Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, als Nachfolger für die verstorbene Abgeordnete Frau Dr. Orth hat der Abgeordnete Herbers am 12. Mai 1976 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kollegen sehr herzlich und wünsche ihm eine gute Zusammenarbeit in unserem Hause.
Der Bericht der Bundesregierung betreffend die Ermöglichung einer vermehrten Aufstellung von Mietspiegeln durch die Gemeinden — Drucksache 7/5160 — soll gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — federführend — und dem Rechtsausschuß — mitberatend — überwiesen werden. — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1976
— Drucksachen 7/4100, 7/4629, 7/5031 bis 7/5058 —Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundestages in zweiter Beratung— Drucksache 7/5199 —Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat der Abgeordnete Möller.Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Mö!ler : Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Bundeshaushalt 1976 wird eine Phase der Finanzpolitik abgeschlossen, die entscheidend durch die Notwendigkeit bestimmt war, die rezessionsbedingte Schwäche der Wirtschaft zu überwinden. Wir haben jetzt die schwierigsten Jahre einer tiefgreifenden, weltweiten Wirtschaftsrezession hinter uns. Sie wurde in der Bundesrepublik Deutschland besser als in anderen Ländern gemeistert — dank der verantwortungsbewußten Politik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Kräfte.Dazu beigetragen haben wesentlich die Maßnahmen der antizyklischen Finanzpolitik. Und lassen Sie mich gleich an dieser Stelle sagen: Die durch die Konjunkturdämpfung und die Konjunkturbekämpfung entstandenen, vorübergehend stark erhöhten öffentlichen Verschuldungen sind nicht zu verteufeln, sondern sie können nur positiv gewertet werden, wenn man weiß, daß wir dadurch wesentlich dazu beigetragen haben — ich zitiere aus dem Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank —, „den Konjunkturabschwung zu bremsen und gegen Mitte des Jahres die konjunkturelle Wende herbeizuführen".Deshalb ist die von der CDU/CSU uns immer wieder entgegengehaltene niedrige Verschuldungssumme aus der Zeit bis 1966 als Vergleich zur heutigen höheren Verschuldungssumme unbrauchbar; dieser Vergleich verkennt die gesamtwirtschaftlichen Sachzusammenhänge. Wie wenig Verständnis die Opposition tatsächlich für den engen Zusammenhang zwischen staatlicher Verantwortung für Stabilität und Wachstum der Wirtschaft einerseits und erforderlicher Kreditaufnahme des Staates andererseits hat, zeigt auch ihr neuester Vorwurf aus der Etatdebatte der vorigen Woche, daß nach der Finanzplanung des Bundes für 1979 der Betrag für den Schuldendienst, also Zinsen und Tilgungen, höher sei als der für die Verteidigung. Wer solche Vergleiche zieht, um zu versuchen, die sozialliberale Koalition einer angeblich unfähigen Finanzpolitik zu beschuldigen, der hat noch nicht richtig verstanden, daß zur äußeren Sicherheit als Voraussetzung die innere und soziale Stabilität gehört
und daß diese in wirtschaftlichen Rezessionsjahren aufrechterhalten und verteidigt werden muß durch verstärkte Staatsausgaben und durch Staatsaktivitäten.Herr Kollege Barzel hat in seiner Nachmittagsrede am 11. Mai z. B. folgende Akrobatik vollführt — ich zitiere aus dem Bundestagsprotokoll Seite 16863 C —:... zu dem versuchten Angriff des Bundeskanzlers auf den Kollegen Carstens, daß an allem die Weltwirtschaft schuld sei, muß ich sagen:
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17302 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. MöllerDies ist wirklich zu billig, alle Welt für dieunzureichende Lage hier verantwortlich zu machen.
— Warten Sie ab, was Sie noch gesagt haben!
Wir leugnen doch nicht, Herr Bundeskanzler, die schwierigere weltwirtschaftliche Situation, wir leugnen auch nicht den Einfluß des Torsos Brüssel; aber das ist doch nicht das Ganze, das ist doch nur ein Teil, ein Teilchen.
Die Weltwirtschaftskrise ist in Ihrem Gesamtblick also nur ein Teilchen. Ich bin der Meinung, was sich bei uns vollzieht, ist ein Teilchen;
es ist also gerade umgekehrt. Die Konsequenzen aus der Weltwirtschaftskrise und das, was Sie den Torso Brüssel nennen, sind das, womit wir uns zu beschäftigen haben. Diese Auswirkungen spüren wir hier in der Bundesrepublik Deutschland.Sie fahren dann fort:Zu dem Ganzen gehören der zu hohe Staatsanteil, die Qualität und die Art der Finanzierung der Bundesschulden.Sie fragen:Wozu haben Sie sich verschuldet: für neue Aufgaben oder für laufende Rechnung? Dies ist doch zu fragen.Was soll man dazu sagen? Das kommt vom Herrn Kollegen Barzel, der nicht die Entschuldigung für sich in Anspruch nehmen wird, daß ihn der Herr Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU schon in seiner Vormittagsrede an Unterstellungen auf diesem Gebiet weit übertroffen hat.Ich kann nur wiederholen, was jeder Sachkundige weiß: Das stabilitäts- und beschäftigungspolitisch notwendige Instrument der Staatsverschuldung hat bei der Überwindung der krisenhaften Wirtschaftsentwicklung, die im Jahre 1974 begonnen hatte, eine entscheidende Rolle gespielt. Der rationale Einsatz war daher unerläßlich. Die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers steht, wenn er sagt:Ich bekenne mich dazu, denn der Mut zur Verschuldung hat die Bundesrepublik aus der Rezession geführt.Herrn Kollegen Carstens will ich zu seiner Ursprungsforschung an folgende Feststellung von Jürgen Eick in der FAZ vom 4. Mai dieses Jahres in dem Artikel „Das Volkswagenwerk als Beispiel" erinnern:Über einige Jahr hin, beginnend 1967, wurden die meisten Käfer— also die Volkswagen — nicht in der Bundesrepublik verkauft, sondern in den Vereinigten Staaten. Das war damals auch eine Folge des falschen Wechselkurses, der Unterbewertung der Mark. Alle diejenigen, die sich gegen die Aufwertung der D-Mark mit Händen und Füßen gesträubt haben, tragen die Mitverantwortung an dieser enormen Exportlastigkeit, an den daraus resultierenden Verzerrungen der Produktionsstruktur.
Soweit der Artikel vom 4. Mai dieses Jahres. Ich füge hinzu: Das war, ist und bleibt die CDU/CSU-Fraktion, die im Jahre 1969 die Aufwertung der D-Mark lange Zeit hindurch verhindert hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jenninger?
Bitte!
Herr Kollege Professor Möller, können Sie sich erinnern, daß Sie höchstpersönlich damals im Jahre 1969 — ich bin selbst noch im Besitz eines Vermerks von Ihnen — massiv gegen die damals geplante Aufwertung zu Felde gezogen sind?
Sie klatschen zu früh, meine Herren.
Herr Kollege Jenninger, gehen Sie einmal in Ihr Büro, holen Sie das Papier, nehmen Sie es zu sich und dann wiederholen Sie die Frage.
Sie werden feststellen, wenn Sie das Papier studieren, daß Sie es nicht so gut kennen wie ich, der es verfaßt hat. Das mache ich Ihnen nicht zum Vorwurf. Aber wenn Sie dieses Papier noch einmal studieren, dann werden Sie exakt feststellen, daß ich damals im Auftrage meiner Fraktion die Gründe für eine Aufwertung und die Gründe gegen eine Aufwertung zusammengestellt habe, damit sich jeder in meiner Fraktion zu diesem entscheidenden Fagenkomplex sachkundig machen konnte.
Die Tatsache, daß wir das Pro und Kontra sorgfältig prüfen, unterscheidet uns anscheinend von der bei Ihnen üblichen Fraktionspraxis.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bismarck?
Bitte sehr, Herr von Bismarck.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17303
Herr Kollege Möller, erinnern Sie sich daran, daß Ihr damaliger Kollege Schiller noch im Februar 1969 seinen Entschluß vom November 1968, nicht aufzuwerten, als total richtig verteidigt hat und sich erst vom März/April des Jahres für die Aufwertung eingesetzt hat, daß das Ganze also 1969 nur sechs Monate gedauert hat?
Die ersten Aufwertungsmaßnahmen waren Maßnahmen, die in der Schlußphase des Kabinetts Kiesinger stattfanden. Sie kennen also anscheinend den Verlauf auch nicht.Für die Phase der bevorstehenden Konjunkturnormalisierung, so sagte ich eben, also für den bereits eingesetzten Wirtschaftsaufschwung, haben die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen Vorsorge getroffen, die Neuverschuldung des Bundes schrittweise kräftig zu reduzieren, und zwar auf ein Niveau, das einem dann hinreichenden Wirtschaftswachstum entspricht. Die CDU/CSU im Deutschen Bundestag und nach den bisherigen Ankündigungen auch die Unionsmehrheit im Bundesrat leisten jedoch keinen Beitrag zu diesem für die Konsolidierung der Staatsfinanzen notwendigen Abbau der Kreditaufnahme, sondern sie verhindern ihn durch die Ablehnung der Erhöhung der Mehrwertsteuer, die notwendig ist und bleibt als eine der Maßnahmen der Bundesregierung zur mittelfristigen Verbesserung der Haushaltsstruktur des Bundes und damit zugleich der Länder und Gemeinden. Allerdings hat Herr Kollege Leicht, der Vorsitzende unseres Haushaltsausschusses, im Frankfurter Rundfunk-Gespräch mit den Kollegen von Bülow und Kirst am 16. Mai ausgeführt — ich zitiere —:Was wir jetzt müssen in der Mehrwertsteuer, ist einfach eine finanzpolitische Notwendigkeit, die sich aus der geschilderten Situation ergibt. Wir sehen auch: Dies ist bedauerlich. Wir müssen durch eine im übrigen konsequente Stabilitätspolitik erreichen, daß sich dies nicht dramatisch auswirkt.Ich kann diesen Standpunkt des Herrn Kollegen Leicht nur anerkennen.
Das Verhalten der CDU/CSU-Opposition in der Debatte zur zweiten Lesung veranlaßt mich zu der vergleichenden Frage, wie sich Regierung und Opposition jeweils im Wahljahr 1965 und im Wahljahr 1976 verhalten haben bzw. verhalten. Im Wahljahr 1976 handelt die Regierung der sozialliberalen Koalition nach finanzwirtschaftlichen Gesetzen, die seit der regierungsverantwortlichen Arbeit der SPD auf Bundesebene, also seit 1966, geschaffen wurden, auch wenn ihre Anwendung heute für manche unbequeme Konsequenzen erfordert. Ich meine das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vorn Juni 1967, das 20. Änderungsgesetz zum Grundgesetz vom Mai 1969 mit der verfassungsrechtlichen Verankerung der Finanzplanung, das darauf folgende Haushaltsgrundsätzegesetz und die Bundeshaushaltsordnung vom August 1969. Das heißt konkret: Die Bundesregierunghat im Herbst 1975 zusammen mit dem Bundeshaushaltsplan für 1976 eine gestraffte Finanzplanung des Bundes bis zum Jahre 1979 vorgelegt. Sie hat aktuell Bilanz gezogen und unter diesem Stichtag den Weg für die nächsten vier Jahre vorgezeichnet.Aus diesen Erkenntnissen hat die Bundesregierung für das Wahljahr 1976 einen Etat strengster Sparsamkeit aufgestellt, der keinerlei Wahlgeschenke enthält. Sie hat weitere entscheidende Schritte zur Verbesserung der Haushaltsstruktur getan und sich vor dem Bundestagswahltermin zu der Notwendigkeit bekannt, Steuern maßvoll zu erhöhen, um weiterhin auf der Grundlage finanzieller Solidität Leistungen für die soziale Sicherheit, für die Bildungspolitik, für die Sparförderung, für die Landwirtschaft, für die Modernisierung der Volkswirtschaft, für die Sicherheit der Bundesrepublik nach außen und im Bündnis, für das Wachsen eines gemeinsamen Europas und für andere Notwendigkeiten erbringen zu können.Ganz anders war 1965 die Situation nach 16 Jahren Herrschaft der CDU/CSU im Bund. Damals hatte — ich zitiere —jahrelang der Staat von der Hand in den Mund gelebt. Er krankte an mangelnder Voraussicht. Die öffentlichen Finanzen wurden zum Störfaktor. Erst geriet die Stabilität unserer Währung in Gefahr, dann das Wachstum unserer Wirtschaft. Von allen Seiten ertönte der Ruf: Bonn muß besser vorausplanen! Ohne solide finanzielle Grundlage ist die Politik auf Sand gebaut. Erst gab es ungewollte Überschüsse, die im „Juliusturm" stillgelegt und dann in Dauerausgaben mit steigender Tendenz umgewandelt wurden. Dann steuerte die Finanzpolitik den Rand des Defizits an, ohne ihn zunächst erreichen zu können. Schließlich geriet sie mitten in das tiefste Defizit hinein. Und dies alles, weil nicht planvoll vorgegangen, weil Ausgaben beschlossen wurden, ohne überhaupt zu fragen, ob sie auf die Dauer auch finanziert werden könnten.So weit das Zitat. Das sind aber nicht meine Feststellungen, sondern die des Herrn Kollegen Strauß in einem Artikel „Ich stelle mich der Kritik" in der Bonner Rundschau vorn 31. Juli 1967.
Die Vorgeschichte für diese harte, aber berechtigte Kritik war lang; in den Jahren 1965/67 strebte sie ihrem dramatischen Höhepunkt zu: Im Wahljahr 1965 ging die CDU-geführte Bundesregierung ziemlich sorglos mit dem Bundeshaushalt um; von Anfang bis Mitte 1965 wurde noch ein halbes Hundert finanzwirksamer Gesetze beschlossen — und dies nicht, weil etwa die Opposition — wie wir das in den letzten Jahren von der Opposition der CDU/ CSU gewohnt sind — durch ihre Forderungen die Regierung finanziell übertrumpfen wollte. Nein: Die damalige SPD-Opposition versuchte vielmehr, ein Signal in Richtung Ausgabenstopp zu setzen, und zog deshalb im Februar 1965 — ein erstmaliger und in dieser Konsequenz einmalig gebliebener Vorgang
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17304 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerim Spannungsverhältnis von Opposition zu Regierung — eigene Gesetzentwürfe angesichts der Finanzlage des Bundes zurück. All unsere Warnungen und guten Beispiele haben aber leider nichts genutzt.Im September 1966 hatte das Kabinett Erhard den Entwurf für den Bundeshaushalt 1967 verabschiedet, der so unzulänglich war, daß der Bundesrat mit einer absoluten CDU-Mehrheit den Regierungsentwurf am 28. Oktober 1966 anläßlich des ersten Durchgangs als unzulänglich an die Bundesregierung zurückgab mit der Begründung, daß die veranschlagten Einnahmen und Ausgaben nicht den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten entsprächen. Deshalb wurde die Bundesregierung aufgefordert, beschleunigt einen neuen Haushalt oder einen Ergänzungshaushalt vorzulegen — ein erst- und einmaliger Vorgang im Verhältnis des Bundesrates zu einer Bundesregierung, die damals von der CDU/CSU geführt wurde.Danach ging es Schlag auf Schlag. Die Entwürfe eines Finanzplanungsgesetzes, eines Ergänzungsgesetzes zum Finanzplanungsgesetz, eines Steueränderungsgesetzes 1966 und eines Zweiten Steueränderungsgesetzes 1966 sowie der Entwurf eines Ergänzungshaushalts 1967 konnten die CDU-Regierung nicht mehr retten. Sie war am 30. November 1966 endgültig am Ende, zerbrochen über ungelöste und vor der Bundestagswahl 1965 verschleierte Finanzprobleme.In Erinnerung an die Debatte der vorigen Woche muß ich sagen: Sie, meine Damen und Herren von der CDU und CSU, müssen wieder lernen, was Wahrheit ist.
Wie es nach dem Ende der Ara Erhard wirklich aussah, dafür gibt es kein besseres Zeugnis als die Regierungserklärung des damaligen Bundeskanzlers Kiesinger vom 13. Dezember 1966. Er sagte:Der Bildung dieser Bundesregierung, in deren Namen ich die Ehre habe, zu Ihnen zu sprechen, ist eine lange schwelende Krise vorausgegangen, deren Ursachen sich auf Jahre zurückverfolgen lassen.Sie kennen alle die Hinweise, mit denen der damalige Bundeskanzler, Herr Kollege Kiesinger, anschließend die Versäumnisse und Fehler der Regierungen seiner Vorgänger, unter denen kein Sozialdemokrat war, aufzählt: die planlose Finanzpolitik, die unverantwortlichen Wahlgeschenke und die katastrophale Situation, in die schließlich die öffentlichen Finanzen geraten waren.
Diese Aufzählung endet mit den Worten:
Das ist die Wahrheit, die wir uns eingestehen müssen und die wir unserem Volk nicht vorenthalten dürfen.In dieser ehrlichen Bilanz einer vergangen Epoche ist nicht die Rede vom Stolz, wie Sie sagen, vom blühenden Gemeinwesen und von den Bewährungsproben, die diese soziale Marktwirtschaft bestanden habe. Sehr wohl war dort aber die Rede von dem „politischen Mut und der Einsicht", die von denen gefordert wurden, die dann 1966 Verantwortung übernahmen. Es handelte sich — ich spreche mit den Worten des Herrn Kollegen Barzel — um „ein sehr beschädigtes Modell", das damals in andere Hände gelegt wurde.
Der spätere Beginn der neuen Politik der sozialliberalen Koalition war immer noch mit schweren Hypotheken belastet, die nur allmählich abgetragen werden konnten. Wer behauptet, damals seien volle Kassen vorhanden gewesen, macht sich lächerlich. Wer meint, jene vergangene Finanzpolitik in der Verantwortung der CDU/CSU sei ein Erbe, von dem man zehren könne, macht sich nicht minder lächerlich. Die vor Beginn der Großen Koalition ideologisch motivierte Ablehnung einer vernünftigen Finanzplanung, eine unverantwortliche Verteilung von Wahlgeschenken, die nach der Wahl von 1965 wieder einzusammeln waren — das ist nicht das Erbe, aus dem die heutige, wie Herr Kohl behauptet, „beträchtliche, soziale, politische und wirtschaftliche Stabilität" der Bundesrepublik gewachsen ist.Wer objektiv über die letzten Jahre nachdenkt, wird zugeben müssen, daß die Hauptaufgaben, die der Finanzpolitik der sozialliberalen Koalition gestellt waren, die Finanzierung einer Politik der Sicherung und Weiterentwicklung sozialer Freiheit, die angemessene Lastenverteilung, der Ausgleich von Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im Rahmen unserer nationalen Möglichkeiten, befriedigend gelöst worden sind.Die Oppositionsparteien haben in diesem wichtigen Abschnitt unserer politischen Arbeit keinen positiven Beitrag geleistet. Sie haben durch ihre Verunsicherungskampagnen die Bewältigung der Stabilisierungsprobleme erschwert. Die Erfindung des angeblichen Finanzchaos und das Schüren der Inflationsangst waren keine Beiträge zur Belebung der Konjunktur in unserem Lande.Es gibt ein Buch, es heißt „Finanzpolitik — Theorie und Wirklichkeit" und stammt von Franz Josef Strauß, der, den Weg der Unionsparteien vorausahnend, diese Politik bereits 1969 wie folgt beschrieben hat:Man kann einem Volk, auch wenn es ihm gut geht, die Gegenwart als schwer erträglich und durch düstere Prophezeiungen die Zukunft als gefährdet und katastrophengeladen vorgaukeln, bis sogar Anwandlungen von Hysterie auftreten und durch Angstreaktionen erst die Gefahren heraufbeschworen werden, vor denen angeblich nur gewarnt werden soll.Ja, meine Damen und Herren, durch eine solche Politik der Unionsparteien ist die Ausrichtung der Entscheidungen der Wirtschaft und der Tarifpartner an den realen, von der Bundesregierung geschaffenen Stabilisierungschancen psychologisch außerordentlich erschwert worden, was leider der Zweck der Übung war. Die Verunsicherungskampagne im
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17305
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. MöllerBereich der sozialen Rentenversicherung sind ein Beispiel dafür, wie im vermeintlichen Interesse oppositioneller Wahlchancen ein Spiel sogar mit den Gefühlen unserer älteren Mitbürger getrieben wird.
Es mag für eine Opposition vertretbar erscheinen, mit aller Kraft auf die Regierung einzuschlagen. Die Politik einer Partei, die die Verunsicherung von Wirtschaft und Bevölkerung zum Ziel hat, ist aber dem Wohl der Bundesrepublik abträglich und eine schädliche Abart der Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke ?
Herr Kollege Möller, halten Sie die Aussagen der Sachverständigen von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, des Verbandes deutscher Rentenversicherungsträger, des Sozialbeirats beim Bundesarbeitsministerium und der Deutschen Bundesbank für sachfremd und das Ansehen dieser Bundesregierung schädigend?
Das habe ich alles schon Freitag vormittag gehört.
Darauf haben Sie eine sehr deutliche Antwort von Herrn Bundesminister Arendt bekommen.
Verehrter Herr Kollege, wenn Sie das anführen, dann — darauf muß ich Sie hinweisen — würden Sie sich also dieser Art der Beeinflussung der öffentlichen Meinung und der Verunglimpfung dieser Politik stabiler Sozialleistungen anschließen. Wäre es dann nicht aber logisch und konsequent, daß Sie, wenn Sie eine solche Gefahr sehen, etwa den Rentenerhöhungen von 11 °/o zum 1. Juli dieses Jahres nicht zustimmen?
Wenn Sie Gefahren in der finanzwirtschaftlichen Stabilität der Sozialversicherungsträger erkennen, dann müssen Sie daraus Konsequenzen ziehen,
dann dürfen Sie nicht weiter erhöhen, sondern müssen ein Stoppsignal setzen und bei diesem Stoppsignal die Auseinandersetzung zwischen der Opposition und der Regierungskoalition bis zum bitteren Ende führen.
Das haben Sie aber nicht getan.
Herr Abgeordneter Möller, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ich darf Sie fragen, Herr Kollege Möller, ob Sie die Bedenken Ihres Koalitionspartners FDP teilen, der haargenau die Bedenken der Sachverständigen noch am 20. Februar bei der Debatte über die 19. Rentenanpassung hier aufgegriffen hat?
Das habe ich alles gehört. Ich habe auch gehört, was Herr Kollege Schmidt dazu gesagt hat. Das ist ein positiver Beitrag in dieser Situation neuer Überlegungen,
hat aber nichts mit Ihrer Position und den dabei fehlenden Konsequenzen zu tun.
Gestatten sie noch eine Zwischenfrage?
Nein, ich meine zweimal genügt.
— Ja, das sagt Lessing; aber das sagt nicht der Kollege hier.
Es wird keine weitere Zwischenfrage gestattet.
Die ausgezeichnete Position der Bundesrepublik auf den Feldern der Stabilität und des sicheren Wohlstands ist überall unumstritten, nur leider nicht bei der Opposition.Die Unionsnparteien haben sich wahrscheinlich auch den Konjunkturbericht der FAZ vom 17. Mai — jetzt haben wir den 20. Mai — „Belebung auf breiterer Front" nicht angesehen, der so beginnt:Die Zweifel an einem Aufschwung, die in unserer Wirtschaft noch vor einigen Wochen gehegt wurden, sind jetzt einem erkennbaren Optimismus gewichen. Die jüngsten amtlichen Statistiken wie auch die Erwartungen der Unternehmen bestätigen die Prognose der deutschen Forschungsinstitute von Mitte April über die recht günstigen wirtschaftlichen Aussichten in der Bundesrepublik im weiteren Verlauf dieses Jahres. Die Industrie- und Handelskammern sind in der Beurteilung des weiteren konjunkturellen Verlaufs jetzt ebenfalls recht zuversichtlich.Die beiden Schlußsätze in diesem Konjunkturbericht der FAZ lauten:17306 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 197GDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. MöllerSeit Jahresanfang hat nun auch der deutsche Export kräftig aufgeholt, er war im ersten Quartal um 15 °/o höher als in der gleichen Zeit des Vorjahres. Also auch von dieser Seite her wird die Konjunktur in der Bundesrepublik wieder positiv beeinflußt.Das war ein Zitat aus dem Konjunkturbericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 17. Mai. Ich bin nun wirklich gespannt, wie die CDU/CSU die Durchhalteparole von der Schwarzmalerei weiter verfolgen bzw. wann sie sie aufgeben wird.Der Erfolg und die Kontinuität der Politik der sozialliberalen Koalition in den vergangenen Jahren läßt sich in einer einzigen Zahl verdeutlichen und beweisen: der Wert der Deutschen Mark gegenüber den Währungen aller anderen Länder ist seit 1969 um 43 °/o, gegenüber dem Dollar allein um 58 °/o gestiegen. Diese Zahl dürfte ein Vergleichsmaßstab für die Qualität unserer Stabilitätspolitik sein. Sie ist ein objektives Bewertungskriterium für die Stabilitätspolitik als Ganzes.Diese Zahl zeigt aber noch folgendes. Sie zeigt, daß wir es spätestens seit 1969 mit einer ganz anderen Dimension der stabilitätspolitischen Probleme zu tun hatten als in den Jahren vorher, in denen die Währungsordnung der festen Wechselkurse noch Bestand haben konnte. Die Notwendigkeit, sich in einem solchen Maße von einer andersgearteten Entwicklung in fast der gesamten übrigen Weltwirtschaft abzukoppeln und abzuschirmen, war eben früher nicht gegeben. Das ist, wenn es um eine vergleichende Erfolgsbilanz geht, der entscheidende Gesichtspunkt. Ihn zu leugnen wäre unredlich.Es ist nicht leicht, festzustellen, was die Oppositionsparteien als alternatives Konzept präsentieren. Ihre öffentlichen Äußerungen sind so widersprüchlich, daß man vermuten könnte, dahinter stecke mehr als politisches Unvermögen. Die CDU/CSU-Fraktion fordert Sparsamkeit und verspricht gleichzeitig Steuergeschenke in einem Umfang, der die Erfahrungen von 1965 noch übertrifft.
Sie fordert den Abbau von Defiziten, lehnt die dazu notwendige Steuererhöhung ab und will gleichzeitig Steuersenkungen durchsetzen. Hinter der Nebelwand offensichtlicher Widersprüchlichkeiten finden sich Vorstellungen und Aussagen, die so verklausuliert sind, daß man einige Mühe hat, sie zu analysieren.Lassen Sie mich, um nicht auf unkompetente Aussagen Mühe zu verschwenden, das finanzpolitische Programm kurz erwähnen, das Herr Kollege Strauß vor dem Institut Finanzen und Steuern am 7. April dieses Jahres ausführlich dargelegt hat. Die Prioritäten für die Finanzpolitik in den nächsten Jahren faßt Herr Kollege Strauß in fünf Punkten zusammen. Kennzeichnend sind vor allem die Punkte 3 und 4, nämlich:Abflachung der Wachstumsrate der Sozialleistungen — Durchforstung der Sozialzuschüsse, soweit keine Hilfsbedürftigkeit des Empfängers gegeben istund der nächste Punkt:Maßnahmen der Steuerpolitik zur Wachstumsförderung.Mit den Maßnahmen zur Wachtsumsförderung sind Steuererleichterungen für die Wirtschaft gemeint: Verbesserung der Abschreibungen, Senkung der Vermögensteuer, weiterer Abbau der Gewerbesteuer, Sonderabschreibungen. Diesen Steuergeschenken steht in finanzwirtschaftlich durchaus konsequenter Weise das gegenüber, was Herr Kollege Strauß vorsichtig „Durchforstung der Sozialzuschüsse" nennt. Wenn das die Zielrichtung des Unionskonzepts ist — Finanzierung von Steuerhilfen an die Wirtschaft durch Abflachung des Wachstums der Sozialzuschüsse —, dann wird auch erklärbar, warum die Aussagen der Union zu ihren vermeintlichen Alternativen so widersprüchlich sind;
denn es gehört nun wirklich Mut dazu, die Dinge so klar auszusprechen.Es gehört allerdings auch Mut dazu, wenn ausgerechnet uns Sozialdemokraten Herr Kollege Katzer am Freitag in der Debatte gefragt hat: „Meinen Sie eigentlich, daß die Renten in unserem Lande zu hoch sind?" Er kann nicht uns, sondern muß natürlich Herrn Kollegen Strauß und dessen Artikel im „Bayernkurier" vom 24. April dieses Jahres gemeint haben. Er hat uns nur vorgeschoben.
In diesem Artikel heißt es nämlich:
Die explosionsartige Kostenentwicklung in diesem Bereich wirft jedoch die Frage auf, ob die Belastbarkeitsgrenze unserer Volkswirtschaft mit kollektiven Soziallasten nicht bereits erreicht, wenn nicht gar überschritten ist.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Strauß sollte sich auch um die Leitsätze der CDU zur Familienpolitik kümmern. Da gibt es einen langen Katalog von Wünschenswertem, beginnend beim Erziehungsgeld bis zum dritten Lebensjahr Kosten etwa 1,4 Milliarden DM jährlich —, bis zur Kindergeldverbesserung und der jährlichen Anpassung — Kosten etwa 2,7 Milliarden DM jährlich —, aber zur Deckungsseite ist in dem CDU-Papier nichts gesagt. Erklärt wurde lediglich, daß der Finanzierungsbedarf durch Umschichtungen gedeckt werden solle, ohne daß Mehrkosten entstünden. Beispielhaft ist eine Änderung der Sparförderung durch Herabsetzung der Einkommensgrenzen genannt worden.Das alles kann man nun wirklich nicht mehr als seriös bezeichnen. So einfach haben wir Sozialdemokraten es uns in der Opposition nicht gemacht.
Zu unserem Regierungsprogramm gehörte immer ein finanzwirtschaftlicher Teil, den wir der Öffentlichkeit übergeben und vor sachverständigen Journalisten erörtert haben.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17307
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. MöllerMeine Damen und Herren, es ist unerläßlich, am Schluß unserer Haushaltsberatungen noch ein Wort zum Schicksal des Berufsbildungsgesetzes zu sagen.Die Bundesregierung hat im Hinblick auf die sich abzeichnenden Engpässe in der beruflichen Bildung am 18. April 1975 die Regierungsvorlage eines Berufsbildungsgesetzes eingebracht. Mit diesem Entwurf wollte die Bundesregierung eine Stabilisierung, Erweiterung und qualitative Verbesserung des Ausbildungsplatzangebots und des Ausbaus der beruflichen Schulen sicherstellen, weil die geburtenstarken Jahrgänge der 60er Jahre spätestens ab 1977 ihren verfassungsrechtlichen Anspruch auf Ausbildung geltend machen werden. Als um so unverständlicher und verantwortungsloser muß das Verhalten der Unionsparteien in Bundestag und Bundesrat bezeichnet werden, mit dem dieses für junge Menschen entscheidend wichtige Gesetz durch die kompromißlose Ablehnung im Bundesrat blockiert wurde.
Ich muß in diesem Zusammenhang an die Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten Dr. Kohl am 20. Juni 1973 im Mainzer Landtag erinnern. Herr Kollege Kohl erklärte — ich zitiere —:Wir gehen davon aus, daß eine Reform der beruflichen Bildung ein neues Finanzierungssystem für die betriebliche Ausbildung verlangt. Dabei wird es notwendig sein, auch jene Betriebe stärker zur Finanzierung der beruflichen Bildung heranzuziehen, die sich nicht unmittelbar an der für die gesamte Wirtschaft erforderlichen Ausbildung des Nachwuchses beteiligen.In den letzten Monaten hat man von der CDU/CSU nun gehört, daß ein Finanzierungsinstrumentarium für die berufliche Bildung überhaupt unnötig sei. Dann schwenkte sie zu Abschreibungsregelungen für Berufsbildungsinvestitionen um, und jetzt ruft sie nach dem Staat und fordert Steuerprämien für ausbildende Betriebe auf Kosten der Steuerzahler. Was hat diese Forderung mit Sparen bei Staatsfinanzen zu tun, wenn es sich z. B. bei dem RheinlandPfalz-Vorschlag im Bundesrat um den Entzug von Steuergeldern in Höhe von 2 Milliarden DM jährlich handelt?
Die sozialliberale Koalition wird vor dem mehrheitlichen Bundesratsbeschluß ganz sicher nicht kapitulieren.
Sie ist gewillt, noch in dieser Legislaturperiode ihr Bemühen, die berufliche Bildung zu einem gleichwertigen Bestandteil unseres Bildungswesens zu machen, im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten zu realisieren.Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir nun noch einige Bemerkungen zu der politischen Grundsatzdiskussion in der zweiten Lesung des Bundeshaushalts 1976. Die Debatte hat mich an eine Aussage erinnert, die der damalige Vorsitzende unsererPartei, Kurt Schumacher, auf dem 2. SPD-Parteitagnach dem zweiten Weltkrieg gemacht hat. Sie lautet:Die Demokratie beruht auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und der Ehrlichkeit. Die Demokratie kann nur leben, wenn die Menschen selbständig sind und den Willen zur Objektivität haben. Aber die technokratische und geradezu kriegswissenschaftliche Handhabung der politischen Mittel führt zum Gegenteil.
Wer mit Diffamierungsformeln Sozialdemokraten in die Nähe von Kommunisten rücken will, hat ganz sicher keinen Willen zur Objektivität und betreibt eine geradezu kriegswissenschaftliche Handhabung der politischen Mittel.
Darunter leidet aber in allererster Linie unsere Demokratie, deren Lebens- und Funktionsfähigkeit auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und Ehrlichkeit beruht. Wer aus parteiegoistischen Gründen das Feuer der Verketzerung bevorzugt, verletzt in jeder Weise die primitivsten Regeln des demokratischen Miteinander.
Herr Kollege Carstens hat am 11. Mai in der Aussprache über den Etat des Bundeskanzlers folgende Behauptung aufgestellt:In dieser gegenwärtigen politischen Landschaft— nun nehmen Sie bitte all Ihre Phantasie zusammen —sind CDU und CSU die politische Kraft, die liberale und soziale Ziele in klarer Abgrenzung zu sozialistischer Bevormundung vertreten und zugleich die Interessen unseres Volkes nach Osten und nach Westen wahrnehmen.
— Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, wassie tun. Dies muß ich sagen, wenn Sie jetzt klatschen.
Dazu ist schlicht und klar festzustellen, daß die Interessen unseres Volkes ab 21. Oktober 1969 von der sozialliberalen Bundesregierung als verantwortlich zeichnender Kraft nicht nur wahrgenommen werden, sondern daß darüber hinaus für unser Volk in der Bundesrepublik Deutschland Ansehen, Anerkennung und Respekt in Ost und West, Nord und Süd in einem noch nie dagewesenen Ausmaß sichergestellt werden konnten.
Gustav Heinemann hat 1969 bei der Überreichung der Ernennungsurkunden an das erste sozialdemokratisch geführte Bundeskabinett in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland seine Ansprache mit den Worten geschlossen:
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17308 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. MöllerNiemand von uns ist der Staat. Auch Ihnen ist nicht mehr als kontrollierte Macht auf Zeit anvertraut. Nutzen Sie diese Zeit!
Den Auftrag des Grundgesetzes und den Wählerwillen haben wir Sozialdemokraten nie anders verstanden. Die Zeit haben wir zum Wohle des deutschen Volkes genutzt und werden das weiter tun. Vor allem haben wir den Leitgedanken unseres Grundgesetzes, wie er in Art. 20 durch die Feststellung formuliert wurde, daß die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat ist, stets als bindenden Auftrag zum Ausbau und zur Festigung unseres Sozialstaates betrachtet. Insofern bedeutet es eine unerträgliche Anmaßung, wenn Herr Kollege Carstens die Unionsparteien als die politische Kraft hinzustellen versucht, die liberale und soziale Ziele in klarer Abgrenzung zu sozialistischer Bevormundung vertritt. Es ist eine infame Unterstellung, in unserem Land überhaupt von einer sozialistischen Bevormundung zu sprechen.
Gerade mit der Übernahme der Regierungsverantwortung durch die sozialliberale Koalition ist der Raum der Demokratie zum Nutzen der Freiheit des einzelnen beachtlich erweitert worden. Wir Sozialdemokraten haben die Vergrößerung und die Absicherung des Freiheitsraumes der Bürger unseres Staates niemals als Gefälligkeiten, freiwillig zugestandene Vergünstigungen oder gar als „Gratifikationen" verstanden, wie Herr Kollege Strauß die Maßnahmen der Sozialpolitik einmal abqualifizierte. Für uns Sozialdemokraten sind die Leistungen, die mehr soziale Sicherheit garantieren, untrennbar verbunden mit der Erweiterung des individuellen Freiheitsraumes, der Vergrößung des Freiheitsraumes schlechthin. Hierin sehen wir auch die unmittelbare Verknüpfung und widerspruchsfreie Abstimmung des Godesberger Programms und des Grundgesetzes.Den Ausbau der sozialen Sicherheit im demokratischen Staat betrachten wir als unsere ständige Aufgabe, und deshalb frage ich:Nennen Sie, Herr Kollege Carstens, es sozialistische Bevormundung oder, wie es Herr Kollege Strauß anläßlich des CSU-Wahlkongresses am 8. Mai 1976 in München nannte, einen „kollektivistischen, funktionärsgesteuerten Bevormundungsstaat", wenn den älteren Arbeitnehmern das Recht auf flexible Altersgrenze eingeräumt wird? Dieses Recht nehmen nämlich mittlerweise 80 % der Alteren in Anspruch und entscheiden damit in freier Selbstbestimmung—, in freier Selbstbestimmung! — ob sie früher Rente beziehen wollen.Nennen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, es kollektivistische, sozialistische Bevormundung, wenn durch die Dynamisierung der Kriegsopferrenten leidgeprüfte Menschen davon befreit wurden, alljährlich für ihre Rentenanpassung demonstrieren zu müssen?Nennen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, es kollektivistische, sozialistische Bevormundung, wenn die Betriebsrenten bei einem I Wechsel des Arbeitsplatzes nicht mehr verfallen können und dem Arbeitnehmer dadurch das Recht auf freie Arbeitsplatzwahl ohne materiellen Nachteil gesichert ist?Nennen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, es kollektivistische, sozialistische Bevormundung, wenn den Arbeitnehmern durch das Betriebsverfassungsgesetz, das Personalvertretungsgesetz und durch Mitbestimmung die Freiheit zur verantwortlichen Mitwirkung garantiert wird?Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, diese Fragen ehrlich beantworten — und legen Sie doch bitte die mir unbegreifliche Scheu vor ehrlichem Umgang mit Ihrem politischen Gegner einmal ab! —, dann werden Sie Ihre Gespensterformel in den Orkus werfen.
Lassen Sie mich zum Schluß einige Worte der Begründung zu dem von den Fraktionen der SPD und der FDP eingebrachten Entschließungsantrag sagen.Mit diesem Antrag soll über den hier zu beratenden Haushaltsplan 1976 hinaus deutlich gemacht werden, daß dieser Bundeshaushalt in der Kontinuität einer Finanz- und Wirtschaftspolitik steht, die die Bundesrepublik vergleichsweise am besten durch die schwierige Phase der weltwirtschaftlichen Rezession geführt hat und die mit diesem Haushalt gleichzeitig die Grundlage für die erfolgreiche Fortsetzung der Politik der sozialliberalen Koalition schafft. Die Rezession wurde überwunden. Die öffentlichen Haushalte sind in einem bisher nicht gekannten Ausmaß zur Konjunkturstützung eingesetzt worden. Der Haushalt 1976 trägt noch deutlich die Merkmale des konjunkturpolitisch Gebotenen. Er enthält aber auch bereits die ersten wesentlichen Maßnahmen zur finanziellen Konsolidierung, die im Zuge der wirtschaftlichen Erholung zwingend notwendig ist. Mit unseren Beschlüssen zur Einnahmeverbesserung haben wir deutlich gemacht, was wir als finanzpolitische Konsequenz der Kräftigung der Wirtschaft ansehen: durch den allmählichen Rückzug des Staates von den Kreditmärkten dem Bedarf der Wirtschaft an Investitionsfinanzierung stabilitätsgerecht Raum zu schaffen. Gleichzeitig sind die Voraussetzungen dafür entstanden, den Finanzbedarf des Staates auf die künftige Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft abzustimmen. Dadurch wird es möglich sein, die Reformpolitik der sozialliberalen Koalition in finanzpolitischer Verantwortung fortzusetzen.Die innere Stabilität in unserem Lande ist eine Folge unserer bisherigen Reformpolitik, die das System der sozialen Sicherheit und der Freiheitsrechte den Anforderungen der modernen Gesellschaft angepaßt hat. Die Bundesrepublik konnte sich — so heißt es im Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank — „während der weltweiten Rezession durch ihren aufnahmefähigen Binnenmarkt als eine wichtige Stütze des Welthandels und der Konjunktur ihrer Partnerländer erweisen". So ist unsere internationale wirtschaftliche Position entstanden,
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerdie uns heute vor die Herausforderung stellt, Erwartungen gerecht zu werden, die von außen in uns gesetzt werden. Diesen Zusammenhang deutlich zu machen ist auch Sinn des vorgelegten Entschließungsantrags.Wir betonen ausdrücklich den engen Zusammenhang von Innen- und Außenpolitik. Ohne eine auf enge Zusammenarbeit gerichtete Außenpolitik, die eine weltweite Friedenssicherung zum Ziel hat, wäre die erfolgreiche Bekämpfung der Weltwirtschaftskrise nicht möglich gewesen. Die einstimmige Nominierung der Bundesrepublik Deutschland für den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist ein Zeichen des uns entgegengebrachten internationalen Vertrauens, auf das wir stolz sind.Wir unterstützen die Bemühungen der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaften. Die Entspannungspolitik der Bundesregierung hat für Berlin und darüber hinaus für alle Deutschen in Ost und West sichtbare Erleichterungen gebracht. Der Bundeshaushalt 1976 ist Ausdruck einer Politik des Ausbaus und der Stärkung des demokratischen und sozialen Bundesstaates. Diese Politik wollen SPD und FDP gemeinsam fortsetzen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Höcherl hat am Donnerstag der vorigen Woche Abschied genommen von seiner politisch-parlamentarischen Arbeit in diesem Hohen Hause. Er hat damit den Wunsch verbunden, als Pensionär auf der kommenden Regierungsbank eine andere Besetzung vorzufinden. Ich kann diesen Wunsch verstehen.
Sie aber werden verstehen, so hoffe ich, daß mein Wunsch dahin geht, daß auf der kommenden Regierungsbank wieder der Bundeskanzler Helmut Schmidt und der Bundesaußenminister Genscher mit ihren Freunden Platz nehmen.
Ich bin zuversichtlich, daß eine solche Fortsetzung der sozialliberalen Koalition in bewährter Führung durch Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher dafür sorgen wird, daß die Politik der letzten sieben Jahre
ein weiteres festes Fundament findet im Interesse unseres leidgeprüften Volkes und — —
— Ich habe kein Verständnis für eine solche Reaktion.
Denn daß es sich bei unserem Volk — mit zwei Weltkriegen, dem Dritten Reich, mit dem Regime der Besatzungsmächte und allem, was folgte — um ein leidgeprüftes Volk handelt, kann doch bei Gott niemand bestreiten.
Es kann sich gegen eine solche Feststellung nur jemand wehren, der es verabsäumt, diesem Volk für die Zukunft Leid zu ersparen.
Meine Damen und Herren, es wird mir vielleicht erlaubt sein zu sagen, daß das ganze Haus an dieser Stelle Herrn Dr. Möller für sein lebenslanges Wirken für Deutschland dankt.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Leicht.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum ehrlichen Umgang, den auch wir als ein Prinzip in der Politik betrachten,
gehört es auch — selbst wenn es einem auf Grund dessen, was man soeben gehört hat, sehr schwer fäll —, Herrn Professor Dr. Alex Möller auch von der Opposition her für sein Wirken nicht nur in diesem Bundestag, sondern auch in Landtagen unseren Dank auszusprechen.
Wir können uns vorstellen, Herr Professor Dr. Möller, daß Sie, auch wenn Sie nicht mehr in den Bundestag zurückkehren, Arbeit genug haben werden, um uns vielleicht noch das, was ich so an Ihnen geschätzt habe, zu vermitteln.Weniger gefallen hat mir das, was Sie in Ihrer Rede gesagt haben,
und zwar deshalb, weil ich der Meinung bin, daß hier der ehrliche Umgang oft gefehlt hat.
Sie haben das Jahr 1965 erwähnt. Ich möchte jetzt nicht zu lange rückwärts blickend auf diese lange Passage eingehen. Ich glaube aber, wir dürfen nicht der damaligen Regierung die Schuld geben, sondern müssen die Schuld diesem Hohen Hause geben, das die Wahlgeschenke — mit Ihnen — verteilt hat.
Ich muß sagen, ich kann das, was Herr Kollege Barzel in der vergangenen Woche gesagt hat, nicht
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Leichtbesser formulieren. Ich werde nachher darauf eingehen müssen. Er hat es, meine ich, hervorragend verstanden, die drei Punkte hinzustellen, auf die es ankam.Ein Wort zur Frage der Aufwertung, Herr Kollege Dr. Alex Möller. Sie haben damals, wie Sie richtig sagten, ein Papier erstellt, daß die Argumente für und die Argumente gegen eine Aufwertung herausgestrichen hat. Gegen eine Aufwertung sprachen bei Ihnen 21 Punkte, für eine Aufwertung acht. Sie haben dann wahrscheinlich die Beurteilung den anderen überlassen. Denn anders ist es bei 21 schwergewichtigen Punkten, die gegen eine Aufwertung, und acht Punkten, die für eine Aufwertung sprachen, nicht zu erklären, daß Sie sich für eine Aufwertung ausgesprochen haben, obgleich der normale Mensch glauben mußte, daß Sie gegen die Aufwertung gewesen seien.
Bevor ich zum Haushalt 1976 in dritter Lesung im Zusammenhang Stellung nehmen möchte, noch ein Wort zur Berufsbildung. Auch wir wollen Berufsbildung. Wenn wir das Gesetz verhindert haben, dann nur deshalb, weil wir der Meinung waren, daß dieses Gesetz, so wie es vorgelegt worden ist, die Schaffung von Ausbildungsplätzen eher verhindert als vermehrt.
Ich nehme an, daß unsere Länder und auch die Opposition in der Lage sein werden, diese Sache richtig zu regeln.
Lassen Sie mich jetzt zu meinen Ausführungen zur dritten Lesung des Haushalts kommen. Wer die Haushaltsdebatte der vergangenen Woche auf die finanz- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Bundesregierung hin untersucht, wird wenig Konkretes dazu finden. Anstatt der deutschen Öffentlichkeit Aufklärung darüber zu geben, wie die verheerenden Staatsdefizite abgebaut werden sollen, ein angemessenes Wirtschaftswachstum erreicht, die immer noch hohe Arbeitslosigkeit von mehr als i Million Mitbürgern beseitigt werden soll, wurden nur Beteuerungen abgegeben, wie richtig die finanzpolitische Grundlinie in allen Jahren seit 1969 gewesen sei.Ein Großteil der Problme, über die heute gesprochen werden muß, wäre nicht oder nicht in der Schärfe entstanden, wenn unsere eindringlichen, ja beschwörenden Warnungen und Mahnungen beherzigt worden wären.
Die sozialliberale Koalition handelt auf wirtschafts- und insbesondere finanzpolitischem Gebiet immer erst dann, wenn sie unter dem Druck der sich verschärfenden Verhältnisse dazu gezwungen wird. Für die vergeßliche Öffentlichkeit hat sie immer eine Entschuldigung bereit: Vorteilhafte Entwicklungen sind das Ergebnis zielstrebiger Politik, ungünstige Entwicklungen haben andere verschuldet, insbesondere das Ausland.
Ihre schwerwiegenden Fehler versucht die Bundesregierung dadurch zu verdecken, daß sie von der Opposition ständig Vorschläge und Alternativen zu ihrer verfahrenen Politik verlangt. Als ob die Opposition, meine Damen und Herren, für den Regierungskurs verantwortlich ist!Die Regierung, die über einen vieltausendköpfigen Informations- und Verwaltungsapparat verfügt, die allein im Besitz vieler Informationen vertraulicher Art ist, ruft ständig nach konkret durchgerechneten, detailierten Vorschlägen von der Opposition. Wahrlich eine kuriose Auffassung von Demokratie! Opposition heißt in erster Linie, Kontrollorgan der Regierung zu sein, und die Öffentlichkeit müßte geradezu aufschrecken, wenn die mahnende Stimme der Opposition leiser würde! Hier, Herr Kollege Möller, haben Sie in Ihrer Rede einen Passus gehabt, der der Opposition nach Ihrer Meinung praktisch verbieten will, zu Problemen im politischen Bereich Stellung zu nehmen.Ich möchte mich nicht lange mit der Vergangenheit dieser Regierung beschäftigen und nur so viel sagen, wie nötig ist, um klarzumachen, daß meine Worte und Feststellungen untermauert sind: Bundeskanzler Brandt gab jahrelang unaufgefordert und ökonomisch unsinnig Erklärungen ab, die eine Vollbeschäftigungsgarantie beinhalteten. Er hat damit geradezu lohnpolitische Ansprüche herausgefordert. Willy Brandt war es auch, der die Anspruchsinflation in unserem Lande erzeugt hat,
indem er allen Gruppen einredete, welche Ansprüche sie haben. Der heutige Bundeskanzler hat das alles nicht nur mit zu verantworten, er hat die wirtschafts-und finanzpolitischen Probleme auch verharmlost oder verfälscht dargestellt. Eine solche Verfälschung ist z. B. die Behauptung, die Wirtschafts- und Finanzkrise sei durch internationale Ereignisse und Abhängigkeiten verursacht worden. Hier sind wir beim Problem, das Sie Herr Barzel, in der vergangenen Woche so gut dargestellt haben.Die Rücktritte — ich muß sie nun bringen — von Alex Möller und Karl Schiller und vor allen Dingen deren Begründungen Herr Möller, ich könnte den Brief hier vorlesen; das wäre für die deutsche Öffentlichkeit sehr interessant —
sagen anderes aus.
Ich will schwerwiegende Einflüsse internationaler Art auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik keineswegs in Abrede stellen, meine Damen und Herren; aber sie reichen nicht aus, um die heutige Wirtschafts- und Finanzlage der Bundesrepublik zu erklären. Dazu drei Beispiele: Erstens gehört doch die Bundesrepublik zu den wenigen Industrieländern, die die Ölpreisverteuerung dank ihrer starken Devisenposition, die wir ja mitbegründet haben, noch vergleichsweise am besten und schnellsten verkraftet haben. Zweitens sind Fehlentwicklungen z. B. im einseitig binnenwirtschaftlich orientierten Bausektor eher durch falsche Planung im Wohnungsbau und als Folge der aus Inflationsangst re-
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Leichtsultierenden Flucht in das, wie ich sage „Betongold" entstanden. Schließlich haben die abnorm hohen Lohnkosten in manchen Industriebereichen deren Wettbewerbsfähigkeit einfach gemindert.Die Wirklichkeit sieht so aus: Diese Bundesregierung hat im Steuereinnahmerausch der Hochkonjunktur das Gefühl für die Begrenzung öffentlicher Leistungen und die Bedeutung der fiskalpolitischen Funktion der Steuer verloren! Anstatt unseren Forderungen nach frühzeitiger und wirkungsvoller Dämpfungspolitik zu entsprechen, hat sie in unverantwortlicher Weise, wie ich meine, den staatlichen Korridor weiter ausgedehnt, weil sie der von ihr erzeugten Anspruchsinflation nicht mehr Herr wurde.
Ich nehme an, mein Kollege Dr. Zeitel wird nachher auf das Problem der Staatsquote, des Staatsanteils eingehen. So stiegen in der Zeit von 1970 bis 1975 die gesamten Staatsausgaben, also einschließlich der Sozialversicherungsleistungen, um 121 %, während das nominale Bruttosozialprodukt in diesem Zeitraum nur um 71,5 % angewachsen ist. Daß hier etwas nicht stimmt, versteht auch der Laie. Gerade in den Jahren 1970 bis 1973, also noch in der Zeit, meine Damen und Herren von der Koalition, in der es noch keine Rezession gab, zumindest aber noch keine spürbar war,
in der der heutige Bundeskanzler sein finanzpolitisches Können als Bundesfinanzminister hätte unter Beweis stellen sollen, hatten wir durchschnittlich Steigerungsraten von fast 12 °/o beim Bundeshaushalt zu verzeichnen.
Anstatt gerade in der Boomphase dieser Zeit die Haushaltspolitik antizyklisch zu gestalten, also Zurückhaltung beim Staatskonsum an den Tag zu legen, hat die Bundesregierung einen Sockel festgelegter Ausgaben geschaffen, der uns das hohe strukturelle Defizit beschert hat.Wenn einige von Ihnen immer wieder behaupten, die hohen Defizite des Bundeshaushalts seien ausschließlich konjunkturbedingt, so ist dies eine bewußte Verfälschung!
Selbst der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung — wir dürfen uns ja hoffentlich wohl auch dieser Quelle bedienen — bestätigt eben diese Aussage in seinem Gutachten vom November 1975. Ich möchte mit Genehmigung der Frau Präsidentin wie folgt zitieren:Wie in einem Lehrbeispiel treffen Probleme in der Finanzpolitik der frühen 70er Jahre— damit hatten w i r nichts zu tun —zusammen: Vorangetrieben durch aufgestauteErwartungen kam es beim Staat zu einer Kumulation von — in der Mehrzahl ausgabenerhöhenden — Reformvorhaben, ohne daß zugleich der energische Versuch unternommen wurde, die öffentlichen Haushalte auf Einsparungsmöglichkeiten und die Bereitstellung öffentlicher Leistungen auf Effizienzsteigerungen hin zu überprüfen.
Ein zweites Zitat:Die Gebietskörperschaften haben seit Anfang der 70er Jahre nicht zuletzt in der Absicht, Reformen zu verwirklichen, ihre Haushalte weit stärker ausgedehnt, als sich auf längere Zeit durch zusätzliche Steuereinnahmen als stabilitätskonform finanzierbar erwies.Man könnte diese Zitate fortsetzen. Ich will es nicht tun. Auch die Bundesbank, die es in der Vergangenheit ja oft an sehr unterstützenden Erklärungen zugunsten der Bundesregierung nicht hat fehlen lassen, äußerte sich in ihrem neuen Geschäftsbericht, daß in der mittelfristigen Finanzplanung manche Entwicklung der Vergangenheit allzu bedenkenlos extrapoliert worden war und nun eine strukturelle Deckungslücke geschlossen werden muß.
Allein diese Feststellungen dürften genügen, meine Damen und Herren, um die Begründung von der zweiten Weltrezession und ihren Einflüssen unglaubwürdig erscheinen zu lassen.
Unter dem Eindruck der von der Bundesregierung erweckten Erwartungen in der Öffentlichkeit hat der Bund mit einer überzogenen Reformhektik eine expansive Finanzpolitik betrieben und in der Ausgabenpolitik wenig getan, um die inflatorischen Tendenzen zu mindern. So sind die Bundesausgaben seit 1969 bis 1974 — also ehe die Ausgabenexpansion geboten war — um mehr als 60 °/o gestiegen; das sind durchschnittlich rund 12 °/o im Jahr. Gleichzeitig hat sich ein Finanzierungsdefizit von über 10 Milliarden DM ergeben, nachdem 1969 — daran gibt es nichts zu rütteln, Herr Kollege Möller —noch Schulden abgebaut worden sind, also ein Finanzierungsüberschuß erzielt worden ist. Dabei handelt es sich noch um Jahre, in denen die Bundesregierung durch verschiedene einnahmepolitische Maßnahmen — ich glaube, es waren 12 an der Zahl — versucht hat, antizyklisch zu wirken und den von ihr zu verantwortenden Inflationsprozeß wieder etwas einzudämmen. Doch dieses Vorhaben war deswegen mehr oder weniger zum Scheitern verurteilt, weil die Bundesregierung nicht bereit war, die Ansprüche an den Staat zurückzuschrauben und so die Ausgaben zu drosseln.Schon diese falsche Politik, nicht erst die Bekämpfung der Rezession seit 1975, hat die Verschuldung des Bundes merklich erhöht.Ich möchte die schon bekannten Zahlen wiederholen, selbst wenn es für einige unangenehm ist. Sämtliche von der jetzigen Opposition geführte
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17312 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
LeichtBundesregierungen haben bis zum Jahre 1969, also in 20 Jahren, nur Nettokredite von rund 14 Milliarden DM aufgenommen.
Allein in den ersten fünf Jahren Regierungszeit der gegenwärtigen Koalition, also bis 1974, sind nahezu 20 Milliarden DM Bundesausgaben aus Krediten finanziert worden. Insgesamt betrug die Neuverschuldung in den 20 Jahren der CDU/CSU-Regierung ein Fünftel dessen, was diese Bundesregierung 1975 und 1976 neu an Schulden macht.
Die wachsende kurzfristige Verschuldung des Bundes zeigt sich auch schon in jenen Jahren in einem wachsenden Anteil der Zinsausgaben an den Bundesausgaben: Damals waren über 15 Milliarden DM Zinsausgaben zu leisten. Das waren schon mehr als 3 °/o der Ausgaben des Bundes. Wem dies wenig erscheint, den darf ich darauf aufmerksam machen, daß 1976 der Anteil der Zinsausgaben mit 41/2 °/o bereits höher liegt als die Quote der Ausgaben für den Straßenbau.Am vergangenen Donnerstag, Herr Kollege Möller, bezeichnete der Herr Finanzminister als den „richtigen Maßstab" für die Wertung der Bundesschulden ihr Verhältnis zum Bruttosozialprodukt. Er zählte dann die Prozentsätze auf, zu Recht beginnend mit dem Rezessionsjahr 1967, als Franz Josef Strauß das Finanzministerium übernommen hatte. Auch ich habe noch gute Erinnerungen an diese Zeit.Er zählte also auf: 1967 8,2 °/o, 1968 8,5 °/o. Das ging weiter bis 1973 mit 6,2 °/o. Dann stockte er in der Aufzählung. Ganz offensichtlich merkte er erst jetzt, daß der Anteil in den folgenden Jahren, in denen er Finanzminister war, ganz gewaltig nach oben ging und geht.
1974 belief sich der Anteil der Bundesschuld am Bruttosozialprodukt nämlich schon auf 7,0 °/o, Ende 1975 auf 10,3 °/o.
Nach der derzeitigen Kreditplanung wird der Anteil Ende 1976 auf 111/2 °/o steigen, also noch gut 400/o höher sein als in der letzten Rezession im Jahr 1967.Diese expansive Schuldenpolitik des Bundes erreichte im Jahr 1975 ein Ausmaß, das alle bisher gekannten Größenordnungen übertrifft. Allein im Jahr 1975 hat der Bund rund 40 Milliarden DM auf dem Kapitalmarkt aufgenommen.Sicherlich war es richtig, die Kreditaufnahme in Anbetracht der konjunkturellen Schwierigkeiten deutlich erhöhen.
Aber wir widersetzen uns einer Politik, Herr Kollege Blank, die sich anmaßt, dies zum Dauerzustand werden zu lassen!
Die Finanzplanung auch dazu darf man ja einWort sagen —
1975 bis 1979 legt doch offen, wohin wir treiben. Die Bundeshaushalte künftiger Jahre werden kaum noch Bewegungsspielraum haben. Die konsumtiven Ausgaben dominieren, die investiven Ausgaben stagnieren, die Schuldendienstleistungen eskalieren.In Zahlen ausgedrückt sieht das für den Schuldendienst folgendermaßen aus: 1976 28,5 Milliarden DM, 1977 29,1 Milliarden DM, 1978 34,5 Milliarden DM, 1979 37,9 Milliarden DM.
Ich möchte nicht den Vergleich mit dem Verteidigungsministerium ziehen, aber die Feststellung treffen: Schon 1978 machen nach diesen Zahlen die Schuldendienstausgaben die Hälfte aller Ausgaben im sozialen Bereich aus!
Diese Entwicklung stellt uns vor Konsolidierungsprobleme, die Lösungen erfordern, die bis in die 80er Jahre hineinreichen. Es sind Probleme von gesellschafts-, ja staatspolitischem Rang. Es geht um die Sauberkeit und um die Funktionsfähigkeit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung!
Wollen wir unseren Sozialstaat nicht gänzlich aus den Angeln heben, dann müssen wir zu echten Ausgabenkürzungen bereit sein.Genau das scheint die Bundesregierung hei ihrem sogenannten Konsolidierungsprogramm übersehen zu haben. Der Bundesfinanzminister wird nicht müde zu erklären, daß er durch Haushaltsverbesserungen von insgesamt 96 Milliarden DM für die Jahre 1976 bis 1979 die Neuaufnahme von Bundesschulden auf ein gesamtwirtschaftlich erträgliches Maß begrenzen will. Diese Erklärung erweckt den Eindruck gewaltiger Anstrengungen. Doch die Fassade bröckelt sehr schnell ab, wenn man sie abklopft:
Von den 96 Milliarden DM weist der Bundesfinanzminister selbst 32 Milliarden DM Einnahmeverbesserungen und 64 Milliarden DM Ausgabenkürzungen aus.
— Warten Sie doch einmal ab, Sie haben die Rechnungen noch nicht gemacht, Herr Blank. — Das entspricht aber keineswegs der Wirklichkeit; denn in den 64 Milliarden DM sind allein 18 Milliarden DM aus der Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung enthalten. Auch das ist wieder, wenn Sie so wollen, ein Versuch der Irreführung der deutschen Öffentlichkeit.
Selbst die übrigbleibenden Ausgabenkürzungen von höchstens 46 Milliarden DM erscheinen noch
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Leichtunrealistisch, wenn man einen Blick auf die Entwicklung der Bundesfinanzen im Jahre 1975 wirft. Noch im Herbst letzten Jahres — das muß man sich einmal vorstellen — bei der Einbringung des Nachtragshaushaltes will der Bundesfinanzminister nichts davon gewußt haben, daß er am Jahresende mit einer Haushaltsverbesserung von beinahe 8 Milliarden DM abschließen wird. Offenbar fehlt Ihnen, Herr Bundesfinanzminister — dafür hätte ich Verständnis —, die ausreichende Übersicht über den Haushaltsvollzug; denn sonst wäre Ihnen bekannt, daß sich durch das Fahren eines Haushalts immer allein zwischen 4 und 5 Milliarden DM einsparen lassen.Und noch eines sei hier angemerkt. Fehlschätzungen in der Größenordnung, wie wir sie im Jahre 1975 erlebt haben, hat es zu Zeiten von Unionsregierungen im Bundesfinanzministerium niemals gegeben.
Der Herr Bundeskanzler hat am 11. Mai dieses Jahres von dieser Stelle aus erklärt — ich darf zitieren, Frau Präsidentin —:... als wir also im September/Oktober— des vergangen Jahres! —sahen, daß sich das Blatt wendet, haben wir schon zu jenem frühen Zeitpunkt dafür gesorgt, daß sich niemand darin täuscht, als ob sich die großen zusätzlichen Inanspruchnahmen der Kreditmärkte und die großen zusätzlichen Ausweitungen der Ausgaben des Staates für die Zukunft fortsetzen würden.So weit das Zitat. Ich möchte sagen, daß das sogar richtig gewesen ist.Wenn Ihnen das damals schon bekannt war, ist aber die Frage zu stellen: Warum hat die Bundesregierung dann am 26. September den Nachtragshaushalt 1975 mit einem Kreditvolumen von rund 15 Milliarden DM in diesem Hohen Hause unreduziert durchgesetzt? Sie sprechen doch damit Ihrem Finanzminister, Herr Bundeskanzler, indirekt das Vermögen ab, die damalige Situation richtig eingeschätzt zu haben.In der Tat hat er das nicht, wenn er behauptet, der Überschuß von 8 Milliarden DM im Jahre 1975 sei das Ergebnis einer kontinuierlichen Schuldenpolitik. Die 8 Milliarden DM Kassenüberschuß am Jahresende sind doch in Wirklichkeit die Folge von 5 Milliarden DM konjunkturbedingter Minderausgaben —
z. B. über eine Milliarde DM weniger Zinsleistungen und sonstige Dinge — und fast 3 Milliarden DM Mehreinnahmen. Erstaunlich ist nur, daß die echte Kreditaufnahme in diesem Jahr, 1976, noch erheblich über dem Vorjahresstand liegt, obwohl Sie landauf, landab ziehen, Herr Finanzminister, und heraustrompeten: Der Aufschwung ist da.Entweder kommt der Aufschwung tatsächlich, den wir uns im Interesse unserer Bürger alle wünschen. Dann hätten Sie auch die Pflicht gehabt, unseren Antrag auf Erhöhung der globalen Minderausgabe auf 4,8 Milliarden DM zu unterstützen. Oder derAufschwung kommt nicht in dem erwünschten Maße, weil das, was wir im Moment haben, unter Umständen nur eine vorübergehende Scheinblüte sein könnte. Dann aber sollten Sie der deutschen Öffentlichkeit reinen Wein einschenken.In jedem Fall wird sich ein Großteil der Haushaltsverbesserungen, die zu dem sogenannten Überschuß von rund 8 Milliarden DM geführt haben, auch in den Jahren 1976 und 1977 positiv auswirken. Der Bundesfinanzminister hat dem insofern Rechnung getragen, als er sich mit einer Verringerung des Ausgabevolumens von 4 Milliarden DM und einer Erhöhung des Einnahmeansatzes um rund 2 Milliarden DM im Haushaltsausschuß bereit erklärt hat. Der Haushaltsausschuß hat dann so beschlossen.Das ist aber nicht etwa das Ergebnis von Sparsamkeit, Herr Bundesfinanzminister, sondern, wenn man so will, das Ergebnis Ihrer Schludrigkeit. Es waren doch die korrigierten Schätzansätze und nicht echte Kürzungen, die zu der Reduzierung des Nettokreditbedarfs von 38,6 auf jetzt 32,7 Milliarden DM geführt haben.Auch aus konjunkturpolitischer Sicht ist der hohe Kreditbedarf, Herr Kollege Blank, 1976 nicht vertretbar. Sie selbst haben immer betont, daß die öffentlichen Hände bei anspringender Konjunktur die Kapitalmärkte für private Nachfrager räumen müßten.Was ist denn aus diesen Ankündigungen geworden? Der Bund hat vielleicht das eine oder andere getan. Aber hier geht es doch um die gesamte öffentliche Hand, deren Verschuldung im Wettbewerb mit der Privatwirtschaft steht, die ja mehr leisten soll.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Blank.
Selbstverständlich.
Herr Kollege Leicht, können Sie nicht bestätigen, daß die Kollegen des Schuldenausschusses gemeinsam der Meinung waren, daß die Schuldaufnahme eben aus den Gründen, die in dem Referat von Herrn Möller vorgetragen worden sind, zweckmäßigerweise in der ersten Jahreshälfte 1976 unterzubringen sei?
Ich habe auch nichts anderes gesagt. Ich habe im Gegenteil gesagt, daß sich der Bund hier richtig verhalten hat. Aber es kommt nicht auf den Bund allein an, sondern auf die Verschuldung der gesamten öffentlichen Hand.
Vorhin sprachen Sie von ehrlichem MiteinanderUmgehen. Sagt man hier ehrlich auch das, was die Regierung getan hat, und lobt man sie dafür sogar, dann ist Ihnen das auch wieder nicht recht.Die von Ihnen in der vergangenen Woche beschlossenen Steuererhöhungen zum 1. Januar 1977
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Leichtsind aus unserer Sicht konjunkturpolitisch falsch, stabilitätspolitisch unvertretbar, im höchsten Maße arbeitnehmerfeindlich und haushaltspolitisch entbehrlich.
Der Grund für die schwere Krise der öffentlichen Finanzen liegt nicht etwa in einem Zuwenig an Steuern und Beiträgen, sondern in einem Zuviel an Staatsausgaben, wie es Herr Kollege Häfele schon in der vergangenen Woche deutlich gemacht hat.Hinzu kommt, daß Ihre im Juni letzten Jahres für die Steuererhöhung gegebenen Begründungen heute keine Gültigkeit mehr haben. Sollten nämlich die Aussagen der Bundesregierung zutreffen, daß sich die leichte wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung in den nächsten Monaten fortsetzt — auch das wünschen wir —, dann müssen sich zwangsläufig die diesjährigen Haushaltsverbesserungen auch in künftigen Haushalten niederschlagen.Machen wir doch einfach einmal die Rechnung auf. Die Mehrwertsteuererhöhung brächte dem Bund 1977, wenn sie käme, laut Finanzplan Einnahmeverbesserungen von rund 6 Milliarden DM. Dem stehen bei Fortschreibung des Finanzplans in das Jahr 1977 hinein mindestens 4 Milliarden DM Ausgabeminderung, 2 Milliarden DM Mehreinnahmen und — auch das muß man sehen — zirka 3 Milliarden DM gegenüber, die als Folgekosten durch Überwälzungseffekte der Steuererhöhung entstehen. Mit anderen Worten: wir stehen selbst bei einer Übertragung der Haushaltsverbesserungen 1976 auf das Jahr 1977 jetzt schon besser da, als im Juni letzten Jahres angenommen werden konnte. Bei dieser Berechnung gehe ich von einem monatlichen Zuwachs des Bruttosozialproduktes von 9,5 °/o aus. Jeder weitere Prozentpunkt bedeutet für den Bund Mehreinnahmen von rund 1 Milliarde. Unter Berücksichtigung dessen muß in den von Ihnen mit den Stimmen der Koalition durchgesetzten Steuererhöhungen zum jetzigen Zeitpunkt ein Akt von Leichtfertigkeit und Uneinsichtigkeit gesehen werden.Aber ich bin mir noch nicht sicher, Herr Bundesfinanzminister, ob dieses Ihr letztes Wort bis jetzt gewesen ist. Mir scheint, daß auch eine gute Portion Wahltaktik mit im Spiel ist. Die angedrohte Steuererhöhung ist ja auch eine unausgesprochene Aufforderung zu mehr Konsum, etwa nach dem Motto: Bürger, kauft heute, im nächsten Jahr wird wieder alles teurer. Ich bin davon überzeugt, daß Sie noch rechtzeitig vor der Wahl — aber das ist meine persönliche Überzeugung — den Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung mit großsprecherischen Worten verkünden werden.Anstatt aber die schwerwiegenden Fehler Ihrer Politik einzusehen und die entsprechenden Konsequenzen daraus zu ziehen, lastet die Regierung der Opposition — und nicht nur der Opposition, überhaupt anderen, insbesondere, wie schon gesagt, dem Ausland die Fehlentwicklungen an: zuerst waren es die Amerikaner und der Vietnam-Krieg, dann waren es die Unternehmer, die ausgebeutet haben,dann waren es die Ölscheichs, und heute schließlich, so kann man sagen, ist es die ganze Welt.
Aber als es nach der schwersten Rezession seit dem Krieg tatsächlich etwas aufwärts geht, da sagt derselbe Bundeskanzler — nach einem Zitat in der „Welt" vom 12. April 1976 —: „Den Aufschwung haben wir gemacht." Herr Bundeskanzler, diese Ungereimtheit merken die Bürger draußen im Lande, und deswegen haben Tausende von Mitbürgern, so meine ich, bei den letzten Landtagswahlen Ihrer Partei den Rücken gekehrt.
Die deutschen Arbeitnehmer haben ein sehr feines Gespür dafür, wieviel sie von ihren Lohnerhöhungen in diesem Jahr übrig haben.
