangen.
— Nein, das ist nicht so!
Das ist ja der Kurzschluß von Herrn Barzel. Wenn er sagt, das habe alles schon vorher angefangen, dann beginnt er wieder mit der Theorie der Vertrauenskrise und erwähnt die sozialistischen Experimente, die da gemacht worden seien, die zu vielen Reformen und was dergleichen seit ewigen Zeiten alles auf den Tisch des Hauses gelegt wird.
In Wirklichkeit ist es doch ganz anders gewesen. Herr Kollege Barzel, ich habe in diesen Tagen noch einmal nachgelesen, was unser leider verstorbener Kollege Klaus Dieter Arndt Ihnen Jahr für Jahr 1971, 1972 und 1973 in den wirtschaftspolitischen Debatten darzulegen versucht hat, nämlich das, was an Überforderung auch der Ressourcen etwa in der Bundesrepublik eingetreten ist, eben doch wesentlich aus dem zu groß geschneiderten monetären Mantel, den wir hier auf dem Hintergrund der rapiden Ausweitung der Weltliquidität in jenen Jahren hatten, und aus der Bindung der DM-Wechselkurse an den Dollar zu erklären ist. Das war einer der wesentlichen Hintergründe für die Ausweitung der Liquidität, für den zu großen Mantel an Liquidität, der natürlich für gewisse Überforderungen, an denen alle beteiligt waren, Raum gegeben hat. Das ist doch der entscheidende Grund und nicht das, was Sie uns hier ständig politisch zur Befriedigung natürlich des eigenen Selbstverständnisses und zur Rechtfertigung der eigenen Vorurteile vorführen. Das muß ich noch einmal mit aller Deutlichkeit sagen.Nun möchte ich diesen Rückgriff, diese Vergangenheitsbewältigung wirklich verlassen. Der Bundeswirtschaftsminister hat am 3. März in der Haushaltsdebatte, und zwar auf Grund der Erfahrungen mit dieser Haushaltsdebatte, die sich nämlich im wesentlichen wiederum mit Vergangenheitsbewältigung beschäftigte, gesagt:Meine Damen und Herren, wir müssen dazu kommen, statt Vergangenheit zu bewältigen, hier wirklich einmal eine zukunftsorientierte Debatte zu führen. Ich hoffe für den 24. März darauf.So sprach der Bundeswirtschaftsminister am 3. März.Meine Damen und Herren, zunächts einmal möchte ich festhalten — das scheint mir sehr wichtig zu sein, eben auch in bezug auf das, was Sie von der Regierung an Vertrauen und Rahmenbedingungen für weiteres Wachstum und Beschäftigung hier gefordert haben, Herr Kollege Barzel —, daß der Bundeswirtschaftsminister das, was er gefordert hat, für eine wirtschaftspolitische Debatte zu dieser Zeit und in dieser Situation für sich wahr gemacht hat. Er hat nämlich in diese Debatte zukunftsorientierte Aspekte unter dem Begriff einer Optimierungs-Strategie für Wachstum und Beschäftigung eingebracht. Besser gesagt: Er hat diese zukunftsorientierten Aspekte unter Hinweis darauf eingebracht, was die Bundesregierung an Rahmenbedingungen geschaffen hat, weiter schaffen wird, an Maßnahmen ergreifen wird, um Wirtschaftswachstum und Beschäftigung mittelfristig in die Zukunft hinein zu sichern. Ich meine, das ist der wesentliche Ansatz, auf den es in dieser Debatte ankommt.Ich komme noch einmal ganz kurz auf Herrn Strauß zu sprechen. Herr Strauß hat in seinem Debattenbeitrag zwar auch ein langfristiges Stufenprogramm mit Blick auf die Probleme, die wir heute haben, mit Blick auf Wachstum und Beschäftigung, gefordert, aber er ist mit keinem Wort auf das eingegangen, was der Bundeswirtschaftsminister hier vorgelegt hat. Er selber ist auch im Blick auf dieses Stufenprogramm, das er fordert, nicht konkret geworden.
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1326 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
LendersIch glaube, das ist typisch für das, was die Opposition hier beizutragen hat.Ich lege Wert darauf, für meine Fraktion zunächst einmal festzustellen: Was der Bundeswirtschaftsminister zur Notwendigkeit des Wirtschaftswachstums gesagt hat, und zwar auch bezüglich der einzelnen Punkte, von der Beschäftigung bis zu den internationalen Verpflichtungen, die wir haben, für die wir auch Wachstum brauchen, bis zu dem, was er zur Begrenzung des Wachstums gesagt hat — nämlich unter den Gesichtspunkten des Umweltschutzes, der Begrenztheit der Rohstoffe, der Energieproblematik —, und was er zu den Konflikten zwischen der Notwendigkeit und der Begrenzung des Wachstums sowie zu den Lösungsmöglichkeiten gesagt hat, die er hier aufgezeigt hat, kann ich nur voll unterstreichen.Wenn ich mir das vergegenwärtige, Herr Dr. Barzel, was Sie unter dem Aspekt wachstumspolitischer Vorsorge hier vorgetragen haben, so komme ich zu dem Schluß: im Grunde beharren Sie da doch auf der Position, daß das Vertrauen verlorengegangen sei und wieder neu geschaffen werden müsse. Das sagen Sie dann in der blumigen Sprache, wie das hier ständig geschieht: Da regieren Sozialdemokraten und Freie Demokraten zusammen, da werden sozialistische Experimente gemacht, und deswegen ist kein Vertrauen mehr da. In der anderen Hälfte Ihrer Argumentation sprechen Sie dann von Steuererleichterungen. Wenn ich Ihre Ausführungen mit dem vergleiche, was der Bundeswirtschaftsminister in bezug auf die Programmatik und die Strategie der Bundesregierung, mit Blick auf die Ziele des Jahreswirtschaftsberichts und die Aufgaben, die wir heute haben, hier vorgetragen hat, dann kann ich nur sagen — auch in bezug auf das, was Sie soeben vorgetragen haben —, daß es ein Glück ist, daß wir, die Koalition, die Verantwortung für die Wirtschaftspolitik in dieser schwierigen Situation haben.
Herr Kollege Barzel, im Grunde verharren Sie — Sie, Herr Strauß und auch Herr Althammer — ich habe die Haushaltsdebatte nachgelesen — immer wieder auf den gleichen Positionen.
Herr Barbier hat in der „Sûddeutschen Zeitung" — Sie werden sich wahrscheinlich an diesen Artikel erinnern — vor einigen Wochen, am 7. Februar, zu Ihren Auffassungen Stellung genommen. Er hat gesagt, da gibt es einen dramatischen Appell des Herrn Barzel zur Beendigung der ordnungspolitischen Krise. Was dann herauskommt — im gleichen Atemzug —, ist die Notwendigkeit einer Revision der ertragsunabhängigen Steuern. Das heißt also: Sie setzen — das geschieht hier immer wieder — zu einem großen ordnungspolitischen Höhenflug an. Was am Ende dabei herauskommt, ist lediglich der Punkt Steuersenkung.
Symptomatisch ist doch, daß der Herr Althammer in der Haushaltsdebatte am 3. März in bezug auf die Probleme, die wir haben — ich habe hier gesessen und Herrn Althammer sehr genau zugehört --, mit dem Satz einleitete: Wir von der CDU/CSU haben uns sehr ernsthaft überlegt, ob nicht ein ganz anderer Weg zur Lösung der Probleme einzuschlagen wäre — ich war natürlich sehr gespannt darauf, wie dieser ganz andere Weg aussehen würde —, nämlich der Weg, mit dem die CDU/CSU in einer ganz schwierigen Situation in den Jahren 1949 und danach große Erfolge gehabt hat. Auch hier, meine Damen und Herren, ist wieder das zu beobachten, von dem ich soeben gesprochen habe: ein nostalgischer Rückgriff. Im übrigen hat auch Herr Strauß heute morgen von 1949 gesprochen, von den Erfolgen der Wirtschaftspolitik der Opposition damals.
Das beweist doch, daß die Opposition bis heute nicht begriffen hat, welche Ursachen — und da kommen wir zu dem Ursachenstreit — für die Wachstumsschwierigkeiten, die wir heute haben, für die Probleme, die wir heute haben, für die Konflikte, die heute im ökonomischen Bereich auftreten, maßgeblich sind. Die Opposition geht eben doch völlig daran vorbei, daß sich die Welt geändert hat, daß sich die Wachstumsbedingungen geändert haben. Herr Kollege Barzel, wenn Sie sagen, der Bundeskanzler verweise immer nur auf die Weltwirtschaft und leugne, daß es binnenwirtschaftliche Ursachen gebe, so trifft das nicht zu. Wir verweisen darauf, daß viele binnenwirtschaftliche Probleme ihre Ursachen auch in den weltwirtschaftlichen Verwerfungen der letzten Jahre haben. Das ist doch der Punkt. Daran kommen doch auch Sie nicht vorbei.Es ist nun einmal so, daß 1949 ganz andere Bedürfnisse vorhanden waren. Da gab es ganz andere Nachfragestrukturen, andere Nachfragequantitäten. Da gab es für die Unternehmen eine Investitionssicherheit. Es ging nämlich problemlos aufwärts, weil ein ungedeckter Bedarf da war. Hinzu kamen die verschiedenen Technologieschübe, auch im Konsumbereich, bis hin etwa zur elektronischen Unterhaltungsindustrie. Das sind doch alles Dinge, die damals Wirtschaftspolitik und wirtschaftliches Wachstum sehr viel einfacher machten. Diese Grundbedingungen wirtschaftlichen Wachstums und wirtschaftlicher Aktivitäten sind heute nicht mehr gegeben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Bitte schön.
Herr Kollege, darf ich Sie fragen, ob Sie nicht auch der Meinung sind, daß zu all den Gründen, die Sie eben für den Aufschwung nach 1949 angeführt haben, auch das Vertrauen der Bevölkerung zu einer klaren freiheitlichen politischen Linie hinzukam?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1327
) Lenders : Herr Althammer, was hinzukamdas gebe ich zu —, war, daß 1948/49 die private wirtschaftliche Initiative freigesetzt wurde. Sie konnte alle ihre Aktivitäten daransetzen, während der Wiederaufbauphase den großen Bedarf der Bevölkerung zu decken. Darin sind die veränderten Voraussetzungen begründet; diese Voraussetzung haben wir heute eben nicht mehr.
Ich möchte noch ein paar Bemerkungen zur wirtschaftlichen Lage machen, weil sie ja ständig schwarz in schwarz geschildert wird. Wenn Sie sich die wirtschaftliche Situation der Gegenwart vor Augen führen, können Sie doch nicht leugnen, daß die deutsche Volkswirtschaft einen schweren wirtschaflichen Rückschlag, bedingt durch die weltweiten rezessiven Einflüsse, vom Wachstum her zunächst einmal überwunden hat. Im vierten Quartal 1976 lagen wir mit unserem Sozialprodukt real erstmals wieder höher als vor der Rezession. Daß auch die inländische Nachfrage nach Investitionsgütern in einem gewissen Tempo zugenommen hat— darauf verweist der jüngste Bericht des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung —, ist ebenfalls eine Tatsache, die Sie nicht leugnen können. Ob das ausreicht, ist eine andere Frage; darauf komme ich gleich noch zurück.Die Wachstumsrate des Jahres 1976, das, was wir bis heute erreicht haben, ist höher, als vorher angenommen wurde und als Herr Strauß vorausgesagt hat — das ist ja heute morgen mehrfach angeklungen —, und das ist ja auch nicht von selbst gekommen. Ich glaube, es ist notwendig, noch einmal darauf hinzuweisen, daß das nicht zuletzt mit Hilfe der Konjunkturprogramme der Bundesregierung erreicht wurde. Wesentlich zu diesem Erfolg hat die Bereitschaft der Bundesregierung beigetragen, die Nachfragelücken und Einnahmelücken, die durch den wirtschaftlichen Rückschlag entstanden waren, durch öffentliche Verschuldung auszugleichen. Generell gesehen wurde dadurch die Nachfrage aufrechterhalten, der Rückschlag in Grenzen gehalten und die Grundlage für einen neuen Aufschwung, für weiteres Wachstum gelegt.Wir sind der Meinung, daß das eine ganz wesentliche Entscheidung der Bundesregierung war, die ja von Ihnen immer wieder — auch in der Haushaltsdebatte — mit dem Schlagwort „Staatsbankrott" abgetan wird. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, mit einem solchen Schlagwort operieren, müssen wir unterstellen — das ist auch schon mehrfach gesagt worden —, daß Sie diese Operation, dieses notwendige Einspringen des Staates in die entstehenden Nachfragelücken— jedenfalls in den Grenzen, in denen das möglich war — nicht vollzogen hätten und damit bereit gewesen wären, eine noch höhere Arbeitslosigkeit und geringeres Wachstum, damit aber auch eine schlechtere Startchance für die Wirtschaft im Jahre 1976/77 in Kauf zu nehmen.
— Herr Pieroth, einen Moment. In gleichem Maße gehört die Debatte dazu, die Sie jetzt führen, indem Sie sagen: Wir müssen in den Haushalten mehr sparen, fünf Milliarden DM müssen heraus. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat Ihnen mit Recht die Frage gestellt, wie Sie bei einer solchen Reduzierung der öffentlichen Nachfrage zu einer Zeit, in der sich die öffentlichen Haushalte zwischen der notwendigen Nachfragestützung und der Konsolidierung befinden, die Daten hinsichtlich der Beschäftigung und des Wachstums für 1977 beziffern wollen. Wir sind jedenfalls der Meinung, daß hier ein richtiger Weg beschritten worden ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth?
Ja, bitte.
Herr Kollege, um Sie von Ihren Unterstellungen abzulenken, möchte ich Sie fragen: Können Sie mir erklären, welche Nachfragelücken die internationale Entwicklung im Bereich der deutschen Bauwirtschaft gerissen hat?
Was soll diese Frage, Herr Pieroth? Sie wissen ganz genau, daß es im Bereich der Bauwirtschaft — allerdings aus den Gründen, die ich soeben in bezug auf den zu groß geschneiderten Mantel an Liquidität genannt hatte — Nachfrageüberhöhungen, den Drang, angesichts der Preisentwicklungen in Sachwerte zu gehen, gegeben hat. Sie wollen nur wieder darauf hinaus zu sagen: Es sind die Sozialdemokraten gewesen, die diese Entwicklung zustande gebracht haben.
Ich habe Ihnen soeben gesagt, welche Hintergründe ich für die Liquiditätsentwicklung dieser Jahre sehe. Es gab Preissteigerungsraten, die selbstverständlich auch wir in einem gewissen Maße in Kauf nehmen mußten und die wir auf dem Hintergrund der damaligen währungspolitischen Lage nur in Grenzen bekämpfen konnten. Sie wissen genau, daß die Bundesbank durch die Anbindung der D-Mark an den Dollar damals in einem erheblichen Umfang nicht handlungsfähig war und daß wir durch die Freigabe der D-Mark im Frühjahr 1973 die Bundesbank auch in diesem Zusammenhang wieder handlungsfähig gemacht haben. Ihre Frage nach der Bauwirtschaft geht im Grunde also völlig daneben.Was die Preisentwicklung und die Frage des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts angeht, so können wir Daten, die positive Akzente haben, vorweisen. Die Bundesbank hat sich ebenfalls in diesem Sinne dazu geäußert. Mir liegt daran, zunächst noch einmal darauf hinzuweisen — das ist ein sehr wesentlicher Punkt heute —, daß die Lage am Arbeitsmarkt, die Beschäftigungslage in unserer Volkswirtschaft, die zu hohe Zahl der Arbeitslosen, in unserer gegenwärtigen Situation das eigentliche Problem ist und eine Herausforderung an die Wirtschaftspolitik darstellt. Ich meine, daß wir die Arbeitslosenquote, die wir heute haben — das hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung deutlich ge-
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Lendersmacht —, unter menschlichen, sozialen, ökonomischen und politischen Gesichtspunkten sehen müssen und daß die Frage des höheren Beschäftigungsstandes, die Frage der Vollbeschäftigung, heute eine der entscheidenden wirtschaftspolitischen Fragen ist.Nun komme ich zu den Rahmenbedingungen. Herr Barzel, Sie sagen: Für die Bewältigung der Probleme, die mehrfach umrissen worden sind, sind die Rahmenbedingungen, die die Bundesregierung setzt, schlecht. Wenn ich betrachte, was in der Bundesrepublik an Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Tätigkeit und auch für die Investitionstätigkeit der Unternehmen gesetzt worden ist und auch mit den Entscheidungen angestrebt wird, die im Kabinett gestern getroffen wurden, so bin ich der Auffassung, daß die handelnden Wirtschaftssubjekte in der Bundesrepublik im Vergleich zu denen in vielen anderen Staaten, zu anderen Industrienationen in der Welt und auch zu unseren Handelspartnern ein sehr viel höheres Maß an Überschaubarkeit und Planungssicherheit vorfinden, als das von Ihnen, Herr Dr. Barzel, dargestellt wird. Ich bin schon der Auffassung, daß das, was in einer insgesamt schwierigen Situation an Sicherheit gegeben werden kann, auch von dem Haushalt 1977 der Bundesregierung ausgeht, ausgeht von den steuerpolitischen Entscheidungen, die jetzt im Kabinett getroffen wurden, ausgeht auch von dem Programm zur Konsolidierung der Rentenversicherung und zur Dämpfung der Kosten im Gesundheitswesen, ausgeht auch von der Überschaubarkeit der Geld- und Kreditpolitik der Deutschen Bundesbank, ausgeht auch etwa von den internationalen Bemühungen der Bundesregierung, ein gleichgerichtetes Handeln der großen Industrienationen zustande zu bringen. Die Bemühungen, die die Bundesregierung unternommen hat, um Handelsrestriktionen zu verhindern, die Beteiligung der Bundesregierung etwa an Zahlungsbilanzhilfen, das alles sind doch wichtige Beiträge der Bundesrepublik zur Belebung der Weltwirtschaftskonjunktur, zur Stabilisierung in diesem Bereich, aber auch wichtige Beiträge — im Hinblick auf die Rückwirkungen dieser Entwicklung — zur Stabilisierung unserer eigenen Wirtschaft. Selbstverständlich gehört dazu auch das gestern vom Kabinett verabschiedete und heute schon angesprochene Investitionsprogramm wachstumspolitischer Vorsorge, auf das ich gleich noch einmal kurz zurückkomme.Ich bin allerdings auch der Auffassung — und das sage ich vor dem Hintergrund der Diskussionen, die heute stattgefunden haben; ich erinnere an das, was etwa Herr Strauß zu den Gewerkschaften und zur gewerkschaftlichen Tarifpolitik gesagt hat —, daß auch die verantwortungsvolle, an gesamtwirtschaftlichen Daten und Notwendigkeiten orientierte Lohn- und Tarifpolitik der deutschen Gewerkschaften in den letzten Jahren in dieser schwierigen Situation zu den positiven Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft, für unsere wirtschaftliche Entwicklung zählt. Wenn die Tarifabschlüsse dieser Monate immer wieder angesprochen werden, darf ich vielleicht doch darauf hinweisen, daß das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in dem Wochenbericht, den ich soeben schon einmal zitierte, der Auffassung war, daß der bisherige Verlauf der Tarifverhandlungen und die Tarifabschlüsse durchaus in der Bandbreite zwischen den Erfordernissen der Nachfragestützung auf der einen Seite und der Kostenbegrenzung auf der anderen Seite liegen. Ich muß daher die Angriffe, die auch Herr Strauß heute morgen wieder gegen die Gewerkschaften geführt hat, zurückweisen. Ich weise insbesondere das zurück, was Herr Strauß zu der Äußerung von Herrn Friderichs bei einer Veranstaltung der FriedrichEbert-Stiftung gesagt hat. Herr Strauß sagte heute morgen, er sei auf Grund dieser Äußerung der Auffassung, die Gewerkschaften vertrauten ausschließlich auf die allein selig machende Kraft der Inflation. Das ist eine Verleumdung, eine Diffamierung der Gewerkschaften, die einfach nicht so hingenommen werden kann.
Hier ist Herr Friderichs mit Sicherheit falsch zitiert worden. Allerdings trifft es zu, daß in diese Veranstaltung die Frage eingeführt wurde, ob eine allzu stringente Stabilitätspolitik nicht möglicherweise Auswirkungen auf Arbeitsplätze haben werde. Das ist eine Diskussion, die man führen kann; dazu kann auch Herr Strauß seine Meinung sagen. Aber angesichts des bisherigen gesamtwirtschaftlich verantwortungsbewußten Verhaltens der Gewerkschaften diesen zu unterstellen, sie setzten auf die allein selig machende Kraft der Inflation, ist, wie gesagt, eine Diffamierung, die ich hier zurückweisen muß.
Nun möchte ich noch ein paar Bemerkungen zu den Risiken machen, mit denen wir es mit Sicherheit heute zu tun haben, die niemand bestreitet und die auch der Bundeswirtschaftsminister hier angeführt hat, Risiken in den veränderten Wachstumsbedingungen, Risiken, die aus der veränderten weltwirtschaftlichen Landschaft kommen. Das wird immer so allgemein gesagt; von Ihnen wird es allgemein bestritten. Deswegen möchte ich einige Punkte nennen, die Sie wahrscheinlich nicht bestreiten können.Die sich verändernde internationale Arbeitsteilung, d. h. die Tatsache der zunehmenden Konkurrenz der Entwicklungsländer, die Abgabe von Arbeitsplätzen in Bereichen mit niedrigen Technologien an Entwicklungsländer und das Erfordernis bei uns, Arbeitsplätze in Bereichen mit höheren Technologien, die international wettbewerbsfähig sind, zu schaffen, bedeutet eine Veränderung unserer Wirtschaftsstruktur mit Wirkungen auf die Arbeitsplätze, die von der weltwirtschaftlichen Veränderung ausgeht. Dies ist einfach nicht zu bestreiten.Hinzu kommt ein Zweites, nämlich daß wir immer noch mit den Nachwirkungen der zu lange angehaltenen und dann dringend notwendig gewordenen Freigabe der Wechselkurse im Mai 1973 zu tun haben. Diese Dinge wirken sich jetzt erst voll aus und berühren natürlich auch die Arbeitsmarkt- und die Arbeitsplatzstruktur. Die Auseinandersetzung darüber, wer sie zu lange festgehalten hat und welches die Hintergründe waren, ist oft genug geführt worden. Sie sollten sich hier wirklich an Ihre eigene Brust schlagen. Fehlt Ihnen denn die Einsicht für die Tatsache, daß die steigenden Zahlungsbilanz-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1329
Lendersüberschüsse der OPEC-Staaten und die entsprechenden Defizite in den Handels- und Zahlungsbilanzen unserer Handelspartner Faktoren sind, die für unseren Export Unsicherheiten darstellen? So etwas läßt sich doch nicht bestreiten.Es gibt natürlich auch, Unsicherheit in der investierenden Wirtschaft aus der Frage — das ist aus Gesprächen, die ich geführt habe, eindeutig hervorgegangen —, wie der Nord-Süd-Dialog ausgehen wird, welche Auswirkungen er auf die Rohstoffpreise haben wird, welche Auswirkungen er auf die Öffnung unserer Märkte für Produkte haben wird, die in Entwicklungsländern und Schwellenländern hergestellt werden. Das sind doch Fakten, an denen Sie nicht vorbeireden können, die wir in einer wirtschaftspolitischen, strukturpolitischen Strategie aufgreifen müssen, wie sie der Bundeswirtschaftsminister heute in seinem Konzept dargestellt hat.Sie können doch auch nicht leugnen, daß es durch die Veränderung der Konsumgewohnheiten der Menschen binnenwirtschaftlich Risiken gibt, daß es Unsicherheit bei den Investoren deshalb gibt, weil die Bevölkerungszahlen sinken, daß es Unsicherheit auch hinsichtlich der Auswirkungen neuer Technologien gibt — ich erinnere an die dieser Tage in der „FAZ" im Zusammenhang mit der dritten industriellen Revolution dargestellten „Mikroprozessoren" —, daß es Unsicherheit gibt, in welche Richtung das weitergehen soll. Das ist doch alles nicht zu bestreiten. Auch die gegenwärtige energiepolitische Diskussion, die Tatsache, daß nicht nur Kernkraftwerke, sondern auch Kohlekraftwerke nicht gebaut werden, daß hier Verzögerungen eintreten, erzeugen natürlich Unsicherheit bei der investierenden Wirtschaft, primär bei denen, die bauen, sekundär bei denen, die weiter davon abhängig sind, über die wir uns nicht hinwegtäuschen sollten. Davon hängen auch Arbeitsplätze ab; darüber besteht überhaupt kein Zweifel.Wir werden über all diese Fragen — ich will der Debatte nicht vorgreifen; die Koalitionsfraktionen haben dazu eine Große Anfrage eingebracht — in allen ihren Aspekten hier im Hause verantwortungsbewußt mit dem Ziel der Hinführung zu Entscheidungen zu diskutieren haben. Die Bundesregierung hat gestern im Kabinett mit der Vorlage der Grundlinien für die Zweite Fortscheibung des Energieprogramms bestimmte Aspekte zur Diskussion gestellt. Die Bundesregierung hat natürlich mit der Zweiten Fortscheibung des Energieprogramms eine sehr schwierige und wichtige Aufgabe vor sich. Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Gestatten Sie mir aber hier einen Einschub, was die energiepolitische Situation angeht, und zwar bezogen auf die Verhandlungen, die gegenwärtig zwischen der E-Wirtschaft und der Steinkohle geführt werden. Graf Lambsdorff hat heute morgen gesagt, sie gingen anscheinend einem befriedigenden Ende zu. Ich möchte den Verhandlungspartnern nur noch einmal ans Herz legen: Auf Grund der Probleme, die wir mit der Kernenergie haben und lösen müssen, muß die heimische Steinkohle einen wichtigen Platz im Rahmen der Energieversorgung, im Rahmen der Stromversorgung haben, und das heißt natürlich auch: Bau von Kohlekraftwerken.
