Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die Wahl der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses — Drucksache 8/103 — ergänzt werden. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich schlage vor, diese Wahl heute als ersten Tagesordnungspunkt zu behandeln. — Ich stelle Ihr Einverständnis fest.
Ich rufe den Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf:
Wahl der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses
— Drucksache 8/103 —
Zur Wahl der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses liegt Ihnen auf Drucksache 8/103 ein interfraktioneller Antrag vor. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen. Damit sind die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses gewählt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung der Empfehlungen und Entschließungen der Nordatlantischen Versammlung bei ihrer 22. Jahrestagung in Williamsburg vom 14. bis 19. November 1976
— Drucksache 8/27 —
Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Auswärtiger Ausschuß Verteidigungsausschuß
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mattick.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Es sei mir gestattet, angesichts der bevorstehenden Debatte über die Empfehlungen und Entschließungen der Nordatlantischen Versammlung auf ihrer Jahrestagung in Williamsburg meinen Bericht zur Sache mit einigen persönlichen Bemerkungen. einzuleiten.Die Presseberichte im Zusammenhang mit der Jahrestagung der Nordatlantischen Versammlung inWilliamsburg und die polemischen Andeutungen in der Debatte zur Regierungserklärung veranlassen mich, hier auch zur Aufhellung der Umstände beizutragen, die zu der Auseinandersetzung zwischen Koalition und Opposition in Williamsburg geführt haben.Die deutsche Delegation in der Nordatlantischen Versammlung hat vor der Jahrestagung in Williamsburg — wie bisher üblich — eine Vorbereitungssitzung in Bonn abgehalten. Dort hat der Botschafter der Bundesrepublik bei der NATO, Herr Pauls, einen Lagebericht gegeben. Dabei hätte die Möglichkeit bestanden, wie es früher üblich war, eventuelle Resolutionsentwürfe, die von deutscher Seite eingebracht werden sollten, vorzulegen. Die Delegation der CDU-Vertreter hat es auch dort nicht für nötig befunden, uns über ihre Absichten zu informieren. Die Delegation ist dann ein weiteres Mal vor Beginn der Tagung in Williamsburg zu einer gemeinsamen Sitzung in Anwesenheit des deutschen Botschafters in den Vereinigten Staaten, Herrn von Staden, zusammengetreten. Die CDU/ CSU-Vertreter haben es auch dort nicht für nötig befunden, die Delegation über ihr Vorhaben, eine Deutschlandentschließung einzureichen, zu unterrichten. Im übrigen haben sich die Vertreter der CDU/CSU an den Vorbesprechungen, die sonst sehr eingehend waren, nur gering beteiligt. An der zweiten vereinbarten Zusammenkunft haben nur zwei Vertreter der Bundestagsfraktion der CDU/CSU teilgenommen. Diese beiden gehören dem 8. Deutschen Bundestag nicht mehr an. Die Bundesratsseite der CDU/CSU war bei der Vorbesprechung in Williamsburg überhaupt nicht vertreten, obwohl wir wußten, daß viele Kollegen schon in Williamsburg waren.Ich erwähne das, um deutlich zu machen, daß hier durch das Verhalten der Kollegen von der CDU/CSU eine veränderte Situation eingetreten ist. Es war üblich, die Vorbesprechungen zu benutzen, um festzustellen, mit welchem Gewicht die Gesamtdelegation auf der NATO-Parlamentarierkonferenz auftritt und ob es unterschiedliche Einschätzungen gibt. Wir haben uns früher auch über Personalfragen verständigt. Insofern ist eine neue Situation eingetreten. Sie können sich selbst erläutern, woher das gekommen ist, und können sich auch die Frage vorlegen, ob es unter diesen Umständen noch
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Mattickmöglich ist, daß auf solchen Veranstaltungen und Konferenzen eine nationale Gemeinschaft zum Ausdruck kommt, wie das früher der Fall war.Ohne Vorankündigung wurde uns zu Beginn der Sitzung des Politischen Ausschusses ein Resolutionsentwurf vorgelegt, der schon über den Ausschuß zu uns kam, der in der vorgelegten Form in keinem Zusammenhang mit den im Politischen Ausschuß zu debattierenden Themen stand. Dieser Entwurf, vorgelegt von Herrn Titzck und Herrn Blumenfeld, trug den Titel: Entwurf einer Entschließung zu den Menschenrechtsverletzungen der Deutschen Demokratischen Republik und an der innerdeutschen Grenze. Auf der Tagesordnung des Politischen Ausschusses stand aber nicht das Verhalten der DDR gegenüber der eigenen Bevölkerung, sondern im Zusammenhang mit dem Bericht des Berichterstatters des Politischen Ausschusses, Herrn Dankert, die Ost-West-Beziehungen insgesamt, die Entwicklung in Spanien, die Rolle der kommunistischen Parteien in Westeuropa, die NV-Politik und andere weltpolitische Fragen. Der Berichterstatter selbst hatte dem Politischen Ausschuß Entschließungsentwürfe über Spanien und Südafrika vorgelegt.Ich habe es dann für notwendig befunden, mit meinen Kollegen gemeinsam den Politischen Ausschuß in Abstimmung unter uns angesichts der neuen Entwicklung im Ost-West-Verhältnis eine diesbezügliche Entschließung vorzulegen. Noch während der Sitzung des Politischen Ausschusses habe ich versucht, eine Verständigung über eine gemeinsame Entschließung in der deutschen Delegation zu erreichen. Die CDU/CSU-Vertreter waren dazu nicht bereit. Auch in diesem meinem Entschließungsentwurf habe ich darauf hingewiesen, daß die Entspannungspolitik insgesamt in Mitleidenschaft gezogen wird, wenn die osteuropäischen Länder und die DDR bei der Durchführung der Schlußakte von Helsinki, insbesondere bei den menschlichen Kontakten, bei der Familienzusammenführung und anderen, wie im Korb III behandelt, Schwierigkeiten machen. Man hätte meines Erachtens durchaus einen Teil der CDU-Resolution hier einbauen können. Meine dahin gehenden Vorschläge haben die CDU/CSU-Vertreter im Politischen Ausschuß jedoch abgelehnt. Sie haben nicht nur ihren eigenen Resolutionstext aufrechterhalten, sondern darüber hinaus Änderungsanträge zu meinem Entschließungsantrag vorgelegt.Hier wurde erkennbar, daß die CDU-Vertreter nicht gewillt waren, den Mehrheitswillen in einer interfraktionell zusammengesetzten Delegation zu respektieren. Meines Erachtens muß die politische Mehrheit in einer interfraktionellen Delegation angemessen zum Ausdruck kommen können. Wir haben das auch früher respektiert. Unsere Bereitschaft, die Minderheitsmeinung innerhalb einer Delegation gelten zu lassen, habe ich erklärt. Diese Bereitschaft wurde mit einseitigen, nicht abgestimmten Änderungsanträgen beantwortet. Das Ergebnis der Debatte im Politischen Ausschuß war, daß sich die CDU-Vertreter mit ihrem Resolutionsentwurf sowie mit den meisten Änderungsanträgen gegenüber dem von uns eingebrachten Resolutionsentwurf nicht durchsetzen konnten. Die Austragung innerdeutscher Querelen fand in diesem Ausschuß bei den übrigen Mitgliedern des Politischen Ausschusses wenig Verständnis. Senator Javits, der amerikanische Senator, ein Freund von Herrn Blumenfeld, nannte den Vorschlag Titzck/Blumenfeld, wie er sich ausdrückte: unpolitisch, um nicht zu sagen apolitisch. Nach der Entscheidung des Politischen Ausschusses, meinen Resolutionsentwurf anzunehmen und den Antrag der CDU/CSU abzulehnen, konnte man davon ausgehen, daß die Entschließung des Politischen Ausschusses im Plenum angenommen werden würde.Die vom Politischen Ausschuß angenommene Entschließung wurde in dieser Form dem Plenum vorgelegt, das den endgültigen Beschluß zu fassen hatte. Der im Plenum vorliegende Entschließungsentwurf über die künftigen Ost-West-Beziehungen und die Entspannung ging in der Präambel sowohl auf die Schwierigkeiten der Entspannung als auch auf die Notwendigkeit der Fortsetzung des Entspannungsprozesses ein.Im operativen Teil wurden zwei Punkte angesprochen, nämlich das Thema Rüstungskontrolle und die Belgrader KSZE-Konferenz im Juni 1977 mit dem Ziel, bei gründlicher Erörterung dort über die Zukunft der Entspannungspolitik zu entscheiden. Die CDU/CSU-Vertreter haben dann sowohl in der Präambel als auch im operativen Teil der Resolution Änderungen vorgeschlagen und damit den im Politischen Ausschuß gescheiterten Vorstoß wiederholt. In die Präambel sollte nach Meinung von Herrn Blumenfeld und der übrigen CDU/CSU-Vertreter der Delegation der folgende Absatz eingefügt werden:Bezugnehmend auf die Verpflichtungen, die von den Teilnehmern der KSZE betreffend die Achtung der Menschenrechte als notwendiger Voraussetzung für freundschaftliche Beziehungen zwischen Staaten eingegangen wurden, und insbesondere auf das flagrante Beispiel der Verletzung der Menschenrechte an der innerdeutschen Grenze, die auch die Trennungslinie zwischen NATO und dem Warschauer Pakt bildet;Im operativen Teil sollte nach dem Hinweis auf die Abrüstungs- und Rüstungskontrollverhandlungen und die Belgrader KSZE-Konferenz folgender Punkt 3 aufgenommen werden:... politischen und moralischen Einfluß auf die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik auszuüben, um sie zu veranlassen, innerhalb ihres Territoriums alle Verpflichtungen hinsichtlich der Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten gemäß der Schlußakte der KSZE und der entsprechenden Dokumente der Vereinten Nationen zu achten.Auch in dieser Situation haben wir den Versuch gemacht, einen Kompromiß herbeizuführen, der von der gesamten Delegation hätte getragen werden können. Wiederum lehnten die CDU/CSU-Vertreter ab.Wir haben uns dann bereit erklärt, den ersten Teil des Änderungsantrages der CDU anzunehmen. Der zweite Teil war jedoch aus unserer Sicht nicht zu akzeptieren. Ich habe deshalb meinerseits einen
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MattickÄnderungsantrag eingebracht mit dem Ziel, den ersten Teil des Änderungsantrages der CDU anzunehmen und den zweiten Teil abzulehnen. Der Grund dafür, meine Damen und Herren, daß ich mich gegen diesen Teil des Änderungsantrages von Herrn Blumenfeld gewandt habe, liegt nicht darin, daß ich mich bzw. wir uns an Menschenrechtsverletzungen in der DDR vorbeimogeln wollten, nein, der Grund liegt darin, daß meine Freunde und ich keine Hoffnung sehen, Menschenrechten durch angeblich politischen Druck zum Durchbruch zu verhelfen, weil wir erstens nicht erwarten können, daß unsere Bündnispartner einer solchen Aufforderung nachkommen werden und können — ich will das an dem Beispiel der Türkei sagen: man überlege einmal, daß man an die Türkei appelliere, bei der DDR hinsichtlich der Durchsetzung der Menschenrechte Einfluß auszuüben; das Fernschreiben sollte dann möglichst noch von Zypern abgeschickt werden —, und weil wir zweitens der Auffassung sind, daß die praktische Durchsetzung der Menschenrechte nicht nur ein deutsches Problem ist. Menschenrechte werden in dieser Welt, wie sie ist, in vielen Ländern verletzt. Ein exzessiver Prozeß schlägt ins Gegenteil um, wenn er keine Wirkung hat, und er kann in dem Sinne keine Wirkung haben! Mit solchen Herausforderungen stärken wir die Position derer, die auf der anderen Seite den kalten Krieg als die leichtere Position ansehen. Für uns Deutsche sind dies innerdeutsche Angelegenheiten, für unsere Partner ist das Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines fremden Staates.Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, daß der türkische Vertreter in der Plenarsitzung davor gewarnt hat, uns innerhalb der NATO um eine Lösung des Zypernproblems zu bemühen. Er meinte, die beiden Mächte Türkei und Griechenland würden das ohne unsere Einmischung besser tun. Ich erinnere daran, daß der neugewählte Präsident, der Engländer de Freitas davor gewarnt hat, eine solche Entschließung anzunehmen. Dies zu diesem Thema. Und wenn wir heute Überlegungen anstellen, können wir uns einmal die Frage vorlegen, wie der vom Plenum gegebene Auftrag verwirklicht werden soll. Vielleicht ist Herr Kollege Blumenfeld in der Lage, in einem Jahr Vollzugserklärungen darüber abzugeben, wie diesem Auftrag Rechnung getragen werden konnte. Ich denke, das ist nicht der richtige Weg.Lassen Sie mich nun zu den übrigen Themen kommen, die wir im Politischen Ausschuß behandelt haben. Ein sehr wichtiges Thema war die Frage, wie wir uns hinsichtlich des Exports von Kernenergieanlagen zu verhalten haben. Die Initiative zu der zu diesem Thema vorliegenden Resolution ging von der amerikanischen Delegation aus. Die wichtigste Forderung, die in der entsprechenden Entschließung aufgestellt wurde, besteht darin, einem vorläufigen Aufschub des Transfers nuklearer Aufbereitungsanlagen in Länder, die keine Nuklearwaffen besitzen, zuzustimmen, bis ausreichende internationale Sicherheitsvorkehrungen und Normen zur Verhinderung der Proliferation vereinbart sind. Diese Frage wird uns in diesem Hause noch in einem anderen Zusammenhang beschäftigen.Ein weiteres Thema, das von großer aktueller Bedeutung ist, war die Frage einer Übernahme von Regierungsgewalt durch kommunistische Parteien. Hier hat die Nordatlantische Versammlung deutlich ihre Besorgnis und ihre Skepsis gegenüber Erklärungen einiger Vertreter dieser Parteien zum Ausdruck gebracht. Dem Politischen Ausschuß lag ein Bericht des Generalberichterstatters des Politischen Ausschusses vor, der — das möchte ich hier sagen — sehr umstritten war, und zwar nicht nur unter uns, sondern in der gesamten Versammlung. Der Bericht hat nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder der Versammlung gefunden. Er wurde jedoch als ein „anregender persönlicher Beitrag des Berichterstatters" gewürdigt. Ich empfehle allen Kollegen, diesen Bericht zu lesen, da wir mit diesen Thesen in Europa in Zukunft ganz sicher weiter konfrontiert werden.Weitere Themen, die aus der Diskussion des Politischen Ausschusses hervorgegangen sind und die ihren Niederschlag in Resolutionen gefunden haben, waren Spanien und das südliche Afrika.Zu Spanien war die mehrheitliche, beinahe die einheitliche Auffassung, daß die Voraussetzung einer Annäherung Spaniens an das Atlantische Bündnis und die Europäische Gemeinschaft der erfolgreiche Abschluß der Demokratisierung ist.Im südlichen Afrika hat die Versammlung die Initiative des damaligen Außenministers Kissinger einmütig unterstützt. Es ist zu hoffen, daß die darin zum Ausdruck kommende Afrikapolitik der Vereinigten Staaten von der neuen amerikanischen Regierung fortgeführt wird.Auf die Themen, die im Militärausschuß der Nordatlantischen Versammlung behandelt wurden, möchte ich hier nicht im einzelnen eingehen. Diese Themen werden meine Kollegen in der Debatte aufgreifen. Ich möchte mich hier an dieser Stelle darauf beschränken zu sagen, daß es die SPD-Bundestagsfraktion für erforderlich hält, angesichts der Auseinandersetzung, die zur Zeit über diese Frage im westlichen Bündnis geführt wird, eine Große Anfrage einzubringen und in diesem Hause im Zusammenhang mit der Beantwortung dieser Großen Anfrage erneut über dieses wichtige Thema zu diskutieren.Besonderes Gewicht wurde auch auf dieser Jahrestagung der Nordatlantischen Versammlung auf Wirtschaftsfragen gelegt. Im Mittelpunkt der Diskussion standen auch diesmal die Probleme, die sich hinsichtlich einer Neuordnung der Weltwirtschaft und einer weltweiten Arbeitsteilung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern stellen. Die Stabilisierung der Exporterlöse, die die Europäische Gemeinschaft im Lomé-Abkommen im Verhältnis zu den ihr verbundenen Entwicklungsländern gefunden hat, wurde allgemein als ein nachahmenswertes Beispiel empfunden. Einhellige Auffassung der Vertreter des Wirtschaftsausschusses war, die Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet im Rahmen des Atlantischen Bündnisses durch regelmäßige Gipfelkonferenzen zu verbessern.Aus der Arbeit der übrigen Ausschüsse möchte ich nur noch hervorheben, daß der Ausschuß für
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MattickErziehung und Wissenschaft außerordentlich gute Arbeit im Zusammenhang mit der Durchführung der KSZE-Schlußakte geleistet hat und dazu umfangreiches Dokumentationsmaterial über den Stand der Verwirklichung der Beschlüsse von Helsinki insbesondere im Hinblick auf Korb III vorgelegt hat. Auch diese Thematik wird uns hier noch in einem anderen Zusammenhang weiter beschäftigen.Auf die Ergebnisse, die die Nordatlantische Versammlung erzielt hat, möchte ich an dieser Stelle nur aufmerksam machen.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, so weit eine kurze Darstellung des Berichts von der Nordatlantischen Parlamentarierkonferenz. Ich möchte wünschen, daß wir im Auswärtigen Ausschuß, dem wir den Bericht überweisen werden, nicht nur über den Inhalt, sondern auch einmal über die Formen und über Zusammenarbeit oder Nichtzusammenarbeit auf dieser Konferenz ins Gespräch kommen, damit sich das, was wir in Williamsburg erlebt haben, nicht wiederholt, es sei denn, wir sind in einer neuen Phase, daß die Sammlung der Eurokonservativen — Herr von Hassel schaut mich gerade so groß an — einen Bruch bezüglich gemeinsamer nationaler Aufgaben in solchen Konferenzen mit sich bringt. Ich hoffe, daß das nicht so ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Damm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für denjenigen, der nicht mit den Gepflogenheiten des Parlaments vertraut ist, mußte diese Rede als ein Debattenbeitrag erscheinen. Sie war gemeint als die Darlegung eines Berichterstatters. Ich muß sagen, Herr Kollege Mattick, Sie haben die Geduld der Mitglieder unserer Fraktion reichlich strapaziert, denn Sie haben als Berichterstatter einen einseitigen Standpunkt vertreten. Sie haben im Grunde dargelegt, warum Sie sich nicht in der Lage sahen, die Menschenrechtsverletzungen der DDR mit uns gemeinsam anzuprangern. Wir werden diesen Punkt hier noch zu debattieren haben. Dies ist aber nicht die Aufgabe eines Berichterstatters.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mattick?
Selbstverständlich, Frau Präsidentin.
Bitte schön, Herr Mattick.
Herr Kollege Damm, würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß ich zwar als Berichterstatter den Wunsch geäußert, den Anspruch gestellt habe, die Debatte bezugnehmend auf den
Bericht zu eröffnen, daß aber nach der Tagesordnung eine Berichterstattung in dem Sinne nicht vorgesehen war? Ich dachte auch, diese erfolgt erst, wenn wir mit dem Antrag aus dem Auswärtigen Ausschuß kommen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Corterier?
Aber natürlich. Vizepräsident Frau Renger: Bitte.
Herr Damm, ist es nicht an der Zeit, daß diese unwahre Darstellung, die leider auch von Mitgliedern der CDU aus der Delegation in der Nordatlantischen Versammlung verbreitet worden ist, endlich aus der Welt kommt, wir hätten den Teil der Resolution, in dem die Menschenrechtsverletzungen an der innerdeutschen Grenze angeprangert werden, abgelehnt? Herr Damm, wir haben diesem Teil ausdrücklich zugestimmt.
Meine Damen und Herren, ich will auf beide Fragen und auf das, was Herr Mattick im Zusammenhang gesagt hat, folgendes sagen, ohne die Debatte, die nachher Herr Blumenfeld mit Ihnen führen wird, im einzelnen vorwegzunehmen: Die deutschen Sozialdemokraten sahen sich nicht in der Lage, einem Antrag zuzustimmen, der die Mitgliedsregierungen der NATO aufforderte, politischen und moralischen Einfluß auf die Regierung der DDR zu nehmen, um eben die DDR zu veranlassen, die Menschenrechtsverletzungen endlich einzustellen.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang hat Herr Mattick z. B. gesagt, seit einem halben Jahr werde an der Zonengrenze nicht mehr geschossen,
und man müsse doch nun vorsichtig mit der DDR umgehen, sonst würde man die Entspannung gefährden. Das war der Kern der Debatte in Williamsburg. Meine Damen und Herren, nicht nur wir auf der Seite der Opposition dieses Hauses hatten dafür kein Verständnis,
sondern die Konservativen, die Christlichen Demokraten und die Liberalen im NATO-Parlament hatten dafür kein Verständnis und haben deswegen unserem Antrag zur Mehrheit verholfen.
Meine Damen und Herren, ich will noch eine letzte Bemerkung machen, weil Herr Mattick hier einen amerikanischen Senator zitiert hat. Er hat gesagt, daß Herr Senator Javits sich peinlich berührt über diese Debatte zwischen den Deutschen gezeigt habe. Tatsache ist, daß Javits in der Plenarabstimmung dem Antrag, der von uns gestellt worden ist, zugestimmt hat.
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Damm— Aber natürlich, die Amerikaner haben dieser Entschließung zugestimmt. So ist es gewesen.
Meine Damen und Herren, die Nordatlantische Versammlung beschäftigt sich logischerweise nicht nur mit den Fragen der Entspannung, sondern auch mit den Fragen der Lage der Allianz selbst. Ich meine, der Deutsche Bundestag handelt richtig, daß er sich heute in die Strategiedebatte einschaltet. Wir stehen ja seit Wochen in einer weltweiten Debatte über die Strategie der Allianz, und es ist höchste Zeit, daß auch wir unseren Beitrag dazu liefern. Dazu ist der Bericht der Nordatlantischen Versammlung eine gute Gelegenheit. Das, was die NATO-Konferenzen in Brüssel im vergangenen Dezember an Ergebnis gebracht haben, ist ein alarmierendes Signal, so daß wir zusätzlichen Grund haben, uns mit diesen Dingen zu beschäftigen.Es kommt hinzu — wer wollte das leugnen? —, daß der Präsidentenwechsel in Amerika natürlicherweise bereits Unruhe in der dortigen Administration verursacht und zusätzlichen Grund liefert, daß wir uns mit diesen Fragen beschäftigen.Ich füge hinzu, meine Damen und Herren: Wir sollten uns ehrlich zu Beginn eines jeden Jahres, wenn der Bericht der Nordatlantischen Versammlung vorliegt und die Ergebnisse der Dezemberkonferenzen der NATO bekannt sind, hier in diesem Hause über den Zustand der Allianz und über die Entspannungspolitik unterhalten, damit die Stimme des Deutschen Bundestages dazu auch gehört werden kann. Wir gäben auf diese Weise den Fragen der Sicherheit, der Sicherung des Friedens, der Freiheit und der Menschenrechte den Rang — auch im Stellenwert unserer Debatten —, der ihnen vor allen anderen gebührt; denn was schon im ersten Quartal dieses Jahrhunderts gegolten hat, gilt doch leider im letzten Quartal erst recht, nämlich das Wort von Friedrich Naumann „Was nützt die ganze Sozialpolitik, wenn die Kosaken kommen?".
Das natürliche Spannungsverhältnis, in dem diese Debatte wie jede sicherheitspolitische Debatte steht, ist die Spannung zwischen wahrheitsgemäßer Schilderung der tatsächlichen Lage einerseits und den Notwendigkeiten der Geheimhaltung andererseits, ist einerseits die Versuchung, zu dramatisieren, andererseits die Versuchung, zu verharmlosen; ist sicher auch die Versuchung, parteipolitisches Kapital aus einer solchen Debatte zu schlagen, anstatt das allgemeine Wohl in den Vordergrund zu stellen.
Darum halte ich es für den richtigen Weg, über die Unbestechlichkeit bei der Sammlung der Tatsachen, über die Nüchternheit bei ihrer Bewertung und über die Klarheit und Klugheit bei den Schlußfolgerungen zu den richtigen Ergebnissen zu kommen und diese dann leidenschaftlich zu verwirklichen.Wie sehen die militärischen Tatsachen aus? Wir stehen vor der Tatsache einer anhaltenden, beunruhigenden Verstärkung der militärischen Macht des Warschauer Pakts. Die Außenminister sagen eigens: zu Lande, zu Wasser und in der Luft.Zweitens. Wir müssen die Tatsachen zur Kenntnis nehmen, daß der Schwerpunkt der konventionellen Rüstung des Warschauer Pakts auf der zunehmenden Fähigkeit zur offensiven Kampfführung liegt.Drittens. Wir haben der Tatsache ins Auge zu sehen, daß der Warschauer Pakt sich gerade in Mitteleuropa die Fähigkeit verschafft, ausgedehnte offensive Operationen mit nur geringen Vorbereitungen durchführen zu können. Um es aus unserer Sicht noch einmal anders zu formulieren: Die Sowjets haben ihre nichtnuklearen Streitkräfte, die Westdeutschland gegenüberstehen, mit der Fähigkeit ausgestattet, eine Invasion Europas mit einer Vorwarnung von nur wenigen Tagen zu beginnen — eine Invasion, die möglicherweise verheerende Wirkungen hätte. Das letztere, meine Damen und Herren, ist ein Zitat aus dem Bericht der Senatoren Nunn und Bartlett, der vor 14 Tagen veröffentlicht worden ist.Dies also ist das Ergebnis einer unbestechlichen Tatsachenbeschreibung: erstens eine anhaltende Verstärkung der militärischen Macht des Warschauer Pakts weltweit und insbesondere in Mitteleuropa; zweitens die wachsende Fähigkeit des Warschauer Pakts zur offensiven Kampfführung; drittens die rapide Abnahme der Vorwarnzeit für den Westen.Wie bewerten wir nun diese Bedrohung? Ich sage zuerst, was das meines Erachtens und unseres Erachtens nicht bedeutet. Wachsende Aufrüstung des Ostens läßt nicht den Schluß zu, daß die Sowjets morgen oder in absehbarer Zeit in Mitteleuropa einen Krieg vom Zaun brechen würden. Es gibt keinen Grund zur Panik. Aber die Lage, wie sie ist, und die fortschreitende Verschiebung des konventionellen Kräftegleichgewichts in Mitteleuropa müssen uns mit Sorge erfüllen und uns zur Vorsorge veranlassen, solange es noch Zeit ist.
Es gibt einen doppelten Grund zur Sorge: Erstens. Während der Westen eine Politik der Entspannung gegenüber dem Osten betreibt und der Osten jeden Tag seine Entspannungsbereitschaft wortreich betont, betreibt Moskau zur gleichen Zeit die massivste Aufrüstung, die die Welt je gesehen hat. Zweitens. Diejenigen, die die Entspannungspolitik nicht nüchtern, sondern euphorisch — ich könnte auch sagen: ideologisch — betrieben haben, die das Ergebnis der Entspannungspolitik schon im voraus kannten, indem sie behaupteten, sie hätten den Frieden sicherer gemacht, diese blinden Anhänger der Entspannungspolitik leugnen die wachsende Bedrohung, versuchen sie zu verharmlosen oder wenigstens zu verschweigen.
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614 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
DammLeider hat sich auch der deutsche Verteidigungsminister seit gut einem Jahr in den Chor dieser Verharmloser eingefügt und wird auf diese Weise zum Kronzeugen für alle diejenigen, die sagen, so schlimm sei das gar nicht.
Darum muß — auch wenn es Ihnen nicht paßt, Herr Kollege Pawelczyk — die Debatte um diesen Punkt hier kontrovers geführt werden.Ich gebe Ihnen einige Beispiele für die erstaunliche Wandlungsfähigkeit des deutschen Verteidigungsministers Georg Leber. Am 11. Juni 1976 unterschreibt er die folgenden Feststellungen:
Die Minister stellten mit Besorgnis die substantielle Erhöhung der Größe und Schlagkraft fest, die in den letzten Jahren in allen Bereichen der sowjetischen militärischen Stärke erzielt wurde und durch die ein offensichtliches Potential zum direkten oder indirekten weltweiten Einsatz militärischer Macht und zur Drohung mit militärischer Macht bestätigt wird.Darunter steht die Unterschrift des Verteidigungsministers. Zwei Wochen später sagt derselbe Minister hier im Bundestag:In einigen Bereichen des Kräfteverhältnisses zwischen West und Ost gibt es, wenn man sie für sich betrachtet, Unausgewogenheiten. Ein oberflächlicher Blick z. B. auf die Panzer-und Flugzeugzahlen könnte jemanden, der beziehungslos nur diese Zahlen sieht und die übrigen Fähigkeiten des Bündnisses und sein militärisches Konzept übersieht und nicht kennt, zu falschen Schlußfolgerungen führen.Am 18. Juni 1973 sagt der Verteidigungsminister:Der Warschauer Pakt hält allein in Polen, in der DDR, in der Tschechoslowakei mehr als 860 000 Soldaten und rund 20 000 Kampfpanzer bereit.Anschließend macht er Ausführungen über die Luftrüstung der anderen Seite und sagt u. a.:Qualitative Verbesserungen sind bei der Luftrüstung des Ostens mit quantitativen Verbesserungen Hand in Hand gegangen.Am 25. Juni 1976 sagt derselbe Mann wieder hier in diesem Parlament:In Mitteleuropa — da, wo es im engeren Sinne besonders um unsere Sicherheit geht — ist der Westen nicht schwächer geworden, sondern er hat Schritt gehalten; seine Kraft ist mit der des Ostens gewachsen.Und uns, der Opposition, hält er vor:Sie bleibt lieber bei der altgeübten, bewährten Methode der Panzerzählung.1973 hat derselbe Mann noch gesagt:Seit 1966 wurde den sowjetischen Verbändenin der DDR, in Polen und in der Tschechoslowakei und Ungarn folgendes Großgerät zugeführt:...Und dann wörtlich:Ich muß diese Zahlen einmal nennen, weil sonst gesagt wird: das stimmt nicht.
Auch wenn die Zahl allein natürlich nicht König in der Strategie ist, gehört doch sowohl zum militärischen Handwerk als auch zur verantwortlich betriebenen Militärpolitik der notwendige Respekt vor Zahl und Qualität des Gegners.
Deswegen frage ich, meine Damen und Herren: Stimmt es oder stimmt es nicht, daß die Sowjetunion zirka 13 % ihres Bruttosozialprodukts für die Rüstung aufwendet? Stimmt es oder stimmt es nicht, daß die Sowjetunion ihre in Mitteleuropa stationierten Kampfverbände in einer hundertprozentigen Einsatzbereitschaft hält? Stimmt es oder stimmt es nicht, daß die sowjetischen Armeeverbände in Mitteleuropa ihre Panzer in den letzten Jahren um zirka 40 % und ihre Artillerie um zirka 50 % vermehrt haben? Und stimmt es etwa nicht, daß die französischen Verbände in der Bundesrepublik um 10 000 Mann gekürzt werden sollen? Stimmt es etwa nicht, daß Holland Luftabwehrverbände aus dem Hawk-Gürtel herausziehen will, daß Belgien sich gar nicht erst an der Verbesserung seiner Luftabwehrbatterien beteiligt und die Rückverlegung von Heereseinheiten erwägt, daß Großbritannien seine Rheinarmee um viele tausend Mann wegen der schrecklichen Dinge in Nordirland ständig verringern muß und daß es in den nächsten zehn Jahren 34 Milliarden DM aus seinen Verteidigungsplanungen herausstreichen will? Und stimmt es nicht, daß die amerikanischen Senatoren Nunn und Bartlett auch über beträchtliche Mängel bei der Kampfausstattung der amerikanischen Armee in Europa berichten mußten?Und zu all dem sagt der Minister Leber: Die Kraft des Westens ist mit der des Ostens gewachsen.
Jüngst veröffentlichte die NATO den Bericht der Verteidigungsminister. Darin steht allerdings: Unablässiges Anwachsen der Stärke der Streitkräfte des Warschauer Pakts. Aber der deutsche Verteidigungsminister sagte am Ende des vergangenen Jahres der „Bild"-Zeitung: „Die NATO hält die Balance zum Warschauer Pakt."Und nun nähern wir uns dem Kern der Bewertungsfrage: Was bezweckt die Sowjetunion? Will die Sowjetunion die Balance, oder will sie die Übermacht?Vor zwei Jahren hat dem deutschen Verteidigungsminister einer den Schneid abgekauft, als er ihm im Zusammenhang mit seinem Vietnam-Artikel vorhielt: Du, Genosse Leber, bist der Versuchung nicht entgangen, „das dann zu einer verallgemeinernden Belehrung in Fragen also dessen, was man so gern verallgemeinernd ,Kommunismus' nennt, zu bringen. Da liegt die schwache Stelle. Aber, wir
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977 615
Dammbrauchen nicht zu streiten über ,Kommunismus' ". Der, der diese vernichtenden Sätze zu Georg Leber vor der versammelten SPD-Fraktion gesagt hat, hat eben auch seine besondere Auffassung von den militärpolitischen Zielen der Sowjetunion. Herbert Wehner schreibt nämlich — ich darf mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin, zitieren —:Die Führung der Sowjetmacht legt Wert darauf, eindringlich zu demonstrieren, welche Bedeutung sie der Stetigkeit ihrer Politik der Balance der Kräfte in der Welt beimißt.Herbert Wehner hat mit diesen Worten die Rede Breschnews vor dem 25. Parteitag der KPdSU kommentiert. Er spricht von der „Politik der Balance der Kräfte" und nennt das Ganze das „Leitmotiv aus Moskau".Wenn man Breschnews jüngste Rede in Tula zu Rate zieht, findet man natürlich wieder Passagen, die die Friedensliebe der Sowjetunion breit unterstreichen:
„Kein Land hat der Menschheit ein so breites, konkretes und realistisches Programm mit dem Ziel einer Abschwächung und einer vollen Beseitigung der Gefahr eines neuen Krieges vorgelegt", sagt Breschnew. „Alle unsere Friedensinitiativen entsprechen der gemeinsamen Linie der brüderlichen sozialistischen Staaten auf der internationalen Arena", fährt er fort. Nun, wir haben gesehen, wie die brüderlichen sozialistischen Staaten dann in Angola wirklich verfahren sind. Breschnew nennt als einen Beweis für die Friedensliebe der Sowjetunion den Vorschlag zum Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen.Wir wissen, wie die Außenminister in Brüssel darauf reagiert haben. Sie haben nämlich gesagt: Das ist ein unmögliches Verlangen; denn das würde die Schwäche des Westens noch deutlicher werden lassen.Weiter sagte Breschnew in Tula: Reduzierungen von Truppen und Rüstungen in Zentraleuropa, bei denen die Sowjetunion unausgewogen, also mehr als die anderen, reduzieren müßte, kämen überhaupt nicht in Frage. Das bedeutet eine klare Ablehnung der Position der NATO zu MBFR. Er leugnet die Aufrüstung der sowjetischen Streitkräfte, und trotzdem wird sowohl von Herrn Wehner als auch vom deutschen Verteidigungsminister davon gesprochen, daß die Sowjetunion lediglich die Balance wolle.Die Minister Schlesinger und Rumsfeld haben, als sie ausgeschieden waren — als sie ausgeschieden waren, Herr Minister Leber! —, davon gesprochen, daß die Sowjetunion die Übermacht anstrebe. Ich hoffe nicht, daß es bei Ihnen so sein wird und daß Sie, wenn Sie ausgeschieden sind, auch sagen: Jawohl, so ist es in Wirklichkeit, sie wolle die Übermacht — nachdem Sie uns bis dahin in amtlicher Eigenschaft immer nur gesagt haben, sie wolle die Balance.
Vor kurzem hat zu diesem ganzen Komplex Günther Gillessen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen sehr beachtenswerten Artikel mit der Überschrift „Kopf im Sand" geschrieben. Der Ausgangspunkt der Entspannungspolitik sei, so sagt er, die Überlegung gewesen, wenn die Sowjets erst einmal „satt an Macht" seien, werde sie — die Sowjetunion — für eine Mitarbeit an einer konstruktiven Weltordnung zu gewinnen sein. Gillessen stellt dann die Frage, ob kommunistische Führungseliten sich jemals nicht bedroht fühlen würden, um dann — im Widerspruch zum Verteidigungsminister und zu seinem eigenen Kollegen Weinstein — deutlich zu sagen, ob sich die Sowjetunion mit Parität begnüge oder Übermacht anstrebe, lasse sich durch die praktische Erfahrung feststellen, nämlich, wie er wörtlich sagt, „durch Zählen, durch Messen und durch Rechnen".Gillessen sagt dann — und wir alle sollten das sehr ernst nehmen —, zwar sei die Sowjetunion zu Teilarrangements — über Atomversuche, über Berlin, über Deutschland, über SALT, in Helsinki und im Nahen Osten — bereit gewesen, aber nie dazu, eine der behandelten Fragen restlos und widerspruchsfrei in einem endgültig gemeinten Kompromiß beizulegen; alles, so sagt Gillessen wörtlich, bleibt offen, jederzeit wieder aufgreifbar.
Und parallel dazu betreibt sie die Aufrüstung.Gillessen kommt in seinem Leitartikel wörtlich zu dem Schluß:Die Sowjetunion strebt nach Übermacht, aber sie will den Westen nicht zum Wettlauf aufstacheln.Meine Damen und Herren, das ist auch meine Meinung. Die Sowjetunion strebt nach militärischer Übermacht, aber gewissermaßen auf leisen Sohlen, ohne den Westen aus seinem Entspannungsschlaf jäh aufzuschrecken und ihn etwa zu einer jähen Kraftanstrengung zu provozieren.
Ich nenne das, meine Damen und Herren, eine nüchterne Bewertung der einwandfrei erkannten militärischen Tatsachen. Nicht das Gleichgewicht, sondern die Übermacht streben die Sowjets an, aber so, daß wir uns in wenigen Jahren überrascht die Augen reiben, weil wir bis zum schrecklichen Beweis des Gegenteils geglaubt haben, wir mit unserer überlegenen Technologie würden die Macht der sowjetischen Zahl allemal ausgleichen.Ich will nicht glauben, daß der deutsche Verteidigungsminister wirklich keine Berater hat, die ihm ein differenzierteres Bild geben, als er es Ende letzten Jahres in der „Bild"-Zeitung gezeichnet hat. Minister Leber sagte in der „Bild"-Zeitung — ich bitte um die Genehmigung, zitieren zu dürfen, Frau Präsidentin —:Man darf nicht Mann gegen Mann und Panzergegen Panzer aufrechnen, sondern man muß die
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Dammgute Qualität der westlichen Verteidigung insgesamt sehen. Ausbildungsstand und Waffentechnik gleichen die zahlenmäßige Überlegenheit aus.
Meine Damen und Herren, ich will dazu nur einige Fragen stellen: Haben wir nicht feststellen müssen, daß die Sowjets lange vor uns qualifizierte Panzer — nämlich in die Truppen in der DDR — haben einführen können? Gibt es den T 72 nicht schon in hunderten von Exemplaren in der Armee der Sowjets in der DDR, und kommt der Leo nicht erst Ende 1979 in unsere Verbände?
— Ich meine den Leopard II, falls jemand mich sonst mißverstanden haben könnte, denn unser Verteidigungsminister heißt ja Georg und nicht Leo.Ich frage also: Ist es falsch, daß sich die BodenLuft-Raketen sowjetischer Bauart schon im JomKippur-Krieg als hochmodern und sehr wirkungsvoll erwiesen haben? Trifft es etwa nicht zu, daß der sowjetische Flak-Panzer, der ZSU 23, dem deutschen Flak-Panzer gleichwertig ist?
Der Unterschied ist nur der: Wir fangen erst jetzt an, ihn einzuführen.Ist es etwa eine Erfindung mißgünstiger Oppositionspolitiker, daß die Luftstreitkräfte des Warschauer Pakts sich inzwischen eine hervorragende Fähigkeit zum Luftangriff zugelegt haben und daß sie bereits Flugzeuge besitzen, die quasi MRCA-Qualität haben? Trifft es nicht zu, daß der sowjetische Schützenpanzer BMP zu den besten der Welt gehört, während es auf der Seite des Bündnisses Schützenpanzer gibt, die schon 25 Jahre alt sind?Dem allem hält nun der Verteidigungsminister entgegen:Mit den Zehntausenden von Panzerabwehrraketen, die die Bundeswehr schon hat oder in Kürze bekommen wird, mit den Fla- und FlaRak-Panzern, deren Beschaffung wir angeordnet haben, mit den neuen Kampfflugzeugen und der völlig neuen Ausrüstung der Bundeswehr wächst unsere Abwehrfähigkeit in einem Maße, daß man nicht von Schwäche oder Schwächung reden kann. Und die Bundeswehr,— immer noch der Bundesverteidigungsminister —das sage ich dazu, ist nicht irgendwer im Bündnis. Die läßt sich nicht einfach in ein paar Stunden überrollen. Wer das versuchen wollte, spielt mit seiner Existenz.Meine Damen und Herren, in dieser Aussage sind zwei schwerwiegende Fehler: einmal setzt der Verteidigungsminister Bundeswehr und Bündnisstreitkräfte gleich. Das ist falsch, wie auch er weiß. Zweitens verteidigen Sie sich und uns mit Waffen, die wir noch gar nicht oder erst in ganz geringem Umfang haben und in Masse erst Ende des nächsten Jahrzehnts haben werden.Daraus die Schlußfolgerungen! Sollte es nicht möglich sein, daß wir uns auf eine übereinstimmende Lagebeurteilung verständigen, um zu einer gemeinsamen Schlußfolgerung zu kommen? Etwa zu der Schlußfolgerung, der Sie selber zugestimmt haben, Herr Minister, daß die jährlichen Verteidigungsausgaben real steigen sollen, um größere Umrüstungs- und Modernisierungsprogramme durchführen zu können?Sie sagen — auch gestern wieder —, für uns Deutsche sei es schon fast peinlich, ständig würden wir als Musterknaben von der NATO gelobt. Meine Damen und Herren, das stimmt und ist trotzdem die ganze Wahrheit nicht. Wir sind unter unseren Partnern so etwas wie der Einäugige unter Blinden, könnten Sie sagen; dann würden Sie die Lage richtig beschreiben.Aber selbst wenn es an uns nichts auszusetzen gäbe: sind denn alle unsere Verbände richtig stationiert? Ist nicht das chaotische Bild, daß die Senatoren Nunn und Bartlett von der Situation kurz vor Eintritt des Verteidigungsfalles zeichnen, traurige Wirklichkeit? Brigaden von sieben Nationen müssen Hunderte von Kilometern von West nach Ost, aber auch von Süd nach Nord und von Nord nach Süd mit allem schweren Gerät marschieren, um ihre Einsatzräume nahe der Zonengrenze zu erreichen. Dieser Alptraum jeden Kommandeurs könnte gemildert werden, wenn alle Kampfverbände der Allianz in Mitteleuropa dort stationiert würden, wo sie auch kämpfen sollen. Das gilt doch auch für das deutsche Heer.Senator Nunn schreibt wörtlich in seinem Bericht — ich bitte um die Genehmigung, zitieren zu dürfen —:Diese Umstände können einen derart substantiellen Gebietsverlust zur Folge haben, daß er die zivile und die militärische Autorität der Bundesrepublik Deutschland demoralisieren könnte. Dies wiederum könnte zu einem frühen Verlust des mächtigsten konventionellen NATO-Mitgliedes führen.Wenn solche Gefahren wegen der verkürzten Vorwarnzeit drohen — die Senatoren Nunn und Bartlett waren doch unter anderem auch beim deutschen Verteidigungsminister, um sich genau unterrichten zu lassen —, müßten wir dann nicht darin übereinstimmen, innerhalb eines Zeitraums von, sagen wir einmal, zehn Jahren die falsche Stationierung auch der deutschen Verbände zu korrigieren? Natürlich ist das schwierig und teuer. Aber VorneVerteidigung heißt doch nicht Verteidigung an der Ruhr, sondern Verteidigung östlich von Lüneburg und östlich von Braunschweig. Dafür müssen die Truppen dort eben sein, wenn es nötig ist. Und könnten nicht Kasernenanlagen, die deutsche Bataillone verlassen, um in richtiger gelegene zu ziehen, Bündnispartnern zur Verfügung gestellt wer- den, um ihre Brigaden aus dem Heimatland in die Bundesrepublik zu verlegen? Selbst wenn die Holländer bereit wären, ihre fünf Brigaden, die in ihrem Heimatland liegen, in die Bundesrepublik zu brin-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977 617
DammI gen, — wir hätten gar nicht die Kasernen, um sie bei uns unterbringen zu können.Meine erste Forderung lautet also: bringen wir unsere Kampfverbände möglichst nahe an ihre Einsatzräume, um die Vorne-Verteidigung auch wirklich sicherzustellen. Dadurch würden Kasernen und Standortübungsplätze frei für verbündete Truppen. Wir würden in der Tat für deren Stationierung die Kosten aufbringen. Aber wäre damit nicht unserem Sicherheitsinteresse am meisten gedient? Wir liegen doch am Eisernen Vorhang, wir sind zuerst betroffen, unser Interesse ist es, daß Vorne-Verteidigung auch wirklich vorne stattfindet.Neben dieser Forderung steht die zweite: daß die Truppen richtig und ausreichend ausgerüstet und bewaffnet sind. Ich will das noch einmal so ausdrücken: Wir brauchen keine neue NATO-Strategie.
Die Strategie dieses Bündnisses — auch wenn das Herrn Wehner überraschen sollte —, die flexible response, die im engen Zusammenwirken aus strategischer nuklearer Abschreckung, taktischer nuklearer Abschreckung und konventioneller nuklearer Abschreckung besteht, ist richtig und braucht nicht verändert zu werden. Was aber geschehen muß, ist doch, daß wir dem Bündnis auch die Mittel geben, um diese Strategie wirklich durchführen zu können.
Könnten wir uns darum also nicht erstens darauf verständigen, gemeinsam den Forderungen, wie sie jüngst in dem Bericht der amerikanischen Senatoren erhoben wurden, die Kampfverbände weiter vorne zu dislozieren, nachzukommen, indem wir versuchen, einen Plan aufzustellen, mit Hilfe dessen wir dieses Ziel über einen längeren Zeitraum erreichen? Und könnten wir uns nicht zweitens miteinander darauf verständigen, die neuen Präzisionswaffen, die wir über einen sehr langen Zeitraum einführen wollen, den deutschen Verbänden innerhalb eines kürzeren Zeitraums zur Verfügung zu stellen?Es müßte möglich sein — konkret gesprochen —, dem zu folgen, was die Regierung in Brüssel selbst unterschrieben hat, nämlich unsere Haushalte künftig real steigen zu lassen, damit das, was die gemeinsame Einsicht in die Lage für notwendig hält, auch entsprechend finanziert werden kann. Diese Fraktion ermuntert in ihrem Entschließungsantrag die Bundesregierung, das zu tun, was sie sich in Brüssel ja selber vorgenommen hat, nämlich den Verteidigungshaushalt jährlich real, d. h., also der Inflation angemessen steigen zu lassen.
— Wieviel Prozent, fragen Sie. Das hängt davon ab, wieviel Inflation diese Regierung macht oder zuläßt. Entsprechend müßte der Haushalt steigen, weil nur das eine reale Steigerung wäre.
Herr Abgeordneter Damm, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Blank?
Bitte.
Herr Kollege, sind Sie nicht der Meinung, daß Sie, wenn Sie diese allgemeinen Forderungen vor diesem Hintergrund und Schreckensgemälde erheben, sagen sollten, wieviel mehr in den kommenden Haushaltsjahren konkret ausgewiesen werden sollte? Das müßten Sie sich doch fragen.
Erstens. Was ich geschildert habe, ist kein Schreckensgemälde.
Wenn es ein Schreckensgemälde wäre, müßten ja die Außenminister und die Verteidigungsminister dieser Allianz ihre Unterschrift unter ein Schreckensgemälde gesetzt haben; denn ich habe gar nichts anderes gemacht, als aus deren Kommuniqués, aus deren Berichten zu zitieren und ihre Lagebeurteilung auch dem Deutschen Bundestag zur Kenntnis zu bringen, weil nämlich beispielsweise der deutsche Verteidigungsminister, wenn er hier redet und nicht in Brüssel ist, die Dinge beschönigt.
Zweitens. Wenn es so ist, daß die NATO mit der Unterschrift des deutschen Verteidigungsministers — bzw. im konkreten Fall, wegen des Blinddarms, seines Vertreters, des Botschafters Pauls— die reale Steigerung der Verteidigungshaushalte für notwendig erklärt, denke ich mir, daß sich diese Bundesregierung dabei gedacht hat, was das wirklich bedeutet,
und dann denke ich mir, daß diese Bundesregierung in der Lage ist, das in dem künftigen Haushaltsentwurf auch so einzubringen, so daß jeder Volksschüler ausrechnen kann, ob das nun 4 oder 5 % sind, nämlich die Inflationsrate, oder nur, wie in diesem Jahr, 1,2 % bzw., wenn Sie die Verstärkungsmittel für das Personal hinzurechnen, vielleicht 2,5 %, also die Hälfte dessen, was die Inflation allein in diesem Jahr ausmachen wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Blank?
Herr Kollege, diese Zahlen sind ja allgemein bekannt, so denke ich, jedenfalls unter denjenigen, die sich damit befassen.