Wir wissen doch alle, daß die Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge, die Gebührenerhöhungen bei den Kommunen, die Preissteigerungen bei den Lebenshaltungskosten und die fortschreitende Steuerprogression, die Erhöhung im staatlichen Gebührenbereich, Arbeitslosenversicherung, viele real schlechter stellt als im Vorjahr. Das heißt, Millionen von Arbeitnehmern werden in diesem Jahr 2 bis 3 °/o weniger Kaufkraft haben als im vergangenen Jahr.
Es dürfte Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, auch bekannt sein, daß nach neuesten Berechnungen des IFO-Instituts im Jahre 1976 fast 60 Pfennig einer jeden Mark, die mehr in die Lohntüte des Arbeitnehmers wandert, vom Staat vereinnahmt werden.
Das ist doch die Realität. Da helfen auch keine Beschönigungen. Denn die deutsche Öffentlichkeit merkt sehr wohl, wohin wir treiben.
Sie haben sich, Herr Bundeskanzler, so verzweifelt gegen die Alternative „Freiheit oder Sozialismus" gewehrt.
— Ich habe gesagt: „oder".
Wenn Sie das „statt" nehmen, könnte das viel schärfer sein als das „oder", meine Damen und Herren; denn dann hätten wir den Sozialismus schon. So weit sind wir Gott sei Dank noch nicht. Wenn von jeder zusätzlich verdienten Mark unseren Arbeitnehmern durchschnittlich nur 40 Pfennig verbleiben, weil der Rest vom Staat vereinnahmt wird, dann ist das bereits eine Einschränkung der persönlichen Freiheit und Eigenständigkeit unserer Mitmenschen.
Auch die jüngsten Steuerschätzungen vom März dieses Jahres verdeutlichen den hohen Belastungs-
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Leichtgrad der Lohnabhängigen, wie man so schön sagt. Nahezu der gesamte Steuerzuwachs von 13,5 Milliarden DM in diesem Jahr wird danach in der Größenordnung von 11 Milliarden DM von den Lohnsteuerzahlern aufgebracht werden müssen, und das — das muß man hinzufügen — bei einer Million Arbeitslosen!
In diesen Zusammenhang gehört auch ein Wort zur Arbeitslosigkeit. Rekapitulieren wir doch einmal: Am 28. Juni 1972 hielten Sie, Herr Bundeskanzler, 3 °/o Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik für unerträglich. Sie haben noch andere Worte gebraucht, vom Gefängnis usw.; ich will es nicht weiter zitieren. Ist Ihnen eigentlich bewußt — diese Frage sollten wir uns alle stellen —, daß wir nun schon im dritten Jahr diese 3 °/o zum Teil erheblich überschritten haben?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt?
Darf ich Sie fragen, Herr Kollege, ob Sie liebenswürdigerweise bereit wären, zur Kenntnis zu nehmen, daß die heute wohl zum zweiten- oder drittenmal erwähnte und mir in den Mund gelegte Bemerkung unter dem Stichwort „Gefängnis", die sich auf eine Äußerung beziehen soll, die ich angeblich, auf Herrn Dahlgrün gemünzt, der seit vielen Jahren nicht mehr unter uns ist, gemacht haben soll, tatsächlich nicht auf mich zurückgeht?
Ich nehme das zur Kenntnis. Ich würde aber darum bitten, Herr Kollege Schmidt, daß man das auch der breiten Öffentlichkeit deutlich macht, denn von nichts kommt nichts; entschuldigen Sie.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Würden Sie dann bitte noch zwei weitere Punkte ad notam nehmen? Nämlich zum einen, daß jene angebliche Bemerkung nach meinen Nachforschungen auf die Veröffentlichung in einer Bremer Zeitung aus dem Jahre 1966 zurückgeht, aus der sie neuerdings wieder aufgewärmt worden ist — ich habe sie vor zehn Jahren nicht dementiert, weil mir das nicht wichtig genug schien —,
und zweitens, daß ich die Rede, die Sie heute halten, allerdings für meine Zwischenfrage benutze, um im Sinne Ihrer Aufforderung ganz öffentlich darzutun, daß mein Name damit nicht in Verbindung gebracht werden darf?
Ich nehme das zur Kenntnis;ich muß das tun. Ich tue das auch, nicht nur wegen Herrn Schmidt. Aber es läßt sich ja sicherlich nachprüfen.
Wenn heute immer noch über eine Million Mitmenschen arbeitslos sind, darunter Tausende Jugendliche — von den Kurzarbeitern einmal abgesehen —, dann ist auch dies eine Einschränkung der persönlichen Freiheit. Und die von Ihnen aufgestellte These, dies sei ein konjunkturelles Problem, ist ebenfalls eine nicht zutreffende Behauptung.Ihrer Inflationspolitik, die in den ersten Jahren von maßlosen Steuererhöhungen begleitet wurde, haben wir es zu verdanken, daß in den Jahren 1974 und 1975 nahezu 20 000 bundesdeutsche Unternehmen in Konkurs gegangen sind oder Vergleichsverfahren angemeldet haben. Wenn man von der, wie ich meine — aber ich lasse mich gern widerlegen —, realistischen Zahl ausgeht, daß jeder Betrieb 30 Beschäftigte hatte, dann bedeutet das, daß 1974 und 1975 600 000 Arbeitsplätze vernichtet worden sind. Die sind nicht mehr da, die kann man nicht mehr mit Arbeitern besetzen.
Was will ich damit sagen? Das ist eine strukturelle Arbeitslosigkeit, die leider nicht so ohne weiteres mit einem Aufschwung zu beseitigen ist. Deshalb geht die Bundesregierung ja davon aus, daß der Sockel der Arbeitslosigkeit bis in das Jahr 1979 nicht weit unter einer Million liegen wird.Ob das, was wir zur Zeit haben, überhaupt ein gesicherter Aufschwung auf Dauer ist, scheint mir immer noch sehr zweifelhaft zu sein. Ich hoffe, ein solcher Aufschwung kommt. Ein Aufschwung, der ein langanhaltendes Wirtschaftswachstum bewirken soll, sollte von einer regen Investitionstätigkeit der Unternehmen begleitet sein. Von einer regen Investitionstätigkeit kann zur Zeit allerdings noch nicht die Rede sein. Erst kürzlich hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin auf die Stagnation bei den Anlageinvestitionen seit 1970 hingewiesen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat im April eine Untersuchung veröffentlicht, wonach die Eigenkapitalrendite der Unternehmen von nominal 9,8 °/o im Jahre 1969 auf 6,3 °/o im Jahre 1974 abgeschmolzen ist. Sie war damit geringer als die Umlaufrendite festverzinslicher Wertpapiere, die im gleichen Zeitraum von 7 auf 10 °/o angestiegen ist. Meine Damen und Herren, unsere Unternehmen wären ja von allen guten Geistern verlassen, wenn sie unter solchen Voraussetzungen investiert hätten. Wir fordern sie dazu auf, schon heute zu investieren. Die damalige Politik hat sie aber praktisch gezwungen, nicht zu investieren.Erschwerend kommt noch die steuerliche Mehrbelastung der Unternehmen in Höhe von 2,5 bis 3 Milliarden DM jährlich durch die im Zuge der sogenannten Steuerreform gegen unseren Willen durchgesetzte Erhöhung der ertragsunabhängigen Steuern hinzu. Den Ausführungen des Bundeswirt-
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Leichtschaftsministers, die er auf dem Steuerberaterkon greß 1975 gemacht hat — ich will sie hier nicht wiederholen —, ist in vollem Umfang zuzustimmen, denn sie treffen den Kern des Problems.Ich frage mich allerdings: Wenn Sie schon zu dieser richtigen Erkenntnis gelangen, warum sind Sie dann nicht bereit, eine steuerliche Entlastung unserer Wirtschaft herbeizuführen? Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Arbeitslosigkeit, Inflation und ein Teil der Haushaltsdefizite sind mittelfristig nur zu beseitigen, wenn wir über eine steuerliche Entlastung der Unternehmungen und eine dadurch bedingte stärkere private Investitionstätigkeit zu einem angemessenen Wirtschaftswachstum gelangen.
Das allein ist auch die Voraussetzung für einen Abbau der Arbeitslosigkeit und die Erreichung realer Lohnsteigerungen!Wenn Sie sich aber, meine Damen und Herren von der SPD, mit allen Mitteln gegen unser Steuerprogramm wehren, das mittelfristig angelegt ist, ein eigenes aber nicht vorlegen, dann betreiben Sie, so meine ich, eine Politik, die sich in sehr starkem Maße gegen Arbeitnehmerinteressen richtet.
Ohne entsprechende Maßnahmen wird es kaum erreichbar sein, mittelfristig ein gesundes Wirtschaftswachstum mit seinen positiven Auswirkungen auf den Beschäftigungsstand und die staatlichen Einnahmen zu erreichen.
Ich unterstreiche aber noch einmal: Dies allein reicht noch nicht aus. Es gilt vielmehr, das hohe strukturelle Haushaltsdefizit auch über Kürzungen zu beseitigen. Diese Bundesregierung ist aber nicht bereit, über die sogenannten Einsparungen des Haushaltsstrukturgesetzes hinauszugehen. Dabei kann man hierbei von Einsparungen eigentlich gar nicht sprechen, denn das Haushaltsstrukturgesetz bringt zu zwei Dritteln neue Belastungen für die Bürger und nur zu einem Drittel echte Einsparungen.Statt dessen wird von der Seite der Koalition immer wieder erklärt, alles, was über die Maßnahmen der Bundesregierung hinausgehe, sei soziale Demontage. Ist es denn nicht eher soziale Demontage, wenn durch Ihre Inflationspolitik erstens über eine Million Menschen arbeitslos sind, wenn zweitens die Krankenversicherungsbeiträge -- um nur eines herauszugreifen — ständig erhöht werden müssen, weil den Trägern die Kosten über den Kopf wachsen,
wenn drittens der Rentenversicherung die Illiquidität droht, so daß ab 1. Januar 1977 schon Beitragserhöhungen in Erwägung gezogen oder die Leistungen abgebaut werden müssen, wenn viertens die Sparer in den Jahren 1970 bis 1975 insgesamt rund 170 Milliarden DM, also pro Jahr durchschnittlich 28 Milliarden DM, an Kaufkraftverlusten hinnehmen muß-ten, während das von 1950 bis 1969 jahresdurchschnittlich nur 2,3 Milliarden DM waren?Nein, nicht wir wollen soziale Demontage betreiben, sondern soziale Demontage betreiben die, die die Verantwortung für diese Entwicklung haben;
denn diese Entwicklung bringt Unsicherheit und Gefahr für unser Netz der sozialen Sicherung, das schließlich auch wir zu einem großen Teil geknüpft haben.
Viele Ihrer Freunde haben nicht begriffen oder wollen nicht verstehen, daß unsere freiheitliche Soziale Marktwirtschaft mit einer ihrer Kernaussagen, dem Begriff der Solidarität, nicht Gleichmacherei versteht, sondern vielmehr daß der wirtschaftlich Stärkere den wirtschaftlich Schwachen stützt. Wenn Sie hier letzte Woche erklärten, Herr Bundeskanzler — ich nehme Ihnen das ab —, dies sei auch Ihre Basis, dann frage ich: warum haben Sie denn nicht Schluß gemacht mit der von Ihrer Koalition entwickelten Mentalität, mit der Gießkanne ständig über alle gleiche Leistungen auszuschütten? Das ist es doch, was auf Dauer dazu führen wird und muß, daß die persönliche Freiheit unserer Mitbürger weiter eingeschränkt wird, weswegen wir vor den eindeutigen sozialistischen Tendenzen gewarnt haben.Sie haben in der letzten Woche, Herr Bundesfinanzminister, unserem Kollegen Strauß soziale Demontage vorgeworfen, weil er es gewagt hat, in einer Rede die Frage zu stellen, ob die bestehende Vermögensbildung in der Form der Sparförderung noch zeitgemäß sei. Kennen Sie denn Ihre eigenen Gesetze von vor einem Jahr nicht mehr, Herr Bundesfinanzminister? Sie haben doch in Ihrem Haushaltsstrukturgesetz die Sparprämie von 20 % auf 15 °/o und die Wohnungsbauprämie von 23 % auf 18 °/o gesenkt. Das waren doch nicht wir! Was ist denn aus Ihrer 1969 fest versprochenen Vermögensbildung geworden? Wie ich gehört habe, ist inzwischen sogar der interministerielle Ausschuß, der die Vorlage eines Gesetzentwurfes erarbeiten sollte, aufgelöst worden. Das ist doch nicht unser Unvermögen, sondern das dieser Bundesregierung.1970 glaubte der von mir persönlich sehr geschätzte sozialliberale Finanzminister Dr. Alex Möller von einer schweren Hypothek sprechen zu müssen. Die Hypothek, die diese Bundesregierung am Ende dieser Legislaturperiode, am Ende dieses Jahres hinterlassen wird, ist, auf einen Nenner gebracht, so auszudrücken: mehr als jede fünfte Mark, die der Bund in diesem Jahr ausgibt, muß erst noch in der Zukunft verdient werden.
Dieser Schuldenberg schwebt gleich einem Damoklesschwert über unserem freiheitlich sozialen Rechtsstaat. Nur wenn es gelingt, hier Einhalt zu gebieten, wird eine Totaldemontage unseres Systems zu verhindern sein, die weit schlimmer ist als der vorübergehende Verzicht auf mehr staatliche Leistungen.
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LeichtLassen Sie mich zusammenfassen:Erstens. Der Bundeshaushalt 1976 ist kein Haushalt der Konsolidierung, sondern der Haushalt eines Wahljahres.Zweitens. Er stellt eine Fortsetzung der sozialliberalen Schuldenpolitik der letzten Jahre dar.Drittens. Die Bundesregierung war trotz des hohen Verschuldungsgrades nicht bereit, zumindest einen Teil des strukturbedingten Defizits durch echte Kürzungen abzubauen.Viertens. Statt dessen gefährdet die Bundesregierung mit ihren Steuererhöhungen die zarten Blüten der Aufschwungpflanze und mißachtet jeglichen Auftrag des Stabilitätsgesetzes.Fünftens. Die Bundesregierung ist auch weiterhin nicht bereit, die durch ihre Steuerpolitik entstandene Investitionsunlust der deutschen Wirtschaft durch geeignete Maßnahmen zu beseitigen.Sechstens. Sie gefährdet damit den Weg in ein gesichertes mittelfristiges Wachstum und verhindert einen Abbau der Haushaltsdefizite.Siebentens. Über eine Million unserer Mitbürger— ohne die Hunderttausende von Kurzarbeitern — sind nun schon fast zwei Jahre lang — natürlich im Jahresdurchschnitt und nicht immer dieselben — ohne Arbeit. Für viele wird es auch in absehbarer Zukunft keine Arbeit geben.Achtens. Trotz des starken Konjunktureinbruchs— sofern man ihn so nennen will — bleibt der Inflationssockel mit 5 % sehr hoch. Das banale Wort— und ich nehme an, Herr Bundeskanzler, daß dieses Zitat nun richtig ist —, „5 % Inflation seien besser zu ertragen als 5 % Arbeitslosigkeit", ist längst und noch lange bittere Realität.Neuntens. Die Wirtschaft hat aufgehört zu florieren. Kostendruck, Abgabenbelastungen und Verunsicherungen nahmen jede Investitionslust und zerstörten die Arbeitsplätze.Zehntens. Produktion und Produktivität sanken und zogen sinkende Einkommen nach sich. Für viele unserer Mitbürger gibt es seit zwei Jahren keinen realen Einkommenzuwachs mehr.Elftens. Dem Anspruchsdenken der sozialliberalen Reformer folgte die Inflation der Preise, Einkommen und Steuern. Die Belastungen für Steuerzahler und Wirtschaft nahmen zu und lösten Unwillen und Verdrossenheit aus.Zwölftens. Die hohen Verluste bundesdeutscher Sparer sind die Folge der sozialliberalen Inflationspolitik der letzten Jahre.Dreizehntens. Desgleichen gilt für die drohende Illiquidität der Rentenversicherung und die finanziellen Schwierigkeiten bei den Krankenversicherungen.Vierzehntens. Hier haben wir über einen Haushalt zu befinden, der dieselbe Politik fortführt, der uns der Konsolidierung nicht einen Schritt näherbringt, einen Haushalt, der trotz Haushaltsstrukturgesetz, trotz Steuererhöhungen einzig und allein das Bestreben der Bundesregierung dokumentiert, dieses Wahljahr 1976 politisch zu überleben.Fünfzehntens. Insgesamt gesehen hat die Bundesregierung zu keinem Zeitpunkt in dieser Haushaltsdebatte dargestellt, wie sie die Staatsverschuldung mittelfristig abbauen, ein gesichertes Wachstum erreichen, die Arbeitslosigkeit beseitigen und die Sozialversicherungen von der sie erdrückenden Finanzlast befreien will.In diese Situation hat uns der Traum der SPD vom Sozialismus gebracht. Anstatt uns den Weg zurück zu mehr Freiheit aufzuzeigen, läßt diese Bundesregierung die finanzpolitischen Zügel weiter schleifen und gefährdet so in zunehmendem Maße die Existenz unseres sozialen Rechtsstaats.
Diese Politik — und ich sage das auf eine Anzeige der Bundesregierung von gestern hin — hat keine Leistung, es sei denn nur Fehlleistungen, erbracht und verdient deshalb kein Vertrauen. Diese Politik und die Männer, die sie gemacht haben, werden auch Deutschlands Zukunft — wie dort steht — nicht sichern.
Die Bürger werden mit ihrem feinen Gespür für die Realitäten über die mit hohen Steuermitteln verbreiteten Anzeigen der letzten Tage eher lachen als sie ernst nehmen.
Deswegen, meine Damen und Herren, empfehlen wir dem Burger, mit uns den, allerdings beschwerlichen, Weg der Konsolidierung zu beschreiten, der uns allen auf Dauer unsere Eigenständigkeit sichern und mehr Freiheitsspielraum für den einzelnen Bürger bringen wird.Unter den gegebenen Voraussetzungen kann die CDU/CSU dem Bundeshaushalt 1976 ihre Zustimmung nicht geben.
Abschließend möchte ich ein Wort in eigener Sache sagen. Ich danke allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses für die mir persönlich entgegengebrachte Loyalität und die in der Sache harte, aber kollegiale Zusammenarbeit in den letzten Monaten. Ich bedanke mich besonders bei meinem Stellvertreter, Herrn von Bülow, der drei Wochen lang, in denen ich krank war, die Geschäfte geführt hat. Wir haben in diesem Jahr geradezu ein Mammutprogramm zu bewältigen gehabt. Daß es dennoch so zügig abgewickelt werden konnte, haben wir nicht zuletzt dem persönlichen Einsatz jedes einzelnen Mitglieds im Haushaltsausschuß zu verdanken.Ein besonderer Dank gilt auch unseren Mitarbeitern,
sowohl den persönlichen Mitarbeitern als auch denen im Haushaltsausschuß und denen im Finanzministerium, die uns dazu verholfen haben, wenigstens einigermaßen rechtzeitig unsere Beratungen abschließen zu können.
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LeichtZum Schluß also besten Dank all denen, die dazu beigetragen haben, dieses Werk heute in die dritte Lesung zu bringen!
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf mich zunächst, Herr Kollege Leicht, dem Dank anschließen, mit dem Sie Ihre Rede geschlossen haben. Diesen Dank darf ich — sicher im Namen aller Mitglieder des Haushaltsausschusses und darüber hinaus des ganzen Hauses — auf den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses ausdehnen, der, wie immer, diesen Ausschuß im vergangenen Jahr in sehr fairer und neutraler Art geleitet hat.
Meinen Dank kann ich nicht ausdehnen auf Ihre Rede. Aber vielleicht kann ich es doch, und zwar insofern, als Sie mir Gelegenheit gegeben haben, einiges, was Sie falsch dargestellt haben, klarzustellen. Aber darauf werde ich im späteren Verlauf meiner Ausführungen zurückkommen.Ich möchte zunächst ein paar allgemeine politische Bemerkungen, wie sie vielleicht auch für die dritte Lesung angemessen sind, voranschicken und dann noch einmal auf die Haushaltsprobleme im einzelnen zurückkommen.Es ist sicher auch die Aufgabe einer dritten Lesung, die politische Bilanz der zweiten Lesung, die wir hier in der vergangenen Woche in lange nicht gekannter Ausführlichkeit absolviert haben, zu ziehen. Ich meine, das Parlament wird sich dem Urteil der Öffentlichkeit beugen müssen, das man weitgehend dahin zusammenfassen kann, daß hier von allen Beteiligten — seien wir ehrlich — der große Wahlkampfauftakt des Jahres 1976 geboten worden ist. Die Haushaltspolitiker — sicher aller Fraktionen — können es nur bedauern, daß die Haushaltsprobleme selbst, die wichtig und ernst genug sind, dabei zuwenig berücksichtigt und — ich muß das aus der Sicht einer Koalitionspartei hinzufügen —, soweit sie von der Opposition behandelt worden sind, verzerrt dargestellt worden sind.Meine Damen und Herren, für die Opposition war die vergangene Woche im Zweifel eine, wie man das in der Werbewirtschaft nennt, großangelegte Testaktion für ihren bekannten Werbeslogan. Das Ergebnis dieser Marktforschung haben wir dann am Ende der zweiten Lesung in zeitlicher Übereinstimmung feststellen können. Man kann dieses Ergebnis so beschreiben: Es ist ein Slogan mit blauweißem Wechselrahmen dabei herausgekommen.
Herr Kohl, Ministerpräsident Kohl hat dann in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der CDU die feinsinnige Unterscheidung zwischen Feststellung in dem einen und Fragestellung in dem anderen Slogan getroffen. Ich würde sagen: Beide Versionen bieten keine Antwort auf die Fragen der Gegenwart und der Zukunft, und die erwartet ja der Bürger.
Im übrigen haben die Sprecher meiner Fraktion— aus der Fraktion und aus der Regierung — zu diesem Slogan hinreichend Stellung genommen. Man könnte das, um dazu noch ein paar wenige Bernerkungen zu machen, salopp so formulieren: Betrifft uns nicht. Oder mit anderen Worten: Sozialismus— der zweite Teil dieser Formel — ist nicht unser Bier. Wir waren und wir sind zu sozialliberaler Politik bereit, nicht aber zu sozialistischer Politik. Dies weiß und dies respektiert der Partner.
Der Kollege Carstens und andere Mitglieder der Opposition sind der sehr eindringlichen Frage unseres Bundesvorsitzenden in der Debatte der vergangenen Woche geflissentlich ausgewichen, nämlich der Frage, wo denn nun hinsichtlich der Politik der Jahre 1969 bis 1976 von sozialistischer Politik gesprochen werden könne. Sie mußten die Antwort schuldig bleiben, weil es eben keine solchen Beweise, keine solchen Belege gibt. Auch Herr Leicht hat sie heute hier nicht bringen können, obwohl er es versucht hat.
Im übrigen werden Liberale den Sozialismus, wenn er je drohen sollte, besser verhindern als eine Mixtur aus konservativen Klerikalen und christlichen Sozialisten.
Zum anderen Teil, den Sie voranstellen, folgendes: Die Freiheit, meine Damen und Herren, ist ja nicht erst seit heute und vor allem — das ist vielleicht der Unterschied zu anderen Parteien — gegenüber allen freiheitsbedrohenden Kräften bei den Liberalen — man könnte sagen: ex definitione — in bester Hand. Die FDP war schon für Freiheit in allen Bereichen, als die CDU noch — heute muß man sagen: erstmals — das Ahlener Programm kultivierte
und Sie von der CDU in manchen Fragen — ich darf daran erinnern, wieviel Schweiß bei der stumpfsinnigen Auseinandersetzung über die Konfessionsschule vergeudet worden ist —
dem Mittelalter näherstanden als dem 20. Jahrhundert.
Das muß man heute noch einmal in Erinnerung rufen. 1953, nach Ihrem ersten absoluten Wahlsieg, war es eine der ersten Erklärungen aus Ihrem Munde, nun müßte man ja wohl das reparieren, was Bismarck geschaffen habe, nämlich z. B. die obliga-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17319
KirstA) torische Zivilehe abschaffen. All dies haben wir nicht vergessen. Wenn Sie so gut in der Vergangenheit bewandert sind — wir sind es mindestens ebensogut.In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, muß man etwas zur Frage der Glaubwürdigkeit von Parolen der CDU/CSU sagen. Da gibt es ein Paradebeispiel, das genauso schrecklich klang wie Ihre heutige Formel. Der Kollege Strauß, der offenbar nicht da ist, — —
— Herr Kollege Stücklen, Sie wollten mich aber in diesem Zusammenhang nicht an die Formel „Feind hört mit" erinnern?
Der Kollege Strauß hat 1972 vor der Wahl vom 19. November in die „Welt" und andere Publikationsorgane gesetzt, wenn die Koalition die Wahlen gewinne, werde diese Wahl vom 19. November 1972 die letzte freie Wahl in der Bundesrepublik Deutschland gewesen sein.
Diese Behauptung, diese Ungeheuerlichkeit, die damals vielerorts leider kommentarlos gedruckt und zitiert wurde, wird der Herr Strauß nicht aus der Welt schaffen können. Merkwürdigerweise spekuliert er nicht, wie man vermuten möchte, auf die Vergeßlichkeit der Mitbürger in diesem Lande, sondern er versucht krampfhaft, wie man schon sagen muß, den Wahrheitsbeweis anzutreten. Er fühlt sich in Beweisnot. Dafür spricht ein Interview, das der Kollege Strauß am 17. Mai einer Agentur gegeben hat. Ich habe hier eine Durchschrift der Meldung, und man muß dies -- ich darf es mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — noch einmal zitieren.
— Ich zitiere ganz, Herr Kollege Stücklen, auf Ihren ausdrücklichen Wunsch!
Der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß sieht die freie Entscheidung der Bürger bei der diesjährigen Bundestagswahl durch den Wahlkampfstil vor allem der SPD gefährdet. In einem AP-Interview meinte Strauß am Montag in Bonn,— unter Bezug auf die Entscheidung im Herbst —Wahlen, die bereits unter „psychologischem Druck" stattfänden, seien keine „normalen" und „freien" Wahlen mehr.Lassen Sie mich hier einfügen: So wird also die Wirklichkeit gequält, um mit den eigenen Behauptungen aus dem Jahre 1972 fertig zu werden.
Jetzt geht es weiter:Diese Passage lautet im Interview wörtlich:Frage: „Sie befürchten, daß die sozialistischenTendenzen sich verstärken, wenn die sozialliberale Regierung fortgesetzt wird oder dio SPD eine Alleinregierung bilden kann. Sehen Sie eine Gefahr, daß dann die Bundesrepublik langfristig sozialistisch wird?"Strauß: „Nicht auf dem Wege der politischen Auseinandersetzung demokratischer Art, wenn auf beiden Seiten mit offenem Visier gekämpft wird.— Anmerkung von mir: Empfehlung für ihn selbst! —Mit dem Stimmzettel in normalen demokratischen Wahlen werden die Volksfrontsozialisten und ihre Helfershelfer in der Bundesrepublik nicht die Mehrheit kriegen."Frage: „Was nennen Sie normale und nicht normale Wahlen?"Strauß: „Wahlen, die bereits unter psychologischem Druck stattfinden, sind nicht normale Wahlen. Wahlen, in denen man sagt, die Opposition darf die Wahl nicht gewinnen, sonst gibt es Arger mit der Sowjetunion und soziale Unruhen, sind schon nicht mehr freie Wahlen."
— Klatschen Sie nicht zu früh. Sie haben wieder ein zu kurzes Gedächtnis, wie ich jetzt nur dazwischenrufen kann. Ich bringe gleich einiges zum Hintergrund solcher Behauptungen.Frage: „Sie meinen 72?"Strauß: „Nein 76 — die Ankündigungen, die wir in den letzten Wochen und Monaten erleben."Ich zitiere jetzt noch eine Passage. Ich glaube, Herr Stücklen, wir können in Übereinstimmung auf das übrige verzichten, weil es mit dem Thema so direkt nichts zu tun hat. Die Agentur fragt weiter:Sie würden also sagen, die 76er Wahl hat schon ein Stück Unfreiheit in sich?Jetzt kommt der Rückzieher:Strauß: „Nein, das will ich nicht sagen, aber das ist dann schon ein Versuch, ein Grundelement der parlamentarischen Demokratie auszuschalten, nämlich die Ablösbarkeit einer Regierung, wenn man dem Bürger, der Ruhe und Sicherheit, Wohlstand und Frieden haben will, sagt: Du darfst nur die wählen, sonst gibt es a) Unruhen und b) eine Gefährdung des Friedens."
In diesem Zusammenhang — Herr Stücklen, Sie sind doch einer, der von Anfang an, seit 1949, hier ist — muß man sich doch einmal überlegen — ich sage das unabhängig davon, daß wir dabei zeitweise Koalitionspartner der CDU waren; diese Parolen haben immer nur ihrer eigenen Partei dienen sollen —, welche Angstparolen die CDU, als es um ihre Ablösung ab 1953 ging, eigentlich fabriziert und in die Welt gesetzt hat. Es wurde vom Untergang Deutschlands gesprochen.
Ich erinnere mich an eine, man kann sagen, infameFotomontage in einer Illustrierten, die Sie während
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Kirst) des Wahlkampfes in Hamburg verteilten, mit der Volksarmee auf dem Jungfernstieg.
— Ja, sicher, das war regional verschieden. Das sollte den Bürgern als Folge einer Wahlniederlage der CDU/CSU suggeriert werden. Wenn Herr Strauß auf die Sowjetunion anspielt — ich persönlich glaube, daß das Verhältnis zur UdSSR unabhängig vom Wahlausgang durch die Verträge bestimmt ist —, dann möchte ich fragen, wer denn Herrn Dulles 1953 animiert hat, dafür zu sorgen, daß es Erklärungen gab, die sinngemäß besagten, wenn man die CDU nicht wählte, dann würde es eine schmerzhafte Überprüfung der amerikanischen Außenpolitik geben. Das ist mir noch in Erinnerung. Ich habe mich damals auch als Angehöriger einer Koalitionspartei über diese Methoden empört. Ich sage das hier ganz offen.
— Von selbst sagt man so etwas nicht. Aber es ist gesagt worden, ob nun animiert oder nicht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu dieser neuesten Version des Herrn Strauß, die er hier zwischen die zweite und dritte Lesung des Haushalts geschoben hat, sagen: Die Wahlen im Jahre 1976 sind so frei wie die Wahlen 1949, 1953,I 1957, 1961, 1965, 1969 und 1972.
Ich füge hinzu: Wir werden freie Wahlen behalten— hören Sie bitte gut zu —, solange die gegenwärtigen Bundestagsparteien die möglichen Regierungsparteien sind.
Ich glaube, man sollte direkt an den Kollegen Strauß appellieren, diese Argumentation aufzugeben, die ihn ja in der Qualifikation unserer Wahlen unfreiwillig in die Nachbarschaft zu Stamokap und anderen Systemveränderern bringt, die aus ihrem Gesichtswinkel die Freiheit dieser Wahlen bezweifeln, wie wir alle wissen.
Wir alle, Herr Stücklen, in diesem Bundestag sollten die Freiheit dieser Wahlen nicht in Zweifel ziehen, um die uns Hunderte von Millionen in kommunistischen und anderen Diktaturen in der ganzen Welt beneiden.
Meine Damen und Herren, der Gespensterreigen der Opposition, den sie hier in der vergangenen Woche tanzen ließ, hat als realen Hintergrund die Alternativlosigkeit der Opposition in allen Fragen und insbesondere auch in der Haushaltspolitikselbst. Man ist versucht zu sagen: Alternativlosigkeit, dein Name ist CDU/CSU.
Ich möchte eine Einschränkung machen, denn viele Debattenbeiträge der vergangenen Woche kann man auf den Nenner bringen: die Alternative der heutigen Opposition ist ihre Vergangenheit. Auf diesen Tenor war vieles — ich denke an Herrn Katzer und andere — hier abgestellt. Nostalgie ist zwar Mode und sie mag in manchen Bereichen nett sein, für die Politik aber ist sie keine Lösung, keine Antwort auf Fragen der Gegenwart und der Zukunft.Um auf den Haushalt zurückzukommen: Die Opposition hat keine Alternative zur Haushaltspolitik geboten. Sie konnte es auch nicht. Sie hat keine fundierten und spezifizierten Kürzungsanträge gestellt. Beide Eigenschaften müssen ja zusammenkommen: fundiert und spezifiziert; es muß vernünftig sein, und man muß Roß und Reiter nennen, statt wie bei den Subventionen im Haushaltsausschuß — ich habe das in der vorigen Woche erwähnt — Globalanträge zu stellen.
Die Opposition hat — zweitens — keine wesentlichen Vorschläge zu Umschichtungen im Haushalt und zur Verlagerung von Prioritäten angeboten. Sie hat schließlich auch keinerlei andere Möglichkeiten zur Finanzierung des Haushalts dargestellt, als sie sich im Haushaltsplan finden.Auch der finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU, Herr Strauß, war dazu nicht in der Lage. Es war interessant, festzustellen, daß er bei der finanzpolitischen Debatte am vorigen Donnerstag — insbesondere über die Einzelpläne 08 und 09 und über die Steuern — sich erst nach den haushaltspolitischen Sprechern der Koalition und nach dem Bundesfinanzminister zu Wort gemeldet hat. Offenbar befürchtete er die gemeinsame sachliche Replik dieser Redner auf seine Argumente. Seine Rede — auch er zensiert ja immer gern — entbehrte keineswegs des rhetorischen Feuerwerks, das seine Reden immer auszeichnet, wohl aber absolut jeder sachlichen Substanz.
Ich habe diese Rede nochmals gelesen, weil ich auf einiges im haushalts-, finanz- und wirtschaftspolitischen Bereich eingehen wollte. Aber da ist als erwähnenswert eigentlich nur ein Punkt übriggeblieben, der der geschichtlichen Wahrheit dienen soll.Die Frage der Verschuldung des Bundes hat am vorigen Donnerstag bei Herrn von Bülow, Minister Apel und mir eine große Rolle gespielt.
Ich erinnere an ein gewisses Flugblatt. Ich habe es heute nicht nochmals mitgebracht; es ist so schlimm, daß man es nicht gern oft bei sich trägt. Von — ich glaube — Herrn Althammer wurde mir entgegengehalten, 1969 sei die Bundesrepublik ja schulden-
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Kirstfrei gewesen. Diese Feststellung habe ich ad absurdum geführt. Da kam ein Zwischenruf — den Herr Strauß später aufgenommen hat —: Aber das waren doch alles Auslandsschulden, Kriegsfolgeschulden usw.!Ich habe in den Archiven nachgesehen und möchte Ihnen, um auch diesen Punkt klarzustellen, sagen, wie es in Wirklichkeit war, Herr Kollege Kiesinger. Die Deutsche Bundesbank weist das alles ja immer säuberlich aus, und niemand von Ihnen wird irgend etwas bezweifeln, was die Deutsche Bundesbank an Statistiken veröffentlicht. Im Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom April 1971 — man muß so weit zurückgehen, weil die Monatszahlen immer nur für eine gewisse Zeit zurück veröffentlicht werden — ist auf Seite 60 festgestellt: Ende September 1969 — am 28. September waren bekanntlich die Wahlen — betrug die Verschuldung der Bundesrepublik unter Berücksichtigung nur des Bundeshaushalts — Bahn und Post, Länder und Gemeinden lasse ich außen vor — insgesamt 45,1 Milliarden DM. Ich muß das einzeln aufführen, um Ihre falsche Behauptung zu widerlegen. Es entfielen auf Sonderkredite der Bundesbank 0,7 Milliarden DM, Geldmarkttitel 4,2 Milliarden DM, Anleihen, Kassenobligationen und Bundesschätzchen 11,4 Milliarden DM, Bankkredite 9,0 Milliarden DM, Schuldbuchforderungen der Sozialversicherung — auch das haben wir ja nur fortgeführt — 4,5 Milliarden DM, Sonstiges 1,0 Milliarden DM zusammen 30,8 Milliarden DM.
Dem stehen Posten gegenüber — ich habe den Bericht hier —, die man unter Ihren Zwischenruf bringen kann, Herr Leicht: Ausgleichsforderungen 11,7 Milliarden DM, Ausland 1,7 Milliarden DM, Sonstiges dieser Art 0,9 Milliarden DM — zusammen 14,3 Milliarden DM. 30,8 Milliarden DM plus 14,3 Milliarden DM gibt 45,1 Milliarden DM. Das heißt, zwei Drittel der Schulden, die am Ende der Regierungszeit der CDU/CSU ausweislich des Berichtes der Deutschen Bundesbank vorhanden waren, hatte nicht jene Ursache, auf die Sie sie in Ihren Zwischenrufen und Herr Strauß durch seine Bemerkungen zurückführen wollten, sondern es waren neue Schulden aus der Zeit der Jahre 1950 bis 1969. Ich kritisiere das gar nicht, aber wir wollen doch, Herr Kollege Leicht, bei der Wahrheit bleiben.
Zur Wahrheit — ich lasse Ihre Frage gleich zu — gehört ja auch noch etwas anderes. Herr Kollege Leicht hat heute wieder darauf hingewiesen, daß Sie 1969 einen Kassenüberschuß in Höhe von 1,68 Milliarden DM übergeben hätten. Das ist die Wahrheit.
Aber, Herr Kollege Stücklen, ich habe hier eine Statistik aus derselben Quelle der Bundesbank — eine Seite vorher, also Seite 59 —, in der die Kassenüberschüsse und Defizite von 1950/51 — wir hatten damals noch andere Haushaltsjahre — bis 1970 aufgeführt sind. Jetzt geht es ja um IhreRegierungszeit. In diesen 20 Jahren — Sie können es nachlesen; ich will es aus Zeitgründen nicht alles zitieren — steht vor der jeweiligen Position nur dreimal ein Pluszeichen und siebzehnmal ein Minuszeichen. Daß das gerade im Jahre 1969 so hinkam, war also Zufall. Und in dieser Statistik sind dicke Brocken enthalten: 6 Milliarden DM, 3 Milliarden DM; ich will das nicht im einzelnen ausführen.
Herr Abgeordneter Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte.
Herr Kollege Kirst, wollen Sie zur Kenntnis nehmen, daß es nicht um die Gesamtverschuldung von 45 Milliarden DM geht, die ich nie bestritten habe, sondern um die Nettoneuverschuldung des Bundes, die in dieser Zeit rund 14 Milliarden DM beträgt?
Sie können ja nun nicht von null auf 30 Milliarden DM durch 14,3 Milliarden DM Nettoneuverschuldung kommen. Das müssen Sie mir erst einmal vormachen.
— Ich komme darauf gleich noch zurück, Herr Kollege Stücklen.
— Wenn Sie es unbedingt zum fünften oder zehnten Mal hören wollen: von 1970 bis 1973 ganze 8 Milliarden DM, 2%des Haushaltsvolumens.
— Sie können ja allenfalls 1974 anfangen, wenn ich eben schon bis 1973 gerechnet habe.
1974 9 Milliarden DM, 1975 30 Milliarden DM und 1976 voraussichtlich 33 Milliarden DM.
— Das haben wir doch niemals bestritten, Herr Stücklen. Worum es nur geht, ist, die Dinge zurechtzurücken, die Sie — nicht unbedingt Sie persönlich, sondern Ihre Sprecher — immer durcheinanderbringen. Sie behaupten doch, die CDU/CSU habe keine Schulden gemacht und wir machten nur Schulden.
Richtig ist, Herr Stücklen, daß Sie auch Schulden gemacht haben.
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17322 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Kirst— Ja Gott, der Haushalt war doch damals viel kleiner. Mitte der 60er Jahren umfaßte der Haushalt 56 Milliarden DM, heute umfaßt er etwa das Dreifache. Daß dann auch die Schulden entsprechend steigen, ist doch selbstverständlich. Sie haben jedenfalls auch Schulden gemacht.Wir brauchten vier Jahre lang keine Schulden zu machen. Das war Glück, füge ich hinzu. Dann ergab sich die Notwendigkeit, zwei, drei Jahre lang hohe Schulden zu machen. Das konnten und können wir nur, weil wir in den Jahren zuvor — im Gegensatz zu dem, was der Kollege Leicht, gemeinsam mit seinen Kollegen, zum soundsovielten Male zum besten gegeben hat — eben eine solide Finanzpolitik betrieben haben.
Herr Kollege Leicht, ich möchte jetzt gerne zu einigen Ihrer Bemerkungen — nicht zu allen — kurz Stellung nehmen. Sie haben der Regierung vorgeworfen, sie sei wenig konkret und sie handele zu spät. Genau das trifft natürlich nicht auf den Punkt zu, den Sie dann wieder unter anderen Gesichtspunkten in diesem Hause kritisieren, nämlich auf die in der vergangenen Woche beschlossene Erhöhung der Mehrwertsteuer, von der Sie genau wissen, daß wir das nicht gerne machen. Das macht uns doch keinen Spaß. Wir sehen auch, daß das konjunkturpolitisch, unter Preisgesichtspunkten sicher seine Probleme hat. Aber, Kollege Leicht, oberster Grundsatz — beinahe hätte ich gesagt: oberstes Gesetz — unserer finanzpolitischen Überlegungen ist die Notwendigkeit, die Kredite aus den genannten Gründen ab 1977 zurückzuführen. Allein diesem Ziel dient die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Ich habe das vorige Woche deutlich gesagt. Wir bezwecken damit keine Ausweitung des Staatsanteils; wir wollen eine Umfinanzierung des Staatsanteils. Man muß es leider immer, immer wieder sagen, weil die Argumente einfach nicht zur Kenntnis genommen und vorgedachte Dinge wie tibetanische Gebetsmühlen immer wieder zum besten gegeben werden.
Dann müssen wir das eben immer wieder widerlegen. Wir werden dessen nicht müde werden.Sie sagen einmal, daß der Aufschwung kommt, und dann bezweifeln Sie es am Ende wieder etwas. Natürlich kommt der Aufschwung. Nur ist er in der Finanzplanung schon enthalten. Es wäre für die Finanzplanung schlimm, wenn er nicht käme. Insofern ist dieser Aufschwung auch in den steuerlichen Verbesserungen kein Alibi gegenüber der Weigerung der Opposition, diese gewiß sehr unpopuläre Maßnahme mitzutragen. Aber gerade diese Maßnahme zeigt doch: Wir sind konkret, wir sind offen, wir sind ehrlich, und wir handeln nicht zu spät. Sie werfen uns ja gerade vor, wir handelten zu früh. Aber wir handeln zum richtigen Zeitpunkt.Herr Kollege Leicht, Sie haben von der Vollbeschäftigungsgarantie gesprochen. Das ist ein so alter Hut, daß ich darauf gar nicht mehr eingehen will. Aber die Formel war ja, wenn ich mich recht entsinne, nicht „jedem seinen", sondern „für jedeneinen Arbeitsplatz". Das ist schon ein wesentlicher Unterschied. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die Stabilitätspolitik natürlich mit Opfern verbunden sein mußte, und will das nicht alles wiederholen.Dann haben Sie von der „Anspruchsinflation" gesprochen, die diese Regierung — ich glaube, Sie haben dabei den früheren Bundeskanzler persönlich zitiert — gezüchtet habe. Verehrter Herr Leicht, wer die Geschichte der Bundesrepublik unter diesem Aspekt sieht, kann allenfalls, sofern es wahr ist, sagen: Dann haben wir von Ihnen gelernt. Denn wir haben beim Regierungswechsel 1969 eine Bevölkerung übernommen, die durch Sie — teilweise waren wir dabei, das will ich gar nicht verschweigen —, durch 20 Jahre Politik an das Anspruchsdenken gewöhnt war. Das war doch die Politik von 1949 bis 1969.
— Ich habe ja eingeräumt, daß wir teilweise dabeigewesen sind. Ich habe das ja nicht vergessen. Tatsache ist, daß das Anspruchsdenken nicht nach 1969 erfunden worden ist. Das war vorhanden.
Wir haben manche Mühe gehabt, mit diesem Anspruchsdenken fertig zu werden, und wir werden noch weitere Mühe damit haben. Für Ihre Unterstützung hierbei wären wir Ihnen sicher gelegentlich dankbar.
Was die antizyklische Haushaltspolitik anlangt, so habe ich schon auf das Ergebnis der Politik von 1970 bis 1973 hingewiesen. Nun sagen Sie, Herr Kollege Leicht, die Haushaltsschwierigkeiten seien nicht nur konjunktureller Art. Das haben wir auch nie behauptet. Ich habe immer von zwei Säulen gesprochen, und ich bleibe dabei. Die Steuerreform war kein konjunkturpolitischer Akt. Von den 15 Milliarden DM gingen 10 bis 11 Milliarden DM zu Lasten des Bundes. Das war ein Stück Reformpolitik, das war eine Steuerreform mit Entlastung der Bürger, die Sie selber gefordert haben, und zwar zu einem frühen Zeitpunkt und nach falschem System.Die andere Ursache liegt im konjunkturpolitischen Bereich. Das ist lange und häufig genug hier gesagt worden.Sie sprechen dann wieder davon, das sei die Folge der Anspruchspolitik, die Folge der Vergangenheit. Ich gebe Ihnen völlig recht, Herr Leicht. Nur hat die Vergangenheit 1949 und nicht 1969 begonnen. Herr Professor Carstens hat ja 95 %der Gutheiten, die in diesem Staat geschaffen worden sind, für Sie mit reklamiert. Dann gehören dazu aber auch 95 %der Belastungen, die damit verbunden sind. Das ist die richtige Rechnung.
Sie haben vom Überschuß Ende 1975 gesprochen. Ich glaube, Sie haben die Dinge auf verschiedeneDeutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17323KirstGleise geschoben oder nicht genügend unterschieden. Es kann keinen Zweifel darüber geben: Wenn wir im September gewußt hätten, wie die Entwicklung läuft, hätten wir den Nachtragshaushalt anders beschlossen. Aber man wußte das eben erst im Desember. Alle waren doch davon überzeugt, daß die Arbeitslosenzahlen höher und die Steuereinnahmen niedriger sein würden. Hier richten wir uns nach den Steuerschätzungen. Das letzte Vierteljahr 1975 zeigt eben in einer einmaligen Ballung oder Dramatik, wie unbeständig Vorausschätzungen sein können. Das ist ein Schicksal, das jede Regierung erleiden wird, ganz gleichgültig, wer sie trägt. Hier von Schludrigkeit zu sprechen, Herr Leicht, entspricht nicht Ihrem von mir so geschätzten Stil. Diesem Stil entspricht es auch nicht, daß Sie hier — vielleicht als rhetorische Pflichtübung — wieder das kultiviert haben, Herr Kollege Leicht, was ich nun schon zum wiederholten Male als die Inflationsschuldlüge — in bewußter Analogie zu anderen Erscheinungen in früherer Zeit — bezeichne, nämlich die Behauptung, diese Regierung habe bewußt Inflationspolitik gemacht, sie habe die Inflation gewollt. Sie haben von Inflationspolitik gesprochen, und diese Formulierung unterstellt doch den Willen, dies zu machen.
Das Gegenteil ist doch nur wahr. Diese Regierung hat nicht nur keine Inflationspolitik betrieben, sie hat von Anfang an die Inflation, die Geldentwertung bekämpft. Sie haben meistens nicht mitgewirkt.
Ich habe Sie mal, 1971 oder 1970, als stabilitätspolitischen Suppenkasper bezeichnet, weil Sie immer geschrien haben, und wenn es darauf ankam, waren Sie dann nicht dabei, allenfalls bei der Enthaltung.
Ich weiß nicht, ob Sie jemals bereit sein werden, einzusehen, daß der Hinweis auf die außenwirtschaftlichen Einflüssen keine bequeme Ausrede ist, sondern die reine, nackte Wahrheit zeigt. Sie, Herr Leicht, haben von der Inflationspolitik gesprochen, das müssen Sie zugeben; sonst hätte ich das nicht noch einmal aufgenommen. Das ist die reine, nackte Wahrheit: diese außenwirtschaftlichen Einflüsse, diese importierte Art Inflation. Die Möglichkeiten für eine Wende — das ist hier wiederholt dargestellt worden, von der Regierung, von unseren Sprechern, von Lambsdorff und anderen und mir — waren eben erst 1973 gegeben, nämlich durch die außenwirtschaftliche Absicherung.Lassen Sie mich zu Ihren Ausführungen, Kollege Leicht, ein Letztes sagen. Sie haben, wie das bei Ihnen in der Propaganda so üblich ist, von den Arbeitslosen und von den Konkursen gesprochen.
— War das der Herr Reddemann, der immer so schlau ist, oder?
— Es war ein anderer, na ja.
Was ich jetzt sage, paßt zu Ihrem Wahlkampfslogan; passen Sie mal gut auf. Diese Konkurse sind sicher da. Man wird sehr genau analysieren müssen, warum sie da sind, nicht wegen der Politik dieser Regierung, sondern aus den Gründen, aus denen Konkurse nun einmal eintreten. Sicher sind sie in der jetzigen Phase massiert eingetreten, nämlich weil man in der vorhergehenden Phase das noch eine zeitlang kaschieren konnte. Aber ich sage Ihnen deutlich — und ich sage das auch in Versammlungen, und das wird verstanden —: Konkurse gehören nun mal zur Marktwirtschaft.
— Herr Haase, einverstanden.Mir wird in diesem Zusammenhang unvergeßlich bleiben, was ein Professor, bei dem ich Volkswirtschaft studierte, in Leipzig — das war damals noch möglich, 1946 oder 1947 — als passende Formulierung fand; er sagte: in der Planwirtschaft ist der Scharfrichter, in der Marktwirtschaft der Konkursrichter die letzte Instanz. Wenn man das anerkennt, sollten Sie aber Ihre Tiraden zu diesem Thema hier unterlassen.
Die Opposition hat in dieser Haushaltsberatung nicht widerlegen können, daß erstens der Haushalt 1976 solide finanziert ist. Die Kreditaufnahme ist zwar außerordentlich hoch. Das ändert aber unter den gegebenen Umständen an der Solidität nichts. Sie ist unbedenklich und gesichert. Zu 50 %— das war der Stand vor einigen Wochen, vielleicht sind es inzwischen mehr — hat der Finanzminister die Kredite schon in die Scheuern, wenn Sie so wollen. Und, Herr Leicht, die Bundesbank ist der Meinung— darauf geben Sie ja was —, daß sowohl dieser Kreditbedarf als auch der der anderen öffentlichen Kreditnehmer — Bahn, Post, Gemeinden, Länder — im Rahmen der absehbaren wirtschaftlichen Entwicklung am Kapitalmarkt zu befriedigen sind.Zweitens. Mit der Verwirklichung des Sparprogramms auch im Haushalt jetzt, insbesondere des Haushaltsstrukturgesetzes, setzt der Haushalt 1976 die Konsolidierung der Finanzen fort, wie wir sie mit dem Programm vom Herbst 1975 begonnen haben.Drittens. Der Haushalt ist konjunkturgerecht. Er stützt, soweit noch nötig, den Aufschwung, ohne die Stabilität zu gefährden, die wir nicht aus dem Auge verlieren werden.
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KirstViertens. Der Haushalt ist - ich wiederhole das von der vergangenen Woche — mit 5 %Steigerung und ohne jedes Wahlgeschenk ein Muster an Sparsamkeit.Fünftens. Trotzdem sichert der Haushalt die erforderlichen Mittel für alle wichtigen Aufgaben. Er sichert unseren Verteidigungsbeitrag; er sichert die hohen sozialen Leistungen, die Mittel für die innere Sicherheit und all die anderen Bereiche, die ich jetzt hier im einzelnen nicht aufführen will.Wir meinen, daß die Prioritäten unter Abwägung und Abschätzung und genauer Einteilung der sicher nicht nur 1976, sondern auch in den kommenden Jahren knappen Mittel richtig gesetzt sind. Der Haushalt insgesamt sichert die Fortsetzung der erfolgreichen Politik unserer Regierung im Jahre 1976.Lassen Sie mich, damit wir das nachher nicht noch besonders tun müssen, einige wenige Worte zu den Änderungsanträgen der Opposition einfügen. Zunächst komme ich zu dem Änderungsantrag auf Umdruck 7/5217, der ja eine Wiederholung aus der zweiten Lesung darstellt. Er ist nicht dadurch besser geworden, daß er wiederholt wird. Mit diesem Änderungsantrag sollen die Propagandatitel eingefroren werden. Herrgott noch einmal, wenn man Ihre Propaganda sieht, dann hat diese Regierung noch immer viel zu wenig Geld, um ihr entgegenzutreten!
Im übrigen haben wir das Bundespresseamt übernommen, und es tut das, was es immer getan hat.
Wir sollten diesen kleinlichen Streit, Herr Stücklen, lassen, daß die Opposition kritisiert, wenn es andere sind, aber genauso gehandelt hat, als sie regierte.Als der Antrag im Haushaltsausschuß kam, habe ich es einmal durchgerechnet. Die Steigerungen — Kollege Althammer, Sie hatten die Gesamtsumme angegeben — der Ansätze von 1969 bis jetzt entsprechen nicht einmal den in diesem Zeitraum leider zu verzeichnenden Teuerungsraten. So sparsam sind wir in dieser Beziehung!Der andere Punkt, meine Damen und Herren, ist eine glatte Unterstellung.
— Wir werden nie rot, Herr Möller; das ist das Schlimme für Sie.
Es ist eine glatte Unterstellung, zu behaupten, die Koalition habe — dann wird auch noch gesagt: abweichend von der früheren Praxis — die Ernennung und Beförderung von Beamten vom Parteibuch abhängig gemacht. Sie kennen doch manchmal aus den Zeiten vor 1969 die Ministerien besser als wir.
Lassen wir das doch beiseite. Auch in der Interregnumszeit wird ordentlich nach Recht und Gesetzregiert werden. Insofern ist ein solcher unterstellender Antrag gefährlich. Deshalb werden wir ihn ablehnen.
Herr Abgeordneter Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Herr Kollege Kirst, wären Sie in diesem Zusammenhang bereit, auch zu den skandalösen Vorgängen im Familienministerium im Jahre 1972 Stellung zu nehmen, als sich der Personalrat massiv gegen solche Praktiken wandte?
Ich kann das nicht beurteilen; dieses Ministerium gehört nicht zu meinem näheren Arbeitsbereich. Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Natürlich kann die Zusammensetzung des Personalrats die Folge früherer Personalpolitik gewesen sein. Das sollte man dabei nicht vergessen.
Nebenbei bemerkt waren wir in diesem Hause nie tätig.
— Ich habe ja gar nicht kritisiert, daß sie gewählt sind. Ich habe nur — und das scheint mir logisch zu sein — die Ursache der Zusammensetzung des Persoalrats in der Personalpolitik der Jahre vor 1969 vermutet.
Meine Damen und Herren, der Haushalt 1976 entspricht genau dem Motto der Regierungserklärung der Regierung Schmidt/Genscher vom Mai 1974: Kontinuität und Konzentration.
Die FDP bekennt sich mit ihrer Zustimmung zum Haushalt 1976 zu ihrer Verantwortung und zu ihrer Leistung in der von ihr in entscheidenden Positionen mit getragenen Bundesregierung. Sie stimmt diesem Etat zu.
Das Wort hat Herr Bundesfinanzminister Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesen Wochen und Monaten — auch im Zusammenhang mit der Haushaltsdebatte — ist an uns von Bürgern, aber auch in der veröffentlichten Meinung die Frage gerichtet worden, ob denn der Ton, in dem wir miteinander umgehen, der richtige sei, ob der Debattenstil, auch jener, der hier in der Haushaltsdebatte herrschte, vernünftig sei. Ich will in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam machen — hier möchte ich mich an meinen väterlichen Freund Alex Möller wenden —, daß Oppositionspolitiker früher hier von diesem Pult zu wichtigen
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Bundesminister Dr. Apelnationalen Fragen völlig anders gesprochen haben als diejenigen, die heute in der Opposition sind. Vielleicht liegt auch darin mit ein Grund, daß sich der Ton so verfestigt hat.Ich möchte zwei Zitate aus den vielen Reden, die Alex Möller hier gehalten hat, anführen, um dies zu belegen. Am 12. April 1962 hat Alex Möller hier für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion gestanden und gesprochen. Es ging um die Frage von Steuerveränderungen, um Einnahmeverbesserungen für den Bund. Alex Möller — ich zitiere wörtlich aus dem Protokoll des Deutschen Bundestages vom 12. April 1962 — hat damals gesagt:Wir werden Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, ... mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn Sie neue Finanzierungsquellen für wichtige Aufgaben des Bundeshaushalts und überhaupt der öffentlichen Finanzwirtschaft suchen.Dieses war der Ton des damals schon bedeutenden Finanzsprechers der Opposition. Die Opposition zeigte eine konstruktive Bereitschaft zur Mitarbeit bei der Lösung der sicherlich auch damals dringlichen Probleme der Finanzwirtschaft in unserem Hause.
Wie ganz anders klingt das heute! Ich will die Verbalinjurien, die Herr Strauß in der letzten Woche über uns ausgegossen hat, hier nicht wiederholen.
- Ich bin überhaupt nicht zartfühlend, Herr Kollege Stücklen.
— Ich zahle nur mit gleicher Münze heim. Das ist bekannt. Das gebe ich zu.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier ein zweites Zitat von Alex Möller anführen, um deutlich zu machen, daß von der damaligen Opposition auch in anderen Bereichen ein anderer Stil gepflegt wurde. Am 9. Januar 1964 erklärte Alex Möller hier von dieser Stelle folgendes:Sie, Herr Bundeskanzler, haben nun darauf hingewiesen, daß Ihnen noch manche außenpolitische Reise bevorstehe. Sie dürfen sicher sein, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion Sie mit allen guten Wünschen für beste Ergebnisse begleitet, aus dem einfachen Grunde, weil wir Sozialdemokraten Sie, Herr Bundeskanzler, nicht als den Bundeskanzler der einen oder der anderen Partei, sondern als den Bundeskanzler des ganzen deutschen Volkes ansehen und Ihnen deswegen für das deutsche Volk den Erfolg wünschen, den unser Volk nun wirklich braucht.
Welche Töne mußten wir hier in der letzten Woche über Bundeskanzler Schmidt hören! Auch dies ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Wenn dieses so ist, sollten Sie sich nicht darüber wundern, daß Sie von uns die gleichen Antworten bekommen, die Sie geben zu sollen meinen.
— Hochverehrter Kollege Reddemann, wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es heraus. Damit wir uns klar verstehen!
Ich komme zu den Bemerkungen — deswegen habe ich mich hauptsächlich zu Wort gemeldet —, die hier von Herrn Kollegen Leicht in die Debatte eingeführt worden sind. Es tut mir leid, daß wir damit einen Teil der Debatte, die wir in der letzten Woche geführt haben, noch einmal führen müssen. Aber Herr Kollege Leicht, es ist unrichtig, wenn Sie den Eindruck vermitteln wollen, als sei die sozialliberale Koalition in der Finanzpolitik seit 1969 bis 1976 ohne Konzept gewesen. Ich habe in der letzten Woche, wie ich meine, mit Zahlen belegt, deutlich gemacht — ich will das jetzt noch einmal tun , daß sich die Finanzpolitik der sozialliberalen Koalition in den zurückliegenden sechs Jahren in drei Phasen vollzogen hat.
Die erste Phase war die der Hochkonjunktur, die Phase inflationärer Gefährdung, im wesentlichen durch Ereignisse vom Weltmarkt verursacht; aber nicht nur, dies ist zugegeben. Dazu hat Herr Kollege Kirst das Nötige gesagt. Wie hat in dieser Phase die Finanzpolitik auf die damals durchaus schwierigen Umstände reagiert? Ich darf Ihnen die Zahlen vorlesen; Herr Kirst hat es in einer Prozentzahl dargestellt. Wir haben 1970 eine Nettokreditaufnahme von 1,1 Milliarden DM gehabt. Im gleichen Haushaltsjahr haben wir 1,5 Milliarden DM, also 400 Millionen DM mehr, als wir brauchten, stillgelegt, um genau das zu tun, was Herr Kollege Leicht gefordert hat, nämlich eine antizyklische Haushaltspolitik zu betreiben.
Im Jahre 1971 haben wir eine Nettokreditaufnahme von 1,4 Milliarden DM in den Bundeshaushalt eingestellt und eine Milliarde DM der Konjunkturausgleichsrücklage zugeführt.
Im Jahre 1972 haben wir 3,9 Milliarden DM Nettokreditaufnahme gehabt, den Rücklagen nichts zugeführt. 1973 haben wir eine Nettokreditaufnahme von 2,6 Milliarden DM gehabt und im gleichen Zeit-
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Bundesminister Dr. Apelraum 3,6 Milliarden DM stillgelegt, also mehr, als wir an Krediten netto aufgenommen haben. Wenn man dieses saldiert, so ergibt sich — Herr Kollege Kirst hat dies angesprochen —, daß wir in vier Haushaltsjahren sozialliberaler Koalition 9 Milliarden DM Nettokreditaufnahme getätigt und 6,1 Milliarden DM aus konjunkturellen Gründen stillgelegt haben. Mit uns zusammen taten die Länder dasselbe, so daß das insgesamt 11 Milliarden DM waren.
Ich frage mich, woher Sie die Kühnheit und die Stirn nehmen zu behaupten, in diesen ersten vier Jahren sozialliberaler Koalition hätten wir eine Anspruchsinflation entfaltet, hätten über unsere Verhältnisse gelebt. Tatsache ist, daß noch nie die Haushaltspolitik und Haushaltsfinanzierung so solide waren wie in diesen vier Jahren.
— Ich möchte erst diesen Gedanken zu Ende führen, dann lasse ich Ihre Zwischenfrage, Herr Kollege Leicht, gern zu.Sie, Herr Kollege Leicht, haben im übrigen auch deutlich gemacht, wie sich die Gesamtschulden des Bundes in diesen Jahren, immer auf das jeweilige Bruttosozialprodukt bezogen, reduziert haben. Sie haben meine Zahlen aus der letzten Woche zitiert und mir damit noch einmal Unterstützung gegeben und deutlich gemacht, daß wir in diesen Jahren 1970 bis 1973 die Schulden reduziert und abgebaut hatten, die Herr Strauß vorher in der Großen Koalition aus wohlerwogenen Gründen — dies füge ich hinzu — gemacht hat. Insofern ist auch durch Ihre Rede ein zusätzlicher Beweis für die Solidität unserer Politik erbracht worden.Bitte schön!
Herr Abgeordneter Leicht, bitte.
Herr Bundesfinanzminister, ich darf vielleicht noch einmal auf den ersten Gedanken zurückkommen. Sie haben mit Recht gesagt, daß in den ersten vier Jahren ein Boom herrschte. Warum haben Sie dann in den Jahren 1969 und 1970 unserer Bevölkerung Steuererleichterungen versprochen, was genau das Gegenteil dessen war, was richtig gewesen wäre? Weiter haben Sie von der Beziehung des Schuldenmachens zum Bruttosozialprodukt gesprochen. Ich habe Ihre Zahlen bestätigt; ich glaube, das kann man mir nicht entgegenhalten.
Was ich aber meinte, war, daß Sie die Zahlen für 1974 und 1975 und die für 1976 zu erwartenden, die bis 11,5 °/o reichen, nicht genannt haben.
Das will ich aber gerne nachholen. Da muß ich dann alle Zahlen vorlesen. 1967 hatten wir eine Verschuldung,auf das Bruttosozialprodukt bezogen, von 8,2 °/o. Das wurde von Ihnen vorgelesen und nicht bestritten. 1968 waren es 8,5 °/o, 1969 waren es 7,5 °/o. Dann beginnt der Abbau. 1970 waren es 7,0 °/o, 1971 und 1972 jeweils 6,5 °/o. 1973 waren es 6,2 °/o. Hier sehen Sie also den Abbau der Schulden, die Franz Josef Strauß als Finanzminister der Großen Koalition gemacht hat.
— Herr Leicht, ich bin bei 1974 und 1975: 1974 waren es 7,0 °/o und 1975 10,3 °/o.
— Das können Sie nicht begreifen. Ich kann das verstehen. Aber ich kann Ihnen dann auch nicht weiterhelfen.
Damit bin ich bei der zweiten Phase. Herr Kollege Leicht, natürlich sind 1974, 1975 und 1976 schwere Haushaltsjahre. In diesen Jahren starten wir vier Konjunkturprogramme. In diesen Jahren beschließen wir die Investitionszulage. Im Jahre 1975 wirkt zum erstenmal die Politik der Steuerreform. Es ist unrichtig, Herr Kollege Leicht, wenn Sie hier den Eindruck erwecken, als seien die Erhöhungen der ertragsunabhängigen Steuern gegen Ihre Stimmen beschlossen worden. Das ist doch einvernehmlich hier beschlossen worden. Lassen wir doch einmal die Wahrheit dort, wo sie hingehört, nämlich in das Protokoll des Deutschen Bundestages.Natürlich waren und sind das schwierige Haushaltsjahre. Es gab doch aber keine Alternative. Sollten wir denn in den Jahren 1974, 1975 und 1976 die Konjunktur nur deswegen absinken lassen, weil wir eine Brüningsche Politik wiederholen wollten? Herr Kollege Leicht, kennen Sie nicht die Zitate aller großen wirtschaftswissenschaftlichen Institute, insbesondere der Deutschen Bundesbank, der wissenschaftlichen Sachverständigen, die ich Ihnen in der letzten Woche vorgelesen habe und die deutlich machen, daß nur diese Politik die Voraussetzungen dafür schuf, daß wir so schnell — als Vorreiter mit in Europa — aus der Rezession herausgekommen sind? Ich weiß also nicht, was diese ganze Argumentation soll.Ich weiß es um so weniger, als nach vielen Wenn und Aber, nach vielen Einwendungen, nach vielem Zögern die Opposition allen diesen Maßnahmen, die entscheidend für die hohen Haushaltsdefizite in den Jahren 1974, 1975 und 1976 waren, zugestimmt hat. Sie haben doch diese Konjunkturprogramme mitgetragen. Sie haben doch die Steuerreform mitgetragen. Warum wollen Sie sich eigentlich — und das ist etwas, was ich nie begreifen werden — um das eigene Verdienst der Opposition bringen, durch Beschlüsse im Deutschen Bundestag mit dazu beigetragen zu haben, wenn auch unter Anleitung der sozialliberalen Koalition, den Aufschwung zu erreichen? Was soll eigentlich diese Doppelstrategie, die Sie hier immer ins Gefecht bringen?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17327
Bundesminister Dr. ApelHerr Kollege Leicht, nun sind wir bei dem ThemaSparen. Ich habe vor mir die Wahlplattform der CDU liegen. Hier muß man sich dann einmal angucken, was da zum Thema Sparen gesagt wird. Ich werde nur einige Elemente herausnehmen, die besonders finanzrelevant sind.Ich zitiere sinngemäß: Um durch Umweltauflagen keine Arbeitsplätze zu gefährden, wollen Sie steuerliche und finanzielle Maßnahmen, also staatliche Unterstützung, einsetzen. Sie wollen die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe stärken. Wir kennen da Ihre Konzeption: Anreiz über Steuermittel. Das kostet auch mindestens eine Milliarde DM. Sie wollen die Unterstützung der Forschung der gewerblichen Wirtschaft aus Steuermitteln. Sie haben gesagt — und dieses steht auch in Ihrer Wahlplattform —, Sie wollen die Förderung von Unternehmensinvestitionen durch steuerliche Hilfen. Das wären auch drei Milliarden DM. Jetzt ein wörtliches Zitat:Wir werden durch regionalpolitische Maßnahmen die strukturell schwachen und verkehrsfernen Gebiete stärker fördern. Wir werden die steuerlichen Benachteiligungen bei mittelständischen Unternehmen abbauen. Wir werden ein Erziehungsgeld— Ich glaube, Herr Möller hat darauf hingewiesen, daß das Kosten in Höhe von 1,4 Milliarden DM zur Folge hätte —einführen. Wir werden die Partnerrente einführen.Das würde mehrere Milliarden DM kosten. Ich will Ihnen nicht zu nahetreten, meine Damen und Herren: Aber dies ist doch die Politik des billigen Jakob.
Sie reden vom Sparen, Sie zitieren die Notwendigkeit — die ich voll unterschreibe —, die staatlichen Ausgaben knapp zu halten, und Sie treten viereinhalb Monate vor der Wahl vor den Wähler hin mit einem Füllhorn von Versprechungen, von denen Sie doch selber wissen, Herr Kollege Leicht, daß dieses alles nicht finanzierbar ist.
Damit komme ich zu einem weiteren Punkt, der in diesem Zusammenhang von großem Interesse ist, weil er natürlich, was die Konsolidierung der Staatsfinanzen anlangt, hier angesprochen werden muß und von Ihnen angesprochen worden ist. Herr Kollege Leicht, Sie haben als ehrlicher Mann am 7. Mai 1976, also vor kurzer Zeit, in der „Wirtschaftswoche" gesagt:Spätestens nach den Bundestagswahlen im Herbst wird daher dem Bürger gesagt werden müssen, wie die Finanzierungslücke letztlich geschlossen werden soll; Steuererhöhungen dürfen deshalb nur das letzte Mittel sein, um den Bundeshaushalt zu konsolidieren.Sie haben vor einigen Tagen, am 13. Mai, im Hessischen Rundfunk dieses Thema in einem Interview noch einmal nachgearbeitet und gesagt:Ich kann natürlich nicht sagen, ob auf ewige Zeiten nach dem 3. Oktober eine solche Steuererhöhung— sprich Mehrwertsteuererhöhung —ausgeschlossen ist.Es bleibt also nur noch die Frage der Ewigkeit, die jetzt von Ihnen neu eingeführt worden ist, um sich selber abzusichern. Im übrigen stimmen Sie ja dann Herrn Strauß zu, daß Kassensturz gemacht und dann die Wahrheit gesagt werden soll.Ich kann feststellen, daß wir hier unsere Konzeption für Phase drei vorgetragen haben: Haushaltsstrukturgesetz, Sparmaßnahmen, die kneifen und wohl jedem Abgeordneten der Koalition in jeder Versammlung, die er hat, Schwierigkeiten machen. Wir werden doch in jeder Versammlung wegen dieser Sparmaßnahmen kritisiert. Insofern muß ich mich wundern, wenn Sie meinen, das sei eine einfache Operation gewesen. In jeder Versammlung kommt die Frage des Ortszuschlages, kommt die Frage der Subsidien für die Landwirtschaft, die Frage der Reduzierung der Gemeinschaftsaufgaben und und und. Nur kann ich mich hier auf Herrn Irmler berufen, der als Mitglied des Direktoriums der Bundesbank keineswegs im Geruch steht, Sozialliberaler zu sein. Im „Handelsblatt" war in diesen Tagen zu lesen:Als entscheidenden Bestandteil einer Politik der Haushaltsbereinigung sieht Irmler die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer an.Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen sagen: Wenn Sie in dieser Größenordnung von vielen zehn Milliarden DM den Bürgern in Ihrer Wahlplattform etwas versprechen, dann müssen Sie auch sagen, wie Sie das finanzieren wollen.
Da sprechen Sie über die globale Minderausgabe und über Schätzansätze. Sie wollen einfach Schätzansätze reduzieren. Ansonsten, Herr Kollege Leicht — entschuldigen Sie den etwas saloppen Ausdurck —, haben Sie uns hier wie im Haushaltsausschuß Kinkerlitzchen zum Streichen angeboten. Einige Parlamentarische Staatssekretäre nicht mehr zu beschäftigen, bringt einige hunderttausend D-Mark Ersparnis, aber reduziert die Leistungsfähigkeit dieser Republik. Dies muß man auch hinzufügen.