Ich habe einige der Unsicherheiten genannt, die wir selbstverständlich sehen, Konflikte, Risiken, die niemand leugnet, die eine wirtschaftspolitische Herausforderung darstellen, die aber — und das muß ich noch einmal zur Opposition sagen — mit den Rezepten der 50er Jahre und nach dem Motto ein Halb Vertrauen und ein Halb Steuererleichterungen nicht zu bewältigen sind. Ich meine, was Professor Giersch vor einiger Zeit gesagt hat und was ich in einer Mitteilung der Dresdner Bank gefunden habe, sollte doch auch der Opposition zu denken geben. Herr Dr. Giersch sagt — und da geht es um das Thema Ursachenstreit, Herr Dr. Barzel —:Die Investitionsschwäche der letzten fünf Jahre könnte auch dahin gedeutet werden, daß das Wachstum in den bisherigen Formen auf zunehmende Hindernisse stößt, weil die Richtung des künftigen Vorstoßes von den Investoren erst noch ertastet werden muß und weil die Ungewißheit, in welche Richtung man denn eigentlich investieren soll, bei dem gegenwärtigen Strukturwandel nun einmal mit sich bringt, daß vielen Investoren das Investitionsrisiko zu hoch erscheint.Wenn Sie schon sagen, man muß nachdenken, man muß über die Probleme Gespräche führen, einen Dialog beginnen, dann muß man doch auch einmal über diesen Punkt miteinander reden. Sie können nicht immer in den alten Gleisen Ihrer Vorwürfe gegen diese Koalition fortfahren.Was die Risiken angeht, so ist auch der Sachverständigenrat auf dieser Spur. Ich verweise, ohne das jetzt weiter vertiefen zu wollen, auf das dritte Kapitel, das unter der Überschrift steht: „Sind die Selbstheilungskräfte zu schwach?" Dort sagt der Sachverständigenrat, daß er enttäuscht ist, daß trotz Wachstums, trotz vorhandener Finanzierungsmittel eben nicht ausreichend investiert wird. Er kommt dann auf die Frage des Investitionsrisikos, und Sie kommen mit Ihren Abschreibungserleichterungen. Der Sachverständigenrat hat in seinem vorjährigen Gutachten Zweifel an der Wirkung solcher Abschreibungserleichterungen gehabt. Die Bundesregierung hat dazu das Ihrige im Jahreswirtschaftsbericht gesagt. Ich will das hier nicht vertiefen. Wenn man aber schon über diese Frage spricht, hat das auch eine ordnungspolitische Komponente; dann muß gefragt werden: Wie weit soll der Staat das Investitionsrisiko minimieren, damit der Vorstoß auf neue Märkte, zu neuen Produkten erfolgt? Da kommen wir dann doch an die Diskussion der Schwelle: Wo schlägt die Minimierung des Investitionsrisikos mit staatlichen Mitteln in eine andere Qualität um? Das ist doch die ordnungspolitische Diskussion, die wir dann zu führen haben und die ich gerne mit Ihnen führen und fortsetzen möchte.
Meine Damen und Herren, wir haben den Gedanken der wachstumspolitischen Vorsorge aufgegrif-
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1330 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Lendersfen, und wir haben auch den strukturpolitischen Ansatz des Sachverständigenrates aufgegriffen. Lesen Sie doch einmal nach, was in den Programmen sowohl des Haushaltes 09 als auch des Haushalts des Bundesministers für Forschung und Technologie an verstärkter Förderung betrieblicher Forschung und Entwicklung, an zinsgünstigen Mitteln zur Gründung neuer Betriebe enthalten ist. Über diese Dinge können Sie in jeder Beziehung mit uns reden. Das hat doch auch die Debatte im Wirtschaftsausschuß etwa über den Haushalt 09 gezeigt. Und: „Weitere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Förderung der Mobilität" — natürlich können wir über diese Dinge reden. Da bestehen ja überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten.Aber nun sagen Sie, das mittelfristige Programm zur Verbesserung der Infrastruktur könne keinerlei Wirkungen haben. Herr Dr. Barzel, da setzt eben der Auffassungsunterschied ein. Wir sind der Auffassung, daß dieses Programm eine ganz wichtige Bedeutung hat und — hier greife ich zu dem, was das Institut der Deutschen Wirtschaft in Berlin gesagt hat — ganz wichtige Voraussetzungen bringt im Blick auf den Aufschließungseffekt öffentlicher Investitionen für die nachfolgenden privaten Investitionen. Denn dieses mittelfristige Programm öffentlicher Investitionen zur Verbesserung der Wachstumsvoraussetzungen und zur Verbesserung der Infrastruktur gibt natürlich vielen Unternehmern für Investitionsentscheidungen auch mittelfristig eine Orientierung. Daran ist doch gar nicht zu zweifeln. Es gibt vielleicht auch einen besseren Ansatz oder Antrieb oder Anstoß, selber zu investieren in die Richtungen, die im Programm genannt sind: Energieeinsparung, Gewässerreinhaltung, Bekämpfung des Verkehrslärms, Verbesserung der Wohnumwelt; es gibt ihnen An, stoß, ihre Investitionsentscheidungen auch in diese Richtungen zu lenken. Private Investitionen ergänzen die öffentlichen Investitionen, und öffentliche Investitionen fordern auch private Investitionen heraus. Deshalb sehen wir dieses Programm als einen ganz wichtigen Beitrag an, mittelfristig die Wachstums- und Beschäftigungsvoraussetzungen zu verbessern.
Ich komme zum Schluß. Ich will zu diesem Programm nur noch drei kurze Bemerkungen machen. Erstens. Dieses Programm wird uns nicht der Aufgabe entheben, bei der Höhe und der gegenwärtigen Struktur der Arbeitslosigkeit weitere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen aufzugreifen, vor allem dann, wenn die Erfahrungen mit dem jetzt laufenden 430-Millionen-Programm vorliegen.
Das ist das eine, das ich anmerken möchte.
Das zweite ist, daß ich auf eine Anmerkung zurückgreife, die mein Kollege Westphal heute zu den Wünschen unserer Fraktion zu dem Programm für Zukunftsinvestitionen gemacht hat. Es kommt nach unserer Meinung darauf an — so auch Herr Westphal —, daß nunmehr, nachdem das Programm im Kabinett verabschiedet ist, in gemeinsamer Anstrengung aller Beteiligten in gesamtstaatlicher Verantwortung Bund, Länder und Gemeinden diese Maßnahmen schnell realisieren und daß auch die Rahmenvereinbarungen schnell zustande kommen. Das ist insbesondere ein Appell an Baden-Württemberg und Bayern. Wir meinen, daß sich vor dieser gesamtstaatlichen Verantwortung mit Blick auf Beschäftigung und Wachstum der Föderalismus bewähren müßte.
Wir sind auch der Meinung, daß die Länder überlegen müssen, ob sie dieses Programm aus ihren Mitteln nicht noch entsprechend ergänzen. Der Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen; ich kann mich darauf beziehen.
Schließlich sind wir der Meinung, daß dieses Programm mit seinem jetzigen Volumen und mit den Maßnahmen, die darin enthalten sind, flexibel bleiben muß, um in den Jahren seiner Durchführung — je nach Lage sowohl nach unten wie nach oben — die Einfügung von Programmteilen zu ermöglichen, wenn sich das als notwendig und in dem finanziell gegebenen Rahmen durchführbar erweist.Damit komme ich zum Schluß. Ich darf für die Fraktion der SPD sagen: Die Bundesregierung hat unsere volle Unterstützung bei der Bewältigung der vor uns liegenden, sicherlich nicht sehr einfachen wirtschaftpolitischen Aufgaben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Angermeyer.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Marktchancen und die Zukunftsaussichten mittlerer Unternehmen sind, wie die aller Unternehmen, von den gesamtwirtschaftlichen binnen- wie auch außenwirtschaftlichen Bezügen und den staatlichen Rahmenbedingungen abhängig. Die konjunkturelle Schwäche in den Jahren 1974 und 1975 hat verständlicherweise auch dieser für das Funktionieren unserer sozialen Marktwirtschaft so wichtigen Unternehmensgröße Einbußen gebracht.Wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, uns jetzt „blau-weiß-machen" wollen, an allem sei allein die sozialliberale Koalition schuld, dann hat das doch letztlich nur eine Alibifunktion.
Selbst eine doch sicher seriöse Zeitung wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat schon festgestellt, daß ganz andere Gründe dafür verantwortlich sind.Immer wieder gebrauchen Sie in Ihren Argumenten die Formulierung, die Wirtschaft, insbesondere die mittelständische, sei verunsichert, aber doch nur, meine Damen und Herren, weil in Ihren Augen die falsche Regierung in Bonn regiert.Allein die Tatsache der Existenz einer CDU/CSU- Regierung würde Ihrer Meinung nach offensichtlich ausreichen, um Vertrauen in die Wirtschaft zu bringen. Im übrigen bestätigte der Kollege Dr. Barzel
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1331
Angermeyerdie falsche Währungspolitik des Finanzministers Strauß, wenn auch in anderem Zusammenhang. Aber Verunsichern gehört nun einmal auch zur Politik.Ich darf Ihnen aus meinem Wahlkreis ein Beispiel bringen. Der Vertreter eines größeren Automobilunternehmens, der seine Auftragsbücher voll hatte und voll hat — und das sicher nicht nur für die allernächste Zukunft — singt das gleiche Lied mit gleichem Tenor. Dieser Unternehmer und viele seiner Kollegen in der gesamten Bundesrepublik haben kaum unter der Rezession gelitten, und trotzdem fühlen sie sich „verunsichert".Wir wollen nicht beschönigen, daß es Wirtschaftszweige gibt, die von der Rezession arg betroffen waren und es zum Teil auch noch sind. Ich denke da im besonderen an die Bau- oder an die Stahlindustrie. Aber das kann doch noch nicht der Grund sein,, den Generalaufruf einiger Verbände zu befolgen: Jetzt wollen wir uns mal beklagen, und wenn einer klagt, dann klagen wir alle mit.Meine Damen und Herren, wenn ich dies hier sage, ist das sicher unverdächtig, denn ich selbst bin auch Unternehmer, nur mit einem Unterschied: Ich vermag die Leistung der sozialliberalen Koalition richtig, und, ich glaube auch, objektiv zu beurteilen — wie im übrigen viele meiner Freunde auch.
Lassen Sie mich an Hand einiger Zahlen belegen, wie sich die Situation auf dem Markte nun tatsächlich darstellt. Wir haben in der Bundesrepublik 1,65 Millionen kleine Unternehmen mit bis zu 9 Beschäftigten. Das sind gut 85 °/o aller Unternehmen. Die nächste Gruppe, die statistisch erfaßt ist, umfaßt Unternehmen mit 10 bis 499 Beschäftigten. Diese beiden Gruppen zusammen umfassen 95 % aller Unternehmen.Man kann jetzt sicherlich behaupten, daß diese Zahlen allein noch nichts besagen. Wenn man aber bedenkt, daß diese mittelständischen Unternehmen 62 % aller Erwerbstätigen in der Privatwirtschaft beschäftigen, 57 % des privaten und 50 % des gesamten Bruttoinlandsproduktes erwirtschaften, daß 50 % des Umsatzes von Firmen dieser Größenordnung erzielt werden und 41 % der jährlichen Investitionen von kleinen und mittleren Unternehmen getätigt werden, dann werden Sie mir sicherlich recht geben, daß dieses ein wesentlicher, sogar vielleicht der entscheidende Wirtschaftszweig in der Bundesrepublik Deutschland ist.Lassen Sie mich jetzt einige Sätze zur finanziellen Situation dieser Unternehmen sagen: Die von Ihnen häufig aufgestellte Behauptung, mittelständische Unternehmen hätten ein geringeres Eigenkapital als Großunternehmen, läßt sich nicht belegen.
Dieses gehört letztlich auch nur zu den von Ihnen ganz allgemein proklamierten Pauschalverunsicherungen.Das Institut für Mittelstandsforschung kommt in einer 1976 veröffentlichten Untersuchung auf Grund der zur Verfügung stehenden Bilanzen zu dem Ergebnis, daß der Eigenkapitalanteil mit wachsender Unternehmensgröße abnimmt, wobei in einzelnen Bereichen durchaus — das darf man nicht übersehen — unterschiedliche Verhältnisse vorliegen, die das Ergebnis teilweise relativieren. Kleine Grenzbetriebe wurden zwar in höherem Grade zahlungsunfähig, aber kleine und mittlere Unternehmen dieser Kategorie haben sich als widerstandsfähiger erwiesen als Großunternehmen.Auch die Behauptung, daß das Handwerk von Konkursen besonders betroffen sei, ist nicht aufrechtzuerhalten. Ein Vergleich zeigt, daß der Anteil des Handwerks an den Konkursen weit unter dem Durchschnitt liegt. So kamen auf 1 000 Selbständige im Jahre 1976 3,7 Konkurse. Auf 1 000 Handwerker kamen hingegen nur 1,3 Konkurse. Der Anteil der Handwerksbetriebe an den Selbständigen beträgt rund 28 °/o, der Anteil der Konkurse von Handwerksbetrieben insgesamt aber nur 9,5 %. Das Rationalisierungskuratorium der deutschen Wirtschaft hat festgestellt, daß ein großer Teil der Insolvenzen auf Klein- und Mittelbetriebe entfällt, denen das Augenmaß für die Grenzen ihrer Möglichkeiten fehlt. Meine Damen und Herren, dies sind mit Sicherheit keine erfreulichen Beschreibungen. Trotzdem sollten wir uns nicht durch Schwarzmalerei gegenüber der deutschen Wirtschaft als Verunsicherer betätigen.Die sozialliberale Koalition hat speziell für mittelständische Unternehmen eine breite Palette von Förderungsmaßnahmen und Steuererleichterungen geschaffen. Diese Maßnahmen dienen dazu, das durch Ihr leichtfertiges Gerede verlorengegangene Vertrauen der Wirtschaft zurückzugewinnen.Die Einführung des Verlustrücktrages ist eine Liquiditätshilfe, die gerade in Zeiten der Not vor allem kleineren und mittleren Unternehmen zugute kommt.In diesem Zusammenhang müssen auch das Inkrafttreten der Körperschaftsteuerreform zum 1. Januar dieses Jahres und die durch das UmwandlungsSteuergesetz erleichterte Änderung der Unternehmensform genannt werden. Gerade die kleineren Unternehmen, die sich in der Regel nicht über den Kapitalmarkt finanzieren und die von selbständigen mitarbeitenden Inhabern geleitet werden, mußten das unternehmerische Risiko bisher selbst tragen. In dem Monatsbericht der Bundesbank vom Januar dieses Jahres wird darauf hingewiesen, daß die meisten Gesellschaften mit beschränkter Haftung, aber auch kleinere Aktiengesellschaften mittelständischen Charakter haben. Das bedeutet, daß durch dieses Gesetz und die damit verbundene Erleichterung der Änderung der Unternehmensform die Kapitalgesellschaft für mittelständische Unternehmen attraktiver geworden ist.Die mittelständische Wirtschaft nimmt immer mehr die ERP-Mittel in Anspruch. 1976 sind insgesamt 9 200 ERP-Darlehen mit einem Gesamtvolumen von 650 Millionen DM an mittelständische Unternehmen gewährt worden. Hinzu kommen Ergänzungsdarlehen von fast 230 Millionen DM. In der Zukunft wird es darum gehen, diese Mittelansätze des Wirtschaftsplans zu erhöhen.
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1332 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
AngermeyerDie Stärkung des Leistungswettbewerbs — insbesondere im Einzelhandel — ist eine weitere zentrale Aufgabe der Wettbewerbspolitik. Zur Sicherung der in einer Wettbewerbsordnung unerläßlichen Chancengleichheit für alle Unternehmen hat die Bundesregierung mit der zweiten Kartellnovelle aus dem Jahre 1973 und der Förderung der Selbsthilfe die notwendigen Grundlagen geschaffen. Diese Wettbewerbsordnung ist kontinuierlich ausgebaut worden. 1974 gab das Bundeswirtschaftsministerium einen Beispielkatalog für wettbewerbsverzerrende Praktiken, den sogenannten Sündenkatalog heraus. Ein Jahr später verabschiedeten 15 Verbände der Industrie, des Handwerks und des Handels ihrerseits eine gemeinsame Erklärung zur Sicherung des Wettbewerbs. Die Stärkung des Leistungswettbewerbs wird weiter vorangetrieben werden. Die Mißbrauchsaufsicht muß verstärkt, Nachfragemacht und Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten kleiner und mittlerer Unternehmen müssen weiter abgebaut werden. Was wir brauchen, ist ein gesundes Verhältnis zwischen einer breiten Schicht kleiner und mittlerer Unternehmen auf der einen und wenigen großen Unternehmen auf der anderen Seite. Insbesondere brauchen wir Mittel und Maßnahmen gegen diskriminierende Rabattpraktiken — davon kann ich persönlich ein Lied singen — und die Ausdehnung des zulässigen Inhalts von Wettbewerbsregeln zur Abwehr leistungswidriger Wettbewerbspraktiken. Die Bundesregierung wird in Kürze eine Stellungnahme zum Erfahrungsbericht über die unverbindliche Preisempfehlung abgeben. Ein weiterer Entwurf einer Novelle zum Kartellgesetz wird vorgelegt.Meine Damen und Herren, auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer gehört, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, mit zur Entlastung der Wirtschaft. Wenn Sie vordergründig argumentieren, hier käme eine neue Belastung auf die Wirtschaft zu, vergessen Sie, zu sagen, wofür die Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuer auch verwendet werden sollen. Wenn Sie es richtig sagen würden, würden Sie auch hinzufügen, daß damit die Anhebung der Höchstbeträge für Sonderausgaben bei der Einkommensteuer, die der Sicherung der Altersversorgung dient, finanziert werden soll und die Entlastung der Unternehmen im Bereich der ertragsunabhängigen Steuern durch Einführung bzw. Erhöhung von Freibeträgen bei der Gewerbesteuer und durch Senkung der Vermögensteuersätze erreicht werden soll. Die Förderung der Betriebsberatung und die Aus- und Weiterbildung von Führungskräften werden Vorrang haben.In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch erwähnen, daß die Qualifikation der Mitarbeiter für Mittel- und Kleinbetriebe ungleich wichtiger ist als das zwar knappe, aber doch irgendwie beschaffbare Kapital. Die Zahl der Konkurse, die man auf das Konto der Weltrezession schreiben kann, ist weitaus kleiner als die der Insolvenzen, die auf unzureichender Qualifikation bei der Führung und Finanzierung der Unternehmen beruhen.Auch das Ausbildungsplatzförderungsgesetz nimmt besondere Rücksicht auf kleine Unternehmen. Erst Betriebe mit einer Lohnsumme von über 400 000 DM werden zur Abgabe der Umlage — wenn sie beschlossen werden sollte — herangezogen; dagegen können auch diese kleinen Betriebe mit einer geringen Lohnsumme in den Genuß der Prämien aus diesem Gesetz kommen.Das gestern von der Bundesregierung verabschiedete mehrjährige öffentliche Infrastrukturprogramm wird die Auftragslage gerade der mittelständischen Wirtschaft nachhaltig verbessern.Aus der Fülle dieser Maßnahmen mögen Sie ersehen, meine Damen und Herren, welche Anstrengungen — und ich konnte ja nur einen Teil aufzählen — die sozialliberale Koalition unternimmt, um die durch die Rezession ins Stocken geratene Konjunktur wieder auf das Niveau zu bringen, das wir brauchen, um wieder einen hohen Beschäftigungsgrad zu erreichen.Auch die Damen und Herren von der Opposition wären sicher besser beraten, nicht mehr in Krisengerede zu machen, sondern konstruktive Beiträge zu leisten. Einiges davon konnte man bei Ihnen, Herr Dr. Barzel, hören.
Das Wort hat der Abgeordnete Schwarz-Schilling.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Minister Friderichs hat heute zu Beginn seiner Rede an die Opposition ein Angebot zum Dialog gemacht, und er hat es am Schluß wiederholt. Ich als ein Neuling in diesem Hause habe diese Aufforderung sehr ernst genommen.Herr Minister, Sie meinten dann gleich anmerken zu müssen, daß durch diese Debatte — durch Stil und entsprechende inhaltliche Äußerungen — keine Verunsicherung herbeigeführt werden sollte. Nun, ich glaube, wenn wir einmal kurz zurückschauen, kann man wohl feststellen, daß die Verunsicherungen weniger durch Parlamentsdebatten als durch Fakten und Entscheidungen der Politiker in unserem Lande eingetreten sind
und daß es gerade umgekehrt ist: daß nämlich das Totschweigen von Fakten zur Verunsicherung beiträgt. Aus diesem Grunde müssen die Dinge hier offen ausgesprochen werden.
Der Sachverständigenrat hat in seinem Gutachten — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren — in Ziffer 277 ausgeführt:Der immaterielle Schaden ist darin zu sehen, daß bittere Erfahrungen die Verhaltensweisen der Investoren verändert haben und Zukunftsvertrauen noch nicht recht haben aufkommen lassen.
Er sagt dann weiter: Wenn der unternehmerischeElan dahin ist, dann wird diese Gesellschaft auf
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Dr. Schwarz-SchillingJ einen Teil ihres Mehrertrags verzichten müssen. Und diese Unsicherheit verursacht Kosten. Das sind dann Fakten in unserer Gesellschaft.Wenn Sie jetzt die Frage stellen, wie es zu dieser Verunsicherung gekommen ist, dann müssen Sie eines sehen: Auch Unternehmer und jene, die über Investitionen in unserem Land zu entscheiden haben, sind nicht weniger intelligent als Pawlowsche Hunde. Wenn man ihnen alle Augenblicke eine Wurst vorhält und sie jedesmal, wenn sie springen, wegzieht, aber beim zwölften Male sagt: jetzt dürft ihr schnappen, dann ist das nicht glaubwürdig. Auf Grund dieser Entwicklung ist in unserem Land eine große Unsicherheit in diesem Bereich eingetreten.
Man soll die Menschen draußen nicht für dumm halten, sondern die Dinge offen aussprechen.
Die Analyse, die der Wirtschaftsminister dann gemacht hat, zeigt — und das ist, glaube ich, auch die Analyse des Sachverständigenrats —, daß die Verminderung der Arbeitslosigkeit unser höchstes Ziel ist. Dafür sind bestimmte Voraussetzungen erforderlich.Gerade was die Arbeitslosigkeit angeht, hat die Projektion 1976 4 1/2 % im Jahresdurchschnitt und für das Jahresende 4 % vorausgesagt. So sollte es sein. Das Ist betrug im Jahresdurchschnitt 4,6 % und am Jahresende 4,4 °/o. Jetzt kommt die Projektion für 1977 mit 4 %. Wenn Sie sich darüber im klaren sind, daß wir im Moment bei 5,3 % stehen und daher, um diesen Jahresdurchschnitt erreichen zu können, im ganzen zweiten Halbjahr bei ungefähr 3 % liegen müßten, dann sehen Sie, auf wie tönernen Füßen diese Projektionen bereits heute stehen.Hinzu kommt, daß in Wirklichkeit die Zahl der Arbeitslosen bzw. der verlorengegangenen Arbeitsplätze viel höher ist: 650 000 Ausländer sind abgewandert. 300 000 erhalten keine Unterstützung mehr, weil ein anderes Familienmitglied erwerbstätig geworden ist und sie daher in der Statistik gar nicht erscheinen. Die Situation ist deshalb viel, viel drastischer, als sie in diesen Zahlen sichtbar wird.Dann kommt die Frage, wie wir dieses Problem über Arbeitsverteilung und ähnliches lösen wollen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn wir Anfang der 50er Jahre, als wir Millionen Arbeitslose hatten und Millionen Flüchtlinge eingegliedert werden mußten, eine Diskussion über die Verteilung der Arbeit begonnen hätten, dann hätten wir heute noch Millionen von Arbeitslosen.
Die Sachverständigen haben schon 1975 eine sehr genaue Analyse der Rezession gegeben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Graf Lambsdorff?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege SchwarzSchilling, darf ich davon ausgehen, daß Sie Ihre Bemerkungen über das Arbeitszeitproblem auch an Ihren Kollegen Blüm weitergeben?
Selbstverständlich werden auch in unserer Fraktion darüber Diskussionen geführt. Aber ich glaube, daß wir dieses Problem nicht durch eine Verteilung, sondern durch stärkeres Wachstum, durch entsprechenden Produktivitätszuwachs, durch Schaffung von Arbeitsplätzen, durch Investitionen erreichen müssen, wenn wir der sozialen Marktwirtschaft treu bleiben wollen. Darüber gibt es keine Diskussion.
Wir hatten eine Investitionskrise riesigen Ausmaßes trotz hoher Sparquote. Was ist die Ursache? Die Ursache ist, daß die Kapitalrendite unserer Anlageinvestitionen katastrophal niedrig ist. Natürlich legt man dann sein Geld lieber in Fremdkapital an, weil es sich dort sicherer und höher verzinst, als in entsprechendem Eigenkapital, das zusätzlich zum Risiko im Schnitt der Jahre im Grunde genommen eine geringere Verzinsung gebracht hat. Was soll man da investieren und sein Geld in Anlagekapital stecken! Das ist doch die wirkliche Ursache unserer Wirtschaftskrise.