Stellen Sie bitte eine Frage, Herr Abgeordneter!
Ich darf Sie fragen: Welche konkrete Steigerung — zumindest das müßten Sie sagen können — wird die CDU in diesem Jahr für den Verteidigungshaushalt in etwa beantragen? Darüber müßten Sie doch Vorstellungen haben.
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618 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
Meine Damen und Herren, wir haben nicht die Absicht, in diesem Jahr Anträge zu stellen.
— Nein, wir haben nicht die Absicht, in diesem Jahr Anträge zu stellen. Wir sind mit dem Brüsseler Kommuniqué der Meinung, daß das für künftige Haushalte geschehen sollte. Wir wollen nur das, was sich die eigene Regierung — warum leugnen Sie, daß Ihr Minister Leber zu dieser Regierung gehört, warum wollen Sie seine Unterschrift nicht anerkennen? —
vorgenommen hat, auch tatsächlich verwirklicht sehen. Darauf warten wir. Denn wir wollen nicht, daß die Regierung in Brüssel mit anderer Zunge redet, als sie es hier tut.
Meine Damen und Herren, nun will ich deutlich machen, daß es außer den entsprechenden Ansätzen im Haushalt natürlich noch einen zweiten Weg zur Entsprechung dieser Forderung gibt, nämlich den, daß man aus demselben Geld, das man zur Verfügung stellt, künftig mehr macht, als man bisher daraus gemacht hat, d. h. also, daß man im Bündnis möglichst die gleichen Waffen und Geräte verwendet.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Blank?
Sofern der Kollege nicht wieder auf dieselbe Geschichte zurückkommt, will ich ihm gern antworten.
Herr Kollege, ich bitte vielmals um Entschuldigung. Würden Sie dann dem Hause verkünden, ob die CDU bereit ist, die entsprechenden Anträge im nächsten Jahr oder 1979 oder 1980 einzubringen?
Warum wollen Sie von uns wissen, was wir in einem Jahr tun werden, wenn Sie doch Ihrer Regierung mehr Vertrauen als wir entgegenbringen und deswegen erwarten können, daß die Regierung ihren eigenen Forderungen und Versprechungen folgen wird?
Oder gehen Sie heute schon davon aus, daß diese Regierung, was ihre Versprechungen Brüssel und der NATO gegenüber angeht, genau so handeln wird, wie sie gegenüber den Rentnern in der Bundesrepublik gehandelt hat?
Verehrter Herr Kollege, Herr Dr. Althammer würde gern noch eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Damm, würden Sie nicht der Meinung sein, daß es zweckmäßig wäre, daß die Vertretung dieser Bundesregierung dem Parlament erst einmal die mittelfristige Finanzplanung vorlegt, bevor man die Opposition fragt, was sie für Vorstellungen hat?
Meine Damen und Herren, diese Regierung weiß eben nicht, wie sie mit den Problemen wirklich fertig werden will. Deswegen will sie ewig von der Opposition hören, was sie denn machen soll.
— Ich habe nichts dagegen, daß Sie weiter fragen, solange — —
Verehrter Herr Kollege, ich glaube wirklich, daß wir nach vier Zwischenfragen jetzt erst einmal dem Redner das Wort lassen sollten.
Damm Ich hätte nichts dagegen, aber — —
Bitte schön, Herr Blank, Sie können eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege, sind Sie nicht der Meinung, daß die Bundesregierung in ihrer Pressekonferenz, in der sie den Haushalt 1977 vorgelegt hat, die Zahlen bis 1980 genannt hat?
Sie wollten eine schlichte Frage stellen, und ich denke, ich kann eine ganz schlichte Antwort geben. Das ist richtig. Aber diese Regierung ist dem, was sie in Brüssel unterschrieben hat, mit dieser Vorlage eben nicht gefolgt.
— Mein Gott, wäre es nicht eher richtig, diese Regierung würde in Brüssel nicht unterschreiben, sie sei für reale Steigerung der Haushalte, wenn sie nicht willens ist, das zu tun. Wer unehrlich ist, ist doch diese Regierung; sie redet in Brüssel so und handelt hier anders.
— Daß Ihnen das wehtut und daß Ihnen das nicht recht ist, kann ich verstehen. Aber Sie selber wissen keinen Ausweg. Darum werden Sie von uns auch nicht verlangen können, daß wir die kritische Sonde an diesem Punkt nicht mehr ansetzen.Ich möchte des weiteren deutlich machen, daß es Möglichkeiten gibt, Geld indirekt einzusparen, in-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1937 619
Dammdem wir aus dem vorhandenen Geld mehr machen. Das bedeutet, daß wir Standardisierung endlich nicht nur in den Grundsätzen, sondern auch in der Praxis betreiben müssen. Herr Minister, was dies angeht, so muß ich leider deutlich machen, daß die Ergebnisse der deutsch-amerikanischen Standardisierungszusammenarbeit nicht die günstigsten sind. Ich habe den Eindruck, daß dies nicht zuletzt daran liegt, daß Sie in dieser Frage den deutschen Standpunkt nicht deutlich genug vertreten haben. Ich will das belegen. Wir haben zirka 100 Millionen aufgewendet, um den deutschen Panzer „Leopard" in den Test mit den Amerikanern zu bringen. Inzwischen sagen die Amerikaner, indem sie sich auf ein auch von deutscher Seite unterschriebenes Kommuniqué beziehen, die Deutschen legten gar keinen Wert mehr darauf, daß die Testergebnisse der beiden Panzer auch tatsächlich miteinander verglichen würden. Das kann nicht der Sinn solcher Vereinbarungen sein.
Ebenso kann es nicht der Sinn solcher Vereinbarungen sein, daß die eingegangenen Verpflichtungen nicht auch zeitgerecht erfüllt werden, wie dies bei dem Panzer in einer Spezialfrage der Fall ist.Meine Damen und Herren, es muß doch nun auch wirklich einmal begonnen werden, die Zweibahnstraße zu begehen. Es kann doch in den 70er Jahren nicht wieder so laufen wie in den 60er Jahren, daß nämlich Waffenverkäufen der Amerikaner an Europa in einem Umfang von 8 Milliarden Verkäufe der Europäer an die Amerikaner in einem Umfang von nur 700 Millionen gegenüberstehen. Es war doch der amerikanische Minister Schlesinger, der von der Zweibahnstraße und ihrer Notwendigkeit gesprochen hat. Ich bin der Meinung, daß man seine Positionen auch dem Freunde gegenüber ganz deutlich vertreten muß. Schließlich geht es auch um deutsche Arbeitsplätze und nicht nur um die in den anderen Ländern.1975 noch schrieb der deutsche Verteidigungsminister — ich zitiere, Frau Präsidentin —:Wenn es ohne Risiko möglich ist und für opportun gehalten wird, wird nicht gezögert und wird auch künftig nicht gezögert werden, der Ausbreitung der Ideologie auch mit Schwert und Feuer den Weg zu bereiten.Herbert Wehner hat Ihnen damals für das Aussprechen dieser Wahrheit in aller Öffentlichkeit eine drastische Rüge erteilt. Ich könnte auch sagen: Er hat Ihnen mit seiner Rede gegen Sie in der Fraktion das Rückgrat gebrochen. Damals haben Sie noch das Richtige gesagt, seitdem aber nicht mehr. Dabei sollten Sie — wie übrigens auch Herr Wehner — doch immer vor Augen haben, was Lenin vor 50 Jahren prophezeite. Er sagte, daß der Westen uns Kredite eröffnen würde,mit deren Hilfe wir die kommunistischen Staaten finanzieren werden. Sie werden uns mit Waren und Technologie, die uns fehlt, versorgen,— so sagt Lenin —um unsere Rüstungsindustrie wieder aufzubauen, die wir für unsere künftigen siegreichen Angriffe auf unsere Lieferanten dringend benötigen.Meine Damen und Herren von der SPD, diese Prophezeiung Lenins muß Ihnen, auch wenn Sie sie schon einmal gehört haben, immer wieder vor Augen gehalten werden, weil sie die Sicht der Kommunisten richtig wiedergibt. Die Kommunisten erwarten, daß der Westen sich so verhält. Wir verhalten uns ja leider in breiten Teilen unserer Politik so, daß Lenin sich noch heute darüber freuen könnte, daß es richtig ist, was er schon vor 50 Jahren vorausgesagt hat.
Wir fordern den deutschen Verteidigungsminister auf, zu seiner früheren Haltung zurückzukehren, der eigenen Regierung, der eigenen Partei, diesem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit ein ungeschminktes Bild von der wahren Lage zu geben. Es müßte doch möglich sein, gemeinsam die notwendigen Schritte in aller Nüchternheit, aber mit der leidenschaftlichen Entschlossenheit derer zu tun, die aus der Geschichte wissen, daß es im Umgang mit Diktatoren und Imperialisten nicht allzu viele Zeitpunkte gibt, in freiem Entschluß das Richtige zu tun.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neumann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da die Opposition aus der letzten Debatte, in der es um Herrn Krupinski, Herrn Rudel und Herrn Franke ging, nicht so herausgekommen ist, wie sie es gern gehabt hätte, haben wir heute eine Neuauflage einer unverbindlichen Sicherheitspolitik. Sie ist deshalb unverbindlich, weil die Opposition nicht imstande gewesen ist, zur Grundlage dieser Debatte eine Große Anfrage zu bringen, um darzustellen, wo denn etwa die Verteidigungspolitik dieser Regierung, dieser Koalition falsch wäre, sondern es gibt — das hat der Beitrag vom Kollegen Damm gezeigt — mehr oder weniger Kritik an den Bündnispartnern, nicht an der eigenen Politik. An einer Unterrichtung des Bundestages über die Jahreskonferenz der Nordatlantischen Versammlung, einer Einrichtung, die nach 22 Jahren immer noch nicht ein echtes Parlament des Bündnisses geworden ist, muß man sich aufhängen, um hier Sicherheitspolitik verkaufen zu wollen. Zu einer Großen Anfrage hat es nicht gereicht.Damit die Opposition die Gelegenheit zu einer echten Verteidigungsdebatte bekommt, wird die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wohl gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner in Kürze eine Große Anfrage zur Verteidigungspolitik einbringen.
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620 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
NeumannIch glaube, dann werden wir uns über all die Dinge zu unterhalten haben, die in diesem Lande verteidigungspolitisch von Bedeutung sind. Da wir das in Kürze haben werden, lassen Sie mich einmal wieder auf die Tagesordnung der heutigen Bundestagssitzung zurückkommen, nämlich auf die Empfehlungen der Jahreskonferenz in Williamsburg. Dort gibt es ein paar Empfehlungen, über die man tatsächlich nachzudenken und über die man zu reden hat. Ich will einige davon hier in die Diskussion einführen, weil ich meine, daß sie von Bedeutung sind.Da ist z. B. die Empfehlung 55, die die Überschrift trägt: Die sowjetische Bedrohung auf den Meeren. Die Nordatlantische Versammlung ging im November 1976 davon aus, daß die Stärke der Flotte der Sowjetunion in den nächsten drei bis fünf Jahren wahrscheinlich ihren Höhepunkt erreicht haben wird und daß vor allem der Anteil der sowjetischen Atom-U-Boote im Verhältnis zu den U-Boot-Abwehrschiffen der NATO zugunsten der Sowjets ansteigt. Dem NATO-Rat wurde daher empfohlen, bei den Regierungen des Bündnisses auf eine Erhöhung der Stärke der eigenen U-Boot-Abwehrschiffe und -flugzeuge zu drängen. Zweifellos zeigt der zielstrebige Aufbau der sowjetischen Marine, daß die Sowjetunion anstrebt, mit ihrer Flotte weltweit politische und militärische Präsenz zu demonstrieren. Das Bündnis hat dies zu beachten und jeweils entsprechende Entscheidungen zu treffen.Wieweit betrifft diese Empfehlung uns? Die Bundesrepublik hat mit ihren Seestreitkräften die Aufgaben, a) die Ostseezugänge zu verteidigen, urn ein Ausbrechen der baltischen Rot-Banner-Flotte in die Nordsee und in den Nordatlantik zu verhindern und b) die Nordseeverbindungen zu sichern. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer relativ kleinen Teilstreitkraft Marine keine zusätzlichen Aufgaben übernehmen kann. Würden wir der Marine mehr zumuten, würden wir ihre Kräfte überfordern. Wir können unsere Marine auch nicht auf Kosten des Heeres oder der Luftwaffe verstärken. Dies verbietet sich, weil die Bundesrepublik Deutschland den Hauptteil der Warschauer Paktstreitkräfte jenseits unserer Grenzen, unserer Grenze zur DDR und zur CSSR, gegenüberstehen hat. Wir tragen jedoch mit unseren Bemühungen, meine ich, dazu bei, die effektive Stärke der Marine und die Abschreckungsfunktion des Bündnisses in Ost- und Nordsee zu erhalten. Das wäre eine Empfehlung, über die man in den Ausschüssen zu reden haben wird.Da gibt es weiter die Entschließung 52, die von der europäischen Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Verteidigung spricht. Die Position der Bundesrepublik Deutschland und die Entschließung der Nordatlantischen Versammlung liegen auf gleicher Ebene. Die europäische Zusammenarbeit auf dem Rüstungssektor hat mit der Europäischen Programmgruppe einen neuen Anlauf genommen. Positiv können wir dabei vermerken, daß Frankreich seine Zustimmung gegeben hat, in dieser Gruppe aller europäischen NATO-Partner mitzuarbeiten.Diese Mitarbeit bringt allerdings auch Probleme mit sich, die ihre Begründung in der innerfranzösischen Politik finden. Kommunisten wie Gaullisten sehen in der Erhaltung der nationalen Unabhängigkeit ein primäres Ziel der Außen- und Sicherheitspolitik Frankreichs. Der Bündnispartner USA hat oft bekundet, daß die europäische Einheit seine Unterstützung finde. Diese atlantische Partnerschaft kam bisher aber nicht zustande, weil Europa, soweit es im Bündnis ist, nicht mit einer Stimme sprechen wollte oder konnte. Durch die EPG ist die Chance für eine solche europäische Einstimmigkeit gewachsen — ich glaube, nicht ohne Zutun der deutschen Bundesregierung.Da gibt es ferner die Empfehlung 56, die die Rationalisierung der Verteidigungsmittel behandelt, die Herr Damm hier gefordert hat. Die Empfehlung deckt sich mit den nationalen deutschen Vorstellungen. Allerdings: Rationalisierung und Standardisierung sind Dauerbrenner auf NATO-Konferenzen. Es gab zwar Einzelerfolge, aber noch keinen großen Durchbruch. Von allen NATO-Partnern wird das Ziel akzeptiert, die begrenzten Haushaltsmittel optimal zu nutzen. Aber wenn es dann um kurzfristige nationale Vorteile geht, kapituliert so mancher, der die Standardisierung lauthals gefordert hat, denn natürlich haben z. B. kooperative Rüstungsprojekte Auswirkungen auf die Auslastung der nationalen Wirtschaft, auf die Beschäftigungslage der entsprechenden Industrien. Mit einer gewissen Übertreibung darf man also sagen, daß dieses Problem fast so alt ist wie die NATO.In der Diskussion der Frage der Standardisierung sind wir heute wohl wieder an einem Punkt angelangt, an dem wir erkennen müssen, daß noch zu viele Hemmnisse für den großen Wurf, für die umfassende Standardisierung vorhanden sind. Deshalb ist es, meine ich, folgerichtig, daß wir, wenn man das erkannt hat, die Forderung erheben, daß Waffensysteme des Bündnisses wenigstens hinsichtlich ihrer wichtigsten Komponenten so gestaltet sind, daß eine übergreifende Versorgung und Austauschbarkeit möglich ist. Dies bezeichnet das übergreifende Schlagwort der Interoperabilität. Hier läßt sich mit wenig Aufwand sehr viel an Gemeinsamkeit erreichen. Ich halte diese Forderung für eine Minimalforderung, die in diesem Bündnis realistisch ist.Es wird für die Parlamentarier und die verantwortlichen Verteidigungsminister aller NATO-Staaten die Aufgabe der Zukunft sein, alle Kraft auf die Erreichung dieses Minimalziels zu verwenden. Diese Frage stellt sich aktuell bei dem wichtigsten Heereswaffensystem, dem Kampfpanzer der nächsten Jahrzehnte. Verteidigungsminister Leber erreichte in seinen Verhandlungen mit dem ehemaligen US-Verteidigungsminister Rumsfeld ein Abkommen, das diesem Gedanken voll Rechnung trug. Soweit man jetzt lesen kann, ist er bei seinen Zugeständnissen gegenüber Amerika und England bis an die äußerste Grenze des Vertretbaren gegangen, um Gemeinsamkeit zu erreichen. Nun aber zeichnet sich durch amerikanische und englische Entscheidungen ab, daß noch nicht einmal in der Frage der Panzerbewaffnung ein gemeinsamer Nenner erreicht werden kann.Dies bedeutet nach meiner Auffassung einen Rückschritt in die 50er Jahre. Die Konsequenzen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977 621
Neumannaus dieser Tatsache sind für den Panzer selbst, aber auch für andere gemeinsame Vorhaben noch nicht abzusehen. Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, um die Verantwortlichen in den Vereinigten Staaten mit der Bitte zu konfrontieren, dies bei ihrer Entscheidung über die Kanone ihres Kampfpanzers im Dezember dieses Jahres zu bedenken.Dann gibt es eine weitere Empfehlung, die von der Verstärkung des Bündnisses spricht. Die Empfehlung hebt die Bedeutung der präsenten konventionellen Streitkräfte, der ausreichenden und zeitgerechten Heranführung von Verstärkungskräften sowie die Nutzung aller verfügbaren Hilfsmittel hervor. Diese Empfehlung entspricht grundsätzlich den Auffassungen der Bundesregierung, dies nicht zuletzt deshalb, weil die präsenten konventionellen Streitkräfte von entscheidender Bedeutung gerade für die Bundesrepublik Deutschland auf Grund ihrer besonderen geographischen Lage sind, weil sie die Voraussetzung für eine effektive Vorne-Verteidigung sind.Alle diese Empfehlungen stehen letztlich unter dem Thema Kräftevergleich. Herr Damm hat das Thema hier sehr breit behandelt. Die Frage des Kräftevergleichs wird diskutiert, seit Verteidigungsdebatten in diesem Hause stattfinden. Es ist außerordentlich schwierig, das Kräfteverhältnis zwischen NATO und Warschauer Pakt genau zu beschreiben. Der Beitrag von Herrn Damm hat das offenkundig gemacht. Dabei spielen Personalstärken, Waffensysteme, Reserven und vieles andere mehr eine wichtige Rolle. Da gibt es Bereiche mit einem zahlenmäßigen Übergewicht des Warschauer Paktes, da gibt es qualitative Vorteile bei den Streitkräften der NATO. Dies wird sicherlich ein Punkt sein müssen, Herr Damm, über den wir in der Debatte über unsere Große Anfrage zu sprechen haben werden. Je nach Interessenlage wird hierüber in Schwarzweißmalerei draußen und zum Teil auch hier in diesem Hause geredet. Will jemand in einem Land des Paktes A mehr Haushaltsmittel für die Verteidigung, so wird er die andere Seite, den Pakt B, stärker darstellen, als dieser in Wahrheit vielleicht ist, und umgekehrt. Herr Damm hat vorhin zwei Namen genannt. Diese beiden Namen sind für mich genau der Beweis für diese letzten Worte von mir. In den Vereinigten Staaten scheint mir das kürzlich durchaus so gewesen zu sein, um mehr Mittel für den Haushaltsplan zu bekommen.Ich würde es für gut halten, wenn sich dieses Haus nicht an solche Schwarzweißmalerei anhängt, wenn ich auch genau weiß, daß jede Bewertung stets subjektiv sein wird. Solange wir meinen, daß die Länder des Bündnisses bedroht sind, werden wir Sozialdemokraten dieses Bündnis zu erhalten haben, werden wir ihm die Mittel zur Verfügung stellen, damit es seine Aufgaben erfüllen kann. Daß wir dabei nicht die Rolle anderer Partner in diesem Bündnis mitzuspielen haben, müßten wir deutlich machen. Herr Damm tut so, als könnten wir die Rolle der Holländer, der Belgier und sonstiger Bündnispartner mitübernehmen.Wir Sozialdemokraten glauben, daß wir, seitdem wir Verantwortung auf der Hardthöhe tragen, diesePolitik dort so und nicht anders gemacht haben, daß das Bündnis unseren Beitrag erhalten hat. Daß dies von anderen in diesem Bündnis auch so gesehen wird, hat in dieser Woche gerade ein wichtiger Mann des Bündnisses verdeutlicht. NATO-Generalsekretär Luns hat vorgestern in einem Fernsehinterview dazu Stellung genommen, und in Zeitungsinterviews konnte man darüber einiges lesen. Sie wissen, in der letzten Zeit spielte in der öffentlichen Diskussion wieder einmal die Studie des belgischen Generals Close eine Rolle. Luns wurde im Fernsehen gefragt, ob er auch wie Close glaube, daß die Sowjets innerhalb von 48 Stunden am Rhein stehen könnten. Luns glaubt das auch, allerdings nur in einem Fall. Er sagte in diesem Interview:Wenn die Russen plötzlich ohne Vorwarnung mit 40 Divisionen zum Angriff übergehen, und das ist ein Kasus, der recht unglaubwürdig ist; denn die Russen und der Warschauer Pakt müssen sich vorbereiten, militärisch. Wir sollen eine Vorwarnzeit haben.Und auf die Frage, ob er, Luns, es für wahrscheinlich, für eine Denkmöglichkeit halte, daß die Sowjetunion aggressive Absichten habe, antwortete der Generalsekretär der NATO:Nein, nein. Wenn Sie mich das so fragen, dann sage ich nein. Ich verneine, daß die Sowjetunion die Intention hat, Westeuropa anzugreifen, aber sie haben die Kapazität.Weiter gibt er den Deutschen das Lob: „Deutschland ist besser verteidigt als vor fünf Jahren." Aber auch Frankreich wird positiv beurteilt und das widerspricht ein bißchen den Äußerungen, die der Kollege Damm hier von sich gegeben hat. Luns sagt: „Nehmen Sie Frankreich, 20 % über dem gewöhnlichen Haushalt." Für die Vereinigten Staaten findet Luns den Satz: „Amerika, nie hat es ein so hohes Budget für die Verteidigung gegeben als jetzt." Herr Damms pauschale Kritik am Bündnis ist, wie ich meine, falsch.Soweit einige Zitate aus dem Fernsehinterview mit Herrn Luns. Dem „Expreß" gab er auf die Frage: „Welche Note geben Sie der deutschen Armee, wenn Sie Ihre Kampfkraft mit anderen NATO-Partnern vergleichen?" die Antwort: „Eine sehr hohe Note. Ich wünschte mir, daß auch die anderen Länder ihre Pflichten gegenüber der NATO so erfüllen würden."Was die Beurteilung der Bundeswehr und was die Anstrengungen der Bundesrepublik anbelangt, will ich keine Ergänzung zu den Äußerungen des NATO-Generalsekretärs machen. Es muß aber wohl einmal deutlich gemacht werden, daß diese Beurteilung nur deshalb zutreffend ist, weil die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen von SPD und FDP hinter dieser Politik gestanden haben und hinter ihr stehen. Ich meine, dies sollte auch die Opposition zur Kenntnis nehmen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, müssen nun endlich einmal auf die Frage Antwort geben, was Sie in Sachen Verteidigungspolitik wollen. Was den Zustand der Bundeswehr betrifft, gibt es wohl niemanden, der behaupten kann, daß hier nicht Optimales erreicht worden ist. Wenn Sie bemängeln, daß wir zu-
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622 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
Neumannwenig Geld für die Verteidigung bereitstellen, wie es Herr Damm eben getan hat, dann darf ich Sie daran erinnern, daß Sie durch Ihr Nein z. B. zur Mehrwertsteuererhöhung in hohem Maße dazu beigetragen haben, daß für Verteidigungszwecke nicht mehr bereitgestellt werden kann. Sagen Sie uns also — die Zwischenfragen meines Kollegen Blank haben das sehr deutlich gemacht — bei Ihren nächsten Forderungen nach mehr Finanzen für die Verteidigung auch, woher, sagen Sie unter Umständen auch ja zur Mehrwertsteuererhöhung, denn sonst sind Ihre Forderungen nichts anderes als scheinheilig.
Herr Abgeordneter Neumann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber ja, sicherlich.
Herr Althammer, bitte.
Herr Kollege, darf ich aus Ihrer Feststellung entnehmen, daß Sie im Falle einer Mehrwertsteuererhöhung eine Milliarde D-Mark oder mehr aus dieser Erhöhung zur Erhöhung des Verteidigungsetats verwenden würden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, aber es ist doch ganz selbstverständlich, Herr Althammer, wenn mehr Mittel zur Verfügung stehen, werden diese Regierung und dieses Parlament auch mehr Mittel haben, um — —
: Für die Verteidigung?)
— Nicht nur, aber wir haben dann andere Mittel frei, Herr Dr. Zimmermann. Das wissen Sie doch genausogut wie ich.
Herr Kollege Neumann, haben Sie die Möglichkeit, auch noch Herrn Blank zu antworten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber ja, natürlich.
Herr Kollege, sind Sie bereit, Herrn Althammer mitzuteilen, daß die mittelfristige Finanzplanung bereits auf der Mehrwertsteuererhöhung beruht und daß insofern die entsprechenden Erhöhungen genau aus diesen Beträgen zu zahlen sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, Herr Dr. Althammer hat das gehört und zur Kenntnis genommen. Schönen Dank!
Was den Rahmen der NATO betrifft, meine Damen und Herren, und die Leistungen ihrer einzelnen Bündnispartner, darf wohl festgestellt werden, daß wir in der Bundesrepublik nicht allein beschließen können, was andere zu leisten haben. Der Beitrag von Herrn Damm hat so ausgesehen, als ob wir das könnten.
Meine Damen und Herren, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion hat heute in „Expreß" eine Große Anfrage zur Verteidigungspolitik angekündigt. Mein Kollege Mattick hat das eingangs auch getan. Ich will es noch einmal in Erinnerung rufen. Wir Sozialdemokraten freuen uns heute schon darauf, hier über den heutigen Rahmen hinaus eine umfassende Sicherheits- und Verteidigungsdebatte zu führen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Handlos.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Beim Lesen des Berichts über die Nordatlantische Versammlung mußte ich an zwei Schlagworte der SPD denken, die noch vor einiger Zeit gebraucht wurden; Schlagwort Nr. 1 „Der Friede ist sicherer geworden", Schlagwort Nr. 2 „Wandel durch Annäherung".Wir hatten einmal vor Ausbruch des 2. Weltkriegs einen englischen Politiker namens Chamberlain, der nach Unterzeichnung des Münchner Abkommens nach England zurückkehrte und verkündete: Wir haben den Frieden gerettet! — Wie das ausgegangen ist, meine Damen und Herren, das wissen wir. Er sagte das damals aus voller Überzeugung, obwohl unsere Vätergeneration das Buch von Hitler „Mein Kampf" lesen konnte. Jeder hat es gelesen, keiner hat es geglaubt. Damals sind Demokraten Diktatoren auf den Leim gegangen, und wir sollten aufpassen, meine Damen und Herren, daß uns das gleiche nicht wiederum passiert.
Nach wie vor sprechen die Ostblockstaaten von der Koexistenz nach außen, betonen aber die Notwendigkeit gerechter Kriege. Wir haben das am Stellvertreterkrieg in Angola demonstriert bekommen, was das heißt. Was gerecht ist, bestimmen die UdSSR und die Ostblockstaaten. Wie sagte doch der DDR-Verteidigungsminister General Heinz Hoffmann im Juli 1976 bei einem Vortrag vor der SED-Parteihochschule „Karl Marx" — ich darf wörtlich zitieren, was er vor einem Jahr sagte —:Die in zähem Kräfteringen der Nachkriegsjahre hart erkämpfte militärische Überlegenheit der Sowjetunion und ihrer Verbündeten über die imperialistischen Hauptmächte war es, die den Frieden sicherer, die antiimperialistischen Kräfte selbstbewußter gemacht und den weltrevolutionären Prozeß vorangebracht hat.Das sagte General Hoffmann, der an anderer Stelle ebenfalls wörtlich erklärte:Wir Kommunisten wissen, wie Rosa Luxemburg so treffend formulierte, daß hier auf Erden, auf der wir stehen, ein solcher Zustand des ewigen Friedens, wie ihn die größten deutschen Klassiker und Philosophen, wie z. B. Kant, voraussagten, nicht möglich ist, bis der Kapitalismus mit Stumpf und Stiel ausgerottet ist.Das war letztes Jahr Doktrin, und das bleibt Doktrin der DDR und der UdSSR.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977 623
HandlosAuch heute scheinen manche Demokraten, wie ich vorhin schon sagte, wieder Diktatoren auf den Leim zu gehen, wenn sie meinen, der Friede sei sicherer geworden. Ich darf nur noch einmal ganz kurz zusammenfassen. Was steht denn in Mitteleuropa, meine Damen und Herren: 27 Divisionen des Westens gegenüber 68 Divisionen im Osten. Zugegeben: die Divisionen im Westen sind personell stärker als die im Osten. Aber wozu braucht denn die Sowjetunion in der ersten Linie 7 Luftlandedivisionen? Sind die zur Verteidigung da oder zum Angriff? Diese Frage möchte ich hier stellen.6 000 Panzer stehen im Westen, 22 500 im Osten; 1 700 Flugzeuge im Westen, 2 700 Flugzeuge im Osten. Das ist der Bereich des Mittelabschnitts. In weniger als 24 Stunden, Herr Minister, sind 33 Divisionen der ersten Linie des Warschauer Pakts einsatzbereit, innerhalb von 48 Stunden weitere 22, innerhalb von 72 Stunden weitere 13. Das sollte man nicht vergessen, wenn man andererseits bedenkt, was wir im Rahmen einer Mobilisierungsphase auf die Beine stellen können: es sind ein paar Divisionen im Laufe von einigen Wochen.Von den Mittelstreckenraketen möchte ich gar nicht erst sprechen.
Die gestrige geheime Unterrichtung im Verteidigungsausschuß, meine lieben Kollegen, hat, so glaube ich, eine mehr als deutliche Sprache gesprochen. Es ist leider Gottes nicht möglich, darüber zu reden, weil das Ganze unter „geheim" läuft.
Die militärische Debatte der Nordatlantischen Versammlung hatte besonders die Probleme zum Gegenstand, die sich aus der sowjetischen Bedrohung auf den Meeren und der Schwäche der NATO-Institutionen ergeben. Ferner ging es um Probleme der Zusammenarbeit, der Standardisierung der Waffen, der Rationalisierung der Verteidigungsmittel, um Führungssysteme und um das Heranführen von Verstärkungen nach Europa.Ich darf in diesem Zusammenhang ganz kurz etwas zu den vertrauensbildenden Maßnahmen im Rahmen der KSZE sagen. Damals wurde — allerdings auf freiwilliger Basis — erklärt, in Zukunft sollten Manöver angekündigt und gegenseitig Beobachter eingeladen werden. Wir im Westen haben neun Manöver angekündigt, zu den meisten haben wir Beobachter eingeladen; die Sowjetunion hat genau drei Manöver angekündigt, obwohl es wesentlich mehr waren, allerdings unter der Schwelle von 25 000, und dann hat man sie zusammengefaßt. Eingeladen wurden lediglich im Bereich das Transkaukasus Griechenland und die Türkei. Im Bereich des Leningrader Militärbezirks wurde nur Norwegen eingeladen und bei „Schild 76" nur Dänemark. Alle unsere Einladungen wurden nicht beantwortet, man hat niemanden geschickt.Ganz kurz einige Worte zu der Rüstungs- und Stützpunktausweitung der UdSSR in allen Teilen der Welt. Halten Sie sich nur die exorbitante sowjetische Rüstungs- und Stützpunktausweitung im Nordatlantik, in der Ostsee, im Mittelmeer und im Indischen Ozean vor Augen, alles Gebiete, von denen unsere Rohstoffversorgung teilweise existentiell abhängt! Darüber wird bei uns nur nicht geredet. Die Fakten werden der Öffentlichkeit gegenüber sogar verharmlost, verschleiert und unterdrückt, um ja nicht die Entspannungsatmosphäre zu stören. Wenn wir es dann einmal wagen, in der Öffentlichkeit darüber zu sprechen, heißt es gleich: Schaut einmal diese kalten Krieger an! — Meine Damen und Herren, der kalte Krieg braucht nicht neu angeheizt zu werden, und zwar deshalb nicht, weil die Kommunisten nicht einen Tag aufgehört haben, den kalten Krieg zu führen. Das muß hier herausgestellt werden.
Nur wagt es die sozialliberale Koalition zum Teil nicht, im Detail auf diese Sachen einzugehen.
Ich komme ganz kurz auf unsere Nordflanke, zur Halbinsel Kola. Dort sind 70 % des maritimen Nuklearpotentials der Sowjetunion stationiert mit über 100 000 Mann der Nordmeerflotte, der weitaus stärksten aller vier sowjetischen Teilflotten, mit 225 Aufklärungsflugzeugen, 300 Jagdbombern, 40 Flugplätzen, 3 Heeresdivisionen. Und was steht dem bei uns gegenüber? Eine norwegische Brigade, 500 km von der Grenze zurückgezogen, mit 5 000 Mann. Das hat man an der Nordflanke aufzubieten, mehr nicht.Als die Engländer im letzten Jahr 5 000 Mann zu Übungen nach Nordnorwegen schickten, hieß es in der „Krasnaja Swesta", das sei eine Verletzung des Verzichts auf fremde Truppenstationierung und würde damit gegen die KSZE-Erklärungen verstoßen. Weshalb werden bei uns eigentlich nicht die zahlreichen Drohgesten und militärischen Pressionen der Sowjets im nördlichen Bereich einmal klipp und klar angesprochen? Der norwegische Verteidigungsminister beschwerte sich im Januar letzten Jahres über eine bedeutende Anzahl von Verletzungen norwegischer Hoheitsgewässer durch sowjetische U-Boote, die sich unter anderem darin widerspiegelten, daß die Norweger über 20 sowjetische Sender entdeckten, die in Fjorden versenkt worden waren, eine Tatsache, die man bei uns gar nicht zur Kenntnis genommen hat, genausowenig wie die Tatsache — —
— Das hat mit Nordlichtern gar nichts zu tun, Herr Kollege Wehner; das gehört in das gleiche Konzept der Erpressungs- und Einschüchterungspolitik — vielleicht hören Sie es nicht sehr gern, aber ich sage es hier —,
wie sie der Warschauer Pakt in der Ostsee und der südlichen Nordsee praktiziert. Dänemark verzeichnete in den letzten Jahren 110 Beinahe-Verletzungen seines Luftraums, mit denen die Sowjets den militärischen Anflug erprobten, um das Vorwarnsystem zu testen. Auch das ist hier nicht bekannt
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Handlosund soll einmal gesagt werden, auch wenn es manchen hier nicht passen mag.Ganz kurz zur Südflanke.
Die sowjetische Flotte im Mittelmeer wächst permanent. Sie ist in der Zwischenzeit auf 78 Einheiten angestiegen, ohne die U-Boot-Waffe. Die 6. amerikanische Flotte kann hier praktisch kaum noch standhalten, allein vom kräftemäßigen Vergleich her.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Geßner?
Ja.
Herr Kollege Handlos, könnten Sie mir zustimmen, daß die Gefahr, daß die Sowjetunion in Bayern einmarschiert, nicht so groß ist wie die Gefahr, die durch einen eventuellen Schritt der CDU entstehen wird?
Ich kann das, lieber Herr Kollege, nur als humoristischen Beitrag werten, darf Ihnen dazu aber folgendes sagen: wenn, dann sind wir beide gleichmäßig gefährdet.Im übrigen dürfte folgendes der Fall sein, wenn Sie die militärstrategische Konzeption betrachten — ich komme jetzt wieder zum ernsthaften Teil —: Bei MBFR weigert sich die Sowjetunion nach wie vor, Ungarn in die Reduktionszone zu nehmen. Warum denn? — Doch vielleicht nur aus dem einen Grund, weil man im Hinblick auf Österreich, die Schweiz und den süddeutschen Raum manches vorhat, wovon man in der Öffentlichkeit nicht sprechen will. Das sind doch die Hintergründe.
Die gleiche Bedrohung besteht für die nahöstliche Region, ebenso für Afrika, wo nach wie vor 12 000 kubanische Soldaten und 3 000 sowjetische Militärberater vorhanden sind und wo die DDR ebenfalls ihren sogenannten Beitrag leistet — alles womöglich einmal dafür, daß die Rohstoffversorgung abgeschnitten wird.Eine nüchterne Aufzählung der Fakten belegt die existentielle Bedrohung, der der europäische Westen hier durch die sowjetische Politik ausgesetzt ist. Ich darf an die Freundschafts-, Beistands- und Zusammenarbeitspakte der Sowjetunion mit Somalia, Moçambique, Angola, Gabun, Guinea, Kongo und Kenia erinnern, Verträge, die — das soll einmal gesagt werden — meist mit dem Recht der Errichtung von Marine-, Luftwaffen- und Raketenbasen verbunden sind. Damit entsteht eine existentielle Bedrohung der Schiffsrouten, über die Europa zu 80 % mit Öl und zu 25 % mit Nahrungsmitteln versorgt wird.Das bestätigte der bisherige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Admiral Hill-Norton, mit der Feststellung, daß die Kap-Route durch die sowjetische Präsenz nunmehr gefährdet sei.Alle diese Fakten müssen in eine Debatte, die sich mit unserer Sicherheit befaßt, einbezogen werden. Sonst behält die Warschauer Zeitung Tribuna Ludu recht, die siegesgewiß am 16. Juli 1976 erklärte: Wir ändern jetzt die Natur des politischen Denkens in Europa.Für Moskau war die KSZE laut Radio Moskau nur das Vorspiel zu einem neuen Kapitel der europäischen Geschichte mit dem Ziel, dem sogenannten aggressiven Imperialismus, also dem westlichen Bündnis, die Bewegungsfreiheit abzuschnüren. Schon jetzt, so hieß es in Radio Moskau, habe die Entspannungspolitik die NATO geschwächt, und um diesen Kurs beizubehalten, müsse alles getan werden, um das Ergebnis der Entspannungspolitik un-umkehrbar zu machen.Das war eine Skizze des Spektrums der Bedrohung durch die Sowjetunion und der Unzulänglichkeiten der NATO zur Abwehr der Bedrohung. Sie geht über die offiziellen Feststellungen in den entsprechenden Verlautbarungen der NATO hinaus, ist jedoch weit davon entfernt, den gesamten Umfang der Lage anzudeuten, in der sich die NATO und damit die Bundesrepublik Deutschland befinden.Ich möchte nun zu ein paar weiteren Punkten in diesem Zusammenhang kommen.
— Sie müssen es sich anhören!
Einmal geht es um das Kommuniqué der Ministertagung des Verteidigungsplanungsausschusses vom Dezember 1976. Dieses Kommuniqué bestätigt das unablässige Anwachsen — ich wiederhole es — der Stärke der Streitkräfte des Warschauer Paktes. Es stellt fest, daß der Schwerpunkt der WP-Streitkräfte auf die Fähigkeit zu offensiver Kampfführung gelegt wird und daß der Warschauer Pakt in der Lage ist, mit geringen Vorbereitungen ausgedehnte offensive Operationen durchzuführen.Auf den Bericht der US-Senatoren Nunn und Bartlett ist mein Kollege Damm in diesem Zusammenhang bereits eingegangen. Daher kann ich mir ersparen, mich damit zu befassen.Ich möchte nur folgendes betonen: Während der US-Generalstabschef Brown feststellt, daß die sowjetischen Langstreckenraketen den amerikanischen überlegen sind, kommt der ehemalige US-Verteidigungsminister Rumsfeld zu der Beurteilung, daß die sowjetischen Land- und Luftstreitkräfte zum ersten Mal in der Lage sind, in Europa möglicherweise einen Blitzkrieg zu führen; der Warschauer Pakt sei in der Lage, ohne Vorwarnung mit rund 500 000 Mann anzugreifen.Dazu darf ich Sie daran erinnern, daß vor kurzem Truppenverschiebungen größten Ausmaßes mit Aeroflot in die DDR stattgefunden haben, und zwar ohne daß die sowjetische Transportkapazität bei den Luftstreitkräften überhaupt in Anspruch genommen
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Handloswerden mußte. Das gibt doch zu denken, ebenso die Tatsache, daß vor kurzem 800 sowjetische Kampfpanzer des Typs T 72 erneut in die DDR verlegt worden sind, ohne daß auch nur ein anderer Panzer dafür abgezogen wurde.In diesem Zusammenhang möchte ich, weil wir von Gesamtverteidigung sprechen und weil Gesamtverteidigung zivile Verteidigung und militärische Verteidigung umfaßt, auf folgendes aufmerksam machen. NATO-Generalsekretär Luns stellt zum Abschluß der Beratungen der nuklearen Planungsgruppe im November 1976 fest, daß die Sowjetunion durch den Stand ihrer zivilen Verteidigung in der Lage sei, den Auswirkungen eines Atomkriegs zu trotzen, und deswegen möglicherweise weniger Bedenken habe, einen Atomkrieg auszulösen.Erinnern Sie sich auch an den Gouré-Bericht, der folgendes feststellt: Im Augenblick werden riesige Getreidelager in der Sowjetunion angelegt; seit Jahren findet eine Dislozierung der Industrie statt; Schutzbauten werden errichtet; und das alles, meine Damen und Herren, doch nicht deshalb, weil die böse NATO hier vielleicht anzugreifen gedenkt!Und wenn ich einmal dagegenstellen darf: Was ist denn hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Sektor der zivilen Verteidigung los? Was ist denn los, meine Damen und Herren? Die Abschaffung der nationalen Nahrungsmittelreserve durch diese Bundesregierung, so daß praktisch niemand weiß, wie gegebenenfalls die Bevölkerung verpflegt werden soll. Das ist Punkt 1.
Punkt 2: Auflösung der Selbstschutzzüge; Punkt 3: Einstellung des Schutzraumbaus.
Sie gestatten eine Zwischenfrage? — Bitte schön, Herr Blank.
Herr Kollege Handlos, sind Sie, nachdem ihr Vorredner nicht bereit war, konstruktive Vorschläge zur Ausweitung des Verteidigungshaushalts vorzutragen, bereit, entsprechende Vorschläge für die Zivilverteidigung vorzubringen, oder verhalten Sie sich da genauso bedeckt?
Lieber Kollege, wenn Sie bitte noch sechs Sätze warten, bekommen Sie das, was ich meine.
Sie sollten etwas zurückhaltender sein; Sie erfahren noch alles.
Ich darf es wiederholen: Bei uns in der Bundesrepublik Deutschland ist effektiv nichts vorhanden, meine Damen und Herren. Wenn Sie das Gegenteil beweisen können, gehen Sie doch einmal hier herauf! Sie können es nicht; das ist eine Tatsache.
57 Millionen DM, das hat bisher noch jede Bundesregierung für die nationale Nahrungsmittelreserve für unsere Bevölkerung zur Verfügung gestellt, und es ist ein Skandal, daß niemand weiß, wie es im Zweifelsfall in den nächsten 14 Tagen weitergehen soll. Das möchte ich hier herausstellen.
Der U-Bahn-Bau hier in Bonn ist eines der letzten Projekte, die die Bundesregierung im Rahmen des Atomschutzbaus finanziert. Ich darf Sie, lieber Herr Kollege, an dieser Stelle gleich fragen: Warum trifft diese Bundesregierung, wenn sie ein Investitionsprogramm auflegt, nicht gleich zwei Fliegen mit einem Schlag? Warum ergreift sie nicht einerseits Maßnahmen, um die Bauindustrie zu stärken — was sie ja vorhat —, und betreibt zugleich andererseits den Schutzraumbau, damit wir auf diesem Sektor endlich ein Stückchen vorankommen? Das wäre doch in diesem Bereich z. B. eine Möglichkeit.
Ich sage immer, meine Damen und Herren — und das muß hier einmal ganz neutral betrachtet werden—: Was nützt, sehr geehrter Herr Minister, die beste Bundeswehr, wenn sie zum Schluß nur Friedhöfe verteidigt, weil bei der Gesamtverteidigung, bei der zivilen Verteidigung einfach nichts da ist? Wir müssen doch hier einmal alle miteinander feststellen: Das und sonst nichts ist der Tatbestand.
— Lieber Herr Kollege Wehner, Sie haben manchmal schon durch bessere Bemerkungen geglänzt; heute sind Sie nicht besonders in Form.
Ich muß Ihnen sagen, Sie waren schon einmal besser.In dem Bericht des Streitkräfteausschusses des US-Senats heißt es, daß die Eile, mit der die Verlagerung von Waffen nach dem Westen betrieben wird, vermuten läßt, daß die Führung in Moskau einen Zeitpunkt bestimmt hat, zu dem eine entscheidende konventionelle Überlegenheit der Streitkräfte des Warschauer Paktes gegenüber der NATO in Europa erreicht werden soll, und der US-Generalstabschef Brown meint, daß die Sowjets Anfang der 80er Jahre versuchen könnten, die Stärke der UdSSR zu testen.Ich möchte nunmehr nicht erneut auf die Äußerungen eingehen, die mein Kollege Damm schon im Hinblick auf Minister Leber und die Bundesregierung von sich gegeben hat, daß nämlich z. B. Bundeskanzler Schmidt sagt, man dürfe die Sowjetunion nicht dauernd reizen, oder daß der Minister Leber sagt, die Stärke der Sowjetunion sei zwar bekannt, aber es sei alles in bester Ordnung, Vorsorge sei getroffen, die Vorwarnzeit sei in Ordnung usw. usf.Mit doppelten Karten wird offensichtlich auch gegenüber der NATO gespielt, Herr Minister. Oder wie ist es sonst zu verstehen, daß im Kommuniqué der Ministertagung des Verteidigungsplanungsaus-
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Handlosschusses vom Dezember letzten Jahres im Zusammenhang mit stattfindenden oder geplanten Streitkräfteverbesserungen die Umstrukturierung der Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland genannt wird? Wir fragen Sie, Herr Minister, was unter dieser Globalformulierung zu verstehen ist. Sollte der Bericht in der „Bild am Sonntag" vom 16. Januar 1977 von den Geheimplänen für den größten Umbruch in der Geschichte der Bundeswehr doch stimmen, wonach in Kürze mit dem Entstehen einer vierten Teilstreitkraft zu rechnen ist? Es wäre interessant, das hier einmal zu erfahren.Wir haben, Herr Minister — ich sage das, auch wenn Sie im Augenblick nicht in der Lage sind, zuzuhören —, selbstverständlich die Wehrstrukturreform — soweit sie überhaupt durchgezogen ist — mit Ihnen durchgezogen. Wir haben uns allen Maßnahmen angeschlossen, die wir als vernünftig betrachtet haben: Neuordnung der Truppenstruktur, Einführung der Verfügungsbereitschaft usw.Wir haben, Herr Minister — auch das muß ich sagen —, sämtlichen Beschaffungsvorhaben der letzten Legislaturperiode für die drei Teilstreitkräfte zugestimmt. Das muß hier einmal klipp und klar herausgestellt werden. Wir möchten allerdings in einigen Wochen von Ihnen wissen — nicht heute, sondern in einigen Wochen —, ob Sie auch heute noch zu all diesen Beschaffungsvorhaben stehen und, wenn ja, wie Sie dann AWACS finanzieren wollen. Das möchten wir an dieser Stelle gerne wissen.Wir möchten von Ihnen auch wissen — damit komme ich zu konkreten Einsparungsmöglichkeiten bei der Bundeswehr, ohne die Schlagkraft der Teilstreitkräfte zu gefährden —: Was ist mit den sogenannten bundeswehrgemeinsamen Aufgaben? Die wurden vor Jahren groß angekündigt. Ein Ergebnis haben wir bisher nicht. In diesem Zusammenhang, glaube ich, wäre es auch nicht schlecht, einmal die angewandte Wertanalytik im Rüstungsbereich grundsätzlich einzuführen.Ich habe gesagt, Herr Minister, wir unterstützen Sie bei allen Maßnahmen. Aber wir unterstützen Sie bei einer Sache nicht, und das ist die Parteipolitisierung der Streitkräfte.
Dagegen sind wir. Ich darf Ihnen hier das neueste Beispiel vom gestrigen Tage nennen. Ich weiß genau, wir diskutieren hier über die Nordatlantische Versammlung. Aber der „Münchner Merkur" schreibt gestern in einem Vierspalter: „Die erstaunliche Karriere des Oberst Edgar Münx — Umstrittener Offizier an der Bundeswehr-Hochschule befördert — Neuer Arger für den Verteidigungsminister". Ich möchte hierauf nicht im Detail eingehen, darf aber stichwortartig folgendes bemerken. Der Vorgänger von Herrn Oberst Münx, Oberstleutnant Eberhard Schmidt, ein kochqualifizierter Offizier, Herr Minister, mußte gehen, damit Münx zum Zuge kam. Schmidt zog seine Uniform aus wegen dieser ungerechten Behandlung im Bundesverteidigungsministerium. Bei dem folgenden Verwaltungsgerichtsprozeß — —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie mir bitte folgendes.
— Verzeihen Sie! — Bitte, maßregeln Sie nicht den Präsidenten, ja!