— Allerdings!
— Bitte schön, Herr Kollege Leicht.
Herr Minister, man kann in Zwischenfragen leider nicht auf alles eingehen; das würde auch zuviel stören, das sehe ich ein. Aber ich muß Ihnen die Frage stellen: Sind nicht Sie selbst
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17328 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Leichtes gewesen, der eine globale Minderausgabe in den Bundeshaushalt eingesetzt hatte? Und jetzt stellen Sie die der Opposition als unrichtig hin und versuchen damit, der deutschen Öffentlichkeit zu sagen, wir machten es uns sehr leicht. Sie haben es sich leicht gemacht.
Dazu kann ich Ihnen folgendes erklären. Zähneknirschend, nicht mit großer Begeisterung, habe ich zur Kenntnis genommen, daß mir die Mehrheit des Haushaltsausschusses — und Sie sagen ja, das wissen Sie — eine globale Minderausgabe aufs Auge gedrückt hat. Aber da gibt es ja wohl noch Größenordnungsunterschiede, ob man sagt: du hast im Laufe des Haushaltsvollzuges 21/2 Milliarden einzusparen, oder ob man die doppelte Einsparung verlangt.Und das ist das Problem. Bei allem Unwohlsein bei globalen Minderausgaben versuchen Sie jetzt, Herr Kollege Leicht, daraus die Guillotine der Finanzpolitik zu machen, indem Sie das Ding überstrapazieren. Dies kann ich nun in der Tat nicht akzeptieren.Nun haben Sie, Herr Kollege Leicht, gesagt, es müsse doch auch überlegt werden, ob nicht die Dinge durch die anspringende Konjunktur, durch die Verbesserung der Konjunkturlandschaft besser in Ordnung kämen. Herr Kirst, glaube ich, war es, der sehr richtig darauf aufmerksam gemacht hat, daß wir uns in der Finanzplanung sehr ehrgeizige Ziele gesetzt haben: 5 °/o reales Wirtschaftswachstum in 1977.Aber wir müssen uns einmal das Jahr 1976 angucken, um uns eine Vorstellung darüber machen zu können, ob denn die Mehreinnahmen nach Steuerschätzungen 1,4 Milliarden DM mehr; die Herren irren sich selten — nun wirklich das Heil bringen. Davon sind weg für den Verlustrücktrag, den Sie gefordert haben, den wir alle gewollt haben: 300 Millionen DM. Davon sind weg für das Sofortprogramm „Jugendarbeitslosigkeit", das wir hier ja wohl einhellig wollen: 300 Millionen DM.
Davon sind weg für die Sturmflutschäden, die wir zu beseitigen haben und die wir alle gemeinsam beseitigen wollen: wenn ich es richtig im Kopf habe, rund 200 Millionen DM. Davon sind weg für die zusätzlich bereitzustellenden Mittel für die Besoldungsanhebung in Berlin und beim Bund: 500 Millionen DM. Und, meine Damen und Herren, davon sind weg X-Millionen für die Europäische Gemeinschaft. Wenn ich sage: X, weiß ich nur, daß da etwas kommt. Wieviel es sein wird, weiß ich nicht. Wenn Sie dies alles aufaddieren, dann merken Sie — Herr Kollege Leicht, Sie wissen es doch sehr genau -, daß die Probleme so leicht leider - leider! — nicht zu regeln sind.
Lassen Sie mich zu einem nächsten Punkt kommen. Herr Kollege Leicht, Sie haben darüber gesprochen, daß wir nicht zuletzt deswegen heute in Haushaltsschwierigkeiten sind, weil wir vorher zu viele Gesetze mit kostenwirksamer Konsequenz gemacht haben. Ich habe Ihnen bereits dargestellt, daß bis Ende 1973 bei Bund und Ländern 11 Milliarden DM Rücklagen gebildet werden konnten, ich also von daher schon Ihren Ansatz nicht akzeptiere. Aber ich muß dann doch einmal anders herum fragen. Ich habe das bereits vor einem Jahr bei der Haushaltseinbringungsrede getan. Damals habe ich Ihnen 38 Gesetze mit sozial- und gesellschaftspolitischem Inhalt vorgeführt, die alle Geld gekostet haben — 38 Gesetze, von 1972 bis in das Jahr 1975 hinein. Von diesen 38 Gesetzen hat nur ein Gesetz nicht die Zustimmung der Opposition bekommen, weil Sie, meine Damen und Herren, in diesem einen Punkte mehr Geld ausgeben wollten, als wir es für akzeptabel hielten. Ich weiß also nicht ganz genau, gegen wen Sie diese Kritik richten: vielleicht gegen sich persönlich, in jedem Falle nicht gegen uns; Sie haben ja mitgestimmt; und ich erkläre nachträglich: Diese Gesetze waren solide finanziert, sie waren notwendig, um den Reformstau, den Sie bis 1969 verursacht hatten, endlich abzubauen. Dieses mußte sein!
Nun kommt immer das Märchen von dem Staatsanteil und davon, was der Moloch Staat alles tut. Hier in diesem Hause und in dieser Debatte wird darüber zu reden sein, was der Bund den Bürgern abnimmt — und nur darüber. Sie müßten endlich einmal intellektuell trennen lernen zwischen dem Staatsanteil, der an die Sozialversicherung geht, der eigentlich gar kein Staatsanteil ist, weil dies Selbstverwaltungsgremien sind, zwischen dem Staatsanteil, der an Länder und Gemeinden geht, und dem, der an den Bund geht. Und da will ich Ihnen jetzt die Zahlen geben. Staatsanteil der Bundesausgaben am Bruttosozialprodukt: 1969: 13,6 °/o; 1970: 12,8 °/o; 1971: 12,9 °/o; 1972: 13,3 °/o; 1973: 13,1 °/o; 1974: 13,4 °/o; 1975 das war das Jahr der Konjunkturprogramme, der Steuerreform, der siebeneinhalb Milliarden DM für die Bundesanstalt für Arbeit —: 15,2 °/o. In 1976 war schon wieder ein Rückgang auf 14,6 0/o zu verzeichnen. Ich weiß also gar nicht, worüber Sie hier eigentlich reden,
worauf Sie eigentlich hinaus wollen,
es sei denn darauf, daß in der Tat Länder und Gemeinden sozialdemokratisch wie christdemokratisch regierte Länder — ihren Staatsanteil in einem sehr viel stärkeren Maße ausgeweitet haben. Aber dazu will ich mich ausdrücklich bekennen, denn es wäre ja wohl ziemlich billig, wenn wir uns hier als Bundespolitiker hinstellten und dem Lande Rheinland-Pfalz, dem Lande Hamburg, dem Lande Hessen, wem auch immer, Vorwürfe darüber machen wür-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17329
Bundesminister Dr. Apelden, daß sie mehr Lehrer, mehr Polizisten, alles das, was wir wollen, eingestellt haben und natürlich auch bezahlen müssen.
Ich bitte also wirklich, hier doch zu einer nuancierten Betrachtung zu kommen.Meine Damen und Herren, Sie ziehen bei der Steuerbelastung internationale Vergleiche. Hierbei werden die Steuerbelastungen durch Bund, Länder und Gemeinden eingerechnet. Ich stelle diese Zahlen gerne zur Verfügung; sie sind auch vom Bundesfinanzministerium veröffentlicht worden. Bei dem Vergleich wird deutlich, daß wir einen hervorragenden Platz haben und daß überhaupt nicht davon geredet werden kann, daß unsere Bürger auf dem Steuersektor überfordert werden. Ich will Ihnen die Zahlen geben. In der Bundesrepublik betrug der Anteil 1974 — das ist alles vor der Steuerreform; inzwischen sind wir bei einem Anteil der Steuern am Bruttosozialprodukt von 22 bis 23 °/o — 24 °/o; Dänemark gut 39 °/o; Großbritannien gut 29 %; Niederlande 29 °/o; Norwegen 30 °/o; Österreich wie Bundesrepublik; Schweden 36 °/o. Wenn ich es recht sehe, gibt es drei Länder, die niedriger liegen als wir: die Schweiz, Italien und Japan. Nun weiß ich nicht, ob wir uns in dieser Frage der Versorgung der Bürger mit öffentlichen Leistungen — und das ist es doch, wofür der Staat die Steuereinnahmen braucht — mit den Ländern vergleichen sollten, die niedriger liegen als wir. Ich wenigstens möchte diesen Vergleich nicht so gerne haben.
Ich habe damit auch bereits einige Bemerkungen zur Staatsquote gemacht. Ich habe gehört, Herr Professor Zeitel wird darüber noch sprechen. Ich bitte, dies aber in der nuancierten und gehörigen Form
des Unterscheidens zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und Sozialversicherungsträgern zu tun und nicht immer in dieser sehr allgemeinen und nicht sehr zutreffenden Form.
Ich möchte einige Bemerkungen über die Schulden des Bundes und darüber machen, wie diese Schulden zu bewerten sind, weil darüber der Kollege Leicht auch sehr breit gesprochen hat.
— Ja, aber, Herr Kollege Leicht, vielleicht nehmen Sie vorher erst einmal die Fakten zur Kenntnis
und dann die Bewertung.
Der Bund hat im Jahre 1973 — und in diesem Jahre hat der Bund mehr an Steuern stillgelegt, als er Nettokreditaufnahme getätigt hat — 2,7 Milliarden DM Nettokreditaufnahme gehabt; 1975 waren es 29,9 Milliarden DM. Die Länder hatten 1973 2,6 und 1975 16,9 Milliarden DM. Dies heißt doch nichts anderes, als daß alle Bundesländer, sozialliberal regiert, christsozial oder christdemokratisch regiert, in diesen Jahren die gleiche Politik gemacht haben. Gott sei Dank haben sie diese Politik gemacht! Insofern weiß ich gar nicht, gegen wen Sie hier eigentlich polemisieren: Gegen Herrn Gaddum, gegen Herrn Lausen aus Schleswig-Holstein, gegen mich oder gegen die ökonomische Vernunft? Ich fürchte, das letzte.
Ich komme zu den Zitaten, Herr Kollege Leicht. Es tut mir leid, aber die Wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute sagen:Mit den bisherigen Entscheidungen in der Finanzpolitik sind der konjunkturellen Entwicklung für 1976 Impulse gegeben worden, vor allen Dingen durch die Investitionszulage und das Konjunkturprogramm vorn August.Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung:Die Finanzpolitik sollte ihre Bemühungen um den Abbau des Finanzierungsdefizits mit dem konjunkturellen Erholungsprozeß abstimmen.Der Staat muß also auf eine zu rasche Verringerung dieser Defizite verzichten, wenn er nicht den Aufschwung gefährden will.Als letztes schließlich noch einmal die Wirtschaftswissenschaftlichen Institute:Diese Programme stimulierten den Wirtschaftsaufschwung so, daß er beflügelt wurde.Das Zitat der Deutschen Bundesbank hat Herr Dr. Möller bereits eingeführt.Hier muß man doch wieder die Frage stellen: Welches wäre eigentlich die Alternative gewesen? Wenn hier über Schulden philosophierte wird, wenn dieses als Schreckgespenst dem Bürger an die Wand oder auf seinen Fernsehschirm gemalt werden soll, dann müssen Sie doch die Frage beantworten, was denn Ihre Alternative gewesen wäre. Ich habe in der letzten Woche gesagt — das hat zu wütendem Protest geführt —, Deflation wäre dann ja wohl die Alternative gewesen. Ich will das jetzt nicht ausbreiten. Aber da wir gemeinsam Steuerreform und Konjunkturprogramme beschlossen haben, kann ich diese Art von Polemik überhaupt nicht verstehen.Ich möchte zu einem weiteren Punkt kommen, nämlich zur Haushaltsfinanzierung 1976, zu den Haushaltsresten. Natürlich, Herr Kollege Leicht, haben wir Haushaltsreste. Sie sind nicht nur, aber auch das Ergebnis einer konsequenten Sparpolitik des Bundes gewesen. Nun haben Sie etwas sehr Interessantes gesagt. Ich habe das hier mitgeschrieben. Sie sagten, im wesentlichen seien doch die Haushaltsreste von 1975 keine Sparmaßnahmen gewesen, sondern das Ergebnis eines wiederbeginnenden Aufschwungs. So haben Sie es gesagt. So habe ich mir das hier aufgeschrieben.Nun bin ich aber für Sprachregelung auf Ihrer Seite. Entweder war der Aufschwung 1975, wie wir es statistisch feststellen, ab dem Frühsommer da, und Sie bestätigen das hier, indem Sie sagen, er
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17330 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Bundesminister Dr. Apelhätte sich in der Haushaltspolitik niedergeschlagen. Dann sind wir auf einer Wellenlänge. Oder Sie reden weiterhin von Wahlbetrug in Nordrhein-Westfalen im letzten Jahr. Eins von beiden geht nur. Wenn sich der Aufschwung am guten Haushaltsergebnis abzeichnet — das sagten Sie; hier sind wir auf einer Wellenlänge —, dann können Sie aber nicht gleichzeitig sagen, der Aufschwung habe nicht im letzten Frühsommer begonnen. Er hat nämlich — so zeigen es die Statistiken — in der Tat begonnen.
Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Ja, natürlich.
Herr Bundesfinanzminister, entweder haben Sie mich nicht verstehen wollen oder ... Ich will mich des weiteren Wortes enthalten. Ich frage Sie, ob Sie denn nicht verstanden haben, daß ich zwar vom Aufschwung auch gesprochen habe und ihn auch erwünsche, aber daß ich daraus nicht in erster Linie meine Konsequenzen gezogen habe, sondern daß ich das aus Ihren Fehlschätzungen tat. Wenn Sie um runde 5 Milliarden DM fehlgeschätzt haben, dann liegt das doch nicht an uns, sondern an Ihnen, und es zeugt doch von Ihrer Tüchtigkeit oder von Ihrem Verständnis für diese Dinge.
Herr Kollege Leicht, über meine Tüchtigkeit hier zu reden, ist ziemlich müßig.
Sie haben vorhin gesagt - ich habe mir das aufgeschrieben , das läge im wesentlichen am Konjunkturaufschwung. Das werden wir uns anschließend angucken. Sie sagen jetzt, es seien Fehleinschätzungen gewesen. Aber natürlich gab es das. Wer will denn bestreiten, daß das Haushaltsjahr 1975 voller Probleme war, daß wir zu Beginn des Jahres bei der Aufstellung des Haushaltsplans für 1975 die Tiefe der Rezession nicht erwartet hatten und daß wir dann, als wir im August den Nachtragshaushalt eingebracht hatten, noch nicht die statistischen Informationen hatten, daß der Konjunkturaufschwung schon wieder so stark da war. Ob das etwas mit Tüchtigkeit zu tun hat, lassen wir einmal dahingestellt sein. Sie selber haben eben zu einem anderen Punkt gesagt, daß man sich bei einem so riesenhaften Haushalt um 1, 2 °/o verschätzen kann. Das nehme ich dann auch für mich in Anspruch.
— Einverstanden.
Nun haben Sie, Herr Kollege Leicht, gesagt, wir sprächen zur Zeit nur über Steuererhöhungen — so habe ich es mir aufgeschrieben —, um die Bürger quasi jetzt zum Konsum zu bringen, d. h. den Konsum zu steigern, weil dann die Konsumgüter teuer würden. Dies sei ein Trick. Ich füge hinzu: Herr Strauß hat inzwischen sogar gesagt, wir hätten einen weiteren Trick vor, nämlich den, gegebenenfalls vor den Wahlen Steuererhöhungspläne abzusagen. Ich kann Sie hier beruhigen. Diese Art von trickreicher Finanzpolitik findet bei uns nicht statt,
sondern wir übernehmen die Verantwortung für das Haushaltsjahr 1977 und sagen auch vor den Wahlen die Wahrheit. Ob das bei Ihnen so ist, weiß ich nicht.
Ich habe heute morgen, meine Damen und Herren — das will ich Ihnen gerne vortragen —, in der heute erschienen Ausgabe der „Zeit" einen Artikel von Rudolf Herlt gelesen. Den sollten wir uns alle zu Gemüte führen. Rudolf Herlt schreibt in einem Vorspann zur Überschrift:Wenn die sozialliberale Koalition die Wahl gewinnt, zahlen wir mehr Steuern. Könnte uns ein Wahlsieg der Opposition davor bewahren?Dann kommt seine Überschrift: „Mit gezinkten Karten". In dem Artikel schreibt er:Die Nachdenklicheren unter den Wählern werden sich fragen, ob die CDU/CSU nicht mit gezinkten Karten spielt, wenn sie den Bürgern weismachen will, eine von ihr geführte Regierung könnte den defizitären Bundeshaushalt auch ohne Steuererhöhungen wieder in Ordnung bringen.Bundesfinanzminister Hans Apel hat schon 1975 den Befund verkündet: Die Ausgabenflut sei auf die Dauer nur durch drastische Ausgabenkürzungen einzudämmen, aber zur Finanzierung des Restes müßten die Steuern erhöht werden.Im übernächsten Absatz fährt er fort:Aber die CDU/CSU wird sich im Wahlkampf fragen lassen müssen, wie sie denn ohne die sieben Milliarden Mark Steuermehreinnahmen die Bundesfinanzen wieder in Ordnung brächte, wenn sie an die Macht käme. Vorläufig sagen ihre Finanzpolitiker nur, sie würden Personal abbauen, Subventionen kürzen und eine globale Einsparung von 4,8 Milliarden Mark durchsetzen. Die globale Einsparung heißt doch wohl, daß alle Haushaltsansätze gleichmäßig um einen bestimmten Prozentsatz gekürzt werden sollen; sie ist Ausdruck politischer Hilflosigkeit.Nun kommt der entscheidende Satz:Vom Vorwurf, mit gezinkten Karten zu spielen, kann sich die Opposition nur entlasten, wenn sie verraten würde, wo sie Personal einsparen und welche Subventionen sie kürzen würde.Dieser Aussage ist nichts hinzuzufügen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17331
Bundesminister Dr. ApelLassen Sie mich aus den Ausführungen von Herrn Leicht einige Konsequenzen ziehen.
Ein ehrlicher Mann, wie es der Vorsitzende des Haushaltsausschusses ist, hat es schwer — und dafür habe ich Verständnis —, eine nicht bestehende Alternative der Opposition darzustellen. Er mußte mit gezinkten Karten spielen, obwohl ihm das nicht liegt. Unsere Konzeption hingegen zeichnet sich dadurch aus, daß wir vor den Wahlen — dazu verweise ich auf den Artikel von Rudolf Herlt — dem Bürger ehrlich sagen, was notwendig ist und warum es notwendig ist.
Wir können heute feststellen, daß unsere Finanzpolitik, aber auch unsere internationale Währungspolitik in den letzten zwei Jahren Erfolg hatten und daß wir die Vorreiter des internationalen Aufschwungs geworden sind.
Wir haben dem deutschen Bürger unsere Perspektiven in der Finanzpolitik, der Währungspolitik und der Geldpolitik dargestellt. Wir haben dem Bürger gesagt, wie es nach dem Wahltag weitergeht. Die Opposition sagt dazu nichts. Damit bleibt für alle Betrachter eine wichtige Frage übrig: Will die Opposition denn überhaupt regieren?
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Zeitel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, da Sie einleitend die Frage des Stils der Auseinandersetzung gestellt haben, frage ich, ob Sie eigentlich eine Aktivlegitimation dafür haben.
Ich rate Ihnen, die Protokolle über Ihre Reden auf den Sprachstil und die Schnoddrigkeit der Auseinandersetzung, die gerade Sie gepflegt haben, nachzulesen.
Bevor ich zu der Frage der Solidität der Finanzpolitik dieser Regierung und der ausgreifenden Planung über sechs bis sieben Jahre — mit merkwürdigen Ergebnissen zwischendrin —
Stellung nehme, lassen Sie mich ein paar Bemerkungen zu einem Thema machen, das in der Auseinandersetzung in der vorigen Woche mehrmals eine Rolle gespielt hat, nämlich der Höhe der Staatsquote. Sie hat diese Rolle sicher nicht zu Unrechtgespielt. Denn die Staatsquote ist ein zwar mit Mängeln behaftetes, aber immer noch wesentliches Kennzeichen, um für das Vordringen der staatlichen Aktivität einen Maßstab zu geben.Der Bundeswirtschaftsminister hat es in dem ihm eigenen Stil für richtig befunden, der CDU/CSU-Fraktion in diesem Zusammenhang den Versuch einer Legendenbildung zu unterstellen. Wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister es schon für richtig hält, dabei moralisierend vorzugehen, dann wäre es gut, wenn die Fakten wenigstens richtig gewürdigt würden. Er versucht ja sonst zumindest, mit einem großen Zahlenaufwand Sachlichkeit zu demonstrieren.Es ist richtig: Die Staatsquote schwankt im Konjunkturverlauf. Sie nimmt in rezessiven Phasen zu, und sie geht in Zeiten eines Wirtschaftsaufschwungs wieder zurück. Aber nach allem, was wir auf Grund der bisherigen Konjunkturverläufe kennen, beträgt die Schwankungsbreite der Staatsquote nicht mehr als 2 bis 3 °/o. Es ist daher ein Stück Irreführung, wenn der Wirtschaftsminister mit dem Hinweis auf die Schwankungsbreite den Eindruck zu erwecken versucht, als hätte sich die Staatstätigkeit seit 1970 nicht explosionsartig ausgeweitet.
Für diesen Tatbestand spricht nicht nur die erschreckende Zahl von 47,5 %, die wir gegenwärtig erreicht haben, sondern noch mehr, daß wir bereits im Jahre 1971, also in der Phase einer Aufschwungs-entwicklung, eine Quote von über 40 % erreicht hatten. Nicht zufällig — lassen Sie mich das deutlich machen — sind wir bereits im Jahre 1975 bei der Staatsquote gelandet, die der Langzeitkommissar Schmidt erst für das Jahr 1985 anvisiert hatte.
Es bedeutet auch ein Stück Meinungsmanipulation, die wir heute soviel erleben, wenn der Bundeswirtschaftsminister die CDU dafür in Mithaftung nehmen möchte. Richtig ist vielmehr, daß die CDU/CSU-Fraktion nicht nur wiederholt auf die Unsolidität einer Finanzpolitik hingewiesen hat, die inflationsbedingte Steuermehreinnahmen zur Finanzierung staatlicher Daueraufgaben einsetzt,
statt rechtzeitig die Bürger von den heimlichen Steuererhöhungen, die in einer solchen Zeit stattfinden, in vollem Umfange zu befreien.
Die CDU/CSU-Fraktion hat darüber hinaus die quantitativ wesentlichen Steuererhöhungen der letzten Vergangenheit nicht mitgetragen, weil sie eben einen immer tieferen Griff in die Taschen der Bürger vermeiden und den Staat zur Sparsamkeit zwingen wollte.
Es ist wiederum ein Stück Ihrer Legendenbildung, als hätten wir in den einzelnen Haushaltsjahren nicht auch Alternativen vorgelegt.
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17332 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Dr. ZeitelKein Haushaltsjahr ist vergangen, ohne daß nicht von der CDU/CSU alternative Sparprogramme vorgelegt worden sind,
die Sie, Herr Bundesfinanzminister, in diesem Haus verhöhnt haben, um dann als Weihnachtsgeschenk 8 Milliarden DM mehr in der Kasse auszuweisen.
Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen: Wenn ein Finanzminister im Oktober einen Nachtragshaushalt einbringt und dann noch nicht einigermaßen über die Größenordnung der Fehlschätzungen informiert ist, weiß er entweder nicht Bescheid oder er ist unfähig. Anders lassen sich die Dinge nicht darstellen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17333
Die CDU/CSU-Fraktion hält die bei den Bürgern mit mittleren Einkommen erreichte Abgabenlast bereits für bedenklich.Das ist nicht nur unsere Auffassung. Ich habe gerade in den letzten Tagen die hiesige Ortszeitung der SPD auf den Tisch bekommen, „KESS & DOTT" . Ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren. Da heißt es in dieser SPD-Zeitung, von SPD-Mitgliedern redigiert: „Allenthalben öffentliche Maßhalteappelle und dann saftige Gebührenerhöhungen, und das auf allen Ebenen."
Nun folgt eine Abqualifikation von Herrn Gscheidle; die möchte ich nicht mitmachen, weil sie mir in der Zwischenzeit zu billig geworden ist. Aber dann geht es weiter: „Denn mehr und mehr sieht der Bürger nicht länger ein, wofür er sich an Steuern und Gebühren dumm und dämlich zahlt."
Das ist die Situation, die offensichtlich auch von den SPD-Mitgliedern empfunden wird, nur von einigen großen Finanzstrategen möglicherweise nicht.
Der Finanzminister sagt so leger dahin: für ihn gibt es keine Finanzierungsprobleme. Und er hat mit einemmal 8 Milliarden mehr in der Tasche. Er sagt so leichthin: Steuererhöhungen sind ein Witz. Wir haben aber auch noch eine Regierungserklärung, in der davon die Rede ist, daß keine Mehrwertsteuererhöhungen vorgenommen worden sind. Das alles haben Sie entweder trotz Ihrer sechsjährigen Planung offensichtlich nicht vorhergesehen, oder Sie haben es unterdrückt. Ich befürchte, es steht um Ihre Planungsfähigkeit schlecht, die Sie sonst immer so betonen.
Nun ein paar Bemerkungen zu einer anderen Kernfrage, die die Diskussion bestimmt hat, nämlich zum Thema der Weltrezession. Die Haushaltsdebatte hat ja wohl für jeden Außenstehenden erkennen lassen, wie die SPD den Wahlkampf führen wird: Schuld an den wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten, die sich nun nicht mehr verheimlichen lassen, ist die Weltrezession, die zur schwierigsten Krise seit den 30er Jahren hochstilisiert wird. Die Lösung der Probleme der schweren wirtschaftlichen Entwicklung in der Nachkriegszeit mit über 12 Millionen Flüchtlingen wird mindergeschätzt gegenüber einer Weltrezession, die als überragendes Ereignis herhalten muß.
Die CDU/CSU-Fraktion hat in allen wirtschaftspolitischen Debatten den Einfluß der Energiekrise und
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17334 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Dr. Zeitelder darauf folgenden Konjunkturschwäche in zahlreichen Ländern nicht geleugnet.
— Sicher, Herr Wehner. Ist Ihnen das erst so spät aufgefallen?
In der letzten Woche hat Graf Lambsdorff, wie das ja auch im vergangenen Jahr immer wieder geschehen ist, das Ausmaß dieser Rezession schlicht und einfach mit falschen Zahlen belegt.
Erst waren es 40 Milliarden DM, aber im Endeffekt wurde es nur die Hälfte. Graf Lambsdorff, der Erfolgsmelder vom Dienst, hat aus 5 °/o erst mal wieder 10 °/o gemacht. Sie sollten etwas präziser mit den Fakten umgehen, bevor Sie Erfolge melden.
Wir bestreiten auch nicht — das sollten wir im Interesse einer redlichen Diskussion sagen, Herr Bundesfinanzminister —, daß die Preisstabilität in der Bundesrepublik besser ist als in anderen Ländern. Darüber hadern wir nicht. Nur: Relative Maßstäbe sind immer gefährlich. Wir werden Sie nicht ausweichen lassen in die relative Betrachtungsweise, wenn der Bundeskanzler dann noch in nicht sehr angebrachter Form das Ausland kritisiert. Wir messen Sie an den Maßstäben, die Sie selbst in Ihren Regierungserklärungen gesetzt haben, und an keinen anderen.
Hier haben wir festzuhalten, daß wir noch immer bei 5 °/o Preissteigerung liegen. Das ist nahezu das Doppelte wie zu Zeiten der CDU-Regierungen. Wir haben auch festzustellen, daß wir entgegen allen Erklärungen des Bundeskanzlers „Die Arbeitsplätze sind sicher" in der Zwischenzeit noch immer fast 5 °/o Arbeitslose haben. Ich halte es für gespenstisch, wie neuerdings auch im Bereich der Beschäftigungspolitik die Arbeitslosigkeit als strukturell und anhaltend betrachtet wird.
Ich glaube, diese Einstellung sollten wir schnell aufgeben. Arbeitslosigkeit ist kein Schicksal, sondern ist ein Ausdruck der Fähigkeit einer Regierung, mit dem Beschäftigungsproblem fertig zu werden.
Unter CDU-Regierungen hat es eine solche Arbeitslosigkeit nicht gegeben. Das sind die Fakten.
Lassen Sie mich hier nicht nur die Fakten darlegen, sondern auch den Versuch unternehmen, zu erklären, woher die Fehlentwicklung kommt. Der Hauptgrund liegt überhaupt nicht in der Weltrezession,
sondern in der ungenügenden Investitionsneigung und den ungelösten Strukturproblemen.
— Herr Schachtschabel, Sie lachen sehr gern und sehr viel; vielleicht zuviel.Was die Investitionsneigung angeht, können wir feststellen, daß sie seit 1971 — nicht erst seit 1974 oder 1975 — rückläufig ist. Von der Investitionsneigung hängt nun einmal die Sicherheit der Arbeitsplätze von morgen ab.
Dieser Rückgang steht im Zusammenhang mit den rückläufigen Erträgen unserer Wirtschaft, die Teile von Ihnen immer noch als „Profite" anprangern. Ohne hinreichende Erträge kommen aber Investitionen nicht zustande, nicht einmal in sozialistischen Systemen.
Diese grundlegenden Zusammenhänge sollten wir der Bevölkerung auch einmal deutlich machen.
Immerhin hat der Finanzminister ja noch im Dezember 1974 stolz erklärt: Wir haben bewußt und gewollt die Investitionsneigung zusammengedrückt.Meine Damen und Herren, im Frühjahr 1973 haben wir hier eine heftige Debatte über die sogenannte Investitionsteuer geführt. Wir waren dafür, diese Steuer nicht einzuführen, und haben Ihnen als Alternative angeboten, den nach dem Gesetz möglichen Stabilitätszuschlag zu wählen. Sie haben aber aus naheliegenden Gründen — um die Belastungen auf möglichst wenige abzuschieben — den Weg der Investitionsteuer gewählt. Dadurch wurde die Investitionsneigung künstlich heruntergedrückt, worin ein wesentliches Element der Arbeitslosigkeit von heute zu sehen ist. Tun Sie doch nicht immer so, als hätten wir keine Alternative angeboten!
Lassen Sie es mich hier deutlich sagen: Der Wirtschaftspolitik der sozialliberalen Koalition mangelt es an einem Mindestmaß an Kontinuität und Vertrauensbasis. Man kann nicht in einem Jahr eine Investitionsteuer erheben und dann, wenn die letzten gerade die Investitionsteuer zahlen, die ersten schon wieder mit einer Prämie locken und diese Prämie breit streuen wollen.
Es ist ferner so, daß der Anteil der Investitionen im öffentlichen Bereich — den Sie unmittelbar in der Hand haben, wo Sie Infrastrukturmaßnahmen ergreifen können, die für die Sicherung der Arbeitsplätze von morgen relevant sind — ebenfalls rückläufig ist.Lassen Sie mich nicht unerwähnt lassen, was in den Debatten bisher nicht erwähnt worden ist, aber in eine Haushaltsdebatte des Bundes, der die Haupt-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17335
Dr. Zeitelverantwortung im finanzpolitischen Bereich zu tragen hat, gehört. Die Finanzsituation der Kommunen ist zur Stunde vielleicht am schwierigsten. Zwei Drittel unserer Investitionen werden nicht von Bund und Ländern, sondern von den Kommunen getätigt. Die Kommunen müssen ihre Investitionen einschränken, weil sie keinen ausreichenden Finanzierungsspielraum mehr haben.Die Absicht der sozialliberalen Koalition, die Fehler der eigenen Politik zu verdecken und die Schuldigen im Ausland zu suchen, ist für die Bürger unseres Landes trotz aller Meinungsmanipulation mit beträchtlichem öffentlichen Reklameaufwand erkennbar geworden.Erlauben Sie mir, zu dem zweiten Thema, das für die Erklärung der Arbeitslosigkeit relevant ist, zu den Fragen der Strukturpolitik, die bisher ebenfalls kaum erwähnt worden sind — es sei denn im Rahmen von Einzeletats —, ein paar Bemerkungen zu machen. Die wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten, die die Entwicklung in der Bundesrepublik gegenwärtig kennzeichnen, sind aus einem weiteren Grunde nicht primär weltwirtschaftlich bedingt. Die ungelösten Probleme der Strukturpolitik sind hausgemacht und nicht durch die Weltwirtschaftsentwicklung zu erklären. Oder soll etwa das Ausland für die verfahrene Situation in der Bau-und Wohnungswirtschaft, für die verfahrene Situation in der Verkehrswirtschaft oder für bestimmte Probleme der Energiewirtschaft verantwortlich gemacht werden? Diese Schwierigkeiten haben doch im Wesentlichen überhaupt nichts mit der ausländischen Entwicklung zu tun.
Es ist wirklich eine merkwürdige Methode — dies muß ich feststellen, wenn ich mir die Wahlkampfplattform der SPD ansehe —, die steigenden Milliardensubventionen für die Bundesbahn als Leistungssteigerung auszuweisen.
Höhere öffentliche Ausgaben allein sind überhaupt ein ungeeigneter Maßstab für bessere Leistungen, zumal im Falle vermehrter Subventionen. In der Verkehrspolitik fehlt nach sieben Jahren sozialliberaler Koalition — man höre und staune — noch immer ein abgestimmtes Konzept. Auf der einen Seite gibt es Pläne einer Reduzierung des Bundesbahnnetzes bis auf ein Viertel des jetzigen Umfangs. Auf der anderen Seite gibt es — damit es ein bißchen schick und progressiv aussieht — Neubaupläne mit einem Volumen von 3 Milliarden DM für eine Strecke von Stuttgart nach Mannheim, an der die Bruchsaler und Karlsruher vielleicht noch einen schnellen Zug vorbeifahren sehen, aber nicht mehr zusteigen können.
Diese 3 Milliarden DM könnten für die Sanierung der Bundesbahn sicher anders und besser eingesetzt werden. Sie haben aber kein Konzept.
Und wie sieht es im Bereich der Wohnungswirtschaft aus? Hier haben wir dank Ihrer Politik den traurigen Tatbestand, daß heute die Sozialmieten schneller steigen als die Mieten der frei finanzierten Wohnungen,
daß die Kosten im sozialen Wohnungsbau höher sind als im frei finanzierten Wohnungsbau, daß für gleichwertige Wohnungen Mieten bis zum Dreifachen gezahlt werden müssen. Dies ist ein Wirrwarr und ein Subventionsdschungel, der ganz gewiß schwerlich zu übertreffen ist.Was Graf Lambsdorff in der Haushaltsdebatte als erfolgreiche Mittelstandspolitik der sozialliberalen Koalition herausstellte, hat trotz Kartellnovelle und vermehrter Kredite die stärkste Konzentration und Aushöhlung der Marktwirtschaft in der Nachkriegszeit zur Folge gehabt und die Entwicklung nicht verhindern können. Das sind die belegbaren Fakten.Es bedeutet nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion eine Verhöhnung der im Mittelstand davon Betroffenen, wenn in diesem Zusammenhang von einem normalen Ausleseprozeß gesprochen wird. Vielmehr ist die Entwicklung in der mittelständischen Wirtschaft eine Folge der einseitigen Lastenaufbürdung auf der ganzen Breite durch die Politik dieser Regierung.
Wir sind leider beim Mittelstand — das sage ich hier mit aller Deutlichkeit — in einen Zustand hineingeraten, da die Eigenkapitalbildung bereits unter 25 % liegt. Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß sie in einigen Bereichen sogar unter 20 % liegt. Dann ist es nicht verwunderlich, wenn mittelständische Betriebe, die nicht nur national, sondern international leistungsfähig sind, reihenweise, weil sie keine Polster haben ansammeln können, weil ihre Erträge unzureichend sind, an Infarkt und Konkurs sterben, obwohl die Unternehmer und Arbeiter darin tüchtig und leistungsfähig sind.
Die CDU/CSU-Fraktion ist der Auffassung, daß diese Schwierigkeiten nur durch ein abgestimmtes Konzept der Konjunktur- und Strukturpolitik gelöst werden können, über das die Regierung überhaupt nicht verfügt. Sie haben doch gar kein abgestimmtes Konzept in der Gesamtbreite der Wirtschaftspolitik.
Vielmehr dominiert der Ressortpartikularismus. Neuerdings haben wir die interessante Variante, daß immer mehr Ministerien auch noch ihre eigene Gebühren- und Abgabenpolitik betreiben, wie etwa am Beispiel des Planungswertausgleichs, der Berufsbildungsabgabe oder des Kohlepfennigs.
Jedem Ressort werden so eigene Abgabequellen außerhalb des Budgets zu Lasten der Bürger verschafft. Das ist auch eine nicht uninteressante Variante ihrer verschleierten Lastenpolitik.
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17336 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Dr. ZeitelDer Erfindungsgeist dieser Regierung beim Griff in die Taschen des Bürgers ist wirklich erstaunlich. Nicht nur die Sozialisierungstendenz bei der Einkommenspolitik ist beachtlich, sondern der Bürger wird auch immer mehr mit einem Netz bürokratischer Reglementierung überworfen, aus dem er sich schwer herausfindet. Dies ist die Tendenz Ihrer Politik. Da ist die Luft rundherum aus dem aufgeblasenen Anspruchsniveau Ihrer großsprecherischen Reformpolitik heraus. Daran ändert auch die orale Aggressivität Ihres Bundeskanzlers gar nichts!
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister Dr. Friderichs.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Herr Abgeordneter Professor Zeitel, ich habe mich nur gemeldet, weil Sie in Ihrer Rede meine Ausführungen von der letzten Woche herangezogen haben.Ich habe in der vergangenen Woche den Anstieg der Staatsquote keineswegs nur konjunkturpolitisch begründet. Ich habe auf die konjunkturbedingten Schwankungen dieses Anteils hingewiesen — auch in den 60er Jahren. Das läßt sich nachweisen. Dann habe ich - das war der Sinn meiner Intervention — versucht, nachzuweisen, worauf der Anstieg dieses Staatsanteils auf der Ausgabenseite beruht. Er liegt einmal bei den Gebietskörperschaften, dann im Bereich der sozialen Sicherungssysteme. Das habe ich versucht darzulegen.
— Ich habe ganze acht Minuten zur Verfügung, Herr Professor Zeitel. Ich bitte Sie wirklich, mich die paar Bemerkungen machen zu lassen.
Ich habe versucht, nachzuweisen — und dem haben Sie heute nicht widersprochen —, daß an der Steigerung dieser Ausgaben, z. B. im Bereich unserer sozialen Sicherheit, alle Fraktionen dieses Hauses mitgewirkt haben. Ich habe versucht, nachzuweisen, daß Sie, wenn Sie eine dynamische Rente einführen — ich denke, die vertreten wir alle miteinander — und die Steigerungsraten an vorangegangenen Lohnphasen orientieren, dann selbstverständlich in rezessiven Zeiten besonders starke Zuwachsraten bei den Ausgaben haben. Das ist doch in diesem Gesetz angelegt,
und zwar bewußt angelegt, u. a. auch aus konjunkturstimulierenden Gründen. Dem haben Sie zugestimmt.
Ich habe nichts anderes getan, Herr Professor Zeitel, als Ihnen hier nachgewiesen, daß es kein einziges Gesetz gibt, das im Bereich der sozialen Sicherung zur Erhöhung der Staatsquote beigetragen hat, dem Sie nicht am Ende entweder zugestimmt oder es teilweise sogar initiiert haben.
Dies habe ich nachgewiesen. Deswegen, finde ich, ist es so demagogisch, draußen den Anstieg zu bejammern und ihn drinnen vorher selbst zu beschließen. Das ist einfach unwahrhaftig. Das habe ich versucht nachzuweisen.
— Herr Abgeordneter, ich habe klar gesagt, daß ich wegen des Ablaufs der Debatte nur fünf bis acht Minuten sprechen werde. Alle Vorredner haben länger gesprochen. Deshalb müssen Sie mir zugestehen, daß ich die Zeit für mich in Anspruch nehme. Ich lasse sonst Fragen grundsätzlich gern zu.Die Frau Kollegin Funcke hat in der letzten Debatte unwidersprochen gesagt, daß der damalige Bundesfinanzminister, Herr Dr. Franz Josef Strauß, in seiner Zeit als Finanzminister, in nur drei Jahren zehn Steuererhöhungen im Parlament durchgesetzt hat. Als ob das nicht staatsquotenerhöhend gewesen wäre, meine Damen und Herren!
Ich kritisiere ihn gar nicht, weil er es getan hat. Wahrscheinlich hat er Gründe gehabt, es zu tun. Wir waren in der Opposition. Wir haben selbstverständlich dazu kritische Anmerkungen gemacht.Nun, meine Damen und Herren, geht es uns aber relativ gut. Das alles passiert nicht mehr; denn gegenüber Herrn Strauß setzt sich der Bewerber um die Kanzlerkandidatur, Kohl, jetzt unablässig durch;
— Herr Abgeordneter Wehner, ich bitte um Entschuldigung, ich meine das ernst, was ich sage — denn in dieser Woche hat er sich bei der Entscheidung über den Slogan auch durchgesetzt. Der Slogan heißt jetzt nicht „Freiheit oder Sozialismus", sondern er heißt jetzt „Freiheit statt Sozialismus". Das hat Herr Kohl durchgesetzt. Das müssen Sie doch zugeben. Sieg auf Sieg! Er hat sich schon wieder durchgesetzt.
— Nun habe ich jemanden aus Ihren Reihen gelobt, weil er sich durchgesetzt hat. Nun freuen Sie sich doch und akzeptieren Sie das doch einmal! Er hat sich durchgesetzt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17337
Bundesminister Dr. FriderichsIhre Rede, Herr Zeitel, beweist doch nur eines, daß Sie mit Herrn Strauß in einem Punkte übereinstimmen, nämlich, daß Sie die Wahlen bereits verloren geben. Warum?Ich habe ein Interview von Herrn Strauß mit der „Stuttgarter Zeitung" vom 18. Mai hier. Da sagt er, das seien Wahlen — die 76er Wahlen —, die unter psychologischem Druck stattfänden. Das seien schon keine normalen Wahlen mehr. Und wenn die — wie er es ausdrückt — „Volksfrontsozialisten" die Mehrheit kriegten, dann sei das das Zeichen, daß das schon keine freien Wahlen mehr gewesen seien. Dies als Perspektive! So etwas kann man doch im Mai nur sagen, wenn man im Mai schon davon ausgeht, daß man im Oktober die Wahlen verlieren wird; denn sonst würde er sie doch nicht schon jetzt als unfreie Wahlen deklarieren.
Das hat er aber getan — nachzulesen in der „Stuttgarter Zeitung" vom 18. Mai.
Ich sagte Ihnen: er setzt sich ja immer durch. Lassen Sie mich ein letztes Beispiel bringen. Sie haben ja einen Generalsekretär angeworben, der aus der Wirtschaft kommt, mit professoralen Weihen versehen ist und das Ahlener Programm zu Ihrer Grundlage gemacht hat. Das habe ich gelesen. Ich bin auf die Wahlplattform gespannt. — Auch er hat sich durchgesetzt. Als ich nämlich heute morgen hierher fuhr, bin ich hinter einem Wagen hergefahren, auf dem hinten Ihr neuer Slogan prangte: „CDU — aus Liebe zu Deutschland".
Da hat sich Ihr Generalsekretär wieder durchgesetzt; denn er war früher leitender Manager bei einem großen, bedeutenden Waschmittelkonzern, bei Henkel. Dieser Konzern hatte in den 60er Jahren den Slogan: „Persil — aus Liebe zur Wäsche".
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Beratungen. Wir treten in die Mittagspause ein. Die Beratungen werden um 14 Uhr wieder aufgenommen.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Wir fahren in der Aussprache über den Punkt 4 der Tagesordnung fort.
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik Deutschland gilt in der ganzen Welt als ein Staat mit herausgehobener finanzpolitischer Solidität. Das bestätigt auch derHaushalt, den wir hier heute nachmittag zu verabschieden haben werden. Die Opposition sieht das anders. Sie ist häufig in der Rolle von „Mieter Schulze gegen alle". Aber ich halte es für beachtlich, daß die Opposition den in den vergangenen Jahren oft gebrauchten Ausdruck „Staatsbankrott" nicht wiederholt hat. Ich halte das für bemerkenswert.
Wenn ich an die Ausführungen der beiden Kollegen der Opposition heute vormittag zur allgemeinen wirtschaftspolitischen Situation und Entwicklung eine Bemerkung anknüpfen darf, so möchte ich sagen: Wie immer man die Dinge im einzelnen sieht, es kommt doch keiner daran vorbei, daß die Opposition die Dinge, zumal in den letzten zwei, drei Jahren, im wesentlichen falsch eingeschätzt hat, daß Sie — jedenfalls was einige führende Repräsentanten der Opposition angeht — auf Zunahme der Krise gesetzt haben, um daraus politischen Vorteil ableiten zu können.
Dies ist ganz deutlich geworden beim Vorsitzenden der CSU, dem Kollegen Strauß. Denn wir erinnern uns doch alle an das durch ihn nachträglich selbst bestätigte Sonthofener Wort: Es muß wesentlich tiefer sinken. Wir können uns gar nicht wünschen, daß dies jetzt aufgefangen wird.
Daran muß man noch einmal erinnern.
Aber auch der ganz anders einzuschätzende rheinland-pfälzische Ministerpräsident hat neulich, als er in Amerika war, in der Wochenzeitschrift „Newsweek" ein Interview veröffentlicht. Da fand ich den interessanten Satz, er habe nicht alles auf die Krise gesetzt. Zwar sind Übersetzungsgeschichten dabei immer so eine Sache, aber wenn ich da lese, er habe nicht alles auf die Krise gesetzt, dann muß das auf deutsch wohl heißen: Ein bißchen hat er auch darauf spekuliert. Da wir es in diesem Lande mit einer Entwicklung zu tun haben, die weiß Gott nicht nur mit den Dispositionen einer Regierung zusammenhängt, sondern die in erster Linie mit den Leistungen der Bürger dieses Landes zu tun hat, frage ich mich: Warum sagt nicht auch die Opposition, wir sind miteinander stolz darauf, daß wir durch die Rezession besser durchgekommen sind als fast alle anderen Länder und Völker?
Wenn wir Sozialdemokraten — ich glaube, ich kann das für die freidemokratischen Kollegen auch sagen — Vergleiche mit anderen Ländern anstellen — durchschnittliches Einkommen, Stärke der Währung, Preissteigerungsraten —, dann tun wir das ja nicht aus Selbstgefälligkeit, dann tun wir das auch nicht, weil wir damit prahlen wollen, sondern wir tun das, um klarzumachen: Es gibt keinen Grund, dies zu verstecken, es gibt keinen Grund, es kaputtreden zu lassen. Es geht uns darum, uns selbst und unsere Mitbürger darauf hinzuweisen, daß es jetzt ganz entscheidend darauf ankommt, Erreichtes
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17338 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Brandtzu sichern und zielstrebig zu ergänzen. Darauf kommt es an.
Dabei gilt es dann auch immer wieder, Gerechtigkeit durchzusetzen, den demokratischen und sozialen Bundesstaat auszubauen.Meine Damen und Herren, es gibt erstens keinen Sinn, den Aufschwung, den keiner mehr bestreitet, denen anzuvertrauen, die die Politik bekämpft haben, die zum Aufschwung geführt hat.
Zweitens gibt es für unsere Wahlbürger draußen keinen vernünftigen Grund, eine erfolgreiche Bundesregierung nicht wiederzuwählen.
Nun wollte ich aber eigentlich auf folgendes hinaus: Nach der Debatte der letzten Woche und zumal auch vor dem Hintergrund dessen, was draußen diskutiert wird, ist es meines Erachtens notwendig, in allem Ernst die Frage zu stellen: Besteht noch und hält das Fundament, auf dem das Grundgesetz, unsere Verfassung ruht? Ich meine erstens, es wäre ein Verhängnis für unser Land, wenn das Fundament nicht hielte.
— Darauf komme ich gleich, Herr Kollege Barzel, Sie können ganz sicher sein, da wird Ihnen nichts vorenthalten werden. Ich hatte mich zwar schon einmal dazu geäußert, will es aber gerne noch einmal tun.Ich sage also, weil das mitten im Satz war, Kollege Barzel: Es wäre ein Verhängnis für unser Land, wenn das Fundament nicht hielte. Auch jene Vertreter der Opposition, die sich hier in der vergangenen Woche extrem geäußert haben, sollten dies ernsthaft bedenken.Ich sage zweitens in aller Deutlichkeit: Meine Partei stand, steht und wird ohne Wenn und Aber zum Grundgesetz stehen.
Sie nimmt dabei den Auftrag ernst, diese Bundesrepublik Deutschland zu einem demokratischen und sozialen Bundesstaat auszubauen. So will es die Verfassung, und dies ist der Boden, auf dem wir miteinander konkurrieren, zu konkurrieren haben. Unser Grundgesetz ist in den Jahren 1948 und 1949 als eine gemeinsame Basis für christdemokratische und sozialdemokratische, liberale und konservative Kräfte geschaffen worden. Wer die Freiheit für sich allein okkupieren wollte, der zerstörte gemeinsame demokratische Werte und verginge sich gegen diese unsere Verfassung.
Es gibt keinen Alleinvertretungsanspruch für Freiheit und Demokratie in unserem Land, für uns nicht, für andere auch nicht.
Keine Partei darf sich unser Grundgesetz allein aneignen wollen.
Wer dies dennoch versucht, den treibt nicht der Wettbewerb um eine bessere Politik, sondern den treibt ein totalitärer, ein freiheitsfeindlicher Anspruch.Herr Kollege Barzel, jetzt greife ich gern Ihren Zwischenruf auf. Sie haben auch in der vergangenen Woche in Ihrer Rede davon gesprochen. Ich wiederhole noch einmal, obwohl der Vorgang durch mich selbst vor dem Haus erklärt worden war
und das, was ich dazu zu sagen habe, im Protokoll des Deutschen Bundestages nachzulesen ist:
Es ist ein quantitativer, ein prinzipieller Unterschied, ob ich sage und damit den innenpolitischen Gegner herausfordere, die und die Politik, so wie sie z. B. in der Sonthofener Rede von Herrn Strauß angelegt war, bedeutet meiner Meinung nach ein Risiko für die innere soziale Sicherheit und für die durch eine ausgewogene Politik des Bündnisses gewährleistete Sicherheit nach außen, oder ob Sie — wenn ich jetzt Sie sage, meine ich nicht Sie als Person, Herr Kollege Barzel —, ob Kollegen aus Ihren Reihen den Eindruck vermitteln, als wollten sie sagen, aus dem Lager der Freiheit seien diejenigen auszuschließen und ins Lager der Unfreiheit zu verweisen, denen sie ihr Sozialismusetikett aufkleben. Ich sage und wiederhole: Dies ist ein qualitativer, prinzipieller Unterschied.
Nun ist der Eindruck erweckt worden, in den hinter uns liegenden Jahren sei in der Bundesrepublik Deutschland Freiheit abgebaut worden, und zwar in den Jahren, seit Sozialdemokraten und Freidemokraten die Regierungsverantwortung miteinander tragen. Da das nicht belegbar ist, wie wir gehört haben, wird düster über die Zukunft spekuliert, und zwar, wie ich meine, nach bewährten Techniken aus der Vergangenheit.
In Wirklichkeit ist es doch bei allen Unzulänglichkeiten, die unserer Arbeit eigen sind, so, daß für viele der Freiheitsraum hat etwas erweitert werden können. Der Raum hat abgesichert und ausgebaut werden können, in dem der einzelne seine Persönlichkeit entfalten kann. Man versucht übrigens auch, zu suggerieren — das hängt noch mit meiner Eingangsbemerkung zusammen —, es gehe den Menschen heute schlechter als 1969. Da kann man doch nur lachen. Die Leute draußen lachen auch darüber, wenn Sie sie danach fragen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17339
BrandtDas ist schlicht falsch. Die Menschen wissen, daß das falsch ist.
Die Tatsachen sind bekannt. Die Angstparolen derer, die — ich wiederhole es — ihres vermeintlichen parteipolitischen Vorteils wegen auf eine wirtschaftliche Krise gesetzt hatten, werden zunehmend nicht mehr ziehen, meine Damen und Herren.
Sie ziehen auch nicht bei den Rentnern, gerade nicht bei ihnen. Wurde etwa deren Freiheitsraum eingeengt? Oder ist die Selbstverantwortung dadurch eingeschränkt worden, daß die Stellung der Arbeiter und Angestellten in den großen Betrieben gestärkt wurde? Das genaue Gegenteil ist doch der Fall.
Meine Damen und Herren, von einem gesicherten Fundament wirtschaftlicher und sozialer Leistung aus können wir, so meine ich, zuversichtlich in die Zukunft blicken. Führende Herren der CSU und der CDU waren mit ihren Untergangsparolen auf einem falschen Dampfer.
Ihre Flucht zurück in eine vermeintlich gute alte Zeit kann unsere Bürger nicht überzeugen.Nun hat Herr Ministerpräsident Kohl, der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Union, zwar nicht heute morgen auf seiner Pressekonferenz, aber vor ein paar Wochen in einer weitverbreiteten Tageszeitung an 1945 erinnert. Warum auch nicht? Wir müssen uns ja sicher alle miteinander einmal daran erinnern. Herr Kohl hat darauf hingewiesen, und zwar jetzt auch mit dem Blick auf den Herbst 1976, wie wichtig es sei, frei reden, frei reisen und frei einkaufen zu können.
Darum gehe es — so möchte er suggerieren — bei der Wahlentscheidung in diesem Jahr. Was soll das eigentlich? Wer kann denn bei uns in der Bundesrepublik Deutschland nicht frei reden? Wieso und von wem ist denn zu befürchten, daß man morgen nicht mehr frei reden könnte?
Mehr Menschen als je zuvor werden in diesem Sommer reisen — auch ins Ausland. Wer will ihnen denn das streitig machen? Auch nach Berlin kann man jetzt ohne Schwierigkeiten reisen.
Das war bekanntlich nicht immer so, Herr Zwischenrufer, wie wir beide ganz gut wissen.
Selbst in die DDR können viele reisen, die das früher nicht konnten.
Das ist bei weitem nicht so möglich, wie wir uns das wünschen. Aber die Verbesserungen, die erreicht werden konnten, sind doch besser als nichts.
Und wer kann bei uns nicht frei einkaufen — es sei denn, ihn beschwere das Ladenschlußgesetz
oder, was für Benachteiligte in der Gesellschaft noch immer ein Problem ist, es fehle ihm an den Mitteln.Welches Land ist es also, an das Herr Kohl diese Maßstäbe anlegt?
Die Opposition — das muß ich in aller Deutlichkeit sagen — soll doch bitte nicht so tun, als müsse bei uns in der Bundesrepublik Deutschland die Freiheit erst eingeführt werden. So ist das doch nicht!
Freiheit ist ganz gewiß kein selbstverständlicher Dauerzustand. Man braucht gar nicht Schiller zu bemühen, um sich das nochmals klarzumachen, auch dann nicht, wenn schreibgewandte Berater das anraten, weil damit eine Art Sinnfrage aufgebracht werden kann, ohne die Belege dafür liefern zu müssen.Die Freiheit — so sehen wir Sozialdemokraten das —, die bitter genug errungen werden mußte, muß gesichert und verteidigt werden. Auf manchen Gebieten muß sie auch erst noch stärker realisierbar, erfahrbar für die Menschen im Land gemacht werden, also ausgebaut werden.
Offensichtlich gibt es eine Reihe von SozialismusFachleuten in den Reihen der Union.
Einer dieser bemerkenswerten Denker hat vor kurzem drei Beispiele gegeben, die zeigen sollten, daß die Bundesregierung unter Helmut Schmidt sich auf dem Weg zu einem Sozialismus im Sinn von Unfreiheit befinde. Die Beispiele, die er nannte, betrafen die Mehrwertsteuer, die Reform der beruflichen Bildung und das Bodenrecht. Bei dem bemerkenswerten Denker handelt es sich um den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg.
Die Mehrwertsteuer — das ist x-mal gesagt worden — und das müßte auch Herr Filbinger begreifen — wird ehrlich vor aller Öffentlichkeit behandelt und soll zur finanzpolitischen Solidität dieses Staates beitragen.
Das hat gerade auch heute früh Alex Möller inseiner eindrucksvollen Rede gesagt, die, wenn ich
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17340 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Brandtihn recht verstanden habe, wohl seine letzte Rede in diesem Haus gewesen ist und für die ich ihm ganz herzlich Dank sagen möchte.
Was soll denn dieser Versuch Filbingers, Sozialismus in eine Verbindung mit Mehrwertsteuer zu bringen? Man soll uns doch davon verschonen, ein „Sozialismus" genanntes Schreckgespenst durch die Lande zu jagen, wo es sich um nichts anderes handelt als um eine Entscheidung der Vernunft, auch wenn sie unpopulär ist!
Zur Berufsbildung: Was hat es — ich gebe zu, man kann das Problem sachlich diskutieren, und es gibt verschiedene Lösungsmöglichkeiten — eigentlich mit Sozialismus im Sinn von Unfreiheit zu tun, wenn man sagt, die Wirtschaft, die insgesamt von der beruflichen Bildung Nutzen haben will, soll die Lasten dafür nicht einer Minderheit von Betrieben überlassen? Und wenn man den anderen Weg wählt, den wir gehen wollten und wollen, dann liegt das auch und gerade im Interesse der mittelständischen Wirtschaft. Das muß doch hier einmal gesagt werden! Das darf nicht wieder an der Blockadepolitik des Bundesrats scheitern; das wird auch nicht scheitern. Das wird ein entscheidender Punkt in der Zeit sein, die vor uns liegt. Da geht es um eine ganze Menge. Da geht es ja im Grunde auch darum, ob wir und die, die nach uns kommen, in zehn Jahren eine Facharbeiterlücke zu beklagen haben. Die geburtenstarken Jahrgänge, die jetzt kommen, sind doch keine Last für unser Volk, sie sind doch eine große Chance für die wirtschaftliche Zukunft unseres Volkes.
Mit dem Bodenrecht — das geht ja ohnehin nur stückweise und sehr mühsam — sollen doch Lebensrechte unserer Städte und Gemeinden gegen die Interessen von querköpfigen Egoisten und skrupellosen Spekulanten verteidigt werden.
Was hat denn das mit Sozialismus im Sinne von Unfreiheit zu tun?
Da geht es doch um den Schutz der Menschen mit dem eigenen Haus und der Bauern auf dem eigenen Hof. Darum geht es doch!
Sozialdemokraten bejahen und schützen das private Eigentum. Wir wollen den Menschen nichts wegnehmen,
sondern dafür sorgen, daß mehr Menschen über eine eigene materielle Grundlage verfügen und z. B. Zugang zum Wohnungseigentum finden.
Ob das der Sozialismus ist, den Herr Filbinger meint?
Trotzdem, mit der Freiheit des Eigentums allein ist es auch nicht getan. Für viele muß immer noch und weiterhin die Freiheit hinzukommen, die aus der sozialen Sicherung entspringt.
Ich füge hinzu: Die Selbstentfaltung des einzelnen möglich machen und dadurch die soziale Demokratie zunehmend verwirklichen — dieses alte Ziel freiheitlicher Sozialisten ist heute Bestandteil des Verfassungsauftrages. Da das eine gemeinsame Grundlage der Kräfte war, auf die ich zu Beginn hinwies, ist doch von verschiedenen Seiten etwas in diese unsere gemeinsame Verfassung eingeflossen. Der Staat kann und darf dem Bürger die Regelung seiner Angelegenheiten in der Tat nicht abnehmen. Er muß auch den Raum des nicht Abstimmbaren respektieren; ich sage das übrigens ausdrücklich nach dem, was Kardinal Döpfner heute vormittag auf einer Pressekonferenz in Bonn für die katholischen Bischöfe erklärt hat. Aber der Staat muß die materiellen Voraussetzungen schaffen, die den einzelnen einladen, selber tätig zu werden, die ihm Zuversicht in die eigene Kraft und nicht Verzweiflung vor der eigenen Ohnmacht vermitteln.
Diese Politik für den einzelnen verlangt danach, die gesellschaftlichen Rahmenkompetenzen nicht zu vernachlässigen, sondern sinnvoll zu stärken. Wer aus dieser Orientierung den Vorwurf schöpft, Sozialdemokraten zwängen den Menschen in ein Kollektiv, der hat sich meiner Meinung nach doch noch nicht hinreichend mit dem Verfassungsauftrag vertraut gemacht.
Herr Kollege Kirst und der Bundesfinanzminister haben sich vor der Mittagspause schon mit Herrn Leichts Vorwurf auseinandergesetzt, wir hätten vor sieben Jahren — oder etwas weniger — eine Anspruchsinflation ausgelöst. Da Herr Leicht mich selbst angesprochen hat, darf ich noch ein paar Sätze hinzufügen bzw. zwei Fragen aufwerfen. Warum, Herr Kollege Leicht, wird man bei solchen Gelegenheiten nicht konkret? An Ihrem Vorwurf — ich glaube nicht, allein an unsere Adresse gerichtet; darauf wurde schon Bezug genommen — mag ja etwas dran sein. Aber warum sagen Sie dann nicht, ob Sie gegen die Dynamisierung der Kriegsopferrenten waren, ob Sie gegen das Kindergeld für alle waren,
ob Sie gegen das Mitnehmen von Betriebsrenten waren, ob Sie gegen das Konkursausfallgeld waren. Man muß doch konkret werden. Und dann muß man das mit dem vergleichen, wofür Sie hier gestimmt haben.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17341
BrandtDann muß man der Sache nachgehen: Wie hat sich die Opposition in jedem einzelnen Fall, um den es in diesen Jahren ging, verhalten? Auf welches negative Votum will sie sich jetzt berufen, um einen so pauschalen Vorwurf zu rechtfertigen?Außerdem finde ich, in Ihrer Auseinandersetzung mit Reformpolitik steckt viel zuviel materialistisches Denken. Sie können sich Reformen immer nur als etwas vorstellen, bei dem man Geld ausgibt.
Nein, die Frauen in unserem Land wissen, daß gegen Ihren Widerstand manche Regelung zugunsten der Frauen auf den Weg gebracht worden ist, die kein Geld kostet.
Es gibt weite Felder, auf denen es eben nicht darum geht, mehr Geld auszugeben — ich kann gleich noch ein oder zwei Beispiele nennen —, sondern darum, mit vorhandenen Mitteln vernünftiger umzugehen. Da muß man darüber streiten, ob und wie das möglich ist.
— Jawohl. Meine Damen und Herren, Reformen brauchen einen langen Atem, so wie Freiheit einen langen Atem braucht.
Durch Herrn Carstens und andere ist in der letzten Woche der untaugliche Versuch gemacht worden, uns Sozialdemokraten Verstaatlichungsprojekte anzudichten und, wie man das in solchen Zusammenhängen gern tut, eine Verbindung zu kommunistischen Staatswirtschaften herzustellen.
Jetzt lasse ich einmal völlig außen vor, wie Sie, Herr Carstens, als jemand, der sehr viel mit anderen Ländern zu tun gehabt hat, eigentlich zu der Folgerung kommen wollten: weil Frankreich seine Banken anders organisiert habe, gebe es dort keine Freiheit mehr.
Aber lassen wir einmal diese Subtilitäten außen vor. Auf uns selbst bezogen sage ich jedoch: Sie sollten nicht an der Wirklichkeit vorbeiargumentieren.Wir Sozialdemokraten wissen — das möchte ich Ihnen mit allem Nachdruck sagen —: Wenn man in das Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Macht und individueller Freiheit greift, dann darf alte Machtballung nicht durch die Konzentration neuer Macht ersetzt werden, auch nicht durch die geballte Menschenferne oder gar die Inkompetenz einer selbstherrlichen Bürokratie.
Beides bekommt der Freiheit nicht.
Andere haben die Fragen der Eigentumsformen in früheren Jahrzehnten anders gesehen, als wirsie heute sehen. Warum sollte ich das nicht sagen? Anders als manche unserer Vorgänger im vorigen Jahrhundert wissen wir heute, daß mit der Überführung von privatem in öffentliches Eigentum die Frage nach der Freiheit nicht gelöst ist.
Die Frage von Gemeineigentum, wo sie in der geschichtlichen Entwicklung aus anderen Gründen aufgeworfen werden sollte, ist für uns Sozialdemokraten allein eine Frage nach der Zukunft der Menschen in unserer Gesellschaft. Die Antwort darauf hängt allein davon ab, wieweit privates Großeigentum und private Verfügungsgewalt über große Produktionsmittel den Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität im Wege stehen. Dies haben wir zu prüfen, im gegebenen Fall auch zu verhindern, daß sich nicht besonders ungünstige Wirkungen auf dem einen oder anderen Gebiet für die Menschen ergeben. Das ist nicht mehr nur eine traditionell sozialdemokratische Erwägung, sondern doch auch wieder ein Teil dessen, wovon unsere Verfassung handelt.Nun frage ich: was meinen eigentlich die, die „Freiheit oder/statt" es müßte ja im zweiten Teil eigentlich „an Stelle von" heißen, wenn man Deutsch spräche —,
was meinen die, die „Freiheit oder/statt Sozialismus" in die politische Auseinandersetzung eingeführt haben?Eine Bonner Zeitung hat nach dem Wechsel von dem Wort „oder" in das Wort „statt" gemeint, nun sei die Aussage der Opposition aber wesentlich geändert worden.
Ich kann das nicht finden.
Mir ist auf den Tisch gekommen, was die „Deutsche Zeitung / Christ und Welt" zu dem Gegenstand heute früh geschrieben hat. Ich halte es für so bemerkenswert, daß ich es dem Hohen Hause nicht vorenthalten möchte. Ich will aber gleich hinzufügen — für den Fall, daß Sie sich dann auch den Ausschnitt kommen lassen —: da stecken hinten auch ein paar unfreundliche Bemerkungen an die Adresse von Sozialdemokraten; so ist es ja nicht. Aber das brauche ich ja nicht vorzulesen.
Ich will hier zwei Dinge zitieren. Es steht dort wörtlich:Man kann der Union nur wünschen, daß sie mit ihren sonstigen Argumenten für die Wahlschlacht mehr Glück hat als mit diesem.Das ging auf den Slogan. Jetzt wird das begründet:Wenn man im finsteren Wald von einer Gestalt mit angelegtem Revolver angehalten wird und die Worte vernimmt: Geld oder Leben, so darf man sicher sein, daß es sich nicht um die Umfrageaktion eines demoskopischen Instituts handelt.
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17342 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
BrandtDie resolute Aufforderung würde übrigens auch keinesfalls massiver, wenn der angenommene Zeitgenosse sich mit der Rede „Geld statt Leben" vernehmen ließe.
Im Gegenteil, man würde aus der etwas eigenwilligen Ausdrucksweise wohl eher schließen, daß der Unbekannte sein Handwerk mit einigen Hemmungen ausübt.
Nun, Herr Kollege Strauß guckt etwas erstaunt. Da ist ein zweiter Abschnitt, der ihn — oder Herrn Kohl und ihn — noch direkter angeht. Auch den darf ich dem Hohen Hause vorlesen. Er lautet folgendermaßen:Mit „statt" versucht die CDU einen Rest von Eigenwillen auszudrücken;
denn der Slogan ist ihr ganz wider Willen in diesem Monat sozusagen als spezielle Form des Maibocks aus Bayern geliefert worden.
Wer— es ist immer noch das Zitat —an Freudsche Fehlleistungen glaubt, mag es konsequent finden, daß die CDU — im Wettkampf der Parolen unterlegen — trotzig auf ihrer „Statt"-lichkeit beharrt.
Aber ich finde — —
Gestatten Sie, Herr Abgeordneter Brandt, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Höcherl?
Herr Kollege Brandt, wären Sie nicht so liebenswürdig, auch den Teil der SPD vorzulesen, nachdem Sie uns so erheitert haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe ja vorher schon gesagt, Herr Höcherl, daß ich das im Rahmen meiner begrenzten Redezeit hier nicht mehr unterbringen will.
Für meine Argumentation reicht es aus.Denn bei dem Gegenstand, den Ludolf Herrmann in seinem Artikel weiter behandelt, komme ich jetzt zur Sache, und da sage ich: ich möchte gern von den Führern der Union wissen, was sie eigentlich meinen, wenn sie von Sozialismus reden. Meinen sie die geschichtliche Bewegung des Sozialismus, die sich über Jahrzehnte hinweg, über bald mehr als ein Jahrhundert hinweg in unseren Regionen entwickelt hat? Meinen sie seine — des Sozialismus — Idee, vielschichtig, nicht immer widerspruchsfrei, aber —ich sage es noch einmal — jene Idee, von der unbestreitbar einiges in unser Grundgesetz eingeflossen ist? Oder meinen sie die Regime, die sich so, nämlich sozialistisch, nennen? Oder meinen sie nur das Schreckgespenst, das sie auf die Reise geschickt haben? Das sind vier Möglichkeiten der Auswahl,
vielleicht sind auch Kombinationsmöglichkeiten darin.Wenn Sie die Regime meinen und die sie bei uns in der Bundesrepublik Deutschland begleitenden kommunistischen Sekten,
warum lassen Sie dann den Eindruck aufkommen, Sie wollen Sozialdemokratie und Unfreiheit gleichsetzen? Warum klären Sie dann nicht, daß Sie hier mißverstanden worden sind? Es wäre noch möglich, dies zu klären.
Mein Eindruck ist im übrigen — manche von Ihnen spüren das ganz genau, und Herr Kohl war bei diesem Punkt nicht so selbstsicher; heute vormittag auf seiner Pressekonferenz hat er gesagt, mit dem eigentlichen Wahlslogan käme er noch einmal zurück —: Die Operation mit dem Slogan wird scheitern. Es hat sich in diesen letzten Tagen seit der vergangenen Woche schon gezeigt: Erstens, ganz gegen Ihre Erwartungen ist die Koalition nicht geschwächt, sondern gestärkt aus diesem Streit hervorgegangen;
ich beziehe mich ausdrücklich auf meines Kollegen, des FDP-Vorsitzenden, Wort von den Befestigungsbalken in dieser Koalition. Zweitens zeigt mir die Reaktion aus meiner Partei, und ich bin viel herumgekommen seit der letzten Woche: Diese meine Partei fühlt sich herausgefordert und wird Ihnen zeigen, daß sie kämpfen kann.
Viele Bürger, die gar keine Sozialdemokraten sind, die nicht unsere Wähler waren und die sicher zum großen Teil uns auch diesmal nicht wählen, sagen einem sinngemäß: Da kann man über die Sozialdemokraten alles mögliche sagen, aber dies darf auch die CDU den Sozialdemokraten nicht antun! Das sagen die Bürger im Lande.
Ich bin am Samstagabend mit dem Zug vom Bayerischen Wald nach Norddeutschland gefahren. Auf einer fränkischen Station kam ein Eisenbahner an mein Abteil, klopfte an und sagte
— so hat es sich bei ihm niedergeschlagen, und esist Ihre Schuld, daß es sich so niederschlägt —:
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17343
Brandt„Freiheit oder sozial", das lassen wir uns nicht gefallen! — Wir lassen es uns in der Tat nicht gefallen!