Nun, meine Damen und Herren, das Gutachten hat auch eine ganz klare Relation von Investition und Beschäftigung aufgezeigt. Die Betriebe haben sich bemüht, trotzdem Gewinne zu machen, weil sie das als Überlebensstrategie brauchen. Dennoch haben wir seit 1969 eine Halbierung der Gewinne nach Steuern. 1969 gab es im Schnitt der Aktiengesellschaften auf 100 DM Umsatz 3,75 DM, im Jahre 1975 1,53 DM Gewinn nach Steuern. Das ist ein Minus von 60 % im Schnitt aller Jahre. 1975 war die Schrumpfung, zugegeben, etwas geringer; sie betrug etwa ein Drittel gegenüber 1974. 1976 hatten wir wieder eine höhere Gewinnrate. Meine Damen und Herren, diese entsteht aber nicht durch einen entsprechenden echten Produktivitätszuwachs, sondern dadurch, daß durch stärkere Auslastung des vorhandenen Produktionspotentials die Fixkostenverteilung auf das Einzelprodukt reduziert wird und auf diese Weise eine entsprechende Degression der Kosten je Produkt entsteht, und das noch bei vermindertem Personal gegenüber der Zeit von 1972/73.Das war die einzige Überlebensstrategie, die die Unternehmer in dieser Zeit betreiben konnten, weil jeder, der anders gehandelt hat, auf der Strecke geblieben ist oder keine Kapitalrendite mehr hatte oder auf diese Weise sein Unternehmen verkaufen, liquidieren oder ähnliches tun mußte. Ich brauche Ihnen das hier nicht im einzelnen zu sagen.Gerade auch die Rationalisierungsinvestitionen sind eine notwendige Voraussetzung dafür, daß diese Überlebensstrategie überhaupt möglich bleibt. Wir sollten daher auch nicht von „wegrationalisie-
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Dr. Schwarz-Schillingren" reden; denn diese Strategie ist die Voraussetzung für Vollbeschäftigung von morgen.
Meine Damen und Herren, hier wurde über die Lohnstückkosten gesprochen. Ich war über das, was der Finanzminister hierzu gesagt hat, sehr erstaunt. Er hat Steigerungssätze genannt. Man kann natürlich von einem Entwicklungsland mit niedrigen Löhnen ausgehen, wo die Lohnkosten in der Kalkulation vielleicht 2 % des Umsatzes ausmachen. Wenn sich diese Lohnkosten um 100 % erhöhen, ist der Anteil immer noch nur 4 %, also weit, weit geringer als bei uns. Wir haben einen ganz hohen Sockel an Lohnkosten. Wenn es bei uns nur geringe Steigerungen der Lohnstückkosten gibt, ist bei uns der absolute Wert heute leider Gottes an der absoluten Spitze. Nach der Statistik sind die Arbeitskosten der Bundesrepublik im internationalen Vergleich heute am höchsten. 1976 lagen die Arbeitskosten der verarbeitenden Industrie in der Bundesrepublik bei 17 DM, in den Vereinigten Staaten bei — umgerechnet — 16 DM je Stunde.So haben wir eine Situation, bei der gerade in der chemischen oder in der Automobilindustrie die Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr da ist. Nehmen wir einmal den Einzelbereich Chemie. Dort haben wir von 1973 bis 1976 einen Anstieg der Lohnstückkosten von 23,2 %. Die Produktion ist gering gestiegen, aber die Bruttolohn- und -gehaltssumme ist um 27,6 % gestiegen.Meine Damen und Herren, an den Anfang ist also zu stellen: Senkung der Kostenbelastung, Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen, Kosten und Erträge für die Betriebe wieder ins Gleichgewicht bringen und mittlere und kleinere Unternehmen überleben lassen!Daher das Programm des Sachverständigenrats. Der Sachverständigenrat spricht unter Ziffer 460 von den Vorbedingungen der Geldpolitik und der Währungspolitik, die in etwa auch in dem Bericht der Bundesregierung eingehalten werden. Aber dann heißt es in dem Vorschlag des Sachverständigenrats zur Finanzpolitik:Die Finanzpolitik vermindert die expansiven Impulse der öffentlichen Haushalte.Meine Damen und Herren, da beginnt schon das ganz große Fragezeichen, wie dem Petitum des Sachverständigenrats bei der Haushalts- und Finanzpolitik für dieses Jahr Rechnung getragen wird. Und dann heißt es unter Punkt D — ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren —:Die Bundesregierung beschließt ein mittelfristig orientiertes Programm für Wachstum und Vollbeschäftigung, das die Ertragserwartungen der Investoren festigt, die Innovations- und Investitionsrisiken mindert und die Bereitschaft sowie die Fähigkeit der Arbeitnehmer zur Mobilität erhöht.Das heißt konkret: steuerliche Regelungen, Abschreibungserleichterungen, Förderung der betrieblichen Forschung und Entwicklung, zinsgünstige Kredite. Meine Damen und Herren, ich erinnere da-ran, daß diese Bundesregierung genau in diesem Jahr ihre Zuschüsse für Kreditgarantiegemeinschaften einzustellen scheint, so daß es jetzt nicht mehr darum geht, etwa neue Existenzen zu gründen, sondern darum, daß diejenigen kleinen Betriebe, die dadurch überhaupt überlebensfähig bleiben, auch diese Möglichkeit verlieren.
Das nennt man dann Verbesserung der Ertragserwartung und Stützung der kleinen Betriebe!Der Sachverständigenrat hat für das ganze Programm 3 Milliarden DM eingesetzt.
Er sagt in Ziffer 461 ganz deutlich:
Diese Politik ist nicht darauf gerichtet, kurzfristig und womöglich nur vorübergehend Nachfrage und Produktion zu stimulieren.Verbesserung der wachstumspolitischen Rahmenbedingungen ist das Ziel. Und in Ziffer 462 heißt es:Die Wirkungen des Gesamtprogramms Bernessen sich überdies nicht nach der Summe der Einzelmaßnahmen, sondern nach der Verbesserung des Investitions- und Beschäftigungsklimas im ganzen.Das ist ein ganz entscheidender Punkt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Schwarz-Schilling, darf ich Sie fragen, was Sie zu der Behauptung veranlaßt, die Bundesregierung wolle die Unterstützung der Kreditgarantiegemeinschaften einstellen, und darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß dies nicht geplant ist und daß die Förderung der Kreditgarantiegemeinschaften trotz der Bedenken von Haushaltsausschuß und Rechnungshof in bisherigem Umfang aufrechterhalten bleibt?
Das wäre eine völlig neue Nachricht.
Die betroffenen Gruppen haben in ihren letzten Gesprächen in dieser Frage ein völlig andere Aussage gemacht, und der Titel ist gestrichen worden.
Nun, nachdem der Sachverständigenrat dieses Programm entworfen hat, stellt die Bundesregierung ein „mehrjähriges öffentliches Investitionsprogramm zur wachstums- und umweltpolitischen Vorsorge" auf. Ich gebe zu: ein bombastischer Titel. Es klingt auch etwas ähnlich, nur: es hat mit dem, was der Sachverständigenrat vorgeschlagen hat, hinsichtlich seines Hauptakzents überhaupt nichts zu tun.
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Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1335
Dr. Schwarz-SchillingDas Programm der Bundesregierung setzt einen völlig anderen Akzent, welcher — Herr Kollege Barzel hat bereits darauf hingewiesen — einer eingehenden Begründung bedürfte. Auf diese Begründung haben wir gewartet, um eine sachverständige Diskussion führen zu können, nämlich auf die Begründung, warum die Bundesregierung dem Rat des Sachverständigenrates nicht gefolgt ist und hier heute ein völlig anderes Programm auf den Tisch gelegt hat. Doch nichts davon!Meine Damen und Herren, schauen wir uns einmal die Zahlenrelationen dieses bombastischen Programms an. Es wurde hier heute von Graf Lambsdorff gesagt, das sei ein riesiges Programm, wie wir es seit 1948 noch nicht gehabt hätten. Wir unterhalten uns hier schon stundenlang, und wir werden uns wahrscheinlich noch weiter stundenlang unterhalten, aber bedenken ' Sie einmal die Zahlenrelationen. In diesem Jahr werden davon etwa 3 Milliarden zur Wirkung kommen. Die gesamten Bruttoanlageinvestitionen in der Bundesrepublik Deutschland werden in diesem Jahr bei etwa 250 Milliarden DM liegen. Da macht also das großartige Programm der Bundesregierung noch nicht einmal % aus! Das ist doch der große Luftballon, von dem hier ständig geredet wird. Das hat doch nichts mit Beschäftigungspolitik zu tun!
Aber ich gebe zu, meine Damen und Herren: Wir brauchen heute solche Programme, damit die Bundesregierung überhaupt in der Lage ist, den bestehenden Investitionsanteil der Haushalte zu halten und das Geld nicht für andere Dinge auszugeben. Auf diese Weise machen Sie daraus ein großes mehrjähriges Programm. Wenn Sie es auf das einzelne Jahr umlegen und dann den Anteil von Investitionen am Haushalt überprüfen, werden Sie merken, daß Sie gegenüber den früheren Jahren praktisch überhaupt keine Steigerung vorgenommen haben. Das ist eine großartige Taktik. Ich gratuliere Ihnen dazu,
nur: wir merken das auch.
Meine Damen und Herren, ich muß hier feststellen, daß die Handwerker, die größeren und mittleren Unternehmen, auch die mittleren Industrieunternehmen, die auch hinsichtlich der' Erleichterungen bei der Zurechnung des Gewerbekapitalertrages leer ausgehen und die im härtesten Wettkampf mit den Großen stehen, bei dem ganzen Programm am wenigsten bedacht sind. Woraufhin sollen denn die Handwerker, mittleren Unternehmer, alle diejenigen, die nach dem Sachverständigenrat die Ertragserwartungen haben sollen, heute investieren, mehr Arbeitsplätze schaffen und ähnliches mehr? Auf diese Frage ist die Bundesregierung leider Gottes eine Antwort schuldig geblieben.
Graf Lambsdorff hat nun eine sehr merkwürdige Wende vollzogen, indem er am Schluß seiner Rede sagt, „die FDP teile dieses Urteil — nämlich daß dasVertrauen in die Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung nicht so schlecht sein könne —, sie begrüße das Jahresgutachten, sie billige den Jahreswirtschaftsbericht und sie vertraue der Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung."
Wenn man das Jahresgutachten begrüßt, von seinen Empfehlungen aber total abweicht, kann man doch nicht nachher sagen: und sie billigt auch den Jahreswirtschaftsbericht. Dann . muß man doch wenigstens einmal die verschiedenen Positionen sachverständig erläutern und kann nicht sagen, die FDP sei immer dabei.
— Herr Minister Apel hat in bezug auf Professor Biedenkopf von dem Unterschied zwischen Sonntagsreden und Praxis gesprochen. Ich habe den Eindruck, diesmal sind von der Regierungsseite auch am Werktag allerhand Sonntagsreden gehalten worden.
Aber wenn ich einmal darauf eingehe, was in die. ser Debatte geschehen ist, so muß ich feststellen, daß nicht die Frage der Stringenz zwischen den Empfehlungen des Sachverständigenrates und dem Jahreswirtschaftsbericht das eigentliche Thema gewesen ist, nicht die Frage, warum die Bundesregierung den Hauptakzent verlagert, sondern Minister Apel hat z. B. von der Mannheimer Erklärung und von einer Rede unseres Bundesvorsitzenden in Ahien gesprochen. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie können sich gerne mit der katholischen Soziallehre beschäftigen, Sie können auch die Frage stellen: Was ist die soziale Marktwirtschaft? Aber Sie können uns doch nicht in die Ecke stellen, als ob wir etwa nicht wüßten, daß die soziale Marktwirtschaft weiterzuentwickeln ist. Das wissen wir doch sehr genau. Trotzdem hat sie für uns nicht nur instrumentalen Charakter, weil sie in unserem Grundwertverständnis die Ausdrucksfähigkeit der Freiheit im wirtschaftlichen Bereich ist In diesem Verständnis werden wir sie weiterentwickeln.
Herr Lenders sprach davon, wir sollten doch nicht zur eigenen Befriedigung Vergangenheitsbewältigung betreiben. Lesen Sie doch bitte einmal die Sachverständigengutachten aus all den zurückliegenden Jahren, besonders der Jahre 1975 und 1976. Wenn Sie einmal begreifen würden, wo die Ursache der Krise liegt — sie wird im Sachverständigengutachten 1975 hervorragend dargestellt —, bräuchte diese Debatte gar nicht stattzufinden. Sie können doch nicht sagen, wir würden ständig Vergangenheitsbewältigung betreiben, wenn Sie noch nicht einmal begreifen, wo die Ursache der Krise liegt, und laufend weiter falsche Entscheidungen treffen. Dann müssen wir es doch immer wieder sagen.
Zur Bewältigung der Krise gehört eine Koalitiondes Mutes, des Mutes zwischen allen, zwischen denen, die regieren, zwischen Unternehmern, Mittel-Dr. Schwarz-Schillingständlern, Handwerkern, zwischen allen denjenigen, die wissen, daß wir wieder Zuversicht brauchen. Wir brauchen Leute, denen man glauben kann und die nichts vernebeln, die die Dinge offen aussprechen und auch harte Positionen einnehmen.Wenn Graf Lambsdorff im Zusammenhang mit der Frage von Koalitionen im Hinblick auf das Kommunalwahlergebnis in Hessen meint, das sei ein „letzter Verweis des Bürgers" gewesen, dann kann ich nur fragen: Wie viele Verweise wollen Sie eigentlich noch einstecken?
1970 haben wir die absolute Mehrheit der SPD gebrochen. Sie monieren jetzt das Ahlener Programm und ähnliches, aber Ihre Partei koaliert mit Herrn Rudi Arndt, koaliert mit den linken Systemveränderern, mit Leuten, die in Gießen, in Hessen-Süd all die Investitionslenkungsbeschlüsse durchgesetzt haben. Dazu stellen Sie jedoch keine Frage.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Roth?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, ich möchte meinen Gedankengang jetzt zu Ende führen.
Sie haben 1970 dann mit einem Partner koaliert, der Herr von Friedeburg heißt, der die Rahmenrichtlinien, sozialistische Vorstellungen durch und durch, vertreten hat. Da muß man sich doch die Frage stellen: Warum haben Sie mit diesem Partner koaliert?
1974 haben Sie es immer noch nicht begriffen, obwohl wir die stärkste Fraktion wurden. Ich sage Ihnen: Sie werden im Jahre 1978 einen allerletzten Verweis erhalten, nämlich dann, wenn diese Koalition abgewählt wird, wenn die absolute Mehrheit der CDU das bewirkt, was Sie offensichtlich nur auf diese Weise lernen können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Bitte schön.
Herr Kollege Schwarz-Schilling, würden Sie die Freundlichkeit haben, davon Kenntnis zu nehmen, daß wir zur Zeit eine Debatte im Deutschen Bundestag führen?
Graf Lambsdorff, ich wollte nur verhindern, daß hier falsche koalitionspolitische Erklärungen von Ihnen bezüglich der Kommunalwahl im Raum stehenbleiben; die sind ja von Ihnen angeführt worden.
Ich wollte Ihnen in Ihrem Interesse nur sagen, daß
Sie vielleicht auch die Frage stellen sollten, ob es
dieser allerletzten Verweise des Bürgers bedarf;
denn das könnte für Ihre Partei -- das täte mir leid -- sehr gefährlich werden. Aus diesem Grunde fragt man sich natürlich auch, wie hier der Konsens zwischen dem, was wir im Orientierungsrahmen der SPD lesen, auf der einen Seite und Ihren Vorstellungen auf der anderen Seite hergestellt werden soll. Dann monieren Sie eine Rede von Dr. Kohl in Ahlen, oder es werden hier die Fragen der katholischen Soziallehre bemüht. Die Positionen sind doch klar. Vernebeln Sie die Positionen nicht! Sehen Sie, wohin die Zukunft führt! Darm bedarf es keines allerletzten Verweises! Dazu möchte ich Sie auffordern. .
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vohrer.,
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Im Mittelpunkt der heutigen Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht standen immer wieder volkswirtschaftliche Zahlen über die Entwicklung von wirtschaftlichem Wachstum, Energieverbrauch, Beschäftigung, Export, Import und dergleichen mehr. Zu kurz kam heute einmal mehr die Überlegung, wie sich wirtschaftspolitische Ziele unter dem Obergeordneten Ziel einer intakten Umwelt verändern müssen. Alternativen und Lösungswege, die dieser umfassenden Zielsetzung genügen, wurden nicht aufgezeigt. Ich möchte hier nicht dem Nullwachstum das Wort reden; denn bei der derzeitigen Bruttosozialproduktsrechnung ist es selbst bei Nullwachsturn möglich, die Rohstoff- und Energieverschwendung noch auszudehnen.Insofern erscheint es mir dringlich geboten, daß im Rahmen dieser Debatte in aller Deutlichkeit eine am qualitativen Wachstum orientierte Strategie aufgezeigt wird. Auch ohne eine exakte und operationale Definition des qualitativen Wachstums, zu dessen Bestimmung noch immer viel zu vage soziale Indikatoren herangezogen werden müssen, ist es heute möglich, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine umweltfreundlichere Produktion und Produktgestaltung ermöglichen.Der Ehrlichkeit halber muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß wir unsere Produktionsfaktoren entweder für konsum- und kapazitätserweiternde Investitionen oder Umweltverbesserungen einsetzen können. Insofern werden all die für die Verbesserung der Ökologischen Bedingungen eingesetzten Ressourcen den Konsumbereich einschränken oder die mögliche Kapazitätsausdehnung reduzieren.Dem Argument einer Wettbewerbsverzerrung im internationalen Handel möchte ich insofern entgegentreten, als ein Teil der durch Umweltauflagen erzwungenen Kostensteigerungen durch das Floaten der Währungen in Form geringerer Aufwertungseffekte ausgeglichen wird. Im übrigen kann damit gerechnet werden, daß alle anderen Industrienationen früher oder später die gleiche Entwicklung zu vollziehen haben. Es kann deshalb angenommen werden, daß die jetzt in Kauf genommenen möglichen Wettbewerbsnachteile und Einschränkungen
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Dr. Vohreruns später in eine um so günstigere internationale Ausgangsposition bringen werden.Ich möchte auch in dieser Debatte den bislang unbestrittenen Zusammenhang, wonach wirtschaftliches Wachstum und die Schaffung neuer Arbeits-und Ausbildungsplätze mit gesteigertem Energieverbrauch verbunden seien, in Frage stellen. Die Analyse der historischen Abläufe beweist, daß diese Aussage fast durchweg falsch ist. Es läßt sich sehr leicht aufzeigen, daß menschliche Arbeitskraft durch Energie ersetzt wurde, ein Sachverhalt, der sich sowohl in jedem einzelnen privaten Haushalt an Hand der energieaufwendigen Geräte wie Spülmaschine, Wäschetrockner und dergleichen wie auch in der Industrie oder Landwirtschaft nachweisen läßt.Niemand weiß derzeit sicher, welche Energiemengen bei sparsamen Verhaltensweisen in den privaten Haushalten und in der gewerblichen Wirtschaft eingespart werden können. Eines ist jedoch sicher: daß der Staat durch seine Politik dazu beitragen kann, daß die Einsparungsmaßnahmen ein größeres Gewicht erhalten. Ich denke dabei sowohl an gesetzliche Vorschriften über die Isolierung im Wohnbereich, energiesparende Motoren, Geschwindigkeitshöchstgrenzen, um nur einige Beispiele aufzuzählen, wie auch an wirtschaftliche Anreize für private oder gewerbliche Energiesparmaßnahmen.Eine Überlegung wurde, scheint mir, in der Debatte nahezu überhaupt nicht angesprochen. Wird nämlich nach den vorliegenden Prognosen in unserem marktwirtschaftlichen System Energie in den 80er Jahren knapper und erscheint uns der Einsatz von Kernenergie noch nicht sicher genug, dann wird — streng nach den eben diesen marktwirtschaftlichen Spielregeln — der Preis für Energie steigen. Dieser höhere Energiepreis wird einerseits die Rentabilität energiesparender Investitionen vergrößern, andererseits neu und bisher möglicherweise nicht genügend in Betracht gezogene Energieträger wettbewerbsfähiger machen. Gerade die solare Energie und die Wärmepumpe sind an der Schwelle der Rentabilität angelangt, und die Nutzung der Abwärme in Fernheizungssystemen wird bei anderen Energiepreisrelation sinnvoll. Sieht man jedoch dagegen die bisherige Tarifregelung im Elektrizitätsbereich, wo der hohe Stromverbrauch durch eine degressive Gestaltung der Stromtarife noch begünstigt wird, so wird deutlich, wie diametral die jetzige Tarifpolitik staatlicher Energieversorgungsunternehmen der ökologischen Zielsetzung entgegenläuft.
In den Ausführungen des Bundeswirtschaftsministers wurde darauf hingewiesen, daß der Kernenergieanteil von 2 % im Jahre 1975 oder 7,1 Millionen t Steinkohleeinheiten bis zum Jahre 1985 auf 13 % der Primärenergie oder 35 % des Stromverbrauchs mit einer Gesamtleistung von 30 000 MW oder 62 Millionen t Steinkohleeinheiten gesteigert werden soll. Dieser Entwicklung könnten die umweltbewußten Abgeordneten in diesem Parlament, und zwar aller Fraktionen, nur unter der Voraussetzung zustimmen, daß alle bislang noch ungelösten Risiken dieses Energieträgers in kurzer Zeit gelöst würden. Ich denke hier insbesondere an die Fragen der Belieferung, Entsorgung und Wiederaufbereitung von Uran und an die Reaktorsicherheit, die ja von dem Verwaltungsgericht in Freiburg für das Wyhler Projekt als nicht zureichend beurteilt wurde. Vor diesem Hintergrund erscheint es mir utopisch, im Verlauf von zehn Jahren nahezu eine Verzehnfachung des Kernenergieeinsatzes erreichen zu wollen.Für mich steht die Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht weniger unter dem Aspekt konjunktureller Maßnahmen zur Beseitigung der Rezessionserscheinungen, die sich seit 1974 in unserer Volkswirtschaft zeigen. Ich hätte es begrüßt, wenn diese Debatte im stärkeren Maße auch unter den Blickwinkel eines epochalen Einschnitts gestellt worden wäre, wonach die Nachkriegs- und Wiederaufbauphase in Deutschland und Europa nunmehr beendet ist und der unreflektierte Einsatz von Rohstoff und Energie ein Ende hat. Jetzt gilt es, die Weichen zu stellen, um in einer Zeit des bewußteren Lebens mit knappen Rohstoffen, mit knapper Energie und — was wir leider auch konstatieren müssen — mit überschüssigen Arbeitskräften die wirtschaftspolitischen Konsequenzen zu ziehen, die uns in eine soziale und ökologische Gleichgewichtslage führen können.Meine Damen und Herren, ich bin mir bewußt, daß konjunkturelle Überlegungen die eine Seite der Medaille sind. Aber langfristige strukturpolitische Überlegungen können wir deshalb nicht unterlassen.
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Ich möchte zunächst den Abgeordneten Angermeyer und Schwarz-Schilling zu ihren heutigen Jungfernreden gratulieren, die sie im Rahmen dieser Wirtschaftsdebatte gehalten haben.
Zur Rede des Abgeordneten Schwarz-Schilling möchte ich nur eine einzige Anmerkung machen. Seitens des zuständigen Ministeriums, nämlich des Bundeswirtschaftsministeriums, war zu keiner Zeit beabsichtigt, den Mittelansatz im ERP-Wirtschaftsplan zugunsten der Kreditgarantiegemeinschaften herabzusetzen; ich sage: zu keiner Zeit. Statt sich mit Interessenverbänden allein zu unterhalten, hätte ein Anruf genügt. Richtig ist allerdings, daß der Bundesrechnungshof diese Titelhöhe angemahnt und auf eine Herabsetzung des Titelansatzes gedrungen hat. Dies ist korrekt. Die Bundesregierung hat diese Absicht nicht gehabt. Anruf genügt: Auskunft erteilt der zuständige Mitarbeiter, ich selbst aber auch.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich von den hier gehaltenen Reden nur mit einer ausein-
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Bundesminister Dr. Friderichsandersetzen oder, richtiger gesagt: eingehen nur auf die Rede des Abgeordneten Dr. Barzel von der Opposition. Ich möchte mit allem Freimut sagen, daß nach dem Versuch heute morgen, einen Dialog zu eröffnen, der erste Beitrag, nämlich die Rede des dazu herbeigeeilten, danach wieder davongeeilten Abgeordneten Dr. Strauß mir keine Veranlassung gibt, auch nur mit einem Wort darauf einzugehen.
Ich habe mir die Reden der letzten zwei Jahre noch einmal angeschaut. In der heutigen Rede war kein einziges Argument, das wir nicht in den beiden letzten Jahresdebatten gehört und hinreichend behandelt haben.
Deswegen erlaubt es mir die Opposition sicher, daß ich mich mit der Rede des Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages befasse.Herr Dr. Barzel, ich glaube, daß ich bei der Gesamtanlage meiner Vormittagsrede jedenfalls den Versuch gemacht habe — er mag mißlungen sein —, eine Ursachenanalyse zu geben, die mittel- und längerfristigen Probleme aufzuzeigen, die Konzeption der Wirtschaftspolitik zu beschreiben und hier wiederum die Stärkung der autonomen Investitionstätigkeit in den Mittelpunkt zu stellen. Ich lege noch einmal Wert darauf, daß wir uns darüber klar sind. Denn manchmal entstand im späteren Verlauf der Debatte — ich denke vor allem an den vorletzten Beitrag — der Eindruck, als ob das nicht der Fall gewesen wäre. Ihre Anmerkungen waren vielmehr auf die Fragen gerichtet: Erreicht ihr das mit diesen Mitteln, habt ihr alles abgetastet oder habt ihr überhaupt nur Teilbereiche davon geprüft?Sie haben eine weitere kritische Bemerkung gemacht, nämlich — so habe ich es jedenfalls verstanden — ich hätte mich nicht ausreichend mit der Frage beschäftigt: Wachstum wozu eigentlich? Dies war nun wirklich einer der Schwerpunkte in meiner Rede. Ich will noch einmal knapp zusammenfassen, wo ich die ökonomischen Motivationen sehe, nämlich zum einen im Erreichen eines befriedigend hohen Beschäftigungsstandes; wir können auch Vollbeschäftigung dazu sagen. Hier gibt es sicher Übereinstimmung im Hause darüber, daß dies ohne Wachstum nicht möglich ist. Dies habe ich heute morgen gesagt.Zweitens habe ich hinzugefügt, daß auch das System der sozialen Sicherung, das wir in der Bundesrepublik haben — lohnbezogene, dynamisierte Rentenformel, um nur ein Beispiel zu nennen —, im Grunde genommen Wachstum voraussetzt, wenn man dieses System angesichts der demographischen Entwicklung, nämlich längeres Leben der älteren Menschen, schwache Geburtenjahrgänge ab 1982, auch für diejenigen sichern will, die jetzt die Beiträge in dieses System einzahlen. Das ist die zweite Motivation.Die dritte Motivation ist, daß bei einem Nullwachstum — davon bin ich überzeugt — auch diejenigen öffentlichen Aufgaben nicht mehr ausreichend finanziert werden können, die wir übereinstimmend für erforderlich halten. Ich will den Streit darüber, ob die eine oder andere öffentliche Investition nötig oder nicht nötig ist, gar nicht aufleben lassen. Aber ich bin davon überzeugt: bei einem Nullwachstum reichen die Mittel auch nicht aus, diejenigen öffentlichen Investitionen zu finanzieren, die wir z. B. in der Infrastruktur als Voraussetzung für private Investitionen brauchen.