Es war bei der Schnelligkeit der Sprache gar nicht so einfach, Ihnen zuzuhören; ich bitte um Entschuldigung. Aber daß dies nicht mehr mit dem Tagesordnungspunkt zusammenhängt, glaube ich, werden Sie mir doch auch zugeben.
Weiß ich, Frau Präsidentin! Ich wollte dazu auch nur drei oder vier Sätze sagen, nachdem sich ja damals der Minister auch das Recht herausgenommen hat, bei der Regierungserklärung plötzlich eine Erklärung wegen der Generalsfrage abzugeben. Deswegen, dachte ich, könnte ich hier auch fünf Sätze damit anbringen.
Ich bitte um die Genehmigung, nur noch drei oder vier Sätze sagen zu dürfen. Dann bin ich sofort mit diesem Thema zu Ende.
— Herr Kollege Pawelczyk, vielleicht melden Sie sich dann hinterher. Ich stehe gern zur Verfügung.
— Jedenfalls hat das Ministerium diesen Prozeß gegen den Oberstleutnant Schmidt, der seine Uniform auszog, verloren und mußte auch noch sämtliche Kosten des Verfahrens tragen. Selbst der damalige General Schnell, der heutige Rüstungsstaatssekretär, mußte nach München kommen, um praktisch hier Ordnung zu schaffen. Er hat Herrn Münx eine Mißbilligung ausgesprochen wegen seines Verhaltens. Trotzdem wird dieser Offizier nach der kürzestmöglichen Dienstzeit zum Oberst befördert, am 1. Februar dieses Jahres. Das ist ein parteipolitischer Skandal, meine Damen und Herren.
Lassen Sie mich nun wieder zur Nordatlantischen Versammlung zurückkehren.
Herr Kollege Pawelczyk, Sie haben nun das Wort.
Herr Kollege, vielleicht darf ich Ihnen zunächst ein Kompliment machen. Sie schreien schon eine halbe Stunde, ohne daß Sie offenbar Schaden an Ihrer Stimme nehmen.
Herr Kollege, bitte, keine Bewertungen!
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Meine Frage ist folgende. Herr Kollege Damm hat vorhin angekündigt, daß die Opposition heute einen Beitrag zur Strategiediskussion, zur international laufenden Strategiediskussion liefern will. Meine Frage ist, ob noch mehr Redner Ihrer Fraktion zur Verteidigungspolitik sprechen und ob wir dann noch auf die Strategiedebatte zu warten haben, oder ob Ihr Beitrag und der Ihres Kollegen Damm die Strategiedebatte ausmachen.
Lieber Herr Kollege Pawelczyk, ich darf Ihnen dazu folgendes sagen. Natürlich ist ihnen die Angelegenheit Münx peinlich. Sie werden in der nächsten Zeit noch mit mehr Angelegenheiten in der Hinsicht konfrontiert. Wenn Sie jetzt davon ablenken wollen, dann können Sie das versuchen. Das geht bei uns nicht. Ich darf mich weiter dem Thema zuwenden, nämlich der Nordatlantischen Versammlung.
Welches ist die Therapie
— anschließend bitte! — nach dieser düsteren, Diagnose? Lassen Sie mich dabei einiges vorausschicken.
— Das können Sie, wir bleiben in Deutschland. Sie können auswandern, Herr Pawelczyk, aber ich tue das nicht. Ich bleibe hier und bin dabei, diesen Staat mit anderen zu verteidigen. Wir wandern nicht aus.
Welches ist die Therapie nach dieser düsteren Diagnose? Lassen Sie mich dabei folgendes vorausschicken. Freiheit ist auf Dauer nicht unterdrückbar. Das dürfen wir nicht vergessen. Das hat die Geschichte bewiesen, und das ist eine große Hoffnung. Freiheit war, das zeigt die Geschichte der Völker, immer noch stärker als Unfreiheit. Das ist die Ausgangslage. Das müssen zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch die UdSSR und die übrigen Ostblockstaaten mit ihren Dissidentenbewegungen erkennen. Freiheit — ich wiederhole es — hat immer noch über Unfreiheit gesiegt. Deshalb sind all unsere Verteidigungsanstrengungen nicht sinnlos.
Was können wir national tun? Herr Minister, zu unserem Entschließungsantrag hat der Kollege Damm einiges gesagt. Ich darf folgendes ergänzen. Warum machen wir uns nicht an eine verbesserte Reservistenkonzeption? Die Reservisten draußen stehen zur Verfügung. Sie sind wehrwillig. Nur, es geht auf diesem Sektor nicht voran. Die Reservisten müssen gefordert werden. Dann sind sie da.
Zweitens. Eine Entschlackung der Stäbe im Bereich der Bundeswehr auf allen Ebenen täte nur gut und würde niemandem schaden. Die Bürokratie würde sich dadurch vermindern.
Drittens. Durchführung der längst versprochenen bundeswehrgemeinsamen Aufgaben, ohne 'daß die drei Teilstreitkräfte weiter abblocken, wie ich das Gefühl habe.
Im investiven Bereich: zur Kostensenkung Beitrag der Wertanalyse in allen Bereichen.
Im Bereich der zivilen Verteidigung: aus der Sicht der Gesamtverteidigung — ich sage es noch einmal — Aufnahme des Schutzraumbaues in das Investitionsprogramm der Bundesregierung. Überlegen Sie sich das bitte ganz objektiv und neutral, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien! Damit wird — ich sage es noch einmal — nicht nur der Bauindustrie geholfen, sondern auch der Bevölkerung an sich.
Hinzu kommt schließlich die unbedingt notwendige Wiedereinführung der nationalen Nahrungsmittelreserve.
Multinational kommt es nach unserer Auffassung vordringlich darauf an, erstens die konventionellen Verteidigungsanstrengungen in der NATO entscheidend zu verbessern — das ist klar —; zweitens Vorkehrungen zur schnelleren Mobilisierung der NATO-Truppen zu treffen, wozu wir ebenfalls unseren Beitrag leisten können; drittens Verstärkung der Panzerabwehr, der Luftverteidigung und der U-Boot-Bekämpfung; viertens Flexibilität bei den Führungsgrundsätzen und fünftens beim Waffeneinsatz; sechstens die Planungsannahmen für Vorwarnzeiten der tatsächlichen Lage anzupassen — Herr Minister, es stimmt einfach nicht mehr, wie Sie immer wieder behaupten, Sie wüßten mindestens 48 Stunden vorher Bescheid; wir glauben das einfach nicht, wir können es nicht glauben, und gute Worte allein nehmen wir Ihnen zwar gerne ab, aber wir sind der Meinung, daß Sie hier ein bißchen zu optimistisch sind —; siebtens Mängel in der Truppendislozierung zu korrigieren; und achtens technologische Fortschritte bei den Munitions- und Waffensystemen, auch den Laser-gesteuerten Waffen, beschleunigt zu nutzen.
Zum Schluß: Wir haben im Mai 1978 Wahlen zum Europäischen Parlament. Wir hoffen, daß dieses Europäische Parlament der europäischen Zusammenarbeit neue Impulse gibt. Wir in den nationalen Parlamenten sollten uns nicht dagegen stemmen;
denn insgesamt gesehen bin ich der Auffassung, daß der Wahlspruch der NATO stärker denn je gilt, besonders für uns in der Bundesrepublik Deutschland: Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möllemann.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Anlaß und äußerer Bezug der heutigen Debatte sind die Arbeitsergebnisse der Nordatlantischen Versammlung, die im November vorigen Jahres in Williamsburg in den Vereinigten Staaten ihre 22. Jahrestagung hatte. Mindestens in gleichem, wenn nicht in höherem Maße als bei der Debatte über die Generalsaffäre in der vergangenen Woche im Plenum sind damit Grundsatzfragen unserer Sicherheits-, Bündnis- und Verteidigungspolitik auf die Tagesordnung gesetzt; weniger solche, die sich
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Möllemannauf die innere Struktur der Bundeswehr beziehen, als solche, die das gesamte NATO-Bündnis betreffen. Und mit Grundsatzfragen meine ich nicht die hier in einem Kasernenhofton vorgetragenen Polemiken des Abgeordneten Handlos, der glaubte, Bezug nehmend auf einen Oberst, wieder einmal die Debatte von den Sachfragen ablenken zu können, um erneut vermeintliche Skandalfragen aufrühren zu können. Einfach deswegen — ich habe es vorige Woche sagen können, es bleibt auch heute wahr —, weil er inhaltlich, konzeptionell nichts beizutragen hat.
— Also, mit Herrn Handlos über Stil zu debattieren, habe ich mir ohnehin schon abgewöhnt, weil das kaum zum Erfolg führen würde.Es hat auch keinen Sinn, Herr Kollege Handlos, daß Sie hier am Schluß, bedrängt durch Zurufe, wie denn wohl Ihre eigene Konzeption aussehe, nach der düsteren Analyse, die Sie vorgetragen haben, nach dem düsteren Gemälde sagen: All das, was die Bundesregierung ohnehin macht, möchten wir auch machen. Das war im Grunde Ihre Antwort. Wir haben nichts dagegen, daß Sie all das, was wir machen, für richtig halten. Aber dies als eigene Konzeption ausgeben zu wollen heißt doch, bei uns die Naivität zu verlangen, die Sie "bei sich getrost voraussetzen können.Meine ,sehr verehrten Damen und Herren, wir Freien Demokraten begrüßen sehr, daß wir hier Gelegenheit haben, an Hand der Vorlage der deutschen Delegation über Grundsatzfragen der Sicherheitspolitik zu diskutieren. Das verschafft uns die Gelegenheit, Positionen zu verdeutlichen, die etwa in der Debatte über die Erklärung der sozialliberalen Bundesregierung eher am Rande geblieben sind bzw. in der Fülle des Stoffs nur angedeutet werden konnten. Dies um so mehr, als in den Entschließungen und Empfehlungen der Nordatlantischen Versammlung eindrucksvoll unser komplexes Verständnis von Sicherheitspolitik als der Summe aller politischen Aktivitäten in all den Bereichen, in denen Menschen Gewalteinflüssen ausgesetzt sein können, bestätigt und unterstrichen wird, nämlich daß die traditionelle Verteidigungspolitik zwar ein wesentliches, aber eben doch nur e i n Element der Sicherheitspolitik ist. Ein Blick auf die Themen der Entschließungen und Empfehlungen belegt dies. Stichwortartig heißt es dort beispielsweise: Überprüfung der NATO-Institutionen; Übernahme von Regierungsgewalt durch kommunistische Parteien; Spanien; das südliche Afrika; Rationalisierung der Verteidigungsmittel; Verbesserung der Weltwirtschaftsordnung; schließlich: technologische Entwicklung und Arbeitslosigkeit. Dies findet sich dort unter anderem.Ich möchte hier, da uns Herr Kollege Handlos sehr direkt angesprochen hat, einige grundsätzliche Bemerkungen darüber vorausschicken, auf welche Weise wir Liberalen an die Fragen der Sicherheit und der Sicherheitspolitik herangehen.Sie haben hier so beiläufig als Grundlegung unserer Einstellung zur Sicherheitspolitik die Erinnerung an Herrn Chamberlain gebracht. Ich glaube, Sie haben allmählich das Gefühl dafür verloren, wie weit man hier im Parlament mit Vergleichen gehen kann.
Uns wird häufig ein gebrochenes Verhältnis zur Macht nachgesagt. Manchen, die im Umgang mit der Macht selber vielleicht nicht so pingelig sind, mag das hierzulande als Makel erscheinen. Ich darf hierzu den früheren Vorsitzenden meiner Partei und heutigen Bundespräsidenten zitieren. Er sagte:Die Liberalen machen sich in der Tat dieses Makels schuldig. Schlimmer noch: Sie empfinden diesen Makel gar nicht so als Makel. Wir halten vielmehr Machtpolitik für eine Politik, die zivilisatorisch unterentwickelt ist, und halten mehr auf aufgeklärte humane Toleranz, die der Vernunft auf Dauer größeres Durchsetzungsvermögen zubilligt als den aufgekrempelten Ärmeln.In diesem Zusammenhang sehen wir auch das Problem der Sicherheit und das Problem des Einsatzes der Instrumente der Sicherheitspolitik und damit eventueller Gewaltanwendung. Sicherheit ist für uns niemals Selbstzweck. Sie ist vielmehr Mittel zum Zweck der Erhaltung von Freiheit und zur Abwendung freiheitsbedrohender Gewaltanwendung. Aus diesem freiheitlichen Ansatz leiten wir das Recht auf Notwehr ab.Karl-Hermann Flach sagte dazu — ich darf mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsident, zitieren —:Da eine Politik der Freiheit auch um des lieben Friedens willen niemals Unterwerfung bedeuten kann, kennt gerade auch der Liberale das Recht auf Notwehr. Es besteht für Staatengemeinschaften und für Staaten ebenso wie für Gesellschaftsgruppen und einzelne, bei letzteren als Recht auf Widerstand. Dieser für liberale Sicherheitspolitik fundamentale Satz besagt auch: Sicherheitspolitik und damit eventuelle Gewaltanwendung zielen vor allem auf den Erhalt von Freiheit, beispielsweise durch Notwehr, und nicht in erster Linie auf die Verteidigung einzelner Privilegien ab.Flach sagte weiter:Die liberale Ablehnung der Gewalt und das liberale Recht auf Notwehr bilden einen Widerspruch. Klar ist für uns, daß Gewaltanwendung auf die Wahrnehmung des Notwehrrechts beschränkt bleiben muß. Doch auch Notwehr birgt die Gefahr der Überschreitung, der Verselbständigung ihrer Mittel und des Wirksamwerdens des fatalen Gesetzes der Gewaltsteigerung. In diesem Widerspruch muß der Liberale leben. Er muß versuchen, mit ihm fertig zu werden. Das kann er nur, wenn er sich im Verhältnis der Staatengruppen und Staaten zueinander und beim Aufarbeiten der gesellschaftlichen Konflikte um eine Entspannungspolitik bemüht und die machtpolitischen Gewichte so zu setzen bemüht ist, daß sie sich wechselseitig ausgleichen.
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MöllemannDies ist für uns die entscheidende Begründung dafür, daß wir uns auch im internationalen Maßstab und im Ost-West-Verhältnis notwendigerweise um die Wahrung des Gleichgewichts bemühen.Dies vorausgeschickt, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, möchte ich mich einen Moment mit den Fragen des Kräfteverhältnisses befassen, einem Thema, das nicht nur in den Beiträgen meiner Vorredner, sondern auch in der öffentlichen Diskussion in letzter Zeit stark in den Vordergrund getreten ist. Aus militärischer Sicht wird — meist in sogenannten Bedrohungsstudien — gesagt, daß der Warschauer Pakt und insbesondere die Führungsmacht Sowjetunion ihre Rüstung in erheblichem Maße verstärken. Uns wird nachgewiesen, daß das Kräftepotential, das sich der Warschauer Pakt bereitstellt, wesentlich über das zur Verteidigung benötigte Maß hinausgeht. Uns wird weiterhin erklärt, daß das westliche Bündnis sich an diesen Elementen der Bedrohung, d. h. an Art und Umfang des gegnerischen Militärpotentials, orientieren müsse. Diese Aussagen sind mit Sicherheit ernst zu nehmen. Die Militärexperten, die auftragsgemäß die vorhandenen Möglichkeiten des anderen Militärbündnisses analysieren, haben zweifellos die Pflicht, die Regierung und die Fraktionen des Deutschen Bundestages mit diesen Informationen zu versehen. Es versteht sich, daß politische Entscheidungen auf dem Boden gesicherter Fakten getroffen werden sollten. Wir wären die letzten, die dies bezweifeln. Andererseits müssen diese Zahlenanalysen aber auch in den richtigen politischen Zusammenhang gestellt werden. Was dies angeht, so ist meines Erachtens festzustellen, daß wir in einigen Bereichen zu Einseitigkeiten und Verzerrungen neigen. Die Rede des Kollegen Handlos war ein gutes Beispiel für eine solche eindeutige und einseitige Verzerrung. Wir sollten, wie ich meine, folgendes festhalten.Erstens. Es fällt auf, daß der Warschauer Pakt als ein monolithischer Block betrachtet wird. Bei dieser Betrachtung wird völlig vernachlässigt, daß es in den sozialistischen Ländern und zwischen diesen Ländern durchaus Konflikte, Spannungen und Meinungsverschiedenheiten gibt, die nach Moskauer Dogma durch ein bestimmtes militärisches Potential in Schach gehalten werden müssen.
Allein dieser Tatbestand, der sicherlich aus unserer Sicht schwer zu quantifizieren ist, relativiert aber das Bild vom monolithischen Warschauer Pakt. Herr Kollege Mertes, auf Ihren Zuruf, daß dies bekannt sei, antworte ich: Ich gestehe Ihnen gern zu, daß Sie dies wissen, ich möchte Sie nur bitten, darauf hinzuwirken, daß dies dann auch in den Verlautbarungen Ihrer Kollegen, die hier sprechen, zum Ausdruck gebracht wird.
Zweitens. Wir sollten nicht vergessen, daß schließlich auch die NATO insgesamt und die einzelnen Bündnispartner in spezifischer Abstufung ihre eigenen Potentiale verstärken und verbessern. Wir alle wissen, daß z. B. der Verteidigungsetat der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren der sozialliberalen Koalition sowohl insgesamt als auch auf den Jahresdurchschnitt bezogen eine sechsmal so hohe Steigerungsrate aufwies wie in den vorangegangenen Jahren der Ara nach Adenauer. Auch ist es in Umkehrung der vorausgegangenen Tendenz gelungen, den investiven Anteil des Verteidigungshaushalts wieder zu steigern und oberhalb der 30 %-Marke zu stabilisieren. Die Bundeswehr wird mit einer Reihe hochmoderner, effektiver Großsysteme ausgerüstet. Ich erinnere nur an das MRCA und an die Fregattenprogramme. Natürlich sind aber auch — abgesehen von nationalen Vorhaben und reinen Waffensystemen — die Verstärkung der Logistik, der Ausbau eines NATO-weiten Informationssystems und die allgemeine Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den nationalen und den integrierten Stäben des Bündnissystems Faktoren zur Verstärkung der westlichen Verteidigungskraft. Dies darf bei der Analyse des Kräfteverhältnisses nicht außer Ansatz bleiben. Allerdings übersehen wir nicht die Probleme, die sich aus dem relativ und absolut sehr unterschiedlichen Engagement unserer verschiedenen Bündnispartner ergeben.An dieser Stelle, den Bundeshaushalt betreffend, Herr Kollege Damm, darf ich kurz auf Ihre Ausführungen eingehen. Sie haben natürlich als Opposition recht, wenn Sie verlangen, daß wir als Vertreter der Regierungskoalition unsere Zielwerte nennen. Dies haben wir getan. Aber ebenso ist es unser Recht, wenn Sie diese unsere Zielvorstellungen kritisieren, von Ihnen zu verlangen, uns zu sagen, in welchem Umfang und auf welche Weise — sprich: mit welcher Reduzierung in welchem anderen Bereich — Sie die Ausgaben für die Sicherheitspolitik steigern wollen. Darum kommen Sie nicht herum.
An dieser Stelle möchte ich ebenfalls auf ein Argument eingehen, daß der Kollege Handlos hier gebracht hat, als er sich mit dem Bundesminister der Verteidigung auseinandergesetzt hat. Auch Sie, Herr Damm, haben das in einer, wie ich meine, nicht gerade sehr eleganten Weise getan. Wir hören derzeit nachhaltig aus allen Staaten des Bündnisses eine schon fast bemerkenswerte Anerkennung für die Bundeswehr, Anerkennung für diesen Verteidigungsminister, und Sie stellen sich hier im Parlament hin und zerreden diese Position, die wir im Bündnis haben. Sie wollen es nicht hundert-, sondern tausendprozentig haben.
Ich komme zu einem Kapitel, das in der Öffentlichkeit in der Regel absolut einseitig behandelt wird. Gemeinhin werden in der Diskussion die möglichen Absichten des Warschauer Paktes und insbesondere der Sowjetunion als unkalkulierbar bezeichnet. Absicht und Intention — so wurde in globaler Vereinfachung hier auch vorhin wieder behauptet — könnten sich über Nacht ändern. Wollte man dies übernehmen, bliebe als Beurteilungskriterium nur das gegnerische Bedrohungspotential in seiner Qualität und vor
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Möllemannallem in seiner Quantität übrig. Auch diese Auffassung muß man, um zu einem objektiven Ergebnis zu kommen, nüchtern sehen und relativieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?
Ja.
Herr Kollege Möllemann, haben Sie bemerkt, daß in seinem kürzlichen Interview NATO-Generalsekretär Luns wiederum gerade diese These vertreten hat, daß sich die Absichten der Sowjetunion über Nacht ändern können, d. h., daß in sicherheitspolitischen Fragen die Kapazität, die Fähigkeit derjenige Faktor ist, der eigentlich zur Debatte steht?
Ich habe die Thesen von Herrn Luns so zur Kenntnis genommen, wie er sie in einem Gesamtzusammenhang dargestellt hat. Auch Herr Luns hat nichts gesagt — so habe ich ihn verstanden —, daß allein die militärische Kapazität ein Kriterium für die Beurteilung der Kräfteverhältnisse sein kann. Selbst wenn er dies so gesagt haben sollte, so ist Herr Luns im übrigen für mich nicht der Papst — und selbst wenn er das wäre, hätte ich meine eigenen Gedanken zu dieser Frage.
In Wirklichkeit, glaube ich, lehrt die Analyse der sowjetischen Außen- und Entwicklungspolitik, daß sie sehr langfristige Interessen ausdrückt und daß es in dieser auf lange Sicht angelegten Politik viel weniger plötzliche Wandlungen und Kurswechsel gibt als z. B. in der Politik westlicher Demokratien, die wesensgemäß häufigeren Regierungs-, Machtwechseln und damit auch Strömungswechseln unterliegen. Solche langfristigen Zielvorstellungen sind folgende. Ich möchte sie einmal hier aufzählen, weil es hier meines Erachtens nicht nur um eine einzige Zielvorstellung geht. Ich tue dies ohne Wertung, ohne daß ich eine Rangfolge bilden will.Die Zielvorstellungen sind: das Streben nach Anerkennung als neben den USA gleichberechtigte Weltmacht, das gemeinsame Krisenmanagement mit den USA, um einerseits politisch offensiv ein Mitspracherecht der Sowjetunion in den sie interessierenden Regionen durchzusetzen und um andererseits politisch defensiv die unerwünschte Einbeziehung in beliebige Konflikte abwehren zu können, die Verhinderung einer Allianz zwischen den USA und der Volksrepublik China bzw. den USA, Westeuropa und China, die Möglichkeit zu Abrüstungsmaßnahmen, um bei Aufrechterhaltung des strategischen Gleichgewichts den sowjetischen Haushalt entlasten und Ansprüche der sowjetischen Bevölkerung besser befriedigen zu können — denn natürlich besteht auch dort vermutlich sehr stark das Bedürfnis der Bevölkerung, ein höheres Maß des Erarbeiteten in den konsumtiven Bereich zu bekommen und nicht nur immer Investitionen in den Rüstungssektor mit vollziehen zu müssen —, das Streben nach voller Anerkennung des Status quo in Ost- und Mitteleuropa durch den Westen, die möglichst lückenlose Ausschaltung westlicher Einflüsse auf Emanzipationsbestrebungen im sowjetischen Hegemonialbereich, die Minderung amerikanischer Präsenz und amerikanischen Einflusses in Westeuropa, die Verwirrung des westeuropäischen Integrationsprozesses durch ständige Offerten sogenannter gesamteuropäischer Zusammenarbeit unter starkem sowjetischen Einfluß und — damit verbunden — schließlich auch die Ausweitung des Handlungsspielraums westeuropäischer kommunistischer Parteien.Dem, der diese — zugegebenermaßen nicht lükkenlose — Beschreibung sowjetischer Zielvorstellungen analysiert und so begreift, drängen sich, wie ich meine, einige Erkenntnisse doch zwangsläufig auf:Erstens. In wesentlichen Teilen ihrer globalen Interessenlage ziehen sowjetische und amerikanische Außenpolitik am selben Strang. Abrupte Kurswechsel sind in diesem Zusammenhang nahezu ausgeschlossen.Zweitens. Fast alle — wenn nicht überhaupt alle — diese Zielsetzungen der globalen sowjetischen Außen- und Entspannungspolitik lassen sich nur dann verfolgen, wenn die Rückkehr zu einer Politik des Kalten Krieges vermieden wird und wenn wir beharrlich auf dem Weg der Entspannungspolitik und dessen fortschreiten, was die Sowjetunion unter „Politik der friedlichen Koexistenz zwischen Staaten verschiedener Gesellschaftsordnungen" versteht.
Drittens. Dort, wo wir oft listige Schachzüge und schlaue Manöver sowjetischer Diplomatie vermuten, handelt es sich meist um die hundertste Wiederholung einer Formel aus öffentlichen sowjetischen Parteitagsentschließungen, die wir deshalb nicht zur Kenntnis genommen haben, weil wir die unverdaulich langen Dokumente nicht aufarbeiten können oder wollen.Viertens. Die sowjetische Führung sucht aus ihrer Sicht offenbar ebenso ernsthaft nach nichtkriegerischen Formen der Austragung der Rivalität zwischen Ost und West wie wir aus unserer Sicht.
Keine von beiden Seiten hat ein Patentrezept für diese Auseinandersetzung. Beide Seiten aber verfügen noch über unausgeschöpften Handlungsspielraum. Und vor allem wissen beide Seiten: Im Krieg, erst recht in einem am Ende nuklearen Krieg, geht eben gar nichts. Wer sich also ernsthaft mit Fragen des Kräfteverhältnisses beschäftigt, wer nicht auf emotionale Art und Weise simple innenpolitische Verhaltensmuster auf internationale Probleme übertragen will, die man so nicht lösen kann, sollte auch diese, wie ich meine, sehr politischen Aspekte mitverarbeiten.Meine Damen und Herren, wir sind also sehr daran interessiert, korrekte militärische Fakten, Zah-
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Möllemannlen und Qualitätsbeurteilungen auf den Tisch zu bekommen. Wir weigern uns aber, unsere politische Entscheidung ausschließlich und einseitig von dieser Bewertung abhängig zu machen.
Ich habe versucht, anzudeuten, in welchem komplexen Rahmen eine aus unserer Sicht ernstzunehmende politische Analyse des internationalen Kräfteverhältnisses angelegt werden muß.In diesem Zusammenhang drängen sich allerdings noch einige weitere Fragen auf: Wie kommt es eigentlich, daß unsere strategische Diskussion selten weitergeht als bis zur Darlegung der Bedrohungssituation, die von den Militärbündnissen ausgeht? Wenn ich auf die Diskussionen im Verteidigungsausschuß zurückblicke, solange ich an den Sitzungen dort teilgenommen habe, so stellt sich für mich die Frage, ob wir unsere Aufgaben dort wirklich in vollem Umfang wahrnehmen. Ich frage mich, ob uns die Beschäftigung mit einzelnen Waffensystemen und Teilsystemen, mit denen wir in diesem Ausschuß zu tun haben, nicht daran hindert, die wirklichen Grundfragen unserer Sicherheitspolitik auf die Tagesordnung zu setzen.
Ich frage darüber hinaus, ob eine Debatte wie die heutige nicht Anlaß sein sollte, darüber nachzudenken, wie in diesem Parlament und in seinen Fraktionen Sicherheitspolitik betrieben, wie sie auf die politischen Grundfragen konzentriert und wie sie dem affärenhaften, manchmal zu detailliert fachlichen Einzelkram entzogen werden kann. Ich begrüße von daher den Hinweis meines Kollegen Neumann, daß hier auch von seiten der sozialdemokratischen Fraktion das Bemühen kommen soll, mehr sachbezogene, mehr grundfragenorientierte Diskussionen über die Sicherheitspolitik zu führen.In der Debatte über die Regierungserklärung, meine Damen und Herren, habe ich diesbezüglich auch eine Anregung zur Diskussion gestellt, die ich hier wiederholen möchte: Wäre es nicht sinnvoll, eine Institution, ein Gremium — über die Organisation könnte man sicherlich reden — zu schaffen, ähnlich bestehenden Institutionen in Schweden, in den Vereinigten Staaten oder auch in Frankreich, ein Gremium, eine Institution, die in dauerhafter Form unter Hinzuziehung von Mitarbeitern der verschiedenen Ministerien, aber auch unabhängiger Fachleute und Wissenschaftler aus allen sicherheitspolitisch relevanten Fachbereichen, losgelöst von den Tagesproblemen eines einzelnen Ministeriums, die Grundsatzfragen unserer Sicherheitspolitik in einer ständigen Debatte erörtern und Antworten erarbeiten kann. Dies würde nach meiner Meinung nicht nur unseren Beitrag auf internationaler Ebene noch verbessern können, sondern darüber hinaus auch bei uns und in unserer Bevölkerung das Bewußtsein für die Probleme der Sicherheitspolitik schärfen können.
Da wir es im Verteidigungsausschuß und im Parlament bisher nicht immer zureichend geschafft haben, könnten in einem solchen Institut Fragen erörtert werden, die sich in Fülle aufdrängen und von denen ich einige hier nur beispielhaft nennen möchte.
Erstens: Wirkt die in letzter Zeit belebte Strategiediskussion eigentlich nutzbringend, so wie sie geführt wird, oder beunruhigt sie nur unsere Bevölkerung, weil sie ihr nämlich nicht den vollen Sachverhalt schildert und in ihr — ich kann es nur wiederholen — bei der Schwarzmalerei, die betrieben wird, einen lähmenden Defätismus auslösen muß?
Zweitens: Berücksichtigt die Abschreckungs- und Verteidigungsstrategie der Allianz in befriedigendem Maße unsere deutschen Interessen, oder besteht im Falle ihrer Anwendung nur und ausschließlich die Gefahr der atomaren Verwüstung?Drittens: Können sich die europäischen Staaten weiterhin sicherheitspolitisch unter dem NATO-Dach eine Souveränität vortäuschen, oder müssen wir über eine europäische Union nicht auch zwangsläufig zu einer europäischen Verteidigungsunion kommen?Viertens: Wird die Bevölkerung, werden die Steuerzahler von allen Bündnisländern gleichmäßig belastet? Sitzen wir wirklich in dieser Frage alle in einem Boot, oder gibt es Zahlmeister und Nutznießer?Fünftens: Sind die in zahlreichen Partnerländern und auch bei uns vorgenommenen Wehrstrukturänderungen bündnisharmonisch, oder laden wir uns mit divergierenden Reformen neue Probleme auf?Sechstens: Ist es von Vorteil oder eine Verschwendung, wenn jedes NATO-Mitgliedsland eine bunte Palette von Teilstreitkräften unterhält, oder wäre eine stärkere Aufgabenverteilung im Bündnis nach geostrategischen Gegebenheiten nicht wirkungsvoller?Siebentens: Sind unsere Schiffahrtswege um Afrika zur Heranschaffung von Rohstoffen und 01 ausreichend geschützt, sind sie gefährdet, und wie können wir dieser Gefährdung begegnen?Achtens: Welche weiteren vertrauensbildenden Maßnahmen können wir dem Warschauer Pakt vorschlagen, um gegenseitig das Feindbild weiter abzubauen?Neuntens: Welche Veränderung in der entwicklungs- und außenwirtschaftspolitischen Konzeption des Westens ist notwendig, um nicht neue Krisenherde entstehen zu lassen, die unsere sicherheitspolitische Lage weiter komplizieren?Meine Damen und Herren, ich glaube, diese Fragen — neben anderen — werden uns in der Folgezeit in der sicherheitspolitischen Debatte beschäftigen, und bei deren Beantwortung könnte uns die von mir angesprochene Institution sicherlich helfen. Mit einigen dieser Fragen hat sich im inter-
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Möllemannnationalen Bereich auch die Nordatlantische Versammlung befaßt. Auch der Eindruck, daß man sich dabei manchmal nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner hat einigen können, schmälert nicht den Wert dieser Empfehlungen. Lassen Sie mich ausgewählt einige herausgreifen.Wir unterstützen nachdrücklich die Entschließung 54, in der die Probleme für das Bündnis dargelegt werden, die entstehen würden, wenn es in NATO-Staaten zu einer Übernahme von Regierungsgewalt durch kommunistische Parteien käme. Wir möchten ausdrücklich unterstreichen, daß es, wie es in der Entschließung heißt, das Hauptziel des Bündnisses ist, unter Garantie des Selbstbestimmungsrechts aller Völker die fundamentalen Prinzipien einer freien Gesellschaft zu verteidigen, und daß eine solche Verteidigung keine Kompromisse zuläßt wegen der Gefahr, die eine Übernahme von Regierungsgewalt durch Parteien, deren kollektivistische Lehre diesen Prinzipien diametral entgegensteht, darstellen würde.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir unterstützen weiter die Feststellungen der Versammlung zu Spanien. Dies gilt besonders für unsere Sympathie und unseren Beifall für jene Bemühungen des spanischen Königshauses und der spanischen Regierung, die auf die Demokratisierung des Landes abzielen.
Wir möchten diesen Prozeß unterstützen. Alle Fraktionen dieses Hauses leisten bereits ihren Beitrag hierzu. Wir freuen uns auf den Zeitpunkt, an dem wir mit spanischen Kollegen, die ihr Mandat aus freien und allgemeinen Wahlen erhalten haben werden, über die weitere Ausgestaltung der Kooperation in Europa und einen Eintritt eventuell auch ins Bündnis werden sprechen können.Auch zur Situation im südlichen Afrika hat die Versammlung Stellung bezogen. Diese Stellungnahme — die CSU sollte sich dieses besonders zu Herzen nehmen, denke ich — läßt in der Beurteilung der Rassendiskriminierung an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Wir unterstreichen nachdrücklich, daß sich die Staaten der NATO im Blick auf das südliche Afrika eine Position der Verantwortung gegenüber dieser Situation zu eigen machen müssen, die auf der Sorge um die Menschenrechte, einer Verpflichtung für größere wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit in der Welt und dem Wunsch nach internationalem Frieden und internationaler Sicherheit beruht.Auch wir gehen davon aus, daß alle Regierungen des Bündnisses, aber auch alle Parteien hier im Haus den friedlichen Bestrebungen von Mehrheitsregierungen in Rhodesien bzw. Zimbabwe und Namibia jegliche Unterstützung und Ermutigung geben.Abschließend, meine Kolleginnen und Kollegen, möchte ich nachdrücklich begrüßen, daß sich auch die Versammlung der NATO-Parlamentarier für eine Intensivierung der europäischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verteidigung ausgesprochen hat, nicht nur um aus ökonomischen und militärstrategischen Gründen ein höheres Maß an Kooperation im allgemeinen und eine Standardisierung in der Ausrüstung im besonderen zu erreichen, sondern um in einem einigen und hoffentlich bald wirklich geeinten Europa klare und wirkliche eindeutige Positionen zu den Notwendigkeiten, Problemen und Lösungen einer gemeinsamen Politik, also auch einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, zu erlangen. Das direkt zu wählende Europäische Parlament wird uns hier sicherlich zusätzliche Impulse geben können. Wir wollen dabei unseren Beitrag leisten und damit auch einen weiteren Beitrag zum Erfolg unserer Friedens- und Sicherheitspolitik.
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Das Wort hat der Abgeordnete Blumenfeld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte in meinem Beitrag auf den außenpolitischen und gesamtpolitischen Teil unseres Tagesordnungspunktes zurückführen, d. h., ich möchte mich mit der Drucksache 8/27 beschäftigen und feststellen, daß die nüchterne Sprache der Drucksache den Blick nicht verstellen kann für die deutlich erkennbare Tendenzwende in dieser wichtigen parlamentarischen Versammlung der Mitglieder des NATO-Bündnisses. Die politische Tendenzwende ist ablesbar an den Entschließungen, die dem Plenum vorgelegt und — mit Ausnahme einer, auf die ich noch zu sprechen kommen werde — mit großer Mehrheit angenommen wurden. Daran ändert auch nichts die Interpretation, die der Kollege Mattick in seiner Eigenschaft, wenn ich das heute früh richtig verstanden habe, als Berichterstatter vorgenommen hat. Herr Kollege Mattick hat eine Bewertung der Entschließungen vorgenommen. Ich werde meine Bewertungen gleich anschließend machen. Herr Kollege Mattick hat beklagt, daß sich die Mitglieder der CDU/CSU in den Vereinigten Staaten, in Williamsburg, nicht als Mitglieder einer nationalen Delegation aufgeführt hätten, sie seien z. B. nicht zu einer Vorbesprechung erschienen. Herr Kollege Mattick, ich will dieses Hohe Haus hier nicht mit Einzelheiten über Organisationsfähigkeiten oder Mißhelligkeiten belasten. Aber wenn Sie ein anderes Mal eine Delegation zu einer Delegationssitzung einladen, dann tun Sie es zu einem Zeitpunkt, zu dem alle Mitglieder angereist sind und teilnehmen können, nicht zu einem Zeitpunkt, der Ihnen zufälligerweise paßt.
Früher hat es in der Tat — ich gehöre ja zu denen, die seit über zehn Jahren an der Nordatlantischen Versammlung fast regelmäßig haben teilnehmen können — einen Zusammenhalt bei allen nationalen Delegationen gegeben. Dieser ist aber durchbrochen worden, Herr Kollege Mattick, seitdem sich die sozialistischen europäischen Politiker unter Führung deutscher Sozialdemokraten zu einer sozialistischen Fraktionsgemeinschaft innerhalb der NATO-Versammlung zusammengefunden haben.
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BlumenfeldDamit haben Sie diese Gemeinsamkeit durchbrochen und zerbrochen. Nun können Sie sich nicht wundern, wenn sich auch die anderen, die Christdemokraten und die Liberalen — mit Ausnahme der Nordamerikaner, die in unser Parteienschema nicht einzuordnen sind —, entsprechend verhalten, es zumindest versuchen.Ich sage, daß sich Skepsis und Ernüchterung im Hinblick auf die weitere Entwicklung nicht nur in den Diskussionen der Ausschüsse und in den Entschließungen niedergeschlagen haben. Ich erwähne hier beispielsweise die Entschließungen zu den künftigen Ost-West-Beziehungen, zur Entspannung oder zur Übernahme von Regierungsgewalt durch kommunistische Parteien mit der eindeutigen Absage an jede Form des Eurokommunismus oder Volksfrontregierungen als unvereinbar, wie Herr Kollege Möllemann eben schon gesagt hat, mit den fundamentalen Prinzipien einer freien Gesellschaft. Ich erwähne ferner die vom Militärausschuß geforderte Verstärkung der Verteidigungskraft unseres Bündnisses und die eindrucksvolle Darstellung über die sowjetische Bedrohung unseres Bündnisses auf den Meeren.Einmalig allerdings, meine verehrten Kollegen, war die Tatsache, daß der Bericht des Generalberichterstatters im Politischen Ausschuß, des niederländischen Sozialisten Dankert, von den Mitgliedern des Ausschusses gegen die Stimmen einzelner europäischer Parteikollegen des Berichterstatters verworfen und dem Plenum nicht vorgelegt wurde.
Der Berichterstatter hatte sich in sehr eigenwilliger, für manche europäische, aber auch deutsche Sozialdemokraten charakteristischer Neubewertung der Auswirkung der Entspannungspolitik versucht und dabei die sowjetische Politik in einer Weise verharmlost, die höchst beunruhigend auf unsere Bevölkerungen hätte wirken müssen, wenn wir uns das zu eigen gemacht hätten.
Das hätte mit Sicherheit, so wage ich hier zu sagen, jenen Kräften Auftrieb gegeben, die meinen, wir können unsere Sicherheits- und Rüstungsanstrengungen vermindern.Lapidar haben wir dann diesen Betrachtungen des Berichterstatters für eine neue Gewichtung der politischen Probleme des Bündnisses den vom Plenum der Nordatlantischen Versammlung angenommenen Satz entgegengestellt, wonach wir erneut unsere Entschlossenheit bestätigen, darüber zu wachen, daß die Sicherheitsvorkehrungen des Atlantischen Bündnisses auf einem Niveau gehalten werden, das einen wirksamen Schutz für das Bündnis bietet und seine Mitglieder gegen unannehmbaren militärischen wie psychologischen Druck schützt, der sich durch die andauernde Verstärkung des militärischen Potentials des Sowjetblocks ergeben könnte.Ich meine, Herr Präsident, der Realismus und das nüchterne Fazit, welches die Mehrheit der Politiker in der Parlamentarischen Versammlung der NATO aus den Erfahrungen mit der Entspannungspolitik, dem MBFR-Verhandlungsstand in Wien und den praktischen Auswirkungen der KSZE-Schlußakte von Helsinki gezogen hat, heben sich wohltuend und positiv ab von jenen Stimmen auch hier in diesem Hohen Hause, die sich so äußerten wie der Kollege Ehmke — der neue außenpolitische „Gruppenführer" der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, wie er mir soeben mitgeteilt hat —, der vor kurzem anläßlich der Debatte zur Regierungserklärung emphatisch feststellte, wenn ich das noch richtig im Ohr habe: es gibt keine Alternative zur Entspannung.
— Ich stimme dem ja auch zu, daß das im atomaren Zeitalter ein wichtiger Satz ist. — Danach ermunterte er uns tröstlich: wir brauchen einen langen Atem. Diesen langen Atem, lieber Herr Ehmke, wünsche ich auch einigen Ihrer Kollegen hier im Hause und in der sozialdemokratischen Führung, angesichts der sowjetischen Politik.
Allerdings haben Sie damals bei der Debatte vergessen hinzuzufügen, Herr Kollege Ehmke, daß wir außer einem langen Atem offensichtlich auch viel Geld benötigen, um mit der sowjetischen Politik gleichzuziehen. Aber vielleicht haben Sie das übersehen.Wir, die CDU/CSU, haben uns zu keiner Zeit gegen die Entspannung gewandt. Ich darf daran erinnern, daß Konrad Adenauer in den 50er Jahren mit seiner Politik den Grundstein für eine überaus erfolgreiche Außen- und Sicherheitspolitik gelegt hat.
Freilich war für ihn — und ist auch heute für uns — die Minderung von Spannungen nur eines von mehreren wichtigen Elementen des Sicherheitsbedürfnisses und der Sicherheitspolitik zwischen Ost und West. Auch dies wurde in Williamsburg von der NAV festgehalten.Ich stelle fest, daß die außen- und sicherheitspolitischen Ziele wie die an der Haltung unserer Gegner weiterentwickelten Aussagen der CDU/CSU heute mehr denn je voll in den, englisch ausgedrückt, „main stream" der politischen Vorstellungen und des Selbstverständnisses unserer europäischen wie nordamerikanischen Partner eingebettet sind. Es ist nicht so, wie Sie, meine verehrten Kollegen von der SPD, in den letzten Jahren immer wieder versucht haben, uns und der deutschen Öffentlichkeit zu erzählen, daß wir, die CDU/CSU, isoliert seien. Nein, wir sind keineswegs isoliert. Eher kann man das von einigen politischen Entwicklungen bei Ihnen sagen. Wir haben unsere Sorgen, unsere Einschätzung der internationalen Lage bestätigt gefunden — leider, füge ich hinzu —, während viele aus Ihrer politischen Führung wie Basis unrealistische, oft euphorische Erwartungen an Entspannungs- wie Ostpolitik geknüpft haben.Ich für meinen Teil möchte mich jedenfalls über diese Fragen mit Ihnen ernsthaft und ohne jede Polemik auseinandersetzen, wie wir auch in Amerika diskutiert haben. Für Schlagzeilen oder kurz-
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Blumenfeldatmige Vereinfacher ist die Problemstellung zu ernst. Oberste NATO-Befehlshaber, der Generalsekretär der Allianz, Herr Luns, die amerikanischen Joint Chiefs of Staff, also die vereinten Stabschefs, haben nicht nur die Richtigkeit des ungeschminkten und besorgniserregenden Berichts der amerikanischen Senatoren Nunn und Bartlett bescheinigt, sondern darüber hinaus noch einige eigene, sehr kräftige Striche zur militärstrategischen wie politischen Situation hinzugefügt.Ich übersehe nun keineswegs, daß der neue amerikanische Präsident glaubt, die Lage erfordere neue strukturelle Bemühungen und Abrüstungsinitiativen als politischen Anstoß für einen Neubeginn. Ich meine jedoch, symbolische Kürzungen anzubieten ist ebenso bedenklich wie öffentliches Nachdenken des sozialdemokratischen Bundesvorsitzenden über westliche Vorleistungsinitiativen, um über den toten Punkt der Konferenz über gegenseitige ausgewogene Truppenkürzungen in Wien hinwegzukommen. Mit diesen oder ähnlichen Signalen bestärkt man nur die Sowjetunion in ihrer Überzeugung von der Schwäche der westlichen Regierungen. Die sowjetische Militärmacht wird dadurch an politischem Gewicht gewinnen und das westliche Bündnis entsprechend verlieren.Ganz offensichtlich haben sich die atlantischen Parlamentarier in Williamsburg bei ihren Debatten ausweislich der von ihnen verabschiedeten Texte sehr viel skeptischer und sehr viel nüchterner gezeigt, auch dadurch, daß sie — ich möchte das hier erwähnen dürfen — einem von mir vorgelegten Antrag im politischen Ausschuß zustimmten, eine vom Kollegen Mattick vorgelegten Formulierung zu streichen, in der die Aufforderung an die Mitgliedsregierungen zu lesen stand, so bald wie möglich einleitende Schritte bei den Wiener MBFR-Verhandlungen zu ermöglichen, und zwar mit der Begründung zustimmten, die ich gegeben habe, daß eine solche Initiative eben nicht zur ausgewogenen beiderseitigen Streitkräftebegrenzung, sondern zu gefährlichen Fehlschlüssen seitens der Sowjetunion führen würde.Vor einigen Jahren wäre vielleicht noch eine wenn auch zögerliche Mehrheit für die Argumente von sozialistischer Seite vorhanden oder zu mobilisieren gewesen. Diesmal ist es eine klare Absage. Ich meine, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sollte darüber und auch über das Wie und das Warum nachdenken. Sie sollte dabei auch daran erinnert werden, daß ideologisch befrachtete Argumente und Vorurteile die Sozialisten Europas sowohl in der NATO wie, so füge ich hinzu, auch im Europäischen Parlament in das, was ich eine „splendid isolation" nenne, versetzen.So wurde von dem Generalberichterstatter des Politischen Ausschusses, Herrn Dankert, ein Spanien betreffender Entschließungsentwurf vorgelegt. Dieser Entschließungsentwurf wurde in seiner Tendenz wie in seinem Wortlaut in keiner Weise der politischen Lage und den Bemühungen der Regierung Suárez und des jungen spanischen Königs gerecht, verkannte sie und entstellte sie. Natürlich konnte unser sozialistischer Kollege aus Holland nicht vorausahnen, daß knapp sechs Wochen später der deutsche Bundeskanzler die von ihm, einem holländischen Sozialisten, höchst kritisch und negativ eingestufte spanische politische Landesführung vor der Weltöffentlichkeit mit hohem Lob für verantwortungsbewußte staatsmännische Führungskunst, erwiesen unter schwierigen Bedingungen, bedachte. In aller Bescheidenheit will ich feststellen, daß die vom politischen Ausschuß ohne Hilfe des Herrn Dankert verabschiedete Spanien-Resolution den Fortschritt im Hinblick auf Demokratisierung der Institutionen ausdrücklich feststellt, die Rolle, die Spanien in der Gesamtverteidigungsstrategie Europas spielt, erkennt und die Bemühungen des spanischen Königshauses und der Regierung um den Aufbau der Demokratie in Spanien würdigt.Meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, daß wir, die CDU/CSU, überall auf dieser Welt für die Grundfreiheiten und Menschenrechte auf der Grundlage der Selbstbestimmung für alle ohne Ansehen von Rasse, Geschlecht, Sprache und Religion eintreten, mögen Sie daraus ersehen, daß wir eine Südafrika betreffende Entschließung mitgetragen haben, Herr Möllemann, die die Apartheid-Politik verurteilt und alle Mitgliedsregierungen der Allianz drängt, der friedlichen — ich möchte unterstreichen: der friedlichen — Konstituierung von Mehrheitsregierungen in Rhodesien und Südwest-Afrika Unterstützung zu geben. Ich erwähne dies besonders an die Adresse beider Koalitionsfraktionen und ihrer Gruppierungen, die ganz offensichtlich nur in einer einzigen politischen Richtung Menschenrechtsverletzungen auszumachen sich in der Lage sehen, z. B. in Südafrika, Chile oder Spanien, und Arm in Arm mit der sozialistischen Internationale gegen die dort begangenen Menschenrechtsverletzungen lautstark protestieren, aber vor ebenso lautstarken Protesten gegen dieselben Menschenrechtsverletzungen in der DDR und durch deren sowjetische Schutzmacht zurückschrecken.
Damit bin ich beim letzten und, wie ich offen gestehe, traurigsten Kapitel der Willamsburger NATO-Tagung. Mein Kollege, der schleswig-holsteinische Innenminister Titzck, und ich hatten den Entwurf einer Entschließung über Menschenrechtsverletzungen in der DDR und an der innerdeutschen Grenze eingebracht und mit einer Bilddokumentation an der Todesgrenze untermauert, dieser Grenze, die, wie wir unseren Partnern in der NATO noch einmal in Erinnerung gerufen haben, ja gleichzeitig die Trennungslinie zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt bildet und damit eine Grenze ist, die Bedeutung für das gesamte Bündnis und nicht ausschließlich und alleine Bedeutung für die deutsch-deutschen Verhältnisse hat.