Dann ist da noch die Sache mit der sozialistischen Bewegung. Wer von Ihnen will denn wirklich ernsthaft bestreiten, daß — bei allen Fehlern und Schwächen, die Menschlichem und damit auch menschlichen Organisationen eigen sind — sie in unserem Lande und für die Menschen in diesem Lande etwas bewirkt hat, daß sie, diese deutsche Sozialdemokratie — nicht allein, aber wesentlich —, daran mitgewirkt hat, daß aus Millionen rechtloser Arbeiter und unmündiger Frauen gleichberechtigte Staatsbürger geworden sind?
Ich habe am vergangenen Mittwoch in Augsburg einem alten Parteifreund gratuliert, der mir noch erzählt hat, wie er für 13 Stunden Arbeit am Tag mit 80 Pfennig nach Hause ging. Natürlich waren damals 80 Pfennig mehr Geld als heute; das weiß ich auch. Aber das steckt doch drin. Ich sage noch einmal, daß wir das nicht allein gemacht haben,
aber wir haben daran einen starken, auf manchen Gebieten entscheidenden Anteil, und wir empfinden uns, wie Sie in unserem Regierungsprogramm nachlesen können, als Kern der sozialen Freiheitsbewegung über mehr als 110 Jahre der Geschichte, die jetzt hinter uns liegen.
Wir finden das bestätigt in der Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich. Herr Dregger hat sich — nach dem Motto „Gute Sozialdemokraten sind tote Sozialdemokraten" — herausgenommen, uns an Otto Wels zu erinnern. Wels sagte am 23. März 1933, als die SPD gegen das Ermächtigungsgesetz stimmte, wörtlich:Wir bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus.Jetzt will Herr Dregger, der, wenn er redet und man dabei die Augen zumacht, den Eindruck erweckt, als wolle er in diesem unserem Staat einen politischen Stechschritt einführen,
einerseits Otto Wels gegen uns ausspielen und sich auf der anderen Seite an dieser mißbräuchlichen Antisozialismuskampagne beteiligen.Vor einem Monat war ich in Berlin. Wir haben uns daran erinnert, daß vor 30 Jahren die Urabstimmung stattfand. Ich sage Ihnen noch heute: Wenn Berlin damals untergegangen wäre, wäre es mit der Bundesrepublik nicht so weit her gewesen. Berlin war damals ein Schutzschild, hinter dem sich die Bundesrepublik Deutschland zusammenfinden und organisieren konnte.
Ich sage doch nicht, wir könnten die Freiheit okkupieren. Ich sage doch nur: Sie können uns nicht nehmen, daß unsere Partei über Jahrzehnte hinweg eine Partei der Freiheit in Deutschland gewesen ist und dies auch bleiben wird.
Sie werden uns dabei auch nicht auseinanderdividieren. Das kommt noch hinzu.Was die Ideen angeht — ich sage es noch einmal; ich kann es im Grunde nicht oft genug wiederholen —, so ist einiges davon in unsere gemeinsame Verfassung eingeflossen. Unsere besondere Deutung des demokratischen Sozialismus ist im Godesberger Programm nachzulesen. Ich frage mich, warum von Ihnen, die natürlich manches anders sehen und anders sehen müssen, so sehr an den eigentlichen Problemen vorbei diskutiert worden ist. Es weiß doch mancher bei uns, daß es Probleme, und zwar dauernde Probleme sowie ein Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Gleichheit, Freiheitund Gerechtigkeit - um nur zwei Begriffspaare zunennen; ich könnte mehrere nennen gibt. Wirsind uns der Problematik dieses Spannungsverhältnisses bewußt.In der letzten Woche ist mir von Herrn von Weizsäcker nun der Vorwurf gemacht worden, ich hätte einen Absolutheitsanspruch auf die Demokratie erhoben. Dabei ist — ich muß das hier einmal sagen; es geschieht ja nicht zum erstenmal, daß so verfahren wird — ein Satz aus meiner Rede vor der Evangelischen Akademie in Tutzing herausamputiert worden.
Ich habe dort gesagt, die Sozialdemokratische Partei habe niemals ihren sozialistischen Ursprung verleugnet, und immer habe sie für die Demokratie gekämpft. Sozialismus und Demokratie hätten für uns mit Ziel und Weg einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung zu tun. Wörtlich habe ich gesagt: „In meinem Verständnis bedingen sie einander."Zur Begründung habe ich aus dem Godesberger Programm zitiert:Die Sozialisten— die sich in Deutschland seit Generationen Sozialdemokraten nennen —
erstreben eine Gesellschaft, in der jeder Mensch seine Persönlichkeit in Freiheit entfalten und als dienendes Glied der Gemeinschaft verantwortlich am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben der Menschheit mitwirken kann.Ich sagte dann weiter:Dies war und ist die Leitidee sozialdemokratischer Politik, die ich auch so ausdrücken kann:
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17344 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
BrandtSelbstbestimmung und Mitbestimmung in einer ausgeglichenen, solidarischen Gesellschaft mündiger Bürger.Daraus ziehe ich dann meine Folgerungen:Freiheitlicher Sozialismus wird in diesem Verständnis zu verwirklichter Demokratie, verwirklicht über den politisch-parlamentarischen Rahmen hinaus.Ich meine jenes Verständnis — dies füge ich hier hinzu —, von dem auch das Godesberger Programm ausgeht, wenn es sagt, Sozialismus werde nur durch die Demokratie verwirklicht, die Demokratie werde durch den Sozialismus erfüllt; da steht kein „nur", wie es hier zum Teil hineingelesen wurde. Aber die Überzeugung, daß dies so zu entwickeln und so zu bewegen sei, lassen wir uns doch nicht nehmen, und darüber läßt sich — das gebe ich zu — dann zugleich trefflich streiten.Drei — wie ich es sehe — Fahrlässigkeiten der Opposition auf diesem Gebiet möchte ich festhalten.
Erstens. Die Opposition wirft uns vor, wir förderten nicht die Eigen-, die Selbstverantwortung der Menschen. Unsere Antwort ist: wir streiten für die Demokratie — ich sage das noch einmal — ohne Wenn und Aber. Sie muß die allgemeine Staats- und Lebensordnung werden, weil sie allein Ausdruck der Achtung vor der Würde des Menschen und seiner Eigenverantwortung ist.
Zweitens. Nicht wir Sozialdemokraten hätten gesagt — so hieß es letzte Woche —, sondern von Ihrer Seite, in diesem Falle durch Herrn von Weizsäcker, sei gesagt worden, daß der Übergang vom Almosen zum Rechtsanspruch in der sozialen Sicherung die eigentliche Grundlage der Freiheit sei. Unsere Antwort: Wer hat denn, Herr Strauß, das üble Wort von den Gratifikationen in Umlauf gebracht?
Wer sich auf diesem Gebiet mit uns auf einen Wettbewerb einlassen will, der soll wissen: wir haben wesentlich mit dafür gesorgt, daß aus Almosen Rechtsansprüche für die breiten Schichten unseres Volkes geworden sind,
und zwar durch den Kampf jener Arbeiterbewegung, aus der die Sozialdemokratische Partei geworden ist.
Für uns war die Freiheit niemals ein Geschenk der Macht, und wir verstanden Gerechtigkeit zu keiner Zeit nur als Angebot des Mitleids. Die SPD hat hier keine Belehrungen nötig.Mir tut es sehr leid, daß Herr Kollege Leicht heute früh geglaubt hat, uns unterstellen zu können, wir faßten Solidarität als Gleichmacherei auf. Das war ein fast so schlimmes Mißverständnis wie das, was Herr von Weizsäcker in der letzten Woche gesagt hat. Er sagte nämlich, wir verwendeten den Grundwert Solidarität einseitig als Kampfbegriff gegen die anderen. Ich möchte einmal wissen, was er bei uns darüber gelesen hat, wo er das gelesen hat.
Herr von Weizsäcker hat aus unserem Orientierungsrahmen '85 eine Passage über den Konservativismus zitiert. Aber er hat irreführend zitiert; vielleicht hat man ihm auch nur herausgelöste Zitate gegeben.
In dem betreffenden Abschnitt heißt es nämlich, wirkliche Solidarität könne es nicht geben, „wenn man die ökonomische, soziale und kulturelle Freiheit einer Minderheit vorbehält". Ich halte es nicht für redlich, ich halte es jedenfalls für schludrig, wenn man dies wegläßt, zumal es an anderer Stelle im selben Abschnitt heißt:Solidarität ist mehr als die Summe von Einzelinteressen und auch nicht nur eine Waffe im sozialen Kampf. Solidarität drückt die Erfahrung und die Einsicht aus, daß wir als Freie und Gleiche nur dann menschlich miteinander leben können, wenn wir uns füreinander verantwortlich fühlen und einander helfen.Weiter heißt es:Solidarität hat für uns eine allgemeine menschliche Bedeutung. Sie darf daher auch nicht an den nationalen Grenzen aufhören. Aus dem Grundsatz der Solidarität erwachsen für jeden Pflichten gegenüber seinen Mitmenschen und gegenüber der Gesellschaft.Was bleibt da eigentlich übrig? Ich kann Herrn von Weizsäcker in diesem Augenblick nicht selbst fragen, was von der Interpretation übrigbleibt, das sei ein eingeengter Kampfbegriff. Ich deute nur die zusätzliche Frage an: wie wollen eigentlich kompetente Kollegen aus der Union in kommenden Jahren mit Repräsentanten aus der Dritten und Vierten Welt mit ihrer Auffassung von Solidarität und mit ihrer Deutung von Freiheit und Sozialismus bestehen?
Ihre Kommissionsmitglieder haben sich auf die Grundwerte geeinigt, die auch unsere sind. Das ist gut. Aber was hilft es denn, wenn Sie es selbst — wie durch eine solche Aussage vom Herrn Kollegen Leicht heute früh — als Etikettenschwindel entlarven? Dann bleibt doch nichts übrig.Ich will zum Schreckgespenst nur zwei Sätze sagen. Da hielt jemand im alten deutschen Reichstag am 12. Juni 1882 eine Rede, und da hieß es:Aber wenn Sie glauben, mit dem Wort Sozialismus jemandem Schrecken einflößen zu können oder Gespenster zu zitieren, so stehen Sie
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17345
Brandtauf einem Standpunkt, den ich längst überwunden habe.Der Mann hieß Otto von Bismarck,
der an einer anderen Stelle übrigens gesagt hat:Etwas mehr Sozialismus wird sich der Staat, beiunserem Reich überhaupt, angewöhnen müssen.
— Ich sage nicht, daß das unser Freund war. Er hat es nämlich gesagt zu einer Zeit, in der es die Sozialdemokraten unter ihm verdammt schwer hatten. Ich sage nur: Er war gedanklich weiter als mancher deutsche Reaktionär im Jahre 1976.
Aber, meine Damen und Herren, wer sich wirklich Sorgen um die Freiheit macht, der findet uns eng an seiner Seite; denn wer wollte bezweifeln, daß es Mühe macht, für Freiheit zu streiten,
z. B. gegen die Versuchungen einer vermeintlich saturierten Wohlstandsgesellschaft und ihrer Technologien, gegen den Raubbau an unserer Umwelt und ihren natürlichen Ressourcen,
gegen eine sich ständig ausweitende Kluft zwischen den Reichen und Armen dieser Welt.Ich finde es bedrückend, daß ein Deutscher Bundestag fast zwei Wochen debattiert, ohne daß dies heutzutage mehr als ein Merkposten in unseren Erörterungen ist.
Statt dessen haben wir allzu oft nur vom eigensüchtigen Gezänk der Gruppeninteressen gehört. Über die eigentlichen Probleme, die vor uns liegen, hat doch die Opposition sehr wenig gesagt. Ich gebe zu, bei Herrn Kollegen Barzel gab es Ansätze. Aber das ist doch furchtbar wenig. Ich darf einmal ein paar Punkte nennen.Wir sind doch nicht der Meinung, daß das mit Recht viel zitierte Netz der sozialen Sicherung nicht auch wieder neue Fragen auslöst,
damit es nicht als Hängematte mißverstanden wird, sondern damit möglichst wenige hineinplumpsen, andere möglichst rasch wieder herauskommen, Mißbräuche ausgeschlossen werden.Wir sind doch zweitens der Meinung, daß wir wegen der dauerhaften Vollbeschäftigung intensiver über das Tempo der Modernisierung unserer Volkswirtschaft und die damit verbundenen strukturpolitischen Dinge nachdenken müssen. Aber da sind wir doch wieder an einem Punkt, an dem private und öffentliche Initiative ihre Kräfte vereinigen müssen. Da führt doch kein Weg dran vorbei.
Wir sind doch offen für eine Diskussion darüber, was besser privat oder besser durch Gemeinschaftseinrichtungen wahrgenommen wird. Da gibt es Felder, auf denen dies ganz gewiß geprüft werden muß.
Aber dabei gehen Sie völlig an dem vorbei, was uns zum Verhältnis zwischen Bürokratie und gesellschaftlichen Kräften eingefallen ist und was wir uns nicht leicht gemacht haben zu Papier zu bringen. Wir sagen es doch selbst und bieten es Ihnen an, den Staat als etwas zu verstehen, was natürlich nicht völlig von den Intressen und dem Durchsetzungskampf der Gruppen abhängig ist.Dennoch, so sagen wir, ist staatliche Politik niemals nur ein Ergebnis des Drucks und Gegendrucks von Teilinteressen. Wir meinen, jede demokratische Regierung stehe vor der Aufgabe, ihr eigenes Konzept von dem, was das Gemeinwohl erfordert, zu formulieren und es, soweit das mit demokratischen und rechtsstaatlichen Mitteln möglich ist, auch gegen entgegenstehende Teilinteressen durchzusetzen.Viertens. Warum öffnen Sie sich nicht mehr dem Gedanken, daß der Mensch auch im sozialen Bereich nicht vom Brot allein lebt,
und daß alles wiederum, was mit der Mitbestimmung und Mitverantwortung zu tun hat — unzulänglich, wie es angelegt sein mag —, genau diesen Punkt betrifft?Wir könnten weitere Fragen aufwerfen, um die wir uns noch drücken: Weiterentwicklung der parlamentarischen Demokratie,
Anpassung ihrer Arbeitsformen und die Notwendigkeiten der modernen Gesellschaft. Wir haben vielfach noch nicht die Antworten auf die Probleme, vor denen wir stehen. Wir müssen doch darüber nachdenken und uns darüber streiten, statt uns auf eine Gespensterschlacht einzulassen, über die die Geschichte im Grunde längst entschieden hat.Unsere Aufgabe bleibt — ich sage Ihnen das noch einmal in aller Deutlichkeit —: Freiheit im Sinne der Freiheit des einzelnen als Staatsbürger, aber auch durch seine soziale Einbettung in der Wirtschaft, nicht zuletzt auch in der Bildung und Ausbildung; Freiheit im Sinne von Freiheit durch Sicherheit, aber verbunden mit der Liberalität der Freiheit des Geistes, die nicht auf der Strecke bleiben darf; Freiheit im Sinne von Freiheit des eigenen Volkes und Europas — mit äußerer Sicherheit als Kombination von Verteidigung und Entspannung.Ich will nicht noch einmal im einzelnen darauf hinweisen, daß wir auch in den Debatten der vergangenen Woche keine Andeutung einer Alternative gehört haben zu einer auswärtigen Politik, die bedeutet: erstens Verankerung im westlichen Bünd-
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17346 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Brandtnis, zweitens unverdrossen, allen Schwierigkeiten zum Trotz, an der Einigung Europas weiterarbeiten, und drittens sich keine Chance entgehen lassen, Spannungen abzubauen, wo dies möglich ist.
Wir haben — lassen Sie mich nur diese spezielle Bemerkung noch machen — wesentlich mit dafür gesorgt, daß es in diesem Land keine kommunistische Massenbewegung gibt. Und dabei soll es bleiben!
Man soll uns aus den linken Ecken wie aus der rechten Ecke endlich mit dem Volksfrontgerede verschonen!
— Es ist schade, daß die Zuschauer und Zuhörer draußen nicht mitkriegen, was in einem solchen Augenblick an geballtem, borniertem Spießertum in diesem Hause zu erleben ist.
Wir werden auch in Europa nicht das machen oder mitmachen, was Sie Volksfront nennen,
sondern wir wollen — trotz Ihrer unvernünftigen Zwischenrufe, Herr Kollege — ein demokratisches, freiheitliches Europa. Aber über die Wähler in anderen Ländern verfügen Sie nicht und wir auch nicht.
Es muß noch einmal an drei Beispielen deutlich gemacht werden, was unseres Interesses in Europa wegen nicht geht.Erstens. Hier ist letzte Woche einer von Ihnen heraufgegangen und hat gesagt: Der Kollege Walter Behrendt aus Dortmund ist seinerzeit durch Absprache mit kommunistischen Abgeordneten aus anderen Ländern zum Präsidenten des Europäischen Parlaments gewählt worden.
Das ist hier klargestellt worden, und Sie bringen es nicht fertig, das zur Kenntnis zu nehmen. Vielmehr sagen Sie durch Ihren Zwischenruf erneut,
Sie glauben einem italienischen Kommunisten mehr als dem Kollegen dieses Hauses. Ich kann das nur tief bedauern.
Zweitens. Hier ist einer aus Ihrer ersten Reihe an diesem Pult gewesen
— nein —
und hat gesagt, der schwedische Ministerpräsident Palme könne nur mit kommunistischer Unterstützung regieren. Der, der das gesagt hat, ist entweder politisch nicht genügend gebildet, oder er hat hier bewußt die Unwahrheit gesagt. Denn es ist die Unwahrheit und eine Irreführung der Öffentlichkeit.
In einer unserer letzten Debatten unmittelbar vor den schwierigen Wahlen in Portugal, an der europäischen Südwestküste, hat man hier, Herr Strauß, Mario Soares als einen Bündnispartner der Kommunisten denunziert. Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Dieser künftige Ministerpräsident der ersten Regierung, die aus freien Wahlen hervorgegangen ist, hat einen entscheidenden Anteil daran, daß nach 48 Jahren faschistischer Diktatur nicht eine neue Diktatur entstanden ist. Dafür verdient er Anerkennung.
Wir lassen uns nicht mit deutschnationalen Slogans davon abhalten, an die wirklichen Probleme heranzugehen, die unser Land betreffen. Wir tun es mit Stolz, zurückblickend auf unsere schwarz-rotgoldene Tradition.
Herr Dregger und auch Herr Strauß werden uns keine Scheingefechte aufzwingen. Sie werden unserem Volk auch nicht mit einer Neuauflage Spenglerscher Zwangsvorstellungen vom Untergang des Abendlandes imponieren.
Herr Strauß — wenn ich schon dabei bin — hat auch nie in Ordnung gebracht, daß er Mitglieder des Hauses von der Ecke und von der Ecke — eine ganze Reihe hat er genannt — mit Terroristen in einen Topf werfen wollte.
Von Ihnen, Herr Strauß, stammt der Satz — ich zitiere —:Die anderen immer identifizieren damit, daß sie den Sozialismus und die Unfreiheit repräsentieren.Und in der letzten Woche hat er hier gesprochen,als ob er in einem vom Feind besetzten Land lebe.Damit bin ich wieder beim Anfang.
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BrandtFührende Mitglieder der Opposition müssen sich die Frage gefallen lassen, wie sie es mit dem Grundgesetz als der gemeinsamen Grundlage der demokratischen Kräfte in diesem Staat halten. Die deutschen Sozialdemokraten werden immer wieder zur Stelle sein, wenn es darum geht, die Spannung zwischen Freiheit und Gerechtigkeit,
zwischen Freiheit und Gleichheit, zwischen Freiheit und Sicherheit, zwischen Freiheit und Macht im einzelnen Fall so aufzulösen, daß die Menschen in unserem Lande im Rahmen des Menschenmöglichen jeweils beides gewinnen können.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Mikat.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Vorredner hat am Schluß seiner Rede hier gesagt, führende Vertreter der Union — und damit ist ja wohl auch die Christlich-Demokratische Union gemeint — müßten sich fragen, wie sie es mit dem Grundgesetz hielten und wie sie zum Grundgesetz stünden. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD — die Frage dürfte erlaubt sein —, war das etwa so zu verstehen, daß damit unterschwellig, gleichsam im Nebel gefragt werden sollte: Könnte es sein, die Union stände nicht zu diesem Grundgesetz?Wie ist das eigentlich bei Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD? Wenn die Union das Bundesverfassungsgericht anruft, um bestimmte Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen, und das Bundesverfassungsgericht dann der Union recht gibt und gegen die Regierung und gegen die Koalition unserem Volk die Wertentscheidung des Grundgesetzes ins Gedächtnis ruft, dann auf einmal stellen Sie diese Frage offenbar nicht, wer denn wo näher am Grundgesetz steht.
Herr Kollege Brandt, mir hat der letzte Teil Ihrer Rede eigentlich leid getan, denn ich hatte gehofft, nach weiten Strecken Ihrer Rede — —
— Passen Sie einmal auf, Herr Schäfer, jetzt will ich Ihnen etwas sagen: Daß er Ihnen nicht leid getan hat, ist Ihnen nachzusehen; daß er mir leid getan hat, ist mein gutes Recht. Sie sollten unterscheiden. Meine Auffassungen sind Gott sei Dank nicht identisch mit Ihren Auffassungen, Herr Kollege Schäfer; deswegen stehe ich nämlich hier.
Mir hat es leid getan, Herr Kollege Brandt, daß Sie aus der Positionsbestimmung des demokratischen Sozialismus, die immerhin interessant war — da können wir über vieles reden —, nun zum Schluß wieder in das Kapitel Verteufelung, Verketzerung des politischen Gegners gekommen sind.
Sie haben mich sicher nicht gereizt, Herr Kollege Brandt, hier nun mit gleicher Münze heimzuzahlen. Ich werde darauf verzichten, Sprüche Ihrer Parteifreunde, deren wir auch eine ganze Menge haben und die weiß Gott mit dem Grundgesetz nur schwerlich zu vereinbaren sind, hier zu verlesen. Ich wünschte mir nur — und das ist meine sehr herzliche Bitte an Sie —, daß Sie in derselben Deutlichkeit, mit der Sie sich hier zu den Wertentscheidungen unserer Verfassung bekennen, in Ihrer eigenen Partei endlich einmal aufräumen.
Nicht ich bin es schließlich, der das gesagt hat, aber wenn die Presse stimmt, dann hat immerhin unser Kollege Junker, der Vorsitzende des SPD-Bezirks Ostwestfalen — ich darf das hier mit Verlaub verlesen —, auf seinem Bezirksparteitag seinen Leuten zurufen müssen: „Wenn Willy Brandt hier ist, seid ihr brave Sozialdemokraten, aber wenn er nicht unter euch ist, dann wollt ihr Anträge stellen, um unter Beweis zu stellen, was ihr für Sozialisten seid." Nun unterscheidet der Kollege Junker offenbar zwischen braven Sozialdemokraten oder — nach dem, was wir in den letzten Wochen alles gelernt haben — demokratischen Sozialisten —
die meinte er damit wohl nicht — und Sozialisten, die einen Sozialismus vertreten, der offenbar vom Begriff des demokratischen Sozialismus nicht gedeckt wird.Es ist nicht meine Aufgabe, die Sozialismustheorie der SPD in eine einigermaßen verständliche Sprachregelung zu bringen. Offenbar gibt es da mehrere. Es wäre aber Ihre Aufgabe als Vorsitzender dieser großen, unseren Staat bejahenden Partei — denn als solche sehe ich die SPD an —, in der gleichen Klarheit neomarxistischen und nicht mehr vom demokratischen Sozialismus Ihrer Sprachregelung getragenen Tendenzen endgültig zu wehren,
d. h. nun die Konsequenzen zu ziehen. Sehen Sie, Herr Brandt, da liegt der Unterschied zwischen den Flügelkämpfen in der SPD und gewissen Meinungsverschiedenheiten, die in anderen großen demokratischen Volksparteien oder auch in Gemeinschaften wie der CDU und CSU bestehen. CDU und CSU sind gehalten und getragen von einem gemeinsamen Grundkonsens, und dieser bestimmt ihr politisches Handeln. Diesen gemeinsamen Grundkonsens sehe ich in der SPD des Jahres 1976 nicht mehr; denn Sie müssen sich München und müssen sich Frankfurt zurechnen lassen, das ist gar keine Frage.
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17348 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Dr. MikatNun machen Sie es sich doch nicht so billig, einfach zu sagen, die Position, die Sie vertreten, sei, weil sie die Position des demokratischen Sozialismus sei, die Verfassungspostion schlechthin.
— Ich werde darauf gleich noch eingehen.
Ich will nicht zum letzten Teil Ihrer Rede Stellung nehmen, Herr Kollege Brandt, sondern zu dem, was nachdenkenswert ist, was keine Polemik und nicht verletzend war und was uns tatsächlich auf den Sinn einer parlamentarischen Diskussion zurückführt. Ich gehe mit Ihnen, Herr Kollege Brandt— ich weiß, daß ich das tun kann —, davon aus, daß wir in den politischen Parteien nicht das eigentliche Ziel unserer politischen Arbeit sehen. Ziel der CDU ist ja nicht das Wohl der CDU, Ziel der CSU ist nicht das Wohl der CSU und ich hoffe, Ziel der SPD ist nicht das Wohl der SPD, sondern die Parteien sind für uns die politischen Instrumente zum Wohle unseres Volkes. Das heißt, eine Politik muß immer auf das Ganze bezogen sein. Wir machen Politik nicht nur für Anhänger der CDU und CSU, sondern wir machen auch die nach unserer Auffassung beste Politik, die uns möglich ist, für diejenigen, die uns nicht ihr Votum geben, d. h., wir betonen den instrumentalen Charakter unserer Parteien. Nur diese Haltung, Herr Kollege Brandt, gibt uns allen, uns Demokraten auf dem Boden der Verfassung, doch die Souveränität der Kritik auch gegenüber unserer eigenen Partei.Lassen Sie mich ein Zweites dazu sagen. Wenn Ziel unseres politischen Handelns das allgemeine Wohl ist und wenn wir — das ist in der vergangenen Woche schon gesagt worden — uns hier nicht als Feinde, sondern als Konkurrenten um den besten Weg begegnen, dann Herr Kollege Brandt, ist der von Ihnen aufgezeichnete Weg des demokratischen Sozialismus sicherlich e i n Weg, aber es ist nicht der Weg, es ist nicht unser Weg. Allein die Tatsache, daß der demokratische Sozialismus nicht mit dem Marxismus oder mit anderen Sozialismen verschiedenster Spielarten identisch ist, macht den für uns von Ihnen hier anempfohlenen Weg noch nicht akzeptabel,
und zwar aus folgendem Grunde: Auch der demokratische Sozialismus ist eine Position, die als Tendenz in die allgemeine sozialistische Richtung weist und genau diese Tendenz wollen wir nicht.
— Das werde ich dann noch im einzelnen ausführen, Herr Mattick.
Ich wehre mich dagegen, Herr Kollege Brandt, wenn Sie sagen, die Union habe ja im Grunde— ich zitiere Sie jetzt — auf Zunahme der Krise gesetzt. Sehen Sie, Herr Kollege Brandt, das ist auch wieder ein Wort,
das Sie ehrlicherweise nicht sagen sollten. Ich würde auch nie behaupten, Sie hätten auf Zunahme von Leid, Not oder dergleichen gesetzt. Nein, wir setzen nicht auf Zunahme der Krise, sondern wir setzen auf Überwindung der Krise, auf Abbau der Arbeitslosigkeit, auf Abbau der Preissteigerungen, auf Abbau unsozialer Inflationsraten. Wir tun das mit demselben guten Willen, Herr Kollege Brandt, mit dem Sie es auch tun, nur von unterschiedlichen Ordnungsvorstellungen her.
— Für die CDU/CSU.
Herr Kollege Brandt, Sie haben gesagt, Sie seien stolz darauf, daß unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, besser durch die allgemeine weltwirtschaftliche Krise gekommen ist. Ich kann Ihnen sagen, daß auch ich stolz darauf bin. Ich mache aber einen entscheidenden Zusatz: Ich bin stolz darauf, daß es die CDU/CSU war, die überhaupt die Voraussetzungen dazu geschaffen hat, daß wir diese Krise noch so bestanden haben, wie wir sie bestanden haben.
Ich leugne nicht, Herr Brandt, — —
— Na ja, nach diesem Austausch von vier Jajas darf ich Sie vielleicht nochmals ansprechen! — Ich leugne nicht, daß an dem Aufbau dieses Staates die verschiedenen Kräfte unserer Gesellschaft und unseres Staates beteiligt waren.
Es wäre verhängnisvoll, wenn das nicht der Fall gewesen wäre. Denn die große Stabilität unseres Gemeinwesens hängt davon ab, daß seine Geschichte nach 1945 nicht nur die Geschichte einer einzigen Partei oder einer einzigen Richtung gewesen ist. Da sind die deutschen Gewerkschaften zu nennen, da ist der Beitrag der deutschen Unternehmer zu nennen, der Beitrag der CDU/CSU und Ihr Beitrag.Aber eines können Sie nicht leugnen: Die Grundentscheidung Adenauers aus dem Jahr 1949 und die Grundoptionen, die er gegen die SPD getroffen hat, sind entscheidend dafür gewesen, daß wir hier ein Staatswesen der Freiheit und der sozialen Sicherung bekommen haben. Das ist der entscheidende Punkt.
Daß Sie, die SPD, dann auf einem weiteren Weg nach 1945 wesentliche Grundentscheidungen, die Sie einmal getroffen hatten, in Richtung auf die von uns getroffenen Grundentscheidungen korrigiert haben, bestätigt die Richtigkeit unseres Weges. Wir sind die letzten, die Ihnen nunmehr sagen, es wäre besser, wenn Sie in Ihren alten Irrtümern verblieben wären. Wir freuen uns darüber, daß Sie in bestimmten Irrtümern nicht verblieben sind. Aber
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17349
Dr. Mikatentscheidend ist: Dieses Fundament, auf dem unser Gemeinwesen ruht, Herr Brandt, kann ohne die CDU/CSU nicht gedacht werden.
Nun lassen Sie mich zu einem wichtigen Punkt kommen, in dem wir uns, glaube ich, klar und deutlich unterscheiden. Sie haben gesagt — jedenfalls habe ich Sie so verstanden —, entscheidend sei heute, wie der weitere Aufbau unseres Gemeinwesens nach vorn betrieben werde. Sie haben uns alle zu einem Prozeß des Nachdenkens und des gemeinsamen Ringens aufgefordert. Das ist nur zu begrüßen. Wir unterscheiden uns — so sehe ich es jedenfalls — von Ihnen wesentlich dadurch, daß wir unter Freiheit auch die Freiheit von jeglicher Ideologie verstehen und nicht wollen, daß mit Hilfe des Staates in irgendeiner Weise gesellschaftlich-ideologische Ansprüche zur Maxime der Gesetzgebung oder —sagen wir mal — zum allgemeinen Gesetz werden.
Das heißt: Unser System und unsere Politik zielen gerade darauf, daß der Staat in den Prozeß ständiger Selbstkontrolle eintritt, um sowohl dem Anwachsen des Staatsmonopols wie aber auch dem Überwuchern einseitiger gesellschaftlicher Kräfte zugunsten der Freiheit des Individuums zu wehren.Nun werden Sie mir mit Recht sagen können: Werde doch mal konkret! Ich will sehr gern in diesem Punkt konkret werden.
— Ach, wissen Sie, Herr Kollege, ich weiß jetzt nicht, was Sie wieder unter dem Begriff „Ideologie" verstehen!Wenn ich sage, das Verhältnis von Staat und Gesellschaft ist heute eine der wichtigen Grundfragen— das haben auch Sie betont —, dann verstehe ich darunter, daß Staat und Gesellschaft anders als im 19. Jahrhundert sich nicht mehr antinomistisch gegenüberstehen, sondern in einen Verschränkungsprozeß getreten sind.Aber — und das ist der Angelpunkt — Staat und Gesellschaft dürfen bei uns auch nicht identisch werden. Das heißt: Wir wehren uns dagegen, daß eine Gruppe oder eine Partei ihr Bewußtsein zum allgemeinen Bewußtsein erhebt. Die pluralen Wertvorstellungen und die pluralen Haltungen in einem Gemeinwesen sind die Grundvoraussetzungen für unsere Freiheit. Genau das gilt es zu betonen. Denn die Frage lautet nun, Herr Kollege Brandt: Ist in all Ihrer Reformpolitik überhaupt überlegt worden, ob nicht angesichts wachsender Staatszuständigkeiten die Gefahr des Staatsmonopols auf vielen Gebieten besteht? Muß man nicht fragen: Welche Zuständigkeiten können wiederum an andere Gruppen und Gemeinschaften abgegeben werden?Wie sieht das im Bildungswesen aus? Wie sieht das in der Sozialgesetzgebung aus? Welche Vorstellungen haben Sie z. B. von Ehe und Familie in diesem Hause oder auch in Denkschriften entwickelt? Kann da noch die Rede davon sein, daß Ehe undFamilie als vorstaatliche Institutionen im Sinne unserer Verfassung akzeptiert werden? Ist der Verfassungsauftrag bezüglich Ehe und Familie austauschbar? Tritt da etwa der Staat oder eine gesellschaftliche Gruppe unter Umständen mit einem höheren Anspruch auf?Wie ist es im Schulwesen? Wenn wir tatsächlich, wovon ich ausgehe — zumindest habe ich das heute abermals zur Kenntnis genommen —, in dem Kampf gegen den Extremismus von rechts und links, gegen den Kommunismus und den Marxismus als eine der großen Bedrohungen unserer Zeit einig sind, dann allerdings ist doch zu fragen: Inwieweit ist es erlaubt, daß an unseren öffentlichen Schulen, die heute de facto staatliche Monopoleinrichtungen sind, einem bestimmten Einfluß Schleusen geöffnet werden? Muß uns das nicht beide, Herr Brandt, im Kampf gegen diejenigen einen, die die öffentlichen Einrichtungen unter Umständen dazu benutzen wollen, diese freiheitlich-demokratische Grundordnung aus den Angeln zu heben? Dazu hätte ich sehr gerne ein klares und deutliches Wort gehört.
Sie fragen weiter: Was hat etwa Berufsausbildung mit Sozialismus zu tun?
Nun, eine ganze Menge. Die Entscheidung für ein bestimmtes Modell gibt nämlich die Antwort darauf, welche Richtung künftig eingeschlagen wird.
— Ja, natürlich. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, es ist doch nicht gleichgültig, ob ich in einem Gemeinwesen wie der Bundesrepublik Deutschland der Mitwirkung der freien Kräfte, etwa der Industrie- und Handelskammern oder der Handwerkskammern, einen breiten Raum gebe oder ob ich ihre Mitwirkungsrechte verkürze und an ihre Stelle staatliche, bürokratische Institutionen setze. Das ist die Grundentscheidung.
In dubio, in einem Zweifelsfall also, muß immer gefragt werden: Welches ist jeweils die der freien Gesellschaft angemessene freiheitlichere Lösung? Hier liegt die ordnungspolitisch verfehlte Anlage Ihres Gesetzes zur beruflichen Ausbildung; abgesehen davon, daß Sie mit Ihrer Konzeption nicht etwa mehr Lehrstellen schaffen — das wissen Sie auch ganz genau —, sondern allenfalls die Chance hierzu. Wir aber wollen mehr, wir wollen konkrete Hilfen für unsere Jugendlichen.
— Natürlich soll der Staat zahlen; denn es kann durchaus Situationen geben, in denen der Staat durch ein System von sehr gezielten, auch vorübergehenden Interventionen und Subventionen den Prozeß der Stärkung der freiheitlichen Kräfte unterstützen muß. Aber das macht er nicht dadurch, daß er sagt, für uns gilt die Maxime: wer zahlt, schafft an und stellt die Institutionen; sondern da
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17350 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Dr. Mikatdas Geld, das der Staat zur Verfügung hat, das von den freien Bürgern dieses Staates dem Staate zur Verfügung gestellte Geld ist, muß der Staat mit diesem Geld wiederum die jeweils freiheitlichste gesellschaftliche Lösung fördern und unterstützen. So verstehe ich staatliche Interventions- und Investitionspolitik in einer freiheitlich-pluralistischen Gesellschaft.
Nun hat Herr Brandt erneut die Frage nach den Reformen gestellt — wie wir es eigentlich damit hätten —, und er hat hinzugefügt, Reformen brauchten einen langen Atem. Ja, Herr Kollege Brandt, ich hätte mir gewünscht, Sie hätten die Einsicht, daß Reformen einen langen Atem brauchen, dem hohen Hause etwas früher verkündet, nämlich im Jahr 1969.
Ich habe die SPD und auch Sie in vielen Punkten nicht verstanden, aber in einem erst recht nicht:
warum Sie da, wo Sie Reformen zu treiben vorgaben, ohne Augenmaß und ohne Gespür für die Mitte vorgegangen sind.
— Zum Beispiel in der Rechtspolitik könnte ich Ihnen einiges aufzählen.Ich will hier nicht das wiederholen, was ich in diesem Hause einmal über die Notwendigkeit von Reformpolitik, ja, sogar — Herr Kollege Brandt, Sie werden sich erinnern — über die Notwendigkeit eines weit nach vorn gerichteten Denkens gesagt habe. Aber ich möchte doch die Bemerkung, Reform brauche einen langen Atem, mit einem Satz versehen. Er stammt nicht von mir. Ich werde ihn gleich zitieren. Diesen Gedanken halte ich bei jeder Reformpolitik für wichtig. Der Bonner Philosoph Kluxen hat jüngst einmal eindrucksvoll gezeigt, und zwar in seiner Schrift „Ethik des Ethos", daß die positive Aufnahme der Tradition die Voraussetzung für den Fortschritt der Vernunft zu einer größeren Fülle sinnvollen Daseins ist und daß es vernünftig ist, bis zum Beweis des Gegenteils der Tradition zu folgen; denn das Neue hat sich noch nicht bewährt.Der Fehler Ihrer Reformpolitik ist gewesen, daß Sie zum Teil aus ideologischer Sicht heraus glaubten, das Neue sei schon das Bewährte und etwas, was Sie vorfänden, müsse schon deshalb abgebaut werden, weil Sie es vorfänden. Da ist einer der verhängnisvollsten Fehlschlüsse der sogenannten sozialliberalen Reformpolitik gewesen. Sie ist darum nicht Schritt für Schritt gegangen.
Eine solche Politik haben wir auch in den anderensozialdemokratisch geführten Ländern angetroffen.
— Ach, Herr Kollege, was das Betriebsverfassungsgesetz betrifft, so könnte ich Ihnen hier wieder aufzählen, welche Gesetze von uns in der Zeit bis 1969— entweder zusammen mit der FDP bis 1967 oder auch zusammen mit Ihnen bis 1969 — gemacht worden sind. Das ist ein Katalog, der hier schon mehrfach verlesen worden ist. Ersparen Sie mir die Wiederholung.Einen Satz möchte ich noch einmal sagen: Die Geschichte der Reform unseres Gemeinwesens, unseres Volkes im freien Teil setzt nicht 1969 an, sondern 1945. Die Regierungen Adenauer, Erhard und Kiesinger werden sich einmal als die großen Reformregierungen unserer Geschichte erweisen. Was wir Ihnen vorwerfen, ist ja gerade, daß Sie einen Teil dieser auf langfristige Erneuerung unseres Gemeinwesens ausgerichteten Politik durch Unvernunft und übergroße Hast — nicht durch guten Willen; den sprechen wir Ihnen nicht ab —
gefährden. — Herr Wehner, Sie sagen sehr zynisch: Schönen Dank.
— Herr Kollege Wehner, jetzt läge es nahe, darauf gar nichts zu sagen.
Ich bemühe mich aber durchaus ehrlich, auch meinem politischen Gegner den guten Willen nicht zu rauben, sondern zu belassen. Davon lebt unser Volk, und das können Sie, Herr Wehner — das sage ich ganz freimütig —, nicht mit Lachen abtun. Hier geht es mir um eine der fundamentalen Voraussetzungen unserer Freiheit, daß wir uns im guten Willen gegenseitig nichts schuldig bleiben.
— Wenn Sie das bestreiten, ist das Ihre Sache.
Wenn das Kernthema lautet, wie wir die Freiheit in diesem unserem Land stärken sollen, dann kann das, natürlich nicht nur auf die Frage bezogen sein: Wie stärken wir die individuelle Freiheit? Die individuelle Freiheit ist heute weitestgehend von der Freiheit der Gruppen und der Kräfte abhängig, d. h. der kollektiven Zusammenschlüsse in unserem Volk. Auch hier sind Sie bisher in diesem Parlament —wie aber auch in anderen Parlamenten unseres Landes — die Antwort schuldig geblieben. Wer hat denn gegen das Sozialhilfegesetz beim Verfassungsgericht geklagt und ist damit unterlegen? Wer tritt denn heute für die freien Träger in den verschiedenen Funktionen massiv ein? Wenn wir das tun, Herr Kollege Brandt, dann doch darum, weil wir den Staatsmonopolismus nicht wollen. Auch das, was Sie zum freiheitlichen oder, wie Sie sagen, demokratischen Sozialismus ausgeführt haben, hat konkret
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17351
Dr. Mikatüber die Frage der Kräfte der freien Gesellschaft herzlich wenig ausgesagt.
— Haben Sie sich mal die gesetzlichen Grundlagen dafür angesehen, die wir geschaffen haben, zum Teil gegen Ihren Widerstand?Herr Kollege Brandt, Sie haben auf die große Geschichte der SPD verwiesen. Wer möchte leugnen, daß es diese große Geschichte gibt? Es ist auch richtig, daß der Staat des Bonner Grundgesetzes aus verschiedenen Kräften unserer Geschichte gespeist worden ist. Dazu gehört natürlich sozialistisches Gedankengut ebenso wie christliches Gedankengut. Wer möchte das leugnen? Aber, wer möchte leugnen, daß die CDU/CSU nach 1945 die beiden für unsere Freiheit entscheidenden Schritte unternommen hat? Sie hat nämlich erstens den konfessionellen Konfliktstoff, der einmal ein politischer Faktor in unserem Lande war, überwunden, und sie hat zweitens konsequent den Klassenkampf und das klassenkämpferische Denken überwunden. Das ist der entscheidende Punkt.
Dazu, Herr Kollege Brandt, hätte ich allerdings von Ihnen auch gern etwas gehört. Ich gebe zu, sie hat es — übrigens in einer historischen Stunde — gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund ermöglicht, und wir können nur hoffen, daß unser Volk niemals wieder in Klassenkampfdenken zurückfällt; denn das würde unserem Volke die Freiheit rauben.Nun werden Sie, Herr Kollege Brandt, oder andere Kollegen, denen ich das ja durchaus abkaufe, sagen: „Wir reden ja nicht vom Klassenkampf." — In Ihrer Partei wird heute wieder ganz massiv vom Klassenkampf geredet!
Da erwarte ich, daß Sie auch diejenigen zur Ordnung rufen, anstatt höchst überflüssigerweise die CDU/CSU danach zu fragen, wie sie es denn mit dem Grundgesetz hält.
Sie hat sich, diese CDU/CSU, als die Verfassungspartei erwiesen. Wir stehen zu dieser Verfassung und haben es nicht nötig, hierfür den Beweis zu führen. Uns geht es vielmehr darum, diejenigen in ihre Schranken zu verweisen, die nicht in Treue zum Grundgesetz stehen. Da hoffen wir auf Ihre, auf aller Unterstützung.
Herr Kollege Brandt, Sie haben zum Schluß den Begriff der Freiheit in vier Formulierungen interpretiert, die ich hier nicht zu wiederholen brauche. Wenn ich diese Formulierungen isoliert nehme, stimme ich Ihnen weitgehend zu. Was mich interessiert, ist die Frage: wie wenden Sie denn um Himmels willen das nun auf Ihrer Seite an?Lassen Sie mich jetzt etwas zu dem Wort „Freiheit statt Sozialismus" oder „Freiheit oder Sozialismus" sagen. Ich will mich hier nicht in die Frage „statt" oder „oder" vertiefen. Dieser Satz ist auch richtig im Hinblick auf die europäische Situation. Für mich ist die kommende Wahl — Sie haben ja auch von der Wahl gesprochen, und natürlich stehen wir schon alle unter dem Eindruck des Wahltages 3. Oktober — natürlich nicht nur ein deutsches Datum; der 3. Oktober ist auch ein europäisches Datum.
Denn von dem Votum werden Tendenzen und Strömungen auch im freien Teil Europas weitgehend abhängig sein.Ich begrüße es, Herr Kollege Brandt — das wollen wir festhalten —, daß Sie sich heute klar abgegrenzt haben gegenüber jeglicher Form von Diktatur und Totalitarismus.
Ich nehme zur Kenntnis, daß Sie gesagt haben: Wir machen aus unserem Satz im Godesberger Programm „Demokratie wird durch den Sozialismus erfüllt" keinen Ausschließlichkeitsanspruch.Dann nehmen Sie bitte auch das zur Kenntnis, was in der vorigen Woche Herr Kollege Carstens, Herr Kollege Weizsäcker und Herr Kollege Strauß gesagt haben. Wenn wir sagen „Freiheit oder Sozialismus" oder „Freiheit statt Sozialismus", dann behaupten wir nicht, daß Sie oder Herbert Wehner oder wer sonst, einer unserer Kollegen, die hier im Bundestag gesprochen haben, die Freiheit nicht wollten. Nein, das ist nicht der Punkt, sondern dann behaupten wir, daß nach unserer Auffassung auch der demokratische Sozialismus Gefahr läuft, tendenzielle Wirkungen in Europa auszulösen, die nicht ein Mehr an Freiheit bewirken, auch wenn Sie etwas ganz anderes wollen.
— Natürlich ist die Fraktion dieser Auffassung.Wenn also der 3. Oktober ein europäisches Datum ist, werden Sie uns allerdings auch gestatten, darauf hinzuweisen, daß wir der Meinung sind, daß die sozialistischen Formen in den übrigen europäischen Staaten nicht unsere sind; sie sind ja wohl auch nicht Ihre. Das heißt also, der Hinweis darauf, daß es in anderen Staaten sozialistische Parteien und Kräfte gibt, die ebenfalls gegen den Kommunismus stehen, besagt überhaupt nicht, daß sich unser Volk infolgedessen seelenruhig für sozialistische Formen entscheiden könnte.Lassen Sie mich folgendes deutlich sagen, und hier sind wir wieder an dem entscheidenden Punkt; Herr Brandt: Sie haben, wenn ich es richtig verstanden habe — anderenfalls verbessern Sie mich bitte —, gesagt, es gebe keinen vernünftigen Grund, diese Regierung nicht wiederzuwählen. Sehen Sie, genau das ist der Punkt, der bei Ihnen häufig durchschimmert. Damit fangen Sie jetzt schon wieder an, zu sagen: Auf der einen Seite sind die Vernünftigen, auf der anderen Seite sind die Unvernünftigen.
Es mag für Sie, Herr Kollege Brandt, Gründegeben — davon gehe ich aus —, diese RegierungDr. Mikatwiederzuwählen. Unserer Überzeugung nach spricht allerdings die Vernunft dafür, diese Regierung nicht noch einmal mit den Geschäften der Regierung zu betrauen,
weil wir glauben, daß es ein Gebot der Vernunft ist, daß sie im Oktober 1976 abgelöst wird.Wenn das so ist, sollten wir beide fragen: Ist es richtig, daß wir mit dem Begriff der Vernunft arbeiten? — Nein, wir sollten darauf verzichten. Wir sollten vielleicht sagen: „Aus unserer Sicht ist folgendes geboten." Unsere Sicht steht dann Ihrer entgegen. Das wird dem Konkurrenzverhältnis gerecht.Warum erwähne ich das? — Weil ich mich dagegen wehre, daß etwa folgendermaßen argumentiert wird: „Hier steht das anständige Deutschland." Es wird zwar nicht gesagt, aber was kann man logisch anders daraus schließen, als daß dann auf der anderen Seite das „unanständige Deutschland" steht? Das soll dem Wähler doch offenbar nahegelegt werden. Und wenn es heißt „Hier steht die Vernunft", was soll denn anderes als die Unvernunft auf der anderen Seite stehen? Nein, so wollen wir hier nicht verfahren. Wir sind der Auffassung, Herr Kollege Brandt, daß wir unserem Wähler unsere alternativen Lösungen vorlegen sollten. Er wird dann schon entscheiden.Sie sagten — ich darf noch einmal auf Sie zurückkommen —: Entweder hat die Union keine Alternative,
oder, — das klang in der Haushaltsdebatte auch schon an —, sie hat zwar eine, aber das ist keine. In welcher Wortwildnis leben wir eigentlich? Alternative ist offenbar immer nur das, was von Ihnen oder von der Bundesregierung als Alternative zugelassen wird. Meine Damen und Herren, so weit sind wir aber noch nicht, und so weit wollen wir auch nicht kommen. Wir haben Ihnen in den letzten Jahren auf allen Sachgebieten sehr genau unsere Vorstellungen entwickelt.
— Unsere Vorstellungen über die Eherechtsreform, die Strafrechtsreform, die Bodenrechtsreform, die Bildungsreform, die Reform der beruflichen Ausbildung. Es kann sein, daß Ihnen diese unsere Alternativen nicht passen. Dennoch sind es unsere Alternativen.
Nehmen Sie nun bitte nicht auch noch das Monopol für sich in Anspruch, gewissermaßen bestimmen zu können, was im demokratischen Willensbildungsprozeß überhaupt als Alternative zugelassen wird und was nicht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Kollege Professor Mikat, wie können Sie angesichts der Tatsache, daß
Ihre Kollegen es heute morgen und in der vorigen Woche ausdrücklich abgelehnt haben und zwar aus Angst, daß ihre Vorschläge verrissen würden —, seitens der Union Gegenvorschläge und Alternativen darzulegen, davon sprechen, daß auf vielen Gebieten Alternativen entwickelt und dargelegt worden sind?
Herr Kollege Reuschenbach, was Sie sagen, ist nicht wahr. Wenn Sie solche Fragen stellen, muß man sich natürlich fragen, ob man sie überhaupt beantworten soll, denn der Mangel an Ernsthaftigkeit steht Ihnen bei einer solchen Frage doch auf der Stirn geschrieben.
— Herr Kollege Schäfer, das ist doch keine Hilflosigkeit. Wenn die Redezeit es erlaubte, könnte ich Ihnen alles im einzelnen darlegen. Ich könnte Ihnen darlegen, welches die Rezepte gewesen sind, die etwa Herr Strauß hier zur Frage der Steuerreform vorgetragen hat. Wer hat denn hier das Inflationsentlastungssteuergesetz vorgeschlagen, der Herr Kollege Strauß oder etwa der Herr Kollege Möller oder Sie, Herr Kollege Schäfer? Sie sind diesen vernünftigen Weg nicht gegangen. Warum? Sie wollten ihn wohl deshalb nicht gehen, weil der Vorschlag von uns kam.
— Wir halten unseren für besser; Sie halten Ihren für besser. Jetzt haben Sie selber den Kollegen Reuschenbach hervorragend widerlegt. Sie haben gesagt, Sie hätten Ihren Weg für besser gehalten als unseren Weg. Also haben wir doch offenbar einen Weg vorgeschlagen. Herr Reuschenbach vermutet aber, es gäbe bei uns keinen Weg. Werden Sie sich doch untereinander einmal einig, was Sie unter Begriffen wie „Alternative" und „Vorschlag" verstehen. Dann können wir hier weiterreden.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der dritten Lesung. Es war, glaube ich, gut, in der Debatte über den Haushalt nicht nur über den Haushalt selbst zu sprechen, wiewohl ich den Seufzer der Kollegen aus dem Haushaltsausschuß verstehen kann, daß wir über die einzelnen Positionen des Haushalts hier nicht eingehend diskutiert haben. Ich glaube, daß uns die Zurückführung auf das Grundsätzliche in zwei Punkten, die ich für wichtig halte, besonders gutgetan hat:Erstens. Sie hat es uns ermöglicht, wenige Monate vor der Wahl auch gegenüber dem Volk dasjenige klarzustellen, was uns eint und bindet und nicht verlorengehen sollte. Dies ist sehr wichtig.Zweitens. Sie hat uns die Möglichkeit gegeben, ebenso deutlich zu machen, was uns trennt, also aufzuzeigen, wo die Unterschiede unserer ordnungspolitischen Vorstellungen liegen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17353
Dr. MikatLassen Sie mich mit einem Hinweis auf die katholische Soziallehre schließen, die hier mehrfach angesprochen worden ist. Ich habe es begrüßt, daß sich Vertreter der SPD der katholischen Soziallehre zuwandten. Ich würde es freilich begrüßen, wenn sie sich in anderen Zusammenhängen der katholischen Soziallehre zuwendeten und nicht immer nur dann, wenn es Ihnen gerade paßt, also nach der Pick-Methode. Es gehört zum Kernbestand der katholischen Soziallehre, daß sie die große Aufgabe der Solidarität niemals national bezogen, sondern immer in einem Kontext gesehen hat, der auf die Menschheit bezogen ist.
Die katholische Soziallehre ebenso wie die evangelische christliche Ethik lehnen ja die Begrenzung von Begriffen wie „Brüderlichkeit", „Solidarität" und „Subsidiarität" auf den nationalen Rahmen eines Volkes ab. Insofern — das zeigen etwa auch die großen päpstlichen Lehrschreiben — ist die katholiche Soziallehre auch für die soziale Frage in den Ländern der Dritten Welt bedeutsam geworden; man lese etwa „Mater et magistra". Ich glaube, insofern gehört es an den Schluß einer Aussprache über den Haushalt, uns darauf zu besinnen, daß die großen Aufgaben der Zukunft nicht die national begrenzten Aufgaben sein dürfen, sondern daß wir sie schon als weltbezogene Aufgaben sehen müssen. Sie sind nicht als europäische Aufgaben zu sehen, sondern als Aufgaben, die sich auf die Welt beziehen. Was wir aber als Deutsche, als Bürger dieses freien Landes auch in diese Welt einbringen können, ist unser Verständnis von Freiheit, von Staat und Gesellschaft. Hier liegt ein wichtiger Beitrag, den wir zu leisten haben. Hier liegt vielleicht auch unsere Aufgabe, gegen sozialistische Tendenzen in anderen Staaten eine Gegensteuerung von uns aus einzuleiten. Auch unter diesem Aspekt sehen wir den 3. Oktober 1976.Wenn die Debatte dazu gedient hat, auf der einen Seite klarzustellen, was uns eint, auf der anderen Seite deutlich zu machen, was uns trennt, dann hat sie ihren Sinn gehabt. Wir können Sie von der SPD nur auffordern, das, was Sie hier über Grundkonsens, über Verfassungstreue, über notwendige Balance zwischen Freiheit, Rechtsstaat und Sozialstaat gesagt haben, endlich auch in Ihren Reihen zu verwirklichen. Sehen Sie in Ihrem Hause nach!
— Unser Haus ist insofern in Ordnung.
Das ist das Bewußtsein, mit dem wir in unsere weitere Arbeit hineingehen.Je größer das Maß an Übereinstimmung ist, das wir im Prozeß des Nachdenkens und Miteinander-Ringens in diesem Hause bekommen, um so besser ist das für uns alle. Niemand von uns will die Krise, jeder von uns will ihre Überwindung. Unterstellen wir uns nicht gegenseitig etwas anderes! Ich glaube, dann dienen wir dem allgemeinen Wohl. Die CDU hat diesen Staat entscheidend geprägt.
: Und die CSU! —
Lachen bei der SPD und der FDP)— CDU und CSU, selbstverständlich. Sehen Sie, so selbstverständlich ist mir der Gedanke der Union, daß ich, wenn ich CDU sage, CSU mit denke.
Wir lassen uns weder durch Anspielungen noch durch direkte Rede von diesem Staat und seiner Verfassung trennen. Wir sind die tragende Verfassungspartei — —
— Darf ich den Satz zu Ende sprechen? Genauso gehe ich davon aus, daß Sie wie auch die FDP jeweils aus Ihrem Verständnis heraus die tragende Verfassungspartei sind. Wir halten den Verfassungskonsens dann gemeinsam. Wir haben nur Sorge, Sie sprechen in Ihrem Lager nicht mit der gleichen Deutlichkeit wie hier in diesem Hause.
Wir fahren in der allgemeinen Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus den Reden der Kollegen Leicht und Zeitel am heutigen Vormittag schien die Einsicht der Opposition zu sprechen, daß sich das Wahlkampfschema „Freiheit statt Sozialismus" als Koordinatensystem für die dritte Lesung eines Haushalts nicht besonders gut eignet. Dennoch könnte der streitbare Disput zwischen den Kollegen Brandt und Mikat trotz sachlicher, harter Kontroverse mit dazu geholfen haben, die politische Atmosphäre in diesem Lande zu entgiften. Jedenfalls wäre das gemeinsame Bekenntnis zu unserem Staat und zu seiner freiheitlichen Grundordnung abseits von parteiegoistischen Erwägungen eine Möglichkeit, eine solche Annahme zu rechtfertigen und zu begründen. Wenn aber der Kollege von Weizsäcker in der zweiten Lesung die Behauptung gewagt hat, der Bundeskanzler spreche nicht für Sozialdemokratie, dann ist nach den Reaktionen aus der Opposition zumindest Zweifel erlaubt, ob Herr Kollege Mikat hier für die Opposition gesprochen hat.
Meine Damen und Herren, natürlich müssen auch die beim Haushalt anstehenden Entscheidungen in eine politische Generallinie eingeordnet sein. Klare Politik beruht auf sicheren Grundsatzüberzeugungen. Es mag sein, daß diese Grundsatzdiskussion in der Vergangenheit zu kurz gekommen ist. Aber wir alle müssen uns in diesem Augenblick doch wohl sehr viel mehr um eine bürgernahe Politik bemühen. Die Bevölkerung in diesem Lande ist es einfach leid, daß ständig an den Problemen des Tages vor-
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Hoppebeigeredet und dafür zwischen den Parteien Vergangenheit bewältigt wird. Meine Damen und Herren, die Bevölkerung hat ein Recht darauf, zu erfahren, wie wir mit den Aufgaben des Tages fertigwerden wollen. Sie will wissen, wer die wirtschafts-und finanzpolitischen Fragen überzeugend beantworten kann und wer ein wirksames Konzept dafür anbieten kann.Wer aber — wie es in der zweiten Lesung des Haushalts Herr Kollege Strauß getan hat — die Regierung kritisiert und dem Bundesfinanzminister Unkenntnis und Selbsttäuschung vorwirft, der muß Lösungsvorschläge bringen und darf nicht nur Sprüche machen.Heute, meine Damen und Herren, hat Herr Kollege Zeitel geglaubt, sich — wie er formuliert hat — am Langzeitkommissar Brandt reiben zu müssen. Um das mit Erfolg zu tun, hätte er allerdings, so meine ich, für etwas mehr Kurzweil sorgen müssen. Immerhin war das Thema der Belastbarkeit unserer Steuerpflichtigen ein Ansatz für sachliche Auseinandersetzungen, wie auch dem Kollegen Leicht bescheinigt werden muß, daß er sich ernsthaft um Sachlichkeit und um eine faire Auseinandersetzung bemüht hat. Neues, so scheint mir, haben die Kollegen allerdings nicht vortragen können. Herr Professor Zeitel hat zwar versucht, für die Frage der steuerlichen Belastbarkeit eine neue Dimension des Tages zu beschwören. Meine Damen und Herren, die gibt es nicht. Die Bundesbank hat zu der bestehenden Problematik in ihrem Geschäftsbericht 1975 bereits eindeutig Stellung genommen. Ich komme darauf noch einmal bei der speziellen Thematik kurz zurück.Es geht also um den Inhalt einer notwendigen, aber auch einer praktikablen Haushalts- und Finanzpolitik. Hier ist es immer wieder erstaunlich, daß die Opposition ihre Argumente stets durch den Kollegen Franz Josef Strauß vortragen läßt, der sich wie ein Unfehlbarkeitsapostel zum Maß aller Dinge erhebt.Meine Damen und Herren, die für den Steuerzahler so teure Vergangenheit des Kollegen Strauß beschäftigt den Rechnungsprüfungsausschuß dieses Parlaments noch bis in diese Tage.
Kein anderer hat sich so viel Tadel in sein Ressortbuch schreiben lassen müssen wie gerade er. Auf diese Weise ist er zu einem Spezialisten besonderer Art geworden. Es ist wohl nicht falsch, zu formulieren, daß dem Kollegen Strauß vom Bundesrechnungshof gewissermaßen für grobes Foulspiel in Finanzdingen die rote Karte des Feldverweises gezeigt wurde.
Es wirkt im übrigen auch seltsam, wenn gerade er z. B. unter Berufung auf den „France soir" den forschen Ton des Bundeskanzlers rügt. Franz Josef Strauß ist uns allen und ist auch international nun wirklich nicht gerade als bayerischer Goethe bekannt geworden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger ?
Aber immer, Kollege Jäger.
Herr Kollege Hoppe, was veranlaßt Sie eigentlich, andere Kollegen dieses Hauses zu beschuldigen, sich Vorwürfen des Rechnungshofes auszusetzen, zu einem Zeitpunkt, in dem der amtierende Finanzminister der Regierung, die Sie stützen, sich in einem Prozeß vor dem Bundesverfassungsgericht wegen verfassungswidrigen Verhaltens zu verantworten hat, einem Prozeß, den er offenbar so fürchtet, daß mit allen Mitteln versucht wird, die Entscheidung über den Wahltag hin-auszudrücken?
Verehrter Herr Kollege Jäger, dieser Ablenkungsversuch geht doch nun wirklich ins Leere. Ich habe von mir aus gar keine Vorwürfe erhoben. Ich habe nur darauf aufmerksam machen und in Erinnerung bringen dürfen, daß wir, die Mitglieder des Rechnungsprüfungsausschusses, im Augenblick noch an jenen Textziffern sitzen und sie aufarbeiten, die sich nun wirklich mit der finanzpolitischen Verantwortung des Kollegen Strauß beschäftigen. Daran können auch Sie hier nicht vorbei.
Aber wir alle — und nur das wollte ich mit diesem Hinweis gesagt und nur diesen Appell wollte ich an uns alle gerichtet haben — sollten auf diese Schulmeisterei verzichten und die Auseinandersetzung nicht mit Schlagworten führen. Schließlich muß der Haushalt, den es heute in dritter Lesung zu verabschieden gilt, zu seinem Teil Antwort geben auf die Fragen nach Bewahrung der sozialen Leistungen, Rückgewinnung der Stabilität, Gesundung der Staatsfinanzen und Sicherung ausreichender Arbeitsplätze.
Das Sondergutachten des Sachverständigenrates hat den Blick für die tiefgreifenden Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Situation verschärft. Es gilt, jene einschneidenden Strukturveränderungen zu meistern, die berufliches Risiko für den einzelnen bedeuten. Niemand war auf einen so ungünstigen Wirtschaftsverlauf vorbereitet. Keiner hat ihn vorausgesehen: die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien nicht, aber genausowenig die Opposition. Wir alle zusammen haben geirrt und haben uns dabei auch noch gemeinsam auf das Gutachten der Sachverständigen berufen können.
Meine Damen und Herren, die Steigerungsrate der Staatsausgaben hat dann in der Tat die Wachstumsrate des nominalen Sozialprodukts beträchtlich überschritten. Die Steuerreform hat dieses bedenkliche Ungleichgewicht dann noch verschärft.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerlach?
Herr Kollege, würden Sie mir nicht zustimmen, daß gerade der finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Franz-
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Gerlach
Josef Strauß, auf die wirtschaftspolitische und finanzpolitische Situation oft genug hingewiesen hat, von der Sie nunmehr behaupten, kein Mensch habe sie vorausgesehen und voraussehen können?
Verehrter Herr Kollege, auch Sie haben durch Ihren finanzpolitischen Sprecher in den Jahren vor dem Konjunktureinbruch mit seinen Auswirkungen auch auf unseren Haushalt Finanzpolitik vorgetragen. Sie und auch der Kollege Strauß haben — genauso wie die Vertreter der anderen Parteien die Entwicklung in unserem Lande 1974 günstiger und positiver beurteilt, als sie sich nachträglich dargestellt hat, und diese Realität steht heute vor uns und ist von uns allen zu bewältigen.
Die Problematik ist durch die Steuerreform verschärft worden, denn diese hat auf das Ungleichgewicht keine Rücksicht genommen. So entstand jenes strukturelle Defizit des Haushalts, das in der Tat Keime für eine gefährliche Entwicklung enthält.
Aber, meine Damen und Herren, die Ausweitung der Staatsausgaben haben wir alle gemeinsam zu verantworten. Der eine hat den anderen mit Wohltaten für den Bürger stets und ständig überbieten wollen.
Dieser edle Wettstreit ist an sich nicht schlecht; er hat nichts Bösartiges an sich. Aber er hat ein böses Ergebnis zur Folge gehabt. Natürlich sind die Ausgaben auch Ausdruck einer Reformpolitik. Aber Reformpolitik treiben ebenfalls nicht nur die Regierung und die Koalitionsfraktionen, sondern Reformpolitik und Reformfreudigkeit plakatiert auch die neue CDU. Deshalb sollten wir uns alle gemeinsam zu unseren Taten, aber auch zu ihren Folgen bekennen.
Dem Ganzen ist letztlich nur durch kräftige Kürzung der Staatsausgaben beizukommen. Das ist geschehen. Weitergehende Abstriche können im Interesse der sozialen Funktionsfähigkeit nur noch behutsam erfolgen. Mit Hinweisen auf übersteigerte Informationstätigkeit oder übersteigerte Repräsentation des Staates ist der Gegenbeweis ernsthaft wirklich nicht zu führen.
Die verordneten, mit diesem Haushalt beschlossenen Stellenkürzungen müssen von der Verwaltung erst noch verkraftet werden. Dies ist hier zwar zuzumuten, wird aber nicht ohne Schmerzen abgehen. Wer von einem Personalabbau weitergehende Vorstellungen hat, sie entwickeln will und immer wieder unter die Leute trägt, muß dafür zunächst die notwendigen Voraussetzungen durch Rationalisierung und bessere technische Ausstattung schaffen. Aber das kostet Geld. Unter keinen Umständen läßt sich hier aber der zweite Schritt vor dem ersten tun.
Um die Staatsausgaben decken zu können, wird sich der Staat auch weiterhin verschulden müssen.
Aber der Zugriff am Kapitalmarkt muß wieder auf ein normales Maß zurückgeführt werden. Der Haushalt 1976 leitet diesen Prozeß wirkungsvoll ein. Erfolgreich werden wir ihn 1977 jedoch nur dann weiterführen können, wenn die Opposition ihr Nein zu den vom Bundestag beschlossenen Steuererhöhungen endlich aufgibt. Es sollte auch der Opposition zu denken geben, daß sich im Geschäftsbericht der Bundesbank — hier nehme ich die Ankündigung wieder auf — folgende Feststellungen finden:
Die Entscheidung der Finanzpolitik, auf dem Tiefpunkt des Zyklus ein mittelfristiges finanzpolitisches Sanierungsprogramm mit Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen zu verkünden, war zwingend notwendig, um auf längere Sicht wieder Vertrauen in die Stabilität von Wirtschaft und Finanzen zu erwecken. So hat sich denn auch gezeigt, daß das Sanierungsprogramm, sowenig es den orthodoxen Regeln einer antizyklischen Fiskalpolitik entsprochen haben mochte, dem sich entfaltenden Konjunkturaufschwung in keiner Weise schadet, ja, eher nützt.
Die Bundesbank stellt dann aber weiter fest, daß das langfristige Problem der öffentlichen Finanzen mit den in der mittelfristigen Finanzplanung ab 1977 von der Bundesregierung vorgesehenen Maßnahmen noch nicht endgültig gelöst ist. Sie weist in diesem Zusammenhang vielmehr nachdrücklich darauf hin, daß die Spirale der Preis- und Einkommenserhöhungen unter gar keinen Umständen und als Folge dieser Maßnahmen in Gang gesetzt werden darf.
Deshalb bleibt es trotz der Steuererhöhung weiter dringend geboten, der strukturellen Deckungslücke des Haushalts auch und ganz besonders bei stärkerem Konjunkturaufschwung über die Eindämmung der öffentlichen Ausgaben beizukommen. Die Zeiten der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit werden darum auch 1977 nicht vorbei sein. Aber Sparsamkeit allein löst die Probleme nicht. Sie können auch nicht allein durch Steuererhöhungen gelöst werden. Dazu gehört vielmehr ein ausgewogenes Instrumentarium haushalts- und finanzpolitischer Mittel. Nur so kann die Lösung gefunden werden. Das sind dann insgesamt jene Maßnahmen, die der verehrte Herr Kollege Strauß bereits für den Fall einer CDU/CSU-Regierung angekündigt hat. Die Opposition sollte der Regierung also nicht das verweigern, was sie selbst als Regierungspartei zu tun bereit ist.
Der Haushalt 1976 ist Teil eines Konsolidierungsprogramms, das seine wohltuenden Wirkungen auf die Haushalts- und Finanzpolitik dieses Staates nicht verfehlen kann.
Der Bürger in unserem Lande wird dies spüren. Für ihn wollen wir liberale Politik mit Augenmaß fortsetzen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Carstens.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Brandt hat uns in seiner Rede vorhin einen Vorgeschmack auf das gegeben, was er unter „Klotzen und Holzen im Wahlkampf" versteht.
Ich meine, die Schwäche seiner Position ist dadurch besonders deutlich geworden; denn das alte Sprichwort sagt: Wer schreit, hat Unrecht. Das gilt um so mehr, wenn man sich klarmacht, daß Herr Brandt auf die Argumente, die die Opposition in der letzten Woche und heute vorgetragen hat, im wesentlichen überhaupt nicht eingegangen ist.
„Meine Partei steht zum Grundgesetz", sagt Herr Kollege Brandt. Aber, Herr Kollege Brandt ich sehe ihn leider hier nicht mehr unter uns —, das ist nicht der Punkt. Meinungsfreiheit ist einer der Grundwerte und eines der Grundrechte unseres Grundgesetzes. Wie stehen Sie dazu, daß in Ihrer Partei nach eigenem Zeugnis Ihrer Parteifreunde Terror gegen Andersdenkende geübt wird? Das ist doch ein Frage, die Sie nicht einfach totschweigen können.
Ich habe in der vergangenen Woche hier seitenweise Texte aus der Rede des Herrn Döbbertin, des Präsidenten der Fritz-Erler-Gesellschaft vorgelesen. Ich habe vorgelesen, was Frau Pross von der Universität Gießen ausgeführt hat, die sagte: Hier an der Universität Gießen ist keine freie Diskussion mehr möglich, weil dies linke Gruppen der SPD verhindern.Das sind doch Fragen, die das Grundgesetz berühren. Das sind doch Fragen, die das Grundrecht auf Meinungsfreiheit berühren. Warum schweigt die SPD dazu? Warum schweigt der Bundeskanzler?
Warum schweigt der Herr Kollege Brandt dazu? — Nun, man kann sich erklären, warum sie schweigen. Es war doch ganz erstaunlich, zu sehen, daß der Vorsitzende und der Vorstand der SPD der FritzErler-Gesellschaft eine Rüge erteilten, nachdem diese Gesellschaft in Hannover gegründet worden war und damit Tausende von Mitgliedern der sozialdemokratischen Partei einen leidenschaftlichen, unüberhörbaren Appell an unser ganzes Volk, an die Öffentlichkeit gerichtet hatten, der mehr Freiheit in dieser Partei forderte. Sehen Sie, so verkehrt sind bei Ihnen die Fronten. Anstatt sich mit denen auseinanderzusetzen, die in Ihrer Partei Terror ausüben, tadeln Sie die, die das kritisieren.