Das war die dritte Motivation.
Ich habe mich mit einer vierten Motivation beschäftigt, bei der mir die Opposition vielleicht doch zustimmt, wenn sie die Realitäten in Rechnung stellt. Ich meine die Frage: Wie sehen eigentlich in einer Gesellschaft mit autonomen Entscheidungsträgern, z. B. Gewerkschaften und Arbeitgeber, die Verteilungskonflikte aus, wenn ich über einen längeren Zeitraum ein sogenanntes Nullwachstum habe? Ich gebrauche den Ausdruck sehr ungern, weil das eben kein Wachstum ist, sondern Stagnation. Ich wage zu behaupten, daß die Verteilungskonflikte in dieser Gesellschaft unerträglich würden, wenn wir nicht aus dem Zuwachs heraus Verteilungskorrekturen durch autonome Gruppen anbringen können;
denn sonst würde jede Verteilungskorrektur automatisch aus der Substanz der anderen Gruppe heraus vorgenommen und damit zu Spannungen führen, von denen ich nicht sicher bin, ob diese Demokratie sie mit ihrer Verfassung auf Dauer ohne Schaden überstehen würde. Das ist also das nächste Motiv für Wachstum.Ich habe weiter erwähnt, daß wir nach meiner Meinung aus unserem Sozialprodukt in zwei Richtungen einen Beitrag nach außen leisten müssen, wenn es uns um äußeren und inneren Frieden und um unsere Verpflichtung, auch unsere moralische Verpflichtung gegenüber der Welt ernst ist, nämlich einmal für die Defizitländer innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Der ,Vertrag von Rom sagt: Wir wollen gleiche Lebensbedingungen in Europa schaffen. Meine Damen und Herren, wir sind nun einmal die reichste Nation in dieser Gemeinschaft, wir sind diejenige mit der größten Prosperität. Wie sollen wir denn die Strukturprobleme der anderen Länder lösen, wenn nicht auch durch einen Beitrag von uns? Dieser ist naturgemäß leichter aus einem wachsenden als aus einem stagnierenden Sozialprodukt zu finanzieren.
Ökonomisch gilt genau dasselbe für die Verpflichtung gegenüber der Dritten Welt, wobei ich mich aus Zeitgründen jetzt nicht damit beschäftigen will, welchen Transfermechanismus man nehmen soll; denn dies ist im Grunde für die Verteilung international zunächst einmal — zunächst! — egal: Sozialproduktübertragung oder Ressourcentransfer. Daß ich es lieber richtiger mache als mit dirigistischen Maßnahmen einer falsch verstandenen Weltwirtschaftsordnung, steht auf einem anderen Blatt.
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Bundesminister Dr. FriderichsBekennen müssen wir uns aber zu der Bereitschaft eines verstärkten Tranfers, und ich sage Ihnen, je weniger die Industrienationen bei der Entschuldungsfrage zu tun bereit sind, desto schärfer wird der Druck im Rohstoffbereich für sie werden, auf einem Sektor also,_ wo nach meiner Meinung für uns viel größere Gefahren ins Haus stehen. Das war die fünfte Motivation zum Thema: warum eigentlich Wachstum?Ich möchte das ganz gerne, weil Sie auch die politische Dimension angesprochen haben, ein bißchen zu überwölben versuchen. Es ist einfach eine Eigentümlichkeit der Menschen, daß sie wollen, daß es ihnen immer besser geht. Ich meine das jetzt im weitesten Sinne. Glück hängt nicht nur vom Einkommen, sondern ganz maßgeblich auch von den übrigen Lebensbedingungen ab. Die Menschen haben nun einmal diesen Drang in sich. Sie könnten auch sagen: Der Egoismus ist eine der Konstanten, mit denen wir bei den Menschen zu rechnen haben. Wenn das so ist, dann muß ich wissen, wenn ich ihnen über lange Strecken kein Wachstum, d. h. auch keinen individuellen Fortschritt gebe, gefährde ich zunehmend die Zustimmung zu dem, die Identifikation mit dem Staatswesen, in dem wir leben. Das ist meine politische Motivation, warum ich für Wachstum eintrete.
Da ich heute morgen die Abgrenzung zum Qualitativen vorgenommen habe, kann ich jetzt darauf verzichten.Dann kam die Frage: Was habt ihr eigentlich für die privaten Investitionen getan? Richtiger gesagt, es war die Kritik: Ihr habt nichts dafür getan. Bei der Steuerpolitik gibt es zwei abgehakte Beiträge, nämlich die Körperschaftsteuerreform und den Verlustrücktrag. Sie sind von völlig unterschiedlicher Dimension, auch von unterschiedlicher struktureller Wirkung, wie ich weiß, aber bitte, es sind zwei abgehakte Positionen, die stärkend wirken. In dem Paket, das vom Kabinett verabschiedet wurde, von den gesetzgebenden Körperschaften leider noch nicht, ist eine Senkung des Vermögensteuersatzes für juristische und natürliche Personen vorgesehen, de facto eine Senkung der Gewerbeertrag- und Gewerbekapitalsteuer, nämlich durch Erhöhung der Freibeträge, und de facto eine Senkung der Lohnsummensteuer ebenfalls durch die Erhöhung des Freibetrages, im Wohnungsbau eine Verbesserung im Sinne von Ausdehnung des § 7 b.In diesem einen Punkt will ich auf Herrn Dr. Strauß eingehen. Was soll in einer solchen Rede von einem Menschen, der einmal Finanzminister war, die Kritik an der Bundesregierung in Sachen Lohn-. Summensteuer? Wenn er wirklich Finanzminister war und sich damals um die Dinge mehr gekümmert hat als um die Vorbereitung seiner heutigen Rede, dann muß er wissen, daß wir diese eben nicht abschaffen können, leider nicht abschaffen können.
Es ist doch kein Geheimnis, daß sie in bestimmtenLändern nicht erhoben wird, in anderen kaum erhoben wird, in anderen eine der wesentlichen Säulen der Gemeindefinanzen ist. Das heißt: ohne eine komplette Neuverteilung ist hier gar nichts drin, und dies ist primär eine Sache der Länder. Ich bedaure auch, daß diese Steuer für die Bereiche, die stark lohnintensiv sind, dem gleichkommt, was andere Leute eine Arbeitsplatzsteuer nennen. Aber bitte, hier muß er doch wissen, wen er anspricht. Er kann sich doch nicht hier hinstellen und andere Leute in einen Anklagezustand versetzen. Er war doch Finanzminister. Ich frage Sie: warum hat er sie denn nicht abgeschafft, wenn das so einfach war? Denn die Wirkung war doch damals dieselbe?
— Ich weiß, was er in seiner Amtszeit an steuerlichen Maßnahmen durchgeführt hat. Ich habe mit großem Interesse, Herr Abgeordneter Jenninger, zur Kenntnis genommen, daß ausgerechnet er sich in den letzten Wochen auch noch hingestellt hat und einer Erhöhung der Beiträge zur Rentenversicherung das Wort geredet hat. Dann darf man hier eben nicht von Abgabenbelastung im Sinne von Sozialisierungstendenzen reden. Da muß man vorher draußen auch den Mund halten.
Was fehlt — warum soll man das nicht ansprechen — von allem, was Sie bis jetzt gesagt haben, Herr Schwarz-Schilling? Zinssenkung? Nun, haben wir sie nicht durchgeführt? Zinsgünstige Kredite für den Mittelstand! Wir waren eben im letzten Jahr in der Lage, über ERP-Vermögen und Sonderprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau die Kreditwünsche insbesondere auch der gewerblichen Wirtschaft zu befriedigen — das muß doch auch einmal anerkannt werden —, und zwar zu vernünftigen Zinsbedingungen, weil wir gerade im ERP-Plan den einzigen Sektor mit starker Ausweitung, nämlich die Mittelstandsförderung, hatten, weil wir wissen, warum dies nötig war.Es fehlt die Verbesserung der degressiven Abschreibung. Das ist der einzige Punkt, über den wir, wenn ich die Debatte verfolge, in der Öffentlichkeit nicht reden. Das ist aber nicht einmal vorgeschlagen worden, das nur am Rande. Nun muß ich fragen: wer hat sie denn eigentlich abgeschafft? Wir hatten sie doch mal. Genau den Satz, um dessen Einführung es geht, hat die deutsche Wirtschaft früher gehabt. Er ist abgeschafft worden unter einem Bundeskanzler, der der jetzigen Oppositionspartei angehört, wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt. Ich glaube, wir waren sogar in der Koalition dabei; ich weiß es aber nicht mehr ganz genau. Aber das muß man dann auch dazu sagen.Lassen Sie mich auch zur Größenordnung etwas sagen. Sie wissen, daß ich für die Frage immer offen war. Ich bin auf der anderen Seite aber auch offen für die Frage meines Finanzministerkollegen:
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1340 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Bundesminister Dr. Friderichswoher soll ich all das Geld nehmen? Auch das ist eine Frage, die Sie beantworten müssen.
Eine Anhebung der degressiven Abschreibung auf das 2 1/2 fache kostet exakt genausoviel wie die Senkung der Vermögensteuer. Streiten wir uns nicht um die Stellen hinter dem Komma. Dies war die Entscheidung. Wir haben es uns nicht leichtgemacht, auch in der Koalition nicht leichtgemacht, auch mit dem Sachverständigenrat nicht. Warum? Ich gebe zu, die Verbesserung der degressiven Abschreibung geht unmittelbar in die Investitionen, weil sie an die Investitionen gekoppelt ist.
— Aber, Herr Dr. Barzel, die Vermögensteuer trifft im mittelständischen Bereich diejenigen sehr hart, die ein relativ hohes Betriebsvermögen in Relation zu anderen Größenordnungen haben, z. B. Grundvermögen, aber keine oder nur minimale Erträge haben, während von der degressiven Abschreibung derjenige am meisten profitiert, der auch den höchsten Ertrag erwirtschaftet. Trotzdem war das eine alternative Entscheidung. Beide Wege sind ökonomisch vertretbar. Das ist doch gar kein Geheimnis. Dann muß man sich aber politisch entscheiden, welchen Weg man geht. Wir sind den einen Weg aus Gründen gegangen, die ich darzulegen versucht habe.Aber lassen Sie mich eines hinzufügen: das alles hilft doch nur dann etwas, wenn die übrigen Kostenkonstellationen in Lot bleiben. Es soll sich doch kein Mensch einbilden, durch eine Steueränderung, die eineinhalb Milliarden DM in der Wirtschaft beläßt, könne man z. B. vernünftiges Verhalten in der Tarifpolitik, wie wir es in diesem Frühjahr — mit einer Ausnahme — hatten und wie wir es voriges Jahr im wesentlichen hatten, überspielen. Hier müssen die Dinge zusammen gesehen werden. Dann wird es gelingen. Sonst wird es eben nicht gelingen.Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem mehrjährigen Investitionsprogramm sagen. Ich weiß nicht, warum sich der Abgeordnete Schwarz-Schilling in seiner Jungfernrede so polemisch damit auseinandergesetzt hat. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht hatte er den hessischen Kommunalwahlkampf noch nicht ganz hinter sich.Herr Abgeordneter, dieses mittelfristige Programm setzt doch in Bereichen an, denen Sie bei Ihrer Gesamtphilosophie eigentlich zustimmen müßten, nämlich bei der Umwelt im Sinne der Schaffung von Wachstumsspielräumen in einer belasteten Landschaft, die wir haben, im Abwasser- und Trinkwasserbereich, insbesondere bei dem Strom, der zu den verschmutztesten Europas und damit der Welt gehört, nämlich dem Rhein, und den wir dringend brauchen, wenn wir an diesem Strom eine weitere wirtschaftliche Expansion zulassen wollen einschließlich des Baus von Kernkraftwerken. Denn es ist keine Frage: Je verschmutzter der Rhein ist, desto problematischer wird doch ganz einfach jede weitere Investition in diesem Bereich. Die Länder einschließlich des Landes, in dem Ihr Parteivorsitzender undFraktionsvorsitzender bis vor kurzem Ministerpräsident war, haben dies jedenfalls begrüßt, weil sie wissen, wo sie der Schuh drückt. Es ist eine Länderaufgabe. Aber es ist doch kein Geheimnis, daß die Länder offensichtlich mit ihrem Geld nicht zurechtkamen, um ein Minimum an Investitionen gerade im Abwasserbereich zu tätigen. Oder warum ist es da so schmutzig?
— Weil sie die Steuern nicht dauernd gesenkt haben, wahrscheinlich. Ja, bei ihrer Philosophie, Herr Althammer, könnte man glatt auf die Idee kommen: Je weniger Steuern, desto mehr Geld im öffentlichen Haushalt — wenn ich das von heute morgen alles höre.Aber, Herr Schwarz-Schilling, ich will auf einen anderen Punkt hinaus. Als Unternehmer, der Sie beruflich sind — deswegen setze ich mich mit Ihrer Behauptung, Unternehmer seien nicht klüger als Pawlowsche Hunde, nicht auseinander, weil ich dies, da ich nicht Unternehmer bin, nicht aus eigener Erkenntnis beurteilen kann; es muß also Ihr Problem bleiben, ob Sie wirklich dieser Meinung sind —, haben Sie sich nur und einseitig mit der Kostenlage auseinandergesetzt. Die war Gegenstand meiner Vormittagsrede. Aber Sie müssen doch zugeben, Herr Schwarz-Schilling, daß für Entscheidungen der Unternehmen außer den Kosten auch die Nachfrageseite einen Ausschlag gibt. Oder führen Sie in Ihrem Unternehmen Erweiterungsinvestitionen durch, wenn Sie nicht wenigstens eine Chance sehen, mit dem Produkt, für das Sie investieren, auch einen Markt bedienen zu können?Das mittelfristige Investitionsprogramm kann natürlich nicht die privaten Investitionen ersetzen. Das hat doch kein Mensch gesagt. Ich habe heute morgen klar und deutlich gesagt: Dies ist eine Ergänzung, nicht mehr als eine Ergänzung. Ich habe permanent vor übertriebenen Hoffnungen gewarnt. Aber ich bekenne mich dazu, daß mehr öffentliche Investitionen in sinnvolle Bereiche ohne nennenswerte Folgekosten eben auch ein Beitrag zur Schaffung von Wachstumsvoraussetzungen und Nachfrageimpulsen in diesem Lande sind.Im übrigen: Wenn Sie die Kostenfrage so hochspielen, Herr Schwarz-Schilling, wenn Sie die Lohnkosten — einer der bedeutenden Kostenfaktoren — meinen, dann kann ich nur immer wieder sagen: Auch die letzte Entscheidung in der Metallindustrie von Nordrhein-Westfalen trägt die Unterschrift beider Seiten, obwohl — ich verweise auf den Jahreswirtschaftsbericht — die Geldpolitik der Bundesbank diesen Spielraum eigentlich nicht gelassen hat. Nun sind Sie in einem anderen Tarifbereich. Insofern haben Sie die Chance, Ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.Jedenfalls dient das mittelfristige Investitionsprogramm doch auch einer Umstrukturierung der öffentlichen Haushalte hin auf mehr Investitionen.Was mich ein bißchen gestört hat, meine Damen und Herren von der Opposition, ist, daß Sie wirklich so tun, als ob dies eine typische Frage der
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Bundesminister Dr. FriderichsRegierung sei. Wer hat denn in den letzten Wochen z. B. in der Frage „BAföG" hier Anträge gestellt? Ich bitte um Entschuldigung, waren Sie da nicht mit von der Partie?
— Ich habe gefragt: Waren Sie nicht mit von der Partie? Herr Mischnick stellt sich allerdings nicht hier hin und kritisiert dies. Sie tun dagegen so, als ob Sie keinerlei konsumtive Ausgaben beschließen, und sagen uns, wir schmissen das Geld zum Fenster hinaus und Sie hätten es nicht zum Investieren. Dies ist doch das Verlogene dabei.
Lassen Sie mich nun noch auf einen Punkt eingehen, den Sie, Herr Dr. Barzel, wie ich finde, mit Recht angeschnitten haben, nämlich auf die Frage: Wie sieht es mit den Auslandsinvestitionen aus? Dies ist eine Frage, die nicht nur heute, sondern sicherlich auch in den nächsten Jahren eine große Rolle spielen wird. Ich glaube, daß das Engagement deutscher Unternehmer im Ausland eine längerfristige Tendenz ist, und ich bin der Meinung, daß sich diese Tendenz zur Zeit keineswegs ungewöhnlich verstärkt. Ich sage das. Richtig ist, daß Auslandsinvestitionen vielfach zur Absicherung binnenwirtschaftlicher Investitionen — z. B. auch zur Erschließung neuer Märkte — notwendig sind. Ich war gestern abend mit dem Vorstandsvorsitzenden eines der größten deutschen Unternehmen zusammen, das zur Zeit 14 000 Menschen — z. B. in Brasilien — beschäftigt. Er hat uns gestern an Hand von Zahlen nachgewiesen, daß der Export in dieses Land, seitdem dieses Unternehmen dort produziert, überproportional gestiegen ist, weil der Markt erschlossen wurde. Ich meine übrigens nicht das Volkswagenwerk, um dies gleich hinzuzufügen. Diese Steigerung des Exports war möglich, weil man den Markt erschlossen hat. Ohne das Engagement dort hätte man den Markt aber nicht erschließen können. Glaubt denn jemand, man könnte auf Dauer aus der Bundesrepublik in diesem Ausmaß nach Brasilien — z. B. auch Volkswagen — exportieren, wenn man dort nicht produzieren kann? Dies hat die deutsche Wirtschaft erkannt.
— Herr Jenninger, lassen Sie mich noch diesen einen Satz hinzufügen. Die ökonomisch nicht richtigen Wechselkurse wärend der ganzen Zeit fester Wechselkurse haben genau diese Tendenz leider behindert. Ich wage die Behauptung: Wir hätten uns viel an falschen Strukturen im Inland und die Hereinnahme eines erheblichen Teils der Gastarbeiter erspart, wenn wir auf der Basis richtiger Wechselkurse auch schon in den 60er Jahren mit richtigen Strukturen im Ausland und richtigen Strukturen im Inland investiert hätten.
Herr Bundeswirtschaftsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jenninger?
Bitte schön.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich bitte um Entschuldigung, daß ich noch einmal auf Ihre Bemerkung von vorhin zurückkomme. Würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich eben eine Pressemitteilung Ihrer Partei, von Frau Schuchardt unterschrieben, auf den Tisch bekommen habe, in der steht, daß heute auf Antrag der FDP im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft die Erhöhung des Elternfreibetrages um 30 DM auf 1 130 DM beschlossen worden ist? Wie vereinbaren Sie dies mit Ihrer Behauptung, daß wir solche Anträge gestellt hätten?
Herr Abgeordneter, ich bitte um Entschuldigung, Sie haben offensichtlich entweder nicht gehört oder nicht verstanden, was ich gesagt habe, oder ich habe mich völlig falsch ausgedrückt. Ich habe gesagt: Sie tragen diese Steigerungen der konsumtiven Ausgaben mit. Sie können doch nicht bestreiten, daß Sie sie mit getragen haben. Dann darf man sich aber nicht hier herstellen und so tun, als habe man mit der Sache nichts zu tun.
Das ist der einzige Punkt, den ich zu kritisieren habe.
Lassen Sie mich kurz noch auf einen weiteren Punkt eingehen. Herr Dr. Barzel, Sie haben gesagt — ich verkürze es —: Stopp für staatlich verursachte Kosten und für staatlich verursachte Reglementierungen. In diesem Ziel sind sich, so nehme ich an, die Fraktionen dieses Hauses einig.
Aber — —(Dr. Barzel [CDU/CSU] : Aber!)
— Fangen wir doch beim Kabinettsbeschluß von gestern an. Wenn ich zur Energieeinsparung in privaten Häusern kommen will — und wir wollen dies; auch darüber sind wir uns sogar einig —, gibt es eigentlich doch nur weniger Möglichkeiten. Entweder Sie verteuern die Energie dort so, daß die Leute weniger verbrauchen — dann tragen Sie zu Kostensteigerungen bei —, oder aber Sie erlassen Ge- und Verbote über Wärmedämmung und ähnliche Dinge — dann verursachen Sie Reglementierungen. Ich sage bewußt: Wir sind uns im Ziel einig. Es soll doch aber niemand glauben — es sei denn, er hat den Mut, dieses Parlament ein Jahr lang ohne Diäten wegzuschicken, er bekäme keine neuen Gesetze. Solange Sie hier sitzen, werden Sie Gesetze beschließen. Deshalb sitzen Sie nämlich hier, wenn ich es richtig sehe. Da ich dem Hause jetzt selbst angehöre, kann ich mich mit einschließen.
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1342 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Bundesminister Dr. Friderichs— Sie zu kontrollieren und, wie ich hoffe, bei allem, was sie Gutes tut, zu unterstützen.
— Wie ich hoffe, habe ich gesagt. Und wir sind uns doch wohl auch einig, wenn wir den Bereich Umweltschutz nehmen: ohne Kosten und ganz ohne Reglementierung oder gar ohne beides — ja, bitte, wie?Ich sage noch einmal: weg mit allem, was überflüssig ist. Ich wünschte, im Baurecht der Länder wäre vieles weg, dann liefe auch die Baukonjunktur besser. Das will ich gleich hinzufügen.
Diese Herren in den Ämtern mit ihren Geschmacksvorschriften — so herrlich läuft das alles ja nicht. Fragen Sie einmal den Kollegen Ravens, bei welchen Teilen seiner Programme die zeitliche Verzögerung auch darauf beruht, daß ganz einfach eine Fülle von baurechtlichen Vorschriften der Länder dazu geführt hat, daß die Dinge eben nicht in der nötigen Geschwindigkeit abgeflossen sind.Letzter Bereich: gemeinsame europäische Politik. Auch hier unterstelle ich eine Übereinstimmung in diesem Parlament. Aber ich bin nie einer von denen gewesen — z. B. in den 60er Jahren, als ich dem Parlament das erstemal angehört habe und als es um Deutschlandpolitik ging —, die Gemeinsamkeit höher gestellt haben als eine richtige Politik. Und das ist die Frage! Die müssen wir in Brüssel jeden Tag beantworten. Es ist doch kein Geheimnis: Hier gibt es Unterschiede, hier klaffen mitunter Welten.Darf ich Beispiele nennen: Französische Stahlpolitik, heute von uns akzeptiert, hat doch, meine Damen und Herren, mit Marktwirtschaft, die Sie beschworen haben, wenn überhaupt, dann aber höchstens am Rande noch etwas zu tun. Wenn wir sie also ablehnen, gibt es keine Gemeinsamkeit, aber wir bleiben — in dieser Frage — bei unserem Prinzip.Lassen Sie mich weitergehen. Glaubt hier wirklich jemand, wenn wir uns bisher auf einen gemeinsamen Nenner in der Nord-Süd-Politik geeinigt hätten, entspräche die den Vorstellungen dieses Parlaments? Es ist doch kein Geheimnis, daß z. B. in der Rohstoffpolitik das Ja der Franzosen zu Rohstoffabkommen und all den damit zusammenhängenden Fragen nicht nur eine Verbeugung vor Entwicklungsländern ist; nein, das ist Bestandteil klassischer französischer Strukturpolitik gewesen,
das kommt aus ihren alten kolonialen Bereichen, das kommt aus ihrer inneren Auffassung. Nun, meine Damen und Herren, wir — diese Regierung — wollten dieses Maß an Reglementierung nicht, und deswegen haben wir uns bis jetzt auf eine gemeinsame Linie ganz einfach noch nicht einigen können. Und da sage ich Ihnen: lieber eine richtige Politik als nur eine gemeinsame, wenn sie aus unserer Sicht falsch ist.Das dritte Beispiel: Energiepolitik. Meine Damen und Herren, das, was dieses Parlament will — und ich rede jetzt nur von dem Teil, bei dem ich überzeugt bin, daß es zwischen Regierung und Opposition Gemeinsamkeit gibt —, können Sie doch heute in Europa nicht zum Gegenstand europäischer Energiepolitik machen. Denn die Interessen sind höchst unterschiedlich; die Engländer z. B. fühlen sich doch im Moment im Vorhof der OPEC, als zukünftiges Produzentenland; es gibt völlig andere Strukturen in Italien, es gibt ganz andere ordnungspolitische Vorstellungen in Frankreich.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich den vielleicht noch viel wichtigeren Teil ansprechen, nämlich die Fragen der Inflation, der Expansion, der Preisentwicklung.
Um es einmal ganz deutlich zu sagen: Hier liegen einfach die Prioritäten in einem Land wie Italien völlig anders als in einem Lande, das sich Bundesrepublik Deutschland nennt.