Die sozialdemokratischen Mitglieder der deutschen Delegation stellten sich gegen diesen Entwurf; Herr Mattick hat das erwähnt. Er wie auch Herr Pawelczyk als Sprecher begründeten ihre Einwände damit, daß seit 1969 eine neue Politik im Gange sei, daß eine schmale Tür zur anderen Seite geöffnet worden sei; die Beziehungen zur DDR hät-
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Blumenfeldten sich gebessert, und seit dem Sommer 1976 habe es an der Grenze keine Schießereien mit tödlichem Ausgang gegeben.Sie fügten hinzu, wenn ein Dokument, wie wir es vorlegten, von der Versammlung angenommen und von der NATO veröffentlicht würde, würden jene Kräfte in der DDR Auftrieb erhalten, die gegen die Politik der offenen Tür sind; eine solche Entschließung würde die Entwicklung stören. Es sei Sache der beiderseitigen deutschen Regierungen, sich um diese Fragen zu kümmern; das NATO-Bündnis würde hier nur störend wirken können.
Meine Damen und Herren, dies wurde von den SPD-Kollegen zu einem Zeitpunkt ausgesprochen — justament am selben Tage —, als der Herr Biermann, der Liedersänger aus der DDR, ausgewiesen wurde, als ihm von seinen kommunistischen Brüdern in der Regierung drüben mitgeteilt wurde, er könne nicht mehr in die DDR zurückkehren. Welch makabrer Zufall, so kann ich nur sagen, daß sich an demselben Tage, an dem das hier in Deutschland geschieht,
Herr Mattick und Herr Pawelczyk hinstellen und sagen: wenn wir darüber in einem internationalen Gremium sprechen, dann stören wir die Entwicklung. Die Entwicklung scheint ihre Eigenkräfte zu haben und sich fortzusetzen.Die Argumentationskette des Kollegen Mattick gipfelt in der — allerdings nicht von ihm selbst ausgesprochenen — These, nur ein selbstbewußtes SED-Regime könne zur Entspannung führen. Ich frage mich, ob sich Herr Gaus bei seinen Meditationen vor anderthalb Wochen auch hiervon hat leiten lassen. Wer weiß, was für Beziehungen da überhaupt existieren: Der ehemalige Chefredakteur des „Spiegel" gibt dem „Spiegel" ein Interview; ein aus der DDR ausgewiesener „Spiegel"-Redakteur vertritt im „Vorwärts" Thesen, denen von der SPD-Führung jedenfalls bislang nicht klar widersprochen worden ist und die alle um das Thema kreisen: Wie kann man das Regime in der DDR beruhigen, wie ihm helfen, innere Schwierigkeiten zu überwinden? Nur über eines wird ganz geflissentlich geschwiegen, nur über eines wird in der internationalen Öffentlichkeit zu schweigen versucht: darüber, wie man die Weltöffentlichkeit in voller Übereinstimmung mit der Schlußakte von Helsinki und der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen — und somit demokratisch legitimiert — auf die flagranten Verletzungen eben dieser Menschenrechte nachdrücklich hinweist. Das wird verschwiegen!
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Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß Ihrer Ausführungen zu kommen.
Ja. — Wir haben der Argumentation von Herrn Mattick mit großem Ernst widersprochen und erklärt, daß Entspannung zwischen Ost und West nicht dadurch gefördert werde, daß Menschenrechtsverletzungen toleriert oder verschwiegen würden. Wir brauchen eine Offensive für die Freiheit! Der Westen und wir Deutschen müssen deutlich machen, wofür wir stehen — nicht nur, wogegen wir stehen. Menschenrechte gehen der staatlichen Souveränität vor. Wer in Osteuropa, vor allem in der DDR, das Recht der Freizügigkeit wahrnimmt, riskiert sein Leben, und anscheinend ist in den Augen der kommunistischen Führung die Flucht vor der Unfreiheit zur Freiheit ein Verbrechen.
Meine Damen und Herren, mit dieser Begründung brachten wir eine verkürzte Entschließung ein, in der alle NATO-Staaten aufgefordert wurden, sich gegen diese Praxis in der DDR zu wenden. Die sozialdemokratischen Mitglieder der deutschen Delegation stellten sich nicht nur nicht hinter diese Resolution, sondern mobilisierten ihre sozialistischen Parteifreunde Europas gegen sie. Es gelang mit Unterstützung aller übrigen Partei- und Delegationskollegen, die Entschließung in einer Kampfabstimmung durchzubringen und damit zum erstenmal vor einem großen internationalen parlamentarischen Forum die ständige Verletzung der Menschenrechte durch die Regierung der DDR anzuklagen. Deutschen Sozialdemokraten — ich bedaure, dies sagen zu müssen, und es fällt mir schwer, es auszusprechen — blieb es in dieser Stunde in Williamsburg in den Vereinigten Staaten vorbehalten, ihre sozialistischen europäischen Parteifreunde gegen eine politisch-parlamentarische Entschließung zugunsten ihrer eigenen deutschen Landsleute in der DDR zu mobilisieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Corterier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einigen Bemerkungen zu dem beginnen, was Herr Blumenfeld gerade gesagt hat. Herr Blumenfeld, Sie haben es als besonders bemerkenswerte Tatsache dargestellt, daß der Bericht des Kollegen Dankert von der Versammlung verworfen worden sei. Sie haben offenbar vergessen, daß es auch früher schon mal die Ablehnung eines Berichtes gegeben hat, nämlich eines Berichtes Blumenfeld, der wegen seiner völlig einseitigen und tendenziösen Darstellung der Ostpolitik der sozialliberalen Bundesregierung abgelehnt wurde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Blumenfeld?
Sehr gern.
Herr Kollege Corterier, ist es Ihnen entgangen, daß es sich bei dem Bericht, den Sie ansprechen, um den sogenannten Zwischenbericht gehandelt hat, der diskutiert worden ist, wie alle Berichte diskutiert werden, und daß mein eigentlicher Bericht vom Plenum angenommen wurde?
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In dem eigentlichen Bericht waren eben alle die Dinge, die damals zur Ablehnung geführt hatten, entfernt, Herr Blumenfeld; das hatten wir nämlich durchgesetzt.
Ein Wort jetzt zu der Frage „Isolierung der CDU, Tendenzwende". Ich glaube, Herr Blumenfeld, es reicht nicht aus, daß Sie in einer, wie man bedauernd feststellen muß, zum großen Teil schlecht besetzten Nordatlantischen Versammlung — vor allem hatten unsere amerikanischen Kollegen, auf die Sie sich immer so gern berufen haben, zum größten Teil gefehlt — ein paar Abstimmungen gewinnen, vor allem diese eine mit der knappen Mehrheit von vier Stimmen, um nun gleich feststellen zu können, hier gebe es eine Tendenzwende — das ist doch ein großes Wort — und hier sei nun plötzlich die außenpolitische Isolierung der CDU/ CSU überwunden worden. Herr Blumenfeld, Sie sollten sich vielmehr einmal mit den letzten politischen Entwicklungen befassen, wie wir sie gerade in den letzten zwei, drei Wochen seit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten der USA feststellen können, mit dem, was sich hier an Politik von unserer westlichen Führungsmacht her ergibt. Wenn Sie sich das ein bißchen näher ansehen — damals, in den Tagen von Williamsburg, war ja die neue Administration noch nicht an der Macht —, dann werden Sie feststellen, daß Ihre Isolierung im Augenblick größer zu werden beginnt als je zuvor.
Ich habe hier ein Zitat des damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden, Herrn Carstens — Herr Präsident, ich möchte mit Ihrer Erlaubnis zitieren —,
der am 2. November vergangenen Jahres im CDU-
Pressedienst folgendes erklärt hat — ich zitiere —:
Bereits im amerikanischen Wahlkampf ist deutlich geworden, daß der neue Präsident der bisherigen Entspannungspolitik kritisch gegenübersteht, weil er sie für einseitig und unausgewogen hält. Diese Beurteilung deckt sich mit der der CDU/CSU.
Nun, daß sich die Beurteilung der Entspannungspolitik durch die Carter-Administration mit der der Opposition decke, wird nun, dreieinhalb Monate später, nach dem Amtsantritt Carters und seinen ersten außenpolitischen Schritten kaum noch jemand behaupten wollen. Das wird schon in seinen Personalentscheidungen deutlich: bei Verteidigungsminister Braun, bei Außenminister Vance, bei dem designierten Chef der Abrüstungsbehörde Warnke und beim Sicherheitsberater Breszinski haben wir es mit Männern von großer außen- und sicherheitspolitischer Erfahrung und nüchternem Urteil zu tun, die, wie Breszinski es formuliert hat — —
— Gut, aber ich glaube, wir sollten uns rechtzeitig auf das, was wir von drüben hören, einstellen und nicht allzulange abwarten, Herr Kollege Kohl.
— Ich will gerade das, was ich hier gesagt habe, durch einige Zitate belegen; wenn Sie sich die freundlicherweise anhören würden, überzeugt Sie das vielleicht sogar.
Breszinski hat in einem Artikel, der gerade in dieser Woche veröffentlicht wird, ausgeführt, er sei der Meinung — ich zitiere —, die Ost-West-Beziehungen müßten verbessert werden, und die Entspannung müsse eines der wichtigsten Ziele der amerikanischen Außenpolitik werden. Diese Zielsetzung hat sich doch bereits vor allem auf die Abrüstungsbemühungen Präsident Carters ausgewirkt.
Was SALT angeht, so wird der neue Präsident alles daransetzen, um die bisherige Stagnation zu überwinden und bald zu einem zweiten Abkommen zu gelangen. Für die Bemühungen, den Rüstungswettlauf der beiden Supermächte einzudämmen und das Rüstungsniveau unter Wahrung der Sicherheitsinteressen beider Staaten zu vermindern, kommt diesen Verhandlungen entscheidende Bedeutung zu. Wir begrüßen daher diese frühe Initiative des Präsidenten.
Der Ausgang der SALT-Verhandlungen wird natürlich auch von großer Bedeutung für die Wiener Verhandlungen über eine Truppenverringerung in Mitteleuropa sein. Hierzu hat Außenminister Vance erklärt, daß er versuchen werde — Herr Blumenfeld, da sollten Sie zuhören —, die MBFR-Verhandlungen wieder flottzumachen und ihnen einen höheren Vorrang zu geben als bisher. Das als Antwort auf das, was Sie eben zu Ihrer Politik gesagt haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Damm?
Bitte.
Herr Dr. Corterier, unterstellt, daß Sie mit ihrer Deutung der amerikanischen Politik für die Zukunft recht haben: Ist es nicht auch eine Tatsache, daß das amerikanische Außenamt vor zwei Tagen die Geschehnisse um Alexander Ginsburg in Moskau öffentlich und mit ausdrücklicher Billigung des amerikanischen Präsidenten kritisiert und damit eben genau das getan hat, was wir mit der in Williamsburg Gott sei Dank mit einer Mehrheit verabschiedeten Entschließung beabsichtigten und getan haben?
Herr Damm, das, was Sie über die Erklärung des amerikanischen Außenministers gesagt haben, stimmt. Ich bitte Sie nur, mir noch etwas Zeit zu geben. Ich will darauf noch später eingehen. Im Augenblick bin ich bei der Abrüstung. Das Problem der Menschenrechte werde ich später behandeln. Ich bitte um Ihr Verständnis.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977 637
Dr. CorterierJedenfalls, Herr Kollege Blumenfeld, Vance will die MBFR-Verhandlungen — um das noch einmal zu wiederholen — flottmachen. Sie lehnen jede Initiative des Westens bei MBFR ab. Sie haben Bundeskanzler Schmidt und meinen Parteivorsitzenden Willy Brandt, als sie ähnliche Forderungen aufstellten, sehr heftig kritisiert. Ich glaube also, der Gegensatz zwischen Ihrer Politik und der der neuen Administration ist auch in diesem Punkt überdeutlich.Was die KSZE angeht, so stellen wir mit Befriedigung fest, daß der amerikanische Kongreß inzwischen ein lebhaftes Interesse an dieser Konferenz und ihren Folgen entwickelt hat. Der vom Kongreß für die Fragen der KSZE eingesetzte Unterausschuß hat in einem ersten Bericht sowohl die auf der Konferenz angenommenen Vereinbarungen wie die bisherigen Ergebnisse recht positiv beurteilt. Auch hier ergibt sich ein diametraler Gegensatz zu den negativen Bewertungen, die wir in dieser Frage von der Opposition immer wieder zu hören bekommen. Wir gehen davon aus, daß diese Haltung des Kongresses ihren Niederschlag auch in einer aktiven KSZE-Politik der neuen Administration finden wird, wie das von Vizepräsident Mondale in seiner Rede vor dem NATO-Rat in Brüssel schon angedeutet worden ist.Wir können also nach allem, was wir bisher wissen — diese Einschränkung will ich Herrn Kollegen Kohl zuliebe gerne machen —, feststellen, daß die Übereinstimmung zwischen der sozialliberalen Bundesregierung und der neuen Administration in Washington in der Beurteilung der Entspannungspolitik mindestens genauso groß, wenn nicht größer als mit der bisherigen Administration ist. Ich sehe jedenfalls für die Vorstellung, Herr Blumenfeld, die Sie entwickelt haben und mit der Sie aus Ihrer Isolierung herauskommen wollen, bei den Amerikanern keinerlei Ansatzpunkte.Meine Fraktion begrüßt es übrigens ganz besonders, daß durch die Reise Vizepräsident Mondales unmittelbar nach dem Amtsantritt Carters deutlich gemacht wurde, wo für den neuen Präsidenten in seiner Außenpolitik die Prioritäten liegen: im Bündnis, im Dialog und in der Interessenabstimmung mit den Verbündeten. Diese Reise war ein guter Auftakt für die „konsultativen Beziehungen", die Carter gegenüber den NATO-Verbündeten anstrebt, und für ein verstärktes Engagement der USA im Bündnis, das wir erhoffen. Soviel zu der Frage Tendenzwende und Isolierung.Jetzt ein Wort zu den Vorgängen in Williamsburg. Herr Kollege Blumenfeld, Sie und andere haben sich ja, wie wir das allzu oft erleben, im Parlament noch verhältnismäßig vornehm ausgedrückt. Wenn man sich aber einmal ansieht, was in der Ihnen befreundeten Springer-Presse, in Ihren Pressediensten und anderswo veröffentlicht worden ist, dann muß man sagen, daß es dort sehr üble Verdrehungen unseres Verhaltens und Unterstellungen gegeben hat, die wir mit Entschiedenheit und Nachdruck zurückweisen müssen. Die Vorgänge in Williamsburg sind in einer Weise verzerrt und hochgespielt worden, daß der Eindruck enstehen mußte, als hätten die sozialdemokratischen Abgeordneten dort die Verletzung der Menschenrechte durch die Kommunisten in der DDR verschweigen und vertuschen wollen. Diese maßlos aufgeheizte Kampagne der Opposition trifft jedoch ins Leere. Denn die Resolution, um die es hier geht, und insbesondere die Stelle, in der die flagranten Verletzungen der Menschenrechte an der innerdeutschen Grenze offen verurteilt werden, wurde von uns deutschen Sozialdemokraten akzeptiert und mitgetragen. Das wissen Sie doch ganz genau, Herr Blumenfeld.Ich darf hier noch einmal den Text, den wir unterstützt haben, zitieren. In diesem Text wird die mangelhafte Bereitschaft der osteuropäischen Länder bedauert, alle Absichten der KSZE-Schlußakte zu verwirklichen, insbesondere im Bereich der Menschenrechte, der Familienzusammenführung und der größeren Freizügigkeit von Personen, Ideen und Informationen. Dann wird insbesondere auf das flagrante Beispiel der Verletzung der Menschenrechte an der innerdeutschen Grenze, die auch die Trennungslinie zwischen NATO und Warschauer Pakt bildet, hingewiesen. Soweit waren wir uns also doch völlig einig.Was an dieser Resolution einzig und allein umstritten war, war die Frage, ob darüber hinaus die Regierungen der NATO-Staaten, wie Sie es vorgeschlagen haben, durch die Resolution öffentlich aufgefordert werden sollten, durch moralischen und politischen Einfluß auf die DDR-Regierung die Einhaltung der Menschenrechte zu erreichen. Hier muß ich Ihnen allerdings ganz klar sagen, daß wir Sozialdemokraten in Williamsburg nicht der Meinung gewesen sind, daß durch diese Art von Verbalismus den Menschen in der DDR irgendwie geholfen werden könnte.
Ich möchte Sie einmal ganz ernsthaft fragen, Herr Blumenfeld und die übrigen Kollegen von der Opposition, die Sie diese Entschließung eingebracht haben: Haben Sie, wenn Sie hier alle NATO-Staaten auffordern, bei der DDR-Regierung quasi vorstellig zu werden und dort politischen und moralischen Einfluß ausüben, nachdem diese Resolution angenommen worden ist, eigentlich inzwischen gehört, daß Island oder Luxemburg oder die Vereinigten Staaten demarchiert hätten und ihren Einfluß so, wie es hier gefordert worden ist, geltend gemacht hätten? Haben Sie etwas in dieser Richtung gehört? Haben Sie die Resolution in dieser Form selber ernst genommen? Trägt es wirklich zur Stärkung des Westens bei, wenn wir solche verbalen Erklärungen abgeben, denen dann als Konsequenz und Substanz nichts folgt? Ich glaube, wir haben richtig gehandelt, indem wir diesen Text nicht akzeptiert haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Blumenfeld?
Herr Kollege Corterier, ist Ihnen entfallen, daß die Kollegen Ihrer Delegation bei der Behandlung und Verabschiedung dieser
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638 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
BlumenfeldEntschließung selber nicht mehr dabei waren, also nicht haben mitstimmen können und deswegen sich eigentlich auch kein Urteil über die Gewichtung dessen erlauben können, was Sie „verbale Erklärung" nennen? Hier hat sich die Mehrheit einer großen Versammlung hinter eine Entschließung gestellt. Das hat eine politische Wirkung. Ich wünschte nur, die deutsche Bundesregierung würde mit diesem Dokument in der Weltöffentlichkeit nun einmal etwas anstellen. Verweisen Sie doch bitte nicht auf Luxemburg!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, sich auf eine Frage zu beschränken.
Die deutsche Bundesregierung versucht tagtäglich, in den Verhandlungen mit der DDR etwas für die Menschenrechte zu erreichen. Das tut sie. Aber ich habe Sie gefragt: Haben Sie schon etwas davon gehört, daß eine andere Regierung auf der Basis dieser Resolution etwas unternommen hätte? Auf diese Frage habe ich keine Antwort bekommen.Bei dem ganzen Streit um die Resolution ging es also nicht etwa um die Frage des Verurteilens oder des Verschweigens, sondern ganz allein um die operative Frage, wie der Westen seinen Beitrag zur Durchsetzung der Menschenrechte am sinnvollsten und wirksamsten leisten kann. Ich glaube, es spricht eigentlich für die Konzeptionslosigkeit der Opposimunisten in der DDR verschwiegen und vertuschen tion, daß sie an diesem untauglichen Objekt ihre Konfrontationsstrategie erneut auszuprobieren versucht. Ich glaube, es war auch keine gute Sache, daß Sie das internationale Forum der Nordatlantischen Versammlung dazu mißbraucht haben, Ihren Wahlkampf praktisch noch einmal um ein paar Wochen zu verlängern.Was bleibt bei dieser Resolution, abgesehen von den Unterstellungen der Opposition, an wirklicher sachlicher Meinungsverschiedenheit? Ich glaube, darüber sollten wir doch einmal ernsthaft diskutieren und uns nicht auf gegenseitige Anklagen beschränken.Wer Verantwortung trägt, weiß doch genau, auf welch schmalem Pfad sich unsere Politik zu bewegen hat, wenn wir den Menschen im Osten tatsächlich helfen wollen. Auf der einen Seite geht es darum, zu verhindern, daß der Westen insgesamt auf eine egozentrische, selbstzufriedene Politik zurückfällt und die Menschen im Osten abschreibt. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch verhindern, daß sich im Osten die Tendenzen der innenpolitischen Verhärtung gegenüber dem Interesse an Entspannung durchsetzen. Dieser schmale Pfad einer realistischen Politik, wie wir sie verstehen, hat nichts mit Anpassung, Unterwerfung oder Prinzipienlosigkeit zu tun. Er hat aber auch nichts mit einer Politik des Alles oder Nichts zu tun, die schon einmal gescheitert ist und deren Wiederholung vielleicht der Opposition Befriedigung verschaffen, aber die Chance einer Entspannung zwischen Ost und West und damit vor allem die Chance einer Entspannung im Osten verschütten würde. Es ist unbestritten, daß erst im Zeitalter der Entspannung der Freiheitsraum im Osten allmählich, wenn auch stockend und mitRückschlägen, größer geworden ist. Unter Stalin wären Solschenizyn und die vielen Dissidenten unvergleichlich härter unterdrückt worden, so hart, daß ihre Namen uns gar nicht erst bekannt geworden wären. Ich rechtfertige damit nicht das Unrecht, dem die Dissidenten heute noch ausgesetzt sind; aber ich wende mich gegen die Unterstellung, die von Ihrer Seite immer wieder zu hören ist, als ginge die Entspannung zu Lasten dieser Menschen und als stabilisiere die Entspannung die Herrschaft des Kommunismus. Roy Medwedew hat klar festgestellt: Entspannung hilft den Dissidenten. Gerade die verstärkte Bürgerrechtsbewegung nach Helsinki zeigte jedoch, wie sehr die Dinge durch die KSZE in Bewegung geraten sind. Auch der Regimekritiker Pljuschtsch warnt davor, auf die Entspannung, auf Helsinki zu verzichten, weil seine Kameraden Helsinki im Kampf als Waffe einzusetzen wissen.Ich möchte die Opposition an dieser Stelle daran erinnern, daß sie es war, die Helsinki für außerordentlich gefährlich ansah und die Ergebnisse der KSZE in diesem Hause abgelehnt hat. In ihrer Gesellschaft befanden sich übrigens — auch daran möchte ich erinnern — nur noch die Nachlaßverwalter Stalins in Albanien und die Nachlaßverwalter Mussolinis in Italien, nämlich die Kommunisten in Albanien und die Neofaschisten in Italien. So viel zu dem Stichwort „Isolierung", Herr Kollege Blumenfeld.
— Vielen Dank, daß Sie mir Intelligenz bescheinigen. Es ist doch aber eine Tatsache,
daß die CDU/CSU die einzige politische Gruppierung in Europa gewesen ist, die außer der albanischen KP und den italienischen Neofaschisten die KSZE und ihre Ergebnisse abgelehnt hat. Das läßt sich doch nicht aus der Welt diskutieren.
— Nein, das ist für mich eine Tatsache. Sie können mir nachher gerne sagen, welche anderen politischen Parteien sich ebenfalls gegen die KSZE gewandt haben. Diese Information würde mich interessieren.
Wer sich für die Menschenrechte im Osten einsetzt— damit greife ich ein Stichwort auf, das Herr Blumenfeld in die Debatte eingeführt hat —, wird seine Glaubwürdigkeit allerdings nur dann beweisen können, wenn er sich auch für die Menschenrechte in anderen Teilen der Welt aktiv eingesetzt hat.
— Ich komme gleich darauf. Ich fürchte, wir erweisen der inneren Opposition im Osten — von Sacharow bis Havemann — keinen Dienst, wenn sie Für-
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Dr. Corteriersprecher erhält, die in dieser Beziehung rundum weiße Weste haben. So hätte ich mir insbesondere gewünscht, daß sich die CSU seinerzeit auch einmal mit konsequenter Kritik über die Diktaturen in Athen, Madrid und Lissabon geäußert hätte.
Herr Kollege Blumenfeld, Sie haben hier Südafrika erwähnt. Es freut mich, daß wenigstens Sie in Williamsburg der Entschließung zugestimmt haben. Ich erinnere Sie aber an das, was der Kollege Strauß hier in der Debatte über die Regierungserklärung gesagt hat, als er sich in äußerster Schärfe gegen die Forderung des Bundeskanzlers nach Verwirklichung der Mehrheitsrechte in Südafrika gewandt und diese Forderung sogar als Unsinn abqualifiziert hat.
— Nein, es ging um ganz Südafrika. Der Bundeskanzler hat hier keine Ausnahmen gemacht. Sie können das gern im Protokoll nachlesen; dann werden Sie mir zustimmen müssen.
Ich komme nun in meinen Ausführungen über die Frage der Menschenrechte auf einen Punkt zu sprechen, den wir — über die Gegensätze, die sich wegen der Resolution von Williamsburg ergeben haben, hinweg — nicht sehr ernst nehmen sollten. Ich möchte die Frage aufwerfen, ob es nicht doch möglich sein könnte — ich denke dabei auch ein bißchen an die Diskussion, die wir gestern im Auswärtigen Ausschuß hatten —, hier in diesem Hohen Hause in dieser Frage etwas mehr Übereinstimmung zu erzielen, wenn wir uns daran orientieren, wie der Erfolg im Kampf um die Menschenrechte gesichert werden kann. Ich habe es in der Sache, um die es geht, als unangemessen und streckenweise als unehrlich empfunden, so zu tun, als gehe es darum, sich entweder mit den Bürgerrechtsbewegungen in der DDR, der Sowjetunion und anderen osteuropäischen Staaten oder mit den jeweiligen Regierungen zu verbünden, die diese Bürgerrechtsbewegung zu unterdrücken versuchten, weil sie sie als innere, unter Umständen sogar als äußere Bedrohung empfinden. Ich warne vor einer so gestellten Alternative, weil sie den zahlreichen Menschen, denen wir mit unserer Politik praktisch geholfen haben und vielleicht weiter helfen können, nicht nutzen, sondern im Gegenteil schaden würden. Das Schlimme ist ja, daß nicht wir oder irgend jemand von uns darunter zu leiden haben würde, sondern die Menschen dort, die ein wenig Hoffnung geschöpft haben, es würden Verhältnisse zwischen Ost und West entstehen, die ihnen das Leben leichter machen würden.Ich messe den Menschenrechten auch im zwischenstaatlichen, internationalen Bereich einen bedeutenden Rang zu. Da ist überhaupt kein Unterschied zu der Bewertung, Herr Kollege Damm, wie sie gerade von der neuen amerikanischen Regierung vorgenommen wurde. Es darf uns nicht gleichgültig lassen, wenn Menschenrechte verletzt werden. Wiederum stellt sich aber in der Welt, wie sie ist, die Frage, was mit diesen Kategorien zu messen und unter den Bedingungen, mit denen wir es zu tun haben, politisch zu verantworten ist. Ein Land wie die Bundesrepublik darf — da besteht ein gewisser Unterschied zu den Amerikanern — die Mittel und Möglichkeiten, die ihr zur Verfügung stehen, um ihre Ziele im auswärtigen Bereich zu verwirklichen, nicht überschätzen.
— Das haben wir auch gar nicht getan, Herr Damm.. Ich habe Ihnen dargelegt, daß wir nicht geschwiegen haben, daß wir die Menschenrechtsverletzungen durch die DDR verurteilt haben. Wir haben doch dieser Resolution zugestimmt.
Wie oft soll ich das noch wiederholen? Sie können doch nicht deswegen, weil wir Ihre Resolution nicht von der ersten bis zur letzten Zeile unterschrieben haben, behaupten, wir hätten zu Menschenrechtsverletzungen geschwiegen. Das ist doch unerhört.
Es geht nicht so, daß Sie uns Texte vorlegen und, nur weil wir nicht alles fressen, gleich diese Anklage erheben, die wir über uns ergehen lassen müssen.
Ich bin gerade in einer Phase, in der ich versuche, ein Angebot zu einer etwas ruhigeren Auseinandersetzung über diese Fragen zu machen, die doch nicht Gegenstand ständiger parteipolitischer Konfrontation sein können, wenn wir den Menschen wirklich helfen wollen. Ich möchte deswegen einfach darum bitten, daß Sie sich das einmal anhören; dann können wir noch darüber reden.
— Herr Blumenfeld will mir schon wieder die nächste Frage stellen.
— Ja, gut; aber man muß einmal einen Gedankengang im Zusammenhang vortragen können, ohne immer wieder auf diese Resolution zurückkommen zu müssen.Ich glaube, wir können unsere Vorstellung vom Rang der Menschenrechte im Verhältnis zwischen den Regierenden und Regierten niemandem aufzwingen. Wir können und wollen für die Rechte und die Würde des Menschen eintreten; aber wenn wir dazu beitragen wollen, sie in anderen Ländern verwirklichen zu helfen, ist bloße Anklage unserer Meinung nach nicht genug. Wir brauchen in der Regel die Beziehungen zu diesen Ländern, um echt helfen zu können, und nur selten ist die Isolierung
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640 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
Dr. Corterierund Bestrafung der erfolgversprechendste Weg. Den Bruch zu riskieren heißt doch, sich selbst der Möglichkeit zu berauben, im Sinne der Verwirklichung der Menschenrechte zu wirken. Damit ist niemandem gedient, uns selbst nicht, aber auch den Menschen nicht, um deren Schicksal es geht. Wer eine Politik der Versöhnung, des Ausgleichs und der Verständigung als Nachgiebigkeit, Vorleistung und einseitiges Zugeständnis ansieht, handelt selbst in hohem Maße unmoralisch, weil er unfähig bleibt, die notwendigen Instrumente zu entwickeln, um den Menschen praktisch zu helfen.Wir können uns in unserer Lage methodische Fehlschläge in der Entspannungspolitik zwischen Ost und West nicht leisten. Von der Frage, wie wir am besten dazu beitragen können, Menschenrechte praktisch zu verwirklichen, hängt sehr viel ab. Mit markigen Worten, die allein für den innenpolitischen Gebrauch bestimmt sind, kommen wir in dieser Frage nicht weiter, und Druck und Vorbedingungen bergen angesichts der Mittel, die uns zur Verfügung stehen, immer die Gefahr des Scheiterns von vornherein in sich. Wenn Sie dies nicht wollen, sollten auch Sie daran interessiert sein, meine Damen und Herren von der Opposition, eine Form des Gesprächs und der Auseinandersetzung um der Sache willen zu finden, die uns und den Betroffenen weiterhilft. Vielleicht können wir in den Ausschüssen, aber auch hier darüber reden, wie so etwas im einzelnen aussehen könnte.
— Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Damm möchte eine Zwischenfrage an Sie stellen. Sie sind damit einverstanden.
Ich hoffe, daß mir das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Herr Dr. Corterier, schließt all das, was Sie sagen, zwangsläufig aus, daß Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetunion und in der DDR von uns gemeinsam öffentlich und deutlich beim Namen genannt werden, wie es z. B. alle sowjetischen Dissidenten immer wieder von uns im Westen fordern, daß wir es tun, damit sie drüben in der Lage, in der sie sich befinden, Erleichterungen erfahren?
Ich würde mich hier gar nicht auf eine so generelle These — weder in der einen noch in der anderen Richtung — festlegen wollen, sondern, so wie es der amerikanische Präsident getan hat, sagen: Man muß von Fall zu Fall entscheiden, was hilft. Das halte ich für sehr viel wichtiger, als eine so generalisierende These aufzustellen, wie Sie es jetzt gerade wieder versuchen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Corterier?
Sind denn z. B. die tödlichen Schüsse an der Zonengrenze im letzten Jahr — wohlgemerkt, nur die im letzten Jahr — nicht konkrete Fälle genug gewesen, um die DDR so anzuprangern, wie wir das in Williamsburg getan haben?
Das ist doch gar keine Frage. Wir haben das doch immer wieder getan. Wir haben es in Williamsburg ja mit Ihnen getan. Diese Frage verstehe ich nun wirklich nicht.
— Muß ich Ihnen den Text noch einmal vorlesen? Wir haben der DDR in Williamsburg gemeinsam flagrante „Verletzungen der Menschenrechte an der innerdeutschen Grenze" vorgeworfen. Also, Herr Damm, ich verstehe Ihre Frage nicht. Offenbar reden wir hier völlig aneinander vorbei.Ich möchte jetzt noch zu einer zweiten Frage, die in der Debatte bereits eine große Rolle gespielt hat, etwas hinzufügen, nämlich der Frage, wie es tatsächlich um das militärische Gleichgewicht zwischen den Bündnissen in Ost und West bestellt ist.Von der zutreffenden Beantwortung dieser Frage hängt sehr viel ab, nämlich die Entscheidung darüber, ob wir mit der Weiterführung des Ost-WestDialogs die Hoffnung auf konkrete Abrüstungsmaßnahmen verbinden können oder zu weiteren vielleicht verstärkten Rüstungsanstrengungen gezwungen sind. Letzteres wäre eine schwerwiegende Entscheidung, deren Konsequenzen kaum abzusehen sind. Niemand in diesem Hause könnte sie wünschen. Auch die Opposition weiß mit Sicherheit, wie schwer die Verantwortung für eine solche Entscheidung im Innern, aber auch nach draußen wäre. Es mag daher für einige aus Ihren Reihen bewußt ein Kalkül sein, uns in eben diese Verantwortung zu drängen, auch wenn nicht jeder diese Sorge in gleichem Ausmaß tatsächlich teilt, das militärische Gleichgewicht verschiebe sich für den Westen in einer gefährlichen Weise.Ich will hier in dieser Frage keiner Gemeinsamkeit das Wort reden, die das notwendige Streiten um die richtige Außen- und Verteidigungspolitik ausschaltet. Es gibt jedoch ein grundlegendes und uns alle verpflichtendes Interesse daran, das legitime und lebenswichtige Sicherheitsbedürfnis unseres Volkes zu befriedigen. In bestimmten historischen Situationen mag es keine Alternative zur Verstärkung der eigenen Verteidigungsleistung und -fähigkeit geben. Nur, die Frage ist, ob wir uns heute militärisch in dieser Situation befinden.Wir haben heute von den verschiedenen Seiten im Hause gehört, daß diese Frage in den Vereinigten Staaten und auch bei uns sehr heftig diskutiert wird und daß selbst Militärfachleute und -gremien, die es eigentlich genau wissen müßten, zu völlig unterschiedlichen Urteilen kommen. Ich kann dabei den Verdacht nicht ganz ausschließen, daß es in dieser Debatte auch einen interessierten „Alarmismus" gibt, der uns den Blick für militärische Realitäten und Ver-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977 641
Dr. Corterierhandlungsmöglichkeiten ebenso verstellt wie der naive Glaube an eine Welt ohne Waffen.Was wir in den vergangenen Jahren zusammen mit unseren Bündnispartnern versucht haben, ist nichts anderes als ein zähes Ringen um die Kontrolle der Risiken militärischer Gewaltanwendung, mit denen wir ganz besonders hier in Mitteleuropa, aber auch weltweit konfrontiert sind. Das Dilemma der Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Zeitalter nuklearer Waffen besteht doch darin, daß beide Bündnisse mit denselben Waffen, die sie zur Verfügung haben, die Gesellschaften, die sie vor der Bedrohung schützen sollen, auch zerstören können, wenn es je zu einer Auseinandersetzung kommt. Diese Erkenntnis hat doch zu dem geführt, was wir den Prozeß der Entspannung nennen und den wir im Interesse der Sicherheit aufrechterhalten wollen und müssen, weil wir eine existentielle Gefährdung zu vermeiden suchen müssen. Sicherheit im Nuklearzeitalter ist ein zu komplexes Thema, als daß man es der Bemühung um Ausgleich, Verteidigung und vertrauensbildende Abrüstungsmaßnahmen vorschnell entziehen könnte. Deshalb halte ich es für erforderlich, sorgsamer mit Argumenten umzugehen, die eine militärische Gleichgewichtsverschiebung unterstellen. Wir werden mit großer Aufmerksamkeit verfolgen müssen, welche Schlußfolgerungen die neue amerikanische Regierung aus der gegenwärtigen Diskussion zieht. Es gibt keinen Grund, ihrem Urteil, wenn sie es sich gebildet hat, zu mißtrauen, ich glaube, auch für die Opposition nicht. Lassen Sie uns deshalb die notwendigen Informationen im Ausschuß, möglicherweise in einer gemeinsamen Sitzung des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses, beschaffen und diskutieren. Ich halte es für denkbar, daß es in der Beurteilung der militärischen Ausgangslage mehr Übereinstimmung gibt, wenn wir im Ausschuß ernsthaft und mit besseren Grundlagen und Daten ausgerüstet, als es heute noch möglich war, an dieses wichtige Thema herangehen.Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, bevor ich zum Schluß komme, noch eine kurze Bemerkung zu Spanien machen, weil Herr Kollege Blumenfeld dieses Thema hier auch besonders hervorgehoben hat. Es war in Südeuropa in den letzten Jahren für die NATO besonders schwierig, unid zwar, wie ich glaube, vor allem deswegen, weil sie sich nicht immer klar genug von diktatorischen Regimen abgegrenzt hat, was dann z. B. zum Austritt Griechenlands aus der militärischen Organisation der NATO geführt hat. Ich glaube, diese Lehre sollten wir uns, was Spanien angeht, merken. Deswegen, glaube ich, ist es nicht hilfreich, wenn jetzt gerade wieder Herr Strauß mit Politikern verhandelt, die durch das Franco-Regime auf schwerste kompromittiert sind.
Ich glaube, das nützt der Allianz nicht und das kann bei allen Überlegungen über den Beitritt Spaniens zur Allianz in Zukunft große Schwierigkeiten machen.Lassen Sie mich zum Schluß feststellen: Die Tagung der Nordatlantischen Versammlung in Williamsburg hat aus unserer Sicht gezeigt, daß die Allianz es in verschiedenen Bereichen mit großen Schwierigkeiten zu tun hat, daß sie in anderen Bereichen aber dabei ist, Probleme zu überwinden, die uns allen noch vor kurzer Zeit große Sorgen gemacht haben. Sicherheit und Entspannung werden auch in Zukunft die beiden Hauptziele des Bündnisses sein müssen. Wir sind mit unseren Verbündeten darin einig, daß es zur Entspannungspolitik keine Alternative gibt und wir sie daher trotz aller Schwierigkeiten mit Geduld und Realismus fortsetzen müssen. Unsere Sicherheit kann nur im Rahmen des Bündnisses gewährleistet werden, weil nur durch die NATO ein relatives Gleichgewicht gegenüber dem Warschauer Pakt aufrechterhalten werden kann. Hierzu gehört das Engagement der USA in Europa. Wir sind sicher, daß dieses Engagement auch unter Präsident Carter erhalten bleibt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Kollege Möllemann hat in seinen Ausführungen zur Nordatlantischen Versammlung in Williamsburg den militärischen Teil aus der Sicht der Freien Demokraten abgehandelt. Ich hoffe, daß die sehr bemerkenswerten neun Punkte, die er hier in die Diskussion eingeführt hat, Grundlage der in den nächsten Monaten durchzuführenden Debatten über den verteidigungspolitischen Bereich werden mögen, weil sie auch zur Ausfüllung und Fortentwicklung der Direktiven, Entschließungen und Empfehlungen von Williamsburg sicher einen wertvollen Beitrag leisten werden.Lassen Sie mich aber zu den Vorlagen des Politischen Ausschusses dieser Tagung Stellung nehmen. Ich will das, wie es sich für einen Liberalen geziemt, sehr nüchtern und ohne die hier auch im außenpolitischen Teil sichtbar gewordene Kraftmeierei tun.Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten ein Zitat des Bundesaußenministers Genscher vor der UNO-Vollversammlung am 28. September 1976 voranstellen, wo er gesagt hat:Kein Volk kann an der Zusammenarbeit über die Grenzen der Systeme hinweg stärker interessiert sein als das deutsche Volk, daß in zwei Staaten zu leben gezwungen ist. Durch Deutschland läuft die Grenze, die Europa teilt.Um Erleichterungen für die Menschen und um einen Ausbau der Zusammenarbeit ging und geht es auch bei unseren Verhandlungen mit der DDR.Entspannungspolitik in einem geteilten Land und für ein geteiltes Land ist eine große, aber auch schwere Aufgabe. Aber wir Deutschen wissen, daß es dazu keine vertretbare Alternative gibt.
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642 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
JungUnd weiter sagte er dort am 28. September 1976:Die Bundesregierung resigniert nicht angesichts der Wirklichkeit einer Grenze, an der auf der anderen Seite noch in jüngster Zeit Schüsse fallen. Damit muß endlich Schluß gemacht werden. Die Bundesregierung wird nicht müde werden, mit ihrer Entspannungspolitik auch das zu erreichen.Meine Damen und Herren von der Opposition, somit war vor der Weltöffentlichkeit der Standpunkt der Bundesrepublik Deutschland in der Frage der Entspannungspolitik aus berufenem Munde dargelegt. Es hätte also des Änderungsantrages zum Entschließungsentwurf Nr. 55 gar nicht bedurft.Nun darf ich aber auch einmal feststellen, daß der Vorstoß der CDU/CSU-Abgeordneten im Rahmen der Nordatlantischen Versammlung auch in einem seltsamen Kontrast zur Haltung der Gesamtfraktion der Opposition gegenüber der Repräsentanz der Bundesrepublik Deutschland vor den Vereinten Nationen steht. Ich habe ja den Außenminister aus dieser Sitzung vom 28. September zitiert. Die Nordatlantische Versammlung will man seitens der Opposition mit Problemen belasten, zu denen dieses parlamentarische Gremium Lösungen in der gewünschten Form gar nicht erbringen kann. Die deutsche UNO-Delegation aber wurde seinerzeit von der Opposition boykottiert. Die Sucht nach bedingungsloser Konfrontation erweist sich einmal mehr als größer als die Unterstützung deutscher Interessen, und dafür meine Damen und Herren von der Opposition, bietet auch das Wahlkampfklima der damaligen Zeit keine Entschuldigung.Herr Blumenfeld hat zu erklären versucht, wieso die Gemeinsamkeit nicht zustande kam, die Gemeinsamkeit der deutschen Delegation, die in früheren Fällen in der Nordatlantischen Versammlung immer vorhanden war. Das uneinheitliche Bild, das die deutsche Delegation bei der Abstimmung geboten hat, wäre leicht zu vermeiden gewesen, wenn das sonst auf den Tagungen der Nordatlantischen Versammlung übliche geschlossene Stimmverhalten der nationalen Delegationen auch hier praktiziert worden wäre. In einer vorherigen Absprache der deutschen Delegation wäre das leicht zu erreichen gewesen, aber die Opposition — und hier müssen Sie doch ehrlich sein, Herr Kollege Blumenfeld — stand anscheinend noch unter starken Nachwirkungen des Wahlkampfes, so daß sie glaubte, diesen — zumindest partiell — vor den Gremien der NATO fortsetzen zu müssen. Doch nichts wäre falscher, als diese kleine Unstimmigkeit bei der Annahme der Entschließung Nr. 55 — —
— Nein, ich war natürlich nicht da, aber ich will ja hier — —
— Wir reden ja hier über die Vorlagen, Herr Kollege Damm.
— Ja richtig, und hier sollten Sie auch einmal ehrlich zugeben, daß Sie noch stark unter den Nachwirkungen des Wahlkampfes standen, als Sie Ihre Resolution dort eingebracht haben.
— Herr Kollege Kohl, ich will ja versuchen, hier ein bißchen Öl auf die Wogen zu gießen,
denn nichts wäre schlimmer, als diese kleine Unstimmigkeit bei der Annahme dieser Entschließung Nr. 55 überzubewerten.
Die Geschlossenheit, die die Nordatlantische Versammlung bei der Verabschiedung vieler anderer Entwürfe bewiesen hat — und ich darf hier auf die verschiedenen Direktiven — —
— Ich weiß es, Herr Kollege Blumenfeld, ich weiß es sehr genau.
— Ich versuche, dies doch zu glätten und abzuklären, damit wir eine gemeinsame Basis für gemeinsames Handeln finden. Dies ist ja auch schon zum Ausdruck gekommen, Herr Kollege Blumenfeld, bei der Verabschiedung der anderen Entwürfe, die gemeinsam verabschiedet wurden: der Direktiven 17 und 18, der Entschließungen Nrn. 53 bis 58, von denen hier zum Teil schon die Rede war, und der Empfehlung Nr. 58.Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch in der Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976, also kurz nach dieser Versammlung der NATO-Parlamentarier, ist der Standpunkt der sozialliberalen Koalition durch den Bundeskanzler und durch den Bundesaußenminister in diesen Fragen hier deutlich gemacht worden. Ich darf die wesentlichen Gesichtspunkte in drei kurzen Sätzen zusammenfassen.Erstens. Die dauerhafte Einordnung der Bundesrepublik Deutschland in den Kreis der freiheitlichen Demokratien wurde seit 1969 und wird auch in den kommenden Jahren durch die sozialliberale Koalition konsequent weitergeführt!Zweitens. Die Ergänzung dieser Integrationspolitik durch die Entspannungspolitik ist doch ganz einfach deswegen notwendig gewesen, weil sich damit die nachbarschaftlichen Verhältnisse auch nach dem Osten verbesserten.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977 643
JungDrittens. Die Entspannungspolitik muß weiterverfolgt werden. Die Fortsetzung der Ideologieauseinandersetzung sollte und muß nur mit friedlichen Mitteln geschehen.Es wird ja auch nicht geleugnet, daß die von hier aus sichtbare Rüstungspolitik der Warschauer-Pakt-Staaten besorgniserregend ist, aber die vorliegenden Anzeichen für sowjetische Intentionen, die das gegenwärtige strategische Abschreckungssystem in Frage stellen können, sind zwar ernst genug, um planungsmäßig berücksichtigt zu werden; es besteht aber kein Anlaß zum Alarm, wie dies in verschiedenen Beiträgen von Kollegen der Opposition, insbesondere eines CSU-Kollegen, heute hier zum Ausdruck kam.Die bereits laufenden strategischen Programme der USA stellen sicher, daß die Sowjetunion das Gleichgewicht auf diesem Sektor nicht ernsthaft beeinträchtigen kann. Auch auf dem Wege über eine Verbesserung des Zivilschutzes und der Überlebensfähigkeit der Industrie sowie der Entscheidungszentren läßt sich die massive Zweitschlagfähigkeit der Vereinigten Staaten nicht unterlaufen. Die Gefahr liegt eher darin, daß sich die sowjetische Führung dem falschen Eindruck hingeben könnte, die eigenen Verluste im Ernstfall so entscheidend verringern zu können, daß Risiken vertretbar erscheinen. Es wird deshalb, meine Damen und Herren, darauf ankommen, die Sowjets zu überzeugen, daß ihr strategisches Denken möglicherweise in eine gefährliche Richtung geht und daß sie zwar forciertes Wettrüsten, nicht aber Überlegenheit erreichen können. Hierfür werden die fortgesetzten SALT-Gespräche das geeignete Forum bieten.Allen NATO-Partnern gemeinsam stellt sich die lebenswichtige Aufgabe, durch angemessene militärische Anstrengungen dafür zu sorgen, daß die Bündnisstrategie der angemessenen Erwiderung funktionsfähig bleibt. Dies erfordert vordringliche Verbesserungen im konventionellen Bereich, wie sie in Brüssel vom Vorsitzenden des Militärausschusses gefordert und von den Verteidigungsministern gebilligt wurden. Im taktisch-nuklearen Bereich gilt es, das laufende Modernisierungsprogramm zielstrebig daran auszurichten, daß die Funktion dieser Waffen als Bindeglied zwischen der konventionellen und der strategischen Komponente der NATO-Triade erhalten bleibt.Unter MBFR-Gesichtspunkten ist darauf hinzuweisen, daß in Mitteleuropa das regionale und konventionelle Kräfteverhältnis nach westlichen Erkenntnissen gekennzeichnet ist durch die bei den Mannschaftsstärken und den Kampfpanzern bestehenden Disparitäten zugunsten des Warschauer Paktes. Die westliche Zielsetzung für die MBFR-Verhandlungen ist auf die Herstellung der Personalparitäten bei den Landstreitkräften und die Verminderung der Disparität bei den Panzern gerichtet. Auch für diese Verhandlungen ist die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses unbedingt Voraussetzung. Auf dieser Grundlage wird das Bündnis in der Lage sein, entsprechend seiner Zielsetzung auch weiterhin neben der Gewährleistung der militärischen Sicherheit den Prozeß der politischen Entspannung weiterzuführen.Unter Berücksichtigung dieser Gesamtlage sollten die Bemühungen und die Vorstellungen über die Fortführung der KSZE- und der MBFR-Verhandlungen gestellt werden. Es ist für diese Politik weder nützlich noch förderlich, innerdeutsche Probleme in Gremien einzubringen, wie sie etwa die Nordatlantische Versammlung darstellt. Denn aktives Einwirken von außen ist unmöglich — das wissen wir —, und passives Einwirken von außen führt doch nur zu Standpunktverhärtungen. Ich möchte also nochmals feststellen: Die Nordatlantische Versammlung als parlamentarisches Gremium ist einfach nicht befugt, Disziplinierungsmaßnahmen gegen Staaten des Warschauer Pakts zu beschließen, wie sie durch diesen Antrag der Herren Titzck und Blumenfeld zum Ausdruck kamen.Der Kampf der Opposition gegen die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition ist im Parlament und bei der Mehrheit der Wähler gescheitert — dies möchte ich als Fazit feststellen —, und es darf auch keinen Versuch der Fortsetzung dieser Bekämpfung über das verbündete Ausland geben.