„Wir schränken den Freiheitsraum des Bürgers nicht ein", hat Herr Kollege Brandt gesagt. Meine Damen und Herren, man könnte viele Beispiele dafür bringen, wo dies tatsächlich doch geschieht.
— Wenn Sie mir nicht zuhören, dann kann ich esnicht ändern. Ich habe in der letzten Woche Beispiele gebracht. Ich will aber noch ein weiteres, sehr wichtiges Beispiel bringen und die Wirkungen der sozialistischen Familienpolitik einmal beschreiben. Sozialisten stellen sich die Sache so vor, daß die Erziehung der Kinder eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und daß die Wahrnehmung dieser Aufgabe den Familien und anderen Einrichtungen übertragen worden ist. Dann sagen die Sozialisten weiter, daß die Familie insofern einen schweren Nachteil bei der ihr zugewiesenen Aufgabe der Erziehung der Kinder hat, als sie die Ungleichheit befestigt. Das läuft dann auf das alte unsinnige Argument hinaus, daß Familien, in denen zu Hause plattdeutsch, niederdeutsch oder ein anderer Dialekt gesprochen wird, ihren Kindern eine geringere Chance für den späteren Lebensweg geben, als Familien, in denen hochdeutsch gesprochen wird.
— Ich drücke das mit meinen Worten aus. Das heißt Sozialisationsfunktion; aber das versteht keiner. Deswegen wähle ich eine plastische Sprache, die auch der Bürger verstehen kann.
Deswegen wird gesagt, man habe zwar im Augenblick nichts anderes als die Familie, aber auf weite Sicht sei die Familie zur Wahrnehmung dieser Funktion nicht geeignet, weil sie die Ungleichheit tradiert, perpetuiert und stabilisiert, wie es hier heißt, also mit anderen Worten: weil sie ein Element der Ungleichheit ist. — Einen schwereren Eingriff in die Familie als diesen kann man sich überhaupt nicht vorstellen, ebenso nicht einen schwereren Eingriff in die Freiheit des Menschen, zu der es nämlich gehört, in einer Familie aufzuwachsen und von seinen eigenen Eltern erzogen zu werden, ganz einerlei, ob sie plattdeutsch oder hochdeutsch sprechen.
Dann sagt Herr Kollege Brandt, die Leute lachten, wenn man ihnen sagt, es ginge ihnen heute schlechter als 1969. In dem Entschließungsantrag, den SPD und FDP uns heute hier vorgelegt haben, ist von der erfolgreichen Politik dieser Regierungskoalition die Rede, die man fortsetzen müsse.
Meine Damen und Herren, Sie verhöhnen mit dieser Erklärung den deutschen Wähler.
Eine Million Arbeitslose, 20 000 Betriebseinstellungen während der letzten zwei Jahre, 70 Milliarden DM Schulden während der letzten zwei Jahre — das wischen Sie alles vom Tisch und sagen, die Leute lachten darüber, es sei ihnen gutgegangen und Sie hätten eine erfolgreiche Politik gemacht.
So können Sie mit dem Bürger dieses Landes nicht umgehen.
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Dr. Carstens
Dann sagt der Herr Bundesfinanzminister — der Herr Bundeskanzler sagt immer das gleiche —, wir mußten ja Schulden machen, damit wir wieder aus der Rezession herauskommen. Meine Damen und Herren, das erinnert mich an einen Kapitän, der sein Schiff fahrlässigerweise auf Grund gesetzt hat, dann die Ladung über Bord wirft, damit sein Schiff wieder flott wird, und danach zum Reeder kommt und sagt: Bitte lobe mich; ich habe das Schiff wieder flottgemacht.
Sie müssen doch Ursache und Wirkung in einem richtigen Zusammenhang sehen. Sie können doch nicht von den Ursachen, die zu der Rezession geführt haben, einfach ablenken und sagen: Wir mußten Schulden machen, um aus der Rezession herauszukommen.Im übrigen haben Sie die Schulden für die verkehrten Zwecke gemacht. Auch das haben wir ja oft gesagt. Sie haben die Schulden für konsumtive Zwecke gemacht, während es notwendig gewesen wäre, Schulden zu machen, um die Investitionstätigkeit zu verstärken.
Ihr Argument ist also von vorn bis hinten falsch.„Freiheit" und „sozial", hat Herr Kollege Brandt dann gesagt, sind keine Gegensätze. Wer hat denn jemals behauptet, „Freiheit" und „sozial" seien Gegensätze? Haben wir nicht in allen unseren Reden, die wir in der vorigen Woche gehalten haben, gesagt: Für uns gehört zur Freiheit soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit?
Unser Motto ist seit 25 Jahren „Soziale Marktwirtschaft". Unter diesem Leitwort sind wir angetreten, und wir haben damit Freiheit, Wohlstand und ein hohes Maß an sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit verwirklicht.
Aber sehen Sie, Herr Kollege Brandt: Das ist Ihre Vernebelungstaktik.
Statt sich mit dem auseinanderzusetzen, was gemeint ist, wenn man von diesem Gegensatz zwischen Freiheit und Sozialismus spricht — ich will gleich nochmals erklären, was wir damit meinen —, sagen Sie: „Freiheit" und „sozial" sind keine Gegensätze. Damit weichen Sie der entscheidenden Frage aus. Indem Sie das tun, verstärken Sie notgedrungen das Mißtrauen gegen Ihre Erklärungen über die Freiheit, Herr Kollege Brandt. Das muß ich Ihnen sagen!
„Die Sozialdemokraten schützen das Privateigentum", hat Herr Kollege Brandt auch gesagt. Herr Kollege Brandt, ich möchte Ihnen in Erinnerung rufen: Beim SPD-Parteitag in Hannover im Jahr 1973, der also erst drei Jahre zurückliegt, lagen Anträge zahlreicher Ihrer Parteifreunde vor, die forderten: Volleigentum an Grund und Boden ist langfristig generell abzuschaffen. Die Anträge wurden zwar nicht angenommen. Aber in einem Teil Ihrer Partei leben sie bis heute fort. Herr Jansen, der Vorsitzende der SPD in Schleswig-Holstein, hat erst noch in der vorigen Woche gefordert, alle Zeitungen seien in öffentliches Eigentum zu überführen.
Ich verstehe ja sehr gut, Herr Kollege Brandt, daß Sie sich nicht hier vor der deutschen Öffentlichkeit, vor den Millionen Menschen, die Ihnen zuhören, hinstellen und solche Forderungen erheben. Aber es kann doch kein sehender Mensch an der Tatsache vorübergehen, daß dies Forderungen sind, die ein erheblicher Teil Ihrer Parteifreunde unentwegt weiter innerhalb der Sozialdemokratischen Partei erhebt.
Deshalb wirkt die Eigentumsgarantie, die Sie hier abgegeben haben, wenig überzeugend — um so mehr, wenn man den Kollegen Wehner und andere Kollegen hört, die den aufgebrachten Linken innerhalb der SPD zurufen: Jetzt vor den Wahlen ist es nicht so zweckmäßig, darüber zu sprechen; man muß erst einmal die Wahlen gewinnen; dann kann man tiefer pflügen! — Meine Damen und Herren von der SPD, wo wollen Sie denn tiefer pflügen? Sie wollen doch in das Eigentum hinein tiefer pflügen. Das steht so sicher fest wie nur irgendetwas.
Herr Kollege Brandt, mit Empörung, mit diesem ganzen Ausdruck der Entrüstung, den Sie immer wieder zu meinem Erstaunen hervorbringen können,
wenden Sie sich dann dagegen, daß man Ihnen Volksfronttendenzen oder -bestrebungen unterstellt. Aber warum gehen Sie denn nicht ein einziges Mal auf die lange Liste von Vorgängen ein, die meine Kollegen, insbesondere mein Kollege Dregger, und ich Ihnen entgegengehalten haben und bei jeder Gelegenheit entgegenhalten? Im Verband Deutscher Studentenschaften — VDS — arbeiten Kommunisten und Sozialdemokraten Seite an Seite. Es gäbe im VDS überhaupt keine Kommunisten, wenn nicht die Sozialdemokraten mit ihnen zusammenarbeiten würden.Genauso sieht es an zwölf deutschen Universitäten bei den dortigen Studentenvertretungen aus. Nehmen Sie z. B. die Universität in Bremen. Das ist doch ein sozialdemokratisch regiertes Land seit eh und je.
Lassen Sie mich sagen: Das ist ein Land, in dem einmal ein großer Sozialdemokrat regiert hat,
ein Mann, für den ich unentwegt uneingeschränkte Achtung und Verehrung empfunden habe und weiterhin empfinde, nämlich Wilhelm Kaisen. Aber gucken Sie sich einmal an, was aus dem Land Bremen und seiner Universität inzwischen geworden ist.
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Dr. Carstens
An der Universität Bremen gehört die DKP zum äußersten rechten Flügel, alles andere steht links davon.
Und es gibt eine Volksfront — ich muß es sagen; es tut mir sehr leid, und Sie mögen das nicht hören —, es gibt nämlich eine gemeinsame Liste von Hochschullehrern an der Universität Bremen, die aus Sozialdemokraten,
DKP-Kommunisten und Anhängern des Stamokap besteht. Das schweigen Sie tot, darüber sagen Sie kein Wort. Aber, Herr Kollege Brandt, das interessiert die deutschen Bürger, das interessiert die deutschen Bürger sogar sehr.
Die deutschen Bürger haben einen Anspruch darauf, aus Ihrem Munde zu hören, daß Sie das mißbilligen, daß Sie sich gegen diese gemeinsamen Listen aussprechen. Aber noch nie habe ich etwas Derartiges gehört. Sehen Sie, dann können Sie sich nicht darüber beklagen, wenn die Union sagt, es geht in diesem Wahlkampf um Freiheit oder Sozialismus.
Es geht um diese Alternative, wobei wir Ihnen konkret diejenigen nennen, die wir meinen, wenn wir von dieser Alternative sprechen. Aber darauf antworten Sie nicht.
— Wenn Sie sich an dem „oder" oder „statt" berauschen wollen, so ist das für Ihren Geisteszustand ein derartiges Armutszeugnis, daß ich daran leider nichts ändern kann.
Dann, Herr Kollege Brandt, sagen Sie, die SPD habe eine große freiheitliche Tradition. Niemand bestreitet das. In mindestens vier oder fünf Bundestagsreden habe ich von dieser Stelle aus meinen Respekt vor dem ersten, großen Reichspräsidenten der Weimarer Republik, einem Sozialdemokraten — Friedrich Ebert — ausgesprochen. Sie, Herr Kollege Brandt, haben mir zum 100. Geburtstag von Friedrich Ebert freundlicherweise eine Biographie geschickt — ich habe sie mit großem Interesse gelesen —, die von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegeben worden ist. In der Einleitung zu diesem Bildband wird davon gesprochen, daß Friedrich Ebert heute nicht mehr genügend Verständnis finde, daß er kritisiert werde. Er werde kritisiert — so heißt es dort — von den Kommunisten.Aber dann ist die Rede von dem nur noch — jetzt zitiere ich wörtlich — „als pathologisch zu bezeichnenden Haß, mit dem historisierende Publizisten der Bundesrepublik Ebert verfolgen". Damit, Herr Kollege Brandt, sind keine Kommunisten, sondern Sozialisten gemeint. In Ihrer Partei gibt es Männer und Frauen, die es Ebert als eine schwere historische Schuld anrechnen, daß er unser Land damalsvor dem Kommunismus à la Rosa Luxemburg — in der Form, in der er sich damals präsentierte — bewahrt hat.
Friedrich Ebert hat diese Scheidung vollzogen. Ein großer Teil Ihrer eigenen Parteifreunde kritisiert ihn deswegen und greift ihn deswegen an. Daher ist es für uns überhaupt kein Trost, wenn Sie sagen, Sie hätten schon vor 100, 50 und 40 Jahren für die Freiheit gekämpft. Das wissen wir, das respektieren wir auch. Heute, Herr Kollege Brandt, fällt die Entscheidung, und heute sollten Sie denen in Ihren eigenen Reihen entgegentreten, die unsere Freiheit — ich sage es ganz klar — bedrohen.
Als Herr Kollege Brandt hier eine so große grundsätzliche Rede gehalten hat, habe ich gehofft und erwartet, daß er vielleicht auch einige Worte über Themen sagen würde, die ihm früher sehr am Herzen gelegen haben: über Deutschland und das geteilte Deutschland.Sie, Herr Kollege Brandt, haben Ihre Politik vor sieben Jahren mit dem Ziel begonnen, die Teilung Deutschlands zu überwinden. Es wäre wohl angebracht gewesen, wenn in diesem Zusammenhang auch Sie ein Wort über die Erklärung verloren hätten, die der Erste Sekretär der SED, Herr Honecker, vor wenigen Tagen zum Thema des geteilten Deutschland abgegeben hat, eine Erklärung, die darauf hinausläuft, daß für die DDR und die SED die Teilung endgültig ist, die deutsche Frage nicht mehr der Lösung bedarf, weil sie gelöst sei; denn — so hat er gesagt — die Geschichte habe ihr Wort gesprochen.Meine Damen und Herren, bei einer so wichtigen Debatte wie der heutigen müssen wir doch alle miteinander aufstehen und sagen: Die Geschichte hat ihr endgültiges Wort nicht gesprochen.
Die Geschichte hat ihr endgültiges Wort so lange nicht gesprochen, wie die 17 Millionen Deutschen in der DDR nicht die Möglichkeit gehabt haben, in einer freien Entscheidung darüber zu befinden, wie es mit Deutschland und der deutschen Einheit in Zukunft bestellt sein soll. So lange müssen wir alle miteinander an der Forderung festhalten, nein, nicht nur an ihr festhalten, sondern sie auch aussprechen, daß die Deutschen das Selbstbestimmungsrecht für das ganze deutsche Volk erhalten.
Herr Kollege Brandt, Sie haben heute auch über ein Thema, über das Sie in Ihrer Vergangenheit so viel gesprochen haben, nicht gesprochen, nämlich darüber, daß die Politik von SPD und FDP den Frieden sicherer gemacht habe.
Wenn man sich dieser Worte erinnert und Ihnen die Tatsachen entgegenhält, wie wir sie jetzt, im Mai 1976, vorfinden, dann muß man leider sagen, daß dieser Teil der Ostpolitik eine folgenschwere Illu-
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Dr. Carstens
sion gewesen ist und daß der Frieden heute — wenn Aufrüstung überhaupt etwas mit Frieden zu tun hat — wegen der ungeheuren zwischenzeitlichen Aufrüstung der Sowjetunion leider weniger sicher ist, als er damals war.
Meine Damen und Herren, wir können auch nicht völlig unbemerkt an uns vorüberziehen lassen, daß der Verteidigungsminister der DDR vor einer oder zwei Wochen erklärt hat, niemals habe es eine sozialistische Revolution ohne einen Krieg gegeben, und wenn in einem solchen Krieg in Zukunft Atomwaffen eingesetzt werden müßten, dann müßten sie eben eingesetzt werden. Meine Damen und Herren, das ist doch eine schaurige Perspektive, die hier eröffnet worden ist. Wir wollen ihr sicherlich mit Gelassenheit entgegentreten, aber wir können sie doch auch nicht einfach unwidersprochen zur Kenntnis nehmen.
Dann, Herr Kollege Brandt, haben Sie von den Menschen in Deutschland gesprochen. Sie haben auf die Reiseerleichterungen hingewiesen. Die bestreitet niemand. Allerdings möchte ich anmerken, daß diese Reiseerleichterungen immer wieder erneut durch Preise erkauft werden mußten, die wir dafür entrichten mußten.Wenn es in der Resolution, die uns die beiden Koalitionsfraktionen vorgelegt haben, aber heißt, daß diese Entspannung für alle Deutschen Vorteile gebracht habe — mehr Freiheit oder wie es da heißt —, dann muß ich allerdings an folgendes erinnern.Erstens hat infolge der jetzt zwischen Bundesrepublik Deutschland und DDR getroffenen Vereinbarungen ein Teil der Bevölkerung in der DDR eine erhebliche Einschränkung seiner bisherigen Möglichkeiten, mit uns Kontakte aufzunehmen, erfahren müssen. Es gibt eine große Zahl von Menschen in der DDR, die früher mit uns Kontakt haben durften und die das jetzt nicht mehr dürfen.
Tausende von erschütternden Abschiedsbriefen zeugen davon.Aber wenn Sie, meine Herren und Damen von der Koalition, von „allen Deutschen" sprechen, die von dieser Entspannungspolitik Vorteile gehabt hätten, dann möchte ich Sie fragen: Denken Sie eigentlich überhaupt nicht mehr an die Menschen, deren Menschenrechte in der DDR verletzt werden, die an der Mauer und am Stacheldraht niedergeschossen werden, die zu Tausenden in Gefängnissen und Zuchthäusern der DDR unter zum Teil grausamen Bedingungen einsitzen? Wollen Sie die überhaupt nicht mehr in Ihre Vorstellungen und in Ihre Aussagen einbeziehen?Man muß doch leider feststellen, daß sich in dieser Beziehung, was die Menschenrechte betrifft, in der DDR überhaupt nichts geändert hat. Das ist ein für uns außerordentlich bedrückender Zustand. Ich meine, so, wie Sie Ihren Text vorgelegt haben, können Sie ihn nicht verabschieden, weil jedermann daraus den Schluß ziehen müßte, daß Sie das Schicksal dieser Deutschen — Sie sprechen von allen Deutschen, ich wiederhole es noch einmal — gleichgültig ließe.
Wie kennen die Schwierigkeiten. Ich habe hier oft davon gesprochen, und aus Ihren Reihen ist mir entgegengerufen worden, ob ich glaubte, daß durch verbale Protestakte die Mauer zum Einsturz käme. Nein, natürlich glaube ich das nicht. Aber ich möchte es noch einmal wiederholen: wir Deutsche im freien Teil Deutschlands sind aufgerufen, für die Menschenrechte einzutreten und die Menschenrechte dort, wo sie verletzt werden, zu verteidigen, und zwar nicht nur in Chile und nicht nur in Südafrika und anderen Teilen der Welt, sondern doch vor allem im anderen Teil Deutschlands, meine Damen und Herren!
Mir lag daran, nur dies auszuführen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit, mit der Sie mir zugehört haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte in der dritten Beratung dieses Haushaltsplanes und -gesetzes 1976 neigt sich natürlich dem Ende zu. Daß der Herr Vorsitzende der Fraktion der CDU/CSU hier noch einmal in die Mikrofone gesprochen hat, das galt sicher nicht nur der öffentlichen Wirkung,
denn am Haushalt ändert es nichts mehr und auch nichts an den Mehrheitsverhältnissen.
Das galt auch sozusagen der geistigen Aufrüstung der eigenen Kollegenschaft mit dem C vorn.
Denn nach der Rede des Herrn Kollegen Mikat mußte natürlich erwartungsgemäß die Zementspritze des Fraktionsvorsitzenden Carstens kommen,
damit sie in rechtem Aggressionsgeist hier schließlich vom Felde geht und damit sie auch, mit Schlagwortstöcken ausgerüstet, dann draußen unter die Leute geht; das ist alles daran.
Denn an dem Haushalt und an dem Haushaltsgesetzund an dem, was wir dann gleich durch Abstim-
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Wehnermung entscheiden werden, ändern Sie ja mit all Ihren seltsamen gymnastischen Übungen nichts.
— Natürlich. Entschuldigen Sie mal, Sie denken und Sie sprechen ja schneller, als es überhaupt gesundheitlich empfehlenswert ist.
Machen Sie doch nicht aus solchen Diskussionen jedesmal eine Art Schlägerei!
— Natürlich werden Sie unterliegen. Nur, eines haben Sie versäumt: Sie haben versäumt, hier zu zeigen, wie Sie es machen würden,
und Sie haben versäumt, zu zeigen, was Sie gemacht haben.Wir haben während der gesamten zweiten Lesung das seltsame Schauspiel erlebt, daß viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen redlich bemüht waren, bei der Erörterung der Einzelpläne nachzuweisen, daß Sie fast alle Gesetze mit beschlossen hätten. Aber gleichzeitig mußten sie das Kunststück fertigbringen, gegen unsere Politik zu kämpfen und zu wüten, die die Gesetze insgesamt möglich gemacht hat. Das ist Ihre Schizophrenie.
Ich bedauere Sie; das gebe ich offen zu. Das müssen Sie natürlich überspielen durch die Art, in der sich hier eben der Fraktionsvorsitzende der CDU/ CSU noch einmal in die Bresche hineingeworfen hat.
Meine Damen und Herren, es hat schon die zweite Lesung mit ihren Debatten gezeigt, daß die Koalition der Sozialdemokraten und der Freien Demokraten in kämpferischer Übereinstimmung
die Politik der Regierung Schmidt/Genscher trägt. Das hatten Sie sich nämlich anders gedacht. Jetzt feixen Sie darüber, daß Ihnen das jemand sagt.Zweitens sieht sich die CDU/CSU genötigt, ihr sogenanntes Kontrastprogramm anzubieten, das sie ein wenig verschönert und verändert hat, wie sie das überhaupt gern macht. Beim Polenabkommen waren es erst elf ultimative Sätze; nach ein paar Wochen waren es drei Punkte; am Ende waren es sechs Buchstaben.
Hier haben Sie jetzt durch das Auswechseln von fünf Buchstaben gemeint, Sie könnten etwas ändern. Fünf Buchstaben!
Sie sind mir ganz schöne Frisöre und Regisseure, sonst nichts.
Hier ist eben an unserem Entschließungsantrag Kritik geübt worden. Sie werden mit diesen sechs Buchstaben, die Sie dort kritisieren, Herr Kollege Carstens, auch nicht ändern, daß diese Resolution insgesamt und auch der Passus, den Sie beanstanden, richtig sind. Sie brauchen natürlich einen Vorwand, dieser Entschließung nicht zuzustimmen. Das kann ich verstehen.
Die Geschichte wird erweisen, daß die Vertragspolitik, die Politik der Regelung deutscher Streitfragen und Schwierigkeiten, für die deutschen Menschen — und zwar für alle — mehr Erleichterung als das gebracht hat, was sie in der Hallstein-Zeit von Ihnen erlebt haben. Wir haben diese Politik aus der Hallstein-Zeit herausgeführt.
— Ich bitte Sie, daran müssen Sie ausgerechnet mich erinnern, während mir andererseits aus Ihren Reihen vorgeworfen wird, ich täte damit Unziemliches. Werden Sie sich erst einmal klar in bezug auf Ihr Verhältnis zu Leuten, die drüben gefangen sind; und dann zu mir und einen solchen Vorwurf! Ich bitte Sie: Überlegen Sie sich das! Ich will diesen Streit mit Ihnen auf offener Bühne gar nicht austragen, Herr.
Im übrigen geht es um das, was während der zweiten Lesung und auch heute in der dritten Lesung von unserer Seite in den Reden meines Kollegen, des stellvertretenden Vorsitzenden der SPD Alex Möller in einer Weise, für die ihm gedankt wurde, und jetzt in der Rede des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Willy Brandt, zum Ausdruck gebracht worden ist.Ich muß noch einmal mit ein paar Bemerkungen auf die Versuche zurückkommen, hier zum Schluß noch etwas für Sie herauszufischen.Es ist gesagt worden, daß für Sie Freiheit immer die Freiheit von jeglicher Ideologie ist. Damit wir uns richtig verstehen, verehrte Damen und Herren mit dem C vorn und dem U hinten:
Für uns ist Freiheit immer die Freiheit des Andersdenkenden. Damit Sie Bescheid wissen!
Wir sind in unserem Staat darum bemüht, daß Freiheit für jede und Freiheit für jeden realisiert wird, d. h. auch für die, die noch zu den sozial Schwächsten gehören,
ebenso wie für die, die nicht mehr zu jenen gehören.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17361
WehnerWir untscheiden uns von denen, die auch Demokraten, aber keine Sozialdemokraten sind, was ja nichts daran ändert, daß wir alle zusammen, wenn wir das Grundgesetz ernst nehmen, Demokraten zu sein haben, gleichgültig, ob jeweils in Opposition oder in Regierung. Wir Sozialdemokraten unterscheiden uns von diesen anderen. Wir sagen offen, daß jede Frau und jeder Mann — gleichgültig, woher sie vertrieben oder wohin sie verschlagen worden sind — die staatsbürgerlichen Rechte, die jedermann in unserem Volke hat, zusammen mit uns, wenn sie ihre eigenen Interessen richtig verstehen, zu den gleichen sozialen Chancen entwickeln sollen. Das ist unsere Vorstellung.
Da haben Sie den großen Unterschied. Er ist auch in unserem Grundgesetz nicht verboten. Die Kämpfe, die wir in der vorigen Woche und heute hier symbolisch ausgefochten haben, werden weitergehen. Woran Sie scheitern werden, meine Damen und Herren, ist die Chance, die dieser Teil Deutschlands hat, indem wir mit der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit ergriffen haben, soviel wie möglich an gleichen Rechten für jeden und auch für jede zu verwirklichen. Dies können Sie nicht mehr rückgängig machen. Dieser Staat — ich sage es noch einmal — ist nach unserer Ansicht und Absicht weder Staat einer Partei noch Staat einer Klasse und soll es auch niemals werden.
Er soll auch nicht eine westliche Ausgabe jenes Staates auf der anderen Seite sein, in dem es zwar verschiedene Parteien gibt, es aber nur in einer Partei den Kern gibt, der über alles zu bestimmen hat. Das ist dort eben die sogenannte Einheitspartei.Wir haben eine grundsätzlich andere Form. Sie haben sie, wie Sie sagen, auch. Lassen Sie uns also an diesem Punkt der Berührung ansetzen, wenn er ernst gemeint ist; und er kann ja nur ernst gemeint sein, weil uns sonst alle zusammen mehr als der Teufel holen würde. Es würde nämlich die Chance Bundesrepublik verspielt werden. Die Bundesrepublik ginge einen Weg, wie manche andere Staaten ihn gegangen sind. Das wird nicht der Fall sein, und zwar weil wir auf allen Seiten Menschen haben, die genau wissen, worin die Besonderheiten dieses Staates bestehen.Hier sage ich Ihnen noch einmal, was meine beiden Freunde von der sozialdemokratischen Seite heute schon gesagt haben: Wir streiten für die Demokratie, und wir sagen in unserem Programm: Sie muß die allgemeine Staats- und Lebensordnung werden, weil sie allein Ausdruck der Achtung vor der Würde des Menschen und seiner Eigenverantwortung ist. Darüber gibt es sicher Streit. Ich habe mir dieser Tage noch einmal herausgesucht, was der verehrte Herr Heck, der seinerzeit, als wir unser Grundsatzprogramm erarbeiteten, Generalsekretär der CDU war, dazu geschrieben hat. Es ist ganz lehrreich, es gelegentlich zu lesen. Ihm ist sicher einiges davon heute noch teuer. Das Wort „und" hat es ihm angetan. Wir sagen: Sie muß die allgemeine Staats-und Lebensordnung werden. Allerdings! Denn Demokratie, die lediglich, wie man sagt, „Staatsordnung" ist oder bliebe, ist für alles das anfällig, was sich in der Gesellschaft sonst entwickelt. Das gehört zu den Lehren aus der Entwicklung in Deutschland, aus zwei Weltkriegen und mit ihnen einhergehenden Diktaturen. Wir wollen, daß die Demokratie die allgemeine Staats- und Lebensordnung werde, weil sie allein Ausdruck der Achtung vor der Würde des Menschen und seiner Eigenverantwortung ist. An diesem Punkt also können wir uns reiben. Auf jeden Fall aber sollten wir um die bestmöglichen Lösungen streiten.Weil Sie hier zuletzt von Familie und Vergesellschaftung geredet haben, Herr Carstens, da Sie das für aktuell halten, möchte ich folgendes dazu sagen. Wir wollen weder die Gesellschaft verstaatlichen noch den Staat vergesellschaftlichen. Was wir wollen — —
— Warum werden denn Sie so nervös, wenn jemand sagt, was er will und was ihm unterstellt wird? Weil Sie die Geräuschkulisse brauchen,
wie Sie auch draußen unser Bild verfälschen müssen, weil die Leute nicht merken sollen, daß Sie ihnen nichts zu bieten haben als ein verfälschtes Bild von Ihrem großen Konkurrenten in diesem Staat und eine Geschichtslegende.
Wir wollen weder die Familie vergesellschaften noch etwas ähnliches. Aber was wir wollen, ist, die Gesellschaft familienfreundlicher zu gestalten, und ich glaube, da ist noch eine ganze Menge zu tun.
Ihnen mißfällt, daß dabei von einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe die Rede ist. Das bedeutet doch nicht, der Familie etwas wegzunehmen, sondern ihr etwas Zusätzliches im Sinne dessen zu geben, was sie will, was sie kann und was sie soll.
— Daß Sie viel familienerfahrener sind, ist mir natürlich klar. Ich weiß, was die Sozialdemokraten zur Familienpolitik zu sagen haben und daß Sie ihnen mit Unrecht unterstellen, daß wir etwa die Familie, wie Sie sagen, vergesellschaften wollen. Ich sage umgekehrt: wir wollen, daß die Gesellschaft familienfreundlicher wird. Das ist natürlich ein Streitpunkt.
Herr Carstens hat bei seiner Pflichtaufgabe hier vom „Terror gegen Andersdenkende" gesprochen, der angeblich in der SPD und von Sozialdemokraten gegen andere ausgeübt wird.
Ich bin es leid, unsere Partei gegen solche Geschichten, wie „Terror gegen Andersdenkende", hier vor17362 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976WehnerIhnen rechtfertigen zu sollen. Ich habe Ihnen soeben noch einmal gesagt, was Freiheit für uns ist. Sie fangen schon an, nervös zu werden, wenn wir sagen, daß das für uns immer die Freiheit des Andersdenkenden ist. Daß wir außerdem Diskussionen haben und daß wir um Meinungen ringen, ist eine Sache, die bei uns manchmal ziemlich aufwendig gemacht wird; aber dazu brauchen wir Sie und Ihre Belehrungen nicht. Sozialdemokraten brauchen auch nicht Ihre Hilfe dafür, in den innerparteilichen Auseinandersetzungen zu obsiegen um die beste Art, Sozialdemokraten zum Erfolg zu führen.
Sie haben hier heute noch einmal gezeigt — das wurde heute in der Debatte schon einmal gesagt —, daß Sie nicht nur insgesamt, sondern manche leider auch persönlich wie ein billiger Jakob dahergehen. Da haben Sie vom Privateigentum und von der Frage des Eigentums gesprochen. Sie sagen, daß die Eigentumsgarantie, die wir gäben, nicht glaubwürdig sei. Soll ich die Retourkutsche fahren und fragen, was eigentlich Ihre „Sozialgarantie" wert ist und wie glaubwürdig sie ist, die Sie statt einer konkreten Festlegung in Ihrem sogenannten Maßnahmenkatalog bringen, mit dem Sie maßnehmen, aber keine Maßnahmen vorbereiten? Das lohnt nicht.
Am Schluß dieser Debatte, verehrte Herren, die Sie nicht auf Ihre Kosten gekommen sind, lohnt das alles nicht mehr; da haben Sie recht.
— Das ist wahr. Das sollen Sie auch ruhig, und manchmal freue ich mich, daß ich doch anderen etwas zu geben vermag.Was das Eigentum betrifft: wir berauben niemanden seines erworbenen Eigentums, wir kämpfen für die Herbeiführung und Sicherung der Voraussetzungen dafür, daß j e d er Eigentum erwerben und niemand ihm das Recht darauf schmälern kann. Genau das ist unser Ziel. Wir treten auch für wirklichen Wettbewerb in der Wirtschaft ein und setzen uns konkret dafür ein, daß der Markt dem Verbraucher diene, statt durch Kartellabsprachen und Monopole manipuliert zu sein.
Das alles können Sie nicht hören, weil Sie das Zerrbild von uns brauchen.
Wenn wir heute, nachdem wir in der vorigen Woche die zweite Beratung und in dieser Woche die dritte Beratung zu Ende geführt haben werden, zu den Abstimmungen kommen, wird sich zeigen, wer hier tatsächlich die Mehrheit hat. Es sind die Koalitionsparteien.Sie hätten manche Menschen nachdenklich machen können, wenn Sie diese Debatten dazu benutzt hätten, einiges konkreter zu sagen. Darauf haben Sie verzichtet. Sie haben Ihre Verbalistik fortgeführt. Sie haben Ihre Schlagworte noch einmal mit großerÜberzeugungskraft von Ihrer Fähigkeit, sich für Schlagworte sowohl in die Brust als auch ins Feld zu werfen, hier dargebracht. Das alles sind wir gewöhnt, die wir lange diesem Hause angehören.Ich habe den Eindruck — wenn ich mir das am Schluß zu sagen erlauben darf —: Auf diesem Felde werden Sie immer weniger parlamentarisch und werden Sie immer weniger geübt und sehen Sie immer weniger anständig und auch regierungsfähig aus, je länger der Deutsche Bundestag dauert.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Apel.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Es entspricht einer guten Übung dieses Hauses,
daß der Finanzminister am Ende der dritten Lesung Dank sagt. Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich dies auch heute tun möchte.Dabei möchte ich damit beginnen, für die Bundesregierung und, wie ich denke, für alle Mitglieder und alle Fraktionen dieses Parlaments unserem Kollegen Dr. Alex Möller Dank für eine jahrzehntelange Tätigkeit für unser deutsches Volk zu sagen.
Herr Kollege Möller, Sie sind mit 25 Jahren in den Preußischen Landtag eingerückt. Das ist heute nicht verwunderlich. Damals war es sicherlich eine besondere politische Leistung.1932 haben Sie eine Rede gehalten, die wir heute noch gerne lesen, die Rede zum Zwickel-Erlaß. Die haben sie am 16. Dezember 1932 im Preußischen Landtag gehalten. Lassen Sie mich daraus nur einige Sätze vorlesen, weil sich diese Sätze auch für die Debatte „Sozialismus oder Freiheit" eignen. Alex Möller sagte damals:Naive Leute haben im Sommer dieses Jahres geglaubt, Reichsregierung und Reichskommissare— denn zu dieser Zeit war die Regierung Severing/ Braun bereits weggeschickt worden —würden sich den Kopf darüber zerbrechen, wie in diesem Winter 7 Millionen Arbeitslose ernährt und bekleidet werden könnten. Die Herren Reichskommissare haben sich aber den Kopf darüber zerbrochen, wie im Sommer die Badenden ausreichend bekleidet werden könnten ... Dann haben langwierige Konferenzen über den dreieckig angesetzten Stoffteil im Schritt und den zulässigen Tiefpunkt des weiblichen Rückenausschnitts stattgefunden, und mit geradezu zelotischem Eifer hat man sich gegen jede Berührung des menschlichen Körpers mit Luft und Sonne gewandt, weil man im Reichskommissariat Luft und Sonne wahrschein-
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Bundesminister Dr. Apellich als marxistische Erscheinungen aus der Zeit Brauns und Severins betrachtet.
Alex Möller gibt dann eine Anregung. Er sagte:Es hat mich nur gewundert, daß man nicht noch besonders verordnet hat: vor Gebrauch müßten in Zukunft die Badehosen zur Konzessionierung und Abstempelung auf dem Polizeipräsidium vorgelegt werden ...Alex Möller, meine Damen und Herren, hat dann während der Zeit des Dritten Reiches einen schweren Weg gehen müssen, und wir alle wissen, wie erfolgreich er diesen Weg gegangen ist.Nach 1945 hat er zuerst im Stuttgarter Landtag, dann hier in diesem Parlament ab 1961 in der Finanzpolitik eine tragende und entscheidende Rolle gespielt.Heute morgen wurde bereits daran erinnert, daß Alex Möller es war, der im Februar 1965 finanzwirksame Gesetzesanträge im Namen der Sozialdemokraten, die damals in der Opposition waren, zurückgezogen hat. Er hat eine maßgebliche Rolle bei der Finanzreform und auch für die Entwicklung unseres modernen konjunkturpolitischen Instrumentariums gespielt.Alex Möller hat in der zweiten Auflage seines Buches „Die Schulden der öffentlichen Hand" — und dieser Satz gehört an das Ende der Haushaltsberatungen — geschrieben — ich zitiere —:Das wirtschaftspolitische Instrument der Staatsverschuldung hat bei der Überwindung der krisenhaften Wirtschaftsentwicklung, die im Jahre 1974 begonnen hatte, eine entscheidende Rolle gespielt. Ich halte es für besonders schädlich, wenn der rationale und verantwortungsbewußte Einsatz dieses stabilitäts- und beschäftigungspolitisch notwendigen Instruments in der Öffentlichkeit als „Zerrüttung der öffentlichen Finanzen" dargestellt wird. Eine solche Umweltverschmutzung ist eine „Gefahr für das Volk".Dem haben wir, glaube ich, nichts hinzuzufügen.
Ernst-Wolf Mommsen schreibt über Alex Möller in einem Buch, das „Das preußische Erbe" heißt und Alex Möller gewidmet ist, folgendes:„Die Zeit hastet dahin.", schrieb er in der Einleitung zu seinem Buch ... Aber in diesem Hasten der Zeit erbrachte Alex Möller seinem Volk und seinem Staat, in Preußen, Baden-Württemberg, dem Reich und dem Bund Leistungen, vor denen wir uns verneigen. Es ist ein Leben des verwirklichten Preußentums unter dem Motto „in serviendo consumor", einem Motto, dem auch seine Partei sich nie entzogen hat.Mommsen beendet diesen Absatz mit folgender Feststellung:Wir gratulieren dem preußischen Sozialisten, dem Unternehmer, dem Politiker und Publizisten, dem Freund Alex Möller. Was er sich für die Zukunft wünscht, ist unser Wunsch.Ich denke, dies ist auch der Wunsch des gesamten Hauses.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses danken, Herrn Kollegen Leicht.
Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Bundestages ist bei aller parteipolitischer Kontroverse, die notwendig ist, ein fairer, ein solider und ein sachkundiger Mann.Ich möchte in diesen Dank einbeziehen die Obleute der SPD-Fraktion, Herrn Dr. von Bülow, und der CDU/CSU-Fraktion, Herrn Althammer, sowie von der FDP, Herrn Kirst.
Als Finanzminister wünsche ich allen drei Herren am 3. Oktober einen guten Erfolg. Denn wir brauchen sie hier im Deutschen Bundestag.Lassen Sie mich schließlich den Mitarbeitern danken, auch Ihnen, liebe Kollegen, daß wir am Ende einer fünftägigen Haushaltsdebatte in der Lage sind, jetzt über den Haushalt 1976 abzustimmen.Die politischen Meinungsverschiedenheiten bleiben; die demokratische Grundüberzeugung, die uns trägt, wird uns von der Konfrontation wieder zur Kooperation bringen müssen und bringen.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen zur allgemeinen Aussprache in dritter Beratung liegen nicht mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Uns liegt eine Reihe von Änderungs- und Entschließungsanträgen vor, und zwar zu den Einzelplänen 15, 23 und 60 sowie zum Haushaltsgesetz. Da sie gemeinsam begründet werden sollen, rufe ich die Änderungsanträge Drucksachen 7/5216 und 7/5217 sowie die Entschließungsanträge Drucksachen 7/5218, 7/5219, 7/5224, 7/5226, 7/5227 und 7/5163 gleichzeitig auf.
Ich darf das Haus darauf aufmerksam machen, daß zur Schlußabstimmung über das Haushaltsgesetz namentliche Abstimmung beantragt worden ist, aber nicht zu den davor zu behandelnden Einzelanträgen.
Zur Begründung von Einzelanträgen hat jetzt Herr Abgeordneter Stavenhagen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst auf den Entschließungsantrag auf Drucksache 7/5218 zum Einzelplan 15 verweisen. Wir bitten, hier zuzustimmen, daß die Bundesregierung aufgefordert wird, auf die Stiftung Deutsche Jugendmarke einzuwirken, daß auch in diesem Jahr die Erlöse aus der Jugendmarke wieder der Stiftung Sporthilfe anteilig zur
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Dr. Stavenhagen
Verfügung gestellt werden. Dies war in den vergangenen Jahren der Fall und soll nach einem Beschluß in diesem Jahr nicht mehr der Fall sein. Wir sind der Ansicht — dies geht auch aus der schriftlichen Begründung hervor —, daß die wichtige Arbeit der Stiftung Deutsche Sporthilfe auch in diesem Jahr Hilfe aus diesen Erträgen braucht. Denn einmal wird hieraus die Aktion „Jugend trainiert für Olympia" gefördert, zum anderen werden hieraus u. a. die gegründeten Sportinternate unterstützt. Wir meinen: Solange keine klare Aufgabentrennung zwischen Jugendmarken und Sportmarken erfolgt, sollte an der bisherigen Gepflogenheit festgehalten werden. Ich darf Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Antrag bitten.
Ebenfalls zu Einzelplan 15 liegt Ihnen ein Antrag auf Drucksache 7/5219 vor, zu dem wir Ihre Zustimmung erbitten. Die Bundesregierung wird aufgefordert, eine Kommission von Sachverständigen zur Untersuchung der vielfältigen Wirkungen gesellschaftlicher Art der Rheumaerkrankungen einzusetzen. Die ausführliche Begründung liegt Ihnen vor. Ich bitte auch hier um Ihre Zustimmung.
Meine Damen und Herren, zu Einzelplan 60 liegt Ihnen ein Entschließungsantrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf Drucksache 7/5216 vor, die globale Minderausgabe um 2,3 Milliarden DM auf 4,8 Milliarden DM zu erhöhen. Globale Minderausgaben haben das Schicksal, daß sie von der Bundesregierung einmal als richtig, notwendig und korrekt, ein andermal als unrealistisch, unsolide und unseriös bezeichnet werden, je nachdem, wer sie beantragt. Meine Damen und Herren, wie der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Herr Kollege Leicht, schon wiederholt festgestellt hat, ist es regelmäßig so, daß die Haushalte in der Größenordnung von 2 bis 4 Milliarden DM nicht ausgeschöpft werden. Es ist daher erforderlich, daß die globale Minderausgabe erhöht wird. Wäre dies nicht der Fall, könnten wir Gefahr laufen, daß — wie 1973/74 — gegen Jahresende die nicht beanspruchten Mittel noch schnell ausgegeben werden, an der Kontrolle des Parlaments vorbei. Deshalb bitten wir Sie um Zustimmung zu diesem Antrag.
Meine Damen und Herren, unseren nächsten Antrag finden Sie auf Drucksache 7/5224. Hier wird die Bundesregierung aufgefordert, Mehreinnahmen zur Reduzierung der Neuverschuldung zu verwenden. Ursache hierfür ist das, was am Ende des vergangenen Jahres geschehen ist, wo nämlich der Finanzminister festgestellt hat, daß er 9,3 Milliarden DM mehr in der Kasse hat, als ursprünglich erwartet. Es war hier gewissermaßen Kreditaufnahme schon im Vorrat für dieses Jahr erfolgt. Um dies zu verhindern, stellen wir diesen Antrag.
Meine Damen und Herren, unseren nächsten Antrag finden Sie auf Drucksache 7/5217. Hier geht es einmal darum, daß die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit auf den Stand von 1969 zurückgeführt werden sollen. Dies macht einen Betrag von rund 60 Millionen DM aus. Der Präsident des Bundesrechnungshofes hat in seinen Bemerkungen zum Haushalt 1976 gerade auf den Bereich „Öffentlichkeitsarbeit" hingewiesen und festgestellt, daß hier wirtschaftlicher verfahren werden kann und daß insbesondere für den Teil der Öffentlichkeitsarbeit Einsparungen vorzunehmen sind, der mehr der Selbstdarstellung der Ressorts als der Unterrichtung und Aufklärung der Staatsbürger dient. Meine Damen und Herren, hier können wir 60 Millionen DM einsparen. Wenn dies nicht geschieht, werden diese 60 Millionen DM dem Steuerzahler aus der Tasche geholt, um damit den steckbrieflich gesuchten Genossen „Umschwung" zu finanzieren.
Meine Damen und Herren, auf diesem Antrag fordern wir die Bundesregierung ferner auf, zwischen dem 3. Oktober und dem 14. Dezember keine Neueinstellungen in den Spitzenpositionen der verschiedenen Laufbahnen im öffentlichen Dienst vorzunehmen. Wir haben diesmal eine besonders lange Zeit, in der die Regierung ohne Tätigwerden des Parlaments arbeiten wird. Wir meinen, es wäre nicht richtig, nicht der Kontrollfunktion des Parlaments entsprechend, wenn hier im großen Umfange Beförderungen vorgenommen würden. Ich glaube, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung und auch die Regierungskoalition diesem Antrag guten Gewissens nicht widersprechen kann. Wenn die Regierungskoalition von ihrem Sieg so überzeugt ist, wie sie hier darzustellen versuchte, kann sie diesem Antrag ohnehin nicht widersprechen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch etwas zu dem Entschließungsantrag von SPD und FDP auf Drucksache 7/5226 sagen. Schon der erste Satz ist für uns angesichts einer Million Arbeitsloser seit über 16 Monaten unannehmbar. Auch kann man nicht ernsthaft darauf hinweisen, daß der durchgreifende Abbau der Neuverschuldung des Bundes bereits eingeleitet sei. Der Bundeshaushalt 1976 enthält hierfür auf jeden Fall keinerlei Anzeichen.
Zur außenpolitischen Lage, meine Damen und Herren: Die Zeitungsmitteilungen der Auslandspresse der letzten Tage und Wochen machen deutlich, daß die Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers unsere Stellung, unser Ansehen im Ausland eher beeinträchtigt als gefördert haben. Auch sind neue Initiativen zu Europa nicht zu erkennen.
Meine Damen und Herren, bei den Aussagen, die zu Berlin gemacht werden, habe ich den Eindruck, daß die Fraktionen von SPD und FDP einfach zu selten in Berlin sind; denn wenn Sie die Berliner einmal fragten, was sie von ihrer gegenwärtigen Situation halten, würden Sie kaum zu dieser Aussage kommen, daß die Dinge besser geworden und erleichtert worden seien. Daher lehnen wir diesen Antrag ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Bußmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Koalitions-
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Dr. Bußmannfraktionen bitte ich, den Antrag auf Drucksache 7/5216 abzulehnen. Hier soll die globale Minderausgabe von 2,3 Milliarden auf 4,8 Milliarden DM erhöht werden. Wir gehen davon aus, daß im Laufe des Haushaltsjahres überall da, wo es notwendig und möglich ist, das Finanzministerium für ein hohes Maß an Sparsamkeit sorgt und damit die genügende Wirtschaftlichkeit gesichert ist. Man soll das Instrument der globalen Minderausgabe auch nicht ins Unangemessene ausdehnen.Zur Drucksache 7/5217 beantragen die Koalitionsfraktionen ebenfalls Ablehnung. Hier wird beantragt, die Informationsmittel des Bundespresseamtes weitgehend zu kürzen. Wir weisen darauf hin, daß gerade jüngste Gesetzentwürfe wie das Bundesbaugesetz, das in diesen Tagen verabschiedet wurde, einer besonderen informativen Aufbereitung für die Öffentlichkeit bedürfen. Hieran knüpfen sich hohe Erwartungen, insbesondere auch in der Kommunalpolitik. Wir glauben, daß die Mittel für sinnvolle Information durch die Regierung notwendig sind.Der zweite Teil des Antrages hebt sich von selbst auf. Es geht dabei um die Besetzung von frei werdenden Beamtenposten. Diese Posten werden so besetzt, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Da wir davon ausgehen, daß die Bundesregierung, die vor dem 3. Oktober die Politik gemacht hat, auch nach dem Zusammentritt des nächsten Bundestages die Politik machen wird, ist der Antrag in sich gegenstandslos und kann abgelehnt werden.
Die Anträge aus dem Bereich des Einzelplans 15, d. h. des Gesundheitsministeriums, bitten wir zu überweisen. Insbesondere im Bereich der Problematik der Rheuma-Erkrankungen ist der Wille seriös; aber manches sollte vielleicht doch eingehender diskutiert werden.Über die Sporthilfe wurde gestern im Sportausschuß diskutiert und festgestellt, daß die finanzielle Lage der Sporthilfe in diesem Jahr zum Teil befriedigend ist, daß es aber darauf ankommt, daß auch die Stiftungen selbst miteinander ein Gespräch führen. Das möge in Zukunft geschehen, und dann kann sich der Ausschuß noch einmal damit beschäftigen. Wir beantragen folglich Überweisung.Das gleiche gilt für die Drucksache 7/5224. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, Steuer- und sonstige Mehreinnahmen auf die Neuverschuldung anzurechnen. Wir gehen davon aus, daß unter Umständen hier und da Risiken im Verlauf des Haushaltsvollzugs eintreten könnten, die eine Korrektur dieses Beschlusses nicht ermöglichen. Im großen und ganzen wird es aber sicher so kommen. Wir bitten um Überweisung an den Haushaltsausschuß.Der Antrag auf Drucksache 7/5226 ist heute morgen von Professor Möller begründet worden. Die Koalitionsfraktionen beantragen Annahme.
Das Wort hat der Abgeordnete Stahl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist keine Übertreibung, wenn ich hier in der dritten Lesung des Haushalts feststelle, daß heute eigentlich auch in Sachen Entwicklungspolitik die Stunde der Wahrheit gekommen ist. Dem Hohen Hause liegt eine Entschließung der Fraktionen der SPD und FDP vor, in der wir uns zum erstenmal zu den Beziehungen zwischen den Ländern der Dritten Welt und der Bundesrepublik Deutschland äußern. Diese Entschließung ist aus einem aktuellen Anlaß eingebracht worden; aber sie reicht weit über diesen aktuellen Anlaß der Welthandelskonferenz in Nairobi hinaus.Die Koalitionsfraktionen haben in der vergangenen Woche ausgeführt, weshalb wir diese Entschließung zum gegenwärtigen Zeitpunkt für erforderlich halten. Wir haben die Opposition aufgefordert, unsere Entschließung zu unterstützen. Die Antwort der Opposition ist uns heute morgen vorgelegt worden. Es ist ein mit der heißen Nadel genähter eigener Antrag, mit dem nicht nur die gemeinsamen Grundlagen der deutschen Entwicklungspolitik aufgekündigt werden, sondern mit dem vor allem die Bundesrepublik auf einen Konfrontationskurs gegenüber den Entwicklungsländern der Dritten Welt gebracht werden soll.Die Haltung der Regierungskoalition zu diesem Versuch, Gemeinsamkeiten zu zerstören, ist klar und eindeutig. Wir stehen zu dem entwicklungspolitischen Programm, das wir im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit gemeinsam mit den entwicklungspolitischen Sprechern der Opposition formuliert und gemeinsam nach außen getragen haben. So wie wir einstimmige Erklärungen zur 7. Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen und zur Weltindustrialisierungskonferenz in Lima verabschiedet haben, so werden wir heute Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, vor die Entscheidung stellen, ob Sie noch zu der Politik stehen, die wir seit Beginn der deutschen Entwicklungspolitik für richtig gehalten haben. Zur Entscheidung steht die Frage: Wollen wir den Entwicklungsländern gegenüber den Weg der Kooperation einschlagen, oder wollen wir die Konfrontation? Wollen wir den Dialog zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern fortsetzen, oder wollen wir eine neue Auseinandersetzung heraufbeschwören?Was sich heute im Verhältnis zwischen Nord und Süd abspielt, ist längst den Dimensionen von Hilfe oder Fürsorge für die Armen entwachsen. Die Entwicklungsländer haben — und vielen in unserem Land ist das leider noch nicht bewußt — in den letzten Jahren neue Machtpositionen errungen. Darüber kann man nicht mehr ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen. Dies muß man zur Kenntnis nehmen. Die Entwicklungsländer wissen, über welche wirtschaftliche Macht sie verfügen. Wir sollten das auch zunehmend zur Kenntnis nehmen. Wir haben die Wahl, auf unseren Forderungen zu bestehen und die Forderungen der Entwicklungsländer zu übergehen. Diese Haltung wird zur Konfrontation führen und den Kräften in der Dritten Welt Auftrieb geben, die für radikale Lösungen
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Stahl
I sind. Sie wird die Gefahr vergrößern, daß sich die Armen holen, was ihnen vorenthalten wird. Sie wird Sicherheit und Stabilität in der Welt gefährden.Wir haben aber auch die Wahl, die gerechtfertigten Forderungen der Entwicklungsländer zu prüfen und ihnen entgegenzukommen. Wir haben die Wahl, bewußt Erschütterungen unserer Volkswirtschaft einzukalkulieren oder sie bewußt zu verhindern. Wir haben die Wahl, den Interessenausgleich mit den Entwicklungsländern gezielt vorwärtszutreiben oder die Entwicklungsländer zu einer Solidarisierung zu zwingen, bei der die Wahl des politischen Partners eine untergeordnete Rolle spielt.Die Forderungen unseres Entschließungsantrags sind ein Programm und eine Aussage für die Zukunft. Sie werden sicher weder mit der Vierten Weltkonferenz für Handel und Entwicklung in Nairobi noch mit dem Dialog in Paris endgültig erledigt sein. Sie sind aber geeignet, den Erfolg beider Konferenzen zu sichern.Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, heute sei eine Stunde der Wahrheit. Ich frage deshalb die Kollegen der Opposition: Sind Sie für ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft in Nairobi? Wenn das zutrifft, so müssen Sie unserem Antrag zustimmen. Sind Sie dafür, daß die Europäische Gemeinschaft ihre Märkte stärker als bisher den Entwicklungsländern öffnet? — Dann müssen Sie unserem Antrag zustimmen. Sind Sie der Überzeugung, daß die Entwicklungsländer auf einen höheren Ressourcentransfer und höhere finanzielle Leistungen angewiesen sind? — Dann müssen Sie unserem Antrag zustimmen. Sind Sie für Umschulungsmaßnahmen zugunsten der ärmsten Länder? — Dann müssen Sie unserem Antrag zustimmen.Jetzt kommt die entscheidende Frage: Wollen Sie die Versorgung unseres Landes, unserer Wirtschaft und unserer Bevölkerung mit lebenswichtigen Rohstoffen langfristig sichern? — Dann müssen Sie von Ihrer Position des bloßen Nein-Sagens herunter.
Dann müssen Sie hier vor der Deutschen Öffentlichkeit bekennen, daß es keine Alternative zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung gibt.Wenn man Ihrem Antrag folgt, meine Damen und Herren von der Opposition, dann müßten Sie das Abkommen der EG von Rom, das Abkommen von Lome sowie das Kaffeeabkommen, denen Sie alle zugestimmt haben, wieder aufkündigen. Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein.Die seriösen Entwicklungspolitiker in Ihren Reihen haben das erkannt. Sie haben deshalb unserem Antrag, der Grundlage der heutigen Entschließung im Plenum ist, im Ausschuß zugestimmt. Wir können nur hoffen, daß sich bei Ihnen die Stimmen der Vernunft durchsetzen.Ich fordere Sie im Interesse unseres Landes auf, Ihren Antrag zurückzuziehen. Wenn Sie vom Tempo der internationalen Entwicklung nicht überrollt wer-den wollen, dann bleibt Ihnen zur Rückkehr auf den Weg der Vernunft nur noch wenig Zeit.Wir werden Ihren Antrag — Drucksache 7/5227 — ablehnen.
Meine Damen und Herren, bevor ich dem letzten Redner zu diesem Tagesordnungspunkt das Wort erteile, bitte ich Sie dringend, Platz zu nehmen und möglichst Ruhe zu bewahren. Es ist sehr schwer für den Redner, von hier aus zu sprechen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Köhler .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Antrag, den Herr Kollege Stahl soeben erläutert und begründet hat, ist vor einer ganzen Reihe von Wochen formuliert worden. Er ist damals mit einem erheblichen Maß an gemeinsamer Übereinstimmung vorgelegt worden, um in der Phase der Vorabklärung für UNCTAD IV zu einer gewissen Richtung zu kommen und damit z. B. auch eine Gemeinsamkeit der europäischen Partner zu erleichtern.Dieser Antrag, Herr Stahl, ist von Ihnen in der wortwörtlich gleichen Fassung vorgelegt worden, wie sie damals im Ausschuß beschlossen wurde, und zwar ohne jede Aktualisierung und ohne jede Rücksichtnahme darauf, daß wir inzwischen eine ganze Reihe von Wochen weiter sind.
Was ist in der Zwischenzeit geschehen? Es sind uns in diesem Hohen Hause keine ausreichenden Informationen vorgelegt worden, im Rahmen welcher Verhandlungsrichtlinien sich die Bundesregierung in Nairobi zu bewegen gedenkt. Wir müssen uns doch schließlich darüber klar sein, daß die Vierte Welthandelskonferenz nicht mehr vor uns liegt, sondern bereits seit zwei Wochen im Gange ist und daß wir uns bereits in der Halbzeit befinden.In Nairobi sind neue Entwicklungen deutlich geworden.
— Ich habe Sie auch ausreden lassen. Nun hören Sie mir noch einen kleinen Moment zu. Ich habe ohnehin gegen das Haus anzureden.
Es sind neue Entwicklungen deutlich geworden, über die Sie hier nicht gesprochen haben. Sie haben davon gesprochen, daß wir z. B. bezüglich der EG-Einheit Verantwortung zu tragen hätten. Aber obwohl der Herr Staatsminister Wischnewski in der Verhandlung mit den Nationen der Europäischen Gemeinschaft auch Wege gegangen ist, die für unsere Begriffe schon weit über das hinausgehen, was als Grundsatzposition noch tragbar ist, ist diese Einheit
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Dr. Köhler
doch letzten Endes am holländischen Verhalten, d. h. an der holländischen Entscheidung gescheitert und nicht an dem, was Sie uns jetzt zum Vorwurf machenDie Haltung der Industrieländer ist leider Gottes weitgehend uneinheitlich. Uneinheitlich ist auch die Haltung der eigenen Regierung. Wenn Sie Konfrontation beschworen haben, kann ich Sie nur auffordern, doch zunächst einmal die wieder vertagte Konfrontation bzw. noch nicht entschiedene Konfrontation im Regierungslager in Ordnung zu bringen,
damit wir in dieser Stunde der Wahrheit wenigstens wissen, was von der Regierung dieses Landes gewollt und vertreten wird.Aus diesen Gründen ist es für die CDU/CSU-Fraktion nicht möglich, Ihrem Antrag zuzustimmen. Diese Stunde erfordert nach unserer Auffassung von uns eine klare und eindeutige Sprache und eine verpflichtende Festlegung der Positionen, die wir behaupten müssen, wenn es zu einer Regelung kommen soll, die tragbar ist. Die Stunde der Wahrheit bedeutet auch, daß wir, um Konfrontation abzubauen, den Entwicklungsländern nicht immer wieder verschleiern, welches unsere Notwendigkeiten sind. Auch den Entwicklungsländern gegenüber ist endlich Wahrheit angebracht, weil es nur dann zu einem tragfähigen Interessenausgleich kommen kann.
Wenn Sie unseren Antrag gelesen haben, haben Sie auch bemerkt, daß er in allen Punkten vom Geiste der Zusammenarbeit und vom Geiste des Bemühens um konstruktive Lösungen getragen ist. Wir lassen uns von Ihnen nicht in die Rolle der Neinsager drängen. Wir haben schon während der 6. SGV der UNO konstruktive Beiträge gefordert, Sie auf absolutem Inhibieren und absolutem Neinsagen verharrten und dadurch erst die Situation erzeugt haben, die Sie heute beklagen.
Ich wiederhole: Ihr Antrag entspricht nicht mehr der Situation, in der wir Politik zu machen haben. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt ihm deshalb nicht zu. Ich darf das Hohe Haus auffordern, in dieser Stunde, wo es um wichtige Zukunftsentscheidungen geht, wegen der klaren Sprache, die wir für erforderlich halten, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schleifenbaum.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! In der zitierten Stunde der Wahrheit hat die Opposition erneut versagt;
denn sie hat in dieser historischen Stunde versäumt,
die Chance zu ergreifen, die Position der Delegation
der Bundesrepublik Deutschland in Nairobi mit einer gemeinsamen Resolution dieses Hohen Hauses zu stärken. Sie haben die gemeinsame Linie, die im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Ihrer einmütigen Zustimmung vorbereitet worden war ohne Not verlassen. Sie setzen die Geisterbeschwörung fort, mit dem Sie schon vorige Woche angefangen haben, indem Sie davon reden, die Bundesregierung nehme einen nicht einheitlichen Standpunkt ein.
Was ist denn dieser sogenannte nicht einheitliche Standpunkt in Wirklichkeit? Das ist ein nützlicher Denkprozeß innerhalb der Bundesregierung, der die Entwicklungen des Verhandlungsstandes in Nairobi berücksichtigt. Das ist das Bemühen, in der Schlußphase in Nairobi eine einheitliche Linie der Europäischen Gemeinschaft anzustreben. Das ist vor allen Dingen das Bemühen, sich mit dem Außenminister Kissinger am Montag abzustimmen und auch insoweit eine einheitliche Linie festzulegen.
Die Union betreibt erneut ein Verwirrspiel. Das ist Ausdruck von Unsicherheit und Hilflosigkeit. Sie fügt unserer Position außenpolitischen Schaden zu.
Bezeichnend für den Antrag der CDU/CSU ist das, was — im Gegensatz zu unserem Antrag —nicht in ihm steht. Wegen der Kürze der Zeit möchte ich das nicht alles aufführen. das können Sie nachlesen. Aber für uns als FDP-Fraktion ist natürlich sehr interessant, daß das Wort „liberal" gestrichen worden ist. Das verträgt sich natürlich nicht mit Ihren anderen Äußerungen. Es entlarvt Sie, daß Sie mit Begriffen wie liberal und Freiheit auf Kriegsfuß stehen.
Auch die Formel „freie Weltwirtschaft" ist für Sie eine Leerformel; denn Sie füllen sie nicht aus. Wenn Sie von ordnungspolitischen Vorstellungen sprechen, dann wenden Sie doch bitte die ordnungspolitischen Vorstellungen der Bundesrepublik Deutschland einmal in weltweitem Maßstab an; dann kommen Sie nämlich zu den Vorstellungen einer Sozialen Marktwirtschaft. Wenn man das konsequent anwendet, dann entfernt man sich von den Vorstellungen, die Sie haben.
Der Entschließungsantrag der Opposition beweist erneut, daß sie zur Entwicklungspolitik keinen konstruktiven Beitrag leisten kann. Die Opposition betreibt erneut eine Politik der außenpolitischen Isolation. Es würde mich nicht wundern, wenn Sie schadenfroh wären, wenn die Delegation der Bundesrepublik Deutschland schließlich und endlich den Schwarzen Peter in der Hand hätte und als Störenfried kooperativer Politik der Industrie- und Entwicklungsländer hingestellt würde. Nein, der Störenfried ist in diesem Fall Herr Dr. Todenhöfer. Ich meine, er sollte nicht nach Nairobi fahren, sondern zu Hause bleiben.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Änderungsanträge und Entschließungen.
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17368 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Vizepräsident Frau FunckeIch rufe zunächst Einzelplan 60 auf. Dazu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Drucksache 7/5216 vor. Wer diesem Änderungsantrag die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Dann kommen wir zu den Entschließungsanträgen Drucksachen 7/5218 und 7/5219. Mir wird gesagt, daß beide Entschließungsanträge zu Einzelplan 15 an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit überwiesen werden sollen. Trifft das zu?
— Dann bitte ich um das Handzeichen derjenigen, die für die Überweisung stimmen. — Gegenprobe! — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe nunmehr den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP zu Einzelplan 23, Drucksache 7/5163, auf. Wer diesem Entschließungsantrag die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; angenommen.Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Drucksache 7/5227. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.Ich rufe nunmehr den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Drucksache 7/5217 auf. Können wir über die beiden Ziffern gemeinsam abstimmen?
— Es wird Einzelabstimmung begehrt. Ich rufe Ziffer 1 dieses Änderungsantrages auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe Ziffer 2 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ebenfalls abgelehnt.Meine Damen und Herren, wir kommen damit zur Abstimmung in dritter Lesung über das Haushaltsgesetz. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag ist hinreichend unterstützt. Bevor wir abstimmen, möchte ich darauf aufmerksam machen, daß wir nach der Auszählung noch über die Entschließungsanträge zu befinden haben und daß anschließend die Beratung über die Vermittlungsausschußvorlagen ansteht.Ich eröffne hiermit die namentliche Abstimmung.Meine Damen und Herren, eine Mitteilung: auch zum Punkt 3 der Tagesordnung ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte Sie, sich darauf einzurichten.Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. 454 uneingeschränkt stimmberechtigte Mitglieder des Hauses und 20 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben 263 uneingeschränkt stimmberechtigte und 13 Berliner Abgeordnete gestimmt, mit Nein 191 uneingeschränkt stimmberechtigte und 7 Berliner Abgeordnete.ErgebnisAbgegebene Stimmen 454 und 20 Berliner Abgeordnete; davonja: 263 und 13 Berliner Abgeordnete, nein: 191 und 7 Berliner AbgeordneteJaSPDAdams Ahlers Dr. AhrensAmling Anbuhl Dr. ApelArendt Dr. Arndt (Hamburg) AugsteinBaackBäuerle BahrBarcheDr. BardensBatzDr. BayerlBecker BehrendtBiermannBlankDr. Böhme BörnerFrau von Bothmer BrandtBrandt
BredlBrückBuchstallerBüchler
Büchner
Dr. von BülowBuschfortDr. BußmannColletCoppikFrau Dr. Däubler-Gmelin Dr. von DohnanyiDürrEckerlandDr. EhmkeDr. EhrenbergFrau Eilers Dr. EmmerlichDr. EndersEngholmDr. EpplerEstersEwenFellermaierFiebigDr. FischerFlämigFrau Dr. FockeFranke FrehseeFriedrichGansel Geiger Gerlach
Gerstl
GertzenDr. GeßnerGlombig Dr. GlotzFrau Dr. Glotz-MartinyGnädinger Grobecker Grunenberg Dr. Haack HaarHaase
Haase HaehserDr. HaenschkeHalfmeier HansenHauckDr. Hauff HenkeHerbersHeroldHöhmann Hofmann Dr. Holtz HornFrau Huber HuonkerImmer
Jahn
JaschkeJaunichDr. Jens Junghans JunkerKaffkaKaterKernKoblitzKonradKratzDr. KreutzmannKrockert Kulawig Lambinus LangeLattmannDr. LauritzenLautenschlagerLeberLempLendersFrau Dr. LepsiusLiedtkeLöbbertLutzMahneMarquardt Marschall Matthöfer Frau MeermannDr. Meinecke Meinike (Oberhausen) MetzgerMöhringDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller
Müller
Müller
Müller
Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumann Dr.-Ing. OettingOffergeld
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17369
Vizepräsident Frau Funcke FreiherrOstman von der Leye PawelczykPeiterDr. Penner PenskyPeterPolkehn Porzner Rapp
Rappe RavensFrau Dr. RehlenReiserFrau Renger ReuschenbachRichterRöhligRohdeRosenthal SanderSaxowskiDr. Schachtschabel Schäfer
Dr. Schäfer SchefflerScheuFrau SchimschokSchinzel Schirmer Schlaga SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (München) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf)Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. Schöfberger Schonhofen Schreiber Schulte
SchwabeDr. SchweitzerDr. Schwencke Dr. Schwenk (Stade) SeefeldSeibertSimonSimpfendörferDr. SperlingSpilleckeStahl
Frau SteinhauerDr. Stienen SuckSundTietjenFrau Dr. TimmTönjesUrbaniak Vahlberg VitDr. Vogel VogelsangWalkhoff WaltematheDr. Weber
Wehner WendtDr. Wernitz Westphal WiefelWilhelmWimmer WischnewskiDr. de With Wittmann WolfWolfram WredeWürtzWüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. Dübber EgertGrimmingFrau GrützmannLöfflerMänningMattickDr. SchellenbergFrau Schlei Schwedler SieglerschmidtFDPDr. BangemannBaumDr. Böger ChristEngelhardErtlFrau FunckeGallusGeldner Grüner Hölscher HoffieJungKirstKleinert KrallDr. KreibaumDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff LogemannFrau LüdemannDr. Dr. h. c. MaihoferDr. h. c. Mertes MischnickMöllemannMoersch Ollesch OpitzPeters SchleifenbaumSchmidt
von SchoelerFrau Schuchardt SpitzmüllerDr. VohrerDr. WendigWolfgramm ZywietzBerliner Abgeordnete HoppeFraktionslosEmeisNeinCDUDr. Abelein Dr. Aigner Albervon Alten-NordheimDr. AlthammerDr. Arnold BaierDr. BarzelDr. Becher
Dr. Becker
Frau BenedixBenzBergerBewerunge Biechele BiehleDr. Dr. h. c. BirrenbachDr. Blümvon BockelbergBöhm
BraunBremerBremmDr. BurgbacherCarstens
Dr. Carstens
Dr. Czaja Dammvan Delden Dr. Dregger EigenEilers EngelsbergerErhard ErnestiDr. Evers EyDr. EyrichFreiherr von FircksFranke
Dr. Franz Dr. Früh Dr. Fuchs GeisenhoferGerlach
Gerster
Gewandt Gierenstein Dr. Gölter Dr. Götz Dr. Graß Dr. Gruhl Haase
Dr. Häfele Härzschel Dr. Hammansvon HasselHauser Hauser (Krefeld)Dr. Hauser HöcherlHöslDr. HornhuesHorstmeier Frau HürlandHussing Dr. JaegerJäger
Dr. Jahn Dr. Jahn (Münster)Dr. JenningerDr. Jobst JostenKatzerDr. KempflerKiechleDr. h. c. KiesingerDr. Klein
Dr. Klein
Dr. KliesingDr. Köhler KösterKrampeDr. Kraske Kroll-SchlüterFreiherrvon Kühlmann-StummDr. Kunz LagershausenLampersbachLeicht LemmrichDr. Lenz
Lenzer LinkLöher Dr. LudaDr. MarxMaucherDr. MendeDr. Mertes
Dr. MikatDr. MiltnerMilzMöller
Dr. Müller
Müller
Dr. Müller-HermannDr. NarjesFrau Dr. NeumeisterNiegel NordlohneDr.-Ing. OldenstädtOrgaß Frau PackPfeffermannPfeifer Picard Pieroth PohlmannDr. ProbstRainer Rawe ReddemannFrau Dr. Riede Dr. Riedl (München)Dr. RitgenDr. Ritz Röhner RollmannRommerskirchenSauer
Sauter
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinDr. SchäubleSchetterFrau Schleicher SchmidhuberSchmidt
Schmitt
Schmitz
Dr. SchneiderDr. Schröder Schröder (Lüneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Schulte
Dr. Schulze-VorbergSeiters SickSolkeDr. FreiherrSpies von Büllesheim Spilker SprangerStahlbergDr. Stark
Graf StauffenbergDr. StavenhagenStrauß StücklenSusset de TerraThürk TillmannDr. TodenhöferFrau Tübler
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17370 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Vizepräsident Frau Funcke Dr. UnlandVeharFrau Verhülsdonk Vogel VogtVolmerDr. Waffenschmidt Dr. WaigelDr. WallmannDr. WarnkeWawrzikWeber
Dr. Freiherr von Weizsäcker WernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldWindelenWissebachDr. Wittmann Frau Dr. WolfBaron von WrangelDr. Wulff ZeyerZieglerDr. ZimmermannZinkZoglmannBerliner Abgeordnete AmrehnFrau Berger
Dr. Gradl Müller
Frau Pieser Straßmeir WohlrabeDamit ist das Haushaltsgesetz in dritter Beratung angenommen.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Es wird vorgeschlagen, den Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 7/5224 dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Wer diesem Überweisungsvorschlag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe. Enthaltungen? Es ist so beschlossen.Dann kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 7/5226. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe. — Enthaltungen?Das erste war die Mehrheit. Der Entschließungsantrag ist angenommen.Gemäß einer interfraktionellen Vereinbarung rufe ich nun zunächst Punkt 3 der Tagesordnung auf:Beratung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Dritte Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen— Drucksache 7/5193 —Wird das Wort zu einer Erklärung gewünscht? — Herr Abgeordneter Sieglerschmidt hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle Parteien des Bundestages haben erklärt, daß es ihr Ziel sei, die Pressekonzentration zu bekämpfen. Wir nehmen diese Forderung sehr ernst, wissen aber zugleich, daß es für die Bekämpfung der Pressekonzentration kein Patentrezept und kein Allheilmittel gibt. Eines der Mittel, die der Pressekonzentration entgegenwirken, ist die Pressefusionskontrolle. Das geltende Recht reicht hierfür offensichtlich nicht aus, weil die Aufgreifkriterien so hoch liegen, daß nur Zusammenschlüsse auf einer Ebene erfaßt werden, die praktisch höchst selten oder gar nicht erreicht wird; die sogenannten Elefantenhochzeiten finden im Pressebereich kaum statt. Deshalb muß man, um wirksam etwas tun zu können, das Aufgreifkriterium für die Pressefusionskontrolle entsprechend senken.