Ich kann das politisch sogar verstehen.
Herr Dr. Barzel, wir haben den Versuch gemacht, uns beim mittelfristigen Programm über die Frage des Geldmengenziels zu verständigen. Der Konsens reichte so weit, daß man gesagt hat: Jawohl, wir wollen ein gemeinsames Geldmengenziel festlegen. Aber als es um die Festlegung ging, war der Konsens zu Ende. Und ich sage Ihnen: Wenn ich beim Geldmengenziel dem möglichen Kompromiß zugestimmt hätte und dies in der Bundesrepublik verwirklicht hätte, hätten Sie heute allerdings die Regierung mit Recht kritisiert. Denn dies wäre ein Geldmengenziel gewesen, das eben nicht nur Wachs-turn, sondern auch neue Inflationsimpulse ermöglicht hätte.So schwierig ist Europa, aber wir sind uns im Ziel doch einig. Nur müssen wir sehen, daß ja leider die inneren Situationen der Länder im ökonomischer Bereich nicht ähnlicher geworden sind; der Abstand ist eher größer geworden.
— Ich bitte um Entschuldigung, daß ich heute morgen in der gesetzten Zeit nicht auch dies noch gesagt habe.Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Herr Dr. Barzel, Sie haben zum Schluß festgestellt, 80 % der Tätigkeit eines liberalen Wirtschaftsministers dienten der Abwehr. Nur 20 % blieben demnach für kreative Arbeit — oder wie immer Sie das nennen wollen --, für Politik übrig; alles andere sei Abwehr von Gefahren. Ich möchte mich mit Ihnen jetzt nicht über den Prozentsatz streiten. Lassen wir das mal weg. Nehmen wir das Ganze mal als Tendenz. Sie haben in der Tat eine klassische Funktion des jeweiligen Wirtschaftsministers angesprochen. Ich erinnere mich und Sie erinnern sich ganz genau, daß in ganz ähnlichen Fragen und in ganz ähnlichen Situationen bei unterschiedlicher Ausgangslage der damalige Wirtschaftsminister
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1343
Bundesminister Dr. FriderichsLudwig Erhard immer seine dicken Probleme mit seiner eigenen Fraktion hatte, wenn es ihm darum ging, liberale Vorstellungen durchzusetzen. Das ist doch kein Geheimnis! Das fing beim Kartellgesetz an. Ich könnte Ihnen andere Fälle sagen. Es ist eine klassische Funktion des Wirtschaftsministeriums, darauf zu achten, daß andere Politiksektoren in dem Gesamtrahmen gehalten werden. Sie können auch sagen: Das ist ein Problem von Querschnittsministerien, ob sie nun Finanzministerium, Außenministerium oder Wirtschaftsministerium heißen. Damit wird jeder Wirtschaftsminister leben. Die Konflikte des damaligen Wirtschaftsministers mit dem damaligen Bundeskanzler sind den Mitgliedern des Hohen Hauses, die schon damals dem Parlament angehörten, doch noch hinreichend in Erinnerung.Nur: Sie konnten heute solche Konflikte zwischen dem Bundeskanzler und mir nicht kritisieren.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Ich schlage Ihnen vor, das Jahresgutachten 1976/77 des Sachverständigenrates, Drucksache 7/5902, dem Ausschuß für Wirtschaft — federführend und dem Haushaltsausschuß — mitberatend — zu überweisen und den Jahreswirtschaftsbericht 1977, Drucksache 8/72, dem Ausschuß für Wirtschaft — federführend — und dem Haushaltsausschuß — mitberatend — zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe nun Punkt 5 der Tagesordnung auf.:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
— Drucksachen 8/134, 8/169 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/232 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Stavenhagen
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft
-- Drucksache 8/228 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Hornhues und Vogelsang
Die Berichterstatter wünschen keine Ergänzung der vorgelegten Berichte. Ich danke den Berichterstattern und bitte, in die zweite Beratung einzutreten.
Erlauben Sie mir einen Hinweis: Sie wissen, daß der Ältestenrat für die Beratungen 90 Minuten vorgesehen hat. Jenen Rednern der Fraktionen, die die Möglichkeit haben, als erste zu sprechen, wäre ich dankbar, wenn sie dies im Hinblick auf ihre Redezeit berücksichtigen würden, damit die weiteren Redner nicht allzusehr in Zeitdruck kommen. Sie wissen, in der letzten Zeit ist so verfahren worden, daß auf kurze Redezeitüberschreitungen nicht hingewiesen wurde, weil die Redezeiten den Fraktionszeiten zugerechnet wurden.
Wir treten nunmehr in die zweite Beratung ein.
Ich rufe Art. 1, Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Herr Kollege, ich wollte die allgemeine Aussprache am Ende der zweiten Beratung durchführen.
— Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Das Wort in der Aussprache hat der Herr Abgeordnete Rühe gewünscht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat wie heute vormittag schon der Finanzminister zu Initiativen der Opposition zur Ausbildungsförderung Stellung genommen. Sein Interesse geht aber nicht so weit, daß er nun bei der Debatte bliebe, um sich über die Vorstellungen der Opposition im Detail zu informieren.
Aber ich möchte nicht versäumen, Herrn Friderichs wenigstens über das Protokoll der heutigen Sitzung zur Kenntnis zu geben, daß die Opposition in all ihren Initiativen in dieser Sache immer davon ausgegangen ist, daß wir uns an dem finanziellen Plafond orientieren, wie er von der Bundesregierung vorgegeben ist.
Ich möchte ihn dahin gehend informieren, daß wir strukturelle Veränderungen bei BAföG gewünscht haben. Erst im Zusammenhang mit solchen strukturellen Veränderungen sind Anträge zu verstehen, wie sie in unserem Entschließungsantrag niedergelegt sind. Ich möchte die beiden Minister des Kabinetts doch bitten, mit dem Märchen Schluß zu machen, daß die CDU/CSU hier weitergehende Forderungen gestellt habe als die Regierung. Das ist schlicht und einfach falsch.
Richtig ist vielmehr: Die Beratungen zum Vierten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes haben in allen Gremien, hier im Plenum, in den Fraktionen, in den Ausschüssen und auch im Bundesrat, deutlich gemacht, daß der Spielraum der Entscheidungen für uns alle sehr eng geworden ist, daß wir vor einem Wendepunkt stehen und vielleicht auch ein heilsamer Zwang zur Neustrukturierung der Ausbildungsförderung für Schüler und Studenten besteht.
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1344 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
RüheDie Aufwendungen für die Ausbildungsförderung zwingen uns angesichts der finanziellen Enge, die man einfach sehen muß, Fragen, die bisher nicht ausreichend gestellt worden sind, verstärkt in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen. Neben der Beseitigung von Ungerechtigkeiten im Rahmen des jetzigen Systems gehört dazu ganz wesentlich der Punkt, den wir an den Anfang unseres Entschließungsantrags gestellt haben, nämlich die Begünstigung von zielstrebig Studierenden und die stärkere Berücksichtigung des Leistungsprinzips.Meine Damen und Herren, wenn es in Zukunft immer schwerer sein wird, generelle Erhöhungen der Bedarfssätze und der Elternfreibeträge durchzusetzen, dann müssen wir uns fragen, ob nicht der Zusammenhang zwischen Studienleistung und Studienförderung verstärkt herausgestellt werden muß.
Die CDU/CSU-Fraktion bedauert in diesem Zusammenhang, daß es angesichts des Zeitdrucks der Beratungen nicht möglich war, mit dieser notwendigen Strukturreform zu beginnen, mit der Strukturreform, die allein uns einen größeren fianziellen Spielraum hätte geben können.Der Leistungsverbesserung bei der Ausbildungsförderung kommt insbesondere. für den Bereich der Universität eine Bedeutung zu, die weit über das Finanzielle hinausgeht. Die soziale Lage der Studenten ist angesichts der gestiegenen Lebenshaltungskosten schwierig. Sie wird zusätzlich durch die teils deprimierend schlechten beruflichen Zukunftschancen der jungen Generation an unseren Hochschulen auf Grund bildungspolitischer Fehlsteuerungen der vergangenen Jahre erschwert. Hieraus kann eine sehr explosive Stimmung entstehen, die sich radikale Gruppen zunutze machen werden. Dafür gibt es leider auch schon Beispiele. In Kenntnis dieser Situation haben wir uns besonders intensiv um die Ausschöpfung aller Möglichkeiten einer Leistungsverbesserung bei BAföG bemüht In diesem Zusammenhang muß aber auch ein Wort der Kritik an die Studenten gerichtet werden. Die Unpopularität einer Erhöhung der Ausbildungsförderung in unserer Bevölkerung — das Parlament mit seinen Fraktionen spiegelt das ja nur wider, was es hier an Unbehagen gibt — ergibt sich eben auch aus dem Verhältnis zwischen Universität und Öffentlichkeit sowie zwischen Student und Steuerzahler. Die Universitäten haben in den vergangenen Jahren insbesondere Negativschlagzeilen gemacht. Der Steuerzahler, der in der Zeitung über Prüfungsfreifahrtscheine an der Bremer Universität oder über die chaotischen Verhältnisse an der Freien Universität Berlin liest, zückt eben nicht gerade mit großer Freude sein Portemonnaie, wenn es um Ausgaben für Studenten geht. Wer wollte ihm das eigentlich übelnehmen? Wer wollte sich darüber wundern, wenn derselbe Bürger und Steuerzahler über die vielen Meldungen über sogenannte Studentenstreiks an der Universität liest und sich dann fragt, warum diese Studenten, die trotz der Knappheit der Studienplätze streiken, auch nochAusbildungsförderung erhalten, obwohl sie von dem Lehrangebot keinen Gebrauch machen?
Es gibt zwar einen Paragraphen im BAföG, wonach für Studenten, die streiken, eine Rückzahlungspflicht besteht. Nur, glauben Sie doch nicht, daß davon Gebrauch gemacht wird. Hier fehlt eben in den deutschen Ländern vielfach der politische Wille, eine solche Rückzahlungspflicht auch gegen Widerstände streikender Studenten durchzusetzen.In diesem Zusammenhang möchte ich meinem sozialdemokratischen Kollegen Westphal ausdrücklich zustimmen, der hier in der Debatte Anfang Februar, an die Studenten gewandt, erklärt hat: Wenn es ums Fordern geht, wäre es richtiger, diejenigen, die das auch aufbringen sollen, vorher auf seine Seite zu ziehen; das sind die Steuerzahler in diesem Lande. Ich meine, dies müssen wir beherzigen.Meine Damen und Herren, bevor ich zu dem zentralen Punkt unserer Bemühungen um eine Verbesserung des 4. Änderungsgesetzes komme, gestatten Sie mir einige Worte zum Ablauf der Diskussion innerhalb und außerhalb des Parlaments. Auch wir konnten nicht alle unsere Vorstellungen durchsetzen. Das hängt insbesondere damit zusammen, daß Sie uns beim Einstieg in die notwendigen strukturellen Reformen nicht gefolgt sind. Deswegen, meine Damen und Herren, muß man auch Verständnis für diejenigen unserer Kollegen im Haushaltsausschuß haben, die ihre Kritik an dem angemeldet haben, was jetzt von den Koalitionsfraktionen gekommen ist, die es eben viel lieber gesehen hätten, wenn wir jetzt in die Strukturdiskussion eingetreten wären, um hier finanziellen Spielraum zu gewinnen. Dies ist leider nicht geschehen. Wir haben das nicht zu verantworten.Meine Damen und Herren, der FDP-Fraktionsvorsitzende Mischnick hat zwar zu Beginn der Debatte in der öffentlichen Diskussion versprochen — und ich finde es skandalös, daß der FDP-Bundeswirtschaftsminister Friderichs kein öffentliches Wort der Kritik an seinen Kollegen Mischnick gerichtet hat -, die Elternfreibeträge schon im Jahre 1977 um weitere 100 DM zu erhöhen. Dieselbe FDP-Fraktion hat sich dann aber im Ausschuß, als es darum ging, für 1978 und nach strukturellen Veränderungen eine Erhöhung durchzusetzen, darauf verständigt, nicht einmal dort mitzustimmen. Ich meine, daß sich die ganze Energie der FDP offensichtlich schon vorher in Form von öffentlichen Ankündigungen erschöpft hat. Im Parlament selbst jedenfalls hat sie für den Kreis der Betroffenen nichts Vernünftiges zustande gebracht.
Frau Schuchardt, Sie haben hier am 4. Februar erklärt, Sie bejubelten nur ungern das, was Regierungen sagten, und hielten sehr viel von der Kreativität der Parlamente. Das kontrastiert aber sehr scharf zu Ihrem Verhalten im Ausschuß, Frau Schuchardt. Sie haben dort nur einem sehr allgemein gefaßten Entschließungsantrag zugestimmt, in dem Sie die Regierung bitten, über Strukturveränderungen des BAföG nachzudenken. Sie haben sich nicht
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1345
Rühein der Lage gesehen, unseren Zielsetzungen zu folgen, mit denen wir parlamentarische Vorgaben machen wollen, damit die Regierung diese Dinge nicht allein bestimmt. Von Kreativität auf Ihrer Seite war da wirklich herzlich wenig zu spüren, liebe Frau Schuchardt. Auch da ein bißchen mehr Zurückhaltung in der öffentlichen Debatte im Plenum, aber ein bißchen mehr konstruktive Beiträge im Ausschuß wäre schon ganz schön gewesen.
Für sehr viel kreativer halten wir nun in der Tat unseren Vorschlag auf Anhebung des Elternfreibetrages auf 1 200 DM für den Bewilligungszeitraum nach dem 1. Juli 1978 — nach strukturellen Veränderungen —, um eben zu verhindern, daß Schüler und Studenten, die jetzt gerade neu in die Förderung aufgenommen werden oder als Folge der Erhöhung der Elternfreibeträge höhere Leistungen erhalten, im Herbst 1978, im nächsten Jahr, erneut schlechtergestellt werden. Ich begrüße insoweit, daß sich alle Fraktionen einig waren — wir haben dies auch angeregt —, daß den Beziehern mittlerer Einkommen hinsichtlich der Entlastung Priorität eingeräumt werden soll. Dies kann insbesondere beim Elternfreibetrag geschehen. Ich meine, daß man immer wieder ansprechen muß, daß Eltern mit einem mittleren Familieneinkommen in der Vergangenheit sehr große Opfer haben bringen müssen und die Familien vielfach an die Grenzen der finanziellen Belastbarkeit getrieben worden sind. Deswegen hier unsere Initiative.Meine Damen und Herren, wir wollen mit unserem Antrag keine Dynamisierung — das müßte man über die Bedarfssätze machen —, sondern wir wollen eine Stabilisierung der Förderung und eine bessere individuelle Kalkulierbarkeit. Es muß Schluß gemacht werden mit den vorprogrammierten Schwankungen. Das wird dadurch deutlich, daß die Zahl der Geförderten allein vom Jahre 1975 auf das Jahr 1976 von 42 % auf 38 % abgesunken ist. Ich finde, daß der Vorsitzende des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft, der Kollege Meinecke, des mit einer Nebenbemerkung sehr zutreffend karikiert hat. Ich hoffe, er nimmt es mir nicht übel, wenn ich das hier jetzt anspreche. Herr Meinecke hat gesagt: Übertragen auf den sozialen Wohnungsbau würde ein solches System wie bei BAföG bedeuten, daß die betreffenden Personen im einen Jahr einziehen und im nächsten Jahr schon wieder ausziehen müssen, weil sich eben die Freibeträge entsprechend geändert haben. Beim sozialen Wohnungsbau ist es für jedermann klar, was das für ein Unsinn ist. Wir sollten einmal gemeinsam darüber nachdenken, wie wir auch bei der Ausbildungsförderung zu einer vernünftigen Stabilisierung des Systems kommen können.
Das ist auch kostenneutral. Wir haben das auch immer wieder im Ausschuß erklärt. Es ist auch deswegen kostenneutral, weil es' in den Haushalten des Bundes und der Länder bei der Ausbildungsförderung immer wieder beträchtliche Haushaltsreste gegeben hat, die vorprogrammiert und die auch schon für das nächste Jahr erkennbar sind; denn wenn unser Antrag nicht angenommen wird, werden wieder mehrere Zehntausend Schüler und Studenten keinen Anspruch mehr auf Ausbildungsförderung haben. Allein im Bundeshaushalt sind bei diesem Titel im vergangenen Jahr über 200 Millionen DM als Haushaltsrest verblieben. Und in dem Bundesland, aus dem ich komme, in Hamburg, waren es im vergangenen Jahr von 70 Millionen DM 14 Millionen DM, also 20 %, die in dem betreffenden Titel des Etats als Haushaltsrest verblieben sind. Diese Beispiele machen deutlich, daß unser Antrag nicht zu Mehrkosten führt.Ich meine, daß die Verwirklichung unserer Forderung auch einen positiven Effekt im Zusammenhang mit der notwendigen Kürzung der Studienzeiten hätte; denn wenn individuell besser kalkulierbar wird, was an Ausbildungsförderung gewährt wird, könnte ein solcher Effekt eintreten.Wir hätten es begrüßt, wenn die Koalition unsere Anträge unterstützt hätte. Leider sah sie sich dazu nicht in der Lage. Wir haben dann ersatzweise den Anträgen der Koalition zustimmen müssen, die ein sehr kleiner, aber doch immerhin ein Schritt in die richtige Richtung insofern sind, als die Bezieher mittlerer Einkommen eine gewisse Entlastung erfahren. Die Anträge werden allerdings wiederum dazu führen, daß einige Zehntausend derjenigen, die jetzt neu gefördert werden, im nächsten Jahr schon wieder aus der Förderung herausfallen werden. Insofern ist das leider nur der zweitbeste oder drittbeste Weg. Wir hätten es lieber gesehen, wenn unser Antrag eine Mehrheit erhalten hätte.Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Wir müssen jetzt schnellstens die Strukturdiskussion führen. Mein Kollege Müller wird dazu noch etwas im Zusammenhang mit unserem Entschließungsantrag sagen. Wir sollten das — darüber besteht Einigkeit —in Form eines Anhörverfahrens machen. Das ist für eine vernünftige und auch finanziell abgesicherte Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung dringend notwendig. Bei dieser Strukturdiskussion müssen wir auch die bestehende Förderung grundsätzlich in Frage stellen. Nur dann können wir auch in der Zukunft die Ausbildungsförderung für die Schüler und Studenten in unserem Lande sicherstellen. Ich hoffe, daß Sie mit uns die entsprechenden Schritte in die richtige Richtung in den nächsten Monaten tun werden.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Vogelsang.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rühe, herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede.
Der Umstand, daß das Ihre erste Rede im Bundestag war, entbindet Sie jedoch nicht davon, uns einige Erklärungen abzugeben. Natürlich wäre ich töricht, wenn ich jemandem vorwerfen würde, daß er sich
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1346 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Vogelsangbemüht, in kurzer Zeit sehr viel klüger zu werden. Zumindest müßten Sie uns aber erklären, ob Ihr Sinneswandel tatsächlich mit Klugheit zu begründen ist.Sie haben gerade behauptet, daß das, was der Bundeswirtschaftsminister gesagt hat, daß Sie kostenwirksame Anträge gestellt hätten, nicht richtig sei. Herr Pfeifer, Sie wissen, ich habe Sie im Visier: Am 2. Februar 1977 haben Sie im „CDU-Pressedienst" erklärt:Unser Ziel bei den bevorstehenden Gesetzesberatungen wird es sein, den Elternfreibetrag auf 1 250 DM und den Waisenbetrag auf 180 DM monatlich zu erhöhen.
Sehen Sie, das sind Dinge, die wir bereits bei der Beratung des Berichtes zu § 35 angesprochen haben. Ich sage noch einmal: Wenn das neuere, bessere Erkenntnisse sind, will ich das gerne hinnehmen. Nur, hier so zu tun, als wären solche Anträge, solche Vorstellungen von Ihnen nie entwickelt worden, ist doch in der Tat nicht richtig.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pfeifer?
Bitte schön.
Herr Kollege Vogelsang, wären Sie so freundlich, dann auch mitzuteilen, daß in derselben Pressemitteilung von mir auch der Satz enthalten ist, daß wir bei dieser Gesetzesberatung den Einstieg in strukturelle Reformen des Ausbildungsförderungsgesetzes erreichen und die dadurch entstehenden Einsparungen dazu verwenden wollen, den Elternfreibetrag auf die von Ihnen genannte Höhe anzuheben? Das ist also ein geschlossenes Konzept.
Herr Pfeifer, das kann ich nicht bestätigen. Bestätigen kann ich in der Tat, daß Sie vorgeschlagen haben, in die Diskussion um strukturelle Veränderungen einzutreten; aber ich kann nicht bestätigen, daß Sie daraus die Finanzierungsregelung für diesen Vorschlag ableiten wollen. Das ist nicht ganz richtig.
— Ich habe die Unterlage hier. Ich will Ihnen all das, wenn das neue Erkenntnisse sind — ich komme noch einmal darauf zurück —, nicht vorwerfen. Wir freuen uns darüber, daß wir insoweit bei der Beurteilung dieser Situation miteinander auf ein Gleis kommen.
Nur kann Ihr Vorschlag, Herr Kollege Rühe, ab 1. August bzw. 1. Oktober nächsten Jahres den Elternfreibetrag auf 1 200 DM anzuheben, nicht als kostenneutral bezeichnet werden. Ich räume Ihnen ein, daß Sie sich bemühen wollen, im Gesamtfinanzierungsplafond zu bleiben; aber es steht fest — das ist in den Ausschußberatungen deutlich geworden—: Eine Erhöhung der Kosten wird es auf jeden Fall nach sich ziehen.
Nun komme ich zu den von Ihnen gewünschten Strukturveränderungen, bei denen es nicht strittig ist, ob diese überhaupt durchgeführt werden sollen; das erklären wir heute noch einmal. Wenn Sie heute einen Beschluß zustande bringen wollen, daß mehr oder weniger jährlich eine Anhebung der Freibeträge erfolgen soll, nehmen Sie natürlich eine ganz entscheidende Strukturveränderung vorweg; denn das wäre ein ganz erheblicher Eingriff in dieses Gesetz, das wir hier vorlegen, und auch ein ganz erheblicher Eingriff in das Gesetz, das wir heute beraten. Insoweit wäre die Strukturreform durch eine Zustimmung zu Ihrem Beschluß in einem ganz entscheidenden Maße vorweggenommen. Das sollte man der Aufrichtigkeit und der Ehrlichkeit halber sagen. Wir sind bereit, solche Möglichkeiten zu diskutieren; aber Sie sollten das nicht bereits heute als eine Richtung festlegen, in der die Regierung uns Gesetzesvorschläge machen soll.
Diese 4. Novelle, die dem Deutschen Bundestag heute vorliegt, bringt im wesentlichen die Anpassung der Bedarfssätze — das ist das, was Schüler und Studenten zu bekommen haben — und der Freibeträge, also dessen, was vom eigenen oder elterlichen Einkommen auf Grund der Veränderung der Lebenshaltungskosten nicht angerechnet wird.
Die langjährige Wirkung dieses Gesetzes kann dazu führen, daß die soziale Bedeutung vernachlässigt wird, und so finden wir auch einen Teil Kritiker zu diesem Gesetz; mit denen möchte ich mich auseinandersetzen.
Ein Teil der Kritiker sagt: Die vorgesehenen Anpassungen sind zu gering. Sie wissen alle, daß uns Wünsche vorliegen, die Bedarfssätze um rund 40 % anzuheben. Wir würden es sozialpolitisch nicht für vertretbar halten, bei der gesetzgeberischen Gestaltung nur an die zu denken, die hier Forderungen gestellt haben, sondern wir müssen immer auch die sehen, die dann veranlaßt sind, diese Forderungen zu finanzieren.
Ich meine, heute muß hier deutlich festgestellt werden: Durch die vorgesehenen Anpassungen der Bedarfssätze in dieser Novelle wird die Entwicklung der Lebenshaltungskosten vom Herbst 1974, dem Zeitpunkt der letzten Anpassung, bis zum Dezember 976 voll ausgeglichen.
Die Erhöhung ist die gleiche wie bei den Lebenshaltungskosten. Ich bitte Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, recht herzlich, dies bei eventuell noch anstehenden Diskussionen den Verbänden von Schülern und Studenten, aber auch den Hochschulsenaten deutlich zu machen und es zu vertreten.
Deutscher Bundestag 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24, März 1977 1347
Vogelsang
Zur Anpassung der Freibeträge haben SPD und FDP eine Regelung vorgeschlagen, die vom Ausschuß einstimmig angenommen wurde. Danach geht die Anpassung über die Entwicklung der Lebenshaltungskosten hinaus, liegt aber niedriger als die Entwicklung der Nettoeinkommen. Die reale Einkommenserhöhung wird also nunmehr der BAföG-Berechnung nicht voll zugrunde gelegt. Wir halten diese Lösung für sachgerecht und auch für sozialpolitisch richtig.
Ich möchte mich aber auch den anderen Kritikern zuwenden, die -- vielleicht aus Unkenntnis — oft meinen, dieses Gesetz verfahre zu großzügig. Diesen Kritikern möchte ich folgendes Beispiel geben: Eine Familie, Vater Alleinverdiener, ein Kind als Student auswärts wohnend, ein Kind Schüler unter 15 Jahren ohne Anspruch auf Förderung. Für diese Familie gilt ab Herbst dieses Jahres folgendes. Bei einem Nettoeinkommen des Vaters von bis zu 1 480 DM monatlich wird der Student voll gefördert. Erst wenn dieser Betrag überschritten wird, besteht nur noch ein Anspruch auf Teilförderung. Die Teilförderung bei der genannten Familie endet bei einem Nettoeinkommen des Vaters von 2 481 DM. Diese Zahlen mögen verdeutlichen, wie sozial dieses Gesetz ist.