Die FDP-Fraktion hat sich darauf eingerichtet, kleine und kleinste Schritte zu verfolgen, wo innenpolitische Rücksichtnahmen keine großen Erfolgsgarantien hergeben. Ich fordere Sie, meine Damen und Herren von der Opposition auf, in diesem Sinne mit uns gemeinsame Politik für die Bundesrepublik Deutschland zu machen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft. Es liegt eine Empfehlung des Ältestenrates vor, die Drucksache 8/27 dem Auswärtigen Ausschuß — federführend — und dem Verteidigungsausschuß zu überweisen. Ich nehme an, daß sich diese Empfehlung auch auf den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU — Drucksache 8/110 — bezieht. Ist das zutreffend? — Wer dem Vorschlag, diese beiden Drucksachen den beiden genannten Ausschüssen zu überweisen, zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 3 unserer Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Investitionszuschüsse für Mietwohnungen, Genossenschaftswohnungen und Wohnheime im sozialen Wohnungsbau
— Drucksache 8/79 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Finanzausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Das Wort hat Herr Abgeordneter Luster.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Sache selbst erscheint die Ausnahmeregelung, die der Antrag der SPD und FDP
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644 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
Lustervorschlägt, für das Land Berlin aus dem im Antrag zutreffend geschilderten Sachverhalt berechtigt. Dies darf ich für die CDU/CSU-Fraktion ohne Präjudiz für die anschließenden Beratungen im Ausschuß sagen.Wir fügen jedoch hinzu, daß aus Gründen der bauwirtschaftlichen Konjunkturdämpfung die Maßnahme vor Monaten hätte getroffen werden sollen. Damals haben die Organisationen sowohl der Unternehmer als auch der Arbeitnehmer, insbesondere auch der Chef der IG Bau, Herr Sperner, persönlich, ebenso der Berliner Bausenator Ristock, darauf gedrängt. Das Wohnungsbauministerium hat aber abgelehnt, bis in die jüngste Zeit, auch noch in Antworten auf Fragen der Abgeordneten Dr. Schneider und Schmitt-Vockenhausen (SPD). Jetzt scheint uns dieser Antrag in der Substanz verspätet. Denn erstens sind die Arbeiten des Bauhauptgewerbes abgeschlossen und müssen abgeschlossen sein, wenn die Frist des 30. Juni 1977 eingehalten werden soll. Die Arbeiten des Baunebengewerbes für die in Betracht kommenden Bauvorhaben dürften angefangen sein. Mindestens liegen hierfür Verträge vor, und zwar nicht irgendwelche Verträge. Es müssen ja Verträge sein, die den Bauherren die Sicherheit geben, daß sie die Frist des 30. Juni nicht überschreiten. In den Verträgen wird also unter Umständen mit empfindlichen Konventionalstrafen gearbeitet.Das bedeutet: Die Bauherren selber haben in diesem Augenblick kaum ein Interesse an der gesetzlichen Fristverschiebung. Sie haben — was man verstehen muß — jetzt nicht bauwirtschaftliche Weisheit, sondern die Vorstellung im Kopf, daß die Wohnungen bald bezugsfertig und bald vermietet sein sollen.So kommt man zu dem Schluß: Es schadet in der Sache nicht, nützt aber auch nicht viel, zu diesem Zeitpunkt diesen Beschluß zu fassen.
Was auffällt, ist die unrealistisch hoch angegebene Kostensumme als Folge der Gesetzesmaßnahme. Im Vorblatt der Drucksache 8/79 gibt es den Satz:Nimmt man an, daß infolge der Fristverlängerung ein Viertel des jährlichen Bewilligungsvolumens zusätzlich in die Begünstigung gelangt, so ist mit einem voraussichtlichen Mehraufwand von etwa 30 Millionen DM zu rechnen.Die Exegese dieses Satzes ergibt eine Reihe von Ungereimtheiten. Die bis zum 30. Juni 1976 bewilligten und also als solche allein bezuschußbaren Bauvorhaben liegen nach Art, Umfang und Anzahl seit diesem Zeitpunkt fest. Bei der Mittelbereitstellung war von dafür notwendigen Zuschüssen auszugehen.
Bei dieser Sachlage können Bauvorhaben nicht, auch nicht infolge Fristverlängerung, wie es im Antrag heißt, „zusätzlich in die Begünstigung gelangen" und Mehraufwand verursachen. Möglich wäre allenfalls, daß durch die Fristverlängerung Bauvorhaben das Ziel erreichen, bei denen es um eine Art Pannenbeseitigung geht. Aber das würde ich nicht als einen Mehraufwand bezeichnen, sondern als einen unterbliebenen Minderaufwand, also eine nicht erfolgte Ersparnis. Die Formulierung des Antrags scheint mir ebenso falsch zu sein, wie wenn man sagen würde : Nimmt man an, daß von 100 geladenen Gästen nicht 75, sondern alle 100 kommen, dann steigt der Aufwand ihrer Bewirtung um ein Drittel. In der gleichen Logik bewegt sich diese Antragsformulierung.
— Vielen Dank! Man ist besonders als „Neuer" für jeden Beifall hier sehr dankbar.
Übrigens liegen mindestens zwei Äußerungen vor, bei denen ich mich frage, warum die SPD-Fraktion sie sich nicht bei ihren Kostenschätzungen zu Gemüte geführt hat. Es handelt sich um zwei Äußerungen des sozialdemokratischen Senators für Bau- und Wohnungswesens in Berlin, Ristock. Die eine stammt vom 2. Februar 1977. Er hat sie vor der Berliner Presse abgegeben. Die Äußerung lautet:Neue Bauvorhaben sind von der Fertigstellungsfrist nicht betroffen, so daß eine zusätzliche Belastung der öffentlichen Hand ausgeschlossen ist.So Ristock am 2. Februar 1977.
Die andere Äußerung: Ristock im Juni 1976 an den Bundesminister Ravens — oder wer auch immer von seiner Verwaltung hier sein sollte —: —
— Oh! Entschuldigung, Herr Minister! Von der Seite her kenne ich Sie noch nicht so gut!
— Das ist meine Schuld, ja! Ich will versuchen, das alles nachzuholen.
Ich will — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — zitieren, was gegenüber dem Bundeswohnungsbauminister durch den sozialdemokratischen Senator Ristock in einem Schreiben vom Juni 1976 ausgeführt worden ist:Das zu erwartende Zuschußvolumen des Bundes für Berlin wird demnach selbst bei Verlängerung der Ausschlußfristen um ein halbes Jahr der Höhe nach unverändert bleiben, da die Verlängerung nur für Bauherren der Bauvorhaben in Betracht kommt, für die entweder die öffentliche Förderung bewilligt oder der vorzeitige Baubeginn zugelassen worden ist.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977 645
LusterNun ist Ristock ein Linker in der Sozialdemokratischen Partei, aber ich für meine Person erkläre, daß ich die Datenangaben von linken Sozialdemokraten nicht weniger schätze als die von anders lokalisierten. Ristocks Datenangaben scheinen mir richtig zu sein, und ich frage mich: Woher kommt die hohe Kostenschätzung im Zusammenhang mit Baumaßnahmen im Antrag der Sozialdemokraten?
Sonst erleben wir doch immer viel zu niedrige Kostenschätzungen. Was hat denn dazu geführt? Es lohnt sich, dieser Frage politisch-gedanklich nachzugehen,
sofern man dazu in der Lage ist; ich gebe mir die Mühe.Eine Antwort darf man auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes „cui bono? — Wem nützt es?"
zu geben versuchen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Nachsicht. Durch einen Irrtum, den ich zu vertreten habe, ist der antragstellenden Fraktion nicht als erster das Wort erteilt worden.
Es war mir ausgesprochen peinlich, Herr Abgeordneter Wehner, daß ich hier als erster sprechen mußte, weil es mir angenehmer gewesen wäre, die Ausführungen Ihres Fraktionskollegen in meine Betrachtungen einzubeziehen. Ich hatte es als selbstverständlich angenommen, daß ich im Anschluß an eine Begründung sprechen würde.
Aber dann hat ja Ihr Fraktionskollege die Chance, auf mich zu antworten; umgekehrt wäre es mir, ehrlich gesagt, lieber gewesen.
Ich versuche also, mir und Ihnen vielleicht eine Antwort auf die Frage zu geben: Woher kommt denn die Überschätzung bei den Kosten, nämlich auf 30 Millionen, und bei der Anzahl, nämlich auf 3 000 Wohnungen? Da sollte man sich einmal die Berliner Pressemeldungen ansehen, die aus Anlaß des Besuchs der SPD-Fraktion am 1., 2. und 3. Februar 1977 erschienen sind. Es heißt da in einer unabhängigen Zeitung vom 1. Februar 1977:Zusätzliche Mittel für den Bau von 3 000 Wohnungen in Berlin geplant — Initiative der SPD-BundestagsfraktionDie Fraktion will auch einen Vorschlag des Fraktionsvorstandes vom Sonntagabend beschließen, ... für 30 Millionen DM zusätzlich 3 000 Sozialwohnungen in Berlin zu fördern.Eine entsprechende Initiative will die Fraktion kurzfristig im Bundestag ergreifen.Über die sprechen wir gerade.Da haben nun also alle gestaunt: 30 Millionen, 3 000 Wohnungen. Da sehen Sie schon die Identität der Zahlen mit denen in dem Antrag, den wir besprechen. Wenn man sieht, daß da eine großartige Initiative stattfinden sollte, versteht man auch, daß ein bißchen in die Vollen gegangen wurde. Die Sache sollte ja nach etwas aussehen und sollte etwas hermachen.
In der gleichen Meldung heißt es übrigens interessanterweise auch noch:Brandt: 1977 neues Engagement für Berlin.
Diese so insgesamt verpackte Berlin-Show der SPD, wie ich sie einmal nennen möchte, hat allerdings kurze Beine. Denn am 3. Februar, also zwei Tage später, schreibt das gleiche unabhängige Blatt in Berlin folgendes:In diesem Jahr keine Förderung von zusätzlichen Sozialwohnungen — Ristock korrigiert.Bei der Initiative der SPD-Bundestagsfraktion gehe es keinesfalls darum, neben den bisher geförderten Sozialwohnungen in Berlin zusätzliche 3 000 Wohnungen zu fördern. Meldungen von Mitteln für zusätzliche 3 000 Wohnungen seien vielmehr das Ergebnis einer mißverständlichen Darstellung des Sprechers der SPD-Fraktion,
erklärte gestern Bausenator Ristock vor Journalisten.
Ein bißchen später heißt es dann noch: Bei einer Fristverlängerung,— und nun springen wir wieder in unseren Punkt hier —durch die keine zusätzlichen Wohnungen in die Förderung aufgenommen werden, entstünden damit auch keine Mehrkosten.Meine Damen und Herren, mit anderen Worten, man kann diese 3 000 Wohnungen, glaube ich, nicht ein Potemkinsches Dorf nennen; man muß von einer Potemkinschen Kleinstadt sprechen.
Als solche haben sich also diese 3 000 Wohnungen erwiesen; bei dem Versuch, das eigene Image, das des SPD/FDP-Senats und das des angeschlagenen Regierenden Bürgermeisters Schütz aufzupolieren, haben sich die Mitglieder der SPD-Fraktion dieses Hauses als Potemkinsche Kleinstädter in die Lokalgeschichte Berlins eingetragen.
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646 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
LusterAls glanzvoller Beitrag von Berlin-Politik oder seriöser Beitrag von Berlin-Hilfe wird das Ganze wohl nicht angesehen werden können.Ohne den Beratungen im Ausschuß vorzugreifen und bei allen sonstigen Bedenklichkeiten darf ich sagen, daß die CDU-Fraktion aus politischen Gründen dem Antrage folgen wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Krockert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Luster hat gemeint, nun hätte ich ja die Chance, auf Dinge einzugehen, die er vorgetragen hat. Dies ist für mich keine sehr große Versuchung. Es mag daran liegen, daß der Herr Kollege Luster sich noch ein bißchen an die Atmosphäre des Hauses gewöhnen muß. Wir haben heute eine erste Lesung,
die erste Lesung eines Gesetzentwurfes, über den der federführende Ausschuß heute noch beraten wird und den wir ganz sicher in der zweiten und dritten Lesung hier noch einmal diskutieren werden. Wir hatten unsere ersten Lesungen in solchen Fällen nie als große Gelegenheiten angesehen, einander — ja was denn nun um die Ohren zu hauen? — Der Kollege Wohlrabe sagte: „die Wahrheit"; ich bitte Sie, was soll's? Ich habe den Eindruck, daß einiges von dem, was der Herr Kollege Luster uns hat unter die Nase reiben wollen, im Grunde eher der Tendenz von Herrn Wohlrabe entspricht, der darauf Wert gelegt hat, bei dieser Gelegenheit noch einen Zwischenruf ins Protokoll zu kriegen. Er hat's geschafft. — Dies ist im Grunde nicht der Sinn solcher ersten Lesungen. Deshalb darf ich mir erlauben, ohne große Seitenschwenker auf den Beitrag von Herrn Kollegen Luster zur Sache zu kommen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat in der vergangenen Woche in Berlin getagt. Die FDP ist ebenfalls dagewesen, und wie ich mir sagen ließ, wird die CDU/CSU-Fraktion ebenfalls in Berlin tagen. Wenn ich den Kollegen Luster richtig verstanden habe, dann ist der Effekt, den wir beispielsweise in dieser Frage anstreben, wohl ein „Potemkinsches Dorf", aber ein „Potemkinsches Dorf", das Sie mitzumachen gedenken; habe ich das richtig verstanden? Ich habe verstanden — und das war das einzige, was mich wirklich an der Rede interessiert hat —, daß wir von der CDU/CSU gegen den Entwurf keinen Widerspruch zu erwarten haben werden. Dies nehme ich dankbar und mit Vergnügen zur Kenntnis! Herr Kollege Luster hat bestätigt, daß der Antrag, den wir stellen, in der Sache berechtigt ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahn?
Bitte, Herr Kollege Jahn.
Herr Kollege Krockert, wie beurteilen Sie denn die Äußerung Ihres SPD-Fraktionssprechers Terjung anläßlich der Fraktionssitzung, die Sie in Berlin hatten, daß dieser Gesetzentwurf für Berlin 3 000 Wohnungen bringe? Diese Frage hat Herr Kollege Luster aufgeworfen.
Herr Kollege Jahn, ich bin ja schon dabei, und ich werde darauf zurückkommen, aber auf meine Art und Weise. Ein bißchen Geduld!Wir haben aus dieser Berlin-Sitzung und den Informationen, die wir dort erhalten haben, Schlüsse gezogen. Es war uns wichtig, daß wir, die SPD-Fraktion, schon am Anfang der parlamentarischen Arbeit unser Wissen über die Entwicklung dieser Stadt ergänzen und daß wir weitere Erkenntnisse über das Leben der Berliner gewinnen, über ihre Arbeit und über ihre Probleme. Wir sind gewillt, daraus Konsequenzen zu ziehen, denn Berlin ist uns wahrhaftig nicht nur eine Reise wert. Die Fraktion der SPD hat deshalb intensive Beratungen darüber aufgenommen, welche praktischen Folgerungen sich nicht nur auf dem Gebiet, von dem wir heute sprechen, sondern auf vielen Gebieten daraus ergeben, für uns und für dieses Haus. Als erste und schnelle Reaktion, Herr Kollege Luster, haben wir uns entschlossen, den Vorschlag, der aus Berlin kam und den auch die Regierung aufgenommen hat, unsererseits aufzunehmen und diesen Gesetzentwurf dem Hause vorzulegen, gemeinsam mit der Fraktion der Freien Demokraten — eine Regelung zugunsten des Berliner Wohnungsbaues.Es ist völlig richtig: Die einmalige Fristverlängerung für Investitionszuschüsse, die wir für Berlin einräumen wollen, ist ganz gewiß keine spektakuläre Sache. Das haben wir nie behauptet. Sie verdient kein großes Aufhebens, und wir wollten das deshalb heute auch gar nicht machen, Herr Kollege Luster. Aber sie ist immerhin geeignet, dem Berliner Wohnungsbau in einer bedrängten Situation Luft zu verschaffen und Berliner Arbeitern die Beschäftigung über die Jahresmitte hinaus zu sichern. Das ist uns die Sache immerhin schon wert.
Wir entschließen uns dazu nicht leichten Herzens, sondern ausdrücklich und ausschließlich in Würdigung der besonderen Probleme dieser Stadt, aber auch in Würdigung ihrer besonderen Leistungen. Ich sagte: nicht leichten Herzens. Es ist nämlich immer eine mißliche Sache, eine Frist zu bestimmen und sie hinterher zu verlängern. Das macht man nicht sehr gern, und man sollte in der Tat auf allen Gebieten aufpassen, daß so etwas nicht zur Gewohnheit wird. Wird es nämlich zur Gewohnheit, gibt es Leute, die sich darauf einrichten, vielleicht auch Leute, die damit kalkulieren. Das wollen wir nicht. Deshalb unsere ausdrückliche Erklärung, daß diese Fristverlängerung als besondere Regelung ausschließlich für Berlin von uns gedacht ist.In Berlin hat sich in diesen Monaten unter dem Druck des Termins ein besonders großer Stau an Fer-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977 647
Krockerttigstellungen mit besonders spürbaren Auswirkungen auf die Kosten für Bau- und Ausbauarbeiten und mit besonders bedenklichen Aussichten für die zweite Jahreshälfte ergeben.Ich sagte: in Würdigung der besonderen Probleme dieser Stadt. Arbeitsmarktprobleme sind in Berlin aus den jedermann bekannten Gründen immer noch ein Stück bedrohlicher als anderswo, weil der Berliner Arbeitsmarkt nicht nur durch Konjunkturentwicklungen eingeengt werden kann, sondern weil er einer zusätzlichen Begrenzung, einem zusätzlichen Mangel an Flexibilität unterliegt, bedingt durch die besondere Lage der Stadt.Aber schließlich — so sagte ich — auch in Anbetracht der besonderen Anstrengungen dieser Stadt: Der öffentlich geförderte, der soziale Wohnungsbau, dem die Investitionszuschüsse ja dienen, bewegt in Berlin über 90 % des gesamten Wohnungsbaugeschehens. Dieser Anteil ist unvergleichlich viel höher als der Bundesdurchschnitt mit seinen knapp 30 %, aber auch erheblich höher als in anderen Großstädten hierzulande. Berlin ist eben auch in dieser Hinsicht nicht „eine Stadt wie andere auch".Den Behelfscharakter dieses Gesetzentwurfes habe ich Ihnen nicht verschwiegen. Die Verlängerung der Fertigstellungsfrist um ein halbes Jahr soll bewirken, daß alle die Vergünstigungen erhalten, die sich rechtzeitig um die Bewilligung der Mittel bzw. Genehmigung zum Bau bemüht haben, auch wenn sie eventuell trotz erheblicher Anstrengungen und großen Leistungsdrucks nicht bis zum 30. Juni 1977 fertig werden würden.Nun komme ich zu der Sache, die Sie angesprochen haben. Jawohl, jetzt darf ich Ihnen auch einmal etwas zugeben. Schon der Herr Präsident des Deutschen Bundestages hat heute zugegeben, einen Fehler gemacht zu haben. Ich konzediere Ihnen, Herr Kollege, daß in der Begründung in der Tat eine Formulierung enthalten ist, die mindestens mißverständlich ist. Sie ist nicht falsch, aber sie ist mißirerständlich. Das bedaure ich. Das will ich Ihnen ohne große Einschränkung zugeben; denn der Sachverhalt ist der: Nimmt man an, daß es Unternehmen gibt, die bis zum 30. Juni nicht fertig werden würden, dann erhielten die aus diesem Programm in der Tat nichts, gar nichts, auch nicht für die Aufwendungen, die sie etwa schon bis zum 30. Juni aufgebracht hätten. Das ist die Eigenheit dieses Investitionszuschußgesetzes im Unterschied zu dem Investitionszulagen-Gesetz, das wir damals gleichzeitig verabschiedet haben. Wenn wir nun annehmen, daß wegen der Fristverlängerung diese Unternehmen noch in den Genuß der Vergünstigung kommen, dann ist es in der Tat denkbar, daß mehr Aufwendungen fällig sind, als sie fällig gewesen wären, wenn wir eisern an der Frist des 30. Juni festgehalten hätten.Nun mag einer fragen: Wieviel könnte das denn sein? Da hat jemand gesagt: Es gibt wirklich keine guten Anhaltspunkte dafür, wie groß diese Marge werden könnte. Aber nehmen wir einmal an, das würde sich bis zu einem Viertel eines Berliner Wohnungsbau-Jahresprogramms erstrecken, dann wären das eben 3000 Wohnungen oder 30 Millionen DM. Daraus ist die Pressenotiz geworden, die Sie, Herr Kollege Jahn, angesprochen haben. Das ist mißverständlich, inzwischen aber korrigiert und eindeutig klargestellt. Wenn es der Sache hilft, dann tue ich das von dieser Stelle aus noch einmal ausdrücklich.Meine Damen und Herren, die Zeit für dieses Vorhaben drängt. Die Ausschüsse mögen sich deshalb bitte bemühen, dem Hause den Gesetzentwurf zur zweiten und dritten Lesung sehr bald wieder vorzulegen.Noch eine Bemerkung zum Schluß. Eine Sonderregelung für Berlin ist kein Extrabonbon, kein Erweis für bevorzugte Bedienung. Dies ist ja nicht die erste Ausnahmeregelung und wird auch nicht die letzte sein. Aber der Sinn solcher Sondervorschriften sollte nicht darin gesucht werden, daß dem Land Berlin besondere Vergünstigungen, besondere Vorteile verschafft werden. Die Berliner wollen gar nicht die Hätschelkinder der Nation sein. Wir müssen aber sehr wohl bemüht sein, die besonderen Nachteile ausgleichen zu helfen, in die Berlin infolge seiner Lage immer wieder geraten kann und ganz sicher geraten wird, wenn wir in unserer Wachsamkeit nachlassen.Ich schließe mit einem Gruß an Berlin und die Berliner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wurbs.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der FDP-Bundestagsfraktion möchte ich zu dem vorliegenden Gesetzentwurf Drucksache 8/79 eine Erklärung abgeben. Bevor ich dies tue, lassen Sie mich vorab bitte noch etwas zu den ominösen 3 000 Wohnungen sagen.Ich bin Herrn Kollegen Krockert sehr dankbar, daß er zu der etwas mißverständlichen Begründung im Gesetzentwurf hier gesprochen hat. Ich möchte des weiteren anfügen, daß durch die Fristverlängerung nicht zusätzlich 3 000 Wohnungen gebaut werden, sondern, daß 3 000 Wohnungen, die kurzfristig genehmigt worden sind, nicht aus der Begünstigung herausfallen. Sie wissen alle, daß der Genehmigungsprozeß eine Zeit in Anspruch nimmt, die kaum abzukürzen ist. Mit dieser Vorlage haben wir also erreicht, daß in der Zwischenzeit genehmigte Wohnungen noch begünstigt werden. Daher diese 3 000 Wohnungen!Jetzt, meine Damen und Herren, zu der Erklärung. Die Fristverlängerung für die Fertigstellung im sozialen Wohnungsbau in Berlin um ein halbes Jahr trägt den besonderen Gegebenheiten der Stadt Rechnung. Hier geht es in erster Linie darum, durch die Hinausschiebung des Fertigstellungstermins eine ausgleichende Wirkung auf konjunkturelle Schwankungen im Bereich des Wohnungsbaus zu erreichen, zugleich aber die Zahl der durch dieses Gesetz förderungsfähigen Wohnungen im sozialen Wohnungs-
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648 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
Wurbsbau zu erhöhen. Der Anteil des sozialen Wohnungsbaus im Mietwohnungsbau ist in Berlin extrem hoch. Während der Bundesdurchschnitt bei unter 30 % liegt, ist der Anteil in Berlin mehr als dreimal so hoch, nämlich etwa 90 %. Dies hat auch zur Folge, daß sich die Investitionen im sozialen Wohnungsbau in einem stärkeren Maße auf die gesamte Bautätigkeit auswirken, als das in anderen Bundesländern der Fall ist.Ein weiterer Aspekt, der bei der Verlängerung eine Rolle gespielt hat, ist der fehlende Arbeitskräfteausgleich, bedingt durch das fehlende Umland Berlins. Eine kurzfristige Heranziehung auswärtiger Unternehmen ist bei der Lage der Stadt nicht möglich. Hinzu kommt, daß ohne die Hinausschiebung der Frist ein Engpaß im Baugewerbe und hier insbesondere im Ausbaugewerbe entstanden wäre, der zu einer unerwünschten Anheizung der Baukonjunktur geführt hätte. Die Fristverlängerung sorgt für eine ausgeglichenere Entwicklung in dieser Branche und wirkt preisdämpfend, da die geplanten Bauarbeiten nunmehr zeitlich gestreckt werden können und der Nachfragedruck mit den daraus folgenden Baukostensteigerungen abgeschwächt wird.Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, daß gerade das Land Berlin die Investitionszuschüsse im sozialen Wohnungsbau besonders stark in Anspruch genommen hat. Dies ist Ausdruck der Investitionsfreudigkeit im Wohnungsbau in Berlin. Die Investitionszuschüsse haben auch bewirkt, daß der Trend zur abnehmenden Bautätigkeit im sozialen Wohnungsbau gestoppt worden ist.Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich feststellen, daß in Berlin mit Sicherheit nicht übersehen wird, daß im Bundestag die Bereitschaft zu schneller und praktischer Hilfe für eine Region, die auch heute noch Ausnahmecharakter besitzt, besteht.Die FDP-Fraktion stimmt der Ausschußüberweisung der Vorlage zu.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — federführend —, dem Finanzausschuß
— mitberatend — und dem Haushaltsausschuß — mitberatend und gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden?
— Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ersten Gesetzes zur Überleitung von Lasten und Deckungsmitteln auf den Bund
— Drucksache 8/65 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Innenausschuß
Eine Aussprache ist zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vorgesehen.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf dem Haushaltsausschuß — federführend — und dem Innenausschuß — mitberatend — zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? Ich bitte diejenigen, die damit einverstanden sind, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Dann ist auch dies so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung der Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Europäischen Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus
— Drucksache 8/63 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sieglerschmidt.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Grundlage der kurzen Debatte, die wir hier zu führen haben werden, ist die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. Januar dieses Jahres zu der Europäischen Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus. Die Empfehlung, die das Europäische Parlament den Regierungen und den Parlamenten der Mitgliedstaaten — das war noch vor dem Unterzeichnungstermin — gab, lautet kurz und bündig, die Europäische Konvention, von der hier die Rede ist, alsbald zu unterzeichnen und zu ratifizieren.Die Parlamentarische Versammlung des Europarates, der ich noch bis zum 15. März angehören werde, hat am 26. Januar eine entsprechende Entschließung gefaßt. Am 27. Januar hat die Unterzeichnung der Konvention in Straßburg stattgefunden. Von den 19 Mitgliedstaaten des Europarates haben 17 die Konvention unterzeichnet. Lediglich zwei kleinere, am Rande des Gebietes der Mitgliedstaaten liegende Länder haben aus bestimmten Gründen von der Unterzeichnung abgesehen.Die internationalen Verflechtungen des Terrorismus treten immer stärker zutage. Es ist offensichtlich, daß trotz aller Bemühungen auf nationaler Ebene der Terrorismus letztlich nur durch eine entsprechende internationale Zusammenarbeit erfolgreich bekämpft werden kann. Nun ist allen Kennern der Materie und auch vielen, die sich darum Sorge machen, geläufig, daß diese Zusammenarbeit bisher neben Erfolgen auch immer wieder Rückschläge und Fehlleistungen gezeitigt hat. Ich glaube, wir müssen hier sehen, daß das nicht nur auf dem schlechten Willen, auf der Lässigkeit der Beteiligten beruhte, sondern es gibt hier einfach auch Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen dem Terrorismus auf der einen Seite und dem legitimen Widerstand oder dem, was von anderen nationaler Befreiungskampf genannt wird, auf der anderen Seite. Ich will versuchen, es an einem zugegebenermaßen extremen Beispiel deutlich zu machen. Wenn man zu einer rein mechanistischen Definition des Begriffs des Terrorismus käme und sie zugrundelegen würde, dann wäre
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977 649
Sieglerschmidtauch Graf Stauffenberg ein Terrorist gewesen; denn er hat politisch motiviert eine menschengefährdende Sprengstoffexplosion herbeigeführt. Nun ist es offensichtlich, daß dieses Ergebnis falsch sein muß. Ich darf in diesem Zusammenhang nur an die Ergänzung des Art. 20 des Grundgesetzes durch dieses Hohe Haus erinnern. Aber es zeigt die außerordentlichen Schwierigkeiten, die hier für die Abgrenzung bestehen, und diese Schwierigkeiten haben sich in der Vergangenheit auch bei Vertragsinstrumenten, die diesen Zwecken dienen sollten, gezeigt. Ich möchte hier nur an die Konventionen zur Bekämpfung der Luftpiraterie von Montreal und von Tokio erinnern. Die praktische Wirksamkeit dieser beiden Resolutionen war bisher gering. Aber wir sollten uns dadurch nicht entmutigen lassen. Wir haben andere Beispiele, bei denen wir auch schwierige Wege zu gehen haben. Wir würden doch z. B. auch nicht die europäische Integration als Ziel aufgeben, weil wir dort Rückschläge erzielt haben und weil es dort oft nicht so schnell weitergeht, wie wir uns das vorstellen.Zusätzlich ist hier zu sehen, daß diese Konvention nicht nur ein weiteres Stück Papier ist, sondern daß hier ein wesentlicher Unterschied gegenüber vorangegangenen Vertragsinstrumenten besteht, von dem noch zu sprechen sein wird.Worum geht es hier denn? Die bilateralen Auslieferungsverträge zwischen den Staaten enthalten gewöhnlich eine Klausel, die dem ersuchten Staat das Recht gibt, die Auslieferung zu verweigern, wenn es sich um politisch motivierte Straftaten handelt. Wir sehen, daß das aus gutem Grunde so ist, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß in weit mehr Staaten auf dieser Erde Menschenrechte nicht geschützt und nicht beachtet werden, als sie in anderen Staaten respektiert werden. Hier muß die Möglichkeit bestehen, zu verhindern, daß eine Auslieferung nicht deswegen verlangt wird, weil kriminelles Unrecht verfolgt, sondern weil der Betreffende politisch verfolgt werden soll. Die terroristischen Straftaten, um die es hier geht, haben die Besonderheit, daß sie in aller Regel politisch motiviert sind — daran besteht gar kein Zweifel —, daß sie aber gleichzeitig schwer kriminell sind. Um nun Zweifel bei der Auslegung jener politischen Klauseln der Auslieferungsverträge zu vermeiden, ist in der Konvention in Art. 1 festgelegt, daß bestimmte Kapitalverbrechen mit terroristischem Einschlag nicht als politisch motivierte Straftaten angesehen werden sollen.Nun muß bedauerlicherweise hinzugefügt werden, daß dieser richtige und wichtige Grundsatz auf Betreiben einiger Unterzeichnerstaaten in den nachfolgenden Bestimmungen der Konvention abgeschwächt worden ist. Aber, meine Damen und Herren, wir sollten dies indessen nicht zum Anlaß für ein demagogisches Spiel nehmen, das auf der Seite der Opposition von einigen Vertretern leider immer wieder, gerade auch im Zusammenhang mit der Inneren Sicherheit, getrieben wird. Ich meine folgendes: Der Kollege Müller, der wie ich an dieser Debatte in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats teilgenommen hat, veröffentlicht einen Artikel im ,,Bayernkurier" mit der schönen Überschrift, die ja alles sagt: „Europakonvention als Schaumschlägerei".
— Nein, keineswegs, Herr Kollege Wehner. — Der gleiche Kollege Müller hat sich in der gepflegten internationalen Atmosphäre
der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zu dem gleichen Thema wie folgt ausgelassen:Ich glaube, man kann trotz aller Bedenken, die ich gleich anmelden werde, grundsätzlich ja zu dieser Konvention sagen. Wir brauchen eine solche Konvention als einen ersten Schritt zur Bekämpfung des Terrorismus.So geht das also extra muros und intra muros. Ich glaube, dieses demagogische Spiel kann man nur verurteilen, wenn es um eine so fernste Sache wie die Innere Sicherheit und die Bekämpfung des Terrorismus geht.Nun, meine Damen und Herren, trotz dieser Schwächen, die ich hier auch ganz freimütig aufgezeigt habe, ist diese Konvention ein erster Schritt in die richtige Richtung, und zwar deshalb, weil eben ein wesentlicher Unterschied zu anderen Konventionen dieser Art besteht. Es handelt sich nämlich hier um ein Abkommen, bei dem alle Unterzeichnerstaaten Vertragsparteien der Europäischen Menschenrechtskonvention sind und sich damit den Grundsätzen dieser Menschenrechtskonvention verpflichtet haben. Das heißt, daß sie, wenn sie etwa einen Ausgelieferten politisch verfolgen würden, in bezug auf die Menschenrechtskonvention vertragsbrüchig werden würden. Im übrigen haben die meisten von ihnen die Individualbeschwerde zur Europäischen Menschenrechtskommission in Straßburg zugelassen, so daß hier noch ein zusätzlicher Schutz gegen etwaige Mißbräuche besteht.Warum sage ich das? Nicht, weil das hier bei uns gesagt werden müßte, sondern weil diese Dinge international diskutiert werden. Meine Damen und Herren, seien wir uns darüber im klaren: Die Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus in der Bundesrepublik stoßen an eine Grenze — das möchte ich bei dieser Gelegenheit sagen —, die uns unversehens in die Gefahr bringen kann, aus dem Konsensus der demokratischen Staaten in Europa herauszufallen.Und nun noch eine Bemerkung: Es ist in der Tat so, daß die Helfershelfer der Terroristen dafür sorgen, daß die Anwendung des Rechtsgrundsatzes aut dedere aut punire, entweder ausliefern oder bestrafen, immer stärker zu einer schweren Belastung für die betroffenen Staaten wird, die sich dieser Belastung — wer hätte nicht menschliches Verständnis dafür! — nur zu gern entziehen. Dafür gibt es ja bekanntlich Beispiele bis in die jüngste Vergangenheit hinein, die ich hier nicht beim Namen zu nennen brauche.Aber trotz der erwähnten Schwächen meine ich, daß eben gerade auch diese Konvention es solchen Staaten, die etwa solche Absichten, die natürlich nicht zu billigen sind, hegen, erschwert, sich ihren
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SieglerschmidtVerpflichtungen zu entziehen. Ich sagte, daß es ein erster Schritt in eine richtige Richtung ist. Ein erster Schritt ist meistens mit Unvollkommenheiten belastet, aber dies sollte uns, meine Damen und Herren, nicht daran hindern, diesen ersten Schritt zu tun, der Aufforderung des Europäischen Parlaments und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zu folgen und den Ratifizierungprozeß hinsichtlich dieser Konvention unverzüglich einzuleiten und durchzuführen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wittmann.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! In der europäischen Öffentlichkeit wird zu wenig erkannt, daß auch der Europarat mit seinen 19 Staaten auf vielfältigen Gebieten nicht nur zur Zusammenarbeit, sondern auch zur Harmonisierung des Rechts beiträgt. Die Europäische Gemeinschaft hat sich ja bis jetzt auf Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik beschränkt. Ich begrüße es daher, daß das Europäische Parlament mit dieser Entschließung jetzt auch ein Gebiet betritt, das im Bereich der Neun und natürlich auch darüber hinaus der anderen europäischen Staaten, ja, in der Welt überhaupt, dringend einer Regelung bedarf.
Das Europäische Parlament hat erkannt, daß die Öffnung der Grenzen und die fortschreitende Liberalisierung auch dazu führen, daß das Verbrechertum international arbeiten kann. Das gilt in besonderem Maße auch für Terroristen und ihren Anhang. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt daher grundsätzlich die Initiative des Europäischen Parlaments, und sie wird trotz aller Schwächen, Herr Kollege Sieglerschmidt — darauf werde ich noch etwas deutlicher als Sie zu sprechen kommen —, mit dazu beitragen, daß diese Konvention schnellstmöglich von den gesetzgebenden Körperschaften verabschiedet wird, damit die Bundesregierung die Ratifikationsurkunde hinterlegen kann und damit nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunden zweier weiterer Staaten dieses Abkommen dann in Kraft treten kann. Ich bitte die Bundesregierung, diesen Entwurf möglichst schnell vorzulegen.
Im Kern besagt dieses Abkommen, daß nicht als politische Straftaten privilegiert, also von der Auslieferung ausgenommen werden sollen: Luftpiraterie, Entführung, Geiselnahmen oder andere schwere Freiheitsentziehungen sowie Straftaten, Herr Kollege Sieglerschmidt, bei denen besonders gefährliche Waffen, nämlich Bomben, Maschinenwaffen usw., verwendet worden sind. Andererseits aber verpflichtet das Abkommen Staaten, die aus bestimmten Gründen die Auslieferung nicht vornehmen — diese Möglichkeit besteht —, selbst zu bestrafen.
Aber, Herr Kollege Sieglerschmidt, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Qualifizierung dieser Tatbestände nicht so weit gehen kann, daß man, wie ich es aus Ihren Ausführungen herausgehört habe, sagen kann, ein anderer Fall seien z. B. nationale Befreiungsbewegungen? Meine Damen und Herren, ich möchte hier für die CDU/CSU klarstellen, daß unter dieses Abkommen auch die Methoden, die sogenannte nationale Freiheitsbewegungen, ganz gleich, wo sie auf dieser Welt stehen, anwenden, fallen müssen.
Denn das, was jetzt in Rhodesien geschehen ist, Herr Kollege Sieglerschmidt, können Sie mit einer nationalen Befreiungsaktion nicht mehr rechtfertigen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Sieglerschmidt?
Bitte sehr, Frau Präsidentin.
Herr Kollege Wittmann, wenn Sie es nicht meinen Worten entnommen haben sollten, weil ich mich vielleicht nicht deutlich genug ausgedrückt habe oder Sie es nicht mitbekommen haben, werden Sie dem Protokoll entnehmen, daß ich mit meinem Hinweis auf diese Tatbestände lediglich die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung einer solchen Konvention umschreiben wollte.
Ich bin Ihnen dafür dankbar, daß Sie das aufklären. Ich hatte es in der Tat anders verstanden. Ich glaube, wir können uns auf dieser Ebene treffen.
Art. 13 der Konvention, die wir vielleicht noch einmal ausführlicher in den Ausschüssen besprechen werden — das Interesse an derartigen Dingen ist zur Zeit in diesem Hause offensichtlich nicht sehr groß, bis einmal wieder etwas in unserem Lande passiert ist —, läßt praktisch jedem Staat die Möglichkeit, offen zu erklären, daß eine der strafbaren Handlungen, die ich soeben charakterisiert habe, eben doch als politische Straftat qualifiziert und damit von der Auslieferung ausgenommen, allerdings der Strafgerichtsbarkeit dieses Staates unterstellt wird. Ich glaube, daß es durchaus legitim ist zu sagen, daß ein solches Übereinkommen, vor allem seine Überschrift, mit einem solchen Vorbehaltsartikel nicht das hält, was es verspricht. Insofern kann ich nur das unterstreichen, was Kollege Dr. Müller, und zwar nicht nur im „Bayernkurier", sondern auch noch in anderen Presseorganen, geschrieben hat. Man sollte rechtzeitig darauf hinweisen.
Aufgabe der Politik ist es, möglichst viele Staaten dazu zu bringen, von diesem Vorbehalt keinen Gebrauch zu machen. Wir sollten mit gutem Beispiel voranzugehen und auch keinen Gebrauch davon machen, wenngleich ich nicht verkenne — Sie haben es auch angedeutet, Herr Kollege Sieglerschmidt —, daß die Maxime der Souveränität und die manchmal von vordergründigen Interessen geprägte Staatsräson oft über internationale Verpflich-
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Dr. Wittmann
tungen hinweggehen. Ich denke nur an den Fall Abu Daud oder an den Fall der Auslieferung des Terroristen Pohle durch Griechenland an uns. Hier hat sich, wie ich meine, einiges teilweise in Verkennung der richtigen Auslegung internationaler Verpflichtungen abgespielt. Man muß eben bei bestimmten Staaten ins Kalkül ziehen, daß sie sich in einem für sie politisch entscheidenden Fall einfach nicht an Verträge oder an sonstige internationale Rechtsnormen halten, wie ja auch bei einem bestimmten Staat der Fall Argoud vor etwa 15 Jahren gezeigt hat. Darauf hätte man sich im übrigen auch einstellen müssen in der Frage der Auslieferung des Terroristen Abu Daud. Man konnte sich nicht darauf verlassen, daß sie nach den bisherigen Usancen abgewickelt wird, denn das war auch für dieses Nachbarland ein hochpolitischer Fall. Aber ich möchte darauf im einzelnen nicht eingehen.
— Die Bundesregierung hätte den Haftbefehl diplomatisch bestätigen müssen. Das hätte sie tun können.
Die Bundesregierung sollte auch gegenüber Staaten, die Terroristen freilassen oder Terroristen Zuflucht gewähren, mit den im Völkerrecht zu Gebote stehenden Mitteln entsprechend reagieren. Ich meine, daß es einfach nicht angeht, daß Staaten z. B. Polizeihilfe, Entwicklungshilfe usw. erhalten, die andererseits Terroristen Zuflucht gewähren.
Meine Damen und Herren, auch wir hier im Bundestag haben uns etwas nachlässig verhalten. Ich gebe das gern zu. Bei der Gesetzesflut, die gerade in der letzten Legislaturperiode auf uns zukam, war es uns weniger wichtig, das Abkommen zur Bekämpfung von strafbaren Handlungen gegen die Sicherheit des Luftverkehrs noch im Rechtsausschuß zu behandeln. Ich bitte die Bundesregierung, dieses Übereinkommen alsbald zuzuleiten.
Die CDU/CSU-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, durch Maßnahmen zur Terroristenbekämpfung auch im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft und im Rahmen des Europarats gerade wegen des Abbaus der Grenzkontrollen und vielfacher Liberalisierung das dadurch entstehende Defizit auszugleichen. Nicht nur die Harmonisierung von Strafvorschriften ist entscheidend, sondern auch Hand in Hand damit gehend eine wirkungsvolle Zusammenarbeit bei der Verbrechensbekämpfung. Aus diesem Grunde halten wir eine europäische Konferenz zur Verbrechensbekämpfung für dringend erforderlich. Sie hat die Aufgabe, die Rechtsvorschriften für den Grenzübertritt zu vereinheitlichen, die Befugnisse der Polizei anzugleichen und zu erweitern, das Strafverfahrensrecht anzugleichen und die praktische Zusammenarbeit der Polizeien noch mehr zu verbessern, als das bisher der Fall war. Wenn das nicht flankierend geschieht, bleiben auch Abkommen wie dieses, das vielleicht ein erster Schritt ist, Makulatur und füllen die internationalen Vertragssammlungen, mehr nicht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Europäische Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus ist bereits am 27. Januar dieses Jahres von 17 der 19 Europaratstaaten unterzeichnet worden. Wir Freien Demokraten begrüßen ausdrücklich den Appell des Europäischen Parlaments, das Abkommen unverzüglich zu ratifizieren. Seitens der Bundesrepublik, die in diesem Zusammenhang wesentliche Anstöße gegeben hat, sollten wir schnellstens das unsere zu dieser Ratifizierung beitragen. Die vorliegende Konvention ist ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. Europas Einheit wird nur wachsen können, wenn es gelingt, gerade in diesem wichtigen Bereich gemeinsame fundamentale Überzeugungen auch gemeinsam in die Tat umzusetzen. Das gemeinsame Interesse der Unterzeichnerstaaten kann doch nur sein, daß die Strafverfolgung von Urhebern von Terrorakten erleichtert und damit sichergestellt wird, daß diese der Bestrafung zugeführt werden.Die Konvention — das ist bereits betont worden — schränkt den Begriff der politischen Straftat oder der politisch motivierten Straftat recht erheblich ein, und sie sorgt auch ausdrücklich dafür, daß bilaterale und multilaterale Auslieferungsverträge, wie wir sie heute bereits haben, wo sie inhaltlich hinter dem jetzigen Abkommen zurückbleiben, im Verhältnis der Vertragsstaaten ausdrücklich als geändert gelten.Wir wissen, daß die Konvention noch Lücken hat, daß sie möglicherweise Schlupflöcher hat. Aber sie ist ganz sicherlich ein Fortschritt, der von uns entsprechend genutzt werden sollte. Daß allerdings erst jüngst ein spektakulärer Auslieferungsfall zwischen befreundeten europäischen Staaten auf der Defizitseite verbucht werden mußte, war sicherlich kein guter Auftakt für eine gemeinsame Bekämpfung des Terrorismus in Europa. Aber wir sollten uns von diesem Vorfall nicht entmutigen lassen.Der weltweite Terrorismus ist eine Herausforderung an uns alle, und dieser Terrorismus ist ja nicht neu. Er tritt uns heute in seiner jetzigen Form nur in neuem Gewande und mit neuen Möglichkeiten entgegen. Es ist vielleicht einmal ganz nützlich, einen kleinen Blick in die Geschichte zurück zu tun. Dieser Blick gibt uns bereits ein Psychogramm des Terrorismus. Der Anarchismus hat durch 100 Jahre hin seine blutige Spur in Europa hinterlassen. Der philosophische Ansatz eines herrschaftsfreien, von Güte und Genügsamkeit geprägten Individuums hat sich bald gewandelt in einen Vernichtungskrieg gegen die bestehende Gesellschaft unter der schlagkräftigen Parole „Propaganda durch die Tat".Schon früh wurden auch die Grenzen zwischen dem ideologisch motivierten Gewalttäter und dem psychisch defekten Kriminellen mit politischer Bemäntelung stark fließend, und auch die scheinbare Ziellosigkeit vieler Gewaltakte findet in dem Satz eines französischen Anarchisten von 1894 „Schlage ich den erstbesten Bürger, so treffe ich keinen Unschuldigen" ihren Hintergrund.
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EngelhardTerrorismus war schon immer international in der Konspiration seiner Akteure. Neu in diesem Zusammenhang ist aber, daß Terrorismus als zielgerecht gefördertes oder doch geduldetes Mittel und Werkzeug internationaler Politik zum Einsatz kommt. Diese neue Dimension der Bedrohung existierte freilich nicht, wenn wir nicht wüßten, daß so manche Terrorgruppe im schützenden und kühlenden Schatten des Palastes eines Etablierten längst ihr Plätzchen gefunden hat.Den bloß polizeilichen Möglichkeiten der Terrorismusbekämpfung durch die betroffenen Staaten sind damit Grenzen gesetzt. Terrorismus — das müssen wir heute einsehen ist zu einem Kalkulationsfaktor internationaler Politik geworden. Ich hatte am 6. September 1972 bei der Trauerfeier nach dein Massaker im Olympischen Dorf in München darauf hingewiesen, daß es diese Täter kaum gäbe, wenn nicht Ideologen und Agitatoren bereit wären, ihre Tat anzustiften oder zu verherrlichen, und wenn nicht Tausende bereits bereitstünden, zu erklären, daß der angeblich so hehre Zweck auch das Mittel des Terrors rechtfertigen würde. Dieser Entwicklung können wir nur mit weltweiten Sanktionen wirksam begegnen. So weit sind wir heute leider noch nicht. Die vorliegende europäische Konvention gegen den Terrorismus ist nur ein erster Schritt, aber sicherlich ein erster Schritt, der uns Hoffnung geben kann.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt die heutige Debatte. Diese Debatte lenkt die Aufmerksamkeit auf einen Fortschritt, der bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus erzielt werden konnte.
Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus war insbesondere dann erschwert, wenn Täter nach Verübung der Tat in ein anderes Land geflüchtet sind, weil in aller Regel die Bestimmungen über politische Straftaten in Anspruch genommen wurden und weil bei politischen Straftaten nach allgemeinem Auslieferungsrecht nicht auszuliefern ist. Einzige Ausnahme war bisher die belgische Attentatsklausel; der Täter konnte sich nicht auf den Charakter der politischen Straftat berufen, wenn es sich um einen Anschlag gegen ein Staatsoberhaupt oder gegen Angehörige der Familie des Staatsoberhauptes gehandelt hat.
Diese seit über 100 Jahren praktizierte Rechtsübung in der Staatengemeinschaft hat durch diesen Übereinkommensentwurf eine ganz wesentliche Auflockerung erfahren. Es sind eine Reihe schon von den Vorrednern aufgeführte weitere Ausnahmen bei der Beurteilung als politische Straftat vereinbart worden. Außerdem ist in dem Übereinkommen eine Verpflichtung vorgesehen, daß Staaten, die nicht ausliefern, weil sie im Einzelfall den Charakter der politischen Straftat bejahen, dann verpflichtet sind,
Nichtausgelieferte vor ihren eigenen Gerichten zu verfolgen.
Es ist richtig, daß das Übereinkommen Schwächen aufweist, daß es Lücken aufweist, Herr Kollege Wittmann hat insbesondere den Art. 13 Abs. 1 angesprochen. Herr Kollege Wittmann, ich darf Sie darauf hinweisen, daß der Art. 13 Abs. 1 erst im Laufe der schwierigen Verhandlungen diese Fassung erhalten hat. Der Vorschlag, der ursprünglich unterbreitet wurde, insbesondere auch von der Bundesregierung, kannte diese Vorbehaltsmöglichkeit nicht. Wir standen am Schluß der Verhandlungen vor der Frage, ob wir das Abkommen mit dieser Einschränkung akzeptieren wollen oder ob wir auf dieses Abkommen verzichten. Die Entscheidung der Bundesregierung, es mit dieser Einschränkung zu akzeptieren, ist richtig, weil erstens eine ganze Reihe von Staaten, darunter die Bundesrepublik, bei der Unterzeichnung erklärt haben, daß sie von diesen Vorbehalten keinen Gebrauch machen, und weil auch mit dieser Einschränkung die Verpflichtung zur Verfolgung des nicht ausgelieferten Terroristen nunmehr im Bereich der europäischen Staaten gilt und weil darüber hinaus ein höheres Maß an Einheitlichkeit in der richtigen Richtung erreicht worden ist.