In den Beratungen über dieses Gesetz ist von seiten der Opposition hier im Hause und der Mehrheit im Bundesrat immer wieder eingewandt worden, dieses Gesetz sei im Grunde genommen nicht wirkungsvoll zur Bekämpfung der Pressekonzentration und deswegen überflüssig. Ich frage mich, wenn dem so ist, warum der Bundesrat Einspruch erhoben hat. Es muß also wohl doch einigermaßen wirkungsvoll sein. Wenn der Bundestag allerdings diesem Einspruch folgen sollte, dann würde dieses Gesetz wirkungslos werden; denn dieser Einspruch geht dahin, das Aufgreifkriterium, das jetzt bei 25 Millionen DM Umsatz im Jahr liegt, auf 50 Millionen DM wesentlich heraufzusetzen. 25 Millionen DM Umsatz im Jahr bedeutet, in Auflageziffern übersetzt, etwa eine Auflage von 60 000 bis 70 000. Dies ist genau die wettbewerbspolitisch interessante Zone auf dem Pressemarkt, und die muß erreicht werden. Es geht also nicht an, daß wir durch eine Heraufsetzung des Aufgreifkriteriums dieses Ziel verfehlen. Die Opposition hat immer wieder behauptet, es ginge ihr darum, die Pressekonzentration zu bekämpfen. Hier und heute kann sie nun zeigen, ob sie gewillt ist, dies zu tun.
Ein Sachverständiger in der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf hat erklärt, daß seiner Meinung nach das Aufgreifkriterium noch heruntergesetzt werden müsse, zwar nicht aus verfassungsrechtlich zwingenden Gründen, so sagte dieser Professor des öffentlichen Rechts, aber es sei verfassungspolitisch geboten, hier noch herunterzugehen, um die Pressekonzentration wirksam zu bekämpfen. Wer also in dieser Situation das Aufgreifkriterium für die Pressefusion heraufsetzen will, der will dieses Instrument zur Eindämmung der Pressekonzentration unwirksam machen. Wir werden das nicht zulassen, und deswegen bitte ich Sie, den Einspruch des Bundesrates zurückzuweisen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Klein.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion wird diesen Gesetzentwurf auch bei dieser Abstimmung ablehnen. Sie lehnt ihn ab, weil, was in den Worten des Herrn Kollegen Sieglerschmidt schon anklang, weil er es nämlich sehr genau weiß, dieses Gesetz keine Wirkungen im Kampf gegen die Pressekonzentration entfaltet. Dieses Gesetz ist ein von Ihnen durchgesetztes Scheingefecht, mit dem Sie zu vertuschen trachten, daß Sie zu wirksamen Methoden gegen die Pressekonzentration weder imstande noch willens sind.
Dies ist durch die vorhin schon von unserem Fraktionsvorsitzenden zitierten Äußerung wieder deutlich geworden, wonach ein weiteres Mal aus Ihren Reihen die Überführung der privatwirtschaftlichen Struktur der Presse in eine öffentliche Struktur gefordert worden ist.In diesem Zusammenhang ist es zu sehen, daß Sie nicht willens und — ich wiederhole es — auch nicht in der Lage sind, Wirksames gegen die Pressekon-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17371
Dr. Klein
zentration zu unternehmen. Wir sind nicht bereit, Ihnen bei diesem Scheinmanöver auch noch Schützenhilfe zu geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die FDP-Fraktion wird den Einspruch des Bundesrates zurückweisen.
Herr Kollege, die Begründung, die Sie eben vorgetragen haben, dies sei nämlich ein unwirksames Gesetz und die Aufgreifkriterien würden nicht ausreichen, um Pressekonzentration zu verhindern, ist genau das Gegenteil von dem, was der Bundesrat zur Begründung geliefert hat, der ja die Aufgreifkriterien heraufsetzen wollte und dann immer noch meinte, damit sei ein wirksames Gegenmittel gegeben.
In Wirklichkeit sind die Aufgreifkriterien vernünftig, das Gesetz paßt in das System des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen hinein, und wir sollten dieses Gesetz hier und heute verabschieden.
Weitere Erklärungen werden nicht abgegeben. — Zu einer persönlichen Bemerkung nach § 35 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Professor Klein das Wort.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Graf Lambsdorff hat eben meine Äußerungen unrichtig wiedergegeben und deshalb auch an der Sache vorbei argumentiert.
Ich habe nämlich zwar von der Wirkungslosigkeit dieses Gesetzes gesprochen, aber nicht mit der Begründung, die er angegeben hat. Der Grund für die Wirkungslosigkeit dieses Gesetzes ist, daß es mit der Therapie erst ansetzt, wenn sich der Patient bereits im Stadium der tödlichen Krankheit befindet. Aus diesem Grunde halten wir es für wirkungslos.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung. Um den Einspruch des Bundesrates, der mit der Mehrheit seiner Stimmen beschlossen ist, zurückzuweisen, bedarf es der Mehrheit der Stimmen der Mitglieder dieses Hauses, d. h., es müssen sich mindestens 249 Stimmen für die Zurückweisung des Einspruchs ergeben. Wer den Einspruch zurückweisen will, muß mit Ja stimmen.
Es ist namentliche Abstimmung beantragt, und der Antrag ist ausreichend unterstützt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Abstimmungsergebnis über die Beratung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Dritte Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen bekannt. Von den uneingeschränkt Stimmberechtigten haben 261 mit Ja, 176 mit Nein gestimmt, von den Berliner Abgeordneten 13 mit Ja, 7 mit Nein; keine Enthaltungen auf beiden Seiten.ErgebnisAbgegebene Stimmen 437 und 20 Berliner Abgeordnete; davonja: 261 und 13 Berliner Abgeordnete,nein: 176 und 7 Berliner AbgeordneteJaSPDAdams Ahlers Dr. AhrensAmling Anbuhl Dr. ApelArendt Dr. Arndt (Hamburg) AugsteinBaack Bäuerle BahrBarcheDr. BardensBatzDr. BayerlBecker BehrendtBiermannBlankDr. Böhme BörnerFrau von Bothmer BrandtBrandt
BredlBrück BuchstallerBüchler
Büchner
Dr. von BülowBuschfortCollet CoppikFrau Dr. Däubler-Gmelin Dr. von DohnanyiDürrEckerlandDr. EhmkeDr. EhrenbergFrau Eilers Dr. EmmerlichDr. EndersEngholmDr. EpplerEsters EwenFellermaierFiebigDr. FischerFlämigFrau Dr. FockeFranke FrehseeFriedrichGansel Geiger Gerlach
Gerstl
GertzenDr. GeßnerGlombig Dr. GlotzFrau Dr. Glotz-Martiny GnädingerGrobecker GrunenbergDr. Haack HaarHaase
Haase HaehserDr. HaenschkeHalfmeier Hansen HauckDr. Hauff HenkeHerbers HeroldHofmann Dr. Holtz HornFrau HuberHuonkerImmer
Jahn
Jaschke Jaunich Dr. Jens Junghans JunkerKaffkaKaterKernKoblitzKonradKratzDr. KreutzmannKrockert Kulawig Lambinus LangeLattmannDr. LauritzenLautenschlagerLeberLempLendersFrau Dr. LepsiusLiedtkeLöbbert LutzMahneMarquardt Marschall Matthöfer Frau MeermannDr. Meinecke Meinike (Oberhausen) Metzger
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17372 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Vizepräsident Dr. JaegerMöhringDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller
Müller
Müller
Müller
Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumann Dr.-Ing. OettingOffergeld FreiherrOstman von der Leye PawelczykPeiterDr. Penner PenskyPeterPolkehn PorznerRapp
Rappe RavensFrau Dr. RehlenReiserFrau Renger ReuschenbachRichterRöhligRohdeRosenthal SanderSaxowskiDr. SchachtschabelSchäfer
Dr. Schäfer SchefflerScheuFrau SchimschokSchinzel Schirmer Schlaga SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (München) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf)Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. Schöfberger Schonhofen Schreiber Schulte
SchwabeDr. SchweitzerDr. Schwencke Dr. Schwenk (Stade) SeefeldSeibertSimonSimpfendörferDr. SperlingSpilleckeStahl
Frau SteinhauerDr. StienenSuckSundTietjenFrau Dr. TimmTönjesUrbaniak Vahlberg VitDr. Vogel VogelsangWalkhoff WaltematheDr. Weber
Wehner WendtDr. WernitzWestphalWiefel WilhelmWimmer WischnewskiDr. de WithWittmann
WolfWolfram WredeWürtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. DübberEgertGrimmingFrau GrützmannLöfflerMänning Mattick Dr. SchellenbergFrau SchleiSchwedlerSieglerschmidtFDPDr. BangemannBaumDr. BögerChrist EngelhardErtlFrau FunckeGallus GeldnerGrüner HölscherHoffie .JungKirstKleinertKrallDr. KreibaumDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff LogemannFrau LüdemannDr. h. c. MaihoferDr. h. c. Mertes MischnickMöllemannMoerschOlleschOpitzPeters SchleifenbaumSchmidt
von SchoelerFrau Schuchardt SpitzmüllerDr. VohrerDr. WendigWolfgramm ZywietzBerliner Abgeordnete HoppeFraktionslosEmeis NeinCDUDr. Abelein Albervon Alten-NordheimDr. AlthammerDr. Arnold BaierDr. BarzelDr. Becher
Dr. Becker
Frau BenedixBenzBewerunge Biechele BiehleDr. Blümvon BockelbergBöhm
BremmCarstens
Dr. Carstens
Dr. Czaja Dammvan Delden EigenEilers EngelsbergerErhard ErnestiDr. Evers EyDr. EyrichFreiherr von FircksFranke
Dr. Franz Dr. Früh Dr. Fuchs GeisenhoferGerlach
Gerster
Gewandt Gierenstein Dr. Gölter Dr. Götz Dr. Graß Dr. Gruhl Haase
Dr. Häfele Härzschel Dr. Hammansvon HasselHauser Hauser (Krefeld)Dr. Hauser HöcherlHöslDr. HornhuesHorstmeierFrau HürlandHussing Dr. JaegerJäger
Dr. Jahn Dr. Jahn (Münster)Dr. JenningerDr. Jobst JostenKatzerDr. KempflerKiechleDr. h. c. KiesingerDr. Klein
Dr. Klein
Dr. KliesingDr. Köhler KösterKrampeDr. KraskeKroll-SchlüterFreiherrvon Kühlmann-StummDr. Kunz LagershausenLeicht LemmrichDr. Lenz
LinkLöherDr. LudaDr. MarxMaucherDr. MendeDr. MikatDr. MiltnerMöller
Dr. Müller Müller (Remscheid)Dr. Müller-HermannDr. NarjesFrau Dr. NeumeisterNiegel NordlohneDr.-Ing. OldenstädtOrgaß Frau PackPfeffermannPfeifer Picard Pieroth PohlmannDr. ProbstRainer RaweReddemannFrau Dr. Riede Dr. Riedl (München)Dr. RitgenRöhner RollmannRommerskirchenSauer
Sauter
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinDr. SchäubleSchetterFrau Schleicher SchmidhuberSchmidt
Schmitt
Dr. SchneiderDr. Schröder Schröder (Lüneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Schulte
Seiters
SickSolkeDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSprangerStahlbergDr. Stark
Graf StauffenbergDr. StavenhagenStrauß StücklenSussetde TerraThürk TillmannDr. TodenhöferFrau TüblerDr. UnlandVeharFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17373
Vizepräsident Dr. JaegerVolmerDr. Waffenschmidt Dr. WaigelDr. WarnkeWawrzikWeber
Dr. Freiherr von Weizsäcker WernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldWindelenWissebachDr. Wittmann Frau Dr. WolfBaron von Wrangel Dr. WulffZeyerZieglerDr. Zimmermann ZinkZoglmannBerliner AbgeordneteAmrehnFrau Berger Dr. GradlMüller
Frau Pieser Straßmeir WohlrabeDer Einspruch des Bundesrates ist damit mit der erforderlichen Mehrheit zurückgewiesen.Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung:Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Änderung des Bundesbaugesetzes— Drucksache 7/5204 — Berichterstatter: Minister GaddumDas Wort als Berichterstatter hat der Herr Staatsminister der Finanzen des Landes Rheinland-Pfalz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Der Bundesrat hat in seiner 433. Sitzung am 9. April 1976 beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 11. März 1976 verabschiedeten Gesetz zur Änderung des Bundesbaugesetzes die Einberufung des Vermittlungsausschusses zu verlangen. Das Anrufungsbegehren des Bundesrates betraf insgesamt 32 Punkte. Es handelte sich dabei um folgende drei Hauptanliegen:In zahlreichen Änderungsvorschlägen begehrte der Bundesrat in dem ordnungsrechtlichen Teil der Bundesbaugesetznovelle, der mehr technischer Art ist, Verbesserungen vorzunehmen.Der zweite Komplex, auf den sich das Vermittlungsbegehren des Bundesrates bezog, betraf die in der Novelle vorgesehene Erweiterung des Vorkaufsrechts der Gemeinden und die Frage der Reprivatisierung.Schließlich begehrte der Bundesrat, daß der in der Novelle vorgesehene sogenannte Planungswertausgleich nicht eingeführt werden soll; statt dessen sollen die Wertsteigerungen bei Grundstücken steuerlich besser erfaßt werden.Zu den einzelnen Vermittlungsbegehren ist nach den Beratungen im Ausschuß folgendes auszuführen:1. Zu Art. 1 Nr. 2 und Art. 3 (§ 1 Abs. 1): In Ziffer 1 beantragte der Bundesrat, Bestimmungen, die sich mit der gemeindlichen Entwicklungsplanung befassen, zu streichen. Neben verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für diesen Regelungsbereich ist der Bundesrat der Auffassung, daß der Begriff der „gemeindlichen Entwicklungsplanung" bisher in Wissenschaft und Praxis nicht hin-reichend konkretisiert ist und deshalb in einem Gesetz noch nicht verwendet werden soll.Der Vorschlag des Vermittlungsausschusses trägt diesen Bedenken insofern Rechnung, als die in § 1 Abs. 5 des Bundesbaugesetzes vorgesehene Definition der Entwicklungsplanung fallengelassen wird. Hingegen soll die in Abs. 4 Satz 2 bis 4 vorgesehene Verzahnung der Bauleit- und der Entwicklungsplanung beibehalten und als neuer Abs. 5 in § 1 des Bundesbaugesetzes verankert werden. Damit soll Rücksicht genommen werden auf vorhandene Entwicklungsplanungen der Gemeinden, ohne daß ihr Gehalt vom Gesetzgeber normiert wird.2. Zu Art. 1 Nr. 2 : Hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen an die Bauleitplanung begehrte der Bundesrat, daß neben den bereits genannten Zielen — sozialgerechte Bodennutzung und menschenwürdige Umwelt — ein weiterer übergeordneter allgemeiner Leitbegriff eingeführt werden soll. Er schlug hierfür den bereits im geltenden Recht verwendeten Begriff der „geordneten städtebaulichen Entwicklung" vor. Der Vermittlungsausschuß hat sich diesen Anrufungsbegehren angeschlossen.3. Zu Art. 1 Nr. 4 : Hinsichtlich der neu geregelten Beteiligung der Bürger an der Bauleitplanung begehrte der Bundesrat unter Ziffer 3 insbesondere, das Anhörungsverfahren zu vereinfachen und den dazu erforderlichen Verwaltungsaufwand zu begrenzen. Der Bundesrat wandte sich dagegen, daß die Gemeinden zwingend verpflichtet werden sollen, neben den allgemeinen Zielen und Zwecken der Planung auch deren voraussichtliche Auswirkungen öffentlich darzulegen und in die Anhörung einzubeziehen. Er ist der Auffassung, daß die Auswirkungen oft in diesem Stadium noch nicht voll übersehen werden können und deshalb nur eine bloße Sollvorschrift vorgesehen werden sollte. Der Vermittlungsausschuß hat sich diesem Begehren angeschlossen.Ebenso machte sich der Vermittlungsausschuß das Begehren des Bundesrates zu eigen, daß über die Anhörung kein Bericht erstellt werden und auf die Stellungnahme der Gemeinden zur Anhörung verzichtet werden soll.Weiterhin hat sich der Vermittlungsausschuß dem Begehren angeschlossen, im Gesetz klarzustellen, daß bei Änderung einer Planung, die auf Grund der Anhörung erfolgt, eine erneute Anhörung nicht erforderlich ist.Hingegen soll es in einer Hinsicht beim Gesetzesbeschluß des Bundestages bleiben: Wenn die Gemeinde in bestimmten Fällen von den allgemeinen Grundsätzen der Bürgerbeteiligung abweichen will, so bedarf es hierzu der Form eines Beschlusses. Der Hauptverwaltungsbeamte kann etwa nicht von sich aus eine derartige Entscheidung treffen.4. Zu Art. 1 Nr. 7 : In Ziffer 4 hatte der Bundesrat begehrt, daß die Aufstellung und Änderung von Bebauungsplänen schon vor der Anpassung bestehender Flächennutzungspläne erfolgen können soll. Diesem für die von der Gemeinde-17374 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976Staatsminister Gaddumreform erfaßten Gemeinden bedeutsamen Anliegen des Bundesrates hat sich der Vermittlungsausschuß in vollem Umfang angeschlossen.5. Zu Art. 1 Nr. 8 b und Nr. 10 a (§ 9 Abs. 1): In Ziffer 5 hatte der Bundesrat geltend gemacht, daß die vom Bundestag beschlossene Fassung den Oberbegriff „Grünfläche" entgegen dem geltenden Recht erheblich einschränkt. Der Vermittlungsausschuß hat sich die Bedenken zu eigen gemacht, so daß es bei der bisherigen Rechtslage verbleibt.6. Zu Art. 1 Nr. 9 b : Der Bundestag hatte beschlossen, daß die Genehmigung eines Bebauungsplans als erteilt gilt, wenn die höhere Verwaltungsbehörde die Genehmigung nicht innerhalb einer bestimmten Frist unter Angabe von Gründen abgelehnt hat. Der Bundesrat begehrte in Ziffer 6, diese Genehmigungsfiktion zu streichen. Im Vermittlungsausschuß war man sich darüber einig, daß sowohl die im Gesetzesbeschluß vorgesehene als auch die vom Bundesrat vorgeschlagene Lösung nicht frei von Bedenken sind. Für das Petitum des Bundestags spricht das Interesse der Gemeinden an einer zügigen Bearbeitung durch die Genehmigungsbehörden. Dagegen spricht die Befürchtung, daß eine solche Genehmigungsfiktion zur vorsorglichen Ablehnung führt und das Widerspruchsverfahren mit der eigentlichen Sachklärung belastet wird, womit letztlich keine Zeit für die Gemeinde gewonnen wird. Mehrheitlich entschied der Vermittlungsausschuß, es bei der Bundestagsfassung zu belassen.7. Zu Art. 1 Nr. 10 a und zu Art. 1 Nr. 11 (§ 9 a Abs. 6) : Die Ziffern 7 und 8 wurden im Vermittlungsausschuß nicht aufgenommen. Damit bleibt es bei der im Bundestagsbeschluß vorgesehenen Entschädigungspflicht für die im Bebauungsplan vorgesehene Nutzung, wenn nicht innerhalb von 6 Jahren die tatsächliche Bebauung möglich wird. Das bedeutet, daß Gemeinden einen Bebauungsplan ohne wirtschaftliche Nachteile nur dann beschließen können, wenn sie in der Lage sind, innerhalb dieser Zeit die notwendige Infrastruktur auch zu schaffen.8. Zu Art. 1 Nr. 12 : Ziffer 9 des Bundesratspetitums, das eine Verweigerung der Genehmigung des Bebauungsplanes ermöglichen sollte, wenn die erforderliche Infrastruktur in absehbarer Zeit nicht geschaffen werden kann, wurde im Hinblick auf die in § 11 künftig vorgesehene Möglichkeit, die Genehmigung unter Auflagen zu erteilen, nicht aufgenommen.9. Zu Art. 1 Nr. 15 : Unter Ziffer 10 hatte der Bundesrat begehrt, daß die Grundsätze für soziale Maßnahmen erst in der Begründung des Bebauungsplanes aufgeführt werden müssen. Außerdem sollte, um der Praxis einen gewissen Spielraum einzuräumen, diese Vorschrift als bloße Sollvorschrift ausgestaltet werden. Der Vermittlungsausschuß hat sich im Wege eines Kompromisses dafür ausgesprochen, daß entsprechend den Vorstellungen des Bundesrates die genannten Grundsätze für soziale Maßnahmen erst in der Begründung des Bebauungsplanes aufgeführt werden. Hingegen ist er dem Bundestag insoweit gefolgt, alsdiese Aufnahme dann zwingend vorgeschrieben wird.10. Zu Art. 1 Nr. 15 und Art. 3 (§ 5 Abs. 1): Das Anrufungsbegehren in Ziffer 11 betraf die Frage der Aufstellung und Durchführung eines Sozialplans in dem Fall, daß ein Bebauungsplan durch Dritte verwirklicht wird. Hierzu hatte der Bundesrat die Einfügung eines neuen Absatzes 4 in § 13 a Bundesbaugesetz verlangt. Danach soll, wenn die Verwirklichung eines Bebauungsplanes durch einen anderen als die Gemeinde bevorsteht und die weiteren im Gesetz genannten Voraussetzungen vorliegen, die Gemeinde verlangen können, daß dieser andere im Einvernehmen mit ihr den Sozialplan aufstellt und durchführt.Bei den Beratungen im Vermittlungsausschuß wurde gegen die vom Bundesrat vorgeschlagene Formulierung „Verwirklichung eines Bebauungsplanes durch einen anderen als die Gemeinde" Bedenken erhoben, da befürchtet wurde, man könne diese Vorschrift auch so auslegen, daß ein gewöhnlicher einzelner Bauherr, der mit seinem Bauobjekt die Zielvorstellungen des Bebauungsplanes konkretisiert, mit der Aufstellung und Durchführung eines Sozialplanes belastet wird.Der Vermittlungsausschuß machte sich jedoch das Anrufungsbegehren des Bundesrates zu eigen, nachdem Einverständnis darüber erzielt worden war, daß nicht daran gedacht ist, bei einer Mehrzahl von einzelnen Bauherren diesen die Aufstellung und Durchführung eines Sozialplanes aufzuerlegen. Vielmehr ist an die Fälle gedacht, in denen besondere Härten für die Räumungspflichtigen entstehen und die Änderung des Bebauungsplanes ausschließlich im Interesse eines Bauträgers oder Begünstigten erfolgt. Wer in derartigen Fällen den ausschließlichen Vorteil des neuen Bebauungsplanes für sich in Anspruch nimmt, soll — davon ließ sich der Vermittlungsausschuß in seinem Vorschlag leiten — auch für den Ausgleich der sozialen Härten Sorge tragen müssen.Auf die Ziffern 12, 13 und 14 des Anrufungsbegehrens komme ich in meinem Bericht an späterer Stelle zu sprechen.11. Zu Art. 1 Nr. 34 und Art. 1 Nr. 34 (§ 35 Abs. 7) : Der Bundesrat hatte in Ziffern 15 und 16 verlangt, den neu gefaßten § 35 Bundesbaugesetz betreffend das Bauen im Außenbereich in zwei Punkten zu ändern.Zum einen hatte er Bedenken gegen die vorgesehene Ermächtigung, wonach die Landesregierung bestimmte Rechtsverordnungen über das Bauen im Außenbereich bei erhaltenswerten, das Bild einer Kulturlandschaft prägenden Gebäuden erlassen könne, da dies nicht rechtsverordnungsfähige Einzelentscheidungen seien.Zum anderen begehrte der Bundesrat die Einführung eines gesetzlichen Veräußerungsverbotes, um jenen Ländern entgegenzukommen, in denen es das Institut der öffentlich-rechtlichen Baulast nicht gibt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17375
Staatsminister GaddumMit diesem Veräußerungsverbot soll gewährleistet werden, daß die mißbräuchliche Veräußerung von ausnahmsweise im Außenbereich genehmigten Bauten auch in diesen Fällen verhindert wird. Beiden Anrufungsbegehren hat sich der Vermittlungsausschuß angeschlossen.12. Zu Art. 1 Nr. 35 : Ebenso machte sich der Vermittlungsausschuß das Begehren des Bundesrates in Ziffer 17 zu eigen, wonach ein näherer Hinweis auf die allgemeinen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer Enteignung in den Fällen, in denen Bau- oder Pflanzgebote nicht eingehalten werden, gegeben werden soll.13. Zu Art. 1 Nr. 35 : In Ziffer 18 begehrte der Bundesrat, bezüglich der Aufstellung von Grundsätzen für soziale Maßnahmen oder eines Sozialplans darauf zu verzichten, die Verfahrensform des förmlichen Beschlusses der Gemeinde zu verlangen. Nach Auffassung des Bundesrates soll sich das Verfahren ausschließlich nach Kommunalverfassungsrecht richten. Der Vermittlungsausschuß hat sich dieser Auffassung angeschlossen.Ziffer 19 stelle ich in der Berichterstattung zurück.14. Zu Art. 1 Nr. 66 : In Ziffer 20 begehrte der Bundesrat, daß im Enteignungsverfahren dem Beteiligten die Kosten für einen Bevollmächtigten nur bis zur Höhe der Kosten eines Rechtsbeistandes und nicht der eines Rechtsanwaltes erstattet werden. Auch hierin ist der Vermittlungsausschuß dem Bundesrat gefolgt.15. Zu Art. i Nr. 72 a : Hingegen hat der Vermittlungsausschuß den Antrag des Bundesrates in Ziffer 21, bei Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen und Landesstraßen I. und II. Ordnung Erschließungsbeiträge nur für Gehwege und Parkplätze zu erheben, nicht aufgenommen.16. Zu Art. 1 Nr. 76 : Hinsichtlich der Tätigkeit der Gutachterausschüsse hat sich der Vermittlungsausschuß sämtlichen Vermittlungsbegehren des Bundesrates in Ziffer 22 angeschlossen. Danach sollen zum einen die Gutachterausschüsse keine zusätzlichen Aufgaben im Auftrag von Behörden wahrnehmen, sondern für Behörden nur im Rahmen des Vollzugs des Bundesbaugesetzes und Städtebauförderungsgesetzes tätig werden.Getrennte Wertfeststellungen für Gebäude und Grundstücke sollen nur erfolgen, wenn dies aufgrund von Vergleichspreisen möglich ist.Schließlich soll der Landesregierung ermöglicht werden, nicht nur für bestimmte Gebiete, sondern für das gesamte Landesgebiet an Stelle der jährlichen Wertermittlung einen Zweijahresturnus einzuführen, um etwa in Zeiten ruhigerer Wohnpreisentwicklung unnützen Verwaltungsaufwand zu vermeiden.17. Zu Art. 1 Nr. 78 a : Dem Begehren des Bundesrates zu Ziffer 23, in dieser Vorschrift redaktionelle Klarstellungen vorzunehmen, ist der Vermittlungsausschuß ebenfalls gefolgt.18. Zu Art. 2 § 1 Nr. 12 a und Art. 2 Abs. i Nr. 13 d und e (§ 43 Abs. 2) : Von dem zum Städtebauförderungsgesetz erhobenen Begehren hat sich der Vermittlungsausschuß Ziffern 24 und 25 zu eigen gemacht. Danach soll auch der Bau von Brücken, Unterführungen und Tunneln im Gegensatz zum geltenden Recht als Ordnungsmaßnahme anerkannt werden, damit auch diese Baumaßnahmen im Rahmen des Städtebaues gefördert werden können. Ferner soll bei der Gewährung von Förderungsmitteln bei Sanierungen hinsichtlich des vom Eigentümer zu tragenden Kostenanteils lediglich auf diejenigen Mieteinnahmen abgestellt werden, die unter Berücksichtigung des Sanierungszwecks zu erreichen sind. Damit soll vermieden werden, daß durch die vom Staat zur Bedingung der Förderung gemachten hohen Mieten ein Vertreibungseffekt bei sanierten Gebieten verursacht wird.19. Zu Art. 2 § 1 Nr. 18 , Art. 2 § 1 Nr. 19 a (§ 85 Abs. 2) und Art. 2 § 1 Nr. 21 (§ 89) : Ziffern 26, 27 und 28 des Vermittlungbegehrens wurden nicht aufgenommen.20. Zu Art. 3 § 14 Abs. 4, zu Art. 4 und zu Art. 6: Hinsichtlich der Überleitungs- und Schlußvorschriften ist der Vermittlungsausschuß sämtlichen Begehren des Bundesrates zu Ziffern 30, 31 und 32 gefolgt.21. Zu Art. 1 Nr. 23 , Nr. 25 (§ 25 Abs. 1) sowie zu Art. 1 Nr. 24 (§ 24 a), Nr. 26 (§ 25 a), Nr. 27 (§ 26 Abs. 1, 2 und 4), Nr. 28 a (§ 27 Abs. 1) und Nr. 29 (§ 28) — Vorkaufsrecht —: Ich komme jetzt entsprechend dem Ablauf der Beratung im Vermittlungsausschuß zu den Ziffern 12, 14 und 19 des Vermittlungsbegehrens zurück. Nach dem Gesetzesbeschluß des Bundestages soll den Gemeinden ein allgemeines Vorkaufsrecht in allen Gebieten zustehen, für die die Gemeinde die Aufstellung eines Bebauungsplanes beschlossen hat. Der Bundesrat begehrte, daß dieses allgemeine Vorkaufsrecht den Gemeinden nur in den Gebieten zustehen soll, für die ein Bebauungsplan beschlossen ist; andernfalls könnte die Gemeinde durch Planaufstellungsbeschlüsse unkontrolliert Vorkaufsrechte in weitestem Umfang begründen. Der Bundesrat begehrte weiter, daß dieses Vorkaufsrecht, soweit die Grundstücke nicht als Flächen für den Gemeindebedarf festgelegt sind, auf unbebaute oder untergenutzte Grundstücke beschränkt wird, da im übrigen bei ordnungsgemäß bebauten Grundstücken Sinn und Zweck für ein allgemeines Vorkaufsrecht nicht zu erkennen sei.Das Ergebnis der Erörterungen im Vermittlungsausschuß ist ein Kompromiß, der dem Anrufungsbegehren des Bundesrates im folgenden entgegenkommt. Im Geltungsbereich des Bebauungsplanes ist das allgemeine Vorkaufsrecht für Grundstücke ausgeschlossen, die entsprechnd den vorhandenen baurechtlichen Festsetzungen bebaut sind und genutzt werden. Dieser Ausschluß des Vorkaufsrechts gilt allerdings nicht, wenn die auf dem Grundstück befindliche bauliche Anlage schwere Mängel oder
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17376 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Staatsminister GaddumMißstände im Sinne des § 39 a des Bundesbaugesetzes aufweist, sofern nicht der Erwerber diese Mängel oder Mißstände in angemessener Frist beseitigen wird.Im übrigen ist der § 24 nicht geändert worden. Dabei muß gesehen werden, daß in Gebieten, für die die Gemeinde erst die Aufstellung eines Bebauungsplanes beschlossen hat, das allgemeine Vorkaufsrecht ausgeschlossen ist, sofern nach dem Stand der Planungsarbeiten der Verwendungszweck des Grundstücks noch nicht mit ausreichender Sicherheit bestimmt werden kann. § 25 wird dem geänderten § 24 angepaßt. Die §§ 24 a und 25 a bleiben unverändert.22. Zu Art. 1 Nr. 52 : Da der Gesetzesbeschluß gegenüber dem geltenden Recht Vorkaufsrechte der Gemeinde erweitert, begehrte der Bundsrat in Ziffer 19 weiterhin, daß diesem Umstand bei der Regelung der Rückveräußerung von Grundstücken durch die Gemeinde nach § 89 Abs. 3 des Bundesbaugesetzes Rechnung getragen wird. Nach Auffassung des Bundesrates ist sicherzustellen, daß bei der Rückveräußerung vorrangig Einzeleigentum und dem Eigentum nahestehende Rechte begründet werden. Außerdem begehrte der Bundesrat die Festlegung einer Mindestdauer für das Erbbaurecht. Der Vermittlungsausschuß ist hinsichtlich der Wahl der in Betracht kommenden Rechtsform den Vorstellungen des Bundesrates in vollem Umfang gefolgt. Hinsichtlich der Mindestdauer für Erbbaurecht hat er sich dem Anrufungsbegehren mit der Einschränkung angeschlossen, daß die begehrte Mindestdauer von 99 Jahren nur für die Fälle reiner Wohnnutzung vorgeschrieben wird.23. Zu Art. 1 Nr. 23 , Nr. 46 (§ 60 a), Nr. 53 c (§ 95 Abs. 2), Nr. 54 (§ 96 a), Nr. 55 c (§ 100 Abs. 4), Nr. 69 und 70 (Überschriften), Nr. 74 (§ 135 a—m), Nr. 75 (§ 143 b Abs. 1), Art. 2 (§ 5) und Art. 3 (§ 10 und 11 Abs. 3) : In den Ziffern 13 und 29 geht es um den abgabenrechtlichen Teil der Bundesbaugesetznovelle, der kurz mit dem Stichwort „Einführung des Planungswertausgleichs" umschrieben werden kann. Dies ist der umstrittenste Teil des ganzen Gesetzes. Der Bundesrat begehrte, alle Vorschriften, die sich auf diese abgabenrechtliche Regelung beziehen, zu streichen. Die Argumente für und wider die Einführung des Planungswertausgleichs sind bekannt. Sie sind in beiden Häusern ausführlich erörtert worden.Der Bundesrat hatte seinerzeit vorgeschlagen, die Erfassung der Wertsteigerungen im Rahmen des geltenden Steuersystems vorzunehmen. Hierbei sollte an eine zeitnahe Einheitsbewertung angeknüpft werden. Die entsprechende bundesgesetzliche Regelung ist allerdings noch nicht in Sicht.In einer Änderung des Einkommensteuerrechts hatte der Bundesrat vorgeschlagen, die sogenannte Spekulationsfrist zu verlängern und damit zu einer Besteuerung spekulativer Grundstücksgewinne zu kommen. Die Spekulationsfrist sollte von zwei auf acht Jahre ausgedehnt werden.Bei den gegensätzlichen Standpunkten von Bundestag und Bundesrat war eine Einigung oder Annäherung nicht möglich. Man verständigte sich darauf, den Planungswertausgleich aus dem vorliegenden Gesetz zu streichen und auch die steuerrechtlichen Änderungen in diesem Gesetz nicht weiter zu verfolgen.Zu Art. 1 Nr. 30 : Im Zusammenhang mit den Regelungen über das Vorkaufsrecht steht § 28 a des Bundesbaugesetzes, den der Bundesrat unter Ziffer 13 mitangesprochen hatte. Wegen der Streichung des abgabenrechtlichen Teils wird eine Umgestaltung dieser Vorschrift erforderlich. Nunmehr ist vorgesehen, daß bei Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Gemeinde lediglich ein Preis in Höhe des Verkehrswertes des Grundstücks zu zahlen ist. Der Verkäufer kann sich dem durch einen Rücktritt vom Vertrag entziehen und insofern vermeiden, daß er zu einem Preis an die Gemeinde verkaufen muß, der unter seiner ursprünglichen Vorstellung liegt. Das Rücktrittsrecht ist ausgeschlossen, a) wenn das Vorkaufsrecht in den Fällen des § 24 Abs. 1 ausgeübt wird, zugleich der Erwerb des Grundstücks für die Durchführung des Bebauungsplanes erforderlich ist und auch enteignet werden könnte, b) wenn das Grundstück für die Durchführung der Umlegung nach den Vorschriften des ersten Abschnitts des vierten Teils des Bundesbaugesetzes benötigt wird.Damit ist, abgesehen von Ziffer b), eine Herabsetzung des Kaufpreises nur in solchen Fällen möglich, in denen auch enteignet werden könnte. Diese Rechtsauffassung des Vermittlungsausschusses hat der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ausdrücklich bestätigt.Eine Ergänzung schlägt der Vermittlungsausschuß insofern vor, als die Kosten des Vertrages im Falle eines Rücktritts, die dem Verkäufer bereits entstanden sind, auf der Grundlage des Verkehrswertes von der Gemeinde zu ersetzen sind. Der Vermittlungsausschuß geht davon aus, daß es nur billig ist, wenn die Gemeinde diese Kosten trägt, da sie das Nichtzustandekommen des Vertrages verursacht hat. Jedoch soll sie nicht verpflichtet sein, Vertragskosten auch insoweit zu übernehmen, als ihnen überhöhte Grundstückspreise zugrunde liegen.Meine Damen und Herren, ich bin damit am Ende dieses notwendigerweise etwas umfangreichen Berichtes. Ich muß noch ergänzen, daß der Vermittlungsausschuß beschlossen hat, über die einzelnen Änderungen des Gesetzesbeschlusses gemeinsam abzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmitt-Vokkenhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, im Namen der SPD-Bundestagsfraktion zu erklären, daß die jetzt vorliegende Novellierung des Bundesbaugesetzes eine respektable Leistung ist. Die bau- und bodenrechtlichen Fortschritte dieser Novellierung
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17377
Dr. Schmitt-Vockenhausenfür Bürger und für Gemeinden liegen auf der Hand. Die Planungshoheit und die Planungsrechte der Gemeinden unter Einschluß städtebaulicher Entwicklungsziele sind wesentlich gestärkt und erweitert worden.Die SPD-Fraktion hat allen Grund, den Mitgliedern des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau des Deutschen Bundestages dafür zu danken, daß sie sich zum Anwalt der gemeindlichen Planungshoheit gemacht und die Änderungswünsche des Bundesrates zur Beschneidung der gemeindlichen Planungshoheit zurückgewiesen haben.Die Gemeinden wissen, daß sich der Bürger nicht als ungebetener Gast der örtlichen Planung behandeln läßt. Die erweiterten Vorschriften der Novelle über die Bürgerbeteiligung können daher von den Gemeinden im Interesse der Gesamtheit der Bürger praktiziert werden. Die besonderen sozialplanerischen Schutzvorschriften für die von der Bauleitplanung Betroffenen geben dem Bürger mehr Sicherheit.Ein besonderer Pluspunkt zugunsten der Gemeinden ist das wesentlich erweiterte Vorkaufsrecht. Nachhaltig ist die Vorschrift zu begrüßen, nach der die Ausübung des Vorkaufsrechts zum Verkehrswert durch die Gemeinde möglich sein soll. Der Gemeinde muß es möglich sein, überhöhte Forderungen abzuwehren, auch wenn solche zwischen Verkäufer und Käufer vertraglich vereinbart sind. Das Rücktrittsrecht des Verkäufers sichert dessen Interessen sehr stark, zumal die Gemeinde nach dem Antrag des Vermittlungsausschusses die Kosten des Vertrages auf der Grundlage des Verkehrswertes zu übernehmen hat.Zu der Rechtsform bei der Privatisierung erworbener Grundstücke — § 89 Abs. 3 — hat der Vermittlungsausschuß den Vorschlägen des Bundesrates teilweise zugestimmt. Übernommen wurde die neue Formulierung über die bei der Auswahl der Rechtsform zu berücksichtigenden Wünsche und Gesichtspunkte. Danach soll sich verdeutlichend — in gewisser Weise nur in gedanklich umgekehrter Reihenfolge wie der Entwurf der Bundesregierung; das muß ich einmal ausdrücklich betonen — die Rechtsform zunächst nach den Wünschen der zu berücksichtigenden Personen richten. Von den Wünschen kann abgewichen werden, wenn die Durchführung des Bebauungsplanes eine andere Rechtsform erforderlich macht. Die Gemeinde darf also im Endergebnis, ebenso wie nach der Bundestagsfassung, keine Rechtsform wählen, die den städtebaulichen Erfordernissen nicht entspricht.Darüber hinaus hat der Bundesrat vorgeschlagen, bei der Vergabe von Erbbaurechten Mindestlaufzeiten — grundsätzlich 99 Jahre, in Ausnahmefällen 75 Jahre — vorzuschreiben. Nach Auffassung des Vermittlungsausschusses sollen diese Mindestlaufzeiten nur gelten, wenn Erbbaurechte für reine Wohnnutzungen vergeben werden.Von besonderer gesellschaftspolitischer Bedeutung für die Ballungsrandzonen und die ländlichen Räume ist der neue § 34 über das Bauen in den Innenbereichen. Es wird entscheidend darauf ankommen,daß die Absicht des Gesetzgebers nicht im Gestrüpp der Ministerialerlasse der Länder Einschränkungen erfährt. Ich möchte den Bundesrat nachdrücklich, Herr Kollege Jahn, besonders auf diesen Wunsch hinweisen.Schließlich werden die Gemeinden die städtebaulichen Gebote — wie Baugebot, Modernisierungsgebot, Abbruchgebot und Abbruchgenehmigung —lebhaft begrüßen.Bedeutsam und im Interesse der Gemeinden ist auch die Beschleunigung und Vereinfachung des Enteignungsverfahrens. Die Neuregelungen des Planungsschadensrechtes grenzen die Belange der Allgemeinheit gegenüber dem schutzwürdigen Interesse des einzelnen in fortschrittlicher Weise ab. In beiden Fällen werden Grundsatzforderungen der SPD erfüllt.Alles dies war auch von den kommunalen Spitzenverbänden immer wieder mit Nachdruck gefordert worden. Der nächste deutsche Bundestag wird aber die Bodenrechtsreform weiter vorantreiben müssen.
Sie ist ein Dauerthema, solange um mehr Gerechtigkeit und um mehr Sicherheit gerungen werden muß.
Die SPD-Fraktion dankt dem Kollegen Henke und allen anderen Kollegen im Ausschuß für ihren unermüdlichen Einsatz. Sie dankt aber auch dem Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Karl Ravens, der mit seinen Mitarbeitern entscheidend nicht nur die Regierungsvorlage gestaltet, sondern darüber hinaus die Ausschußarbeit und die Arbeit des Parlamentes unterstützt hat.
Diese praktizierte Beteiligung der Vertreter der Städte und Gemeinden bei den Einzelberatungen war besonders wesentlich und hat im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu einer sehr fruchtbaren und guten Zusammenarbeit geführt.
— Beim Ausschuß gehört der Vorsitzende immer dazu.Die Gemeinden in der Bundesrepublik warten auf eine abgabenrechtliche Lösung zur Verhinderung spekulativer Bodenpreissteigerungen. Eine solche Regelung ist nicht nur notwendig für mehr Gerechtigkeit in diesem Lande. Die Abschöpfung der Bodenpreissteigerung ist auch notwendig, um den finanziell strapazierten Gemeinden — wie sie in den letzten Jahren unter diesen Entwicklungen gelitten haben, wissen Sie alle — die Finanzierung ihrer Gemeindebedarfseinrichtungen zu erleichtern. Die Verantwortung für den Fortfall des Planungswertausgleichs trägt die Bundesratsmehrheit, der es nicht gelungen ist, eine glaubhafte Alternative für die Abschöpfung von planungsbedingten Bodenerwerbssteigerungen vorzulegen.
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17378 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Dr. Schmitt-VockenhausenIch bin ganz sicher, daß wir uns mit dieser Novellierung des Bundesbaugesetzes bei den Bürgern bezüglich des Schutzes ihres Eigentums und bei den Gemeinden sehen lassen können.
Im 8. Deutschen Bundestag werden die offenen Fragen von uns erneut zur Behandlung gebracht werden. Der Gesetzgeber hat für Bürger und Gemeinden ein Werk geschaffen, auf das mit Recht große Hoffnungen im Hinblick auf Bürgerbeteiligung und kommunale Planung gesetzt werden. Die Novelle weist aber auch den Gemeinden gute Wege im Sinne des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975 in eine gute Zukunft, auch für die Erhaltung der baukulturellen Vergangenheit.Die SPD-Fraktion stimmt den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Fraktion der CDU/CSU habe ich die Ehre zu erklären:CDU und CSU haben am 11. März das Gesetz zur Änderung des Bundesbaugesetzes abgelehnt. Ihre Nein-Stimmen richteten sich gegen den abgabenrechtlichen Teil und gegen die unzulänglichen Bestimmungen über die Veräußerungspflicht der Gemeinden für die im Wege der Enteignung und der Ausübung des Vorkaufsrechts erworbenen Grundstücke.Die Vorschläge des Vermittlungsausschusses haben diese Einwendungen ausgeräumt. Erstens. Der Vermittlungsvorschlag enthält keinen abgabenrechtlichen Teil mehr. Zweitens. Die im Vermittlungsausschuß erzielte Einigung über die Privatisierungs-und Reprivatisierungsverpflichtungen der Gemeinden läßt nunmehr die sachliche und räumliche Erweiterung der gemeindlichen Vorkaufsrechte als vertretbar erscheinen.Die Unionsparteien mußten auf einer strengen und präzisen Fassung der gemeindlichen Veräußerungspflichten bestehen; denn Enteignung und Vorkaufsrecht sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit ihrem Gemeinwohlzweck untrennbar verknüpft. Eine fiskalische Motivierung dieser Rechtsinstitute wäre mit dem Grundrecht der Eigentumsfreiheit nicht zu vereinbaren.CDU und CSU haben durch das Bundesbaugesetz bekräftigt, daß sie die Sozialpflichtigkeit des Eigentums ernst nehmen, andererseits aber sind sie auch entschlossen, jedem Versuch entgegenzutreten, der offen oder versteckt darauf abzielt, die Eigentumsfreiheit, unsere privatrechtliche Eigentumsordnung in ihrem Wesensgehalt auszuhöhlen.
Für uns ist das Privateigentum ein Stück persönlicher Freiheit. Ohne freie Verfügungsmacht überdas Eigentum an Grund und Boden gäbe es keinefreie Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, ohne Eigentumsfreiheit keine persönliche Freiheit des einzelnen.
Aufgabe und Zweck des Bundesbaugesetzes bestehen unter anderem auch darin, Inhalt und Schranken des Eigentums an Grund und Boden zu bestimmen. Die jetzige Gesetzesfassung mag da und dort Schwächen aufweisen, Wünsche offenlassen, dem einen zu viel, dem anderen zu wenig bringen. Es ist in der Tat ein Kompromiß, dem die CDU/CSU-Fraktion nach gründlicher Prüfung ihre Zustimmung geben zu können glaubt.Von den ursprünglichen Regierungsentwürfen zur heutigen Gesetzesfassung war ein weiter, steiler und steiniger Weg zurückzulegen.
Elemente einer sozialistischen Eigentumsauffassung waren ebenso auszumerzen,
wie es sich als notwendig erwies, die Rechtsvorschriften den Bedingungen und Erkenntnissen der Praxis anzupassen. Daß uns dabei die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände sowie die Fachleute aus den Länderverwaltungen behilflich waren, soll hier noch einmal dankbar und anerkennend vermerkt werden.
Was die sozialistischen Elemente angeht, möchte ich nur einen Punkt konkret nennen, nämlich die normierte Ausschaltung der Baufreiheit in § 29 Abs. 1 Satz 1 des ursprünglichen Entwurfs. Das habe ich gemeint.
Das neue Bau- und Bodenrecht ist am Wohl der Allgemeinheit orientiert. Es wird rechtsstaatlichen Ansprüchen gerecht und kodifiziert im wesentlichen die Erkenntnisse, die im Laufe der letzten 16 Jahre in der kommunalen Praxis und der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit dem geltenden Bundesbaugesetz gewonnen werden konnten.Mitglieder meiner Fraktion haben zum Zustandekommen dieses Gesetzes prägende Beiträge geleistet; viele neue Bestimmungen beruhen in ihren wesentlichen Teilen auf Anträgen der CDU/CSU-Fraktion. Das gilt insbesondere für die Verknüpfung der Bauleitplanung mit der städtebaulichen Entwicklungsplanung, für die vorgezogene Bürgerbeteiligung und die Sozialplanung, die im Interesse aller Bürger erstmals in das allgemeine Bau- und Bodenrecht aufgenommen worden ist.Ein besonderes Anliegen meiner Fraktion waren die Vorschriften über die Erleichterung der Zulässigkeit des Bauens im Innen- und Außenbereich, die vor allem für die bauliche Entwicklung in den länd-
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Dr. Schneiderlichen Gebieten von weittragender Bedeutung sein werden.
Das neue Baurecht trägt unverkennbar gemeindefreundliche Züge. In dieser Hinsicht hat sich keine Fraktion von der anderen übertreffen lassen. Was der Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen hierzu gesagt hat, findet auch meine Zustimmung. Das neue Baurecht gibt den Gemeinden die rechtlichen Instrumente in die Hand, die sie in die Lage versetzen, Bauleitpläne zu beschließen und zu verwirklichen, die eine dem Wohl der Allgemeinheit entsprechende, sozial gerechte Bodennutzung gewährleisten und dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern.Das neue Bundesbaugesetz stellt die Fortentwicklung des Gesetzes dar, das heute vor genau 16 Jahren, am 20. Mai 1960, in zweiter und dritter Lesung die Zustimmung des Deutschen Bundestages gefunden hat. Es ist ein Gesetz für die Bürger, die von den Verantwortlichen in den Gemeinden kommunalpolitische Weitsicht, Mut und Klugheit verlangen, denen es unter anderem auch obliegt, die Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung durch geeignete Bauleitplanung vorzubereiten und zu fördern.
Die Klugheit der Verantwortlichen in unseren Rathäusern wird sich besonders dort zu bewähren haben, wo es gilt, die erheblich erweiterten gemeindlichen Eingriffsinstrumentarien anzuwenden. Das Gespräch mit dem Bürger, den Eigentümern und allen sonstigen rechtlich oder tatsächlich Betroffenen, muß jeder Anwendung oder auch nur Andeutung von Zwangsmitteln vorangehen. Wer vom Bürger im Interesse des Gemeinwohls Opfer verlangt, muß zuerst bereit sein, sein Vertrauen, seine bessere Einsicht und freiwillige Zustimmung zu gewinnen. Die sehr wenigen Enteignungsverfahren legen für die Einsicht und soziale Aufgeschlossenheit der Haus- und Grundeigentümer ein rühmliches Zeugnis ab. Sie bestätigen auch, daß ein grundsätzliches Mißtrauen gegen sie unberechtigt und im Interesse einer wachsenden bürgerschaftlichen Solidaritätsgemeinschaft höchst schädlich ist.Die Gemeinden dürfen beim Gesetzesvollzug nicht vergessen, daß auch das Bundesbaugesetz im großen Rechtszusammenhang verstanden und gehandhabt werden muß. Wir bejahen den städtebaulich orientierten Wohnungsbau und messen der menschenwürdigen Wohnung in einem geordneten und gesunden Wohnumfeld eine hohe soziale und vor allem familienpolitische Bedeutung bei.Das neue Bodenrecht grenzt das Planungsschadensrecht ein, es bringt Plangewährleistungsfristen, erweitert das gemeindliche Vorkaufsrecht rechtlich und räumlich und trennt das Enteignungs- vom Entschädigungsverfahren. Der verfahrensrechtliche Gestaltungsrahmen des Art. 14 ist zugunsten der Gemeinden weitestgehend in Anspruch genommen worden.Das Gesetz bedeutet jedoch nur dann einen Fortschritt, wenn es den Bürgern, dem einzelnen Menschen, den Familien, den Sportvereinen, den Denkmalschützern, den Mietern und Vermietern, den Bauwilligen zugute kommt, wenn es mehr Bürgerbeteiligung im Geiste der Gemeinwohlverantwortung auszulösen vermag und schließlich dazu beiträgt, daß die gebaute Umwelt humaner, sicherer und gesünder sein wird.Städtebau und Wohnungsbau werden auch in Zukunft ihren politischen Prioritätsrang nicht verlieren. Städtebau läßt sich nicht kodifizieren. Der Gesetzgeber kann tote Rechtsnormen beschließen; ihre Anwendung bedarf jedoch der schöpferischen Gestaltungskraft derjenigen, die planen und bauen. Daneben handelt es sich hier auch um einen ökonomischen Prozeß von grandiosen Ausmaßen. Die Rahmenbedingungen dafür schaffen nicht die Städtebau-, sondern die Wirtschafts- und Finanzpolitiker.CDU und CSU halten die erweiterten Einwirkungsmöglichkeiten der Gemeinden im Interesse einer geordneten städtebaulichen Entwicklung und Bodenmarktordnung für notwendig und haben sie im Verlauf der bisherigen Beratungen auch stets unterstützt.CDU und CSU gingen bei ihren Entscheidungen im Interesse einer Begrenzung der gemeindlichen Macht- und Einwirkungsbefugnis sowie einer breiten Eigentumsstreuung des Bodeneigentums stets davon aus, daß die erweiterten Vorkaufs- und Enteignungsrechte im Gegenzug strengen Privatisierungs- und Reprivatisierungsverpflichtungen unterliegen müssen. Daß die Ausübung der Vorkaufsrechte selbst an rechtsstaatlich nachprüfbare Kriterien und Tatbestandsvoraussetzungen zu binden ist und einer eindeutigen Zweckbindung unterliegen muß, ist ein selbstverständliches Gebot unserer rechtsstaatlichen Ordnung. Wir begrüßen die Einigung, die darüber im Vermittlungsausschuß erzielt werden konnte.So erfreulich es ist, daß sich nunmehr der Vermittlungsausschuß hinsichtlich der Rechtsform der der Privatisierung unterliegenden Grundstücke darauf geeinigt hat, daß grundsätzlich den Wünschen der Privatisierungsberechtigten mit der Maßgabe Rechnung zu tragen ist, daß der Übertragung vollen Eigentumsrechts ein eindeutiger Vorrang gegenüber eigentumsgleichen Rechten zukommt, so bedauerlich ist es, daß es erst der Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat bedurfte, um diese nach unserem Verfassungsverständnis nur folgerichtige Regelung zu erreichen.
Bei realistischer Haltung der Koalition hätte diese Einigung bereits im Bundestag am 11. März 1976 möglich sein müssen.
Diese Feststellung gilt nicht weniger hinsichtlich des zweiten und eigentlichen Streitpunktes der vorliegenden Baugesetznovelle, nämlich der Ausgleichsbetragsregelung. Die Vermutung liegt nahe, daß das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats
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Dr. Schneiderbeim Bundesminister der Finanzen über Probleme und Lösungsmöglichkeiten einer Bodenwertzuwachsbesteuerung die Bundesregierung und die Koalition zu einem Neuüberdenken ihrer Vorstellungen über die Ausgleichsbetragsregelung der Baugesetznovelle bewogen hat. Das Urteil des Gutachtens über den sogenannten Planungswertausgleich, dessen Verfasser sicher nicht in dem Verdacht einer parteipolitischen Einseitigkeit stehen, ist eindeutiger und vernichtender, als es je von der CDU/CSU oder sonst bisher in der Öffentlichkeit formuliert wurde. Ich kann es mir daher ersparen, noch einmal meine Einwendungen vom 11. März 1976 von dieser Stelle aus zu wiederholen und darf statt dessen auf die Ergebnisse dieses Gutachtens verweisen.Der Beirat fordert, daß auch die Ausgleichsabgabe bestimmten steuertechnischen Prinzipien genügt, z. B. den abgabepflichtigen Tatbestand eindeutig bestimmt und den vor allem bei Bewertungen unumgänglichen Ermessensspielraum in möglichst engen Grenzen hält.
Der Beirat meldet aber bereits zu diesem Punkt ernsthafte Bedenken an und kommt zu der Auffassung, daß die Bewertungsprobleme, insbesondere zur Bestimmung der Eingangswerte, nicht gelöst sind. Er sagt hierzu das Gleiche, was wir alle und insbesondere ich immer dazu behauptet haben. Er stellt dazu fest — ich zitiere wörtlich —:Geht es doch dabei nicht nur um die an sich schon schwierige Aufgabe der Ermittlung von Verkehrswerten tatsächlich nicht gehandelter Grundstücke, sondern auch noch darum, diese Verkehrswerte für einen hypothetischen Fall — nämlich das Fehlen der Planänderungen bzw. entsprechender Absichten — zu berechnen. Mit dieser Aufgabe dürfte die zuständige Verwaltung schlechterdings überfordert sein.Der Beirat äußert weiter Zweifel, daß die Gutachterausschüsse in der Lage sind, eine sorgfältige Einzelbewertung durchzuführen. Er hält die Bewertungsprobleme selbst für den Fall nicht gelöst, daß sich die Anfangs- und Endwerte korrekt bestimmen ließen, da sich nach seiner Ansicht nicht die planungsbedingten Wertsteigerungen von den sonstigen Wertsteigerungen trennen ließen. Schließlich zweifelt der Beirat überhaupt daran, daß sich mit der Ausgleichsabgabe die damit verfolgten bodenpolitischen Wirkungen zur Eindämmung der spekulativen Bodenpreisentwicklung erzielen ließen, und er widerspricht vor allem dem Argument der Befürworter der Ausgleichsbetragsregelung, sie sei aus Gründen der Symmetrie und Gerechtigkeit die zwangsläufige Konsequenz aus der Entschädigung von Planungsverlusten.Das Gutachten des Beirates wurde im Dezember 1975 abgeschlossen. Nach einer Presseverlautbarung des Bundesministers der Finanzen vom 18. März 1976 soll es am 10. März 1976 überreicht worden sein. Die Bundesregierung hat es bisher nicht für nötig erachtet, die Ergebnisse des ihr sicher seit längerem bekannten Gutachtens den Fraktionen zur Verfügung zu stellen.
Trotz wiederholter Anforderung hat die Bundesregierung bisher dem federführenden Ausschuß für Bodenrecht noch nicht offiziell ein Exemplar des Gutachtens zur Verfügung gestellt.
Das ist von unserer Fraktion her ausdrücklich zu kritisieren.Die CDU/CSU sieht sich in ihrer konsequent ablehnenden Haltung zur Ausgleichsbetragsregelung nach den Vorstellungen der Bundesregierung durch das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats in glänzender Weise bestätigt und begrüßt es daher ausdrücklich, daß die Koalition nunmehr auf Grund des Ermittlungsergebnisses ersatzlos auf den abgabenrechtlichen Teil der Baugesetznovelle verzichtet. Die CDU/CSU hat ihre grundsätzliche Auffassung zu diesem ernsten Problem nicht zu korrigieren. Soweit im Rahmen der gemeindlichen Bauleitplanung oder im Zuge der Neuordnung und Entwicklung gemeindlicher Gebiete Bodenwertsteigerungen auftreten, kann deren Ermittlung und abgabenrechtliche Behandlung nur im Rahmen unserer steuerlichen Gesetzgebung geregelt werden. Alle bisherigen Modelle, Lösungsversuche, Expertisen und sonstigen wohlgemeinten Empfehlungen erwiesen sich am Ende als nicht praktikabel.
Die Unionsparteien haben das Scheitern einer abgabenrechtlichen Lösung nicht zu vertreten.
Hier muß ich Ihnen, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, widersprechen. Die Verantwortung dafür ist ausschließlich der Bundesregierung anzulasten,
denn sie hat es seit Jahren unterlassen, das Bewertungsgesetz den rechtlichen und den tatsächlichen Erfordernissen anzupassen. Niemand bestreitet nämlich, daß die Bewertungsfrage nur mittels eines neuen Bewertungsrechts zu beantworten sein wird.
Nur auf der Grundlage einwandfreier, rechtsstaatlichen Ansprüchen genügender Bemessungsgrundlagen kann das überaus komplizierte Problem der Bodenbesteuerung zweckmäßig und gerecht gelöst werden. Überschneidungen, Doppelbelastungen, Hemmnisse gegen eine breitgestreute Eigentums-und Vermögensbildung sind auszuräumen und zu vermeiden.Daß sich Koalition und Bundesregierung für unseren Vorschlag, die Spekulationsfrist in § 23 des Einkommensteuergesetzes von zwei auf acht Jahre zu verlängern, nicht erwärmen konnten, ist bezeichnend für die Unentschlossenheit und Widersprüchlichkeit, mit der im Regierungslager Reformpolitik betrieben wird.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17381
Dr. SchneiderDer Deutsche Städtetag stellt in einer Erklärung fest, daß ohne den abgabenrechtlichen Teil wesentliche Abschnitte des Gesetzes nicht mehr tragbar wären. In dem Aufkommen aus den Ausgleichsbeträgen sah der Städtetag eine Art Vorteilsausgleich für die zusätzlichen gemeindlichen Leistungen und Ausgaben beim Vollzug der neuen Bestimmungen im Bundesbaugesetz. Dagegen ist einzuwenden:Erstens. Der Ausgleichsbetrag wurde während der Beratungen niemals als Instrument zur Verbesserung der gemeindlichen Finanzlage gefordert oder gewertet.Zweitens. Selbst wenn der von der Koalition beschlossene abgabenrechtliche Teil in Kraft träte, brächte er wegen des gleichzeitig entstehenden Verwaltungs- und Organisationsaufwandes keine nennenswerten Beträge.Drittens — und das ist ganz wesentlich —: Der Regierungsentwurf sah den Stichtag 1. Februar 1976 vor; bis zu. diesem Termin eingetretene Bodenwertsteigerungen sollten bei der Bemessung der Ausgleichsbetragsleistungen außer Ansatz bleiben. Mindestens bis zum Jahre 1984/85 hätten die Gemeinden in Ansehung des großen Umfanges rechtlich qualifizierten Baulandes und Bauerwartungslandes keinen Zufluß an Ausgleichsbeträgen zu erwarten gehabt. Die Gemeinden erleiden also aus dem Wegfall des abgabenrechtlichen Teils keine Einnahmeverluste.Der Vermittlungsausschuß empfiehlt eine Regelung, die es den Gemeinden ermöglicht, den Kaufpreis für die im Wege des Vorkaufsrechts erworbenen Grundstücke auf der Basis des Verkehrswertes zu bemessen. Sofern das Grundstück auch enteignet werden könnte, soll der Kaufpreis auf der Basis der Enteignungsentschädigung berechnet werden. Dem Verkäufer wird für diesen Fall ein Rücktrittsrecht eingeräumt, das jedoch dann entfällt, wenn das Grundstück enteignet werden könnte.CDU und CSU haben bereits bei der Regelung der Enteignungsentschädigung bewiesen, daß sie bereit sind, den Gemeinden ein Instrument an die Hand zu geben, das es ihnen ermöglicht, in marktkonformer Weise auf die Bodenpreisgestaltung Einfluß zu nehmen und Spekulationsgewinne auszuschließen. Die CDU/CSU-Fraktion wird sich einer entsprechenden Regelung auch für das für die gemeindliche Bodenpolitik gegenüber dem Enteignungsrecht ungleich bedeutungsvollere Vorkaufsrecht nicht widersetzen. Ob die daran geknüpften Erwartungen eintreffen werden, mag die Erfahrung bestätigen. Unsere Zustimmung beruht auch auf der Annahme, daß das Vorkaufsrecht auf Verkehrswertbasis den freien Grundstücksmarkt in seiner marktwirtschaftlichen Funktion unberührt läßt.Schließlich begrüßen CDU und CSU die weiteren Empfehlungen des Vermittlungsausschusses, unter anderem zur Entwicklungsplanung, Bürgerbeteiligung und Sozialplanung, um nur einige zu erwähnen, die zwar für die politische Bewertung und Entscheidung von geringer Bedeutung sind, dafür aber um so wichtiger für das Funktionieren und Greifen der neuen baurechtlichen Bestimmungen in der Praxis.Meine Damen und Herren, wir sind der Überzeugung, daß damit die Voraussetzungen für eine geordnete und gesicherte Entwicklung unserer Städte und Gemeinden nicht erst geschaffen werden — wie es von Koalitionsseite zu Beginn der Bodenrechtsreformdiskussion immer wieder behauptet wurde -, sondern fortentwickelt und verbessert werden. Insoweit ist es nicht berechtigt, von einem Reformgesetz zu sprechen; denn wir haben nicht alte Formen wiederhergestellt, sondern auf der Grundlage alten Rechts und früherer Erfahrungen neues Recht geschaffen.
Wir sind uns bewußt, daß wir mit diesem Gesetz eine Gesamtnovellierung des Bau- und Bodenrechts noch nicht erreicht haben. Das Änderungsgesetz bezieht das Erschließungsbeitragsrecht und das Umlegungsrecht nicht mit ein. Diese und andere Rechtsbereiche werden den nächsten Bundestag zu beschäftigen haben.Andererseits kann nicht verkannt werden, daß die jahrelange Bodenrechtsdiskussion viel Unruhe gestiftet und nicht unerheblich zu einer allgemeinen Verunsicherung in der Bevölkerung beigetragen hat. Ich glaube kaum, daß unser jetzt geschaffenes Bau-und Bodenrecht in überschaubarer Zeit einer weiteren Inhalts- und Schrankenbestimmung bedarf.
Die Bodenrechtsdiskussion in unserem Lande muß nach der Verabschiedung dieses Gesetzes am heutigen Tage zur Ruhe kommen.
— Verehrter Herr Kollege Waltemathe, jetzt hören Sie persönlich einmal ganz gut zu!Insbesondere aber halte ich weitergehende Eingriffe in unsere privatrechtliche Eigentumsordnung für mit den Grundprinzipien unserer in der Verfassungswirklichkeit gewonnenen Staats- und Gesellschaftsordnung nicht vereinbar.Die Novelle zum Bundesbaugesetz hat ihren rechtlichen und politischen Eigenwert. Sie darf nicht als Stufe zu einer Bodenreform verstanden oder mißbraucht werden, die das Grundrecht der Eigentumsfreiheit nach Art. 14 des Grundgesetzes in seiner Substanz gefährden oder gar vernichten würde.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Böger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der abgaberechtliche Teil des Bundesbaugesetzes hat im Vermittlungsausschuß keine allseits befriedigende Lösung gefunden. Die Vorstellung des vom Bundestag beschlossenen Gesetzes über eine ausgewogene Abschöpfung planungsbedingter Bodenwertsteigerun-
17382 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Dr. Böger
gen mittels eines an die Gemeinde zu zahlenden Ausgleichsbetrages fand nicht die Zustimmung der Bundesratsmehrheit, die ihrerseits einer steuerrechtlichen Lösung den Vorzug geben wollte. Nun hatte auch die FDP ursprünglich eine steuerrechtliche Lösung dieser Abschöpfung planungsbedingter Wertsteigerung ins Auge gefaßt, die allerdings ganz anders konstruiert war als das, was der Bundesrat vorsah und dem von den Koalitionsparteien nicht zugestimmt werden konnte. Das Problem der Abschöpfung von Bodenwertsteigerungen eines Grundstücks, die durch Investitionen der Gemeinde, d. h. auf Kosten der Allgemeinheit, entstehen, bleibt weiter vorhanden und wird sicher den Bundestag in seiner nächsten Legislaturperiode beschäftigen. Die FDP, die dieses Problem sehr ernst nimmt, wird ihre Vorstellungen einer steuerrechtlichen Lösung dann wiederum, eingehend begründet, zur Diskussion stellen.
Aber auch ohne eine abgabenrechtliche Lösung bedeutet das Gesetz nach unserer Ansicht einen erfreulichen, allerdings auch dringend notwendigen Fortschritt für unser Bau- und Bodenrecht. Der planungsrechtliche Teil der Novelle zum Bundesbaugesetz, der nun in Kraft treten wird, bringt nämlich Regelungen, die für die weitere Entwicklung unserer Städte und Gemeinden von wesentlicher Bedeutung sind.
Ohne auf Einzelheiten einzugehen, die bei der dritten Lesung des Gesetzes von allen Seiten ausführlich beleuchtet worden sind, stelle ich aus der Sicht meiner Fraktion mit Genugtuung fest, daß die Gemeinden durch das neue Gesetz nicht nur die erforderlichen Handhaben bekommen, um planen zu können, sondern durch die sogenannte Verwirklichungsgebote in die Lage versetzt werden, ihre Planungen im Interesse der Gesamtheit der Bürger auch in die Tat umzusetzen. Durch die Ausweitung des Vorkaufsrechts wird den Gemeinden eine vorausschauende Bodenpolitik ermöglicht. Dabei sind andererseits genügend Sicherheiten eingebaut, um zu verhindern, daß die Gemeinden, auch wenn sie wieder mehr Geld haben sollten als zur Zeit, sagen wir mal, übermütig werden und zu Lasten der privaten Eigentümer nun in ausgedehntem Umfang Grund und Boden horten.
Ein von der FDP besonders erwünschtes Ziel ist im neuen Gesetz dadurch erreicht, daß die Bürger stärker und frühzeitiger als bisher an der Planaufstellung ihrer Gemeinde beteiligt werden. Auch die Vorschriften über die sozialen Maßnahmen, die getroffen werden müssen, wenn durch die Verwirklichung der Planung Härten auftreten, ist ein erfreulicher Fortschritt gegenüber dem bisherigen Rechtszustand.
Die Trennung des Enteignungsverfahrens in ein Verfahren über den Grund der Enteignung und ein Verfahren über die Höhe der Entschädigung wird die jetzt oft bedauerlich langen Enteignungsverfahren erheblich beschleunigen.
Es ist bekannt, meine Damen und Herren, daß wir Freien Demokraten gegen das preislimitierte Vorkaufsrecht Bedenken hatten. In diesem schwierigen Punkt konnten schon bei der endgültigen Fassung des Gesetzes und zuletzt auch auf Grund der Beratungen im Vermittlungsausschuß sachliche und rechtliche Klarstellungen gefunden werden, die uns wesentlich erscheinen. Ich erwähne nur die Angabe des Verwendungszwecks bei Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Gemeinde, die Beachtung des Wohls der Allgemeinheit, d. h. praktisch die Bindung an die Enteignungsvoraussetzungen, die Preislimitierung auf der Basis des Verkehrswerts, schließlich das Rücktrittsrecht und die Reprivatisierung. Letztere war allerdings unseres Erachtens bereits in dem Entwurf, der der dritten Lesung zugrunde lag, zufriedenstellend im Sinne der Beachtung des Eigentumsgedankens geregelt worden. Wir halten die jetzt erfolgte Regelung für vertretbar, und zwar schon deshalb, weil sie das Entstehen von spekulativen Grundstückspreisen zu verhindern vermag und damit zu einer Preisdämpfung beitragen wird.