Bei der Anpassung der Freibeträge sind wir nur in einem Punkt über diese Regelung hinausgegangen: beim Waisenfreibetrag. Diesen haben wir für Schüler, die zu Hause wohnen, auf 180 DM angehoben.
Wenn uns im Hinblick auf die Erhöhung. der Freibeträge vorgehalten wird, wir seien hier zu großzügig möchte ich daran erinnern, daß wir eine steuerrechtliche Regelung haben, die ab 1. Januar dieses Jahres unabhängig von der Höhe des. Einkommens für über 18 Jahre alte Kinder einen Ausbildungsfreibetrag von 2 400 DM jährlich, bei auswärtiger Unterbringung von 4 200 DM, gewährt. Das ist aus meiner Sicht wesentlich weniger sozial gerechtfertigt als die Sätze, die im Bundesausbildungsförderungsgesetz niedergelegt sind.
Dies gilt um so mehr, als ich einer Auskunft des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs Haehser entnehmen muß, daß auf Grund dieser Regelung im Jahre 1977 mit einem Steuerausfall von 440 Millionen DM zu rechnen ist. Diese Auskunft gab er auf eine Frage meines Kollegen Lattmann.
Ich verhehle nicht, daß es auf Grund der Unterhaltspflicht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch zwischen Eltern und Kindern auch im Ausbildungsförderungsgesetz zwei kritische Punkte gibt.
Der erste Punkt: Es gibt Eltern, die nicht bereit oder nicht in der Lage sind, die für die Berechnung des Bedarfssatzes notwendigen Auskünfte fiber ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu geben. Nach dem Antrag des Ausschusses werden wir nunmehr eine Regelung schaffen, die auch in diesem Fall eine Förderung ermöglicht. Wir können nämlich nicht einsehen, daß ein Zustand zu Lasten des Auszubildenden geht, den er selber nicht zu vertreten hat. Darum treffen wir eine neue Regelung in § 36 Abs. 2 dieses Gesetzes.
Ein zweiter Punkt. Es gibt Eltern, die von der Notwendigkeit der Ausbildung, die ihr Knd gewählt hat, nicht überzeugt sind und die sich weigern, einen entsprechenden Unterhalt zu leisten. Hier allerdings bleibt es bei der bisherigen Regelung, weil man sehr wohl abwägen muß, ob in einer solchen Situation der Allgemeinheit ohne weiteres zugemutet werden kann, in Vorlage zu treten.
Ich will nicht verhehlen, daß man diese beiden Punkte häufig überbewertet. Man muß sich immer vor Augen halten: die Zahl solcher Fälle ist Gott sei Dank klein. Allerdings kommt die Überbewertung auch ein bißchen daher, weil solche Fälle wohl besonders geeignet sind, publizistisch groß herausgebracht zu werden. Mir ging es nur darum, darauf hinzuweisen, daß wir auch bereit sind, selbst über solche kleinen Ecken und Kanten nachzudenken und zu Regelungen zu kommen, die wir sozial für ver- tretbar halten.
Ich möchte noch ein Wort zu der Strukturdiskussion sagen. Die SPD-Fraktion bekräftigt noch einmal ihre Bereitschaft zu dieser Strukturdiskussion. Es ist kein Ausweichen, wenn wir in dieser Beratung darauf gedrungen haben, daß wir uns damit nicht zu lange aufhalten. Denn ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß wir bei der Ausschußberatung nahezu eine Rekordleistung vollbracht haben; denn uns standen nur sieben Kalendertage von der ersten Lesung bis heute zur Verfügung.
Das gibt mir Veranlassung, auch denen Dank zu sagen, die sicherlich mitgeholfen haben, daß die Beratungen im Ausschuß so zügig erfolgen konnten. Das gilt sowohl für den Sekretär des Ausschusses und seine Mitarbeiter als auch für den Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Glotz und seine Mitarbeiter als auch für den Ausschußvorsitzenden. Allein diese Zusammenarbeit hat es möglich gemacht, diesen Rekord aufzustellen.
Wertend möchte ich sagen: die Betroffenen erhalten einen vollen Ausgleich für die Entwicklung der Lebenshaltungskosten. Der Finanzrahmen einer sparsamen Haushaltsführung wird dadurch nicht überschritten.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren hier unmittelbar nach der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht über ein Gesetz, das eindeutig im konsumtiven Bereich liegt. Es handelt sich dabei um ein Gesetz, dem die CDU — Herr Rühe hat dazu gesprochen -, man kann es kaum fassen, zuzustimmen beabsichtigt Dies ging allerdings nicht ohne weiteres aus dem hervor, was er hier gesagt hat.Herr Rühe, gestatten Sie mir zu Beginn insoweit noch eine Bemerkung. Ich bin zwar schon seit vier Jahren nicht mehr in der Hamburger Bürgerschaft;
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1348 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Frau Schuchardtaber diese Rede kenne ich noch. Darin ist jedesmal von Bremen und auch von den „faulen Studenten" die Rede.
Gleichzeitig heißt es anklagend, daß die Studenten in der Öffentlichkeit, verursacht durch einige wenige, leider einen schlechten Ruf hätten.
Ich meine, Herr Rühe, Polemik ist in diesem Zusammenhang nicht ganz angebracht. Hier handelt es sich um einen Kreis von Studenten, die meistens aus anderen Familien stammen als diejenigen, die die Studenten an den Hochschulen in das üble Gerede bringen. Ich finde, insofern hat dies damit überhaupt nichts zu tun.
Sie haben erneut darauf hingewiesen, es sei bedauerlich, daß wir hier nicht gleichzeitig über Strukturreform sprächen, obwohl Sié ganz genau wissen, daß wir uns darauf verständigt hatten, möglichst schnell etwas für die Studenten im Sinne einer Erhöhung zu tun. Wir wollten es uns nicht leisten, auf Strukturverbesserungen durch dieses Gesetz zu warten, die — das wissen Sie genau — noch dadurch beeinflußt werden, daß sich Bund und Länder in der Bund-Länder-Kommission über Strukturverbesserungen unterhalten. Sie wissen auch ganz genau, daß es noch einige Monate dauern wird, ehe dies zu Erbnissen führt. Wollen Sie die Studenten wirklich solange auf eine Verbesserung warten lassen? Ich finde, all dies hätten Sie einbeziehen müssen, statt sich in diese Einseitigkeit zu begeben.
Sie sprechen von Strukturänderungen. Ich will nachher noch darauf eingehen. Ihnen fallen dabei außerordentlich haushaltswirksame Leistungen ein. Eines haben Sie allerdings dabei vergessen — Herr Vogelsang hat darauf hingewiesen —, die einzig wirksame, vor allem haushaltswirksame Strukturreform im Sinne einer Verbesserung der Einnahmen des Staates wollen Sie nicht. Ich spreche von den im Zuge der Steuerreform in das Gesetz hineingekommenen Ausbildungsfreibeträgen, die, so habe ich mir sagen lassen, nicht nur 400 Millionen DM, sondern 440 Millionen DM Einnahmeausfall für den Staat bedeuten. Hier könnten wir strukturell sicher etwas verbessern, wenn wir die Großverdiener die Steuern zahlen lassen, die sie früher zahlten. Dafür hätten wir mehr Mittel in der Kasse, um den wirklich Bedürftigen zu helfen.
— Werden Sie doch nicht so unruhig! Das ist Strukturreform, Herr Rühe, allerdings nicht für einen Konservativen. Das ist völlig klar.
Nun noch etwas zu der Äußerung von Herrn Mischnick. Ich habe zwar schon einmal den Versuch gemacht
-- Herr Franke, nun beruhigen Sie sich doch —, bei der Einbringung klarzustellen, was Herr Mischnick wirklich gesagt hat. Ich will es noch einmal versuchen. Es besteht aber nicht die Chance, daß Herr Rühe és diesmal versteht, Herr Mischnick weil er sich gerade wieder unterhält.
Ich will es aber trotzdem versuchen. Herr Mischnick hat gesagt, unsere Fraktionsvorsitzendenkonferenz habe getagt und dabei auch über das Bundesausbildungsförderungsgesetz gesprochen. Sie habe dabei den Wunsch ausgesprochen, maß man den studentischen Forderungen soweit wie möglich entsprechen solle, da über drei Jahre keine Erhöhung erfolgt und daher eine Erhöhung im Sinne der Studenten sicherlich angemessen sei. Mischnick hat dazu in der Pressekonferenz und entsprechend im Rundfunk erklärt, daß die Bundestagsfraktion diese Anregung, diesen Wunsch der Konferenz der Fraktionsvorsitzenden gerne aufnehmen und prüfen werde, daß es aber selbstverständlich der Autonomie der Bundestagsfraktion überlassen sei, ob, er berücksichtigt werden könne oder nicht.
Dieses und nichts anderes hat er gesagt, und dieses war in diesem Zusammenhang wichtig. — Wie bitte, Herr Pfeifer?
— Das sage ich ja, 600 und 1 200. Das bestreiten wir nicht. -Er hat nur nicht gesagt, dieses würden wir durchsetzen, wie Sie immer unterstellen, sondern hat dies sehr stark relativiert.
Es kann sein, Herr Rühe, daß Sie nicht in der Lage sind, diese feinen sprachlichen Unterschiede zur Kenntnis zu nehmen. Das ist dann aber ein intellektuelles Problem, und ein außerordentlich unredliches, um das eindeutig zu sagen.
DaB man sich mit Ihnen in diesem Parlament immer wieder auf dieser Ebene unterhalten muß, halte ich für außerordentlich unwürdig.
Nun einiges zu den Leistungen, die hier anfallen. Meine Damen und Herren, der Gesamtaufwand nach diesem Gesetz wird sich im Jahre 1977 auf etwa 2,8 Milliarden DM belaufen, im Jahre 1980 auf 3,4 Milliarden DM. Das ist ein erheblicher Batzen Geld, auch wenn es sich bei einem Teil um Darlehen handelt. Wir sollten vielleicht darauf hinweisen ich will das nur kurz wiederholen, weil Herr Vogel-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1349
Frau Schuchardtsang bereits im einzelnen darauf eingegangen ist und wir heute auch noch einige andere Tagesordnungspunkte haben —, daß wir dem Wunsch der Studenten, den Elternfreibetrag auf 1 200 DM festzusetzen, insoweit entsprechen konnten, als dieser Elternfreibetrag für ein Kind jetzt tatsächlich 1 200 DM beträgt. Früher hat man immer von 1 100 DM gesprochen, obwohl es sich tatsächlich um 1 170 DM gehandelt hat, weil ja nur die Familie BAföG erhalten kann, wo ein Kind ist. Bereits für das erste Kind erhöht sich der Freibetrag um 70 DM. Darauf sollte man hinweisen. Man sollte auch darauf hinweisen, daß es sich hier um das Einkommen der Eltern im Jahre 1975 handelt und man wohl davon ausgehen kann, daß die meisten Eltern am Einkommenszuwachs partizipiert haben.Ich möchte nur ein paar Zahlen der Förderungshöhe nennen. Die Studenten konnten nicht ihre Forderung von über 600 DM erfüllt bekommen, sondern wir mußten uns auf 580 DM beschränken. Denn wir gehen davon aus, Herr Rühe, daß Deckung nicht die Deckung in Ihrem Sinne bedeutet. Sie haben ja darin schon genug Übung, weil Sie in der Regel immer nur in Oppositionsfraktionen gesessen haben. Die Oppositionsfraktionen haben die fantastische Eigenschaft, zu sagen, daß man zwar viel mehr ins Gesetz hineinschreiben kann, aber in der Realität nachher kein Pfennig mehr an Ausgabe herauskommt. Genau das haben Sie uns hier wieder vorgeführt.
Wahrscheinlich sind die wenigsten Haushaltspolitiker noch in diesem Raume, sonst würde das für Sie sicherlich außerordentlich unbefriedigend ausgehen. Aber sie haben da vermutlich weggehört. Vielleicht geben Sie den Kollegen mal Unterricht in Sachen Haushalt, Herr Althammer, das wäre vielleicht ganz hilfreich.Ich möchte kurz noch auf den Entschließungsantrag der Union eingehen. Alle drei Fraktionen dieses Hauses sind der Auffassung, daß das Bundesausbildungsförderungsgesetz dringend struktureller Verbesserungen bedarf. Ich hatte zu Anfang darauf hingewiesen, daß die jetzige Erhöhung in diesem Jahr darunter nicht leiden darf und insoweit vorweggenommen werden muß. Hier handelt es sich um ein Gesetz, bei dem Bund und Länder sich einig sein müssen. Folglich war es sinnvoll, daß die Bund-Länder-Kommission hier in einer Gruppe tätig wurde, um Vorschläge zu machen. Diese werden in der Beratung in diesem Hause sinnvollerweise berücksichtigt werden müssen.Eines ist — das habe ich im Ausschuß bereits gesagt — in der Tat unbefriedigend: Daß wir einen Zweijahreszyklus der Erhöhungen haben und daß das dazu führt, daß in jeweils dem Jahr, wo nicht erhöht wird, einige Jugendliche aus der Förderung herausfallen bzw. die Förderung sich stark reduziert. Dies ist außerordentlich unbefriedigend. Wir haben darüber im Ausschuß geredet, Herr Pfeifer, und Sie wissen ganz genau, daß ich tendenziell sehr geneigt war, diesem zuzustimmen, daß wir dies allerdings wohl in den Bereich struktureller Verbesserungen und Veränderungen einbeziehen müssen. Denn das wäre ein Übergang zur jährlichen Veränderung. Da sollten wir ehrlich sein, daß das auch wünschenswert wäre und insoweit in der Strukturdiskussion wieder aufgenommen werden sollte.Herr Rühe, Sie haben nun gesagt, die Tatsache, daß unsere beiden Fraktionen, SPD und FDP, die Bundesregierung lediglich aufgefordert hätten, sich über Strukturverbesserungen Gedanken zu machen, entspreche sicherlich nicht dem Anspruch der Kreativität des Parlaments. Dazu muß ich folgendes sagen. Der Entschließungsantrag, den Sie hier vorgelegt haben, ist ein Musterbeispiel dafür, wie einfach man sich Kreativität des Parlaments vorstellt. Denn was Sie hier getan haben, hat bestimmt keinen langen zeitlichen Aufwand gekostet, um das mal ganz deutlich zu sagen. Sie haben ja besonders die Strukturreform eben hier erwähnt unter dem Gesichtspunkt, daß darin die Chance für große Einsparungen liege.Wenn man sich nun aber mal die Spiegelstriche da vorliest, finde ich zwei Punkte, die außerordentlich haushaltswirksam sind und nicht im geringsten etwa durch die anderen Spiegelstriche kompensiert werden. Der eine Spiegelstrich deutet darauf hin: da nimmt man in der Entschließung wieder auf, was man im Ausschuß nicht durchsetzen konnte, übrigens auch nicht als Änderung für das BAföG einbringt, das konnten Sie natürlich in Ihrer Fraktion nicht durchsetzen. Dies wird jetzt also einfach in einem Entschließungsantrag untergejubelt. Da steht genau die Veränderung der Elternfreibeträge im Jahre 1978 auf 1 200 DM. Hier sollte man sagen, daß das in 1978/79 100 Millionen DM kosten würde. Das „paßt" nun geradezu ganz hervorragend zu dem, was der Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Haushaltsausschuß heute morgen gesagt hat: man müsse diese Gesetzesänderung, diese Erhöhung ablehnen, da sie, gemessen an der Situation der öffentlichen Haushalte, viel zu weit gehe. Das ist die Doppelzüngigkeit, mit der hier aufgetreten wird. Wenn Sie es genau wissen wollen: Das Abstimmungsergebnis war 19 zu 7 zu 2, d. h., bei den 19 Stimmen waren 2 Ja-Stimmen der Union. Immerhin ein sehr ehrliches Verfahren!Dann steht da noch ein Spiegelstrich. Was darin gefordert wird, ist übrigens auch sehr wünschenswert, nicht, daß wir uns mißverstehen. Nur, Sie sollten hier nicht so tun, als ob das alles mit den Mitteln, die wir zur Verfügung haben, zu machen sei. Die Einbeziehung des Berufsgrundbildungsjahres in die Ausbildungsförderung kostet 40 Millionen DM.
— Ach, Überprüfung! Sie gehen natürlich umher und sagen: Wir überprüfen hier.
Frau Kollegin, obwohl ich weiß, daß Sie eine gute Stimme haben, bitte ich die Kollegen, Platz zu nehmen, damit alle gut zuhören können.
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1350 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Vielleicht haben Sie keine BAföG-geförderten Studenten in Ihrer Familie.
Hier haben Sie gesagt, daß es wünschenswert wäre, das Berufsgrundbildungsjahr mit einzubeziehen. Wenn einmal das Berufsgrundbildungsjahr voll Wirklichkeit geworden sein sollte — was wir wünschen —, kostet das kleine 600 Millionen DM jährlich. Das wird, so habe ich den Eindruck, nach Ihren Vorstellungen sicherlich auch noch irgendwo im Haushaltsrest drin sein.
Meine Damen und Herren, hier geht es darum, daß wir zunächst einmal versucht haben, das Wünschenswerte in irgendeiner Weise mit dem Machbaren in Einklang zu bringen. Ich hoffe, daß die betroffenen Studenten und Schüler in der Lage sind, zu akzeptieren, daß im Vergleich zur Behandlung anderer Gruppen innerhalb unserer Bevölkerung das maximal Mögliche getan worden ist. Wir werden die Strukturdiskussion in diesem Jahr sehr intensiv führen.
Meine Damen und Herren, der Hinweis auf die intellektuellen Verständigungsschwierigkeiten zwischen zwei ehemaligen Mitgliedern der Hamburger Bürgerschaft war auch nicht das, was wir sonst hier als die feine hanseatische Art schätzen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur noch wenige Anmerkungen.Zunächst ist festzuhalten, daß wir heute das erste soziale Leistungsgesetz in dieser Legislaturperiode des Bundestages verabschieden. Am Ende des vergangenen Jahres hatte die Opposition noch die Befürchtung geäußert,
daß das Thema BAföG wohl auf die lange Bank geschoben würde. Diese Befürchtung wird durch dieheutigen Beratungen und Entscheidungen widerlegt.
In weitgehender Übereinstimmung der Fraktionen des Bundestages — was ich anerkennen will — und auch mit dem Bundesrat wird eine Verbesserung der Ausbildungsförderung für 600 000 Schüler und Studenten beschlossen. Die ersten Auswirkungen dieses neuen Gesetzes werden bereits zum 1. April dieses Jahres sichtbar werden.In den Beratungen der letzten Wochen ist deutlich geworden, daß nicht alle Erwartungen und nicht alle, für sich genommen auch verständlichen, Hoffnungen erfüllt werden konnten. Dies aber darf nicht den Blick dafür verstellen, daß wir mit der Anhebung der Bedarfssätze die Entwicklung der Lebenshaltungskosten seit 1974 ausgleichen und zum anderen eine noch darüber hinausgehende Verbesserung der Freibeträge vornehmen.Wenn wir heute mehr Zeit hätten, würde ich gern an einer Reihe von Beispielen beweisen, was das für die Familien und die Geförderten bedeutet. Das werden wir in unserer Öffentlichkeitsarbeit nachholen.
In dem, was wir schriftlich unterbreiten wollen, wird an Hand von typischen Fällen der Leistungsförderung deutlich werden, wie durch dieses Gesetz die Ausbildungsförderung verbessert wird.
— Herr Kollege Reddemann, dies ist eine voll gerechtfertigte Öffentlichkeitsarbeit, was uns im übrigen auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil bestätigt hat.
In den Beispielen wird dann auch deutlich werden, daß in einer Reihe von Fällen der Bedarfssatz in Höhe von 580 DM infolge von Zusatzleistungen für Mieten und andere Zwecke auf den vom Deutschen Studentenwerk errechneten Zentralwert von 638 DM durchaus ansteigen kann.Der Finanzaufwand, der mit diesem Gesetz verbunden ist, beträgt — berechnet für 1978 — rund 3 Milliarden DM. Darüber hinausgehende Anträge würden sofort die Frage aufwerfen, wie mit ihnen der Finanzrahmen eingehalten werden könnte, von dem Bundestag und Bundesrat — jedenfalls in den bisherigen Beratungen — ausgegangen sind. Frau Kollegin Schuchardt hat hierzu eine Reihe von Größenordnungen und Zahlen genannt, die ich an dieser Stelle nicht zu wiederholen brauche. Wir haben aber gleichzeitig auch zu bedenken, wie sich die Ausgewogenheit im Verhältnis zu den sozialen Leistungen in anderen Bereichen darstellt.Den Kollegen Rühe, dem ich zu seiner ersten Rede gratulieren möchte, will ich zugleich aber darauf hinweisen, daß er seinen Bericht über die Abstimmungen im Haushaltsausschuß hier mit einem dicken Belag von Kosmetik vorgetragen hat. Im Haushaltsausschuß ging es nicht darum, den Zusammenhang von über dieses Gesetz hinausgehenden Leistungsverbesserungen und Strukturveränderungen im BAföG zu erörtern. Es ging schlicht um die Frage, ob die in dem vorliegenden Gesetz enthaltenen Leistungen auch die Zustimmung aller Abgeordneten der CDU/CSU finden. Es hat einen ganz beachtlichen Teil dieser Abgeordneten gegeben, die dazu nein gesagt haben.
Meine Damen und Herren, das zeigt, daß es offensichtlich auch eine Doppelstrategie von rechts gibt:
auf der einen Seite werden Leistungsverbesserungen und das Wachsen der Staatsausgaben beklagtund auf der anderen — wie heute hier — über das
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Bundesminister RohdeGesetz hinausgehende Leistungserhöhungen beantragt.
Wenn ich an dieser Stelle die Leistungen der öffentlichen Hand hervorhebe, so würde ich mich — dies gilt, wie ich glaube, für uns alle — zumindest einer Unterlassung schuldig machen, wenn ich nicht zugleich auch auf die großen Anstrengungen hinweisen würde, die von den Eltern für die Ausbildung ihrer Kinder unternommen werden. Es sind in vielen Familien — wir sollten dies offen beim Namen nennen — Opfer, die nach den Maßstäben des bürgerlichen Unterhaltsrechtes erwartet und erbracht werden. In den letzten Jahren war es möglich, traditionelle Bildungsstrukturen aufzulockern und im Bildungswesen sozial gerechtere Wege zu beschreiten. Dies ist eine Leistung vieler in unserem Volke, die von der Politik gestützt werden konnte, nicht zuletzt dadurch, daß wir mit der Ausbildungsförderung die materiellen Voraussetzungen für mehr Chancengleichheit geschaffen haben.
Wir können uns — alle Eingeweihten wissen das — mit der Ausbildungsförderung in der Bundesrepublik durchaus im internationalen Vergleich sehen lassen.
Leistungen wie das Kindergeld sowie die Einbeziehung von Schülern und Studenten in die soziale Sicherung treten als Hilfen hinzu. Dennoch muß an dieser Stelle anerkannt und deutlich unterstrichen werden, daß der heutige Stand ohne die Mithilfe und die Anstrengungen der Eltern selbst nicht zu erreichen gewesen wäre. Staat, Gesellschaft und, wie ich meine, auch die Auszubildenden und die Studenten selbst schulden diesem Sachverhalt Respekt. Dies gilt um so mehr, als viele der Eltern, die heute Opfer bringen, selbst nicht die Möglichkeit hatten, eine Hochschule oder eine andere weiterführende Schule zu besuchen.In den Beratungen dieses Gesetzes ist von allen Seiten — sowohl vom Bundestag als auch vom Bundesrat und von der Bundesregierung — unterstrichen worden, daß die Notwendigkeit einer raschen Hilfe, über die wir heute zu beschließen haben, uns nicht den Blick für das andere Erfordernis verstellen darf, nämlich unter dem Eindruck bisheriger Erfahrungen das Gesamtsystem der Ausbildungsförderung zu analysieren und zu überprüfen. Nur, Herr Kollege Rühe, diese Anforderung können Sie nicht nur an den Bund richten, sondern sie muß sich auch in die Länder wenden, die vom Finanziellen und von der Sache her an der Ausbildungsförderung beteiligt sind. Es waren die Länder, vor allem die CDU/CSU-regierten Länder, die in den letzten Wochen mehrfach darauf hingewiesen haben, daß Strukturveränderungen nicht nur eine Sache des Bundes sein und nicht nur vom Bund allein betrieben werden könnten; vielmehr erwarteten sie— manche sagen auch gleich, sie verlangten —, daß der Bund in dieser Beziehung die enge Kooperation mit den Ländern sucht. Wir sind dazu bereit.Es ist eine Initiative des Bundes gewesen, die dazu geführt hat, daß in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung ein besonderer Arbeitskreis von Sachverständigen eingerichtet worden ist, der — Sie wissen das — für diese Strukturdiskussion sachliche Voraussetzungen erarbeitet. Wir erhoffen von den Arbeitsergebnissen dieser Kommission wichtige Impulse für unsere weitere Arbeit, die wir mit Sorgfalt betreiben werden.Eine abschließende Bemerkung: Herr Kollege Rühe, wenn Sie heute von Strukturfragen an den deutschen Hochschulen reden, die ich allerdings hinsichtlich Ursache und Wirkung in einer Reihe von Punkten anders beurteile als Sie — aber wir erkennen insgesamt durchaus. an, daß es schwerwiegende Strukturfragen gibt, auch im Übergang zum Beschäftigungssystem —, dann können Sie nicht den Bund auf die Anklagebank setzen.