Sie haben die heutige Debatte zum Anlaß genommen, Herr Kollege Wittmann, auf den Fall Abu Daud einzugehen. Sie haben, wenn ich es richtig sehe, als erster aus dem politischen Bereich einen Vorwurf gegen die Bundesregierung in diesem Zusammenhang erhoben. Ich bin darüber verwundert, weil Sie gestern im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages zugegen waren, als die Bundesregierung ausführlich über den Ablauf der Sache und über die rechtlichen Gesichtspunkte berichtete. Ich habe kein Verständnis dafür, daß Sie in Kenntnis all dieser Details einen offenbar unrichtigen Vorwurf erheben. Ich muß diesen Vorwurf deutlich zurückweisen
und muß feststellen, daß die Bundesregierung gerade in diesem Fall in voller Übereinstimmung mit der bayerischen Staatsregierung alles getan hat, was den herkömmlichen Regeln des Auslieferungsverkehrs mit der Französischen Republik entspricht.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Herr Wittmann!
Herr Minister, Sie haben auch gestern im Rechtsausschuß eingeräumt, daß sich die bisherige Praxis eigentlich nicht ganz mit dem deckt,
was das Abkommen vorsieht. Würden Sie das wiederholen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Wittmann, ich habe gestern dargelegt, wie sich der
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Bundesminister Dr. VogelAuslieferungsverkehr mit der Französischen Republik abspielt, nämlich daß die diplomatische Bestätigung für die vorläufige Auslieferungshaft in aller Regel innerhalb der 20-Tage-Frist mit dem Auslieferungsersuchen verbunden wird. Dies ist bisher in keinem Fall beanstandet worden. Wir haben in der umgekehrten Richtung sogar in aller Regel überhaupt keine diplomatische Bestätigung bekommen. Das ganze ist eine Ordnungsvorschrift. Ich muß noch einmal in aller Deutlichkeit, Herr Kollege Wittmann, diesen Vorwurf zurückweisen. Es gibt in dieser Frage auch zwischen der bayerischen Staatsregierung und der Bundesregierung völlige Übereinstimmung.Im übrigen ist eine Konsultation zwischen den beiden beteiligten Regierungen im Vertrag vorgesehen. Diese Konsultation ist eingeleitet und wird zur Klärung der unterschiedlichen Rechtsauffassungen in diesem Punkt führen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gern.
Herr Bundesminister, zu dem Vorwurf des Kollegen Wittmann: Mußte die Bundesregierung, selbst wenn man auf das Formerfordernis des § 9 des Art. 9 des Auslieferungsvertrags abhebt, nicht sicher damit rechnen können, daß sie von dem Nachbesserungsrecht des Art. 11 Gebrauch machen kann, wenn etwa ein Fehler vorgelegen hätte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Sieglerschmidt, dies ist ein weiterer relevanter Gesichtspunkt. In Art. 11 ist vorgesehen, daß dann, wenn irgendwelche Mängel von der anderen Seite angenommen werden, Gelegenheit zur Ergänzung oder Vervollständigung gegeben wird. Ich bitte aber das Haus um Verständnis, wenn ich mir keinen Nutzen davon versprechen kann
— insbesondere auch hinsichtlich des europäischen Verhältnisses und hinsichtlich des Verhältnisses zu einer befreundeten Nation —, wenn wir nun die Erörterung von Details dieses Problems in dieser Weise fortsetzen.
Ich möchte feststellen: Das Übereinkommen, von dem heute gesprochen wurde, ist im wesentlichen auf eine Initiative der Bundesregierung zurückzuführen, die in einer außerordentlichen Sitzung der Justizminister der im Europarat vertretenen Staaten im Mai 1974 ergriffen wurde. Wir begrüßen das Ergebnis. Diese Initiative steht im Einklang mit weiteren Initiativen, die wir in der Europäischen Gemeinschaft zusammen mit anderen ergriffen haben, und ist auch im Zusammenhang mit der erfolgreichen Initiative der Bundesregierung in den Vereinten Nationen zu sehen, die weltweit ein positives und zustimmendes Echo gefunden hat.
Die Bundesregierung stellt mit Befriedigung fest, daß diese Initiativen auch in diesem konkreten Fall zu einem Fortschritt geführt haben. Wir werden alles tun, um dem Haus eine rasche Ratifizierung zu ermöglichen.
Ich unterstreiche zum Abschluß, daß auch der moralische Gesichtspunkt der einheitlichen Verurteilung dieser terroristischen Aktivitäten durch die 19 im Europarat zusammengeschlossenen Staaten ein erfreuliches politisches Faktum darstellt, das die Bundesregierung begrüßt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Ihnen liegt der Überweisungsvorschlag des Ältestenrats vor: federführend Rechtsausschuß, mitberatend Auswärtiger Ausschuß und Innenausschuß. — Kein Widerspruch. So beschlossen.
Ich rufe den Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Beratung der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksache 8/57 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft
Das Wort wird nicht gewünscht. Der Überweisungsvorschlag des Altestenrates liegt Ihnen vor. — Kein Widerspruch. So beschlossen.
Ich rufe den Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Präsidenten des Bundesrechnungshofes
Rechnung und Vermögensrechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1975 — Einzelplan 20 —
— Drucksache 8/34 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Das Wort wird nicht erbeten. Der Überweisungsvorschlag des Altestenrates liegt Ihnen vor. — Kein Widerspruch. So beschlossen.
Meine Damen und Herren, um 14 Uhr beginnt die Fragestunde.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde— Drucksachen 8/86, 8/109 —Auf Drucksache 8/109 liegen zwei Dringlichkeitsfragen des Abgeordneten Graf Huyn aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes vor. Ich rufe die erste Dringlichkeitsfrage des Herrn Abgeordneten Graf Huyn auf:
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654 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
Vizepräsident Frau FunckeEntspricht es den Tatsachen, daß das Gästebuch oder eine Kopie oder eine Abschrift des Gästebuchs der offiziellen Ausstellung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin über Photographie in Wissenschaft und Technik" an Ost-Berliner Behörden oder Organisationen zur Einsichtnahme überlassen oder auf andere Weise eine Kenntnisnahme dieser Stellen ermöglicht wird?Zur Beantwortung Herr Staatsminister Wischnewski, bitte schön.
Ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Es entspricht nicht den Tatsachen, daß das Gästebuch oder Kopien oder Abschriften davon Behörden oder Organisationen der DDR zur Einsichtnahme überlassen worden wäre.
Tatsache ist vielmehr, daß es sich um ein Gästebuch des Kulturbundes der DDR handelt, der von seiten der DDR als Aussteller aufgetreten ist. Das Gästebuch war während und blieb nach der Ausstellung im Besitz seines Eigentümers. Der Kulturbund hat das Gästebuch lediglich vorübergehend unserer Ständigen Vertretung zur Auswertung überlassen. Die Eintragungen im Gästebuch sind nicht von einer Art, durch die Besucher der Ausstellung sich selber gefährdet hätten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wäre es nicht angebracht gewesen, dies deutlich zu kennzeichnen, damit es allen Besuchern möglich gewesen wäre, deutlich zu sehen, daß dies ein Gästebuch war, welches von DDR-Stellen ausgelegt wurde?
Wischnewski, Staatsminister: Es ist auf den Plakaten zum Ausdruck gekommen, daß der Kulturbund Veranstalter für diese — wie es auf den Plakaten hieß — Ausstellung aus der Bundesrepublik war, es ist am Eingang der Ausstellung zum Ausdruck gekommen, und auch in dem Gästebuch selbst hat sich ein Stempel gefunden, der eindeutig aufgezeigt hat, wer der Besitzer dieses Gästebuchs ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, es ist aber nach den vorliegenden Informationen offenbar so gewesen — und ich möchte gern wissen und Sie fragen, ob dies richtig ist —, daß dieser Stempel lediglich an einer sehr wenig einsehbaren Stelle im Inneren des Gästebuches angebracht war. Ist die Bundesregierung deswegen in der Lage, zuzusagen, daß in künftigen Fällen Anstalten getroffen werden, um ähnliche Pannen zu verhindern?
Wischnewski, Staatsminister: Ich glaube, daß überhaupt gar keine Mißverständnisse entstanden sind. Die Bürger in der DDR wissen, daß bei solchen Ausstellungen jeweils ein Gästebuch ausliegt, und sie wissen auch, daß es sich immer um ein Gästebuch des Kulturbundes handelt. Wer die Möglichkeit hat, das Gästebuch durchzublättern, wird feststellen, daß die Menschen, die das Gästebuch in Anspruch genommen haben, das auch sehr wohl verstanden haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben gerade gesagt, es sei in dem Gästebuch keine Eintragung gewesen, aus der geschlossen werden könnte, die Sich-Eintragenden hätten sich gefährdet. Wie hätte sich nun die Bundesrepublik verhalten, wenn sie hätte finden müssen, daß die Sich-Eintragenden sich durch diese Eintragung gefährdet hätten?
Wischnewski, Staatsminister: Ich muß ganz ehrlich sagen, wir sollten die Menschen in der DDR für klüger halten. Sie kennen die Verhältnisse, sind mit den Verhältnissen hervorragend vertraut und verhalten sich dementsprechend.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, trifft es zu, daß in diesem Gästebuch Eintragungen von Besuchern unter Angabe des vollen Namens und der Adresse und unter Hinzufügung von kritischen Äußerungen über die Zustände in der DDR vorgenommen worden sind?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe in dem Buch Eintragungen mit voller Adresse gefunden, die sich ausschließlich mit der Ausstellung beschäftigten; in den weitaus meisten Fällen sind es sehr positive Aussagen über die Ausstellung. Die Menschen haben sich sehr über die Ausstellung gefreut; sie bringen zum Ausdruck, daß sie öfter solche Ausstellungen sehen möchten.
Ich habe auch Eintragungen anderer Art gesehen. Ich kann mich nicht daran erinnern, eine solche andere Eintragung gesehen zu haben, die mit einer Adresse versehen war.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Marx.
— Dann eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Mende.
Herr Kollege Wischnewski, hätte der Herr Staatssekretär Gaus bei der intellektuellen Fortbildung, die er jahrelang als Chefredakteur des „Spiegel" in Hamburg erfahren hat, nicht wissen müssen, daß solche sogenannten Gästebücher keine wirklichen Gästebücher sind, sondern Kontrollbücher der jeweiligen Staatssicherheitsdienste in kommunistischen Staaten?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977 655
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe vorhin bereits ganz eindeutig gesagt: bei allen Ausstellungen gibt es solche Gästebücher, und der überwältigende Teil des Inhalts beschäftigt sich in der Tat mit der Ausstellung, mit Urteilen über die Ausstellung und nicht mit anderen Fragen. Ich glaube, es bestand für den ständigen Vertreter der Bundesrepublik kein Anlaß, anders zu handeln, als er in diesem Falle gehandelt hat.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Schmude.
Herr Staatsminister, können Sie uns nach Ihren Feststellungen vom Inhalt des Gästebuches einmal schildern, in welcher Weise Verfasser kritischer Eintragungen zu erkennen gegeben haben, daß sie sich des Gewahrsams und der jederzeitigen Einsichtmöglichkeit von DDR-Einrichtungen durchaus bewußt gewesen sind?
Wischnewski, Staatsminister: Ich bitte um Verständnis dafür, wenn ich hier nicht auf Einzelheiten von kritischen Bemerkungen eingehe. Aber ich kann in aller Deutlichkeit sagen, daß ich natürlich Eintragungen in dem Buch gesehen habe, unter denen einfach stand: Ein Berliner.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Kunz .
Herr Staatsminister, treffen Pressemeldungen zu, denen zufolge die Ständige Vertretung das Gästebuch abgelichtet hat, bevor sie es übergeben hat, so daß bei dem Vorgang der Ablichtung die Ständige Vertretung sich hinreichend im klaren sein mußte, was für die Menschen entstehen könnte, die kritische Bemerkungen in das Gästebuch eingetragen haben?
Wischnewski, Staatsminister: Ich möchte noch einmal in aller Deutlichkeit sagen, daß von einem Übergeben überhaupt nicht die Rede sein kann. Das Gästebuch des Kulturbundes ist für eine kurze Zeit zur Auswertung der Ständigen Vertretung zur Verfügung gestellt worden. Es handelt sich nicht um ein Gästebuch der Ständigen Vertretung, das den Behörden der DDR ausgeliefert worden ist.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Lagershausen.
Herr Staatsminister, ist nicht dennoch seitens der Bundesregierung festgestellt worden, daß dieses Gästebuch von der Vertretung wieder zurückübergeben wurde?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe akustisch Ihre Frage nicht verstanden.
Herr Staatsminister, können Sie verneinen, daß das Gästebuch nicht dennoch, trotz Ihrer Antwort, die Sie soeben gegeben haben, von der Vertretung nach Ablichtung des Inhalts wieder an den Kulturbund zurückübergeben wurde?
Wischnewski, Staatsminister: Ich darf wiederholen, was ich zu Beginn bereits gesagt habe: Es handelt sich um das Gästebuch des Kulturbundes, über das er die ganze Zeit während der Ausstellung Tag und Nacht verfügt hat, weil das sein Gästebuch war und nicht ein Gästebuch von uns. Dieses Gästebuch hat er für eine gewisse Zeit zur Auswertung der Ständigen Vertretung zur Verfügung gestellt — aus dem einfachen Grunde, weil sehr viele Leute erfreulicherweise zur Ausstellung Stellung genommen haben, in positiver Weise Stellung genommen haben, den Wunsch zum Ausdruck gebracht haben, sie möchten des öfteren derartige Ausstellungen sehen —, damit die Ständige Vertretung die Möglichkeit hat, das in der Berichterstattung an die Bundesregierung zu verwenden. Als diese Auswertung nach kurzer Zeit abgeschlossen war, ist das Gästebuch dem, dem es gehört, wieder zur Verfügung gestellt worden.
Eine Frage der Frau Abgeordneten Berger.
Herr Staatsminister, im Anschluß an die Frage meines Kollegen Mende hätte ich gern von Ihnen gehört: Auf welche Erkenntnisse stützen Sie Ihre Feststellung, daß in allen Ausstellungen Gästebücher ausgelegt werden?
Wischnewski, Staatsminister: Aus den Erfahrungen, die in dieser Hinsicht bei der Ständigen Vertretung vorliegen, und die Erfahrungen sind umfangreich.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Ey.
Herr Staatsminister, sind Sie der Meinung, daß aus den Eintragungen keinerlei Gefährdung irgendeines Besuchers herzuleiten wäre?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe das hier klar in der ersten Beantwortung der Frage zum Ausdruck gebracht, und ich habe an dieser Antwort nichts zu ändern.
Keine weitere Frage. — Dann rufe ich die zweite Dringlichkeitsfrage des Herrn Abgeordneten Graf Huyn auf:Falls diese Gefahr besteht, ist die Bundesregierung bereit, dies durch unverzüglich zu treffende geeignete Maßnahmen zu verhindern?Wischnewski, Staatsminister: Ich bitte um Entschuldigung, Frau Präsidentin. Ich habe die beiden Fragen, die in meinem Exemplar nicht gesondert numeriert sind, zusammen beantwortet.
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656 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
Dann hat Herr Abgeordneter Graf Huyn eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da aus Ihren Ausführungen ja hervorgeht, daß es sich um ein Gästebuch des Ost-Berliner Kulturbundes handelt, de facto also um ein Buch, auf Grund dessen der Staatssicherheitsdienst jederzeit nachprüfen kann, was für Eintragungen dort vorgenommen worden sind, frage ich Sie: Ist die Bundesregierung bereit, dafür zu sorgen, daß bei künftigen Ausstellungen im Machtbereich der SED ein zweites Gästebuch ausgelegt wird, welches dann deutlich als das Gästebuch des freien Deutschland gekennzeichnet wird?
Wischnewski, Staatsminister: Sie müssen bitte von der Voraussetzung ausgehen: Eine Ausstellung können Sie dort nur durchführen — und nach dem Erfolg dieser Ausstellung, der unbestritten ist, werden wir über diese Frage weiter nachzudenken haben —, wenn Sie das mit dem Kulturbund zusammen machen. Es gibt gar keine andere Möglichkeit, das zu erreichen. Ich glaube, wir sollten sehr daran interessiert sein, auf diesem Felde noch mehr Möglichkeiten zu nutzen. Wir werden überlegen, ob sich etwas Derartiges machen läßt. Ich möchte von mir aus nicht so ohne weiteres eine Zusage geben. Aber ich bin gerne bereit, über diese Frage nachzudenken.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Marx.
Herr Kollege Wischnewski, ich habe eine Lernfrage: Wenn die DDR in der Bundesrepublik Deutschland Ausstellungen vornimmt und dort ein Gästebuch ausgelegt wird, von wem wird dieses Gästebuch dann beansprucht?
Wischnewski, Staatsminister: Ich kann nicht sagen, ob es auch in der Bundesrepublik solche Gästebücher gibt. Ich bin gerne bereit, mich darüber zu informieren und Ihnen meine Kenntnisse zukommen zu lassen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, können Sie uns deutlich machen, in welchen konkreten Einzelmaßnahmen die Ausstellungsleitung von seiten der Bundesrepublik die Besucher darauf hingewiesen hat, daß sich das dort ausliegende Gästebuch nicht in der Verfügungsgewalt von Stellen der Bundesrepublik Deutschland befindet, sondern daß dieses Gästebuch ausschließlich von seiten der DDR bereitgestellt und unter Kontrolle gehalten wird?
Wischnewski, Staatsminister: Ich muß Sie schon von vornherein darauf aufmerksam machen, daß von einer Ausstellungsleitung, an der wir beteiligt sind, nicht die Rede ist. Der Träger dieser Ausstellung war der Kulturbund. Er hat die Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Phototechnischen Institut in Hofgeismar durchgeführt. Auf diesem Wege hat sich also die Zusammenarbeit ergeben. Die Ständige Vertretung war an der Vorbereitung der Ausstellung durch Verhandlungen mit den zuständigen Behörden beteiligt, d. h., um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, eine solche Ausstellung, die durchaus in unserem Interesse liegt, aber auch dem Informationsbedürfnis der Menschen in der DDR dient, durchzuführen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmude.
Herr Staatsminister, sehen Sie nicht auch die große Gefahr, in die Besucher einer solchen Ausstellung gebracht würden, wollte man dem Vorschlag des Kollegen Graf Huyn folgen und ein als Eigentum der Ständigen Vertretung oder der Bundesregierung gekennzeichnetes Gästebuch auslegen, in das sich dann die Besucher eintragen, obwohl doch jeder dort Zugang hat, also auch Organe der DDR?
Wischnewski, Staatsminister: Das, verehrter Herr Kollege, ist der Grund, warum ich der Auffassung bin, daß man über diese Frage erst sehr genau nachdenken muß. Das wird geschehen. Dann werden wir den Grafen Huyn entsprechend informieren. Ihre Befürchtung, die ich für sehr nachdenkenswert halte, werden wir in unsere Überlegungen einbeziehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bahr.
Herr Staatsminister, ich habe ebenfalls eine Lernfrage: Ist es richtig, daß die Ausstellung dort, wo sie stattgefunden hat, überhaupt zum erstenmal als eine solche stattgefunden hat oder ist es so, daß bereits viele Ausstellungen anderer Staaten an diesem Ort stattgefunden haben, immer unter gleichen Bedingungen, immer mit gleichen Büchern, so daß die Besucher davon ausgehen konnten, ein solches Gästebuch auch in einer Ausstellung der Bundesrepublik Deutschland, der ersten in ihrer Art, an der üblichen Stelle zu finden?
Wischnewski, Staatsminister: Herr Kollege Bahr, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Für uns war es das erstemal, daß wir eine solche Möglichkeit gehabt haben. Viele andere Länder haben schon vorher unter den gleichen Bedingungen und am gleichen Ort Ausstellungen durchgeführt.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977 657
Keine Zusatzfrage mehr. Dann bedanke ich mich vorläufig bei Ihnen, Herr Staatsminister; Sie kommen ja gleich noch bei den regulären Fragen dran.
Jetzt kommen wir zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. de With zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Wird der Bundesjustizminister bei dem angekündigten Gespräch mit dem Justizminister der Volksrepublik Polen außer der Verfolgung der Verbrechen an Polen auch im Sinne des Legalitätsprinzips die Frage ansprechen, ob die Volksrepublik Polen nunmehr bereit ist, auch die notwendigen innerstaatlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Strafverfolgung von Mordtaten an deutschen Heimatvertriebenen in die Wege zu leiten, deren besondere Grausamkeit z. B. im Lager Lamsdorf wiederholt Gegenstand der Fragestunden im Bundestag und rechtsgültiger Urteile war, deren Täter sich im polnischen Machtbereich befinden?
Wie ich bereits mehrfach und unter Darlegung der Rechtslage ausgeführt habe, dürfte es angesichts der nach den polnischen Gesetzen bestehenden Rechtslage nicht sinnvoll sein, die von Ihnen genannten Geschehnisse zum Gegenstand von Besprechungen zu machen.
Eine Zusatzfrage.
Hat sich das Bundesjustizministerium also nicht im Rahmen der Normalisierung der Beziehungen und bei den jetzigen Gesprächen bemüht, die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen zu schaffen — auch unter Beachtung des Grundsatzes der Reziprozität und unter Beachtung der UNO-Konvention von 1938 —, daß die gerichtliche Verurteilung namentlich bekannter Mörder bei besonders grausamen Mordtaten an deutschen Vertriebenen auch vor polnischen Gerichten geschieht?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Herr Czaja, ich habe bei der Beantwortung der vorangegangenen Fragen — ich glaube, es waren vier an der Zahl — deutlich gemacht, daß die Bundesregierung nicht bereit ist, sinnlose Sachen anzugehen. Dies gilt auch, wenn der polnische Justizminister in der Bundesrepublik zu Besuch ist. Der Sache wäre damit nicht gedient.
Zweite Zusatzfrage.
Meinen Sie also, Herr Staatssekretär, daß die Zusammenarbeit zur Aufklärung und Bestrafung von Verbrechen nur stattfinden soll, wenn polnische Opfer betroffen sind, und nicht auch dann, wenn deutsche Opfer betroffen sind wie im Fall Lamsdorf, wo das Landgericht Hannover Namen und Tatumstände für die Ermordung von 15 deutschen Säuglingen, das Zutodeprügeln von 100 Frauen und das Erschlagen von 90 Männern durch Schläge an die Halsschlagader als — von den 6 480 Toten im Lager Lamsdorf in einem Jahr — bewiesen ansah?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Zum einen ist das Erforderliche bereits geschehen. Sie wissen — ich habe insoweit eine Antwort erteilt—, daß in einer Schwurgerichtssache ein Teil schon abgehandelt ist. Zum zweiten ist vom Bundesgerichtshof bereits ein zuständiges Landgericht, nämlich das Landgericht Hagen, nach § 13 a StPO bestellt worden. Im übrigen dürfen Sie versichert sein, daß die Bundesregierung, soweit es in ihren Kräften steht, alles tut, um dafür zu sorgen, daß nach den bestehenden Bestimmungen Strafverfolgungen stattfinden. Aber ich sage noch einmal: Es ist außenpolitisch nicht sinnvoll, hier so zu verfahren, wie Sie es angeregt haben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hupka.
Herr Staatssekretär, da, wie ich glaube, zum erstenmal ein polnischer Außenminister im freien Teil Deutschland war, frage ich, ob es da nicht angebracht gewesen wäre, diese Problematik mit dem polnischen Gast einmal zu besprechen. Für uns ist es sinnvoll, Verbrechen zu verfolgen, die Deutsche anderen Völkern zugefügt haben. Warum sollte es nicht sinnvoll sein, Verbrechen zu verfolgen, die andere an Deutschen begangen haben?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Ich habe schon mehrfach sehr deutlich gemacht, daß nach unserer Kenntnis — unsere Untersuchungen waren sehr sorgfältig — davon ausgegangen werden muß, daß dort eine Strafverfolgung nicht in Betracht kommt. Ich bin gern bereit, Ihnen das Protokoll zuzusenden, damit Sie es nachlesen können. Unter diesen Umständen — ich wiederhole mich, und ich bin gezwungen, mich zu wiederholen, nachdem Sie erneut fragen — ist es nicht sinnvoll, dies zum Gegenstand von Erörterungen zu machen.
Keine Zusatzfrage mehr. Ich rufe die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Pensky auf:Ist das Feilbieten kriegshetzerischer Veröffentlichung in Bild, Schrift und Ton — wie das Feilbieten einer Langspielplatte mit dem Stukalied, Bomben auf Engeland, Lied der Panzergrenadiere, Frankreichlied, Vorwärts nach Osten, Rußland-Fanfare, Rot scheint die Sonne — nach geltendem Recht mit Strafe bedroht oder nach Vorschriften außerhalb des Strafrechts unzulässig, und wenn nein, wird die Bundesregierung eine Initiative ergreifen, um das Feilbieten derartiger Veröffentlichungen zu verhindern?Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Die Verbreitung kriegshetzerischer Veröffentlichungen kann, je nach Sachlage, im Einzelfall den Tatbestand einer Strafvorschrift erfüllen. Folgende Strafvorschriften kommen insbesondere in Betracht: § 86 StGB, der das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen mit Strafe bedroht, § 131 StGB, der sich gegen die Verherrlichung von Gewalt wendet, und die §§ 21 und 6 Nr. 3 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften, die bei Schriften, die offensichtlich geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich schwer zu gefährden, den Verstoß gegen Vertriebs- und Werbebeschränkun-
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658 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
Parl. Staatssekretär Dr. de Withgen strafrechtlich ahnden. Es ist Sache der zuständigen Strafverfolgungsorgane und Gerichte der Länder, jeweils zu prüfen, ob ein strafbares Handeln vorliegt. Von einer Stellungnahme dazu, ob die von Ihnen genannten Lieder darunter fallen, sieht die Bundesregierung deshalb ab. Sie haben selbstverständlich — wie jeder Bürger — die Möglichkeit, die Strafverfolgungsorgane mit der von Ihnen beanstandeten Publikation zu befassen.Darüber hinaus sieht das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften in seinem § 1 die Indizierung von solchen Schriften vor, „die geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich zu gefährden" . Dazu werden dort ausdrücklich auch „den Krieg verherrlichende Schriften" gerechnet. Über die Aufnahme in die Liste entscheidet die Bundesprüfstelle. Nach Bekanntgabe der Aufnahme werden Vertriebs- und Werbebeschränkungen wirksam, deren Verstoß strafrechtlich bewehrt ist.Herr Kollege, im Hinblick auf diese Rechtslage sieht die Bundesregierung keinen Anlaß, Änderungen oder Ergänzungen der bestehenden Rechtsvorschriften vorzuschlagen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, haben Sie nicht Verständnis dafür, daß eine deutsche Sportanglergruppe, die an einem internationalen Treffen im westlichen Europa teilgenommen hat, dort wegen dieser Veröffentlichungen harter Kritik — etwa in der Richtung: Na, ihr Deutschen, seid ihr schon wieder soweit? — ausgesetzt war? Herr Staatssekretär, ich möchte hier noch die Frage anschließen, ob der Einzelfall nur allgemein juristisch beurteilt werden sollte oder ob die Bundesregierung hierzu nicht auch eine politische Meinung äußern sollte.
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pensky, ich habe angesichts der Erfahrungen, die Sie offensichtlich von jener Jugendgruppe mitgeteilt bekommen haben, sehr großes Verständnis für Ihre Frage. Ich muß aber darauf aufmerksam machen, daß nach den Erfahrungen, die wir haben, die bestehenden Gesetze voll ausreichen. Die Zielfunktion der von mir erwähnten Vorschriften ist, wie ich meine, genau bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich hätte natürlich gern Näheres über die Zielfunktion dieser Gesetze gehört, die sich auch aus den Materialien zu diesen Gesetzen ergeben müßte. Ich hätte gern etwas darüber gehört, was sich Parlament und Regierung gedacht haben, als von ihnen Gesetze dieser Art vorgelegt wurden. Sind Sie nicht der Meinung, Herr Staatssekretär, daß solche klaren Äußerungen wie beispielsweise „Bomben auf Engeland", „Vorwärts nach Osten" und „Rußland-Fanfaren" zu kriegshetzerischen Veröffentlichungen zu rechnen sind?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pensky, was die Zielfunktion anbelangt, so verweise ich auf § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB, in der deutlich darauf hingewiesen wird, was darunter verstanden wird. Erfaßt sind Propagandamittel, die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen. Es ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob ein schuldhaftes Verhalten vorliegt oder nicht. Danach werden die Staatsanwaltschaften ihre Entscheidungen treffen. Nach unseren Erfahrungen gibt es in dieser Hinsicht Beschwernisse bisher nicht.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, halten Sie auch das Antragsrecht für die Aufnahme solcher Schriften in das Verzeichnis jugendgefährdender Schriften für ausreichend?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Ja. Es ist besonders wirksam, weil, wie ich sagte, damit entsprechendes Material aus dem Verkehr gezogen wird. Es ist wirksamer als die bloße Strafanzeige, die zu einer Verurteilung führt.
Keine weitere Frage. Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär de With.
Wir kommen nunmehr zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Wischnewski zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 92 des Herrn Abgeordneten Spranger auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung im Gegensatz zur amerikanischen und norwegischen Regierung bisher keine konkreten Maßnahmen unternommen hat, um der Verletzung der Menschenrechte durch kommunistische Staaten entgegenzuwirken, und wenn ja, beruht diese Tatsache auf der von Staatssekretär Gaus im „Spiegel"-Interview vom 31. Januar 1977 empfohlenen Haltung, auf den Gestus als Sachwalter aller Unterdrückten zu verzichten, und ist deshalb damit zu rechnen, daß diese Unterdrückten in kommunistischen Staaten zukünftig die Bundesregierung nicht als Sachwalter ihres Rechts empfinden dürfen?
Herr Kollege Spranger, ich beantworte Ihre Frage wie folgt. Diese Bundesregierung und ihre Vorgänger haben seit Jahren eine Politik betrieben, die sich auf multilateraler und bilateraler Ebene bemüht hat und weiterhin bemühen wird, in Abstimmung mit ihren Partnern der Europäischen Gemeinschaft und des Nordatlantischen Bündnisses zur Einhaltung und Verwirklichung der Menschenrechte beizutragen. Auch von dieser Stelle aus hat sie wiederholt zur Problematik der Durchsetzung der Menschenrechte Stellung genommen und ihre Politik im einzelnen dargelegt. Sie benutzt die angemessenen und wirksamen Mittel der Außenpolitik, um auf diesem schwierigen Gebiet Fortschritte zu erreichen. In Helsinki, New York und bei bilateralen Treffen haben wir eine solche auf praktische Ergebnisse gerichtete Politik geführt.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977 659
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung, man dürfe sich nicht als Sachwalter der Unterdrückten gerieren, und was gedenkt die Bundesregierung gegenüber dem Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zu tun, der diese Meinung vertreten hat?
Wischnewski, Staatsminister: Ich glaube, die Haltung der Bundesregierung ist hier klar und eindeutig zum Ausdruck gekommen. Der Ständige Vertreter kennt diese Haltung der Bundesregierung und weiß, daß auch für ihn diese Politik gilt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, hält die Bundesregierung es für tragbar, daß offensichtlich zwischen ihrem Ständigen Vertreter und ihr erhebliche Differenzen bestehen?
Wischnewski, Staatsminister: Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, daß vielleicht nicht jede Formulierung in einem bestimmten Interview direkt mit der Haltung der Bundesregierung in Übereinstimmung ist.
Aber es besteht kein Anlaß für die Bundesregierung, daran zu zweifeln, daß der Ständige Vertreter der Bundesrepublik in Berlin sich entsprechend der Politik dieser Regierung verhält.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatsminister, Sie haben soeben erklärt, daß die Bundesregierung sich der angemessenen und wirksamen Mittel des Völkerrechts bedient. Darf ich Sie fragen, ob in sorgfältiger Abwägung im Einzelfall nach Ihrer Auffassung dazu Einzeldemarchen, Kollektivdemarchen und bei schwerer Verletzung Schadensersatzansprüche und andere Retorsionsmaßnahmen im Sinne des Völkerrechts zählen?
Wischnewski, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, die Bundesregierung wird darüber zu entscheiden haben, was sie im Einzelfall für notwendig hält. Ich sehe keinerlei Möglichkeit, hier eine Gesamtbeurteilung der Situation abzugeben. Ich habe mich gerade mit Fragen des Menschenrechts sehr intensiv beschäftigt und weiß, wie unterschiedlich Fälle gelegen sein können und wie unterschiedliche Mittel man anwenden muß, um im Interesse der betroffenen Menschen zu einem Ergebnis zu kommen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, deutet nicht das praktische Verhalten der Bundesregierung gegenüber Bürgerrechtsanhängern in Ostblockstaaten, sei es etwa die Verweigerung der Kontaktaufnahme mit solchen, die sich hier im Westen befinden, sei es die Weigerung, öffentlich für diejenigen einzutreten, die drüben inhaftiert werden, darauf hin, daß sich die Bundesregierung in der Praxis durchaus an die von ihrem Staatssekretär Gaus aufgestellte Maxime zu halten begonnen hat?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung wird alle Kontakte wahrnehmen, die sie im eigenen, aber auch im Interesse von betroffenen Menschen für notwendig hält.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Herr Staatsminister, ist Ihre Antwort an Herrn Kollegen Spranger so zu verstehen, daß die Äußerungen des Herrn Gaus zwar mit den Ansichten der Bundesregierung in seinen Verlautbarungen nicht in allen Einzelheiten deckungsgleich sind, daß aber die Bundesregierung in allen wichtigen und grundsätzlichen Fragen keinen Unterschied zu den von Herrn Gaus geäußerten Meinungen sieht?
Wischnewski, Staatsminister: Da es noch 13 weitere Fragen zu Einzelproblemen gibt, möchte ich die große Chance, die Sir mir geboten haben, mit der Beantwortung der 13 Fragen zu jedem einzelnen Punkt wahrnehmen. Ich glaube, es ist auch in Ihrem Interesse, sehr präzis einzelne Punkte beantwortet zu bekommen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatsminister, nachdem die Bundesregierung in einem Einzelfall bereits sehr deutlich damit hervorgetreten ist, sich für Menschenrechte einzusetzen, und zwar anläßlich der ersten Rede, die der deutsche Vertreter im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gehalten hat, wo er für die Menschenrechte in Rhodesien — die Bundesregierung hat das als Zimbabwe bezeichnet — eingetreten ist, möchte ich fragen: Hält es die Bundesregierung nicht für angezeigt, auch für die Menschenrechte der Menschen in unserem Lande, und zwar in Mitteldeutschland, wie auch in der Tschechoslowakei und der Sowjetunion, genauso deutlich einzutreten?Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung tritt für die Wahrung der Menschenrechte überall in der Welt ein.
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660 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
Staatsminister WischnewskiSie wird sich um jeden Einzelfall kümmern, bei dem sie eine Chance sieht, im Interesse der betroffenen Menschen etwas zu tun.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mertes.
Herr Staatsminister, hat sich der Ständige Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin vor Ablegung seines Amtseides von seiner folgenden grundgesetzwidrigen Äußerung im „Spiegel" vom 6. Dezember 1971 distanziert:
Für die Bonner Regierung heißt das: Sollte es im Fortgang ihrer Ostpolitik je eine Etappe geben, die nur dann erfolgreich durchschritten werden kann, wenn auch die Bundesrepublik der DDR die volle uneingeschränkte völkerrechtliche Anerkennung zuteil werden läßt, so spricht politisch alles dafür, ohne Zaudern anzuerkennen — voll, uneingeschränkt, völkerrechtlich.
Und wie beurteilt die Bundesregierung dieses Zukunftsprogramm des damaligen Redakteurs Günter Gaus?
Wischnewski, Staatsminister: Da Sie keine Frage gestellt haben, die auf das Jahr 1971 zurückgeht, kann ich die Frage hier auch nicht beantworten.
Ich sehe keine weitere Frage hierzu.
Ich rufe die Frage 93 des Herrn Abgeordneten Spranger auf:
Bedeutet diese von Staatssekretär Gaus verkündete Haltung nicht den freiwilligen Verzicht der Bundesregierung, darauf zu achten, daß die kommunistischen Staaten ihre innerhalb der UNO-Charta, der KSZE-Vereinbarungen und der Ostverträge eingegangenen Verpflichtungen auch einhalten, und wie will die Bundesregierung gegebenenfalls den Vorwurf vermeiden, die menschenrechtswidrigen Maßnahmen kommunistischer Regime gegenüber Bürgerrechtlern und Ausreisewilligen durch Duldung gefördert zu haben?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatsminister.
Wischnewski, Staatsminister: Herr Kollege, diese Frage ist im Grunde schon durch meine vorangegangenen Ausführungen beantwortet.
Die Bundesregierung hat nicht darauf verzichtet und wird auch in Zukunft nicht darauf verzichten, sich in realistischer Weise um die Verwirklichung der Menschenrechte zu bemühen. Es gibt wohl keinen deutlicheren Beleg für die Erfolge dieser Politik als die Zahlen der im Laufe der letzten Jahre im Rahmen der Familienzusammenführung in unser Land gekommenen Aussiedler, die ich noch einmal in Erinnerung rufen will: Von 1969 bis heute beträgt ihre Zahl 208 930; davon allein 43 916 im Jahre 1976.
Da Sie, Herr Abgeordneter, allgemein die Haltung der Bundesregierung zu den Menschenrechten zur Diskussion stellen, lassen Sie mich die deutliche und keine Zweifel lassende Stellungnahme des Bundesaußenministers wiederholen, die er am 28. September 1976 vor der 31. Generalversammlung der Vereinten Nationen namens der Bundesregierung abgegeben hat:
Wir sind uns bewußt, daß auch nach Inkrafttreten der Menschenrechtspakte in vielen Teilen der Welt die elementarsten Rechte des Individuums noch nicht verwirklicht sind, sein Recht auf Leben und auf Sicherheit der Person, sein Recht auf Gleichheit ohne Ansehen der Rasse, sein Recht auf Freizügigkeit, sein Recht auf freie Meinungsäußerung, seine wirtschaftlichen und sozialen Rechte.
In einer so bedrohten Welt ist es unsere Pflicht, dauerhafte Fundamente des Friedens und der Zusammenarbeit zu schaffen. Die Bundesregierung sieht in der Verwirklichung und der Förderung der Menschenrechte in allen Teilen der Welt ein zentrales Problem ihrer Mitarbeit in den Vereinten Nationen. Sie wird an dieser Auffassung, die sich durch ihre praktische Mitarbeit in den Vereinten Nationen dokumentiert hat, auch in Zukunft festhalten.
Dies war die grundsätzliche Haltung der Bundesregierung, vorgetragen vor den Vereinten Nationen. Dies ist auch weiterhin die klare Haltung der Bundesregierung. Ich möchte hinzufügen, daß unsere Politik der Verwirklichung der Menschenrechte in anderen Gremien, vor allem im Rahmen der KSZE, von der gleichen Grundlage ausgeht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wenn Ihre Behauptung zutrifft, daß sich die Bundesregierung auch zukünftig für die Wahrung der Menschenrechte einsetzen wird, wie läßt sich dann damit in Einklang bringen, daß Staatssekretär Gaus gerade den Verzicht auf diese Haltung empfiehlt?
Wischnewski, Staatsminister: Die Haltung von Staatssekretär Gaus wird von mir nach dem beurteilt, was er auf diesem Gebiet tut.
Ich bitte um Verständnis dafür,
wenn ich hier nicht darauf eingehe.
Eine weitere Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977 661
Herr Staatsminister, würde es nicht der Qualifikation für einen solchen Posten eher entsprechen, wenn eine Identität zwischen Reden und Handeln gegeben wäre?
Wischnewski, Staatsminister: An der Qualifikation des Ständigen Vertreters der Bundesrepublik besteht nicht der geringste Zweifel.
Keine weitere Frage.
Ich rufe die Frage 94 des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg auf:
Trifft es zu, daß die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin die gegenwärtige Regelung des Zugangs zur Ständigen Vertretung als normal bezeichnet hat, obwohl Besucher immer noch nach dem Verlassen kontrolliert und ihre Personalien aufgenommen werden, und teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß Ost-Berlin es als Hinnahme seiner rechtswidrigen Praktiken verstehen muß, wenn diese als normal bezeichnet werden?
Wischnewski, Staatsminister: Ich beantworte die die Frage wie folgt: Am 11. Januar 1977 haben Volkspolizisten die Ausweise aller Personen kontrolliert, die das Gebäude der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin betreten wollten. Sie haben Besucher aus der DDR am Zutritt gehindert. Nach scharfem Protest von Staatssekretär Gaus beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und von mir gegenüber dem Leiter der Ständigen Vertretung der DDR wurden diese Zugangsbeschränkungen am folgenden Tage aufgehoben. Die Besucherzahlen hielten sich seit diesem Zeitpunkt wieder im üblichen Rahmen.
Die Ständige Vertretung hat deshalb nach dem 12. Januar 1977 Anfragen dahin beantwortet, daß der Besucherverkehr wieder normal verlaufe, was den Zugang zur Vertretung und die Zahl der Besucher angehe. Sie hat aber auch darauf hingewiesen, daß in der Umgebung des Gebäudes weiterhin Kontrollen stattfänden und insofern der ursprüngliche Zustand noch nicht wiederhergestellt sei. Keiner der Anfragenden konnte deshalb den Eindruck gewinnen, die Bundesregierung sehe die nachträglichen Paßkontrollen als normal an. Dieser Eindruck konnte auch bei der DDR nicht entstehen, um so weniger, als sich die Ständige Vertretung auch gegen die nachträglichen Kontrollen beim DDR-Außenministerium unverzüglich und entschieden verwahrt und sie als einen Schritt bezeichnet hat, der der Normalisierung der Beziehungen entgegensteht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, bezeichnet die Bundesregierung den Zugang als normal, wenn die Besucher damit rechnen müssen, sei es vor dem Zutritt oder beim Herauskommen, daß sie von den Behörden der DDR festgehalten und ihre Personalien notiert werden?
Wischnewski, Staatsminister: Ich glaube, ich muß noch einmal auf folgendes hinweisen. Eine Kontrolle hinterher gibt es seit einer gewissen Zeit in einem erheblichen Abstand von unserem Gebäude. Der Zugang ist lediglich an dem einen Tag kontrolliert worden, den ich hier erwähnt habe, nämlich am 11. Januar 1977. Vom 12. Januar an ist diese Kontrolle wieder abgeschafft worden, so daß die Menschen jetzt wieder die Möglichkeit haben, unkontrolliert die Vertretung der Bundesrepublik zu betreten.
Unverändert ist die Situation, was das Verlassen der Vertretung anbetrifft. Hier gehen unsere Bemühungen weiter dahin, daß auch diese Überprüfungen nicht mehr stattfinden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, es geht um das Wort „Zugang", und vielleicht gibt es darüber verschiedene Auffassungen. Das möchte ich meiner Frage vorausschicken. Glauben Sie wirklich, daß man sagen kann, der Zugang zur Ständigen Vertretung sei normal, wenn alle Besucher nach den gemachten und den noch zu machenden Erfahrungen damit rechnen müssen, sich einer Verfolgung auszusetzen?
Wischnewski, Staatsminister: Einer Kontrolle auszusetzen: Dieses Wort aus dem einfachen Grunde, weil uns kein einziger Fall bekannt ist, daß ein Bürger der DDR, der die Ständige Vertretung besucht hat, anschließend dadurch Nachteile gehabt hat.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Marx.
Herr Kollege Wischnewski, können Sie uns, können Sie diesem Hause sagen, was eigentlich vor sich geht, wenn diejenigen Leute, die die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland verlassen, angehalten werden? In was besteht die Kontrolle, wonach werden sie gefragt? Nach den Motiven ihres Besuchs? Werden ihre Namen aufgeschrieben? Das würde uns doch sehr interessieren.
Wischnewski, Staatsminister: Ich bin gerne bereit, im Ausschuß darüber genau Auskunft zu geben.
Ich glaube, es liegt nicht im Interesse der Betroffenen, hier so darüber zu reden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Schmöle.
Herr Staatsminister, würden Sie denn nicht zustimmen, daß es mehr im Interesse der Betroffenen liegt, wenn man die eindeutigen
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662 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
SchmöleEinschüchterungsversuche in der gebotenen Klarheit zurückweist?
Wischnewski, Staatsminister: Ich möchte sagen, daß dem Hause die Haltung der Bundesregierung doch bekannt ist. Wir haben hier mehr als einmal darauf hingewiesen, welche Proteste wir sowohl in Berlin als auch hier in Bonn gegenüber dem Ständigen Vertreter erhoben haben. Ich gehe davon aus, daß das dazu beigetragen hat, daß die Kontrollen beim Zugang jetzt nicht mehr stattfinden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Kontrolle von Besuchern unserer Ständigen Vertretung in Ost-Berlin, sei es vor, sei es nach dem Besuch, im Widerspruch steht zu den vertraglichen . Vereinbarungen, die wir im Hinblick auf die Errichtung dieser Ständigen Vertretung mit der DDR getroffen haben?
WisChnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß eine solche Kontrolle nicht dazu angetan ist, das Ziel zu erreichen: eine Normalisierung herbeizuführen.
Eine Frage der Frau Abgeordneten Berger.
Herr Staatsminister, zur Frage meines Herrn Kollegen Marx nach den Fragen, die man unseren Mitbürgern aus der DDR nach Besuchen unserer dortigen Vertretung stellt, haben Sie geantwortet, daß es nicht im Interesse der Betroffenen läge, wenn Sie hierzu etwas sagten; Sie müßten es im Ausschuß tun. Deswegen möchte ich Sie fragen, worin denn eigentlich die Verletzung des Interesses der Betroffenen besteht, da doch die DDR selber die Fragen stellt, sie also besser kennt als wir, die sie gerne wissen möchten.
Wischnewski, Staatsminister: Verehrte Frau Kollegin, ich habe bereits ein andermal gesagt, daß ich gerne bereit bin, im Ausschuß über die Arbeitsweise, die Möglichkeiten, die Probleme der Ständigen Vertretung umfangreich zu berichten.
Ich darf daran ausdrücklich erinnern. Aus dem Jahre 1963 gibt es eine Verordnung der DDR —
also zu einem Zeitpunkt lange vor Abschluß des Grundlagenvertrages —, in der nicht etwa gegenüber der Bundesrepublik, sondern für alle festgelegt worden ist, daß diejenigen, die eine Vertretung betreten, dafür eine besondere Genehmigung brauchen. Das gibt es auch in anderen Ländern. Sie ist uns gegenüber bisher nicht angewandt worden, andern gegenüber schon. Aus dem Grunde sage ich: Ich bin gerne bereit, im Ausschuß sehr genau darüber zu informieren.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Kunz.
Herr Staatsminister, wollen Sie diesem Hohen Hause nun eindeutig sagen, ob das Verhalten der DDR-Behörden in diesem Punkte eine Verletzung des Vertrags darstellt oder nicht?
Wischnewski, Staatsminister: Wenn das Verhalten der DDR in dieser Frage in Ordnung gewesen wäre, hätte kein Anlaß von seiten der Bundesregierung bestanden, in aller Eindeutigkeit zu protestieren. Darin kommt die Haltung der Bundesregierung zum Ausdruck, daß das mit dem Vereinbarten nicht in Einklang zu bringen ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mertes.
Herr Staatsminister, da der Begriff der Normalisierung in den Ausführungen der Bundesregierung und auch kürzlich im „Spiegel"-Interview des Herrn Gaus eine so zentrale Rolle spielt, möchte ich Sie fragen: Was versteht die Bundesregierung eigentlich präzise unter „Normalisierung"? Vor allen Dingen interessiert mich die Frage: Bedeutet Normalisierung die Anpassung der menschenrechtlichen Normen an die gewaltpolitischen Fakten, oder bedeutet Normalisierung die schrittweise Anpassung der Machtverhältnisse an die menschenrechtlichen Normen?
Wischnewski, Staatsminister: Herr Kollege, ich glaube, die Haltung der Bundesregierung zu diesen Fragen ist klar. Ich habe vorhin die Haltung der Bundesregierung zu den Menschenrechten klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht, und dieses gilt selbstverständlich auch für diesen Fall.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Straßmeir.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977 663
Herr Staatsminister, Sie haben soeben ausgeführt, daß der Ständigen Vertretung und der Bundesregierung kein Fall bekanntgeworden sei, daß der Besuch unserer Vertretung nachteilige Folgen nach sich ziehe. Wenn das so ist, weshalb können Sie dann eigentlich hier im Interesse der Betroffenen nicht darlegen, welcher Art die Kontrollen sind und was es damit auf sich hat?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe konkreten Anlaß, mich so zu verhalten, wie ich das hier getan habe.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Ey.
Herr Staatsminister, wie ist Ihre Auslassung hinsichtlich der Mißbilligung der Kontrollen durch die DDR in Einklang zu bringen mit den Auslassungen des Herrn Staatssekretärs Gaus?