Wir sind davon überzeugt, daß sich das Bundesbaugesetz in seiner neuen Gestalt für Bürger und Gemeinden günstig auswirken wird. Die FDP stimmt daher dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zum Bundesbaugesetz zu.
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Kollege Niegel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich mache es sehr kurz. Ich möchte nur sagen, daß ich auch diesem Kompromiß aus ordnungspolitischen Gründen meine Zustimmung nicht geben kann, da trotz allem ein preislimitiertes Vorkaufsrecht eingeführt wurde und in ihm noch die nahezu grenzenlose Ausdehnung des Vorkaufsrechts sowie ein nahtlos ineinander greifender Gebotskatalog enthalten ist. Alle Bedenken, die gegen die Einführung eines Planungswertausgleiches sprechen, sprechen auch gegen ein preislimitiertes Vorkaufsrecht.
Im einzelnen verweise ich auf meine schriftliche Begründung, die ich als persönliche Erklärung zu Protokoll geben möchte.)
Meine Damen und Herren, wird des weiteren das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen damit zur Abstimmung. Über den Antrag des Vermittlungsausschusses muß gemeinsam abgestimmt werden. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit ohne Enthaltungen angenommen.Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des Entwurfs einesGesetzes über Abgaben für das Einleiten vonAnlage 2
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Vizepräsident Dr. JaegerAbwasser in Gewässer
— Drucksachen 7/2272, aus 7/1088 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/5161 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Riedl
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksachen 7/5088, 7/5183 —Berichterstatter:Abgeordneter BiecheleAbgeordneter KonradAbgeordneter Wolfgramm
Ich danke den Berichterstattern — für den Haushaltsausschuß dem Abgeordneten Dr. Riedl , für den Innenausschuß den Abgeordneten Biechele, Konrad und Wolfgramm (Göttingen) — für ihre Berichte.Ich rufe in zweiter Beratung §§ 1 bis 18, Einleitung und Überschrift sowie den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/5238 auf. Gehe ich richtig davon aus, daß Sie zuerst eine allgemeine Aussprache wünschen?
— Das ist der allgemeine Wunsch.
Dann eröffne ich in zweiter Lesung die allgemeine Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Konrad.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf des heute zur Beratung anstehenden Gesetzes über Abgaben für das Einleiten von Abwasser in Gewässer trägt deutlich die Spuren vieler und tiefgreifender Kompromisse. Aus dem von der Bundesregierung eingebrachten besonderen Entwurf eines Abwasserabgabengesetzes und aus einer Reihe von Paragraphen des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes hat der Innenausschuß auf Grund der Empfehlungen seiner Arbeitsgruppe „Wassergesetze" einen in vielfacher Hinsicht neuen Entwurf erarbeitet. Die Grundzüge, also der Abgabetatbestand, die Bewertungsgrundlage, ausgehend von der Schädlichkeit des Abwassers, und die Zweckbindung des Abgabeaufkommens für Maßnahmen zur Erhaltung oder Verbesserung der Gewässergüte, die sich schon im Regierungsentwurf finden, sind aber beibehalten worden.Das Abwasserabgabengesetz ist von Anbeginn in der Öffentlichkeit mit kritischen, teilweise sogar mit ausfallenden Äußerungen begleitet worden. Schon am 10. Oktober 1973 überschrieb die im Umweltschutz besonders engagierte „Süddeutsche Zeitung", deren Sachkunde anzuerkennen ist, eine besorgte Betrachtung mit den Worten „Verhinderungskoalition gegen Umweltschutzgesetze" . Heute sind noch deutlicher abwertende Kommentare zu lesen. Ich beschränke mich darauf, die „Zeitung für kommunale Wirtschaft" zu zitieren, die mit dem Willen, einen Scherz zu machen und dennoch im Bilde zu bleiben, die Überschrift „Gewässerschutz geht baden" beisteuert.Die Objektivität gebietet allerdings, anzumerken, daß der Inhalt der vielen und im allgemeinen kritischen Stellungnahmen der Öffentlichkeit ausgewogener ist, als die Überschriften vermuten lassen. Ich muß aber schon hier und ganz allgemein darauf hinweisen, daß dem Inhalt und den Auswirkungen des Abwasserabgabengesetzes bei den jetzt im Vordergrund stehenden Äußerungen nicht immer Gerechtigkeit widerfährt.Bei der noch nicht lange zurückliegenden Verabschiedung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes ist schon darauf verwiesen worden, daß das sogenannte klassische Instrumentarium der Wassergütewirtschaft dringend der Ergänzung durch eine Abwasserabgabe bedarf. Ohne eine solche müßten die Erlaubnisse zum Einleiten wesentlich strenger und damit ebenfalls kostensteigernder gefaßt werden, als es bei einer Kombination zwischen einer Erlaubnis unter Berücksichtigung der neuen Vorschrift des § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes und einer Abwasserabgabe der Fall ist. Es besteht im Grunde genommen auch gar kein Streit darüber, daß sich die Abwasserabgabe marktkonform finanzieller Anreize bedient und nur wenig in einzelwirtschaftliche und innerbetriebliche Prozesse eingreift. Sie setzt Rahmenbedingungen und überläßt es dem Einleiter, wie er die Schädlichkeit des Abwassers vermindert, um der Abgabe in möglichst großem Umfang zu entgehen.Es ist hier nicht der Ort und die Stunde, um im einzelnen auf die Gutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen einzugehen und sich mit ihnen und den Ergebnissen der Anhörungen, die sowohl der Innenausschuß im Jahre 1971 als auch das Bundesinnenministerium im Herbst 1973 durchgeführt haben, zu beschäftigen. Es ist nichts unbeachtet geblieben, was die Sachverständigen und die Verbände der von einer Abwasserabgabe betroffenen kommunalen und industriellen Unternehmungen vorgebracht haben. Doch mußte bei der Beratung nicht nur auf das Interesse der Bürger unseres Landes an sauberem Wasser und auf das Kosteninteresse der Betroffenen, sondern besonders auf die gegenwärtige wirtschaftliche Lage und die konjunkturellen Aussichten Bedacht genommen werden.Eine der ins Auge fallenden Veränderungen des vorliegenden Entwurfs gegenüber den früheren Entwürfen betrifft den Zeitpunkt, in dem die Abgabe zum erstenmal erhoben wird. Wenn es das Jahr 1981 ist, so ist dieser auf den ersten Blick späte Termin darauf zurückzuführen, daß die Abwasserabgabe nunmehr grundsätzlich an den Erlaubnisbescheid anknüpft. Die Bundesländer müssen nicht nur ihre Wassergesetze dem neuen Wasserhaushaltsgesetz und dem Abwasserabgabengesetz anpassen, sondern auch durch die Wasserbehörden die Um-
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Konradstellungen der Erlaubnisbescheide und soweit möglich auch der Bewilligung vornehmen.Der neue § 4 des Entwurfs wiederum entspringt der Einsicht, daß der Verwaltungsaufwand bei den Ländern nur dann geringer gehalten werden kann, als ursprünglich zu erwarten war, wenn sich die Höhe der Abwasserabgabe in erster Linie nach dem Bescheid und nicht nach Messungen bestimmt.Daß aber 1981 entgegen früheren Vorstellungen die Abwasserabgabe mit 12 DM einsetzt und erst 1986 die Höhe von 40 DM je Schadeinheit erreicht, entspricht zwar Anregungen aus der Wirtschaft, ist aber keineswegs von vornherein — jetzt muß auch ich mich einmal eines Bildes bedienen — ein Schlag ins Wasser. Wiederum unter Verzicht auf Zahlenbeispiele beschränke ich mich auf die Feststellung, daß es Industriezweige gibt, bei denen wirksame Verminderungen der Schädlichkeit des Abwassers kostenmäßig pro Schadeinheit günstiger liegen als der erste Abgabesatz von 12 DM im Jahre 1981. Die Schere zwischen den Vermeidungskosten und der Abwasserabgabe öffnet sich in jedem darauffolgenden Jahr weiter.Dem Ihnen vorliegenden Bericht ist jedoch zu entnehmen, was ich nicht verschweigen will, daß im kommunalen Bereich die Reinigungskosten nur bei großen Anlagen niedriger sein werden als die Abwasserabgabe. Gerade im kommunalen Bereich müssen aber die Möglichkeiten im Auge behalten werden, die sich wenigstens vorläufig noch aus den Finanzierungshilfen des ERP-Programms und der Gemeinschaftsaufgaben ergeben.Ich möchte mich, da sich der vorliegende Bericht über die Einzelheiten der Abgabevorschriften ausführlich äußert, auf diese wenigen grundsätzlichen Bemerkungen beschränken. Nur ein Wort möchte ich noch an die Adresse der Länder richten. Das Abwasserabgabengesetz ist ein Rahmengesetz. Ich unterlasse jede Klage darüber, daß es nicht zur Grundgesetzänderung und damit zu größerer Einheitlichkeit nach innen und zu einer wirkungsvolleren Vertretung der Ansichten der Bundesrepublik Deutschland nach außen gekommen ist. Die Länder haben es aber demgemäß jetzt in der Hand, den vorgegebenen Rahmen auszufüllen und insbesondere den Wünschen der großen Abwasserverbände bei der Verwendung der Abwasserabgabe Rechnung zu tragen. Einmal mehr verabschieden wir heute ein Gesetz, das Zeugnis ablegt von den gemeinsamen Bemühungen im Hause und von den gemeinsamen Bemühungen des Bundes und der Länder im Umweltschutz. Es kommt nun darauf an, daß der Vollzug den Bemühungen im Gesetzgebungsverfahren nicht nachsteht.Damit bin ich bei der angenehmen Aufgabe angekommen, Dank zu sagen. Es ist mehr als eine Geste der Höflichkeit, wenn ich zuerst die Vertreter der Bundesländer und der „Länderarbeitsgemeinschaft Wasser" nenne. Wir in der Arbeitsgruppe „Wassergesetze" waren auf ihre sachkundige Mitarbeit schon deshalb sehr angewiesen, weil der Bundesrat selbst als Gesetzgebungsorgan keinen oder einen nur wenig hilfreichen Beitrag zum Abwasserabgabengesetz geleistet hatte. Der Dank erstreckt sich selbstverständlich auf die Bundesregierung und in besonders herzlicher Form auf die Damen und Herren der zuständigen Abteilung im Hause des Innenministers. Sie haben zuverlässig mit den Kollegen aus anderen Ministerien Zweifelsfragen geklärt und in einer Art Fließbandarbeit Formulierungshilfen gefertigt, gelegentlich sogar in solchem Umfang angedient, daß die Mitwirkung und Mitverantwortung der Bundesregierung für unser Werk nie in Zweifel geraten konnte. Dann sollen auch die Mitarbeiter unseres Ausschusses, denen soviel abgefordert wurde, und mein Freund Otto Wittmann, der vielgeplagte Vorsitzende der Arbeitsgruppe, nicht vergessen werden.Das Abwasserabgabengesetz stellt einen vorläufigen Abschluß im Recht der Wasserwirtschaft dar. Da mag es erlaubt und gerechtfertigt sein, an einen Beschluß des Bundesrates aus seiner Sitzung vom 25. April 1952 zu erinnern. Er lautet:Die Bundesregierung wird ersucht, von ihrem Recht zum Erlaß von Rahmenbestimmungen auf dem Gebiet des Wasserhaushaltes gemäß Art. 75 Nr. 4 GG baldmöglichst Gebrauch zu machen.Aus der Begründung dieses Beschlusses ist der letzte Satz interessant:Der Begriff „Rahmenvorschriften" soll so weitgehend wie verfassungsrechtlich irgend möglich gedeutet werden.An diese Richtschnur haben wir uns bei der Beratung des Wasserhaushaltsgesetzes und des Abwasserabgabengesetzes gehalten, ohne die spätere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember 1954 aus den Augen zu verlieren.Es hat fast 25 Jahre gedauert, bis dem im Jahre 1952 allgemeinen Verlangen nach einer möglichst bundeseinheitlichen Gesetzgebung für den Wasserhaushalt voll entsprochen werden konnte. Nunmehr werden die Bürger der Bundesrepublik mit berechtigten Erwartungen darauf achten, wie sich die beiden Gesetze dieses Jahres auf den Wasserhaushalt in der Bundesrepublik auswirken werden.Die sozialliberale Koalition hat ihren Beitrag geleistet und steht dazu. Die SPD-Fraktion wird dem Gesetz zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Biechele.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren!Das menschliche Leben in nahezu allen Einzelfunktionen setzt voraus, daß Wasser in der erforderlichen Menge und Güte zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung steht. Dabei steigt mit dem Lebensstandard, d. h. durch vielfältigere und extensivere Wassernutzung, der Bedarf der Bevölkerung ständig. Für den Zeitraum 1950 bis 2000 ist mit einem jährlichen Zuwachs von 1,5 bis 2 % zu rechnen. Obwohl
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Biechelediese Rate hinter anderen Steigerungssätzen, z. B. im Energie- oder im Abfallbereich zurückbleibt, erfordert doch die naturgegebene Begrenzung des Wasserdargebots, insbesondere des für Versorgungszwecke bevorzugt geeigneten Grundwassers, einen verstärkten Rückgriff auf die vorrangig durch Abwassereinleitungen stark belasteten Oberflächengewässer. So wird aus dem Mengenproblem der Versorgung ein Güteproblem der Gewässer.Diese Ausführungen lesen wir zur Einführung des Kapitels „Wasser" im „Umweltgutachten 1974", das der „Rat von Sachverständigen für Umweltfragen" dem Bundesminister des Innern vorgelegt hat. Mit der Drucksache 7/2802 vom 14. November 1974 wurde der Deutsche Bundestag über dieses erste wichtige Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen unterrichtet.Wir haben bei den Beratungen wichtiger, die Reinhaltung der Gewässer betreffender Gesetze stets Gelegenheit gehabt, auf die Bedeutung und die Notwendigkeit des Gewässerschutzes hinzuweisen und nachdrücklich zu betonen, daß der Gewässerschutz heute das Hauptproblem der Wasserwirtschaft ist. Das tun die Sachverständigen in dem eben genannten Gutachten mit besonderer Eindringlichkeit. Wir wissen, daß in der Zeit des Wirtschaftswachstums seit dem zweiten Weltkrieg ein erheblicher Rückstand gegenüber den progressiv wachsenden Reinhalteanforderungen entstand.Mit dem Waschmittelgesetz und vor allem mit der Vierten Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz haben wir die gesetzlichen Grundlagen des Gewässerschutzes erheblich verbessern können. Mit dem Abwasserabgabengesetz, das wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten und verabschieden, soll, davon gehen wir aus, eine wirksamere Reinhaltung der Gewässer erreicht werden. Dabei erwarten wir, daß die teilweise erheblichen Kosten zur Vermeidung, zur Beseitigung und zum Ausgleich von Gewässerbelastungen gerechter verteilt werden.Für die Fraktion der CDU/CSU nehme ich zu den uns vorliegenden Beratungsunterlagen und -ergebnissen wie folgt Stellung:Die Fraktion der CDU/CSU hat ihr Konzept einer Gewässerbenutzungsabgabe, das die Abwasserabgabe als Reinhalteabgabe mitenthielt, schon in ihrem Entwurf einer Vierten Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz vom 16. September 1973 in den §§ 37 a bis 37 g — Drucksache 7/1088 — vorgelegt. Die Bundesregierung folgte mit ihrem Entwurf eines Abwasserabgabengesetzes vom 18. Juni 1974 auf Drucksache 7/2272.Wir hatten es hier mit einer schwierigen Materie zu tun. Wir mußten Neuland betreten. Auch die Bundesregierung konnte mit ihrem Entwurf — darauf wies ich in der ersten Beratung in der 122. Sitzung des Deutschen Bundestages am 10. Oktober 1974 hin — diese Schwierigkeiten nicht meistern. Aus unserer Sicht ergaben sich ungelöste Probleme von zentraler Bedeutung, die folgende, von der Bundesregierung nicht oder nur unzureichend beantwortete Fragestellungen geradezu provozieren:Erstens. Wie sind die Auswirkungen der Abgabe und der jeweiligen Abgabenhöhe auf die deutsche Wirtschaft und für deren Wettbewerbsfähigkeit im nationalen und vor allem im internationalen Bereich zu beurteilen? Zweitens. Sind die Bestimmungen des Gesetzentwurfs EG-konform? Drittens. Wie hoch sind die mit der Erhebung der Abgabe verbundenen Personal- und Sachkosten? Werden Sie nicht das Aufkommen der Abwasserabgabe in unverhältnismäßiger Weise aufzehren?Die uns vorliegenden Beschlüsse des Innenausschusses, die praktisch ein weitgehend neu gefaßter Entwurf sind, enthalten neben Elementen des Regierungsentwurfs der Fraktion der CDU/CSU wesentliche Modifikationen und Neuerungen. Beibehalten wurden insbesondere folgende Grundelemente des Regierungsentwurfs und des Entwurfs der Fraktion der CDU/CSU:Erstens der Abgabetatbestand, zweitens die Bewertungsgrundlage, ausgehend von der Schädlichkeit des Abwassers, und drittens die Zweckbindung des Abgabenaufkommens für Maßnahmen zur Erhaltung oder Verbesserung der Gewässergüte.Die Beschlüsse des Innenausschusses enthalten sachlich notwendige und teilweise neue Regelungen. Ich verweise in Kürze auf die wichtigsten Regelungen.Erstens. Die Abwassereinleiter — das sind in erster Linie Gemeinden und Industrie — zahlen von 1981 an eine Abwasserabgabe, die sich im Grundsatz nach der Schädlichkeit des in die Gewässer eingeleiteten Abwassers richtet.Zweitens. Die Schädlichkeit wird unter Zugrundelegung der Abwassermenge, der absetzbaren Stoffe, der oxydierbaren Stoffe sowie der Giftigkeit des Abwassers in Schadeinheiten bestimmt. Eine Schadeinheit entspricht etwa dem ungereinigten Abwasser eines Einwohners, bezogen auf ein Jahr.Drittens. Besonders positiv zu beurteilen ist, daß die Bewertung der Abgabenhöhe nach der Schmutzfracht erfolgt.Viertens. Auf Vorschlag der Bundesregierung ist vorgesehen, daß die Abgabepflicht am 1. Januar 1981 mit einem Abgabesatz von je 12 DM für jede Schadeinheit beginnt. Er steigt stufenweise bis 1986 auf 40 DM je Schadeinheit an. Durch das spätere Einsetzen der Abwasserabgabe und der vorgesehenen Staffelung in Verbindung mit der Härteregelung nach § 9 Abs. 6 wird es den stärker belasteten Branchen der Wirtschaft grundsätzlich möglich sein, sich auf die Abgabe einzustellen. Wir gehen davon aus, daß mit diesen Regelungen die Existenzgefährdung von Betrieben und damit verbunden die Gefährdung von Arbeitsplätzen weitgehend vermieden werden.Fünftens. Die Werte für die Berechnung der Schadeinheiten sollen in der Regel dem die Einleitung zulassenden wasserrechtlichen Bescheid entnommen werden. Die Einhaltung des Bescheides muß überwacht werden. Dadurch werden eine engere Verknüpfung der Abgabe mit dem allgemeinen
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Biechelewasserrechtlichen Vollzug und eine erhebliche Verminderung des Verwaltungsaufwandes erreicht.Sechstens. Die durch die Gewässerverschmutzung entstehenden Schäden müssen jetzt vom Einleiter mitgetragen werden. Insoweit wurde ein unerträglicher Sachverhalt — daß man Abwasser in Gewässer einleiten kann, ohne zu deren Sanierung beizutragen — beseitigt und dem Verursacherprinzip Geltung verschafft.Siebtens. Die sachlich gebotenen Regelungen im Sinne der Zweckbestimmung dieses Gesetzes konnten mit den Möglichkeiten der Rahmenkompetenz erreicht werden. Um Legendenbildungen vorzubeugen, stelle ich fest, daß Kompetenzfragen, also die Frage der Übertragung der Vollkompetenz für den Wasserhaushalt auf den Bund, nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Das gilt für die Vierte Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz, das gilt vor allem für die vorliegende Fassung des Abwasserabgabengesetzes. Hierzu verweise ich vor allen Dingen auf die entscheidenden Regelungen des § 9: Abgabepflicht, Abgabesatz.Die an die Abwasserabgabe geknüpfte Erwartung, daß durch ihre Erhebung allein ein wirtschaftlicher Anreiz geschaffen wird, um vor allem in erheblich größerem Umfang als bisher Kläranlagen zu bauen, ist fraglich. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die entsprechenden Ausführungen im Bericht des Innenausschusses auf Drucksache 7/5183. Sie wäre im erwarteten Umfang auch als fraglich zu bewerten gewesen, wenn die Abgabe früher und mit den vorgesehenen Sätzen erhoben würde.Gelegentlich ist die Frage gestellt worden, ob die vorgesehene Regelung der Staffelung der Abgabe in fünf Stufen hinter entsprechenden Regelungen im EG-Raum und in anderen europäischen Ländern zurückbleibe. Das ist nicht der Fall. Die niederländische und die französische Abgabe sehen eine jährliche Steigerung des Abgabensatzes vor. Die durch die Abgabe eintretende Belastung wird in der Bundesrepublik höher liegen als in vergleichbaren europäischen Staaten. Vor allem muß darauf hingewiesen werden, daß die Gesamtkosten, die Kosten für Vermeidungsmaßnahmen plus Abwasserabgabe, in der Bundesrepublik weit höher liegen als in allen anderen europäischen Ländern. Aus diesem Grund ist eine Erhöhung des Abgabensatzes, vor allem unter dem Aspekt der Wettbewerbsgleichheit, nur im Rahmen einer europäischen Harmonisierung zu vertreten. In diesem Bereich sind erfreuliche Ansätze und erste Ergebnisse zu erkennen.Die Abwasserabgabe gewinnt ihre eigentliche Bedeutung im Zusammenhang mit dem zur Verfügung stehenden wasserrechtlichen Instrumentarium, das durch Regelungen der Vierten Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz erheblich verstärkt wurde. Ich verweise etwa auf die Möglichkeiten von Einleitungsverboten, Emissionsnormen, Reinhalteordnungen und Bewirtschaftungsplänen.Um die Abwasserabgabe zur vollen Wirkung zu bringen, ist es dringend geboten, öffentliche Mittel zielgerichtet zur Förderung des Baus von Abwasserbehandlungsanlagen einzusetzen. Das tat der Bund bisher mit den ERP-Mitteln, die zur Förderung von Abwasserbehandlungsanlagen zur Verfügung stehen, und mit einer Reihe von Förderprogrammen, so im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" und im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes". Das taten die Länder mit ihren Programmen und den damit verbundenen großen finanziellen Aufwendungen.Es kommt darauf an, eine optimale Bündelung der Gewässerschutzmaßnahmen der Länder und des Bundes zu erreichen. Gerade das Beispiel der Reinhaltung des Bodensees zeigt, daß sich die Kräfte der Länder und des Bundes zu einer einzigartigen Gewässerschutzmaßnahme zusammenfassen lassen, wo es darum geht, die Reinhaltung des größten Trinkwasserspeichers Europas, der für über 3 Millionen Menschen Trinkwasser liefert, weiter zu fördern und zu stabilisieren.Das Schwerpunktprogramm Bodensee des Landes Baden-Württemberg wurde wirkungsvoll durch das Rhein-Bodensee-Sanierungsprogramm des Bundes ergänzt und verstärkt. Die Gewässergüte des Bodensees hat sich in den letzten Jahren vor allem im Uferbereich deutlich verbessert.Diese Programme sollten weiterlaufen. BadenWürttemberg hat sein Schwerpunktprogramm Bodensee um drei Jahre verlängert. Es wäre sehr wünschenswert, wenn der Bund mit seinem Programm das gleiche täte.
Dazu kommt die Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz, die wir gegen den entschiedenen Widerstand der Opposition durchgesetzt haben. Dazu kommt das Abwasserabgabengesetz, das wir — auch wenn es heute auf eine Teillösung zurückgeführt ist — ebenfalls nur gegen den entschiedenen Widerstand der Opposition in dieser Gestalt durchsetzen konnten.Meine sehr verehrten Damen und Herren und Herr Minister, diese Behauptungen sind falsch. Die Vierte Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz wurde sowohl in den Beratungen der Arbeitsgruppe Wassergesetze im Innenausschuß als auch im Plenum des Deutschen Bundestages einstimmig verabschiedet. Dies gilt mit einer Einschränkung auch für das Abwasserabgabengesetz. Mir ist unerklärlich, wie Sie davon sprechen konnten, daß diese Gesetze gegen den entschiedenen Widerstand der Opposition durchgesetzt werden mußten. Ich muß diese — erlauben Sie mir die Formulierung — verletzende Behauptung, die den eigentlichen Sachverhalt geradezu auf den Kopf stellt, entschieden zurückweisen.
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BiecheleIm übrigen habe ich Ihnen, Herr Minister, diese Behauptung eigentlich gar nicht zugetraut.
Die Fraktion der CDU/CSU hat aus ihrer Verantwortung für einen modernen und wirksamen Gewässerschutz ihren wichtigen Beitrag für die jetzige Vorlage zur Abwasserabgabe geleistet.Auch ich darf in diesem Zusammenhang ein kurzes Wort des Dankes an all jene richten, die uns in diesen Beratungen mit ihrem Sachverstand maßgeblich unterstützt haben. Das sind die Vertreter der Länder, das sind die Vertreter der Bundesregierung, vor allem des federführenden Ressorts, und das sind natürlich auch die Mitarbeiter des Innenausschusses.Wir bedauern, daß unsere Vorstellungen einer Gewässerbenutzungsabgabe nicht mehr beraten werden konnten. Wir sehen auch einige erhebliche Schwächen der Vorlage. Wir beklagen die Unausgewogenheit und Ungleichheit der Regelungen des § 7: Pauschalierung bei der Einleitung von verschmutztem Regenniederschlagswasser. Wir haben hierzu einen Änderungsantrag auf Drucksache 7/5238 vorgelegt, der anschließend von Herrn Kollegen Kiechle begründet wird.Wir stimmen trotz dieser Bedenken dem Gesetzentwurf zu. Wir tun dies, weil wir uns in der Sorge um eine menschenwürdige Umwelt von niemandem übertreffen lassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Urteilen Sie nachher, Herr Kollege Stücklen!Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Das vorliegende Gesetz zur Abwasserabgabe füllt die entsprechenden Positionen des Wasserhaushaltsgesetzes aus und arrondiert in diesem Bereich das Umweltprogramm der Bundesregierung. Die vielfältigen Bemühungen, auf administrative Weise in den letzten Jahren der weiteren Verschmutzung unserer Gewässer vorzubeugen, waren, wenn wir einmal vom Beispiel des Bodensees absehen, schon von diesem Ansatz her nicht immer erfolgreich. Auch von daher war es dringend notwendig, das Abwasserabgabengesetz vorzulegen. Eine Vielzahl von Kommunen und Industriebetrieben sehen nach wie vor ihre Verantwortung im Bereich des Gewässerschutzes eben nicht und tragen dazu bei, daß sich diejenigen, die bereits Maßnahmen zur Klärung der Abwässer ergriffen haben, düpiert fühlen müssen.Die Abwasserabgabe soll erreichen, daß durch die Anreizwirkung der Abgabesätze für jede Schadeinheit eine finanzielle Abwägung bei den Kommunen und Betrieben mit dem Ziel eintritt, statt der Abgabe Kläranlagen zu errichten. Darüber hinaus sollen der Stand der Abwasserreinigungstechnik verbessert und abwasserarme Produktionsverfahren angeregt werden. Der Wettbewerbsvorteil derjenigen, die Gewässer bisher ohne eigene Kläranlagenaufwendungen verschmutzten, soll damit abgebaut werden.Die vorliegende Fassung des Gesetzentwurfs erfüllt diese Forderung leider nur begrenzt. Die jetzige Fassung enthält, genau wie es beim Wasserhaushaltsgesetz der Fall ist, nur eine Rahmenregelung. Ich verweise an dieser Stelle noch einmal intensiv darauf, daß die Freien Demokraten immer wieder die konkurrierende Gesetzgebung im Bereich des Wasserrechts gefordert haben und weiter fordern werden, um hier zu bundeseinheitlichen klaren Regelungen zu kommen. Wir werden nicht müde werden, der Opposition vorzuhalten, daß sie entgegen ihrer Wahlaussage von 1972 im Bunde mit den von ihr regierten Ländern im Bundesrat diese von ihr versprochene Vollkompetenz dem Bund weiter verweigert, und wir fordern sie auf, dieses Versprechen nun wenigstens in der nächsten Legislaturperiode zu verwirklichen. Genau dies, Herr Kollege Biechele, hat Herr Minister Maihofer immer wieder gefordert, und genau dies war Gegenstand seiner Ausführung in der erwähnten Rede.Der gefundene Kompromiß des Abwasserabgabengesetzes kumuliert in der Frage, ob die Anreizwirkung bei der langen abgabefreien Anlaufzeit und dem niedrigen Beginn des Abgabesatzes wirksam genug ist, das Ziel zu erreichen. Lassen Sie es mich ganz offen sagen, meine Damen, meine Herren: Die jetzt getroffene Abgabenregelung erfüllt die Zielvorstellungen nur begrenzt. Viele engagierte Experten im Umweltbereich sind dieser Meinung, und es scheint, daß die Abwägung der Auswirkungen auf die betroffenen Industriezweige und damit die Arbeitsplatzsicherung und die Wettbewerbssituation gegenüber dem Ausland hinsichtlich der Umweltschutzinteressen hier einseitig ausgefallen ist.An dieser Stelle erhebt sich für uns die Frage: Wollen wir dieses Gesetz so, wie es Ihnen vorliegt?
Wir meinen bei allen Bedenken und bei aller Kritik, die wir teilen: ja. Wir schaffen mit der Abwasserabgabenregelung ein Instrumentarium, das die bereits verabschiedete Novellierung zum Wasserhaushaltsgesetz systematisch ergänzt und von dem neben seiner wenn auch langfristigen Anreizwirkung auch ein politischer Impuls ausgehen wird, ein Impuls an die gewählten Vertreter der Kommunen, der Kommunalparlamente und ihrer Verwaltungen, auf dem Gebiet der Abwasserklärung die notwendigen Schritte nicht mehr hinauszuzögern.In diesem Zusammenhang appelliere ich an die Kommunen, nicht so lange zu warten, bis irgendwann einmal ein weiteres Konjunkturprogramm die Schaffung von Kläranlagen mit zusätzlichen Krediten fördert, wie es das letzte getan hat, sondern bereits jetzt das Notwendige zu tun und die jetzt dafür bereitgestellten Mittel der Bundesregierung und der Länder zu nutzen. Wenn Sie so wollen also: erst Kläranlagen und dann Rathäuser.
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Wolfgramm
Dasselbe gilt für die Wirtschaft. Auch hier kann es nicht angehen, daß die maßvollen Anreize, wenn ich sie einmal so bezeichnen darf, die mit diesem Gesetz beschlossen werden, dazu führen, daß die Wirtschaft glaubt, die Abgabe der Kläranlage vorziehen zu können.Meine Damen und Herren, das Gesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung. Er ergänzt unser Wasserrecht und das Netz im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft.Herr Kollege Biechele hat hier den Änderungsantrag der Opposition eingebracht. Lassen Sie mich dazu gleich einige Anmerkungen machen. Die Freien Demokraten werden dem Änderungsantrag nicht zustimmen. Die Belastung der Gewässer durch verschmutztes Niederschlagswasser ist erheblich. 10% des gesamten Schmutzwasseranteils schlagen sich hier nieder. Die Belastung geschieht kumulativ stoßweise. Gerade bei den vorhandenen Kanalisationen — und die anderen werden durch § 7 nicht betroffen —
ist dieser Verschmutzungsgrad einfach nicht hinzunehmen.Wir sind der Meinung, daß zusätzlich mit § 7 ein Anreiz für die Schaffung der in diesem Bereich ganz besonders notwendigen Rückhalteanlagen gegeben wird, den wir nicht herausnehmen wollen. Wir werden einer weiteren Verwässerung des Gesetzes nicht zustimmen.
Die Freien Demokraten werden die Entwicklung auf dem Gebiet der Abwasserabgabe kritisch und genau verfolgen. Ich meine, wir dürfen nicht zögern, bei weiterer günstiger wirtschaftlicher Entwicklung eine Novellierung der Abgabensätze und der Anlaufzeiten in der nächsten Legislaturperiode vorzusehen, um so mehr, sollte das eintreten, was die Umweltschützer befürchten, nämlich daß der Bau von Kläranlagen zugunsten der Entrichtung der Abgabe verschleppt wird.Ich darf diese unsere politische Zukunftsvorstellung mit Brillat-Savarin, dem Altmeister der französischen Kochkunst, umschreiben, der einmal gesagt hat: Eine gute Nachspeise ist in der Lage, die Fehler des Hauptgerichtes zu verdecken.Die FDP-Fraktion stimmt dem vorliegenden Gesetz zu.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Abwasserabgabengesetz ist ein weiteres wichtiges Umweltgesetz, wird es doch durch Einführung eines neuartigen Instrumentariums wesentlich dazu beitragen,
eine unserer wichtigsten Lebensgrundlagen, das Wasser, stärker zu schützen als bisher. — Wenn schon Bürokratie, dann ausschließlich eine solche der Länder, wenn Sie das Gesetz gelesen haben sollten.
Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den Staaten mit einem reichen Wasserschatz. Sie gehört aber auch zu den Staaten mit einer großen Beanspruchung des Wasserhaushalts, bedingt durch hohe Bevölkerungsdichte, hohen Lebensstandard und starke wirtschaftliche Nutzung. Nur durch verstärkten Schutz können unsere Gewässer als natürliche Lebensgrundlage und für vielfältige Nutzungsansprüche erhalten werden. Ein weiter steigender Wasserverbrauch bringt einen erhöhten Schmutzwasseranfall mit sich. Verstärkte Reinigungsanstrengungen sind deshalb erforderlich, allein schon, um die Belastung unserer Gewässer nicht noch weiter ansteigen zu lassen, mehr aber noch, um sie Schritt für Schritt abzubauen.Die 1969 gebildete sozialliberale Bundesregierung hat von Beginn an den Gewässerschutz zu einem Schwerpunkt ihrer Politik gemacht und in ihrem Umweltprogramm von 1971 umfassende Maßnahmen zur Sanierung unserer Gewässer gefordert. Im Gegensatz zur Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung und Abfallbeseitigung konnte jedoch, zu unserem Bedauern, auf dem Gebiet des Wasserhaushalts die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht erreicht werden, obwohl noch vor den Wahlen 1972 — ich wiederhole es — SPD, FDP und CDU übereinstimmend die Vollkompetenz gefordert hatten.
— Sie als einzige nicht.
Leider ist die CDU aus diesem Verband Gleichgesinnter später ausgeschert. Die Erneuerung des wasserrechtlichen Instrumentariums wurde dadurch mit einer Hypothek belastet.
Weil wir diesen Widerstand der Opposition gegen eine Vollregelung nicht überwinden konnten, blieb das unter dieser Voraussetzung Erreichbare — das ist doch einfach die Wahrheit — weit hinter den Notwendigkeiten zurück. Hier und nirgendwo sonst liegt in der Tat der Grund für meine Klage über die Haltung der CDU/CSU. Alles, was wir unter diesen Voraussetzungen am Ende dann in der Tat gemeinsam geschafft haben, ist eben weit von den Zielen entfernt, die wir uns jedenfalls in der sozialliberalen Koalition gesteckt hatten.Dennoch — das ist die andere Seite der Medaille, und die möchte ich ebenso klar herausheben — ist durch die Gesetzgebung in dieser Legislaturperiode: Waschmittelgesetz, Vierte Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz und nun das Abwasserabgabengesetz, zumindest der Rahmen für ein modernes wasserrechtliches Instrumentarium geschaffen wor-
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Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihoferden, dessen Ausfüllung nun den Ländern obliegt, die auch für einen konsequenten Vollzug zu sorgen haben.Als letztes der im Umweltprogramm angekündigten Gesetze zur Reinhaltung unserer Gewässer steht nun dieses Abwasserabgabengesetz zur Verabschiedung an. Durch das Gesetz sollen die Kostenlasten für die Vermeidung, die Beseitigung und den Ausgleich von Gewässerbelastungen gerechter verteilt und ein weiteres Instrument für eine wirksamere Reinhaltung der Gewässer zur Verfügung gestellt werden. Neben dem klassischen Instrumentarium der administrativen Maßnahmen setzen wir nun einen auf wirtschaftliche Anreize abzielenden ökonomischen Hebel an.Nach dem Gesetz zahlen die Einleiter von Abwasser eine Abgabe, die sich nach der Menge und der spezifischen Schädlichkeit des Abwassers richtet. Wer die Gewässer wenig verschmutzt, zahlt weniger; wer sie stark verschmutzt, zahlt mehr. Damit wird zusätzlich zu den bisherigen verwaltungsmäßigen Maßnahmen ein wirtschaftlicher Anreiz geschaffen, die Schädlichkeit des Abwassers zu vermindern. Die verursachergerecht aufgebrachten Gelder stehen den Ländern zu und sind für die Gewässerreinhaltung zweckgebunden. Sie fließen damit in den Wirtschaftskreislauf zurück und werden als gezielte Investitionen mit dazu beitragen, zukunftssichere Arbeitsplätze zu erhalten oder gar zu schaffen.Nun zu der entscheidenden Frage. Nach dem Gesetzentwurf beginnt die Abgabepflicht im Jahre 1981. Die Abgabehöhe ist zeitlich gestaffelt und erreicht ihre letzte Stufe — das sind 40 DM je Schadeinheit und Jahr — im Jahre 1986. Beides — Beginn der Abgabepflicht und Erreichen der Endstufe — erscheint den Kritikern als zu spät. Für beides gibt es jedoch gute Gründe. Ich möchte diese noch einmal in aller Deutlichkeit herausstellen.Eine Staffelung der Abgabe, die schon im Regierungsentwurf vorgesehen war, wie sie der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen vorgeschlagen hat und wie sie sich auch, wie gerade Herr Kollege Konrad hervorgehoben hat, in ausländischen Abgabesystemen findet, ist zweckmäßig, um zunächst diejenigen Abwasserableiter zur Verringerung der Schädlichkeit des Abwassers anzureizen, bei denen die Kosten hierfür im Verhältnis zum Erfolg besonders gering sind. Diejenigen, bei denen die Kosten höher sind, werden erst später durch diese Incentive-Methode angereizt. Hiermit wird erreicht, daß sich die erforderlichen Maßnahmen zur Verringerung der Schädlichkeit kontinuierlich auf eine Reihe von Jahren verteilen. So wird ein Nachfrageschub mit seinen unerwünschten Folgen, wie einer diskontinuierlichen Kapazitätsausweitung, weitgehend vermieden.Folgende Gründe waren im wesentlichen maßgebend, die Abgabepflicht nicht vor 1981 beginnen zu lassen.Erstens. Angesichts der Tatsache, daß die volle Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf dem Gebiet des Wasserhaushalts nicht erreichbar war — insoweit hat das schon Auswirkungen, Herr KollegeBiechele —, konnte das Abwasserabgabegesetz leider nur rahmenrechtlichen Charakter haben. Das bedeutet aber, daß den Ländern — denn sie müssen es vollziehen — mehr Zeit zur Ergänzung und Ausfüllung dieses Rahmens durch landesrechtliche Vorschriften gegeben werden mußte, als bei einer Vollregelung durch den Bund erforderlich gewesen wäre. Das ist die einfache Wahrheit.Zweitens. Nach dem vorliegenden Entwurf wird die Abgabepflicht an die in den wasserrechtlichen Bescheiden festgelegten Werte angebunden. Dadurch wird eine Menge Meß- und Verwaltungsaufwand erspart. Das ist — alles hat in der Welt eine Vorder-und eine Rückseite — die andere Seite, die man durchaus würdigen muß. Dies erfordert aber zugleich eine gewisse Vorlaufzeit für die Umstellung der Bescheide.Drittens. Bei einer schwer vorausschätzbaren mittelfristigen Konjunkturentwicklung erscheint es wirtschaftspolitisch zweckmäßig und umweltpolitisch vertretbar, eine zusätzliche Belastung der Abwasserableiter nach der jetzt zu Ende gehenden rezessiven Phase erst nach einer gewissen Vorlaufzeit vorzusehen. Ich erinnere daran, wie eindringlich Industrie und Kommunen ihre wirtschaftlichen Bedenken vorgetragen haben und dabei vom Bundesrat nachhaltig unterstützt worden sind.Der Beginn der Abgabepflicht im Jahre 1981 bedeutet aber keineswegs, daß bis dahin nichts geschehen wird. Manche, denen die Zahlung einer hohen Abgabe vom Beginn der 80er Jahre an droht, C werden dennoch die erforderlichen Maßnahmen zur Reinigung der Abwässer und Umstellungen im Produktionsprozeß bei ihren nächsten Investitionsvorhaben vorsorglich mit einplanen, da sie nur so kostensparend zu verwirklichen sind; denn wer hier nicht bei irgendeiner anstehenden Investitionsmaßnahme diese Neuerungen mit unterbringt, der wird später hierfür doppelt und dreifach zahlen. Auch das ist eine Tatsache.Die Kritik zum Abwasserabgabengesetz betrifft fast ausschließlich diesen — sicher wichtigen — Einzelpunkt. Doch sollten wir über diesem das Ganze nicht vergessen. Wichtiger als jede Einzelheit erscheint mir, daß es gelingen wird, dieses von vielen schon totgesagte Abwasserabgabengesetz — manche wissen, was ich damit sage — noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.
Wichtig ist die Verabschiedung des Gesetzes jetzt, um den Weg vorzugeben, den der Gewässerschutz in Zukunft gehen wird. Im Abwasserabgabengesetz wird der Begriff der Schädlichkeit neu bestimmt, auch schwer abbaubare und giftige Stoffe werden mit erfaßt. Das wird auch für den Vollzug der übrigen Wassergesetze Maßstäbe setzen. Die daraufhin erfolgende Umstellung der wasserrechtlichen Bescheide wird in vielen Bereichen der Ansatz für die Sanierung der Abwasserverhältnisse überhaupt werden.
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17390 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Bundesminister Dr. Dr. h. c. MaihoferWichtig ist die Verabschiedung des Gesetzes jetzt, um den Abwassereinleitern klare Maßstäbe an die Hand zu geben, die sie befähigen, ihre Gewässerschutzmaßnahmen in die richtige Richtung zu entwickeln.Wichtig ist die Verabschiedung des Gesetzes jetzt auch, damit wir endlich auch für diese Seite des Gewässerschutzes eine bundeseinheitliche Regelung haben, die die erforderliche Weiterentwicklung der Umweltschutzregelungen der Europäischen Gemeinschaft in unserem Sinne mitbestimmen kann.Wichtig ist die alsbaldige Verabschiedung des Gesetzes aber vor allem deswegen, weil es eine ganz neue Motivation für Gewässerschutzmaßnahmen begründet. Das will ich abschließend noch mit einigen Worten verdeutlichen:Dieses Gesetz wird dazu beitragen, die Oberlieger-Mentalität zu brechen, die über das Abwasser denkt: „Was weg ist, ist weg; was schert mich der Schaden des Unterliegers?" In Zukunft wird nicht mehr derjenige am besten dastehen, der ein möglichst großes Verschmutzungsprivileg genießt, d. h. von den Abwasserbehörden möglichst geringe Einleitungsbedingungen oder -auflagen erreicht hat; in Zukunft wird jeder Einleiter durch die Zahlung der Abgabe am eigenen Geldbeutel spüren, daß und in welchem Umfang er das Allgemeingut Wasser in Anspruch nimmt.In Zukunft wird aber auch jeder, der Maßnahmen zur Verminderung der Schädlichkeit des Abwassers trifft, in seiner Kostenrechnung eine vorteilhafte Veränderung — nämlich die Ersparnis der Abgabe — feststellen. Die Abwasserabgabe wird denjenigen ermutigen und gegenüber ihren Konkurrenten finanziell entlasten, die wirklich etwas für die Gewässerreinhaltung tun.Mit diesem neuen ökonomischen Anreizsystem der Abwasserabgabe wird insbesondere in dem Bereich der Produktion, in dem es laufend Umstellungen gibt, die „ökologische Vernunft" schon frühzeitig und im vorentscheidenden Planungsstadium mit ins Kalkül gebracht. Die Abwasserabgabe ist unserer am Markt orientierten Wirtschaftsordnung angemessener und gesamtwirtschaftlich günstiger als die andernfalls erforderliche Verschärfung des normativen Systems von Geboten und Verboten. Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Ein Freikaufen durch Leistung der Abwasserabgabe wird es nicht geben, wo sonst nicht hinnehmbare Gewässerbelastungen entstehen würden. Vielmehr wird hier das klassische Instrumentarium der Gewässerschutzgebote und -verbote greifen — das wird vielfach übersehen —, bis hin nicht nur zu den regionalen und nationalen, sondern auch zu den europäischen Emissionsnormen des Gewässerschutzes.Mit dem Abgabeaufkommen wird in Zukunft ein von den Verursachern aufgebrachtes Geldvolumen von nicht unerheblichem Umfang zur Verfügung stehen, das zweckgebunden für die Gewässerreinhaltung verwendet wird und auch, soweit dies umwelt-und wirtschaftspolitisch geboten ist, zur finanziellen Unterstützung derjenigen verwendet werden kann, die für die Abwasserreinigung investieren. WeitereMittel des Bundes und der Länder aus verschiedenen Programmen — wie etwa die 500 Millionen DM allein im letzten Investitionsprogramm oder die 150 Millionen DM im Bodenseesanierungsprogramm, dessen Verlängerung auch die Bundesregierung prüft — stehen zur Verfügung. Die Gewährung von Finanzhilfen ist dort angebracht, wo angemessene Eigenleistung nicht ausreicht. Mit Nachdruck warne ich jedoch davor, daß sich die Oberlieger-Mentalität in eine Beihilfe-Mentalität verwandelt, die Investitionen zur Verringerung der Schädlichkeit nur dann vorsieht, wenn diese auch bezuschußt werden. Denn es ist ja gerade der Sinn dieses neuen Instruments und Konzepts der Abwasserabgabe, hier einen anderen Weg zu öffnen.Ich möchte weiter warnen vor dem Mißverständnis, als bedeute die starke Betonung wirtschaftlicher Gesichtspunkte durch die Abwasserabgabe eine totale Ökonomisierung des Gewässerschutzes. Von ihr bleiben alle bisherigen administrativen Konzepte unberührt.Ich gehe davon aus, daß Investitionen zur Verringerung der Schädlichkeit des Abwassers auch dann durchgeführt werden, wenn bei ganz spitzer Berechnung Nichtstun billiger sein sollte. Ich vertraue darauf, daß die Einleiter ihre Entscheidungen nicht kurzsichtig nach rein rechnerischem Vorteil ausrichten, sondern ihre nicht nur wirtschaftspolitische, sondern auch umweltpolitische Verantwortung ernst nehmen.
Denn das werden Sie ja niemandem einreden: daß es heute noch einen Unternehmer gibt, der nur wirtschaftspolitisch und nicht zugleich auch immer umweltpolitisch denkt und sich aktiv für die Reinhaltung der Gewässer engagiert.Unter diesen Voraussetzungen wird auch dieses sehr maßvolle Abwasserabgabengesetz — das wage ich vorauszusagen — ein wirksames Gesetz werden. Hieran müssen alle ein Interesse haben, auch und gerade die Abwassereinleiter. Denn sollte sich das mit der Abwasserabgabe geschaffene ökonomische Anreizsystem als nicht zureichend wirksam erweisen, wäre dies Anlaß, über die Höhe der Abgabesätze neu nachzudenken. Ohnehin muß gegebenenfalls eine Anpassung der Abgabe an erhebliche Änderungen des Kostenbildes für Reinhaltemaßnahmen vorbehalten bleiben. Das ist eine bare Selbstverständlichkeit, die wir ja auch bei anderen Umweltschutzgesetzen kennen.Unter allen diesen Erwägungen setze ich mich auch als Bundesinnenminister für die Verabschiedung dieses vom Parlament neugefaßten Gesetzes ein, für dessen sachverständige Beratung ich allen beteiligten Experten, im besonderen der Arbeitsgruppe des Deutschen Bundestages ebenso wie der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser, ausdrücklich danke.Es wird sich, wie die ausländischen, insbesondere die soeben schon zitierten französischen Erfahrungen zeigen, im Gesamtzusammenhang des klassischen mit diesem modernen Instrumentarium des Gewässerschutzes als wirksamer erweisen, als manche Skeptiker heute meinen. Ich darf dabei insbesondere
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17391
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihoferauch auf die unlängst verabschiedete Europäische Gewässerschutzkonvention ENV 131 mit ihrem Emissionsnormenkonzept, vor allem aber auch auf das soeben nach jahrelangen Verhandlungen abgeschlossene Rheinschutzabkommen, hinweisen.Entscheidend aber ist, daß diese ökonomischen Hebel überhaupt geschaffen und angesetzt werden. Auch wem Beginn und Höhe der Abgabesätze unzureichend erscheinen mögen — da gibt es ja Kritiker inner- und außerhalb des Parlaments —, der möge bedenken, daß Ökonomie auch hier nicht nur eine Frage der Quantität, sondern auch der Psychologie ist. Denn es wird für den Einleiter, ob aus Kommunen oder Industrie, der als Verschmutzer Abwasserabgabe zu zahlen hat, nicht nur eine ökonomische Frage sein, ob er Abwasserabgabezahler ist, sondern bei dem erfreulich gewachsenen Umweltbewußtsein unserer Bevölkerung auch eine psychologische, die er sich auch unter Umweltgesichtspunkten wohl überlegen wird.
Die Bundesregierung hat, wie aus ihrem Gesetzentwurf zu ersehen ist, weiterreichende und schärfer greifende Regelungen angestrebt. Sie sind, wie die Beratungen gezeigt haben, derzeit mit einer bloßen Rahmenkompetenz nicht erreichbar. Wer nicht in einer Alles-oder-Nichts-Haltung das dennoch Erreichte in Frage stellen will — und das wollen wir nicht —, sollte diesem Gesetz seine Zustimmung geben. Darum bitte ich Sie.
Meine Damen und Herren, damit ist die allgemeine Aussprache in der zweiten Beratung beendet.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf der Drucksache 7/5238 auf. Das Wort dazu hat der Herr Abgeordnete Kiechle.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Abwasserabgabengesetz wird der Versuch unternommen, einen Beitrag zur Reinhaltung und zur Verbesserung der Qualität unserer Gewässer zu leisten. Einerseits soll die Androhung von erheblichen finanziellen Konsequenzen die Bereitschaft der Kommunen, Abwasserreinigungsanlagen zu errichten, fördern, andererseits sollen finanzielle Mittel beschafft werden, diese Anlagen — zusätzlich — zu bezuschussen. In langer und sicherlich sorgfältiger Beratung wurde versucht, ein möglichst wirtschaftlich tragbares, den Zweck des Gesetzes erfüllendes und im Rahmen des Möglichen perfektes Abgabeneinzugssystem zu finden.Im Zusammenhang mit dieser Perfektion hat das vorliegende Abwasserabgabengesetz einen § 7, der mehr als ein Schönheitsfehler ist. Dieser § 7 bezieht Niederschlagswasser in die Kategorie Abwasser ein. Unabhängig von der Tatsache, daß die Niederschlagswasser auf dem Weg vom Himmel zur Erde mehr oder weniger verschmutzt werden können:Niederschlagswasser ist im Verständnis unserer Bürger niemals Abwasser. Insoweit ist der § 7 ein Fremdkörper im Gesetz.Das Niederschlagswasser wird im Gesetz mit einer Abgabe belegt. Damit wäre eine Art Regensteuer geboren. Gegen diese Regensteuer möchte ich mich namens der Fraktion der CDU/CSU wenden und das folgendermaßen begründen.
Erstens. Wer nach Maßgabe dieses Gesetzes Regenwasser in eine Kanalisation einleitet, muß bezahlen. Wer das Regenwasser in ein Gewässer direkt einleitet — unter Umgehung einer Kanalisation —, bezahlt nicht. Hier fühlen sich die Bürger ungleich behandelt.Zweitens. Die Gemeinden haben die Verwaltungskosten für den Abgabeneinzug zu tragen und das Aufkommen an das Land abzuführen. Von dort kommt das Geld in Form von Zuschüssen wieder zurück. Das ist ein teurer Vorgang mit viel Verwaltungsaufwand und hohen Reibungsverlusten.Drittens. Das Abwasserabgabengesetz ist als Einstieg in das Verursacherprinzip gedacht. Für Niederschläge, meine Damen und Herren, gibt es keine Verursacher. Auch kann man nicht davon ausgehen, daß der einzelne Bürger das Regenwasser verschmutzt. Kein Bürger kann und wird sich dafür verantwortlich fühlen, daß auf seinem Hausdach oder seiner befestigten Hoffläche geringe Mengen Ruß, Staub oder Ähnliches liegen und mit dem Regen abgewaschen werden.Damit stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber dem Bürger dieses Gesetz einsichtig und verständlich machen kann. Wir haben davon auszugehen, daß diese Niederschlagswasserabgabe bei unseren Bürgern als Regensteuer angesehen wird; das kann von uns niemand verhindern. Niemandem kann dieser Passus einleuchtend gemacht werden. Er ist auch für niemanden plausibel. Wie soll ein Mitbürger, meine Damen und Herren, der vielleicht an einem Bittgang um Regen teilnahm, der für seinen Schreber- oder Hausgarten, seine Acker und Wiesen sehnsüchtig auf Regen wartete, diese Regensteuer begreifen?
„Wasser ist die Voraussetzung für Leben", hat hier heute schon jemand gesagt, der Wasserkreislauf also ein Lebenskreislauf. Wir alle sind auf diesen Kreislauf in Form von Regen angewiesen. Wir können ihn aber als solchen nicht direkt beeinflussen, wir können ihn nur erhoffen — zur rechten Zeit und am rechten Ort. Wir sollten ihn also auch nicht besteuern. Hoffnungen sollten alle ohne Staatsbeteiligung haben dürfen.In diesem § 7 des Gesetzentwurfs stößt bürokratischer Gebührenerfindungsgeist auf gesunden Menschenverstand. Meine Damen und Herren, ich war einige Jahre Gemeinderat und stelle mir nun vor, dieses Gesetz müßte, wie geplant, vollzogen werden, der Bürgermeister würde in der Sitzung erklären, 12 °/o der Einwohner unserer Gemeinde sind als Schadeinheiten zu betrachten und dann wieder auf
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17392 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Kiechledie Gesamtzahl der Einwohner umzulegen, unser Regenwasser, genannt Niederschlagswasser, wird nunmehr abgabepflichtig. Es wäre ein Glücksfall, wenn die Gemeinderäte nur in ungläubiges Gelächter ausbrechen würden. Es könnte auch sein, sie würden von Kiel bis Oberstdorf unisono ihrem Herzen durch wenig schmeichelhafte Äußerungen Luft machen. Ich als Gemeinderatsmitglied wüßte, was ich dazu sagen würde.Käme es zu einer Verabschiedung des § 7, hätte sich der Deutsche Bundestag lächerlich gemacht und die Staatsverdrossenheit gefördert. Beides können wir nicht wollen. Deswegen beantrage ich namens der Fraktion der CDU/CSU, den § 7 des Abwasserabgabengesetzes ersatzlos zu streichen.
Meine Damen und Herren, der Ernährungsausschuß des Deutschen Bundestages, der sozusagen der Natur am nächsten steht, hat in seiner Sitzung am 7. April 1976 einstimmig diese Streichung vorgeschlagen. Die Fraktion der CDU/CSU hat nach einer entsprechenden und, wie ich zugebe, nicht ganz humorlosen Debatte großes Verständis für Machbares und Zumutbares gegenüber unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern bewiesen und diesen Streichungsantrag von einem Gruppenantrag zum Fraktionsantrag erhoben. Jetzt sollte dieser vorliegende Antrag auch die Zustimmung des Hauses finden. Damit würde nämlich verhindert, daß aus einer vorläufigen Panne ein Malheur wird.Ich möchte mich ausdrücklich an alle Mitglieder dieses Hauses, das sich ja das Hohe Haus nennt, wenden. Ich sage nicht „meine Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten", nein, ich sage „meine Kolleginnen und Kollegen Volksvertreter", stimmen Sie bitte dem Änderungsantrag auf Drucksache 7/5238 der Fraktion der CDU/CSU zu, damit der Regen in Deutschland weiterhin über Gute und Böse, Gerechte und Ungerechte, Junge und Alte, Rote, Gelbe und Schwarze, Kleine und Große, Wahlkämpfer und Wähler, Wahlsieger und Wahlunterlegene niedergehen kann wie bisher, nämlich unbesteuert.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Konrad.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe seit einigen Jahren das Vergnügen, dem Herrn Kollegen Kiechle in Nesselwang am Dreikönigstag zu begegnen, und ich weiß genau, daß die geladenen Gäste bei einem Empfang, als er einmal später kam, darüber rätselten, ob er einer der Heiligen Drei Könige sei und gegebenenfalls, welcher.
Nach dem, wie er hier heute vorgetragen hat, muß ich sagen, er rechtfertigt den Ruf, den er dort in der engeren Heimat genießt. Ich bedauere, daß ich sagen muß, auch bei einer so liebenswürdig vorgebrachten Begründung kann die Fraktion der SPD dem Antrag nicht zustimmen.
Der Ansatzpunkt ist ganz einfach falsch. Hätten wir bei uns Verhältnisse, wie sie beispielsweise Falstaff einmal in einem Lied besingt — „und der Regen, der regnet jeglichen Tag" —, dann könnte man darüber reden, daß man den Regen nicht besteuern sollte, wie Sie das ausdrücken. Wir haben es hier aber mit Niederschlagswasser zu tun.
— Herr Kollege Kiechle, ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie, wenn Sie durch die Flur wandeln — ob als einer der Heiligen Drei Könige oder nicht —, im Niederschlagswasser stehen.
Nein, Sie stehen im Regen. Schon der Begriff „Niederschlagswasser" zeigt ganz deutlich, daß es darum geht, die schußartigen Niederschläge,
die nämlich, wie der Herr Kollege Wolfgramm ausgeführt hat, für Vorfluter und für Abwasseranlagen so gefährlich sind, mit einer Abgabe zu belegen. In § 7 Abs. 2 ist ganz deutlich gesagt: wer Rückhaltevorrichtungen anbringt, der entgeht der Abwasserabgabe. Die Länder haben ohnehin die Möglichkeit, diese Abgabe zu ermäßigen oder sie fallenzulassen.
Dann möchte ich noch eines sagen: Wenn pauschaliert wird auf 12 % der Einwohner, dann muß man bedenken, wenn überhaupt rückwärts umgelegt wird,
daß zu dem Niederschlagswasser, das durch die öffentliche Kanalisation abgeleitet wird, auch die Einleitungen der Gewerbebetriebe kommen. Auf die Einwohner würden also keineswegs die 12 % umgelegt werden. Da Sie, Herr Kollege Kiechle, aus der Landwirtschaft kommen, muß ich Sie auch noch einmal darauf aufmerksam machen, daß dadurch, daß nur auf die Zahl der Einwohner abgestellt wird, der ganze Schmutz, der in der Landwirtschaft anfällt und auch mit dem Niederschlagswasser weggeschwemmt wird, ebenfalls nicht kostenerhöhend wirkt.
Wir können dem Antrag nicht zustimmen. Wir nehmen ihn mit der gebotenen Gelassenheit entgegen. Wir wollen dann sehen, wie das Ergebnis aussieht.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß die Heiterkeit weiter anhält. Das erleichtert die Abwicklung der Verhandlungen.Ich gehe davon aus, daß wir uns einig sind, daß wir über sämtliche Punkte des Änderungsantrages geschlossen abstimmen können. — Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Bei einer Stimmenthaltung ist der Antrag mit sehr großer Mehrheit abgelehnt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17393
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen) Wir kommen nunmehr zur Abstimmung in der zweiten Beratung. Ich rufe §§ 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetzentwurf in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Eine Stimmenthaltung und eine Reihe von Gegenstimmen. — Damit ist der Gesetzentwurf in der zweiten Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein.Zu einer Erklärung zur Abstimmung hat zunächst der Abgeordnete Dr. Gruhl das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe für meine Person das folgende vorzutragen und befinde mich dabei in völliger Übereinstimmung mit allen Fachleuten der Wasserwirtschaft.Wir behandeln heute nicht irgendein Problem, sondern ein Problem, welches die Lebensgrundlage von uns allen ausmacht, die Versorgung mit Wasser und vor allem mit Trinkwasser in der Zukunft.Seit Jahren waren die Fachleute und besonders die Betreiber der Trinkwasserwerke darüber einig, daß die künftige Versorgung in größter Gefahr ist. Bereits in den vergangenen Jahren hatten die Wassergewinnungsbetriebe am Rhein größte Mühe, aus dem Uferfiltrat, wie es so schön heißt, mit allen Kunstgriffen noch trinkbares Wasser aufzubereiten.Das liegt daran, daß unsere Oberflächengewässer, die Flüsse, mit einer steigenden Schmutzfracht beladen werden, die diese nicht mehr bewältigen können. Dabei hatten wir in den letzten Jahren den Vorteil hoher Wasserführung und rückläufiger Einleitungen auf Grund der Konjunkturlage. Sollte sich letztere ändern und Trockenjahre dazukommen, werden katastrophale Versorgungsschwierigkeiten eintreten.Daß die Kosten für das Wasser ständig steigen, ist unvermeidlich. Die Frage ist nur, wo sie aufgebracht werden sollen: bei der immer teurer werdenden Aufbereitung von Trinkwasser — und damit von allen Bürgern — oder bei der Reinigung der Abwässer — und damit von denjenigen Industriebetrieben und Kommunen, die ihre Abwässer immer noch nicht oder nur höchst mangelhaft klären —? Es geht also darum, ob die Verursacher herangezogen werden oder Schuldige und Unschuldige gleichermaßen bestraft werden.Der heutige Zustand ist ungerecht! Ein Teil der Kommunen und Industriebetriebe reinigt die Abwässer vorbildlich; andere tun überhaupt noch nichts. Wenn sich alle so verhalten hätten wie diese Verschmutzer, dann wäre die Wasserversorgung in unserem Lande schon längst zusammengebrochen. Sie funktioniert nur noch auf Grund der Gutwilligkeit der einen, auf deren Buckel die anderen skrupellos reiten und damit seit Jahrzehnten einen finanziellen Vorteil erzielen. Schon die Gerechtigkeit gebietet es, ihnen diesen Vorteil nun endlich zu entziehen.Wo Gesetze, behördliche Gebote und alle Ermahnungen bisher wirkungslos geblieben sind, sollte nun der handgreifliche finanzielle Druck die Verschmutzer veranlassen, endlich in den 80er Jahren dieses Jahrhunderts ihre Schmutzwässer zu klären. Dieser ökonomische Hebel wirkt aber nur, wenn die Abgabe mindestens so hoch, wie die tatsächlichen Kosten der Klärung betragen, möglichst aber höher angesetzt wird. Sobald die Abgabe für Abwässer auch nur etwas niedriger ist als der voraussichtliche Kläraufwand, ist die Kalkulation für jeden Unternehmer einfach: Er kommt billiger davon, wenn er die Abgabe zahlt und die Abwässer nicht klärt.
Das Gesetz sollte eine Anreizwirkung haben. Aus dem Anreiz wird damit ein negativer Anreiz, genau das ist bei der heutigen Vorlage der Fall.Nach den Feststellungen der Wasserfachleute ist der Reinigungsaufwand für eine Schadeinheit im Jahr jetzt auf mindestens 40 DM anzusetzen. Die ursprüngliche Regierungsvorlage wollte 1976 mit 25 DM beginnen und 1980 die bewußten 40 DM erreichen. Auf dieser Basis haben wir in der Arbeitsgruppe „Abwassergesetze" des Innenausschusses monatelang beraten.Aber ganz plötzlich überraschte uns — zumindest mich — die Bundesregierung am 6. März mit einer völlig neuen Vorlage. Jetzt sollte die Abwasserabgabe nicht 1976, sondern erst 1981 beginnen, und dies nicht etwa mit 40 DM und auch nicht mit wenigstens 25 DM, sondern mit ganzen 12 DM. Erst bis 1986 sollte sie langsam auf diese 40 DM steigen. Also: eine wirksame Abgabe erst in zehn Jahren mit sechs Jahren Verspätung?
— Nein, auch das nicht! Denn bei der ständigen Geldentwertung werden diese 40 DM 1986 eine effektive Belastung von noch weniger als 25 DM darstellen.Insgesamt gesehen ist die Abgabe damit bis 1986 auf ein Drittel ihrer geplanten Höhe reduziert worden.Man kann den heutigen Gesetzentwurf auch nicht als Kompromiß bezeichnen, der sozusagen eine 33°/oige Wirksamkeit habe. Er hat vielmehr eine negative Anreizwirkung, nämlich die, nicht zu klären und sich durch Zahlung der Gebühr sozusagen auch moralisch freizukaufen. Bisher waren die Einleiter von ungeklärten Abwässern wenigstens mit dem Makel belastet, die Gesetze nicht einzuhalten. Nun werden sie darauf verweisen können, daß der Staat selber die gesetzliche Möglichkeit, sich freizukaufen, anbietet. Dies ist eine Art modernen Ablaßhandels zu Billigstpreisen. Dementsprechend hat ja auch Professor Scholder, Mitglied des „Rats von Sachverständigen für Umweltfragen" der Bundesregierung, diese Abgabe als eine Art „Hundesteuer" bezeichnet.
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17394 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Dr. GruhlHerr Kollege Wolfgramm, Sie haben ausgeführt, es komme auf den Nachtisch an. Ich glaube, auf den Nachtisch kommt es dann überhaupt nicht mehr an, wenn man sich schon beim Hauptgericht den Magen vergiftet hat.Ich muß leider feststellen: Mir ist bisher kein Fall bekannt, in dem eine Regierung ihre eigene Vorlage so schamlos im Stich gelassen hat wie hier und so schnell dem Druck einer Verschmutzungslobby nachgegeben hat, einer Lobby, die ihren unerlaubten Vorteil, den sie Jahrzehnte hatte, auf Kosten der Gesamtbevölkerung behalten möchte.Die Begründung für diese skandalöse Umkehrung ins Negative lautet: Man könne in der derzeitigen Konjunkturlage der Wirtschaft keine neue Abgabe zumuten. Das ist eine völlig absurde Begründung. Denn die Abgabe soll ja erst 1981 einsetzen und erst in zehn Jahren ihre volle Höhe erreichen. Wer weiß, wie dann die Konjunkturlage ist! Wir stehen doch angeblich vor einem herrlichen Aufschwung! Wie kann man die gegenwärtige Konjunkturlage als Maßstab für eine Abgabe zugrunde legen, die erst 1986 einigermaßen wirksam wird?
Herr Abgeordneter Gruhl, auch bei großzügiger Auslegung dessen, was eine Erklärung zur Abstimmung nach § 59 unserer Geschäftsordnung ist, müßten Sie jetzt aber zu Ende kommen!
Herr Präsident, ich hatte mich vorhin bei der Wortmeldung ausdrücklich zur Sache gemeldet. Mir ist nicht bekannt, warum das hier falsch gelaufen ist.
Auch ich kann Ihnen leider nicht sagen, warum das so gekommen ist. Mir war das so gesagt worden. Ich habe deshalb schon Ihre Wortmeldung zu einer Erklärung als Wortmeldung zu einer Erklärung zur Abstimmung behandelt und vorgezogen, um Ihnen die Chance zu geben, etwas mehr zu sagen. Aber jetzt wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie zum Ende kämen.
Herr Präsident, ich komme sofort zum Schluß.
Gerade bei der jetzigen Arbeitslosigkeit wäre ein Bau von Kläranlagen von allen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen die sinnvollste. Ein solches Programm wäre zukunftsträchtig und auch rein ökonomisch effektiver als die gewohnte Streuung von Geldern zur Förderung der Konjunktur in Bereiche, wo sie entweder unwirksam bleiben oder das Gegenteil erreichen, weil damit in den Betrieben weitere Rationalisierungsmaßnahmen finanziert werden mit der Folge, daß danach noch weniger Arbeitsplätze vorhanden sind.
Gerade für die Abwasserklärung gilt: Umweltschutz schafft Arbeitsplätze.
Ich hätte diesem Gesetz nur zustimmen können, wenn eine Verkürzung der Fristen und eine wesentliche Erhöhung der Abgabesätze beschlossen worden wären. In dieser Form, wo es nur zu der Anreizwirkung kommt, weiterhin nicht zu klären, muß ich diesen Entwurf ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Vohrer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich meine Zustimmung zum Abwasserabgabengesetz nicht geben kann, so hängt das nicht mit der strittigen Diskussion zum § 7 zusammen. Während einigen Kollegen das Gesetz zu weit geht, bin ich gegenteiliger Ansicht, daß es nämlich seine umweltpolitische Zielsetzung in der jetzigen, verstümmelten Fassung nicht erreicht.Obwohl das Gesetz vom methodischen Ansatz her eine konsequente Anwendung des Verursacherprinzips darstellt, ist zu befürchten, daß die Höhe der Abgabe je Schadeinheit und die Termine für seine Inkraftsetzung das gewünschte Ziel nicht erreichen lassen. Während der Regierungsentwurf davon ausging, daß die Abwasserabgabe ab 1976 mit 25 DM je Schadeinheit in Kraft gesetzt werden soll und am 1. Januar 1980 angehoben wird — diesem Entwurf hätte ich meine Zustimmung gegeben —, wird die jetzt auf Druck des Bundesrates zustande gekommene Lösung nicht annähernd dieselbe Wirkung erreichen.Geht man realistischerweise davon aus, daß sich die Unternehmer gewinnorientiert verhalten, so entsprechen die für 1981 veranschlagten 12 DM je Schadeinheit einer realen Kaufkraft zu diesem Zeitpunkt von rund 9 DM bei einer unterstellten Inflationsrate von 5 °/o jährlich. Im Zieljahr 1986 entsprechen die 40 DM noch einem Wert von etwa 24 DM realer Kaufkraft. Das wird dazu führen, daß sich ein gut Teil der Unternehmen nicht zu einer aktiven Verbesserung der Abwässer einsetzt, sondern eher bereit ist, die relativ niedrigen Kosten für die Schadstoffe abzuführen. Dadurch wird die Gefahr groß, daß ordnungspolitisch wesentlich schärfere Mittel wie Gebote und Verbote zur Ergänzung des Instrumentariums herangezogen werden müssen.Wer die alarmierenden Äußerungen der Sachverständigen kennt, die die Umweltprobleme des Rheins untersuchten — ein Gutachten, das allen Kollegen im Hause als Drucksache zugänglich ist —, kann sich der in diesem Gutachten angedeuteten Warnung nicht verschließen. Ich darf zitieren:Falls die Abwasserabgabe verspätet oder in abgeschwächter Form in Kraft tritt, müßte zur Sicherung der Trinkwasserversorgung des Rheingebietes die Abgabenlösung unter Beibehaltung des Verursacherprinzips durch Instrumente aus dem Bereich der administrativen Eingriffe wie Einleitungsverbote und Immissionsnormen vorübergehend ergänzt oder gar ersetzt werden. Diese sind allerdings nicht nur ordnungspolitisch problematisch, sie sind auch hinsichtlich ihrer ökonomischen Effizienz und ihrer praktischen Durchsetzbarkeit der Abgabenlösung unterlegen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17395
Dr. VohrerLassen Sie mich deshalb zusammenfassen: Ich begrüße den methodischen Ansatz der Abwasserabgabe und habe ihm auch aus abgabenrechtlicher Sicht als konsequente Anwendung des Verursacherprinzips im Finanzausschuß zugestimmt. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, daß die von den Kollegen Häfele und Zeitel immer wieder ins Spiel gebrachte Staatsquote als Indikator für Sozialismus in diesem Lande eine absurde Idee ist.