Wir sind nicht nur bereit, sondern drängen darauf,
daß die Länder beispielsweise die Aufgaben der Studienreform und der Entwicklung des Auswahlverfahrens in harten Numerus-clausus-Fächern — alles Fragen, die zu ihrer Verantwortung gehören — nicht nur aufgreifen, sondern auch bewältigen. Sie wissen — wir haben das in der (Öffentlichkeit deutlich gemacht —, wie sehr wir beklagen, daß diese entscheidungsreifen Fragen in der sogenannten Grauzone zwischen Bund und Ländern über viele Monate hinweg von einer Kommission in die andere geschoben worden sind.Unser Bestreben ist es, zu politischen Entscheidungsprozessen zu kommen, damit die Verhältnisse nicht nur beschrieben, sondern verändert werden. Deshalb werden wir für das Treffen der Regierungschefs von Bund und Ländern am 6. Mai dieses Jahres einen Vorschlag unterbreiten, wie wir im Sinne wirklicher Entscheidung in diesen wichtigen Fragen Fortschritte durch Zusammenarbeit von Bund und Ländern erreichen können.
Die Verbesserung der BAföG-Leistungen, die wir heute zu beschließen haben, ist ein wichtiger Beitrag zur Hochschulpolitik. Die anderen Aufgaben müssen auch aufgegriffen werden. Ich habe dargelegt, wie der Bund bemüht ist, Entscheidungsprozesse in Gang zu bringen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die allgemeine Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung in derdritten Beratung.Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. —
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1352 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenGegenprobe! — Ich stelle keine Gegenstimmen fest. Stimmenthaltungen? — Ich stelle keine Stimmenthaltungen fest. Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Bevor ich den Entschließungsantrag aufrufe, kommen wir zu den Empfehlungen des Ausschusses in den Ziffern 2, 3 und 4. Wer diesen Ausschußempfehlungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe nunmehr Drucksache 8/229 auf: Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, Drucksache 8/134, 8/169, 8/228. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Müller.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist meine Aufgabe, den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu begründen.Es ist dringend notwendig, zu dem, was in diesem Entschließungsantrag gefordert wird, einiges zu sagen. Ich habe das Gefühl, daß es nicht, wie die Kollegin Schuchardt in einem erfrischenden Beitrag zu meinem Kollegen Rühe gesagt hat, nur um feine Unterschiede der Sprache geht, sondern daß es ganz offensichtlich um das primitive Aufnehmen von Begriffen geht, die in diesem Entschließungsantrag stehen.
Wenn in diesem Entschließungsantrag oft davon die Rede ist, daß eine Überprüfung vorgenommen werden soll, dann bedeutet dies für jeden, der mit der Sprache umgehen kann, daß hier gemeint ist, Vor- und Nachteile, Kostenwirksamkeit, Kostenneutralität und eventuell Kostensenkung zu überprüfen
und dann, wenn man diese Überprüfung vorgenommen hat, politische Schwerpunktentscheidungen zu fällen.
Ich habe das Gefühl, daß man bei uns leider dazu neigt, einmal geschaffene Gesetze bis zum SanktNimmerleins-Tag mit all ihren Schwächen und Ausuferungen fortzuschreiben, statt eine gründliche Erörterung einer Strukturverbesserung oder eine Änderung der Richtlinien zu diesen Gesetzen vorzunehmen.
Das Bundesausbildungsförderungsgesetz ist ja ein gewisses Phänomen, wie es bei so vielen Gesetzen mit kostenlosen Staatsleistungen der Fall ist. Die Unzufriedenheit ist dabei oft zu den Zeiten größer, wo es das Gesetz gibt, als zu den Zeiten, wo es das Gesetz überhaupt noch nicht gab.
Obwohl heute fast 3 Milliarden DM im Rahmen des BAföG ausgegeben werden, wächst die Zahl der Unzufriedenen, der Spontis und der Demonstranten an den Universitäten überproportional. Hier wird von bestimmten Kreisen eine Frührentnergesinnung gezüchtet, die wohl nicht im Interesse unserer Gesellschaft sein kann. Während bei den Mitteln für Lebensunterhalt und Hochschulausgaben für Lehre im Jahr 1965 noch 48,8 % privat und 51,2 % öffentlich aufgebracht wurden, waren es 1975 nur noch 29,9 % privat und bereits 70,1 % öffentlich.Auch die heute hier beschlossenen neuen Zahlen beim Bundesausbildungsförderungsgesetz werden die Unruhe und die Unzufriedenheit, die weithin bestehen, nicht lösen können. Wo liegt der Kern dieser Unzufriedenheit? Er dürfte im Gerechtigkeitsempfinden liegen, das leider durch die Praxis angeschlagen wird. Es geht einfach nicht an, daß man Fälle erleben muß, wie ich sie als Abgeordneter von Wählern, die zu mir kommen, erfahre,
wenn etwa jemand sagt: Ich als Arbeiter kann meinen Sohn nicht mit BAföG finanzieren lassen.
— Ich will Ihnen gerade erklären, warum Sie bis jetzt noch nicht verstanden haben, daß Strukturverbesserungen notwendig sind. Ich kann das gern nachholen.
Der Grundbesitzer-Sohn aber bekommt BAföG-Mittel. Es gibt BAföG-Bezieher, die mit dem Wagen an der Universität vorfahren, während der Kollege, der mit dem Fahrrad kommt, keine BAföG-Mittel erhält. Die Berechnungsverfahren sind zum Teil so kompliziert, daß bis zu 32 Seiten Formblätter ausgefüllt werden müssen. Die Frage, ob jemand ein Haus baut, ist für die Zuweisung von BAföG-Mitteln entscheidend. Selbst folgender Umstand ist entscheidend — und da müßten Sie und vor allem die FDP engagiert sein —: Wer aus der Kirche austritt, hat eine ganz andere Ausgangsposition, BAföG zu bekommen, als jemand, der in der Kirche ist. Das gilt für den Vater. Das kann 50 DM im Monat ausmachen. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, was für einen Sinn hat ein solches Gesetz, bei dem derlei Kleinigkeiten für die Finanzierung eines Studiums entscheidend sind?Wir sind auch der Meinung, daß mit diesem Gesetz Mißbrauch getrieben wird. Ich will das jetzt nicht im Detail darlegen. Wir haben das ja zum Teil im Ausschuß getan. Wir werden es sicher auch in den nächsten Beratungen tun.Aber, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn sich die Möglichkeiten, die heute bereits gegeben sind — BAföG-Zahlungen z. B. auch
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Dr. Mülleran Ausländer, an Nichtdeutsche —, in dem Maße herumsprechen, wie es in anderen Fällen, etwa bei der Kindergeldzahlung, der Fall war, dann werden wir noch einige Probleme in diesem Bereich bekommen.
— Lieber Herr Kollege Möllemann, man könnte auch etwas zu dem Mißbrauch sagen, der heute dadurch getrieben wird — ich habe einen Zeitungsbericht darüber in meiner Tasche —, daß man bei Anarcho-Organisationen eine Beratung darüber gibt, wie man gemeinsame Kommunen über BAföG und Sozialhilfe finanzieren kann. Auch das sind Beispiele, die man aufgreifen muß, wenn man die Problemlage richtig erkennen will.
— Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich wundere mich eigentlich, daß sich die linke Seite dieses Hauses, die ja immer vorgegeben hat, sozial engagiert zu sein, für diese zentralen Probleme viel zu wenig engagiert und nur dazu neigt, hier Gelächter oder deplazierte Zurufe anzubringen.Was würden Sie denn dazu sagen, Herr Kollege Büchner, daß heute das BAföG-System dazu führt, daß die Förderung des einzelnen davon abhängig ist, ob der Vater arbeitet, arbeitslos ist oder Kurzarbeitsgeld bekommt? Das kann für den Betreffenden drei verschiedene Folgen haben. Da dank Ihrer Wirtschaftspolitik Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit keine seltenen, sondern heute fast die Regelerscheinungen in den einzelnen Familien der Bundesrepublik geworden sind,
wird es viele geben, die bei BAföG von diesem Mißverhältnis betroffen sind. Wenn Sie dieses Prinzip mit dem gleichen Maßstab - bitte, seien Sie dann konsequent -- auch beim sozialen Wohnungsbau anwenden, dann müssen Sie ständig ein- und ausziehen,
— Ich habe den Zuruf leider nicht verstanden. Aber Sie können ihn gern wiederholen; ich gehe gern darauf ein.
— Aber natürlich! Wissen Sie, ich habe Herrn Benneter fünf Jahre vorausgeahnt, meine Damen -und Herren.
Es ist das Schicksal meines übernächsten Nachfolgers Karsten Voigt, daß er einen noch viel linkeren Nachfolger als Bundesvorsitzenden der Jungsozialisten bekommen hat, als ich ihn bekommen habe.
Herr
Kollege Müller, wir müssen uns hier auf die Drucksache konzentrieren. Ich bitte dafür um Verständnis.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich bin dankbar, daß Sie diesen Hinweis an die SPD-Fraktion gerichtet haben.
HerrKollege Müller, der amtierende Präsident hat diesen Hinweis an den Redner und an alle Damen und Herren des Hauses gerichtet.
Dr. Müller (CDU/CSU) : Jetzt war es korrekt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Parlament ist aufgerufen, in diesem Fall Daten zu setzen. Wir haben in unserem Entschließungsantrag einige Fragen aufgeworfen. Da möchte ich darauf hinweisen, daß an erster Stelle sicher nicht von ungefähr steht: „Begünstigung von zielstrebig Studierenden und stärkere Berücksichtigung des Leistungsprinzips." Wir haben das nicht umsonst an die erste Stelle gestellt. Wir sind nämlich der Meinung, daß dieser Punkt gerade bei der schwierigen Haushaltslage, die heute so oft beschworen wurde, im Vordergrund der Erörterungen der Strukturverbesserung stehen muß.Ihnen ist bekannt, daß im Rahmen der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung sowohl der Bund wie auch alle Länder erste Schritte getan haben und Grundlinien alternativer Modelle erarbeitet haben. Nur haben diese Arbeiten, wie nicht zuletzt die mangelnde Einarbeitung und die mangelnde Perspektive im gesetzlich vorgeschriebenen Bericht der Bundesregierung bewiesen haben, keinerlei Eingang in die bisherigen Überlegungen gefunden.Der Politiker muß eine Divergenz zwischen der tatsächlichen Problemlage und der, so möchte ich es nennen, bürokratischen Problemsicht des BAföG feststellen. Hier ist das Parlament aufgefordert, eine Antwort zu geben. Dies hat die Union in dem anstehenden Gesetzgebungsverfahren bereits von der ersten Diskussionsstunde an versucht. Das Parlament muß hier und heute seinen Willen erklären, daß es nicht gewillt ist, das BAföG entweder weiterhin als Selbstläufer nach eigenen Gesetzen oder als typischen Fall der nichtparlamentarischen Grauzone laufen zu lassen.Lassen Sie mich noch eine weitere Anmerkung machen. Die Diskussion um die Strukturreform muß auch - die Gesamtlage berücksichtigen. Eine halbe Million arbeitsloser Akademiker in einem Nachbarland wie Italien muß auch hier für uns in der Bundesrepublik ein Menetekel sein. Das schwedische Beispiel kann für uns nicht nachahmenswert sein, wo Leute mit öffentlichen Mitteln zunächst eine Hochschulausbildung absolvieren und dann anschließend, nachdem sie sie abgeschlossen haben, mit öffentlichen Mitteln gleich wieder zu Autoschlossern umgeschult werden. Diesen Luxus kann sich unsere Gesellschaft mit ihren Problemen nicht mehr leisten.
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1354 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Dr. MüllerWenn der Präsident des Deutschen Studentenwerkes, Grünwald, in der letzten Ausgabe der „Analysen" schreibt: „Unbestritten bleibt die Tatsache, daß die Chance, eine Arbeit zu bekommen, für die besser Ausgebildeten deutlich größer ist", dann erliegt er hier, glaube ich, einer gewissen Fehleinschätzung.Herr Minister, leider muß ich eine Anmerkung auch zu Ihren Ausführungen hier machen.
Herr Kollege Müller, ich bitte nochmals, daß wir uns jetzt hier auf den Entschließungsantrag konzentrieren und nicht noch einmal in die Aussprache zum Gesetz eintreten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, Sie haben gesagt, daß dieses Gesetz soziale Gerechtigkeit geschaffen und neuen Schichten den Zugang zur Hochschule geöffnet habe. Wie sieht das in der Praxis aus? Dieser Tage ging den Mitgliedern des Ausschusses eine Drucksache zu, der Sie entnehmen können, daß sich für acht Stellen des gehobenen Dienstes in Berlin zwischen 19 und 88 Aspiranten mit Hochschulausbildung beworden haben. Diese Fehlentwicklungen, die auch durch das BAföG eingeleitet worden sind, machen es notwendig, daß wir eine gründliche Strukturdiskussion durchführen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Deutsche Bundestag kann als Gesetzgeber eines überwiegend vom Bund getragenen Gesetzes nicht warten, bis sich die Gremien im Exekutivbereich geeinigt haben. Wir fordern die Bundesregierung mit diesem Entschließungsantrag auf, in die Vorarbeiten eines konkret und zügig durchzuführenden Gesetzgebungsverfahrens umgehend einzutreten. Ich wundere mich, warum dieser Entschließungsantrag abgelehnt werden sollte, nachdem sowohl der Genosse Vogelsang als auch die Kollegin Schuchardt — —
— Ich verstehe Ihr Gelächter nicht. Parteimitglieder der SPD sind doch hier Genossen.
— Bezeichnen Sie sich untereinander nicht mehr als Genossen?
Ist das in Ihrer Partei seit dem letzten Jungsozialistenkongreß nicht mehr üblich?
Natürlich ist die Frau Kollegin Schuchardt in einer anderen Partei. Deswegen habe ich ja diese Differenzierung innerhalb der Koalition vorgenommen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Da Sie hier doch immer gemeinsam auftreten, muß man, um das in aller Deutlichkeit zu sagen, hier doch fein differenzieren.
Sie haben beide erklärt — beide Fraktionen —, daß die Strukturreform dringend notwendig ist.
Herr Kollege Müller, bitte kommen Sie zum Ende.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich wäre schon fertig, Herr Präsident, wenn nicht die Unruhe so groß wäre. Ich habe nur noch einen Satz. — Wenn das nicht nur Lippenbekenntnisse sein sollen, dann müssen Sie bereit sein, diesem Antrag zuzustimmen, der das Ministerium zwingt, die entsprechende Einleitung der Strukturreform noch in diesem Jahr durchzusetzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Lattmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz begründen, warum die SPD-Fraktion gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner diesen Entschließungsantrag ablehnt. Wir hätten, wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, den ersten Absatz des Entschließungsantrages in dem Wortlaut belassen hätten, den wir im Ausschuß gemeinsam getragen haben, auch im Plenum gerne zugestimmt.
Ganz kurz einige sachliche Punkte: Wir sind gegen Ihren ersten Punkt — „Begünstigung von zielstrebig Studierenden und stärkere Berücksichtigung des Leistungsprinzips" —, weil wir meinen, daß sich dahinter ein Stück konservativer Leistungsideologie verbirgt,
und zwar eine Ideologie, die allzu leicht übersieht, daß gerade in den geistig -anspruchsvollen Bereichen wie an den Universitäten doch nach aller Erfahrung die nicht Angepaßten, die kritischen Köpfe die interessanteren sind, die mehr Schöpferisches in die Gesellschaft einbringen.
Dem nächsten Punkt Ihres Entschließungsantrages würden wir gern zustimmen. Aber er ist aus dem Ganzen nicht herauslösbar. Wir würden sogar „Sachgerechte Differenzierung der Bedarfssätze" um „Freibeträge" ergänzen. Wenn wir zur Strukturdebatte kommen, wird sich zeigen — darauf sind wir gespannt —, ob Sie bereit sind, mit uns Ungerechtigkeiten abzubauen, die auf Grund struktureller Unterschiede zwischen Einkommensteuer und Lohnsteuer bestehen; denn es gibt sehr wohl manchen Landarbeiter, dessen Kind nicht nach dem BAföG
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn; Donnerstag, den 24. März 1977 1355
Lattmann
gefördert wird, während es manchen Großbauern gibt, dessen Kinder gefördert werden.
Nun zu dem Punkt Ihre Entschließungsantrages, in dem Sie 1 200 DM verlangen, im übrigen merkwürdigerweise ab 1. Juli 1978. Wenn, dann doch wohl ab 1. Oktober für Studenten — wie Sie es im Ausschuß formuliert haben — bzw. ab 1. August für Schüler. Was Sie angesichts der Tatsache, daß Ihre Seite im Haushaltsausschuß außerordentlich unterschiedlicher Meinung war und Ihnen die Mehrheit des Bundesrats offensichtlich nicht folgt, tun, ist doch letzten Endes nichts anderes als das Drehen einer Schautanzpirouette im Plenum. Oder ernsthaft gesagt: Innerhalb der CDU/CSU machen Sie aus dem Föderalismus einen Verschiebebahnhof, auf dem nur noch Bummelzüge verkehren, die meistens rückwärts fahren.
Außerdem sitzen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, doch hier im vollen Vertrauen auf unsere Mehrheit, die inzwischen so stattlich versammelt ist; denn Sie kämen doch in erhebliche Verlegenheit, wenn dieser Antrag vom Bundestag angenommen und dann von der Bundesratsmehrheit abgelehnt würde. Sie vertrauen der Mehrheit der Koalition von SPD und FDP, die diesen Antrag ablehnt.
Letzter Satz: Mit Ihnen, Herr Kollege Müller, möchte ich mich aus vielerlei Gründen nicht beschäftigen,
sondern ich möchte nur mit unzweifelhafter Deutlichkeit sagen: Mit Ihnen kann ich mich nur darauf
einigen, daß wir grundverschiedener Meinung sind.
Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/229 zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Mit sehr großer Mehrheit abgelehnt. Damit ist Punkt 5 der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht
— Drucksache 8/161 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsaussdiuß
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Wir treten in die Beratung ein. In der ersten Lesung hat der Abgeordnete Helmrich das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der vorliegenden Novelle kommen wir zu einem Teilstück sozialer Marktwirtschaft, über die heute in diesem Hause soviel gesprochen worden ist. Das Wohnungseigentumsgesetz von 1951 ist ein Stück sozialer Marktwirtschaft, ein Stück Vermögensbildungspolitik, wie wir sie in diesem Hause seit fast 30 Jahren vertreten. Dieses Gesetz hat sich im Grundsätzlichen im Laufe der letzten 25 Jahre bewährt. Die Kritik daran und die hier in diesem Zusammenhang interessierenden Änderungswünsche sind in erster Linie in den letzten Jahren aufgetaucht. Die Kritik und in ihrer Folge die hier vorliegende Novelle befassen sich besonders mit zwei Fehlentwicklungen, die in der Praxis aufgetreten sind.Zum einen sind Wohnanlagen entstanden, die mit mehreren hundert Eigentumswohnungen viel zu groß sind; zum Teil umfassen diese Anlagen sogar über tausend Eigentumswohnungen. Eine derartige Anzahl von Wohnungseigentümern kann kaum in Versammlungsräumen untergebracht werden. Schwerer wiegt aber, daß in solchen Mammutversammlungen die demokratischen Kontrollmechanismen kaum noch greifen. Wie soll in diesen Versammlungen, in denen — wie heute hier über den Jahreswirtschaftsbericht — über die Rechnunglegung des Verwalters beschlossen werden soll, noch beraten werden? Hier in diesem Hause sind wir 518 Personen, und in solchen Eigentümerversammlungen müßten über 1000 Personen untergebracht werden, und Sie alle wissen, wie schwer es schon hier ist, zu Wort zu kommen. Wie soll dann dort noch vernünftig beraten werden?
In diesen Fällen wird die Stellung des Verwalters zu stark, der einzelne kann in solchen Fällen die Möglichkeit verlieren, konkret auf die Verwaltung seines Eigentums Einfluß zu nehmen. Das ist dann in diesen Fällen sicher ein Mißstand.Der zweite Komplex, mit dem sich die Novelle befaßt, ist die Gemeinschaftsordnung. Sie ist sozusagen das Grundgesetz, nach dem die Wohnungseigentümer eventuell ein Leben lang miteinander auskommen müssen. Das Gesetz sieht in der heutigen Form vor, daß die Bauträger zunächst die Gemeinschaftsordnung von sich aus fabrizieren müssen, erst danach die Wohnungen verkaufen können, und erst dann ist später die Wohnungseigentümerschaft komplettt. Diese Eigentümergemeinschaft kann dann nach der derzeitigen Fassung des Gesetzes diese Gemeinschaftsordnung nur noch einstimmig ändern. Diese Einstimmigkeit kommt praktisch einer Unabänderbarkeit gleich, weil sich in der Regel bei einer so großen Zahl immer jemand findet, der dagegen stimmt. Dies ist insbesondere dann ein Mißstand, wenn die Gemeinschaftsordnung mehr an den Interessen des Verkäufers und des Verwalters als an den Interessen der zukünftigen Wohnungseigentümer ausgerichtet ist. Auch dieser Komplex kann damit im Einzelfall unerträglich sein.Diese in der Praxis aufgetretenen Erscheinungsformen von Wohnungseigentumsgemeinschaften, in
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1356 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977
Helmrichdenen die Kontrolle des Verwalters schlecht funktioniert und unerwünschte Bestimmungen in der Gemeinschaftsordnung praktisch unabänderbar sind, untergraben die Rechtsstellung des einzelnen Wohnungseigentümers. Was nutzt es, wenn jemand jahrelang spart, sich dann eine Eigentumswohnung kauft, darin anonym verwaltet wird und dann mit einer „unabänderbaren Hausordnung" sich praktisch wie ein Mieter fühlt? Das ist nicht die Freiheit, die wir mit unserer Vermögensbildungspolitik im einzelnen schaffen und unterstützen wollen. An diesen Punkten soll, soweit möglich und soweit erforderlich, eine Korrektur des Gesetzes erfolgen. Die CDU/CSU- Fraktion begrüßt es, daß die geschilderten Sachverhalte durch diesen Gesetzentwurf in die parlamentarische Debatte gebracht worden sind.Hier in der ersten Lesung ist nicht der Raum, schon auf die Lösungsvorschläge im einzelnen einzugehen. Wir werden die in der Novelle enthaltenen Lösungsvorschläge eingehend prüfen und beraten, wobei selbstverständlich auch die Anregungen und Bedenken der Bundesregierung einbezogen werden sollen. Lassen Sie mich an dieser Stelle, in der ersten Lesung, nur ausführen, daß sich die Erörterung meines Erachtens insbesondere auf drei Schwerpunkte beziehen muß.Erstens stehen uns bisher keine Unterlagen über das Ausmaß der geschilderten Fehlentwicklungen zur Verfügung. Wir müssen fragen, ob es sich bei diesen Entwicklungen nur um Erscheinungen während des Baubooms am Anfang der 70er Jahre handelt, einer Zeit, in der wir einen ausgesprochenen Verkäufermarkt hatten, oder ob sich jetzt, wo der Käufer auf dem Wohnungseigentumsmarkt wesentlich wählerischer geworden ist, diese Tendenz möglicherweise fortsetzt, es sich also tatsächlich um eine dauerhafte Fehlentwicklung handelt.Der zweite Schwerpunkt der Prüfung wird sich mit der Größe der Wohnanlagen befassen. Wir werden zu fragen haben, ob es richtig ist, wenn der Enwurf die zukünftige Größe der Wohnungseigentumsanlagen auf maximal 100 Wohnungen generell beschränkt. Wir werden dabei zu prüfen haben, ob das im Hinblick auf den Eigentümer des Grundstücks, im Hinblick auf das Eigentum des Bauträgers mit Art. 14 des Grundgesetzes vereinbar ist. Was machen wir in Fällen, in denen ein rechtskräftiger Bebauungsplan vorhanden ist, der größere Bebauungsmöglichkeiten vorsieht, als sie nunmehr nach dem Entwurf des Wohnungseigentumsgesetzes zugelassen würden?Der dritte Schwerpunkt muß meines Erachtens in der Abwägung der Frage liegen, inwieweit wir zwingende Vorschriften für die Aufstellung der Gemeinschaftsordnung schaffen wollen. Wir treffen damit nämlich auch die kleinen Wohnungseigentümergemeinschaften, in denen die Gemeinschaftsordnung tatsächlich konkret ausgehandelt und vereinbart wird. Wir werden zu fragen haben, wie weit wir in diesen Fällen in das Prinzip der Vertragsfreiheit, die in diesem Gesetz vorgesehen ist, eingreifen wollen.Meine Damen und Herren, diese Hinweise mögen für die erste Lesung genügen.Ich komme damit zum Schluß, habe jedoch abschließend noch eine Bitte, die sich an die Bundesregierung richtet. Die Bundesregierung hat zu diesem Gesetzentwurf Stellung genommen und in dieser Stellungnahme angekündigt, daß auch von ihr zu diesem Komplex eventuell noch ein Gesetzentwurf kommen werde. Das bleibt ihr natürlich freigestellt. Aber ich frage: Wäre es nicht rationeller, sie würde ihre Weisheit bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs mit einbringen? Wenn sie das nicht selber tun will, steht ihr ja immer der Weg über die Koalitionsfraktionen frei. Dieser Weg ist auch nicht unüblich, wie jetzt gerade das Gesetz über die elterliche Sorge zeigt. Ich rege das nur an, weil ich meine, man sollte nicht immer nur auf den Bundesrat schimpfen und über ihn herziehen, wenn man selber die Möglichkeit hat, sich kooperativ an einer Beratung zu beteiligen, diese Möglichkeit jedoch nicht nutzt.