Wischnewski, Staatsminister: Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, daß Herr Staatssekretär Gaus den Protest gegenüber den Behörden der DDR zum Ausdruck gebracht hat, d. h., die Notwendigkeit dieses Protestes stimmt völlig mit seiner Auffassung überein. Daran gibt es nicht den geringsten Zweifel.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Schmude.
Herr Staatsminister, kann sich die Bundesregierung aus ihrer Kenntnis der Zusammenhänge um den Besuch der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin vorstellen, daß andere Kenner dieser Zusammenhänge die Bundesregierung hier in dieser öffentlichen Sitzung nötigen, über die Entwicklung des Besucherstroms und die Wirksamkeit der Kontrollen zu berichten, in der Absicht, die Ständige Vertretung in ihrer Aktionsfähigkeit zu unterstützen, oder sieht die Bundesregierung nicht vielmehr die Gefahr, daß dadurch Störungen und Verschärfungen der schon aufgebrochenen Konflikte mutwillig oder bewußt herbeigeführt werden?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung ist an allem interessiert, was eine normale Tätigkeit unserer Ständigen Vertretung erleichtert. Ich bestreite nicht, daß es Diskussionen gibt, welche die Tätigkeit der Ständigen Vertretung auch erschweren können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stercken.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bei Abschluß ihres Vertrags mit der DDR davon ausgegangen, daß solche Kontrollen vor der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin stattfinden?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung hat bei Abschluß des Vertrages gewußt, daß eine Reihe von Dingen nicht zu regeln ist. Man denke insbesondere daran, daß aus rechtlichen Erwägungen, auf die wir später zu sprechen kommen, nicht die Möglichkeit gegeben ist, nur für einen bestimmten Personenkreis Regelungen zu vereinbaren.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Lagershausen.
Herr Staatsminister, stimmt die Bundesregierung mit mir überein, daß die ausweichende und verharmlosende Art, mit der Sie hier z. B. die vom Kollegen Jäger präzise gestellte Frage beantwortet haben, die DDR-Behörden ermuntern könnte, mit ihrem vertragswidrigen Verhalten fortzufahren?
Wischnewski, Staatsminister: Ich bin erstens keiner Frage ausgewichen
und habe jede Frage präzise beantwortet.
Da, wo ich Ihnen keine Antwort gegeben habe, habe ich sie Ihnen für den Ausschuß angeboten, und ich sage noch einmal: im Interesse der Sache.
Letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Böhm.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß noch ungefähr vor Jahresfrist Herr Staatssekretär Gaus darauf hingewiesen hat — und zwar öffentlich —, daß es ein ganz besonders großer Erfolg der Ost- und Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung sei, daß jederzeit der ungehinderte und unkontrollierte Zugang zur Ständigen Vertretung in Ost-Berlin gewährleistet sei?Wischnewski, Staatsminister: Ich glaube, daß er damit auch recht hat. Ich habe Ihnen hier eine genaue Information über den Vorgang an dem einen Tag gegeben. Im übrigen ist die Bundesregierung weiterhin darum bemüht, alles zu tun, was den völlig normalen Zugang zur Ständigen Vertretung in Berlin möglich macht.
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664 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 95 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Qualität der Verbindlichkeit des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 31. Juli 1973 für die Bundesregierung angesichts der Feststellung von Staatssekretär Günter Gaus, daß „wir uns davor hüten müssen, das Karlsruher Urteil als Fessel und nicht als Rahmen zu nehmen"?
Wischnewski, Staatsminister: Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bindungswirkung des Grundlagenvertragsurteils des Bundesverfassungsgerichts steht für die Bundesregierung außer Zweifel. Das haben Vertreter der Bundesregierung von dieser Stelle aus schon mehrfach deutlich gemacht. Die Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht bestimmt die Qualität der Verbindlichkeit des genannten Urteils.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie können Sie dann erklären, daß Herr Staatssekretär Gaus von einer „Fessel" gesprochen hat, die das Urteil von Karlsruhe für ihn sein könnte und die er abwerfen möchte?
Wischnewski, Staatsminister: Herr Staatssekretär Gaus hat journalistische Ausdrücke gebraucht, keine juristischen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich aus Ihren Äußerungen schließen, Herr Staatsminister, daß die Bundesregierung diese Ausführungen des Staatssekretärs widerruft, nicht billigt und rügt?
Wischnewski, Staatsminister: Ich möchte hier sagen, daß ich eben zu der von Ihnen angesprochenen Frage eine klare und eindeutige Auskunft über die Haltung der Bundesregierung gegeben habe.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Marx.
Herr Staatsminister, da Sie, wie ich glaube, mit vollem Recht gesagt haben, daß die Bindungswirkung des Karlsruher Urteils ohne Zweifel für die Bundesregierung feststehe, und die hier im Zitat widergegebene Äußerung des Herrn Gaus als eine journalistische qualifiziert haben, möchte ich gern wissen — um mich jetzt einen Augenblick in den Bereich der Semantik zu begeben —: Herr Staatsminister, was liegt der Formulierung „Bindungswirkung" näher, das Wort „Fessel" oder das Wort „Rahmen"?
Wischnewski, Staatsminister: Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, mich an der Diskussion über mehr journalistische Begriffe zu beteiligen, verehrter Herr Kollege Dr. Marx.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, werden Sie zugestehen, daß für alle Beamten der Bundesrepublik Deutschland, auch für Herrn Gaus, im Sinne Ihrer Ausführungen die Sätze des Grundvertragsurteils verbindlich sind, wonach die Bundesrepublik Deutschland auch künftig keinen rechtlichen Unterschied zwischen Bewohnern der Bundesrepublik Deutschland und anderen deutschen Staatsangehörigen machen darf, daß durch keine Maßnahme von Einzelpersonen oder der Bundesrepublik Deutschland der Rechtsstatus der deutschen Staatsangehörigen gemindert werden darf und daß jeder deutsche Staatsangehörige, der sich innerhalb oder außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes an Dienststellen der Bundesrepublik Deutschland wendet, den vollen Schutz zur Durchsetzung seiner Grundrechte genießen muß?
Wischnewski, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Czaja, die Beamten der Bundesregierung sind mit dem Urteil voll vertraut. Sie kennen darüber hinaus sehr genau den § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Weber.
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung nicht fesseln wollte, sondern ihr die Pflicht zum Tätigwerden auferlegte, als es im Urteil vom 31. Juli wörtlich ausführte, es wolle keine Politik treiben, d. h. in den von der Verfassung geschaffenen und begrenzten Raum freier politischer Gestaltung eingreifen, sondern es ziele darauf ab, den von der Verfassung für die anderen Verfassungsorgane garantierten Raum freier politischer Gestaltung offenzuhalten?
Wischnewski, Staatsminister: Ich teile Ihre Auffassung, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klein.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977 665
Herr Staatsminister, würden Sie mir darin zustimmen, daß in dem Amt, das Herr Staatssekretär Gaus bekleidet, weniger journalistische als vielmehr diplomatische Fähigkeiten erforderlich sind?
WisChnewski, Staatsminister: Ich kenne eine Reihe von hervorragenden Diplomaten, die ihre Laufbahn als Journalisten begonnen haben.
Wischnewski, Staatsminister: Ich kann Ihnen gern zustimmen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 96 des Herrn Abgeordneten Kunz auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Staatssekretär Gaus, daß die Bundesrepublik Deutschland die Bereitschaft entwickeln müsse, sich von der DDR „sagen zu lassen, was sie derzeit für möglich hält und derzeit für nicht machbar ansieht", und bedeutet dies nicht bejahendenfalls, daß es ins Belieben der DDR gestellt wird, wie weit sie ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllen will?
Wischnewski, Staatsminister: Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der von Ihnen zitierte Passus steht im Zusammenhang mit der Aussage von Staatssekretär Gaus im gleichen Interview an etwas früherer Stelle, daß die Bundesregierung bereit ist, Gespräche über das, was jetzt möglich ist und derzeit nicht möglich ist, zu führen. Die Gesprächsbereitschaft der Bundesregierung gegenüber der Regierung der DDR besteht unverändert fort. Die Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen ist weder in das Belieben der DDR noch in das der Bundesrepublik Deutschland gestellt. Verträge sind zu halten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, treffen Meldungen zu, daß Herr Staatssekretär Gaus Sie telefonisch befragt und das beabsichtigte Interview bei dieser Befragung Ihnen in seinen Grundzügen mitgeteilt hat?
Wischnewski, Staatsminister: Es entspricht den Tatsachen, daß Herr Staatssekretär Gaus mich vorher telefonisch informiert hat, daß er die Absicht hat, ein Interview zu machen. Mir hat kein Satz vorgelegen; auch die Grundzüge haben mir nicht vorgelegen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Könnte es sein, daß die Grundzüge Ihnen zwar nicht schriftlich vorgelegen haben, Ihnen aber mündlich eröffnet worden sind? Könnte es weiterhin sein, daß Sie Herrn Staatssekretär Gaus drei Auflagen gegeben haben? Und hätten Sie die Freundlichkeit, dem Haus diese drei Auflagen mitzuteilen?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe ausdrücklich gesagt, daß mir keine Passagen vorgelegen haben. Aber ich gebe zu, er hat mich vorher gefragt, ob ich damit einverstanden bin, und ich habe gesagt, ich bin damit einverstanden, daß er ein Interview macht. Der Inhalt konnte bei dem kurzen Telefongespräch keine Rolle spielen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Abelein.
Herr Minister, davon ausgehend, daß das Interview von Staatssekretär Gaus weder mit Ihnen noch mit irgend jemand anderem abgestimmt war, möchte ich Sie fragen: Können Sie uns Auskunft darüber geben, wer denn über-
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666 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
Dr. Abeleinhaupt in dieser Bundesregierung verantwortlich die Grundlinien der Deutschlandpolitik formuliert?
Wischnewski, Staatsminister: Sie wissen, wie die Organisation der Bundesregierung in dieser Frage ist. Für die Deutschlandpolitik hat natürlich die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit die Verantwortung, im besonderen der zuständige Bundesminister. Beim Kanzleramt ist — aus Gründen, die Ihnen bekannt sind — die Zuständigkeit für die Ständige Vertretung gegeben.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz.
Herr Staatsminister, hätten Sie die Freundlichkeit, uns darüber Auskunft zu geben, ob die Bundesregierung oder auch Sie dem Herrn Staatssekretär Gaus bei der Rückfrage vor diesem Interview Auflagen erteilt haben?
Wischnewski, Staatsminister: Wir haben ein Gespräch nicht über Auflagen in bezug auf Sachfragen, sondern generell über das Interview gehabt.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatsminister, angesichts Ihrer Darstellung der Verantwortlichkeit für die Deutschlandpolitik im Rahmen der Bundesregierung möchte ich Sie fragen: Sind Sie dann bereit, die Verantwortung für den vollen Wortlaut des Interviews, das Staatssekretär Gaus gegeben hat, zu übernehmen?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe eben ganz klar und eindeutig gesagt, daß ich meine Zustimmung zu einem Interview gegeben habe, daß wir aber an dem Tage auch gar keine Möglichkeit gehabt haben, uns über den Inhalt zu unterhalten.
Keine weiteren Fragen. Dann rufe ich Frage 97 des Herrn Abgeordneten Dr. Abelein auf:
Worauf führt die Bundesregierung zurück, daß, entsprechend den Äußerungen des Leiters der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin, „die Schwierigkeiten, die wir derzeit mit der DDR haben, . . . größer als irgendwann in den letzten Jahren"?
Wischnewski, Staatsminister: Der Bundeskanzler hat in seiner Rede am 19. Januar 1977 vor diesem Hohen Hause dargestellt, welche Maßnahmen der Regierung der DDR zu einer Belastung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR geführt haben. Er hat dabei erläutert, daß diese Maßnahmen nicht aus der Politik der Bundesregierung, sondern vielmehr aus der Situation der DDR und ihrer Führung zu erklären sind.
Ich wiederhole die Feststellung, die der Bundeskanzler damals getroffen hat: Die Qualität der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten ist nicht allein an den wirtschaftlichen Bindungen zu messen — diese entwickeln sich, so hat er wörtlich gesagt, befriedigend —, sondern bedürfen dringend einer Ergänzung im Bereich des Politischen.
Keine Zusatzfragen? — Dann rufe ich Frage 98 des Herrn Abgeordneten Dr. Abelein auf:
Seit wann sind dieser oder früheren Bundesregierungen seit 1969 entsprechende Hinweise und Informationen über die Vergangenheit des Leiters der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn, Dr. Michael Kohl, bekannt?
Wischnewski, Staatsminister: In der Fragestunde am 3. Februar 1977 habe ich vor dem Hohen Hause ausgeführt, daß es nicht den Gepflogenheiten entspricht, über die Person des offiziellen Vertreters eines anderen Staates im Parlament des Empfangsstaates zu diskutieren. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, können Sei uns, wenn Sie jetzt schon keine inhaltlichen Angaben zu diesem Fall machen wollen, wenigstens darüber Auskunft geben, ob Sie bei dem in der Presse berichteten Gespräch mit Michael Kohl über diese Angelegenheit gesprochen haben?
Wischnewski, Staatsminister: Ich bin nicht bereit, in dieser Angelegenheit die geringste Auskunft zu geben. Ich nehme an, auch Sie kenen die Wiener Konvention ganz genau und erwarten nicht, daß wir dagegen verstoßen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, würden Sie — unterstellt den Fall, die in der Öffentlichkeit diskutierten Behauptungen träfen zu — darin nicht ebenfalls eine untragbare Belastung für die innerdeutschen Beziehungen sehen?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe bereits gesagt, daß ich aus den genannten Gründen nicht die Absicht habe, mich hier zu äußern.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Minister, sind Sie dann bereit, in einer Sitzung des Ausschusses hierüber Auskunft zu geben?Wischnewski, Staatsminister: Ich bin auch nicht bereit — entsprechend der rechtlichen Verpflichtung —, zu dieser Frage im Ausschuß Auskunft zu geben.
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Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, bedeutet diese Weigerung der Bundesregierung, dem Parlament über diese Dinge Auskunft zu geben, daß die Bundesregierung auch eine zweifelhafte Vergangenheit des Ständigen Vertreters der DDR in der Bundesrepublik Deutschland deckt und billigt?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe dem, was ich gesagt habe, nichts hinzuzufügen. Ich kann nur dringend davon abraten, meiner Haltung eine solche Auslegung zu geben.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Klein.
Herr Staatsminister, können Sie mir bitte sagen, gegen welche Bestimmungen der Wiener Konvention bzw. welchen sonstigen Gesetzes konkret Sie zu verstoßen fürchten, wenn Sie die erbetenen Auskünfte erteilen?
Wischnewski, Staatsminister: Ich glaube, Sie sollten sich insbesondere Art. 29 der Wiener Konvention anschauen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 99 des Herrn Abgeordneten Straßmeir auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Leiters der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR, Staatssekretär Gaus, daß für die Staatsangehörigkeitsfragen abweichend von der bestehenden Rechtslage neue Lösungen und Verhaltensweisen gefunden werden müssen?
Wischnewski, Staatsminister: Ich beantworte die Frage des Herrn Kollegen Straßmeir wie folgt.
Die Bundesregierung hat wiederholt eindeutig klargestellt, daß sie von dem Fortbestand einer einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit ausgeht, die das Grundgesetz selbst unter seinen Schutz gestellt hat. Dem entspricht auch die Protokollerklärung der Bundesrepublik Deutschland zum Grundlagenvertrag. Sie lautet wie folgt:
Staatsangehörigkeitsfragen sind durch den Vertrag nicht geregelt worden.
Ich erinnere daran, daß der Bundeskanzler in seinem Bericht zur Lage der Nation am 30. Januar 1975 bekräftigt hat, daß die Bundesregierung sich selbstverständlich vom Auftrag des Grundgesetzes leiten läßt, das — worauf der Bundeskanzler damals ausdrücklich hinwies — in Art. 116 eine einheitliche Staatsangehörigkeit unter seinen Schutz gestellt hat.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wenn Herr Staatssekretär Gaus bessere Erfolge in der Entwicklung der Beziehungen zur DDR in der Weise anstrebt, daß wir dem Verlangen der DDR nach einer Regelung der Staatsangehörigkeitsfrage entsprechend der Erklärung der DDR zum Protokoll des Grundlagenvertrages nachkommen, ist dann die Bundesregierung nicht verpflichtet, ihrem Staatssekretär zu untersagen, eine politische Linie zu vertreten, die im offensichtlichen Widerspruch zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag im allgemeinen sowie zu Art. 16 des Grundgesetzes im besonderen steht, oder teilt die Bundesregierung etwa die Auffassung von Herrn Gaus?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung weiß, daß Herr Staatssekretär Gaus mit seiner Haltung und seiner Arbeit zu den von Ihnen angeführten Dokumenten nicht in Widerspruch steht.
Eine weitere Zusatzfrage?
Herr Staatsminister, kann die Bundesregierung heute verbindlich bestätigen -so wie es durch Herrn Bundesminister Bahr im Plenum des Deutschen Bundestages am 15. Februar 1973 geschehen ist —, daß es eine Änderung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechtes nicht gibt und nicht geben kann?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe hier eine klare und eindeutige Aussage zu dieser Frage gemacht, und ich möchte ausdrücklich das bestätigen, was Herr Minister Bahr damals gesagt hat.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung inzwischen von Herrn Staatssekretär Gaus darüber Aufschluß bekommen, welche im Einklang mit unserer Verfassung stehenden Möglichkeiten er angesichts der bekannten Haltung der DDR-Regierung sieht, eine Lösung für die Staatsangehörigkeitsprobleme zu finden, die, wie er sich hier äußert, nicht immer wieder neue politische Konflikte zwischen den beiden deutschen Staater heraufbeschwört?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung hat ständigen und intensiven Kontakt mit Herrn Staatssekretär Gaus. Sie hat von diesem Kontakt in den letzten Tagen besonders oft Gebrauch gemacht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Herr Staatsminister, ist Ihrer Antwort zu entnehmen, daß die Bundesregierung der Meinung ist, daß das Interview
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668 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
Graf Stauffenbergvon Herrn Staatssekretär Gaus außerhalb der Erfüllung seiner Aufgabe als Ständiger Vertreter gewährt worden ist?Wischnewski, Staatsminister: Ich habe vorhin bereits bei anderer Gelegenheit darauf hingewiesen, daß es in diesem Interview mit Sicherheit jounalistische Formulierungen gibt, die uns nicht gefallen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmude.
Herr Staatsminister, ungeachtet aller Formulierungsunterschiede frage ich Sie, ob die Bundesregierung nicht der in den Interviewäußerungen zum Ausdruck kommenden Auffassung des Staatssekretärs Gaus durchaus zustimmt, daß alle in diesem Zusammenhang stehenden Regelungen nur denkbar und möglich sind im Einklang mit dem Grundgesetz und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag?
Wischnewski, Staatsminister: Ich möchte das ausdrücklich bestätigen.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Graf Huyn.
Herr Staatsminister, darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß die Bundesregierung in Zukunft nicht nur nach, sondern auch vor der Abgabe von Interviews durch Herrn Staatssekretär Gaus mit diesem einen engen und ständigen Kontakt pflegen wird?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung wird mit dem Ständigen Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der DDR immer einen ausgezeichneten ständigen Kontakt haben; vorher und hinterher.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Wrangel.
Herr Staatsminister, würden Sie so freundlich sein und präzisieren, welcher Unterschied zwischen journalistischen und politischen Formulierungen besteht?
Wischnewski, Staatsminister: Ich glaube, es gibt, wenn man über ein Urteil spricht, sehr konkrete Rechtsbegriffe. Es gibt aber auch die Möglichkeit, das mehr journalistisch auszudrücken. Ich glaube, daß derjenige, der hier zu Fragen Stellung genommen hat, die sehr diffizil sind, an zwei, drei Stellen Formulierungen gebraucht hat, die ich jedenfalls eher als journalistisch bezeichnen würde.
Keine weitere Zusatzfrage. — Dann rufe ich die Frage 100 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Was bedeutet nadi Auffassung der Bundesregierung die Bemerkung von Staatssekretär Gaus über den Verzicht auf den „Gestus des Sachwalters aller Unterdrückten", und wie ist eine solche Bemerkung mit der Schutzpflicht vereinbar, die der Bundesregierung gegenüber allen Deutschen obliegt?
Wischnewski, Staatsminister: Die Antwort auf den ersten Teil Ihrer Frage können Sie bereits dem Interview von Herrn Staatssekretär Gaus selbst entnehmen. Dem von Ihnen zitierten „Verzicht ... auf den Gestus des Sachwalters aller Unterdrückten" schließen sich die von Ihnen nicht zitierten Worte „vom sicheren Studio aus" an. Der Sinn des Satzes ist nach seinem Wortlaut und nach seinem Zusammenhang mit den vorangegangenen Sätzen eindeutig. Nur die tatsächliche Änderung ihrer Lage nützt den betroffenen Menschen. Eine Politik, die darauf hinwirken will, muß die Umstände beachten, unter denen sie durchgesetzt werden kann.
Gute Absichten, die an den tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten vorbeigehen, bleiben wirkungslos.
Im übrigen werden Sie, Herr Abgeordneter, wissen, daß die Schutzpflicht gegenüber allen Deutschen nur im Rahmen des tatsächlich und rechtlich Möglichen ausgeübt werden kann. Die von Ihnen zitierte Bemerkung von Herrn Staatssekretär Gaus berücksichtigt das und zeigt den Weg für ihre wirksame Ausübung. Die von Ihnen im zweiten Teil Ihrer Frage vorausgesetzte Unvereinbarkeit der Bemerkung mit der Schutzpflicht besteht daher nicht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, bedeuten Äußerungen wie die von mir in meiner Frage angesprochenen des Herrn Staatssekretär Gaus nicht ein Signal an die Regierung in Ost-Berlin, daß sie eine sehr weitgehende Bereitschaft der Bundesregierung zu erwarten hat, auf die Durchsetzung der mit der Schutzpflicht verbundenen Aufgaben zu verzichten?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung hat alles getan, um ihre Haltung auch der DDR genau bekanntzumachen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, bedeuten die Ausführungen von Herrn Staatssekretär Gaus angesichts der Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland nicht eine Stärkung derjenigen Kräfte, die die Wahrnehmung der nationalen Schutzpflicht für alle Deutschen als lästigen Ballast ansehen und sich allmählich von der Verpflichtung für ganz Deutschland lossagen wollen?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977 669
Wischnewski, Staatsminister: Ich sehe die Ausführungen von Herrn Staatssekretär Gaus nicht so wie Sie.
Bitte schön, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist es nicht vielmehr so, daß derjenige, der für die Deutschen im anderen Staat durch Arbeit etwas tun will, nicht gleichzeitig dauernd in der Pose des bodybildenden Muskelprotzes herumstehen kann?
Wischnewski, Staatsminister: Ich glaube, ich sehe das ähnlich wie Sie.
Keine Zusatzfrage mehr.
Dann rufe ich die Frage 101 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Leiters der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin, Staatssekretär Gaus, daß es die Normalisierung beende, wenn eine Seite versuche, die andere Seite absichtsvoll zu schwächen, und bedeutet dies bejahendenfalls angesichts der mit Millionenaufwand betriebenen absichtlichen Unterminierung der Bundesrepublik Deutschland durch die Politik der DDR nicht, daß die Normalisierung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR von letzterer längst beendet worden ist?
Wischnewski, Staatsminister: Die Entwicklung normaler gutnachbarlicher Beziehungen, wie sie in Art. 1 des Grundlagenvertrags als Ziel vereinbart ist, bleibt weiter die Aufgabe der beiden deutschen Regierungen. Die Bundesregierung steht dementsprechend auf dem Standpunkt, daß diese Politik fortgesetzt werden sollte. Der Bundeskanzler hat in der Aussprache über die Regierungserklärung am 19. Januar 1977 im Bewußtsein der Gegensätze und Unterschiede zwischen beiden deutschen Staaten und ihrer Gesellschaftsordnungen die Entschlossenheit zur Fortsetzung der Vertragspolitik betont. Die Vertragspolitik zielt ohne Verwischung der Unterschiede auf einen Interessenausgleich beider Staaten ab, der allen Betroffenen nützt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, nachdem Sie es in Ihrer Antwort nicht gesagt haben, möchte ich Sie nochmals fragen, ob Sie der Auffassung sind, daß das, was Herr Staatssekretär Gaus geäußert hat, nämlich es beende die Normalisierung, wenn einer der beiden Vertragspartner den anderen absichtsvoll zu schwächen versuche, von der DDR bereits praktiziert wird?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe gesagt, daß die Bundesregierung die Politik der Normalisierung, die Entwicklung normaler gutnachbarlicher Beziehungen fortsetzt, weil nur sie im Interesse aller Betroffenen ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich daraus schließen, daß die Auffassung des Staatssekretärs Gaus, daß es die Normalisierung beende, wenn ein Teil den anderen absichtsvoll zu schwächen versuche, was ja seitens der DDR im Verhältnis zu uns der Fall ist, von der Bundesregierung nicht geteilt wird?
Wischnewski, Staatsminister: Ich sage: Die Bundesregierung wird im Interesse aller Betroffenen jede Anstrengung unternehmen, um diese Politik fortzusetzen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Voigt.
Ist der Bundesregierung bekannt — das frage ich ergänzend zu dieser Frage —, daß in Osteuropa mit dem Argument der Unterminierung in der gleichen Weise, wie es eben der Fragesteller tat, einige Leute Kritik an den Folgen der Entspannungspolitik ausdrücken?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung hat Kenntnis von solchen Vorgängen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Weber.
Herr Staatsminister, würden Sie vielleicht die Herren der CDU/CSU einmal darüber unterrichten, daß unsere westlichen Freunde ganz anderer Meinung sind? Z. B. schreibt die angesehene Zeitung „Le Monde" in ihrer Ausgabe vom 29. Januar 1977 wörtlich:
Die gegenseitige Verflechtung zwischen den beiden deutschen Staaten tritt also deutlich zutage. Wenn sie sich in einer Weise vollzieht, daß sie die internationale Aufmerksamkeit nicht besonders auf sich lenkt, so vielleicht deshalb, weil sie sich des wenig spektakulären Weges sukzessiver Abkommen zwischen den beiden deutschen Staaten bedient.
Wischnewski, Staatsminister: Ich bin sehr dankbar, daß Sie mir die Aufgabe abgenommen haben.
Ich rufe die Frage 102 des Abgeordneten Baron von Wrangel auf:Was bedeutet nach Auffassung der Bundesregierung die Äußerung von Staatssekretär Gaus in seinem „Spiegel"-Interview, daß „beide Seiten, die DDR uns und wir die DDR, einander so nehmen , wie sie sind", und bedeutet dies den Verzicht der Bundesregierung auf eine Einwirkung im Sinn einer Änderung des menschenrechtsfeindlichen Systems in der DDR?
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670 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie sich auf allen Ebenen — multilateral wie bilateral — bemüht hat und weiter bemühen wird, zu einer Verwirklichung der Menschenrechte beizutragen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, um präzise zu fragen: Sind Sie der Meinung, daß die friedliche Einwirkung auf das unmenschliche System in der DDR politischer Bestandteil unseres Verfassungsauftrages ist?
Wischnewski, Staatsminister: Ich glaube, bei dem Auftrag müssen Sie bitte von dem ausgehen, was den Menschen, für die wir eintreten, in erster Linie hilft. Davon läßt sich die Bundesregierung leiten, und sie hält sich damit auch im Rahmen des Verfassungsauftrages.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie verhält sich dieser Teil des Interviews von Herrn Staatssekretär Gaus zu Art. 2 des Grundlagenvertrages, in dem ja ausdrücklich von der Verwirklichung der Menschenrechte in Deutschland die Rede ist?
Wischnewski, Staatsminister: Ich glaube, daß der Verfasser des Interviews vielleicht den Zusammenhang in diesem Punkt nicht so deutlich gesehen hat, wie Sie es mit Recht tun.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes.
Herr Staatsminister, besteht das Problem, das wir gerade diskutieren, nicht darin, daß die DDR-Regierung und die Bundesrepublik Deutschland ganz verschiedene, ja entgegengesetzte Auffassungen von dem haben, was den Menschen nützt, so daß sich die Frage des Herrn Kollegen von Wrangel doch weiterhin stellt, die Sie in Wirklichkeit nicht beantwortet haben?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe vorhin von den Unterschieden der Gesellschaftsordnungen gesprochen. Dabei gibt es sicher auch unterschiedliche Auffassungen von dem, was den Menschen nützt. Ich bestreite das nicht.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatsminister, sind Sie nicht der Meinung, daß die Äußerung von Staatssekretär Gaus, von der hier die Rede ist, mit dem Grundgesetz und dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Grundvertrag unvereinbar ist, in dem es heißt: Schließlich muß klar sein, daß mit dem Vertrag schlechthin unvereinbar ist die gegenwärtige Praxis an der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, also Mauer, Stacheldraht, Todesstreifen und Schießbefehl? Insoweit gibt der Vertrag eine zusätzliche Rechtsgrundlage dafür ab, daß die Bundesregierung in Wahrnehmung ihrer grundgesetzlichen Pflichten alles ihr Mögliche tut, um diese unmenschlichen Verhältnisse zu ändern und abzubauen, also den anderen Partner nicht so zu nehmen, wie er ist.
Wischnewski, Staatsminister: Ich möchte hier noch einmal das sagen, was ich vorhin schon gesagt habe. Die Tätigkeit von Staatssekretär Gaus bewegt sich voll im Rahmen des Grundgesetzes und des Verfassungsgerichtsurteils.
Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, nachdem Sie die Frage des Kollegen von Wrangel so vorsichtig beantwortet haben, um es ganz vorsichtig zu sagen, möchte ich Sie fragen, ob Sie damit den Verdacht bestätigen, daß die Bundesregierung auf dem Boden der Äußerung des Staatssekretärs Gaus steht, und ob sie bereit ist, die DDR so zu nehmen, wie sie ist, d. h. mit ihrer ganzen Menschenrechtsfeindlichkeit.
Wischnewski, Staatsminister: Ich muß die Unterstellung scharf zurückweisen. Ich möchte hier ausdrücklich sagen, daß ich zu jedem einzelnen Punkt präzise die Haltung der Bundesregierung erläutert habe, wie von Ihnen gewünscht. Für eine solche Unterstellung besteht nicht der geringste Anlaß.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Lagershausen.
Herr Kollege Wischnewski, ist die zur Debatte stehende Äußerung von Staatssekretär Gaus nach Ihrer persönlichen Auffassung eine politische oder eine journalistische Äußerung, und ist die Bundesregierung bereit, bei zukünftigen Interviews von Staatssekretär Gaus der Öffentlichkeit sofort zu erklären, ob es sich um eine politische oder um eine journalistische Äußerung handelt?
Wischnewski, Staatsminister: Ich hoffe, daß wir uns in einer Richtung bewegen, die uns keinen Anlaß geben wird, solche Erklärungen in Zukunft abgeben zu müssen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977 671
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Herr Staatsminister, ist diese Antwort so zu verstehen, daß Herr Staatssekretär Gaus demnächst in seinem Amt abgelöst wird?
Wischnewski, Staatsminister: Meine Antwort ist überhaupt nicht so zu verstehen.
Sie befinden sich mit dieser Annahme völlig auf dem Holzweg.
Dazu besteht keine weitere Frage mehr.
Die Frage 103 des Abgeordneten Engelsberger wird auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 104 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Hat die Bundesregierung in der Zwischenzeit ihren Staatssekretär Gaus, den Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR, über die Verbindlichkeit von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts für die Organe und Behörden der Bundesrepublik Deutschland aufgeklärt?
Wischnewski, Staatsminister: Die Verbindlichkeit der Urteile des Bundesverfassungsgerichts ist in § 31 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht geregelt. Dies ist Staatssekretär Gaus selbstverständlich bekannt. Für eine Aufklärung besteht deshalb kein Anlaß.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, nachdem Sie heute mehrfach auf den journalistischen Charakter des Interviews des Staatssekretärs hingewiesen haben und die Bezeichnung des Urteils durch Herrn Gaus als „Fessel" auf der einen Seite und als „Rahmen" auf der anderen Seite so interpretiert haben, frage ich Sie: In welcher Weise wird die Bundesregierung darauf hinwirken, daß künftig Staatssekretär Gaus vom Inhalt des Grundgesetzes und vom Inhalt des ergangenen Urteils so „gefesselt" sein wird, daß er nicht mehr mit journalistischen Formulierungen aus dem „Rahmen" fällt?
Wischnewski, Staatsminister: Der Staatssekretär Gaus ist mit den von Ihnen genannten Unterlagen in hervorragender Weise bekannt und wird bei der Erfüllung seiner Aufgaben den entsprechenden Gebrauch davon machen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatsminister, stimmen Sie dem Umstand zu oder widersprechen Sie ihm, daß nach dem Urteilstenor des Grundvertragsurteils, wonach die Verträge nur in der sich aus den Gründen ergebenden Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar sind, alle Sätze und damit auch die Sätze über die Staatsangehörigkeit in dieser Auslegung verbindlich sind?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe kein einziges Wort darüber gesagt, daß da etwas steht, was nicht verbindlich ist; ich übersehe aber auch nicht den Satz, der vorhin mit Recht, wie ich finde, von dem Kollegen Dr. Weber hier zitiert worden ist.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Weber.
Herr Staatsminister, kann ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung die bisherige Gepflogenheit aufrechterhalten und ihrem Staatssekretär nicht auferlegen wird, mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts unter dem Arm spazieren zu gehen?
Wischnewski, Staatsminister: Ich glaube, Herr Kollege Dr. Weber, Sie können bitte davon ausgehen, daß der Staatssekretär Gaus das tun wird, was im Interesse der Sache notwendig ist.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 105 des Herrn Abgeordneten Lagershausen auf:
Wie weit ist der Lernprozeß" im Umgang mit den in Gang gekommenen Entwicklungen, den Staatssekretär Gaus im Hinblick auf die Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland für notwendig hält, bei der Bundesregierung fortgeschritten?
Wischnewski, Staatsminister: Staatssekretär Gaus hat in seinem Interview davon gesprochen, daß alle Beteiligten erst lernen müssen, mit den Entwicklungen, die in Gang gekommen sind, umzugehen. Angesichts der Vielzahl der Veränderungen, welche durch die Vertragspolitik der letzten Jahre bewirkt worden sind, scheint die Einstellung auf die neue Situation eines längeren Prozesses zu bedürfen. Das gilt sowohl für den Reisenden, der nach langen Jahren der Trennung zum ersten Mal wieder die DDR besucht, und das gilt auch für die Regierungen, die nach langen Jahren der Kontaktlosigkeit nun in Verhandlungen versuchen, trotz erheblicher Unterschiede einen Interessenausgleich zu erreichen. Den objektiven Fortschritt dieses „Lernprozesses" bei den jeweils Beteiligten zu beurteilen — sofern dies überhaupt möglich ist — überläßt die Bundesregierung den Historikern.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung die in Gang gekommene Entwicklung ihres eigenen Standpunktes von der
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672 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977
LagershausenEmpfehlung des Bundeskanzlers Willy Brandt, z. B. die Nationalstiftung in Berlin anzusiedeln, bis zu anderen Überlegungen, heute als einen fortgeschrittenen Lernprozeß an?Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung sammelt im Laufe der Zeit auch Erfahrungen; denn die Bundesregierung besteht ja aus lauter vernünftigen Menschen,
und vernünftige Menschen nehmen jede Gelegenheit wahr, Erfahrungen zu sammeln. Ich nähme ja eine unmögliche Haltung ein, wenn ich nicht klar und eindeutig feststellte, daß die Bundesregierung dort, wo die Möglichkeit besteht, Erfahrungen in Anspruch zu nehmen, dies selbstverständlich auch tut.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Emmerlich.
Herr Staatsminister, sind Sie der Auffassung, daß der nach dem Abschied von der Hallstein-Doktrin erforderliche Lernprozeß bei der Opposition in dem erforderlichen Maße vorangeschritten ist?
Wischnewski, Staatsminister: Ich glaube, daß man den Begriff des Lernprozesses als einen sehr globalen Begriff betrachten sollte.
Bitte schön, Herr Kollege Lagershausen, eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, treffen Presseberichte zu, daß die Bundesregierung den Herrn Bundespräsidenten bitten will, den Vorsitz der Nationalstiftung zu übernehmen, um sie damit in Bonn ansiedeln zu können, und sieht die Bundesregierung in dieser Tatsache nicht nur einen Trick, sondern auch einen Fortschritt in dem von Herrn Gaus empfohlenen Lernprozeß?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung beschäftigt sich mit dieser Frage. Sie mißt der Stiftung ganz besondere Bedeutung bei. Deshalb ist es durchaus möglich, daß die Bundesregierung den Herrn Bundespräsidenten bitten wird, eine solche Aufgabe zu übernehmen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, da Sie erklärt haben, daß die Bundesregierung aus vernünftigen Menschen bestehe, die bereit seien, Erfahrungen zu sammeln, möchte ich Sie fragen: Wird die Bundesregierung aus den Erfahrungen dieser Fragestunde die Konsequenz ziehen, in Ost-Berlin künftig einen Staatssekretär zu haben, der sie durch Interviews nicht ständig in Verlegenheit bringt?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß sie nicht in Verlegenheit gebracht wird.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister Wischnewski.
Ich darf mich aber auch bei den sonst anwesenden Staatsministern und Staatssekretären für deren Bereitschaft, zu antworten, bedanken. Die Fragen, die jetzt nicht mehr mündlich beantwortet werden konnten, werden mit Ausnahme der Fragen 46 und 47, die vom Fragesteller, dem Abgeordneten Müller , zurückgezogen worden sind, schriftlich beantwortet.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Rawe.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Der Verlauf dieser Fragestunde hat gezeigt, daß durch das Interview von Herrn Staatssekretär Gaus Fragen von großem, allgemeinem und aktuellem Interesse ausgelöst worden sind.
— Meine Damen, meine Herren, Sie dürfen ruhig lachen. Nur, in der Geschäftsordnung stehen für die Beantragung einer Aktuellen Stunde präzise Vorschriften. Deswegen nenne ich die. Kollegen meiner Fraktion haben durch Fragen in der Fragestunde versucht, die Meinung der Bundesregierung zu der Auffassung des Herrn Staatssekretärs Gaus aufzuhellen. Wir wollten natürlich auch hören, wie denn nun eigentlich der wirkliche Kurs der Bundesregierung in dieser Frage aussieht. Aber, Herr Staatsminister Wischnewski, ganz im Gegensatz zu Ihrer Meinung, daß Sie präzise und erschöpfend geantwortet haben, ist, glaube ich, die Mehrheit hier im Plenarsaal der Auffassung, daß dies nicht gelungen ist.
Ich will Ihnen gern bestätigen — das tue ich sogar mit großer Freude —, daß Sie außerordentlich geschickt versucht haben, um das eigentliche Kernproblem herumzureden.
Nur, wir sind der Auffassung, daß dies eben nicht genügt. Deswegen beantrage ich, Frau Präsidentin, namens meiner Fraktion gemäß Ziffer 2 der vorläufigen Bestimmungen über Aussprachen zu Fragen von allgemeinem aktuellem Interesse — Anlage 4
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Raweder Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages — eine „Aktuelle Stunde".
Meine Damen und Herren, es ist eine Aktuelle Stunde verlangt worden. Sie ist ausreichend unterstützt. Wir beginnen damit mit der
Aktuellen Stunde.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Marx.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jedermann in diesem Saal und draußen in unserem Volk weiß, daß sich seit vielen Monaten die negativen Meldungen über das innerdeutsche Verhältnis häufen. Alles, was in letzter Zeit diskutiert werden mußte, die Erschwerungen journalistischer Arbeit, das Hinauswerfen von Journalisten, das Ausbürgern von Unbotmäßigen, Kontrollposten vor unserer Ständigen Vertretung, neue Attacken gegen das freie Berlin, sind Dokumente dafür, daß sich die Deutschlandpolitik der Bundesregierung festgelaufen hat, daß sie in eine Sackgasse geraten ist.
Gaus sagte in seinem berüchtigten „Spiegel"- Interview selbst, die Schwierigkeiten mit der DDR seien gegenwärtig größer — ich zitiere — „als irgendwann in den letzten Jahren". Aber der Schluß, den er daraus zieht, ist höchst gefährlich. Er will der Überzeugung meiner Fraktion nach eine neue Runde der Deutschlandpolitik auf die andere draufsetzen, er will sie vorantreiben, er läßt. Ballons steigen, er macht Versuche, um zu sehen, was möglich ist, was sich in Zukunft in seiner Richtung weiter entwickeln kann, und er setzt den Hebel an entscheidenden Punkten an: er empfiehlt nämlich neue Vorleistungen. Die deutsche Staatsangehörigkeit, so wie sie eindeutig und unverrückbar in unserer Verfassung steht und wie sie das Bundesverfassungsgericht noch einmal mit einer Wirkung, die für jeden bindend ist, festgelegt hat, soll zur Frage, soll zum Kompromißobjekt degradiert werden.Um es noch einmal mit aller Deutlichkeit zu sagen: Sollte die Bundesregierung versuchen, auf diesem Felde an der Verfassung zu manipulieren oder herumzuoperieren, wird sie den entschiedensten Widerstand der CDU/CSU-Fraktion erfahren.
Es würde sich, meine Damen und Herren — ich will es rechtzeitig hier sagen —, dann in der Tat um einen Verfassungskonflikt handeln. Wir sehen, daß Staatssekretär Gaus, ein Beamter des Bundeskanzleramtes, in offenbar geschickter Form versucht — Herr Kollege Wischnewski, ich mache auch Ihnen dieses Kompliment; ich hätte soeben wirklich nicht gern in Ihrer Haut gesteckt; Sie haben eine Sache verteidigen und Andeutungen dazu machen müssen, von der Sie wissen, wie viele Untiefen sie hat und wie kritisch sie ist —, an den Grundpfeilern des Grundgesetzes herumzuarbeiten.
Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Herr Wehner, hat sich, wie ich allerdings glaube, wenn man seine gestrigen Pressemitteilungen und den Artikel in zwei Zeitungen heute liest, in mehrdeutigen Formulierungen von dem sogenannten Vorpreschen des Herrn Gaus distanziert. Aber, ich finde, Herr Wehner, Sie haben sich kaum von dem Inhalt distanziert.
Wenn Sie sprechen, sind wir sehr neugierig zu hören, was Sie konkret in diesem Saal dazu sagen.
Wir finden auch, daß die Gedanken von Herrn Gaus auf einem Boden gewachsen sind, der im Zentrum der Regierung, im Bundeskanzleramt selbst, offenbar seit Monaten vorbereitet worden ist. Die unglaublich dümmliche Studie
zur Weiterentwicklung der deutschen Dinge, die vor der Wahl, zufällig, das Licht der Welt erblickt hat, kam ebenfalls aus dem Hause des Kanzlers. Sie geht von ganz absurden Vorstellungen und von einer völligen Verkennung der wirklichen Lage in Deutschland aus. Man hat auch damals versucht, die Sache zu einem unverbindlichen Papier herunterzuspielen. Wenn jene Veröffentlichung und wenn jetzt das Gaus-Interview tatsächlich nur Privatmeinungen von Beamten wären, müßten die Verantwortlichen, weil das für uns alle, auch für die Regierung selbst z. B. in ihren Verhandlungen, schädlich ist, weil es in der Sache ärgerlich und von den politischen Prinzipien her unverantwortlich ist, schleunigst aus ihren Positionen entfernt werden.
Der Bundeskanzler selbst, der heute aus verständlichen, persönlichen Gründen nicht bei uns sein kann, hat jetzt eineinhalb Wochen Zeit gehabt, sich persönlich oder durch seinen Sprecher zur Sache zu äußern.
Er hat es immer noch nicht getan. Das nährt doch den Verdacht, daß zumindest einige bei Ihnen in der Regierung, Herr Kollege Wischnewski, einige — und ich denke, nicht die unwichtigsten auf der linken Seite des Hauses — an eine Veränderung der Politik denken, an erneute Gefügigkeit.Wir erwarten, daß die Bundesregierung nicht wiederum Mehrdeutigkeiten pflegt, sondern daß sie bei dem, was Herr Wischnewski eben sagte und was ich als die Wahrheit, wie er sie vorträgt, abnehme, bleibt, daß sich dann aber auch die Beamten der Bundesregierung an die hier im Hause gegebenen Versicherungen halten.
Herr Wischnewski, noch eine Bemerkung zum Schluß: Wenn dies in Zukunft nicht geschehen sollte, dann wird die Fragestunde nicht mehr so ablaufen wie heute, und dann wird auch die Aktuelle Stunde und dann werden auch die politischen Aus-
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Dr. Marxeinandersetzungen, die wir mit der Regierung führen müssen, allerdings einen weitaus ernsteren Charakter erhalten müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Bahr.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu diesem Thema spricht hier einer zu Ihnen, der darüber verhandelt hat
und der darüber diesem Hohen Hause mehrfach berichtet hat.
Das Ergebnis dieser Verhandlungen ist vom Bundesverfassungsgericht geprüft worden. Die Haltung der Bundesregierung damals war völlig einheitlich und völlig klar. Der Kollege Mertes hat das bestätigt, und Herr Staatsminister Wischnewski hat eben bestätigt, daß die Auskunft, die die Bundesregierung damals gegeben hat, zu dem Thema Staatsangehörigkeit genauso bleibt. Meine Damen und Herren, dies gehört zu den Punkten, von denen der Grundlagenvertrag selbst gesagt hat: ungeachtet tiefgreifender Meinungsverschiedenheiten sei man dazu gekommen, den Vertrag zu schließen. Wenn man die Protokollnotiz dazunimmt, dann kann es für Gutwillige keinen Zweifel darüber geben, daß niemand beabsichtigt, an den Grundpfeilern des Grundgesetzes zu arbeiten, wie Herr Kollege Marx sich hier auszudrücken beliebt hat.
Meine Damen und Herren, wenn es Ihnen um Klarheit gegangen wäre, dann hätten Ihnen die Auskünfte des Staatsministers Wischnewski insbesondere zu diesem Punkte genügen müssen. Eine Reihe von Ausführungen, die Sie hier gemacht haben, wirft ja geradezu die Frage auf, warum die CDU/CSU denn nicht die Steuern von Bürgern der DDR eingetrieben hat, als sie in der Bundesregierung war.
Es gab Formulierungen bei Ihnen — das werden Sie bitte selbst nachlesen —, die den Eindruck erwecken, als ob Sie alle Menschen, die heute in der DDR wohnen, mit vollen Rechten und Pflichten als unsere Staatsbürger reklamieren wollen. Dies ist, wie Sie alle wissen, leider nicht möglich. Wir haben sogar die Mitglieder der Ständigen Vertretung der DDR in der Bundesrepublik Deutschland, also hier in Bonn, nicht zur Bundeswehr eingezogen.
Was Sie in Ihrer Frage hier gemacht haben, und die Art, in der Sie diese Aktuelle Stunde begründet haben, macht klar, daß Sie keinen Sachpunkt klären wollen, der für Sie unklar ist, sondern Sie wollen dieser Regierung und ihrer Koalition unterstellen, daß sie mit dem Gedanken der Verfassungsverletzung spielen
oder an den Grundpfeilern des Grundgesetzes herumoperieren will. Sie wollen also eine schwierige Lage schwieriger machen.
Das ist Ihr Recht. Ich muß Ihnen außerdem zugeben: Sie dienen damit den Interessen Ihrer Partei. Den Interessen unseres Landes dienen Sie damit nicht.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Den Problemen der deutschen Teilung werden wir mit Aktuellen Stunden nicht beikommen, selbst dann nicht, wenn sie uns nach Thema und Rednerfolge über die Presse angekündigt werden. Auch dort, wo es darum geht, einem Staatssekretär die Meinung zu einer journalistischen Fehlleistung zu sagen, kann man dies ohne die Kulisse des Parlaments tun. Die Koalitionsfraktionen haben das getan, ohne es dabei an Deutlichkeit fehlen zu lassen. Wenn aber die Opposition dieses „Spiegel"-Stück auf parlamentarischer Bühne en suite spielen will, raten wir ihr dringend zur Spielplanänderung.
Warum? Mit der Debatte über die intellektuellen Fingerspiele, wie ich es genannt habe, gerät der Deutsche Bundestag nämlich zwangsläufig in eine Diskussion über die Arbeit der Ständigen Vertretung und über die Behinderung der Arbeit. Wir müssen damit unausweichlich über die an den Haaren herbeigezogenen Gründe reden, mit denen die DDR ihre einschränkenden Maßnahmen zu rechtfertigen versucht.Die DDR hat dies in der Form eines Aide-mémoire getan. Auf diese Erklärung wird die Bundesregierung nach sorgfältiger Prüfung sachlich klar und unmißverständlich antworten. Es wäre ein Vorzug, wenn diese Stellungnahme nach Abstimmung mit allen Fraktionen des Deutschen Bundestages abgegeben werden könnte. Die Opposition ist mit der Form ihrer Kritik drauf und dran, das unmöglich zu machen.Und doch gibt es ein gutes Beispiel des Zusammenwirkens von Regierung und Parlament, an das ich bei dieser Gelegenheit erinnern möchte. Es handelt sich um die TASS-Erklärung der Regierung der Sowjetunion vom 22. Mai 1976, die nach Erörterung im zuständigen Parlamentsausschuß von der Bundesregierung dann am 1. Juli beantwortet werden konnte. Die Opposition ist aber offenbar der Meinung, daß ihr die Gemeinsamkeit nicht genutzt hat.