— Genau deshalb erkläre ich es; vielleicht warten Sie noch einen Moment. — Die Abwasserabgabe beweist nämlich, daß durch ihre Anwendung die Staatsquote neuerlich angehoben wird. Die volkswirtschaftlichen Kosten dieser Maßnahme für die Produzenten betragen jedoch lediglich 30 bis 50 % der Kosten einer Lösung mit gesetzlichen Mindestwerten, die sich dann aber nicht in den Staatsquoten und in den Staatsausgaben niederschlagen würden und die in stärkerem Maße interventionistischen Charakter hätten und somit den marktwirtschaftlichen Ablauf behindern würden. Um die marktwirtschaftliche Ordnung nicht durch solche interventionistischen Eingriffe im Rahmen des Umweltschutzes zu gefährden, setze ich mich dafür ein, daß der Umweltschutz durch das Verursacherprinzip geregelt wird, jedoch in einer Weise, bei der die umweltpolitische Zielsetzung erreicht wird.Da dies für den vorliegenden Gesetzentwurf nicht gilt, kann ich ihm auch nicht zustimmen.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung in der dritten Beratung. Wer dem Gesetzentwurf in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. — Gegenprobe! — Gegen sieben Stimmen. Enthaltungen? — Meine Damen und Herren, das Gesetz ist in der dritten Beratung gegen sieben Stimmen und ohne Enthaltungen angenommen worden.
Darf ich feststellen, daß die zu den Gesetzentwürfen eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt erklärt werden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung erweitert werden um die erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Diätengesetzes 1968 — Drucksache 7/5247 —. — Das Haus ist damit einverstanden; die Tagesordnung ist erweitert.
Ich rufe nunmehr die Punkte 6 a und b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Burger, Braun, Dr. Hammans, Geisenhofer, Frau Dr. Neumeister, Schröder , Frau Hürland, Rollmann, Frau Schleicher, Kroll-Schlüter und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder"
— Drucksache 7/5062 — Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder"
— Drucksache 7/5121 —Überwersungsvorschiag des Allestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Zur Begründung des Gesetzentwurfs Drucksache 7/5062 hat Herr Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf hiermit den von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 13. April 1976 eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" begründen.Dieser Gesetzentwurf zielt darauf ab, die an contergan-geschädigte Kinder zu zahlenden monatlichen Renten einmalig um 30 % anzuheben. Seit Verabschiedung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" im Jahr 1971 sind die Lebenshaltungskosten ständig angestiegen. Es ist daher erforderlich, die in der Zwischenzeit eingetretene Geldentwertung durch eine einmalige Anhebung der Renten auszugleichen.Da in den Jahren 1971 bis 1975 auf Grund der verfehlten Wirtschaftspolitik der Bundesregierung eine Erhöhung der Lebenshaltungskosten von 30,7 % eingetreten ist und für 1976 weitere 5 % zu erwarten sind, ist die einmalige Anhebung der Renten um 30 % gerechtfertigt. Die Anhebung liegt damit immer noch unter der Gesamtinflationsrate.Bereits in der Vergangenheit hat meine Fraktion die Bundesregierung wiederholt aufgefordert, im Hinblick auf die inflationäre Entwicklung die notwendigen Leistungsverbesserungen vorzunehmen, um die drohende Verschlechterung des wirtschaftlichen und sozialen Besitzstandes der contergan-geschädigten Kinder zu vermeiden. Seit Jahren verfolgt nämlich die CDU/CSU mit Aufmerksamkeit und Sorge die Auswirkungen der Inflation auf die Sozialleistungen. Ein besonderes Augenmerk widmete die CDU/CSU in diesem Zusammenhang den Opfern der Contergan-Katastrophe, da schon bald offenbar wurde, daß die bei der Errichtung der Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" gemachten Versprechungen der Bundesregierung nicht eingehalten wurden. Außerdem erwiesen sich die Erwartungen, daß weitere Geldgeber das Stiftungskapital aufstocken würden, als trügerisch.Deshalb hat die CDU/CSU schon am 29. April 1974 mit einer Kleinen Anfrage — Bundestagsdrucksache 7/2050 — zahlreiche kritische Fragen zu diesem Problembereich gestellt, die aber von der Bundesregierung nur ausweichend beantwortet wurden.
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17396 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinIm folgenden Jahr habe ich dann mit dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Dr. Focke, eine umfangreiche Korrespondenz geführt mit dem Ziel, Kapital bzw. Erträge der Stiftung für die notwendige Anpassung der Leistungen an die anspruchsberechtigten Kinder zu verwenden. Diese Überlegungen wurden vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit mit dem Hinweis abgelehnt, es dürften nur Erträge aus dem Stiftungsvermögen Verwendung finden. Außerdem teilte die Stiftung auf Rückfrage der Fraktion mit, daß der durch Zinserträge aufgelaufene Kapitalbestand von etwa 8 Millionen DM durch eine Vielzahl von Förderungsvorhaben auf etwa 3,5 Millionen DM zurückgegangen sei. Die Stiftung hielt es zudem nicht für realistisch, die Renten der Kinder aus den für die Durchführung institutioneller Vorhaben vorgesehenen Mitteln zu finanzieren.Als dann noch der CDU/CSU-Fraktion bekannt wurde, daß der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Dr. Focke, mit Schreiben vom 15. Dezember 1975 an den Bundesverband der Eltern körpergeschädigter Kinder e. V. mitgeteilt hatte — ich zitiere wörtlich —, „daß die Bundesregierung nach nochmaliger Prüfung zur Zeit keine Möglichkeit sieht, über die an die Stiftung ,Hilfswerk für behinderte Kinder geleistete Einlage von 100 Millionen DM hinaus weitere Bundesmittel zum Zwecke einer Leistungsverbesserung zur Verfügung zu stellen,"
haben mich die Gesundheits- und Sozialpolitiker der Fraktion gebeten, die vorliegende Initiative vorzubereiten.
Sie wurde am 6. April 1976 von der CDU/CSU offiziell beschlossen.Mit Entschiedenheit weise ich daher den Vorwurf des Abgeordneten Glombig zurück, mit dem Gesetzentwurf wolle die Opposition nur einen „Schaufenstereffekt" erzielen.
Nach den mehrfachen Absagen durch den zuständigen Minister zeugt es von besonderem Zynismus, wenn derselbe Abgeordnete sich zu der diffamierenden Behauptung versteigt, hier werde mit dem Schicksal dieser Kinder Wahlkampf betrieben.
Der Gesetzentwurf ist vielmehr die logische Konsequenz der intensiven Bemühungen der CDU/CSU um eine inflationsbedingte Anpassung der Renten, für die wir alle den Kindern seit 1972 im Wort standen.Ebenso entschieden muß ich die Unterstellung des Herrn Glombig zurückweisen, die CDU/CSU habe sich 1971 bei den Beratungen und der Beschlußfassung des Stiftungsgesetzes völlig passiv verhalten. Richtig ist vielmehr, daß die notwendigen Änderungen des von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurfes damals durch gemeinsame Anträge aller Fraktionen vorbereitet und durchgesetzt werden konnten. Ein auf Seriosität bedachter Politiker wieHerr Glombig sollte nicht so leichtfertig mit der Wahrheit umgehen. Ich erkläre an dieser Stelle für die CDU/CSU mit Nachdruck, daß wir es begrüßen, daß letztlich alle Fraktionen des Bundestages zu einer in der Zielsetzung übereinstimmenden Aktion zusammengefunden haben.Trotzdem muß die Bundesregierung sich den Vorwurf gefallen lassen, durch ständige Ausflüchte die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der contergangeschädigten Kinder in Kauf genommen zu haben. Denn immerhin hatte im November 1972 bereits der damalige Justizminister und heutige Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion Gerhard Jahn in einem Rundschreiben an die Eltern der geschädigten Kinder die Zusage gemacht, daß eine Anpassung erfolgen werde, wenn die Leistungen dem Ziel des Gesetzes, den Kindern eine wirksame und dauerhafte Hilfe zu gewähren, nicht mehr entsprächen.Wenn nun Herr Kollege Glombig im nachhinein glaubt, daß es sich bei der Initiative der CDU/CSUBundestagsfraktion lediglich um einen sogenannten Schaufenstereffekt handelt, so sei ihm erwidert, daß es sich bei dem Anliegen, Leistungsverbesserungen für diesen Personenkreis zu erzielen, doch wohl um eine sozialpolitisch längst überfällige Notwendigkeit handelt.
Diese Reaktion der SPD zeigt nur zu deutlich, wie peinlich ihr die Tatsache ist, daß sie erst durch die Initiative meiner Fraktion gezwungen wurde, sich sozialpolitischen Notwendigkeiten zu beugen.Ursprünglich hatten wir auch beabsichtigt, im Gesetzentwurf ein rechtliches Problem zu regeln. Hinsichtlich des Inkrafttretens des Gesetzes ist nämlich festzuhalten, daß entgegen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13. Februar 1975 das Oberlandesgericht Köln im Vorlagebeschluß vom 30. Mai 1975 verfassungsrechtliche Bedenken dahin gehend angemeldet hat, ob der Gesetzgeber den Bundesjustizminister ermächtigen kann, von sich aus den Zeitpunkt des Inkrafttretens zu bestimmen. Um die gegenwärtig bestehende Rechtsunsicherheit bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu beseitigen, wäre es angezeigt, im Interesse der berechtigten Personen eine Klarstellung im Hinblick auf das Inkrafttreten des Gesetzes vorzunehmen. Wir werden darüber noch im Ausschuß zu sprechen haben.Im übrigen sollten wir uns alle darüber im klaren sein, daß es sich bei den Leistungsverbesserungen für die contergangeschädigten Kinder nicht darum handeln sollte, auf ein sogenanntes Erstgeburtsrecht zu pochen, sondern darum, sozialpolitisch notwendige Maßnahmen im Interesse des betroffenen Personenkreises unbürokratisch und möglichst schnell durchzusetzen, damit eine weitere wirtschaftliche und soziale Verschlechterung vermieden wird. Für meine Fraktion spreche ich die Erwartung aus, daß das Gesetz zügig in den zuständigen Ausschüssen beraten wird, damit es noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17397
Meine
Damen und Herren, damit ist die Vorlage auf Drucksache 7/5062 begründet. Zur Begründung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 7/5121 erteile ich dem Abgeordneten Glombig das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege zu Sayn-Wittgenstein, wir werden am Schluß meiner Ausführungen zur Begründung des Antrags der Koalition feststellen, ob Ihre Aufregung berechtigt gewesen ist oder nicht.
Ich stimme mit Ihnen grundsätzlich überein: Wir sollten eine Sache wie diese nicht auf dem Rücken der behinderten Kinder austragen. Wir sollten hier nicht unsere politischen Süppchen kochen. Aber ich glaube, Ihnen nachweisen zu können, daß Sie diesen Versuch gemacht haben.
Lassen Sie mich nun zu der Begründung unseres Antrags kommen. Herr Präsident, ich wäre dankbar, wenn Sie mir auch die Möglichkeit gäben, gleichzeitig zu dem Antrag der CDU/CSU Stellung zu nehmen, weil wir uns damit eine Diskussionsrunde ersparen.
Die Eltern der contergangeschädigten Kinder hatten im April 1970 mit der Herstellerfirma des Schlafmittels Contergan, der Firma Chemie Grünenthal, einen Vergleich abgeschlossen, wonach sich die Firma Chemie Grünenthal verpflichtete, zur vergleichsweisen Regelung aller denkbaren Ansprüche einen einmaligen Abfindungsbetrag in Höhe von 100 Millionen DM zu zahlen. Die Verteilung sollte durch ein Treuhändergremium erfolgen. Sie sollte auf der Grundlage der Wertungsmaßstäbe der Gerichte für die Bemessung eines Schmerzensgeldes durchgeführt werden. Die Gewährung lebenslanger Renten war nicht vorgesehen; der Betrag hätte hierzu auch gar nicht ausgereicht.
Um die betroffenen Kinder insgesamt besserzustellen, hat die Bundesregierung von sich aus damals weitere 50 Millionen DM zugunsten der Contergan-opfer zur Verfügung gestellt. Die Mittel der Firma Chemie Grünenthal und die Einlage der Bundesregierung wurden in die Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" eingebracht. Die gesetzliche Lösung brachte gegenüber der ursprünglich vorgesehenen Vergleichslösung eine Reihe von Vorteilen, die ich im Interesse einer Klärung auch der Vorwürfe, die hier eben erhoben wurden, noch einmal herausstellen muß.
Erstens. Es werden nicht nur die von der Firma Chemie Grünenthal zur Verfügung gestellten Mittel verteilt, sondern zusätzlich die 50 Millionen DM zuzüglich Zinsen, die der Bund aus Haushaltsmitteln zur Verfügung gestellt hat.
Zweitens. Nach dem Vergleich könnte nur ein Teil der betroffenen Kinder Leistungen erhalten. In den Fällen, in denen Sozialhilfeträger und Sozialversicherungsträger Leistungen an die Kinder erbracht haben und aus diesem Grunde Forderungen gegen die Firma Chemie Grünenthal erhoben, ginge
der bei der Durchführung des Vergleichs mögliche Rückgriff zu Lasten der Kinder. Das Gesetz ermöglicht dagegen ungekürzte Leistungen an alle contergangeschädigten Kinder, indem es derartige Forderungen zum Erlöschen bringt.
Drittens. Leistungen aus dem Vergleich wären nicht steuerlich privilegiert. Dagegen bestimmt das Gesetz ausdrücklich, daß die Leistungen auf Grund des Gesetzes in jedem Fall einkommensteuerfrei sind und Ansprüche aus solchen Leistungen nicht zum sonstigen Vermögen gerechnet werden.
Viertens. Leistungen aus dem Vergleich wären im Rahmen von Unterhaltsleistungen und von öffentlichen Leistungen im vollen Umfang nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften zu berücksichtigen. Das Gesetz enthält dagegen insoweit eine besonders günstige Sonderregelung. Es stellt sicher, daß die Leistungen echte Zusatzleistungen sind. Sie können weder Rückforderungsansprüche der Sozialleistungsträger in der Vergangenheit erbrachter Leistungen begründen, noch dürfen sie grundsätzlich bei der Bemessung von Unterhaltsleistungen und von Leistungen der öffentlichen Hand berücksichtigt werden.
Fünftens. Während der Vergleich lediglich eine einmalige Kapitalabfindung vorsah, bietet das Gesetz den Kindern neben einer Kapitalentschädigung eine lebenslange Rente. Diese Rente kann bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen für einen langen Zeitraum, nämlich zweimal 15 Jahre, kapitalisiert werden.
Das ist noch Antragsbegründung.
Dieses differenzierte und flexible Leistungsgesetz trägt den sozialen Belangen nach unserer Auffassung am besten Rechnung. — Ich werde doch wohl zur Ausgangslage des Ergänzungsgesetzes, also auch noch einmal auf die Grundlagen des ursprünglichen Gesetzes eingehen können! Sonst ist der Antrag, den wir hier vorlegen, überhaupt nicht zu verstehen.
Herr Kollege zu Sayn-Wittgenstein, das muß ich schon deshalb wegen tun, weil Sie uns quasi Vorwürfe machen, wir hätten versucht, auf dem Rücken der behinderten Kinder ein politisches Süppchen zu kochen.
— Lassen Sie mich das in Ruhe hier ausführen. Ich glaube, das ist schon richtig.Sechstens. Neben den persönlichen Leistungsansprüchen nach Teil II des Gesetzes haben die Contergankinder an den Förderungsmaßnahmen, die das Gesetz in seinem Teil III für die Gesamtheit der behinderten Kinder vorsieht, gleichberechtigten Anteil.
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17398 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
GlombigAn dieser Stelle erscheint es mir angebracht, auch von uns aus noch einmal kurz auf die Rechtsproblematik einzugehen, denn Sie haben das auch getan. In der Tat: der Bundesgerichtshof hat am 13. Februar 1975 ein bemerkenswertes Urteil zur Frage der Anspruchsberechtigung und Entschädigung der Conterganopfer und zur Gültigkeit des Stiftungsgesetzes gefällt. Der Bundesgerichtshof hat bei dem zugrunde liegenden Rechtsstreit festgestellt: Die öffentlichrechtliche Lösung des Stiftungsgesetzes hat die privatrechtliche Lösung verdrängt. Wille und Absicht des Gesetzgebers sei es gewesen, die privatrechtliche Lösung durch eine gesetzliche Regelung der Entschädigung zu ersetzen. Diese gesetzliche Lösung sei wirksam. Ansprüche aus dem Vergleich seien deshalb nicht mehr existent. In der gesetzlichen Regelung liege keine Enteignung im Sinne des Art. 14 des Grundgesetzes. Das Stiftungsgesetz sei ein Umformungsgesetz, da es lediglich den Inhalt des Eigentums regele und sich somit in den Grenzen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes halte. Es handle sich um eine Art Zwangsvergleich. Selbst wenn durch die gesetzliche Regelung im Extremfall einige Kinder schlechtergestellt würden als durch den Vergleich, berühre dies die Wirksamkeit des Gesetzes nicht.Die Kläger haben — das soll nicht verschwiegen werden — gegen dieses Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt. Es ist zu erwarten, daß das Bundesverfassungsgericht noch in diesem Jahr eine Entscheidung trifft. Von dieser Entscheidung wird es abhängen, ob der Treuhänder Dr. Schreiber die noch in seiner Verfügungsmacht befindlichen 50 Millionen DM an die Stiftung herauszugeben hat. Ich erwähne das nur deswegen, weil ich meine, daß das ein ganz besonders trübes Kapitel in der Geschichte der Wiedergutmachung von Schäden contergangeschädigter Kinder ist.
Der Bundesverband der Eltern körpergeschädigter Kinder fordert nun seit längerer Zeit immer wieder eine Erhöhung der Renten unter Hinweis auf den in den letzten Jahren eingetretenen Geldwertverlust und die von dem damaligen Bundesjustizminister abgegebene Erklärung, daß eine Anpassung der Renten erfolgen werde, wenn die vorgesehenen Leistungen dem Ziel des Gesetzes, den Kindern eine wirksame und dauerhafte Hilfe zu gewähren, nicht mehr entsprächen. Diese Zusage wollen wir jetzt einlösen, da die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Die Eltern der contergangeschädigten Kinder haben dem Gesetzesvorschlag der sozialliberalen Koalition auf dem Vorwege bereits grundsätzlich zugestimmt. Ich zitiere aus dem Schreiben des Bundesverbandes der Eltern Contergangeschädigter Kinder an seine Mitglieder vom 5. Mai 1976. Es heißt dort:Wenn auch die in Aussicht gestellte Anhebung der Renten um 25 %— 30 % sind natürlich immer besser als 25 %; darüber kann es keinen Streit geben —zum 1. Juli oder 1. August 1975 nicht ganz unseren Wünschen entspricht, so müssen wir unsdoch bei der Bundesregierung bedanken, daßsie das mit dem Brief vom 3. November 1972 durch den damaligen Justizminister Jahn für die Bundesregierung abgegebene Versprechen einlöst, die Renten anzupassen.Meine Damen und Herren, diesem Dank gegenüber der Bundesregierung möchte ich mich gern bei dieser Gelegenheit anschließen.
Die Koalitionsfraktionen beantragen daher, das Stiftungskapital der Stiftung in Teil II des Gesetzes um weitere 50 Millionen DM aufzustocken und damit die Voraussetzung für eine Rentenanhebung um durchschnittlich 25 % zu schaffen. Dieses Gesetz soll spätestens am 1. August 1976 in Kraft treten.Wenn dieser Antrag erst jetzt gestellt wird, so hat dies einmal seinen Grund darin, daß die Haushaltslage des Bundes bisher eine solche Entscheidung nicht zugelassen hat. Eine Anhebung der Renten für contergangeschädigte Kinder hätte sich zu einem früheren Zeitpunkt mit den Absichten des Haushaltsstrukturgesetzes nicht vereinbaren lassen. Zum anderen halten es die Koalitionsfraktionen nicht zuletzt im Hinblick auf das neue Arzneimittelgesetz für gerechtfertigt, noch einmal einen größeren Betrag aus Bundesmitteln zur Verfügung zu stellen, da im neuen Arzneimittelrecht die Entschädigung möglicher Opfer von Arzneimittelschäden ausdrücklich auch für den Fall geregelt wird, daß dem Hersteller keine Schuld nachgewiesen werden kann.Die Leistungen des Bundes für contergangeschädigte Kinder erreichen damit den gleichen Betrag, den die Firma Chemie Grünenthal seinerzeit im Vergleichswege den Betroffenen zur Verfügung gestellt hat, nämlich 100 Millionen DM.Der Antrag der CDU/CSU nun, meine Damen und Herren, unterscheidet sich von unserem Antrag durch eine Erhöhung der Renten um 30 % statt 25 % und durch die Verpflichtung des Bundes, der Stiftung in jedem Haushaltsjahr die benötigten Mehraufwendungen in Höhe von 3,5 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Der Antrag der SPD/FDP-Koalition sieht dagegen — wie gesagt — eine einmalige Erhöhung der Einlage des Bundes um 50 Millionen DM vor.Die CDU/CSU-Fraktion — das müssen Sie sich vorhalten lassen — hat die Frage, wie die von ihr geforderte Rentenerhöhung finanziert werden soll, völlig offengelassen. Mit der Forderung, der Bund möge der Stiftung alljährlich die benötigten Mittel in Höhe von 3,5 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung stellen, hat sich die CDU/CSU die Sache doch wohl — so meine ich — zu einfach gemacht. Sie hat nämlich weder Streichungsvorschläge an anderer Stelle unterbreitet — das ist doch ganz interessant im Zusammenhang mit den Vorwürfen von Ihrer Seite, dieser Staat sei ein Selbstbedienungsladen —, noch hat sie gesagt, wie die benötigten Mittel sonst beschafft werden sollen. Ihr Finanzierungsvorschlag zeigt wenig Weitsicht, wie ich meine. Zu seiner Realisierung für die weitere Rentenlaufzeit von etwa 55 Jahren — bezogen auf eine
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976 17399
GlombigLebenserwartung der Kinder von 70 Jahren, davon müssen wir ausgehen, unter Berücksichtigung des jetzigen Durchschnittsalters von 15 Jahren — wären ca. 190 Millionen DM erforderlich.Bei dieser Sachlage muß es sich die CDU/CSU tatsächlich gefallen lassen, Herr Kollege zu Sayn-Wittgenstein, in den Verdacht zu geraten, einen Schaufensterantrag gestellt zu haben. Das habe ich mit meiner Bemerkung gemeint, nichts anderes.Der Antrag der Koalitionsfraktionen, der demgegenüber vorsieht, daß der Bund eine einmalige Einlage in die Stiftung in Höhe von 50 Millionen DM leistet, führt hingegen dazu, daß dieser Betrag bei einer angenommenen langfristigen Durchschnittsverzinsung des Kapitals von 6 °/o ausreicht, um die vorgeschlagene 25°/oige Rentenerhöhung für die weitere Rentenlaufzeit sicherzustellen. Die benötigten zusätzlichen Mittel werden auf dem Kreditmarkt beschafft. Das bedeutet, daß die Erhöhung der Renten nicht zu Lasten anderer Sozialleistungen geht, und darauf kam es uns an.Mit dem Gesetz über die Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" ebenso wie mit dem jetzt vorliegende Gesetz über die Aufstockung des Stiftungskapitals und die Erhöhung der Leistungen wird ein Stück der sozialpolitischen Hypothek bewältigt — so meine ich hier anmerken zu dürfen —, die die sozialliberale Koalition im Jahre 1969 vorgefunden hat. Damals gab es kein Arzneimittelrecht, das solchen Arzneimittelkatastrophen vorbeugt
und eine Entschädigungsregelung vorsieht; diese Lücke ist mit der Reform des Arzneimittelrechts geschlossen worden, wenn - das ist allerdings eine sehr wichtige Voraussetzung, die ich hier ansprechen möchte — die von CDU und CSU regierten Bundesländer im Bundesrat nicht auch dagegen noch eine Blockade errichten.Im Jahre 1969 gab es nicht nur keine ausreichenden gesetzlichen Regelungen zur Verhütung und Entschädigung von Arzneimittelschäden; es gab auch praktisch keine sozialpolitischen Leistungen für behinderte Kinder — ich will das, was ich in der vorigen Woche dazu gesagt habe, jetzt noch einmal unterstreichen —, d. h. natürlich über die Leistungen des Bundessozialhilfegesetzes hinaus. Vor diesem Hintergrund müssen das Stiftungsgesetz und der jetzt vorliegende Gesetzentwurf gesehen werden.Rehabilitationsleistungen waren bis 1969 beschränkt auf die Kriegs- und Arbeitsopfer sowie auf diejenigen Behinderten, die bereits eine Erwerbstätigkeit ausgeübt und dadurch Zugang zum Schutz der Sozialversicherung hatten. Die von Kindheit oder früher Jugend an Behinderten waren praktisch von diesen Leistungen ausgeschlossen und allein auf die Leistungen der Sozialhilfe angewiesen.Zum Schluß die Bemerkung, daß sich dieser Hintergrund seitdem wesentlich verändert hat. Darüber freuen wir uns sehr. Aus diesem Grunde ist die gesetzliche Regelung zur Entschädigung der contergangeschädigten Kinder als ein einmaliger Sonderfall mit der jetzigen Einlösung des Versprechens aus dem Jahre 1972 als abgeschlossen anzusehen. Im übrigen werden wir alles in unseren Kräften Stehende tun, um auch die contergangeschädigten Kinder an der weiteren sozialpolitischen Entwicklung zur Erreichung des Ziels der sozialen Gerechtigkeit für alle behinderten Kinder in diesem Lande in ausreichender Weise teilhaben zu lassen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Lüdemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte mir eine längere Rede vorbereitet, aber ich glaube, in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit und auch in Anbetracht dessen, was Herr Kollege Glombig eben gesagt hat — er hat nämlich eigentlich all das gebracht, was ich auch bringen wollte —, sollte ich mich jetzt nur noch ganz kurz fassen.
— Und ich hoffe, Sie machen es mir nach, Herr Kollege Hammans.
Frau Kollegin, er hat nachher noch die Möglichkeit dazu; er hat sich nämlich zu Wort gemeldet.
Das weiß ich, und weil er mir so tollen Beifall spendet, meine ich, er sollte diesem Beispiel folgen.
Meine Damen und Herren, beide Gesetzentwürfe haben im Grunde dasselbe Ziel, und ich meine, wir sollten in den Ausschüssen nun versuchen, daß auch die Opposition die Überzeugung gewinnt, daß unser Vorschlag mit der Einbringung der 50 Millionen DM und der daraus resultierenden Rente für die Kinder der bessere Weg ist. Wir haben das gleiche Ziel, aber wir Freien Demokraten glauben, daß wir zur Erreichung dieses Zieles den besseren Weg und auch die besseren Mittel haben.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir die Vorlagen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend —, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — mitberatend und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Diätengesetzes 1968— Drucksache 7/5247 —
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17400 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenDas Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf an den Innenausschuß und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf.Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern
— Drucksache 7/5192 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GODas Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich schlage Ihnen vor, die Vorlage an den Innenausschuß — federführend — und an den Haushaltsausschuß — mitberatend und gemäß § 96 der Geschäftsordnung — zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr die Punkte 8 und 9 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gebühren des Patentamts und des Patentgerichts— Drucksachen 7/3939, 7/4023 —Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/5178 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Dr. RehlenAbgeordneter Dr. Wittmann
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 27. November 1963 zur Vereinheitlichung gewisser Begriffe des materiellen Rechts der Erfindungspatente, dem Vertrag vom 19. Juni 1970 über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens und dem Übereinkommen vom 5. Oktober 1973 über die Erteilung europäischer Patente
— Drucksache 7/3712 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/5180 — Berichterstatter:Abgeordneter Simonb) Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/5179 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Dr. Rehlen Abgeordneter Dr. Wittmann
Meine Damen und Herren, ich danke den Berichterstattern für die vorgelegten Berichte.Wir kommen zur zweiten Beratung des Gesetzes über die Gebühren des Patentamts und des Patentgerichts. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf der Drucksache 7/5214 vor. Ich schlage vor, daß Frau Abgeordnete Dr. Rehlen diesen Antrag begründet und dann gleich in der allgemeinen Aussprache zur zweiten Beratung spricht und daß Herr Abgeordneter Dr. Wittmann entsprechend verfährt. — Das Haus ist damit einverstanden. Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP strebt eine durchschnittliche Erhöhung der Gebühren des Patentamts und des Patentgerichts um 68 % an, und zwar mit Wirkung vom 1. November 1976.Mit der Annahme dieses Antrags wird der Regierungsentwurf wiederhergestellt. Diese zugegebenermaßen kräftige Gebührenerhöhung ist erforderlich, um die Gebühren des Patentamts und des Patentgerichts wieder kostendeckend zu gestalten. Die Alternative zu kostendeckenden Gebühren wären Kürzungen im Haushalt des Bundesjustizministeriums. In finanzwirksamen Gesetzen der vergangenen Monate, angefangen beim Haushaltsstrukturgesetz bis zu dem soeben verabschiedenen Bundeshaushalt sind verschiedenen Gruppen der Bevölkerung finanzielle Belastungen oder Einschränkungen staatlicher Leistungen auferlegt worden. Es bestünde die Gefahr, daß diese Tendenz auch auf den bisher ausgesparten Bereich von Patentamt und Patentgericht übergreift. Dies muß nach Auffassung der Koalitionsfraktionen gerade im Interesse der Erfinder und der innovationsfreudigen Bereiche der deutschen Wirtschaft vermieden werden.In den Ausschußberatungen haben wir uns davon überzeugen können, daß die Rationalisierungsbemühungen des Patentamts sehr erfolgreich waren. Trotz gestiegenem Prüfstoff konnten seit 1972 mehr als 10 v. H. aller Personalstellen eingespart werden. Rationalisierungsmaßnahmen durch Einnahmeverbesserungen werden auf Grund einiger gesetzlicher Änderungen möglich sein, die wir aus systematischen Gründen in das Ratifikationsgesetz zu den internationalen Patentübereinkommen geschrieben haben.Weitere Anpassungen des patentamtlichen Verfahrens an die Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung müssen ernsthaft und beschleunigt geprüft werden. Soweit gesetzliche Bestimmungen einer rationellen Handhabung des Verfahrens beim Patentamt, also der Verwaltung der Datenbestände, entgegenstehen, müssen gesetzestechnische Änderungen erfolgen.
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Frau Dr. RehlenDennoch: Die derzeitige Finanzierungslücke von73 Millionen DM kann gegenwärtig nur durch die vorgeschlagene Anhebung der Gebühren gedeckt werden. Diese Einschätzung der Lage teilt auch der Haushaltsausschuß, der sowohl am 16. Oktober 1974 als auch am 22. Januar 1976 einstimmig entsprechend beschlossen hat. An dieser Stelle möchte ich meinem Kollegen Alo Hauser von der CDU/CSU-Fraktion dafür danken, daß er eine sachgerechte Haltung des Haushaltsausschusses jenseits parteipolitischer Gegensätze zustande gebracht hat.Der Änderungsantrag geht vom Prinzip der Kostendeckung aus, das seit Bismarck, genauer seit 1877, aufrechterhalten wurde. Das Kostendeckungsprinzip ist das Äquivalent für den Schutz, den die Erfindung und ihre wirtschaftliche Verwertung genießen.Die letzte allgemeine Gebührenerhöhung hat 1955, also vor 21 Jahren, stattgefunden.
1968, noch zur Zeit der Großen Koalition, wurden einzelne Gebühren, u. a. aus verwaltungstechnischen Gründen, erhöht und einige neue Gebührenarten eingeführt. Die Notwendigkeit, die Gebühren nach einer so langen Periode an die staatlichen Kosten anzupassen, liegt auf der Hand. Die Bundesrepublik steht mit der Erhöhung der Gebühren für Patentamt und Patentgericht übrigens nicht allein. Auch das niederländische Parlament befaßt sich mit einer kräftigen Erhöhung. Vergleicht man die deutschen Patentgebühren mit denjenigen anderer Länder, so liegen wir, selbst nach der Erhöhung unserer Gebühren, deutlich im Mittelfeld.In den Beratungen haben wir uns insbesondere auch mit der Frage auseinandergesetzt, wie die Interessen der Einzelerfinder sowie die Interessen der besonders auf den Schutz ihrer Erfindungen angewiesenen mittelständischen Betriebe gewahrt werden können. Die Leistungen gerade dieses Kreises hat erst kürzlich wieder der April-Bericht der Deutschen Bundesbank hervorgehoben. Die Lizenzbilanz der Unternehmen ohne maßgebliche ausländische Kapitalbeteiligung ist mit mehr als 300 Millionen DM positiv. Dies macht deutlich, daß die Fähigkeit zur Innovation und zum technischen Fortschritt in der deutschen Wirtschaft nach wie vor verankert ist.Nach Aufstellungen des Patentamtes stammen mehr als 50 v. H. der Anmeldungen von Anmeldern, die mehr als neun Patente pro Jahr anmelden. Dies können in aller Regel nur größere Unternehmen. Wenn man weiterhin berücksichtigt, daß nach einer Untersuchung des Ifo-Instituts bereits jede zweite Patentanmeldung aus dem Ausland stammt, kann man verstehen, warum eine ausschließlich auf die Interessen der Einzelerfinder und mittelständischen Betriebe abgestellte Gebührenstruktur nur zu einem „Gießkanneneffekt" führen würde. Dies wurde u. a. auch in dem vom Rechtsausschuß veranstalteten Hearing deutlich.Die Bundesregierung hat sich deshalb schon vor einiger Zeit zu flankierenden Maßnahmen entschlossen, die insgesamt eine stärkere und gezielte Entlastung bringen, als dies durch den Verzicht auf eine kostendeckende Gebührenerhöhung möglich wäre. In erster Linie ist hier die Fraunhofergesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung zu nennen, aber auch die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungseinrichtungen und die Deutsche Wagnisfinanzierungsgesellschaft.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Bundestag liegt ein weiterer und, wie ich meine, langfristig weitaus wichtigerer Gesetzesvorschlag im Bereich des Patentwesens vor, nämlich die Ratifikation von drei internationalen Patentübereinkommen, die die Bundesrepublik verpflichten, sich der internationalen Vereinheitlichung des Patentrechts und des Patenterteilungsverfahrens anzuschließen. Diese Abkommen finden in anderen, wirtschaftlich relevanten Rechtsgebieten — leider — noch keine Parallele.Darüber hinaus ist für die Bundesrepublik von erheblicher politischer Bedeutung, daß das Europäische Patentamt seinen Sitz in München haben wird. Damit wird die Bundesrepublik zum ersten Mal Sitz einer großen internationalen Behörde.Die Bundesrepublik wird als erstes Land die drei internationalen Patentübereinkommen ratifizieren. Über die spezielle Bedeutung für den internationalen gewerblichen Rechtsschutz hinaus ist der Beschluß des Bundestages als Impuls und Ermutigung für die weitere Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit gemeint. Europa wird nicht durch Resolutionen, sondern durch Gesetze gebaut. Deshalb haben die Fraktionen von SPD und FDP im Rechtsausschuß auch darauf verzichtet, die in den Abkommen gegebenen Möglichkeiten zu nationalen Vorbehalten auszuschöpfen. Dies wird vermeiden, daß im Rechtsgebiet der Bundesrepublik die Vorschriften über Verfahren und Reichweite nationaler Patente von den internationalen Bestimmungen in grundsätzlichen Punkten abweichen.Dies gilt auch für zwei Punkte, die in der Diskussion eine besondere Rolle gespielt haben. Ich meine den Wegfall der Bestimmungen über die Neuheitenschonfrist und über die Ausstellungspriorität. Beides sind Vorschriften des deutschen Patentrechts, die dem Erfinder das Testen seiner Erfindung auf dem Markt erleichtern, bevor er sich der Mühe unterzieht und die Kosten aufbringt, die mit der Anmeldung beim Patentamt verbunden sind. Die internationalen Patentübereinkommen sind Kompromisse. Neuheitenschonfrist und Ausstellungspriorität sind anderen Patentrechten unbekannt und konnten deshalb von der deutschen Delegation nicht durchgesetzt werden. Das Ratifikationsgesetz kommt den Erfindern und den mittelständischen Unternehmen insofern entgegen, als Neuheitenschonfrist und Ausstellungspriorität erst zu dem Zeitpunkt wegfallen, wenn das Straßburger Abkommen in Kraft tritt, diese Rechtsanpassung also zwingend geboten ist.Der Wegfall der Neuheitenschonfrist und der Ausstellungspriorität ist, so bedauerlich es sein mag, nicht zu vergleichen mit den Vorteilen, die die
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Frau Dr. Rehleninternationalen Patentübereinkommen gerade für Einzelerfinder und mittelständische Wirtschaft mit sich bringen:Erstens. Die Kosten für einen internationalen Patentschutz liegen erheblich niedriger als die Kosten einer vergleichbaren Zahl nationaler Patente. Großunternehmen verfügten immer schon über Ressourcen, um ihre Erfindungen durch eine Vielzahl nationaler Patente zu sichern und zu verteidigen. Diese Chance erhalten erst jetzt alle, die Erfindungen international anmelden.Zweitens. Beim Europäischen Patentamt in München wird eine technologische Dokumentation aufgebaut, die den Informationsvorsprung großer Unternehmen abbauen hilft.Die Patentübereinkommen schaffen die materiellen Voraussetzungen zur Erweiterung der europäischen Zusammenarbeit. Sie fordern weitere konkrete Schritte geradezu heraus, z. B. auf dem Gebiet der Industriepolitik und der Förderung des Technologietransfers. Gerade auf diesen Gebieten liegen aber auch die Antworten, welche die weltwirtschaftlichen Strukturbrüche und die Vorgänge auf den Rohstoffmärkten der letzten Jahre von uns verlangen. Die Ratifikation dieser Abkommen stellt somit einen für die wirtschaftlichen Chancen Europas wichtigen strategischen Schritt in die richtige Richtung dar.Ich bitte Sie namens der Fraktionen der SPD und der FDP, dem Antrag über die Patentamtgebühren und den Gesetzentwürfen zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wittmann .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wider besseres Wissen stellt jetzt die Koalition im Auftrage der Bundesregierung den Antrag, die Regierungsvorlage zu dem Gesetz über die Patentgebühren wiederherzustellen. Diese Erhöhung der Patentgebühren im 68,5 °/o geht gegen die Erfinder, gegen die kleinen und mittleren Unternehmen, widerspricht der einmütigen Entscheidung der Wirtschaftsminister der Länder, widerspricht der Empfehlung des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages, widerspricht der Stellungnahme des Bundesrates, widerspricht der Auffassung des Deutschen Patentamts, ausgedrückt durch seinen Präsidenten im Hearing, und widerspricht jeder wirtschaftlichen und technologischen Vernunft gerade in unserer jetzigen Zeit.
Es ist ja sehr merkwürdig, daß im Rechtsausschußdie Koalition zugestimmt bzw. sich enthalten hat.
— Dazu werde ich kommen, Herr Kollege Gnädinger. Dem Haushaltsausschuß ist, wenn ich es einmal vorsichtig ausdrücken darf, durch Unterlassen bestimmter Hinweise die Entscheidung abgenötigt worden. Wenn der Haushaltsausschuß richtig informiert worden wäre, wäre manches vielleicht anders gelaufen. Ich komme darauf zu sprechen.
Herr Kollege Gnädinger, warum hat sich denn Ihre Fraktion im Rechtsausschuß plötzlich der Stimme enthalten? Sie haben plötzlich auch gesehen, daß in diesem Gesetzentwurf einiges ist, was eben so nicht geht. Warum hat die FDP bei der Änderung des Gesetzentwurfs mit uns gestimmt, nachdem er gescheitert war? Sie wissen das sehr genau. Ich würde sagen, Sie waren im Rechtsausschuß etwas hilflos. Um so widersinniger ist es jetzt zu beantragen, die Regierungsvorlage wiederherzustellen.Meine Damen und Herren, dem Haushaltsausschuß wurde vorgemacht, er müsse totale Kostendeckung herstellen, was im Rahmen des Patentwesens an Kosten oder Nachfolgekosten einschließlich Beihilfen und Pensionen anfällt, was bei keiner Behörde der Fall ist. Man hat den Haushaltsausschuß nicht auf Einsparungsmöglichkeiten hingewiesen, die wir im Rechtsausschuß erst auf Antrag der CDU/ CSU zu dem Gesetz über die Patentübereinkommen geschaffen haben. Die Bundesregierung hat den Haushaltsausschuß nicht darauf hingewiesen, daß es Möglichkeiten gibt, auf anderen Gebieten, z. B. durch die Eröffnung der Patentdokumentation, Einnahmen neu zu erschließen. Sie hat insbesondere I den Haushaltsausschuß nicht darauf hingewiesen, wie sich das Verhalten der Patentanmelder gestalten wird, wenn eine so drastische Gebührenerhöhung kommen wird, und sie hat den Haushaltsausschuß ferner nicht darauf hingewiesen, welche Folgen dies für die internationale Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft haben kann. Sie hat den Haushaltsausschuß auch nicht darauf hingewiesen, welche Strukturveränderungen auch für das Deutsche Patentamt durch die Schaffung des Europäischen Patentamts entstehen. So ist die wahre Lage. So kam der Beschluß des Haushaltsausschusses zustande.Meine Damen und Herren, Patente sind nicht nur für Großunternehmer da. Die Einzelerfinder machen einen sehr hohen Anteil aus, und zwar vor allem die Arbeitnehmer als Einzelerfinder in den Unternehmen. Der Nutzen aus den Patenten ist auch nicht nur für Unternehmer, sondern für die Allgemeinheit da. Der Bundeskanzler erklärte noch am 10. Juni 1975 vor dem Deutschen Ingenieurtag in Augsburg:Heute steht unser Land vor neuen großen Herausforderungen. Wir müssen all unsere technische, aber auch unsere organisatorische Leistungsfähigkeit brauchen in einer Zeit, die durch tiefgreifende Veränderungen in den weltwirtschaftlichen Beziehungen charakterisiert ist.Er sagte weiter:Längerfristig wird es darauf ankommen, daßwir auf der Grundlage neuen technischen Wis-
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Dr. Wittmann
sens industrielles Neuland erschließen. Basisinnovationen, die im Unterschied zu Verbesserungsinnovationen ganz neue Wege gehen, sind ihrer Natur nach sehr stark risikobehaftet und versprechen nicht unbedingt einen schnellen Erfolg. In erster Linie haben jedoch diese Basisinnovationen die entscheidenden Durchbrüche ausgelöst.Es geht um die Frage, inwieweit man bei dieser Gebührenhöhe gerade dort, wo die Gebühren den Tropfen ausmachen, der das Kostenfaß in den Betrieben zum Überlaufen bringt, noch dazu bereit ist, Patente anzumelden.Auch bei der Hannover-Messe hat Bundesminister Matthöfer auf die Wichtigkeit der Technologie hingewiesen. Bundesminister Friderichs bezeichnete die Innovation als Basis der Erhaltung von 22 Millionen Arbeitsplätzen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Dr. Rehlen?
Bitte schön!
Herr Kollege, können Sie mir bestätigen, daß es durch die Fraunhofer-Gesellschaft möglich ist
— vielleicht darf ich den Satz zu Ende führen daß Einzelerfinder und kleine und mittlere Unternehmen kostenlos zu Patenten kommen.
Ich danke Ihnen, gnädige Frau. Sie haben selbst von flankierenden Maßnahmen für Einzelerfinder, kleinere und mittlere Unternehmen gesprochen. Sie geben den Einzelerfindern und den kleinen Unternehmen mit diesen Maßnahmen Steine statt Brot. Wir haben ein Armenrecht im Patentgesetz vorgesehen. Wir haben die verschiedensten Förderungsmöglichkeiten und Förderungsprogramme des Bundes. Aber glauben Sie, daß jemand Geld geben wird, ohne vorher geprüft zu haben, ob er das Patent für nützlich oder unnütz hält? Das ist praktisch geistige Investitionskontrolle, die Sie hier einführen.
Das ist wieder das Typische: daß man selektiert, den einzelnen und den Kleinen in die Abhängigkeit vom Staat bringt, vom Staat her das Geld durch die Gebühren einnimmt und dann nach Beliebigkeit und nach politischem Gesicht entscheidet, ob dieser Mann würdig ist, einen Zuschuß des Staates zu erhalten.
Das wollen wir vermeiden. Wir wollen die Freiheit des Einzelerfinders und die Freiheit des kleinen und des mittleren Unternehmens erhalten. Darum geht es. Auch eine Frage von Freiheit statt Sozialismus!
Herr Abgeordneter Dr. Wittmann, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Rehlen?
Bitte schön!
Herr Kollege Wittmann, können Sie — —
Sind nur Sie still, Herr Kollege Schäfer; sind nur Sie still!
— Sonst muß ich Ihnen einmal aus der Vergangenheit etwas nachblättern. Das juckt mich schon lange!
— Danke schön! Schönen Dank, Herr Präsident!
— Aus unserer Zusammenarbeit — —
Wir sind bei einer Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Rehlen. Der Abgeordnete Wittmann läßt sie offensichtlich zu.
Herr Präsident, haben Sie die Ausdrücke gehört? Ich hoffe es!
Ich habe überhaupt keine Ausdrücke gehört.
Aber die Stenographen werden sie zur Kenntnis nehmen.
Wir werden sehen, ob im Protokoll etwas festgehalten ist. — Bitte!
Danke schön!
Herr Kollege Wittmann, bestätigen Sie mir, daß im Hearing auf meine Frage über die Fraunhofer-Gesellschaft alle anwesenden Verbände mit Ausnahme des Deutschen Erfinderverbands sich positiv über die Arbeit dieser Institution geäußert haben?
Verehrte Frau Kollegin, um diese Frage geht es doch nicht! Sondern es geht um die Frage, daß man Einzelerfinder und kleine und mittlere Unternehmen von Dritten in ihrer Erfindungskraft immer mehr abhängig macht. Um diese Frage geht es doch!Nun, meine Damen und Herren, die Ausschußfassung des Gesetzes sieht eine von allen Beteilig-
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ten als maßvoll empfundene Gebührenerhöhung um zirka 40 % vor. Dabei muß man all das einrechnen, was wir an Einsparungen oder an neuen Gebühren erreicht haben, zum Beispiel durch die von der CDU/ CSU beantragte und dann auch angenommene Eröffnung der Patentdokumentation.Man mag entgegenhalten, daß im Jahr 1955 die Gebühren auch einmal sehr kräftig erhöht worden sind. Nun, da lagen der Krieg und die Nachkriegszeit dazwischen, und das Patentwesen wurde neu geordnet. Das war ein völlig anderer Sachverhalt.Die Folgen werden nun sein, daß weniger Anmeldungen eingehen und daß sofort Prüfungsantrag gestellt wird, das Amt also zunächst überlastet wird. Und wenn auf Grund der niedrigeren Zahl von Anmeldungen dann weniger Arbeit ist, werden sogar eines Tages Arbeitsplätze gefährdet sein. Das wird mit dieser Gebührenerhöhung eintreten.Die Bundesregierung hatte ja schon lange Zeit, einmal das hundert Jahre alte Patentgesetz daraufhin zu überprüfen, welche Verfahrensverbesserungen möglich sind, um zu Einsparungen zu kommen. Das wurde unterlassen. Man hat nicht einmal daran gedacht. Man wollte ja zunächst auch die Verbesserungen abwehren, die wir im Zusammenhang mit dem Patentübereinkommen beantragt haben.Mit der Überleitung in das europäische Patentrecht werden noch viele Probleme auf das Deutsche Patentamt zukommen — nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Erhaltung qualifizierter Prüfer in diesem Deutschen Patentamt. Deshalb würde ich es sehr begrüßen, wenn man bei einer sich bietenden und finanzpolitisch vertretbaren Gelegenheit, falls das Haushaltssicherungsgesetz etwas abgemildert wird, die bereits gewährten, aber dann zurückgenommenen Stellenhebungen für das qualifizierte Personal vornimmt, um hier Gerechtigkeit walten zu lassen.Ich habe nun das Vergnügen, mich einem etwas angenehmeren Thema zuzuwenden, nämlich die Feststellung zu treffen, daß jetzt endlich ein noch unter Konrad Adenauer von dem CSU-Justizminister Fritz Schäffer begonnenes europäisches Einigungswerk auf dem Gebiet des Patentwesens dem Deutschen Bundestag zur Entscheidung vorliegt.Ich möchte bei der Gelegenheit allen Beteiligten für die langwierige, schwierige und manchmal mit Rückschlägen verbundene Arbeit danken, eine Arbeit, die vor allem der ehemalige Präsident des Deutschen Patentamts, Herr Dr. Haertel, geleistet hat, der sich auch durch Rückschläge nicht entmutigen ließ.Ich möchte auch einem Mann danken, der leider seit 1. Januar dieses Jahres nicht mehr unter uns weilt: dem langjährigen Staatssekretär im Bundesjustizministerium Dr. Walter Strauß, auf dessen Initiative eigentlich die Überlegungen zurückgehen, die nunmehr zum Europäischen Patentamt führen.Wir sind froh, daß diese europäische Behörde nach Deutschland kommt. Als Bayer und als Münchner darf ich darüber hinaus sagen: Wir sind froh, daß der Standort dieses Amtes trotz mancher Schwierigkeiten, die wir in München haben, dort sein wird. Aber der ehemalige Oberbürgermeister Münchens wird sicherlich dazu beitragen, daß diese Schwierigkeiten bereinigt werden, daß dieses Amt baulich in die Münchner Stadt paßt, daß das Klima für die Menschen in dieser Stadt erträglich bleibt, d. h. sich durch diesen Standort nicht Mieten und Preise unnötig erhöhen.Lassen Sie mich noch auf einen anderen Gesichtspunkt hinweisen. Mit diesen Übereinkommen und mit dem in der nächsten Legislaturperiode noch zu verabschiedenden Vereinheitlichungsabkommen von Luxemburg werden wir praktisch ein supranationales Patentrecht schaffen. Es wird der Entscheidung dieses Hauses weitgehend entzogen sein und nur auf Staatenkonferenzen geändert werden können. Vielleicht wäre es denkbar — das sollten wir überlegen —, als erste Kompetenz des Europäischen Parlaments den gewerblichen Rechtsschutz vorzusehen; denn in allen Staaten, ob es die USA sind, Deutschland oder die Schweiz ist, war der gewerbliche Rechtsschutz eine der ersten Gesetzesmaterien, die einem zentralen Parlament überantwortet wurden.Auf Antrag der CDU/CSU wurde auch erreicht, daß manche Schwierigkeiten, die für die Patentanmelder im Rahmen der Anpassung des deutschen Rechts an das europäische Patentrecht auftraten, beseitigt wurden. Frau Kollegin Rehlen hat die Einzelheiten schon genannt.Diese Übereinkommen sind in einer vielleicht düsteren Stunde Europas ein ermutigendes Zeichen, daß Europa doch wird, wenn wir auf einzelnen konkreten Gebieten vorankommen. Für uns kann ich sagen, daß wir diese europäische Behörde mit ihren internationalen Bediensteten in Deutschland willkommen heißen.Namens meiner Fraktion beantrage ich, den Änderungsantrag der SPD und FDP zu dem Gesetz über die Patentgebühren abzulehnen und es bei der Fassung des Ausschusses zu belassen. Im übrigen beantrage ich auch namens meiner Fraktion, den Patentübereinkommen und dem dazu gehörenden Gesetz zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erhard .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß genau, daß ich mich jetzt zu einer Zeit gemeldet habe, wo wir unter Ausschluß der Öffentlichkeit diskutieren.
Das halte ich für gut, weil wir uns auf diese Weise frei von dem sonst uns möglicherweise beschleichenden Affekt unterhalten können. Im Protokoll werden meine Ausführungen selbstverständlich enthalten sein; das weiß ich, Herr Präsident.
Herr Kollege, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß
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Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenwir uns in einer öffentlichen Sitzung befinden, von der auch Protokolle angefertigt werden. Insoweit sind Ihre Bemerkungen sicher nicht zutreffend.
Herr Präsident, darüber bin ich mir völlig im klaren. Ich danke Ihnen aber gleichwohl für den Hinweis.
Warum habe ich mich jetzt zu Wort gemeldet?
Weil mich das Verfahren, das hier deutlich wird, dazu veranlaßt.
Wir haben § 1 des Gesetzes im Rechtsausschuß mit Mehrheit abgelehnt. Damit hätte das Gesetz sterben müssen. Wir waren diejenigen, die Ihnen in dieser Situation angeboten haben, einen Kompromiß zu suchen. Dann haben wir auf Vorschlag des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Metzger im Rechtsausschuß einen Kompromiß — unter dieser Überschrift! — zustande gebracht. Sie haben die Sitzung unterbrochen und gesagt: Kompromiß.
Darauf haben wir gesagt: Wir wollen an sich nur eine Gebührenerhöhung von rund 33 °/o, die sachlich gerechtfertigt ist; denn das hätte eine Gebührendeckung bezüglich der Kosten ausgemacht. Da Sie das auf keinen Fall wollten, haben wir erklärt, wir seien auch zu einem Kompromiß von 40 °/o bereit. Nach genaueren Berechnungen des Ministeriums betragen, wie ich das eben erfragt habe, die Gebührenerhöhungen im Schnitt 37 °/o.
Und Sie haben gesagt: Jawohl. Verständlicherweise haben Sie dem nicht zugestimmt, sondern sich als Kompromiß der Stimme enthalten. Dafür hat jeder Verständnis, wenn sich eine Seite, um nicht gegen die eigene Regierung stimmen zu müssen, im Ausschuß als Fraktion der Stimme enthält. Gegen einen solchen Kompromiß ist gar nichts einzuwenden.
Aber einen Kompromiß im Ausschuß, den wir angeboten haben, dazu zu mißbrauchen, im Plenum als Fraktion etwas gänzlich anderes zu machen, ist ein Verfahren, welches das Kooperieren in den Ausschüssen, im Parlament und unter den Fraktionen zerstört. Das machen Sie und nicht wir.
Das machen Sie — natürlich ist das ein kleiner Fisch , um prohibitive Gebühren festzusetzen. „Prohibitiv" heißt, daß viele Leute ausgeschlossen und so arm gemacht werden, daß sie den Staat wieder in Anspruch nehmen müssen, wenn sie ihre Patentanmeldungen vornehmen. Da kommt ja die Kostenerhöhung über die andere Seite ohnehin wieder herein.
Das machen Sie, um die Beihilfen, die an die Richter des Bundespatentgerichts zu zahlen sind, durch die Gebühren des Patentamts abzudecken. Ich kann nur sagen: Wenn wir so weitermachen, dann wird in der ordentlichen Gerichtsbarkeit überhaupt niemand mehr in der Lage sein, sein Recht irgendwo in unserem sozialen Rechtsstaat zu erstreiten, weil
dann überhaupt kein Mensch mehr so viel Geld hat, um die gesamten Gehälter, Pensionen, Beihilfen usw. der Richter und des sonstigen Personals der Ämter bezahlen zu können.
So kann es nicht weitergehen, wenn wir einen sozialen Rechtsstaat behalten wollen. Aber das Entscheidende ist für mich, daß man sich auf eine Fraktion eigentlich verlassen können muß. Bisher war ich der Meinung, in Verfahrensfragen könnten wir uns aufeinander verlassen. Die SPD verläßt auch diesen Pfad, nur um ihren Willen durchzusetzen, nur um Macht auszuüben.
Ich sage nur: So werden Sie keine wirklich funktionsfähige Demokratie erhalten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gnädinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß zu meinem Bedauern feststellen, daß die Darstellung, die Herr Erhard über den Ablauf der Sitzung des Rechtsausschusses gegeben hat, nicht ganz exakt ist.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
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17406 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Bundesminister Dr. VogelNachdem Sie mit einiger Anstrengung den Eindruck erweckt haben, es gehe hier um Freiheit oder Sozialismus — um Ihren mißglückten Slogan zu zitieren —, oder Sie den Eindruck erweckt haben, es gehe um die Grundfragen der Kooperation zwischen den Fraktionen, dürfen wir jetzt wieder auf den Boden der tatsächlichen Vorlage zurückkehren.
— Ich bitte Sie, Herr Kollege Thürk. Wenn man den Debatten über viele Stunden folgt, dann ist man durchaus bereit, Heiteres wie die Ausführungen des Herrn Kollegen Kiechle oder auch des Kollegen Konrad heiter zu nehmen. Aber Dinge, wie sie eben vorgetragen wurden, kann man deswegen noch lange nicht ernst nehmen.
Es geht um zwei verbundene Vorlagen, um eine Routineangelegenheit — —
— Ach, Herr Reddemann, Sie haben heute Ihr Soll doch wirklich schon übererfüllt. Es gibt ja ein paar Leute, die nach Hause gehen wollen. Verlängern Sie die Dinge nicht noch!
— Herr Reddemann, das hängt nicht von Ihnen ab, ob ich mich hinsetze. So weit sind wir noch nicht hier in diesem Parlament.
Es geht um zwei Vorlagen, die zwar die gleiche Rechtsmaterie betreffen, die aber in keinem inneren Zusammenhang stehen. Einmal geht es um die Erhöhung der nationalen Patentgebühren, zum anderen um die schon erwähnten internationalen Patentübereinkommen, insbesondere um das europäische Patentübereinkommen.Die erste Vorlage hat Routinecharakter. Natürlich freut sich niemand über Gebührenerhöhungen. Allerdings ist dies seit Gründung der Bundesrepublik erst die zweite allgemeine Erhöhung der Patentgebühren. Allen bisherigen Erhöhungen lag das vernünftige Prinzip zugrunde, die Gebühren jeweils so zu bemessen, daß sie ausreichten, die gesamten Kosten der administrativen und der judikativen Einrichtungen auf dem Gebiete des Patentwesens zu decken.
— Lieber Herr Kollege Lenz, das ist eine durchausoriginelle Anregung, die Sie zum Antrag erhebensollten. Das Justizministerium würde dabei wesentlich besser fahren als bei der gegenwärtigen Regelung.
Der mit knapper Mehrheit gefaßte Beschluß des Rechtsausschusses würde mit diesem Prinzip brechen. Er würde einen nicht unerheblichen Teil der Kosten, nämlich rund 34 Millionen DM, dem Steuerzahler aufbürden. Für eine solche Mehrbelastung des Steuerzahlers gibt es aber keinerlei einsichtigen Grund. Vor allem — dies ist schon dargelegt worden — verfangen weder verfassungsrechtliche noch volkswirtschaftliche Argumente. Auch die Behauptung, die freien Erfinder oder die mittelständischen Unternehmen würden erdrosselt, hält der Prüfung in keiner Weise stand. Übrigens freue ich mich, daß sich der Kollege Wittmann mit der Wendung von der geistigen Investitionskontrolle in den Kreis der sehr freien Erfinder eingereiht hat.
Nur cirka 50 % aller Patentanmeldungen stammen aus dem inländischen Bereich. Die andere Hälfte kommt aus dem Ausland. Insoweit können also freie Erfinder oder mittelständische Unternehmer von Gebührenerhöhungen gar nicht betroffen sein. Weitere rund 30 % aller Patentanmeldungen stammen von deutschen Großunternehmen. Das bedeutet also, daß insgesamt für mehr als 80 % aller Anmeldungen, Herr Kollege Wittmann, der von Ihnen vorgetragene Gesichtspunkt überhaupt keine Rolle spielt.
Entscheidender ist aber, daß die vom Rechtsausschuß vorgeschlagene Beschränkung der Gebührenerhöhung bei der einzelnen Patentanmeldung in dem Verfahrensabschnitt bis zur Patenterteilung für den einzelnen ganze 50 DM und für die Laufzeit des Patentes von insgesamt 20 Jahren im Jahresdurchschnitt ganze 135 DM ausmachen würde. Angesichts dieser Zahlen — 12 DM bzw. 50 DM bzw. 135 DM — löst sich die Behauptung von der Erdrosselung der freien Erfinder und der mittelständischen Unternehmungen in nichts auf. Ich wäre fast versucht, Ihnen, lieber Herr Kollege Wittmann, wenn ich an Ihre Argumente und Begründungen denke, den Slogan entgegenzuhalten: „Wahrheit oder Wittmann" oder, wenn Sie wollen, auch „Wahrheit statt Wittmann" — in diesem Punkt und in dieser Beziehung.
— Lieber Kollege Wittmann, meine Damen und Herren von der Opposition, ich wundere mich, daß Sie gegen halb zehn Uhr aus einer Lethargie, die über weite Stunden des heutigen Tages festzustellen war, bei den Patentgebühren plötzlich erwachen. Anscheinend wollen Sie Erfolge, die Ihnen an anderer
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Bundesminister Dr. VogelStelle versagt geblieben sind, auf der Ebene von 130-Mark-Beträgen erreichen.
Ich glaube, das wird nicht gehen.
Übrigens: auch nach der Gebührenerhöhung machen die staatlichen Abgaben nach internationalen Erfahrungen nur einen Bruchteil der Kosten aus, die anläßlich der Anmeldung eines Patents entstehen. Nach einer in der Schweiz durchgeführten Berechnung entfallen von dem Gesamtaufwand für eine nationale Patentanmeldung 73 °/o auf Anwaltskosten, 17 °/o auf Übersetzungen und sonstige Nebenkosten und nur ganze 10 °/o auf die staatlichen Gebühren. Die Verhältnisse werden bei uns nicht wesentlich anders sein.Dann noch eine letzte Bemerkung zur Frage der Gebührenerhöhung. Ich sagte, dies sei die zweite seit Gründung der Bundesrepublik. Die erste Gebührenerhöhung ist von der CDU/CSU-Regierung im Jahre 1955 durchgeführt worden.
— Richtig. Sie betrug für einen Zeitraum von 20 Jahren, in dem die Gebühren nicht erhöht wurden, 67 %. Wir erhöhen jetzt nach 21 Jahren um 68,5 %. Da möchte ich nun wirklich wissen, wo Ihre Logik bleibt.
Die Logik, daß für die Erfinder und die Unternehmen im Jahre 1955 in der Zeit des Wiederaufbaus eine Erhöhung um 67 % leichter erträglich gewesen sei als die Erhöhung heute im .Jahre 1976 um 68 %, ist geradezu abstrus und widerlegt sich selber.
Ich begrüße deshalb für die Bundesregierung, daß ein Abänderungsantrag der Koalitionsfraktionen gestellt worden ist. Ich befürworte seine Annahme und fordere die Koalition auf, in diesem Punkt keinesfalls hinter der seinerzeitigen Erhöhung durch die heutige Opposition zurückzubleiben. Das ist nur erreichbar, indem Sie diesen Antrag annehmen.Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, im Gegensatz zu der soeben behandelten Materie hat das europäische Patentübereinkommen eine weit über den heutigen Tag hinausreichende Bedeutung. Auch wer mit Superlativen eher sparsam umgeht, kann dieses Übereinkommen getrost als ein Jahrhundertwerk bezeichnen. Lassen Sie mich die drei Umstände, die diese Bewertung rechtfertigen, noch einmal kurz hervorheben.Erstens. Das neue einheitliche Patenterteilungsverfahren gilt für 16 europäische Länder mit 300 Millionen Einwohnern und einem Bruttosozialprodukt von 3 860 Milliarden DM im letzten Jahr. Für dieses gesamte Gebiet, das größte Wirtschaftsgebiet, das es gibt, erteilt künftig e i n Amt, nämlich das europäische Patentamt, ein Patent, das Schutzwirkungen in allen beteiligten Ländern nach deren nationalem Recht entfaltet. Eine derart weitreichende Wirkung eines übernationalen Rechtsakts ist ohne Beispiel. In allen vergleichbaren Fällen der Vergangenheit war entweder das Anwendungsgebiet wesentlich kleiner oder die nationale Wirkung von einer nationalen Zulassung im Einzelfall abhängig.Zweitens. In einem Zeitpunkt, in dem die europäische Integration eher stagniert, wird damit auf dem Wege zur Rechtseinheit Europas ein großer Fortschritt erzielt; ein Fortschritt, der um so höher zu bewerten ist, weil er mit einer Vereinheitlichung des materiellen Rechts verbunden ist und nicht nur die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, sondern auch zahlreiche Nichtmitglieder umfaßt. Einmal mehr, meine Damen und Herren, sind damit die oft gescholtenen Juristen, und zwar in diesem Fall sogar Spezialisten des Patentrechts, Bahnbrecher einer vernünftigen Entwicklung geworden.Drittens. Mit dem Europäischen Patentamt erhält die Bundesrepublik erstmals eine zentrale europäische Institution. Der hohe Stand des deutschen Patentwesens wird damit ebenso anerkannt wie das besondere Engagement der Bundesrepublik für das Zustandekommen des Vertragswerks. Ich selber — ich bitte, mir die Bemerkung zu gestatten — empfinde darüber hinaus besondere Genugtuung darüber, daß München Sitz dieses Amtes und der ersten europäischen Einrichtung dieser Größenordnung auf dem Boden der Bundesrepublik wird.Ich möchte auch im Namen der Bundesregierung allen, die am Zustandekommen dieses Vertragswerks mitgewirkt haben, sehr herzlich danken, und ich möchte meiner Genugtuung darüber Ausdruck geben, daß wir als Sitzland mit Ihrem heutigen Beschluß in den Stand versetzt werden, als erste dieses Abkommen zu ratifizieren.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie um Zustimmung in zweiter und dritter Beratung bzw. in der Schlußabstimmung sowohl zu dem Gesetzentwurf über die Gebühren des Patentamts und des Patentgerichts als auch zu dem Gesetzentwurf über internationale Patentübereinkommen. Im übrigen wird — um noch eine versöhnliche Schlußbemerkung anzuhängen — über die Höhe der Patentgebühren in Zukunft der Verwaltungsrat des Europäischen Patentamtes entscheiden, so daß wir dieser Sorge zu einem erheblichen Teil enthoben sind.
Ich rufe in der zweiten Beratung § 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/5214 ein Änderungsantrag vor. Er zielt auf eine Änderung der Anlage zu § 1 ab. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.Wer § 1 in der nunmehr geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Die Gegenprobe. — Stimmenthaltungen? — § i ist damit angenommen.
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17408 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1976
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenIch rufe die §§ 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung gebilligt.Wir treten in diedritte Beratungein. — Das Wort wird nicht begehrt.Wer dem Gesetzentwurf in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf über die Gebühren des Patentamts und des Patentgerichts in dritter Beratung gebilligt.Ich gehe davon aus, daß das Haus des Antrag des Ausschusses, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären, zustimmt. — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Vorlage unter Punkt 9 der Tagesordnung: Gesetz über internationale Patentübereinkommen. Ich rufe zur zweiten Beratung und Schlußabstimmung Art. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 6 a, 7, 8, 9 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Keine Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? — Keine Stimmenthaltungen. — Damit ist das Gesetz über internationale Patentübereinkommen vom Deutschen Bundestag einstimmig gebilligt worden.In Ziffer 2 des Ausschußantrages wird beantragt, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Ich gehe davon aus, daß das Haus dem entspricht. — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Hilfsmaßnahmen für die Opfer der Erdbebenkatastrophe in Norditalien— Drucksache 7/5170 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß HaushaltsausschußIch stelle fest, daß das Wort hierzu nicht begehrt wird.Es wird vorgeschlagen, den Antrag dem Auswärtigen Ausschuß — federführend — und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
betr. Einspruch des Dr. Richard Bünemann, Plön , vom 5. Dezember 1975 gegen seine Nichtberufung als Listenbewerber— Drucksache 7/5185 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Klein
Ich frage den Berichterstatter, Herrn Kollegen Dr. Klein , ob er eine Ergänzung des Berichtes wünscht. — Das ist nicht der Fall. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe die Punkte 12 bis 14 der Tagesordnung auf:12. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung des Rates zur Festlegung gemeinsamer Normen für den Wassergehalt in Schlachtkörpern von gefrorenen und tiefgefrorenen Hühnern, Hähnen und Hähnchen — Drucksachen 7/4500, 7/4917 —Berichterstatter:Abgeordneter Sauter
13. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eine fünfte Entscheidung des Rates über die Gleichstellung von Feldbesichtigungen von Saatgutvermehrungsbeständen in dritten Ländernfünfte Entscheidung des Rates über die Gleichstellung von in dritten Ländern erzeugtem SaatgutEntscheidung des Rates zur Änderung der zweiten Entscheidung 75/370/EWG über die Gleichstellung von in dritten Ländern erzeugten Pflanzkartoffeln— Drucksachen 7/4675, 7/5144 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Ritgen14. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eineVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2133/74 zur Aufstellung allgemeiner Regeln für die Bezeichnung und Aufmachung der Weine und der TraubenmosteRichtlinie des Rates zur vierten Änderung der Richtlinie 73/241/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für zur Ernährung bestimmte Kakao- und SchokoladeerzeugnisseRichtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
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Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenKonfitüren, Gelee, Marmeladen und MaronenkremRichtlinie des Rates zur dritten Änderung der Richtlinie des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die spezifischen Reinheitskriterien für konservierende Stoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen— Drucksachen 7/3952, 7/3967, 7/4012, 7/4196, 7/5168 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. HammansDer Herr Abgeordnete Dr. Hammans hat um das Wort zu einer Ergänzung des vorgelegten Berichts gebeten. Bitte, Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bitte, gestatten Sie mir zunächst eine Bemerkung zu dem, was Herr Erhard vorhin bezüglich der Öffentlichkeit gesagt hat. Er sprach über das Fernsehen im Deutschen Bundestag, und es lohnt sich in der Tat, darüber nachzudenken, warum Fernsehaufnahmen im britischen Parlament nach wie vor nicht möglich sind.
Sie haben zweifellos den Rahmen Ihrer Berichterstattung bereits gesprengt; aber fahren Sie bitte fort.
Diese vier Vorschläge, zu denen ich Berichterstatter bin, zeigen einmal mehr, wie schwer der Weg nach Europa ist, wie die Schwierigkeiten im Detail liegen. Das neue deutsche Weingesetz war ein Musterbeispiel dafür, was der deutsche Verbraucher hinnehmen muß, wenn auf
europäischer Ebene ein Gesetz gemacht wird, das dem deutschen Level nicht entspricht. Es kam mir darauf an, hier als Berichterstatter darauf hinzuweisen, daß auch in diesen vier Vorschlägen erneut Verschlechterungen gegenüber dem deutschen geltenden Gesetz kommen werden. Es ist wenig tröstlich, daß deutsche Erzeuger vielleicht in Zukunft weniger aufwendig produzieren können. Der deutsche Verbraucher wird sich mit schlechterer Qualität in Lebensmitteln begnügen müssen. Dies ist bedauerlich, und ich meine, daß wir die Bundesregierung und unsere Verhandlungspartner in Zukunft noch mehr bitten sollten, alles daran zu setzen, damit in Brüssel in Zukunft solche Ergebnisse vermieden werden.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort zur Aussprache wird offensichtlich nicht begehrt. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber über die aufgerufenen Tagesordnungspunkte gemeinsam abstimmen? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 7/4917, 7/5144 und 7/5168. Wer den Vorschlägen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit sind die Vorlagen gebilligt.
Wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 2. Juni 1976, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.