Das Wort hat der Abgeordnete Schwenk.Dr. Schwenk . (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat mit seiner Gesetzesvorlage eine Diskussionsgrundlage für die Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes geliefert, die zwar Beachtung, aber — das hat Herr Kollege Helmrich in mehreren Punkten schon aufgezeigt — auch kritische Distanz verdient. In diesem Sinne ist der Entwurf auch von der interessierten Öffentlichkeit aufgenommen worden und hat zu ersten Meinungsäußerungen geführt.Nun ist nicht zu bestreiten, daß das geltende Wohnungseigentumsgesetz von 1951 in einigen Punkten Unbeweglichkeit bei der Neugestaltung der jeweiligen Nutzung des Sondereigentums, der Veräußerung und des Erwerbs zur Folge gehabt hat. Es ist auch nicht zu bestreiten, daß die häufig vom Bauträger vorgegebenen Vereinbarungen über das Verhältnis der Sondereigentümer untereinander im Laufe der Zeit zu Änderungswünschen führen und von den Eigentümern wegen der vom Gesetz geforderten Einstimmigkeit nur sehr schwer geändert werden können. Nur, Herr Kollege Helmrich, es ist eine verkürzte Sichtweise, das auf die Jahre des Baubooms und auf große Wohnungseinheiten zurückzuführen zu wollen. Wir wissen, daß in bestimmten Jahren sehr große Gebäude errichtet worden sind. Aber das, was Sie gesagt haben, kann sich ebenso auf kleinere Wohnungseinheiten, kleinere Wohngebäude, beziehen. Denn wenn der Bauträger eine Einheit behält, kann er auch bei kleineren Wohnungen mit dieser einen Einheit jegliche Neufassung torpedieren, indem er einfach nicht zustimmt. Das ist bei großen Einheiten genau dasselbe wie bei kleinen. Deshalb ist es wenig sinnvoll, darauf abzuheben und zu sagen: Seitdem große Einheiten gebaut werden, läuft alles schief; früher war alles prima. Wie Sie nämlich wissen — das Gesetzt stammt aus dem Jahr 1951 —, sind diese Vor-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. März 1977 1357
Dr. Schwenk
Schriften, deren Auswirkungen von Ihnen kritisiert worden sind, sehr alt.
— Seit 1951 ist ja doch schon eine ganz schöne Zeit vergangen.
— Na, wenn Sie davon ausgehen, müßten wir natürlich mit dem Römischen Recht anfangen. Aber gemessen an der Zeit des Aufbaus dieser Bundesrepublik, ist seit 1951 schon eine ganze Menge Zeit vergangen, Herr Erhard. Da haben wir doch neuere Gesetze. Wir wollen uns darüber jedoch jetzt nicht streiten. Ich werde noch einmal darauf zurückkommen.Diese Dinge darauf zu verkürzen, daß man sagt, es gehe hier nur um große Wohnungseinheiten, und bei den kleineren laufe, da sie überschaubarer seien, alles gut, dabei könne man mit Vereinbarungen besser arbeiten als bei größeren, ist nicht richtig. Da- für haben wir nun einmal die Sperrminorität. Wenn Einstimmigkeit gefordert ist, nützt das nichts. Deswegen werden wir uns genau überlegen müssen, inwieweit hier ein Mehrheitsstimmrecht einzuführen ist. Dahinter steht dann aber auch die Frage — das muß in der Tat sehr sorgfältig geprüft werden —, inwieweit durch Mehrheitsentscheidungen tatsächlich Eingriffe in Eigentumsrechte erfolgen, die der einzelne dann nicht hinnehmen könnte Dabei spielt dann Art. 14 eine Rolle. Aber auch das wird wiederum nicht allein von der Größe des Bauwerks bestimmt.Wir haben es hier mit einem sehr sensiblen Bereich zu tun, an den nur mit großer Vorsicht Änderungswünsche herangetragen werden. Es handelt sich bei der Teilhabe an Wohnungseigentum sowohl um Sondereigentum an Grundstücks- und Gebäudeteilen als auch um Miteigentum an Grundstücks- und Gebäudeteilen und um die Zugehörigkeit zu einem Personen und Bewirtsdiaftsungsverband der Gemeinschaft. Mehr oder weniger mitbetroffen sind jeweils Dritte, insbesondere Kreditgeber. Bei sehr vielen Wohnungseigentümern handelt es sich zudem um Mitbürger, deren privater Lebensbereich von der Gestaltung ihres Eigentumsrechts überhaupt und im Bezug zum Nachbarn und zum Ganzen entscheidend bestimmt wird und von jeder Veränderung grundlegend berührt werden kann. Dieser Satz gilt einheitlich für alle Größen von Eigentumswohnungen.Es ist bei genauer Beobachtung zu sehen, daß jede Änderung an einer Ecke des Wohnungseigentumsgesetzes an einer anderen Ecke Erschütterungen verschiedensten Grades hervorrufen kann und im Zweifallsfall hervorrufen wird. Das bedeutet aber nun keinesfalls, daß nicht eine genaue Überprüfung vornehmlich der Gemeinschafts- und Verwaltungseinrichtungen des Wohnungseigentumsgesetzes stattzufinden hat. Nicht der einzelne hier oder dort aus den unterschiedlichsten Gründen aufgetretene Mißstand, sondern die Auswertung der gesamten Erfahrungen muß Grundlage für die Beratung sein. Häuser werden auf lange Zeit gebaut, das Leben bringt Veränderungen mit sich, und diese Veränderungen müssen zum Wohle aller aufgefangen werden.
Herr Abgordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn?
Ja, bitte.
Herr Kollege Schwenk, da Sie die Behandlung der wichtigsten Frage des Gesetzentwurfes nicht an den Anfang Ihrer Ausführungen gestellt haben, habe ich die Frage an Sie: Teilen Sie die Auffassung des Bundesrates, daß die Wahrnehmung der einzelnen Eigentümerinteressen durch Gruppenvertreter die Wohnungseigentümer in einem ihrer wichtigsten Rechte, nämlich im Stimmrecht, erheblich einschränken und damit ihre Rechtsstellung als Eigentümer aushöhlen würde?
Herr Kollege, über diese Frage werden wir im Ausschuß genauestens beraten müssen, inwieweit hier eine Aushöhlung von Eigentum eintreten könnte. Wir müssen dennoch überlegen, inwieweit hier eine Mehrheitsentscheidung möglich ist, denn eine Gefährdung von Eigentumsrechten liegt auch darin, daß die Verwertung des Eigentums durch eine Minorität erschwert werden kann. Das ist genau die andere Ecke, die erzittern kann, wenn wir an der einen Ecke zu rütteln anfangen. Da möchte ich jetzt nicht vorgreifen; wir müssen das eben in der Ausschußsitzung beraten: Dieser Gesetzentwurf ist ein Versuchsballon, der hochgelassen wurde. Wir müssen die Dinge im Bundestag beraten. Es wäre verfrüht, jetzt bereits Einzelurteile zu fällen.Ich möchte noch auf etwas anderes zurückkommen. Herr Kollege Helmrich hat auf eine Auswirkung der sozialen Marktwirtschaft hingewiesen. Wir sollten dabei nicht vergessen, daß Wohnungseigentum in starkem Maße staatlich gefördert worden ist, und das war gut so; denn das Wohnungseigentum hat sich als eine Wohnform für die breiten Schichten unserer Bevölkerung bewährt. Vielen ist die Möglichkeit gegeben worden, Eigentum zu erwerben und damit das Wohl ihrer Familie abzustützen. Wir können für die Zeit des Bestehens einer sozialliberalen Regierung eine sehr große Steigerung der Zahl der Wohnungseigentumseinheiten feststellen, wobei wir darüber hinaus darauf hinweisen dürfen, daß es auch eine Wohnform für Wochenend- und Feriendomizil geworden ist.Die weitere Förderung erfolgt durch die Erweiterung des § 7 b Einkommensteuergesetz, die in der Bundestagsberatung ist und die zu einer stärkeren Mobilität in der Verfügbarkeit von Wohnungseigentum führen kann.An dem, was ich gesagt habe, läßt sich auch ermessen, daß jede Neufassung dieses Gesetzes er-
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Dr. Schwenk
hebliches Gewicht hat. Aber bereits der erste Vorschlag des Bundesrates stößt auf Bedenken. Der Versuch, Großvorhaben des Eigentumswohnungsbaus durch eine zahlenmäßige Begrenzung auf 100 Miteigentumsanteile zurückzuschneiden, wie der Gärtner das in diesen Frühlingstagen mit der Schere an der Heckte tut, dürfte kaum auf breite Mehrheit rechnen können.
— Ich habe das kürzlich erst gesehen, auch hier in Bonn.
— Teils, teils, Herr Erhard; aber darüber wollen wir jetzt nicht diskutieren.Mißhelligkeiten bei der Nutzung der einzelnen Wohneinheit, die nicht auszuschließen sind, können in der' Größe der Anlage liegen, ebensogut in der Bauweise des Objekts, in der vorgegebenen Teilungsvereinbarung, in der Art und Qualität der Verwaltung oder im Verhalten eines einzelnen Eigentümers. Das gilt sowohl für große wie für kleine Bauvorhaben. Hier sollte das Wohnungseigentumsgesetz nicht die Aufgaben des Bauplanungsrechts übernehmen. Das sollten wir dem Bauplanungsrecht überlassen und nicht an dieser Stelle versuchen, die Gestaltung zu übernehmen. Das gilt um so mehr, als bei der Vielgestaltigkeit der Bauformen, Anlagen und Zusatzanlagen der einzelnen Miteigentumsanteile schwer unterschieden werden kann, was denn nun eigentlich zur Wohneinheit zu zählen ist und was nicht.Zu einer Veränderung unserer Lebensgewohnheiten, die auf die Handhabung des Wohnungseigentums durchschlägt, gehört die wachsende und insbesondere aus arbeitsmarktpolitischen Gründen erwünschte Mobilität. Damit hat sich das hohe Haus heute ja auch schon wiederholt befaßt. Mobilität und Mobilitätsbereitschaft ist, wie wir alle wissen, von der Bindung an Immobilienbesitz stark beeinflußt. So sehr das Wohnungseigentum zur Absicherung der Familie des Eigentümers beiträgt, darf es nicht Bremse für einen Wohnortwechsel sein. Da kommen wir eben darauf, daß wir das Zustimmungserfordernis auch bei Aufgabe einer Wohnungseinheit ändern müssen, damit es nicht alles erschweren kann.Andere Überlegungen stehen noch in den Anfängen. Dabei werden wir — Herr Kollege Jahn hat das ja eben durch seine Zwischenfrage vorweggenommen — überprüfen müssen, wieweit Stimmrecht zugestanden werden kann. Diese Frage ist sehr sensibel. Ich sagte es eben schon.Schön und begrüßenswert in diesem Entwurf ist, daß der finanzielle Schutz der Miteigentümer und späteren Erwerber verstärkt wird durch die Pflicht zur Ansammlung einer Instandsetzungsrücklage, Ankopplung der gemeinschaftlichen Gelder an ein Wohnungseigentum und die Zuständigkeit des Amtsgerichts für die Ansprüche auf die Verwendung dieser Gelder.Wir bejahen die Zielsetzung, Wohnungseigentümer davor zu schützen, daß ihre Rechte in der Praxis durch rechtsgeschäftliche Bestimmung in sachwidriger Weise beschränkt werden und daß die Entschließungsfreiheit der Wohnungseigentümer im Rahmen der Gemeinschaft gestärkt werden soll.Von der Bundesregierung erwarten wir, daß sie über die Stellungnahme des Bundesrates hinaus ihre eigenen Vorschläge präzisiert und dem Hause vorlegt. Wir werden dann in ein intensives Gespräch mit den an der Wohnungswirtschaft Beteiligten eintreten. Ich nehme an, daß wir dann auch ein zufriedenstellendes Ergebnis erzielen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Sehr verehrte Frau Kollegin Matthäus — sie ist die einzige Dame noch zu dieser späten Abendstunde hier im Hause —
Können Sie mir noch einmal verzeihen, Frau Kollegin?
Herr Kollege, da macht man leicht Fehlschüsse.
Das Peinliche, Herr Präsident, ist, daß man im Hinterkopf keine Augen hat. Aber sicherlich wäre es nützlich, insofern gewisse Vorbereitungen zu treffen, wenn man noch dort unten sitzt. Ich bitte nochmals um Nachsicht, Frau Kollegin.Meine Damen und meine Herren, am 31. Januar 1951 ist in der 151. Sitzung des 1. Deutschen Bundestages das Wohnungseigentumsgesetz in zweiter und dritter Lesung beraten und beschlossen worden. Dabei hat der Berichterstatter, der Unionsabgeordnete Dr. Brönner, lebhaften Beifall des gesamten Hauses erhalten, und zwar, als er den Schluß seiner Rede ankündigte. Er kommentierte dies damals mit den Worten:Ich habe schon lange den Eindruck bekommen, daß Ihnen diese Darlegungen ziemlich langweilig erscheinen.Nun, meine Damen und Herren, der Rest, der hiergeblieben ist, wird das Thema sicherlich nicht als langweilig empfinden.
Dennoch will ich den hierin liegenden Aufforderungsgehalt bezüglich Kürze wahrzunehmen versuchen, zumal meine beiden Vorredner wesentliches bereits gesagt haben.Lassen Sie mich nur noch anmerken, daß der Gesetzentwurf seinerzeit ein Initiativentwurf der Fraktion der Freien Demokraten war.
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Gattermann— Das Wohnungseigentumsgesetz. Das bedeutet, daß wir auch heute noch nach 26 Jahren besonders kritisch darangehen werden, wenn dieses im Grundsatz bewährte Gesetz — was niemand bestreitet — geändert werden soll. Wir begrüßen in der Tat die Initiative des Bundesrates insofern, als es natürlich nicht zu leugnen ist, daß auch bei einem bewährten Gesetz im Verlaufe der Praxis gewisse Unzulänglichkeiten sich herausstellen können, wie wir selbstverständlich auch nicht bestreiten, daß relativ gute Regeln nicht noch verbesserungsfähig sein können.Aber, meine Damen und Herren, bevor insofern als unzulänglich Erkanntes geändert wird oder bevor relativ Gutes verbessert wird, sollte man alle erkennbaren Lösungsmöglichkeiten sehr, sehr sorgfältig gegeneinander abwägen, damit wirklich gewährleistet ist, daß die neue Regel geeignet ist, die Unzulänglichkeiten zu beseitigen, daß sie besser ist und insbesondere nicht neue Unzulänglichkeiten hervorruft oder gar — und das bitte ich im Zuge der späteren Beratungen zu beachten — geeignet sein könnte, die Wohnungswirtschaft zu veranlassen, auf andere Rechtskonstruktionen auszuweichen. Dies scheint mir ein ganz wichtiger Gesichtspunkt zu sein.Zu den beiden Hauptthemen, die hier angesprochen sind, nur ganz kurz folgendes: Die Begrenzung der zulässigen Zahl von Mieteigentumsanteilen auf 100, um die Probleme, die sich in einer großen Eigentümerversammlung ergeben, zu regeln, halten wir vom Ansatz her für falsch; denn dieser Versuch einer Quantifizierung hat in der Tat keine sachlichen Kriterien. Diese Zahl wurde willkürlich gegriffen; je nach der Zusammensetzung einer Eigentümergemeinschaft und den besonderen Regeln des Gemeinschaftsverhältnisses kann die Zahl 100 schon viel zu hoch sein, um das Problem zu lösen, um das es hier geht. Genauso reicht die Begrenzung auf 100 Mieteigentumsanteile z. B. nicht aus, wenn man in einer Großstadt im Zuge einer Sanierungsmaßnahme eine sehr große oder übergroße Wohnungseigentumsanlage wirtschaftlich vernünftig reprivatisieren will. Das heißt: Das Problem ist erkannt. Es liegt auf dem Tisch. So, wie vorgeschlagen, läßt es sich nach unserer Auffassung allerdings nicht lösen. Wir sind bereit, mitzudenken. Ein Patentrezept will ich und kann ich Ihnen nicht anbieten. Ein möglicher Weg ist eben in einer Frage vom Kollegen Dr. Jahn angeklungen. Darüber müßte man einmal nachdenken. Es gibt sicherlich in einer übergroßen Anlage eine Menge von Problemen, die nicht die ganze Gemeinschaft tangieren, sondern die nur bestimmte Teilbereiche tangieren. Man sollte durchdenken, ob man da nicht mit Teileigentümerversammlungen oder ähnlichem arbeiten sollte.
— Das alles, Herr Kollege Dr. Jahn, ist ein beginnender Denkprozeß, nicht der Abschluß desselben.Auch der zweite Punkt, der sehr wesentlich ist, nämlich die Möglichkeit der Änderung von Vereinbarungen — wie es im Gesetzentwurf heißt —, letztlich aber des Inhalts von Sondereigentum durch qualifizierte Mehrheitsentscheidung, ist außerordentlich schwierig zu bewerten. Wir haben da nicht nur rechtsdogmatische, wir haben auch verfassungsrechtliche Bedenken.Wenn Sie sich einmal überlegen, daß bei der derzeitigen Regelung des § 10 Abs. 2 und 3 solche schuldrechtlichen Regeln des Gemeinschaftsverhältnisses quasi sachenrechtlichen Charakter dadurch bekommen können, daß sie zum Inhalt des Sondereigentums gemacht werden, und wenn Sie sich weiter überlegen, daß nach dem Gesetzentwurf die Möglichkeit gegeben ist, diese Regeln auch für schon bestehende Anlagen durch qualifizierte Mehrheitsentscheidungen zu ändern, dann scheint das Ganze doch außerordentlich problematisch zu sein. Denn in diesen alten Anlagen haben die Erwerber Wohnungen mit einem ganz bestimmten fest umrissenen Inhalt des Sondereigentums erworben. Was sich für eine qualifizierte Mehrheit als Unzulänglichkeit erweist, das kann für eine gewichtige Minderheit von ausschlaggebender Bedeutung sein.Lassen Sie mich ein einziges Beispiel bilden. Ein weitsichtiger und sozial verpflichteter Bauträger hat im Rahmen der Gemeinschaftsregeln innerhalb einer Teilungserklärung einen sehr großen Teil der Gemeinschaftsfläche der Nutzung als Spielfläche zugewiesen. Genau dies war für einige kinderreiche Familien kaufentscheidend. Nun findet sich in der Tat — sehr rasch möglicherweise — eine qualifizierte Mehrheit, die diese Spielplatzfläche auf das gesetzliche Mindestmaß nach Baurecht oder Ortssatzung zurückschneidet und den Rest beispielsweise einer ziergärtnerischen Nutzung zuführt. Dann verzeichnen wir das wirklich kuriose Ergebnis, daß die stark beeinträchtigten kinderreichen Miteigentümer nun auch noch diese Umänderung mitfinanzieren müssen. Kurz: Wir haben gegen diese Lösung ganz gewichtige dogmatische und verfassungsrechtliche Bedenken.Dies gilt auch für andere Vorschläge, die auf den ersten Blick ganz plausibel zu sein scheinen. Ich nenne als Beispiel jene Vorschrift, daß zukünftig die Nutzungsart nicht mehr festgelegt werden darf, es sei denn, aus wichtigem Grunde. Diese Wechselwirkungen zwischen Nutzungsbeschränkungen können gerade die besondere Qualität der ganzen Wohnanlage ausmachen.In den Ausschußberatungen wird man in der Tat lange und intensiv über diese Punkte nachdenken müssen. Wir begrüßen es deshalb, daß die Bundesregierung erklärt hat, daß sie — dabei sollte man vornehmlich- Stimmen aus der Praxis hören — in die Diskussion mit den beteiligten Wirtschafts- und Fachkreisen eintreten will. Lassen Sie mich an dieser Stelle anmerken: Die FDP-Fraktion — es handelt sich ja immerhin um ein altes FDP-Gesetz — hielte es für gut und richtig, wenn wenigstens ein Teil dieser Gespräche in den beteiligten Fachausschüssen geführt werden könnte.Ich komme zum Schluß — aber nicht deshalb, weil ich einen solchen Beifall wie der Kollege Dr. Brönner im Jahre 1951 mit dieser Ankündigung provozieren möchte. Wir begrüßen die Initiative des Bundesrates. In der Form, wie der Entwurf auf dem Tisch liegt, wird er unser Wohlwollen und unsere
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GattermannZustimmung nicht finden. Wir wollen nun erst einmal in die Gespräche eintreten.Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich danke Ihnen, daß Sie mir zu so später Stunde doch noch so relativ lange zugehört haben.
MeineDamen und Herren, ich schließe die Aussprache.Der Gesetzentwurf soll dem Rechtsausschuß — federführend — und dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — mitberatend — überwiesen werden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 7 bis 15 unserer Tagesordnung auf:7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Erklärung vom 23. Juli 1975 über den vorläufigen Beitritt Kolumbiens zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen— Drucksache 8/170 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger Ausschuß8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 5. Juli 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Arabischen Republik Ägypten über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen— Drucksache 8/172 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. Mai 1975 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits und dem Staat Israel andererseits— Drucksache 8/175 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger Ausschuß10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit und dem Ergänzungsabkommen vom 17. Dezember 1975— Drucksache 8/171 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 27. Februar 1976 zwischender Bundesrepublik Deutschland und demKönigreich Schweden über Soziale Sicherheit— Drucksache 8/194 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Auslandskostengesetzes
— Drucksache 8/176 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß Innenausschuß13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über forstliches Saat- und Pflanzgut— Drucksache 8/174 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Statistik im Güterkraftverkehr 1978— Drucksache 8/177 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
InnenausschußHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß t 96 GO15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Übereinkommen vom 8. November 1968 über den Straßenverkehr und über Straßenverkehrszeichen, zu den Europäischen Zusatzübereinkommen vom 1. Mai 1971 zu diesen Übereinkommen sowie zum Protokoll vom 1. März 1973 über Straßenmarkierungen— Drucksache 8/178 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr und für das Post- und FernmeldewesenDas Wort hierzu wird nicht gewünscht.Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates bitte ich der Tagesordnung zu entnehmen. Ich frage, ob das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden ist. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der von der Bundesregierung beschlossenen Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 4/77 — Zollkontingente für Walzdraht und Elektrobleche — 1. Halbjahr 1977)— Drucksachen 8/57, 8/197 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. UnlandIch danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Vorschlag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
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Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenIch rufe die Punkte 17 und 18 der Tagesordnung auf:17. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der von der Bundesregierung erlassenenVerordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksachen 8/7, 8/102, 8/198 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland18. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der von der Bundesregierung erlassenenSiebenunddreißigsten Verordnung zur Änderung der AußenwirtschaftsverordnungZweiunddreißigsten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung —Sechsundfünfzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz —Siebenundfünfzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz —Achtundfünfzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz —— Drucksachen 8/67, 8/68, 8/6, 8/69, 8/70 8/199Berichterstatter: Abgeordneter Dr. UnlandEs handelt sich um Berichte, von denen das Haus, wenn nicht Anträge aus seiner Mitte vorliegen, nur Kenntnis zu nehmen braucht.Ich stelle fest, daß keine Anträge vorliegen. Das Haus hat von den Berichten auf den Drucksachen 8/198 und 8/199 Kenntnis genommen. Ich darf abschließend dem Berichterstatter, Herrn Dr. Unland, noch sehr herzlich danken.Ich rufe die Punkte 19 bis 21 der Tagesordnung auf:19. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eineMitteilung der Kommission an den Rat über die Verhandlungen zwischen der Gemeinschaft und Sao Tomé und Principe bzw. KapVerde im Hinblick auf deren Beitritt zum AKP-EWG-Abkommen von LoméMitteilung der Kommission an den Rat über den Beitritt von drei früheren überseeischen Ländern und Gebieten zum AKP/EWG- Abkommen von Lomé und Vorschläge für verschiedene diesbezügliche RechtsakteMitteilung der Kommission an den Rat betreffend die Abweichung von Artikel 1 des den Abkommen zwischen der EWG und den EFTA-Staaten als Anlage beigefügten Protokolls Nr. 3 im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Artikels 23 auf die in der dem genannten Protokoll als Anlage beigefügten Liste C genannten Waren— Drucksachen 7/5780, 7/5850, 7/5807, 8/200 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Ahrens20. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eine(n)Verordnung des Rates über den Abschluß eines Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Indien über den Handel mit KokoserzeugnissenVerordnung des Rates über den Abschluß eines Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Indien über den Handel und die Zusammenarbeit im Handel mit JuteerzeugnissenRichtlinie des Rates zur Beseitigung der Systeme der Kostensteigerungsgarantie bei Ausfuhrgeschäften mit DrittländernRichtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die zulässigen Skalen von Nennfüllmengen bestimmter Erzeugnisse in FertigpackungenBeschluß des Rates zur Festlegung eines technologischen Forschungsprogramms für den SchuhsektorVerordnung des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für bestimmte Weine mit Ursprungsbezeichnung der Tarifstelle ex 22.05 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in Marokko (1977/1978)— Drucksachen 7/5600, 8/44, 7/5795, 7/5711, 7/5720, 8/74, 8/201 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Ahrens21. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Zulassung von Wasserfahrzeugen und Bordausrüstung— Drucksachen 7/5722, 8/203 — Berichterstatter: Abgeordneter PeiterIch frage, ob einer der Berichterstatter das Wort wünscht. — Das ist nicht der Fall. Ich danke den Berichterstattern.
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Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenWird das Wort zur Aussprache begehrt? — Auch das ist nicht der Fall. Ich frage, ob das Haus damit einverstanden ist, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen auf den Drucksachen 8/200, 8/201 und 8/203. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr von den Zusatzpunkten zur Tagesordnung zunächst den Punkt 2 auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDPWahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Schuldenausschusses bei der Bundesschuldenverwaltung— Drucksache 8/222 —Auf der Drucksache 8/222 werden die Abgeordneten Dr. Althammer, Augstein und Gärtner vorgeschlagen. Ich frage, ob weitere Vorschläge gemacht werden. — Das ist nicht der Fall.Ich stelle fest, daß kein Antrag auf geheime Abstimmung gestellt ist.Wer dem Antrag auf Drucksache 8/222 zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:Beratung des Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, FDPWahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt— Drucksache 8/223 —Auf der Drucksache finden Sie sowohl die von den Fraktionen vorgeschlagenen Mitglieder als auch die vorgeschlagenen Stellvertreter; ich glaube, eine Verlesung ist nicht notwendig. Weitere Vorschläge werden nicht gemacht. Wer dem gemeinsamen Vorschlag der Fraktionen des Hauses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir stehen damit am Ende der Tagesordnung. Ich schließe die heutigen Beratungen und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 20. April, 13 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.