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HoppeNur daran, so meine ich, kann es liegen, daß jetzt aus innenpolitischen Gründen die Konfrontation gesucht wird.Meine Damen und Herren, mit Dreschflegelpolemik schläg man Wunden, aber man hilft in der Sache nicht weiter.
Eine lebendige Demokratie braucht die Kritik der Opposition, aber auf verletzende und beleidigende Äußerungen kann sie weiß Gott verzichten.
Die Regierung muß, wie vom Bundeskanzler in der Regierungserklärung angekündigt, das Gespräch mit der Opposition suchen. Die Opposition aber sollte die Voraussetzung dazu nicht zerstören.
— Verehrter Herr Kohl, nicht nur der heutige Redebeitrag — sehr moderat — des Kollegen Marx gehört zur Diskussion, sondern dazu gehören auch die Presseerklärungen, die Mitglieder Ihrer Fraktion dazu bereits in den letzten Tagen abgegeben haben, darunter die mit der für mich beleidigenden Unterstellung, die Bundesregierung verletze das Grundgesetz.
Ich bin gerne bereit, Ihnen diese Äußerungen noch einmal vorzulegen.Meine Damen und Herren, durch den Grundlagenvertrag, die nachfolgenden Vereinbarungen und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind die Ziele und Grundpositionen unserer Politik gegenüber der DDR klar fixiert.Die politischen Wege und Methoden zur Erfüllung des Wiedervereinigungsgebots sind es dagegen nicht. Bei der Suche nach praktischen Lösungen müssen wir deshalb die gesetzten Pflöcke der unverrückbaren Rechtspositionen strikt beachten. Es bleibt aber uns überlassen, Stil und Art, in denen wir diese Aufgabenstrecke der Deutschlandpolitik bewältigen wollen, festzulegen. Bei dieser Aufgabe sollte die Opposition konstruktiv mitwirken und nicht in der betrachtenden Rolle des selbsternannten „Oberverfassungsrichters" verharren.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Abelein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist nicht das erste Mal, daß wir uns hier über Äußerungen des Staatssekretärs Gaus unterhalten. In gewisser Hinsicht müssen wir vielleicht sogar dafür dankbar sein, daß er journalistisch das formuliert, was die Bundesregierung denkt und vorhat. Es ist sehr bezeichnend, daß der Vertreter der Bundesregierung hier zwar von diffizilen Fragen und journalistischen Formulierungen, die man eventuell auch anders formulieren könnte, spricht, sich in der Sache aber überhaupt nicht davon distanziert und, so vermute ich, auch nicht distanzieren kann.
Der Bundesregierung ist die schlechte Stimmung in der deutschen Öffentlichkeit wegen der Deutschlandpolitik natürlich nicht entgangen, und sie ist ihr auch sehr unangenehm. Aber es zeigt die Wendigkeit der Bundesregierung, daß Herr Gaus feststellt, das liege an dem zu hohen Erwartungshorizont, den die deutsche Öffentlichkeit gehabt habe, den doch aber diese Bundesregierung über Jahre emphatisch und fast missionarisch erzeugt hat.
Mit anderen Worten: die Bundesregierung beschimpft das Publikum, weil es den Erwartungen der Bundesregierung geglaubt hat,
weil es die Versprechungen der Bundesregierung über menschliche Erleichterungen, Entspannung, das Ende vom Schießen — es fehlt die Zeit, um das alles aufzuzählen — ernst genommen hat. In diesem Punkt sind wir mit der Bundesregierung völlig einig: Wer dieser Bundesregierung glaubt oder ihren Versprechungen noch glaubt, der ist in der Tat selbst schuld.
Es gibt noch weitere Beispiele für die Gewandtheit der Bundesregierung und der Regierungskoalition. Sie ist ein Feind von Law and Order — Gesetz und Ordnung —, im Bestreben, eine liberale Gesellschaft für freie Menschen, frei von Herrschaft zu schaffen, tritt aber jetzt neuerdings ständig für die Aufrechterhaltung der Ordnung und für die Obrigkeit in der DDR ein. Daran darf nicht gerüttelt und gezweifelt werden, weil das den Zielen der Deutschlandpolitik im Wege steht. Während diese Bundesregierung mit allen Anzeichen eines fortgeschrittenen Masochismus ihre Autorität selbst in Frage stellt, sich den Ast selbst heruntersägt, tritt sie für eine Stärkung des Regimes der SED in Ost-Berlin ein.
Wir haben immer geglaubt, es gehe dieser Bundesregierung bei ihrer Politik und den großen Opfern, die sie dazu gebracht hat — bzw. den Opfern, die sie auf unsere Kosten, auf Kosten der deutschen Bevölkerung, gebracht hat —, um menschliche Erleichterungen. Jetzt stellen wir erstaunt fest, daß der Vertreter der Bundesregierung sagt: Die DDR-Führung — und dafür müsse man Verständnis haben — sei durch die Wünsche nach humanitären Erleichterungen überfordert und deswegen zeige sie sich restriktiv. Wenn jetzt empfohlen wird, wir müßten einen Verzicht leisten auf den Gestus des Sachwalters aller Unterdrückten, so kann die resignierende Abkehr von einer Politik, die einmal vorgab, für die Menschenrechte in Deutschland einzutreten, nicht mehr deutlicher formuliert werden.
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Dr. AbeleinDie wortreich verschnörkelte Aushöhlung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts und seiner Verbindlichkeit hat eine lange Tradition. Begonnen wurde sie von Herrn Wehner; sie überrascht uns gar nicht. Bezeichnend ist — und das sind die Fragen, die hier nicht beantwortet sind —: Was sagen Sie denn zur Staatsangehörigkeit? Wieso reden Sie denn von der „Frage" der Staatsangehörigkeit? Hier ist doch nichts fraglich. Unsere Verfassung geht von einer, von d e r deutschen Staatsangehörigkeit aus.
Wenn Sie von einem Kompromiß reden, mit dem Sie der berechtigten Forderung der DDR nach einer verbrieften Grenzregelung entgegenkommen wollen, dann stellen Sie zur Disposition, was von Verfassungs wegen nicht zur Disposition gestellt werden darf.
Damit komme ich zum Schluß.
In der Bereitschaft der Bundesregierung, die Forderungen des SED-Regimes weitgehend anzuerkennen, ihnen entgegenzukommen oder, wie im „Vorwärts" geschrieben, jetzt neuerdings das SED-Regime zu stärken und Verständnis für das Ausbleiben menschlicher Erleichterungen zu zeigen, liegt weitgehend ein gefährlicher Ansatz für einen Verzicht auf das verfassungsrechtliche und nicht nur politische Ziel der staatlichen Wiedervereinigung Deutschlands.Von da kommt unser Vorwurf — und ich erneuere ihn —, daß sich die Bundesregierung auf einen gefährlichen Weg begeben hat, auf einen Weg am Rand der Verfassung,
wenn sie den Boden der Verfassung nicht gar schon verlassen hat. Und davor warnen wir erneut.
Das Wort hat der Abgeordnete Kreutzmann.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Reden wie die des Kollegen Abelein, die wir soeben hier gehört haben, lassen einen in diesen Aktuellen Stunden immer wieder an dieser Opposition verzweifeln. Das möchte ich einmal mit aller Härte sagen.
Herr Abelein, Sie unterstellen hier einer Bundesregierung, daß sie die Interessen dieses Landes preisgibt und gegen die Grundsätze der Menschlichkeit verstößt — einer Bundesregierung, die, das wollen wir hier einmal hervorheben, neben den vielen spektakulären Fällen, die in der Öffentlichkeit oft diskutiert werden, Tausenden von Menschen aus den Gefängnissen der DDR herausgeholfen und den Weg in die Bundesrepublik geebnet hat.
Sie wollen mit dieser Fülle von Attacken und Angriffen doch nur die eigene Ratlosigkeit überdecken. Ihnen geht es in diesen Aktuellen Stunden doch im Grunde genommen um nichts anderes als um Schaufensteraktionen.
Ich will Ihnen das beweisen. Am Beginn dieser Woche haben Sie, Herr Dr. Abelein, in einer Zeitung, die ja inzwischen Ihr Amtsverkündungsblatt geworden ist, erklärt,
es werde in dieser Woche zu einer Aktuellen Stunde über das Interview des Staatssekretärs Gaus kommen, falls die gestellten Anfragen von der Bundesregierung nicht zufriedenstellend beantwortet würden. Am Mittwoch haben Sie, ehe überhaupt eine Erklärung der Bundesregierung vor diesem Parlament erfolgt war, bereits erklärt, daß eine Aktuelle Stunde stattfinden werde. Gleichzeitig hat Herr Zimmermann am Dienstag, ohne daß eine Erklärung der Bundesregierung vor diesem Parlament erfolgt war, gefordert, Herr Gaus solle abberufen werden. Die CDU hat sofort nachgezogen. Sie wollen ja nicht hören, was die Regierung sagt. Sie wollen nur Ihre vorgefaßten Urteile bestätigt finden und Stimmung machen.
Das ist das, was Sie unter Deutschlandpolitik verstehen.Oder nennen Sie es etwa Deutschlandpolitik, wenn Sie in einer schön koordinierten Aktion die Regierung auffordern, Herrn Gaus in die Wüste zu schicken, und gleichzeitig zum Generalangriff auf Herrn Kohl blasen, um so gegebenenfalls zur gleichen Zeit die Verhandlungsbasis hier und drüben zu zerstören oder zumindest auszuschalten? Sehen Sie nicht, daß Sie damit den Wert der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik demontieren, die ja nicht nur Interviews gibt, sondern vor allem vielen Bundesbürgern in ihrer Bedrängnis geholfen hat und deren Dienst ja auch viele von Ihnen immer wieder in Anspruch genommen haben?
Aber Sie fallen damit ja nicht nur der Bundesregierung in den Rücken, sondern auch Ihrem eigenen Parteivorsitzenden. Er hat bei der Debatte über die Regierungserklärung gesagt:Aus der durchaus notwendigen Politik der Anerkennung der Realität in der DDR ist eine Politik des Nicht-zur-Kenntnis-Nehmens der Realitäten in der DDR durch die DDR geworden.Wenn er auch mit dem zweiten Halbsatz versucht, den ersten Halbsatz herunterzuspielen, so glaube ich doch, daß das anders klingt als das, was wir von Herrn Abelein hier gehört haben.
Ich habe dieses Zitat aus der „Süddeutschen Zeitung", in der sich Klaus Dreher mit der Deutschland-
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Dr. Kreutzmann) politik der CDU befaßt. Dreher ist für Sie sicherlich ein unbestechlicher Zeuge, denn er steht ja in dem Ansehen, daß er Ihnen sehr nahesteht. Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, daß der Artikel, den er geschrieben hat, nicht ganz ohne Beeinflussung aus den höheren Rängen Ihrer Parteiführung geschrieben worden ist.
Das Besondere an diesem Artikel ist, daß er verdeutlicht, daß die Deutschlandpolitik der CDU — von der CSU gar nicht zu reden — ein Schiff ohne Steuer und ohne Kompaß ist. Dreher verweist darauf, wie manövrierunfähig die CDU in der Deutschlandpolitik ist, weil sie ihre Deutschlandpolitik im Innerdeutschen Ausschuß, wie Dreher es nennt, von der „Kampfgruppe Abelein" ausführen läßt;
sie hat ja auch aus dem Auswärtigen Ausschuß ein Eldorado für die Vertreter eines besonders harten Kurses gemacht.
Und nun wollen Sie auf Ihrem Parteitag, wie Dreher schreibt, versuchen, eine Deutschlandpolitik zu finden. Nichts macht deutlicher als das, wie ratlos Sie eigentlich sind.
Ich wünsche Ihnen viel Glück für Ihren neuen Anfang. Wir werden aber aufmerksam beobachten, werI bei dieser neuen Deutschlandpolitik, die Sie nunmehr nach so vielen Jahren kreieren wollen, den kürzeren zieht.
Die Bundesregierung hat nicht nur vor dem Hintergrund dessen, was sich in Ihren Reihen abspielt, keinen Grund, ihren Kurs zu ändern. Nicht sie ist es, die eine Bestandsaufnahme in der Deutschlandpolitik und die Überprüfung ihrer Positionen nötig hat. Niemand bestreitet, daß wir auch Rückschläge und Enttäuschungen erlitten haben, aber bei der Unterschiedlichkeit der Interessen und weltanschaulichen Grundhaltungen werden die Beziehungen zum anderen deutschen Staat und zu den Kräften, denen er sich verpflichtet fühlt, ständig den Charakter von Wechselbädern haben. Wir müssen sie durchstehen und dürfen dabei nicht das Ziel aus den Augen verlieren, Dieses Ziel aber heißt, den Menschen zu helfen und den Frieden zu wahren.Unsere Stellung zum Problem der Staatsangehörigkeit ist in den Verträgen eindeutig festgelegt. So schwierig es ist, wir müssen mit dem Dissens in dieser Frage leben. Wir haben auch die Rechtsnormen zu respektieren, die uns das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gesetzt hat. Nur sollten wir bei den deutsch-deutschen Beziehungen immer daran denken, daß es hier in erster Linie um Menschenschicksale und Menschlichkeit geht. Dabei können uns Urteile des Bundesverfassungsgerichts die durch das Grundgesetz festgelegten Rechtsnormen verdeutlichen; den Zwang zum politischen Handeln kann uns auch das Urteil des von uns allen respektierten obersten Gerichts unseres Staates nicht abnehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Beantwortung der Anfrage durch den Herrn Vertreter der Bundesregierung war in vollem Maße befriedigend.
— Jawohl!
Sie stellte klar — und darauf kam es an —, daß die geschlossenen Verträge und die Normen unserer Verfassung die unverzichtbare Grundlage unserer Deutschlandpolitik sind. Dies war eigentlich selbstverständlich, und an diesem Grundsatz hat, wie ich meine, die Bundesregierung auch nie einen Zweifel gelassen. Damit ist auch die Position sowohl hinsichtlich der Staatsangehörigkeitsfrage als auch hinsichtlich der Grenzmarkierung ganz eindeutig beschrieben.
Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, daß dann beispielsweise Herr Kollege Abelein so tut, als hätte diese Bundesregierung dies alles gar nicht gesagt, und ich verstehe es noch viel weniger, wenn er formuliert, Herr Gaus habe journalistisch formuliert, was die Bundesrepublik denkt und vorhat, und sich schließlich dazu versteigt — und das ist der Gipfel —, zu sagen, diese Bundesregierung trete für Recht und Ordnung in der DDR ein. Meine Damen und Herren, Sie müssen sich bitte einmal vorstellen, was das bedeutet!
Hierbei drängen sich doch wohl für jeden, der die Dinge einmal etwas nüchtern betrachtet, zwei allgemeine Überlegungen auf, und ich darf sie hier anführen. Da wird erstens wieder einmal deutlich, wie sehr die Opposition in Formeln, aus denen sie nicht herauskommt, argumentiert.
Das Urteil von Karlsruhe vom 31. Juli 1973 sagt unter anderem auch sehr deutlich, wo bei aller Verbindlichkeit die Begrenzungen einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung liegen. Herr Hoppe sprach davon, auch Herr Dr. Weber vorhin. Der Weg zu den angegebenen Zielen ist den zum politischen Handeln berufenen Organen überlassen. Dies stellt auch ganz klar, daß die gerichtliche Entscheidung politisches Handeln nicht ersetzt.
In dieser Hinsicht ist die CDU/CSU sicher schon seit den 50er Jahren nie über eine vorwiegend juristische Betrachtung der Deutschlandfrage hinausgekommen, und sie blieb dabei zu einer Zeit, als sie das Sagen hatte, ohne jeden Erfolg.
Dabei haben sich seit 1949 Fakten verändert, nicht
durch uns hier in diesem Lande, Fakten, die wir
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Dr. Wendig
nicht mit noch so starken Worten wegdiskutieren können. Es wäre sehr gut, wenn die Opposition endlich mehr Sinn für solche Fakten und die Grenzen des politisch Möglichen entdeckte.
Ein Zweites! Ist sich eigentlich die Opposition klar darüber, wie wenig sie mit so spektakulären Aktionen ihren eigenen Ansprüchen nutzt? Oder anders herum: wie sehr sie die Verwirklichung der Vertragspolitik mit den zugegebenermaßen oft kleinen Einzelschritten behindert? Die Arbeit der Bonner Vertretung in Ost-Berlin wird gerade im humanitären Bereich durch ein solches Fehlverhalten nicht erleichtert. Ich will mich in keiner Weise dagegen aussprechen, daß bei gegebenem Anlaß notwendige schwierige Dinge auch offen gesagt werden. Bloß tun starke Worte allein noch nichts, im Gegenteil, sie schaden.
Mehr als solche starken Worte hat die Opposition zur Diskussion weder heute noch in der Vergangenheit vorzutragen gewußt.
Ich fasse zusammen. Es zeigt sich, daß die Opposition immer noch an gewissen Tatsachen vorbeidiskutiert und dies in einer Art und Weise, die kein Gefühl dafür entwickelt, wie wenig sie denen nutzt, deren Position zu verbessern sie vorgibt. Dies war heute wieder einmal ein Lehrstück für diese nicht neue Erkenntnis.
Das Wort hat der Abgeordnete von Wrangel.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hoppe hat hier von Stil und Art Aktueller Stunden gesprochen. Herr Kollege Hoppe, ich muß Ihnen eines sagen. Wo sonst sollen wir denn in einer freiheitlichen Demokratie die Probleme diskutieren, wenn nicht in diesem Parlament? Und wir werden das weiter tun.
Andere haben gemeint, sie müßten rügen, daß der Kollege Abelein und der Kollege Zimmermann eine Aktuelle Stunde angekündigt haben. Meine Damen und Herren, sie sind doch heute durch die Antworten der Bundesregierung voll und ganz bestätigt worden.
Herr Kollege Wischnewski, mit ein bißchen Ironie frage ich mich in diesem Augenblick, warum die Bundesregierung, wenn sie sich aus lauter vernünftigen Menschen zusammensetzt, Ausflüchte macht und statt klare Antworten zu geben unqualifizierte Angriffe gegen die Opposition startet.
Wir als CDU/CSU empfinden es doch als besonders bedrückend, daß Teile der Bundesregierung durch das Interview von Staatssekretär Gaus den innerdeutschen Beziehungen einen völkerrechtlichen Charakter geben wollen. Hier geht es nicht um Formalien. Hier geht es um die Sorgepflicht, die wir als freiheitliche Bundesrepublik Deutschland für alle Deutschen wahrzunehmen haben, ob uns das paßt oder nicht.
Eine Politik der ständigen Gefälligkeiten muß dazu führen, daß man fällt und daß damit dann auch die Verhandlungsposition der Bundesrepublik Deutschland als Ganzes demontiert wird.
Zum Fragenkomplex „Gästebuch" — oder „Kontrollbuch", kann man auch sagen — möchte ich nur eine Anmerkung machen. Durch solche Vorgänge — wir werden darüber noch sprechen — fühlen sich doch eine ganze Reihe, vielleicht Hunderte oder Tausende oder noch mehr Menschen im anderen Teil Deutschlands getäuscht und im Stich gelassen. Und das vor dem Hintergrund der Erwartungen, die von Ihnen, Herr Kollege Bahr, seinerzeit erweckt worden sind.
Ich möchte Ihnen noch einmal eines sagen: Wir haben den Eindruck, daß jetzt wieder einmal auf leisen Sohlen, aber sehr deutlich die Weichen in eine falsche Richtung gestellt werden.
Wir haben erkannt — wir müssen das heute betonen, und wir werden das auch künftig erklären —, daß die Bundesregierung in der Deutschlandpolitik überhaupt keine Zukunftsperspektiven hat.
Sie besitzt noch nicht einmal die Weisheit, die Gegenwart zu bewältigen.
Sie hat eins getan: Sie ist kurzatmig eine Politik der kleinen Schritte zurückgegangen, wenn man das an dem mißt, was seinerzeit im Grundlagenvertrag festgelegt worden ist. Seien Sie sicher, daß die CDU/ CSU diese Aktuelle Stunde als einen Anfang sieht, um mit Ihnen über alle Aspekte der Deutschlandpolitik zu diskutieren.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Franke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist notwendig und nützlich, die Frage zu stellen: Was für eine politische Bedeutung kann dieser Aktuellen Stunde zuerkannt werden? Die Bundesregierung — und danach wird ja wohl gefragt — hat in den letzten Wochen mehrmals — mehrmals! — in abgewogener und verantwortlicher Weise zur Deutschlandpolitik Stellung genommen.
Das geschah durch den Bundeskanzler von dieserStelle aus. Wer diese Darlegungen gehört oder
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Bundesminister Frankenachgelesen hat, kann, sofern er nur ein Minimum an gutem Willen aufbringt, allen Ernstes nicht behaupten, an den Auffassungen und Absichten der Bundesregierung zur Deutschlandpolitik sei irgend etwas unklar oder gar unbekannt.Allerdings scheint das, was der Bundeskanzler erklärte, der Opposition zu differenziert gewesen zu sein. Sie hätte es wohl gerne lauter und unüberlegter gehabt. Deshalb suchte und sucht sie für sich nach Gelegenheiten, dem Thema im Bundestag doch noch die rhetorischen Kraftakte abzugewinnen, die wir aus früheren deutschlandpolitischen Debatten kennen.
— Ich komme ja dazu, Herr Kollege.Als Anlaß dient nun das Interview von Staatssekretär Gaus. Daß wirklich nur ein Anlaß gesucht wurde, um wieder die altbekannten Vorwürfe und Verdächtigungen abzuladen, ist doch wohl jedermann nach Ablauf der Fragestunde offenbar. Die Bundesregierung hat die Fragen mit einer Präzision und Klarheit beantwortet, die nichts zu wünschen übrig läßt.
— Ich weiß, daß Sie überhaupt keine klaren Antworten verstehen wollen, weil Sie nicht in Ihren Kram passen, weil Sie immer wieder einen Aufhänger suchen müssen, um sich in dieser altbekannten Art treu bleiben zu können.
Dennoch wird so getan — deshalb wird die Aktuelle Stunde veranstaltet —, als bedürften die angefragten Sachverhalte weiterer Aufklärung. Sie bedürfen ihrer nicht. Deshalb ist es überflüssig und müßig, darüber weiter zu reden; denn es könnten ja doch nur Wiederholungen werden.Sie können noch so viele Fragen und noch so verklausuliert stellen,
die Auffassung der Bundesregierung und der Koalitionsparteien zur Deutschlandpolitik ist eindeutig. Sie paßt Ihnen nicht in den Kram, weil für Sie nichts übrigbleibt.Meine Damen und Herren von der Opposition, niemandem kann verborgen bleiben, warum Sie die emphatische Form der Auseinandersetzung mit dem Thema der innerdeutschen Beziehungen suchen.
Sie brauchen Anlässe, um mit pathetischen Reden über Ihren Mangel an sachlicher Alternative zur Politik der Bundesregierung hinwegzutäuschen. Meine Damen und Herren, ich höre von Ihnen immer nur kraftvolle Ausdrücke und Vorstellungen, als wenn Sie auf einer ganz anderen Welt lebtenund so nichts an Brauchbarem für die praktische Politik einbringen können.
Und das ist in meinen Augen der Sinn der Veranstaltung, die Sie an diesem Nachmittag wieder vom Zaun gebrochen haben.
Ich kann Ihnen nur sagen: Es wird Ihnen und auch sonst niemand gelingen, die Bundesregierung davon abzubringen, die Politik des partiellen Interessenausgleichs mit dem anderen deutschen Staat mit Vernunft und Besonnenheit weiterzuführen.
Es nützt nichts, Herr Kollege Kohl — um auch an Sie einige Worte zu richten —, hier mit Kategorien von Mut und Feigheit zu operieren. Das sind Ritterspielvorstellungen von Politik, die in der Wirklichkeit leicht das Gegenteil von dem produzieren können, was Sie beabsichtigen.
Guter Wille allein ist auch in der Wirklichkeit der Politik oft das Gegenteil von Kunst.
Hier geht es vielmehr um Interessen, um Zweckmäßigkeitserwägungen und um das Abwägen von Risiken.
Nichts anderes habe ich in jener Rede vor Bundeswehrangehörigen dargelegt, wegen der Sie mich am 19. Januar von dieser Stelle aus der Feigheit bezichtigten.
— Das habe ich schon getan. Sehen Sie, Sie haben nicht einmal das mitgekriegt. Herr Kollege Jäger, Sie sind doch dafür bekannt, daß Sie, selbst wenn man tagelang mit Ihnen gesprochen hat, immer wieder zum Ausgangspunkt Ihrer Frage zurückkommen. Sie sprechen anscheinend eine andere Sprache, als wir es hier gewohnt sind.
Die trennende Wirkung der Gegensätze und Unterschiede, die zwischen den beiden deutschen Staaten bestehen, kann nur dann gemildert und erträglicher gemacht werden, wenn die beiden Staaten miteinander verhandeln und ihre Interessen da, wo es geht, zum Ausgleich bringen.Verhandeln zwischen Staaten aber bedeutet die gegenseitige Zubilligung von Gleichberechtigung. Indem wir mit der DDR verhandeln, billigen wir ihr das Recht zu, ihre eigenen Interessen uns gegenüber zur Geltung zu bringen. Das ist das gleiche680 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 14. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 10. Februar 1977Bundesminister FrankeRecht, das selbstverständlich auch wir uns ihr gegenüber nehmen und genommen haben. So verhalten sich Verhandlungspartner, die voneinander unabhängig sind. Wo es um die beiderseitigen Lebensinteressen geht, ist die Bundesrepublik Deutschland nicht von der DDR abhängig und die DDR nicht von uns. Wer die Dinge anders darstellt, wie es hier im Haus geschieht, streut sich und anderen Sand in die Augen.
Niemand sollte die Mechanik verkennen, der eine Politik des begrenzten Interessenausgleichs zu folgen hat. Niemand sollte so tun, als ob das jeweils Erreichbare nicht auch von der Fähigkeit der anderen Verhandlungsseite abhinge, pragmatische Wege zu gehen. Denn es ist doch ganz offensichtlich, daß diese Politik auf beiden Seiten eine pragmatische ist. Die geschichtlichen Ziele und Erwartungen beider Seiten gehen auseinander. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember letzten Jahres davon gesprochen. Aber das sollte uns um des Friedens und, wie wir sagen, auch um der Nation willen nicht daran hindern, dort zusammenzuarbeiten, wo gemeinsame Interessen vorliegen oder wo ein Ausgleich unterschiedlicher Interessen möglich ist. Das ist der Entschluß zu pragmatischer Politik, zu einer Verhandlungs- und Vertragspolitik, die nur da zum Erfolg führen kann, wo abgewogene und für beide Seiten tragbare Lösungen gefunden werden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kunz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soeben hat Herr Bundesminister Franke bezweifelt, daß ein Anlaß zu dieser Debatte bestehe. Den Anlaß gibt es in überdeutlichem Sinn. Er besteht erstens darin, daß, obwohl das Recht klare Bestimmungen kennt, ein Staatssekretär, der wider die erklärte Politik seiner Regierung Dinge sagt und daher zu entlassen ist, nicht entlassen worden ist.
Daraus kann man nicht nur einen Schluß ziehen; daraus muß man einen Schluß ziehen. Dieser Schluß ist relativ eindeutig, wenn man nachliest, was Herr Wehner — veröffentlicht im „Sozialdemokratischen Pressedienst" — in diesem Zusammenhang gesagt hat — ich zitiere, Herr Präsident —:Wir haben jetzt erneut unseren Standpunkt verdeutlicht, daß die Grenze zwischen beiden deutschen Staaten genauso Teil der deutschen Nachkriegswirklichkeit ist wie die auf Grund unserer Verfassung nicht zu ändernde Problematik der Staatsangehörigkeit. Politik in Deutschland imInteresse der Menschen ist ein Navigieren zwischen den Klippen.
Wenn irgendwo nicht navigiert werden darf, dann bei der deutschen Staatsangehörigkeit.
Herr Bahr, Sie haben vorhin die Frage gestellt: Wem wird eigentlich womit gedient? Diese Frage geht auf Sie zurück. Wem dient eigentlich der Staatssekretär Gaus, wenn er sagt, Maßstab für die Deutschlandpolitik sei, wie stark — ich sage es im Klartext — das jeweilige Selbstbewußtsein der SED entwickelt ist? Verehrtes ehemaliges Mitglied der Bundesregierung, Herr Bahr, dies war doch der Keimgedanke, den Sie, zumindest für Ihre Ostpolitik, entwickelt haben. Dieser Keimgedanke wirkt ersprießlich und zu Lasten der Menschen in diesem Interview weiter. Deshalb ist dieses Interview in der Tat ein Anlaß zu großer Sorge, und deshalb bedarf es jeder nur möglichen Klarstellung.
Unsere Alternative besteht darin, daß wir auf der Basis der einen deutschen Staatsangehörigkeit folgendes für notwendig halten.Erstens. Die vertraglichen Bestimmungen, die zum Teil unter erheblichen Konzessionen ausgehandelt worden sind, müssen bis auf Punkt und Komma genau eingehalten werden.Zweitens. Diejenigen Bestimmungen, die mehr oder weniger nicht eindeutig formuliert sind, müssen durch die Praxis so mit Leben erfüllt werden, daß ihr Inhalt nicht ins Nichts abgleitet.Drittens. Die Bundesregierung und insbesondere das Bundeskanzleramt muß sich darüber im klaren sein, daß eine Konzeption auf den Tisch dieses Hauses gehört, deren Hauptpunkt es ist, zu überlegen, inwieweit Interessen der Bundesrepublik Deutschland und sicherlich auch Interessen der DDR so sinnvoll verknüpft werden können, daß der menschliche Aspekt bei den Folgeverträgen zum Grundvertrag nicht untergeht.
Gern gehört wird dies nicht. In der deutschlandpolitischen Studie werden solche Überlegungen als unrealistisch abqualifiziert und als deutschnational diffamiert. Ich halte das schlechthin für eine Unverschämtheit.
Meine Damen und Herren, ich möchte einen letzten Gedanken vortragen. Ich möchte hervorheben, wie gefährlich das Herumbasteln an der deutschen Staatsangehörigkeit gerade im Hinblick auf Berlin ist. Wir alle wissen darüber hinaus, wie gefährlich dies für die Sache des ganzen Deutschland ist. Ich bin betroffen darüber, daß ausgerechnet der Senator für Bundesangelegenheiten aus Berlin, Stobbe, sich nicht zu schade ist, dieses Interview des Herrn
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Gaus — wenn auch mit einigen Abstrichen — insgesamt als großartig zu bezeichnen. Ich muß sagen, ich kann überhaupt nichts Großartiges daran finden. Ich finde, daß dies ein Stoß gegen die Sicherheits- und Freiheitsinteressen des freien Berlin ist.
Ich wundere mich darüber, daß ausgerechnet dieselben, die es für unmöglich erklären, die Deutsche Nationalstiftung nach Berlin zu verbringen, sich dazu bereit finden, an der deutschen Staatsangehörigkeit herumzubasteln, was für Berlin doch wirklich größte Gefahren mit sich bringen würde.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmude.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Recht ist von einigen Kollegen meiner Fraktion die Frage aufgeworfen worden, ob es dieser Aktuellen Stunde in der Tat inhaltlich bedurft hätte. Über die Geschäftsordnung braucht man uns nicht zu belehren: Daß eine Aktuelle Stunde beantragt werden kann, wissen wir. Zugrunde liegt ein Interview, das vor etwa zehn Tagen erschienen ist und zu dem wir heute in der Fragstunde eineinhalb Stunden lang die sehr klaren, die in rechtlicher und politischer Hinsicht eindeutigen Stellungnahmen von Herrn Staatsminister Wischnewski gehört haben.
Wüßten wir es nicht, wie Herr Kollege Kreutzmann ausgeführt hat, schon durch die Presse, dann würden wir durch diesen Ablauf erkannt haben, daß es Ihnen darum geht, hier wiederum eine Ihrer beliebten Runden der Auseinandersetzung um Deutschlandpolitik zu veranstalten, und nicht darum, Fragen zu klären. In der Tat sagt Herr Marx uns, mit Applaus seiner Fraktion bedacht, man erwarte, daß die Bundesregierung bei dem bleibe, was Staatsminister Wischnewski heute gesagt habe. Also kann das wohl nicht falsch, sondern nur zutreffend sein, was er gesagt hat.
Herr Abelein, der von vornherein einer anderen Gruppierung zuzurechnen ist, erklärt sehr kühl, Gaus habe nur formuliert, was die Bundesregierung vorhabe; in der Sache habe sich die Bundesregierung nicht distanziert.
Auch er bekommt Applaus; denn jeder bekommt bei Ihnen Applaus, der die Politik der Bundesregierung polemisch angreift.
Nur ist der Widerspruch offenkundig.
Ich möchte mich mit Herrn Kollegen Abelein auch gar nicht weiter als über den einen Punkt auseinandersetzen, in dem er sagt, den Versprechungen der Bundesregierung in bezug auf menschliche Erleichterungen könne nun auch ganz und gar nicht geglaubt werden, und das sei offenkundig. Als vor knapp fünf Jahren im Herbst 1972 aus Ihren Reihen das böse Wort von den „paar Bräuten" fiel, die man im Wege der Familienzusammenführung damals herüberholen konnte, hielt ich das für eine einmalige Entgleisung, für einen einmaligen Ausrutscher. Inzwischen zeigt sich, daß dies offenbar Ihre Grundhaltung gegenüber diesem Problem ist. Ich sage dazu ganz klar: Die Deutschlandpolitik der Bundesregierung geringzuschätzen ist Ihr gutes Recht als Opposition. Wenn Sie aber so argumentieren, als sei in der Zwischenzeit nichts geschehen, als gebe es nicht die vielen tausend Familienzusammenführungen, als gebe es nicht die in Millionengrößenordnung auf das Dreifache angestiegene Zahl von Reisen, Telefonkontakte und vieles andere mehr, das ich hier nicht aufzählen will, dann spricht daraus eine Geringschätzung der menschlichen Problematik, die in diesem Bereich liegt.
Das ist eine Geringschätzung, die der parteipolitischen Auseinandersetzung dienlich sein mag, in der Sache jedoch immer nur neuen Schaden anrichten kann.
Herr Marx hat sich auch bezeichnenderweise darauf beschränkt, im Konjunktiv von den möglichen Absichten der Bundesregierung zu sprechen und zu sagen: Wenn sie würde, wenn sie dies in Erwägung zöge oder wenn sie dieses in Betracht ziehen könnte, dann würden wir ...
— Herr Kollege Marx, Sie haben das in der Tat praktiziert, und ich muß dazu sagen, daß der Konjunktiv hier zum Instrument der Verdächtigung gemacht worden ist; aber auch das kennen wir.
Was den wichtigen Punkt der Staatsangehörigkeit anbelangt, so hat die Bundesregierung nicht nur heute, sondern immer wieder deutlich gemacht, daß ihr Handeln insoweit eine ganz klare Rechtsgrundlage im Grundgesetz, im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag und auch in dem nach wie vor unverändert geltenden Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz hat. Dies ist auch in den Protokollerklärungen zum Grundlagenvertrag eindeutig festgestellt worden. Natürlich kann man nun unter allen Auslegungsmöglichkeiten, die die Äußerung von Herrn Gaus hat, die negativste, die un-
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Dr. Schmudegünstigste herausgreifen, diese groß aufbauschen und dann so tun, als sei hier etwas in Gefahr.Wir können nur wiederholen und bekräftigen: Hier ist nichts in Gefahr. Die einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit bleibt bestehen, wird in keiner Weise in Frage gestellt. Sie ist nicht nur eine rechtliche, sie ist auch eine politische Selbstverständlichkeit unseres täglichen Lebens geworden.
Das Wort hat der Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um das Fazit dieser Aktuellen Stunde vorwegzunehmen: Was zu Mißverständnissen oder Mißdeutungen an dem Interview hätte Anlaß geben können, ist durch die Bundesregierung in einer Weise klargestellt worden, die jeden Zweifel ausräumen mußte.
Wenn das so ist, dann muß es einen anderen Grundhaben, daß wir uns heute hier erneut zu dieser Aktuellen Stunde mit diesem Thema versammelt haben.
Es ist der, daß Sie — und das ist Ihr Problem, meine Damen und Herren von der Opposition —
in Ihrer eigenen Haltung ein zwiespältiges Verhältnis zur innerdeutschen Politik haben. Denn Sie waren es, die diese Politik über Jahre hin bis zum heutigen Tage in einem Frontalangriff bekämpft haben und die nun expressis verbis — auch das ist heute von Sprechern Ihrer Partei gesagt worden — offensichtlich die größten Erwartungen in diese Politik gesetzt haben, weit über das hinaus, was jemals von Regierungsseite oder von seiten der Koalition
auch nur als Wunschtraum, als in der nächsten Zeit erreichbarer Wunschtraum angesprochen worden wäre.
— Wir waren es doch nicht, Herr Kollege,
die der Sache etwa eine Darstellung dahin gegeben hätten, als sei diese Politik ein D-Zug zur Lösung aller innerdeutschen Probleme. Immer ist von der Bundesregierung und gerade auch von uns Liberalen deutlich gemacht worden, daß dies ein schwieriger und langer Marsch ist, belastet mit Schwierigkeiten, die bis ins Detail vorauszusehen der einzelne noch keine Vorstellungen haben mag. Und trotzdem:Dies hat viele Erfolge gebracht. Es ist vorher gerade auf die Häftlingsentlassungen verwiesen worden.
— Sie gehören zwar nicht dazu, Herr Kollege von Wrangel, aber es gibt in Ihrer Fraktion Vertreter, die gerne möchten, daß dies von uns jeweils mit einem Triumphgeheul als ein Sieg gefeiert wird.
Ich glaube, gerade dadurch würden wir für künftige Politik Wege verbauen.
Hier gilt es eben, in anderer Weise vorzugehen, als im Wege der Konfrontation ein Gefecht auszutragen, das der Sache nicht nützen kann.Wir werden uns nicht sagen lassen, daß wir Ihnen das Wort verkürzen wollen. Wir werden es zu schätzen wissen, wenn Sie die Politik der Bundesregierung und dieser Koalition kritisch begleiten. Nur: Wenn bei allen diesen Aktuellen Stunden ein Kollege wie Herr Professor Abelein auftritt, so ist dies bedenklich.
Denn jeder, der dies miterlebt, weiß: Dieser Auftritt nützt nicht der innerdeutschen Politik.
Dieser Auftritt bringt keinen Nutzen für unser Land. Ich wage — aber das ist Ihr Problem —, die Frage zu stellen, ob er Ihrer Fraktion und Ihrer Partei nützt. Denn wenn hier mit der letzten Verbissenheit, mit dem irrlichternden Blick eines Glaubenskämpfers gefochten wird,
dann muß man die Frage stellen, ob diese ungeheuren Anschuldigungen, die hier erhoben werden, nämlich die Bundesregierung bewege sich am Rande der Verfassung, wenn sie diesen Rand nicht bereits überschritten habe, sie beschimpfe das Volk, das Glauben in das setze, was diese Bundesregierung an Erwartungen habe, nicht schon das erträgliche Maß überschritten haben. Was ist das für ein Stil, Herr Kollege! Hier fröstelt es einen.
weil ein Ton in dieses Haus kommt, den dieses Haus nicht verdient hat und auch — innerlich jedenfalls — nicht dulden sollte.
Sie haben rechtliche Fragen angeschnitten. Ich sage Ihnen eines: Was am Grundlagenvertrag zu interpretieren war, hat das Bundesverfassungsgericht interpretiert. Hier die Opposition über ihre Politik ins Rechtliche hinein als eine weitere Instanz anzuerkennen, dagegen wehren wir uns. Dies zuzulassen,
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Engelhardgibt es keinen Grund. Die Opposition — das wird sie sich sagen lassen müssen und dazu wird sie sich bequemen müssen — wird in diesem Lande die Rolle eines Bundesverfassungsgerichts zweiter Instanz nicht spielen können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Engelhard hat durchaus recht mit dem, was er über Ihre Situation soeben gesagt hat. Sie sind heute so schwach gewesen, weil Sie so tun wollten, als seien Sie die legitimen Ankläger derjenigen, die sich angesichts der schwierigen Lage des getrennten deutschen Volkes für die Politik der Verträge entschieden haben, da Sie nichts Alternatives dagegenzusetzen haben,
sondern weil Sie eine Krise wollen,
und sei es um den Preis, daß viele dafür vieles bezahlen müssen,
und sei es „nur" das, was Sie und wir bisher mit der Politik der Verträge für die Menschen herausgeholt haben.
— Sie können mich doch nicht erschüttern, Sie wollen doch hier nur „Mob" spielen.
In diesen Fragen haben Sie den Offenbarungseid geleistet.
Sie wollen doch die Verträge nicht.
Sie tun so, als seien Sie deren Wächter. Sie brauchen eine Krise, wie ich soeben sagte, und tun, was Sie können, um sie herbeizureden.
Da sitzt doch derjenige, der sie sogar schon wieder um Berlin flackern sieht; das hat man doch wohl gestern lesen können. Hier sitzen ja eine ganze Menge, die lesen und nicht nur schwätzen.
Meine Damen und Herren, mir erscheint es richtig, daß ein Mann, der, jedenfalls was uns Sozialdemokraten betrifft und wohl auch was Sie betrifft, d. h. was unsere Form des Staates in diesem Teil des getrennten Deutschlands betrifft, unser politischer Gegner ist, unsere Vertragsgegenfigur, z. B. an jenen Sätzen festgehalten wird:Jeder, der ein Interesse daran hat, daß Frieden, Sicherheit, Zusammenarbeit und sozialer Fortschritt das Wichtigste im Leben der Völker sind, muß auch dafür eintreten, daß trotz aller Querelen Vernunft und guter Wille in den Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland stets die Oberhand behalten.Daran möchte ich den Mann festgehalten wissen, der im anderen Teil Deutschlands als Staatsratsvorsitzender und Generalsekretär der dortigen Regierungspartei die Verantwortung hat, statt ihn durch das, was Sie hier treiben, meine Damen und Herren, aus dieser Verantwortung zu entlassen.
— Was Gaus betrifft, meine Herren, brauchen Sie mir doch nichts zu erzählen.
— Nein, entschuldigen Sie. Das Interview des Herrn Gaus ist für mich nicht diskutabel.
Ich habe das wegen der amtlichen Aufgabe, die Herr Gaus hat, und wegen des Zeitpunkts seines Erscheinens gesagt.
— Jawohl, aus beiden Gründen! Aber Sie, die Sie hier johlen, sind doch nicht die Vertreter einer Politik, die die Verträge und jene Beamten, die dazu da sind, dafür zu sorgen, daß Verträge bestmöglich eingehalten werden und funktionieren, zu kritisieren haben.
Sie wollen doch die Verträge nicht, Sie wollen doch die Regierung nicht, Sie wollen doch die ganzen Beziehungen nicht: Wo stehen Sie denn? Auf dem, was man Kopf nennt bei normalen Menschen?
Im übrigen, meine Herren, daß der Herr Gaus als Person seine eigenen Gedanken zu wichtigen Problemen unseres Volkes hat, ist sein Recht. Das werden Sie ihm ja nicht abstreiten, die Sie die Vorkämpfer der Gedankenfreiheit — „Freiheit oder Sozialismus" — sind.
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WehnerDaß er im übrigen seine amtlichen Pflichten im Sinne der Verträge zu erfüllen bemüht ist, halte ich für gegeben — bei allem Tadel, den ich daran übe, daß ein Mann in dieser Stellung ein Interview über seine eigenen persönlichen Ansichten auch in Beziehung zu seinen Aufgaben gibt. Das wird man ja wohl sagen dürfen. Nur, wie Sie das angelegt haben, haben Sie sich selbst um die Möglichkeit gebracht, eine Rolle in der Auseinandersetzung um das zu spielen, worum es in der Sache geht.
Bei Ihnen findet man ja nichts.
Man muß schon — und damit will ich meine Ausführungen beschließen — zu einem Bericht aus dem amerikanischen Kongreß greifen, wenn man wissen will, worum es geht. Da steht:Wir haben kein Interesse daran, das Belgrader Treffen abgleiten zu lassen in einen Austausch von Vorwürfen und Polemiken. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit muß in Perspektive gesehen werden. Sie war keine Ersatzfriedenskonferenz, noch konnte man erwarten, daß die grundlegende Natur der Ost-West-Beziehungen oder der östlichen Gesellschaft über Nacht verändert werden. Wir glauben, sie kann zu einer Verminderung von Spannungen zwischen Staaten und zu praktischen Verbesserungen im täglichen Leben der Menschen beitragen als Teil einer fortlaufenden diplomatischen Bemühung, die Ost-West-Beziehungen zu verbessern, die Sicherheit, die Stabilität, die Zusammenarbeit in Europa zu stärken.Das hat seine Beziehungen zu dem Land, von dem wir ein Teil sind, zum getrennten Deutschland, und wo wir eine Aufgabe haben, die noch die, die nach uns kommen werden, versuchen müssen zu erfüllen, soweit das menschenmöglich ist. Die werden sich dann wundern, wie Sie hier in Zeiten herumgetobt haben, in denen man noch weit davon entfernt war, die richtigen Methoden des Miteinander-Umgehens zu haben.
Das Wort hat als letzter Redner in der Aktuellen Stunde Dr. Zimmermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Engelhard, es drängt sich natürlich auf, daß man Sie jetzt noch einmal an Ihre Belehrungen zu Stilfragen, was den Kollegen Abelein betrifft, erinnert, nachdem wir hier gerade vom Kollegen Wehner wieder eine Blütenlese seines Stils erlebt haben:
„Wie Sie hier herumtoben", „Sie wollen doch nur mogeln", „Sie wollen eine Krise", „Sie brauchen eine Krise, die Sie herbeireden wollen". Das waren nur ein paar Auszüge aus den letzten fünf Minuten.
— Herr Wehner, Sie haben es so gemeint und gesagt, wie ich es hier sinngemäß zitiert habe. Sie haben Ihren Autor, Staatssekretär Gaus, nur kritisiert und für nicht diskutabel gehalten, weil er dieses Amt hat und weil er das zu diesem Zeitpunkt gesagt hat.
Diese außerordentlich bedeutsame Einschränkung — und wir können schon noch zuhören, Herr Kollege Wehner — verdient doch festgehalten zu werden.Ein paar Kollegen von der Koalition, die Herren Engelhard und Schmude, haben gesagt, die Bundesregierung hätte ja heute durch Herrn Staatsminister Wischnewski alles klargestellt und ausgeräumt. Nun, Herr Staatsminister Wischnewski, mir ist aus diesen eineinhalb Stunden, in denen Sie Fragen beantwortet haben, aufgefallen, daß Sie ganze zweimal in diesen anderthalb Stunden zu den Formulierungen von Staatssekretär Gaus Stellung genommen haben, und zwar wie folgt. Einmal haben Sie gesagt, Sie teilten nicht jede Formulierung direkt, und das zweite Mal haben Sie gesagt, es gebe in diesem Interview journalistische Formulierungen, die Ihnen nicht gefielen.Herr Staatsminister, Sie werden doch zugeben, daß das nun wirklich keine Antwort auf die Frage war, die wir Ihnen gestellt haben in puncto Staatsangehörigkeit und in puncto Demarkationslinie. Sie haben nicht geantwortet, sondern Sie haben drumherum geantwortet.
Der Staatssekretär Günter Gaus ist ja nicht irgendwer, ist auch nicht irgendein Beamter, er ist nicht irgendein Botschafter; er ist ein Mann, der dem Bundeskanzler direkt untersteht, der unter dem Bundeskanzleramt eine Schlüsselstellung deutscher Politik in Ost-Berlin zu vertreten hat und an dessen Verantwortungsgefühl und an dessen Verpflichtung zu unserer gesamtdeutsch verpflichteten Verfassung man ganz besonders hohe Anforderungen zu stellen hat.
Der Staatssekretär Gaus hat — das will ich dem - Zitat des Kollegen Mertes noch hinzufügen — in seinem damaligen Organ — dem gleichen, dem er diesmal ein Interview gegeben hat — am 1. Juni 1970 folgendes geschrieben — ich zitiere —:Das einfache Konzept besteht in der öffentlichen und politisch praktizierten Einsicht, daß zwei deutsche Staaten existieren. Das Akzeptieren dieser Realität ist schlüssig mit der vollen Anerkennung der DDR durch Bonn verbunden.
Völkerrechtlich eindeutig muß diese Anerkennung sein, und keinerlei Zugeständnis ist für ihren Vollzug zu erwarten.Nachdem Ihr Staatssekretär, Herr Staatsminister, wie nachgewiesen seit vielen Jahren eine solche Linie vertritt und wir ihn bei diesem Interview dabei ertappt haben, was er heute wohl wirklich denkt,
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Dr. Zimmermanndürfen wir uns doch wohl die Frage stellen, ob das wieder einer jener Versuchsballone gewesen ist, der hier gestartet wurde, weil andere, wie Herr Brandt, wie Herr Wehner, wie Herr Bahr, ihre wirklichen Absichten noch nicht offenbaren wollen.
Sehen Sie, meine Herren von der Bundesregierung, das ist der Grund, warum wir diese Deutschlandpolitik, die Sie da betreiben wollen, nicht mitmachen und warum nicht wir, Herr Wehner, in der Krise sind, sondern Ihre Deutschlandpolitik. Die ist in der Krise!
Wir sind am Ende der Tagesordnung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung für Mittwoch, den 2. März 1977, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.